Protokoll:
16145

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 145

  • date_rangeDatum: 21. Februar 2008

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:02 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/145 und zur Änderung damit zusammen- hängender Vorschriften (Drucksache 16/8148) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung Erneuerbarer Ener- gien im Wärmebereich (Erneuerbare- Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG) (Drucksache 16/8149) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ach- ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (Drucksache 16/8150) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Fornahl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: 15237 A 15237 A 15237 A 15249 B 15251 B 15253 A 15255 A 15256 A 15257 D 15258 B 15259 D Deutscher B Stenografisc 145. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Georg Brunnhuber . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 23 und 25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des Rechts der Er- neuerbaren Energien im Strombereich 15235 A 15235 B 15235 B 15236 D Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) über die Bestandsaufnahme und den undestag her Bericht tzung en 21. Februar 2008 l t : Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes Erneuerbare-Energien- Technologien 2003/2004 (Drucksachen 15/5938, 16/480 Nr. 1.17, 16/4962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 15237 B 15237 C 15239 D 15241 B 15242 D 15245 A 15246 C 15248 A Unterrichtung durch die Bundesregierun Straßenbaubericht 2007 (Drucksache 16/7394) . . . . . . . . . . . . . . . . . g: . 15262 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Wolfgang Tiefensee, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Klaus W. Lippold (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der Entschließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkom- mens vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial (Drucksache 16/8151) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der Flächener- werbsverordnung (Flächenerwerbsän- derungsgesetz – FlErwÄndG) (Drucksache 16/8152) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Hopfenge- setzes (Drucksache 16/8153) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutz- systeme auf Schiffen (AFS-Gesetz) (Drucksache 16/8154) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sech- zehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes (16. WSGÄndG) (Drucksache 16/8188) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Hartfrid Wolff (Rems- Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Handgepäck von Flug- reisenden auf den Prüfstand stellen (Drucksache 16/6641) . . . . . . . . . . . . . . . . 15262 B 15263 C 15264 D 15266 D 15267 D 15269 A 15270 B 15271 D 15273 A 15273 B 15273 B 15273 B 15273 C 15273 C g) Antrag der Abgeordneten Katrin Göring- Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz (Her- born), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Natio- nalsozialismus (Drucksache 16/8184) . . . . . . . . . . . . . . . h) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Zu- sammenarbeit zwischen der Bundesre- publik Deutschland und einzelnen, glo- bal agierenden, internationalen Organisationen und Institutionen im Rahmen des VN-Systems (Drucksache 16/5850) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Naturschutz pra- xisorientiert voranbringen – Entwick- lung der Wildtiere in Deutschland (Drucksache 16/8077) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eck- punkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer (Drucksache 16/8185) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamen- tes und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches der- selben (Drucksache 16/8187) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nah- rungsmittelhilfekonvention (Drucksache 16/8192) . . . . . . . . . . . . . . . 15273 C 15273 D 15273 D 15274 A 15274 A 15274 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 III Tagesordnungspunkt 31: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des InVeKoS- Daten-Gesetzes und des Direktzah- lungen-Verpflichtungengesetzes (Drucksachen 16/7827, 16/8223) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-Verpflichtun- gengesetzes (Drucksachen 16/8147, 16/8223) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eskalation im Atomkon- flikt mit dem Iran verhindern (Drucksachen 16/4202, 16/7532) . . . . . . . c) – m) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 352, 353, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361 und 362 zu Petitionen (Drucksachen 16/8063, 16/8064, 16/8065, 16/8066, 16/8067, 16/8068, 16/8069, 16/8070, 16/8071, 16/8072, 16/8073) . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbe- schlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensge- genständen oder Beweismitteln in der Eu- ropäischen Union (Drucksachen 16/6563, 16/8222) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei, über offene Listen der Partei DIE LINKE in Parlamenten Mandate zu erlangen, und die damit verbundenen Auswirkungen . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Maurer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 15274 C 15274 C 15275 A 15275 C 15276 B 15276 D 15276 D 15278 A 15279 A 15280 B Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christian Carstensen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert (Drucksache 16/6796) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit (Drucksache 16/8181) . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef Dzembritzki, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutsche Personalpräsenz in internationa- len Organisationen im nationalen Inte- resse konsequent stärken (Drucksachen 16/6602(neu), 16/7938) . . . . . Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15281 C 15282 D 15283 D 15285 B 15286 A 15287 A 15288 A 15289 B 15290 C 15290 C 15290 D 15292 A 15293 A 15294 B 15295 D 15297 B 15298 A 15298 C 15300 B 15301 B 15301 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Albach, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Wertvolle Computer- spiele fördern, Medienkompetenz stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren (Drucksachen 16/7116, 16/7282, 16/8033) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: „Fair-Work“-Siegel für Computerspiele (Drucksache 16/8178) . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bildungszugang von Kin- dern und Jugendlichen stärken – Finan- 15303 C 15304 D 15306 B 15307 B 15308 B 15309 D 15310 A 15310 B 15311 B 15312 C 15313 C 15314 B 15315 A 15316 A zierung von Schüler- und Schülerinnen- beförderung im SGB II ermöglichen (Drucksachen 16/4486, 16/6013) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche aus armen Haushalten fördern (Drucksachen 16/5253, 16/5686) . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klärung der Vater- schaft unabhängig vom Anfechtungs- verfahren (Drucksachen 16/6561, 16/6649, 16/8219) – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung in der Familie (Drucksachen 16/5370, 16/8219) . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Birgitt Bender, Priska Hinz (Her- born), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hungern in der Überflussgesellschaft – Maßnahmen gegen die Magersucht ergreifen (Drucksache 16/7458) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15317 B 15317 C 15317 C 15319 B 15319 D 15320 D 15322 B 15323 B 15323 C 15325 A 15325 A 15325 B 15326 A 15327 A 15328 C 15329 C 15330 C 15331 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 V Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Spielmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göt- tingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Demo- kratische Entwicklung Simbabwes un- terstützen – Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermögli- chen (Drucksachen 16/5907, 16/7909) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Katastrophe in Simbabwe verhindern (Drucksachen 16/4859, 16/6365) . . . . . . . Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zehn Jahre Washingtoner Konferenz – Initiative für eine Nachfolgekonferenz in Deutschland (Drucksache 16/7857) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . 15332 A 15333 B 15334 B 0000 A15335 B 15336 B 15336 C 15337 C 15338 A 15338 D 15339 D 15340 A 15340 B 15341 C 15342 C 15344 A 15344 D 15346 A 15346 D 15347 A Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichts- gesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (Drucksachen 16/7716, 16/8217) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine deutschen Soldaten für eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stel- len – Rechtswidrige Kriegshandlungen be- enden (Drucksache 16/7890) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . Ursula Mogg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Fünfte Verordnung zur Ände- rung der Verpackungsverordnung (Drucksachen 16/7954, 16/8123 Nr. 2.1, 16/8216) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15348 B 15349 C 15350 B 15351 D 15352 C 15353 B 15353 C 15353 D 15355 A 15356 C 15357 C 15358 C 15359 C 15360 A 15360 D 15361 C 15361 D 15363 B 15364 C 15366 B 15367 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Ostseeraum zur Modellregion für regionale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Euro- päischen Meerespolitik weiterentwickeln (Drucksachen 16/7286, 16/8171) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futter- mittelgesetzbuches sowie anderer Vor- schriften (Drucksache 16/8100) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Feinstaub-Fahrverbote für Reisebusse sachgerecht und unbürokratisch regeln (Drucksache 16/7865) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aus- verkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen – Verbraucherrechte stärken (Drucksache 16/8182) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: EU-Importverbot für ille- gales Holz durchsetzen (Drucksache 16/8052) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 (Drucksache 16/7864) . . . . . . . . . . . . . . . . 15368 A 15368 B 15368 C 15368 D 15369 A 15369 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäische Nachbar- schaftspolitik zur Förderung von Frie- den und Stabilität im Südkaukasus nut- zen (Drucksache 16/8186) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Ent- wicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen (Drucksache 16/5615) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsge- richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Den Ostseeraum zur Modellre- gion für regionale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäischen Meerespolitik weiterent- wickeln (Tagesordnungspunkt 17) Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15369 C 15369 D 15370 A 15370 A 15371 A 15371 D 15373 B 15374 B 15375 B 15376 A 15377 A 15379 A 15380 B 15381 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 VII Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Importverbot für illegales Holz durchsetzen (Tagesordnungspunkt 21) Cajus Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Botz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15382 A 15397 B 15398 D des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbu- ches sowie anderer Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 18) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Feinstaub-Fahrverbote für Rei- sebusse sachgerecht und unbürokratisch re- geln (Tagesordnungspunkt 19) Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf von Krediten an Fi- nanzinvestoren stoppen – Verbraucherrechte stärken (Tagesordnungspunkt 20) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15382 D 15384 A 15384 D 15385 C 15386 B 15387 B 15388 A 0000 A15388 D 15389 D 15390 C 15391 C 15392 D 15393 B 15394 D 15395 B 15396 C Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 – Europäische Nachbarschaftspolitik zur För- derung von Frieden und Stabilität im Süd- kaukasus nutzen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Markus Meckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen (Zusatztagesord- nungspunkt 7) Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15399 C 15400 B 15401 A 15401 D 15402 D 15403 D 15404 C 15405 B 15406 B 15407 B 15408 C 0000 A15409 C 15410 B 15411 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15235 (A) (C) (B) (D) 145. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    Berichtigung 142. Sitzung, Seite 15061 (D) 1. Absatz; der dritte Satz ist wie folgt zu lesen: „Nach wie vor dürfen mit jedem Ku- bikmeter Abluft 20 Milligramm Stäube emittiert werden, obwohl der Stand der Technik heute schon weniger als 10 Milligramm erlaubt.“ 144. Sitzung, Seite 15211 (C) 1. Absatz; der dritte Satz ist wie folgt zu lesen: „Wenn wir uns darauf verständigen, endlich einmal die Steuerprüfer in die Verantwortung zu nehmen und die Anzahl der Steuerhinterzieher deutlich zu erhöhen, dann hätten wir auch mehr Geld im Staats- säckel.“ Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15371 (A) (C) (B) (D) Lintner, Eduard CDU/CSU 21.02.2008 größere Arbeitsbelastung zu tragen haben als in der Zeit vor den Reformen.Poß, Joachim SPD 21.02.2008 mit Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsu- chende, der Sozialhilfe sowie mit Fällen, die das Asylbe- werberleistungsgesetz betreffen. Es ist kein Wunder, dass die Sozialgerichte auf diese Weise eine deutlich Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 21.02.2008 Pflug, Johannes SPD 21.02.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Addicks, Karl FDP 21.02.2008 Dr. Berg, Axel SPD 21.02.2008 Bodewig, Kurt SPD 21.02.2008 Bollen, Clemens SPD 21.02.2008 Ernst, Klaus DIE LINKE 21.02.2008 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 21.02.2008 Friedhoff, Paul K. FDP 21.02.2008 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.02.2008 Dr. Freiherr zu Guttenberg, Karl- Theodor CDU/CSU 21.02.2008 Hilsberg, Stephan SPD 21.02.2008 Hirsch, Cornelia DIE LINKE 21.02.2008 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.02.2008 Hörster, Joachim CDU/CSU 21.02.2008 Ibrügger, Lothar SPD 21.02.2008 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 21.02.2008 Kauch, Michael FDP 21.02.2008 Kelber, Ulrich SPD 21.02.2008 Krummacher, Johann- Henrich CDU/CSU 21.02.2008 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 21.02.2008 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 21.02.2008 * Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Ar- beitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Die Große Koalition hat auf dem Gebiet der Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gesetzt. Vieles hat sich dadurch für die Menschen verändert, viele Fra- gen wurden aufgeworfen, vieles auch als ungerecht emp- funden. Das hat sich beinahe zwangsläufig auch auf die Sozialgerichtsbarkeit wie auf die Belastung der Arbeits- gerichte ausgewirkt. Seit dem 1. Januar 2005 befasst sich die Sozialge- richtsbarkeit zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben Raidel, Hans CDU/CSU 21.02.2008** Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.02.2008 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 21.02.2008 Strässer, Christoph SPD 21.02.2008 Strothmann, Lena CDU/CSU 21.02.2008 Teuchner, Jella SPD 21.02.2008 Dr. Westerwelle, Guido FDP 21.02.2008 Zapf, Uta SPD 21.02.2008 Zeil, Martin FDP 21.02.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 15372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein neues Rechtsgebiet eingeführt worden, das verständli- cherweise einen erhöhten gerichtlichen Klärungsbedarf nach sich zieht. Insbesondere die Rentenversicherer hat- ten in jüngster Zeit mit millionenfachen Widersprüchen zu tun. Zudem haben Klagen und Eilanträge rund um Hartz IV Spitzenzahlen erreicht. Allein für den Oktober 2007 meldete das Bundessozialgericht den Eingang von mehr als 2 000 neuen Verfahren in diesem Bereich. Die Richter müssen bei ihrer Arbeit auch Korrekturen berücksichtigen, die die Bundesregierung in den vergan- genen Jahren vorgenommen hat. Dazu zählen die An- gleichung der Regelsätze von Ost- und Westdeutschland auf heute 347 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für Arbeitseinkommen und die Verschärfung von Sanktio- nen sowie die Wohnungskosten der 18- bis 25-jährigen. Aus all diesen Gründen ist es nunmehr an der Zeit, die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, das sozialgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleu- nigen, sodass die Gerichte sowohl ihrer Amtsermitt- lungspflicht nachkommen, aber auch zeitnahe Entschei- dungen fällen können. Damit ist letztlich auch den Prozessparteien gedient. Denn „schnelles Recht ist gutes Recht“. Allerdings dürfen die Änderungen nur so weit gehen, dass sie die Betroffenen in ihren Rechten nicht über Ge- bühr einengen, zumal sich das sozialgerichtliche Verfah- ren in der Regel durch die Konstellation „kleiner und schwacher Bürger gegen übermächtige Behörde“ aus- zeichnet. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten einen Weg ge- funden, der Bürgerfreundlichkeit und verfahrensökono- mische Effizienz in den sozialgerichtlichen Verfahren miteinander verbindet. Die anstehende Änderung des SGG bietet unter verfahrensökonomischen wie auch so- zialen Aspekten eine Chance zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung der sozialgerichtlichen Verfahren. Vorgesehen ist unter anderem, bereits im Wider- spruchsverfahren die Sozialleistungsträger zu entlasten, indem der Verwaltung die Bekanntgabe der Wider- spruchsentscheidung bei sogenannten Massenwidersprü- chen im Wege der öffentlichen Bekanntgabe ermöglicht wird. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit für die Landes- sozialgerichte soll für Verfahren eingeführt werden, in denen es vorwiegend um übergeordnete Rechtsfragen und weniger um Tatsachenfragen des Einzelfalls geht. Zur Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens kann das Gericht unter engen Voraussetzungen den Vortrag ei- ner Partei verfristen. Dies soll insbesondere der zeitna- hen Umsetzung der vollständigen Tatsachenermittlung dienen und darauf hinwirken, dass der Kläger fristgemäß seine Mitwirkungspflichten erfüllt. Demnach gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Ver- fahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Schwellenwert zur Berufung wird für natürliche Personen auf 750 Euro und für juristische Personen auf 10 000 Euro angehoben. So soll die mit Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit verbundene Mehrbelas- tung der Landessozialgerichte aufgefangen werden. Was die Arbeitsgerichtsbarkeit angeht, soll den Ar- beitnehmern die Klageerhebung erleichtert werden, in- dem sie ihre Klage auch vor dem Arbeitsgericht erheben können, in dessen Bezirk sie normalerweise ihrem Beruf nachgehen. Das kommt vor allen den Beschäftigten zu- gute, die, wie zum Beispiel Außendienstmitarbeiter, ihre Arbeitsleistung fern vom Firmensitz und dem Ort der Niederlassung erbringen. Ziel ist es auch, arbeitsgerichtliche Verfahren durch eine Erweiterung der Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zu vereinfachen und zu beschleunigen. Letztlich sind die Möglichkeiten, Sozial- und Arbeits- gerichtsgesetz von bürokratischem Ballast zu befreien und die Verfahren zu verkürzen, damit noch nicht ausge- schöpft. Wir wollen aber die Betroffenen mitnehmen und über die Effizienzsteigerung nicht die Bürgerfreund- lichkeit aus den Augen verlieren. Von einer hocheffi- zienten, aber komplizierten Maschine, die der Laie nicht versteht, hat er keinen Nutzen, weil er sie nicht bedienen kann. Deshalb hatte ich auch Bedenken zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates, verstärkt auch Instrumente aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozialgericht- liche Verfahren zu übertragen. Die Betroffenen streiten vor den Sozialgerichten in der Regel um ihre wirtschaft- liche Existenzsicherung. Ihre Anliegen haben häufig ei- nen komplexen medizinischen Hintergrund. Dies erfor- dert eine besonders umfangreiche Tatsachenaufklärung. Hinzu kommt, dass die Verfahrensbeteiligten in der Re- gel unterschiedliche Voraussetzungen haben. Auf der ei- nen Seite stehen Leistungsempfänger, Versicherte oder behinderte Menschen. Auf der anderen Seite steht eine hoch spezialisierte Verwaltung, die über einen professio- nellen Vorsprung verfügt. Das sozialgerichtliche Verfahren hat deshalb auch die Aufgabe, zwischen diesen ungleichen Parteien ein ge- wisses Kräftegleichgewicht herzustellen. Aus diesem Grund ist auch die fiktive Klagerücknahme nicht in die SGG-Novelle eingegangen, die der Bundesrat ebenfalls vorgeschlagen hatte. Demnach wurde im Gegensatz zur Dreimonatsfrist des Regierungsentwurfs eine Frist von zwei Monaten vorgeschlagen. Kläger im sozialgerichtli- chen Verfahren benötigen jedoch häufig länger für die Entscheidungsfindung als andere Personen, da sie manch- mal durch Krankheit oder Behinderung in ihrer Ent- scheidungsfähigkeit eingeschränkt sind. Außerdem kann die Entscheidung langfristige Folgen für sie nach sich ziehen. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Betroffenen in- nerhalb einer Zwei- oder Dreimonatsfrist tatsächlich in der Lage sind, fundiert darzulegen, warum ihr Rechts- schutzbedürfnis weiter fortbesteht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15373 (A) (C) (B) (D) Auch der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates, den § 109 SGG abzuschaffen, wäre zu weit gegangen. § 109 SGG besagt, dass im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutach- terlich gehört werden muss. Die Erstellung eines Gut- achtens durch einen frei gewählten Arztes erhöht die Ak- zeptanz des Urteils durch die betroffene Partei deutlich. § 109 SGG gibt dem Betroffenen die Gewissheit, dass seine Belange umfassend gewürdigt werden. Oft kann hierdurch der langwierige und für die Justiz kosteninten- sive Gang in die zweite Instanz vermieden werden. Darüber hinaus hat es die Bundesregierung abgelehnt, eine generelle Zulassungsberufung einzuführen. So ist bei Klagen, die existenzielle Leistungen betreffen, die Überprüfung durch eine weitere Instanz gesichert. Auch der Vorschlag des Bundesrates, einen Vertre- tungszwang in der zweiten Instanz einzuführen, ist nicht in die SGG-Novelle aufgenommen worden, da dadurch eine Zugangsschwelle zum sozialgerichtlichen Rechts- schutz eingerichtet würde. Die Betroffenen hätten ein Kostenrisiko zu tragen, was gerade die Kläger, die einen Anspruch auf existenzielle Leistungen geltend machen, davon abhalten würde, eine eventuell berechtigte Beru- fung einzulegen. Die Änderungen des Sozialgerichts- und des Arbeits- gerichtsgesetzes sind unbedingt notwendig. Sie tragen zu einer Verfahrensbeschleunigung bei. Die Änderungen dürfen aber nur so weit gehen, dass sie die Rechte der Betroffenen nicht unzumutbar einschränken. Anette Kramme (SPD): Bei der Anhörung zum Ge- setzesentwurf, mit dem das Sozial- und das Arbeitsge- richtsgesetz geändert werden sollen, waren sich die gela- denen Experten letzte Woche weitestgehend einig. Die Verfahren vor den Gerichten müssen vereinfacht und be- schleunigt, die Arbeits- und die gegenwärtig besonders beanspruchte Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden. Kein Wunder. Ende Januar hat das Bundessozialge- richt die Prozesszahlen für 2007 vorgestellt. Dabei wurde ein Anstieg der Verfahren zum SGB II um 38 Pro- zent auf insgesamt 136 000 Verfahren konstatiert. Jeder dritte Fall vor Sozialgerichten hängt zusammen mit der Arbeitsmarktreform von 2005. Das ist zwar nicht außergewöhnlich. Die Einführung eines neuen Rechtsgebietes wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende zieht üblicherweise einen erhöhten ge- richtlichen Klärungsbedarf nach sich. Grundsätzliche Fragen tauchen auf und müssen richterlich beantwortet werden. Andererseits müssen Bund und Länder gemein- sam dafür sorgen, dass die Verfahrensdauer für alle Be- teiligten zumutbar bleibt. Dies betrifft die Rechtsschutz- suchenden ebenso wie die Angestellten der Justiz. Die Damen und Herren im Bundesrat sind daran zu erinnern, dass es vorrangig Aufgabe der Länder ist, für eine angemessene personelle Ausstattung der Gerichte und damit für eine effektive Justiz zu sorgen. Die meis- ten Länder nehmen diese Verantwortung auch wahr. Die Zahl der Richterinnen und Richter an den Sozialgerich- ten ist deutlich gestiegen. Die Entlastung der Gerichte muss jedoch erfolgen, ohne die genuin bürgerfreundlichen Elemente der Pro- zessordnungen aufs Spiel zu setzen. Diese sind integraler Bestandteil des Rechtssystems und des Gerechtigkeits- empfindens. Die Klägerfreundlichkeit des Verfahrens muss erhalten bleiben. Der vorliegende Gesetzesentwurf wägt die beiden Ziele – beschleunigen, ohne abzuwürgen – mit Geschick und Fingerspitzengefühl ab. Er bewahrt das notwendi- gerweise Einzigartige der Sozial- und Arbeitsgerichts- barkeit, kommt aber dennoch den Interessen der Länder entgegen. Zudem sind alle Änderungen auf Anregung und in Kooperation mit der gerichtlichen Praxis entstan- den. Stellvertretend kann man die Einführung der erst- instanzlichen Zuständigkeit für Landessozialgerichte nennen. Diese können künftig direkt angerufen werden, wenn es überwiegend um übergeordnete Rechtsfragen und nicht um Tatsachenfragen des Einzelfalles geht. Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens sind wir sogar noch zu einer Erweiterung dieser sinnvollen Straffung gekommen. Die geplanten Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes sind alles in allem praxistauglich. Die Ziele des Gesetzes können mit den getroffenen Re- gelungen auch tatsächlich erreicht werden. Das hat uns auch die Anhörung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Der einzige Wermutstropfen im Gesetzentwurf ist die Anhebung des Schwellenwerts, ab dem ein Berufungs- verfahren vor dem Sozialgericht möglich ist. Dieser soll um 250 Euro erhöht werden. Viele Experten empfinden dies als zu hoch. Vor Sozialgerichten wird häufig über Leistungen verhandelt, die für die Betroffenen von exis- tenzieller Bedeutung sind. Auch 500 Euro sind viel Geld für jemanden, der von Sozialleistungen abhängt. Hier hätten wir uns eine moderatere Lösung gewünscht. Gegen alle weiteren Verschärfungen der Regelungen zur Berufung haben wir uns jedoch erfolgreich gewehrt. Die Einführung der Berufungszulassung durch die Erst- instanz beispielsweise, wie sie der Bundesrat vorschlug, ist weder nötig noch sinnvoll. Zum einen nutzt schon heute nur ein Zehntel der Kläger eine zweite Instanz bei sozialgerichtlichen Verfahren. Zum anderen zeigen uns Erfahrungen der Verwaltungsgerichte, wo es die Zulas- sungsberufung gibt, dass dadurch nicht unbedingt Arbeit für die Gerichte vermieden wird – im Gegenteil. Dort sind die Gerichte statt mit der Berufung mit der Überprü- fung des Vorliegens formaler Voraussetzungen beschäf- tigt. Das kann nicht unser Ziel sein. Wenn schon Arbeit für die Gerichte, dann im Sinne der Bürger! Außerdem muss berücksichtigt werden, dass sich – vor allem in der ersten Instanz – Kläger vor Sozialge- richten oft selbst verteidigen. Dies stellt einen hohen Wert dar und senkt die Schwelle zur Klageerhebung. An- dererseits erhöht es die Wahrscheinlichkeit von Ver- säumnissen. Diesen Umständen müssen wir Rechnung tragen. Die Berufung darf nicht unnötig formal er- schwert werden. Zu guter Letzt eine weitere und aus unserer Sicht sehr erfreuliche Nachricht: Der Bundesrat hatte gefordert, 15374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) auch im sozialgerichtlichen Verfahren Gebühren einzu- führen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im Herbst eine Studie in Auftrag gegeben, um diesen Vorschlag zu prüfen. Die vorläufigen Ergebnisse liegen nun vor. Eine Einführung von Gebühren wird nach- drücklich nicht empfohlen. Wir Sozialdemokraten sind dankbar für dieses Ergebnis, denn es entspricht unserem Gerechtigkeitsempfinden. Das Recht, meist existenzielle Streitfragen von Arbeits- und Sozialgerichten klären zu lassen, muss jeder haben, unabhängig vom Kontostand oder dem Vorliegen einer Rechtschutzversicherung. Auch bezüglich der arbeitsgerichtlichen Regelungen ist die Gesetzesänderung als gelungen einzuschätzen. Insbesondere der neueingeführte Gerichtsstand des Ar- beitsortes hilft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Sie können künf- tig auch in dem Gerichtsbezirk klagen, in dem sie arbei- ten. Das kommt vor allem den Außendienstmitarbeitern zugute, die nun nicht mehr vor dem Arbeitsgericht am Firmensitz ihres Arbeitgebers klagen müssen, das unter Umständen hunderte Kilometer von ihrem Arbeitsort entfernt ist. Auch das Verfahren bei der nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen wird im Sinne der Arbeit- nehmer verändert. Wurde die dreiwöchige Klagefrist ohne Verschulden versäumt und ein Antrag auf nachträg- liche Klagezulassung gestellt, soll künftig grundsätzlich kein gesondertes Verfahren mehr durchgeführt werden. Die Entscheidung über die nachträgliche Klagezulas- sung wird mit der Kündigungsschutzklage selbst verbun- den. Das bisherige Zwischenverfahren wird in der Regel entbehrlich. Hierdurch wird das Verfahren insgesamt be- schleunigt. Kurze Verfahren sind gerade bei solchen Fra- gen im Interesse der Kläger. Wir sind davon überzeugt, dass der vorliegende Ge- setzesentwurf die Gerichte entlasten wird. Weiter ge- hende Änderungen, wie sie der Bundesrat wünscht, sind weder nötig noch sinnvoll. Insbesondere eine Ver- schmelzung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit mit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist abzuleh- nen. Synergieeffekte sind kaum zu erwarten, und recht- lich spricht einiges gegen eine solche Zusammenlegung. Stattdessen kann ich eine Zustimmung zum vorliegen- den Gesetzentwurf der Regierung nur empfehlen. Er ist technisch geeignet zur Entlastung der Gerichte, dabei aber auch gerecht und ausgewogen. Letzteres muss uns besonders wichtig sein. Aufgrund der sozialen Einschnitte der letzten Jahre haben immer mehr Bürger das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht in Deutschland. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass die materielle Schlechterstellung nicht auch noch mit einer Verringerung des Rechtschutzes einhergeht. Die Sozialgerichte genießen unter den Bürgern bisher ein sehr hohes Ansehen. Der vorliegende Gesetzesent- wurf sorgt dafür, dass dies künftig so bleiben kann. Heinz-Peter Haustein (FDP): Die Situation an den Sozialgerichten ist uns allen hinlänglich aus der Bericht- erstattung bekannt. In Bergen türmen sich die Akten auf den Schreibtischen an den Gerichten und in den Amts- zimmern. Es kommen mehr Vorgänge herein, als abgear- beitet werden können. Experten schätzen, dass das, was man als Klageflut oder Klagewelle bezeichnen kann, auch so schnell nicht abebben wird, denn der Drang zur Klage ist bei uns ungebrochen, insbesondere in der So- zialgerichtsbarkeit. Darum müssen wir schleunigst Maßnahmen zur Ent- lastung der Sozialgerichte ergreifen, nicht nur im Inte- resse überlasteter Richter, sondern auch im Interesse der Kläger, die ein Recht auf eine rasche Entscheidung ha- ben. Oberstes Ziel wäre – das muss man bei der ganzen Debatte klar herausstellen – eine bessere personelle Aus- stattung der Gerichte. Denn es ist ja bedenklich, dass un- ser Staat, der sich heute für alles und jeden zuständig fühlt und überall mitmischt, nicht mehr in der Lage ist, die Rechtsordnung – die Grundlage aller Staatlichkeit – adäquat durchzusetzen, weil die Mittel für die Richter fehlen. Gerade solange sich an der Personalausstattung der Gerichte nichts ändert, sind wir umso mehr dazu ver- pflichtet, alles uns Mögliche für die Entlastung der Ge- richte und für die Verfahrensbeschleunigung zu tun. Daran muss sich der hier zur Debatte stehende Gesetz- entwurf messen lassen. Die FDP-Fraktion – darauf hatte ich bereits in der ers- ten Lesung verwiesen – begrüßt die Einführung der Fik- tion der Klagerücknahme in § 102 Sozialgesetzbuch (SGG). Die Mitwirkung der Kläger ist Grundvorausset- zung für einen zügigen Verfahrensverlauf. Wo Verfahren verzögert werden, weil die notwendigen Mitwirkungs- pflichten vonseiten der Kläger nicht erbracht werden, wo erforderliche Unterlagen nicht über- oder notwendige In- formationen nicht weitergegeben werden, ist die Fiktion der Klagerücknahme ein taugliches Mittel. Auch die Einschränkung der Beschwerdemöglichkei- ten, wie beispielsweise im Prozesskostenhilfeverfahren – § 172 (3) SGG bzw. Art. 1 Nr. 29 b Gesetzentwurf – und die Heraufsetzung des Berufungsstreitwerts hält meine Fraktion für geeignet, eine Verfahrensbeschleuni- gung zu erreichen. Der Gesetzentwurf beinhaltet jedoch auch Maßnah- men, die nicht hilfreich scheinen, um die Gerichte zu entlasten. Die Anhörung von Sachverständigen hat mich und meine Fraktion insofern in unseren Zweifeln bestä- tigt. Auch die Sachverständigen halten die Einführung ei- nes neuen Gerichtsstandes am „gewöhnlichen Arbeits- ort“ in § 48 (1a) AGG für wenig dienlich. Der Arbeit- nehmer soll künftig nach dem „Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort“ dort Klage erheben können, wo er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Doch zum ei- nen haben zum Beispiel Außendienstmitarbeiter bereits heute laut § 29 Zivilprozessordnung die Möglichkeit, Klage am Erfüllungsort zu erheben. Zum anderen dürfte es in der Praxis zu Problemen führen, wenn zu entschei- den ist, was der „gewöhnliche Arbeitsort“ ist. Die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt die Neu- regelung nicht. Eine Verfahrensbeschleunigung ist hier- von nicht zu erwarten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15375 (A) (C) (B) (D) Auch die Absicht der Regierung, künftig neue Ver- waltungsakte nur noch dann nach Erhebung der Klage in das Verfahren einzubeziehen, wenn dadurch ein vorher- gehender ersetzt oder abgeändert wird, gehört zu diesen wohl der Sache wenig dienlichen Neuregelungen. Bis- lang wurde die Vorschrift des § 96 SGG – Art. 1 Nr. 16 Gesetzentwurf – so ausgelegt, dass die Verwaltungsakte, die mit dem bereits anhängigen Verfahren in Zusammen- hang stehen, ohne erneutes zusätzliches Vorverfahren in das Klageverfahren einbezogen wurden. Die Neurege- lung würde dazu führen, dass künftig wegen jedes nicht einen anderen ersetzenden oder abändernden Verwal- tungsaktes ein Vorverfahren und im Anschluss ein Kla- geverfahren eröffnet werden muss. Unserem obersten Ziel der Verschlankung der Abläufe ist das kontrapro- duktiv. Auch bezüglich der erhöhten Anforderungen an die Formulierung des Klagegegenstandes – § 92 (1) SGG, bzw. Art. 1 Nr. 15 Gesetzentwurf – hegen wir, wie auch die Sachverständigen, Zweifel. Diese Neuerung droht uns eine unnötige Verfahrensformalisierung zu besche- ren. Welche weiter gehenden Maßnahmen ergriffen wer- den könnten, haben uns die Sachverständigen in der An- hörung auch gesagt: Beispielsweise könnte das Recht des Klägers abgeschafft werden, entgegen der Bewer- tung des Gerichts, ein weiteres Gutachten einholen zu lassen. Es wären also mit etwas mehr Entschlossenheit noch andere sinnvolle Schritte zur Entlastung der Sozial- gerichtsbarkeit ohne Weiteres denkbar. Für den Anfang jedoch weisen die Vorschläge des Gesetzentwurfs trotz der angesprochenen Kritikpunkte unter dem Strich gene- rell in die richtige Richtung. Insofern stimmt die FDP dem Gesetzentwurf zu. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit Hartz IV hat die Zahl der Klagen zugenommen. Und das ist kein Wunder. Knapp 30 Prozent der Klagen sind erfolgreich. Dieser Anstieg der Klagen führt dazu, dass die Arbeits- belastung an den Sozialgerichten zunimmt. Hier muss zweifelsohne reagiert werden. Die Frage ist nur: Wie? Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, die An- forderungen an Klageerhebungen bei Sozialgerichten zu verschärfen. Im Klartext: Die Möglichkeiten von Sozial- leistungsbeziehenden, auf dem Rechtswege ihr Recht zu erkämpfen, sollen eingeschränkt werden. Das ist der fal- sche Weg. Die Linke lehnt diese Einschränkung der Rechte von Betroffenen strikt ab. Lassen sie mich im Folgenden auf drei zentrale Kri- tikpunkte eingehen: Erstens wird die gesetzliche Fiktion einer Klagerück- nahme eingeführt, wenn ein Kläger oder eine Klägerin das Verfahren drei Monate lang nicht betreibt. Diese Än- derung wurde in der Anhörung im Fachausschuss Arbeit und Soziales breit kritisiert, unter anderem vom DGB, vom Sozialverband Deutschland, vom VdK und der Neuen Richtervereinigung. Ich zitiere einmal aus der Stellungnahme des DGB dazu: Der DGB bezweifelt, dass durch eine fingierte Kla- gerücknahme die gewünschte Wirkung eintreten wird. … Denn – anders als bei der Verwaltungsge- richtsbarkeit – werden häufiger Kranke, Ältere oder Behinderte ihre Verfahren selber führen und gege- benenfalls nicht so schnell reagieren können wie Kläger in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Linke fordert Sie, meine Damen und Herren der Großen Koalition, deswegen auf, ziehen Sie diese Rege- lung zurück. Zweitens soll die Einbeziehung von neuen Leistungs- bescheiden in ein laufendes Gerichtsverfahren erschwert werden. Hier wird es besonders absurd. Wenn ein Kläger in einem laufenden Verfahren einen neuen Leistungsbe- scheid bekommt, der seiner Auffassung nach wieder falsch ist, so ist es doch nur im Sinne der Effizienz, wenn der neue Bescheid in das laufende Verfahren mit einbe- zogen wird. Ansonsten müsste der Kläger für den neuen Bescheid ein neues Verfahren in die Wege leiten. Eigent- lich soll doch mit dem Gesetzentwurf die Arbeitsbelas- tung der Richter reduziert werden. Mit dieser Regelung konterkarieren Sie dieses Anliegen. Drittens. Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD werden die Möglichkeiten, ein Berufungsverfahren ein- zuleiten, eingeschränkt, indem der Beschwerdewert für ein Berufungsverfahren von bisher 500 Euro auf zukünf- tig 750 Euro angehoben wird. Damit wird vielen Kla- genden die Möglichkeit abgeschnitten, in der nächsten Instanz, ein Urteil überprüfen zu lassen. 750 Euro sind schließlich im Bereich der Sozialleistungen kein Pap- penstiel. Zumal man sich vergegenwärtigen muss, dass ein Leistungsbescheid im SGB II immer nur für sechs Monate erstellt wird und die Einbeziehung neuer Be- scheide ja nun auch erschwert wird. Ich möchte Ihnen nur mal an einem Beispiel darstellen, was das bedeutet. Ein ALG-II-Beziehender bekommt aus Nürnberg, von der Bundesagentur, einen Leistungsbe- scheid, in dem er – seiner Auffassung nach – im Monat um 100 Euro benachteiligt wird. Dieser Bescheid ist für sechs Monate ausgestellt. Also beträgt der Streitwert 600 Euro. Eine Berufung ist deswegen nun nicht machbar. Die Erhöhung des Schwellenwertes zur Berufung wird im Ergebnis dazu führen, dass gerade denjenigen, die am meisten darauf angewiesen sind, ein effektiver Rechtsschutz versagt wird. Wenn alle Prozessbeteiligten wissen, dass eine Beru- fung nicht möglich ist, kann das Auswirkungen auf das Verfahren haben, zum Beispiel einen voreilig geschlos- senen Vergleich. Dieses Gesetz geht an den eigentlichen Ursachen der Klageflut vorbei. Das beste Mittel, Klagen abzubauen besteht darin, Hartz IV abzuschaffen. Deswegen schlage ich Ihnen vor: Ersetzen Sie das ALG II samt dem Sank- tionssystem durch eine repressionsfreie soziale Grundsi- cherung. Außerdem müssen die Leistungsvereinbarun- gen zwischen der Bundesagentur und den regionalen Jobcentern auf den Prüfstand. Diese verpflichten die Mitarbeiterinnen, bei sogenannten passiven Leistungen rund acht Prozent einzusparen. Dieser willkürliche Ein- 15376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) sparungsdruck muss weg. Das ist das Mindeste, was Sie tun könnten, um die Klageflut zu reduzieren. Dieses Gesetz jedoch setzt nicht an den Ursachen der Klageflut an. Es beschneidet vielmehr die Möglichkeiten der Armen in diesem Land, um ihre Recht zu kämpfen. Erst werden die materiellen sozialen Rechte beschnitten, und dann werden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich dagegen zu wehren. Das ist ein Armutszeugnis – aus rechtstaatlicher wie aus sozialer Sicht. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Sozialgerichte durch Verfahrensänderungen entlasten. Vorgeblich soll dies durch die Einführung neuer, bisher nicht im Sozialge- richtsgesetz vorhandener Instrumente geschehen. Ich will mich darauf beschränken, auf die sozialrechtlich äu- ßerst problematischen Regelungen einzugehen, die letzt- lich zur Ablehnung des Gesetzentwurfes durch die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen führen: Erstens kann ein Gericht durch die sogenannte Präklusionsregelung Er- klärungen und Beweismittel zurückweisen, wenn sie erst nach Ablauf einer gesetzten Frist vorgelegt werden. Zweitens kann die Zurücknahme einer Klage fingiert werden, wenn eine Klage von Klägerseite trotz Auffor- derung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrie- ben wird. Dieser Vorgang nennt sich Fiktion der Klage- rücknahme. Drittens werden nach dem vorliegenden Entwurf neue Verwaltungsakte nach Klageerhebung nicht mehr automatisch einbezogen. Und viertens schließlich soll der Zugang zu den Landessozialgerich- ten als zweiter Instanz durch die Anhebung des Schwel- lenwertes für Berufungen von 500 auf 750 Euro entlastet werden. Die letztgenannte Änderung ist aus meiner Sicht die schwerwiegendste: Für das Gros derer, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – das heißt Arbeitslosengeld II – beziehen, wird der Streitgegen- stand unter dem Schwellenwert liegen, weil die Bewilli- gungsbescheide auf ein halbes Jahr begrenzt sind. Auch in Streitigkeiten um Zuzahlungen und Hilfsmittel ist schon der gegenwärtige Schwellenwert für Berufungen von 500 Euro zu hoch. Somit kommt die weitere Erhö- hung des Schwellenwerts einer Versagung des Rechts der Kläger auf eine zweite Tatsacheninstanz gleich. Die Erhöhung des Schwellenwerts entfaltet besondere Wir- kung in Verbindung mit der Bestimmung über den Aus- schluss von Folgebescheiden (§ 96 SGG). Aufgrund der kurzen Bewilligungszeiträume für das Arbeitslosengeld II werden regelmäßig weitere Verwaltungsakte während des Gerichtsverfahrens erlassen. Bisher bestand die Möglichkeit, gleichartige Bescheide zusammenzuzie- hen und auf diese Weise den Streitwert zu erhöhen, um den Schwellenwert für eine Berufung zu erreichen. Diese systematisch korrekte und völlig legitime Zusam- menfassung ist künftig nicht mehr möglich, sodass die typischen Streitfälle wie die Festsetzung der angemesse- nen Unterkunftskosten künftig nicht mehr revisionsfähig sind. Im Übrigen trägt der Ausschluss von Folgebeschei- den, die nicht ausdrücklich den streitgegenständlichen Bescheid ändern oder ergänzen, nicht zur Verfahrensbe- schleunigung bei. Im Gegenteil: Es werden neue Verfah- ren produziert. Den Sozialgerichten muss die Entschei- dungsfreiheit eingeräumt werden, alle Folgebescheide in das Verfahren mit einzubeziehen. Ärgerlich und keineswegs entlastend ist auch die Ein- führung der Präklusionsregelung. Im Renten- und Schwerbehindertenrecht kommt es wegen Änderungen im Krankheitsverlauf und neuer ärztlicher Gutachten häufig zu Änderungen der Tatsachen- und Beweislage. Diese neuen Sachverhalte können durch die Einführung der Möglichkeit der Zurückweisung von Beweismitteln nach Fristablauf ausgeschlossen werden. Der Amtser- mittlungsgrundsatz im Sozialgerichtsverfahren wird ein- geschränkt, ohne dass damit eine nennenswerte Entlas- tung der Sozialgerichte erfolgt. Denn: Über § 44 SGB X besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einen neuen An- trag zu stellen. Eine Entlastung der Gerichte ist daher nicht zu erwarten. Einer der Gutachter, Herr Professor Schlegel, der zugleich Richter am Bundessozialgericht ist, hat diesen Umstand in der Anhörung des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales ausdrücklich bekräftigt und sich energisch gegen die Präklusionsregelung gewandt. Bleibt nun noch die Fiktion einer Klagerücknahme zu bewerten. Hier gilt grundsätzlich zu beachten: Das So- zialgerichtsverfahren betrifft einen besonderen Personen- kreis, nämlich Kranke, Menschen mit Behinderungen, Wohnungslose und andere zumeist eher benachteiligte Menschen. Die Mehrheit dieser Personen dürfte in Rechtsdingen unkundig sein, und die Regelungen des Sozialrechts erschließen sich selbst Fachleuten nicht im- mer auf den ersten Blick. Bei dieser besonderen Klientel zumeist Rechtsunkundiger und hilfebedürftiger Perso- nen kann nicht grundsätzlich angenommen werden, dass sie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist substanti- iert darlegen kann, warum ihr Rechtsschutzbedürfnis weiter fortbesteht. Die Entlastungswirkung für die So- zialgerichte dürfte allerdings gering sein, da von einer geringen Zahl von fingierten Klagerücknahmen auszu- gehen ist. Über § 44 SGB X besteht außerdem auch hier die Möglichkeit, einen neuen Antrag zu stellen, wenn das materielle Recht durch eine Entscheidung verletzt worden ist. Bleibt festzuhalten: Einige Regelungen des vorliegen- den Gesetzentwurfs wie etwa die Entlastung von Sozial- gerichten und Leistungsträgern bei Massenwidersprüchen oder die Festlegung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landessozialgerichte bei Streitfällen zwischen Leis- tungsträgern sind zwar zu begrüßen. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine Zustimmung zum Gesetzentwurf zu begründen. Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass die So- zialgerichte vor allem durch eine bessere Qualität der Verwaltungsbescheide entlastet werden. In Berlin und Nordrhein-Westfalen gehen zum Bei- spiel rund 50 Prozent der ALG-II-Klagen zumindest teil- weise zugunsten der Kläger aus. Zu oft muss wegen Un- tätigkeit der Behörden geklagt werden. So beschwert sich das Sozialgericht Berlin in einem an die Sozialsena- torin gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2006, dass vielfach nur über einen Antrag auf einstweiligen Rechts- schutz eine beschleunigte Sachbearbeitung in der Be- hörde erreicht werden könne. Bis heute hat sich hier an Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15377 (A) (C) (B) (D) der unbefriedigenden Situation in der Verwaltung wenig geändert. Es ist zwar klar, dass die Sozialgerichte seit 2005 durch die Reformen am Arbeitsmarkt mit einer steigenden Zahl von Verfahren konfrontiert sind. Die Zahl der Sozialgerichtsverfahren ist seit 2005 von rund 300 000 jährlich auf 400 000 im Jahr 2006 gestiegen und im Jahr 2007 ist nach vorläufigen Zahlen eine weitere Zunahme zu verzeichnen gewesen. Dies darf jedoch nicht zu Verschlechterungen des Rechtsschutzes führen, wie es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschieht. Der Verweis der Regierungsfraktionen von CDU/ CSU und SPD darauf, dass die Bundesländer weitaus schärfere Regelungen wie die Einführung von Sozial- gerichtsgebühren fordern, kann nicht als mildernder Umstand für den vorliegenden Gesetzentwurf geltend gemacht werden. Daher lehnen wir Grüne die Aus- schussempfehlung und damit diesen Gesetzentwurf ab. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Den Ostseeraum zur Modellregion für regionale Kooperationen aus- bauen und den Baltic Sea Action Plan zum Bau- stein einer Europäischen Meerespolitik weiter- entwickeln (Tagesordnungspunkt 17) Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen will den Ostseeraum zur Modellre- gion für regionale Kooperationen ausbauen. Und sie will den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi- schen Meerespolitik weiterentwickeln. Vorweg kann ich Ihnen versichern: Das wollen wir als Koalition im Prin- zip auch; aber nicht zu Ihren Konditionen. Der Antrag der Grünen, den wir heute debattieren, ist unvernünftig, und er zeugt von einem Aktionismus ohne Balance, den wir so nicht mittragen können. Ich möchte Sie an eine Debatte aus dem letzten Som- mer erinnern. Am 6. Juli des Jahres 2007 haben wir an dieser Stelle einen Antrag der Koalition angenommen mit dem Titel „Ostseekooperation weiter stärken und Chancen nutzen“. Hierin haben wir uns zur Ostsee- kooperation bekannt und uns ihrer Fortentwicklung und Vertiefung verpflichtet. Es handelte sich um ein umfang- reiches Konzept zur wirtschaftlichen, infrastrukturellen, touristischen sowie – das sage ich ausdrücklich in Rich- tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – zur ökologi- schen Optimierung der Ostseeregion. Vergleicht man Ih- ren heutigen und unseren damaligen Antrag, so sind einige Parallelen nicht zu übersehen. Dem von Ihnen heute so hochgelobten Baltic Sea Action Plan haben wir schon damals unsere Unterstützung zugesagt. Die Ostsee soll sich nach unseren Plänen bis zum Jahr 2015 zudem zum saubersten und sichersten Meer Europas entwi- ckeln. Wir unterstützen die HELCOM-Maßnahmen zur Bekämpfung der Eutrophierung sowie den HELCOM- Ostsee-Aktionsplan, um nur einige Beispiel aus unserem umfangreichen Antrag exemplarisch herauszugreifen. Das fordern Sie heute auch. Nur – deshalb ist Ihr Antrag unglaubwürdig – damals, als das alles schon einmal zur Debatte stand, haben Sie gegen unseren Antrag ge- stimmt. Im Juli 2007 stimmten die Grünen gegen die Stärkung der Ostseekooperation, und heute wollen Sie den Ostseeraum sogleich zur europäischen Modellregion erheben. Das ist wahrlich unglaubwürdig. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen auch er- klären, warum ich Ihnen Aktionismus vorwerfe. Unser Antrag zur Ostsseekooperation hat wahrlich gute Vor- schläge gemacht, gerade auch zum Umweltschutz in der Ostseeregion. Mir persönlich kommt das unweigerlich so vor, als ob Sie daran zu knabbern haben, dass auch andere Parteien überzeugende Umweltkonzepte vorle- gen können. Als Konsequenz kopieren Sie unsere guten Vorschläge, überfrachten sie aber mit weiteren umwelt- politischen Konzepten, die weit übers Ziel hinausschie- ßen. Sie wissen, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, weil er wirtschaftspolitische Mängel aufweist. Unbekümmert können Sie Ihren Antrag also heute hier einbringen, nur um sich anschließend wieder selbst auf die Schultern zu klopfen und sich einzureden, dass Sie das wahre umweltpolitische Gewissen dieses Parlaments seien. Das meine ich mit „Aktionismus“. Ich sage aus- drücklich, dass wir als CDU/CSU den Umweltschutz un- terstützen, wo wir können. Aber Umweltschutz, Wirt- schaftspolitik und infrastrukturelle Maßnahmen müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Nur dann ist der Ostseeregion geholfen, und die Unter- stützung der Ostseekooperation ist für uns – in dieser Debatte – die oberste Prämisse, damit wir das Beste für die Menschen dort erreichen. Aber ich möchte im Folgenden auch noch etwas kon- kreter auf Ihren Antrag eingehen. Da kritisieren Sie beispielsweise die Umsetzung des EU-Blaubuchs zur in- tegrierten Meerespolitik. Die Europäische Union kon- trolliere die Einhaltung der meerespolitischen Vorgaben nach Ihrem Geschmack beispielsweise nicht ausrei- chend. Sie beschweren sich – ich zitiere –: „Die Verant- wortung für die Umsetzung bleibt in den Händen der Mitgliedstaaten.“ Und kurz darauf heißt es hier: „Daher müssen Standards und Maßnahmen auf die unterschied- lichen Regionen zugeschnitten sein.“ Einerseits kontrol- liert Ihnen die EU das Vorgehen der Ostseestaaten nicht ausreichend zentralistisch, und gleichzeitig fordern Sie regionale Lösungen vor Ort. Das widerspricht sich doch. Für die Union sind maßgeschneiderte Konzepte vor Ort – dort wo die Probleme die Menschen unmittelbar be- schäftigen – immer besser als hoheitliche Bestimmungen einer Zentralgewalt. Die Menschen in den acht Ostsee- anrainern wissen am besten, wo ihnen der Schuh drückt. Es ist einem schwedischen Ostseefischer beispielsweise doch nicht vermittelbar, warum in Brüssel über seine Be- lange entschieden wird, von Spaniern und Italienern, die fernab von der Ostsee liegen, oder von Österreichern und Luxemburgern, die über gar keine Küste verfügen. Wir sprechen uns für regionale Lösungen aus, damit die- jenigen die Probleme der Ostseeregion lösen, die alltäg- lich mit diesen Problemen leben. Das ist auch im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Nichtsdestotrotz lassen wir den Vorwurf nicht gelten, die Maßnahmen des Baltic Sea Action Plans seien nicht verbindlich genug. Auf Grundlage des europäischen 15378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Rechts sind die Mitgliedstaaten doch ohnehin zur Ein- haltung der Mehrzahl der Regelungen verpflichtet. Sichere Schifffahrt, effizientes Notfallmanagement, ge- ringstmögliche Luft- und Wasserverschmutzung durch die Schifffahrt, in diesen Punkten spricht das europäi- sche Recht ohnehin strikte Verpflichtungen aus. Der Bal- tic Sea Action Plan nimmt sogar Russland als Nicht-EU- Mitglied in die Pflicht und fordert von ihm konkrete politische Maßnahmen. Das ist doch bereits ein großer Erfolg. Folglich verstehen wir die Intention Ihres An- trags nicht. Weiterhin fordern Sie von uns, mehr An- strengungen im Umweltschutz, und das obwohl der Bal- tic Sea Action Plan bereits fortschrittlichste Regelungen integriert. Hinsichtlich der Eutrophierung – gemeint sind nachteilige Auswirkungen durch Überdüngung – wurden länderübergreifende vorläufige Ziele der Reduzierung der Nährstoffeinträge vereinbart. Dann wurden Maßnah- men zur Verbesserung der Wasserqualität in Angriff ge- nommen. Es handelt sich hierbei um einen äußerst wich- tigen Schritt. Denn steigt die Wasserqualität der Ostsee, wächst auch die Funktionalität der Ökosysteme. Hier- durch beugen wir einem Verlust an Biodiversität, also dem Verlust an Artenvielfalt in der Ostsee, vor. Bei der Ausarbeitung des Baltic Sea Action Plans wurde zudem der Ökosystemansatz beachtet. Die Verantwortlichen ha- ben folglich alle menschliche Aktivitäten, die sich nach- teilig auf den Zustand der Ostsee auswirken, in ihre Überlegungen miteinbezogen und versuchen, sie regu- lierend und integrativ miteinander in Einklang zu brin- gen. Nach unserer Überzeugung ist ihnen dies im beson- deren Maße gelungen. Sie sehen also: Der Baltic Sea Action Plan ist ein ausgewogenes, hochmodernes Kon- zept zur Fortentwicklung der Ostseekooperation. Vieles von dem, was Sie fordern, wurde bereits umgesetzt. Der Plan integriert ökologische, wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte und schafft ein Gleichgewicht aller drei Säulen. Was wollen Sie mehr? Ich kann Ihre Vorgehensweise grundsätzlich ja nach- vollziehen. Der Mensch strebt nach Sicherheit. Also fordern sie strengere rechtliche Kontrollen und zentralis- tische Entscheidungen, weil Sie glauben, den zugegebe- nermaßen großen und unübersichtlichen Ostseeraum mit seinen acht Anrainerstaaten nur so erfassen zu können. Aber ich rate Ihnen: Vertrauen Sie der Eigenverantwor- tung der Menschen in den betroffenen Regionen. Wir ha- ben die historisch erstmalige Situation, dass die Ostsee kein Meer mehr zwischen verfeindeten Staaten ist. Die Ostsee ist heute die Brücke zwischen gleichberechtigten Partnern, zwischen Freunden. Mit großer Tatkraft sind die Ostseestaaten das ambitionierte Projekt angegangen, eine gemeinsame Ostseepolitik zu entwickeln, um aus dieser Region mit ihrem immensen Potential das Maxi- mum herauszuholen. Sie haben tolle Ergebnisse erzielt. Die Regierungen der Ostsseestaaten und die Bürgerin- nen und Bürger in diesen Staaten haben eigenverant- wortlich eine Strategie der Zusammenarbeit geschaffen. Mit Ihrem Antrag würden Sie diese Kooperation nun in ein rechtliches und bürokratisches Korsett zwingen, das kaum noch Luft zum Atmen lässt. Wo rechtliche Kon- trollen angebracht sind, sind diese auch vorzunehmen; da stimmen wir mit Ihnen überein. In diesem Punkt gibt es bereits strenge Vorgaben. Doch darüber hinaus wollen wir den Betroffenen Raum zur Selbstentfaltung geben, zur eigenen Konzeption von Problemlösungen. Die Menschen, die an der Ostsee leben, an und mit ihr arbei- ten, haben ein vitales Interesse an einer gesunden und fortschrittlichen Ostsee. Sie werden zu guten gemeinsa- men Ergebnissen kommen. Der Baltic Sea Action Plan ist bereits ein solches Ergebnis. An diesem Punkt möchte ich auch noch etwas zu dem zweiten großen Aspekt Ihres Antrags sagen. Sie wollen die Ostseekooperation zum Modellprojekt für regionale Kooperation erklären. Sie wollen ferner ähnliche Kon- zepte für andere europäische Meere: für das Mittelmeer, das Schwarze Meer und das Kaspische Meer. Die Idee hat ihren Reiz; das gebe ich gerne zu. Was in der Ostsee funktioniert, könnte die EU schlicht auf andere Regio- nen in ihrem Hoheitsgebiet übertragen. Und schon wür- den auch andere Regionen florieren, könnte man denken. Ich glaube nur nicht, dass das in der Praxis funktioniert. Denn Sie missachten zweierlei. Zum einen ist die Ost- seeregion nicht so ohne Weiteres mit der Mittelmeer- region zu vergleichen. Beiderorts spielen unterschiedli- che Industriezweige eine Rolle. Beiderorts haben die Anrainerstaaten verschiedene Interessen. Kurzum: Die politischen Rahmenbedingungen sind gänzlich unter- schiedlich. Es braucht stattdessen individuell zuge- schnittene Konzepte, die für die jeweilige Region die je- weils besten Resultate erzielen können. Zum anderen missachten Sie die historische Dimension der Ostsee- kooperation. Wie ich bereits sagte, standen sich rund um die Ostsee über Jahrhunderte Feinde gegenüber. Erst in den letzten Jahrzehnten ist der Gedanke der Zusammen- arbeit gewachsen. Vor allem aber: Der Wille zur Zusam- menarbeit ist in den betroffenen Staaten selbst gereift. Er wurde nicht von außen verordnet. Dass die Kooperation in der Ostsee heute so gut funk- tioniert, ist ein großes Glück. Folgendes geht jedoch nicht: Wir können nicht andere Regionen Europas von oben mit der Holzhammermethode zur Kooperation ver- urteilen. Es ist gut, wenn sich die Völker zur Zusammen- arbeit entschließen. Aber sie müssen es von sich aus wollen. Ansonsten ist die Kooperation von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich fordere Sie deshalb zu et- was mehr Zurückhaltung und Gelassenheit auf. Die Ost- seekooperation besitzt ohnehin viel Attraktivität und Strahlkraft. Für das Jahr 2013 ist eine umfangreiche Kontrolle des Baltic Sea Action Plans geplant. Dann wird eine Zwischenbilanz gezogen: Greifen die Kon- zepte? Kann die Entwicklung der Umweltverschmut- zung gestoppt und umgekehrt werden? Wächst die Re- gion wirtschaftlich? Meine Fraktion glaubt an den Erfolg des Baltic Sea Action Plans. Wenn er positive Wirkung entfaltet, wird man dies in ganz Europa fasziniert zur Kenntnis nehmen. Dann werden sich die Staaten an an- deren Meeren die Frage stellen, wie sie Ähnliches für sich erreichen können. Und so kann langfristig Koopera- tion entstehen. Unsere Herangehensweise ist unaufge- regter als Ihre. Wir setzen auf den langfristigen Erfolg, nicht auf schnelle plakative Forderungen nach einem Mehr auf allen Ebenen. Mehr Umweltschutz, mehr Wirt- schaftswachstum, mehr Kooperation an allen europäi- schen Meeren, das hört sich gut an. In der Praxis braucht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15379 (A) (C) (B) (D) es jedoch nicht nur gut klingende Forderungen, sondern detaillierte und komplexe Konzepte. Der Baltic Sea Action Plan ist ein solches Konzept. Er wurde von uns bereits seit langem auf den Weg gebracht und unter- stützt. Sie kommen mit Ihrem Antrag folglich ein halbes Jahr zu spät. Die CDU/CSU-Fraktion wird Ihren Antrag heute ab- lehnen. Dr. Margrit Wetzel (SPD): Meere verbinden. Meere verbinden? – Ganz sicher nicht von selbst. Zunächst ein- mal wissen die Menschen, die an den Küsten von Ostsee, Mittelmeer, Schwarzem und Kaspischem Meer leben, dass in den Ländern jenseits ihrer Küste unterschiedliche Sprachen gesprochen, andere Kulturen gelebt und fremde Traditionen gepflegt werden. Es gibt andere Ge- setze, Gepflogenheiten, Verfahren. Andererseits ist das Meer zwischen diesen oft sehr unterschiedlichen Ländern durchaus gemeinsamer „Nützling“ als Verkehrsweg, Rohstoffquelle, Nahrungs- mittellieferant, Energieträger, Quelle für Medikamente, für technologischen Fortschritt, für Tourismus, für Frei- zeitvergnügen. Zugleich ist es auch – und dabei erst recht gemeinsam – „Schützling“: es muss in ökologi- schem Gleichgewicht gehalten werden und dies trotz vielfältiger belastender Einleitungen von Land. Das Meer muss für die Menschen an seinen Küsten und für die Schifffahrt sicher gemacht werden, es muss ge- schützt, gepflegt und bewahrt werden. Spätestens dort sind wir beim Kern des Antrags der Opposition, den es heute zu beraten gilt: Dass Meere verbinden, ist mit politischem Willen verbunden, und letztlich ist es ein langer Weg, bis das verbindende Meer wirklich von allen Anrainerländern so gesehen, so be- handelt und so in Wert gesetzt wird. Bei der Ostsee ist das bereits ganz gut gelungen. Das sehen die Koalitionsfraktionen so, und das sieht offenbar auch die Opposition so. Was im vorliegenden Antrag be- klagt wird, sind gewisse Unverbindlichkeiten in dem, was politisch gemeinsam gewollt wird, Unverbindlich- keiten im Blaubuch der EU-Kommission, bei der in Aus- sicht stehenden Meeresstrategierichtlinie, Unverbind- lichkeiten im Baltic Sea Action Plan, der doch Beispiel geben soll für die anderen großen Binnenmeere im euro- päischen Raum bzw. beim Kaspischen Meer als Ener- gieweg nach Europa. Ich möchte Ihr Augenmerk dabei auf zwei Schwer- punkte lenken: Zum einen auf die Unverbindlichkeit selbst. Angesichts unterschiedlichster nationaler Gesetze und Zuständigkeiten – gerade wir in Deutschland mit un- serem Föderalismus können ein Lied davon singen – ist eine gewisse Unverbindlichkeit, ein gewisser Spielraum beim Vorschreiben der Umsetzungen von gemeinsam politisch gewollten Zielen unbedingt nötig. Wir sind es doch, die immer wieder auf Subsidiarität pochen, die na- tionale Spielräume verlangen, insbesondere doch dann, wenn wir das Verlangte bereits übererfüllen und daher durch europäische Vorgaben ein Absenken unserer Stan- dards befürchten. Mich erinnert die Forderung nach mehr Verbindlichkeit immer an den viel geforderten Bü- rokratieabbau: All jene, die ihn besonders laut fordern, sind doch die gleichen, die eine Regelung bis ins Letzte erwarten, wenn wir Gesetze schaffen, die bewusst Spiel- räume für die Umsetzung öffnen. Das ist hier genauso. Es liegt doch an uns, wie wir die EU-Vorgaben in natio- nales Recht und in nationales Handeln umsetzen, welche Verbindlichkeit wir ihnen geben! „Ja, aber die anderen Länder, die nicht so bewusst handeln, die müssen wir dazu bringen, dass sie durch Verbindlichkeit gezwungen werden, ebenso zu tun“ – das scheint hinter dieser Forderung nach Verbindlich- keit zu stecken. Genau da liegt – und das ist der zweite Punkt, den ich beleuchten möchte – die Crux, wie wir schnell am Beispiel der Ostsee und des Baltic Sea Action Plan erkennen können. Denn was wurde in langen Jahren gemeinsamen und freiwilligen Entwickelns, Diskutierens, Beratens in ei- nem umfangreichen Netzwerk der „Ostseeakteure“ alles geschaffen, bis es zu dem heute Erreichten kam: es gibt den Ostseerat, in dem neben den EU-Anrainerstaaten auch Russland, Norwegen und Island vertreten sind und eine Reihe anderer Länder, darunter Frankreich, die Ukraine und die USA, Beobachterstatus haben. Regel- mäßige zielgerichtete gemeinsame Arbeit der hochrangi- gen und kompetenten Vertreter führen zu Ergebnissen, die dann auch von allen Ländern akzeptiert werden. Be- sonders den Schutz der Meeresumwelt hat die Helsinki- Kommission zum Ziel, unterstützt wird die ganze Netz- werkarbeit durch Abgeordnete der nationalen Parla- mente in der Ostseeparlamentarierkonferenz und mit der sogenannten Politik der Nördlichen Dimension, die durch die Europaparlamentarier initiiert wurde. Wir bringen uns in diesem Netzwerk ein: durch die Regierung, die ihre Vertreter in gemeinsame Sitzungen und Konferenzen schickt, durch die Treffen der Regie- rungschefs, der Außenminister, der Fachminister, der Ressorts. Wir bringen uns auch direkt ein durch unsere Kollegen, die an Parlamentarierkonferenzen teilnehmen, durch Anträge, die wir im Deutschen Bundestag beraten und verabschieden. „Nichts anderes wollen wir mit unserem Antrag!“ werden nun die Grünen sagen. Aber: Die Absicht ist gut, die Liste all dessen, was wünschenswert sein mag, ist umfangreich – aber sie kommt schlicht deutlich zu spät. Anfang Juli letzten Jahres haben die Koalitionsfraktio- nen einen Antrag recht ähnlichen Inhalts verabschiedet, und zwar rechtzeitig vor der 16. Jahrestagung der Ost- seeparlamentarierkonferenz, die im August stattfand. Mir scheint fast, verehrte Kollegen von den Grünen, Sie hätten Ihren Antrag als Protokoll der Ostseeparlamenta- rierkonferenz geschrieben und alles aufgelistet, was dort diskutiert wurde. Insofern, liebe grüne Kollegen, kom- men Sie jetzt zu spät, Sie werfen sich – wie häufig – hin- ter den fahrenden Zug und schreien ganz laut, dass er endlich abfahren soll. Nein, dafür gibt es trotz vieler gu- ter Inhalte kein Lob: Die Politik, die Sie wollen, wird ge- macht – durch die engagierte Arbeit der Regierungsver- treter, die erst mit dafür gesorgt haben, dass wir ein funktionierendes Ostseenetzwerk haben, dass viele der 15380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Regelungen aus dem Baltic Sea Action Plan – den Sie verbindlicher weiterentwickeln wollen – bereits durch EU-Vorgaben für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Sie wissen doch, dass die Anlage VI zum MARPOL- Übereinkommen in Deutschland längst umgesetzt ist, was wir alles tun für eine sichere Schifffahrt, für ein klu- ges Notfallmanagement, was wir alles tun für die Sau- berhaltung der Meere, gegen das Einschleppen fremder Arten. Sie kennen unsere Aktivitäten für die Luftreinhal- tung durch SECA, durch das Voranbringen von landge- stützter Stromversorgung, den Einsatz für Destillate und die Einbindung der Schifffahrt in den Emissionshandel. Und ganz wichtig: Russland ist durch den BSAP mit ins Boot geholt worden. So etwas schaffen wir nicht für das Mittelmeer, das Schwarze und das Kaspische Meer durch einen Beschluss im Deutschen Bundestag. Das Ostseenetzwerk gibt Beispiel, der Ostseerat, in dem Beobachter auch aus Nicht-Anrainerstaaten sind, gibt Beispiel für die anderen Binnenmeere, und zwar ohne durch eine zu hohe Verbindlichkeit gleich abzu- schrecken. Das Ostseenetzwerk ist Beispiel dafür, wie durch gemeinsames politisches Wollen die verbindenden Meere von allen Anrainerländern genutzt, aber auch ge- schützt und gesichert werden können. Dieses gute Beispiel ist es, das wirken wird und das wir auf EU-Ebene auch intensiv unterstützen können: Wir können und sollten die Anrainerstaaten des Mittel- meeres, des Schwarzen und des Kaspischen Meeres mo- tivieren, sich ein Beispiel zu nehmen, sowohl am Ostsee- netzwerk als auch an einem selbstverständlich weiter zu entwickelnden BSAP, besser noch an seiner konsequen- ten Umsetzung durch die Staaten rund um die Ostsee. Für einen Schaufensterbeschluss des Bundestages, in dem die Regierung aufgefordert wird, so zu handeln, wie sie es sowieso in vorbildlicher Weise bereits tut, sind wir uns nicht nur zu schade, wir sind auch überzeugt davon, dass wir den Nationalparlamenten und Regierungen der anderen europäischen und europanahen Binnenmeere so viel politischen Verstand zutrauen können, dass auch sie sich auf den sicher beschwerlichen Weg der entspre- chenden meeresübergreifenden Kooperation machen werden. Unser gutes Beispiel vor Augen, werden sie vie- les von der Zeit einsparen und auch einsparen müssen, die wir gebraucht haben, so weit zu kommen, wie wir sind. Beispiel geben als Hilfe zur Selbsthilfe – das ist es, was wir wollen. Deshalb werden wir den vorliegenden Antrag nach der erfolgten intensiven Beratung im Fach- ausschuss jetzt ablehnen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Im vergange- nen Jahr haben wir in Vorbereitung der Ostseeparlamen- tarierkonferenz hier im Deutschen Bundestag auf der Grundlage von zwei Anträgen der Regierungskoalition und des Antrages „Zukunftschancen des Ostseeraums – Wirtschaft, Ökologie, Kultur und Tourismus“ der FDP- Bundestagsfraktion über den Ostseeraum debattiert. Die- ser Antrag der Grünen kommt ein wenig später. Der Antrag hat zwar den Ostseeraum in der Über- schrift, widmet sich jedoch dem Ostseeraum nur neben- bei. Das ist schade. Die Entwicklungen im Ostseeraum sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass eine auf langfristige Entwicklungen angelegte, kluge Politik für die Menschen spürbare Verbesserungen ihrer Lebens- bedingungen bringt. Die zu Zeiten der sozialliberalen Koalition angelegte Entspannungspolitik hat ihre Krö- nung durch die deutsche Wiedervereinigung erhalten. Die singende Revolution der baltischen Länder und die Erweiterung der EU im Jahr 2004 um die neuen Mitglie- der im Ostseeraum Litauen, Lettland, Estland und Polen sind wichtige Wegmarken dieses langen politischen Pro- zesses. Großen Anteil an diesem Wandel hatte der dama- lige deutsche Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, als Architekt der deutschen Einheit. Heute wachsen die Staaten im Ostseeraum weiter zusammen. Es haben sich vielfältige internationale Kooperationen gebildet, die sich dem Ziel einer gemeinsamen Interessenvertretung im Ostseeraum verpflichtet fühlen. Die Ostseeparlamentarierkonferenz im vergangenen Jahr in Berlin war eine eindrucksvolle Demonstration, dass die Menschen im Ostseeraum sich seit dem Zusam- menbruch des Ostblocks zunehmend als zusammenge- hörig empfinden. Die Ostsee ist seit dem Beitritt der drei baltischen Länder und Polen im Jahr 2004 in die EU na- hezu ein EU-Meer; einziger weiterer Anrainer ist Russ- land mit dem Kaliningrader Gebiet und St. Petersburg. Deutschland gehört zu den Ostseeanrainerländern, hat die Entwicklungen hier mitgestaltet. Ob andere Regio- nen, wie die im Antrag genannte Region um das Schwarze Meer, die Entwicklungen im Ostseeraum als nachahmenswertes Modell für die eigene Entwicklung empfinden, werden diese Länder entscheiden. Wir kön- nen auf die positiven Entwicklungen im Ostseeraum ver- weisen, doch wir sollten jede Bevormundung anderer Länder vermeiden. Zu den positiven Entwicklungen des Ostseeraums ge- hört auch die deutliche Verminderung der ökologischen Belastung der Ostsee, auch wenn auf diesem Gebiet noch viel zu tun ist. Wer weitere politische Maßnahmen einfordert, muss zunächst Bilanz ziehen, was die bisheri- gen Investitionen erbracht haben. Die Darstellungen zur Ökologie der Ostsee im vorliegenden Antrag sind un- vollständig und berücksichtigen die Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte nicht. Gerade die Investitionen in Kläranlagen im Einzugsgebiet der Ostsee haben sich positiv ausgewirkt. Seit 20 Jahren sind deutliche Minde- rungen der Schadstoffeinträge zu verzeichnen. Wir freuen uns über Erfolge im Umweltschutz. Gleichzeitig gilt, dass die Schadeinträge in die Ostsee der letzten Jahrzehnte nicht in wenigen Jahren ungeschehen ge- macht werden können. Der Forderungskatalog im Antrag der Grünen ist ein breit angelegter Warenhauskatalog, in dem für jedes Politikfeld ein Angebot gemacht wird. Ich will nur ei- nige Stichworte nennen, die die Breite des Angebots in der Außenpolitik beschreiben: Zentralasienstrategie, Ko- operation mit der Shanghai Cooperation Organization suchen, Meeresschutz in den Beitrittsverhandlungen der Türkei. Völlig ausgeblendet werden jedoch die vielfältigen Probleme, die durch die illegale Fischerei weltweit, aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15381 (A) (C) (B) (D) auch regional in der Ostsee verursacht werden. Die Neu- festsetzung der Dorschfangquoten am Ende des letzten Jahres für 2008 durch die EU stoßen bei den deutschen Fischern auf großes Unverständnis. Die Fangquote soll für die westliche Ostsee um 29 Prozent sinken, für die östliche Ostsee nur um 5 Prozent. Dies entspricht einer Gesamtreduzierung von 19 Prozent. Durch die ungleich- mäßige Verteilung der Ost-/Westquoten bei den einzel- nen Mitgliedstaaten bedeutet diese Reduzierung zum Beispiel für Polen nur ein Minus von 10 Prozent. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Polen im letzten Jahr insbesondere durch illegalen Fischfang aufgefallen ist und den von der EU verhängten Fangstopp nicht ein- gehalten hat, wirkt diese Entscheidung in den Augen der deutschen Fischer wie der blanke Hohn. Illegale Fische- rei darf sich nicht lohnen. Daher ist es gut, dass auf EU- Ebene die Anstrengungen zur Eindämmung der illegalen Fischerei deutlich verstärkt werden. Die FDP lehnt den vorliegenden Antrag ab. Lutz Heilmann (DIE LINKE): „Die Ostsee steht auf der Kippe“ – sagt der WWF. Sie ist also weit davon ent- fernt, eine Modellregion zu sein. Selbst die bisherigen, unzureichenden Beschlüsse der HELCOM wurden nach Untersuchungen des WWF nicht oder nur teilweise er- füllt. Und auch der im November beschlossene Aktions- plan reicht nach Ansicht des WWF noch lange nicht aus. Problem vertagt. Patient tot. Warum steht die Ostsee auf der Kippe? Warum muss umgehend gehandelt werden, und nicht erst in zehn Jah- ren? Die Ostsee ist weitgehend leergefischt; der Dorsch zum Beispiel ist vom Aussterben bedroht. Die beschlos- senen Maßnahmen greifen erst in zehn Jahren. Wenn es dann nicht zu spät ist. Die sauerstoffarmen und -freien Bereiche werden immer größer – auf einem Sechstel ih- rer Fläche ist die Ostsee bereits praktisch tot. Ursache sind die immensen Einleitungen von Stickstoffverbin- dungen und Phosphaten, überwiegend durch die Land- wirtschaft. Die sollen verringert werden – spätestens ab 2016. Das ist viel zu wenig und viel zu spät. Die Land- wirtschaft ist auch für die Einleitung der Pestizide ver- antwortlich. Dieses und andere Gifte lagern sich über kurz oder lang in den Meeresbewohnern ab, die wir dann vielfach essen. Am Grunde der Ostsee schlummern erhebliche Men- gen von Munitionsaltlasten aus den Kriegen. Immer wie- der gelangt einiges davon auch an die Strände: Das be- deutet Lebensgefahr für Menschen. Bei Explosionen unter Wasser sterben Wale, wenn sie wegen der Schallausbreitung nicht qualvoll verenden. Diese Altlas- ten gefährden nun auch den Bau der Ostseepipeline, die ebenfalls die Ostsee gefährdet. Nicht nur wegen des Baus, sondern auch durch die geplante sogenannte Rei- nigung mit dem Gift Glutaraldehyd. Das ist sogar nach Auffassung der Bundesregierung sehr giftig für Wasser- organismen. Diese und weitere Probleme werden auch im Antrag benannt. Und an all diesen Problemen trägt die Bundesregierung eine nicht unerhebliche Mitschuld oder Mitverantwortung! Erstaunlich ist deswegen, dass die Bundesregierung in diesem Antrag zu keinen nationalen Maßnahmen auf- gefordert wird. Alle Forderungen sind auf die europäi- sche Ebene ausgerichtet. Natürlich sind diese Forderun- gen alle gut und richtig. Deswegen stimmen wir dem Antrag auch zu. Aber die Meeresschutzrichtlinie ist praktisch schon beschlossen. Leider ohne die europäi- sche Landwirtschafts- und Fischereipolitik bindend ein- zubeziehen. So ist diese Richtlinie ein weitgehend zahn- loser Tiger. Die Nationalstaaten können weitgehend machen, was sie wollen. So wird der Schutz der Meere nicht vorankommen. Genau deswegen müssen die Na- tionalstaaten in die Pflicht genommen werden. Und ge- nau deswegen wollen wir die Bundesregierung in die Pflicht nehmen. Dass die Grünen das nicht wollen, ver- wundert mich ein wenig. Es ist aus meiner Sicht schon etwas merkwürdig, dass sich die Bundesregierung für eine Meeresstrategie im Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer einsetzen soll. Das ist grundsätzlich sicher wünschenswert. Aber wer seine Hausaufgaben nicht macht, kann nicht glaub- würdig andere dazu drängen, mehr für den Schutz der Meere zu tun. Für die Bundesregierung gibt es aber genug zu tun, damit die Ostsee wirklich zur Modellregion werden könnte: Es sind zwar ein paar Meeresschutzgebiete aus- gewiesen, das stimmt. Das heißt aber nicht viel; denn da kann jeder machen, was er will. Insbesondere in der Nordsee. Im Nationalpark Wattenmeer finden Ölbohrun- gen statt. In den in der Nordsee ausgewiesenen FFH-Ge- bieten wird in großem Stil Sand und Kies abgebaggert. Auch die Offshorewindernergieanlagen sind nicht un- problematisch. Dass hierfür jeweils bedenkenlos Geneh- migungen erteilt werden, zeigt, dass der Meeresschutz bislang nur auf dem Papier steht. Zur Reduzierung der Düngemitteleinträge in die Flüsse – und damit in die Meere – hört und liest man von der Bundesregierung Absichtserklärungen, zum Beispiel in der nationalen Biodiversitätsstrategie. Selbst das reicht nicht aus, wobei noch lange nicht sicher ist, dass dem konkrete Maßnahmen folgen. Die Reduzierung des Stickstoffeintrags wird ja nur angestrebt. Wie man hört, soll die Landwirtschaft im Umweltgesetzbuch sogar ei- nen Freifahrtschein bekommen. Für die gute fachliche Praxis will der Bund keine Vorgaben machen. Wie wol- len Sie Ihre Ziele da erreichen? Das bleibt wohl nicht nur mir schleierhaft. Bei der Beseitigung der Munitionsaltlasten muss das unsägliche Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und den an die Ostsee angrenzenden Bundesländern endlich beendet werden. Der Bund muss hier endlich Verantwor- tung übernehmen. Die Bundesrepublik als Rechtsnach- folger des Deutschen Reiches ist für die Munition der Reichswehr – denn darum handelt es sich überwiegend – verantwortlich. Es kann nicht sein, dass nur da die Muni- tion beseitigt wird, wo die unsägliche Ostseepipeline ge- baut wird. Zu guter Letzt will die Bundesregierung eine feste Fehmarnbelt-Querung bauen, und zwar mitten durch ein FFH-Gebiet in der Ostsee. An dieser Stelle wäre der 15382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Umweltschutz ganz einfach: Lassen Sie es einfach sein. Es gibt viel zu tun – packen Sie es an! Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Unsere Meere sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Klimaregulierer, Nahrungsquelle und Erho- lungsgebiete. Als Handels- und Transportwege verbinden sie Menschen über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Damit sind sie im wahrsten Sinne des Wortes verbinden- des Element. Die Halbinsel EU grenzt an Nordsee, Ost- see, Atlantik, Mittelmeer und seit den EU-Beitritten von Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2007 auch ans Schwarze Meer. Damit steht die EU in der Verantwor- tung, ihr maritimes Erbe zu erhalten. Dieses Erbe ist ge- fährdet durch wachsenden Schiffsverkehr, unsichere Öl- tanker, Überfischung, Überdüngung durch Einträge aus der Landwirtschaft, Munitionsaltlasten und Vieles mehr. Der Schutz unserer Meere ist für uns essenziell. Diese Einsicht beginnt sich im europäischen Bewusstsein durchzusetzen. Mit dem Blaubuch zur Europäischen Meerespolitik und der Meeresstrategierichtlinie hat die EU wichtige Schritte hin zu einer umfassenden Meeres- politik gemacht. Nun ist es an der Zeit, über den Teller- rand der EU hinauszublicken und die Meere verstärkt als Instrument regionaler Kooperation zu nutzen. Ein Ansatzpunkt sind verbesserter Meeresschutz und mehr Sicherheit auf See. Maßnahmen, Zeitpläne und Verantwortlichkeiten sollten regional auf Art und Grad der Verschmutzung der Meere abgestimmt sein. Diesem Ziel kommt der Baltic Sea Action Plan der Helsinki- Kommission ein gutes Stück näher. Im vergangenen No- vember haben sich alle Ostseeanrainer auf das regionale Maßnahmenpaket geeinigt. Der Aktionsplan für die Ost- see bezieht auch das Nicht-EU-Mitglied Russland ein. Damit eignet er sich hervorragend als Vorbild regionaler Kooperation. Wir von Bündnis 90/Die Grünen fordern, den Baltic Sea Action Plan zu einem verbindlichen Maßnahmen- paket mit konkreten Zielen und Zeitplänen werterzuent- wickeln und zum regionalen Baustein einer Europäi- schen Meerespolitik zu machen. Wir haben jetzt die Chance, den Ostseeraum als Modellregion für regionale Kooperationen zu etablieren. Eine Modellregion Ostsee- raum sollte Vorbildfunktion für weitere regionale Ko- operationen übernehmen, zum Beispiel im Schwarz- meerraum und im kaspischen Raum. Die EU hat ein handfestes Interesse an regionaler Kooperation. Regionale Maßnahmen für Meeresschutz und Sicherheit auf See sind unbedingt notwendig und bieten gute Anknüpfungspunkte für Kooperationen über Meerespolitik hinaus. Die Schwarzmeerregion und die kaspische Region beispielsweise gewinnen als Energie- transitrouten zunehmend an Bedeutung. Das Kaspische Meer ist die Brücke nach Zentralasien, einer Wirt- schaftsregion mit wachsenden Märkten und steigendem strategischen Gewicht. Sowohl das Schwarze Meer als auch das Kaspische Meer sind erheblichen Belastungen durch Schiffsverkehr, Ölverschmutzung, Industrieein- träge und eine nicht nachhaltige Fischerei ausgesetzt. Um verbindliche Vereinbarungen über Umwelt- und Sicherheitsstandards sowie regionales Wassermanage- ment und Energiekooperation zur Förderung erneuer- barer Energien zu treffen, sollte die EU an bestehende regionale Initiativen anknüpfen wie die Schwarzmeer- Wirtschaftskooperation, die Eurasische Wirtschaftsge- meinschaft oder die Shanghai Cooperation Organization. Zentral ist, Russland mit ins Boot zu holen. Außerdem sollte die EU entsprechende Vereinbarungen in ihr In- strument der Europäischen Nachbarschaftspolitik und in Assoziierungs- und Beitrittsabkommen aufnehmen. Wir wollen mit unserem Antrag die Meere als Instru- ment regionaler Kooperation für mehr Meeresschutz und Sicherheit auf See nutzen und als Anknüpfungspunkt ei- ner verstärkten regionalen Zusammenarbeit. Die schwe- dische Regierung hat angekündigt, dass sie die regionale Kooperation im Ostseeraum während ihrer Ratspräsi- dentschaft im zweiten Halbjahr 2009 als Modell für wei- tere Kooperationen fördern will. Unser grüner Antrag wird da sicherlich vielfältige Anregungen auch für die parlamentarische Arbeit der anderen Fraktion bieten. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel- gesetzbuches sowie anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 18) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Vor dem Hintergrund der sogenannten Gammelfleischfälle hat die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren erheb- liche Anstrengungen unternommen, um Verbraucher künftig besser schützen zu können. Im letzten Jahr haben wir das Verbraucherinformationsgesetz beschlossen, ein Meilenstein im Verbraucherschutz. Dadurch haben die Verbraucher erstmalig einen gesetzlich festgelegten An- spruch auf behördliche Information bei Verstößen gegen das Lebens- und Futtermittelrecht. Um noch einmal da- ran zu erinnern: Die sogenannte Verbraucherschutz- ministerin der letzten Bundesregierung war dazu nicht in der Lage. Mit dem jetzt von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches werden wir die Barrieren für die schwarzen Schafe in der Lebensmittelbranche noch einmal hochsetzen. So gab es Fälle, bei denen nicht si- chere Lebensmittel zwar von Abnehmern zurückgewie- sen worden sind. Diese verschwanden dann aber nicht vom Markt, sondern vorerst wieder in den Lagern, um dann erneut einem anderen Abnehmer angeboten zu werden. Das Spiel ging so lang, bis sich ein unaufmerk- samer oder ebenso krimineller Abnehmer fand – denn so muss man dieses Handeln nennen – und die Lebensmit- tel in Verkehr brachte. Um es noch einmal sehr deutlich zu machen: Wir re- den hier nicht von der Lebensmittelbranche. Wir reden hier von einzelnen schwarzen Schafen. Herr Bode von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15383 (A) (C) (B) (D) Foodwatch hat ja kürzlich im Interview mit der Süddeut- schen Zeitung kundgetan, die deutschen Agrar- und Le- bensmittelunternehmen seien ein gleichsam semikrimi- nelles Kartell. Die Süddeutsche hat ihn daraufhin gefragt, ob er nicht ein wenig paranoid sei. Dem ist nichts hinzuzufügen. Nein, deutsche Lebensmittel sind sicher und unsere Lebensmittelproduzenten sind kein Haufen von Kriminellen. Aber – dieses Aber möchte ich dick unterstrichen wissen – auch gegen die schwarzen Schafe muss mit aller Härte vorgegangen werden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alles in seiner Macht ste- hende zu veranlassen, Missbrauchsfälle aufzudecken und zu ahnden. Drei wesentliche Punkte des eingebrachten Gesetz- entwurfes möchte ich kurz vorstellen. Mit dem Gesetz werden wir Lebensmittelunterneh- mer künftig verpflichten, die Behörden zu informieren, wenn ihnen verdorbene Lebensmittel angeboten werden. Damit können wir dem Verschiebebahnhof für Gammel- fleisch sehr direkt begegnen. Zum besseren Risikomanagement bei länderübergrei- fenden Vorkommnissen wird der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet, einen Lagebericht auf Basis der Länderinformationen zu erstellen. Die daraus gewonne- nen Erkenntnisse können zur Umsetzung und Koordina- tion notwendiger rechtlicher Maßnahmen dienen. Es ist bedauerlich, dass der Bundesrat diesen Punkt abgelehnt hat, zumal die Verbraucherschutzministerkonferenz im vergangenen Jahr diesen Vorschlag begrüßt hatte. Als dritten Punkt möchte ich noch die Anhebung des Bußgeldrahmens bei fahrlässigen Verstößen nennen. Mit der Anhebung von 20 000 Euro auf 50 000 Euro haben die Behörden nun weitaus schärfe Sanktionsmöglichkei- ten. Das Abschreckungsmoment steigt. Und wer seine Aufgabe als Lebensmittelunternehmer nicht ernst nimmt, muss eben eine empfindliche Strafe hinnehmen. Sie sehen, die Bundesregierung setzt mit diesem Maßnahmenpaket ihren Weg eines sachlichen und kon- sequenten Verbraucherschutzes fort. Dafür möchte ich ihr danken. Bitte erlauben Sie mir noch auf einen weiteren Punkt im Gesetz einzugehen, der für unsere Tierhalter von im- menser Bedeutung ist: die Verfütterung von tierischen Fetten. Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Bundesrat – mit Zustimmung der Bundesregierung – den Vorschlag eingebracht hat, die Verfütterung von tierischen Fetten wieder zuzulassen, wenn auch vorerst nur an Nichtwie- derkäuer. Im Zuge der BSE-Krise hatte die Europäische Union die Verfütterung von tierischen Proteinen als potenzielle Überträger des BSE-Virus verboten. Das war eine Entscheidung, die damals zu Recht getroffen wurde. Aber wir Deutschen sind einmal wieder über das Ziel hi- naus geschossen. Unsere Vorgängerregierung hat zudem auch noch die für die Verfütterung so wichtigen tieri- schen Fette verboten. Wohl gemerkt: Kein anderes EU- Mitgliedsland sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen. Was waren die Folgen? Unsere Veredelungsbetriebe sahen und sehen sich im Vergleich mit den europäischen Nachbarn deutlichen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Denn sie müssen die tierischen Fette durch pflanzliche Futtermittel ersetzen. Die Veredelungswirtschaft schätzt die zusätzlichen Kosten, die sie durch das Verbot pro Jahr zu tragen hat, auf etwa 100 Millionen Euro. Für un- sere Kälbermäster liegen die zusätzlichen Kosten pro Tier bei etwa 40 Euro. 10 Prozent Marktanteil wurden durch das Verfütterungsverbot an niederländische Mäs- ter verloren. Aber Verbraucherschutz ist nicht teilbar. Was meine ich damit? Wir können zwar in Deutschland Regelungen und Verbote einführen, aber bei offenen Märkten nützt das oftmals nichts. Wie auch in diesem Fall: Auf die Tische unserer Verbraucher kommt dann eben das niederländische Kalbfleisch – mit tierischen Fetten gefüttert. Mit der aktuellen Regelung zur Verfütterung tieri- scher Fette haben wir meines Erachtens einen längst überfälligen Schritt in die richtige Richtung getan. Ich denke, für unsere Schweinehalter dürfte dies bei der ak- tuellen Marktsituation wenigstens eine kleine Hilfe sein. Den Weg müssen wir aber weiter beschreiten. Denn für die oben erwähnten Kälbermäster ändert sich vorerst nichts. Verboten bleibt die Verfütterung tierischer Fette an Wiederkäuer. Wir brauchen deshalb künftig eine wei- tere Lockerung. Es muss wenigstens möglich sein, Fette von Nichtwiederkäuern an Wiederkäuer zu verfüttern. Hier ist aber auch die Wirtschaft aufgerufen, mitzuhel- fen, dass Analyseverfahren zur Bestimmung der Fetther- kunft weiterentwickelt werden. Erlauben Sie mir bitte zum Schluss noch ein paar Worte zum Thema tierische Proteine. Auch wenn dies ein EU-Thema ist, steht es doch, wie oben erwähnt, in einem engen Zusammenhang mit den tierischen Fetten. Durch das noch immer bestehende Verbot der Verfütte- rung tierischer Proteine müssen europäische Tierhalter auf Ersatz in Form pflanzlicher Proteine zurückgreifen. Das ist unter zwei Aspekten äußerst kritisch zu bewer- ten: Zum einen werden dadurch wichtige Rohstoffe für die Produktion von Biokraftstoffen gebunden. Denn die hierbei in der Regel verwendete Sojapflanze kann eben beides liefern, Proteine und Öl. Andererseits bauen die Hauptproduzenten immer weniger Soja an, das nicht gentechnisch verändert ist. Durch die Null-Toleranz- Politik der EU gegenüber GVO-Pflanzen werden unsere Tierhalter schon bald vor erheblichen Versorgungseng- pässen bei Futtermitteln stehen. Ihnen werden entweder keine oder nur deutlich teuere GVO-freie Proteine zur Verfügung stehen. Die Folge: Wettbewerbsverdrängung. Unseren Fleischbedarf müssten wir dann durch Importe decken. An Exporte wie derzeit wäre nicht mehr zu den- ken. Die Leidtragenden wären letztlich unsere Verbrau- cher. Diese müssten sich damit abfinden, deutlich mehr für fleischliche Lebensmittel als heute auszugeben. Ob diese dann zu den deutschen bzw. europäischen Tier- schutzstandards produziert würden, steht stark zu be- zweifeln. Deswegen schließe ich mich der Forderung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses an, auch tierische Proteine wieder für den Futtermittel- gebrauch zuzulassen. 15384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Wir können es uns nicht mehr leisten, wertvolle Roh- stoffe wie tierische Fette und Proteine aus dem Verwer- tungskreislauf auszuschließen. Allerdings: Verwendung und Verbrauchersicherheit müssen Hand in Hand gehen. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich freue mich, dass wir heute in erster Lesung die Änderung des Lebensmit- tel- und Futtermittelgesetzbuches beraten. Denn das zeigt, dass die Bundesregierung die nötigen Maßnahmen ergreifen will, um die Bevölkerung vor Betrug und un- sicheren Lebensmitteln zu schützen. Ich darf Ihnen kurz in Erinnerung rufen: Verdorbenes Fleisch wurde gehandelt, aufgetautes Fleisch als Frisch- fleisch vertrieben, überlagertes Fleisch umetikettiert und verkauft, Schlachtabfälle wurden zu Lebensmitteln ver- arbeitet. Diese als Gammelfleischskandale bezeichneten Vorfälle der letzten Jahre haben das Vertrauen der Ver- braucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit von Fleisch und Fleischprodukten empfindlich gestört. Das ist angesichts des erreichten Standes der Lebens- mittelsicherheit in Deutschland, guter Hygiene und ho- hen Risikobewusstseins höchst bedauerlich. Leider kann man aufgrund der Zahl der Vorfälle nicht von einzelnen schwarzen Schafen sprechen. Dennoch stellen die Her- steller und Händler von unsicheren Lebensmitteln eine Minderheit dar. Deren Nachlässigkeit oder gar kriminel- ler Energie müssen wir mit der Änderung des LFGB ent- gegentreten und so für die verantwortungsbewussten Le- bensmittelhersteller das Vertrauen wiedergewinnen. Die Einführung einer Meldepflicht für Lebensmittel- unternehmen bezüglich unsicherer Ware, die ihnen gelie- fert wurde, halte ich für sehr wichtig. Es ist zwar erfreu- lich, wenn ein Lebensmittelunternehmen das Recht einhält und unsichere Waren zurückweist. Angesichts der Unverfrorenheit einiger Marktteilnehmer, unsichere Lebensmittel solange anzubieten, bis sich ein verantwor- tungsloser Käufer findet, reicht das aber nicht aus. Sol- che Vorgänge müssen der zuständigen Behörde gemeldet werden, damit diese aktiv gegen Rechtsverletzer vorge- hen kann. Der Aufwand für den meldepflichtigen Be- trieb ist denkbar gering und der Nutzen für die Allge- meinheit denkbar groß. Die Meldepflicht wird Unternehmer davon abhalten, unsichere Waren anzubie- ten. Die Unbelehrbaren werden so schnellstmöglich ver- antwortlich gemacht. Ich halte es für selbstverständlich, dass die Bundesre- gierung befähigt werden soll, bei länderübergreifenden Vorfällen ein Lagebild zu erstellen. Ein Risikomanage- ment auf Bundesebene ist bei solchen Vorgängen uner- lässlich und nur auf Grundlage der in den Ländern erho- benen Daten möglich. Ich habe kein Verständnis für die ablehnende Haltung des Bundesrates an dieser Stelle. Der Aufschub eines Frühwarnsystems um unbestimmte Frist und unter Kostenvorbehalt ist keine Lösung des drängenden Problems. Schon morgen kann ein solch län- derübergreifender Sachverhalt offenbar werden. Der Deutsche Bundestag erwartet dann unverzüglich den Be- richt des Bundesministers. Teilweise bestehen Unter- richtungspflichten gegenüber der EU. Deshalb müssen ihm und seiner Fachbehörde sofort die entsprechenden Kompetenzen eingeräumt werden. Ich bin sicher, dass sich niemand in den Lebensmittel- unternehmen darüber im Unklaren ist, dass es verboten ist, verdorbene Ware zu verkaufen, abgelaufene Ware neu zu etikettieren oder Schlachtabfälle zu Lebensmit- teln zu verarbeiten. Abgesehen von den klaren Rechts- vorschriften gibt es ja auch einen Abwehrreflex, der die Menschen darauf hinweist. Wir haben als Gattung über- lebt, weil uns unser Ekelempfinden davon abhält, ver- dorbene Nahrung zu verzehren. Nun mag dieses Empfin- den von langjährigem Umgang mit ekelerregender Ware abstumpfen. Dennoch wissen die Leute: Das ist verbo- ten. Wenn ein Verstoß gegen das Verbot ungefährlich er- scheint, greift das Unrechtsbewusstsein nicht. Es ist des- halb richtig, diejenigen härter zu bestrafen als bisher, die sich auch von öffentlicher Diskussion, verschärften Kon- trollen und Meldepflicht nicht von ihrem schädlichen Handeln abbringen lassen. Die Gerichte sollten die Mög- lichkeit besser nutzen, durch strafbares Verhalten er- zielte Gewinne abzuschöpfen. Dazu ist es aus meiner Sicht unerlässlich, in diesem Gesetzgebungsverfahren den Informantenschutz zu regeln. Wenn sich nur bereits gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge- trauen, verbotene Praktiken anzuzeigen, erhalten die Be- hörden in der Regel keine aktuellen Informationen. Diese sind aber für die erfolgreiche Verfolgung von Ord- nungswidrigkeiten und Straftaten unentbehrlich. Zu al- lem Überfluss stehen solche Informanten unter dem Ge- neralverdacht, falsche Anschuldigungen aus Rache zu erheben. Das ist ehrabschneidend, und damit muss Schluss sein. Beschäftigte in Lebensmittelunternehmen müssen die rechtlich gesicherte Möglichkeit bekommen, Informationen über verbotene Praktiken an die zuständi- gen Behörden zu geben, ohne um ihren Arbeitsplatz fürchten zu müssen. Ich werde mich in den Ausschuss- beratungen mit großem Nachdruck für eine solche Whistleblower-Regelung einsetzen und hoffe sehr auf die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen aus al- len Fraktionen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Unsere Debatte zur Novellierung des LFGB sollte eigentlich eine De- batte zu den vielen Gammelfleischskandalen der letzten Jahre sein. Doch eines möchte ich vorweg klarstellen: Die heimischen Lebensmittel sind qualitativ hervorra- gend und die deutsche Ernährungswirtschaft nimmt im weltweiten Vergleich die Spitzenposition ein. Deutsche Lebensmittel sind im Ausland gefragt; das zeigen die Exportraten. Nach den vielen Gammelfleischskandalen der letzten Jahre sind es aber gerade nicht mehr die Leistungen der heimischen Land- und Ernährungswirtschaft, die das Meinungsbild bei den Verbrauchern prägen. Daher sind alle Maßnahmen, die zu mehr Lebensmittelsicherheit und mehr Verbraucherschutz durch das LFGB führen, zu begrüßen. Allerdings kann auch die Novelle des LFGB nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Landes- und vor allem auch auf Bundesebene entscheidende Fehler bei Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15385 (A) (C) (B) (D) der Bekämpfung der Gammelfleischskandale gemacht wurden. Die Leistungen von Minister Seehofer und dem ehe- maligen bayerischen Verbraucherminister Schnappauf stehen in krassem Gegensatz zu ihren Ankündigungen und den Notwendigkeiten. So sind von dem am 30. No- vember 2005 von Bundesminister Horst Seehofer be- kanntgegebenen Zehn-Punkte-Sofortprogramm und dem zehn Monate später verabschiedeten 13-Punkte-Maß- nahmenkatalog zur Bekämpfung von Gammelfleisch- skandalen von Bundesminister Seehofer gemeinsam mit den Verbraucherministern der Länder am 7. September 2006 zentrale Punkte bis heute nicht umgesetzt worden. Die schwerwiegenden Defizite liegen bis heute offen zu Tage: Auch heute noch muss K-3-Material nicht einge- färbt werden. Insbesondere bei der Kennzeichnung von tierischen Nebenprodukten, die bereits für die Verwen- dung außerhalb der Lebensmittelkette bestimmt waren, muss sich die Bundesregierung schwere Versäumnisse vorwerfen lassen. Wer aber wie die Bundesregierung alles auf eine Karte setzt, muss mit allem Nachdruck und frühzeitig in Brüssel für das Einfärben von K-3-Material kämpfen. Das ist nur viel zu spät und viel zu zögerlich erfolgt. Deshalb ist erhebliche Skepsis geboten, ob mit der vor- liegenden Novelle des LFGB die notwendige Verbes- serung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland gelin- gen kann. Lassen Sie mich jetzt auf die zentralen Punkte des LFGB eingehen: Erstens. Grundsätzlich begrüßen wir die Ausweitung der Meldepflicht für Lebensmittelunternehmer – und Futtermittelunternehmer –, denen „unsichere Lebensmit- tel“ angeboten werden. Im Gegensatz zum Bundesrat sind wir der Auffassung, dass die Ausnahmeregelung für pflanzliche Lebensmittel und Futtermittel richtig ist. Zweitens. Sinnvoll ist zudem, dass sich der Bund bei länderübergreifenden Sachverhalten ein Lagebild auf der Grundlage der von den Ländern zu übermittelnden Infor- mationen erstellen kann. Drittens. Ob die Verschärfung der Straf- und Buß- geldvorschriften tatsächlich eine abschreckende Wir- kung entfalten wird, muss sich in der Praxis beweisen. Viertens. Die FDP ist wie der Bundesrat der Auffas- sung, dass eine Angleichung der nationalen Regelungen für tierische Fette in der Nutztierfütterung an die Vorga- ben des europäischen Rechts zwingend erforderlich ist. Das derzeitige Verfütterungsverbot belastet die Wirtschaft und bringt keine Verbesserung für die Verbraucher, da die in anderen Mitgliedstaaten mit tierischen Fetten herge- stellten Fleisch-, Milch- und Geflügelprodukte ohne Be- schränkung in Deutschland vermarktet werden dürfen. In einem gemeinsamen Markt ist eine 1:1-Umsetzung von EU-Recht zwingend erforderlich. Deshalb muss das Ver- fütterungsverbot ganz aufgehoben werden. Eine Be- schränkung des Verbots der Verfütterung von Fetten an Wiederkäuer im § 18 LFGB, wie es der Bundesrat fordert, ist nicht ausreichend. Abschließend fordert die FDP-Bundestagsfraktion, die Novelle des LFGB für eine grundlegende Korrektur der sogenannten Nulltoleranz zu nutzen. Die beabsich- tige Änderung des § 10 gegenüber Stoffen mit pharma- kologischer Wirkung in Lebensmitteln geht zwar in die richtige Richtung, ist aber nicht ausreichend. Es werden zum Beispiel nicht alle Fälle der Spurenfunde von Kok- zidiostatika ausreichend berücksichtigt. Die Folgen der „Nulltoleranz-Politik“ belasten die Land- und Ernäh- rungswirtschaft. Hier brauchen wir realistischere und praxisgerechtere Lösungen. Karin Binder (DIE LINKE): Den vorliegenden Ge- setzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futter- mittelgesetzbuches könnte man in folgenden Worten zu- sammenfassen: Packen wir’s an, aber bitte nicht so fest. Nach dem Motto des Bären – wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – versucht Minister Seehofer wie- der einmal alle Klippen zu umschiffen und den Unter- nehmern nicht wehzutun. Wie halbherzig nach diesem Gesetzentwurf unter an- derem mit dem Thema „unsichere Lebensmittel“, auch bekannt unter dem Begriff Gammelfleisch, umgegangen werden soll, möchte ich hier gerne erläutern. Im Vorwort zum Gesetzentwurf stellt das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fest: „… dass nicht sichere Lebensmittel vielfach, nachdem sie von ei- nem Abnehmer zurückgewiesen worden sind, so lange weiter angeboten werden, bis sie einen weniger sorgsa- men Abnehmer finden. Hier besteht zum Schutz des Ver- brauchers Handlungsbedarf.“ Zum Schutz der Verbrau- cher und Verbraucherinnen besteht Handlungsbedarf. Darin sind wir uns einig. Auf welche Weise das Ministe- rium versucht, diesen Schutz herzustellen, ist allerdings etwas befremdlich. Nach dem Papier sollen jetzt aus den Gammel- fleischskandalen seit Beginn dieser Legislaturperiode die Konsequenzen gezogen werden. Da werden der mündige Verbraucher und die Steuerzahlerin in der Be- gründung des Gesetzentwurfs aufgeklärt, dass Lebens- mittelunternehmer künftig anzeigen müssen, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass ein für sie bestimm- tes Lebensmittel nicht sicher sei. Diese neue Meldever- pflichtung gelte jedoch nur für angeliefertes Gammel- oder Ekelfleisch. Die Meldepflicht gilt aber nicht wenn dem Lebensmittelunternehmer ein „unsicheres Lebens- mittel“ (Gammelfleisch) angeliefert wird, das er nicht bestellt hat. Diese Meldepflicht gilt auch nicht in den Fällen, in denen das „unsichere Lebensmittel“ mündlich, telefonisch, per Mail oder per Fax angeboten worden ist. Und sie gilt auch nicht, wenn der Unternehmer bei ei- nem Marktrundgang erkennt, dass von einem anderen Lebensmittelunternehmer nicht sichere Lebensmittel an- geboten werden. Da bleibt mir doch glatt die Spucke weg. Wo sind wir denn? Ist der Handel mit Gammelfleisch etwa ein Kava- liersdelikt? Wenn nicht, dann ist es doch auf jeden Fall meine Pflicht, so etwas anzuzeigen. Das müsste doch für einen redlichen und verantwortungsbewussten Unter- nehmer selbstverständlich sein. Aber für viele Unterneh- 15386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) mer ist es das offenbar nicht; sonst müsste das nicht so explizit geregelt werden. Wenn ich mir nun die Begründung zu dem Gesetzent- wurf noch genauer anschaue, liest sich das für mich wie eine Anleitung zur Umgehung dieses Gesetzes. Hier werden nicht nur Hintertürchen offen gelassen, sondern Tore geöffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ich bitte Sie dringend: Schauen Sie sich diesen Gesetzesentwurf noch einmal gründlich an! Und wenn Sie dann auch zu dem Schluss kommen, dass hier noch einiges verbesserungsfähig ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie gleich noch ein paar andere Dinge er- gänzen würden. Wie wäre es zum Beispiel mit der Verbesserung der Kenntlichmachung von unsicheren, verdorbenen Le- bensmitteln zum Beispiel durch die Angabe des Schlachtdatums bei der Kennzeichnung von Fleischer- zeugnissen; der Verankerung direkter Auskunftsansprü- che der Verbraucher und Verbraucherinnen gegenüber Herstellern, Händlern und Verarbeitern im Verbraucher- informationsgesetz; einem effektiven arbeitsrechtlichen Informantenschutz; der Einführung eines Smiley-Sys- tems, wie es in Dänemark in Gastronomie und Handel erfolgreich praktiziert wird; der unverzüglichen Umset- zung einer manipulationssicheren Kennzeichnung von Schlachtabfällen; der Abschöpfung unlauter entstande- ner Gewinne aus dem Vertrieb solcher unsicheren Lebensmittel – diese Mittel könnten den Geschädigten zukommen bzw. zur Finanzierung einer verstärkten Le- bensmittelkontrolle verwendet werden. Einmal mehr geht es in erster Linie darum, wirtschaft- lichen Interessen gerecht zu werden. Die Interessen der Verbraucher und Verbraucherinnen werden wie so häufig hinten angestellt. Sollte dies jedoch nicht Ihre Absicht sein, Herr Seehofer, dann kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, den Gesetzentwurf noch einmal gründlich zu überarbeiten. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Kontrollsystem für Lebensmittel ist veraltet. Die Ent- wicklung der Lebensmittelüberwachung hat mit der zu- nehmenden räumlichen Trennung der Produktions- schritte und dem internationalen Handel nicht Schritt gehalten. Gammelfleischfunde sind nur die Spitze des Eisberges. Regelmäßig werden 20 Prozent der geprüften Fleischwaren beanstandet. Die sich wiederholenden Funde belegen die unzureichenden Kontrollstrukturen, die nicht in der Lage sind, kritische und riskante Lebens- mittel schnell und flächendeckend zu überprüfen. Ursa- chen für die schlechte Kontrollsituation sind die Weige- rung vieler Bundesländer, effektive Kontrollstrukturen zu schaffen, die kommunale Abhängigkeit der Überwa- chung in vielen Ländern und die Verflechtung mit den Unternehmen. Der mangelnde politische Wille und un- zureichendes Handeln der Verbraucherminister in Bund und Ländern wirkt wie eine Einladung an die Fleischma- fia, sich bundesweit zu etablieren und den verbotenen Handel mit Fleischabfällen noch auszubauen. Vor zwei Jahren kündigte Minister Seehofer 20 Maß- nahmen gegen die Gammelfleischskandale an, um den „Sumpf“ trockenzulegen. Aber seine Strategie lief nach dem Motto: Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Denn zwei Jahre und sechs bekannt gewordene Gammelfleischskandale später zeigt sich: Der Handel mit umetikettierten Schlachtabfällen ist fester Bestand- teil des Fleischmarktes. Hunderte Tonnen verdorbenen, übel riechenden und nicht mehr haltbaren Fleisches schockierten die deutsche Öffentlichkeit. Und beinahe wöchentliche Meldungen zu neuen Funden zeigen, es ist was faul im Fleischmarkt. Das zeigt sich auch beim ak- tuellen Fall in Lohe in Niedersachsen. Ein Betrieb ver- liert die Zulassung, weil er wöchentlich mehrere Tonnen stinkende Schweineköpfe zu Wurst verarbeitete. Länder wie Russland und Polen sind empört, da dieses Ekel- fleisch auch über die Grenzen hinweg in ihre Länder ge- rät. Die Bundesregierung hätte mit der Föderalismusre- form die Chance zu einer überfälligen Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gehabt. Diese Chance wurde vertan. Minister Seehofer hat trotz seiner Kritik an den Bundesländern nicht einmal ver- sucht, Reformen herbeizuführen und Bundeszuständig- keit zu erlangen. Seehofer hätte zumindest eine bessere Koordinierung der Lebensmittelüberwachung zwischen den Ländern durchsetzen müssen. Erst der heute vorliegende Gesetzesvorschlag greift einige Punkte des nach den ersten Gammelfleischskan- dalen im Herbst 2005 schnell verkündeten Zehn-Punkte- Sofortprogramm der Bundesregierung auf. Zu spät, zu wenig und zu zahm. Nach der langen Vorbereitungszeit sind die Einwände der Bundsländer, zum Beispiel zur Zusammenarbeit bei einem Lagebericht, ein Armuts- zeugnis. Zwar schafft Minister Seehofer im novellier- ten Lebensmittel- und Futtermittelgesetz mit der Melde- pflicht der Lebensmittelunternehmer, die Erstellung eines Lagebildes und die Erhöhung der Bußgelder eine etwas härtere Gangart, aber diese Maßnahmen sind völ- lig unzureichend. Einzelne Länder haben bereits jetzt an- gekündigt, dass sie die Erstellung eines Lagebildes nicht mittragen werden. Es zeugt von einem schlechten Hand- werk des Ministers, wenn nach einer solch langen Vor- bereitungszeit weiterhin derart gravierende Einwände gegen den Gesetzentwurf erhoben werden. Das Verbrau- cherinformationsgesetz, VIG, muss umgehend reformiert werden. Es hat so viele Ausnahmen wie ein Schweizer Käse Löcher hat. Beispielsweise können betroffene Un- ternehmen sich auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen, sodass die Öffentlichkeit hier kaum Informa- tionen erhält. Diese Schlupflöcher müssen schnellst- möglich geschlossen werden. Das Gesetz sieht auch Gebühren für Auskünfte für Verbraucherinnen und Ver- brauchern vor. Die Bild-Zeitung titelte vergangene Wo- che: „Das von Minister Seehofer geplante VIG droht zur bitteren Lachnummer zu werden“. Seehofers Antwort: Nur „komplizierte“ Auskunftsersuchen könnten bis zu 500 Euro betragen. Das ist Auskunftsverhinderung statt Informationsfreiheit, denn im Lebensmittelbereich sind ständig mehrere Stationen abzufragen. Der vollmundig verkündete Zehn-Punkte-Plan von November 2005 ist bislang nicht mal ansatzweise umge- setzt. Nicht einmal das Gammelfleisch ist eingefärbt, ob- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15387 (A) (C) (B) (D) wohl schon längst so beschlossen. Der regierenden CDU und SPD in Bund und Ländern fehlt der politische Wille dazu. Das Durchregieren und große Lösungen finden nicht statt und die Öffentlichkeit erfährt nach wie vor nicht, wer in diese Skandale verwickelt war und wo kon- krete Informationen erfragt werden können. Der Etiket- tenschwindel eines Verbraucherinformationsgesetzes gibt den Verbrauchern auch nicht das erforderliche In- strument an die Hand. Aber sie haben ein Recht auf In- formation und Bekanntgabe der Namen der an den Gammelfleischskandalen beteiligten Unternehmen, und zwar ohne Wenn und Aber. Mehr Konsequenz ist nötig und Maßnahmen müssen ergriffen werden, um effektive Gegenstrukturen aufzu- bauen. Wir fordern ein bundesweites und koordiniertes Kontrollprogramm, einen weiteren Ausbau der AVV RÜb, Allgemeine Verwaltungsvorschrift über Grund- sätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrechtlicher, und tabakrechtlicher Vorschriften, mit den Ländern und bes- sere Personalausstattung, eine deutlich bessere Perso- nenausstattung bei den zuständigen Zollbehörden und Ausbau der Importkontrollen, bundesweit einheitliche Qualität der Kontrollmaßnahmen unter Berücksich- tigung der internationalen Warenströme, landesweite mobile Taskforce-Einheiten, Schwerpunktstaatsanwalt- schaften, Veröffentlichungspflichten von Kontrollergeb- nissen auf allen Kontrollebenen ähnlich dem dänischen Smiley-System, Einfärbung von ausgemustertem Fleisch und eine umfassende Reformierung des Verbraucherin- formationsgesetzes. Minister Seehofer versteckt sich gerne hinter den Ländern. Aber da, wo er die Bundeskompetenz hat, muss er sie auch wahrnehmen. Das heißt, das Verbrau- cherinformationsgesetz ist sofort zu reformieren, um Transparenz für jeden Verbraucher und die Medien zu schaffen. Nur so gelingt ein Schlag zur Eindämmung der Kriminalität. Wenn Minister Seehofer noch länger zö- gert, wird er am Ende noch von den einigen fortschrittli- chen Bundesländern überholt. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Feinstaub-Fahrver- bote für Reisebusse sachgerecht und unbüro- kratisch regeln (Tagesordnungspunkt 19) Jens Koeppen (CDU/CSU): Die Senkung der Fein- staubbelastung ist ein ehrenwertes und wichtiges Anlie- gen. Jedoch zeigt die Umsetzung der Kennzeichnungs- verordnung eine gefährliche Mischung aus blindem Aktionismus, Unkenntnis und Bürokratie, die keinem Bürger zugemutet werden darf. Dennoch – diesem Antrag der FDP kann nicht zuge- stimmt werden. Um den bürokratischen Aufwand für Unternehmer und Bürger zu minimieren, gibt es keine Alternative, als bundeseinheitliche Ausnahmeregelun- gen zu schaffen. Dies gilt nicht nur für Busunternehmen. Ich sehe auch keinen Sinn darin, noch einmal eine Verhandlungsrunde mit den Ländern und der Bundes- regierung zu eröffnen. Die Länder haben bei der Entste- hung der Kennzeichnungsverordnung intensiv mitge- wirkt. Dabei ging es ihnen nicht um einheitliche Regelungen, sondern um eigene Regelungskompeten- zen. Was dabei herausgekommen ist, sehen wir jetzt: Ein Flickenteppich und kleinstaatlicher Bürokratiewahn. Genau das war es, wovor meine Kollegen aus der Umwelt- und Verkehrs-AG und ich schon vor zwei Jah- ren gewarnt haben. Schon damals haben wir einen An- trag zu bundeseinheitlichen Ausnahmeregelungen ent- worfen. Leider konnte keine Einigung mit der SPD gefunden werden. In diesem Antrag forderten wir: ers- tens eine generelle Ausnahme benzinbetriebener Fahr- zeuge von feinstaubbezogenen Fahrverboten, zweitens eine generelle Ausnahmeregelung für anerkannte Old- timer, drittens eine Ausnahmeregelung für Anwohner der betroffenen Umweltzonen für eine Dauer von fünf Jahren ab Einrichtung der Umweltzone und viertens eine Ausnahmeregelung für Fahrzeuge ortsansässiger oder auftragsgebundener Klein- und Mittelständischer Unter- nehmen, wenn ihre Fahrzeuge technisch nicht mit ent- sprechendem Filter nachrüstbar sind; und dies ebenfalls für eine Dauer von fünf Jahren ab Einrichtung der Um- weltzone. Erfreulicherweise konnten wir letztlich zumindest die einheitliche Regelung für Benziner und Oldtimer durch- setzen. Dennoch hoffe ich, dass der Umweltminister die Dringlichkeit der Lage insbesondere für die Unterneh- mer erkennt und entsprechend handelt. Zahlreiche betroffene Unternehmen – und dazu zähle ich nicht nur die deutschen Busunternehmen, sondern die Handwerker, Taxen, Transportunternehmen usw. – sind mit einer kompletten Umrüstung ihres Fuhrparks existenziell gefährdet. Zudem leiden sie unter dem ver- meidbaren Bürokratiewahn. Zu denen müssen auch die ausländischen Busse gezählt werden. Klar ist doch, soweit eine Nachrüstbarkeit nicht mög- lich ist, erhalten derzeit alle in allen Kommunen eine Ausnahmegenehmigung. Nun stellt sich für mich die große Frage: Warum muss ein solches Unternehmen je- weils in jeder Kommune einen eigenständigen Antrag stellen? Regionale Kompetenzen mögen in vielen Fällen ihre Berechtigung haben, in diesem Fall ist es völlig irr- witzig und deshalb unnötig! Wen trifft es mal wieder be- sonders hart? Das Rückgrat unserer Gesellschaft – unse- ren Mittelstand. Zudem gebe ich zu bedenken, dass der Autoverkehr nur zu einem sehr geringen Teil am Feinstaubaufkom- men schuld ist. Die Belastung ist in den Wintermonaten am höchsten – vorrangig wegen der Kohlekraftwerke und -heizungen, die dann in Betrieb sind. Darüber hinaus konnten wir kürzlich medienwirksam miterleben, dass die Partikelfiltertechnik nicht notwendig wirksam sein muss. Nach der Kennzeichnungsverordnung reicht der Einbau angeblich wirkender Filter aus. Eine Wirksam- 15388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) keitsprüfung zum Beispiel bei der Abgasuntersuchung wird nicht vorgenommen. Ehrlich gesagt, bezweifle ich nach alledem die Auf- wand-Nutzenrelation für die Umwelt. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages stehe ich täglich vor der Aufgabe, Entscheidungen der Bun- desregierung im Gespräch mit den Menschen zu vertei- digen. Ich will auch in der Lage sein, dies mit gutem Ge- wissen zu tun. Deshalb noch einmal mein Appell, bundeseinheitliche Ausnahmeregelungen zu schaffen. Mit bürokratischen und unsinnigen Gängeleien werden die Bürger verschreckt, und niemand muss sich dann wundern, wenn notwendige und begründete Maßnahmen in Zukunft auf Widerstand stoßen und nicht durchsetzbar sind. Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Nach den Besitzern von Oldtimern und Wohnmobilen, die die FDP alle von Fahrverboten in Umweltzonen ausnehmen wollte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die FDP eine neue Ziel- gruppe entdeckt – diesmal will man der Reisebusbranche unter dem Deckmantel einer unbürokratischen Regelung großzügige und langfristige Ausnahmeregelungen von Fahrverboten in Innenstädten ermöglichen. Eigentlich könnte man diesen Antrag wie auch die Oldtimer- und Wohnmobilanträge gleich zur Seite legen, weil die Lö- sung des Problems ganz nahe liegt: Die Fahrzeuge benö- tigen nur einen Partikelfilter. Weil neue Busse serienmäßig einen Partikelfilter ha- ben und ältere Busse mit funktionierenden Partikelfiltern nachgerüstet werden können, kann man dieses Problem also relativ leicht lösen. Sicherlich, die Umrüstung eines Busses mit einem Partikelfilter ist für den Unternehmer mit einigen Kosten verbunden, allerdings muss man dies auch mit dem Anschaffungspreis und Wert eines Reise- busses in Relation setzen. Außerdem darf man in diesem Zusammenhang auch nicht die Folgekosten für die Ge- sellschaft durch eine hohe Feinstaubbelastung vergessen. Deshalb haben sich auch viele Busunternehmer mit der Feinstaubproblematik befasst und entsprechend rea- giert. Unternehmen wie die BVG hier in Berlin haben früh erkannt, dass Busse ohne Partikelfilter hohe Emis- sionen haben, und entsprechend reagiert. Neue BVG- Busse haben serienmäßig einen Partikelfilter, ältere Fahrzeuge werden konsequent umgerüstet. Und noch eine andere Tatsache macht Ihren Antrag überflüssig. Sie schreiben es doch dort sogar selbst. Es „existieren bereits in einigen Städten Regelungen zur Er- teilung von Ausnahmegenehmigungen“. Ja, genau so war die Novellierung der Kennzeich- nungsverordnung auch geplant. Denn den für die Ertei- lung von Ausnahmen zuständigen Landesbehörden ste- hen nach derzeitiger Rechtslage genügend eigene Entscheidungsspielräume offen, um den Anliegen der Reisebusunternehmen gerecht zu werden, obwohl ich nicht verhehle, dass ich mir aus Umweltschutzgründen wünsche, dass hoffentlich nicht allzu viel davon Ge- brauch gemacht wird. Über mögliche Ausnahmeregelungen sollte unbüro- kratisch vor Ort unter Berücksichtigung der vorhande- nen Immissionsbelastung entschieden werden, zumal die Belastungssituation nicht bundeseinheitlich ist. Es ist so- mit auch nach der Novellierung der Kennzeichnungsver- ordnung kein Problem, dass die Kommunen zum Bei- spiel in touristischen Regionen selbst entscheiden können, weiterhin die Oldtimer, die Wohnmobile, die Reisebusse etc. in ihre jeweiligen Innenstädte fahren zu lassen. Eine generelle bundesweite Ausnahmeregelung für Reisebusse durch eine bundesweite Regelung darf es je- doch nicht geben. Vergessen Sie auch nicht, dass gerade in ländlichen Regionen viele Reisebusse nur am Wochenende regulär im Fernverkehr eingesetzt werden, während sie montags bis freitags im ÖPNV eingesetzt werden. In diesem Zu- sammenhang wäre es unverantwortlich, diese Busse ge- nerell von der Kennzeichnungsverordnung auszuneh- men. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich frage Sie: Warum setzen Sie sich nicht aktiv für die Partikelfil- ter-Nachrüstung ein? Warum beharren sie stattdessen auf dem Status quo und kämpfen nicht gegen die Ursache der Feinstaubbelastung an? Ihnen fehlt es einfach an Problembewusstsein, deshalb fordern Sie die Ausnah- meregelungen. Doch damit machen Sie es sich zu ein- fach. Die SPD-Fraktion wird jedenfalls die Forderung der FDP-Fraktion nicht unterstützen; das angebliche Anlie- gen des Antrages, eine Überbürokratisierung zu verhin- dern, wird nicht erreicht. Wir sind dagegen, dass die Kennzeichnungsverordnung durch immer neue Forde- rungen nach Ausnahmeregelungen immer mehr aufge- weicht wird und deshalb letztendlich wirkungslos blei- ben würde, wenn fast alle Halter von Straßenfahrzeugen eine solche Ausnahmeregelung hätten. Ernst Burgbacher (FDP): 10 Prozent aller Urlaubs- reisen wurden im Jahr 2005 mit dem Bus unternommen, damit liegt der Bus als Reiseverkehrsmittel zwar hinter Pkw und Flugzeug, aber deutlich vor der Bahn. Die Ent- wicklungsprognosen für Busreisen sind laut Forschungs- gemeinschaft Urlaub und Reisen positiv, der Trend zu mehr Kurzurlauben und Städtereisen bietet der Bus- touristik hier gute Chancen. Im Jahr 2006 wurden bei 6,03 Millionen Busurlauben rund 6,1 Milliarden Euro ausgegeben. Die Bustouristik in Deutschland sichert in rund 6 000 Betrieben etwa 65 000 Arbeitsplätze. Busreisen sind ein wichtiges Segment im Tourismus, doch der Verkehrsträger Bus wird gegenüber anderen Verkehrsträgern benachteiligt. Deshalb setzt sich die FDP dafür ein, die nach wie vor bestehenden Wettbe- werbsverzerrungen zulasten der Reisebusse als umwelt- freundliche und sichere Verkehrsmittel abzubauen, um geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Busbranche ihr Potenzial auch ausschöpfen kann. Die Reisebusbranche hatte sich vom Regierungs- wechsel ein Ende der ideologischen Benachteiligungen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15389 (A) (C) (B) (D) gegenüber anderen Verkehrsträgern erhofft. Umso ent- täuschter ist dieser leistungsstarke, mittelständische Wirtschaftsbereich nach über zwei Jahren Schwarz-Rot: Denn die Benachteiligungen für die Reisebusse als kli- mafreundliche und sichere Verkehrsmittel wurden trotz aller Sonntagsreden nicht abgebaut. Der Reisebus ist zur Beförderung von Personen aus ökologischer Sicht un- schlagbar. So steht es auch im aktuellen Tourismuspoliti- schem Bericht der Bundesregierung, wo es heißt: Der Bus gilt als besonders umweltfreundlich, da er bei hoher Auslastung im Verhältnis zu anderen Ver- kehrsmitteln einen geringen Energieverbrauch pro Fahrgast aufweist. Diesen Fakten muss die schwarz-rote Bundesregierung endlich Taten folgen lassen. Dazu müssen im Bereich des Steuer- und Abgabenrechts endlich faire Wettbewerbsbe- dingungen zwischen allen öffentlichen Verkehrsanbietern geschaffen werden. Schließlich müssen die mit der Öko- steuer für den Reisebus entstandenen Benachteiligungen bei der Mineralöl- und Stromsteuer gegenüber dem Schie- nen- und Flugverkehr beseitigt werden. Im Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie- rung, über den wir morgen an dieser Stelle ausführlich debattieren werden, heißt es mit Blick auf die Unterneh- men der Busbranche: „Die Bundesregierung unterstützt die Unternehmen u. a. durch den Abbau von bürokra- tischen Hemmnissen.“ Dies lässt sich leider nicht erken- nen, im Gegenteil. Mit der Kennzeichnungsverordnung für emissionsarme Fahrzeuge, die auch Reisebusse in besonderem Maße betrifft, wird neue Bürokratie ge- schaffen und die Branche zusätzlich belastet. Die Sorgen der Busbranche angesichts der Umsetzung der EU-Fein- staubrichtlinie und deren Forderung nach Befreiung der Busse von der Kennzeichnungspflicht sind der Bundes- regierung bekannt. Es ist auch nicht einzusehen, dass Reisebusse eine Feinstaubplakette benötigen, der gleiche Bus im ÖPNV aber ohne Plakette in die Innenstädte fah- ren kann. Hier muss die Bundesregierung handeln und darauf hinwirken, dass Busse von der Plakettenpflicht insgesamt ausgenommen werden. Doch im Tourismus- politischen Bericht heißt es diesbezüglich nur schwam- mig: Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung setzt sich gegenüber den für die Umsetzung zustän- digen Ländern für Maßnahmen (zum Beispiel Ausnahmegenehmigungen) zu Gunsten eines aus- geglichenen Verhältnisses von Umweltschutz und Wirtschaftsinteressen ein. Ziel unserer parlamentarischen Initiative ist es, den Reisebus als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel von den feinstaubbedingten Fahrverboten in Innenstädten aus- zunehmen. Die in einigen deutschen Städten bestehenden Ausnahmegenehmigungen sind äußerst bürokratisch und kaum praktikabel. Deshalb ist im Rahmen der Verordnung der Kennzeichnung für Kraftfahrzeuge mit geringem Bei- trag zur Schadstoffbelastung – 35. BimSchV – zunächst eine auf fünf Jahre befristete Ausnahmeregelung für Rei- sebusse vorzusehen. Sollte keine sachgerechte, unbüro- kratische und praktikable Regelung gefunden werden, sind Reisebusse generell und bundesweit von feinstaub- bedingten Fahrverboten in Innenstädten auszunehmen. Der Einsatz von Bussen, insbesondere auch im Fern- verkehr, ist schon heute durch die Nutzung konventio- neller Treibstoffe und konventioneller Technik sehr umweltfreundlich; IFEU-Studie: Potenziale 2010. Nur 2,45 Prozent aller verkehrsbedingten Emissionen sind auf Reise- und Linienbusse zurückzuführen. Dabei ver- ursachen Reisebusse nur einen kleinen Anteil dieser Emissionen. Im Vergleich zu konkurrierenden Verkehrs- mitteln weisen selbst Reisebusse älterer Bauart niedrige CO2-Emissionen und einen geringen Energieverbrauch aus. Der Verbrauch bzw. die Emissionen je Person und Kilometer liegen deutlich unter dem von Bahn, Pkw – Otto- und Dieselmotor – und des Flugzeugs. Der Rei- sebus hat je Person und Kilometer zudem sehr niedrige Partikelemissionen; IFEU-lnstitut 2004 und Berechnun- gen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, VDV. Daher kann der Einsatz von Bussen sowohl einen zentralen Beitrag zur Verminderung von klimaschädli- chen Emissionen als auch zur Reduzierung der Fein- staubbelastung leisten. Umgekehrt führen zusätzliche Hindernisse für den Einsatz von Bussen zu einer Verla- gerung auf andere Verkehrsträger und damit zu einer Er- höhung der Emissionen. Der eingeschränkte Zugang für zahlreiche Busse zu zahlreichen Innenstädten infolge der Einführung von Fahrverboten in den sogenannten Um- weltzonen ist vor diesem Hintergrund ausgesprochen kontraproduktiv. Insbesondere der Bustourismus wird durch diese Einschränkung nachhaltig erschwert. In der Folge ist mit einem Anstieg des Individualverkehrs, aber auch des Flugtourismus zu rechnen und mit einem ent- sprechend höheren CO2- und Feinstaubaufkommen je Reisenden. Meine sehr geehrten Damen und Herren von Union und SPD, schließen Sie sich dem Antrag der FDP an und zeigen Sie, dass es sich bei der viel zitierten Unterstüt- zung für die deutsche Busbranche nicht um reine Lip- penbekenntnisse handelt. Lutz Heilmann (DIE LINKE): „Alle Jahre wieder, kommt“ – nein, nicht das Christkind, sondern ein Antrag der FDP zu Umweltzonen. Nachdem Sie erst die Klien- tel der Oldtimerfahrer mit einem Antrag beglückt haben, machen Sie sich nun bei den Busunternehmen beliebt. Wenn Sie aber eine Fahrzeuggruppe nach der anderen komplett von Fahrverboten in Umweltzonen ausnehmen wollen, dann bedeutet das im Endeffekt eine Aushöh- lung der Umweltzonen. Irgendwann bliebe dann nie- mand mehr übrig, der nicht mehr fahren dürfte. Vermut- lich wollen Sie genau das erreichen. Ich frage mich, welche Gruppe Sie als nächstes von Fahrverboten aus- nehmen wollen. Bei den Oldtimern haben Sie ja leider noch einen „Dummen“ gefunden, der Ihr Anliegen im Bundesrat eingebracht hat. Die Hessische Landesregie- rung wurde zum Glück abgewählt – weil Die Linke in den Hessischen Landtag eingezogen ist. Das sage ich hier auch an die Adresse der SPD und der Grünen, die im Wahlkampf ständig das Gegenteil behauptet haben. 15390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Sagen Sie doch bitte einmal offen und ehrlich, dass Sie sich freuen, dass Die Linke in Hessen im Landtag sitzt – und Herr Koch nicht mehr Ministerpräsident wird! Herr Koch kann der FDP also nun nicht mehr helfen. Ich hoffe, dass sich auch kein anderer findet. Und ich hoffe, dass Koalition und Bundesregierung diesmal „hart blei- ben“ – der generellen Befreiung für Oldtimer hat die Bundesregierung ja letztlich zugestimmt. Warum hoffe ich das? Weil Ihre Forderungen letztlich auf die Abschaffung der Umweltzonen hinauslaufen. Alle Reisebusse, egal ob Sie eine Plakette bekommen, und egal, welche das ist, sollen für fünf Jahre komplett von Fahrverboten in Umweltzonen ausgenommen wer- den. Wobei aus den fünf Jahren auch eine dauerhafte Ausnahmegenehmigung werden kann. Statt differenzier- ter Regelungen also „freie Fahrt für freie Busse“. Natür- lich ist es für Unternehmen schmerzlich, wenn die eige- nen Busse nicht mehr überall fahren dürfen. Das gilt aber für alle Betroffenen, nicht nur für Reisebusse. Und natürlich ist der Beitrag jedes einzelnen Fahrzeugs ver- nachlässigbar. Jede und jeder könnte eigentlich sagen, ob ich nun fahre oder nicht, dass ändert ja nichts. Das stimmt ja fast auch. Aber wenn es alle machen, dann macht es eben doch einen Unterschied. Und alte Reise- busse sind keine zu vernachlässigende Größe. Ein alter Bus stößt etwa so viel Feinstaub aus wie hundert Pkw. Neben Feinstaub gelten ab 2010 auch für Stickoxide strenge Grenzwerte. Und der Verkehr hat einen großen Anteil an der Feinstaub- und Stickoxidbelastung. Nicht überall, aber in den Innenstädten. Nur da gibt es ja aus gutem Grund Umweltzonen. In der Berliner Innenstadt werden 80 Prozent der Stickoxidbelastung vom Verkehr erzeugt. Beim Fein- staub sind es 40 Prozent – die Hälfte davon, also 20 Pro- zent der Gesamtbelastung, von Dieselfahrzeugen. 40 Prozent davon lassen sich durch die Umweltzone ver- meiden. Aber nur dann, wenn sie auch wirkt. Sie von der FDP tun alles dafür, dass zehntausende Anwohnerinnen und Anwohner weiter erheblich mit Feinstaub und Stick- oxiden belastet werden. Wollen Sie den frühzeitigen Tod von tausenden Menschen in Kauf nehmen? Sie sagen nur, was Sie nicht wollen. Sie sagen aber nicht, wie Sie den Gesundheitsschutz voranbringen wollen! In Ihrem Antrag unterstellen Sie den Kommunen praktisch Will- kür. Wie ich schon in einer Rede zum Oldtimer-Antrag gesagt habe: Die Kommunen, die Umweltzonen einge- richtet haben oder einrichten, gehen verantwortungsvoll mit den Betroffenen um. Dass bedeutet natürlich nicht, das alle zufrieden sind. Hier geht es um eine Abwägung – und die muss eben auch den Gesundheitsschutz der Be- wohnerinnen und Bewohner der Städte im Auge haben. Dass vermisse ich bei der FDP. Berlin zum Beispiel hatte eine einfache und pragmati- sche Lösung für Oldtimer vorgesehen. Und auch für die Reisebusse gibt es eine Lösung. Wenn die Existenz eines Unternehmens gefährdet ist, dann gibt es Ausnahmege- nehmigungen für bis zu 18 Monate. Das greift auch dann, wenn es keine Nachrüstmöglichkeit gibt. Und be- vor die zweite Stufe in Kraft tritt, wird sehr genau ge- schaut, ob es Nachrüstmöglichkeiten für alle Fahrzeuge gibt. Die Nachrüstung ist ja zurzeit das große Sorgen- kind. Der Skandal um die 40 000 eingebauten wirkungs- losen Filter hat die Nachrüstung fast zum Erliegen gebracht. Der Sache hat der Umweltminister einen Bä- rendienst erwiesen, das steht fest. Die entscheidende Frage ist, ob die ersten Untersuchungsergebnisse vom Oktober 2006 gezeigt haben, dass es Schrottfilter gibt. Ich kann nicht glauben, dass die Ergebnisse völlig un- brauchbar waren, wie Herr Machnig behauptet – der Prä- sident des UBA glaubt das auch nicht, und der müsste es eigentlich wissen. Wenn es Hinweise auf die Unwirk- samkeit einiger Filter gab – worauf vieles hindeutet – dann hätte das Umweltministerium – statt einen Klein- krieg mit dem UBA auszutragen – das Kraftfahrtbundes- amt umgehend im Oktober 2006 informieren müssen; nicht erst im August 2007. Wenn das Umweltministe- rium für den Einbau Zehntausender fehlerhafter Filter verantwortlich ist – dann müssen personelle Konsequen- zen folgen. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Liberalen erweisen sich erneut als Partei der Partiku- larinteressen. Der hier zu diskutierende Antrag zeigt, dass sie mitnichten unsere obersten Gesundheitsschützer sind. Es scheint eher, als stünden sie im Grundsatz mit der Umweltzone auf Kriegsfuß. Im letzten Jahr wollten sie schon die Oldtimer von den Fahrbeschränkungen ausgenommen wissen, nun sind die Reisebusse dran. Die FDP: die Partei der Ausnahmengenehmigungen! Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Es ist mit Blick auf eine vorsorgende Luftreinhaltung und die gravierenden Gesundheitsfolgen bei hoher Feinstaubbe- lastung nicht gerechtfertigt, dass alten Dieselbussen er- laubt sein solle, in die Umweltzone einzufahren. Ein Zi- tat aus der Broschüre der Senatsverwaltung von Berlin „Bessere Luft für Berlin“ (November 2007) sagt im Grundsatz alles Wichtige aus: „Jede Ausnahmegenehmi- gung für Fahrzeuge mit hohen Emissionen reduziert die Wirkung der Umweltzone!“ Berlin hat in nachahmens- werter Weise Vorgaben für Ausnahmegenehmigungen gemacht, diese sollen nur nach eingehender Prüfung des Vorliegens eines Härtefalls erteilt werden und in der Re- gel befristet (längstens 18 Monate) werden. Die Einrichtung von Umweltzonen ist das zentrale Instrument der Kommunen, die Grenzwertüberschrei- tungen beim Feinstaub in den Griff zu bekommen. Symbolische Politik ist es aus unserer Sicht jedoch, Um- weltzonen mit Fahrbeschränkungen anzukündigen und einzurichten und zugleich so viele Ausnahmetatbestände zu schaffen, dass die Idee der Umweltzone wieder ad ab- surdum geführt wird. Wir haben uns mit Blick auf die Oldtimer für pragma- tische Regelungen und begrenzte Sondergenehmigungen etwa bei Oldtimerveranstaltungen in Städten ausgespro- chen. Die über den Bundesrat erfolgte generelle Aus- nahme der Oldtimer-H-Kennzeichen halten wir für falsch. Wir haben schon damals davor gewarnt, dass dies schließlich auch andere Betroffeneninteressen für wei- tere Ausnahmetatbestände auf den Plan ruft. Die Reise- busse sind jetzt die nächste Betroffenengruppe. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15391 (A) (C) (B) (D) Der Bundesverband Deutscher Omnibusunterneh- men (bdo) spricht von verheerenden Folgen für die Tou- rismuswirtschaft, wenn die älteren Reisebusse nicht mehr in die Innenstadt fahren dürfen. Der bdo appelliert in einem Schreiben an Bundestagsabgeordnete sogar mit der Forderung: „Eine Ausnahmeregelung des Busses von der Kennzeichnungsverordnung ist verpflichtend.“ Für Vertreter von – in allererster Linie – Gemeinwohl- interessen ist das inakzeptabel. Verpflichtend ist der Schutz der Gesundheit der Bürger, im Übrigen auch der Touristen! Seit Anfang des Jahres die ersten Umweltzonen ge- startet sind und weitere Kommunen im Frühjahr dieses Jahres folgen, wird über die Umweltzonen geklagt. Von unzumutbaren Belastungen für Anwohner oder Touris- ten und Busunternehmen ist die Rede. Auch die FDP macht sich nicht wirklich die Mühe, über das Ziel der Fahrbeschränkungen nachzudenken: Es geht darum, die Feinstaubbelastung einzudämmen. Längst ist unbestritten, dass Feinstaub die Gesundheit der Menschen belastet. 65 000 Menschen sterben laut EU-Kommission jedes Jahr allein in Deutschland vorzei- tig an den Folgen der Feinstaubbelastung. Seit Jahren wird die Luftqualität mit Erfolg durch die EU-weit gültigen Abgasnormen für Fahrzeuge verbes- sert. Sie werden regelmäßig angeschärft und so dem Stand der Technik angepasst – zum Wohle der Bevölke- rung und so auch der Busfahrer und Touristen. In den Umweltzonen werden Verkehrsbeschränkungen zuerst für alte Busse mit sehr alten niedrigen Schadstoffgrup- pen (Euro 0 oder 1) verordnet. Nicht aus Willkür, son- dern weil sie im Vergleich zu neueren Modellen eine große Menge gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe ausstoßen. Es sollte klar sein, dass hochemittierende Fahrzeuge in verkehrsreichen Innenstädten alle mit Schadstoffen belasten und dafür keine Belohnung erwarten können. Die Einrichtung von Umweltzonen ist daher ein zentra- ler Anreiz für eine beschleunigte und flächendeckende Modernisierung der Fahrzeugflotte vor allem für Ge- sundheitsschutz und Luftreinhaltung. Das gilt auch für die Busflotte. Die Argumentation, der Busverkehr trage nur marginal zur Feinstaubbelastung bei, ist irreführend. Denn alle Emittentengruppen müssen ihren Beitrag zur Feinstaubreduktion leisten, egal wie groß ihr Beitrag ist. Dass es keine Nachrüstmöglichkeiten für Busse gibt, ist nicht richtig, schließlich fahren etwa in Berlin, schon be- vor die Umweltzone kam, alle ÖPNV-Busse mit Filter. Wenn es Modelle gibt, die derzeit wirklich nicht nach- rüstbar sind, dann kann man denen möglicherweise eine Übergangszeit einräumen. Es kann davon ausgegangen werden, dass es auch für Busse Partikelminderungssys- teme geben wird, auch für leichte Nutzfahrzeuge und Lkw sind Filter auf dem Weg. Die Nachfrage hierfür muss aber auch da sein. Auch Busunternehmen müssen sich am Stand der Technik und an strengeren Abgasnor- men orientieren, ihre Einkaufspolitik sollte sich auf um- weltfreundliche und abgasarme Fahrzeuge richten. In der aktuellen Debatte ist es wichtig, Aufklärung über die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub zu betrei- ben, statt Ausnahmegenehmigungen zu fordern und Vor- urteile gegen umweltpolitische Maßnahmen zu reprodu- zieren. Das sollte auch der FDP inzwischen klar sein. Derzeit liest man die Ankündigung, dass London im Fe- bruar 2008 eine Niedrigemissionszone (NEZ) einführt, sie gilt zunächst für schwere Lkw und wird dann ab Juli ausgeweitet. Auch Busse sind betroffen. Kaum jemand kann sich vorstellen, das London damit seine touristi- sche Attraktivität verliert. Das gilt auch für Berlin und andere Metropolen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf von Kre- diten an Finanzinvestoren stoppen – Verbrau- cherrechte stärken (Tagesordnungspunkt 20) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Die Verbraucher- rechte bei dem Verkauf von Kreditforderungen zu stär- ken, ist mit Sicherheit ein guter Vorsatz, der vermutlich von uns allen – fraktionsübergreifend – unterstützt wird. Es stellt sich allerdings die Frage, auf welche Weise die- ses Ziel erreicht werden kann und ob die jetzt vorge- schlagenen Maßnahmen letztendlich wirklich geeignet sind, die Position der Verbraucher zu verbessern. Ich habe da so meine Zweifel. Auch wenn in Ihrem Antrag manches in die richtige Richtung weist, verkennen Sie meiner Meinung nach die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kreditverkäufen und Verbriefungen. Durch Kreditverkäufe und die damit verbundenen Refinanzierungsmöglichkeiten werden bei den Banken finanzielle Spielräume frei und Kreditrisi- ken können weiter gestreut und ausgelagert werden. Mit- telbar kommen die Kreditverkäufe also auch den Ver- brauchern zugute. Sie profitieren von einer besseren Kreditversorgung und günstigeren Konditionen. Bei neuen gesetzlichen Regelungen muss also immer be- dacht werden: Alles, was den Verkauf von Kreditforde- rungen erschwert, schadet langfristig auch den Kredit- nehmern. Lassen sie mich nun auf einzelne Punkte des Antrags eingehen: Zunächst fordern Sie bei Neuverträgen eine individu- elle Zustimmung der Darlehensnehmer zu einem Kredit- verkauf. Im Grundsatz begrüße ich es, dem Kunden die Möglichkeit zu bieten, einen Verkauf seines Kredits aus- zuschließen. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung würde faktisch allerdings einem generellen Abtretungs- verbot gleichkommen und die Vertragsfreiheit ein- schränken. Aus unserer Sicht ist es an dieser Stelle sinn- voller, die Transparenz für die Kreditkunden zu erhöhen. Das heißt konkret: Die Banken sollen verpflichtet wer- den, Ihre Kunden bereits bei Vertragsabschluss aus- drücklich darüber zu informieren, dass der Kredit ver- kauft werden kann. So erhält der Kunde die Möglichkeit, einen Vertrag auszuhandeln, bei dem ein Verkauf der Forderung ausgeschlossen ist. Die öffentliche Diskus- sion hat bereits jetzt dazu geführt, dass mehrere Banken 15392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) auf freiwilliger Basis den Kreditnehmern zukünftig zwei Immobilienkreditarten anbieten wollen: einen Kredit, der verkauft werden kann, und einen, der nicht verkauft werden kann. Des Weiteren möchten Sie die Kunden auch bei beste- henden Verträgen besser schützen. Einige der vorge- schlagenen Maßnahmen gehen meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Sie sind aber in der jetzt vorgeleg- ten Version allesamt zu weitgehend. Als Unionsfraktion verfolgen wir das Ziel, den Kün- digungsschutz bei Immobilienkrediten zu verbessern. Eine vollkommene Angleichung der Kündigungsschutz- regeln an die von Konsumentenkrediten ist allerdings nicht sachdienlich. Eine Neuregelung muss berücksichti- gen, dass bei Immobiliardarlehen typischerweise lange Laufzeiten und niedrige Anfangstilgungen kombiniert werden. Deshalb wird es in der Regel verhältnismäßig lange dauern, bis die Vorraussetzungen für eine Kündi- gung vorliegen. Die vorgeschlagene Neuregelung würde deshalb Missbrauchsmöglichkeiten einräumen. Die Kre- ditnehmer könnten bei fallenden Kreditzinsen die Bedie- nung der Darlehen einstellen, um sich nach einer Kündi- gung anderweitig günstiger zu finanzieren. Für uns wäre es deshalb allenfalls denkbar, die Kündigung eines Im- mobiliardarlehens erst dann zu erlauben, wenn für länger als einen Monat ein Rückstand von ein viertel der Jah- resleistung aufgelaufen ist. Die Forderung, den Darlehensgeber vor Ablauf der Zinsbindung zu informieren, halten wir für sehr wichtig. Sie entspricht unserer Vorstellung von mehr Transparenz und verbesserter aktiver Information des Kunden. Einen Anspruch auf eine Anschlussfinanzierung und auf die Höhe der Zinsen ist mit unserem Verständnis von Markt- wirtschaft allerdings nicht vereinbar und im Sinne des Verbraucherschutzes auch nicht notwendig. Durch die frühe Information erhält der Kreditkunde die Möglich- keit, sich rechtzeitig auch bei anderen Kreditinstituten um eine Anschlussfinanzierung zu bemühen. Abschließend möchte ich mich vehement gegen Punkt 6 des Antrags aussprechen: das Sonderkündi- gungsrecht unter Verzicht auf die Vorfälligkeitsentschä- digung. Die Vorfälligkeitsentschädigung ist eine wich- tige Voraussetzung für die in Deutschland üblichen Langzeitkredite und Pfandbriefe. Wir sollten unser her- gebrachtes System der Festzinskredite – für das wir ge- rade auf europäischer Ebene noch gekämpft haben – nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Ein Blick auf die Ver- einigten Staaten zeigt, dass sich unser System der lang- fristigen Kreditfinanzierung bewährt hat: Einer der Gründe für die Subprime-Krise in den USA ist die Tatsa- che, dass Immobilien dort nur mit kurzfristiger Zinsbin- dung finanziert werden. In diesem Zusammenhang finde ich es besonders er- staunlich, Kolleginnen und Kollegen von Die Linke, dass Sie unter Punkt 17 Ihres Antrags die Bundesregie- rung dazu auffordern, „mit dem Ziel einer Stärkung des bewährten deutschen Pfandbrief-Systems die auf euro- päischer Ebene im Gang befindliche Harmonisierung der Grundpfandrechte mit höchstem Engagement zu intensi- vieren und zu beschleunigen.“ Diese Bemühungen der Bundesregierung würden durch ein Sonderkündigungs- recht unter Verzicht auf die Vorfälligkeitsentschädigung ja geradezu konterkariert. Wie soll die Reaktion der Kommission in Brüssel ausfallen, wenn wir einerseits auf europäischer Ebene den Erhalt des Pfandbriefs ver- langen und gleichzeitig im eigenen Land den Festzins gefährden? Als Fazit bleibt festzuhalten: Nicht überall, wo Ver- braucherschutz draufsteht, ist auch Verbraucherschutz drin! Der Antrag der Fraktion Die Linke verfolgt zwar ein hehres Ziel, er schießt aber weit über dieses Ziel hi- naus und gefährdet die Finanzstabilität in Deutschland. Ein dermaßen falsch verstandener Verbraucherschutz führt nur zu Preistreiberei! Für die Union gilt stattdessen: Wir wollen den Schutz der Kreditnehmer stärken, ohne dabei aber den volks- wirtschaftlich sinnvollen Verbriefungsmarkt zu gefähr- den. Dabei sind folgende Punkte für uns entscheidend: Erstens Transparenz bei Abschluss des Kreditvertrages, zweitens Benachrichtigung bei Verkauf des Vertrages, drittens Information vor Auslaufen der Zinsbindung und viertens verbesserter Kündigungsschutz des Kreditneh- mers. Bei der Anhörung im Finanzausschuss hat sich schließlich ein fünfter zentraler Punkt herauskristalli- siert: die unberechtigte Vollstreckung aus der Grund- schuld. Hierzu wird Herr Kollege Kolbe unsere Vorstel- lungen erläutern. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Erstens. Die Union nimmt alle Probleme mit Kreditverkäufen sehr ernst. Ohne jeden Zweifel: Bankkunden dürfen nicht willkür- lichen Forderungseintreibern ausgesetzt werden. Es ist daher ganz genau zu prüfen, ob und an welcher Stelle möglicher Handlungsbedarf besteht. Der Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes enthält einen Prüfauftrag zur Verbesserung der Transparenz bei Verkäufen von Kreditforderungen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Praxis, dass Forderungen aus Verträ- gen über Immobilien- und sonstige Kredite an in- oder ausländische Stellen – auch an solche außerhalb der EU und des EWR – verkauft werden, wird derzeit geprüft, ob und inwiefern gesetzliche Maßnahmen zur Regelung des Verkaufs angezeigt sind. Insbesondere ist zu erör- tern, wie die Transparenz für die Kreditnehmer zu ver- bessern ist. Für die Union könnte eine Selbstverpflichtung der Banken mehr als ein symbolisches Ziel sein, um mehr Fairness der Banken gegenüber den privaten Kreditneh- mern zu erzielen. Gesetzliche Maßnahmen zur Siche- rung der Rechte der Kreditnehmer sind aber wohl unver- meidlich. Ohne Zweifel bedarf es auf jeden Fall verbesserter Hinweispflichten für die Kreditnehmer, wenn ein Kredit verkauft wird und bevor ein solcher aus- läuft. Ob ein Sonderkündigungsrecht bei Verkauf des Kre- dits durch die Bank an Dritte – wie von Teilen der SPD Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15393 (A) (C) (B) (D) angedacht – für den Kreditnehmer Sinn macht, ist mehr als zweifelhaft. Denn zum einen würde die in dem Kre- ditzins eingepreiste Vorfälligkeitsentschädigung dann möglicherweise entfallen. Zum anderen könnte dies den Verkauf von Krediten zur Portfoliobereinigung und Frei- setzung von Eigenkapital bei den Banken verzögern bzw. unmöglich machen. Ein Sonderkündigungsrecht ohne Vorfälligkeitsentschädigung könnte sich zu einer Gefahr des deutschen Langfristkredits entwickeln. Mit den Rechtspolitikern sind darüber hinaus Ände- rungen im Hypotheken- und Grundschuldrecht zu bera- ten, um theoretisch möglichen Problemfällen bei einer Zwangsvollstreckung aus abgetretenen Grundpfandrech- ten durch Dritte begegnen zu können. Folgende Punkte sind für die Union von wesentlicher Bedeutung: Erstens. Eine ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung etwa durch den Übergang der Grundschuld auf gutgläu- bige Dritte ist zu unterbinden. Wir schlagen daher vor, dem Grundstückseigentümer und Darlehensnehmer auch gegenüber dem neuen Forderungsinhaber (Zessionar) sämtliche Einwendungen aus dem Darlehensvertrag und der Sicherungsabrede zu geben. Die bestehende Unsi- cherheit können wir damit vermeiden. Zweitens. Wenn ein Kreditinstitut einen Kredit ver- kauft und nicht Ansprechpartner bleibt, muss es diesen Verkauf unverzüglich dem Kreditnehmer mitteilen. Drittens. Wir begrüßen es, dass mehrere Banken auf freiwilliger Basis den Kreditnehmern zukünftig zwei Im- mobilienkreditarten anbieten wollen: einen Kredit, der verkauft werden kann, und einen, der nicht verkauft wer- den kann. Hier hat die öffentliche Diskussion zu ver- nünftigen Reaktionen der Banken geführt. Wir erwarten in den nächsten Wochen weitere Selbstverpflichtungen der Institute. Dann kann der Verbraucher zwischen Insti- tuten, die ihm ein solches Angebot machen, und solchen, die sich dem verweigern, wählen. Viertens. Wir wollen rechtlich klarstellen, dass ein Kreditverhältnis nicht allein dann gekündigt werden kann, wenn die Bank das Vertrauensverhältnis zum Kun- den verloren hat. Vielmehr darf derjenige, der seinen Kredit ordnungsgemäß bedient, nicht rechtlos gestellt werden. Hier arbeiten wir an Regelungen, die auch die Vorgaben von Basel II angemessen berücksichtigen. In der Gesamtbetrachtung ist entscheidend: Die Union will das Recht der Kreditnehmer auf Information stärken, aber ohne dabei den volkswirtschaftlich sinn- vollen Verbriefungsmarkt zu gefährden. Wir sind davon überzeugt, dass dies möglich ist, und erwarten von der Kreditwirtschaft, dass sie sich an der Lösungsfindung konstruktiv beteiligt. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die Probleme mit Verkäufen von Krediten sind aktueller denn je. Die SPD- Fraktion hat dieses Problem bereits seit einiger Zeit er- kannt und diskutiert und prüft, wie Sie ja sehr gut wis- sen, gesetzliche Maßnahmen, um einen verbesserten und effizienten Verbraucherschutz beim Kredithandel zu er- möglichen. Worum geht es? In erster Linie bezieht sich die der- zeitige Diskussion auf den Verkauf von notleidenden Krediten; in den infrage stehenden Fällen werden diese von Bankinstituten an auf größtmögliche und schnelle Rendite orientierte Finanzinvestoren verkauft. Man schätzt hierbei, dass das gehandelte Volumen circa 10 bis 12 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht, bei einer Gesamtsumme von existierenden notleidenden Krediten in Höhe von 160 bis 300 Milliarden Euro. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auch auf den Verkauf von „ordnungsgemäß bedienten Krediten“, also gesunden Krediten, eingehen. In der letzten Zeit wurde insbesondere durch Medien der Eindruck erweckt, dass auch beim Verkauf von gesunden Krediten der einzelne Kreditnehmer kurz vor der Zwangsvollstreckung stünde. Diese Berichterstattungen haben zu einer großen Ver- unsicherung in der Bevölkerung geführt. Richtig ist zwar, dass unter bestimmten Umständen eine solche Maßnahme drohen kann, Gott sei Dank ist sie nur unter besonderen Umständen möglich. Die gesetzliche Lücke, die dies bisher ermöglichte, werden wir daher schließen. Das weit aus größere Problem stellen die sogenannten notleidenden Kredite dar. Ein Kredit ist dann notleidend, wenn er durch das Kreditinstitut bereits gekündigt bzw. jederzeit außerordentlich kündbar ist. Momentan ist es dabei noch so, dass die Banken in ihren AGBs regeln, ab welchem Zeitpunkt der Kredit des in Verzug geratenen Kreditnehmers fällig gestellt werden kann. Meistens ist dies bei zwei oder drei hintereinander ausfallenden Kre- ditraten der Fall. Es ist leider zu beobachten, dass viele Banken sich des Risikos entledigen und diese Kredite an einen Finanz- investor veräußern. Dass dieser dann nichts Gutes im Schilde führt, ist jedem von uns sicherlich klar. Finanz- investoren haben in erster Linie ein Interesse daran, schnelle und effiziente Renditen zu erzielen, und betrei- ben daher häufig unmittelbar die Zwangsvollstreckung, um die Immobilie dann veräußern zu können. An einer Zusammenarbeit mit dem Schuldner, um Lösungen und Wege zu finden, diesen aus der Schuldenfalle zu holen, haben derartige Institute daher kein Interesse. Im Gegen- teil: Da sie häufig keine Vollbanken sind, können sie eventuelle Anschlussfinanzierungen auch gar nicht be- willigen. Für den Haus- oder Wohnungseigentümer, der sich lange und häufig unter großer Eigenleistung den Traum seines Eigenheimes realisiert hat, bedeutet diese Praxis dann den Verlust seines Eigentums, ohne auch nur die geringste Chance auf Lösung seines Problems zu er- halten. Eine solche Entwicklung können wir nicht länger akzeptieren und werden sie deshalb stoppen. In diesem Zusammenhang möchte ich die arrogante Argumentation einiger Bankinstitute zitieren, die belegt, welche Beweggründe sie treiben, vor allem notleidende Kredite zu veräußern. So heißt es in der Info-Broschüre „Deutsche Bank Research“ vom 5. April letzten Jahres auf den Seiten 7 und 8: 15394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Während Banken im Allgemeinen und vorwiegend regional tätige Institute im Besonderen Rücksicht auf ihren Ruf nehmen und deshalb bei der Abwick- lung von Krediten behutsamer vorgehen, können Abwicklungsgesellschaften ihre bzw. die Interessen ihrer Auftraggeber bei den Verhandlungen und – im Falle des Scheiterns – bei der Zwangsvollstreckung offener durchzusetzen versuchen. Eine Kommentierung dieser doch ganz klaren Aus- sage erspare ich mir. Sie unterstreicht aber die dringende Notwendigkeit, gesetzgeberisch einzugreifen und den Kreditnehmer im Falle des Verkaufs der Forderung er- heblich besser zu schützen. Deshalb sind für uns Sozial- demokraten Verbraucherinteressen von besonderer Be- deutung. Ein Häuslebauer entscheidet sich bei der Finanzie- rung einer Immobilie ganz bewusst für eine bestimmte Bank, der er vertraut, bei der er sich gut beraten und auf- gehoben fühlt und bei der er die Option auf Anschluss- finanzierung eines Kredites erhält. Wird nun sein Kredit verkauft, ist diese Option meist nicht mehr gegeben, da der Aufkäufer keine Vollbank ist und keine Kredite ver- geben darf. Zudem erfährt der Kreditnehmer vom Ver- kauf meist gar nichts und ist daher zu Recht völlig ent- setzt, wenn eines Tages der „böse Onkel aus Amerika“ vor der Tür steht und nach seinem Grundstück lechzt. Auch werden beim Verkauf von Krediten häufig daten- schutzrechtliche Bestimmungen verletzt. Sie sehen also, es ist für einen Finanzinvestor relativ einfach, an ein Grundstück eines in Schwierigkeiten ge- kommenen Schuldners zu kommen zumal sich fast jeder Kreditnehmer den Banken doppelt – in Form der Bestel- lung einer Grundschuld sowie eines abstrakten Schuld- anerkenntnisses – unterwirft und zudem fast immer eine Vollstreckbarkeitserklärung beim Notar unterzeichnet, die die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück ohne aufwendiges und lang andauerndes gerichtliches Verfah- ren möglich macht. Zwar hat jeder Schuldner Möglich- keiten, sich gerichtlich gegen die Zwangsvollstreckung zu wehren, aber realistischerweise muss man davon aus- gehen, dass die meisten in Not geratenen Schuldner ein solches Verfahren zum einen nicht finanzieren können und zum anderen dieses aufgrund der Situation auch keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Es ist deshalb er- forderlich, hier gesetzgeberisch einzugreifen und die Rechte der Kreditnehmer deutlich zu verbessern. Viele gute Überlegungen haben wir daher bereits ge- tätigt, die zurzeit intensiv diskutiert, rechtlich geprüft und in Gesetzestext formuliert werden. Auch die Exper- tenanhörung zum Risikobegrenzungsgesetz wird zurzeit ausgewertet und geprüft. Um es vorab zu sagen: Sachge- rechte Vorschläge für einen verbesserten Verbraucher- schutz sind auf dem Tisch. So sollen Banken verpflichtet werden, ihre Kreditnehmer von jedweder Zession zu in- formieren, mit anderen Worten: Die gängige Praxis der stillen Abtretung, also Verkauf und Abtretung der Forde- rung und der Grundschuld ohne Wissen des Schuldners, soll zukünftig nicht mehr möglich sein. Auch sollte man darüber nachdenken, ein Abtretungsverbot in den Darle- hensvertrag mit aufzunehmen. Entgegen der Drohung vieler Banken muss dies nicht zu einer Verteuerung der Kredite führen. Ein wichtiges Kriterium erscheint mir darüber hinaus, gesetzlich festzulegen, ab welchem Zeitpunkt ein Kredit notleidend wird. Damit wird die zurzeit unterschiedliche Praxis der AGBs der Banken vereinheitlicht und wir würden Rechtssicherheit für die Verbraucher, aber auch für die kreditgebende Bank herstellen. Es kann nicht sein, dass ein Verbraucherkredit über 5 000 Euro um- fangreichen gesetzlichen Schutz findet, ein Immobilien- kredit über 100 000 Euro jedoch nicht. Zuletzt sollten wir auch weiterhin über ein Sonder- kündigungsrecht nachdenken, welches selbstverständ- lich – um den Verbraucher aber auch den Unternehmer nicht übermäßig zu belasten – Regelungen bezüglich der Vorfälligkeitsentschädigungen, die nicht selten im fünf- stelligen Eurobereich liegen, enthalten muss. Auch bei der Wahl von Disagio-Varianten ist über eine anteilige Rückzahlung des Disagios nachzudenken. Ich denke, unser wichtigstes und primäres Ziel bei den anstehenden Gesetzesänderungen muss es sein, Möglichkeiten auszuloten, gerade in Not geratenen Schuldnern eine Chance einzuräumen, ihre – häufig auch für das Alter erworbene – Immobilie zu erhalten bzw. mit ihrer Hausbank Lösungen zu erarbeiten, wieder ordentlich ihre Kredite bedienen zu können. Selbstver- ständlich darf in der Abwägung aller Interessen auch der Gläubigerschutz nicht zu kurz kommen. Der Handel mit Krediten in Deutschland wird in Zu- kunft um ein Vielfaches ansteigen. Es besteht also drin- gender politischer Handlungsbedarf. Wir Sozialdemo- kraten setzen uns deshalb gezielt für die Stärkung der Verbraucherrechte ein, denn der Kreditnehmer darf nicht der Dumme sein, und der Traum von den eigenen vier Wänden darf nicht zum Albtraum werden. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Seit eineinhalb Jahren beschäftigen wir uns mit der Problematik der Veräuße- rung von Krediten. Nunmehr hat die Links-Fraktion am Dienstag einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein- gebracht, der heute in 1. Lesung beraten werden soll. Die FDP-Fraktion hat durch meine Kollegin Mechthild Dyckmanns hierzu schon im Spätsommer 2006 entspre- chende Fragen an die Bundesregierung gerichtet. Wir haben seitdem eine intensive Diskussion geführt, zuletzt auch während einer Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages. Die FDP hat immer darauf hingewiesen, dass zwischen den Krediten, die ordnungs- gemäß bedient wurden und den Krediten, die nicht ord- nungsgemäß bedient wurden zu unterscheiden ist. Die Kredite, die ordnungsgemäß bedient wurden, genießen aus Sicht der FDP einen deutlich höheren Schutz als die Kredite bei denen der Schuldner seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Die FDP be- grüßt, dass wir uns in diesem Bereich inzwischen in ei- ner öffentlichen Diskussion befinden, die auch schon dazu geführt hat, dass einzelne Kreditinstitute erklärt ha- ben, dass die Forderungen ihrer Kunden nicht abgetreten werden. Insofern ist es gut, dass der Wettbewerb auch zwischen den Banken funktioniert und der Wettbewerb Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15395 (A) (C) (B) (D) selbst schon zu entsprechenden Angeboten für die Kun- den geführt hat. Auf einige Punkte möchte ich konkret eingehen. Erstens: Die FDP hält es für notwendig, dass eine geeignete Regelung geschaffen wird, nach der die Kreditnehmer bei Vertragsabschluss die Abtretung aus- schließen können, wobei auf die damit verbundenen ge- gebenenfalls höheren Kreditkosten hingewiesen werden soll. Zweitens: Wenn eine Forderung abgetreten wird, dann sollte dieses dem Schuldner mitgeteilt werden. Drittens: Bei Auslaufen der Festzinsvereinbarung halte ich es für nachdenkenswert, dass der Schuldner mit ei- nem gewissen Vorlauf vom Kreditinstitut im Sinne einer Warnfunktion auf das Auslaufen der Festzinsvereinba- rung hingewiesen wird. Dies dient nicht nur dem Schuldner, sondern auch dem Kreditinstitut, weil da- durch frühzeitig Gespräche über eine Fortführung des wechselseitigen Kreditverhältnisses begonnen werden können. Viertens: Es ist darüber nachzudenken, ob die Befreiung vom Bankgeheimnis durch allgemeine Ge- schäftsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Ich könnte mir persönlich vorstellen, dass dies zukünftig nicht mehr durch eine Regelung in den Allgemeinen Ge- schäftsbedingungen möglich ist, sondern ausdrücklich im Vertrag enthalten sein muss. Sie dürfen nicht verges- sen, dass insbesondere für viele Eigenheimbesitzer der Kauf und die Finanzierung einer Immobilie nur einmal im Leben stattfindet. Ein Großteil des Vermögens und auch der Altersvorsorge steckt in dieser Immobilie. Dies sollte bei entsprechenden Überlegungen berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite muß aber auch die Funk- tionsfähigkeit des Finanzplatzes sichergestellt sein. Insofern müssen Abtretungen von Forderungen von Kre- ditinstituten grundsätzlich möglich sein, denn auch Ban- ken können einmal schwierige Zeiten erleben oder in eine Notlage geraten. Dieses erleben wir derzeit tagtäg- lich. Dann muß es aber auch möglich sein, im Interesse der Einlagen von Kunden bei den Banken die Bank so umzustrukturieren, dass sie wieder tragfähig ist und des- halb aus eigener Kraft die Möglichkeit hat, die ihnen an- vertrauten Gelder ordnungsgemäß zu verzinsen und zu- rückzuzahlen. Seitens der FDP werden wir diese Diskussion enga- giert weiterführen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem Zitat „Wer pünktlich zahlt, hat gar nichts zu befürchten“, betitelte die Berliner Zeitung vom 8. Februar ihr Interview mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Gegenstand waren der Verkauf von Krediten und die Sorgen von Im- mobilienkreditnehmer und -kreditnehmerinnen. „Der Bundesregierung seien keine Fälle bekannt, bei denen es trotz ordnungsgemäßer Bedienung des Darlehens zu ei- ner Zwangsversteigerung eines Eigenheims gekommen sei“, so Frau Zypries weiter. Mit dieser Sachverhaltsdar- stellung schlägt sich die Bundesregierung auf die Seite von Banken und Finanzinvestoren, die ihrerseits eben- falls bemüht sind, ihre zunehmend schärferen Beitrei- bungs- und Zwangsversteigerungspraktiken klein zu re- den. Anwältinnen und Anwälte von Betroffenen und Verbraucherschutzorganisationen vermitteln da ein ganz anderes Bild. Während der Anhörungen im September und im Januar berichteten diese von einer Vielzahl an Fällen. Eine gängige Methode ist, dass mit einer Voll- streckung der sofort fälligen Grundschuld die Notlage und die Kündigungsvoraussetzungen überhaupt erst ge- schaffen werden! Vor diesem Hintergrund ist die Dar- stellung der Ministerin zynisch. Dank des rastlosen Engagements von Betroffenen und ihren Rechtsbeiständen ist es gelungen die Problematik einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Der öf- fentliche Protest hat auch die Regierung schließlich zum Handeln gezwungen. Dass diese das höchst ungern tut, war unter anderem daran zu erkennen, dass der Regie- rungsentwurf der Bundesregierung zum Risikobegren- zungsgesetz diese Problematik zunächst mit keinem Wort erwähnte. Die mittlerweile angedachten Maßnah- men sind im besten Falle partielle Verbesserungen in De- tailfragen. Sie lösen nicht die Kernprobleme. Stattdessen bergen sie in zentralen Fragen sogar die Gefahr einer dramatischen Verschlechterung des Verbraucherschut- zes. So hebelt die vorgeschlagene Neufassung des § 496 BGB den bestehenden § 415 BGB definitiv aus. Letzter hatte für die Wirksamkeit einer Vertragsübertragung aus- drücklich eine Zustimmungspflicht des Kreditnehmers oder der Kreditnehmerin vorgesehen. Statt der Zustim- mung soll in Zukunft nur noch die Information der Kre- ditnehmerin oder des Kreditnehmers notwendig sein. Im derzeit laufenden Verfahren zum Risikobegren- zungsgesetz ist nicht abzusehen, dass die Koalition wirk- lich bereit ist, durchgreifend für Rechtssicherheit bei der Kreditvergabe zu sorgen. Daher hat die Fraktion Die Linke den Antrag „Ausverkauf von Krediten an Finanz- investoren stoppen – Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken“ eingebracht. Dieser ist nach ein- gehender Auswertung zweier Anhörungen im Rahmen des Finanzausschusses sowie einer Vielzahl von Bera- tungen mit Experten/-innen und Betroffenen erarbeitet worden. Mit diesem Antrag verfolgen wir im Kern zwei Anliegen: Zum einen geht es um die Schaffung von Rechtssicherheit für Kreditnehmerinnen und Kreditneh- mer. Zum anderen geht es darum Lehren aus der US-Hy- pothekenkrise zu ziehen und hierzulande vorsorglich al- les dafür zu tun, dass eine Anhäufung von Risiken für die Finanzstabilität rechtzeitig vermieden wird. Die Schaffung von mehr Rechtssicherheit, insbeson- dere für die Immobilienkreditnehmer und -kreditnehme- rinnen, aber beispielsweise auch für mittelständische Unternehmen, muss für diese dadurch gewährleistet werden, dass deren Zustimmung zur Auswechslung des Vertragspartners ausdrücklich eingeholt werden muss. Ausdrücklich meint, dass eine standardisierte Zustim- mung im Kleingedruckten der Allgemeinen Geschäfts- bedingungen (AGB) nicht zulässig ist und auch nicht durch die Androhung eines höheren Zinssatzes erzwun- gen werden darf. Ebenso sind Umgehungsmöglichkei- ten, etwa durch Abspaltung von Teilen eines Kreditinsti- tutes, dadurch zu verhindern, dass auch für solche Fälle die explizite Zustimmung der Darlehensnehmerinnen und Darlehensnehmer eingeholt werden muss. Weiterhin wird in unserem Antrag klargestellt, dass zum Beispiel allein der Umstand, dass ein Kreditnehmer oder eine Kreditarbeitnehmerin arbeitslos wird, dies die Bank 15396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) noch nicht berechtigt, eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse festzustellen, um dann den Kredit kündigen zu können. Insbesondere die Finanzierung von Immobilien ist für eine Vielzahl von Menschen mit einer erheblichen finan- ziellen Kraftanstrengung verbunden. Scheitert diese, so können damit im Handumdrehen existenzielle Probleme verbunden sein. Aus diesem Grunde ist es auch erforder- lich, dass die kreditgebenden Institute stärker in die Ver- antwortung genommen werden, die ihnen aus ihrer be- sonderen Vertrauensstellung erwächst. Das heißt für uns, dass zweifelsfrei sichergestellt sein muss, dass Kredit- nehmer und Kreditnehmerinnen in der Zwangsvollstre- ckung vor der doppelten Inanspruchnahme geschützt sind. Zudem sind aber auch Maßnahmen im Vorfeld zu ergreifen, damit es möglichst erst gar nicht so weit kommt. Hierzu ist es nötig, die Pflicht zur Beratung zu präzisieren und die Unterbreitung seriöser Angebote zur Anschlussfinanzierung zu verlangen. Plant eine Bank dennoch einen laufenden Kreditvertrag an einen Dritten weiterzureichen, so ist dem Verbraucher das Recht auf Kündigung ohne Vorfälligkeitsentschädigung einzuräu- men. Auf dem US-Hypothekenmarkt wurde uns eindring- lich vor Augen geführt, welche Folgen der Sittenverfall bei der Kreditvergabe haben kann, wenn gleichzeitig die Vorschriften zur Rechnungslegung und die Finanzmarkt- aufsicht den Anforderungen nicht genügen. Noch sind die Verhältnisse in den USA nicht vergleichbar mit den unsrigen. Allerdings sollte uns allen der Hinweis von Professor Reifner vom Institut für Finanzdienstleistun- gen eine Warnung sein, der in der Anhörung darauf hin- wies, dass sich in Deutschland mittlerweile die Qualität der Kredite ähnlich dramatisch verschlechtere, wie vor zehn Jahren in den Vereinigten Staaten. Versäumen wir es, hier rechtzeitig gegenzusteuern, dann können wir uns in Nordamerika heute anschauen, was uns auch in Deutschland in einigen Jahren blühen kann. Mahnen sollte uns nicht nur die Existenzbedrohung von Millio- nen amerikanischen Hypothekenkreditnehmern/-innen, sondern auch die akute Gefährdung der Finanzstabilität. Während etwa das Bundesfinanzministerium derzeit noch von Wertverlusten in der Höhe von weltweit 400 Milliarden US-Dollar – resultierend aus der US-Im- mobilienkrise ausgeht – wird anderenorts von Experten ein Wertverlust in der Größenordnung der gesamten deutschen Wertschöpfung eines Jahres, nämlich rund 2,5 Billionen US-Dollar vermutet. Daher wollen wir es nicht nur bei klareren und ein- deutigen Regelungen der Vertragsbeziehungen im BGB belassen. Neben der Verpflichtung der Kreditinstitute auf eine seriösere Kreditvergabe ist es dringend erforder- lich, dass ausnahmslos alle Risiken, die von Banken aus- platziert werden, in der Rechnungslegung dokumentiert und der Aufsicht gemeldet werden müssen. Schließlich greifen wir auch die von Verbraucherschützern wieder- holt vorgetragene Forderung auf, dass die BaFin nicht nur im abstrakten, öffentlichen Interesse sondern auch im Verbraucherinteresse tätig werden soll. Letzteres würde zugleich auch präventiv die Finanzstabilität si- chern, wohingegen die BaFin heute oftmals erst tätig werden kann, wenn das Kind bereits in den Brunnen ge- fallen ist. Während die Koalition nun bereits zum wiederholten Male die weitere Behandlung des Risikobegrenzungsge- setzes verschoben hat, haben Sie hier die Gelegenheit für eine durchgreifende Verbesserung im Interesse der Ver- braucher, der mittelständischen Wirtschaft und der Fi- nanzstabilität zu sorgen, indem Sie unserem Antrag im weiteren Verfahrensgang zustimmen. Ich fordere Sie auf, sich nicht zu verweigern! Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren hier in erster Lesung einen Antrag der Linken zum Kreditverkauf an Finanzinvestoren. In den Medien waren in den vergangenen Monaten immer wie- der Berichte zu vernehmen, in denen von schnellen Zwangsvollstreckungen von Forderungen aus Immobi- lienkrediten berichtet wurde. Leute, die nur minimal mit ihren Zahlungen in Verzug waren, laut Medienberichten sogar welche, die immer pünktlich gezahlt haben, wur- den rigoros aus ihrem Wohneigentum vertrieben. Der Grund dafür? Die Bank oder Sparkasse, die ursprünglich den Kredit vergeben hatte, hatte das Darlehen mittler- weile an einen Finanzinvestor verkauft. Der hat aber eher ein Interesse am schnellen Euro als an einer lang- fristigen Sanierung. Deswegen haben diese Investoren nicht lange gezögert und die Grundschuld verwertet. Er- gebnis: Die Betroffenen sahen sich nach einer Zwangs- versteigerung genötigt, ihr ehemaliges Wohneigentum zu verlassen. Diese Zustände haben wir von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen seit vielen Monaten angepran- gert. Wir haben einen Antrag hier im Bundestag bereits im Juni vergangenen Jahres eingereicht. Dass nun auch die Linken mit einem Antrag nachziehen, freut uns. Auch, dass sie im Gegensatz zur Bundesregierung hier einen Antrag vorlegen, der die Stärkung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Vordergrund stellt. Dieses Ziel teilen wir. Der Schlüssel dazu ist mehr Transparenz und Bedingungen, die die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder auf Augenhöhe mit den Kredit- instituten bringen. Wir wollen deswegen, dass die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer und immer vom Gläubiger vor Ver- tragsabschluss auf einen möglichen Darlehensverkauf hingewiesen werden müssen. Nur dann wissen die Schuldnerinnen und Schuldner, auf was sie sich einlas- sen, und die Bedingung, ob ein Kredit verkäuflich ist oder nicht, kann Teil der Bedingungen in den Kreditver- handlungen werden. Immer wieder wurden Kredite verkauft, ohne dass die Schuldner wussten, an wen. Das muss sich ändern. Des- wegen sollen im Verkaufsfall die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer unverzüglich nach dem Verkauf über den Gläubigerwechsel informiert werden müssen. Nur so können sie sich effektiv auf die neue Lage einstellen. Diese Informationspflichten müssen für notleidende und nichtnotleidende Kredite gelten. Um auch über diese Differenzierung Klarheit zu gewinnen, muss eine Quali- fikation gesetzlich geregelt sein. Es kann nicht sein, dass die Gläubiger über die Unterscheidung bestimmen, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15397 (A) (C) (B) (D) dann massive rechtliche Folgen hat. Die Unterscheidung in notleidende und nichtnotleidende Kredite ist von zen- traler Bedeutung. An der Einstufung der Darlehen orien- tiert sich eine lange Reihe von Rechtsfolgen, an deren Ende die Entscheidung über eine Zwangsvollstreckung steht. Bisher sieht die Bundesregierung nicht vor, diese Unterscheidung festzuschreiben. Das darf nicht sein, wir brauchen eine differenzierte, rechtlich präzise und pra- xistaugliche Unterscheidung zwischen notleidend und nichtnotleidend. Das muss auch im Gesetz stehen. Es kann nicht sein, dass jede Bank hier verfahren kann, wie sie will. Vor jeder Zwangsvollstreckung muss ein obligatori- scher Sanierungsversuch stehen. Damit soll sicherge- stellt werden, dass die Schuldnerinnen und Schuldner Gelegenheit haben, sich aus ihrer finanziellen Notlage zu befreien, ohne gleich ihr Wohneigentum zu verlieren. Die Möglichkeit zur Verbriefung von Krediten soll er- halten bleiben. Denn die Banken müssen die Chance be- halten, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten per Kredit- handel zu Geld zu kommen und sich selber zu sanieren. Die Aufnahme eines Immobilienkredits ist für die meisten Menschen die größte und wichtigste finanzielle Entscheidung ihres Lebens. Sie haben nur selten Erfah- rungen bei der Kreditaufnahme, ganz anders als die Kre- ditgeber. Verbraucherinnen und Verbraucher bedürfen deswegen eines besonderen Schutzes seitens des Gesetz- gebers. Der Antrag der Linken, den wir hier verhandeln, stellt das richtige Ziel, einen umfassenden Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, in den Vordergrund. Einige der Maßnahmen, die die Linksfraktion hier vor- schlägt, ähneln in verblüffender Weise unseren Ideen. Das begrüßen wir ausdrücklich. Über die einzelnen Maßnahmen werden wir uns im parlamentarischen Ver- fahren austauschen. Der Gesetzentwurf der Bundesre- gierung liegt ja bereits vor, ebenso wie unser Antrag aus dem vergangenen Sommer. Wichtig bleibt, die Inte- ressen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick zu haben. Die Gläubiger müssen dabei nicht über Ge- bühr belastet werden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Importverbot für illegales Holz durchsetzen (Tagesordnungs- punkt 21) Cajus Caesar (CDU/CSU): „Nicht wegsehen, son- dern hinsehen.“ Diese Aussage unserer Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel gilt auch für den Schutz unserer Urwälder. Leider wird die herausragende Bedeutung der Wälder für unsere (Um-)Welt insgesamt noch immer gravierend unterschätzt. Wälder sind die grüne Lunge unserer Erde. Sie beeinflussen das Klima, den Wasser- haushalt und sind wesentliche Kohlenstoffspeicher. Die Zerstörung dieser Naturschätze hat verheerende ökolo- gische, soziale und ökonomische Folgen: Sie führt zu Überschwemmungen, Erosionen, fortschreitender De- sertifikation und verstärken den CO2-Anstieg. Der Ver- lust an biologischer Vielfalt verkleinert und destabilisiert den natürlichen Genpool. Die Lebensumgebung und wirtschaftliche Grundlage zahlreicher indigener Bevöl- kerungsstämme wird zerstört. Wissenschaftliche Pro- gnosen zeigen, dass ohne eine deutliche Trendwende sämtliche tropischen Feuchtwälder in den nächsten 50 bis 100 Jahren von der Erde verschwunden sein wer- den. Mit ihnen auch die bislang unerforschte Vielzahl an Tieren und Pflanzen. Vor allem illegaler Einschlag und der Handel mit die- sem Holz zieht erhebliche umwelt- und entwicklungs- politische Schäden nach sich. Der massive Einschlag läuft allen Regeln nachhaltiger Waldbewirtschaftung zu- wider und verursacht irreparable Wald- und Umwelt- schäden. Die große Nachfrage nach dem beliebten Artikel fördert organisierte Kriminalität, verursacht zahl- reiche Landrechtskonflikte und lenkt die ländliche Be- völkerung in illegale Bahnen. Die durch den illegalen Handel verursachten Steuerausfälle fehlen in den Staats- kassen der betroffenen Regierungen. Nicht selten wird das am Staat vorbei verdiente Geld auch für die Finan- zierung bewaffneter Konflikte eingesetzt. Jährlich werden allein in den Tropen 15 Millionen Hektar Wald abgeholzt. Dies entspricht einer Fläche von der Gesamtgröße Bayerns, Baden-Württembergs und Niedersachsens oder halb Italiens. Neben den verheeren- den Auswirkungen der weltweiten Brandrodungen ge- hen allein etwa 7,2 Millionen Hektar durch den, zumeist illegalen, Holzeinschlag verloren. Allein in Russland, dem Land mit den drittgrößten Urwaldflächen von ins- gesamt 750 Millionen Hektar, stammen bis zu 50 Pro- zent des Holzes aus illegalen Quellen. In den Tropen ist der Anteil sogar noch höher. Indonesisches Tropenholz stammt zu 70 Prozent aus illegalen Quellen. Im brasilia- nischen Amazonasgebiet liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent. Angesichts der dramatischen Situation der Urwälder sind wirksame Maßnahmen auf internationa- ler, europäischer und nationaler Ebene dringend erfor- derlich. Einig sind wir uns auch, dass FLEGT, Forest Law Enforcement, Governance and Trade, eine bedeutende Festlegung im Kampf gegen illegalen Holzeinschlag ist. Ein wirksames europäisches Instrument gegen illegales Tropenholz würde die Anreize für den illegalen Holzein- schlag erheblich eindämmen und damit der Umwelt und der auf den Wald angewiesenen Bevölkerung erheblich helfen. Erste Erfolge sind schon zu verzeichnen – noch dieses Jahr werden Verträge mit Kamerun, Ghana und Malaysia geschlossen. Leider lässt sich aber auch nicht bestreiten, dass die Verhandlungen mit einigen anderen Partnerländern in der letzten Zeit erheblich stocken. Die Kommission hat erkannt, dass einige Vorgehensweisen und Konzepte ver- besserungsbedürftig sind. Die von Ihnen angesprochene Mitteilung wird, vor allem auf Drängen der deutschen Bundesregierung, im Mai diesen Jahres erwartet. Hierbei sollen Verbesserungsvorschläge und rechtliche Alterna- tiven zu FLEGT aufgezeigt werden. Unbeachtet bleibt dieses europäische Projekt aber nicht. Japan und China 15398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) haben sich in letzter Zeit durchaus positiv zu einer mög- lichen Zusammenarbeit im Rahmen des EU-FLEGT-Pro- gramms ausgesprochen. Aber auch das nationale und in- ternationale Engagement Deutschlands im Kampf gegen den Klimawandel und die Zerstörung der Wälder darf nicht außer Acht gelassen werden. Erst kürzlich konnte ich mich bei einer Reise mit dem Bundesumweltminister nach China davon überzeugen, dass Deutschland enorme Projekte zur Wüstenbekämp- fung, zum Erhalt von Urwäldern und zur Wiederauffors- tung vornimmt. International gesehen ist Deutschland mit 300 Millionen Euro der größte Geber im Bereich Waldschutz. Allein in Nord-China wurden bei einer 50:50-Finanzierung für den Waldschutz seit 1995 195 Millionen Euro für entsprechende Projekte einge- setzt. Die Ergebnisse sind überzeugend: Der Rückgang von Naturwäldern in den Ober- und Mittelläufen des Jangtse und des Gelben Flusses wurde aufgehalten. Durch verstärkten Einsatz gelang es, die illegale Holz- nutzung fast vollständig zum Stillstand zu bringen. Im Rahmen des letzten Fünfjahresplanes wurden 22,33 Mil- lionen Hektar aufgeforstet. Die Bundesregierung unter- stützt zudem ein PPP-Projekt für die Forstzertifizierung. Auch andere Pilot-Waldschutzprojekte deutscher Ent- wicklungsorganisationen in Afrika, Lateinamerika und Osteuropa sind wegweisend für den internationalen Um- weltschutz. Die aktuelle Initiative der Bundesregierung „Business and Biodiversity“ will deutsche Firmen, die auch inter- national von großer Bedeutung sind, zur Mitarbeit bewe- gen. Gemeinsam will man Lösungen zum Schutz des Tropenwaldes und der Artenvielfalt erarbeiten. Auch dürfen die zahlreichen Selbstverpflichtungen der deut- schen Wirtschaft, wie zum Beispiel der Verhaltenskodex des Gesamtverbandes Deutscher Holzhandel, nicht un- terschätzt werden. Dieser dient den Mitgliedsunterneh- men als Richtlinie für raubbaufreien Holzimport und zeigt ganz deutlich: Klimaschutz und Industrie schließen sich nicht aus. Im internationalen Rahmen setzt sich Deutschland verstärkt für die Integration des Waldschutzes in das weiterentwickelte Klimaregime ein und unterstützt Pläne zur Inwertsetzung ökologischer Leistung unserer Wälder sowie neue Initiativen wie zum Beispiel das REDD, Re- duced Emissions from Degradation und Deforestation. Auch Sie, meine Damen und Herren der Grünenfraktion, wissen, dass das Thema Urwaldschutz sehr facettenreich ist. In den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit mit Ihrem Minister ist es Ihnen nicht gelungen, Pflöcke zum Schutz des Urwaldes einzuschlagen. Zugegebenermaßen ist dies ein sehr schwer umzusetzendes Thema, nicht zuletzt weil wir es hierbei nicht selten mit vielen unterschiedli- chen Akteuren, die nicht nach unseren Standards han- deln, zu tun haben. Dennoch zeigen die genannten Bei- spiele, dass es auch anders laufen kann – wie jetzt unter der unionsgeführten Koalition. Deutschland ist Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt, Convention on Biological Diversity, CBD. Vor dem Hintergrund zahlreicher erfolg- reicher Bemühungen haben wir gute Voraussetzungen in Bonn, aber auch im Rahmen des zweijährigen Vorsitzes des CBD-Sekretariats, bis zum Jahre 2010 ein weltweites Netz von Schutzgebieten mit nachhaltiger Bewirtschaf- tung, ein „Netz des Lebens“ zu erzielen. Wenn wir unsere Wälder schützen wollen, müssen wir Regelungen erreichen, die die betroffenen Länder, die Menschen vor Ort und die beteiligte Holzindustrie von der Bedeutung der Urwalderhaltung, im Sinne des Klimaschutzes und der Artenvielfalt, überzeugen. Maß- geblich hierfür sind vor allem: politische Reformen, Un- terstützung der lokalen Bevölkerung, Kapazitätenauf- bau, Zertifizierung und Überwachung. Gute Lösungen brauchen Zeit. Ein auf die Schnelle beschlossenes, aber uneffizientes System kostet Zeit und Geld und hilft dennoch keinem. Gerade gestern wurde mir bei der öf- fentlichen Anhörung zum Thema Biomasse hier im Bun- destag wieder deutlich: Nachhaltigkeitsstrategien und Überprüfungssysteme in diesen Bereichen verfolgen gleiche Ziele und müssen ineinander greifen – anders können Effizienz und Nachhaltigkeit nicht durchgesetzt werden. Die bereits erprobten und bewährten Zertifizie- rungsmechanismen wie PEFC-Standards und das FSC- System spielen hierbei eine große Rolle. Die Bundesregierung hat sich jederzeit für eine zü- gige Einsetzung des FLEGT-Aktionsplans eingesetzt, hat aktiv an der Verabschiedung der Verordnung mitgearbei- tet und wird das Vorankommen und eine mögliche Reform dieser Verordnung auch weiterhin tatkräftig un- terstützen. Zu dem von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in die parlamen- tarische Diskussion eingebrachten Antrag, der – wie schon so häufig – eine nationale Strategie im Kampf ge- gen illegalen Holzeinschlag vorschlägt, kann ich Folgen- des sagen: Ihre Vorschläge führen zur Überreglementie- rung und machen einen europäischen Alleingang nötig. Auch ist der Vorschlag EU- und WTO-rechtlich äußerst bedenklich. Europa darf sich nicht mit einfachen Import- verboten zufrieden geben; denn damit verschließen wir die Augen vor den Problemen, lassen auch die Men- schen in den betroffenen Gebieten allein und senden fal- sche Signale an unsere bisherigen Verhandlungspartner. Die Union will keine Gesetzesflut und auch keine büro- kratischen Regelungen. Wir wollen die Grundlagen und nicht die Folgen des illegalen Holzeinschlags bekämp- fen, wir wollen praktische Erfolge und keine neuen Pa- piertiger. Die Union steht für eine verantwortungsbe- wusste Politik und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Herzensanlie- gen der Union. Aus diesem Grund werden wir auch wei- terhin national wie international für dieses Ziel einstehen und für seine Durchsetzung kämpfen. Dr. Gerhard Botz (SPD): Die Bekämpfung des ille- galen Holzeinschlages und des damit verbundenen Han- dels werden von der Bundesregierung und der Koalition äußerst ernst genommen. Wenn Wälder illegal abgeholzt werden und ihre Funktionsweise dauerhaft geschädigt wird, betreffen die Auswirkungen nicht nur den europäi- schen und deutschen Holzmarkt und unsere Waldbesit- zer, sondern es wirkt sich negativ auf das Weltklima aus, ist verbunden mit der Ausweitung von Armut in den be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15399 (A) (C) (B) (D) troffenen Regionen, bedeutet Verlust von Biodiversität und Voranschreiten von Wüstenbildung und ist somit ein globales Problem. Nicht zuletzt führen diese Praktiken auch zu erheblichen Steuerausfällen in den Staaten, in denen illegal Holz eingeschlagen wird. Insofern stimme ich inhaltlich in einigen Teilen dem Antrag durchaus zu: Ja, wir müssen uns weiterhin als Europäer gegen den il- legalen Holzeinschlag einsetzen. Frau Behm, ich kann ihr Drängen ja verstehen, doch was wollen Sie denn mit Ihrem Antrag erreichen? Ein Importverbot auf nationaler Ebene führt doch nur dazu, dass Deutschland sich aus den Verhandlungen herauska- tapultiert. Aber der Markt und die Nachfrage nach dem Holz bestehen doch weltweit. Statt nach Europa würde dieses Holz direkt nach Asien gehen. Aus diesem Grund werden derzeit auf EU-Ebene bila- terale Partnerschaftsverträge mit den Lieferländern ver- handelt. Partnerschaftsabkommen sind grundsätzlich der bessere Weg, denn nur so kann gewährleistet werden, dass überhaupt eine Kontrolle vor Ort ermöglicht wird und wir in Gremien vor Ort ein Mitspracherecht in Kon- trollorganen erhalten. Die Unterscheidung zwischen le- galem und illegalem Holzeinschlag kann nur in Zusam- menarbeit mit den zuständigen Staaten getroffen werden. Die EU verhandelt zurzeit mit neun Staaten, und in die- sem Jahr ist der erfolgreiche Abschluss von drei ersten Abkommen vorgesehen. Parallel dazu werden die Vo- raussetzungen geschaffen, dass die rechtlichen und tech- nischen Kontrollen im Zoll möglich sind und nur noch legal erzeugtes und entsprechend kontrolliertes Holz ein- geführt wird. Deutschland steht zusätzlich auch in Gesprächen mit China, welches weltweit stark nach Rohstoffen fragt, sich sicherlich über ein sofortiges EU-Importverbot zur- zeit freuen würde. Denn auch nur in Zusammenarbeit mit den anderen Importländern können wir eine Eindäm- mung des illegalen Holzeinschlages erreichen. So funk- tioniert nun einmal ein großer Binnenmarkt. Eine nach- haltige Waldbewirtschaftung oder zumindest erst mal ein Stopp des Raubbaus kann nur über eine gemeinsame An- strengung der Staatengemeinschaft erreicht werden. Hier müssen existenzielle Fragen von Armut, Ernährung und Entwicklung gelöst werden. Dies kann leider nicht von heute auf morgen passieren, selbst wenn das wünschens- wert wäre. Die Bundesrepublik ist auf einem guten und gangbaren Weg und wird diesen auch zielstrebig weiter verfolgen und zwar auf nationaler und europäischer Ebene. Und im Übrigen, meine Damen und Herren von den Grünen, wenn es so einfach wäre, wie Sie es hier in Ih- rem Antrag formulieren, warum haben Sie es denn nicht selbst geschafft in den Zeiten Ihrer Regierungsmitwir- kung? Wir haben Ihnen keine Steine in den Weg gelegt. Nein, Sie wissen doch selbst, dass dieser Antrag hier nicht zielführend ist. Wir werden ihn deshalb ablehnen. Man kann es auch so formulieren: Auch dieser Bohrer steckt noch in dicken Bohlen seit unserer rot-grünen Zeit. Ihr könnt es Euch erlauben, den Eindruck zu ver- mitteln, ein Karate-Schlag würde es bringen. Wir wissen es besser und drehen fleißig weiter, bis das Loch fertig ist. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Bilanz der letzten Jahre bei der Eindämmung des illegalen Holzeinschlags ist ernüchternd. Noch immer gehen un- verändert wertvolle Primärwälder durch illegalen Holz- einschlag verloren. Satellitenaufnahmen zeigen die dra- matischen Verluste. In der Anhörung „Biomasse – Chancen und Risiken für globalen Klimaschutz, biologische Vielfalt, Ernäh- rungs- und Versorgungssicherheit sowie Armutsbekämp- fung“ wurde durch den Beitrag über den Anbau von Öl- palmen zur Gewinnung von Palmöl in Indonesien sehr deutlich, dass nicht nur die Nutzung von Holz, sondern auch die Nutzung des Landes nach der Rodung für die Anlage von Ölpalmenplantagen, in anderen Ländern der Erde auch für den Sojaanbau, Triebfeder für die Zerstö- rung der Wälder ist. Ein EU-Importverbot für illegal eingeschlagenes Holz kann vor diesem Hintergrund nur wenig Einfluss haben auf den Erhalt von Wäldern, sondern wird eher die Bürokratie vermehren, statt den illegalen Holzein- schlag einzudämmen. Das geforderte nationale Besitz- und Handelsverbot für Produkte aus illegal geschlagenem Holz ist eben- falls ungeeignet, den illegalen Holzeinschlag zu ver- mindern. Es würde in der Praxis bedeuten, dass jede Lieferung Kiefernholz zum Beispiel aus Russland mit gentechnischen Methoden auf seine Herkunft überprüft werden müsste, jede Lieferung von Schnittholz, Papier etc. Es ist einleuchtend, dass ein Unternehmer, der ille- gal in irgendeinem Land der Welt Holz einschlägt, auch in der Lage und willens ist, Frachtpapiere zu fälschen, um ein Importverbot der EU und ein nationales Besitz- und Handelsverbot zu umgehen. Dann bleibt zur Durchsetzung des Verbots nur die genetische Analyse des Imports. Die entsprechenden gentechnischen Ver- fahren dafür sind entwickelt worden. Die Durchsetzung des umfangreichen Verbotskatalogs im Antrag der Grü- nen gleicht einem Arbeitsauftrag an Labore und Rechtsanwälte. Die FDP lehnt dies ab. In der Begründung des Antrags wird auch auf die Ver- tragsstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt im Mai in Bonn verwiesen. Auch die FDP ist der Ansicht, dass die Bundesregierung zur Durchführung dieser Konfe- renz weitgehend mit leeren Händen dasteht. Die An- nahme des Antrags würde daran allerdings nichts än- dern. Die in der „Nationalen Strategie zum Erhalt der Biologischen Vielfalt“ vorgeschlagene Herausnahme von 550 000 Hektar Wald aus der Nutzung verstärkt den Bedarf an Holzimporten. Die FDP fordert, dass der Waldschutz als eine zen- trale Aufgabe einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik angesehen wird. Dabei gilt für uns, dass die exis- tenziellen Bedürfnisse der Menschen in den Entwick- lungsländern einen höheren Stellenwert haben als die Ansprüche der Wohlstandsgesellschaft. 15400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) „Vorhaben nachhaltiger Waldentwicklung sind für den Privatsektor nur dann attraktiv, wenn ausreichende Rechts- und Investitionssicherheit gegeben ist, die eine langfristig selbst tragende Finanzierung und eine regio- nal- und wirtschaftspolitische Konkurrenzfähigkeit zu anderen Landnutzungsformen erlaubt.“ So hat die rot- grüne Bundesregierung es in der Beantwortung einer Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion formuliert. Diese Feststellung ist richtig. Das bedeutet aber auch, dass die staatlichen Institutionen auf dem Forstsektor in die Lage versetzt werden müssen, Recht und Gesetz durchzusetzen. Dazu ist ein Mindestmaß an Wohlstand erforderlich. Das heißt, wirkliche Fortschritte beim Schutz der Wälder können nur erzielt werden, wenn die Armut in den Ländern, in denen in besonderem Maße il- legal Holz eingeschlagen wird, erfolgreich bekämpft wird und die Menschen Möglichkeiten erhalten, sich selbst zu versorgen. Daher sind Ansätze wie dieser Antrag der Grünen, die auf mehr Bürokratie bei uns wie auch in den Holzexport- ländern setzen – Kontrollen, Zertifizierungssysteme, Da- tenbanken, etc. – sehr aus dem Blickwinkel der Wohl- standsgesellschaft formuliert. Sie stärken das Ansehen zuhause, ohne den Menschen vor Ort zu helfen, ohne die Wälder effektiv zu schützen. Diese Politik können wir uns schon lange nicht mehr leisten. Wir sollten versuchen, den armen Ländern der Erde zu helfen, ihre Wälder in entsprechender Weise für die Bekämpfung der Armut zu nutzen und gleichzeitig ein Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes ihrer Wäl- der zu entwickeln. Wir brauchen den Erhalt der Wälder der Erde für das Leben der Menschen vor Ort, die biolo- gische Vielfalt, die Sicherung der Wasserressourcen und den Klimaschutz. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die meisten Urwälder dieser Erde sind von der weitgehenden Zer- störung bedroht. Zum Holzgeschäft und zu Brandrodun- gen kommt neuerdings auch noch der Importsog von In- dustriestaaten hinzu, die billig Palmöl oder Ethanol aus Zuckerrohr beziehen wollen. Dies führt zu zusätzlichen Abholzungen. Die Abholzungen geschehen manchmal „legal“, meistens aber illegal. Beispielsweise fallen bis zu 80 Prozent des in Indonesien geschlagenen Tropen- holzes unter die letzte Kategorie. Auch anderen Her- kunftsländern gelingt es bisher nicht, illegalen Einschlag wirksam zu verhindern. Relevante Mengen des kriminell in Urwäldern geschlagenen Holzes finden auch in Deutschland ihren Absatzmarkt. Dieser Holzverbrauch trägt darum mittelbar zur Urwaldzerstörung bei. Dass dies in der Bundesrepublik bisher weder unterbunden noch geahndet werden kann, haben wir hier schon oft debattiert. Das Problem besteht darin, dass es hierzu- lande nicht verboten ist, Holz und Holzprodukte aus ille- galem Einschlag zu besitzen oder mit ihnen zu handeln. Die Grünen haben nun mit ihrem Antrag die Idee des Einfuhrverbotes erneut aufgegriffen, welches seinerzeit bereits Kern des rot-grünen Entwurfs eines „Urwald- schutzgesetzes“ war. Das verschwand leider in den Schubladen des BMU. Dieser Gesetzentwurf sah vor, das Bundesnatur- schutzgesetz um ein Verbot des Besitzes und der Ver- marktung von Holz und Holzprodukten aus illegalem Einschlag in Urwäldern zu ergänzen. Um die Einhaltung dieses Verbots kontrollieren zu können, sollten die Holz- händler und -verarbeiter verpflichtet werden, einen Le- galitätsnachweis für Holz und Holzprodukte bereitzuhal- ten. Wir unterstützen dieses Anliegen und auch die Position im Grünen-Antrag, die sich für eine Fortent- wicklung der sogenannten FLEGT-Verordnung der Euro- päischen Union hin zu einem generellen Importverbot für illegal geschlagenes Holz einsetzt. Hier haben sich die Grünen weiterentwickelt, denn in ihrem alten Ge- setzentwurf sollte ja noch die Legalitäts-Nachweispflicht für jene Länder nicht gelten, die ein FLEGT-Abkommen mit der EU geschlossen haben. Wir haben das damals kritisiert, denn die FLEGT-Verordnung umfasst nur den Handel mit bestimmten Holzprodukten. Die Zellstoff- und Papierproduktion ist ausgenommen. Vor allem aber – und dies haben die Grünen ja im jetzigen Antrag dar- gestellt – gilt sie eben nur für einige Länder, und nicht einmal für die sind erfolgreiche Verhandlungen in Sicht. Insofern ist auch die Argumentation, die die Regierungs- fraktionen ständig fährt, absurd, FLEGT erfülle doch die Funktion eines Importverbotes und letzteres sei deshalb überflüssig. Der Antrag der Grünen ist gut, hat aber ein systemati- sches Problem: Einfuhrverbote für illegal geschlagenes Holz könnten nur jene Urwälder schützen, die auch in dem jeweiligen Herkunftsland unter Schutz stehen. Holz aus staatlich genehmigtem Urwaldkahlschlag dürfte also weiterhin in Deutschland oder der EU vermarktet wer- den. Selbst wenn dabei der Holzeinschlag in den betref- fenden Staaten gegen Menschenrechte und traditionelle Besitzrechte der Waldvölker verstößt – so wie es in In- donesien, Kolumbien und teilweise auch in Brasilien oft der Fall ist. Uns ist klar, dass dies juristisch anders kaum zu handhaben ist. Unbefriedigend bleibt es doch. Wir unterstützen also den Antrag. Die Linke würde sich aber auch darüber freuen, wenn die Grünen endlich aufhören würden, die absurd hohen Quotenziele für Agroenergien in der EU und in Deutschland zu verteidigen, welche nur durch massive Importe aus den Ländern des Südens zu erfüllen sind. Es ist wirklich schade, dass sie hier den umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen bei ihrer Forde- rung nach einem Importmoratorium nicht folgen kön- nen. Mir ist unverständlich, dass sie nicht begreifen, dass diese Quoten Tropenwaldabholzung und Vertreibungen von indigenen Völkern und Kleinbauern zur Folge ha- ben. Den Agrosprit-Staubsauger, den wir hier anwerfen, haben die Leute da unten auszubaden. Ihre geliebte Zer- tifizierung – die es noch gar nicht gibt – wird daran nichts ändern. Selbst wenn diese vorbildlich in den kor- rupten Ländern durchsetzbar wäre, könnte sie spielend umgangen werden. Schließlich lassen sich damit die in- direkten Verdrängungen überhaupt nicht fassen. Denn die Tropenwälder Brasiliens fallen beispielsweise dem Zuckerrohr für den Agrosprit nur selten direkt zum Op- fer. Der zusätzliche Zuckerrohranbau findet meist auf Altplantagen statt. Er treibt aber bisherige Nutzungen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15401 (A) (C) (B) (D) wie Rinderherden und Sojaplantagen, in den Amazonas- gürtel oder den ökologisch ebenso wertvollen Cerrado. Wie also wollen die Grünen so etwas zertifizieren? Bitte überdenken sie hier Ihre Position. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Mai wird die EU-Kommission Vorschläge zur Fortent- wicklung ihrer Politik zum Erhalt der Wälder dieser Welt, kurz FLEGT genannt, machen. Die FLEGT-Ver- ordnung sieht vor, mit den Holzexportländern über den Abschluss sogenannter Partnerschaftsabkommen zu ver- handeln. Mit diesen Abkommen soll ein freiwilliges Ge- nehmigungssystem für Holzeinfuhren etabliert werden, welches gewährleisten soll, dass aus diesen Ländern nur legal geschlagenes Holz in die EU eingeführt wird. Bisher konnte allerdings mit keinem Holzexportland eine Vereinbarung über ein FLEGT-Partnerschaftsab- kommen abgeschlossen werden. Unsere Erwartung an die EU-Kommission ist daher, dass sie ein Importverbot für illegal geschlagenes Holz vorschlägt. Dies wäre not- wendig und die richtige Konsequenz aus den fehlenden Erfolgen der gültigen FLEGT-Verordnung. Das EU-Par- lament hat die Forderung nach einem Importverbot für illegal geschlagene Hölzer und Holzprodukte im Übri- gen bereits vor einigen Jahren erhoben. Alles andere als der Vorschlag eines Importverbotes wäre insofern ein Rückschlag und eine herbe Enttäuschung. Es kann doch nicht richtig sein, dass es weiter erlaubt sein soll, mit Holz zu handeln, das unter Verstoß gegen die Waldgesetze der Exportländer gefällt wurde. Ein zü- giges EU-Importverbot für illegales Holz würde in Ver- bindung mit einem entsprechenden Nachweissystem auf dem internationalen Holzmarkt einen starken Impuls für die Unterbindung des illegalen Holzeinschlags, aber auch für die Etablierung von Zertifizierungssystemen für nachhaltige Forstwirtschaft ausüben. Gerade dieser Fort- schritt für die Marktdurchdringung durch Zertifizie- rungssysteme wie FSC wäre ein Gewinn für die Wälder dieser Welt, der weit über die Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags hinausginge. Noch ist aber nicht öffentlich bekannt, was die EU- Kommission vorschlagen wird, und so viel wir wissen, steht dies auch noch nicht fest. Deshalb haben wir wei- terhin die Erwartung, dass die Bundesregierung ein EU- Importverbot für illegales Holz unterstützt, indem sie es fordert, und zwar nicht erst nach einem möglichen Vor- schlag durch die EU-Kommission, sondern bereits im Vorfeld, bevor die Kommission ihren Vorschlag auf den Tisch legt. Denn wenn die Mitgliedstaaten ein deutliches Signal nach Brüssel senden, dass sie ein solches Import- verbot wollen, dann besteht auch die Chance, dass das die Entscheidung der Kommission beeinflusst. Seit mehreren Jahren befassen wir uns hier im Bun- destag mit dem Kampf gegen den Verlust von Urwäldern durch illegalen Holzeinschlag, ohne dass wir auch nur einen Meter vorangekommen wären. Den Erlass eines nationalen Besitz- und Handelsverbotes für illegales Holz hat die Große Koalition mit Verweis auf die angeb- liche EU-Hoheit in dieser Sache abgelehnt. Gleichzeitig war die Rede von einer Verschärfung der EU-Maßnah- men und einer Weiterentwicklung von FLEGT. Wir Grüne sind immer noch der Auffassung, dass man es darauf hätte ankommen lassen können, ob die EU-Kommission tatsächlich gegen dieses Gesetz vorge- gangen wäre – wenn dieses nationale Verbot denn ge- wollt worden wäre. Die Tatsache, dass die Koalition das nicht getan hat, zeigt, dass offenbar nicht einmal die Umweltpolitiker der Koalition dieses nationale Verbot wollten. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Der Holzhandelslobbyist Rudolf Luers führte dies in einer Fernsehsendung jedenfalls auf gutes Lobbying seiner Branche zurück. Wenn wir hier heute über unseren Antrag zum Schutz der Urwälder durch die Austrocknung des Marktes für il- legal eingeschlagenes Holz reden, sollten wir uns be- wusst sein, was auf dem Spiel steht. Bei der Anhörung am Mittwoch konnten wir uns ein Bild davon machen, wie bedroht die Tropenwälder sind. Die Palmölplanta- gen dringen nicht deshalb in den Urwald in Indonesien vor, weil es sonst kein geeignetes Land gäbe. Nein, es geht um die Gewinne, die mit dem wertvollen Tropen- holz gemacht werden können. Ein Stamm kann bis zu 1 000 Euro bringen. Wenn wir Deutsche und Europäer den nicht kaufen, weil er aus illegalem Einschlag stammt, dann geht das Interesse am Raubbau zurück. Das zertifizierte Holz dagegen, das beispielsweise die Kooperativen im Biosphärenreservat Petén in Guatemala anbieten, das hat dann bessere Marktchancen. So ist ein Verbot von Illegalholz gleichzeitig zum Vorteil der länd- lichen Bevölkerung in den Waldregionen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 – Europäische Nachbarschaftspolitik zur För- derung von Frieden und Stabilität im Süd- kaukasus nutzen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Manfred Grund (CDU/CSU): Freiheit und Demo- kratie im Südkaukasus zu fördern – und dabei im Beson- deren für faire und freie Wahlen einzutreten –, ist uns si- cher auch parteiübergreifend ein gemeinsames Anliegen. Ob der vorliegende Antrag diesem Zweck gerecht wird, ist jedoch zweifelhaft. Problematisch erscheint mir schon eine mangelnde Differenzierung zwischen den drei Ländern Aserbai- dschan, Armenien und Georgien. Zwar werden in der Begründung spezifisch Defizite zu den einzelnen Staaten angesprochen. Aber was zugleich fehlt, ist ein abgewo- genes Urteil, dass die unterschiedlichen Rahmenbedin- gungen, Verhältnisse und Entwicklungen berücksichtigt. So wird suggeriert, dass in allen drei Ländern letztlich ähnliche Missstände herrschen. Zusätzlich bekräftigt 15402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) wird dieser Eindruck durch die Formulierung des einlei- tenden Absatzes; denn dort werden dieselben Formen politischer Repression einfach gleichermaßen auf alle drei Staaten bezogen. Und im abschließenden Absatz ist dann wiederum undifferenziert, wenn auch etwas kryp- tisch die Rede von „autokratischen Systemen, die im Ge- heimen operieren“. Entsprechend pauschal ist dann auch über weite Stre- cken der Forderungskatalog ausgefallen. So sollen wir uns für die Gewährleistung von Presse- und Meinungs- freiheit, für freie Wahlen, gegen repressive Gewalt- anwendung und für friedliche Konfliktregelungen aussprechen, ebenso für Good Governance als Voraus- setzung vertiefter Beziehungen, was, nebenbei bemerkt, im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik schon der Fall ist. Nun sind dies fraglos Werte, mit de- nen wir uns identifizieren können. Doch sind die Formu- lierungen so allgemein gehalten, dass unklar bleibt, wo- rauf sie sich beziehen. Ebenso unklar bleibt, welche Ansatzpunkte sich daraus erschließen. Diese Forderun- gen erschöpften sich in unkonkreten Bekenntnissen. Sie erschöpfen sich in der Banalität des Selbstverständli- chen. Vollends ratlos bin ich aber offen gestanden ange- sichts der Forderung, politische Willkür international zu ächten. Wo, bitte sehr, beginnt politische Willkür? Pauschale Urteile werden den unterschiedlichen Rea- litäten Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens ebenso wenig gerecht wie pauschale Forderungen. Eine faire Beurteilung ist nur möglich, wenn wir auch die je- weilige Entwicklung innerhalb des einzelnen Landes würdigen. Auf diese Problematik möchte ich am Bei- spiel Georgiens eingehen, weil ich bei der Präsidenten- wahl selbst als Wahlbeobachter der OSZE im Einsatz war. Die Wahl in Georgien hat eine Reihe von Problemen aufgeworfen, die zu Recht kritisiert werden. Dazu zählen insbesondere auch Überreaktionen der Regierung: die Verhängung des Ausnahmezustandes und das zum Teil gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten und Me- dien. Mit dem vorläufigen Amtsverzicht des Präsidenten und der Ansetzung von Neuwahlen wurde jedoch auch ein demokratischer Ausweg aus der Krise gesucht. Im Wahlkampf wurde die Berichterstattung von Saakaschwili dominiert, wenn auch nicht ausschließlich bestimmt. Vor, während und nach der Wahl kam es zu Verstößen und Unregelmäßigkeiten. Die Wahlbeobach- termission der OSZE hat dazu detaillierte Berichte ver- öffentlicht. Diese Missstände wurden zum Teil bereits am Wahltag, zum Teil erst danach sichtbar. Dennoch hält die Wahlbeobachtermission an der Gesamtwertung fest, nach der die Wahl grundsätzlich und weitgehend in Übereinstimmung mit den Standards der OSZE verlau- fen ist. Diese Bewertung wurde in der Pressebericht- erstattung auch in Deutschland oft einseitig ignoriert. Sie bleibt leider auch im Antragstext unerwähnt. Wir haben uns erst kürzlich gemeinsam für eine Stärkung von OSZE und ODIHR eingesetzt; dann sollten wir deren Befunde aber auch bei unseren Stellungnahmen berück- sichtigen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die georgischen Wahlen waren alles andere als perfekt. Im Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen hat die OSZE-Mission eine Liste dringender Reformschritte an- gemahnt. Doch ihre Befunde stützen auch nicht die von der georgischen Opposition ausgehenden Vorwürfe, nach der die Wahl systematisch gefälscht wurde. Viel- mehr dürften die meisten Verfehlungen auf tradierte Ver- haltensweisen zurückgehen, wie sie für ein postsowjeti- sches Transformationsland eben auch nicht ganz untypisch sind. Wie nahezu das ganze Land hatten auch die Mitglieder der Wahlkommissionen keine Erfahrun- gen mit wirklich freien Wahlen. So kurzfristig, wie die Wahl angesetzt wurde, blieb ihnen auch wenig Vorberei- tungszeit. Dadurch wurden Manipulationen erleichtert. Doch der größere Teil der Unregelmäßigkeiten dürfte auf einer Überforderung der Wahlhelfer beruhen. Die georgische Regierung und insbesondere die Über- gangspräsidentin zeigten sich ernsthaft bemüht, Pro- bleme abzustellen, die die OSZE aufdeckte. Die Zusam- menarbeit mit der OSZE und insbesondere ODIHR verlief ausgesprochen positiv. Georgien ist sicher noch keine Musterdemokratie. Gerade die bei den Präsident- schaftswahlen aufgetretenen Schwierigkeiten zeigen aber auch, dass es dafür mehr bedarf als einer entspre- chenden Gesetzgebung und gutem Willen. Demokrati- sierung ist auch ein Lernprozess. Seinen jeweiligen Stand kann man angemessen nicht nur anhand des Ideals messen. Man muss auch die erzielten Fortschritte be- rücksichtigen. Wenn wir uns darauf beschränkten, Miss- stände zu kritisieren, liefen wir Gefahr, Enttäuschung und Misstrauen zu säen. Welchen Anreiz für demokrati- sche Reformen bieten wir damit einer Regierung? Sie hätte zu befürchten, ihre Autorität zu schwächen ohne ihre Legitimität zu steigern. Die OSZE hat die bei der Wahl aufgetretenen Pro- bleme so sorgfältig aufgelistet, um Reformbedarf aufzu- zeigen. Sie hat aber zugleich die Fortschritte im Demokratisierungsprozess gewürdigt. Genau dieses ab- gewogene Urteil vermisse ich in dem vorliegenden An- trag. In Georgien hat es bei der Präsidentenwahl von 2008 zum ersten Mal Wahlen gegeben hat, bei denen es eine echte Alternative gab. Diese Wahlen waren bei allen Mängeln die demokratischsten, die das Land bisher er- lebt hat. In Ihrem Antrag aber bedauern Sie lediglich „diesen Rückschlag in der demokratischen Entwicklung Georgiens“. Das ist schlicht absurd. In dieser Form bie- tet der Antrag allenfalls einen Anlass, aber keine Grund- lage zur qualifizierten Auseinandersetzung mit dem De- mokratisierungsprozess jedenfalls in Georgien. Ich hoffe aber darauf, dass die weiteren Beratungen im Ausschuss zu besseren Erkenntnissen führen mögen. Eduard Lintner (CDU/CSU): Uneingeschränkt zu begrüßen ist zunächst, dass sich der Deutsche Bundestag wieder einmal mit der Situation der drei südkaukasischen Staaten – Georgien, Aserbaidschan und Armenien – be- fasst. Dadurch kommt auch der Öffentlichkeit gegenüber zum Ausdruck, für wie wichtig wir die Lage in diesen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15403 (A) (C) (B) (D) Staaten und ihre Rolle auch für unsere eigene und die geopolitische Situation erachten. Über diese Bedeutung ist sich eine große Mehrheit in diesem Hause sicher ei- nig. Die Krux des Antrags der FDP ist, dass er mit weni- gen, wohlgesetzten Worten wohlfeile Ratschläge erteilt, mit denen man den gegebenen, in einem historischen Zusammenhang stehenden Verhältnissen nicht gerecht werden kann. Die sogenannten klassischen Demokratien des Wes- tens haben Jahrhunderte gebraucht, bis sie zu modernen gefestigten Demokratien geworden sind. Die südkauka- sischen Staaten sind gerade einmal seit 1991 unabhängig und können erst seit damals eigenverantwortlich han- deln. Diese Zeit reicht einfach nicht aus, um aus einer jahrzehntelang totalitär gestalteten Gesellschaftsordnung mit einer festgefügten Ideologie eine verlässliche rechts- staatliche Demokratie zu formen. Rechtsstaatlichkeit – um einen konkreten und sehr wichtigen Teilaspekt he- rauszugreifen – setzt zum Beispiel Unabhängigkeit und Korruptionsfreiheit der Justiz voraus. Dazu sind wie- derum eine fundierte juristische Ausbildung und eine aus Überzeugung gespeiste Treue zu den Idealen der Men- schen- und Bürgerrechte Vorraussetzungen. Mit den al- ten Justiz- und Polizeikadern aus den Zeiten der Sowjet- union wird das nicht zu schaffen sein. Also müssen erst Richter, Staatsanwälte, generell Juristen ausgebildet und herangezogen werden, die sich diesen Zielen innerlich verpflichtet fühlen. Der Staat muss dann flankierend durch eine angemessene Bezahlung, transparente Beru- fungsverfahren und Gewährleistung der Unabhängigkeit die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Hier sind vor allem konkrete Hilfe und guter Rat gefordert und nicht in erster Linie der erhobene Zeigefinger. Maßstab für die Beurteilung der Entwicklung muss fairerweise die Verbesserung im Vergleich zu den frü- heren Verhältnissen in den Staaten selbst sein. Nur so werden die erreichten konkreten Fortschritte für alle sichtbar. Ziel muss aber unverändert das Ideal des de- mokratischen Rechtsstaats sein. Was hier zu fordern ist, ist die beständige Bewegung der Politik in diese Rich- tung. Dabei sind Wahlen wichtige Wegmarken und In- dikatoren. Bloße Ungeduld hilft niemandem, sondern provoziert nur vermeidbaren Widerstand. Die erst kürz- lich in Aserbaidschan erfolgten neuerlichen Amnestien für politische Häftlinge sind ein konkreter Erfolg sol- cher Bemühungen. Auch das, was der FDP-Antrag nur in einem versteck- ten Nebensatz andeutet, gehört offen ausgesprochen: Die in der Region vorhandenen und die Menschen dort und uns alle belastenden gefahrträchtigen Konflikte sind vor allem deshalb „eingefroren“, weil sie von mächtigen Kräften außerhalb der Region für ihre eigenen Interessen genutzt und am Kochen gehalten werden. Es fällt eben- falls auf und ist sicher kein Zufall, dass bei allen soge- nannten Frozen Conflicts Russland eine wichtige, meist sogar die Schlüsselrolle spielt. Ich bin der festen Über- zeugung, dass wir auf dem Weg zu einer friedlichen Lö- sung längst weiter wären, wenn Russland – in manchen Fällen sogar mit Hilfe militärischer Präsenz – sich aus- gewogenen Lösungen nicht in den Weg stellen würde. Der Schlüssel für Lösungen der Frozen Conflicts liegt daher vor allem oder zumindest auch in Moskau und nicht in Washington oder Brüssel, wie uns der Antrag der Linksfraktion ablenkend weismachen will. Nicht übersehen werden darf auch die Tatsache, dass die Präsenz Armeniens auf dem Territorium seines Nachbarn Aserbaidschan in Nagornij Karabach völker- rechtswidrig ist. Armenien schadet sich mit der Isola- tion, in die es sich dadurch begeben hat, selbst, und Aserbaidschan nimmt das zum Anlass für eine teure Fo- kussierung auf militärische Rüstung. Die Region, die eine wirtschaftlich-geopolitische Schicksalsgemeinschaft darstellt, sollte die Chance er- halten, die vorhandenen Konflikte selbst zu lösen. Ein besonders wirksames Mittel und damit eine entschei- dende Hilfe auf dem Weg einer nachhaltigen Entwick- lung in Richtung rechtsstaatliche Demokratie ist das ehr- liche Angebot zur Anbindung an und, soweit vernünftig, auch Einbindung in die europäische und westliche Ge- meinschaft. Dabei ist die Mehrheit der Menschen und auch der politischen und gesellschaftlichen Verantwor- tungsträger auf unserer Seite. Ein wichtiges Instrument dafür ist die europäische Nachbarschaftspolitik der EU, die die Förderung des Rechtsstaats, die Bekämpfung der Armut und die friedliche Beilegung von Konflikten in der Region zum Ziel hat. Die grundsätzliche Kritik der Linksfraktion an der ENP geht an dieser Tatsache ein- fach vorbei und entlarvt sie so als ideologisch bedingt. Erwähnt werden muss hier übrigens auch noch die Ar- beit des Europarats und der OSZE, die sich beide große Verdienste um die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Südkaukasus erworben haben. Wir sollten die Menschen in dieser Region nicht da- durch enttäuschen, dass wir überwiegend nur Kritik für sie übrighaben, auch wenn sie wohlgemeint sein mag. Die Staaten im Südkaukasus brauchen unsere Ermuti- gung, unseren Rat und unsere Zusammenarbeit, um den eingeschlagenen Weg fortzuführen. Diesem umfassen- den Ansatz wird auch der Antrag der FDP – vom Antrag der Linken ganz zu schweigen – nicht gerecht. Wir leh- nen daher beide ab. Markus Meckel (SPD): Es ist gut, dass der südliche Kaukasus immer mehr ins Blickfeld europäischer Politik kommt. Wenn in den ersten Entwürfen der europäischen Nachbarschaftspolitik der südliche Kaukasus nicht ein- mal berücksichtigt war, hat sich das Bild inzwischen deutlich gewandelt. Alle drei Länder sind Partner der europäischen Nachbarschaftspolitik und sehr an einer Zusammenarbeit interessiert. Georgien ist – bei allen Defiziten, die gerade in den letzten Monaten offenbar geworden sind – klar auf einem prowestlichen Kurs und strebt nach der Mitgliedschaft in der Nato. Aserbai- dschan ist ein wichtiger Partner der EU in der Energie- versorgung geworden, was viel Geld in die Kassen des Landes gespült hat. Es wird nun darauf ankommen, dies auch für die langfristige Entwicklung des Landes zu nut- zen. Armenien tut sich manchmal noch schwer und hat insbesondere zu der von der Türkei geschlossenen Grenze zu leiden. Aber auch Armenien versteht sich klar als Partner der EU. Gleichzeitig setzt Armenien wegen 15404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) der ungelösten Konfliktlage um Nagornij Karabach auf die russische Unterstützung. Als Region in der doppelten Nachbarschaft, einmal der EU und zum anderen Russlands, braucht der südli- che Kaukasus eine größere europäische Aufmerksam- keit. Der Anfang ist gemacht, nicht zuletzt durch die An- strengungen unter der deutschen Ratspräsidentschaft, in welcher das Projekt der verstärkten Schwarzmeerzusam- menarbeit als Teil der europäischen Nachbarschaftspoli- tik entwickelt wurde. Es wird nun sehr darauf ankom- men, dem auch wirklich Taten folgen zu lassen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es zwar gute Ideen gibt, gewiss auch guten Willen, aber die Ressourcen für diese Politik zu gering sind – sowohl finanziell wie auch personell. Dies ist nicht zuletzt auch wegen der Risiken wichtig, vor der wir in der Region stehen. Die sogenannten Fro- zen Conflicts belasten das Zusammenleben und bedeu- ten das steigende Potenzial künftiger heißer Konflikte. Aserbaidschan nutzt die neuen Finanzquellen für eine enorme Aufrüstung, die für die Zukunft große Sorgen machen muss. Die Position Armeniens wird nicht zuletzt durch wirtschaftliche Schwierigkeiten immer schwächer. Hier ist mit zunehmender Dringlichkeit entschlossene internationale Aufmerksamkeit und Vermittlung gefragt – und bis heute leider nicht abzusehen. Dabei wäre dies ein wichtiger Fall für eine gemeinsame Außen- und Si- cherheitspolitik der EU. Nach den Präsidentschaftswahlen in Georgien gibt es neue Äußerungen von Präsident Saakaschwili, wodurch offensichtlich das Gespräch mit Russland gesucht wird, um die Konflikte um Abchasien und Südossetien zu lö- sen bzw. eine weitere Verschärfung der Lage zu verhin- dern. Hier wird von allen Seiten der Wille zum Dialog gefordert sein und zugleich die Bereitschaft, zu dauer- haften Lösungen zu kommen. Nach den Wahlen in Russ- land wird dies eine besondere Aufgabe der nächsten zwei Jahre sein müssen. Von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Region ist die Entwicklung zu Freiheit und Demokratie in allen drei Ländern. In den letzten Jahren hatte Georgien hier die Nase vorn und gab sich den Anschein einer entwi- ckelten Demokratie. Die Labilität der Situation ist in den letzten Monaten aber deutlich geworden. Georgien wird nun bei den kommenden Kommunalwahlen den Beweis erbringen müssen, dass man es mit der Demokratie wirk- lich ernst meint. So bleibt auch hier noch viel zu tun. Mehr aber noch in den beiden Nachbarstaaten. Armenien hat sich gerade einen neuen Präsidenten gewählt. Der neue Präsident Sarkisjan hat deutlich ver- nehmbare Bekenntnisse zu Europa abgegeben. Doch steht der Beweis noch aus, dass es ihm dabei um mehr als nur um wirtschaftliche Vorteile und um Hilfe bei Lö- sung von Armeniens Problemen mit der Türkei geht. Der entschlossene Kampf gegen Korruption im Inneren und der Wille zur Konfliktlösung mit Aserbaidschan in der Außenpolitik müssen für uns Kriterien sein. Russland bleibt auch in Zukunft für den südlichen Kaukasus ein wichtiger Faktor. Hier ist für die Zukunft zu hoffen, dass die Bereitschaft in Russland wächst, die Frozen Conflicts nicht weiter schwelen zu lassen, son- dern sie dauerhaft zu lösen. Ohne Russlands Koopera- tionsbereitschaft wird es sehr schwierig sein. Umso mehr bedarf es des Engagements der EU, sich dieser wichtigen Nachbarschaft zuzuwenden und selbst das Ge- spräch mit Russland zu dieser gemeinsamen Nachbar- schaft zu suchen. Langfristig müssen auch die Länder des südlichen Kaukasus eine europäische Perspektive haben. Viele Menschen hoffen darauf. Wir wissen, der Weg ist noch lang. Doch er muss beschritten werden, zuerst von den Menschen in der Region selbst, wenn sie es denn wollen. Das wird viel Anstrengung brauchen. Doch wenn man sich aufmacht auf diesen Weg, dann sollten wir bereit sein, alle nur mögliche Unterstützung dafür zu bieten. Und gleichzeitig gilt es, die Tür offen zu halten. Es wird jedenfalls nicht nur für die Menschen der Region selbst, sondern auch für die EU von großem Vorteil sein. Markus Löning (FDP): Die FDP legt dem Haus heute einen Antrag zur Lage der Demokratie in Aser- baidschan, Armenien und Georgien vor. Anlass sind wichtige Wahlen, die in diesem Jahr in allen drei Repu- bliken des Südkaukasus stattfinden. Wir meinen, es ist längstens Zeit für den Bundestag, sich jetzt intensiv mit der Situation in dieser Region zu befassen, deren demo- kratische Entwicklung und politische Stabilität im ur- eigensten Interesse Deutschlands liegen. Das Superwahljahr 2008 ist ein wichtiges Schlüssel- jahr für alle drei Republiken. Bereits die Ereignisse in Georgien im Vorfeld und während der Präsidentschafts- wahlen haben gezeigt, wie prekär die Situation der Menschenrechte und Medienfreiheit in dieser jungen Demokratie noch immer ist. Aber auch in Armenien und Aserbaidschan werfen die kommenden Wahlen ihre Schatten voraus: Gewalt gegen Demonstranten, Repres- sionen und Einschüchterungsversuche gegenüber Jour- nalisten und Vertretern aus Nichtregierungsorganisatio- nen sowie die zunehmende öffentliche Diffamierung des politischen Gegners bestimmen den politischen Alltag in der Region. Zudem gab es – neben den massiven Einschränkun- gen im Vorfeld der Wahlen – in der Vergangenheit auch in allen drei Ländern Fälschungen der Wahlergebnisse. Zu seiner Rolle als Energielieferant wie auch als Korri- dor für Energielieferungen kommt eine wichtige politi- sche Bedeutung des Südkaukasus für Europa und für Deutschland hinzu. Seine energiepolitische Bedeutung ist evident: Die EU muss heute 50 Prozent ihrer Energie importieren, bis 2030 wird diese Rate auf 65 Prozent an- steigen. 90 Prozent dieser Importe kommen aus der Nachbarschaft, Russland und dem Nahen Osten. Der Südkaukasus hat einen wichtigen Anteil an der notwen- digen Strategie der Diversifizierung von Energieliefe- ranten, Bezugsquellen sowie Transportwegen. Doch noch wichtiger ist seine politische Bedeutung: die demo- kratische Entwicklung des Südkaukasus ist Vorausset- zung für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der ge- samten Region. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15405 (A) (C) (B) (D) Demokratiedefizite behindern nicht nur die politische Stabilität, sie behindern auch langfristige Reformen und wirtschaftliche Entwicklung. Sie führen zu einer Desta- bilisierung des Gemeinwesens und geben letztendlich Nahrung für Brutstätten krimineller und terroristischer Aktivitäten. Dies heißt, wir müssen den Dialog in Fragen demokratischer und wirtschaftlicher Reformen intensi- vieren. Dies heißt aber auch, dass sich Deutschland – und das nicht nur im Vorfeld von Wahlen – stärker mit der Lage der Menschenrechte und Medienfreiheit vor Ort befassen muss. Armenien, Aserbaidschan und Georgien sind junge Staaten, denen es trotz enormer wirtschaftlicher und so- zialer Umwälzungen sowie blutiger regionaler Konflikte gelungen ist, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und ein gewisses Maß an politischer Stabilität zu erreichen. Poli- tische Stabilität ohne demokratische Entwicklung ist je- doch nicht genug. Alle drei Staaten haben sich zur Einhaltung der Men- schenrechte sowie zu nachhaltigen politischen und wirt- schaftlichen Reformen verpflichtet. Die Wahlen 2008 sind ein wichtiger Prüfstein für eben diese Zusagen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei nicht nur die korrekte Auszählung der Stimmen am Wahltag, sondern auch die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und der freie Zugang zu Medien im Vorfeld der Wahlen. In Bezug auf die möglichen Auswirkungen der Ko- sovo-Debatte auf die Lage im Südkaukasus titelte die Zeit kürzlich eine „südkaukasische Bredouille“, in die Russland mit seiner Politik gegenüber den separatisti- schen Gebieten in Abchasien, Südossetien und Berg- Karabach geraten sei. Eben aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir uns nicht in eine Bredouille begeben, indem wir eine einseitige oder halbherzige Politik ge- genüber unseren Partnern im Südkaukasus betreiben. Politische, wirtschaftliche sowie kulturelle Koopera- tionsbeziehungen sollen Reformen unserer gleichberech- tigten Partner im Südkaukasus unterstützen. Die Entwick- lungen in Georgien in den letzten Tagen haben diese Notwendigkeit noch einmal unterstrichen. Umgekehrt brauchen wir in allen drei Staaten faire und freie Wah- len: die essenziellen Voraussetzungen für ein Klima de- mokratischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität. Denn Kooperation ist weder eine Einbahnstraße noch ein Nullsummenspiel. In Kenntnis der spürbaren Verschlechterung der Si- tuation der Presse- und Medienfreiheit in allen drei Län- dern des Südkaukasus und in Sorge um die Lage der Menschen- und Bürgerrechte sprechen wir uns aus- drücklich dafür aus, die Region bei ihren Anstrengungen um mehr Demokratie und Pluralismus zu unterstützen. Hierfür sind die Wahrnehmung und Beobachtung der Lage vor Ort wichtige Instrumente. Politische Aufmerk- samkeit und Anteilnahme können verhindern, dass auto- kratische Systeme länger im Geheimen operieren. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Es ist erfreulich, dass wir heute mit dem Südkaukasus über eine Region debattieren, die in der öffentlichen Wahrnehmung und Medienberichterstattung leider viel zu wenig Beachtung findet. Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP ha- ben einen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Sie werden verstehen, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Die Linke mindestens ein ebenso großes Interesse an dieser Region hat und folglich einen eigenen Antrag vorlegt. Der Antrag der FDP betont die Notwendigkeit einer demokratischen Entwicklung in den drei Südkaukasusre- publiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Die- ses wichtige Anliegen unterstützt Die Linke voll und ganz. In dem FDP-Antrag dominiert allerdings eine eu- rozentrische Handschrift, die keine Antwort auf die Frage liefert, welche sozialen und ökonomischen Grund- lagen geschaffen werden müssten, damit sich die betref- fenden Staaten selbstbestimmt und demokratisch entwi- ckeln können und welche inneren und äußeren Kräfte dem entgegenstehen? Hierfür müssten vor allem die geo- strategischen Interessen der EU, aber auch der USA, die mit den jeweiligen Oligarchien aufs engste verbunden sind, sowie die Interessen Russlands kritisch hinterfragt werden, und genau dieser Aufgabe weicht die FDP aus. Die Fraktion Die Linke stellt in den Mittelpunkt ihres Antrags ein erweitertes Verständnis einer demokrati- schen Nachbarschaftspolitik der EU, die mit den Part- nerländern einen fairen und gleichberechtigten Umgang pflegt und dies nicht von der Übernahme des eigenen Wirtschafts- und Politikmodells abhängig macht. Die Südkaukasusregion darf nicht auf die Rolle einer Nachschubbasis und eines Transitraums für den Energie- hunger Europas nach fossilen Rohstoffen reduziert wer- den. Sie bildet vielmehr eine Brücke für den politischen Dialog mit den Staaten Zentralasiens und des mittleren Ostens und ist somit von nicht zu unterschätzender Be- deutung. Die EU-Nachbarschaftspolitik verfolgt bislang das Ziel, Georgien, Armenien und Aserbaidschan mithilfe einer einseitigen Exportorientierung in die internationale Arbeitsteilung der kapitalistischen Weltwirtschaft zu in- tegrieren. Die Entwicklung einer stabilen Binnenwirt- schaft wird dabei ebenso vernachlässigt wie der Aufbau armutsfester Sozialstandards. Wie nicht anders zu erwar- ten, ist als Folge dieser neoliberalen Politik der materi- elle Reichtum in allen drei Ländern höchst ungleich ver- teilt: Nur eine schmale Führungselite partizipiert an den wirtschaftlichen Erfolgen, während die Bevölkerungs- mehrheit nahe am bzw. unter dem Existenzminimum lebt. Die „Kaukasusinitiative“ der Bundesregierung, die sich als „Struktur- und Friedenspolitik“ versteht, igno- riert, dass die ungezügelte Herrschaft der Oligarchien und die neoliberale Privatisierungswelle nach Auflösung der Sowjetunion zu gravierenden sozialen Verwerfungen geführt haben, die nicht mit noch mehr Privatisierung zu bewältigen sind. Auch andere „Eckpfeiler“ der Kaukasus- initiative, wie „Kommunale Demokratie“ und ein „de- mokratisches Rechtssystem“, stehen unter diesen Bedin- gungen im Widerspruch zu den geostrategischen Interes- sen, die über die Oligarchien realisiert werden. Die Linksfraktion fordert, dass die EU-Nachbarschafts- politik stärker an sozialen Kriterien auszurichten ist, an der Förderung von Bildung, Ausbildung, Gesundheit und Öko- 15406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) logie als öffentliche und nicht privatwirtschaftlich zu lö- sende Aufgaben. Primär muss die Entwicklung der Binnen- wirtschaft in den Südkaukasusstaaten unterstützt werden. Die EU muss hierbei auch ihren eigenen Binnenmarkt stär- ker für andere Exportprodukte wie Industriegüter und land- wirtschaftliche Erzeugnisse aus den Partnerländern öffnen und nicht nur für Erdöl und Erdgas. Ein weiteres Entwicklungshemmnis bilden die unge- lösten, eingefrorenen Regionalkonflikte in Abchasien, Südossetien und Berg-Karabach. Die USA, aber zuse- hends auch die EU, betreiben seit dem Zerfall der Sowjetunion eine offensive Zurückdrängung des russi- schen Einflusses im Südkaukasus. Das aggressive Vor- gehen der USA verletzt die legitimen Sicherheitsinteres- sen Russlands und führt zur gegensätzlichen, regionalen Blockbildung unter Einbeziehung Georgiens und Aser- baidschans auf Seiten der USA und Armeniens auf Sei- ten Russlands. Eine eventuelle Aufnahme Georgiens in die NATO würde die Blockkonfrontation weiter zuspit- zen und findet deshalb keine Zustimmung der Linksfrak- tion. Eines darf nicht vergessen werden: Die Leidtragenden in der Südkaukasusregion sind die insgesamt weit über eine Million Flüchtlinge, die Anfang der 90er Jahre im Zuge blutiger Sezessionskonflikte aus ihren Wohnsitzen vertrieben wurden. Die umgehende Verbesserung ihrer humanitären Lage und ihr Recht auf schnelle Rückkehr in die Herkunftsregionen müssen im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. Die südkaukasischen Regionalkonflikte müssen nach den Prinzipien des Völkerrechts und des Gewaltver- zichts gelöst werden. Die diesbezüglichen Vorschläge der Linksfraktion lauten: Entmilitarisierung der Südkau- kasusregion und Intensivierung der Konfliktvermittlung. Die deutsche Bundesregierung ist hierbei aufgerufen, deutlich größere Anstrengungen zu unternehmen, um auf der Ebene von UN und OSZE eine Verhandlungslö- sung zu unterstützen. Die Linke bekräftigt die territoriale Integrität Georgiens, Aserbaidschans und Armeniens so- wie die Unverletzlichkeit der völkerrechtlich anerkann- ten Grenzen! Die Linke sieht in der Einführung von ho- hen Autonomiestandards für Abchasen, Süd-Osseten und Karabach-Armenier die einzige völkerrechtlich legi- time Alternative zu den faktisch vollzogenen, gewaltsa- men Sezessionen. Die Fraktion Die Linke ruft die Bundesregierung auf, ihre Außen- und Europapolitik strikt am Primat des Völ- kerrechts auszurichten, um im Südkaukasus einer ver- hängnisvollen Fehlentwicklung präventiv entgegenzu- wirken, die Frieden und Stabilität in dieser wichtigen Nachbarschaftsregion der EU weiter untergraben würde. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wer die Präsidentschaftswahlen in Armenien am vergangenenen Wochenende beobachtet hat, findet eine Erfahrung bestätigt, die erst kürzlich auch im benachbar- ten Georgien gemacht werden konnte: Die Entwicklung demokratischer Verfahren braucht Zeit und braucht Un- terstützung. Dieser Satz unterstellt jedoch immerhin, dass eine solche Entwicklung tatsächlich stattfindet. Das ist in Armenien und Georgien der Fall. Es handelt sich nicht, wie in anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, lediglich um eine Inszenierung von Wah- len, von Pluralismus. Zwar gibt es, besonders im Vorfeld, unbestreitbar Pro- bleme. Besonders der Einsatz der sogenannten staatli- chen Ressourcen – vornehmlich der staatlich kontrollier- ten Medien – zugunsten des Favoriten der Regierung, bleibt kritikwürdig. Auch die schwer überprüfbaren Vor- würfe verbreiteten Stimmenkaufs werden immer wieder laut. Die unterlegene Opposition ruft zu Demonstratio- nen gegen Wahlfälschungen auf und behauptet, sie habe gesiegt. Die Beobachtungen der OSZE jedoch sind im Vergleich dazu differenzierter und vor allem optimisti- scher. So war es in Georgien und jetzt auch in Armenien. Der Tenor der OSZE-Bewertung ist: Im Wesentlichen sind die Wahlen frei und fair, aber es bedarf weiterer Verbesserungen. Diese Beschreibung lässt sich weitgehend auf die ge- samte Entwicklung der Länder des Südkaukasus übertra- gen. Dabei muss natürlich die Ausgangslage, die Vorge- schichte der jetzigen Staaten des südlichen Kaukasus berücksichtigt werden. Weder die Osmanen noch die Za- ren haben dort Modernisierung und Demokratie beför- dert. In der Sowjetunion herrschten Repression und Willkür. Eine demokratische Tradition gibt es also nicht. Vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtigen Ent- wicklungen zu bewerten, die von den Standards der Europäischen Union noch weit entfernt sind. Besonders deutlich ist dies in Aserbaidschan, wo nach wie vor die politische Opposition verfolgt und zivilge- sellschaftliche, emanzipatorische Bestrebungen zumin- dest argwöhnisch beobachtet werden. In Georgien und auch in Armenien jedoch ist inzwischen eine sich lang- sam konsolidierende Parteienlandschaft zu beobachten. Von einer der Regierungsmacht auf Augenhöhe gegen- überstehenden Opposition kann zwar noch keine Rede sein. Zu zerstritten und zu wenig programmatisch profiliert ist sie noch, zudem – auch durch staatliche All- gegenwart – eingeschränkt in ihren Handlungsmöglich- keiten. Dennoch sind erste Ansätze einer sich entwi- ckelnden pluralistischen Kultur zu sehen. Problematisch bleibt die wirtschaftliche Entwicklung. Die sozialen Spannungen sind groß, auch im vom Öl- und Gasgeschäft profitierenden Aserbaidschan. Die Kor- ruption grassiert. Staat und Regierung dienen noch immer eher der persönlichen Bereicherung als der Stabi- lisierung gesellschaftlicher und ökonomischer Entwick- lung. In dieser ambivalenten, auch für Krisen anfälligen Lage spielt die politische Orientierung hin zur Europäi- schen Union eine bedeutende Rolle und ermöglicht er- heblichen Einfluss. Dies gilt am ehesten für Georgien, das in seinem Konflikt mit Russland am stärksten auf westliche Unterstützung setzt. Daran ändert im Übrigen auch das jetzt in hiesigen Medien herbeispekulierte neue Bündnis mit Russland gegen die Unabhängigkeit separa- tistischer Gebilde nichts. Das zwischen Aserbaidschan und der Türkei isolierte Armenien lehnt sich außenpoli- tisch nach wie vor stark an die Schutzmacht Russland Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15407 (A) (C) (B) (D) an. Die autoritäre Regierung in Baku hingegen versucht, gestützt auf ihre Rohstoffprofite, eine Balance zwischen Russland, den USA und der EU zu halten. Für die Europäische Union und nicht zuletzt für das in der Region hochangesehene Deutschland müssen die drei Staaten des südlichen Kaukasus ein außenpoliti- scher Schwerpunkt bleiben. Unser Interesse an einer sta- bilen – das heißt nicht zuletzt demokratischen – Ent- wicklung in der Nachbarschaft der EU liegt auf der Hand. Deshalb ist eine Stärkung der europäischen Nach- barschaftspolitik sinnvoll und notwendig. Dafür bedarf es nicht nur eines intensiveren Einsatzes von Mitteln als bisher. Von ebenso großer Bedeutung ist die Transparenz ihrer Verwendung und die Konditionierung ihres Einsat- zes. Maßstab dafür ist zu Recht der europäische Acquis communautaire, besser noch seine Übertragung auf die Staaten des Südkaukasus. Konkret bedeutet das die For- derung nach Garantie der Menschenrechte, nach Rechts- staatlichkeit und konsequenter Korruptionsbekämpfung als Voraussetzungen weiterer und dauerhafter Unterstüt- zung durch die EU. Es geht dabei nicht zuletzt um die notwendige Verankerung der Demokratie als eines auch wirtschaftlich für alle nutzbringenden Gesellschaftssys- tems. Zu oft und zu lange haben die Menschen in der früheren Sowjetunion die Erfahrung gemacht, dass De- mokratie die Bereicherung weniger und die Verarmung vieler bedeute. Zu oft führt das noch zum Ruf nach star- ker Führung statt zur Motivation zur gesellschaftlichen Beteiligung. Die EU und auch Deutschland können mehr für die- ses Ziel tun. Dazu gehört schließlich auch ein verstärktes Engagement für die internationale Vermittlung zur Lö- sung der regionalen Konflikte von Abchasien und Süd- ossetien bis Nagorny-Karabach. Diese Krisenherde bin- den bis heute viel zu viele politische und nicht zuletzt militärische Ressourcen. Lösungsangebote des Westens gab es schon viele, aber es braucht auch Anreize zur Überwindung erstarrter Positionen. Die Annäherung an die Europäische Union könnte auch hier ein solcher An- reiz sein. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Regierungsver- handlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammen- arbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen (Zusatztagesordnungspunkt 7) Anette Hübinger (CDU/CSU): Bolivien ist einer der wichtigsten entwicklungspolitischen Partner der Bun- desrepublik Deutschland in Südamerika. Die deutsche Entwicklungsarbeit ist dort seit über 40 Jahren engagiert. Dennoch müssen wir konstatieren, dass Bolivien immer noch das ärmste und auch exportschwächste Land dieser Region ist. Trotz seiner reichen Rohstoffvorkommen, vornehm- lich Erdgas, ist es bisher unzureichend gelungen, die steigenden Einnahmen an die sozial bedürftigen Bevöl- kerungsgruppen weiterzugeben und für Investitionen in wirtschaftliche Strukturen zu nutzen. Es mangelt an sta- bilen staatlichen Institutionen, an wirtschaftlich effizien- ten Strukturen und nachhaltigen Sozialsystemen. Bolivien durchlebt seit mehr als fünf Jahren politisch turbulente Zeiten mit rasch wechselnden Regierungen, konfliktgeladenen Auseinandersetzungen und Protest- kundgebungen der Bevölkerung. Seit 2003 sind drei neue Präsidenten vereidigt worden. Diese politisch und wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen haben natürlich auch den Erfolg der deutschen Entwicklungs- zusammenarbeit tangiert und sie vor neue Herausforde- rungen gestellt. Der Amtsantritt des Präsidenten Morales als erster in- digener Präsident und seine Ankündigungen von tief greifenden sozialen und ökonomischen Veränderungen haben in der Bevölkerung große Hoffnung und Erwar- tungen ausgelöst. Die partizipative Mobilisierung der indigenen Bevöl- kerungen, die immerhin 60 Prozent der Bevölkerung darstellt, die bislang faktisch ausgeschlossen war, ist wohl bis heute Morales größter Erfolg. Im Hinblick auf die Anerkennung ihrer Rechte und ihrer Rolle im politi- schen Leben konnten in den vergangen Jahren beachtli- che Fortschritte erzielt werden. So hat die Regierung die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Bevölkerung in einem eigenen Gesetz veran- kert, welches durch die öffentliche Generalversammlung im September vergangenen Jahres verabschiedet wurde. Auch wenn wir immer wieder Berichte über weiterhin bestehende gravierende Probleme und Diskriminierung gegenüber indigenen Personen zur Kenntnis nehmen müssen, begrüßen wir dennoch Boliviens bis dato unter- nommene Reformanstrengungen in diesem Bereich. Viele Probleme sind jedoch noch ungelöst, wie zum Beispiel die fortschreitende Entwicklung der Gewalten- teilung, hier insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz. Gerade im Bereich der Institutionenbildung und des Aufbaus funktionierender Verwaltungsstrukturen kön- nen wir als Partner Boliviens wichtige Unterstützung leisten. Die Lösung der sozialen Spannungen, der Aufbau funktionierender Wirtschaftsstrukturen einschließlich ei- ner effizienten und nachhaltigen Ressourcennutzung und die Bekämpfung von Korruption sind immer noch die größten Herausforderungen, denen sich Bolivien ernst- haft stellen und bezüglich derer es auch eine größere Re- formbereitschaft signalisieren muss. In diesem Zusam- menhang bleibt es abzuwarten, ob die durchgeführten Verstaatlichungen im Erdöl- und Erdgasbereich auch die wirtschaftliche Entwicklung Boliviens positiv beeinflus- sen oder ob dadurch das Vertrauen ausländischer Inves- toren verloren gegangen ist. Eines der dringendsten Probleme ist die Armut breiter Bevölkerungsschichten in Bolivien. Mit dem von der bo- livianischen Regierung im Jahr 2006 vorgelegten Plan Nacional de Dessarrollo, PND, bekennt sie sich eindeu- tig zu ihrem Ziel der Armutsbekämpfung. Dieser Regie- 15408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) rungsplan bildet auch die Grundlage unserer entwick- lungspolitischen Zusammenarbeit. So benennt er unter anderem das Ziel einer verstärkten industriellen Ent- wicklung durch die Förderung von kleineren und mittle- ren Unternehmen. Weiterhin fließen Gelder aus den Na- tionalisierungen in die Armutsbekämpfung. Allerdings fehlen oftmals schlüssige Umsetzungspläne, eine klare Priorisierung der Programme und Details zur Finanzie- rung. Darüber hinaus wird seit kurzem auch über die Einführung eines Einkommensteuersystems nachge- dacht. Und genau hier setzt unsere Entwicklungszusammen- arbeit mit Bolivien an. Die deutsche EZ engagiert sich schwerpunktmäßig in drei Sektoren: der Verbesserung der Trink- und Abwassersituation, der Stärkung einer de- mokratischen und effizienten Regierungsführung und im Bereich einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Ent- wicklung. Kernpunkt der Regierungspolitik Morales ist eine Landreform, deren Schwerpunkt auf der Förderung des kollektiven Landbesitzes von indigenen Gemeinden liegt, die familiären Privatbesitz hingegen ablehnt. Die- sen Ansatz werden wir weiterhin kritisch betrachten, denn in meinen Augen ist der Besitz von Grund und Bo- den eine existenzielle Lebensgrundlage in Bolivien. Auch ist es ein Irrtum, die Mechanisierung und Produk- tivität der Landwirtschaft mit der Nutzung von Trakto- ren gleichzusetzen. Um eine Produktivitätssteigerung im Agrarsektor zu erreichen, ist vielmehr der Einsatz von Forschungsergebnissen vonnöten. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine Zusammenarbeit bei der Quinoa-For- schung. Hier sollten wir von deutscher Seite eine stär- kere Kooperation anbieten. Im Bereich der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Good Governance unterstützen wir den Verfas- sungsreformprozess und sind in der Stärkung institutio- neller Reformen und im Bereich Dezentralisierung enga- giert. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse sind das Bereiche, bei denen wir wichtige Hilfestellungen leisten können, aber auch den Werde- gang kritisch begleiten und beobachten müssen. Im Dezember vergangenen Jahres hatte der Verfas- sungskonvent nach langer Auseinandersetzung in der verfassungsgebenden Versammlung einem neuen von der Regierungspartei MAS vorgelegten Verfassungsent- wurf zugestimmt. Die Opposition blieb allerdings der Abstimmung fern. Aus Protest gegen die aus ihrer Sicht unrechtmäßig angenommene neue Verfassung des Lan- des erklärten sich fünf der neun Departements für auto- nom. Nach diesem klaren und politischen Signal der Op- position in der seit Monaten andauernden politischen Krise hat der sozialistische Präsident Morales eingelenkt und versucht nun, sich gemeinsam mit den oppositionel- len Bezirkschefs durch die Bildung einer Kommission über die Streitpunkte einer neuen Verfassung, des Auto- nomierechtes und der Finanzfragen zu beraten. Diese politischen Auseinandersetzungen werden wir auch in Zukunft weiter kritisch beobachten und begleiten müssen. Es ist wichtig, wie Sie auch in Ihrem Antrag zu Recht einfordern, unsere Entwicklungspolitik gemein- sam mit unserem Partner immer wieder kritisch zu über- prüfen und neu zu überdenken. Erst vor wenigen Wochen hat im Ausschuss Erz- bischof Abastoflor aus La Paz berichtet, wie wichtig und bedeutsam das deutsche Engagement für die boliviani- sche Bevölkerung ist. Das uns entgegenbrachte Ver- trauen und die Hoffnung der Bevölkerung auf Verände- rung der sozialen und wirtschaftlichen Schieflage nehmen Deutschland natürlich auch in die Pflicht. Ver- trauen beruht auf einer kontinuierlichen Zusammenar- beit. Die politischen Unruhen der vergangenen Jahre in Bolivien sind jedoch ein positives Zeichen dafür, dass der politische Wille zu Veränderungen auch vorhanden ist. Deshalb ist es nur richtig, unsere Entwicklungszu- sammenarbeit mit Bolivien zielgerichtet fortzusetzen und diese Veränderungswünsche gemeinsam mit Boli- vien in eine demokratische Struktur zu lenken. Erst wenn dies nicht gelingt, muss neu über eine entwick- lungspolitische Zusammenarbeit nachgedacht werden. Daher lehnt die Fraktion der CDU/CSU den zu beraten- den Antrag der FDP-Fraktion ab. Dr. Sascha Raabe (SPD): Die letzten Regierungs- verhandlungen zwischen Deutschland und Bolivien im Juni vergangenen Jahres sind nach einhelliger Meinung beider Seiten konstruktiv und harmonisch verlaufen. Für die Jahre 2007 und 2008 wurden Neuzusagen über Mit- tel in Höhe von 35 Millionen Euro für die finanzielle und 17 Millionen Euro für die technische Zusammen- arbeit vereinbart. Die deutschen entwicklungspolitischen Ziele und Schwerpunkte in Bolivien sind: Stärkung der demokratischen Regierungsführung unter verantwortli- cher Beteiligung der Zivilgesellschaft, die Reduzierung der Armut durch die nachhaltige Nutzung der landwirt- schaftlichen Produktion, die Verbesserung der Wasser- ver- und -entsorgung für die ärmsten Gruppen der boli- vianischen Bevölkerung sowie der Schutz natürlicher Ressourcen. Dabei sind allein für Vorhaben im Bereich „gute Regierungsführung“ rund 16,5 Millionen Euro veranschlagt. Der Dialog, den die Bundesregierung und hier insbe- sondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung mit Bolivien führt, war und ist eng. Nur über einen engen Dialog, der die Be- dürfnisse und Ideen des Partnerlandes berücksichtigt, und nicht über einseitige Konditionierung bei der Mittel- vergabe werden wir dauerhaft und nachhaltig positive Entwicklungen für die Menschen in Bolivien erreichen. Ihr Problem, sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, ist, dass Ihnen schlicht und ergreifend die Regie- rung Morales nicht in den Kram passt. Sie kommen nicht damit klar, dass die Bolivianer mehrheitlich links ge- wählt haben und dass Präsident Evo Morales eine selbst- bewusste Politik für die Armen in seinem Land macht. Bei aller Kritik, die man gegenüber bestimmten Teilen seiner Politik sicher anbringen kann, muss man akzeptie- ren, dass sich Bolivien diesen Präsidenten gewählt hat, und zwar einen Präsidenten, der der jahrzehntelang in Bolivien benachteiligten indigen Bevölkerungsmehrheit angehört. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15409 (A) (C) (B) (D) Sie kritisieren in Ihrem Antrag die, wie Sie sagen, „Verstaatlichung“ der Erdöl- und Gasindustrie. In Wirk- lichkeit geht es darum, dass sittenwidrig geschlossene Verträge der Vorgängerregierung, die eine Plünderung der Rohstoffe Boliviens ohne nennenswerten Nutzen für das Land zur Folge hatten, nun revidiert wurden. Aus Sicht der bolivianischen Bevölkerung, von der Sie in Ih- rem Antrag ja selber schreiben, wie arm sie ist, macht das durchaus Sinn. Sie profitiert jetzt mehr als vorher von der Gewinnung der Rohstoffe, die aus der Erde Bo- liviens gefördert werden. Man kann wohl ungefähr von einer Verdreifachung der Einnahmen für den boliviani- schen Staat ausgehen, die nun unter anderem zur Ar- mutsbekämpfung im Land zur Verfügung stehen. Morales hat die von den Vorgängerregierungen ausge- handelten Verträge neu verhandelt. Und es bleibt festzu- halten, dass die meisten Unternehmen, sicher zähneknir- schend, aber doch im Land geblieben sind und die neuen Bedingungen akzeptiert haben. Zurzeit sind rund 20 aus- ländische Unternehmen im bolivianischen Energiesektor tätig, und auch wenn die Summe der Direktinvestitionen seit 2005 zurückgegangen ist, heißt das nicht, dass Boli- vien für ausländische Investoren heute nicht mehr attrak- tiv wäre. Diese Firmen schreiben auch heute noch schwarze Zahlen. Sie sind vielleicht nicht mehr ganz so fett wie früher, aber der Kuchen ist gerechter verteilt als vorher. Jeder bekommt jetzt ein ganzes Stück, keiner muss sich mehr mit den Krümeln begnügen. Wir fordern von unseren Partnerländern immer, dass sie nachhaltig wirtschaften sollen, dass sie selbst Wege finden sollen, um wirtschaftlich unabhängig zu werden. Das geht nicht, wenn man seine Ressourcen ausschließ- lich ausländischen Konzernen überlässt. Mit der Natio- nalisierung der Vorkommen bekommt jeder seinen An- teil. Bolivien geht so einen möglichen Weg, ob der der FDP in Deutschland nun gefällt oder nicht. Wenn die so erzielten Mittel sinnvoll verwendet wer- den, geht die Rechnung letztlich auch für uns auf. Ent- wicklungsländer, die ihre Bodenschätze selber nutzen und sie nicht von ausländischen Firmen ausbeuten las- sen, brauchen weniger Hilfe von außen. Sie werden so auch zu stärkeren Handelspartnern. In Ihrem Antrag schreiben Sie: Eine nachhaltige wirkungsvolle Entwicklungszu- sammenarbeit muss auf die marktwirtschaftliche Integration der Armen selbst als handelnde Sub- jekte einer Volkswirtschaft ausgerichtet sein und die Armen am Beginn der marktwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, im Agrarbereich, Kleinge- werbe, Kleinhandel und Handwerk besonders för- dern. Der Satz ist gar nicht so dumm. Die Armen müssen an der Wertschöpfungskette beteiligt werden. Nichts ande- res will Morales ja tun, wenn er sein Volk stärker an der Ressourcengewinnung beteiligt und die Macht multi- nationaler Konzerne in seinem Land in gewissem Maße begrenzt. Es sollte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, zu denken geben, dass sogar zahlreiche kirchli- che Organisationen seinerzeit dafür geworben haben, Morales eine Chance zu geben und ihn nicht dafür zu verurteilen, dass er die Verträge neu verhandelt hat. Dr. Karl Addicks (FDP): Wir sprechen heute über ein Land, das zurzeit und in der jüngsten Vergangenheit immer wieder in den Schlagzeilen war – Bolivien. Mo- mentan sind es die Überschwemmungen, die einige Teile Boliviens in Not gebracht haben. Es waren aber auch an- dere Bilder und Nachrichten, die uns aus Bolivien er- reicht haben. Bilder von gewaltsamen Auseinanderset- zungen und Demonstrationen gegen die von Präsident Morales entworfene Verfassung und das Verfassungsver- fahren. Das Land stand in diesen Tagen näher an einer Spaltung als vor einer Einigung! Es ist genau das Gegen- teil von dem eigentlichen Ziel der Verfassungsreform – ein geeintes Land zu erhalten – eingetreten. Morales hat als Präsident bei der indigenen Bevölkerungsmehr- heit viele Hoffnungen geweckt. Aber er hat leider ver- gessen, dass er der Präsident aller Bolivianer ist! Eines seiner großen Ziele war eine Verfassungsreform im Sinne der indigenen Bevölkerung. Bereits im Jahr 2006 begann die verfassunggebende Versammlung mit ihrer Arbeit, die im Jahre 2007 abge- schlossen sein sollte. Immer wieder gab es Verzögerun- gen und Verfahrensprobleme. Kritiker und Beobachter des Verfassungsprozesses haben schon früh die Befürch- tung geäußert, dass der Verfassungsentwurf das Land spalten wird, da die weiße Minderheit im Entwurf klar benachteiligt wird. Genau dies haben wir auch in unse- rem Antrag kritisiert und die Bundesregierung aufgefor- dert, auf diese Entwicklungen in den Regierungsver- handlungen einzugehen. So ist die denkbar schlechteste Situation in Bolivien eingetreten. Durch die fehlende Einbeziehung der Opposition und der weißen Minderheit kam es zu Konflikten um den Verfassungsentwurf bis hin zu Autonomiebestrebungen einzelner Regionen. Nach tagelangen Auseinandersetzungen mit vielen Ver- letzten und leider auch Toten sind nun glücklicherweise alle Parteien an einen Tisch gekommen. In einem Refe- rendum wird nun über den Verfassungsentwurf entschie- den. Es sind so einige Dinge, die in der Zusammenarbeit mit Bolivien einer kritischen Überprüfung bedürfen. In unserem Antrag haben wir diese genannt. Stellvertretend möchte ich einen Punkt herausgreifen, der für die wirt- schaftliche Entwicklung Boliviens von enormer Bedeu- tung ist: die stattgefundenen Verstaatlichungen von Wirtschaftsunternehmen der unterschiedlichsten Bran- chen. Eingehen möchte ich auf den Erdgas- und Erdöl- bereich. Im Jahr 2006 hat Morales mit seiner neuen Wirtschaftspolitik begonnen. Immer unter der Über- schrift, dass doch alles nur zum Wohle der Bevölkerung ist. Ich hoffe sehr, dass die Bolivianer, die immer noch zu den ärmsten Menschen Lateinamerikas gehören, auch wirklich etwas von diesen Einnahmen des Staates haben. Die Vergangenheit lehrt uns eher etwas anderes. Bisher sind Verstaatlichungen noch nie dem Wohle der Bevöl- kerung zugute gekommen, sondern meist in die Taschen korrupter Eliten gewandert. Das wird in Bolivien nicht anders kommen. Das Bundesministerium für wirtschaft- liche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, sieht 15410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) dies übrigens ganz anders! Aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass im BMZ die Entwicklungen eines Lan- des nicht richtig erkannt werden. Besonders beunruhigt bin ich, wenn ich mir allein die Entwicklungen beim Nachbarn Venezuela, ebenso mit Rohstoffvorkommen gesegnet, anschaue. Dort fand auch eine Verstaatlichung der Rohstoffvorkommen statt. An- geblich alles zum Wohle der Bevölkerung! Bisher haben die Venezolaner aber nicht so viel davon gemerkt. Im Gegenteil, die Einnahmen durch den hohen Ölpreis kommen nicht der Bevölkerung zugute, sondern werden für die militärische Aufrüstung oder zur Unterstützung undemokratischer Regierungen, wie dem Iran oder Weißrussland, benutzt. Die Bevölkerung aber steht vor leeren Supermarktregalen. Bolivien ist auf dem gleichen Weg wie Venezuela. Im September nahm Morales Bezie- hungen zum Iran auf und bereitete Ahmadinedschad ei- nen großen Empfang in Bolivien. Das sind Dinge, die je- den Demokraten abschrecken, und wir sind nicht verpflichtet, das auch zu unterstützen. Wir wünschen uns eine Entwicklungszusammenarbeit, die ganz klar an die Einhaltung von Good Governance und Rechtsstaatlichkeit gebunden ist. In der Zusammen- arbeit mit Bolivien sehe ich noch deutlichen Nachholbe- darf in diesem Bereich. Hier muss die Bundesregierung die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit an diese Bedingungen knüpfen. Lassen Sie mich dazu noch eine letzte Nachricht aus Bolivien anbringen. Die Regie- rungspartei MAS hat ein Disziplinarverfahren gegen vier der fünf obersten Verfassungsrichter beantragt, in dem sie ihnen Amtsmissbrauch und Rechtsbeugung vorwirft. Hintergrund ist, dass diese obersten Verfassungsrichter dem Präsidenten widersprochen haben und vier Mitglieder des obersten Gerichtshofes, die per Dekret durch Morales ernannt wurden, abgesetzt hatten. Angesichts dieser un- demokratischen Entwicklungen, muss die Zusammenar- beit mit Bolivien kritisch überprüft werden! Heike Hänsel (DIE LINKE): Mit dem gegenwärti- gen Verfassungsprozess werden in Bolivien nach Jahr- hunderten der sozialen, politischen, kulturellen und wirt- schaftlichen Ausgrenzung jetzt die Grundlagen für eine gerechtere Ausrichtung des Landes geschaffen. Das un- terstützt Die Linke ausdrücklich. Die bislang ausge- schlossenen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen in Bolivien, das ist die Bevölkerungsmehrheit, fordern ihre Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Ent- scheidungsprozessen und an der Nutzung der natürlichen Ressourcen ihres Landes ein. Das ist völlig berechtigt, und das tun sie schon lange außerparlamentarisch, neu ist, dass sie in der Regierung nun Unterstützung haben, wenn es darum geht, diese Teilhabe tatsächlich durchzu- setzen. Die Bundesregierung könnte davon lernen: Der am 10. Dezember von der verfassunggebenden Versamm- lung Boliviens verabschiedete Verfassungsentwurf wird im Laufe des Jahres den Bolivianerinnen und Bolivia- nern in einem Volksentscheid zur Abstimmung vorge- legt. Damit wäre der bolivianische Verfassungsprozess ein nachahmenswertes Beispiel für den Ratifizierungs- prozess zum EU-Reformvertrag. Leider hat die Bundes- regierung dieses positive Beispiel bislang nicht aufge- griffen. Aber natürlich gilt auch in Bolivien: Wo etwas Neues entsteht, wo mehr Menschen an politischen Entschei- dungen und wirtschaftlichem Wohlstand beteiligt wer- den wollen, gibt es immer auch diejenigen, die ihre bisherigen langjährigen Privilegien und Pfründe vertei- digen. Uns hat im Dezember schockiert, wie unverfroren die oppositionellen Gouverneure der vergleichsweise wohlhabenden Ostprovinzen die bolivianische Regie- rung und die verfassungsmäßige Ordnung herausgefor- dert haben, um den Verfassungsprozess zu sabotieren. Sie haben sich verfassungswidrige Autonomiestatuten gegeben, wollten gar Passkontrollen an den Provinz- grenzen durchführen. Die Grundbesitzer in den Ostpro- vinzen haben paramilitärische Banden rekrutiert, die gewaltsame Übergriffe auf Vertreterinnen und Vertreter der verfassunggebenden Versammlung verübten. Ihre Agenda lautet: Alles soll so bleiben, wie es war! Die neuen Ansprüche der bislang Ausgegrenzten erkennen sie nicht an. Wir kennen das aus vielen Beispielen, in de- nen demokratische und soziale Aufbrüche in Chaos und Gewalt erstickt wurden. Ich nenne nur Chile 1973 und Haiti 1991. Der hier zur Debatte stehende Antrag der FDP stellt die Verhältnisse völlig auf den Kopf, wenn er die „Ge- fahr“ an die Wand malt, die bolivianische Regierung würde den Verfassungsprozess nutzen, um die demokra- tische Opposition zu unterdrücken, oder – noch grotes- ker – es drohe die Diskriminierung der weißen und mestizischen Bevölkerung durch die Ausweitung der Beteiligungsrechte für die Indigenen. Das ist blanker Zy- nismus angesichts des bestehenden, jahrhundertealten Wohlstands- und Machtgefälles zwischen der weißen und der indigenen Bevölkerung. Zum FDP-Antrag nur soviel: Die Regierung Morales ist mit einem überzeugenden demokratischen Mandat ausgestattet. Es besteht keine Veranlassung, sie über gute Regierungsführung zu belehren. Insbesondere sind wir nicht der Meinung, dass die Umsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik ein Ausweis guter Regierungsführung wäre. Die von der bolivianischen Regierung vorgenom- menen Verstaatlichungen sind legitim. Von den neuen Verträgen mit Förderunternehmen profitiert die Bevölke- rung, gerade weil die Regierung Morales die Armutsbe- kämpfung ernsthaft zu ihrem politischen Programm ge- macht hat. Dass die FDP ausgerechnet an Bolivien ein Exempel für strengere Konditionierung statuieren will, ist deshalb als politische Provokation zu deuten. Das gilt umso mehr, wenn man weiß, dass die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in Lateinamerika mit Orga- nisationen zusammenarbeitet, die die autonomistischen Umtriebe in Bolivien – und anderswo – unterstützen. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Autonomie- bestrebungen in Ostbolivien nicht unterstützt. Im Aus- schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung hat sich die Bundesregierung mit einem sehr ausgeglichenen Standpunkt präsentiert. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn sie der bolivianischen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15411 (A) (C) (B) (D) Regierung in ihrem Konflikt mit den Autonomisten den Rücken gestärkt hätte. Stattdessen hat sie sich auf einen „neutralen“ Standpunkt zurückgezogen und setzt auf Dialog. Auch wir sind dafür, politische Auseinanderset- zungen im Gespräch beizulegen. Aber wir sind zugleich dafür, dass die Verantwortlichkeiten für die Zuspitzung der Krise klar benannt und berechtigte und illegitime Ansprüche nicht vermischt oder gleichgesetzt werden. Die Verfassungsprozesse in Bolivien, Ecuador und Venezuela sind – trotz aller Hindernisse – eine histori- sche Chance, dass die berechtigten Ansprüche von Mil- lionen von Menschen, die bislang nie zum Tragen ka- men, endlich artikuliert werden. Die Linke ist der Fokussierung auf Good Governance. Bereits 2006 wur- den diese Schwerpunkte von der Regierung Morales be- stätigt. Außerdem arbeiten Deutschland und Bolivien beim Schutz der Biodiversität zusammen. Der Wald- schutz wird auch in Bolivien zunehmend relevant. Die deutsche EZ sollte in diesem Kontext darüber nachden- ken, wie sie mit dem Thema Klima- und Ressourcen- schutz als Entwicklungsherausforderung umgeht – auch über Bolivien hinaus. Bolivien hat Ende 2007 schwere Unruhen im Umfeld der verfassunggebenden Versammlung erlebt. Der Staat und die politischen Entscheidungsträger befinden sich in einer ausgesprochen schwierigen Lage. Es liegt in der Ansicht, genau das sollte auch die Richtschnur der deut- schen Entwicklungspolitik sein. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bevor ich auf den Inhalt des Antrages der FDP eingehe, möchte ich mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, mein Erstau- nen darüber, dass wir uns im Februar 2008 mit einem Antrag der FDP-Fraktion beschäftigen, der am 13. Juni 2007 eingebracht wurde und die „anstehenden Regie- rungsverhandlungen mit der bolivianischen Regierung“ zum Thema hat. Diese Regierungsverhandlungen wur- den bereits Ende Juni 2007 in Bonn abgeschlossen. Wir beraten hier also einen Antrag, der schlichtweg überholt ist. Die Tatsache, dass die Kolleginnen und Kollegen von der FDP in den vergangenen acht Monaten ihren Antrag nicht aktualisiert und ihn unverändert aufgerufen haben, lässt durchaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit ih- res Interesses an der Entwicklung in Bolivien zu. Ziel- führender wäre es doch gewesen, die Ergebnisse der Re- gierungsverhandlungen als Grundlage für den Antrag zu nutzen, anstatt acht Monate nach Abschluss der Ver- handlungen das Verhalten der Regierung bei eben diesen beeinflussen zu wollen. Ich frage mich wirklich, welches Zeichen die FDP-Fraktion mit diesem Antrag setzen will. Die Ergebnisse der Regierungsverhandlungen zwi- schen Bolivien und Deutschland weisen eine starke Kon- tinuität in der Zusammenarbeit auf. Die finanzielle Aus- stattung steigt leicht von 32 Millionen für 2005/2006 auf 35 Millionen Euro für 2007/2008. Schwerpunkte der deutschen EZ sind weiterhin Wasser- und Abwasserwirt- schaft, nachhaltige Landwirtschaft sowie die Stärkung von Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentlicher Ver- waltung, also die im FDP-Antrag mehrfach geforderte Verantwortung der Beteiligten, Polarisierung, Spaltung und Gewalt zu verhindern und eine Verfassung zu schaf- fen, die ein stabiles, legitimes und tragfähiges Funda- ment für die Entwicklung Boliviens hin zu Gerechtig- keit, Inklusion und Entwicklung, gerade für die Ärmsten des Landes, bildet. Die Bundesregierung, aber auch die politischen Stiftungen sowie nichtstaatlichen und kirch- lichen Organisationen müssen daher, wo immer möglich und gewollt, den bolivianischen Partnern bei der Gie- ßung dieses Fundamentes mit Rat und Tat zur Seite ste- hen und den Prozess mit konstruktiver Kritik begleiten. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns in diesem Hause mit den Entwicklungen in Bolivien beschäftigen. Es handelt sich nicht zu Unrecht um eines der Schwer- punktländer der deutschen EZ. Nach wie vor leben in Bolivien 23 Prozent der Bevölkerung von weniger als ei- nem US-Dollar am Tag. Immer noch sind 23 Prozent der Bolivianer unterernährt. Ich hätte mir gewünscht, dass Bolivien ein Pilotland bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung wäre. Ich bin mir bewusst, dass es nicht allein an der deutschen Seite liegt, dass ein Pilotprogramm nicht zustande kam. Ich glaube aber auch, dass wir uns bei den nächsten Verhandlungen mit Bolivien erneut um ein solches Programm bemühen müssen, um die bolivia- nischen Partner bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung zu unterstützen. In Anbetracht der immensen Entwicklungsherausfor- derungen, vor denen Bolivien steht, und den Anstren- gungen, die von der gegenwärtigen Regierung unter- nommen werden, um die Situation zu verbessern, bin ich der Meinung, dass Bolivien es verdient, dass wir uns ernsthaft, zeitnah und zukunftsgerichtet mit den Ent- wicklungen in diesem Land beschäftigen. 145. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614500000


Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte
ich dem Kollegen Georg Brunnhuber zu seinem
60. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen
begangen hat, und im Namen des Hauses alle guten
Wünsche übermitteln.


(Beifall)


Die Feierlichkeiten hat er erkennbar gut überstanden;
das ist beruhigend.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tages-
ordnungspunkte 13, 23 und 25 abzusetzen und die ver-
bundene Tagesordnung um die in der folgenden Zusatz-
punktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Vereinbarte Debatte

Zukunft des Kosovos nach der Unabhängig-
keitserklärung (siehe 144. Sitzung)


ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Rede
Fehlende Strategien der Bundesregierung in
der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und
Konsequenzen aus den Steuervergehen durch
Finanztransfers ins Ausland (siehe 144. Sitzung)


ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren (Ergänzung zu TOP 30)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst
Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Naturschutz praxisorientiert voranbringen –
Entwicklung der Wildtiere in Deut

– Drucksache 16/8077 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

tzung

en 21. Februar 2008

.00 Uhr

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erb-
schaft- und Schenkungsteuer

– Drucksache 16/8185 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann,
Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlamentes und des Rates über den Schutz
der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte

text
Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfris-
tigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederver-
kaufs und Tausches derselben

– Drucksache 16/8187 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, wei-

bgeordneter und der Fraktion der CDU/
der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe,

le Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer
rdneter und der Fraktion der SPD sowie
schland terer A
CSU,
Gabrie
Abgeo

der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy,






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine neue, effektive und an den Bedürfnis-
sen der Hungernden ausgerichtete Nahrungs-
mittelhilfekonvention

– Drucksache 16/8192 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache (Ergänzung zu TOP 31)


Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des
Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung
von Entscheidungen über die Sicherstellung
von Vermögensgegenständen oder Beweismit-
teln in der Europäischen Union

– Drucksache 16/6563 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/8222 –

Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:

Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen
Kommunistischen Partei, über offene Listen
der Partei DIE LINKE in Parlamenten Man-
date zu erlangen, und die damit verbundenen
Auswirkungen

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Zehn Jahre Washingtoner Konferenz – Initia-
tive für eine Nachfolgekonferenz in Deutsch-
land

– Drucksache 16/7857 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien
für eine kritische Überprüfung der Entwick-
lungszusammenarbeit nutzen und an Bedin-
gungen knüpfen

– Drucksache 16/5615 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Potenziale der Tourismusbranche in der Ent-
wicklungszusammenarbeit durch Aufgaben-
bündelung im Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie ausschöpfen

– Drucksache 16/8176 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ekin
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Integrationspolitik der Bundesregierung –
Große Kluft zwischen Anspruch und Wirk-
lichkeit

– Drucksache 16/8183 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam: Der in der 143. Sitzung des Deutschen Bun-
destages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll
zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung (15. Ausschuss) zur Mitberatung überwie-
sen werden.

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts

(Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG)


– Drucksache 16/7918 –
überwiesen:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkundig
der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung des Rechts der Erneuerbaren Energien
im Strombereich und zur Änderung damit zu-
sammenhängender Vorschriften

– Drucksache 16/8148 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung Erneuerbarer Energien im Wärmebe-

(Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG)


– Drucksache 16/8149 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur
Änderung des Bundes-Immissionsschutzgeset-
zes

– Drucksache 16/8150 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung

Bericht der Deutschen Energie-Agentur
GmbH (dena) über die Bestandsaufnahme
und den Handlungsbedarf bei der Förderung
des Exportes Erneuerbare-Energien-Techno-
logien 2003/2004

– Drucksachen 15/5938, 16/480 Nr. 1.17, 16/4962 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Marco Bülow
Angelika Brunkhorst
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Bundesminister Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir behandeln heute die ersten Be-
standteile des integrierten Klima- und Energiepakets, das
die Bundesregierung am 5. Dezember 2007 beschlossen
hat. Die Bundesregierung hat das Ziel, die Treibhausgas-
emissionen unseres Landes bis zum Jahre 2020 um
40 Prozent zu senken. Wir gehen davon aus, dass wir bei
den internationalen Verhandlungen, die auf Bali begon-
nen haben, Erfolg haben werden. Um zu erreichen, dass
die Treibhausgasemissionen weltweit um 30 Prozent re-
duziert werden, muss auch die Europäische Union ihren
Beitrag leisten. Um dieses Ziel in der Europäischen
Union abzusichern, ist Deutschland bereit, einen Minde-
rungsbeitrag von 40 Prozent zu erbringen, wenn wir in-
ternational Erfolg haben.

Zu diesem Zweck hat das Kabinett in Meseberg im
August des letzten Jahres eine Vielzahl von Gesetzent-
würfen und Verordnungen in Auftrag gegeben. 14 davon
haben wir am 5. Dezember 2007, nicht einmal drei Mo-
nate danach, beschlossen. Ein weiteres Paket wird am
21. Mai verabschiedet werden. Die ersten Gesetzent-
würfe dazu liegen vor.

Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Er-
neuerbaren Energien im Strombereich wollen wir den
Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor bis 2020
auf 30 Prozent ausbauen. Heute sind wir bei 14 Prozent.
Das ist eine Riesenerfolgsgeschichte in unserem Land.
Wir wollen den schlafenden Riesen wecken und dazu
beitragen, dass die erneuerbaren Energien auch im Wär-
mesektor genutzt werden. Ihr Anteil beträgt im Wärme-
sektor im Moment etwa 6 Prozent. Wir wollen diesen
Anteil auf 14 Prozent steigern. Allein in diesen beiden
Sektoren haben wir 235 000 Arbeitsplätze in unserem
Land geschaffen. Das ist ein Riesenerfolg in der Ent-
wicklung der Technologie zur Nutzung der erneuerbaren
Energien in unserem Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit unseren Ausbauzielen wollen wir die Zahl der
Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien bis
zum Jahre 2020 mindestens verdoppeln. Wir wollen drei
Ziele miteinander verbinden: Erstens. Wir wollen mehr
zum Klimaschutz beitragen, indem wir unsere Treib-
hausgasemissionen senken. Zweitens. Wir wollen vom
Import von Rohstoffen wie Öl und Gas und damit von
Preissprüngen unabhängiger werden. Drittens. Wir wol-
len neue Arbeitsplätze in unserem Land schaffen. Wir
wollen zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum, Leis-
tungsfähigkeit und Wohlstand mit Klima- und Umwelt-
schutz vereinbar sind.

Beim Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geht es – dazu
will ich etwas mehr sagen – um den Einsatz von Bio-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
kraftstoffen, die ja derzeit in der internationalen und
auch in der deutschen Debatte umstritten sind.

Zum Thema Biokraftstoffe hat das Bundeskabinett
Gesetz- und Verordnungsentwürfe verabschiedet: Das
Biokraftstoffquotengesetz ist bereits am 1. Januar 2007
in Kraft getreten. Darin wird geregelt, dass wir stufen-
weise bis zum Jahr 2015 auf 8 Prozent Einsatz von Bio-
kraftstoffen an den normalen Kraftstoffen kommen wol-
len.

Heute ändern wir hier im Parlament das Biokraftstoff-
quotengesetz mit dem Achten Gesetz zur Änderung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Diese Änderung soll
uns, bezogen auf die tatsächliche Verringerung des CO2-
Ausstoßes bei Kraftstoffen, ehrlicher machen. Der Min-
destanteil von Biokraftstoffen wird in Zukunft in
Deutschland nicht mehr energetisch definiert, wie es bis-
lang in der Europäischen Union und auch in anderen
Ländern immer noch der Fall ist, sondern der tatsächli-
che Klimaschutzbeitrag soll Grundlage für die Anre-
chenbarkeit des Einsatzes von Biokraftstoffen auf die
Quote werden. In Zukunft dürfen Biokraftstoffe nur an-
gerechnet werden, wenn sie mindestens einen Klima-
schutzbeitrag von 30 Prozent gegenüber fossilen Kraft-
stoffen erbringen.

Meine Damen und Herren, die öffentliche Kritik am
Einsatz von Biokraftstoffen in der Klimapolitik ist
durchaus gerechtfertigt. Natürlich müssen wir darauf
achten, dass wir uns nicht selbst täuschen und eine
Scheinbilanz für die Senkung von CO2 vorlegen. Weder
darf der Einsatz von Biokraftstoffen in Deutschland und
Europa das Abholzen von Regenwäldern beschleunigen
und begünstigen, noch dürfen wir die CO2-Emissionen
wissentlich übersehen, die bei der Herstellung von Bio-
kraftstoffen zum Beispiel im Hydrierungsverfahren aus-
gelöst werden können.

Das hat zur Folge, dass wir den 10-prozentigen Anteil
an Biokraftstoffen, wie ihn die Europäische Union haben
will, ehrlicherweise auch netto berechnen müssen. Die
EU tut dies bislang nicht; sie bezieht sich in ihren Be-
rechnungen nur auf den Energiegehalt und nicht auf den
tatsächlichen Klimaschutzbeitrag. Bei Zugrundelegung
des Nettoklimaschutzbeitrags müssen wir, um den von
der EU verlangten 10-prozentigen Beitrag zu erbringen,
dem Volumen nach 20 Prozent Biokraftstoffe beimi-
schen. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir
also den ersten entscheidenden Schritt tun, um den Ein-
satz von Biokraftstoffen auf ihren tatsächlichen Klima-
schutzbeitrag zu überprüfen.

Der zweite entscheidende Schritt ist die Einführung
der Nachhaltigkeitsverordnung, die das Bundeskabi-
nett bereits am 5. Dezember 2007 verabschiedet hat.
Diese Nachhaltigkeitsverordnung, die ökologische Stan-
dards für die Anrechenbarkeit von Biokraftstoffen auf
die Quoten nach dem Biokraftstoffquotengesetz regelt,
liegt derzeit zur Notifizierung bei der Europäischen
Union. Die Notifizierung ist notwendig, weil die ökolo-
gischen Standards natürlich Handelshemmnisse im euro-
päischen Binnenmarkt auslösen sollen. Sie ist nach unse-
rer Rechtsauffassung nicht WTO-widrig, weil wir nicht
den Import von Biomasse, sondern durch die ökologi-
schen Standards die Anrechenbarkeit auf die Biokraft-
stoffquote einschränken. Dies soll natürlich den wirt-
schaftlichen Druck auf die Einhaltung der
Nachhaltigkeitskriterien drastisch erhöhen.

Diese Nachhaltigkeitsverordnung Deutschlands soll
das Vorbild für die von der EU-Kommission vorgeschla-
genen Regelungen zur Nachhaltigkeit beim Biokraftstoff-
einsatz sein. Auch die EU-Kommission will ihr Ziel von
10 Prozent Biokraftstoffbeimischung bis 2020 an die
Einhaltung dieser Kriterien binden. Der Vorwurf, diese
Nachhaltigkeitskriterien würden erst in einem Jahrzehnt
in Kraft treten, ist falsch. Richtig ist, dass die Entwick-
lung von Zertifizierungssystemen, die den Nachweis ei-
nes ökologisch nachhaltigen Anbaus erbringen können,
Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber nach Inkrafttreten
der Nachhaltigkeitsverordnung im Jahr 2010 dürfen im-
portierte Biokraftstoffe solange nicht auf die Quote an-
gerechnet werden, bis diese Kriterien erfüllt sind.

Diese Strategie zur Durchsetzung von ökologischen
Standards beim Anbau von Biomasse zur Energieerzeu-
gung und die Orientierung an einer Nettobilanz müssen
natürlich auch auf den Bereich der Stromerzeugung und
der Wärmeproduktion ausgedehnt werden. Nicht nur
das: Aus meiner Sicht müssen diese Kriterien auch für
den Einsatz von Futtermitteln in der Landwirtschaft gel-
ten;


(Beifall bei der SPD)


denn wir führen am Beispiel der Biokraftstoffe natürlich
derzeit eine Stellvertreterdiskussion. Weit mehr als
80 Prozent der weltweit angebauten Biomasse gehen in
die Nahrungs- und Futtermittelerzeugung und nicht
in die Kraftstofferzeugung. Hier geht es vor allem um
Sojaanbau. In diesem Bereich ist Europa der größte Im-
porteur und innerhalb Europas Deutschland. Wer über
die Abholzung von Regenwäldern spricht und sich da-
rüber beklagt, darf die Gefahren im Bereich der
Brandrodung und des Anbaus von Soja in den Regen-
wäldern für die Futtermittelindustrie nicht permanent
verschweigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn die öffentliche Diskussion über Biokraftstoffe be-
wirkt, dass wir auch darüber reden und die Nachhaltig-
keitskriterien auch im Bereich der Futtermittelindustrie
ausbauen, dann leisten wir einen wirklichen Beitrag zum
Schutz der Regenwälder und gegen das Abbrennen von
Mooren in Indonesien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundesregierung wird sich offensiv mit den um-
fangreichen Gutachten zu den ökologischen und sozialen
Folgen der Biomasseproduktion auseinandersetzen
und – das sage ich deutlich – gegebenenfalls im Kabinett
die Biokraftstoffstrategie anpassen. Erste Überlegungen
gehen in folgende Richtung:






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Sigmar Gabriel
Über die Klimabilanz und die derzeitigen Nachhaltig-
keitskriterien hinaus sollten wir bestimmte Anbaumetho-
den generell von der Anrechenbarkeit bei Kraftstoffen
und von der Förderung nach dem EEG und dem EEWär-
meG ausschließen. Dazu zählen zum Beispiel die Abhol-
zung von Regenwäldern oder das Abbrennen von Moo-
ren.

In technologischer Hinsicht müssen wir auf den Ein-
satz organischer Reststoffe für die Energieerzeugung
drängen. Dabei ist nicht nur die Klimabilanz deutlich
besser; vor allem kommt es dabei nicht zu den befürchte-
ten Nahrungsmittelkonkurrenzen. Im Übrigen geht es
nicht um eine Konkurrenz zwischen Biomasse und Nah-
rungsmitteln, sondern zwischen Biomasse zur Kraft-
stoff- oder Energieerzeugung und dem Einsatz von Bio-
masse in der Futtermittelindustrie. Im Wesentlichen geht
es in der Debatte um die Fleischerzeugung aus Rinder-
und Schweinemast.

Dass wir in technologischer Hinsicht auf den Einsatz
organischer Reststoffe – also auf Bioraffinerie – drängen
wollen, war der Grund dafür, dass sich der Bundes-
finanzminister und das Bundeskabinett auch in der De-
batte um die Steuerbefreiung von Biokraftstoffen im
letzten Jahr für diese technologische Richtung eingesetzt
haben, statt auf die weitere Förderung eines zum Teil
umstrittenen Einsatzes von Biomasse zu setzen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die Förderung geblieben?)


Die Durchsetzung ökologischer und sozialer Stan-
dards in der EU ist auch deshalb wichtig, weil wir damit
nicht auf eher instabile Länder mit einem schwer kon-
trollierbaren Anbau von Biomasse setzen müssen; viel-
mehr wollen und müssen wir künftig vor allem mit Part-
nern in Osteuropa zusammenarbeiten. Dann wird sich
über die Transportbilanz auch die Klimabilanz verbes-
sern.

Insgesamt werden wir im Lichte der existierenden
Gutachten und im Rahmen der parlamentarischen Bera-
tungen überprüfen müssen, ob wir unter Einhaltung der
genannten Kriterien die ambitionierten Ausbauziele
beim Biomasseeinsatz und insbesondere beim Kraftstoff-
einsatz erreichen werden. Dazu zählt auch, dass wir die
Novelle zur 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung
zur Einführung von B7 und E10 – Biodiesel- und Bio-
ethanolkraftstoffe – erst dann in Kraft setzen werden,
wenn die Zahlen des Verbandes der Automobilindustrie
und auch der Automobilimporteure zu den potenziell be-
troffenen Fahrzeughaltern, deren Fahrzeuge diese Kraft-
stoffe nicht vertragen, überprüft worden sind.

Meines Wissens hat zum Beispiel die Kollegin Frau
Reiche kritisiert, dass wir zu sehr auf Fachleute vertraut
haben. In der Tat vertrauen wir nach wie vor auf Aussa-
gen aus der Automobilindustrie. Das ist die Strategie
der Bundesregierung, die sozusagen in großkoalitionärer
Einigkeit gemeinsam mit dem Kollegen Seehofer erar-
beitet wurde. Insofern können Sie die Kritik gleichmäßig
verteilen.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/ CSU)


– Wenn man Pressemitteilungen veröffentlicht, dann er-
wartet man doch eine Antwort, oder? Ich wollte nur höf-
lich sein.

Gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Nutzung von
erneuerbarer Energie im Wärmebereich. Ich will auf ei-
nen Widerspruch im Zusammenhang mit der Kraftstoff-
debatte hinweisen. Wenn es um die ökologischen Schä-
den beim Anbau von Biomasse für den Kraftstoffbereich
und die dadurch entstehenden Konkurrenzen geht, dann
darf man die Nutzungskonkurrenzen nicht dadurch ver-
schärfen, dass man Biomasse zu Bioöl und Biogas verar-
beitet, es zur Verbrennung freigibt und dies als Beitrag
zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz bezeichnet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es Nutzungskonkurrenzen bei Flächen gibt, dann
müssen wir darauf achten, dass der Biomasseeinsatz ef-
fizient erfolgt. Deshalb haben wir im Wärmegesetz vor-
gesehen, dass die Verbrennung von Biogas nur bei der
Kraft-Wärme-Kopplung – also bei der Produktion von
Strom und Wärme – angerechnet werden kann. Wer
diese Stoffe nur verheizen will, um Erdgas und Erdöl zu
ersetzen, verschärft die Nutzungskonkurrenz und vertritt
die Interessen eines kleinen Teils der deutschen Mineral-
ölindustrie, statt eine technologische Entwicklung ver-
bunden mit der Entstehung neuer Arbeitsplätze in Gang
zu setzen. Das ist nicht der Gegenstand von Gesetzent-
würfen der Bundesregierung.

Ich glaube, dass wir mit der Vorlage dieser Gesetzent-
würfe einen guten Schritt geschafft haben. Wir sollten in
den nächsten Wochen die weiteren Maßnahmen zur Er-
reichung unserer Klimaschutzziele diskutieren und um-
setzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614500100

Das Wort erhält nun der Kollege Horst Meierhofer für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1614500200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

es vorwegzunehmen: Ich werde mich hauptsächlich
– genauso wie der Herr Minister – auf die Biokraftstoffe
konzentrieren. Frau Kollegin Brunkhorst wird sich spä-
ter mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz dezidiert aus-
einandersetzen. Bevor die SPD, die Grünen und die
CDU/CSU ihr Verletzungspotenzial ausschöpfen: Natür-
lich sind auch wir für die Förderung der erneuerbaren
Energien. Auch uns geht es darum, den Anteil der erneu-
erbaren Energien im Energiemix deutlich zu erhöhen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
Heute geht es hauptsächlich um den Bereich der Bio-
kraftstoffe. Der Herr Minister hat schön darum herum-
laviert, wie gefährlich es sein könnte. Er tat so, als könn-
ten wir kaum etwas dagegen tun. Wir setzen schließlich
nur europäische Vorgaben um und versuchen vielleicht
sogar, es noch etwas besser zu machen, als es die EU
vorsieht. Aber an der Medienberichterstattung in den
letzten Tagen und Wochen hat man recht deutlich gese-
hen, dass es eine ganz große Koalition derjenigen gibt,
die große Schwierigkeiten haben. Nicht umsonst hat der
Bundesrat den vorliegenden Gesetzentwurf abgelehnt.
Ich darf es vorwegnehmen: Die FDP wird das Gleiche
tun.


(Beifall bei der FDP)


Die Biokraftstoffbeimischungsquote ist sowohl öko-
logisch als auch ökonomisch irrsinnig, sinnlos und kon-
traproduktiv. Deswegen halten wir davon überhaupt
nichts. Sich damit herauszureden, dass es sich hier um
Vorgaben der EU handle, ist insoweit scheinheilig, als
wir alle wissen, dass gerade die Bundesregierung in be-
sonderem Maße daran beteiligt war, dieses Gesetz zu pu-
schen und die Beimischungsquote zu erhöhen. Daran
werden wir uns nicht beteiligen.


(Beifall bei der FDP)


Herr Minister Gabriel hat gesagt, dass es weniger um
die Lebensmittelproduktion, sondern mehr um die Fut-
termittelproduktion geht. De facto wird es aber zuneh-
mend mehr Nutzungskonkurrenzen geben. Damit wer-
den auch die Lebensmittelpreise deutlich steigen. Ich bin
gespannt, wie sich die Kollegen der Linkspartei dazu äu-
ßern werden; denn hier entsteht nicht nur ein ökonomi-
sches, sondern auch ein soziales Problem. Ein ökologi-
sches ist es ohnehin. Die Fleischpreise werden deutlich
steigen. Die Weizenpreise sind bereits gestiegen. Hier
kann man argumentieren, dies sei vernünftig, weil es der
Landwirtschaft einen Vorteil bringe. Interessanterweise
hat aber selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz gesagt, dass die Ideen der Bundesregie-
rung zu Biomasse und Biokraftstoffen zu überdenken
seien und dass man grundsätzlich darüber nachdenken
solle, ob man hier auf dem richtigen Wege sei.


(Beifall bei der FDP)


Dass es wirtschaftlich zu größeren Problemen kommt,
haben wir alle festgestellt, und zwar allein dadurch, dass
sich der Spritpreis zunehmend der 5-DM-Marke annä-
hert, die die Grünen früher als Schreckgespenst gefor-
dert haben. In diese Richtung geht es nun. Wenn man da-
durch etwas für den Klimaschutz oder das ökologische
Gewissen täte, könnten wir darüber inhaltlich diskutie-
ren. Aber in Wirklichkeit tun wir das genaue Gegenteil.
Wir unterstützen nicht diejenigen, die etwas ökologisch
Sinnvolles tun wollen. Vielmehr geht es nur darum, dass
wir etwas für unser Gemüt tun, um uns besser zu fühlen.
Wir Deutsche glauben, etwas für den Klimaschutz zu
tun. Dabei ist es uns egal, was im Rest der Welt passiert.


(Beifall bei der FDP)

Die Gretchenfrage ist, wie es in den Ländern aussieht,
die irgendwann nachhaltig wirtschaften sollen. Verschie-
dene Kollegen, die diese Länder besucht haben, haben
festgestellt, dass dort das genaue Gegenteil passiert. In
Südamerika, Malaysia und Indonesien beispielsweise
werden riesengroße Flächen Regenwald abgeholzt. Das
geschah zwar schon früher. Aber das Gesetz und das,
was wir in Europa machen, werden die Probleme deut-
lich verschärfen. Wir wollen sicherlich nur nachhaltig
hergestellte Produkte. Aber wir wissen, dass wir in
Deutschland nicht in der Lage sein werden, die Pro-
bleme weltweit zu lösen, und dass das Potenzial hoch ist,
wenn es darum geht, bestimmte Regelungen zu umge-
hen. Wenn wir so tun, als wäre es anders, ist das schein-
heilig und außerdem ein bisschen blauäugig.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was heißt das jetzt? Machen wir nichts?)


Bald wird die Biodiversitätskonferenz in Bonn tagen.
Dann werden wir wieder hören, wie wichtig das alles sei.
Aber gleichzeitig verschärfen wir die Probleme in den
genannten Ländern, in denen die größte Biodiversität
vorherrscht. Wir sorgen dafür, dass noch mehr Regen-
wald den Kettensägen zum Opfer fällt. Das ist ein gra-
vierender Vorgang und geht in die vollkommen falsche
Richtung.

Interessanterweise ist festzustellen, dass es hier eine
riesengroße Koalition gibt. Die FDP-Bundestagsfraktion
hat sich mit Vertretern von Umweltverbänden getroffen.
Es gibt sicherlich unterschiedliche Positionierungen.
Aber in einem Punkt sind wir uns einig: Es geht nicht
darum, einen Nachhaltigkeitsfaktor einzuführen. Die
Umweltverbände haben, genau wie wir, gesagt: Das Ge-
setz zur Beimischung von Biokraftstoffen läuft in die
völlig falsche Richtung. – Das Gleiche sagen Misereor,
die katholische Kirche, die evangelische Kirche, Frau
Wieczorek-Zeul, Entwicklungshilfeorganisationen und
Vertreter der SPD. Das ist eine wirklich große Koalition,
breiter geht es nicht. Jetzt zu sagen: „Wir werden versu-
chen, das vernünftig umzusetzen; wir haben hier EU-
Vorgaben“, halte ich schon für einen bemerkenswerten
Vorgang.


(Beifall bei der FDP)


Das ist nicht allein ein Problem der SPD und der
CDU/CSU; das war auch in der Vergangenheit so. Die
Grünen haben mit der Politik begonnen, dass wir uns das
ökologische Mäntelchen umhängen, damit wir uns ein
bisschen besser fühlen. Wir haben heute Abend eine Dis-
kussion zu dem Thema Verpackungsverordnung. Damit
verhält es sich ähnlich. Die Menschen sollen Müll tren-
nen, egal ob es sinnvoll ist oder nicht. Jetzt sollen sie an
der Tankstelle das Gefühl haben, dass sie Bio tanken.
Was aber im Rest der Welt passiert, ist offenbar voll-
kommen egal. Wenn das wirklich die Idee ist, wie wir
unsere ökologische Arbeit hier definieren, dann frage ich
mich schon, ob wir nicht ein bisschen über den Teller-
rand hinausschauen sollten.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
Ich denke, dass die Problematik zu dem Zeitpunkt,
wenn es wirklich darum geht – der 10-Prozent-Anteil
soll ja nicht schon im nächsten Jahr gelten –, schon so
weit fortgeschritten ist, dass Nachhaltigkeit vermutlich
leider keine Rolle mehr spielen wird, weil der Großteil
des Regenwalds, der zur Erzeugung der Rohstoffe für
Biosprit genutzt werden wird, dann schon abgeholzt sein
wird. Dass der Orang-Utan damit vielleicht seinen Le-
bensraum verliert, ist auch egal. Vielleicht besuchen wir
den später im Zoo. Vielleicht finden wir auch einen pas-
senden Paten für ihn.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen Sie Antidepressiva, oder was?)


Dass wir die Meseberg-Beschlüsse nur umsetzen, da-
mit wir uns besser fühlen, halte ich für ganz groben Un-
fug. Die FDP wird diese Ideen ablehnen. Ich kann Sie
nur bitten, im Rahmen der Beratungen von diesen Ideen
abzurücken, es anders zu machen und zu erkennen, dass
damit weder ökologisch noch ökonomisch ein Fortschritt
erzielt wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614500300

Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1614500400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kli-

maschutz und die Sicherung der Energieversorgung ge-
hören zu den wichtigsten Themen, denen sich nicht nur
diese Koalition, sondern Deutschland insgesamt zu stel-
len hat. Deshalb beginnen wir heute mit den Beratungen
zu dem wohl ehrgeizigsten Klimaschutzprojekt, das je
eine Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.

Ich möchte zunächst auf die Biokraftstoffindustrie
eingehen. Zum einen haben wir nun endlich den Bericht
vorliegen. Wir Umweltpolitiker sehen uns in unserer
Sorge um die einheimische Biokraftstoffindustrie bestä-
tigt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha! Von wem reden Sie? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Zweiten. Herr Minister, natürlich brauchen wir ver-
lässliche Zahlen, was die Beimischung angeht; die müs-
sen vorgelegt werden. Dafür ist aber nicht der ADAC
oder der VDA zuständig, sondern zuständig ist das Mi-
nisterium. Meines Wissens legen immer noch die Minis-
terien und das Parlament die Gesetzentwürfe vor und
nicht der ADAC.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und auch nicht die Gentechnikindustrie!)


Insofern brauchen wir Verlässlichkeit. Die Verunsiche-
rung der Autofahrer muss beendet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Grundlage jeder zeitgemäßen Energieversorgung ist
das bewährte Zieldreieck von Versorgungssicherheit,
Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz. Dies gilt auch für
die erneuerbaren Energien, die einen ganz wichtigen
Beitrag nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur
Versorgungssicherheit leisten. Zu unseren einheimi-
schen Energieträgern gehören die erneuerbaren Ener-
gien; es gehören aber auch Technologien dazu, die sich
bewährt haben. Ich bin dem Koalitionspartner dankbar,
dass auch er immer wieder darauf hinweist – ich nenne
Herrn Hempelmann und andere –, dass auch mit Braun-
kohle in Kombination mit CCS klimapolitisch viel zu
machen ist.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Braunkohle und Klimaschutzprogramm! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute diskutieren wir aber über die erneuerbaren En-
ergien, die mit 5,6 Prozent am Primärenergieverbrauch
und circa 14 Prozent am Bruttostromverbrauch ein ganz
wesentliches Element des Integrierten Klima- und Ener-
gieprogramms der Bundesregierung darstellen. Es ist das
ambitionierteste Vorhaben, das je eine Bundesregierung
auf den Weg gebracht hat. Ich bin auch überzeugt, dass
dieses große Reformprojekt der Koalition unsere Hand-
lungsfähigkeit unterstreicht.

Wir behandeln heute zwei zentrale Elemente, die No-
velle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Erneu-
erbare-Energien-Wärmegesetz. Strom und Wärme aus
erneuerbaren Energien haben mit 41 Prozent den Lö-
wenanteil an den bis 2020 zu erbringenden CO2-Einspa-
rungen. Beide Gesetze sollen aber auch dafür sorgen,
dass wir bei den erneuerbaren Energien Technologiefüh-
rer bleiben.

Das EEG wird international als beispielhaft angese-
hen. Aber sicherlich ist nichts so gut, als dass es nicht
noch besser werden könnte. Deshalb wollen wir das Er-
neuerbare-Energien-Gesetz weiterentwickeln. Der An-
teil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung be-
trägt mittlerweile 14 Prozent; das ist mehr, als viele
erwartet haben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blödsinn! Alte Rede!)


Er soll bis zum Jahr 2020 auf 25 bis 30 Prozent erhöht
werden.

Wir müssen aber auch die energieintensiven Indus-
trien im Blick behalten; denn viele sind am Limit, was
die Belastungen durch Strompreise und eigene CO2-Ein-
sparungen betrifft. So kommen wir schnell an einen
Punkt, an dem eine Rechnung klimapolitisch nicht mehr
aufgehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass nirgendwo
auf der Welt so umwelt- und klimaschonend produziert
wird wie in Deutschland. Wir müssen deshalb auch über
Tarife und Degressionen sprechen. Es gerät leicht in Ver-
gessenheit, dass es Sinn und Zweck der Degressionen
ist, Unternehmen durch Innovationen marktfähig zu ma-
chen. Bei vielen Besuchen in der Branche der erneuerba-






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche (Potsdam)

ren Energien haben mich immer wieder die vorhandene
große Innovationsfähigkeit und die technische Raffi-
nesse beeindruckt. Dennoch werden Stimmen laut – und
sie sind auch nicht zu überhören –, dass einige Bereiche
überfördert sind. Ich denke zum Beispiel, dass in der
Fotovoltaik Nachholbedarf besteht. Der Anteil der zur
Verfügung gestellten Mittel steht momentan in keinem
Verhältnis zu dem, was Fotovoltaik insgesamt zur
Stromproduktion beiträgt. Ich glaube, dass Technologie-
sprünge dann möglich sind, wenn wir Innovationsan-
reize setzen. Ich denke dabei an Solarzellen der dritten
Generation.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiteres wichtiges Thema sind die sogenannten
Kombinationskraftwerke oder virtuellen Kraftwerke.
Hier stellt sich die Frage, ob wir im EEG tatsächlich die
erforderlichen Regelungen geschaffen haben, um das Zu-
sammenspiel verschiedener Energieträger – wie zum Bei-
spiel Wind und Biomasse oder Wind und Biogas – so zu
kombinieren und zu fördern, dass erneuerbare Energien
grundlastfähig werden. Wenn wir zu dem Schluss kom-
men, dass das noch nicht der Fall ist, dann sollten wir
nachbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz be-
schreiten wir Neuland. Der Anteil der erneuerbaren En-
ergien an der Wärmebereitstellung betrug im Jahr 2006
6 Prozent und ist in den letzten Jahren nur langsam ge-
wachsen. Die Technologien sind vorhanden; oftmals
fehlt es aber an der Marktdurchdringung, zum Teil auch
wegen fehlender Wirtschaftlichkeit. Die erneuerbaren
Energien im Wärmemarkt sind ein schlafender Riese,
den wir mit diesem Gesetz wecken wollen.

Für uns als Union waren mehrere Punkte zentral:
Zum einen sollen im Bereich Neubauten ganz klare,
auch ehrgeizige Vorgaben gemacht werden, die zu erfül-
len sind. Zum anderen wollen wir eine Verstetigung des
Marktanreizprogramms erreichen, damit für die Branche
verlässliche Mittel zur Verfügung stehen, die nicht
schwanken. Aber wir haben auch darauf gedrungen, dass
im Bereich des Gebäudealtbestandes vorsichtiger vorge-
gangen wird. Wir sind der Auffassung, dass eine Aus-
dehnung auf den Altbestand dazu geführt hätte, dass ent-
weder gar nicht oder verzögert investiert worden wäre
oder dass durch Stückelung der Investitionen die Ver-
pflichtungen aus dem EEWärmeG möglicherweise um-
gangen worden wären. Diese Szenarien sind für unser
Klima eher schädlich als nützlich. Gleichwohl wissen
wir, dass die Gebäude in Deutschland zu 75 Prozent vor
1978 gebaut wurden, also energetisch nicht in dem heute
notwendigen und wünschenswerten Maß ausgestattet
sind.

Wichtig ist uns zudem, dass wir mit Anreizen arbei-
ten, um Klimaschutz zu realisieren. Jeden planwirt-
schaftlichen Ansatz halten wir für verfehlt. Wir setzen
auf Markt, auf Innovationskraft und auch auf die Findig-
keit unserer Handwerker. Ohne Hightech ist in einer mo-
dernen Industriegesellschaft nichts möglich.

(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


Mir scheint der Hinweis wichtig, dass wir das Ziel im
Auge behalten müssen, das der Minister am Anfang sei-
ner Rede deutlich gemacht hat, nämlich die CO2-Emis-
sionen um bis zu 40 Prozent zu reduzieren, wenn die
internationalen Rahmenbedingungen stimmen. Also soll-
ten wir uns möglichst viele Wege dahin offenhalten und
nicht von vornherein Wege ausschließen. Das heißt auch
für das Wärmegesetz: möglichst technologieoffen voran-
gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ein Blick in andere Länder zeigt uns, welche Dyna-
mik im Bereich erneuerbare Energien vorhanden ist. Re-
power zeigt uns, dass Länder wie Indien aufrüsten. Auch
in Kalifornien sind die grünen Technologien ein heißes
Thema. Nicht wenige meinen, dass die USA nach den
nächsten Wahlen, wenn dort andere klimapolitische Wei-
chen gestellt werden, erneut ihre große technologische
Innovationskraft beweisen werden. Ich finde, da müssen
wir vorne mit dabei sein. Deshalb werben wir um Ihre
Unterstützung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614500500

Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Kurt Hill für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614500600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke

sagt: Wirksamer Klimaschutz, gute Arbeit und bezahl-
bare Energie, das gehört zusammen, und zwar ohne
Wenn und Aber.


(Beifall bei der LINKEN)


Das alles geht mit erneuerbaren Energien.

Das funktioniert aber nur, wenn der Bundestag den
gesetzlichen Rahmen richtig ausgestaltet. Nach dem,
was uns vorliegt, droht der notwendige Ausbau von
Wind- und Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse und
Erdwärme aber auf halbem Weg stecken zu bleiben. Ihre
Gesetzentwürfe, meine Damen und Herren der Koali-
tion, sind aus der Sicht der Linken viel zu lasch ausge-
legt und zum Teil absolut untauglich, was den Wärmebe-
reich betrifft. Die Linke fordert das Parlament auf, in den
nächsten Monaten die schlimmsten Fehler zu korrigie-
ren.

Lassen Sie mich erklären, worum es geht.

Erstens: Klimaschutz. Fest steht: Wenn wir die Erder-
wärmung in erträglichen Grenzen halten wollen, müssen
die Treibhausgase bis 2050 weltweit um bis zu 80 Pro-
zent gesenkt werden. Dies bestätigen uns auch die neu-
esten Daten des UN-Klimarates. Deutschland ist, wie
wir wissen, weltweit einer der größten CO2-Verursacher.
Deshalb müssen wir den CO2-Ausstoß bis 2020 um min-






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill
destens 40 Prozent senken. Das hat auch die Bundesre-
gierung erkannt. Die Frage ist nur, ob sie sich gegen die
Interessen der Industrie durchsetzen wird. Dieses Ziel
werden wir – da gebe ich Frau Ypsilanti aus Hessen
recht – nicht erreichen, wenn in Deutschland weiter kli-
maschädliche Kohlekraftwerke gebaut werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das geht nämlich nur mit Energieeffizienz und erneuer-
baren Energien. Allein im letzten Jahr haben Sonne,
Wind und Co. 110 Millionen Tonnen CO2 eingespart.

Zweitens. Kommen wir nun zur guten Arbeit. In der
Branche der erneuerbaren Energien arbeiten zurzeit min-
destens 235 000 Menschen; Herr Gabriel hat es bereits
ausgeführt. Jedes Jahr kommen 25 000 neue Stellen
hinzu. Bei der Kohle- und Atomwirtschaft erleben wir
hingegen einen kontinuierlichen Arbeitsplatzabbau. Auch
mit neugeplanten Großkraftwerken werden hier bis 2020
mindestens 45 000 Jobs verloren gehen. Erneuerbare
Energien bringen also auch neue Beschäftigung. Natür-
lich müssen wir berücksichtigen, was für Arbeit entsteht.
Ich spreche von guter Arbeit. Das heißt für die Linke:
anerkannte Mitbestimmung, Betriebsräte und anständige
Bezahlung – auch für Leiharbeiter. Das ist ein wichtiger
Rahmen für eine ausgewogene Förderpolitik.

Drittens: bezahlbare Energie. Wir alle merken, wie
die Preise für Öl und Gas ins Uferlose steigen und die
großen Energiekonzerne weiter unverschämte Milliar-
denprofite machen. Keiner wird günstige Energieversor-
gung organisieren, der es zulässt, dass sich die fossilen
oder atomaren Großkraftwerke weiter in der Hand von
wenigen Energiebossen wie Eon, EnBW, RWE und
Vattenfall befinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer das verspricht, der macht den Menschen in diesem
Land etwas vor.

Dagegen senken erneuerbare Energien die Strom-
und Heizpreise. Sie führen zu sinkenden Preisen an der
Strombörse und zusätzlich führen sie indirekt zu Einspa-
rungen bei Gesundheits- und Umweltkosten. Wir Linke
sagen: bezahlbare Energie, das geht nur mit Energieein-
sparung und erneuerbaren Energien.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei diesen Rahmenbedingungen ergeben sich aus
Sicht der Linken folgende Anforderungen an die Geset-
zesentwürfe der Bundesregierung:

Es gilt, den Missbrauch der Stromnetze zu verhin-
dern. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz muss die Verhin-
derungstaktik der Stromkonzerne jetzt ausgehebelt wer-
den. Der Netzausbau darf nicht länger Konzerninteressen
folgen, sondern muss dem Allgemeinwohl dienen. Das
heißt, im Interesse von Klimaschutz, Beschäftigung und
bezahlbarer Energie müssen die Stromnetze vorsorglich
für den schnell wachsenden Bereich der erneuerbaren
Energien ausgebaut werden; nach unserer Ansicht – Sie
wissen das – gehören sie in staatliche Hand.


(Beifall bei der LINKEN)

Warum werden von RWE und Co. die Engpässe im
Stromnetz nicht beseitigt? Doch nur, um einen Grund zu
haben, Wind- und Solarparks abzuschalten, weil man
mit abgeschriebenen Kohle- und Atommeilern natürlich
mehr Geld verdient! Ich will ganz klar sagen: In meinen
Augen ist so etwas kriminell. Anlagenbetreiber im Be-
reich erneuerbarer Energien sind deshalb künftig für sol-
che Ausfälle zu entschädigen. Zudem brauchen wir ei-
nen Förderbonus für kluges Einspeisemanagement,
zum Beispiel innovative Speicher für Wind- und Solar-
strom.

Gut hingegen ist das Repowering, das heißt doppelter
Energieertrag bei halber Anlagenzahl. Das überzeugt
auch Windparkkritiker.

Die Ausgestaltung für die Offshorewindenergie, also
Energiegewinnung im Meer, ist ebenfalls ein guter Auf-
schlag.

Bei der Windkraft an Land muss die Bundesregie-
rung, müssen aber auch die Länder jenseits des EEG
deutlich mehr Aktivität zeigen, um Hemmnisse abzu-
bauen. Die Bauhöhenbegrenzung behindert den Bau
von neuen Windrädern in fast allen Bundesländern und
wurde unlängst auch von der EU-Kommission gerügt.

Wasserkraft ist im Einklang mit der Umwelt weiterhin
machbar. Aber eine Notiz am Rande: Wenn wir den
Schutz der Auenwälder verbessern wollen, müssen zu-
erst der unsinnige Elbausbau und auch das Projekt
Donaukanal gestoppt werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Solarstrombranche war in der letzten Zeit erheb-
lich in der Kritik, was teilweise wohl auch gerechtfertigt
war. Hierbei geht es um Innovationsmüdigkeit, Ausru-
hen auf dem Stand der Technik usw. Erstaunlich ist aller-
dings, wie stark sich das im Gesetzesentwurf widerspie-
gelt. Ich habe mich in Betrieben in Sachsen und
Sachsen-Anhalt davon überzeugt, dass Innovation und
Entwicklung sehr wohl stattfinden. Und: Keine Branche
schafft so viele Arbeitsplätze in Ostdeutschland wie die
Solarbranche.

Was die Arbeitsbedingungen angeht, habe ich fol-
gende Erfahrung gemacht: Mitbestimmung und faire Ar-
beitsbedingungen müssen Voraussetzung für eine gute
Förderung sein, und zwar ohne Wenn und Aber.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Abgeordneter der Linken werde ich mich für ein
starkes EEG einsetzen, mich aber auch für gute Arbeit in
der Branche verwenden. Der Linken ist es nicht gleich,
ob Menschen zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden
oder gute Arbeit geschaffen wird. Gerade in Ostdeutsch-
land, wo die Solarbranche schnell wächst, ist das für die
Menschen von erheblicher Bedeutung. Ich erwarte, dass
die Branche hierbei mitzieht. Das wird sich dann auch in
einer fairen Ausgestaltung der Förderung widerspiegeln.

Der zweite Gesetzesentwurf, der heute vorliegt, be-
fasst sich mit der Förderung von erneuerbaren Energien
im Wärmebereich. Es ist gut, dass CDU/CSU und SPD






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill
den ordnungspolitischen Ansatz der Linksfraktion auf-
gegriffen haben.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber das war es dann auch schon. Was uns hier vorliegt,
ist ein schlechter Witz. Abgesehen davon, dass viel zu
niedrige Ziele gesteckt werden, soll der Einsatz erneuer-
barer Energien nur in Neubauten gefördert werden. Da-
bei ist doch auch Ihnen klar: Das weitaus größte Poten-
zial liegt im Altbau, nämlich 80 Prozent. – Den wollen
Sie ausklammern. Das ist, wie gesagt, ein Witz. Hier
wird offenbar der Wohnungswirtschaft nach dem Mund
geredet, die auch schon beim Gebäudeenergiepass gegen
den Klimaschutz gewettert hat.

Aber selbst der, der neu baut, kann sich künftig um
die erneuerbaren Energien herumdrücken, wenn er bei
der Wärmedämmung ein wenig drauflegt. Hierzu haben
wir Linken folgenden Vorschlag zu machen: Wenn sich
die Bundesregierung weiter weigert, auch die Besitzer
von Altbauten beim Klimaschutz in die Pflicht zu neh-
men, dann sollte sie auf das Wärmegesetz besser ganz
verzichten und lieber die Energieeinsparverordnung,
welche energiesparenden Wärmeschutz und energiespa-
rende Anlagentechnik bei Gebäuden regelt, anpassen.

Ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien im
Wärmebereich, das die Ziele „Klimaschutz“, „Beschäfti-
gung“ und „faire Energiepreise“ ernst nimmt, muss nach
Ansicht der Linken folgende Ansprüche erfüllen:

Erstens. Es muss den Anteil erneuerbarer Energien im
Wärmesektor bis 2020 auf 20 Prozent erhöhen.

Zweitens. Neubauten sollten mindestens 30 Prozent,
Altbauten mindestens 20 Prozent ihres Wärmebedarfs
aus Solarenergie, Erdwärme oder Biomasse beziehen.

Drittens. Bei der Erfüllung dieses Vorhabens muss es
einen Vorrang für Solar- und Erdwärme geben, und Bio-
gas muss vor flüssige Biomasse gestellt werden. Darauf
gehe ich gleich noch etwas näher ein.

Viertens. Grundsätzlich muss beim Einsatz von Bio-
energie eine Pflicht zur Nutzung von Kraft-Wärme-
Kopplung bestehen.

Fünftens. Elektrisch betriebene Wärmepumpen müs-
sen mit Ökostrom betrieben werden, der das Zertifikat
„Grüner Strom Label“ aufweist.

Sechstens. Echte Passivhäuser sollten von der Pflicht
ausgenommen werden.

Um noch einmal auf die Bioenergie zurückzukom-
men: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht sehr
wohl den Einsatz von Bioheizöl in einfachen Heizkes-
seln ohne Kraft-Wärme-Kopplung vor. Das hat zwei
Folgen:

Erstens wird auf innovative Technik wie Solarthermie
und Erdwärmenutzung verzichtet. Die Beschickung der
Heizungsanlage mit Agroheizöl ist nun einmal einfacher
als neue Technik.

Zweitens verspielt die Bundesregierung damit jegli-
che Chance der ökologischen und klimaverträglichen
Nutzung von Biomasse. Allein die Erhöhung der Bio-
kraftstoffquote, die hier auch zur Beratung steht, ist eine
Absage an Klimaschutz und Beschäftigung in Deutsch-
land.


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei sind sich nach meiner Einschätzung die meisten
Abgeordneten im Umweltausschuss mittlerweile einig,
dass die Biokraftstoffquote nicht zielführend ist.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in ei-
nem Gutachten deutlich gemacht, dass eine Biosprit-
quote über 7 Prozent auf Kosten des Naturhaushaltes
und auf Kosten anderer Biomassenutzung geht. Mehr
geben die Flächen in der Bundesrepublik Deutschland
nicht her. Die SPD will aber 20 Prozent, also das Dreifa-
che. Das bedeutet umweltschädliche Monokulturen und
massenweise Import von Agrosprit, der in den Entwick-
lungsländern zu Raubbau und Vertreibung von Klein-
bauern führt. Das ist mit uns nicht zu machen. Die Linke
fordert deshalb eine Rücknahme der Zwangsquote für
Biosprit. Richten Sie die Bioenergieförderung endlich
auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke will Förderung von reinen Biokraftstoffen in
regionalen Strukturen und Vorrang für Biogas.

Ich fasse zusammen:


(Dirk Becker [SPD]: Aha! Das ist gut!)


Erstens. Für die Linke ist das EEG zur Förderung er-
neuerbarer Energien im Stromsektor ein weltweites Er-
folgsmodell und ohne Alternative.


(Dirk Becker [SPD]: Richtig!)


Seine Ausgestaltung muss sorgfältig vorgenommen und
gegen unseriöse Behauptungen in Schutz genommen
werden. Ich blicke da insbesondere auf die Kolleginnen
und Kollegen der FDP.

Zweitens. Die Vorschläge zur Förderung erneuerbarer
Energien im Wärmebereich sind unserer Ansicht nach
das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Hier verlangt
die Linke von der Bundesregierung ein deutliches Nach-
legen, wenn sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren will.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Die Biokraftstoffquote stellt einen Angriff
auf kleine und mittelständische Unternehmen in Deutsch-
land dar. Sie führt zu einer menschenverachtenden Pro-
duktion von Biokraftstoffen, die den Namen „Bio“ nicht
verdienen, und zum Raubbau an Regenwäldern. Nach
Ansicht der Linken gehört sie komplett abgeschafft.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, werte Kollegen, ich freue
mich auf die kommenden Beratungen, bei denen wir
hoffentlich gemeinsam Ihre vorgelegten Gesetze so ver-
bessern werden, dass sie in der Tat für wirksamen Kli-
maschutz, gute Beschäftigung und bezahlbare Energien
stehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614500700

Dirk Becker ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1614500800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Seit einem Dreivierteljahr reden wir über die Be-
schlüsse von Meseberg. Heute ist endlich die Stunde des
Parlamentes gekommen. Wir befassen uns mit den ersten
Gesetzesentwürfen des dort geschnürten Pakets.

Bei der nun anstehenden Beratung über das Gesetz
zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich
und dem entsprechenden Neuregelungsgesetz im Strom-
bereich geht es heute sicherlich um ganz entscheidende
Stellschrauben. Der Wärme- und der Strombereich sind
zwei zentrale Bereiche, an denen sich entscheidet, ob wir
es schaffen, unsere CO2-Emissionen entsprechend zu re-
duzieren.

Ich möchte zunächst stellvertretend für die Bundesre-
gierung dem Umweltministerium danken. Es gab einen
straffen Fahrplan und ein umfangreiches Programm. Wir
haben allen Unkenrufen zum Trotz den Fahrplan halten
können. Das hat manchem im Ministerium einiges ab-
verlangt. Vonseiten der SPD-Fraktion dafür zunächst
einmal herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Klar ist aber auch, dass in diesem zügigen Verfahren
zwar vieles geregelt werden konnte, manches aber noch
verbessert werden kann. Dafür sind wir schließlich da.
Wir freuen uns, dass wir diesen Spielraum sehen. Diesen
Spielraum werden wir nutzen.

Damit komme ich zum ersten Gesetzentwurf und dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz. Noch einmal – das haben
zwei Redner angesprochen –: Frau Reiche hat Recht,
dass dies eines der erfolgreichsten Gesetze ist, die von
diesem Parlament jemals verabschiedet wurden. Darauf
sind wir stolz. Herr Meierhofer, es bringt nichts, ständig
zu sagen, dass auch Sie die erneuerbaren Energien för-
dern wollen. Die Tatsache, dass diese Regelungen von
über 40 Ländern übernommen wurden, ist der Beweis
dafür, dass dies das effizienteste Instrument ist. Daher
sagen Sie endlich Ja zum EEG, aber argumentieren Sie
nicht immer damit, dass Sie zwar wollen, aber nicht wis-
sen, wie.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Kurt Hill [DIE LINKE])


Das Modell der Einspeisevergütung ist das effizienteste
und auch das wirtschaftlichste. Wir werden an diesem
Modell festhalten; das ist unbestritten.


(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wichtig ist aber, dass wir das System der Einspeise-
vergütung weiterentwickeln. Neue Aufgaben warten auf
uns; das hat Frau Reiche angesprochen. Wir müssen un-
ser Augenmerk stärker darauf lenken, wie wir Netz- und
Marktintegration in diesem Gesetz sicherstellen. Ich bin
sicher, es wird dazu im weiteren Verfahren Lösungsan-
sätze geben. Wir müssen sehen, wie wir beispielsweise
fluktuierende erneuerbare Energien verlässlicher in den
Energiemix einbeziehen. Hierzu werden wir weitere
Vorschläge machen. Aber auch die Anpassung der Ver-
gütungssätze wird erforderlich sein, sowohl in einigen
Technologien nach unten – Frau Reiche hat ein Beispiel
angesprochen – als auch bei anderen Technologien nach
oben.

Man hat manchmal den Eindruck, die Windenergie
ist für viele abgeschrieben. Es wird über Offshoreanla-
gen und Repowering gesprochen. Aber ich sage Ihnen:
Unsere Ziele für den Ausbau, die Quoten für erneuerbare
Energien, können wir nur dann erreichen, wenn auch
weiterhin Onshoreanlagen gefördert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Auch hier müssen wir schauen, ob die Vergütungssätze
ausreichend sind. Es gibt zumindest Anzeichen, dass die
Vergütungssätze tatsächlich ein Problem darstellen und
dass hier noch einmal nach oben hin nachjustiert werden
muss. Das wird im weiteren Verfahren zu prüfen sein.

Ich komme zum zweiten Gesetzentwurf, dem Erneu-
erbare-Energien-Wärmegesetz. Herr Hill, Sie haben hier
ein Untergangsszenario mit den Worten geschildert, man
hätte besser nichts machen sollen. Entschuldigung, das
ist Blödsinn. Richtig ist, dass die Pflicht zum Einsatz
erneuerbarer Energien nur im Bestand greift und dass
der Anteil im Bestand pro Jahr etwa um 1 Prozent
wächst. Das ist natürlich wenig. Man kann das aufsum-
mieren: Bis 2020 kommt dann schon ein erklecklicher
Batzen zusammen. Wir müssen also die Regelungen
zum Bestand ändern.

Aber wir haben hier in der Tat ein Problem. Ich sage
das mit dem klaren Bekenntnis, dass auch ich mir durch-
aus ordnungsrechtliche Verpflichtungen zum Bestand
hätte vorstellen können. Anteilig finde ich das gut. Aber
wir haben schon heute ein Vollzugsdefizit. Wer garan-
tiert denn, dass das, was in der EnEV vorgeschrieben ist,
heute eingehalten wird? Wir alle wissen von dem Pro-
blem. Die Zahlen zeigen immer wieder, dass in der EnEV
zwar tolle Werte stehen – wir werden versuchen, sie noch
weiter zu verschärfen –, aber wer prüft sie vor Ort? Wenn
ich diese Probleme nicht lösen kann, aber im Ergebnis
den CO2-Ausstoß mindern will, dann versuche ich zu-
nächst einmal einen freiwilligen Ansatz.

Einen Satz an die Oppositionsparteien: Wenn Sie ehr-
lich sind, müssen Sie zugeben, dass es keiner von Ihnen
für möglich gehalten hätte, dass wir das Marktanreiz-
programm auf 500 Millionen Euro aufstocken. Das ist
ein Riesenerfolg dieser Bundesregierung. Das hätte kei-
ner von Ihnen für möglich gehalten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube sehr wohl, dass die Menschen in diesem Land
über dieses ambitionierte Programm zu erreichen sind.

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dirk Becker
Es muss weiterhin Öffentlichkeitsarbeit betrieben wer-
den. Auch müssen wir die Handwerker entsprechend
schulen. Dann haben wir mit diesen 500 Millionen Euro
viele Möglichkeiten, um die erneuerbaren Energien im
Wärmebereich wirklich marktfähig zu machen.

Ich sage aber auch deutlich: Der Anteil von 14 Pro-
zent erneuerbarer Wärme, den wir bis 2020 erreichen
wollen, ist nicht der letzte Schritt, sondern der erste
Schritt. Danach wird es weitere Schritte geben. Das Ziel
lautet folgendermaßen – das kann man nachlesen –: Wir
wollen durch energetische Gebäudesanierung den Bedarf
an Wärme immer weiter absenken. Der geringe Bedarf,
der am Ende noch übrigbleibt, soll durch erneuerbare
Energien – ich füge für mich hinzu: ohne Ressourcenver-
brauch und ohne Verbrennungsprozesse – gedeckt wer-
den. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Geothermie
und insbesondere die Solarenergie. Wir müssen weg von
der Verbrennung wertvoller Biomasse und wertvollen
Mineralöls.

Dieses zweite Ziel wird nach meiner festen Überzeu-
gung nur erreicht werden können, wenn wir jetzt zwar
auf der einen Seite festlegen, über einen längeren Zeit-
raum verlässlich mindestens 500 Millionen Euro zur
Verfügung zu stellen, und versuchen, die Menschen dazu
zu bewegen, diese Förderung in Anspruch zu nehmen,
auf der anderen Seite aber deutlich machen, dass es eine
Deadline gibt, und sei es in zehn Jahren. Das heißt, es
muss über längere Zeit einen Anreiz geben; aber ab dem
Zeitpunkt X – zum Beispiel 2020; ich nenne einmal die-
sen Zeitpunkt – muss auch im Bestand die Einsatzpflicht
bestehen. Auf diese Weise gibt es für alle einen langen
Planungszeitraum, sodass sich jeder frühzeitig überlegen
kann, schon jetzt die Förderung in Anspruch zu nehmen
oder später im Wege des Ordnungsrechtes bei einem
Heizungsaustausch auf erneuerbare Energien umzustei-
gen.

Ich glaube, wir werden im Interesse des Klimaschut-
zes und der Unabhängigkeit von Energieimporten um
diesen Weg mittel- bis langfristig nicht herumkommen.
Für mich ist eine wichtige Option, den Menschen heute
zu sagen: Nehmt den Anreiz in den nächsten Jahren in
Anspruch; ihr müsst damit rechnen, dass es irgendwann
aus den von mir dargestellten Gründen zur Pflicht wer-
den wird.

Dies sind einige Punkte, die wir im weiteren Verfah-
ren beraten werden. Ich bin sicher, Herr Hill, dass Ihre
Einschätzung total falsch ist. Wir werden bis 2020 mit
diesen beiden Gesetzen und mit dem gesamten Pro-
gramm 36 Prozent der angepeilten Reduzierung der
CO2-Emissionen schaffen. Das ist ein ambitioniertes und
gutes Ziel, und das wird ein Erfolg dieser Koalition.

Danke.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614500900

Das Wort hat nun der Kollege Hans-Josef Fell, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614501000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Verehrte Besucher aus Hammelburg auf
der Tribüne! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist einer
der größten Erfolge der grün-roten Koalition:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

für den Klimaschutz, für die Sicherung der Energiever-
sorgung und für die Senkung der Strompreise. Vor allem
bewirkte das EEG eine weltweit bestaunte industrielle
Entwicklung und weitreichende Innovationen. Das EEG
ist ein zentrales Element zur Bekämpfung der Arbeitslo-
sigkeit, vor allem im Osten Deutschlands. Auch am
Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre hat es einen be-
achtlichen Anteil.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit Inkrafttreten im Jahre 2000 gingen die gesamten

CO2-Emissionen Deutschlands durchschnittlich um
18 Millionen Tonnen jährlich zurück. Ohne die seit 2000
neu in Betrieb gegangenen EEG-Anlagen wären die
Emissionen in Deutschland nicht gesunken, sondern so-
gar gestiegen. Das EEG ist das erfolgreichste Klima-
schutzinstrument.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass inzwischen die Union wieder hinter

den Grundprinzipien des EEG steht, wollte sie doch
noch im Wahljahr 2005 die Einspeisevergütung abschaf-
fen. Anders als die Liberalen hat die Union einen erfreu-
lichen Wandel vollzogen und kämpft sogar mit uns Grü-
nen und der SPD in Brüssel für das deutsche System der
Einspeisevergütung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Statt des hochbürokratischen und zum Scheitern verur-
teilten Vorschlags der EU-Kommission eines elektroni-
schen Handels brauchen wir ein europaweites Einspei-
sungssystem. Dafür werden wir Grünen uns einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts der großen wirtschaftlichen Erfolge des

EEG wäre es folgerichtig, wenn sich die Koalition vehe-
ment für eine Stärkung aller erneuerbaren Energien im
Strombereich, im Wärmesektor, bei Treibstoffen und
auch bei der Energieeinsparung einsetzen würde. Doch
die Große Koalition ist weit davon entfernt, auch im
Wärme- und Kühlungssektor sowie beim Transport eine
ähnliche Dynamik zu schaffen. Zwar hören wir viel Rhe-
torik von Kanzlerin Merkel, dass man alles für den Kli-
maschutz tun müsse; aber im Klimaschutz- und Energie-
paket der Bundesregierung finden wir davon nur sehr
wenig.

Es ist unglaublich, aber wahr: Sowohl die Bundes-
kanzlerin als auch der Bundesumweltminister setzen
sich für den Bau neuer Kohlekraftwerke ein, bekannt-
lich die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu Recht ernten sie damit immer mehr Bürgerproteste
statt neuer Kohlekraftwerke. Wir Grünen werden diese
neue Bürgerbewegung weiter unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell
Der Ausbau der Kohlekraft und die Laufzeitverlänge-
rung von Atomkraftwerken wären das größte Hemmnis
für einen schnellen und dynamischen Ausbau der erneu-
erbaren Energien, so wie es die Branche kann und auch
will.

Viele zweifelten doch im Jahre 2000, ob wir in zehn
Jahren eine Verdopplung des Stromanteils für erneuer-
bare Energien hinbekommen. Die Erneuerbare-Energien-
Branche schaffte sogar in sieben Jahren viel mehr. Mit
dieser Wachstumsdynamik kann die Branche sowohl
den Atomausstieg leisten und 40 Prozent CO2-Reduktion
schaffen als auch die Kohlekraftwerke ersetzen. Wir
brauchen keine neuen Kohlekraftwerke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Ziel des Bundesumweltministers, einen Anteil
von 25 bis 30 Prozent erneuerbaren Energien zu errei-
chen, ist nicht ambitioniert. Die Branche kann und will
mehr. Das sollten wir auch akzeptieren und entspre-
chende Maßnahmen anstoßen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Andererseits setzt die Verknappung der fossilen und
atomaren Ressourcen die Versorgungssicherheit aufs
Spiel, wie aktuell am nationalen Notstand in Südafrika
zu sehen ist. Wer wie die großen Energiekonzerne und
die Bundesregierung heute noch auf Atom und Kohle
setzt, sorgt dafür, dass spätestens übermorgen die Lichter
ausgehen werden. Das ist die Entwicklung, auf die wir
zusteuern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Große Koalition setzt weiter auf die Besteuerung
der reinen Biokraftstoffe statt auf Steuererleichterungen.
Sehenden Auges lassen Sie die heimischen dezentralen
Ölmühlen und Biodieselanlagen in Konkurs gehen.
Stattdessen unterstützen Sie mit dem Beimischungs-
zwang sogar die Abholzung tropischer Regenwälder.
Herr Minister Gabriel, Sie sprechen vom Urwaldschutz,
sorgen aber mit Ihrem Biokraftstoffquotengesetz für die
Abholzung genau dieser Wälder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Auch Ihre halbherzige und ökologisch wie sozial unzu-
längliche Nachhaltigkeitsverordnung für Bioenergien
wird dies nicht ändern. Klimaschutz und Waldschutz se-
hen anders aus.

Meine Damen und Herren von der Koalition, bei Ih-
ren Gesetzentwürfen stimmt oft nur die Überschrift, aber
nicht der Inhalt. In der Fassung, in der Sie das Erneuer-
bare-Energien-Wärmegesetz vorgelegt haben, wird in
der Branche der Erzeuger von erneuerbarer Wärme die
notwendige und erhoffte Ausbaudynamik nicht entste-
hen, vor allem deshalb, weil Sie das große Volumen des
Altbausektors unberührt lassen. Herr Becker, es genügt
nicht, die Mittel für das Marktanreizprogramm aufzusto-
cken; man muss auch für den Abfluss sorgen.


(Katherina Reiche [Potsdam] [CDU/CSU]: Wir haben es gemacht!)

Unter Ihrer Regierung war bereits im letzten Jahr ein
drastischer Rückgang bei den Neuinvestitionen für Son-
nenkollektoren und Holzpelletsheizungen zu verzeich-
nen. Das ist keine Ausbaudynamik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch im Biogassektor haben Sie in Ihrer Regie-
rungszeit bereits einen 70-prozentigen Markteinbruch zu
verantworten. Statt nun massiv entgegenzusteuern, wol-
len Sie in der Biogaseinspeisung zwar die Netzzugangs-
bedingungen ein wenig verbessern – das ist auch gut –,
aber keine Vergütung für das eingespeiste Biogas einfüh-
ren. So erreichen Sie keine Dynamik im innovativen
Mittelstand.

Selbst in der von Ihnen vorgeschlagenen Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes gibt es Licht und Schat-
ten. Es ist gut, bessere Anreize für Offshorewindanlagen
zu schaffen, aber bitte vernachlässigen Sie nicht die mit-
telständisch orientierte Windkraftbranche an Land.
Onshorewindräder können viel kostengünstiger und
schneller emissionsfreien Windstrom erzeugen als die
Mühlen auf dem Meer. Doch trotz gestiegener Rohstoff-
preise wollen Sie die Windvergütung weiter senken und
setzen zu wenig Anreize für Repowering. Dabei haben
wir doch – ebenfalls unter Ihrer Regierungsverantwor-
tung – seit dem letzten Jahr einen bedenklichen Rück-
gang bei den Windkraftneuinstallationen in Deutschland.

Auch in der Fotovoltaik setzen Sie auf willkürlich
festgelegte drastische Vergütungssenkungen, selbst auf
das Risiko hin, dass diese hochinnovative Branche
Markteinbrüche zu befürchten hat. Wir schlagen vor, die
Degression der Vergütung nicht auf Jahre hinweg festzu-
schreiben, sondern dynamisch an das Marktwachstum
anzubinden. Bei starkem Wachstum könnte die Vergü-
tung stärker gesenkt werden als bei Stagnation oder gar
Investitionsrückgang. Mit unserem Modell wird es für
die Branche weiterhin verlässliche Wachstumsbedingun-
gen geben, und gleichzeitig werden die Kosten schnell
gesenkt werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Großen Koalition, Sie haben noch harte Arbeit vor sich,
um das Klima- und Energiepaket wirklich zu einem Kli-
maschutzerfolg werden zu lassen. Wir Grünen bieten Ih-
nen dazu unsere aktive Mitarbeit im parlamentarischen
Verfahren an,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist eine Drohung!)


haben wir doch in der Vergangenheit mit der Einführung
des EEG bewiesen, dass wir erfolgreich Wirtschaftspoli-
tik und Klimaschutz zusammenbinden können. Wir bie-
ten Ihnen faire parlamentarische Beratungen an mit dem
ehrlich gemeinten Ziel der Zustimmung der Grünen
– aber natürlich nur, wenn die Novelle des Erneuerbare-
Energien-Gesetzes allen erneuerbaren Energien – Sonne,
Wind, Wasser, nachhaltig angebauten Bioenergien, Erd-
wärme und Meeresenergien – gute Wachstumsmöglich-
keiten bietet und ein im Vergleich zum Entwurf deutlich






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell
verbessertes Wärmegesetz für erneuerbare Energien eine
Dynamik auch im Altbausektor entfachen kann.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614501100

Herr Kollege Fell.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614501200

Denn uns muss immer wieder klar werden: Nur mit

erneuerbaren Energien und mit Energieeinsparungen
können der Klimaschutz und die Verhinderung von wei-
ter steigenden Erdgas-, Erdöl- und Strompreisen gelin-
gen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614501300

Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1614501400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Lieber Herr Fell, wir haben uns – ich glaube, alle Frak-
tionen im Deutschen Bundestag haben das konzediert –
mit dem Ziel einer EEG-Verstromung von 30 Prozent im
Jahr 2020 eine ambitionierte Aufgabe gestellt. Wir müs-
sen eine Menge dafür tun, um das auch tatsächlich zu er-
reichen. Derjenige, der sich tagtäglich damit befasst,
welche Investitionen in die erneuerbaren Energien
selbst, aber zum Beispiel auch in die Netze dazu notwen-
dig sind, weiß, dass das eine Aufgabe ist, an deren Be-
wältigung wir hart zu arbeiten haben. Dennoch ist es so,
dass am Ende 70 Prozent des Stroms nicht aus erneuer-
baren Energien erzeugt werden. Nur weil es populär ist,
so zu tun, als ob wir in diesem Zeitraum ohne Kohlever-
stromung auskämen, ist eine Täuschung der Öffentlich-
keit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Wir wollen, dass
die alten Mühlen – diejenigen, die am stärksten CO2 aus-
stoßen – so zeitnah wie möglich abgeschaltet werden.
Dazu brauchen wir aber Neuinvestitionen, auch in Koh-
lekraftwerke. Wir haben ganz klar gesagt: Unsere Prio-
rität ist dabei die Kraft-Wärme-Kopplung, die letztlich
aufgrund ihrer Effizienzgrade und ihres Wärmeaussto-
ßes Vorteile gegenüber dem Kondensationsstrom hat.
Wir wollen im Bereich Forschung und Entwicklung De-
monstrationsobjekte für die Technik der CO2-Abschei-
dung und -Speicherung schaffen, wohl wissend, dass
noch nicht alle Fragen beantwortet sind. Aber ich denke,
da gilt das Vorsorgeprinzip. Innerhalb des Zeitraums bis
2020 werden wir dann sehen, wo Optionen für eine wei-
tere Kohleverstromung liegen. Aber klar ist: Wir wollen
die alten Mühlen zeitnah beseitigen. Das geht leider
nicht allein über erneuerbare Energien, sondern dazu
brauchen wir neue moderne Kraftwerke im Bereich der
Kohle.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist aber nicht das Thema der heutigen Debatte.
Ich möchte mich vor allen Dingen auf die Novelle zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz konzentrieren, auch
wenn die Aufregung groß ist, da hier Argumente ange-
führt werden, die offenbar dem einen oder anderen in der
Fraktion der Grünen nicht passen, weil sie mit der Reali-
tät zu tun haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Heute weiß mittlerweile nicht nur jeder Mediziner, dass
mit „EEG“ nicht das Elektroenzephalogramm gemeint
ist, sondern das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es ist
– das haben mehrere Redner schon gesagt – eine Er-
folgsgeschichte geworden.

Gelegentlich wird der Vorwurf gemacht – heute wie-
der insbesondere von der FDP –, dass dieses Instrument
nicht wirtschaftlich angelegt sei und es zu Überförderun-
gen oder Unterförderungen – wie auch immer – komme.
Der Monitoringbericht spricht eine andere Sprache:
Gerade in dieser Hinsicht ist das Instrument ein Erfolgs-
beispiel. Wir haben mit den im EEG festgelegten Vergü-
tungssätzen und Degressionsschritten offenbar – jeden-
falls im Großen und Ganzen – die richtige Richtung
beschritten. Es gibt kaum Überförderungen. Da, wo es
sie gibt, werden wir sie beseitigen. Es gibt aber vor allen
Dingen keine Unterförderungen; sonst wäre dieses In-
strument nicht so erfolgreich gewesen, wie es über Jahre
gewesen ist. Ich glaube, dass wir, was die Wirtschaftlich-
keit dieses Instrumentes angeht, von der Grundausrich-
tung her noch besser werden können, aber schon in der
Vergangenheit – auch das muss man sagen – gut gewe-
sen sind.

Ein Punkt, den wir dieses Mal besonders hervorheben
wollen, ist das Thema Netz- und Marktintegration von
erneuerbaren Energien. Ich will dazu ein paar Worte sa-
gen; andere Kollegen werden weitere Aspekte anspre-
chen.

Es gibt im Gesetzentwurf eine Verordnungsermächti-
gung zum Thema Netzintegration. Ich glaube, dass wir
uns die Mühe machen sollten, in weiteren gesetzgeberi-
schen Verfahren zu überlegen, was wir möglicherweise
schon jetzt nicht nur in der Verordnung, sondern auch im
Gesetz tun können, um frühzeitig mögliche Anreize da-
für zu setzen, dass der EEG-Strom noch wertvoller wird,
weil er noch stetiger eingespeist wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt eine ganze Menge guter Ideen. Vorgeschlagen
werden zum Beispiel die Verkopplung verschiedener
Anlagen der erneuerbaren Energien – von Wind- und
Biogasanlagen beispielsweise –, die Kopplung von An-
gebots- und Nachfrageseite – zum Beispiel von Wind-
energieproduzenten und Kühlhäusern – oder innovative
Speichermöglichkeiten. Selbst die großen Energiever-
sorgungsunternehmen denken darüber nach, ob Nacht-






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann
speicherstrom künftig für Elektroautos genutzt werden
kann. All das sind Ideen, mit denen wir uns befassen
müssen. Wir müssen überlegen, was wir gesetzgeberisch
schon jetzt tun können, um diesen Weg zu beschreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Letztendlich wird das dazu führen, dass wir insbeson-
dere bei der volatilen Windstromerzeugung die Täler
und die Spitzen abfangen können, dass wir zu mehr Voll-
laststunden in diesem Bereich kommen, dass der Bedarf
an teurer Regelenergie sinkt und damit der Wert des
Stroms aus erneuerbaren Energien deutlich steigt. Auch
die Netzbetreiber werden etwas davon haben; denn die
Netzstabilität wird dann selbstverständlich leichter her-
zustellen sein. Das ist gerade vor dem Hintergrund wich-
tig, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien an der
Verstromung in den nächsten Jahren deutlich steigern
wollen. Last but not least wird das die Akzeptanz dieses
Instruments sowohl in der Bevölkerung als auch in der
betroffenen Wirtschaft deutlich steigern.

Ein anderes Stichwort in diesem Zusammenhang ist
die Marktintegration. Dabei geht es darum, die Anreize
so zu setzen, dass die erneuerbaren Energien ein Stück
weit, da wo es möglich ist, von der Vergütung wegkom-
men. Wir müssen zu am Markt erzielten Preisen und Ge-
winnen kommen. In der Vergangenheit wurden diesbe-
züglich durchaus Fortschritte gemacht. Wir glauben,
dass da noch mehr möglich ist. Im Dialog mit der Bran-
che sind dazu Vorschläge erarbeitet worden. Sie unter-
scheiden sich ein Stück weit von dem, was im Gesetz-
entwurf angeregt wird. Ich glaube, dass wir hier noch
einmal genau hinschauen sollten. Wir müssen Anreize
setzen, die dazu führen, dass die Erzeuger von erneuer-
baren Energien schrittweise in Richtung Eigenvermark-
tung gehen. Wir müssen einen Schritt in Richtung Ent-
sendung der erneuerbaren Energien in den Wettbewerb
machen. Das wird uns nicht von einem Tag auf den an-
deren gelingen. Wenn wir diese Schritte machen, gehen
wir aber in die richtige Richtung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin ganz sicher, dass wir im weiteren Verfahren
den Gesetzentwurf, der im Grundsatz schon sehr gut ist,
optimieren können. Dazu sind selbstverständlich auch
die Fraktionen der Opposition herzlich eingeladen. Ich
weiß, dass es auch dort engagierte Verfechter der erneu-
erbaren Energien gibt. Wir wollen diese Ressourcen
gerne nutzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614501500

Das Wort hat nun die Kollegin Angelika Brunkhorst,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1614501600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch die FDP begrüßt die Zielsetzung der EU, die
Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent zu re-
duzieren. Überdies haben wir auch den interfraktionellen
Vorschlag des Bundestages unterstützt, nach dem eine
unkonditionierte Reduzierung um 30 Prozent bis zum
Jahr 2020 erreicht werden soll. Ebenso richtig ist das
Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien am Primär-
energieverbrauch bis dahin auf 20 Prozent zu steigern.

Leidenschaftlichen Streit gibt es allerdings in mindes-
tens zwei Punkten.

Der erste Punkt ist: Welche Instrumente wollen wir
nutzen, um die erneuerbaren Energien stärker in den
Energiemix zu integrieren? Ist das EEG wirklich der
Weisheit letzter Schluss, oder geht es, zumindest beim
Zubau, auch anders, kostengünstiger und besser? Das
EEG ist keine heilige Kuh. Hier gibt es auf jeden Fall ei-
nen Dissens.

Der zweite Punkt bezieht sich sowohl auf die erneuer-
baren Energien als auch auf die Zukunft der konventio-
nellen Energieträger. Sie, meine Damen und Herren von
der Bundesregierung – neuerdings muss ich auch einige
Kollegen von der Union ansprechen –, wollen am liebs-
ten aus allem gleichzeitig aussteigen: aus der Kern-
energie und aus der Kohleverstromung gleich mit. Das
halten wir für unverantwortlich. Das ist ein Unfug, der
ins wirtschaftliche Desaster führen kann.


(Beifall bei der FDP)


Verkaufen Sie die Leute doch nicht für dumm. Um-
welt- und Klimaschutz sind keine Themen für den öko-
logischen Neobiedermeier, sondern Energiepolitik ist
vor allen Dingen ein Hightech-Thema. Wenn Sie das
Klima von Treibhausgasemissionen entlasten wollen,
dann gelingt das nur mit Hightech auf allerhöchstem Ni-
veau,


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kohle und Atom sind kein Hightech! Uralt!)


sowohl im Bereich der erneuerbaren Energien als auch
bei den konventionellen Kraftwerkstechnologien inklu-
sive einer möglichen CO2-Abscheidung.


(Beifall bei der FDP)


Die vorliegende Novelle des EEG ändert am Grund-
problem nichts. Das EEG hat entscheidende Webfehler.
Es ist kostspielig. Das wird immer deutlicher, je mehr
Zeit vergeht. Es ist immer wieder fatal, wenn sich der
Staat anmaßt, den richtigen Preis für bestimmte Techno-
logien zu kennen. Woher sollte der Staat dieses Wissen
nehmen? Es ist ein weiterer Fehler, den Wettbewerb zwi-
schen den verschiedenen erneuerbaren Energien nahezu
komplett auszuschalten.


(Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Sie wollen keine Fotovoltaik?)


Wir von der FDP setzen dem EEG ein System der dif-
ferenzierten Mengensteuerung entgegen, ein System, das
nicht sprachlos ist, wenn es um erneuerbare Wärme geht
oder um die Nutzung der erneuerbaren Energien im Be-
reich Verkehr.






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst

(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nirgendwo hat das Instrument Wirkung entfaltet!)


– Das hat funktioniert.


(Marco Bülow [SPD]: Besonders in England!)


An anderer Stelle werden wir darüber diskutieren.

Ihre Begeisterung für das EEG teilen wir nicht. Den-
noch enthält die heute von Ihnen vorgelegte Novelle des
EEG einige positive Aspekte gegenüber der bisherigen
Förderpraxis. Sinnvoll ist insbesondere, dass grundlast-
fähigen Energien endlich ein gewisser Vorrang einge-
räumt wird.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP begrüßt außerdem die Beendigung einiger
Doppelförderungen und die Tatsache, dass die Förde-
rung regenerativen Stroms stärker als bisher einer De-
gression unterworfen wird und die Produzenten stärkere
Anreize haben sollen, ihren Strom auch selbst zu ver-
markten. Diese Wahlmöglichkeit zwischen EEG-Förde-
rung und Eigenvermarktung bringt die erneuerbaren
Energien zumindest ein kleines Stück näher an ihre
Marktfähigkeit.


(Beifall bei der FDP)


Völlig inakzeptabel ist jedoch, dass nach der heute
vorgelegten Novelle beim EEG-Erfahrungsbericht in
Zukunft keine Ressortabstimmung mehr vorgegeben
sein soll. Noch dreister ist: Das BMU soll in die Lage
versetzt werden, zentrale Elemente des Gesetzes, näm-
lich die Degressionsregel und die Biomassenachhaltig-
keitskriterien, nur durch Rechtsverordnung und ohne
Beteiligung der Parlamente festzulegen. So geht das
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-
rungskoalitionsfraktionen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das allein wäre für uns schon Grund genug, diese No-
velle abzulehnen.

Inhaltlich negativ bewerten wir auch die zum Teil
absurden und kontraproduktiven Regelungen beim
Repowering. Es ist noch kein Offshorepark gebaut
worden, aber die Förderung für Offshorewindenergie
wird massiv erhöht.


(Dirk Becker [SPD]: Wenn Sie sich einmal damit beschäftigen, dann wissen Sie, warum! – Marco Bülow [SPD]: Es gibt einen kausalen Zusammenhang!)


– Ich bin noch nicht fertig.

Gerade bei der Realisierung der Offshoretechnologie
steht uns noch ein gewaltiger Kraftakt bevor. Täuschen
wir uns nicht: Es sind noch viele technische Fragen die-
ser Vision offen. In den Werkshallen werden gigantische
Windräder gefertigt, deren Gondeln 400 Tonnen wiegen.
Das ist Extremmaschinenbau, dessen Technik erst er-
probt werden will. Nebenbei bemerkt: Die Nordsee ist
kein seichtes, zahmes Gewässer. Auch da werden wir
uns noch wundern.


(Beifall bei der FDP)


Zudem sollten wir das Problem der Übertragung des
Windstroms an Land und über Land nicht vergessen. Al-
lerorten gibt es mittlerweile Engpässe bei den Netzkapa-
zitäten. Auch hier wünsche ich mir von den gleichen
Akteuren wie beim EEG innovative Visionen. Die Zau-
berworte heißen „Hochspannungs-Gleichstrom-Übertra-
gung“ und „intelligente Netze“. An dieser Stelle ganz
nebenbei: Niedersachsen hat seit Dezember 2007 ein
Erdkabelgesetz. Das sind faszinierende Techniken, die
zugegebenermaßen erheblich viel Geld kosten werden.
Das dürfen wir dem Verbraucher nicht verschweigen.

Bei der Biomasseverstromung steht für die FDP fest,
dass der Einsatz von Reststoffen und Gülle verstärkt
Vorrang haben muss. Wir meinen auch, dass wir den so-
genannten Nawaro-Bonus nicht zu erhöhen brauchen.
Vielmehr sollten wir durch Umschichtung den Einsatz
von Gülle und anderen Reststoffen verstärkt honorieren,
nicht zuletzt wegen der hier schon verschiedentlich an-
gesprochenen Nutzungskonkurrenzen bei der Biomasse.
Diese Konkurrenzen wollen wir nicht noch mehr verstär-
ken.


(Beifall bei der FDP)


Nun zum Wärmegesetz. Das Ergebnis der langwieri-
gen Diskussionen über dieses Gesetz kann nicht zu-
friedenstellen. Rund 37 Prozent des gesamten Endener-
gieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den
Wärmebereich, also auf die Warmwasserbereitung und
die Beheizung von Gebäuden. Diesen gewaltigen Schatz
wollen Sie jetzt heben, indem Sie eine Pflicht zur Nut-
zung erneuerbarer Energien für das zarte Pflänzchen
Neubauten einführen. Derzeit werden pro Jahr lediglich
175 000 Neubauten realisiert. Das kann also nicht wei-
terhelfen.

Alle hochtrabenden Pläne, endlich einen großen Wurf
für den Wärmebereich zu erzielen, sind gescheitert. Das
Bundesumweltministerium musste im Verlauf der Res-
sortabstimmung eine herbe Niederlage einstecken und
den Gebäudebestand aus dem Geltungsbereich des Ge-
setzes gänzlich streichen. Jetzt bettelt man um weitere
Fortschritte, indem man den Umweg über die Länder
nimmt.

Die Bundesregierung versucht zudem, den Gesetzent-
wurf aufzupeppen und als Erfolg zu verkaufen. So ver-
spricht sie unter § 13 Fördermittel, die in direktem Ge-
gensatz zum Kern des Gesetzes stehen. Denn für
Anlagen, die der Erfüllung der Nutzungspflicht dienen,
kann man gar keine Fördermittel erhalten. Zudem sind
Regelungen zur Verwendung dieser Mittel bereits im
Rahmen des Marktanreizprogramms getroffen worden.
Bitte täuschen Sie die Bürger nicht durch großartige För-
derversprechen und eine doppelte Buchung der Finanz-
mittel!

Am vorliegenden Entwurf eines Wärmegesetzes sind
auch die maßlosen Bußgeldregelungen und die Verlet-
zung der Eigentumsrechte durch den Anschluss- und Be-






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst
nutzerzwang zu kritisieren. Ist das Ihre Politik des
21. Jahrhunderts? Das kann es ja wohl nicht sein. Eigen-
tumsrechte sind Bürgerrechte, und die sollte man schüt-
zen und nicht diskreditieren.


(Beifall bei der FDP)


Die FDP hat als erste Fraktion bereits im Sommer letz-
ten Jahres ein abgestimmtes und umfassendes Konzept
zur Nutzung der erneuerbaren Energien im Wärmebe-
reich vorgelegt. Wir haben in unserem Antrag auf Druck-
sache 16/5610 dargelegt, dass dadurch große ökologische
Fortschritte erzielt werden können und die Integration des
Gebäudesektors in den Emissionshandel gelingen kann.
So könnten die Maßnahmen zur Gewinnung von Wärme
aus regenerativer Energie untereinander diskriminie-
rungsfrei, marktwirtschaftlich, technologieoffen, wettbe-
werbsneutral und unter minimalem gesamtwirtschaftli-
chem Aufwand gefördert werden.


(Beifall bei der FDP)


Leider hat das Wärmegesetz die gleichen Webfehler
wie das EEG. Man versucht, bestimmte Technologien zu
definieren und deren Anwendungs- und Nutzungsbedin-
gungen strikt vorzugeben. Wie wir auch an der heutigen
Debatte sehen, führen solche Vorhaben immer wieder zu
einem kontinuierlichen Anpassungsbedarf an die sich
wandelnden Marktbedingungen.

Die von Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe enthalten,
wie schon erwähnt, durchaus positive Aspekte. Dazu ge-
hört unter anderem der Vorrang für grundlastfähige er-
neuerbare Energien bei der Netzeinspeisung. Auch die
Kraft-Wärme-Kopplung verdient eine besondere Würdi-
gung ihrer Stärken, wenn auch die geplante KWK-
Pflicht bezüglich mittlerer Biomasseanlagen doch reich-
lich überzogen ist, wie es auch die absurden Anschluss-
zwänge sind.


(Beifall bei der FDP)


Am Ende überwiegen für uns die negativen Aspekte.
Die FDP lehnt das vorgelegte Gesetzespaket ab, sowohl
aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gründen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614501700

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1614501800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die gute Nachricht ist: Deutschland ist und bleibt
Vorreiter beim Klimaschutz, und das nicht nur in Eu-
ropa, sondern auf der ganzen Welt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist vor allem dem herausragenden Einsatz unserer
Bundeskanzlerin und ihrem sehr geschickten Agieren als
EU-Ratspräsidentin zu verdanken, dass man sich im
letzten Jahr in Europa verbindlich auf „20/20/20“ geei-
nigt hat: auf eine 20-prozentige Energieeinsparung, eine
20-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen
und einen 20-prozentigen Anteil der erneuerbaren Ener-
gien bis 2020. Dadurch wurden der Fortschritt in Heili-
gendamm und der Durchbruch in Bali hin zu einer sich
abzeichnenden internationalen Lösung unter Beteiligung
aller überhaupt erst möglich.

Deutschland ist aber nicht nur Vorreiter beim Klima-
schutz, sondern auch Schrittmacher und Benchmark
beim Energiesparen. Die Energieeffizienz ist ein Feld,
das leider immer etwas zu kurz kommt, obwohl es sich
hierbei eigentlich um den Königsweg der Energiepolitik
handelt. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hierzu
ein sehr umfangreiches Paket vorgelegt. Die Bundesre-
gierung hat im Herbst letzten Jahres entscheidende Fort-
schritte bei der Energieeffizienz erzielt, gepaart mit Fort-
schritten bei neuen Energietechnologien. Nur diesem
Fortschritt – der Entkopplung von Wirtschaftswachstum
und Energieverbrauch – ist es zu verdanken, dass wir
von den weltwirtschaftlichen Krisen und von den Aus-
schlägen der Preise für Rohstoffe und Energie bisher re-
lativ wenig betroffen sind. Deshalb müssen wir diesen
Weg konsequent weitergehen.


(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Mit der ersten Tranche des integrierten Klima- und
Energiepaketes, die wir heute in erster Lesung behan-
deln, folgen den Worten des letzten Jahres weitere, ent-
scheidende Taten. Das integrierte Klima- und Energiepa-
ket ist ein geeigneter Ansatz, um zu erreichen, dass 2020
zwischen 25 und 30 Prozent des Stromes und mindestens
14 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugt
wird. Das ist – wie auch immer man das im Einzelnen de-
finieren will, Herr Bundesminister Gabriel – ein deutli-
cher Beitrag zum Klimaschutz und zur Versorgungssi-
cherheit. Durch eine Biokraftstoffquote von 20 Prozent
oder mehr werden wir die Unabhängigkeit weiter voran-
treiben. Die Union unterstützt dieses Vorhaben uneinge-
schränkt.

Die erneuerbaren Energien haben mittlerweile einen
Anteil von 14 Prozent; 14 Prozent unserer Energie wer-
den somit CO2-neutral erzeugt. Hinzu kommen die un-
gefähr 26 Prozent unserer Energie, die in Kernkraftwer-
ken erzeugt werden. Das heißt, bereits heute, 2008,
werden in Deutschland gut 40 Prozent des Stroms CO2-
frei erzeugt. Selbst wenn wir die erneuerbaren Energien
massiv ausbauen und bis 2020 einen Anteil von 25 bis
30 Prozent erreichen – vielleicht sogar 35 Prozent –,
werden diese Bemühungen nicht ausreichen. Wir han-
deln also mit Zitronen; denn der Anteil unseres Stromes,
der CO2-frei erzeugt wird, wird, wenn wir die Kernkraft-
werke abschalten, 2020 immer noch unter dem liegen,
was wir heute haben. Die Differenz muss nämlich durch
fossile Energieträger gedeckt werden. Der Strom kommt
schließlich nicht einfach so aus der Steckdose. Insofern
kann ich nur alle auffordern – auch unseren geschätzten
und geliebten Koalitionspartner –, sich der Realität zu
stellen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Becker [SPD]: Er kann es nicht lassen! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Geliebt“! So weit ist es schon!)


Jetzt zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das Bes-
sere ist bekanntlich der Feind des Guten. Wir sind uns ja
einig, dass wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
für den Strombereich erreichen wollen, dass der Anteil
der erneuerbaren Energien auf 25 bis 30 Prozent steigt.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist erfolgreich, auch
was die Menge anbelangt – keine Frage. Es ist auch ein-
fach: mit einem Fixpreis und mit einer Abnahmegaran-
tie. Auch die Administration ist kein Problem. Aber wir
kommen – das haben wir schon gemerkt – zunehmend in
zwei Problembereiche hinein, die beim jetzigen Stand
der Vorlage des Kabinettsbeschlusses noch nicht in aus-
reichendem Umfange gewürdigt sind.

Das eine Problem ist der Netzausbau. Wir haben zu
wenig Netze, und wir haben die Netze an der falschen
Stelle. Wir können die Strommengen, die erzeugt wer-
den, in die Netze gar nicht einspeisen. Wir haben also
kein Problem bei der Stromerzeugung, sondern bei der
Zurverfügungstellung des Stromes. Dafür wird und muss
die Bundesregierung – das Wirtschaftsministerium ist ja
damit befasst – im Mai mit dem zweiten Paket eine Lö-
sung vorschlagen, die greift und trägt. Die bisherigen
Bemühungen, das Infrastrukturplanungsbeschleunigungs-
gesetz, haben bei weitem nicht die Fortschritte gebracht,
die notwendig sind. Ich will aber heute nicht im Detail
darauf eingehen; darauf kommen wir noch zu sprechen.

Das andere Problem ist die System- und Netzinte-
gration der erneuerbaren Energien insgesamt. Wir sto-
ßen schon heute an Systemgrenzen. Als der Anteil der
erneuerbaren Energien bei 2 Prozent, bei 4 Prozent lag,
hatten wir kein Problem. Aber schon die 14 Prozent, die
wir heute haben, bekommen wir nicht ins Netz einge-
speist.

Aus unserer Sicht gibt es neben dem Netzausbau drei
Stellgrößen, die noch nicht entsprechend geregelt sind.

Erstens zur Frage der Marktintegration. Dazu wer-
den wir konkret vorschlagen, mit einem sogenannten
Marktprämienmodell die Direktvermarktung des Stro-
mes aus erneuerbarer Energie zu verbessern. Das beste
Kombikraftwerk ist – darüber haben viele Kollegen eben
schon gesprochen – der Markt, der mit seinen kreativen
Suchprozessen Mittel und Wege findet, die erneuerbaren
Energien untereinander oder auch die erneuerbaren mit
fossilen Energien so zu kombinieren, dass im Strombe-
reich Fahrplanlieferungen möglich sind und Regelener-
gie und Ausgleichsenergie zur Verfügung gestellt wer-
den können.


(Beifall bei der FDP)


Was nützt es uns, wenn wir den Strom erzeugen, ihn
aber nicht in das System bringen können? Bei einer
Quote von 25 bis 30 Prozent wird unser System dies
nicht leisten können. Deshalb ist da Not am Mann. Wir
können nicht warten, bis das Licht ausgeht, sondern
müssen bereits jetzt im parlamentarischen Verfahren
zum Erneuerbare-Energien-Gesetz nachjustieren. Wir
sind hier für konstruktive Anregungen aufgeschlossen
und werden einen konkreten Änderungsvorschlag ein-
bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein zweiter Punkt bedarf näherer Betrachtung, der
noch nicht richtig im Licht der Öffentlichkeit steht, weil
es sich um eine komplizierte Angelegenheit handelt: die
Neuordnung des sogenannten Wälzungsmechanismus.
Zusätzlich zu den Differenzkosten, die 2007 bei den er-
neuerbaren Energien 3,3 Milliarden Euro betrugen, ma-
chen die Kosten des Wälzungsmechanismus – das sind
die neuesten Angaben der Bundesnetzagentur, die uns in
der letzten Woche mitgeteilt wurden – mittlerweile
1 Milliarde Euro aus. Das sind Kosten der Netzanbin-
dung und der Veredlung des unsteten Stroms aus erneu-
erbarer Energie. Diese Kosten machen den Strom aus er-
neuerbarer Energie letztlich für den Verbraucher unnötig
teuer. Mit einer Neuordnung des Wälzungsmechanis-
mus, also der Abwicklung und Abrechnung der EEG-
Kosten, muss hieran Hand angelegt werden; dies sollten
wir in dem parlamentarischen Verfahren ganz konkret
angehen. Auch dieser Punkt liegt uns sehr am Herzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als dritten Punkt spreche ich etwas an, was ebenfalls
bereits angeklungen ist. Wir wollen die erneuerbaren
Energien massiv ausbauen. Die Gelder sind begrenzt;
jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Daher
müssen wir die Gelder möglichst effizient ausgeben und
uns daran orientieren, welches die geringsten Vermei-
dungskosten sind, welche erneuerbare Energie bis 2020
– das ist unser Zielhorizont – den größten Beitrag liefern
kann und welcher erneuerbaren Energie es vor allen Din-
gen um Technologieförderung geht.

In diesem Zusammenhang müssen wir uns mit der
Fotovoltaik näher auseinandersetzen. Das BMU hat
hierzu dankenswerterweise Zahlen für den Kabinettsbe-
schluss vom 5. Dezember 2007 ausgerechnet, die besa-
gen, dass es sich um eine nicht unerkleckliche Summe
handelt. Selbst in Zeiten der Bankenkrise sollte uns diese
Summe aufhorchen lassen. Bis 2020 werden Differenz-
kosten von knapp 70 Milliarden Euro für das Gesamt-
engagement bei den erneuerbaren Energien zu Buche
schlagen. Davon entfallen – wie gesagt, es sind die Zah-
len von Herrn Gabriel und nicht meine – 34 Milliarden
Euro auf die Fotovoltaik. Das sind über 45 Prozent der
Gesamtkosten. Zugleich trägt die Fotovoltaik nur mit
maximal 6 Prozent zur Stromerzeugung bei. Angesichts
dessen muss schon die Frage erlaubt sein, ob wir uns im
parlamentarischen Verfahren die einzelnen Technologien
nicht hinsichtlich der Vergütungshöhe und der Degres-
sionssätze sehr genau anschauen sollten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614501900

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1614502000

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir haben

Gelegenheit, das Ganze in den weiteren Runden zu bera-
ten.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Joachim Pfeiffer
Ich möchte Folgendes festhalten: Zu Beginn meiner
Rede habe ich gesagt: Wir sind Vorreiter und Bench-
mark. Wichtig ist aber, dass wir nicht in dem Sinne Vor-
reiter bleiben, dass wir vorangehen und uns niemand
folgt, sondern in dem Sinne, dass wir vormachen, wie es
funktioniert. Es funktioniert aber nur, wenn wir im Hin-
blick auf den Klimaschutz das energiepolitische
Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlich-
keit und Wettbewerbsfähigkeit erfüllen. Gelingt uns
dies, werden uns andere Länder wie die USA, China
oder Indien folgen.

Lassen Sie uns in diesem Sinne den vorliegenden Ge-
setzentwurf weiter optimieren. Dann können wir es er-
reichen, die drei von mir genannten Punkte unter einen
Hut zu bringen. Wir sind dazu bereit und freuen uns auf
eine konstruktive Diskussion.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614502100

Bärbel Höhn ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614502200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Pfeiffer hat eben noch einmal auf den Aus-
gangspunkt der heutigen Debatte über die vorliegenden
Gesetzentwürfe hingewiesen: Das war die Diskussion
über den Klimaschutz im letzten Jahr. Ich muss ehrlich
sagen, dass ich es gar nicht so schlecht fand, als sich die
Kanzlerin auf der großen Konferenz in Heiligendamm
für den Klimaschutz eingesetzt hat. Das war schon eine
Verbesserung gegenüber dem früheren Kanzler
Schröder, der die Wertigkeit des Klimaschutzes nicht er-
kannt hatte. Insofern war es gut, dass eine ehemalige
Umweltministerin Kanzlerin geworden ist; sie versteht
ihr Geschäft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Vielen Dank. Das wollte ich erreichen.

Jetzt frage ich aber, was daraus geworden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Heute geht es um den ersten großen Schritt zur Umset-
zung dessen, was vor einem Jahr versprochen worden
ist. Interessant ist, dass das Vorhaben nicht als Klimapa-
ket, sondern als EEG bezeichnet wird. Wir reden nicht
über das Klimapaket, um das es eigentlich geht, sondern
über das Erneuerbare-Energien-Gesetz.

Hans-Josef Fell hat recht, was den Erfolg des Erneu-
erbare-Energien-Gesetzes angeht. Es ist in der Tat das
Herzstück des Klimaschutzes. Das EEG war aber nicht
die Idee der Schwarzen, sondern ist von Jürgen Trittin
und den Grünen angeschoben worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie reden, wir machen es!)

Wenn man der Frage nachgeht, was im vergangenen Jahr
aus dem EEG geworden ist, dann stellt man fest, dass
das Herz des Klimaschutzes zu stottern beginnt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Und Sie sind der Herzschrittmacher!)


Im vergangenen Jahr gab es 25 Prozent weniger In-
vestitionen in Windkraft und 60 Prozent weniger Investi-
tionen in Biogasanlagen, und das bei einem Erneuer-
bare-Energien-Gesetz, das Sie zu verantworten haben.
Sie schwächen das Herzstück des Klimaschutzes. Das ist
nicht in Ordnung. Wir brauchen ein starkes EEG, um
beim Klimaschutz voranzukommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rainer Fornahl [SPD]: Das entbehrt jeder Grundlage!)


Das Klimapaket der Bundesregierung hat drei große
Schwächen. Erstens hat es große Lücken. Deshalb reden
wir heute über das EEG. Zweitens schrumpft das ehrgei-
zige Klimaschutzpaket von Tag zu Tag. Drittens ist es
zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht.

Lassen Sie mich auf die Lücken eingehen. Ich finde
es interessant, dass auch Herr Hempelmann sofort darauf
eingegangen ist. In der Debatte ist nicht die Rede von
Steinkohlekraftwerken. Das ist aber notwendig. Wenn
es um Klimaschutz und CO2-Reduktion geht, dann müs-
sen wir auch über Investitionen in neue Kohlekraftwerke
in Deutschland diskutieren. Denn sie sind der größte
Feind des Klimaschutzes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben darauf hingewiesen, Herr Hempelmann,
dass es nur noch moderne Anlagen gibt. – Sie haben sich
in die letzte Reihe gesetzt. Da gehören Sie auch hin.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614502300

Frau Höhn, die Übertragungsanlage reicht aus, um

den Kollegen Hempelmann mit diesen Botschaften auch
in der dritten und vierten Reihe zu erreichen.


(Heiterkeit)



Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614502400

Okay.

Dann lassen Sie uns den Blick auf das Kohlekraft-
werk in Hamburg richten. Der CO2-Ausstoß dieses mo-
dernen Kraftwerks beträgt 9,2 Millionen Tonnen. Das
entspricht dem CO2-Ausstoß von 3 Millionen Autos, die
20 000 Kilometer pro Jahr fahren.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Deshalb brauchen wir Kernkraftwerke!)


Der Bau großer Kraftwerke macht jeden Klimaschutz
zunichte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Achillesferse Ihrer Klimaschutzpolitik.

Minister Gabriel hat in der Braunschweiger Zeitung
festgestellt – Zitat –:






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
Es macht mir Sorge, dass jetzt bereits geplante
Standorte für neue Kraftwerke infrage gestellt wer-
den. Das ist gefährlich: …

So hat jeder seine Sorgen. Die Anwohner sind in Sorge
um ihre Gesundheit und Lebensumgebung.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist aber kein lokales Problem!)


Die Umweltverbände haben Sorge um das Klima. Und
der Umweltminister hat die Sorge, dass nicht genug
Kohlekraftwerke gebaut werden. Das ist das Problem
dieser Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich damit befasst, was die CDU/CSU for-
dert, stellt man fest, dass sich eine tolle Allianz gefunden
hat. Frau Reiche fordert mehr Braunkohlekraftwerke,
die, wie wir wissen, die größten Klimakiller dieser Re-
publik sind. Herr Pfeiffer sagt, am besten sei eine Ver-
längerung der Laufzeit der Atomkraftwerke. Das alles
stellt Ihnen beim Klimaschutz ein Armutszeugnis aus.
So darf es nicht sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns einmal an, was aus dem großen Kli-
mapaket geworden ist, das der Umweltminister vor
einem halben Jahr vor dem Gipfel von Meseberg vorge-
legt hat. Er hat gesagt, elektrische Nachtspeicherhei-
zungen müssten ab 2009 verboten werden. Ist das im
Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, das Dienst-
wagenprivileg müsse gekappt werden. Ist das im Klima-
paket drin? Nein. Dann hat er gesagt, die Maut müsse
auf Lkws ab 7,5 Tonnen ausgeweitet werden. Ist das im
Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, die Kfz-
Steuer müsse auch bei Altfahrzeugen auf den CO2-Aus-
stoß umgestellt werden. Ist das im Klimapaket drin?
Nein. Dieses Klimapaket schmilzt von Tag zu Tag. Es
wird immer weniger. Schließlich wird nichts mehr übrig
bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz wird auf
Neubauten beschränkt. Altbauten sind nicht mehr im Pa-
ket. Das Gros, bei dem man wirklich etwas tun könnte,
ist also ausgenommen. In der Realität, wenn es um das
Ganze geht, machen Sie schlechte Politik. Das nutzt dem
Klima nicht, sondern schadet ihm.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister Gabriel, ich habe den Eindruck, dass es
sich beim Klima- und Energiepaket wie mit dem Glet-
schereis im Klimawandel verhält. Jedes Mal, wenn man
hinschaut, sind die Eisberge geschrumpft. Das ist kein
gutes Zeichen, auch nicht für die Eisberge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte noch – das wurde bereits mehrfach ange-
sprochen – auf die Biokraftstoffe eingehen. Das ist in
der Tat ein spannender Punkt. Hier gilt das Motto: Gut
gemeint, aber schlecht gemacht. Schauen wir uns die
von der Bundesregierung vorgeschlagene Beimischungs-
quote an. Sie treiben mit dieser Quote einen großen Teil
unserer Wirtschaft, die kleinen und mittelständischen
Betriebe, die sich im Bereich der erneuerbaren Energien
und Biokraftstoffe engagieren, in die Insolvenz und stär-
ken die großen Mineralölkonzerne. Das führt zu Mono-
kulturen und zu einem nicht nachhaltigen Anbau von
Pflanzen, aus denen Biokraftstoffe gewonnen werden.
Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb hat der Bundesrat auch kürzlich gesagt:
Wenn 10 Prozent Biokraftstoffe beigemischt werden
müssen, müssen 1,5 Millionen Autofahrer Superbenzin
tanken, weil ihre Fahrzeuge nicht über die entsprechende
Technik verfügen. Herr Gabriel, auch hier heißt es wie-
der einmal: Gut gemeint, aber schlecht gemacht. Die
Ausführung Ihrer Vorhaben ist Pfusch. Das werden wir
weiter so benennen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In einem Punkt hat Herr Gabriel allerdings recht.
Wenn wir einen nachhaltigen Anbau gerade im Bereich
der Biomasse haben wollen, dann können wir uns nicht
allein auf Biokraftstoffe beschränken; denn wenn der
Regenwald abgeholzt wird, ist es egal, ob das Palmöl in
den Autotank geht oder für Lebensmittel verwendet
wird. Wir müssen den Regenwald vor nicht nachhalti-
gem Anbau und Rodungen schützen. Deswegen müssen
wir Biokraftstoffe und Lebensmittel gleich behandeln.
Das wäre der richtige Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614502500

Frau Kollegin Höhn!


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614502600

Letzter Satz. Ich weiß Bescheid. Ich sehe Sie auf-

leuchten.


(Heiterkeit – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Lampe leuchtet, nicht der Präsident!)


– Manchmal leuchtet auch der Präsident, finde ich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614502700

Ein leuchtender Präsident schadet dem Parlamentaris-

mus nicht.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614502800

In die EU werden 5 Millionen Tonnen Palmöl einge-

führt. Davon sind 80 Prozent für Lebensmittel und Kos-
metika bestimmt. Auch das müssen wir stoppen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lieber Herr Präsident, meine Damen und Herren, vie-
len Dank für Ihre Geduld. Ich finde, dieses Paket ist
schlecht gemacht. Pfusch im Gesetzgebungsverfahren,
ein schrumpfendes Klimapaket, Lücken beim Verkehr
und Ja zur Kohle, das alles geht nicht. Das ist ein Nein
zum Klimaschutz. Das ist nicht gut für den Klimaschutz.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614502900

Frau Kollegin Höhn, es schadet dem Parlamentaris-

mus gewiss nicht, wenn der Präsident leuchtet. Aber es
hilft der Einhaltung der vereinbarten Debattenzeiten,
wenn das Aufleuchten der Lampe am Rednerpult zu ei-
ner baldigen Beendigung der Rede beiträgt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das leuchtet ein, Herr Präsident!)


– Sehr schön. Schauen wir einmal, ob es in der weiteren
Debatte hilft.

Nun hat das Wort der Kollege Rainer Fornahl für die
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Fornahl (SPD):
Rede ID: ID1614503000

Vielen Dank, Herr Präsident, für die einleuchtenden

Anmerkungen zum Umgang miteinander.

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Werte Kollegin
Höhn, Sie sollten nicht nur Hohn und Häme versprühen,
sondern Sie sollten auch immer daran denken, dass das
Mögliche und das Machbare zusammengeführt werden
müssen. Genau das ist, glaube ich, mit dem IKEP insge-
samt und den konkreten Vorgaben, über die wir heute
diskutieren, ein gutes Stück weit auf den Weg gebracht
worden. Wir werden am Ende des Tages sehen, ob wir
die ambitionierten Ziele erreichen, sodass wir alle damit
zufrieden sein können. Ich kann Sie alle einladen, daran
konstruktiv mitzuarbeiten. Halten Sie keine Wahlkampf-
reden, auch wenn am Sonntag in Hamburg Wahlen statt-
finden!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Wir sind dankbar, dass Sie überhaupt über das Thema reden!)


Ich will vom eher unverbindlichen Allgemeinen zum
Konkreten kommen und auf einen Aspekt hinweisen, der
eine zentrale Rolle beim IKEP und beim Klimaschutz
spielt, und zwar auf den Gebäudebereich. Der Gebäu-
debestand in Deutschland umfasst 17 Millionen Wohn-
gebäude mit ungefähr 40 Millionen Wohneinheiten.
40 Prozent des Endenergieeinsatzes in der Bundesrepu-
blik Deutschland werden für das Heizen und das Kühlen
in diesen Bestand gesteckt. Darin steckt ein gewaltiges
Potenzial, das wir gemeinsam heben müssen. Dazu ha-
ben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
einen ersten Vorschlag gemacht, der wichtige Rahmen-
bedingungen umfasst. Wir wollen den Anteil der erneu-
erbaren Energien in der gesamten Bandbreite bis 2020
auf 14 Prozent anheben. Das ist nicht das Endziel. Das
geht nach 2020 selbstverständlich noch weiter.

Wir wollen aber dabei nicht vergessen, dass man auch
mit Kraft-Wärme-Kopplung eine ganze Menge Ener-
gie einsparen kann. Beide Aspekte müssen gemeinsam
berücksichtigt werden. In diesem Gesetz geht es auch
um quartiersbezogene Lösungen, also um die dezentrale
Erzeugung von Strom und Wärme. Insbesondere diese
zu fördern, ist gut und richtig. Die finanzielle Förderung
in der Größenordnung von 500 Millionen Euro für die-
sen Bereich kann sich durchaus sehen lassen. Mit diesem
Geld kann man eine ganze Menge bewirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bedauere ein Stück weit, dass wir den Altbaube-
stand aus dem Gesetzentwurf genommen haben. Aber
das liegt an den realen Möglichkeiten und der Machbar-
keit. Wir setzen auf die entsprechenden Anreizpro-
gramme. Ich denke, dass im Zusammenhang mit den
Vorgaben der EnEV die Eigentümer von Einfamilien-
häusern oder die Eigentümer von großen Wohnanlagen
ein eigenes Interesse daran haben, Maßnahmen zur
Energieeinsparung zu ergreifen, die notwendige energe-
tische Sanierung und Modernisierung in die Wege zu lei-
ten und erneuerbare Energien einzusetzen.

Ich will noch auf eines verweisen: Das Gesetz enthält
eine Klausel, die es den Ländern erlaubt, mehr zu tun,
als in dem Rahmengesetz des Bundes vorgesehen ist.
Baden-Württemberg hat schon etwas auf den Weg ge-
bracht. Ich finde es sehr interessant, dass das Land Ber-
lin mit den Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunter-
nehmen eine Vereinbarung unterzeichnet hat, die die
Umsetzung von Energiesparmaßnahmen und den Abbau
von Hemmnissen, Energiesparmaßnahmen zu ergreifen,
vorsieht. Das ist ein nachahmenswertes Beispiel. Dem
sollten alle Länder nacheifern; denn nach der Föderalis-
musreform I sind die Länder für den Wohnungsbereich
und den Baubereich zuständig. Die müssen dann natür-
lich den einen oder anderen Euro in die Hand nehmen.
Darauf sollte man an der Stelle verweisen.

Neben dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und
der EnEV, die ich schon angesprochen habe, sind wich-
tige Instrumente insbesondere die Einführung der Ener-
gieausweise und – eine Erfolgsgeschichte par excellence –
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm.


(Beifall bei der SPD)


Das muss man immer wieder erwähnen, und man muss
die Größenordnung darstellen. Für den Zeitraum 2006
bis 2009 geben wir über 4 Milliarden Euro aus. 400 000
Wohnungen wurden bereits saniert. Diesen Weg wollen
wir weitergehen. Wir wollen über ergänzende und
zusätzliche Maßnahmen im sozialen Bereich in den
Kommunen – energetische Sanierung von Schulen, Kin-
dergärten, Turnhallen usw. – und auch bei den Bundes-
bauten im Rahmen von Programmen erhebliche Mittel in
die Hände nehmen – 600 Millionen Euro werden den
Kommunen und 120 Millionen Euro für die energetische
Sanierung von Bundesbauten zur Verfügung gestellt –,
damit in diesen Bereichen eine energetische Sanierung
durchgeführt werden kann. So wird die Umsetzung der
entscheidenden Aspekte, nämlich Energieeinsparung
und Energieeffizienz auf der einen Seite und die Nut-
zung von erneuerbaren Energien auf der anderen Seite,
ermöglicht.

Damit wird alleine schon für diesen Sektor deutlich,
dass wir, die Koalition, gemeinsam durchaus in der Lage
sind, bei einer ambitionierten Zielsetzung mit Ordnungs-
recht und Marktanreizen auf Bundesebene das Nötige
und Machbare zu fördern. Wir sind schon jetzt in der
Lage – und werden dies auch in Zukunft sein –, bei den






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Fornahl
klassischen Formen von Energie immer wieder eine
Schippe draufzulegen – eine Mütze Wind oder ein paar
Sonnenstrahlen, um bei dem Bild zu bleiben –, um die
erneuerbaren Energien zu stärken.

Mit diesem Paket, über das wir heute in erster Lesung
diskutieren, sind wir, so meine ich, auf einem guten
Wege. Ich kann Sie alle nur ermuntern, an der weiteren
Diskussion aktiv und konstruktiv teilzunehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614503100

Dr. Georg Nüßlein ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1614503200

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau

Höhn hat gesagt, die Koalition bringe das Herz des Kli-
maschutzes, nämlich das EEG, zum Stottern. Frau Höhn,
ich sage Ihnen eines: Ihnen dabei zuzuhören, wie Sie
sich ereifern und laut und schrill Ihre Meinung vortra-
gen, geht mir aufs Herz,


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Jawohl!)


insbesondere dann, wenn Sie bei der Gelegenheit auch
noch die Unwahrheit behaupten.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)


Denn eines muss man einmal deutlich sagen: Das von
Ihnen viel gerühmte – und auch zu Recht gerühmte –
EEG geht auf das Stromeinspeisegesetz der Union zu-
rück. Das dürfen Sie nicht vernachlässigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Warum sollten wir denn gegen etwas sein, das wir ur-
sprünglich maßgeblich mit angestoßen haben?


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollten Sie es denn dann abschaffen?)


Dabei geht es natürlich auch um ein Instrument für den
Klimaschutz. Dieses Thema wird politisch dominant,
und das zu Recht.

Obwohl nur 3,2 Prozent der klimaschädlichen Gase in
Deutschland emittiert werden, haben wir als Industrie-
staat eine Vorbildfunktion für andere. Dieser Vorbild-
funktion können wir aber nur dann gerecht werden,
wenn es uns gelingt, Ökonomie und Ökologie sinnvoll
zueinanderzubringen. Das muss doch sozusagen die
Überschrift für alle Gesetze sein, die wir heute unter die-
sem Tagesordnungspunkt beraten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um beim EEG zu bleiben: Es geht dabei natürlich
auch um Versorgungssicherheit und Ressourcenscho-
nung. Gestern gab es die Meldung, Lukoil dreht den Öl-
hahn zu. Das ist natürlich ein Thema, um das wir uns
kümmern müssen. Es geht aber auch um die Themen In-
novationsförderung und Erschließung von Schlüssel-
technologien. Gerade mit Blick auf diesen Bereich soll-
ten wir im Rahmen der Novellierung des EEG noch
einmal darüber nachdenken, wie wir es zielorientiert er-
reichen, neue Technologien, zum Beispiel im Bereich
der Fotovoltaik oder der Geothermie, zu fördern, und
zwar ohne auf der einen Seite riesige Differenzkosten zu
produzieren und auf der anderen Seite die Strukturen,
die unbestritten auf Basis des EEG geschaffen worden
sind, zu zerstören.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bestreite nicht, dass es insbesondere vielen Kolle-
ginnen und Kollegen von der CSU darum geht, mit die-
sem Gesetz Regional- und Strukturpolitik zu machen. Im
Bereich der Landwirtschaft ist uns einiges gelungen.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Genau!)


Ich sage aber auch: Damals hatten wir andere Ansätze.
Es ging darum, wie man Boden und Fläche aus der land-
wirtschaftlichen Produktion herausnimmt. Auch in die-
sem Bereich müssen wir darüber reden, ob nicht das eine
oder andere angepasst werden muss. Freiflächenanlagen
für Fotovoltaik auf dem besten Ackerland – das muss
aus meiner Sicht überhaupt nicht sein.


(Alexander Dobrindt: [CDU/CSU]: Sehr gut! Richtiger Ansatz!)


Außerdem müssen wir uns überlegen, wie wir im gesam-
ten Bereich der Biomasse einvernehmlich etwas zu-
stande bringen.

Mit dem EEG machen wir aber auch ein Stück weit
Wettbewerbspolitik. Ich sage deutlich: Der vielzitierte
Markt in diesem Bereich ist nicht so, wie wir uns ihn
vorstellen. Wir haben vier große Versorger. Ohne Ein-
speiserechte kann man nicht sicherstellen, dass kleine
und mittelständische Stromproduzenten in den Markt
eintreten können. Ich wiederhole: Ohne diese Rechte
geht es nicht. Deshalb stehen wir in ganz besonderer
Weise zum EEG als Wettbewerbsinstrument.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man sich diese Politikfelder anschaut, dann er-
kennt man, dass man die Differenzkosten, von denen
heute schon die Rede war, nicht einseitig der Klimapoli-
tik zuordnen darf. Man muss aber berücksichtigen, dass
es diese Kosten gibt, und man muss darauf entsprechend
reagieren. Wir tun das über die Härtefallregelung für die
energieintensiven Industrien. Diese Regelung ist dort
wichtig, wo wir aus physikalischen Gründen keine Mög-
lichkeiten haben, die Energieeffizienz zu erhöhen.

Aus meiner Sicht müssen wir dort noch mehr tun, wo
sich soziale Härten ergeben. Herr Hill, Sie haben das
Thema Altbauten und Wärmegesetz angesprochen. Ich
hätte hören wollen, was Sie gesagt hätten, wenn wir das
gemacht hätten, was Sie hier vorschlagen; dann wären
nämlich die Mieten gestiegen. Ich kann mir gut vorstel-
len, was für ein Lamento von Ihnen gekommen wäre. Es






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
ist richtig, sich hier zunächst einmal auf Neubauten zu
konzentrieren.

Das Gleiche gilt übrigens für das Thema Mobilität.
Mobilität ist ein hohes Gut für die Menschen auf dem
Land, insbesondere für die einfachen Leute dort. Wir ha-
ben leider die Pendlerpauschale kassiert. Wir haben das
gegen den Widerstand vieler, auch in der Union, getan,
die diese Sache anders gesehen haben. Man muss sich
die Frage stellen: Wie geht das weiter?

Damit sind wir bei dem Thema Steuerpolitik. Ich
sage in aller Klarheit: Allen, die heute behaupten, EEG
und KWK seien Preistreiber, halte ich immer wieder ent-
gegen, dass ein erheblicher Teil der Verteuerung durch
die Steuerpolitik verursacht wird. Ein Durchschnitts-
haushalt, also ein Haushalt mit drei Personen, zahlt für
den Strom heute 60 Euro pro Monat. 20 Euro davon ent-
fallen auf Steuern und Konzessionsabgabe, 2,85 Euro
gehen auf das EEG zurück.


(Horst Meierhofer [FDP]: Dann senken Sie doch!)


Man muss sich vielleicht einmal Gedanken darüber ma-
chen, wie man an dieser Stelle das eine oder andere aus-
gleicht.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Darum sollte sich die FDP einmal kümmern!)


Wir reden heute über die Novellierung des EEG. Da-
bei müssen wir natürlich über den Tellerrand hinaus-
schauen. Der Kollege Pfeiffer hat dankenswerterweise
das Thema Netze angesprochen. Einen Ausbau der Nut-
zung der erneuerbaren Energien, wie wir uns ihn vorstel-
len, gibt es nur, wenn wir Hochspannungstrassen
bauen. Es geht nicht alles auf einmal. Wir haben mit ei-
nigen Widersprüchen zu kämpfen: Wir wollen auf der ei-
nen Seite erneuerbare Energien und auf der anderen
Seite keine Hochspannungstrassen; wir wollen auf der
einen Seite Wasserkraftwerke und auf der anderen Seite
die Verschärfung des Wasserhaushaltsrechts, um da-
durch einen Beitrag dazu zu leisten, dass in diesem Be-
reich am Ende weniger produziert wird; wir wollen auf
der einen Seite auf dem Gebiet der Wärmeerzeugung zu-
sätzliche erneuerbare Energien einsetzen und auf der an-
deren Seite die BImSchV so weit verschärfen, dass
7,25 Millionen Einzelraumfeuerungsanlagen bis zum
Jahr 2024 auszutauschen sind. Das passt doch nicht zu-
sammen. Ich bitte, hier auch darauf zu achten – wir wer-
den das als Koalitionspartner sicherlich tun –, dass hier
letztendlich auch die Konsistenz stimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich füge hinzu: Was die Biomasse angeht, wollen wir
natürlich keine Maismonokulturen. Wir brauchen eine
gute landwirtschaftliche Praxis.

Was wir überhaupt nicht wollen, ist das Abholzen der
Regenwälder. An dieser Stelle hat Frau Höhn recht: Es
kommt nicht darauf an, wozu der Regenwald abgeholzt
wird: für die Lebensmittelproduktion, für die Futtermit-
telproduktion – die Futtermittel fließen am Schluss eben-
falls in die Lebensmittelproduktion –, für die Kosmeti-
kaproduktion oder zur Verwertung als Energierohstoffe.
Wir müssen da etwas tun. Das geht aber nur, wenn man
ein Zertifizierungssystem einführt. Außerdem muss man
eine WTO-konforme Übergangslösung schaffen – der
Herr Minister hat gesagt, dass das geht –, durch die aus-
geschlossen wird, dass bei uns Palmöl auf den Markt
kommt, für dessen Produktion Regenwälder abgeholzt
werden.

Erfolg haben wir nur, wenn wir den Regenwäldern
vor Ort, zum Beispiel in Indonesien, die nötige Bedeu-
tung zukommen lassen. Das heißt, ein Teil der Versteige-
rungserlöse muss so eingesetzt werden – und zwar nicht
nur national, sondern auch international –, dass diejeni-
gen, die den Regenwald wegen ihrer Armut abholzen,
eine Entschädigung erhalten, wenn sie das nicht mehr
tun. Auch das ist eine ökonomische Frage.

Letzte Anmerkung. Natürlich waren wir bei der Ent-
scheidung zum Biokraftstoff nicht konsistent im Hin-
blick auf das, was man aufgrund der Klimadiskussion
hätte erwarten dürfen. Wir müssen das jetzt korrigieren.
Angesichts dessen, was da auch von der EU an Anforde-
rungen auf uns zukommt, Herr Minister, dürfen wir jetzt
nicht erst einmal die nationalen Kapazitäten zerschlagen,
um dann am Ende zu schauen, woher der Stoff zur Bei-
mischung kommt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614503300

Das Wort hat nun der Kollege Marco Bülow, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1614503400

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

finde es schon interessant, bei solchen Debatten zu hö-
ren, wer alles die Väter und Mütter eines Projekts – hier
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG – sind.
Wir haben gerade schon ein bisschen gewitzelt. Wahr-
scheinlich muss man das bis zu Bismarck oder vielleicht
noch weiter zurückverfolgen, bis man den Vater oder die
Mutter gefunden hat. Wie dem auch sei: Ich finde es gut,
dass sich immer mehr zum Erneuerbare-Energien-Ge-
setz bekennen. Wahrscheinlich werden wir in 20 oder
30 Jahren eine Debatte haben, in der auch die FDP sagt,
dass sie das EEG erfunden hat. Das würde mich freuen;
denn dann wären wir alle zusammen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig ist, dass wir dieses Gesetz jetzt fortentwi-
ckeln und noch einmal betonen, welch immense Bedeu-
tung die erneuerbaren Energien innerhalb des Klima-
schutzes haben. Ich will die Zahl noch einmal nennen:
110 Millionen Tonnen CO2 sind dadurch letztes Jahr ein-
gespart worden. Wenn wir mit den erneuerbaren Ener-
gien nicht so weit wären, wie wir sind, hätten wir über
ein ganz anderes Klimapaket zu diskutieren und müssten






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
noch viel mehr machen. Deswegen müssen wir daran
weiterarbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU])


Frau Höhn, es gibt bestimmte Sachen, über die wir
uns auseinandersetzen können, über die es eben keine
Übereinstimmung gibt. Aber konstruieren Sie doch bitte
keine Gegensätze, wo es keine gibt. Die meisten von uns
sind für das EEG. Dann lassen Sie uns doch gemeinsam
schauen, wie wir das EEG fortentwickeln und die erneu-
erbaren Energien weiter vorantreiben!

Dass das Klimapaket schrumpft, trifft einfach nicht
zu. Wir haben den ersten Teil des Klimapakets vorge-
stellt. Das ist genau so geblieben, wie es am Anfang in
Meseberg besprochen und von Sigmar Gabriel, unserem
Umweltminister, und anderen Ministern vorangetrieben
worden ist.


(Widerspruch der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Das ist genau so geblieben, wie es besprochen worden
ist. Der zweite Teil des Pakets folgt. Das wird um die an-
deren Punkte, die Sie zum Teil erwähnt haben, also noch
ergänzt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614503500

Kollege Bülow, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Höhn?


Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1614503600

Immer doch.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614503700

Herr Kollege Bülow, Sie haben behauptet, das Klima-

paket sei genauso eingebracht worden, wie es in Mese-
berg beschlossen worden sei. Aber wir haben gerade
festgestellt, dass im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
der gesamte Bereich Altbau fehlt. Können Sie bestäti-
gen, dass ebendieser Bereich Altbau in Meseberg noch
drin war, aber mittlerweile fehlt, das Paket also auch in
diesem Punkt geschrumpft ist?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1614503800

Es gibt sicherlich Punkte, in denen es nicht so ist, wie

es in Meseberg besprochen worden ist.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)


Das heißt aber nicht, dass Gesetze insgesamt fehlen. Au-
ßerdem diskutieren wir ja jetzt im Parlament noch über
diese Gesetze.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein guter Hinweis!)


Da müssen wir natürlich schauen, das einzubeziehen.
Aber Fakt bleibt: Die Gesetze, die in Meseberg be-
schlossen worden sind, sind auch so eingebracht worden.
Wie sie aussehen, ist eine andere Frage. Aber darüber
diskutieren wir jetzt im Parlament.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der erste und der zweite Teil des Pakets insgesamt
sind ein Start in die Klimaschutzpolitik. Etwas anderes
sagt niemand, auch niemand in der Regierung. Trotz-
dem: Es ist der beste und stärkste Start, den es in Europa
überhaupt gibt. Das muss man einmal zur Kenntnis neh-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss doch noch einen Satz zu Herrn Pfeiffer sa-
gen. Herr Pfeiffer, Sie können es mit Ihrer Atomkraft ja
nicht lassen.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist eine Realität!)


Sie müssen natürlich damit rechnen, dass es eine Ant-
wort darauf gibt. Sie stellen eine Milchmädchenrech-
nung auf. Sie haben sehr viel über Energieeffizienz ge-
sprochen. Da stimme ich Ihnen in allen Punkten zu. Aber
diese Effizienz müssen Sie dann auch einbeziehen. Sie
sagen, im Strombereich erbrächten Atom und erneuer-
bare Energien gemeinsam über 40 Prozent. Wenn wir die
Energieeffizienz aber steigern, brauchen wir nicht mehr
100 Prozent der Energie, sondern viel weniger,


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Alles müssen wir machen!)


und dann kommen wir mit den erneuerbaren Energien
auch hin.


(Beifall bei der SPD – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das ist Unfug! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die Wahrheit sagen!)


Die Kombination von Effizienz und erneuerbaren Ener-
gien macht es.

Ich möchte noch ganz kurz auf die Diskussion zum
Thema „Urwald, Regenwald, Palmöl“ eingehen; diese
Diskussion ist zum Teil ja berechtigt. Ich habe nur das
Gefühl, dass die Diskussion über diese durchaus kriti-
schen Punkte ein wenig in eine Hetzkampagne ausartet.
Deshalb meine ich, dass man sie wieder auf die Füße
stellen sollte. Es ist nämlich vollkommen daneben und
vollkommen falsch, die Zerstörung von Regenwäldern
alleine auf die vermehrte Nachfrage nach Palmöl für
Biokraftstoffe zurückzuführen. Wir müssen genauso
– das hat der Umweltminister zu Recht gesagt – über
drei andere Faktoren diskutieren. Der erste ist der So-
jaanbau. Dieser ist nämlich immer noch der „Haupt-
schuldige“, weil zum Decken des Bedarfs an Tierfutter
viele Sojaflächen ausgewiesen werden. Der zweite ist
der Holzeinschlag aufgrund der Nachfrage nach tropi-
schen Hölzern. Zum Dritten landen 90 Prozent des
Palmöls, das von Deutschland importiert wird, in Kos-
metika und Lebensmitteln. Auch das wurde hier schon
angesprochen. All das muss also genauso kritisiert und
auf den Prüfstand gestellt werden. Zudem muss man






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
wissen – wir waren ja in Indonesien –, dass es immer
noch viele Flächen gibt, wo Palmölplantagen angelegt
werden könnten, ohne dass Regenwald abgeholzt wer-
den müsste. Auch das sollte man berücksichtigen. Erst
dann kann man eine faire und vernünftige Diskussion
führen. Diese sollten wir führen – gar keine Frage! –,
aber dann auch gemeinsam von dieser Basis ausgehend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Jetzt doch noch einmal zum Erneuerbare-Energien-
Gesetz. Ich glaube, dass es wichtig ist, es fortzuent-
wickeln. Natürlich müssen die erneuerbaren Energien
quantitativ ausgebaut werden, wir müssen aber auch
schauen, dass wir eine bessere Netzintegration hinbe-
kommen. Wir brauchen diese, damit Strom aus erneuer-
baren Energien besser von den Netzen aufgenommen
werden kann. Außerdem müssen Möglichkeiten ge-
schaffen werden, damit mit Strom aus erneuerbaren
Energien auch Volllaststunden erbracht werden können.
Das muss unser Ziel sein. Deshalb sollten wir unseren
Förderschwerpunkt in den nächsten Jahren auf diesen
Bereich legen.

Hier gibt es längst intelligente Lösungen. Deswegen
ist es falsch, zu sagen: Na ja, wenn der Wind nicht bläst
oder wenn die Sonne nicht scheint, gibt es Schwierigkei-
ten mit den erneuerbaren Energien. Dieses Denken ist
überholt. Man muss vielmehr auf intelligente Lösungen
zurückgreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Hier wären zum einen Speichertechnologien zu nennen,
zum anderen Projekte wie das Kombikraftwerk. Hier
liegt die Zukunft. Ein Kombikraftwerk, Frau
Brunkhorst, das aus mehreren erneuerbaren Energiequel-
len gespeist wird, ist Hightech. Hiermit gelingt es näm-
lich – das ist jetzt schon bewiesen –, Volllaststunden zu
erbringen und damit eine Grundlast abzudecken. Diese
Technologie ist allen anderen nicht nur deshalb überle-
gen, weil sie CO2-frei ist, sondern auch deshalb, weil sie
Strombedarfsspitzen abdecken kann, was eigentlich alle
anderen Kraftwerke nicht können. Diesen Weg müssen
wir beschreiten. Bei der Neuregelung des Erneuerbare-
Energien-Gesetzes müssen wir dafür sorgen, dass dieser
Bereich gefördert wird.


(Beifall bei der SPD)


Mir scheint, dass die Vorlagen der Regierung zu er-
neuerbaren Energien im Strom- wie im Wärmebereich
sehr gut sind. So können wir sie uns in einzelnen Berei-
chen näher anschauen. In vielen Bereichen gibt es rie-
sige Potenziale. Ich nenne die Solarthermie, die wir
gerade mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
fördern wollen. Auch die Geothermie, die immer ein we-
nig vergessen wird, bietet riesige Potenziale. Ich glaube,
dass es wichtig ist, diesen Bereich sehr stark zu fördern.

Wir dürfen aber – das hat ja auch mein Kollege Dirk
Becker schon gesagt – das Zugpferd der erneuerbaren
Energien nicht vergessen. Den größten Anteil an diesen
hat ja nach wie vor die Windkraft. Wir dürfen jetzt
nicht nur darauf achten, auch wenn es wichtig ist, dass
wir mit dieser Technologie aufs Meer gehen, sondern
wir müssen auch darauf achten, dass das Repowering or-
dentlich gelingt. Der Austausch einer bestehenden An-
lage gegen eine neue kann nämlich eine Verdopplung
oder gar eine Verdreifachung der Energieerzeugung be-
wirken. Darüber hinaus gibt es noch viele Flächen, ge-
rade an Autobahnen, die sich dafür eignen, neue Wind-
kraftanlagen zu installieren. Auf diese Weise könnte also
auch hier noch ein deutlicher Zuwachs erzielt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eines ist aber auch klar: Das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz, so gut und zielgenau es auch ist, wird zur Errei-
chung dieses Ziels nicht ausreichen. Wir müssen auch
dafür sorgen, dass in den Ländern bürokratische Hemm-
nisse abgebaut werden, die den Ausbau der Windkraft
einschränken. Man kann nämlich nicht auf der einen
Seite fordern, für mehr Energieeffizienz zu sorgen, und
auf der anderen Seite diese Effizienzsteigerung dadurch
behindern, dass man die Nabenhöhe begrenzt. So verhin-
dert man nämlich, dass Windkraft marktfähiger wird und
noch günstiger Strom produziert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, dass wir ein gutes neues Erneuerbare-
Energien-Gesetz auf den Weg bringen werden. Ich lade
wie auch schon meine Vorredner alle Parteien ein, daran
mitzuwirken. Es ist wichtig, dass wir auch außerhalb der
Koalitionsfraktionen eine große Zustimmung zu diesem
Gesetz bekommen. Jedem dürfte klar sein, welche Be-
deutung diesem Gesetz innerhalb des Klimapaketes zu-
kommt.

Damit alleine allerdings – das ist deutlich geworden –
werden wir unsere Klimaschutzziele nicht schultern;
hierfür sind viele Maßnahmen nötig, die ja im Klimapa-
ket zusammengefasst worden sind. Wir müssen auch zu-
künftig immer wieder neue Maßnahmen ergreifen, um
unseren Klimaschutzpfad erfolgreich zu beschreiten.
Damit wird nicht nur der CO2-Ausstoß reduziert werden,
sondern wir werden dann in vielen einzelnen Bereichen
so viel Technologieförderung betrieben haben und so
viele Arbeitsplätze geschaffen haben, dass all das zu ei-
nem wichtigen Bestandteil der Industrie unseres Landes
und damit auch unserer Gesellschaft wird. Das ist der ei-
gentliche Beitrag, den wir hier zu leisten haben. In die-
sem Sinne: auf gute Zusammenarbeit und gute Verhand-
lungen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614503900

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin

Dr. Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1614504000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die schwarz-rote Koalition hat die Energie- und Klima-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Flachsbarth
schutzpolitik ganz oben auf die Agenda gesetzt. Im Rah-
men der deutschen G-8- und EU-Präsidentschaft 2007
sind unter der Federführung unserer Bundeskanzlerin
Angela Merkel ambitionierte Klimaschutzziele verein-
bart worden. In den Weltklimaberichten der Vereinten
Nationen wurde nachdrücklich auf die Notwendigkeit
des Handelns hingewiesen.

Zugleich hat die Bundesregierung im Rahmen des
Energiegipfelprozesses eine nachhaltige Diskussion über
ein nationales Energiekonzept angestoßen. Energie-
und Klimapolitik gehören zusammen. Dabei ist die Be-
achtung des Zieldreiecks Versorgungssicherheit, Wirt-
schaftlichkeit und Umweltverträglichkeit entscheidend.

In Bezug auf die Versorgungssicherheit ist vor allem
die Importquote der Energieträger und deren Verfügbar-
keit in der Zukunft wichtig. Deutschland importiert
60 Prozent der Steinkohle, 80 Prozent des Erdgases und
100 Prozent des Mineralöls. Fossile Rohstoffe sind end-
lich. Nach Angaben des BMWi reichen die Kohlevorräte
noch 100 Jahre, die an Erdgas und Erdöl noch 50 Jahre.
Deshalb ist der intelligente Ersatz von fossilen Brenn-
stoffen durch regenerative Energien auch eine Frage der
Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Union tritt aus Gründen der Versorgungssicher-
heit für einen breiten Energiemix von Kernenergie über
Kohle, Gas und Öl bis hin zu den erneuerbaren Energien
ein. Deren Anteil, beispielsweise im Strombereich, ist
2007 auf 14 Prozent gestiegen. Dabei trägt jede der weit
über 70 000 Gigawattstunden erneuerbarer heimischer
Energien zur Versorgungssicherheit bei. Die Wirtschaft-
lichkeit des Energiemixes ist entscheidender Standort-
faktor für die deutsche Industrie und damit für Arbeits-
plätze und zugleich zunehmend eine bestimmende
Größe einer neuen sozialen Frage in Deutschland: Wie
viel Energie kann ich mir leisten, an der Tankstelle, bei
der Stromrechnung und den Heizkosten?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Härtefallregelung des EEG hilft energieintensi-
ven Betrieben und hilft damit auch, Arbeitsplätze zu si-
chern, kostet aber natürlich wieder mehr für all diejeni-
gen Betriebe und Verbraucher, die nicht unter diese
Regelung fallen. Andererseits ist in den letzten Jahren zu
beobachten, dass die Strompreise, obwohl der EEG-An-
teil am Strompreis konstant 3 bis 4 Prozent ausmacht,
dennoch steigen. Das liegt zum einen an der Mehrwert-
steuererhöhung, zum anderen aber auch an unvollkom-
menen Marktstrukturen, wodurch Energieversorgungs-
unternehmen höhere Preise am Markt erzielen können.
Und das liegt eben nicht nur, aber auch an der Endlich-
keit fossiler Rohstoffe, entsprechenden Spekulationen an
den Rohstoffmärkten und politischen Instabilitäten in
den Lieferländern.

All das führt insgesamt zu einem aktuellen Ölpreis
von über 100 Dollar pro Barrel. Die konventionellen
Energieträger allein sind eben keine Garantie für mode-
rate Energiepreise. Außerdem ist jeder Euro der 70 Mil-
liarden pro Jahr für Energieimporte weg. Bei den
3,3 Milliarden Euro Differenzkosten 2006 für erneuer-
bare Energien findet vom Anlagenbau bis zur Energieer-
zeugung ein Großteil der Wertschöpfung in unserem
Land statt, und zwar mit positiven Auswirkungen auf
Wirtschaft, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich komme zur Umweltverträglichkeit der Energie-
und Klimapolitik, insbesondere im Hinblick auf den Kli-
mawandel. Langfristiges Ziel der deutschen und euro-
päischen Politik ist ein Kioto-Plus-Abkommen und die
Verankerung des 2-Grad-Ziels. Deshalb hat das Bundes-
kabinett auf Grundlage der Vereinbarungen des Europäi-
schen Rates in Meseberg im August 2007 entsprechende
Eckpunkte beschlossen und pünktlich zur Klimakonfe-
renz auf Bali am 5. Dezember 2007 ein umfangreiches
Paket mit 14 Gesetzen und Verordnungen vorgelegt.
Eine Reduktion von 36 Prozent der CO2-Emissionen in
Bezug auf 1990 soll erreicht werden. Es gibt kein ver-
gleichbares Industrieland mit einem ähnlich ambitionier-
ten und konkret ausgestalteten Programm, liebe Frau
Höhn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich komme zu den drei diskutierten Gesetzentwürfen
im Einzelnen. Das Erneuerbare-Energien-Wärmege-
setz sieht für das Jahr 2020 einen Anteil von 14 Prozent
der Wärme- und Kälteerzeugung aus erneuerbaren Ener-
gien vor, und zwar durch die anteilige Nutzungspflicht
erneuerbarer Wärme bei Neubauten, aber auch durch
mehr Wärmedämmung oder Nutzung von Fernwärme
bzw. Kraft-Wärme-Kopplung. Der Union ist es in die-
sem Zusammenhang besonders wichtig, das Ganze tech-
nologieoffen auszugestalten. Außerdem ist die Aufsto-
ckung des Marktanreizprogramms auf 500 Millionen
Euro pro Jahr für uns besonders wichtig. Wir wollen eine
Verstetigung und Verrechtlichung dieses wichtigen
Instruments, um den Investoren und vor allen Dingen
der mittelständisch geprägten Branche verlässliche Rah-
menbedingungen zu geben.

Das Achte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis-
sionsschutzgesetzes sieht vor, den Anteil der beige-
mischten Biokraftstoffe ab dem Jahr 2015 ausschließ-
lich an der Minderung von Treibhausgasemissionen
auszurichten, um den CO2-Ausstoß bis 2020 um
10 Prozent zu senken. Dabei ist die Nachhaltigkeitsver-
ordnung zu beachten. Der Minister hat darauf hingewie-
sen.

Bezugnehmend auf die aufgeregte Diskussion der
letzten Tage über die Kosten, die auf die Besitzer älterer
Fahrzeuge zukommen sollen, bittet meine Fraktion den
Bundesumweltminister nachdrücklich, sich mit der Au-
toindustrie ins Benehmen zu setzen. Diese Problematik
hätte, mit Verlaub, Herr Minister, eigentlich im Rahmen
der Vereinbarungen der Roadmap bereits ausgeräumt
sein müssen. Denn Biokraftstoffe sind das wichtigste In-
strument, das europäische 120- bzw. 130-Gramm-Ziel zu
erreichen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Flachsbarth
Der Bundesfinanzminister lässt dem Bundestag in
diesen Tagen endlich den Biokraftstoffbericht zukom-
men. Nach dem ersten Durchblättern ist ersichtlich, dass
die Biodieselpreise nach Inkrafttreten der zweiten Stufe
der Steuerreform Anfang dieses Jahres nicht mehr aus-
kömmlich sind.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch schon lange! Dazu brauchen wir doch keinen Bericht!)


Die Realität zeigt, dass das stimmt: Erzeugungskapazitä-
ten in Deutschland werden stillgelegt, und der B100-
Markt ist faktisch tot. Stattdessen sollte jetzt auf die Bei-
mischung gesetzt werden. Auch dieser Weg scheint nun
aus den oben genannten Gründen nicht gangbar. Ich
gehe davon aus, dass dem Bundestag sehr bald belast-
bare Fakten über die Motorenverträglichkeit vorgelegt
und alle Optionen zur Dekarbonisierung im Mobilitäts-
sektor vor dem Hintergrund dieser Fakten erneut vorur-
teilsfrei geprüft werden.

Den größten Beitrag zur Erfüllung unserer Klima-
schutzziele aber muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz
leisten. Das Ziel der Bundesregierung, den Anteil erneu-
erbaren Stroms bis 2020 auf 25 bis 30 Prozent auszu-
bauen, bedeutet eine Verdopplung in den nächsten zwölf
Jahren. Um diesen enormen Zuwachs bewältigen zu
können, müssen deshalb alle erneuerbaren Energien wei-
ter zielgenau gefördert werden.

Windenergie lieferte 2007 mit fast 40 Milliarden Ki-
lowattstunden den größten Anteil am erneuerbaren
Strom. Allerdings geht der Zubau in den letzten Jahren
deutlich zurück. Daher ist es sinnvoll, das Repowering
weiter zu fördern.

Offshorewind ist weiterhin der Hoffnungsträger der
Politik für einen zügigen Ausbau der Windenergie, ver-
bunden mit der Aussicht, an den windstarken Standorten
vor der Küste eine wesentlich höhere Zahl an Volllast-
stunden zu erzielen. Allerdings gibt es nach wie vor un-
gelöste technische Probleme im Rahmen der Gründung,
der Wartung auf hoher See und der Anforderungen an
das Material durch Wind, Wasser und Salz. Auch hier
sind weitere Anreize notwendig.

Biomasse hat einen Anteil von etwa 20 Prozent an
der Ökostromproduktion. Flächenkonkurrenz und hö-
here Substratpreise erschweren den wirtschaftlichen Be-
trieb und weiteren Zubau. Deshalb muss der Bestand der
Altanlagen gesichert und zugleich die Nutzung von
Gülle forciert werden, um das klimaschädliche Ausga-
sen von Methan aus direkt auf die Felder ausgebrachter
Gülle zu reduzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dirk Becker [SPD])


Außerdem muss versucht werden, so viel organische
Substrate wie möglich, auch Abfall- und Nebenpro-
dukte, Biogasanlagen zugänglich zu machen. Eine bes-
sere Wärmenutzung ist umweltpolitisch dringend erfor-
derlich. Da könnte der KWK-Bonus weiter lenkend
eingreifen.
Der Bereich des Sonnenstroms macht angesichts sehr
hoher Kosten ein Nachjustieren erforderlich. So stellt die
Fotovoltaik derzeit nur gut 3 Prozent des Ökostroms;
ihr Anteil an der Gesamtvergütung erneuerbaren Stroms
beträgt allerdings 20 Prozent.

Wasserkraft liefert seit Jahren konstant etwa
22 Milliarden Kilowattstunden Strom. Hier ist allerdings
kein wesentlicher Zubau mehr möglich.

Geothermie spielt bislang keine Rolle in der Strom-
produktion. Allerdings hat sie großes Potenzial, grund-
lastfähigen Strom zu liefern. Deshalb ist da weitere För-
derung notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus
müssen wir sehen, wie wir das Erneuerbare-Energien-
Gesetz weiterentwickeln und die erneuerbaren Energien
näher an den Markt führen können. Dazu gehört, die
zeitlichen Fristen für die optionale Eigenvermarktung
flexibler zu gestalten. Ziel muss die Verschiebung der
Erzeugung in die Zeiten hoher Nachfrage sein. Die Vere-
delungs- und Wälzungskosten müssen transparenter
werden. Wir wollen unabhängigen Erzeugern ermögli-
chen, sich an diesem Markt zu beteiligen. Die Bundes-
netzagentur sieht hier Effizienzpotenziale in Höhe von
mehreren Hundert Millionen Euro.

Wir wollen virtuelle Kraftwerke fördern. Durch die
Kombination von Wind-, Biomasse- und Speicherkraft-
werken kann erneuerbarer Strom nahezu grundlastfähig
werden.

Was wir uns allerdings nicht vorstellen können, ist die
sehr weitgehende Verordnungsermächtigung für die
Bundesregierung. Denn damit wäre das Parlament bei
der weiteren Gestaltung wichtiger Instrumente im EEG
praktisch außen vor – so bitte nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das IKEP ist am Freitag letzter Woche im Bundesrat
beraten worden. Nun wird die Bundesregierung eine Ge-
genäußerung vorlegen; die Ausschussberatungen des
Bundestages einschließlich der Anhörungen finden von
März bis Mai statt. Eine Verabschiedung im Bundestag
und Bundesrat soll möglichst noch vor der Sommer-
pause erreicht werden, um bald Sicherheit über die Rah-
menbedingungen für die Branche und die Finanzgeber
zu erzielen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt
mit dem IKEP und insbesondere mit den drei heute an-
beratenen Gesetzentwürfen energiepolitische Weichen-
stellungen für die Zukunft. Wir wollen alles daran
setzen, die Vorhaben auf der Basis der ehrgeizigen Kli-
maschutzziele und im Dreiklang von Umweltschutz,
Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit erfolgreich
zu gestalten. Wir wollen dabei auch die Punkte im Blick
behalten, die im Rahmen des dritten Energiegipfels erar-
beitet worden sind. Es wurde vom Prognos-Institut und
vom EWI gezeigt, dass Klimaschutz und ein breiter
Energiemix zu annehmbaren Kosten möglich sind. Al-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Flachsbarth
lerdings gilt dies nur unter Einbeziehung aller uns zur
Verfügung stehenden Energietechniken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614504100

Ich schließe die Aussprache.

Bei den Tagesordnungspunkten 4 a bis 4 c wird inter-
fraktionell Überweisung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 16/8148, 16/8149 und 16/8150 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 4 d. Es geht um die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/4962 zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksa-
che 15/5938 über den Bericht der Deutschen Energie-
Agentur GmbH (dena) über die Bestandsaufnahme und
den Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes
Eneuerbare-Energien-Technologien 2003/2004. Der Aus-
schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositions-
fraktionen angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Straßenbaubericht 2007
– Drucksache 16/7394 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei-
nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner Herrn Bundesminister Wolfgang Tiefensee das Wort
für die Bundesregierung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Sehr verehrte Damen und Herren!
Wir stellen heute den Straßenbaubericht 2007 vor. Wie
in jedem Jahr legen wir ein Konvolut auf den Tisch, das
nicht nur zum Zustand unserer Bundesfernstraßen Aus-
kunft gibt, sondern gleichermaßen Informationen zur
Finanzierung, zum rechtlichen Rahmen und zu moder-
nen Technologien enthält. Ergänzt wird dieser Bericht
durch ein umfangreiches Tabellenwerk. Sie können sich
so davon überzeugen, dass wir in Deutschland über ein
hervorragend ausgestattetes, dichtes Netz an Bundes-
fernstraßen verfügen, das sich mit denen anderer euro-
päischer Staaten messen kann und das das Rückgrat für
unsere Wirtschaft darstellt.

Der Zustand der Straßen ist im Durchschnitt gut, was
aber nicht heißt, dass Abgeordnete in ihren Wahlkreisen
nicht auch anderes erleben. Der Bericht zum Zustand un-
serer Straßen muss in den Zusammenhang mit Mobilität
und Infrastruktur in unserem Land gesetzt werden. Es
geht darum, dass wir einerseits mit dieser Infrastruktur
die enormen Herausforderungen der Zukunft bewältigen
müssen und andererseits eine Branche unterstützen müs-
sen – immerhin sind 2,5 Millionen Menschen im Bereich
der Logistik beschäftigt –, die uns wichtig sein muss.

Lassen Sie mich einige Daten aus diesem Bericht
herausgreifen, um deutlich zu machen, wo wir stehen.
Wir verfügen über ein Netz von ungefähr 12 500 Auto-
bahnkilometern und über 40 000 Bundesfernstraßenkilo-
metern.

Wir haben im Berichtszeitraum erheblich zulegen
können, indem wir die von Ihnen bereitgestellten Bun-
desmittel eingesetzt haben, um 60 Kilometer der Bun-
desautobahnen zu erweitern und rund 180 Kilometer neu
zu bauen. Wir haben 44 Kilometer der Bundesfernstra-
ßen vierstreifig und 111 Kilometer zweistreifig ausbauen
können und haben damit ein Drittel der Projekte im
Bedarfsplan, der ein Finanzvolumen von rund 50 Mil-
liarden Euro umfasst, fertigstellen können. In den neuen
Bundesländern sind sogar 50 Prozent der Bedarfs-
planprojekte als erledigt anzusehen. Das ist auch im Hin-
blick auf die Vereinigung Deutschlands eine Erfolgsge-
schichte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich greife nur die Küstenautobahn A 20, das Vorantrei-
ben der A 38 oder den Fortgang bei der A 9 und der A 4
heraus. Hier sind wir gut vorangekommen, sodass wir
konstatieren können: Ein Drittel der Aufgaben und die
Hälfte der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ im Be-
darfsplan des Ostens sind erledigt. Wir werden auch in
den kommenden Jahren in dieser Richtung weiter inves-
tieren.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass Verkehr und
Lebensqualität zusammengehören. Wir haben im ver-
gangenen Berichtszeitraum auch in den Lärmschutz in-
vestieren können. Die Zahlen sind beachtlich: Wir haben
Lärmwände in einer Größenordnung von rund 65 Kilo-
meter und Lärmschutzwälle in einer Größenordnung von
75 Kilometer errichten können. 12 000 Quadratmeter
Lärmschutzfenster konnten eingebaut werden. Wir haben
Ortsumgehungen in einer Größenordnung von 120 Kilo-
meter gebaut. Wir haben uns um Radwege gekümmert.
Rund 90 Kilometer sind an Bundesfernstraßen entstan-
den. Das alles führt dazu, dass die Lebensqualität nicht
durch den Verkehr beeinträchtigt wird.

Ein Weiteres: Wir kümmern uns um die Finanzie-
rung nicht nur mit dem klassischen Instrument der In-
vestitionsmittel über den Haushalt, sondern indem wir
Public-Private-Partnership-Modelle in Gang setzen. Ich
erinnere daran, dass wir im Berichtszeitraum erste Pro-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Tiefensee
jekte im Bereich der A 8 Augsburg–München und der
A 4 in Thüringen in Angriff nehmen konnten. Projekte
im Bereich der A 1 werden folgen. Auch F-Modelle, der
Albaufstieg auf der A 8 oder die Hafenquerspange in
Hamburg, werden geprüft. Hier soll eine neue Finanzie-
rung ermöglicht werden.

Darüber hinaus treiben wir die Planungsbeschleuni-
gung voran. Wir brauchen kürzere Zeiträume zwischen
der Idee, der Entwicklung eines Konzeptes und der Rea-
lisierung. Mit der Umsetzung unseres Infrastrukturpla-
nungsbeschleunigungsgesetzes und den dort enumerativ
aufgeführten Maßnahmen erreichen wir eine Verkürzung
um bis zu zwei Jahre, damit der volkswirtschaftliche
Nutzen von Baumaßnahmen eher zum Tragen kommt.

Es geht darum, die Verkehrsbeeinflussung voranzu-
treiben. Sie finden in dem vorliegenden Bericht eine
Fülle von Maßnahmen, wie wir Standstreifen zur Verfü-
gung stellen und die Zuläufe zu Autobahnen regeln, aber
auch auf Staus und dergleichen mehr aufmerksam ma-
chen. Wir wollen die Maut, die sich zu einer Erfolgs-
story ausweitet, auch dazu nutzen, Verkehre beeinflussen
zu können. Da ist sicherlich in der Zukunft noch einiges
zu tun.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Geld ist gut
angelegt. Wir kommen voran, wenn es darum geht, die
Maßnahmen des Bedarfsplanes im Hinblick auf die Bun-
desfernstraßen abzuarbeiten.

Wir müssen aber – das soll in diesem Zusammenhang
der letzte Gedanke sein – die Kapazitäten der Straße in
den Modal Split mit den anderen Verkehrsträgern ein-
ordnen. Dies gilt auch für die Herausforderungen, die in
Europa vor uns stehen. Deutschland ist Drehscheibe. Ich
verhehle nicht, dass wir im Hinblick auf die Zunahme
des Güterverkehrs auf der Straße – wir prognostizie-
ren bis 2050 einen Anstieg auf das Doppelte; das ist ein
Anstieg um 100 Prozent – noch lange nicht so weit sind,
dass wir eine Antwort auf jede in diesem Zusammen-
hang wichtige Frage gefunden hätten. Wir werden im
Masterplan Güterverkehr und Logistik, den wir voraus-
sichtlich im März der Öffentlichkeit vorstellen werden,
viele Antworten geben. Wir wollen auch auf der euro-
päischen Ebene zusammen mit dem Verkehrskommissar
nach Lösungen suchen.

Meine Damen und Herren, es geht darum, Verkehr zu
vermeiden, ihn intelligent zu lenken und jedem Ver-
kehrsträger – Straße wie Schiene wie Binnenwasser-
straße – den ihm gemäßen Platz zuzuweisen. Dort, wo er
den größten Nutzen entfaltet, die Lebensqualität nicht
beeinträchtigt und den Klimaschutz vorantreibt, soll er
eingesetzt werden.

Wir sind auf einem guten Weg. Der Bericht, den wir
Ihnen heute vorlegen, belegt das mit eindrücklichen
Zahlen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614504200

Nächster Redner ist der Kollege Jan Mücke für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1614504300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Deutschland ist seit Jahren Exportweltmeister, was sich
auch im grenzüberschreitenden Güterverkehr widerspie-
gelt. Die Zahl der grenzüberschreitenden Lkw-Fahrten
stieg zwischen 1996 und dem Berichtsjahr 2006 um
circa 70 Prozent. Der Umfang der Güterverkehrsleis-
tungen stieg von 57,9 Milliarden Tonnenkilometer im
Jahr 1996 auf über 105 Milliarden Tonnenkilometer im
Berichtsjahr 2006. Das entspricht einem Zuwachs von
82 Prozent innerhalb von 10 Jahren, also innerhalb eines
relativ kurzen Zeitraumes. Ein ähnliches Bild stellt sich
uns im Inland dar. Dort nahmen die Güterverkehrsleis-
tungen in den letzten 10 Jahren um 54 Prozent zu, bezo-
gen auf die letzten 15 Jahre sogar um 75 Prozent.

Dieser Anstieg wird nach allen Prognosen, nach al-
lem, was wir aus der Verkehrswissenschaft wissen, in
den nächsten Jahren anhalten; bis 2015 wird – das steht
in dem Bericht – ein Zuwachs von 64 Prozent erwartet.
Die Realität hat diese Prognosen aber längst eingeholt.
Die Zahlen, die für 2015 prognostiziert wurden, werden
wir wahrscheinlich schon 2008, also in diesem Jahr, er-
reichen.


(Beifall bei der FDP)


Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Güterver-
kehrsleistung bei gleichbleibendem Straßenanteil bis
zum Jahr 2050 verdoppelt haben wird.

Die Frage ist, wie das Parlament mit der prognosti-
zierten Verdoppelung umgeht. Wenn wir Exportwelt-
meister bleiben wollen, müssen wir uns die Frage stel-
len, wie die Verkehrsinfrastruktur künftig finanziert
werden soll. Ist Deutschland fit für die Verdoppelung des
Güterverkehrsaufkommens? Wenn ich den Straßenbau-
bericht unter diesem Blickwinkel lese, muss ich feststel-
len, dass das Bild, das sich abzeichnet, nicht so rosig ist,
wie es der Herr Minister hier geschildert hat.


(Beifall bei der FDP)


Ich möchte aber nicht nur auf die Investitionen, son-
dern vor allem auf den Zustand der bestehenden Straßen
eingehen. Schauen Sie sich einmal den Fahrbahnzustand
unserer Bundesstraßen an: Nur circa 58 Prozent sind voll
gebrauchsfähig, 17,9 Prozent sind leicht eingeschränkt ge-
brauchsfähig, und 23,5 Prozent sind stark eingeschränkt
gebrauchsfähig. Diese Zahlen sind erschreckend. Es ist
ein Problem, wenn wir nur 60 Prozent der Bundesstra-
ßen vollständig nutzen können. Wir wissen, dass diese
Zahlen aus den Jahren 2003 und 2004 stammen. Wenn
wir unsere Bundesstraßen benutzen, können wir täglich
feststellen, in welchem Zustand sie sich befinden. Das
lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(D)


Jan Mücke
Das gilt insbesondere, wenn wir den prognostizierten
Anstieg bei den Güterverkehrsleistungen berücksichti-
gen.

Aber auch in Bezug auf den Ausbau des Fernstra-
ßennetzes besagt der Bericht für das Berichtsjahr nichts
Erfreuliches. Zwar wurden auch in diesem Jahr Projekte
neu für den Verkehr freigegeben, insgesamt nahm die
Länge der Bundesfernstraßen aber um 104 Kilometer ab.
Das kann nicht allein der Tatsache geschuldet sein, dass
es Umstufungen gegeben hat; denn auch die Länge der
übrigen überörtlichen Straßen hat abgenommen, und
zwar um 17 Kilometer.

Ich möchte Sie an die 60er- und den Anfang der 70er-
Jahre erinnern – damals war ich noch gar nicht geboren –:
Zu dieser Zeit wurden in einem Haushaltsjahr mehrere
hundert Kilometer an Bundesfernstraßen neu gebaut.
Von diesen Zahlen sind wir weit entfernt.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Welt hat sich auch geändert!)


Warum sind wir weit entfernt davon? Vor allem, weil im
Haushalt sehr viel weniger Geld zur Verfügung steht, als
eigentlich notwendig wäre.


(Beifall bei der FDP)


Wir alle wissen, dass die Pällmann-Kommission vor ei-
nigen Jahren versucht hat, den für Ausbau und Erhaltung
des Bundesfernstraßennetzes notwendigen Finanz-
bedarf objektiv festzustellen. Dort ist man auf einen
Mindestbetrag von 6,5 Milliarden Euro im Jahr gekom-
men.

Sie alle kennen die Haushaltszahlen. Der Haushalts-
ansatz für 2006 lag bei 4,86 Milliarden Euro. Die Koali-
tion hat versucht, durch Umschichtungen 1 Milliarde
Euro draufzulegen. Am Ende ist sehr viel weniger he-
rausgekommen. Wenn diese Entwicklung, die schon ei-
nige Jahre anhält, so weitergeht, dann heißt das nichts
anderes, als dass wir in jedem Jahr immer weniger Geld
für die Bundesfernstraßen zur Verfügung haben und dass
sich der Zustand der Bundesfernstraßen dauerhaft ver-
schlechtern wird, weil wir nicht mehr investieren.


(Beifall bei der FDP)


Die Finanzplanung der Bundesregierung sieht kei-
neswegs einen Aufwuchs oder – wie der Herr Minister
immer so freundlich sagt – eine Verstetigung der Finanz-
mittel vor. Die Finanzplanung weist beispielsweise für
das Jahr 2011 nur noch Investitionen in Höhe von
4,5 Milliarden Euro aus. Das ist erheblich weniger als
das, was die Pällmann-Kommission objektiv als Bedarf
für den Ausbau der Bundesfernstraßen festgesetzt hat.

Ich möchte namens der FDP-Fraktion noch an einen
Fakt erinnern, der in der Öffentlichkeit immer weniger
eine Rolle spielt, weil die meisten die Mehrwertsteuer-
erhöhung und diverse andere Preissteigerungen schon
völlig vergessen haben. Ich erinnere an die Äußerungen
aus der Bauindustrie, die erst Anfang der Woche auf der
bautec hier in Berlin gemacht wurden: Vom Jahr 2006
bis heute gab es einen Anstieg der Baupreise um fast
8 Prozent. Daran hat die Mehrwertsteuererhöhung einen
ganz erheblichen Anteil. Wenn wir um die Preissteige-
rungen – ganz genau sind es 7,7 Prozent – wissen, aber
unseren Etat für die Bundesfernstraßen nicht weiter aus-
bauen, heißt das, dass wir mit demselben Ansatz von
Jahr zu Jahr weniger an Bundesfernstraßen bauen und
unsere Infrastruktur immer schlechter wird. Das ist abso-
lut nicht ausreichend, um unsere Pflichten auf Dauer zu
erfüllen und um auf die Verdopplung des Güterverkehrs-
aufkommens – das betone ich für die Öffentlichkeit – in
den nächsten Jahren eine adäquate Antwort zu geben.


(Beifall bei der FDP)


In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die
Maut und an den Mautbetrug erinnern. Ursprünglich
wurde davon gesprochen, dass die Mehreinnahmen, die
wir aus der Maut erzielen, zusätzlich zu den Mitteln, die
aus dem Haushalt für die Straßeninfrastruktur zur Verfü-
gung gestellt werden, investiert werden. Diese zusätzli-
chen Mittel wurden nie für die Bundesfernstraßen ver-
wendet; denn der Bundesfinanzminister hat seinen
Zuschuss für den Verkehrshaushalt um genau den Be-
trag, den wir über die Maut zusätzlich einnehmen, ge-
kürzt. Diesen Zustand können wir als FDP-Fraktion auf
gar keinen Fall hinnehmen, weil dies dauerhaft dazu
führt, dass unsere Straßeninfrastruktur von Jahr zu Jahr
schlechter statt besser – das wäre notwendig – wird.


(Beifall bei der FDP)


Wir alle müssen uns die Frage stellen: Was ist uns
eine gute Straßeninfrastruktur oder Infrastruktur generell
wert? Gerade einmal 2 Prozent aller Ausgaben im Bun-
deshaushalt sind in die Fernstraßeninfrastruktur inves-
tiert worden; diese Zahl ist viel zu gering. Dieser Wert
reduziert sich im Übrigen für das Jahr 2007 auf
1,8 Prozent.

Wir müssen die Prioritäten für die Investitionen in
diesem Land ganz anders setzen. Wenn wir nicht wollen,
dass Deutschland im Verkehrskollaps erstickt, wenn wir
wollen, dass wir weiter Wirtschaftswachstum haben,
dann brauchen wir eine hervorragende Infrastruktur.
Diese muss anständig finanziert werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614504400

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Klaus Lippold für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1614504500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte vorwegschicken, Herr Minister Tiefensee,
dass ich Ihnen für den Erfolg bei der Umsetzung des Be-
darfsplans Straße ganz herzlich danken will. Es ist ein
Erfolg, den wir miteinander erzielt haben. Man sollte das
nicht kleinreden lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Klaus W. Lippold
Dass es dazu noch einige Anmerkungen gibt, ist völ-
lig richtig. Aber man muss deutlich sagen, dass wir die
Zeichen der Zeit erkannt haben, dass wir die Verkehrs-
entwicklung kennen. Die Verkehrsentwicklung in der
Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich nach wie vor
dadurch aus, dass der Straßenverkehr nicht nur einen ho-
hen Anteil hat, sondern auch in Zukunft haben wird.
Über die Frage der Verlagerung wird zwar immer wieder
diskutiert, aber aufgrund der Kapazität des Schienennet-
zes ist dies nicht möglich.

Ich will darauf hinweisen, dass der Ausbau der Schie-
neninfrastruktur, insbesondere im Hafenhinterland,
eine weitere Möglichkeit ist, zur Entlastung der Straße
beizutragen. Denn wenn wir den gesamten Container-
verkehr, den wir erfolgreich in unseren Häfen anlanden,
hinterher auf der Straße wiederfinden, dann ist diese Si-
tuation untragbar. Deshalb ist es absolut notwendig, die
Schiene als Ergänzung der Straße einzubeziehen. Daran
werden wir weiterhin arbeiten.

Ich will darüber hinaus deutlich machen, dass der
Straßenbau für die Entwicklung unserer Wirtschaft von
besonderer Bedeutung ist. Dabei geht es auch, aber nicht
nur um die Bauindustrie. Selbstverständlich ist aller-
dings auch die Bauindustrie von der Auftragsvergabe in
diesem Bereich betroffen. Dieser Punkt ist für die Ent-
wicklung der Wirtschaft in Deutschland zentral.

Herr Minister, Sie haben auf die Entwicklungen im
Logistikbereich hingewiesen. Die Logistik wird eine
wichtige Zukunftsbranche sein; das gilt für die Weltwirt-
schaft insgesamt. Deshalb sind wir gehalten, unsere In-
frastruktur so auszubauen, dass wir in diesem Bereich
mithalten können, damit wir auch in Zukunft von den
positiven Entwicklungen, die wir im Logistikbereich
bislang zu verzeichnen haben, profitieren können.

Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung wird
das besonders notwendig sein. Um keinen Zweifel auf-
kommen zu lassen: Wir haben die EU-Osterweiterung
gemeinschaftlich bejaht. Aber mit dem aus ihr resultie-
renden Mehrverkehr müssen wir auch de facto umgehen
können. Auch das ist im Hinblick auf den Straßenver-
kehr ein wichtiger Aspekt.

Wer sich die Haushalte unserer osteuropäischen
Nachbarländer ansieht, der stellt fest, dass dort im Be-
reich der Straße viel investiert wird, im Bereich der
Schiene aber fast gar nichts. Der Verkehr aus diesen
Ländern wird also vor allem über die Straße kommen. Er
kann aber nicht an der bundesdeutschen Grenze auf die
Schiene umgeladen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher müssen wir darauf achten, dass wir in Zukunft
trotz all dieser Entwicklungen handlungs- und mobili-
tätsfähig bleiben. Dieser Punkt ist für uns von ganz ent-
scheidender Bedeutung.

Ich will noch etwas zur Erhaltung der Infrastruk-
tur sagen. Herr Minister, Sie haben freundliche Worte
benutzt, indem Sie gesagt haben, dass wir auf unseren
Straßen im Durchschnitt noch keine Probleme haben.
Die Formulierung „im Durchschnitt“ macht deutlich,
dass es Abweichungen nach oben und nach unten gibt.
Zu meiner Freude haben wir in den neuen Bundeslän-
dern ein hervorragendes System aufgebaut, das von eini-
gen in diesem Hause manchmal nicht in dem Maße ge-
würdigt wird, in dem es gewürdigt werden sollte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Jan Mücke [FDP])


Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass wir im Be-
reich der Verkehrsinfrastruktur generell, insbesondere
aber im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur im In-
teresse der neuen Bundesländer Hervorragendes geleis-
tet haben.

Allerdings häufen sich die Defizite in den alten Bun-
desländern; das muss man ohne Umschweife sagen.
Auch hier muss etwas getan werden. Früher hieß es:
Wenn man von Hessen nach Thüringen fährt, merkt man
das an der Straße. Heute heißt es: Wenn man von Thürin-
gen nach Hessen fährt, merkt man das an der Straße. Das
kann auf die Dauer nicht so weitergehen.

Herr Minister, wir haben uns einmal gemeinschaftlich
und mit großem Erfolg dafür eingesetzt, dass mehr Mit-
tel für die Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt werden.
Ich glaube, diesen Kampf sollten wir jetzt fortsetzen.
Denn der letzte Erfolg, den wir gemeinschaftlich erzielt
haben, war leider nicht so groß, wie ich es mir erhofft
habe; auch das möchte ich ganz deutlich sagen.

Wenn ich mir vor Augen führe, wie viel wir in Brü-
ckenbauten investieren müssen, welche Zusatzinvesti-
tionen auf uns zukommen und was wir in den Lärm-
schutz investieren müssen, stelle ich mir die Frage: Was
bleibt dann noch für den dringend notwendigen Neubau,
den wir den Bürgern versprechen, zum Beispiel für den
Neubau von Umgehungsstraßen etc., der auch zur Siche-
rung der Lebensqualität der Menschen beiträgt und nicht
nur Belastungen mit sich bringt? Auch das muss sicher-
gestellt werden.

Ich sage ganz unverhohlen, dass es einen Punkt gibt,
der mir nicht gefällt: Wenn es in einem Finanzierungs-
system wie der IKB zu einer Krise kommt, dann sind
plötzlich und schnell 6 Milliarden Euro verfügbar.


(Jan Mücke [FDP]: Ganz schnell sogar!)


Ich sage ganz deutlich: Ich möchte nicht, dass es erst zu
einer Krise kommen muss – zum Beispiel, wie es in Mil-
waukee geschehen ist, durch eine eingestürzte Brücke –,
damit Mittel für den Straßenbau zur Verfügung gestellt
werden. Das muss vorher geschehen und nicht hinterher,
wenn die Brücke bereits eingestürzt ist!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das setzt voraus, dass wir hierfür generell Mittel ein-
planen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da stellt sich doch die Frage nach dem Haushaltsgesetzgeber! Wer ist denn das? Eigentlich hatte ich den Eindruck, dass der Bundestag der Haushaltsgesetzgeber ist!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Klaus W. Lippold
Wir dürfen uns nicht nur daran orientieren, was gerade in
einem spezifischen Teilabschnitt notwendig ist. Der In-
vestitionsbedarf ergibt sich auch daraus, dass es zu Preis-
erhöhungen gekommen ist, die, wenn über die Höhe der
bereitgestellten Mittel entschieden wird, berücksichtigt
werden müssen. Hier sind Positionen, bei denen einiges
getan werden muss.

Ich bin froh, dass es uns gemeinschaftlich gelungen
ist, die Mittel für den Lärmschutz aufzustocken. Ich
glaube, dass das im Sinne aller Bundesbürger ist. Lärm-
belastung bedeutet nämlich eine erhebliche Beeinträchti-
gung der Lebensqualität. Wir werden an diesem Punkt
weiter arbeiten müssen. Wir müssen allerdings nach kos-
teneffizienten Lösungen suchen. Wenn ich von Aschaf-
fenburg aus in den bayerischen Raum hinein fahre und
die Kapselungen betrachte, muss ich mich fragen, inwie-
weit Kosteneffizienz gegeben ist, ob es vertretbar und
begründbar ist, wenn so viel an Mitteln für ein verhält-
nismäßig kurzes Stück Lärmschutz aufgewandt wird.
Die effiziente Verwendung von Mitteln ist eine der Posi-
tionen, von denen ich meine, dass wir sie angehen müs-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir dürfen die Erfolge bei der Schaffung von Radwe-
gen an Bundesfernstraßen nicht kleinreden. Radwege an
Bundesfernstraßen sind nicht nur ein Beitrag zu mehr Si-
cherheit. Es gibt hier dringenden Bedarf, dem wir entge-
genkommen müssen. Auch an diesem Punkt sollten wir
weiter arbeiten.

Rastplätze an Bundesautobahnen, insbesondere für
den Lkw-Verkehr, sind – das müssen wir deutlich ma-
chen – notwendig. Hier gibt es nach wie vor einen Eng-
pass. Sie, Herr Minister, haben sich kürzlich dazu geäu-
ßert. Ich sage ganz offen: Auch wenn es nicht
abgestimmt war, habe ich es begrüßt. Auch hier muss
also noch etwas getan werden.

Wir sollten einmal gemeinschaftlich prüfen, inwie-
weit eine Privatfinanzierung der Rastplätze denkbar und
möglich ist. Wir müssen PPP sicherlich stärker einset-
zen, als das bislang der Fall ist. Wir sollten die
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft besser
ausstatten, damit sie handlungsfähiger wird und eine
stetige Mittelvergabe erfolgen kann. Den Grundstock
würde die Überweisung der Mauteinnahmen an diese
Institution bilden. Ferner wäre es sinnvoll, mit den
Haushältern über eine begrenzte Kreditfähigkeit dieser
Institution zu sprechen. Das alles – PPP-Projekte auf
der einen Seite, Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsge-
sellschaft auf der anderen Seite – ersetzt allerdings
nicht die Anmerkungen, die ich zum Haushalt und ge-
nerell zur Finanzierung gemacht habe; auch diese
Dinge sind nach wie vor notwendig.

Letzter Gedanke. Ich halte es für wichtig, dass wir die
Schnittstellen zwischen den verschiedenen Verkehrsträ-
gern optimal gestalten, damit fließende Übergänge mög-
lich sind. Auch dadurch können wir die Straße entlasten.
Das setzt, um das deutlich zu sagen, voraus, dass die
Bahn ihr Angebot an Güterannahmestellen zumindest
aufrechterhält. Die Bahn muss erreichbar sein, wenn sie
ihren Beitrag in der Fläche leisten können soll. Wenn
Güterannahmestellen geschlossen werden, ist eine Verla-
gerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene, vor-
sichtig gesagt, nur widersprüchlich zu denken. Hier
muss sich etwas ändern. Das Ganze muss logisch, in sich
stimmig zusammengeführt werden. Da haben wir noch
etwas zu tun. Aber nach dem, was wir bislang gemein-
schaftlich geschafft haben, muss ich sagen: Wir werden,
wenn wir es weiterhin entschlossen angehen, noch mehr
in dieser Richtung schaffen.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614504600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614504700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Nach Weihnachten haben
wir alle Jahre wieder das gleiche Ritual: Die Bundesre-
gierung legt den Straßenbaubericht für das Vorjahr vor.
Er hat fast den gleichen Text wie sein Vorgänger; ledig-
lich bei den Zahlen kann man eine Anpassung an die ak-
tuelle Entwicklung feststellen.

Über den Straßenbaubericht 2006 haben wir im Ple-
num nicht diskutiert, nur im Ausschuss. Aber wenn ich
an unsere Debatte über den Straßenbaubericht 2005
denke – das war am 16. März 2006 –, muss ich sagen,
dass es – sieht man von dem Part ab, den wir den Maß-
nahmen für die damals bevorstehende Fußballweltmeis-
terschaft gewidmet haben – nicht auffallen würde, wenn
wir die gleichen Reden wie vor zwei Jahren wieder hal-
ten würden. Die Linke kritisierte damals, dass in den
Neubau von Straßen zu viel Geld fließt. Zwar sagen
wir kein kategorisches Nein zum Neubau; aber Instand-
haltung, Erhalt und Ausbau der bestehenden Straßen
muss aus unserer Sicht unbedingt Vorrang eingeräumt
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Bericht 2007 stellen wir nunmehr fest, dass der
Bestand an Bundesfernstraßen abnimmt. Auch die Aus-
gaben des Bundes für den Straßenbau sinken. 2007 gab
es zwar 168 Kilometer mehr Autobahnstrecken, aber
gleichzeitig 272 Kilometer weniger Bundesstraßen als
2006. Per saldo ist also die Netzlänge um 104 Kilometer
geschrumpft. Der Rückgang resultiert im Wesentlichen
aber nicht daraus, dass Straßenabschnitte zurückgebaut
worden und dort Wälder und Wiesen entstanden wären,
sondern aus einer Umwidmung. Bundesstraßenab-
schnitte wurden zu Landstraßen umgewidmet, was dann
auch bedeutet, dass die Kosten für Unterhalt und In-
standhaltung andere zu tragen haben.

Es ist dem aktuellen Bericht zu entnehmen, dass we-
niger Autobahnabschnitte gebaut wurden und mehr für
die Substanzerhaltung getan wurde. Dies begrüßt die






(A) (C)



(B) (D)


Dorothée Menzner
Linke ausdrücklich; das wollte ich an dieser Stelle auch
einmal sagen.

Dem vorliegenden Bericht hätte ich aber gern etwas
mehr zu anderen Themen entnommen, unter anderem
zur Ausweitung von Mautstrecken. Gerade zu den
Strecken, die vom Güterverkehr als Ausweichstrecken
benutzt werden, weil sie dicht an Autobahnen vorbeifüh-
ren bzw. parallel zu Autobahnen verlaufen, finde ich in
diesem Bericht zu wenig. Hier wünsche ich mir für den
nächsten Bericht deutlich mehr; hier müssen wir, wie ich
glaube, etwas tun.

Ein Blick auf die dem Bericht angefügte Straßenkarte
genügt, um festzustellen, dass in den Landesteilen im
Westen, abgesehen von kleinen Ausnahmen, genügend
Autobahnen vorhanden sind. 2007 wurden einige Auto-
bahnabschnitte vollendet; ich spreche jetzt nur die A 14
Halle–Magdeburg, die A 20 Lübeck–Stettin und die
A 38 Göttingen–Halle an. Herr Lippold, was Sie zu die-
sem Thema gesagt haben, ist komplett falsch. Die Linke
hat nie gesagt, es werde zu wenig in die Infrastruktur im
Osten investiert. Über diesen Bereich haben wir uns nie
nennenswert beklagt. Wir haben zwar gesagt, es gebe
große Defizite, aber das Thema Straßen ist nicht unbe-
dingt ein Schwerpunkt unserer Kritik.

Im Osten Deutschlands ist also eine Menge getan
worden. Aber die Straßenkarte zeigt auch, dass es nach
wie vor Lücken gibt, auch solche, bei denen es einen
schon jucken könnte, einen Filzer zu nehmen und eine
Verbindung zu schaffen. So dürfte zum Beispiel die
Autobahn 14 Magdeburg–Wismar durchaus noch sinn-
voll sein. Das ist übrigens eine sehr alte Planung; dieser
Abschnitt war schon zu DDR-Zeiten vorgesehen. Aber
bei der A 39 Lüneburg–Wolfsburg sieht es schon anders
aus. Hierfür sehen wir keine Notwendigkeit, und es exis-
tiert nicht nur bei uns, sondern auch in der betroffenen
Region Widerstand. Nicht zuletzt sieht der Bundesver-
kehrswegeplan von 2003 bei der A 39 keinen vordringli-
chen Bedarf.

An diesem Beispiel wird deutlich, dass wir bei
Lückenschlüssen sehr wohl berücksichtigen müssen,
wie sie von den Menschen in den betroffenen Regionen
angenommen werden. Eine Verkehrspolitik ohne Akzep-
tanz der Menschen läuft in die falsche Richtung.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Beispiel erwähne ich nur den umstrittenen Weiter-
bau des Stadtrings hier in Berlin, der einerseits gravie-
rend ins Stadtbild einschnitte, andererseits aber einen
Lückenschluss in Richtung Ostsee ermöglichte. Dies
muss nach unserer Auffassung aber mit den Menschen
gemeinsam diskutiert werden; hier darf man keine Poli-
tik am Reißbrett machen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, uns fehlt im Stra-
ßenbaubericht eine kritische Abwägung von Maßnah-
men. Woher sollte sie aber kommen, wenn dieser Bericht
Jahr für Jahr fortgeschrieben wird und nur die Zahlen
des vergangenen Jahres eingearbeitet werden? Es ist hier
schon angesprochen worden, dass wir eine Verdoppe-
lung der Transportmengen im Güterverkehr erwarten.
Sollten diese Prognosen eintreffen, wird es erhebliche
Auswirkungen haben. Allerdings sind diese Prognosen
für 42 Jahre berechnet, da sie bis zum Jahr 2050 reichen,
und damit noch längst nicht Realität. Erstens kann man
hier inhaltlich umsteuern – dem sollten wir uns stellen –,
und zweitens muss ich niemandem hier im Hause erzäh-
len, wie sehr sich Deutschland in den letzten 42 Jahren
verändert hat. Wir dürfen also nicht als Gesetz anneh-
men, dass das unbedingt genau so eintreten wird, wie es
prognostiziert worden ist.

Hätte zum Beispiel 1840 jemand eine Verkehrspro-
gnose für die nächsten 40 Jahre abgegeben, dann hätte er
die Verkehrsprobleme sicherlich anders eingeschätzt, als
sie sich 1880 tatsächlich darstellten. Damals gab es ein
sehr dichtes Eisenbahnnetz, von dem wir heute nur träu-
men können. Seitdem ist es zerfleddert worden und ge-
schrumpft.

Wenn wir Transportprobleme lösen wollen, dann
müssen wir die Bahn mit in die Verantwortung nehmen.
Wir müssen die Verkehrsträger gemeinsam betrachten.
Deswegen ist ein Straßenbaubericht alleine etwas zu
kurz gesprungen. Nur die Kombination aller Verkehrs-
träger wird uns helfen, Probleme zu lösen und dabei den
Menschen und der Umwelt gerecht zu werden.

Deswegen betone ich an dieser Stelle für unsere Frak-
tion ausdrücklich: Die Bahn ist ein wichtiger Verkehrs-
träger und kann nicht losgelöst von der Straße betrachtet
werden. Ebenso wie die Bundesfernstraßen, die nicht
Renditeinteressen unterworfen werden dürfen – wir sind
grundsätzlich gegen PPP-Projekte –, darf auch die Bahn
nicht den Interessen renditehungriger Anleger unterwor-
fen werden.

Wir meinen, dass wir nicht nur einen Straßenbaube-
richt – so wichtig dieser Teilaspekt auch ist –, sondern
auch einen Verkehrswegebericht brauchen und regen an,
die Verkehrsprobleme und -anforderungen integrierter
zu betrachten und ein integriertes Verkehrskonzept für
Straße, Schiene und Wasserstraße zu erarbeiten und fort-
zuschreiben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614504800

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Hofreiter

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den vergangenen Jahren sind einige Trends
deutlich sichtbar geworden, die mehr oder weniger mit
dem Straßenbau verknüpft sind. Dazu gehört zunächst
der Klimawandel, der kaum noch zu leugnen ist. Man
muss die CDU/CSU loben: Auch sie hat inzwischen er-
kannt, dass der Klimawandel ein ernstes Problem ist.

Der Rohölpreis ist auf über 100 Dollar pro Barrel ge-
stiegen. Andere bereits bekannte Entwicklungen wie die
Abwanderung und Alterung der Bevölkerung in vielen
Teilen Deutschlands haben sich fortgesetzt. Der Schwer-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Anton Hofreiter
verkehr auf den Bundesfernstraßen hat in manchen Be-
reichen stark zugenommen. Der Unterhaltsrückstand bei
den Bundesfernstraßen ist nicht etwa geringer geworden,
sondern hat tendenziell weiter zugenommen. Des Weite-
ren kommt – wie bereits erwähnt wurde – eine große An-
zahl von Brücken in ein Alter, in dem eine Sanierung
dringend notwendig ist.

Wie hat das Bundesverkehrsministerium auf diese
Entwicklungen reagiert? Im Straßenbaubericht findet
sich dazu wenig. Es wird einfach weiter in den Neubau
von Straßen investiert. Die Rede des Bundesministers
war ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man eine ganze
Reihe von entscheidenden Trends ignorieren kann. Auch
die eigentlich bemerkenswerte Rede des Herrn Kollegen
Lippold war im Gegensatz zu seiner einleitenden Bemer-
kung, dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden, ein
schönes Beispiel dafür, dass sie nicht erkannt wurden. Es
wurde dargestellt, wie das zweitwichtigste Netz – das
Schienenverkehrsnetz – vernachlässigt wird und ent-
scheidende Maßnahmen nicht ergriffen werden. Die
Rede war interessant, aber sie hat eher die Defizite auf-
gezeigt.

Lassen wir aber zunächst die Klima- und Umwelt-
frage beiseite und wenden wir uns der Frage zu, ob das
investierte Geld unter verkehrlichen Gesichtspunkten
sinnvoll eingesetzt wird. Im Straßenbaubericht findet
sich eine ganze Reihe von Beispielen aus Mecklen-
burg-Vorpommern, Bayern oder Niedersachsen, wo
Geld für Ortsumgehungen eingesetzt wird, die von
4 000, 6 000 oder 7 000 Kraftfahrzeugen am Tag genutzt
werden. Das heißt, wir haben Geld ausgegeben, Fläche
verbraucht und Natur zerstört und dabei nicht einmal
verkehrliche Probleme gelöst.

Vor dem Hintergrund, dass unsere Bundesstraßen im
Durchschnitt von 9 000 Kraftfahrzeugen am Tag – auf
manchen werden täglich 50 000 Kfz gezählt – und die
Bundesautobahnen von 100 000 Kraftfahrzeugen befah-
ren werden, geben wir Geld für Straßen aus, die nur von
einem Bruchteil davon genutzt werden.

Angesichts der ökonomischen Abhängigkeit unseres
Landes von einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur
ist die Vernachlässigung der Beseitigung der Engpässe
zugunsten von Investitionen in Straßen, auf denen nichts
los ist, volkswirtschaftlich hochgradig schädlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Gilt das aus Ihrer Sicht auch für die Bahn?)


Es geht auch um die zeitnahe Beseitigung von Eng-
pässen. Dies darf nicht erst in 20 oder 30 Jahren gesche-
hen. Dazu gibt es eine ganze Reihe von einfachen Maß-
nahmen wie die Einführung eines Tempolimits – es
erhöht die Durchgängigkeit –, die Telematik – sie kostet
zwar ein wenig Geld, ist aber weitaus schneller umsetz-
bar – und eine zeitlich gestaffelte Lkw-Maut. Das alles
kann man relativ schnell umsetzen und entlastet damit an
den entscheidenden Stellen das Straßennetz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zu der schönen Rede der FDP. Die FDP hat sich
– wie erwartet – ganz klassisch verhalten. Sie verhält
sich in diesem Bereich wie ein Gast, der zwar gerne ein
Fünf-Sterne-Hotel hätte, aber nur wie für ein
Ein-Sterne-Hotel bezahlen möchte. Das geht einfach
nicht.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich
schätze euch. Aber redet doch einmal mit euren Finanz-
politikern, damit eure Politik zumindest ansatzweise
stimmig wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir geben gerne zu, dass es richtig ist, wie vorgesehen
mehr Geld für den Unterhalt auszugeben. Aber noch im-
mer fallen 45 Prozent der Brücken in die Kategorien
„kurzfristige Sanierung“ oder „sofortige Sanierung“.

Eine zentrale Aufgabe der Verkehrspolitik ist es,
Mobilität für alle zu sichern. Angesichts von Rohöl-
preisen in Höhe von über 100 Dollar stellt sich die
Frage, ob Straßenneubau die richtige Antwort ist. Man
darf nicht vergessen: Bereits jetzt haben nur rund
50 Prozent der Bevölkerung einen regelmäßigen Zugang
zum Auto.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Neue Kraftstoffe brauchen wir!)


Deshalb denkt einmal darüber nach, ob Straßenneubau
eine sinnvolle Antwort ist, wenn die Preise weiter stei-
gen. Des Weiteren stellen wir fest: Viele der jetzt gebau-
ten Projekte sind vor über 30 Jahren geplant worden.
Seitdem haben sich aber die Verkehrsströme verlagert.
Die Menschen wohnen und arbeiten woanders. Können
wir es uns wirklich leisten, so überholte Planungen noch
umzusetzen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen
um 80 Prozent reduzieren, um ein stabiles Klima zu er-
halten und unsere Lebensgrundlagen zu sichern. Eine
Straße baut man aber nicht für fünf bis zehn Jahre, son-
dern für 30, 40 oder 50 Jahre. Im Jahr 2013 wird der
nächste IPCC-Report erwartet. Wir wissen bereits, dass
er noch viel dramatischer ausfallen wird als der im letz-
ten Jahr, der die uns allen bekannten Wirkungen entfaltet
hat. Darauf deuten alle wissenschaftlichen Veröffentli-
chungen zum Beispiel zur Entwicklung des Grönlandei-
ses hin. Das ist nicht zu bestreiten. Es ist zu befürchten,
dass sich der Straßenneubau in wenigen Jahren als In-
vestitionsruine herausstellen wird.

Was ist nötig? Wir brauchen dringend eine Revision
des Bundesverkehrswegeplans und der Infrastrukturaus-
baugesetze. Wir brauchen eine Mobilitätsgesamtplanung
zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen und der
Wirtschaft in diesem Lande, welche die unbestrittenen
Trends – noch nicht einmal eure Kanzlerin bestreitet sie –






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Anton Hofreiter
nicht ignoriert, wie es gerade der Bundesverkehrsminis-
ter getan hat, sondern sie berücksichtigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine klimafreundliche, erdölarme und leistungsfähige
Infrastruktur lässt sich aber nicht über Nacht schaffen.
Mit Planung und Umsetzung müssen wir jetzt beginnen.
Es gilt jetzt umzusteuern, um Mobilität für unsere Wirt-
schaft und für uns alle zu erhalten.

Ich hoffe nicht – das meine ich ehrlich –, dass wir wie-
der – wie beim Klimaschutz – 20 Jahre Überzeugungs-
arbeit leisten müssen, damit ihr dann endlich so weit
seid, wie wir es bereits vor 20 Jahren waren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sonst haben wir ökonomisch und umweltpolitisch, aber
auch im Mobilitätsbereich ernsthafte Probleme.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614504900

Nun hat das Wort der Kollege Jörg Vogelsänger für

die SPD-Fraktion.


Jörg Vogelsänger (SPD):
Rede ID: ID1614505000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-

battieren über den Straßenbaubericht 2007 in der Kern-
zeit im Parlament und nicht im Ausschuss. Das ist ange-
messen. Der Ausbau und der Erhalt der Infrastruktur
sind entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland. Hier bleibt die Koalition am Ball.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zur
Erinnerung: Der Bundesverkehrswegeplan wurde 2003
von Rot-Grün verabschiedet. Die Große Koalition macht
nichts anderes, als diesen umzusetzen. Sie von der FDP
waren nicht mit dabei gewesen,


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts dazu gelernt!)


aber die Grünen waren dabei, und wir haben einen guten
Bundesverkehrswegeplan.

Weiter: Die Große Koalition hat gehandelt. Wir haben
die mittelfristige Finanzplanung für den Bereich Ver-
kehrsinfrastruktur – das betrifft Schiene, das betrifft
Wasserstraße, das betrifft Straße – deutlich verbessert,
und zwar im Milliardenbereich. Mir ist klar, dass sich
der eine oder andere mehr wünscht. Herr Mücke, das ist
für einen Verkehrspolitiker völlig klar. Das gebe auch
ich zu. Aber die Umsetzung ist – auch wenn man selber
in der Regierung ist – sehr viel schwieriger. Ich emp-
fehle Ihnen einen Blick nach Niedersachsen, wo die FDP
in der Regierung sitzt. Schauen Sie sich einmal den
Haushalt an! Dann wissen Sie, wie viel das Land Nieder-
sachsen in Landesstraßen investiert. Da zeigt sich, wie
Verantwortung wahrgenommen wird. Auch das muss
man machen.

(Jan Mücke [FDP]: Wir reden jetzt über den Bund! Wir sind im Bundestag!)


– Wir reden über den Bund, und wir sind im Bundestag,
aber bei der Verkehrsinfrastruktur sind wir alle in der
Verantwortung, auch die Länder. Das sollten wir ganz
deutlich machen.


(Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir mussten leider von einer SPD-Regierung viele Schulden übernehmen!)


Wir als Große Koalition haben auch im
Verkehrshaushalt 2008 deutlich nachgebessert, und zwar
im dreistelligen Millionenbereich.


(Jan Mücke [FDP]: Das reicht nicht!)


Es ist ein Erfolg der Koalition, dass wir diesen dreistelli-
gen Millionenbetrag bereitgestellt haben. Das Geld wird
sinnvoll eingesetzt. Unser verehrter Ausschussvorsitzen-
der hat schon darauf hingewiesen, dass wir ein deutli-
ches Problem hinsichtlich der Lkw-Parkplätze an
Autobahnen haben. Es kann und darf nicht sein, dass
wir dem Speditionsgewerbe eine Auflage nach der ande-
ren machen, was notwendig ist, aber nicht genügend
Stellplätze vorhanden sind. Deshalb ist das sinnvoll ein-
gesetztes Geld, und deshalb ziehen wir dort Investitio-
nen vor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Weiteres: Man sollte als Politiker auf dem Boden
der Realität bleiben und anerkennen, dass etwas erreicht
wurde. 1990 standen wir vor der Situation, dass ein Staat
am Ende war und eine völlig desolate Infrastruktur hatte.
Seit 1990 ist mit den Verkehrsprojekten „Deutsche
Einheit“ eine Riesenaufbauleistung vollbracht worden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich verwahre mich gegen die Aussage, damit habe Ost-
deutschland gewonnen. Deutschland hat insgesamt
durch die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ gewon-
nen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Ostseeautobahn führt von Mecklenburg-Vorpom-
mern nach Schleswig-Holstein und nützt auch Hamburg.
Das ist ganz deutlich. Dazu ein Wort an die Linke: Sie
bekritteln immer – das ist richtig so –, dass die Arbeits-
losigkeit noch zu hoch ist; aber die Koalition handelt.
Sie gehören immer zu den Bedenkenträgern und den
Verhinderern von Verkehrsinfrastruktur.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nach den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ und
dem Thema Infrastruktur will ich nun auf ein weiteres
wichtiges Thema eingehen. Wir in Deutschland sind gut
mit dem Ausbau des Radwegenetzes vorangekommen.
Im Bericht ist nachzulesen, dass das Netz immerhin
17 300 Kilometer umfasst. Mittlerweile sind einige Ki-
lometer hinzugekommen. Das sorgt für mehr Verkehrssi-
cherheit, und das sorgt dafür, dass die Umwelt entlastet






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Vogelsänger
wird. Die Große Koalition wird da weiter am Ball blei-
ben. Im Übrigen hat das Parlament dazu immer gute Bei-
träge geleistet. Wir sorgen dafür, dass 90 Millionen Euro
für den Bau von Radwegen eingesetzt werden, und das
ist gut so.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will noch etwas zu den Radwegen sagen. Für mich
ist eines schwierig: Vertreter von Straßenbaubehörden
sagen mir oft: Wir haben weitere Radwege geplant, aber
20 bis 25 Prozent der Mittel müssen wir für Ausgleichs-
maßnahmen einsetzen. – Das halte ich für falsch. Ein
Radweg hat auch einen ökologischen Wert. Wenn die
Leute das Auto stehen lassen, gewinnen wir alle. Des-
halb sollten wir uns dieses Themas noch einmal anneh-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]: Guter Gedanke!)


Verkehrspolitik hat auch eine europäische Dimension.
Wir alle freuen uns, dass Grenzkontrollen entfallen sind
und damit die Staus an den Grenzen zu Polen und zur
Tschechischen Republik endlich ein Ende haben. Wir
freuen uns, wenn Schlagbäume fallen, andere wollen
wieder Mauern errichten. Als Große Koalition haben wir
aber auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die euro-
päischen Verkehrskorridore weiter ausgebaut werden.
Das ist eine Pflicht, die aus dem Zusammenwachsen von
Europa erwächst. Deshalb muss auch der Straßenbau vo-
rangetrieben werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verkehrspolitik ist ein vielschichtiges Thema. Da hört
man von manchen Abgeordneten schon einmal: Wir
brauchen mehr Bildung statt Beton. – Dieselben Abge-
ordneten schreiben uns dann in netten Briefen, wie wich-
tig die Ortsumgehung im eigenen Wahlkreis ist. Wir
sollten souverän sagen: Wir brauchen eine verbesserte
Infrastruktur und selbstverständlich auch verstärkte Auf-
wendungen im Bildungsbereich. Da bleibt die Koalition
dran.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614505100

Die Kollegin Renate Blank ist die nächste Rednerin

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1614505200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte über den jährlich vorzulegenden Straßen-
baubericht der Bundesregierung ist nicht nur eine
Pflichtübung in diesem Haus. Denn die Frage, wie wir es
mit der Straßenverkehrsinfrastruktur in Deutschland hal-
ten, ist eine Zukunftsfrage ersten Ranges.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Verkehrspolitik muss die Zukunft im Blick haben.
Kollege Hofreiter von den Grünen, wenn man über
Straßen in den neuen Bundesländern, in Bayern, in Nie-
dersachsen – eigentlich in allen Flächenländern –
spricht, dann muss man sicherlich darauf hinweisen,
dass auf manchen Straßen nicht sehr viel Autoverkehr
stattfindet. Aber eines muss man auch sagen: Alle Stra-
ßenbaumaßnahmen dienen auch der Erschließung der
Fläche und der Mobilität der Menschen. Und wenn im
Durchschnitt jeder Haushalt in Deutschland pro Monat
350 Euro für Mobilität ausgibt, dann haben diese Haus-
halte auch einen Anspruch darauf, dass ein Teil ihrer
Steuern dafür verwendet wird, dass sie mobil sein kön-
nen. Wir brauchen also auch die Straßen, die nicht ganz
so stark befahren sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben wir doch schon alle!)


Auch hängt jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland
vom Straßenverkehr ab. Diese Zahlen sollten wir auf
keinen Fall vergessen. Der Zustand unserer Straßen und
die Investitionen in unsere Straßen gehören sozusagen
zum „Eingemachten“ unseres Volksvermögens. Nur eine
gut ausgebaute, leistungsfähige und sichere Verkehrs-
infrastruktur sichert die Mobilität der Bürgerinnen und
Bürger und schafft notwendige, wettbewerbsfähige
Standortbedingungen von Industrie und Handel.

Wir wissen auch, dass die fahrfähige Bevölkerung
von 2006 bis 2010 von 68,1 Millionen Personen auf
68,9 Millionen Personen anwachsen wird, während die
Zahl der Personen zwischen 10 und 18 Jahren, die für
den Schülerverkehr bestimmend ist, von 7,9 Millionen
auf 7,3 Millionen zurückgehen wird.

Die Zahl der Pkw-Zulassungen ist im Berichtszeit-
raum um 500 000 gestiegen. Damit sind mittlerweile
46,5 Millionen Pkw, 2,6 Millionen Lkw und rund
4 Millionen Krafträder zugelassen. Ich glaube, diese
Zahlen sprechen für sich.

Der Straßenbaubericht belegt auch, dass bei der Ent-
wicklung der Straßeninfrastruktur ein Paradigmenwech-
sel bevorsteht. Der Neubaubedarf ist weitestgehend ge-
deckt. In Zukunft wird für uns mehr und mehr die
Finanzierung des Ausbaus, der Modernisierung und
des effizienten Betriebs des Straßennetzes die größte
Herausforderung darstellen. Dazu brauchen wir aber
auch die entsprechende Mittelausstattung. Wenn wir im
internationalen Standortwettbewerb nicht zurückfallen
wollen, dann müssen wir dem Ausbau und der Erhaltung
unseres Straßennetzes eine hohe Priorität einräumen. Die
Frage ist, ob die Finanzausstattung ausreicht, um diesen
Anforderungen gerecht zu werden. Ich bedanke mich in
diesem Zusammenhang bei den Haushältern, die für
2008 die Mittel für den Straßenbau um circa
300 Millionen Euro erhöht haben. Herr Minister, Sie ha-
ben uns auf Ihrer Seite, wenn es um mehr Mittel für den
Straßenbau geht. Ich muss aber sagen: Die
1,2 Milliarden Euro, die der Finanzminister für die IKB
ausgibt, wären sinnvoller im Straßenbau angelegt gewe-
sen.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Blank

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Bei dem Stichwort „Management der IKB“ muss man
schon darüber nachdenken, ob hier richtig gehandelt
wurde. Beim Bereich Straßenbau handelt das Ministe-
rium schon richtig, aber wir bräuchten etwas mehr Geld.
Jedenfalls ist das Management im Ministerium in diesem
Bereich besser als bei der IKB.


(Jan Mücke [FDP]: Sonst ist immer Geld da! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Renate, forderst du genauso einen Hattrick für Huber?)


Leider gibt es schlechte Noten für die deutschen Bun-
desstraßen. Rund 40 Prozent des 40 711 km langen
Streckennetzes sind in einem mehr oder weniger maro-
den Zustand. Das zeigt der Straßenbaubericht 2007 auf.
23,5 Prozent der Bundesstraßen erhalten in dem Bericht
sogar die Zustandsnote 4,5 bis 5,0, also „eingeschränkte
Gebrauchsfähigkeit“. Im Klartext bedeutet das: sehr
stark wahrnehmbare Unebenheiten; deutlich erkennbare
Spurrillen mit Aquaplaninggefahr; schlechte, stellen-
weise unzureichende Griffigkeit.

Deutlich besser ist dagegen laut Straßenbaubericht
2007 der Fahrbahnzustand auf den Autobahnen, und
das trotz permanent steigender Verkehrsbelastung.
80,4 Prozent des aktuell rund 12 500 Kilometer langen
Streckennetzes schaffen die Note 1 bis 3,5 und sind da-
mit „voll gebrauchsfähig“. Bei knapp 20 Prozent der
Bundesautobahnen lässt der Fahrbahnzustand allerdings
zu wünschen übrig.

Nun, Herr Minister, zu dem Thema Brückenbau. Ich
will hier keine Panik hervorrufen, und es besteht auch
keinerlei Anlass zur Panik. Im Straßenbaubericht 2007,
der immerhin 81 Seiten hat, wird der Zustand der Brü-
cken nur auf einer halben Seite behandelt. Im Straßen-
baubericht 2006 waren die Brücken überhaupt nicht
existent; vielleicht sind sie vergessen worden. Ich bin
der Meinung: Bei über 37 000 Brücken mit einem Anla-
gevermögen von rund 40 Milliarden Euro interessiert
doch der bauliche Zustand. Ich bitte, das im Straßenbau-
bericht in Zukunft etwas ausführlicher darzustellen.

Herr Minister, wir haben zum Thema Brückenzustand
– mein Kollege Lippold hat schon darauf hingewiesen,
dass die Brücken äußerst wichtig sind – einen Bericht
angefordert. Dieser Bericht liegt leider noch nicht vor.
Ich hoffe, Herr Minister, dass Sie diesen Bericht im
Laufe des Monats März vorlegen. Ich bin überzeugt,
dass das Ministerium auf der Höhe der Zeit ist und per
Knopfdruck über den Zustand jeder einzelnen Brücke
– Beschaffenheit, Unterhaltungszustand usw. – Auskunft
geben kann. Die Ausgaben für die Erhaltung von Brü-
cken und Ingenieurbauwerken der Bundesfernstraßen
sind deutlich gestiegen. Das wird auch im Straßenbaube-
richt 2007 dargestellt.

Herr Minister, ich zitiere aus dem Straßenbaubericht
2005: Immerhin erhalten 12,8 Prozent der Brücken die
Note 3,0 bis 3,4; ihre Instandsetzung ist umgehend erfor-
derlich. Das macht schon ein bisschen betroffen. Ich
glaube, hier haben das Parlament, die Haushälter und die
Verkehrspolitik insgesamt noch eine große Aufgabe zu
bewältigen, damit wir den Zustand unserer Brücken hal-
ten und auch verbessern.

In 200 000 Staus pro Jahr verpuffen im Übrigen mehr
als 14 Milliarden Liter Kraftstoff und Kosten in Höhe
von 100 Milliarden Euro. Fast die Hälfte der Autofahrer
steht täglich im Stau. Im deutschen Straßenverkehr wer-
den jährlich rund 12 Milliarden Liter Kraftstoff durch
Staus und zähfließenden Verkehr unnötig verbraucht.
Zumindest ein erheblicher Teil davon könnte durch ge-
zielten Infrastrukturausbau sowie durch moderne Ver-
kehrsmanagementsysteme und Verkehrsinformations-
dienste eingespart werden.

Im ganzen Straßenbaubericht 2007 zeigt sich, wie
wichtig es war, die Verkehrswegeplanung zu beschleuni-
gen. Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungs-
gesetz, das im Dezember 2006 in Kraft trat, wurden ein
wichtiges Vorhaben der Großen Koalition umgesetzt und
ein Reformversprechen eingelöst. Mit dem Gesetz
werden Planungsverfahren in ihrer Dauer und vor allen
Dingen in ihren Kosten kalkulierbarer. Die Bürokratie
verschlingt nämlich über die Hälfte der Autobahnbau-
kosten. Von den ermittelten 27 Millionen Euro pro Kilo-
meter Autobahn entfällt nur ein Viertel der Kosten auf
die Fahrbahn. Der größte Anteil sind die Verwaltungs-
kosten, die während der Genehmigungsphase anfallen.
Das können wir auf jeden Fall noch ändern.

Auf der einen Seite nimmt der Verkehr insgesamt zu,
und auf der anderen Seite stehen die zur Umsetzung der
erforderlichen Bauvorhaben notwendigen öffentlichen
Mittel nicht zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung. Die
klassische Haushaltsfinanzierung stößt hier an ihre
Grenzen. Deshalb müssen wir neue Wege gehen, zum
Beispiel, indem wir die Verkehrsinfrastrukturfinan-
zierungsgesellschaft kreditfähig machen, um so not-
wendige Projekte schneller verwirklichen zu können.
Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, der den Blick
auf die zentrale Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur
lenkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das bedeutet, dass wir in Zukunft mehr Geld für Ver-
kehrsinfrastruktur brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jan Mücke [FDP])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614505300

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Klaas Hübner für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus W. Lippold [CDU/CSU])



Klaas Hübner (SPD):
Rede ID: ID1614505400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Der Straßenbaubericht 2007 legt Rechenschaft
darüber ab, wie die Verwendung von Haushaltsmitteln
durch die Bundesregierung erfolgt ist, und das wird mit






(A) (C)



(B) (D)


Klaas Hübner
vielen Zahlen untermalt. So können wir Parlamentarier
bewerten, wie die Bundesregierung gearbeitet hat. Es ist
auf den ersten Blick wie trocken Brot: ein bisschen fade,
dient aber der Ernährung. Dennoch hat dieser Bericht
eine hohe politische Bedeutung.

Der Straßenbaubereich ist einer der größten Investi-
tionsposten des Bundeshaushalts. Die Investitionen
kommen zum allergrößten Teil den Unternehmen und da-
mit den Arbeitnehmern in Deutschland zugute. Auch der
Nutzen der Investitionen entfaltet sich unmittelbar. Ohne
gute Straßenverbindungen, ohne eine funktionierende In-
frastruktur – eine solche haben wir in Deutschland – wä-
ren wir nicht Exportweltmeister. Hier zeigt sich: Gute
Verkehrspolitik, gute Infrastrukturpolitik ist immer die
Voraussetzung für eine gute Wirtschaftspolitik.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch beim Aufbau Ost sind wir nicht mehr weit da-
von entfernt, die gesetzten Ziele zu erreichen. Es ist uns
in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit den ostdeut-
schen Landesregierungen gelungen, binnen relativ weni-
ger Jahre die Bundesfernstraßen in Ostdeutschland
grundlegend zu modernisieren und die größten Engpässe
zu beseitigen. Bis zum nahen Ende dieses Jahrzehnts
werden fast alle Neubaumaßnahmen im Autobahnbe-
reich abgeschlossen sein. Über 90 Prozent der Verkehrs-
projekte „Deutsche Einheit“ sind realisiert oder kurz vor
der Fertigstellung. Das ist ein großer Erfolg dieser Re-
gierung, aber auch der Gesellschaft insgesamt,


(Jan Mücke [FDP]: Auch der Vorgängerregierungen!)


und zwar nicht nur für Ostdeutschland, sondern für
Deutschland insgesamt; denn Deutschland profitiert ins-
gesamt, wenn der Osten aufholt. Deswegen kann man
sagen: Weiter so auf diesem Weg, Herr Minister! Wir
danken Ihnen dafür!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Straßenbaubericht dokumentiert die strukturel-
len Veränderungen, die wir mit unserer Verkehrspolitik
erreicht haben. Wir haben die Verkehrspolitik moderni-
siert. Im Straßenbaubericht ist auch unser Umwelten-
gagement dokumentiert worden. Wir finanzieren immer
mehr Maßnahmen im Bereich Lärmschutz, beim Radwe-
gebau und auch im Naturschutz. Daran zeigt sich, dass
wir in der Verkehrspolitik auf eine Kombination von
Mobilität, Ökonomie, aber auch Ökologie setzen. Das ist
moderne Verkehrspolitik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Straßenbaubericht dokumentiert ferner den Ein-
satz neuer Instrumente in der Verkehrssteuerung. Jeder
Stau, der nicht entsteht, ist eine Entlastung von Umwelt
und Wirtschaft. Mit der engeren Verknüpfung der Ver-
kehrsträger fördern wir eine stärkere Einbindung insbe-
sondere der Bahn, richtigerweise, aber auch der Binnen-
schifffahrt in die Transportketten. Hier verbinden wir
Umwelt und Wirtschaft ebenfalls. Das ist echte Nachhal-
tigkeit.

Der Straßenbaubericht dokumentiert schließlich die
Bereitschaft, nicht nur über neue Finanzierungsinstru-
mente zu reden, sondern auch aktiv nach Wegen zu su-
chen, sie einzusetzen. Der Bericht zeigt zum Beispiel,
dass die Lkw-Maut – wer hätte das nach den Start-
schwierigkeiten gedacht? – und damit der Einstieg in die
Nutzerfinanzierung ein voller Erfolg ist.


(Beifall bei der SPD – Jan Mücke [FDP]: Wo ist denn das Geld? Wieso wird dann immer weniger investiert, Herr Hübner?)


Wir werden die Mautsysteme weiter ausbauen, um
Verkehre steuern zu können. Auch hier verbinden wir
wieder Ökonomie, Ökologie und Verkehrssteuerung ver-
bunden mit einer besseren Finanzierung der Verkehrs-
wege in Deutschland – auch das gehört zu unserem mo-
dernen Ansatz.

Außerdem bestätigt der Bericht, dass Public-Private-
Partnership, öffentlich-private Partnerschaft, ein gutes
Instrument ist, wenn es im richtigen Moment verantwor-
tungsvoll eingesetzt wird. Ich will nicht sagen, dass dort
von vornherein alles gut gewesen ist. Aber wir haben ge-
lernt, wir haben es fortentwickelt. Mit den laufenden
A- und F-Modellen haben wir Erfahrungen gesammelt,
die wir für die nächste Generation der Public-Private-
Partnership-Modelle nutzen werden. Auch hier gilt in
meinen Augen, Herr Minister: Wir sind auf einem guten
Weg.

Schließlich wird im Straßenbaubericht noch ein Trend
dokumentiert, der die Straßenverkehrspolitik nachhaltig
verändern wird – das ist von einigen in der Debatte heute
schon angesprochen worden –: Die Neubaumaßnahmen
werden weniger; Ausbau und Erhalt von Bundesfern-
straßen gewinnen an Bedeutung. Damit wird nicht nur
die Zahl der Bändchen geringer, die wir durchschneiden
können; es verändert sich auch der politische Fokus.

Ernstzunehmende Kritiker wie der Bundesrechnungs-
hof weisen uns darauf hin, dass es bei der Erhaltung der
Bundesfernstraßen erhebliche Effizienzreserven gibt.
Dass der Bund bestellt, die Länder aber ausführen, zeigt
schon, dass hier möglicherweise Spielräume vorhanden
sind. Dass es außerdem keinerlei Vergleichsmaßstäbe für
effizientes Handeln gibt, erhärtet den Verdacht, dass In-
effizienzen vorhanden sein könnten. Einen Teil dieser
Spielräume sollten wir uns leisten; denn der von uns ge-
wollte Föderalismus wird nie ganz reibungslos funktio-
nieren. Wir können aber versuchen, das Miteinander von
Bund und Ländern bei der Straßenbauverwaltung effi-
zienter zu gestalten.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: So ist es!)


Im Rahmen der Föderalismuskommission II sollten wir
noch einmal einen Versuch unternehmen, um hier wei-
terzukommen; denn die Bürgerinnen und Bürger haben
das Recht, dass das Geld in diesem Bereich, das ja aus
Steuermitteln stammt, möglichst effizient eingesetzt
wird. Ich glaube, hier liegt noch eine kleine Aufgabe vor
uns, die wir angehen sollten.






(A) (C)



(B) (D)


Klaas Hübner

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Klar ist: Straßenbau ist weder Selbstzweck, noch ist
er des Teufels. In der richtigen Dimension und in Verbin-
dung mit einer umweltorientierten Verkehrspolitik sind
Straßen Lebensadern für Wirtschaft und Gesellschaft.
Unsere Straßenbaupolitik ist verantwortungsvoll und
stellt damit eine gute Investition in die Zukunft dar.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614505500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7394 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 h
sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf:

30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ent-
schließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des
Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über
den physischen Schutz von Kernmaterial

– Drucksache 16/8151 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Vorschriften zum begünstigten Flä-
chenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der

(Flächenerwerbsänderungsgesetz – FlErwÄndG)


– Drucksache 16/8152 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Hopfengesetzes

– Drucksache 16/8153 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem In-
ternationalen Übereinkommen von 2001 über
die Beschränkung des Einsatzes schädlicher

(AFS-Gesetz)


– Drucksache 16/8154 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Geset-
zes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes

(16. WSGÄndG)


– Drucksache 16/8188 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela

(RemsMurr)

der FDP

Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Hand-
gepäck von Flugreisenden auf den Prüfstand
stellen

– Drucksache 16/6641 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Tourismus

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz

(Herborn), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Systematische Weiterentwicklung der politi-
schen Bildung beim Thema Nationalsozialis-
mus

– Drucksache 16/8184 –
Überweisungsvorschlag:

Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht der Bundesregierung zur Zusammen-
arbeit zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und einzelnen, global agierenden, inter-
nationalen Organisationen und Institutionen
im Rahmen des VN-Systems

– Drucksache 16/5850 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst
Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Naturschutz praxisorientiert voranbringen –
Entwicklung der Wildtiere in Deutschland

– Drucksache 16/8077 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erb-
schaft- und Schenkungsteuer

– Drucksache 16/8185 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann,
Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlamentes und des Rates über den Schutz
der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte
Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfris-
tigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederver-
kaufs und Tausches derselben

– Drucksache 16/8187 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe,
Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine neue, effektive und an den Bedürfnis-
sen der Hungernden ausgerichtete Nahrungs-
mittelhilfekonvention

– Drucksache 16/8192 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Es handelt sich dabei um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Sie sind, wie ich sehe, damit einverstan-
den. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 31 a
bis 31 m sowie zu Zusatzpunkt 4. Dabei geht es um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 31 a:

– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzah-
lungen-Verpflichtungengesetzes
– Drucksache 16/7827 –

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des InVeKoS-Daten-Gesetzes
und des Direktzahlungen-Verpflichtungenge-
setzes
– Drucksache 16/8147 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)


– Drucksache 16/8223 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8223, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/7827 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Stimmt jemand dagegen? – Enthaltungen? –
Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh-
rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des In-






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
VeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-
Verpflichtungengesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/8223, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/8147 für erledigt zu erklären. Gleich-
wohl müssen wir über diese Empfehlung abstimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ist je-
mand dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Dr. Norman Paech, Monika Knoche, Hüseyin-
Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Eskalation im Atomkonflikt mit dem Iran ver-
hindern

– Drucksachen 16/4202, 16/7532 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/7532, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/4202 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist an-
genommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Frak-
tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke.

Bei den Tagesordnungspunkten 31 c bis 31 m geht es
nun um die Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
schusses.

Zunächst Tagesordnungspunkt 31 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 352 zu Petitionen

– Drucksache 16/8063 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 352 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 353 zu Petitionen

– Drucksache 16/8064 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Auch die Sammelübersicht 353 ist mit den Stim-
men des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 354 zu Petitionen

– Drucksache 16/8065 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 354 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ent-
haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 355 zu Petitionen

– Drucksache 16/8066 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 355 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 356 zu Petitionen

– Drucksache 16/8067 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 356 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 357 zu Petitionen

– Drucksache 16/8068 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 357 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 358 zu Petitionen

– Drucksache 16/8069 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 358 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Tagesordnungspunkt 31 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 359 zu Petitionen

– Drucksache 16/8070 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 359 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 360 zu Petitionen

– Drucksache 16/8071 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 360 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 361 zu Petitionen

– Drucksache 16/8072 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 361 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion
der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 362 zu Petitionen

– Drucksache 16/8073 –

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 362 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 4:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des
Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung
von Entscheidungen über die Sicherstellung
von Vermögensgegenständen oder Beweismit-
teln in der Europäischen Union

– Drucksache 16/6563 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/8222 –
Berichterstattung:

(VillingenSchwenningen)

Joachim Stünker
Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag

Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/8222, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6563 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktionen der FDP und Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP

Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen
Kommunistischen Partei, über offene Listen
der Partei DIE LINKE in Parlamenten Man-
date zu erlangen, und die damit verbundenen
Auswirkungen

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Dirk Niebel das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1614505600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der erstmalige Einzug einer Kommunistin seit
1953 in ein westdeutsches Landesparlament ist der Be-
leg dafür, dass die Linkspartei weiterhin versucht, Kom-
munisten und Stasispitzel in Deutschland gesellschafts-
fähig zu machen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mein Gott!)


Die Landtagsabgeordnete Christel Wegner, die als DKP-
Mitglied über die Liste der Linkspartei in den Nieder-
sächsischen Landtag eingezogen ist, hat in einem Inter-
view nicht nur die Wiedereinführung der Stasi gefordert,
sie hat auch noch den Mauerbau damit begründet, dass
verhindert werden sollte, dass die Westdeutschen mas-
senweise in die DDR kommen und dort die Waren zu






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Niebel
billigen Preisen aufkaufen. Der Geheimdienstkenner
Gregor Gysi hatte zum angerichteten Schaden sofort
eine Verschwörungstheorie parat. Er sagte: Das riecht
nach Verfassungsschutz.

Aus diesem Vorgang lernen wir zweierlei: Erstens.
Die Mauer gab es nur, damit die Wessis den Ossis die
nicht vorhandenen Bananen nicht wegkaufen konnten.
Zweitens. Wer auf diese Weise argumentiert, wird uns
demnächst auch erklären wollen, die DDR sei eine gi-
gantische Simulation der CIA gewesen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Öffnung der Listen für DKPisten bei der Links-
partei bedeutet nichts anderes, als dass das Gift der Dik-
taturverherrlichung schleichend in unsere Gesellschaft
einzieht. Diese schleichende DDR-Rehabilitierung se-
hen wir auch in diesem Hohen Hause. Seit dieser Legis-
laturperiode haben wir nicht mehr nur inoffizielle Sta-
sispitzel, sondern mit Herrn Lutz Heilmann einen
hauptamtlichen Mitarbeiter des Unterdrückungsregimes
in diesem Hause sitzen. Das soll uns zeigen, dass sich
diese Republik verändern kann, hin zu dem System-
wechsel, den die Linken bei der Parteigründung durch
die Rede ihres Vorsitzenden gefordert haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Hubertus Knabe, der Leiter der Stasigedenkstätte
in Berlin-Hohenschönhausen, hat sein Buch unter den
Titel „Die Täter sind unter uns“ gestellt. Das stimmt
ganz offensichtlich nicht nur für den Deutschen Bundes-
tag, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland
und den Versuch, die Kommunisten über die Linke Liste
in die Parlamente Westdeutschlands einziehen zu lassen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer sich in Hessen umschaut, wird feststellen, dass
der erste Linke-Spitzenkandidat nach der durch ihn vor-
genommenen Gleichsetzung des DDR-Schießbefehls an
der Mauer mit den Einsatzregeln der deutschen Bundes-
wehr in Afghanistan zurückgetreten wurde und durch ei-
nen Menschen ersetzt wurde, der Willi van Ooyen heißt
und jahrzehntelang Mitglied und Funktionär der Deut-
schen Friedens-Union gewesen ist, einer KPD-Nachfol-
georganisation, die von der DDR finanziert worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer sich die Wahllisten der Linken für die Bürger-
schaftswahl in Hamburg am kommenden Sonntag an-
schaut, wird feststellen, dass allein zehn DKP-Mitglieder
auf diesen Listen stehen,


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Sehr interessant!)


von denen Olaf Harms, der Landesvorsitzende der DKP,
der für die Bürgerschaft kandidiert, ganz klar die Ver-
staatlichung der Produktionsmittel für Deutschland for-
dert. Wenn das nicht die DDR mit anderen Mitteln ist,
dann weiß ich nicht, was die hier erreichen wollen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie von der Linksfraktion nutzen derzeit die krimi-
nelle Energie einiger Steuerbetrüger, um Wasser auf Ihre
Mühlen zu leiten.


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass das
verschwundene SED-Vermögen nicht auf den gleichen
liechtensteinischen Konten gelandet ist?


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn in mehr als 80 Jahren in mehr als 70 Ländern der
Welt mit mehr als 20 Milliarden teilnehmenden Proban-
den das Ergebnis eines Feldversuches immer das gleiche
gewesen ist – der Bankrott des Staates und der Ruf der
Menschen nach Freiheit –, dann liegt das nicht daran,
dass eine vermeintlich gute Idee vielleicht falsch umge-
setzt wurde, sondern dann liegt das an der falschen Idee
als solcher!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sage ich Ihnen: Wehret den Anfängen und
geht gegen die Extremisten von links und von rechts vor!
Wenn Sie als Linke noch halbwegs glaubwürdig bleiben
wollen, müssen Sie zunächst einmal alle DKP-Kandida-
ten von den hamburgischen Listen streichen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das geht doch gar nicht mehr!)


Spätestens seit gestern wissen wir aber auch, dass sich
die SPD in Hessen von den Kommunisten an die Regie-
rung bringen lassen will.


(Unruhe bei der SPD)


Kurt Beck sagt dazu: Dann machen wir es halt so. – Herr
Naumann, der Spitzenkandidat in Hamburg, war bei dem
Gespräch dabei.


(Garrelt Duin [SPD]: Sie nicht!)


Die SPD hat schon längst ihre Unschuld verloren –
spätestens seit der Tolerierung von Herrn Höppner in
Sachsen-Anhalt sowie der rot-roten Regierung in Meck-
lenburg-Vorpommern und in der Bundeshauptstadt. In
der Bundeshauptstadt gibt es rechnerisch eine Mehrheit
für Rot-Grün. Warum regieren Sie hier dann eigentlich
mit den Kommunisten?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Carstensen [SPD]: Wer hat in Hamburg mit Schill regiert?)


Erklären Sie den Menschen und der deutschen Öffent-
lichkeit vor der Hamburg-Wahl in diesem Hause ver-
bindlich, dass Sie jede Zusammenarbeit mit dieser
Gurkentruppe in Hessen und anderswo ausschließen!
Ansonsten verlieren auch Sie jedwede Glaubwürdigkeit.






(A) (C)



(B) (D)


Dirk Niebel

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Carstensen [SPD]: Wer hat denn in Hamburg mit der Schill-Partei koaliert?)


Ich komme zum Schluss. Hessen und Niedersachsen
haben eines deutlich gezeigt: Wer nicht wählt, wählt
links. Deshalb fordere ich alle Bürger in Hamburg auf:
Gehen Sie zur Wahl, und nehmen Sie Ihr Wahlrecht in
Anspruch!

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614505700

Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Koschyk für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1614505800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist mit Blick auf die Fraktion Die Linke/DKP interes-
sant,


(Lachen bei der LINKEN)


wer heute bei dieser dringend notwendigen Aktuellen
Stunde nicht da ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Dehm ist nicht da. Er war der Wegbereiter dieser
Verbindung zwischen DKP und Linken und auch der
Wegbereiter für den Einzug von Christel Wegner in den
Niedersächsischen Landtag. Weder Herr Gysi noch Herr
Lafontaine sind da.


(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Abgetaucht!)


Ich vermisse auch die Vizepräsidentin des Bundestages
von der Linken, Frau Petra Pau, die sich ebenfalls schon
in diese Debatte eingebracht hat. Ich vermisse ebenso
Herrn Ramelow. Was sagt uns dieses Fernbleiben? Es
sagt uns, dass der Rauswurf von Frau Wegner eine reine
Alibiveranstaltung ist. Zu dieser Schlussfolgerung
kommt man auch, wenn man sich einmal anschaut
– Herr Niebel hat es angesprochen –, wie viele Kommu-
nisten bei der Hamburg-Wahl für die Linke auf der Lan-
desliste, auf den Wahlkreislisten, aber auch auf den Be-
zirkslisten kandidieren.

Die Panorama-Moderatorin, die letzte Woche den in
Rede stehenden Beitrag anmoderiert hat, hat es auf den
Punkt gebracht, indem sie gesagt hat: Wo Linke drauf-
steht, sind Kommunisten drin.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das müssen sich die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld
der Hamburger Wahl wirklich einmal vor Augen führen.

Ich habe mir vorhin noch einmal den Panorama-Bei-
trag angesehen.

(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Bestimmt mehrmals am Tag!)


Anscheinend ist in der Öffentlichkeit bislang das Inter-
view mit Herrn Harms noch nicht angemessen beachtet
worden. In diesem Beitrag wird über eine vor kurzem
stattgefundene Kundgebung der Linken in Brandenburg
berichtet, auf der viele DKP-Fahnen zu sehen waren und
der vorvorletzte Verteidigungsminister der DDR, Herr
Keßler, eine markige Rede halten konnte.

Der Redakteur dieses Beitrags zitiert anschließend
aus dem DKP-Programm, in dem Solidarität mit der ehe-
maligen SED-Führung gefordert wird. Frage des Mode-
rators an Herrn Harms: Die SED-Führung war verant-
wortlich für Stasigefängnisse und Mauertote. Warum
erklärt sich die DKP solidarisch? – Antwort Herr Harms:

Weil das ein Verantwortungsbereich war, der ein
kleiner Bereich war, so ungut er auch möglicher-
weise gewesen ist. Gleichzeitig waren sie dafür ver-
antwortlich, dass in der DDR keiner hungern
musste.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja furchtbar!)


Ihr Rauswurf von Christel Wegner durch die Linke ist
so lange unglaubwürdig, solange Sie zulassen, dass so
jemand am kommenden Sonntag auf einer Liste der Lin-
ken für die Bürgerschaft in Hamburg kandidieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wissen Sie, was der eigentliche Skandal ist? Das jäm-
merliche Dementi von Herrn Gysi in dieser Panorama-
Sendung. Wissen Sie, was Herr Gysi dazu gesagt hat, als
er befragt wurde, was er von dem Fall Wegner und dem
Kandidaten Harms hält? Gysi hat sich ganz elegant hin-
gestellt und gesagt: Ich war dagegen – in Klammern hin-
zugefügt: dass Kommunisten auf unserer Liste kandidie-
ren –; wenn jemand, der die Meinung von Frau Wegner
teilt, mit der Linken ein Mandat erringt, wird dieser eben
in der Fraktion überstimmt. So ist Demokratie.

Hier zeigt sich, dass Kommunisten mit der Tarnkappe
der Linken – auch dieser schöne Begriff stammt aus die-
ser Sendung – der Weg in deutsche Parlamente geebnet
wird. Sie aber haben nicht einmal den Mut, eine solche
Debatte zu nutzen, um hier jemanden reden zu lassen,
der wie Herr Ramelow zu Recht sagt: Dehm soll in die-
ser Frage endlich einmal die Klappe halten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614505900

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Maurer für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zurufe von der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Maurer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614506000

Dies alles wird doch im Fernsehen übertragen. Halten

Sie sich also zurück!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ler-
nen wir aus den unterirdischen Reden des Kollegen
Niebel und des Kollegen Koschyk? Wir lernen daraus:
Es sind Wahlen in Hamburg, nicht wahr, Herr Kollege
Niebel? Das lerne ich aus Ihrer Rede. Das ist auch der
einzige Grund, warum Sie diese Aktuelle Stunde bean-
tragt haben. Es geht nicht um seriöse Fragen, sondern
vor der Wahl soll noch ein bisschen Dreck geschleudert
werden. Deswegen machen Sie das hier. Ich sage Ihnen
eines: Sie unterschätzen die Wählerinnen und Wähler
grandios.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich lerne aus Ihrer Rede: Der FDP geht es im Hinblick
auf die Wahlen in Hamburg offensichtlich dreckig.


(Lachen bei der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Sagen Sie mal etwas zur Stasi! – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zur DKP!)


– Das ist so. – Auch der CDU/CSU geht es nicht gut.
Jetzt dürfen Sie hier noch ein bisschen Klamauk ma-
chen, und am Montag werden Sie sich zum Katerfrüh-
stück versammeln.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Detlef Parr [FDP]: Gehen Sie doch mal auf die Thematik ein!)


– Ihretwegen gehe ich ganz bestimmt nicht auf die The-
matik ein


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


– ruhig –, sondern deswegen, weil es in diesem Land
Menschen gibt, die Fragen an uns gestellt haben. Diese
beantworte ich heute so, wie ich und übrigens auch der
Kollege Ramelow sie immer beantwortet haben.


(Christian Carstensen [SPD]: Und die anderen?)


Die Frage lautet: Wie haltet ihr es mit der Stasi und der
Mauer? Unsere Antwort heißt: Wer die Stasi und die
Mauer gut findet, hat in unseren Parlamentsfraktionen
nichts verloren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zurufe von der CDU/CSU)


Wer sich so äußert, dem wird das Gleiche passieren, was
die Fraktion unserer Partei in Niedersachsen gemacht
hat: Sie hat Frau Wegner


(Dirk Niebel [FDP]: Sie sitzt aber im Parlament über eure Liste!)


durch einstimmigen Beschluss aus der Fraktion ausge-
schlossen. Alles andere, was Sie hier probieren, ist aus
der Mottenkiste.
Herr Niebel, passen Sie auf: Dieses Haus ist ein ziem-
liches großes Glashaus.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist wohl wahr!)


Wer sich wie Sie eine Blockpartei mitsamt dem Vermö-
gen einverleibt hat,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


dem rate ich zu äußerster Zurückhaltung.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dirk Niebel [FDP]: Haben Sie sich schon einmal Stasiüberprüfen lassen?)


Auch Sie von der CDU/CSU haben sie sich einverleibt.
Sie haben mit Herrn Junghanns jemanden zum stellver-
tretenden Ministerpräsidenten und Minister gemacht, der
noch im Sommer 1989 die Mauer als einen antifaschisti-
schen Schutzwall bezeichnet hat. Ihn haben sie zum Mi-
nister und stellvertretenden Ministerpräsidenten ge-
macht. Da sind Sie alle ganz großartig.

Wenn ich hier im Parlament die Frage stellen würde
– passen Sie mit Biografien auf! –, wer schon alles, be-
vor er zu hohen Staatsämtern gekommen ist, in irgend-
welchen kommunistischen Bünden war, dann würde ich
bei dieser Suche außerordentlich erfolgreich sein.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eines sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir setzen
uns radikal und grundlegend mit den Verbrechen des
Stalinismus auseinander. Ja, das tun wir.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Christian Carstensen [SPD]: Das hat nur noch keiner gemerkt!)


Herr Niebel, ich lasse Ihnen den Versuch, geschichtliche
Tatsachen zu leugnen, nicht durchgehen – Sie brauchen
so eine grobe Antwort –: In den KZs der Nazis waren
Sozialdemokraten und viele Kommunisten.


(Dirk Niebel [FDP]: Und auch Liberale!)


Auch Liberale saßen im KZ. Nach 1945 waren es aber
die Liberalen, Herr Niebel, und die CDU/CSU, die ehe-
maligen hochrangigen Nazis und Mitläufern zu höchsten
Staatsämtern verholfen haben. Auch das gehört zur ge-
schichtlichen Wahrheit. Die einen saßen im KZ, und die
anderen sind zu hochrangigen Staatsämtern gekommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Deswegen empfehle ich Ihnen sehr viel Zurückhaltung.
Wenn Sie wollen, können wir eine große Geschichtsde-
batte führen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Und wie viele Nazis sind in der DDR in Führungspositionen gelangt?)


Ich komme zum Schluss. Sie können mit Dreck
schleudern, soviel Sie wollen – unsere Partei wird ge-
wählt, weil der von Ihnen geförderte finanzmarktgetrie-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Maurer
bene Kapitalismus den Menschen sein finsterstes Ge-
sicht zeigt.


(Dirk Niebel [FDP]: SED-Vermögen! – Zurufe von der CDU/CSU: Zur Sache! DKP!)


Deswegen werden wir gewählt. Das ist auch die richtige
Antwort.

Herr Niebel, wenn Sie uns loswerden wollen, sollten
Sie die Gesetze zurückzunehmen, die nach Dr. Hartz be-
nannt worden sind


(Dirk Niebel [FDP]: Der ist aber SPD! Das ist doch Ihre alte Partei!)


– Sie waren doch auch dafür –, dann empfehle ich Ihnen,
die Sklavenarbeit zu beenden, die unter dem Deckmantel
von Zeitarbeitsfirmen stattfindet; dann empfehle ich Ih-
nen, die Beteiligung an weltweiten Kriegen einzustellen.
Damit würden Sie uns in Schwierigkeiten bringen. Mit
Verunglimpfungen bringen Sie uns nicht in Schwierig-
keiten. Nach der Wahl in Hamburg sprechen wir uns
wieder.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614506100

Nun hat der Kollege Klaus Uwe Benneter für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Wie ist das nun in Hessen?)



Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1614506200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Herr Niebel, mir hat sich der Sinn dessen, was Sie
hier thematisiert haben, nicht so richtig erschlossen. Sie
wissen doch, dass wir im Deutschen Bundestag das
Wahlrecht kürzlich geändert haben: Sie haben mitbe-
stimmt, dass es künftig nicht mehr möglich ist, dass die
PDS Kommunisten über ihre Listen ins Parlament ver-
hilft.


(Dirk Niebel [FDP]: Was ist am Sonntag in Hamburg?)


– Bei der Wahl in Hamburg am Sonntag gilt das nicht.
Das Bundeswahlgesetz gilt nur für Bundestagswahlen
und nicht für Landtagswahlen. Deshalb ist es gut, dass
Herr Ramelow gesagt hat, dass man das auch bei allen
Landtagswahlen so handhaben wolle. Im Bundestag hat
die PDS noch dagegen gestimmt, als es darum ging, dass
Kandidaten verschiedener Parteien nicht gemeinsam auf
einer Liste kandidieren können. Für die Bundestagwah-
len ist das jetzt geklärt; es wird in Zukunft nicht mehr
vorkommen können, dass etwa, wie in Niedersachsen,
eine Kommunistin aus der Fraktion ausgeschlossen
wird, bevor sich das Parlament überhaupt konstituiert
hat.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber das Mandat hat sie trotzdem!)

Es ist Ironie des Schicksals, dass die PDS einem
längst vergessenen Haufen, der mit verworrenen Vorstel-
lungen die Verbrechen des Stalinismus zu relativieren
versucht, dazu verhilft, wieder in einem Parlament auf-
zutauchen.


(Dirk Niebel [FDP]: Die wollen das!)


Diether Dehm, der für die PDS im Bundestag sitzt und
auch über eine solche Liste in den Bundestag eingezogen
ist, meint, das relativieren zu können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo ist denn Herr Dehm? – Gegenruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]: Dahinten sitzt er!)


Wer die DKP auf die Liste nimmt, der weiß, was er
tut; der kann den Menschen nicht vormachen, ihm sei
nicht klar gewesen, dass da Kommunisten mit verschro-
benen Ideen und wirren Vorstellungen in die Parlamente
gewählt werden wollen. Die Ewiggestrigen müssen aus
den Parlamenten herausgehalten werden! Das ist der
Grund, warum wir unser Wahlrecht geändert haben. Wir
wollen Transparenz. Wir wollen wissen, wer auf den
Listen steht und wer für bestimmte Programme in Parla-
mente gewählt wird. Die PDS versucht, das durch solche
Listenverbindungen zu verheimlichen.

In Hamburg tritt Herr Harms – nicht harmlos – an.
Kollege Koschyk hat sich die entsprechende Panorama-
Sendung noch einmal angesehen. Das ist eigentlich je-
dem zu empfehlen; das kann jeder heute problemlos über
das Internet nachholen. Dieser Herr Harms ist auf der
Liste in Hamburg. Die Wählerinnen und Wähler wissen
jetzt, was in Hamburg auf sie zukommt. Sie haben die
Möglichkeit, die Linken dort aus dem Parlament heraus-
zuhalten. Sie haben die Möglichkeit, dafür zu sorgen,
dass hier ein klarer Schnitt gemacht wird – mit stalinisti-
schen Ideen, mit stalinistischen Vorstellungen, mit der
Verharmlosung der Stasi und dem Gutheißen von Ver-
brechen, die dort passiert sind. Die Wählerinnen und
Wähler in Hamburg sind aufgerufen, deutlich zu ma-
chen, dass die Linke, solange sie solche Kommunisten
auf ihren Listen duldet, in den Parlamenten nichts zu su-
chen hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das hat Kollege Ramelow gemeint, als er gesagt hat:
Dehm soll die Klappe halten.


(Zurufe von der LINKEN)


Das wird aber nicht ausreichen, um den Wählerinnen
und Wählern klarzumachen, dass auf diese Art und
Weise Leute ins Parlament gewählt werden, die, wenn
sie offen angetreten wären, nie eine Chance gehabt hät-
ten, in ein deutsches Parlament zu kommen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Typischerweise kommt dann Gysi mit der Haltet-den-
Dieb-Methode: Das war dann der Verfassungsschutz,






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Uwe Benneter

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Vielleicht kennt er sich gut aus, wie man das früher in der DDR gemacht hat!)


oder es waren andere Verschwörungen, die die offen-
sichtlich umnachtete Frau Wegner dazu veranlasst ha-
ben, sich gegenüber Panorama-Redakteuren so zu äu-
ßern. Wir sollten Ihnen nachsehen, was für Leute Sie auf
Ihre Listen genommen haben. Auch im Bundestag haben
wir einen Kollegen, der zwar auf der Liste der PDS
stand, aber dann sehr schnell als fraktionsloser Abgeord-
neter hier saß und immer noch sitzt. Diese Fraktionslo-
sen gehen ja nicht aus dem Parlament, auch wenn sie
von der PDS dazu aufgefordert werden.


(Dirk Niebel [FDP]: Weil das ein erfolgreicher Kleinunternehmer war!)


Nein, sie sitzen hier noch länger und verharmlosen wei-
ter die Verbrechen des Stalinismus. Dem, denke ich,
können die Wähler Einhalt gebieten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Was ist jetzt mit Hessen?)


Die FDP in Hamburg ist offensichtlich die Partei, die
sich für Raucher mit Kampfhunden und gegen Leinen-
zwang einsetzt.


(Heiterkeit bei der SPD)


Bezüglich des Kölner Stadt-Anzeigers, Kollege
Niebel, sage ich: Wenn sich die Zeitungen Falschmel-
dungen ausdenken


(Dirk Niebel [FDP]: Ich habe kein Dementi gehört!)


und unter dem Hinweis, dies sei in Zeitungskreisen be-
kannt geworden, in die Zeitung setzen, dann kann man
wirklich nicht erwarten, dass solche Falschmeldungen
auch noch von denjenigen dementiert werden, die immer
klargemacht haben, dass dies Falschmeldungen sind.


(Dirk Niebel [FDP]: Wo ist das Dementi?)


Die SPD wird sich weder in Hessen noch in Hamburg
von der Linkspartei wählen lassen, wenn die FDP ihrer
Verantwortung nachkommt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der FDP: Oh!)


Die FDP hat dort ihre staatsbürgerliche Verantwortung
wahrzunehmen; dazu ist sie aufgefordert. Das können
Sie hier mit solchen Aktuellen Stunden nicht vernebeln.


(Beifall bei der SPD – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das war ein Eigentor!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614506300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614506400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Maurer, Sie haben gezeigt, dass Sie die berechtigten Fra-
gen, die die Menschen an Sie stellen, gar nicht ernst neh-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir haben wirklich eine seltsame Veranstaltung erlebt.
Das DKP-Mitglied – und linke Abgeordnete – Christel
Wegner erklärt uns, dass man in einer sozialistischen Ge-
sellschaft eine Stasi braucht, um die reaktionären Ele-
mente in Schach zu halten. Die führenden Vertreter der
Linken reagieren darauf, als erlebten sie gerade eine
große politische Kinderüberraschung. Das Überra-
schungsei geht auf, und man wundert sich, was heraus-
purzelt:


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ach, da stand DKP drauf; oh, da ist sogar DKP drin.


(Dirk Niebel [FDP]: Unglaublich!)


Es ist doch wirklich billig, wie Sie darauf reagiert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Herr Gysi sieht in seiner ersten Überraschung den
Verfassungsschutz am Werk. Da hätte der Satz von Bodo
Ramelow: „Wer Unsinn redet, hat bei uns keinen Platz“
zur Anwendung kommen können.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Herausgekommen ist: Das war nicht der Verfassungs-
schutz – das war aber auch keine Überraschung –, son-
dern das war der Originalton marxistisch-leninistischer
Grundschulung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Die einschlägigen Lehrbücher aus der DDR über die
Grundlagen des dialektischen Materialismus konnte man
in den 70er-Jahren auch im Westen lesen.


(Dirk Niebel [FDP]: Das werden die aber schon viel früher so gesagt haben!)


Ich fände es schon seltsam, wenn ich die Einzige in
diesem Hause sein sollte, die sich noch dunkel daran er-
innert, was in diesen Büchern gestanden hat. Ich will Ih-
rem Gedächtnis einmal auf die Sprünge helfen und den
„freundlichsten“ der einschlägigen Theoretiker, nämlich
Friedrich Engels, zitieren:

Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht,
gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit,
sondern der Niederhaltung seiner Gegner …

Das ist fast Originalton Frau Wegner.


(Dirk Niebel [FDP]: Ja, genau!)


Ich kann Ihnen gerne auch härteren Stoff aus Lenins
„Staat und Revolution“ oder etwa Maos Satz „Die Revo-






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager
lution ist kein ... Deckchensticken“ nachliefern, wenn
das hier gefragt ist.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Was Frau Wegner gesagt und Herr Dehm verteidigt
hat, gehört schlichtweg zum theoretischen Grundgerüst
des Marxismus-Leninismus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es läuft auf ein taktisches Verhältnis zur Demokratie und
auf eine Relativierung von Menschenrechten und
Rechtsstaat hinaus.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das höhere Ziel ist der Sozialismus. Menschenrechte
und Demokratie sind ihm unter Zweckmäßigkeitsge-
sichtspunkten untergeordnet. Das war die theoretische
Basis für die Rechtfertigung des Mauerbaus, des Schieß-
befehls und der Zerstörung von Leben in der DDR; so
einfach ist das manchmal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sie sind dafür verantwortlich, dass Menschen, die auch
heute immer noch nach genau dieser theoretischen Ma-
xime ticken, jetzt der Weg in deutsche Parlamente ge-
ebnet wird.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, wor-
über wir hier reden: Wir reden nicht davon, dass man
Menschen, die vor 20 Jahren in der DKP waren, sich in-
zwischen aber weiterentwickelt haben, jetzt ihre Vergan-
genheit vorhält.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja, genau! – Dirk Niebel [FDP]: Die wären jetzt ja auch bei den Grünen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)


Wir reden von Menschen, die 18 Jahre nach der Wieder-
vereinigung immer noch auf der gleichen kommunisti-
schen Stelle treten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


die ihr Denken 40 Jahre lang nicht geändert haben und
darauf auch noch stolz sind. Diese Leute halten sich
heute für Helden. Ich sage: Die haben ein gestörtes Ver-
hältnis zur Demokratie, und Sie helfen denen heute in
die Parlamente. So sieht es doch aus!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Was glauben Sie denn, wer in Hamburg eine Partei
mit dem Etikett „Alte DKP“ wählen würde? Was glau-
ben Sie denn, wer eine Partei mit dem Etikett „Bund
Westdeutscher Kommunisten“ wählen würde? Aber Sie
pappen das harmlos klingende Etikett „Die Linke“ drauf.

(Dirk Niebel [FDP]: Die wollen doch nur spielen!)


Und bums: Die zehn Kandidaten der DKP in Hamburg
sind in Sektlaune, weil sie von Ihnen sozusagen durch-
geschleust werden. Hören Sie doch auf, uns Ihr linkes
Trojanisches Pferd als Unschuldslamm zu verkaufen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist wirklich nicht so, als wüssten Sie nicht, welche
Kandidaten Sie sich da zusammengesucht haben. Was
Sie stört, ist aber nicht etwa, dass sich jemand, der der
DKP angehört, auf Ihrem Ticket auf dem Weg in ein Par-
lament befindet. Was Sie stört, ist, dass Ihre seltsamen
Genossen ins Scheinwerferlicht geraten sind und sich
verplappert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Dann müssen sie eben weg wie Frau Wegner. Hier funk-
tioniert Ihr Mechanismus, dass der einzelne Mensch für
die große Sache geopfert werden muss, immer noch her-
vorragend.

Ich sage Ihnen: Herr Gysi und Herr Ramelow sind
bestenfalls geschickt. Vielleicht ist das sogar eine wich-
tige politische Teilfähigkeit. Aber verkaufen Sie uns in
diesem Hause Geschicklichkeit nicht als Moral!


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Hören Sie auf, so zu tun, als hätten Sie den Alleinvertre-
tungsanspruch für das Gute in der Welt! Sie haben eine
Menge Hausaufgaben, die Sie noch nicht gemacht ha-
ben.


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1614506500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kristina Köhler für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1614506600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu
Herrn Maurer. Herr Maurer, Sie haben uns eben treuher-
zig erklärt, dass sich die Linkspartei mit den Verbrechen
des Stalinismus ernsthaft auseinandergesetzt habe. Ich
möchte daher zitieren, was die Kommunistische Platt-
form davon hält, einen Gedenkstein für die Opfer des
Stalinismus zu errichten. Die Kommunistische Plattform
schreibt wörtlich:

Ein Stein, der pauschal an alle erinnert, die unter
Stalin zu Tode kamen oder Haftstrafen verbüßten,
ist für uns inakzeptabel.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!)







(A) (C)



(B) (D)


Kristina Köhler (Wiesbaden)

Das zeigt: Das Problem ist nicht nur die DKP. Die Kom-
munistische Plattform ist Teil der Linkspartei; das Pro-
blem ist somit die Linkspartei an sich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das kann man an einem Artikel, der in der heutigen
taz steht, wunderbar nachvollziehen. Die taz zitiert nicht
nur Herrn Harms – der heute schon viel zitiert wurde –,
sondern auch einen Kreischef der Linken. Auch dieser
singt allen Ernstes das Hohelied der DDR und der guten
Seiten der Stasi. Wer meint, Frau Wegner, Herr Harms,
die DKPler seien Ausrutscher auf den Listen der Links-
partei, der irrt gewaltig. Die DKP steht nämlich nicht
links von der Linken; sie steht fest in deren Mitte.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Sie können Herrn Gysi ausrichten: Die DKPler wurden
nicht etwa vom Verfassungsschutz auf Ihre Listen ge-
setzt, sondern von der Linkspartei selbst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Frage nach der historischen Einordnung der DDR,
die Frage der Würdigung der Opfer des Kommunismus,
die Frage nach der Abschaffung unserer freiheitlich-de-
mokratischen Grundordnung, diese Fragen treffen Sie,
meine Damen und Herren von der Linkspartei, mitten ins
Herz; denn Sie haben sich bis heute nicht entschieden, ob
Sie unsere Demokratie bloß reformieren oder ob Sie sie
bekämpfen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Ich rede hier nicht, wie man vermuten könnte, von
Standpunkten aus Zeiten des Kalten Krieges; ich rede
von der Linken, wie sie sich heute darstellt.

Schauen wir uns einmal die Programmatischen Eck-
punkte an, die die Linken im Jahr 2007 beschlossen ha-
ben! Beispiel Nummer eins:

Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das
größte Gegengewicht wegfiel, konnten sich die zer-
störerischen Tendenzen des ungehemmten kapita-
listischen Marktes immer mehr entfalten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich halte fest: Die Linke bedauert den Zusammenbruch
der Sowjetunion, weil diese angeblich die Marktwirt-
schaft in Schach gehalten hat. Das ist genau die Logik,
der zufolge die Berliner Mauer ein antikapitalistischer
Schutzwall war.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nichts anderes hat Frau Wegner gesagt.

Ein weiteres Beispiel aus den Eckpunkten der Linken;
es trifft den Kern dieser Debatte. Die Linke stellt die
Frage:

Inwieweit müssen dazu
– es geht um die, wie es heißt, Demokratisierung der
Wirtschaft –

auch kapitalistische Eigentumsverhältnisse aufge-
hoben werden?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir dürfen uns nichts erzählen lassen! Es geht hier nicht
um Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes – Sozialpflichtig-
keit des Eigentums –, sondern um einen Kern unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung, nämlich um
das Recht auf Eigentum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


An dieses Eigentum will die Linke ran.

Ich habe hier einen Wahlkampfflyer der Hamburger
Linken, die nächsten Sonntag zur Wahl stehen. Da
schreibt die Linke ganz offen:

Deshalb liegt unser Ziel im Aufbau eines demokra-
tischen Sozialismus,

– gut, das möchte unser Koalitionspartner auch –


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


in dem das Privateigentum an Produktionsmitteln
überwunden ist.

Im Klartext: Die Sozialisten wollen die Enteignung der
großen und kleinen Unternehmen von Maschinen und
Grundeigentum. Sie fordern die Enteignung des kleinen
Handwerkers von nebenan. Sie fordern volkseigene Be-
triebe.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist es, was mir wirklich Sorgen macht.

Es wäre anmaßend, jemandem vorzuwerfen, dass er
in der SED war. Es wäre sicherlich auch falsch, zu sa-
gen, jeder Wähler der Linkspartei wolle, dass die Hand-
werker enteignet werden. Aber wenn in einem Pro-
gramm der Linken aus dem Jahr 2007 ernsthaft wieder
der Niedergang der kommunistischen Sowjetunion be-
trauert und über eine Enteignung von Unternehmern
nachgedacht wird, dann zeigt dies eines: Unser Problem
sind nicht Frau Wegner und Herr Harms von der DKP,
sondern unser Problem ist die Linkspartei an sich, weil
sie nichts gelernt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614506700

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort Carl-Ludwig

Thiele, FDP.


(Beifall bei der FDP)



Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1614506800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass der Kollege






(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
Maurer zu Anfang erklärt hat, dass sich die Linkspartei
um die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und
auch um die Aufarbeitung der DDR bemüht habe. Wir
sollten uns einmal anschauen, was die DKP eigentlich
war. Ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung vom ges-
trigen Tage:

Die Deutsche Kommunistische Partei … wurde
1968 gegründet, sie gilt als Ersatzorganisation der
im Jahr 1956 vom Bundesverfassungsgericht ver-
botenen KPD. Die DKP war bis zum Zusammen-
bruch der DDR eine von der SED finanzierte west-
deutsche Kaderpartei …


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel [SPD])


Erinnern wir uns, wie es mit dem Parteivermögen der
SED war und wer für das Parteivermögen der SED ver-
antwortlich war. Es war Herr Gysi. Herrn Gysi ist von
der Unabhängigen Kommission bescheinigt worden,
dass er verschleiert habe, wo dieses Geld der SED ge-
blieben ist, das vorher den Bürgern der DDR abgenom-
men wurde.


(Dirk Niebel [FDP]: Liechtenstein!)


Bis heute sind an dieser Stelle nicht alle Klarheiten be-
seitigt. Das ist die Partei, die die DKP finanziert und am
Leben erhalten hat und die heute sagt, mit ihr habe sie
nichts zu tun. Dies verstehe ich nun beim besten Willen
nicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich freue mich über die Präsenz bei dieser Aktuellen
Stunde, die bei der SPD vielleicht noch etwas stärker
hätte sein können. Aber ich finde es auf der anderen
Seite auch ein bisschen traurig, dass dieses Thema aus-
schließlich von der FDP beantragt wurde. Dies hätte
auch den Grünen gut angestanden, die noch „Bünd-
nis 90“ im Namen führen.


(Beifall bei der FDP)


Es hätte auch der Union gut angestanden, unserem An-
trag beizutreten; denn die Bedeutung dieser Aktuellen
Stunde geht in der politischen Dimension weit über das
hinaus, was wir hier derzeit diskutieren.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist jetzt kleinlich! Das ist kleines Quadrat!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
DDR war ein Unrechtsstaat. Durch den Bau der Mauer
mit dem Todesstreifen wurde ein ganzes Volk gefangen
genommen. Hunderte von Menschen haben an der
Grenze ihr Leben gelassen. Dann kommt eine neu ge-
wählte Landtagsabgeordnete der Linkspartei und recht-
fertigt auch hinsichtlich dieser Menschen und eines gan-
zen Volkes, das von der Mauer gefangen gehalten
wurde:

Der Bau der Mauer war in jedem Fall eine Maß-
nahme, um zu verhindern, dass weiterhin Westdeut-
sche in die DDR konnten.
Dies zeigt, dass immer noch in dieser Kategorie gedacht
wird. Dafür ist auch kennzeichnend, dass sich diese Per-
son bei einer anderen Mehrheit die Stasi wieder
wünscht, wie sie es tatsächlich gesagt hat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Weil Sie, Herr Maurer, die Glaubwürdigkeit ange-
sprochen haben, empfehle ich Ihnen, genauso zu han-
deln, wie es die FDP-Fraktion getan hat. Seit der deut-
schen Einheit haben sich zu Beginn einer Wahlperiode
alle unsere Mitglieder freiwillig auf eine Stasi-Mitarbeit
überprüfen lassen. Wenn man Transparenz braucht,
braucht man sie auch in diesem Bereich.


(Dirk Niebel [FDP]: Die schreiben ja sogar in den Kürschner, dass sie bei der Stasi waren!)


Das sollte auch von Ihnen gemacht werden. Alles andere
sind Lippenbekenntnisse, um die alten Stalinisten in Ih-
rer Partei nicht zu verprellen. Das ist doch der Hinter-
grund.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da wird doch nur formal eine Auseinandersetzung
geführt, die inhaltlich überhaupt nichts bedeutet, weil
viele nach wie vor der untergegangenen DDR nachtrau-
ern. Wer genauer hinsieht, erkennt: Diese Trauer ist un-
gerechtfertigt, weil die Menschen gefangen genommen
und beschnüffelt wurden und weil ein Unrechtsregime
herrschte, das in sozialistischen Staaten häufiger zu fin-
den war. Das ist eben nicht der Staat, den wir uns in der
Bundesrepublik Deutschland wünschen. Deshalb müs-
sen wir alles daransetzen, dass Personen, die dieses Ge-
dankengut verkörpern und als Abgeordnete versuchen,
dafür zu werben, keine Mandate erhalten. Sollten sie
doch Mandate erhalten, dann dürfen sie zumindest nicht
die Regierung maßgeblich mitbestimmen.

Aber in dieser Hinsicht erleben wir gerade etwas an-
deres. In Mecklenburg-Vorpommern gab es schon eine
rot-rote Koalition. In Berlin gibt es derzeit die zweite
rot-rote Koalition. In der SPD gehen die Reihen ganz
schön auseinander. Ich behaupte nicht, dass jeder die Zu-
sammenarbeit mit der Linkspartei möchte. Aber Sie wis-
sen genau so gut wie ich, dass viele von Ihnen dies wün-
schen. An dieser Stelle muss man an Hessen denken.
Wann kommt es in den westdeutschen Parlamenten
dazu, dass die Linkspartei an Macht gewinnt, in dem sie
zum Beispiel Frau Ypsilanti den Steigbügel reicht, damit
sie Ministerpräsidentin werden kann? So, wie die ge-
samte Diskussion verläuft, wird die SPD wohl so vorge-
hen.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist Ihre Verantwortung!)


– Das ist nicht unsere Verantwortung, sondern Ihre, Herr
Benneter. Wir haben uns vor der Wahl eindeutig erklärt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Carl-Ludwig Thiele
Sie haben sich ebenfalls erklärt, und zwar vor der Wahl
wie nach der Wahl. Wir werden sehen, ob Ihre Ankündi-
gungen eingehalten werden. Ich habe massive Zweifel.


(Dirk Niebel [FDP]: Wie bei der Mehrwertsteuer!)


– Genau wie bei der Mehrwertsteuer: Vor der Wahl
wollte Frau Merkel die Mehrwertsteuer um 2 Prozent-
punkte erhöhen – das war für die SPD die sogenannte
Merkelsteuer –; nach der Wahl wurde sie um 3 Prozent-
punkte erhöht.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614506900

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1614507000

Dass Sie nicht mehr daran erinnert werden möchten,

verstehe ich zwar, aber Sie müssen daran erinnert wer-
den; denn ich habe die Sorge, dass Sie wieder so handeln
werden und ein Wahlversprechen brechen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614507100

Ich gebe dem Kollegen Sebastian Edathy, SPD-Frak-

tion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1614507200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Transparenz gehört zu den Wesensmerkmalen des deut-
schen Wahlrechts. Es muss eine Selbstverständlichkeit
sein, dass die Wählerinnen und Wähler – egal wo sie zu
den Wahlen eingeladen werden – davon ausgehen kön-
nen, dass die auf den Listen zur Wahl stehenden Parteien
von Menschen getragen werden, die hinter dem Pro-
gramm der jeweiligen Partei stehen.

Wir haben im Deutschen Bundestag erst vor wenigen
Wochen diesbezüglich Konsequenzen gezogen. Ich hatte
bereits in der letzten Legislaturperiode einen entspre-
chenden Vorschlag eingebracht. Denn es ist ein Unding,
wenn sich Kleinstparteien, um ihre Wahlchancen zu er-
höhen, zusammenschließen, formal nur eine Partei an-
tritt und die anderen huckepack genommen werden, in-
dem entsprechende Kandidaten auf den Listen der
kandidierenden Partei aufgestellt werden.


(Dirk Niebel [FDP]: Trittbrettfahrer!)


Ich hatte das damals mit Blick auf Verabredungen
zwischen NPD und DVU vorgeschlagen, die Wahlab-
sprachen mit Blick auf mehrere Landtagswahlen und die
Bundestagswahl getroffen hatten. Es trat nur eine Partei
an; Kandidaten aus den Reihen der anderen Partei konn-
ten sich aber auf die Listen setzen lassen. Ich glaube, das
ist Irreführung und Täuschung der Wähler. Es ist richtig,
dass wir das im Bundestag geändert haben. Ich kann nur
an die Kolleginnen und Kollegen in den Länderparla-
menten appellieren, sich das zum Vorbild zu nehmen,
um sicherzustellen, dass Wählerinnen und Wähler nicht
sozusagen eine Fata Morgana wählen, sondern eine Par-
tei, die in sich konsistent ist.

In Hamburg ist die Gesetzeslage anders. In Hamburg
ist es noch möglich, dass Kandidaten anderer Parteien
auf einer Parteiliste kandidieren. Solange das möglich
ist, ist es eine Frage des Anstands jeder einzelnen Partei,
ob sie diese gesetzliche Lücke nutzt. Die PDS hat sich
entschieden, diese Lücke zu nutzen. Wenn Sie das tun,
liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen Sie sich
auch zurechnen lassen, wer bei Ihnen kandidiert.

Ich habe heute Morgen im Internet im Programm der
DKP aus dem Jahr 2006 Folgendes gelesen – ich will
nur einige Sätze zitieren –:

Die Deutsche Demokratische Republik hat unter
Führung der SED der Macht des deutschen Impe-
rialismus Grenzen gesetzt. Vier Jahrzehnte lang war
in einem Teil Deutschlands die Herrschaft der Mo-
nopole und Banken beseitigt. Die Befreiung vom
Faschismus hatte dem deutschen Volk günstige
Möglichkeiten für die Schaffung einer antifaschis-
tisch-demokratischen Ordnung in ganz Deutschland
eröffnet. Allerdings wurde diese Chance in konse-
quenter Weise nur im östlichen Teil, in der sowjeti-
schen Besatzungszone und späteren DDR, genutzt.

Mit der DDR entstand auf deutschem Boden eine
sozialistische Alternative zum deutschen Imperia-
lismus. Die DDR, ihr konsequenter Antifaschis-
mus, ihr Eintreten für Frieden, Entspannung und
Abrüstung sowie die Verwirklichung elementarer
sozialer Grundrechte gehören zu den größten Er-
rungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung
und sind Teil des humanistischen Erbes in Deutsch-
land. ... Die Niederlage des Sozialismus ist zugleich
das Ergebnis der äußeren und inneren Konterrevo-
lution.


(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
wie Sie sich aktuell nennen, wenn Sie Kandidaten einer
Partei, die diesen zynischen und menschenverachtenden
Unsinn propagiert, auf Ihre Wahllisten setzen, dann müs-
sen Sie sich solche Positionen auch zurechnen lassen;
das ist ganz klar.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagen, die Liste in Hamburg sei eingereicht und
könne nicht mehr zurückgezogen werden. Wenn dem so
wäre und Sie es ernst meinten, dann könnten Sie heute
im Deutschen Bundestag erklären, dass für den Fall, dass
Ihre Bürgerschaftsfraktion in Hamburg Mitglieder hat,
die der DKP angehören, diese Mitglieder ausgeschlossen
werden. Wenn Sie das nicht tun, dann ist das ein Mangel
an Glaubwürdigkeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Dann sitzen sie aber immer noch im Parlament!)







(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy
Ich hoffe, dass sich die Wählerinnen und Wähler
nicht nur am kommenden Sonntag in Hamburg vor Au-
gen führen, dass die PDS alles andere als eine Partei ist,
die für Ziele arbeitet. Meine Damen und Herren von der
Linkspartei, Sie sind eine reine Protestbewegung. Das
wird auch an Ihrem Personal deutlich. Sie haben mit
Oskar Lafontaine einen Fraktionsvorsitzenden, dem nur
eines wichtig ist, nämlich er sich selber. Die PDS segelt
auf einem Boot ohne Kompass. Es kann passieren, dass
hin und wieder der Wind weht und sich die Segel blähen.
Aber die Wählerinnen und Wähler werden über kurz
oder lang erkennen, dass Sie keinen Kurs und kein Ziel
haben und dass bei allen Problemen, die wir in Deutsch-
land haben, die Lösungskompetenz noch immer bei den
eindeutig demokratischen Parteien liegt. Eine Partei, die
Kommunisten, die die DDR verherrlichen, auf ihre Lis-
ten setzt, weckt Zweifel an ihrer demokratischen Zuver-
lässigkeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614507300

Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bernhard Kaster (CDU):
Rede ID: ID1614507400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! In der heutigen Aktuellen Stunde befas-
sen wir uns im Prinzip mit zwei Problembereichen. Der
eine ist der formal-wahlrechtliche Problembereich – dazu
ist schon einiges gesagt worden –, und der andere ist die
politische Dimension. Sie stellt das eigentliche Kernpro-
blem dar, über das wir hier zu sprechen haben.

Zum Wahlrecht haben die Kollegen Edathy und
Benneter schon einiges gesagt. Wir haben im Bundestag
geregelt, dass man bei der Bundestagswahl formal nur
für eine Partei und nicht gleichzeitig noch für eine an-
dere kandidieren kann. Aber mit dem Wahlrecht alleine
ist es nicht getan. Das eigentliche Problem ist damit
nicht gelöst. Ob mit oder ohne DKP-Mitgliedschaft, es
werden auf den Listen der Linken immer wieder Kom-
munisten kandidieren. Das muss uns bewusst sein.

Der Ausschluss der niedersächsischen DKP-Abge-
ordneten aus der Fraktion Die Linke und die distanzie-
renden Äußerungen von Herrn Ramelow sind taktische
Wahlkampfmanöver oder – besser gesagt – reine Heu-
chelei. Das will ich auch begründen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Der gleiche Herr Ramelow hat erst vor wenigen Tagen,
am 7. Februar, in einer Phoenix-Runde stolz erklärt, die
Linke sei nicht die Nachfolgepartei der SED, nein, sie
sei mit ihr identisch. Wo Herr Ramelow recht hat, hat er
recht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die enge Verbandelung der SED, die sich heute Die
Linke nennt, mit der DKP hat eine lange Tradition. Ich
erinnere an die Ergebnisse der Unabhängigen Kommis-
sion „Parteivermögen“. Danach hat die DKP in den Jah-
ren 1981 bis 1989 Zahlungen in Höhe von über
500 Millionen DM erhalten; das ist erwiesen. Des Weite-
ren haben die DKP und die Linke seit Jahren gemein-
same Vorbilder. Ein Beispiel ist der verstorbene ehema-
lige DDR-Auslandsspionagechef und erste Stellvertreter
von Stasi-Chef Mielke, Markus Wolf. Im Nachruf des
Parteiorgans der DKP Unsere Zeit wird Markus Wolf als
kluger, aufrechter und dem Sozialismus zutiefst verbun-
dener, warmherziger und standhafter Kommunist ge-
schildert.

Er sei seinen Weg stets aus Überzeugung gegangen.
Bei der Linken liest sich dies laut Neues Deutschland
wie folgt:

Wir trauern um unseren Freund und Genossen, ...
der aufrecht durch sein Leben ging.

Die Anzeige war unter anderem auch von Frau Petra
Pau unterzeichnet.

Heute schickt man nun gemeinsame Kandidaten in
die Wahlkämpfe, zunächst in Niedersachsen und jetzt in
Hamburg den ehemaligen Direktkandidaten der DKP
und heutigen DKP-Bezirksvorsitzenden. Eine Vielzahl
weiterer Kandidaten ist auf den Bezirkslisten zu finden.
Vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte
erfüllt es mich mit großer Sorge, dass extremistische
Parteien wieder in deutschen Parlamenten Fuß fassen.
Links- und Rechtsextreme dürfen nicht wieder, und zwar
egal mit welchen Steigbügelhaltern, politischen Einfluss
in Deutschland gewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Auch dürfen wir nicht in unserem Bemühen nachlassen,
weiter vor den Extremisten zu warnen. Die SED hat
schon einmal mit einem menschenverachtenden Unter-
drückungssystem unser Land ruiniert.

Ich selbst komme aus Trier, der Geburtsstadt von Karl
Marx. Ich selbst und jeder, der sich mit ihm beschäftigt,
weiß, dass die ärmlichen Lebensumstände in Deutsch-
land und Europa am Anfang des 19. Jahrhunderts seine
politische Philosophie geprägt haben. Heute aber stehen
wir am Beginn des 21. Jahrhunderts, und zudem wissen
wir, wie viel Unglück und Unterdrückung der Marxis-
mus im vergangenen Jahrhundert der Menschheit ge-
bracht hat. Wenn heute Kandidaten für den Landtag von
Niedersachsen Sehnsucht nach der Stasi haben oder sol-
che in Hamburg die Verstaatlichung der Wirtschaft for-
dern, dann sind das keine Ausrutscher. Die Frankfurter
Allgemeine Zeitung hatte recht, als sie am 16. Februar
kommentierte:

Die westdeutschen Kader können sich einfach noch
nicht so gut verstellen.

Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Bernhard Kaster

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614507500

Nächster Redner ist der Kollege Christian Carstensen,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU])



Christian Carstensen (SPD):
Rede ID: ID1614507600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ak-

tuelle Stunde hat heute einen langen Titel. Man kann ihn
– das ist zum Teil hier schon gemacht worden – auf die
Frage verkürzen: Was handeln wir uns da eigentlich ein?
Was handeln sich eigentlich die Wählerinnen und Wäh-
ler der Landesparlamente ein, wenn sie nicht zur Wahl
gehen, weil sie glauben, es sei egal, welche Partei und
welche Abgeordneten im Parlament sind, und dadurch
den prozentualen Anteil dieser Truppe erhöhen? Manche
werden sogar ihr Kreuz bei der PDS machen in der An-
nahme, man könne es einmal im Westen mit dieser Ost-
partei probieren. Eine Ostpartei ist es, das können wir
hier im Deutschen Bundestag an der Vielzahl der Rede-
beiträge und Anträge sehen; von gesamtdeutscher Ver-
antwortung ist da überhaupt nichts zu spüren.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist wirklich lächerlich!)


Deshalb ist auch ganz klar, dass so eine Partei in west-
deutschen Landesparlamenten überflüssig ist.

Bisher gibt es die PDS in drei Landesparlamenten.
Das erste Beispiel ist Bremen. Dort beschäftigt sich die
Fraktion der Linken mit allem, nur nicht mit den Sorgen
der Bremerinnen und Bremer. Sie machen Schlagzeilen
mit Liebes-SMS und mit komischen Mails. Ein weiteres
Beispiel ist Hessen, wo 5,1 Prozent der Wählerinnen und
Wähler durch ihre aus meiner Sicht falsche Entschei-
dung verhindern, dass wir einen klaren Schnitt und so-
ziale und ökologische Politik machen können.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Am besten die Wähler abschaffen!)


Wir haben in Niedersachsen eine DKP-Abgeordnete mit
lauter Stasi-Fantasien. Das Problem ist – das ist bereits
gesagt worden – eben nicht erledigt. Diese Dame ist bis
2013 Landtagsabgeordnete;


(Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Genau!)


sie ist noch fünf Jahre Abgeordnete. Das Parlament hat
sich noch nicht einmal konstituiert.

Niemand sollte glauben, dass man mit einer solchen
Truppe die Zukunft gestalten kann. Am wenigsten soll-
ten das die Menschen glauben, für die es notwendig ist,
dass sich die Politiker in den Parlamenten mit ihren Sor-
gen beschäftigen. Deswegen sind alle Wählerinnen und
Wähler aufgerufen, am Sonntag in Hamburg zu verhin-
dern, dass die PDS unter neuem Namen in die Hambur-
gische Bürgerschaft einzieht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)


Das ist möglich. Viele haben ja den Eindruck, dass Um-
fragen sozusagen schon Wahlergebnisse sind. In Ham-
burg liegt diese Truppe in den Umfragen bei 9 Prozent.
Tatsache ist aber: Erst am Sonntag wird gewählt.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie sind wenigstens ehrlich und sagen, worum es Ihnen geht!)


Noch können die Wählerinnen und Wähler, zum Bei-
spiel durch eine hohe Wahlbeteiligung, verhindern, dass
zehn DKP-Mitglieder in die Hamburgische Bürgerschaft
einziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu dieser Truppe ist schon viel gesagt worden. Ich
will dennoch ein Zitat vom 16. Februar hinzufügen. Ich
zitiere eine Kandidatin für die Bürgerschaft:

Wir müssen aber auch die Frage diskutieren, wie
sich eine sozialistische Gesellschaft oder eine Ge-
sellschaft, die sich demokratisieren will, gegen An-
griffe schützen kann.

Das ist ein Zitat von Frau Grotehusmann, Kandidatin der
Linken. – Herr Maurer, Sie haben gesagt, Leute wie Frau
Wegner, die so einen Unsinn erzählen, hätten bei Ihrer
Landtagsfraktion, bei ihrer Truppe nichts zu suchen.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Aber die Hamburgerinnen und Hamburger können
nicht darauf warten, dass Sie hier so etwas erklären oder
abwarten, wie Sie sich nach der Wahl verhalten. Wir
wollen in Hamburg keinen DDR-Sozialismus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Wir wollen auch keine Fantasien in dieser Richtung. Wir
wollen in Hamburg keine Leute, die davon träumen, sich
zu demokratisieren, und die meinen, dass sie sich schüt-
zen müssen. Wir haben in Hamburg zum Glück eine De-
mokratie, weil Sie dort nie etwas zu sagen hatten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)


Unter dem Deckmantel des neuen Namens – und
nicht nur ich finde es anmaßend, dass Sie jetzt einfach
sagen, Sie seien die Linke, nachdem Sie sich vorher
SED, PDS oder wie auch immer genannt haben –


(Zuruf von der LINKEN: Sind wir ja auch!)


können jetzt natürlich Leute in die Parlamente, mögli-
cherweise auch in die Hamburgische Bürgerschaft,
schlüpfen – Klaus-Uwe Benneter hat das richtig gesagt –,
die sonst nie eine Chance gehabt hätten, gewählt zu wer-
den. Das sind Leute, die, wenn wir nicht aufpassen, ver-
hindern, dass Hamburg wieder zusammenwächst, dass in
Hamburg ab März die Studiengebühren wieder abge-






(A) (C)



(B) (D)


Christian Carstensen
schafft werden, dass die Kitagebühren stufenweise abge-
schafft werden, dass das Büchergeld abgeschafft wird,
dass sich Hamburg für den Mindestlohn einsetzt.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das wollen wir in Hamburg nicht. Das wollen wir in
ganz Deutschland nicht. Deswegen, liebe Wählerinnen
und Wähler, passen Sie auf: Die PDS ist immer noch die
PDS, mit DKP-Unterstützung, und ist nicht zu wählen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614507700

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1614507800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Carstensen, was Sie zur Linkspartei gesagt
haben, hat mir gut gefallen. Zusätzlich haben Sie noch
ein bisschen Wahlkampf gemacht. Ich habe die herzliche
Bitte, dass Sie sich auch nach der Wahl noch an das erin-
nern, was Sie den Bürgern vor der Wahl gesagt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, was man Herrn
Maurer und der Linkspartei nicht durchgehen lassen
darf, ist die Behauptung, die auch heute wieder erhoben
worden ist, man habe nicht gewusst, wen man da aufge-
stellt habe.


(Zuruf von der FDP: Unglaublich!)


Ich komme aus Niedersachsen. Christel Wegner ist seit
40 Jahren in Niedersachsen für die DKP aktiv.


(Dirk Niebel [FDP]: Und hat sich noch nie geäußert!)


Frau Kollegin Stokar, ich weiß nicht, ob es zu indiskret
ist, wenn ich das erzähle: Wir haben über Frau Wegner
gesprochen, und Sie haben gesagt, wenn Sie Frau
Wegner auf Demonstrationen getroffen haben, dann ha-
ben Sie darauf geachtet, dass sie immer möglichst weit
hinten marschiert. – Insofern hat die Linke ganz genau
gewusst, wen sie da aufstellt. Es ist Ihnen aber egal ge-
wesen, weil es Ihnen nur um eines ging, nämlich darum,
dass die DKP nicht antritt, Sie die Infrastruktur der DKP
nutzen können und Sie auf diesem Weg in den Nieder-
sächsischen Landtag kommen. Das war der entschei-
dende Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Die haben sie auch bezahlt, die Infrastruktur!)


Ich finde es geradezu bedrückend, wenn Frau Wegner
jetzt erklärt, sie freue sich diebisch, dass sie die Medien
durch die öffentliche Benennung ihrer Parteizugehörig-
keit zum Beweis gezwungen habe, dass es die DKP in
Deutschland noch gebe.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das zeigt: Die DKP benutzt die Linke als Steigbügelhal-
ter, um in die Parlamente zu kommen, und zwar mit Er-
folg. Was der SED und der Stasi mit vielen Millionen
Mark bis 1989 nicht gelungen ist, das hat die Linke jetzt
geschafft. Das ist ein skandalöser Vorgang in Anbetracht
der Wahl in Niedersachsen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist hier viel zitiert worden; das, was zitiert worden
ist, wurde allerdings immer nach den Äußerungen von
Frau Wegner gesagt. Ich bin auf eine Äußerung der
Hamburger Spitzenkandidatin der Linken, Dora Heyenn,
gestoßen. Sie hat ein Gespräch mit der Welt geführt, das
am 14. Februar abgedruckt worden ist; da wusste man
noch nichts von den Äußerungen von Frau Wegner. Frau
Heyenn ist nach Olaf Harms, dem DKP-Kandidaten in
Hamburg gefragt worden. Ich zitiere, was Frau Heyenn
in der Welt gesagt hat: Auch wenn er – Harms – visionär
in eine völlig andere Richtung arbeitet, bei den kurzfris-
tigen Zielen sei sich ihre Partei mit der DKP völlig einig.


(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!)


Man muss sich diese Aussage vor Augen halten: Kurz-
fristig will man gemeinsam in die Bürgerschaft, und
nach der Wahl bricht dann die visionär völlig andere
Richtung durch. Das ist systematische Wählertäuschung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist hier doch erwähnt worden: Herr Harms ist nicht
irgendein Mitläufer, irgendein Unbekannter. Er ist DKP-
Vorsitzender von Hamburg. Sie haben gesagt: So ganz
detaillierte Äußerungen hat man von ihm ja noch nicht
gehört. Erstens hat der Kollege Koschyk solche Äuße-
rungen zitiert; zweitens hat der Kollege Edathy aus dem
DKP-Programm zitiert. Die Verharmlosung von Mauer,
Stasi und Stacheldraht gehört bei der DKP zum Pro-
gramm. Herr Harms ist Vorsitzender der Hamburger
DKP. Damit ist er übrigens einer der Nachfolger unseres
Kollegen Gehrcke. Da braucht man keine spezifischen
Äußerungen mehr. Da muss man sich entweder klar dis-
tanzieren, oder man ist angesichts einer solchen Ent-
wicklung völlig unglaubwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Die Täter sind unter uns!)


Ich warne allerdings davor, dass wir nur in diese
Richtung argumentieren, wenn wir uns mit der Linkspar-
tei auseinandersetzen. Herr Maurer sitzt da relativ ent-
spannt, weil es ihm in seiner Rede heute nur auf eines
ankam: kurz vor der Wahl in Hamburg noch einmal ein
bisschen Kapitalismuskritik zu betreiben und den Ein-
druck zu vermitteln, die soziale Gerechtigkeit sei bei der
Linken in guten Händen.






(A) (C)



(B) (D)


Reinhard Grindel
Ich will gerade vor der Hamburg-Wahl einmal daran
erinnern, wie es dort aussieht, wo Sie Verantwortung tra-
gen: in Berlin. Sie haben in Berlin, wo Sie dem Senat an-
gehören – das muss man denen, die uns kurz vor der
Hamburg-Wahl zuschauen, auch einmal sagen –, in den
letzten fünf Jahren 160 Millionen Euro bei Kinder- und
Jugendeinrichtungen und bei den Hilfen zur Erziehung
gestrichen, Sie haben 140 Jugendeinrichtungen ge-
schlossen, Sie haben beim Personal in den Kitas gespart,
Sie haben die Lehrmittelfreiheit eingeschränkt, und Sie
haben das Blindengeld gekürzt. In Berlin ist jedes dritte
Kind von Kinderarmut betroffen. Die Menschen werden
ärmer durch Ihre Politik, und es geht ihnen nicht besser.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


– Dass Sie jetzt so laut brüllen, zeigt allen Zuschauern,
dass Sie das in Wahrheit am meisten trifft.


(Dirk Niebel [FDP]: Treffer, versenkt!)


Das wird man Ihnen ebenfalls vorhalten müssen.

Ich sage Folgendes: Vielleicht müssen wir die Äuße-
rung von Frau Wegner ganz anders einordnen; die Kolle-
gin Sager hat das getan. Vielleicht spricht sie nur das
aus, was bei den Linken in Wahrheit viele denken: dass
die DDR eben keine Deformation des Sozialismus war.
Im Grunde sagt Frau Wegner das, was früher in der DDR
als Parteilinie galt: Die Stasi ist Schwert und Schild der
Partei. Im Grunde sagt uns Frau Wegner: Sozialismus, so
wie ihn viele bei der Linken wollen, geht eben nicht
ohne Stasi. Dann bin ich allerdings entschieden dafür, zu
zeigen, dass es in der deutschen Politik ohne die Linken
geht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614507900

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Garrelt Duin, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1614508000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch in meiner Nebenfunktion als Landesvorsitzender
der niedersächsischen SPD –


(Dirk Niebel [FDP]: Gibt es die noch?)


dieses Ehrenamt habe ich noch; die niedersächsische
SPD macht eine schwere Zeit durch; sie hat ein schlech-
tes, sogar katastrophales Wahlergebnis erzielt – will ich
Folgendes deutlich und mit aller Entschiedenheit sagen:
Dafür, dass ein DKP-Mitglied in einem Landtag sitzt,
trägt einzig und allein die Linkspartei und niemand sonst
die Verantwortung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir müssen das auf den Punkt bringen: Die Linkspar-
tei hat unter ihrer Flagge Leute wie Frau Wegner mit-
segeln lassen, tut das Gleiche jetzt in Hamburg. Wir
müssen klar erkennen, dass der Ausschluss aus der nie-
dersächsischen Landtagsfraktion jetzt, sozusagen nach
getaner Arbeit, rein taktischer Natur ist,


(Dirk Niebel [FDP]: Richtig!)


um vor der Hamburg-Wahl ein bisschen Ruhe zu haben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer glaubt denn, dass der Landesvorsitzende der
Linkspartei in Niedersachsen, der Stasiinformant Dehm,
wirklich ein ernsthaftes Interesse an der Aufarbeitung
der Zusammenarbeit von Linkspartei und DKP hat?


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hochgradig unglaubwürdig ist dieser Mann.


(Dirk Niebel [FDP]: Ist ein westdeutscher Stasiinformant nicht eigentlich ein Spion?)


Ich will deutlich machen, dass es hier nicht nur um
die DKP geht, sondern um große Teile der Linkspartei
selbst. Die sogenannte antikapitalistische Linke, eine
Gruppe innerhalb der Linkspartei, der Bundestagsabge-
ordnete wie Frau Höger, Frau Hirsch und Frau Jelpke an-
gehören, hat erst vor kurzem einen Aufruf zu den anste-
henden Wahlen verabschiedet, in dem steht, Erfolg für
die Linkspartei sei gerade auch der Solidarität der DKP
zu verdanken, und dieser Weg müsse solidarisch fortge-
führt werden.


(Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


Das ist nicht Zitat DKP; das ist Linkspartei original. Mit-
glieder des Deutschen Bundestages, Ihrer Fraktion,
äußern das in diesen Tagen. Deswegen ist es so von
Doppelmoral geprägt, wenn Herr Maurer so tut, als ob er
damit überhaupt nichts zu tun hätte.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Maurer, Sie haben hier gesagt, die Linkspartei sei
seit Jahren, fast schon seit Jahrzehnten ganz intensiv da-
bei, die Geschichte aufzuarbeiten.


(Dirk Niebel [FDP]: Gerade der Maurer!)


Das ist fast zum Lachen, wenn es nicht so bitter wäre.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist doch wohl wahr!)


Herr Modrow hat im Jahr 2006 noch einmal zum Bes-
ten gegeben, dass die Verantwortung für die Toten an der
Mauer die Verantwortlichen auf beiden Seiten zu tragen
hätten. Empfinden Sie das als Aufarbeitung?


(Dirk Niebel [FDP]: Der ist Ehrenvorsitzender! – Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/ CSU]: Unverschämtheit!)


Frau Sahra Wagenknecht, nicht irgendwer in Ihrer
Partei, Mitglied des Europäischen Parlaments,


(Dirk Niebel [FDP]: Hummeresserin!)







(A) (C)



(B) (D)


Garrelt Duin
spricht bis heute davon, dass die Mauer ein notwendiges
Übel gewesen sei. Denken Sie, das ist Aufarbeitung der
Geschichte? Nein, meine Damen und Herren, davon sind
Sie leider noch weit entfernt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kurt Schumacher hat am 30. März 1930 – ich bitte
Sie, den historischen Zusammenhang dabei sehr genau
zu beachten – in Eßlingen gesagt, als er über Kommunis-
ten sprach, dass Kommunisten in Wirklichkeit nur rotla-
ckierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten seien.


(Christian Carstensen [SPD]: Das ist wahr! – Zuruf von der LINKEN: Das ist übel!)


Er hat damals gesagt, beiden gemeinsam sei der Hass ge-
gen die Demokratie.


(Hubertus Heil [SPD]: Sehr richtig! – Dirk Niebel [FDP]: Das stimmt!)


Wir sind anlässlich dieser Debatte wirklich an dem
Punkt, an dem es wieder um die Frage gehen muss, wel-
ches Verständnis Sie als Linkspartei insgesamt mit Ihren
diversen Mitgliedern, die ich gerade zitiert habe, gegen-
über der Demokratie haben. Diese Frage können aber
nicht wir beantworten; die müssen Sie beantworten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht dabei um die Aufarbeitung der Geschichte der
DDR, und zwar nicht nach dem Motto Good Bye, Lenin,
ein bisschen als Komödie und Ostalgie. Ich habe mit Er-
schrecken gelesen, dass in Berlin ein neues Hotel aufge-
macht hat, in dem nur Ostmöbel und Ostprodukte ver-
wendet werden. Wenn das die Aufarbeitung sein soll,
dann sage ich: Das reicht nicht. Wir brauchen eine Auf-
arbeitung – ich will bei den Filmtiteln bleiben – à la Das
Leben der Anderen. Darin wird sehr viel mehr über die
Wahrheit gesprochen. Ein solcher Film ist ein wesentlich
besserer Anlass, die Aufarbeitung in die Hand zu neh-
men, als es reine Komödien sind.

Ich bin davon überzeugt, dass die Linkspartei so lange
nicht in der Lage sein wird, etwa in Koalitionen einzu-
treten, solange sie diese Aufarbeitung nicht geleistet hat.


(Dirk Niebel [FDP]: Und was ist in Berlin? Was macht Wowereit?)


Ich bin fest davon überzeugt, dass im Zusammenhang
mit den in Rede stehenden Landesparlamenten – Sie ha-
ben über Hamburg gesprochen, und wir reden über Hes-
sen –


(Dirk Niebel [FDP]: Und jetzt reden wir einmal über Berlin!)


verantwortungsvolle Sozialdemokraten sich von dieser
Linkspartei nicht in irgendwelche öffentlichen Ämter
wählen lassen. Ich bin davon überzeugt und setze darauf,
dass das so bleibt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614508100

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert

– Drucksache 16/6796 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute
Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit

– Drucksache 16/8181 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Frak-
tion.


(Beifall bei der FDP)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1614508200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!

Nach dieser turbulenten Debatte kommen wir zu einem
anderen Thema, das nicht minder wichtig ist. Die FDP-
Fraktion legt Ihnen heute einen Antrag vor mit dem Ti-
tel: „Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert“. Sie
werden sich fragen, was dahintersteht. Ich möchte Ihnen
sagen, dass beim energiepolitischen Dreiklang von Kli-
maschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit
die Säule der Versorgungssicherheit – so könnte man sa-
gen – zu einer vergessenen Säule geworden ist.

Wir haben in diesem Parlament über viele Monate
über Atomausstieg, Emissionshandel, Ostseepipeline,
Kohleverstromung – diese wurde ja immer wieder ver-






(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp
teufelt – und viele Themen mehr, so natürlich auch über
den Klimaschutz, diskutiert. Das alles sind sehr wichtige
Themen, aber in der Öffentlichkeit ist der Eindruck ent-
standen, als gebe es in puncto Sicherheit der Energiever-
sorgung in Deutschland absolute Garantien und keinerlei
sich in irgendeiner Weise auftuende Lücken. Dem ist
nicht so. Das anzunehmen, wäre ein ganz großer Irrtum;
denn die Sicherheit der Versorgung unseres Landes mit
Strom für Mobilität und Wärme ist eben nicht garantiert.

Ich nenne Ihnen ein paar Daten zur Energieabhängig-
keit Deutschlands. Wir sind derzeit insgesamt zu
70 Prozent von Energieimporten abhängig: beim Mine-
ralöl zu 100 Prozent, bei der Steinkohle zu 60 Prozent,
bei Gas allein aus Russland zu 35 Prozent. Lediglich bei
der Braunkohle können wir uns selbst versorgen. Zu-
gleich haben wir uns hohe Klimaschutzziele gesetzt, die
die FDP-Fraktion ebenso unterstützt. Wir sagen aber
deutlich: Wer Versorgungssicherheit will, der muss Ja zu
einem breiten Energiemix sagen und darf die Kernener-
gie dabei nicht ausschließen.


(Beifall des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Vor dem Hintergrund, dass ein Drittel des Stromver-
brauchs innerhalb Deutschlands bis 2020 durch erneuer-
bare Energien gedeckt werden soll und sogar 50 Prozent
des Stromverbrauchs bis 2050, müssen alle, die hier Ver-
antwortung tragen, die Frage beantworten, wie denn ihr
Konzept aussieht, um die restlichen 70 bzw. 50 Prozent
des Energiebedarfs tatsächlich abzudecken. Diese Ant-
wort bleiben Sie schuldig. Deshalb sind wir der Mei-
nung, dass Energiepolitik nicht nur die Ressorts Umwelt
und Energie betrifft, sondern auch die Ressorts Entwick-
lungshilfe sowie Außen- und Sicherheitspolitik betreffen
muss.


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Bei uns ist das so! Ist das bei der FDP neu? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb gibt es Frau Wöhrl!)


– Herr Meyer! – Der Bundesregierung fehlt ein zusam-
menhängendes Konzept für die nationale und die euro-
päische Energiepolitik. Sie können sich nicht länger auf
das Umwelt- und Wirtschaftsressort beschränken, son-
dern Sie müssen dieses Thema umfassend sehen und ent-
sprechend behandeln. Dabei ist es kein Geheimnis, dass
wir bis weit über das 21. Jahrhundert hinaus von Roh-
stoffen abhängig bleiben werden, die Erdöl, Kohle, Erd-
gas und auch Kernenergie heißen. Hier brauchen wir tat-
sächlich dieses Konzept.

Der Ihnen heute vorliegende Antrag, mit dem wir die
Bundesregierung vorantreiben wollen – es geht um ein
nötiges Konzept auf Deutschland- und EU-Ebene –, ent-
hält einige Forderungen, von denen ich nur wenige zitie-
ren möchte.

Erstens. Es geht uns um die Benennung und die Si-
cherung der Energieinfrastruktur im Rahmen von EU
und NATO. 80 Prozent der Leitungen für Erdgas, mit
dem Deutschland beliefert wird, verlaufen durch die
Ukraine. Wenn Sie sich überlegen, wie leicht sich bei
dieser Lieferkette Unterbrechungen ergeben könnten,
dann ist das Thema Energieinfrastruktursicherheit abso-
lut wichtig und notwendig. Wenn Sie darüber hinaus se-
hen, welche sicherheitspolitischen Aspekte sich bei
möglichen Terroranschlägen ergeben, dann brauchen wir
auch dafür ein Konzept, um die Sicherheit tatsächlich zu
gewährleisten.

Zweitens. Wir brauchen eine verstärkte Zusammenar-
beit bei den Versorgungsunternehmen, und zwar bei der
Bevorratung von Erdgas- und Erdölreserven. Wir müs-
sen uns hier auf ein gegenseitiges Konzept der Hilfe ver-
ständigen.

Drittens. Wir brauchen vor allen Dingen die Beendi-
gung der Verhandlungen über die Energiecharta. Diese
Verhandlungen laufen schon seit längerem, aber kom-
men einfach nicht zum Abschluss. Es geht um den
gegenseitigen Marktzugang, Investitions- und Rechts-
sicherheit – auch das ist ein wichtiger Punkt – und die
Aufnahme der weltweiten WTO-Streitschlichtungs-
mechanismen. Auch dieser Punkt würde uns energiepoli-
tisch weiterbringen.

Viertens. Wir als Liberale haben in einem anderen
Antrag bereits sehr detailliert die Einführung einer EU-
Wettbewerbsbehörde, einer EU-Kartellbehörde gefor-
dert. Auch das ist wichtig, um protektionistische Markt-
mechanismen zu vermeiden, die sich hier sehr wohl auf-
tun, weil wir es häufig mit Staatsunternehmen zu tun
haben, bei denen eine politische Lenkung zumindest
nicht ausgeschlossen werden kann. Wir brauchen eine
verstärkte Wettbewerbsaufsicht. Diese möchten wir im
Rahmen eines EU-Kartellamtes gesichert wissen.

Fünftens. Die Energieforschung ist ein absolut wichti-
ger Punkt, bei dem wir kooperieren sollten und bei dem
die Schwerpunkte nach liberaler Überzeugung bei der
tatsächlichen Erforschung der Energiespeicherung lie-
gen sollten. Wenn wir da weiterkämen, hätten wir auch
im Bereich der instabilen erneuerbaren Energien ganz
andere Effizienzen. Darüber hinaus müssen wir weiter
auf den Gebieten der Kernenergie und der Sicherheits-
technologie forschen.

Kurz und gut: Der Antrag, den Ihnen die FDP heute
vorlegt, wird hoffentlich bei Ihnen allen die notwendi-
gen Denkprozesse initiieren, damit ein Gesamtkonzept
endlich auf den Tisch kommt und die Verengung auf nur
ein Thema oder zwei Themen aufhört, denn Energiepoli-
tik ist eine wichtige Lebensader.

Ich schließe mit dem Satz: Wer Energie hat, hat die
Macht. Wer Energie hat, sichert auch Wohlstand.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wladimir Putin! Sie müssen auch die Quelle angeben!)


Insofern freue ich mich auf die Debatte und am Ende
dann hoffentlich auch auf die Konzepte der Bundes-
regierung, die uns an dieser Stelle unbedingt weiterbrin-
gen sollten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614508300

Ich gebe der Parlamentarischen Staatssekretärin im

Wirtschaftsministerium Dagmar Wöhrl das Wort.

D
Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1614508400


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Liebe Frau Kopp, wenn ich sage, dass das Thema
der sicheren Energieversorgung für die Bundesregierung
ein wichtiges Thema ist, dann dürfen Sie mir das glau-
ben. Das kann man an den Ergebnissen unseres Energie-
gipfels und an dem integrierten Energie- und Klimapro-
gramm sehen. An diesen Programmen, die wir in den
letzten zwei Jahren auf den Weg gebracht haben, kann
man auch unsere energieaußenpolitische Zieltriade er-
kennen, nämlich erstens Energiequellen und Energie-
transportwege zu diversifizieren, zweitens noch mehr
Energie zu sparen und effizienter zu nutzen und drittens
die erneuerbaren Energien auszubauen.

Wir haben während unserer EU-Ratspräsidentschaft
im letzten Jahr einen energiepolitischen Aktionsplan mit
sehr ehrgeizigen Zielen verabschiedet, an dem wir arbei-
ten und den wir Stück für Stück umsetzen. Er verbindet
Versorgungssicherheit und Klimaschutz durch Maßnah-
men zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Sen-
kung des Energieverbrauchs. Das betrifft verschiedene
Bereiche: das Erneuerbare-Energien-Gesetz – über
dessen Novellierung wir heute Morgen sehr intensiv dis-
kutiert haben –, das Erneuerbare-Energien-Wärme-
gesetz, die Biogaseinspeisung und die Eckpunkte für die
Energieeinsparung.

In Ihrem FDP-Antrag sprechen Sie von Rahmenbe-
dingungen auf nationaler und europäischer Ebene. Sie
sprechen von einem liberalisierten Energiewettbewerb
und vom Vorantreiben des Ausbaus grenzüberschreiten-
der Netzkapazitäten für Strom und Erdgas. Hier besteht
Konsens zwischen uns und der FDP. Das sind Punkte, an
denen wir arbeiten und die wir im Rahmen verschiede-
ner Gesetze schon auf den Weg gebracht haben. Ich
erwähne hier nur die Kraftwerks-Netzanschlussverord-
nung, die Anreizregulierungsverordnung und die GWB-
Novelle, wodurch endlich eine verschärfte Missbrauchs-
aufsicht möglich wird.

Das heißt aber auch, dass Wettbewerb in den leitungs-
gebundenen Sektoren nur dann möglich ist, wenn es
– auch da besteht Konsens – in diesem Bereich ausrei-
chende Leitungskapazitäten gibt. Eine Beschleunigung
des Netzausbaus ist für uns sehr wichtig. Hier sind noch
viele Verbesserungen nötig. Wir merken, dass oftmals
vor Ort, in den Kommunen, in den Ländern, Investitio-
nen auf der Strecke bleiben, auch durch verlangsamte
Planungsverfahren. Deswegen arbeitet unser Ministe-
rium an einem Gesetz mit einem vordringlichen Bedarfs-
plan für die Übertragungsleitungen.

Durch die dena-Netzstudie I – jetzt kommt auch die
Netzstudie II – wissen wir, dass wir, wenn man einen
Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch
von 20 Prozent unterstellt, allein bis zum Jahr 2015
845 Kilometer Fernleitungstrassen hinzubauen müssen.
Das heißt, wir müssen zu einem beschleunigten Verfah-
ren in diesem Bereich kommen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie doch endlich Erdverkabelung zu! Dann haben Sie den Ärger nicht!)


Für den grenzüberschreitenden Stromnetzausbau, der
ebenfalls ein wichtiger Punkt ist und den Sie auch in Ih-
rem Antrag angesprochen haben, sind wir in Gesprächen
mit den Benelux-Staaten und Frankreich und den dorti-
gen Netzbetreibern. Für uns ist wichtig, eine regionale
Stromhandelsbörse zu schaffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Energieau-
ßenpolitik ist für die Regierung ein wichtiger Bestandteil
der Außenwirtschaftspolitik. Minister Glos wird am Wo-
chenende wieder in die kaspische Region reisen, und
mehr als 80 Unternehmer werden ihn auch dieses Mal
begleiten. Dabei wird es um Förderung des Exports von
Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energien-Technolo-
gien gehen. Ich glaube, dass wir mit unseren Export-
initiativen „Erneuerbare Energien“ und „Energieeffi-
zienz“ sehr gut aufgestellt sind. Wir helfen sehr vielen
deutschen Unternehmen, im Ausland Geschäfte in die-
sem Bereich zu tätigen. Außerdem tragen wir mit dazu
bei, unsere Spitzentechnologie im Bereich der erneuer-
baren Energien weltweit zu vertreiben.

Daneben ist es aber auch wichtig, dass wir zur Er-
schließung neuer Quellen für die Energieversorgung
kommen. Wir brauchen dazu sehr viele bilaterale Ge-
spräche und einen intensiven Dialog mit großen Erzeu-
gerländern wie Russland und Norwegen. Frau Kopp hat
es schon angesprochen: Russland hat einen Anteil von
35 Prozent und Norwegen von 27 Prozent an unserer
Gasversorgung. Die Bedeutung dieser Länder wird nicht
weniger werden, sondern zunehmen. Deswegen ist der
Dialog mit diesen Ländern sehr wichtig. Aber der Dialog
mit den vielen Transit- und Verbraucherländern darf da-
bei nicht auf der Strecke bleiben.

Wir haben 2006 das deutsch-indische Energieforum
gegründet. Wir stehen, was den Energiesektor anbelangt,
in enger Kooperation mit China. Ich will in diesem Zu-
sammenhang noch die Internationale Energie-Agentur
erwähnen, die für die Verhinderung von Ölkrisen eine
wichtige Rolle spielt.

Sie haben auch die Energieforschung angesprochen,
Frau Kopp. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben das
5. Energieforschungsprogramm auf den Weg gebracht.
Im Rahmen dieses Programms werden wir 1,7 Milliar-
den Euro in die Hand nehmen, um die Forschung und
Weiterentwicklung vor allem im Bereich der emissions-
freien fossilen Kraftwerke und der Brennstoffzellen
voranzutreiben. Es geht aber auch um die Weiterent-
wicklung von Brennstoffzellen sowie um die Wasser-
stofftechnologie und die Technik für CO2-Trennung und
CO2-Einlagerung. Das sind nur einige Beispiele. Ich
kann nicht alle aufzählen.

Wir können zu Recht behaupten: Wir sind gut aufge-
stellt. In vielen Bereichen sind wir sogar internationale
Spitze. Ich denke dabei an unsere Technologien im Be-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
reich der erneuerbaren Energien. Wenn man gut aufge-
stellt ist, bedeutet dies aber nicht, dass man nicht noch
besser werden kann. Wir arbeiten intensiv daran, in vie-
len Bereichen noch besser zu werden. Wir würden uns
natürlich sehr freuen, wenn wir auch zukünftig die Un-
terstützung der FDP hätten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614508500

Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614508600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ja, Frau Kopp, wir brauchen ein zusammenhängendes
Konzept, das ökologische, soziale und Entwicklungsper-
spektiven mit ökonomischen verbindet. Aber genau das
vermisse ich in Ihrem Antrag.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie orientieren sich einseitig an den ökonomischen Inte-
ressen.

Der Klimawandel bedroht die Existenz von Millionen
von Menschen. Er bedroht vor allem die Menschen in
den Entwicklungsländern, die vom Wohlstand wegen
des fehlenden Zugangs zu Energie bis jetzt ausgeschlos-
sen sind. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die natio-
nalen Treibhausemissionen um mindestens 40 Prozent
und nicht nur um 20 Prozent zu reduzieren. Andererseits
müssen die Zahlungen für die Bewältigung des Klima-
wandels in den Entwicklungsländern erhöht werden.

In der Entwicklungszusammenarbeit muss der Tech-
nologietransfer für regenerative Energien und Energie-
effizienz verstärkt werden. Das findet man in Ihrem An-
trag aber nicht.


(Gudrun Kopp [FDP]: Doch! Das steht doch drin!)


Sie setzen im Wesentlichen auf Ausweitung des Freihan-
dels, auf Atomenergie und auf eine Energie-NATO, wo-
mit diese Probleme nicht gelöst, sondern verstärkt wer-
den.

Die meisten Menschen in den Entwicklungsländern
haben bis heute keinerlei Zugang zu Energie. Sie be-
fürchten sogar, dass sie über die Begrenzung der Emis-
sionen ihrer Entwicklung zum Wohlstand beraubt
werden sollen. Der Hauptzuwachs am weltweiten Ener-
giebedarf kommt natürlich von Schwellenländern wie
China. Vergleicht man aber den Pro-Kopf-Bedarf an
Energie, liegen Industrieländer wie Deutschland und die
USA noch immer weit vorne. Daraus ergibt sich für uns
die Verantwortung, vor allem unseren Bedarf abzusen-
ken.

Wir müssen in der Energieaußenpolitik von dem Leit-
bild ausgehen: Jeder Mensch auf der Erde hat das glei-
che Recht an der Nutzung der Atmosphäre. Die Indus-
trieländer haben nicht das Recht, heute die Rohstoffe zu
verschwenden, die andere Länder morgen selbst brau-
chen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb noch einmal – obwohl darüber bereits heute
Morgen diskutiert wurde –: Mit der Biokraftstoffquote
sorgt die Regierung weiterhin für das Abholzen der Re-
genwälder, die Verknappung und Verteuerung von Le-
bensmitteln und den Ruin von Kleinbauern. Deshalb
muss die Quote zurückgenommen werden und reicht
eine Nachhaltigkeitsverordnung für die Lösung dieses
Problems nicht aus.

Wir brauchen erst recht keine weitere Handels- und
Investitionsliberalisierung, Frau Kopp. Wir brauchen im
Gegenteil ein internationales Investitionsregime bei der
UN,


(Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was?)


das menschenrechtliche, soziale, gewerkschaftliche und
ökologische Standards auch für transnational agierende
Konzerne festlegt. Diese müssen dann allerdings auch
sanktionsfähig sein, nicht aber die WTO.

Es ist richtig: Die Energieversorgung ist von der Ab-
hängigkeit von fossilen Energieträgern und vom Uran
geprägt. Gerade vor diesem Hintergrund ist aber Ihr Ver-
such, die Atomenergie zu rechtfertigen, lächerlich. Ich
will gar nicht auf die ungelöste Entsorgungsfrage, die
Kinderkrebsstudie oder das Risiko atomarer Unfälle ein-
gehen.

Bleiben wir bei der Rohstofffrage. In der Uranversor-
gung sind wir zu 100 Prozent vom Ausland abhängig.
Das derzeit wirtschaftlich zu fördernde Uran reicht für
etwa 70 Jahre. Wird der Bedarf gesteigert, reduzieren
sich die Vorräte ganz schnell. Durch den Uranabbau
werden Regionen radioaktiv verseucht. Derzeit werden
Vorkommen abgebaut, die circa 1 Prozent Uran enthal-
ten. Fast das gesamte schwachstrahlende Material bleibt
als Abraumhalde erhalten ebenso wie die Schlammmas-
sen, die durch die Abtrennung entstehen. Je länger die
Atomenergie genutzt wird, je größer der Bedarf, umso
mehr muss auf schlechte Erze zurückgegriffen werden.
Die ökologischen Schäden in den Abbaugebieten wür-
den sich potenzieren. Das ist nicht vertretbar, schon gar
nicht, weil es bessere Alternativen gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie setzen neben der Atomenergie auch auf die Ener-
gie-NATO. Der Krieg um Öl hat eine lange Tradition –
leider. In der Vergangenheit ging es vor allem um den
Profit aus der Verwertung der Ressourcen. Heute kommt
die Frage der Versorgungssicherheit hinzu. Folgen des
Klimawandels, Umweltkrisen, Dürren und Wasserknapp-
heit verschärfen Landnutzungskonflikte. Umweltprobleme
erhöhen kriegerische Gefahren.

Die Bundesregierung hat leider 1992 in den Verteidi-
gungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr den unge-
hinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen zum vita-
len Sicherheitsinteresse Deutschlands erklärt. Das ist






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Lötzer
verheerend und verschärft die Kriegsgefahr weltweit,
statt für friedliche Lösungen zu sorgen. Wir brauchen
keine Bereitstellung einer Energie-NATO für einen
Krieg um Rohstoffe. Wir brauchen eine Energiewende.
Wir brauchen Verfahren und Institutionen, die die Vertei-
lung der knappen Ressourcen friedlich und gerecht lö-
sen. Wir brauchen eine größere Unabhängigkeit von
Rohstoffimporten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt, wir brauchen in erster Linie Energieeffi-
zienz und die Einsparung von Energie. Riesige Effi-
zienzpotenziale in Deutschland werden bisher nicht ge-
nutzt. Wir könnten unseren Energieverbrauch nach
Studien bis 2050 halbieren. Wir brauchen den massiven
Ausbau erneuerbarer Energien; darüber wurde heute
Morgen bereits ausführlich diskutiert. Auf diesem Weg
kann der Energiebedarf, verbunden mit Energieeffi-
zienzprogrammen, gedeckt werden. Für die Realisierung
brauchen wir strukturelle Eingriffe in die Energiewirt-
schaft. Mit dem Energiekartell der vier großen Energie-
konzerne wird es nicht möglich sein, diese Ener-
giewende herbeizuführen.

Wir brauchen keine NATO, die Ressourcen und Tran-
sitwege für Rohstoffe sichert. Wir brauchen den Mut im
Parlament und in der Regierung, die Energiekonzerne zu
entmachten und die Energieversorgung zu rekommunali-
sieren. Dann würden wir bei der Lösung des Problems
einen Schritt weiterkommen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614508700

Ich gebe das Wort dem Kollegen Ditmar Staffelt,

SPD-Fraktion.


Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1614508800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich finde es gut, dass wir heute miteinander über
ein so wichtiges strategisches Thema debattieren, auch
wenn wir möglicherweise zu unterschiedlichen Schlüs-
sen kommen. In jedem Fall wird die Frage der Energie-
außenpolitik eine sein, die uns auch in Zukunft in hohem
Maße und in vielerlei Hinsicht beschäftigen wird. Des-
halb kann man sich über dieses Thema nicht oft genug
austauschen.

Zunächst einmal müssen wir wohl feststellen, dass die
Probleme, über die wir heute im Rahmen der Energiepo-
litik zu diskutieren haben, in hohem Maße mit dem
Tempo der Globalisierung und den Herausforderungen,
die damit verbunden sind, zusammenhängen. Es besteht
die Sorge, dass neue Konflikte entstehen, und zwar nicht
nur bezogen auf Wasser, sondern auch bezogen auf
Energieressourcen anderer Art. Daher ist es außerordent-
lich wichtig, dass wir uns diesbezüglich international
stärker vernetzen, sehr viel mehr miteinander reden und
zu Vereinbarungen kommen.

Diese Vereinbarungen werden neue Abhängigkeiten
und manche Empfindlichkeiten schaffen. Ich glaube so-
gar, dass der Dialog darüber einen Prozess einleiten
kann, der eine Art Fortsetzung der Entspannungspolitik
in der Welt ist, weil der Versuch unternommen werden
muss, Gegensätze zu harmonisieren und einen Ausgleich
zwischen Reich und Arm zu schaffen, und zwar auch im
Hinblick auf die vorhandenen Energieressourcen.


(Beifall bei der SPD)


Ich bin dafür, dass Europa zu allererst den Dialog mit
Russland über politische, aber auch wirtschaftliche Ver-
flechtungen vertieft. Russland ist der wichtigste Partner
der EU in Bezug auf die Energieaußenpolitik und wird
das auch auf Dauer sein. Wir müssen alles unternehmen,
um die international geltenden Standards zunehmend
auch in Russland einzuführen. Die ersten Versuche dazu
hat es gegeben. Sie werden sich erinnern, dass Russland
die Energiecharta im Rahmen der G-8-Konferenz in
Sankt Petersburg akzeptiert hat. Mehr Verlässlichkeit,
mehr Transparenz und vor allem Investitionssicherheit
sind damals zugesagt worden. Ich denke, dass es gelin-
gen wird, ein Partnerschafts- und Kooperationsabkom-
men zwischen Russland und der Europäischen Union zu-
wege zu bringen. Aufgrund des Streits zwischen Polen
und Russland konnte das bisher nicht erreicht werden.

Ich bin sehr dafür, dass wir dafür werben, dass Russ-
land endlich Mitglied der Welthandelsorganisation wird.
Die Standards, die im internationalen Wirtschaftsverkehr
üblich sind, würden dann auch für Russland gelten.

Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, bei allen Sor-
gen, die uns unsere großen Energieunternehmen innenpo-
litisch machen – wir wollen mehr Wettbewerb in Europa
und in Deutschland –, zu betonen, dass wir starke Energie-
unternehmen haben, die in der Lage sind, von ökonomi-
scher Seite her Verbindungen – so will ich das einmal
nennen – zu Partnern mit Energiereserven herzustellen;
denn das garantiert letztlich die Energiesicherheit für die
EU und für Deutschland.

Es ist uns gelungen, in vielerlei Hinsicht wichtige
Schritte in die richtige Richtung zu machen. Denken Sie
daran, dass es uns gelungen ist, eine Energiegemein-
schaft Südosteuropa zu schaffen. Auch damit haben wir
den Versuch unternommen, Standards zu harmonisieren.
Denken Sie bitte daran, dass die deutschen Unternehmen
hierbei eine ganz wichtige, helfende Rolle gespielt ha-
ben, übrigens auch als Gesellschafter von Unternehmen,
die in diesen Bereichen unseres Kontinents zu Hause
sind. Denken Sie an die von Außenminister Steinmeier
angestoßene Zentralasienstrategie. Das ist ein weiterer
wichtiger Bereich. Hier wird genau das aufgenommen,
was schon angesprochen wurde: Es ist der Versuch, die
Diversifizierung des Zugangs zu Energien für Europa zu
sichern.


(Das Handy des Redners klingelt – Dr. Rainer Wend [SPD]: Bei dir piept es! – Heiterkeit)


– Bei mir ist etwas passiert, was nicht vorgesehen war.
Das ist aber schon in Ordnung.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Grietje!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ditmar Staffelt
Ich denke, dass wir bezüglich der internationalen Ver-
netzung in jedem Falle auf einem außerordentlich guten
W
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1614508900
Wir können in der Zukunft si-
cherlich noch eine ganze Menge mehr machen, weil wir
diesbezüglich immer wieder auf neue Herausforderun-
gen stoßen.

Ich will auch daran erinnern, dass es im Zusammen-
hang mit der G-8-Konferenz in Heiligendamm immerhin
gelungen ist, die Energiepolitik zu einer zentralen Frage
des Heiligendamm-Prozesses werden zu lassen. Auch
das ist etwas Neues: Versorgungssicherheit, Energieeffi-
zienz, Technologietransfer und Klimaschutz sind die
vier zentralen Punkte auf diesem Felde, die weiter bear-
beitet werden und die, wie wir hoffen, auch von den Ja-
panern in ihrer Verantwortung für die nächste G-8-Kon-
ferenz übernommen werden.

Ich sagte: Der Dialog muss weiter gefördert werden.
Eine weitere wichtige Initiative ist das Internationale
Energieforum in Riad, das sich vor allem um den Be-
reich Öl bemüht. Wir brauchen im Grunde Gleiches für
den Bereich Erdgas. Ich bin im Übrigen der festen Über-
zeugung, dass die ersten Ansätze von Steinmeier und
Schwarzenegger zu einem globalen Emissionshandel ein
wichtiger Schritt auf dem Weg sind, den wir weiter be-
schreiten müssen. Insoweit möchte ich sagen: Es ist sehr
viel passiert. Auf diesem Felde geht es im Übrigen in
Europa heiß her. Das können wir daran sehen, dass viele
Unternehmen unterwegs sind, um mit den potenziellen
Energielieferländern entsprechende Vereinbarungen zu
treffen.

Nichtsdestotrotz darf uns das natürlich nicht irre ma-
chen. Wir müssen fordern, dass im Binnenmarkt einiges
mehr getan wird. Wir brauchen mehr Wettbewerb im
Binnenbereich. Wir müssen insbesondere dafür Sorge
tragen, dass mehr grenzüberschreitende Netzkapazitäten
geschaffen werden, um mit der vorhandenen Energie
ökonomisch vernünftiger umzugehen.

Ich stimme mit all jenen überein, die immer wieder
daran erinnern, dass wir in Deutschland unsere Schular-
beiten weiterhin machen müssen. Eine zentrale Frage
lautet, wie wir neben den bekannten Energiequellen mit
der Entwicklung neuer Technologien auf diesem Felde
umgehen. Wir brauchen in diesem Bereich noch mehr
private, aber auch öffentliche Investitionen, damit wir
von den bekannten endlichen Ressourcen unabhängiger
werden.

Deutschland spielt hier eine wichtige Rolle. Techno-
logietransfer ist ein wichtiges Thema für uns. Genau das
ist übrigens auch ein Thema, wenn wir über Russland re-
den. Es ist ganz selbstverständlich, dass wir, wenn wir
erwarten, sichere Zugänge zu Erdgas zu haben, unserer-
seits mit neusten Technologien helfen, um dazu beizutra-
gen, dass zum einen nicht unnötig Ressourcen verloren-
gehen und zum anderen neue Ressourcen erschlossen
werden. Gerade das können wir. Hier stellen wir – auch
im eigenen Interesse – eine starke helfende Hand gegen-
über den Lieferländern dar.
Ich möchte noch ein Wort zu den regenerativen Ener-
gien sagen. Wenn ich mir überlege – lassen Sie mich das
einmal kritisch anmerken –, welche Mühe es gemacht
hat, hier überhaupt eine Schneise zu schlagen, regenera-
tive Energien zu einem Thema der deutschen Politik und
zu Regierungspolitik werden zu lassen, dann kann ich
nur sagen, dass wir ein Label geschaffen haben, das sich
heute weltweit sehen lassen kann, weltweit hohe Aner-
kennung hat und vor allem auf große Nachfrage stößt, ob
in Entwicklungsländern oder entwickelten Ländern. Wir
sollten diesen Weg mit aller – ich darf das in diesem Zu-
sammenhang sagen – Energie fortsetzen, damit Fotovol-
taik, Windenergie, Biogas oder anderes weiter Erfolgs-
geschichten made in Germany bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sicherlich werden die regenerativen Energien in unse-
rem Lande nicht alle Probleme lösen können; das ist hier
auch nicht das Thema. Das Thema ist, dass wir weltweit
einen Energiemix brauchen, in dem die regenerativen
Energien auch in Zukunft eine sehr große Rolle für die
zentrale, aber auch für die dezentrale Versorgung spie-
len.

Wir werden diese Debatte sicherlich mit einem ent-
wicklungspolitischen Akzent fortsetzen. Dann wird auch
die Bedeutung deutlich, die gerade dieser Bereich für die
Versorgung und für die wirtschaftliche und politische
Entwicklung jener Länder hat, in denen die ökonomi-
schen und politischen Vorbedingungen im Moment nicht
die besten sind. Lassen Sie uns an dieser Stelle weiter
diskutieren. Ich glaube, das lohnt sich für unser Land
und für die Europäische Union.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614509000

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614509100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den

letzten Monaten wurde die Energiepolitik durch zwei
Dinge besonders in den Mittelpunkt gerückt. Das eine
war der IPCC-Report, das andere die Studie des briti-
schen Ökonomen Sir Nicholas Stern, in der er beschrie-
ben hat, dass der Klimawandel, wie er es sagte, das
größte Marktversagen in der Geschichte ist. Interessant
ist die Frage: Wer trägt die Folgen dieses Marktver-
sagens, verursacht insbesondere durch die vielen Treib-
hausgasemissionen in den Industrieländern? Die Haupt-
leidtragenden sind diejenigen Länder, die am wenigsten
gegen den Klimawandel tun können: die Entwicklungs-
länder. Aufgrund der Folgen des Klimawandels gibt es
dort mittlerweile bis zu 150 Millionen Flüchtlinge.

Eine ähnliche Entwicklung können wir beobachten,
wenn wir die Entwicklung der Preise fossiler Rohstoffe
betrachten. Gestern haben wir wieder einmal erlebt, dass
der Ölpreis pro Barrel auf über 100 Dollar gestiegen ist.






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
Das sind immer spekulative Ausschläge. Aber wir alle
wissen: Die Zeiten billigen Öls und Gases sind vorbei,
und Energie wird immer teurer. Auch an dieser Stelle
kann man die einfache Feststellung treffen: Darunter lei-
den vor allem die ärmeren Länder. Im Gegensatz zu ih-
nen können wir manche dieser Probleme, wenn auch un-
ter Ächzen und Klagen, noch bewältigen.

Daran wird meiner Meinung nach deutlich: Wenn wir
diese beiden Probleme, den Klimawandel und die Res-
sourcenkonkurrenz, betrachten, ist festzustellen, dass
wir es mit einem Problem zu tun haben, das kein Land
im Alleingang lösen kann. Es wird nur im Zusammen-
wirken aller zu lösen sein. Energiesicherheit gibt es nicht
ohne Energiegerechtigkeit. Die globale Herausforde-
rung, für Energiesicherheit und -gerechtigkeit zu sorgen,
kann man aber nur gemeinsam bewältigen. Das muss der
wichtigste Parameter einer Energieaußenpolitik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kopp, das macht es so schwierig, über Modelle
wie eine Energie-NATO zu diskutieren. Ich verstehe
zwar den Gedanken, der dahinter steht. Sie müssen sich
aber klarmachen, dass man sich, wenn man Energie-
sicherheit und -gerechtigkeit sicherstellen will, auch den
anderen Problemen zu stellen hat, die es auf diesem Glo-
bus gibt. 1,6 Milliarden Menschen haben überhaupt kei-
nen Zugang zu Elektrizität. Wollen wir ihnen auf Dauer
vorenthalten, abends ihre Häuser zu beleuchten, Fernse-
hen zu schauen und ihre Medikamente zu kühlen? Nein;
denn das ist eine existenzielle Frage.

Wenn wir die Armut überwinden wollen, müssen wir
dafür sorgen, dass diese Menschen Zugang zu Energie
und Elektrizität bekommen. Außerdem müssen wir sie
davon abbringen, ihren Energiebedarf mit vorzeitlichen
Methoden zu befriedigen – ein Beispiel ist das Kochen
mit Dung –, die schreckliche, auch schreckliche gesund-
heitliche Folgen haben können.

Wir werden erleben, dass die Nachfrage nach Energie
gewaltig wachsen wird. In einem solchen Fall richten
wir unseren Blick gerne nach China oder Indien. Aber
ich finde, eines müssen wir uns immer wieder klarma-
chen: Die Hauptverantwortlichen für die steigende
Nachfrage nach der knappen Ressource Energie, die im
Wesentlichen aus fossilen Rohstoffen gewonnen wird,
sind immer noch die Industrieländer. In den Ländern, in
denen 15 Prozent der Weltbevölkerung leben, werden
56 Prozent des Öls, werden 60 Prozent des Gases und
wird über die Hälfte der anderen endlichen Rohstoffe
verbraucht. Deswegen besteht der erste und wichtigste
Schritt zu dem Ziel, Energiesicherheit und Versorgungs-
sicherheit zu schaffen, darin, den Nachfragedruck aus
den Industrieländern deutlich zu senken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Schlüsselfrage, und das ist keine vergessene
Säule; ich komme darauf noch zurück.

Wenn man diesen Weg gehen will, muss man
schauen: Was sind das für Instrumente? Wir brauchen in-
ternationale Strategien, die das umsetzen, was wir in
Deutschland mit den drei E bezeichnen: mehr Energie-
effizienz, mehr Energieeinsparung, mehr erneuerbare
Energien. Solche internationalen Strukturen haben wir
nicht. Wir haben zwar die Internationale Energieagentur.
Sie prophezeit übrigens – damit liegt sie näher an dem,
was die Grünen sagen, als an dem, was Sie sagen –, dass
der Anteil der Atomenergie rückläufig sein wird. Aber
diese Internationale Energieagentur ist immer noch eine
Agentur dieser 15 Prozent der Weltbevölkerung, sie
führt Konsumenten und Produzenten sowie Entwick-
lungsländer nicht zusammen. Wir müssen die Internatio-
nale Energieagentur für die anderen Nachfrager und für
die, die noch stärker abhängig sind, öffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Instrumente zur Förderung der erneuer-
baren Energien, zum Beispiel REN 21 oder die von vie-
len vorgeschlagene IRENA. Wir müssen diese interna-
tionalen Strukturen aufbauen.

Gleichzeitig dürfen wir andere Strukturen, die viel
mit Sicherheit zu tun haben, nicht schwächen. Ich be-
haupte, dass die neu entflammte Liebe von Nicolas
Sarkozy – nicht zu Carla Bruni, sondern zur Nuklear-
energie – uns große Probleme bescheren wird.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Das glaube ich auch!)


Wofür soll ein Land wie Libyen – mit Öl- und Gasvorrä-
ten und mit einem gigantischen Potenzial an solarer
Strahlungsenergie – Atomkraftwerke brauchen? Hier
produzieren wir unser Proliferationsproblem von mor-
gen. Libyen ist zudem nicht das einzige Land. Ein weite-
res Beispiel ist Brasilien. Iran muss ich nicht erwähnen.
All diese Länder greifen nicht aus energiepolitischen
Gründen nach dieser Technologie. Und das, liebe Frau
Kopp, sollen wir promoten?


(Gudrun Kopp [FDP]: Lesen Sie einmal den Antrag!)


Das lohnt sich nicht, allein deswegen, weil die Atom-
energie gerade einmal 3 Prozent des Energiebedarfes der
Welt deckt. Deshalb glaube ich, dass wir den Weg hin zu
mehr Energieeffizienz, zu mehr Energieeinsparung, zu
mehr erneuerbaren Energien gehen müssen. Das erspart
uns neue Proliferationsrisiken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen an dieser Stelle mehr Markt. Frau
Wöhrl, wenn Sie sich zu mehr Markt bekennen, dann
müssen Sie das auch zu Hause machen. Dann können
Sie es nicht wie Ole von Beust machen, der kurz vor der
Wahl das hamburgische Gasnetz einem der Monopolis-
ten wieder übereignet, statt es in kommunalen Besitz zu
überführen oder es einem anderen Wettbewerber zu
übertragen. Das ist nicht mehr Markt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mehr Markt brauchen wir auch in einem anderen Be-
reich. Es ist nicht so, dass die Energieversorgung der
Welt an zu viel Freihandel leidet. Im Gegenteil, die Mo-
nopolisierung der Angebotsstruktur durch große, staats-
eigene Konzerne – Gasprom ist hier nur einer; auch der
saudische Staat wäre zu nennen, oder Chávez – geht ja






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
nicht in erster Linie zulasten der reichen Länder, sie geht
zuallererst zulasten der ärmsten der armen Länder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mehr Markt, mehr Transparenz an dieser Stelle, das ist
also auch ein Stück Energieaußenpolitik.

Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz hinzufügen.
Frau Kopp, Sie haben am Anfang gesagt, dass wir viel
über Energiepolitik diskutieren, aber dabei die Säule der
Versorgungssicherheit vergessen hätten. Sie haben über
Diversifizierung gesprochen, darüber, dass man sich
nicht von einer Quelle abhängig machen sollte; dass wir
Flüssiggasterminals brauchen. Das ist alles richtig.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614509200

Herr Kollege Trittin!


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614509300

Aber glauben Sie wirklich – damit will ich Sie nach-

denklich machen –, dass es einen Widerspruch zwischen
Klimaschutz und Versorgungssicherheit gibt?


(Gudrun Kopp [FDP]: Nein!)


Ich glaube, einen solchen Widerspruch gibt es nicht.
Wenn wir in Europa unser Klimaschutzziel, 30 Prozent
unserer Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken, er-
reichen würden, würde unsere Abhängigkeit von Ener-
gieimporten von 75 Prozent auf unter 50 Prozent sinken.
Klimaschutz ist praktizierte Energiesicherheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614509400

Nächster Redner ist der Kollege Laurenz Meyer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1614509500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Anliegen, das wir hier diskutieren, und der Grund-
ansatz, der in dem FDP-Antrag zum Ausdruck kommt,
sind ganz wichtig und werden von uns nachdrücklich
unterstrichen. All das, was zur Exportabhängigkeit
Deutschlands – ich würde sagen: Europas –, zu der Tat-
sache, dass Schwellenländer wie China und Indien mit
zusätzlicher Nachfrage auf den Markt kommen, zu unse-
rer Abhängigkeit insbesondere im Ölbereich von den
Krisenregionen, aber auch zu unserer derzeitigen
Abhängigkeit im Gasbereich, die wir vielleicht durch in-
ternationale Politik und mit Unterstützung unserer Un-
ternehmen und Technologien im Bereich der Flüssiggas-
reserven ein bisschen verringern können, gesagt worden
ist, ist richtig und wichtig.

Ich möchte heute den Versuch machen, Herr Trittin,
uns alle nachdenklich zu machen, was unsere eigene Po-
litik angeht, wenn wir die Situation so beschreiben, wie
Sie es zu Recht getan haben. Ich glaube nämlich wirk-
lich, dass die Ressourcen Energie und Wasser unter den
Stichworten „Frieden“ und „Armutsbekämpfung“ – das
ist eben auch von Herrn Staffelt gesagt worden – interna-
tional die zentralen Themen sind. Es ist hier auch schon
richtig beschrieben worden, wie die Situation in Afrika,
Indien und anderen Teilen der Welt ist, was die Brenn-
stoffversorgung, das Abholzen von Wäldern, den Ver-
brauch des letzten Holzes, von Dung usw. sowie die da-
mit verbundenen CO2-Emissionen angeht.

Das, was bei der Konferenz der deutschen Industrie
im asiatischen Raum zu der Frage vorgetragen wurde,
wo unsere Unternehmen in Asien die Ansatzpunkte se-
hen, fasse ich wie folgt zusammen: Die Klimapolitik, die
wir in Deutschland betreiben, ist zu überprüfen. Ist es
wirklich richtig, dass wir hier für den Einsatz von Foto-
voltaik riesige Summen ausgeben, wodurch der Druck
auf die Hersteller, preisgünstigere Geräte und Technolo-
gien anzubieten, eher geschwächt als gestärkt wird;
müssten wir nicht eher dazu beitragen, dass zum Bei-
spiel in Indien in viel stärkerem Maße Fotovoltaik einge-
setzt wird, damit dort Licht und Wärme nicht mehr
durch direkte Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Öl
erzeugt werden? Dort hätten wir im Vergleich zu den
CO2-Einsparungen, die wir hier erzielen, um Potenzen
höhere CO2-Einsparungen zu erwarten. Dort reden wir
nicht wie hier vom Faktor zwei, sondern vom Faktor 15
oder 20. Mir stellt sich wirklich die Frage, ob wir da-
rüber nicht einmal sprechen müssen.

Dies gilt auch für die Frage, wie wir unseren Energie-
mix gestalten müssen, damit wir solche Ansätze einbe-
ziehen können. Mir ist die Diskussion, die wir hier füh-
ren, zu widersprüchlich. Auf der einen Seite weisen Sie
zu Recht darauf hin, wie die Situation in den genannten
Ländern ist, in denen ein zusätzlicher Nachfragedruck in
Bezug auf fossile Energieträger entsteht, und sagen, dass
wir, um ihnen fossile Energieträger günstiger zur Verfü-
gung zu stellen, diese hier nicht einsetzen sollten. Außer-
dem sollten wir hier auch keine Kernenergie einsetzen,
um den weltweiten Nachfragedruck zu verringern. Ist es
aber nicht viel sinnvoller, dass wir mit unseren Hoch-
technologien die fossilen Energien hier einsetzen und
unsere Technologien etwa im Bereich der Fotovoltaik
von mir aus mit deutschem Geld den Schwellenländern
zur Verfügung stellen? Darüber sollten wir einmal in
Ruhe reden. – Ich meine nicht, dass das etwas zum Grin-
sen ist.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war das nicht gemeint!)


Vielmehr sollten wir in Ruhe und ernsthaft abwägen, wo
die größeren Erfolge beim Klimaschutz zu erreichen wä-
ren. Ich bringe diesen Punkt einfach einmal zum Nach-
denken in diese Debatte ein, weil hier die Gelegenheit
dazu ist.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614509600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Trittin?


Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1614509700

Gern.






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614509800

Lieber Herr Meyer, ich wollte eben nicht grinsen. Ich

stimme Ihnen sogar in einem Punkt zu.

Würden Sie mir in dieser nachdenklichen Debatte zu-
gestehen – Sie haben zwar recht, was die Ausnutzung
zum Beispiel von Fotovoltaikanlagen unter den klimati-
schen Bedingungen in Afrika angeht –, dass gerade für
Afrika der hohe Anschaffungspreis solcher Anlagen das
Haupthindernis war und dass es durch die Entwicklung
einer massenhaften Nachfrage insbesondere in Deutsch-
land gelungen ist, innerhalb von acht Jahren die Stück-
kosten für Fotovoltaikanlagen zu halbieren, und wir in-
zwischen erreicht haben, dass im Vergleich zu einem
Dieselgenerator eine Fotovoltaikanlage auch unter den
klimatischen Bedingungen in Afrika wettbewerbsfähig
ist?


Laurenz Meyer (CDU):
Rede ID: ID1614509900

Sie haben in dem Punkt recht, dass die Anstoßfunk-

tion wichtig ist. Ich sehe aber zurzeit das Problem, dass
der Druck auf die Produzenten, die Rationalisierungsre-
serven auszuschöpfen, nicht stark genug ist. Die Frage
ist, wie wir mit der weiteren Finanzierung der Fotovol-
taik unter unseren Bedingungen umgehen, um den
Druck in Richtung einer weiteren Senkung der Kosten
dieser Anlagen zu erhöhen. Denn zurzeit kommt unser
Programm in erster Linie Kapitalanlegern und der japa-
nischen Solarindustrie zugute. Das machen leider Gottes
die Zahlen deutlich.

Wir sollten uns weiter damit befassen, wie wir mit
dem Einsatz dieser Anlagen bei der CO2-Vermeidung
den größtmöglichen Erfolg erreichen können. Insofern
kann ich nicht nachvollziehen, dass man sich ideolo-
gisch auf Einzelaspekte und einzelne Teilbereiche der
Energiepolitik beschränkt. Unter solchen Bedingungen
kann ich auch nicht nachvollziehen, warum man ausge-
rechnet in dem vor uns liegenden Zeitraum, in dem wir
die Umstellung auf neue Technologien schaffen wollen,
aus der einzigen CO2-freien Energie, der Kernenergie,
aussteigen und dafür verstärkt auf den Bau neuer Kohle-
kraftwerke setzen will.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das kann ich nicht nachvollziehen, wenn es uns um ra-
tionale Energiepolitik geht.

Bei all unseren Diskussionen über Investitionen, Kraft-
werksausbau, Netzkuppelstellen in Europa und unsere
Industrie stellt sich die Frage, was wir tun können, um
auf internationaler Ebene die größten Erfolge zu erzie-
len. Wir müssen zum Beispiel bei der Preisgestaltung
darauf achten, dass wir unsere energieintensiven Indus-
trien in Deutschland halten, weil sie unter den hiesigen
Bedingungen am ehesten unter dem Druck stehen, einen
Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu leisten.
Die Lage wird doch nicht besser, wenn die Stahlindustrie
nicht mehr bei uns angesiedelt ist, sondern in Indien, wo
völlig andere gesetzliche Rahmenbedingungen gelten.

Wenn wir den CO2-Ausstoß weiter durch den be-
schränkten Rahmen unserer kleinen nationalen Brille be-
trachten, statt endlich auch über solche Zusammenhänge
zu sprechen, dann werden wir international keine Er-
folge erzielen. Nach dem, was verschiedene Kollegen
vorgetragen haben, erscheint mir die gesamte Diskussion
sehr eng.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614510000

Das Wort hat die Kollege Gabriele Groneberg, SPD-

Fraktion.


Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1614510100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist in der Tat gut, dass wir eine so nachdenkliche De-
batte führen. Es ist grundsätzlich erfreulich, dass wir
heute anhand der beiden Anträge Gelegenheit haben,
über das Thema zu diskutieren, und zwar nicht nach dem
Motto „Gut, dass wir darüber geredet haben“, sondern
unter dem Gesichtspunkt, was zu tun ist und wie wir in
den unterschiedlichen Fraktionen mit bestimmten Fakto-
ren umgehen.

Den Stellenwert der Energiepolitik und die notwen-
dige Verzahnung von Außenpolitik, vor allem im Be-
reich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, bestreitet wohl niemand in diesem Hause
mehr ernsthaft. Herr Trittin hat dazu schon einiges aus-
geführt. Die Gestaltung der Energiepolitik wird in Zu-
kunft für uns alle substanziell sein, weil sie untrennbar
mit anderen Bereichen verbunden ist. Man kann sie nicht
mehr isoliert betrachten; das ist schon in den Debatten-
beiträgen der Kollegen zum Ausdruck gekommen.

Zu Beginn möchte ich die Aspekte zusammenfassen,
die uns und die Entwicklungs- und Schwellenländer glei-
chermaßen betreffen. Erstens geht es in diesem Zusam-
menhang um die Notwendigkeit, die Energiesicherheit
für die Gegenwart und die Zukunft zu gewährleisten. Das
gilt sowohl für uns als auch für die Entwicklungs- und
Schwellenländer, Frau Kopp.

Zweitens muss bei der Energieproblematik immer
auch der Klimaschutz mit in den Blick genommen wer-
den. Gerade im letzten Jahr haben wir so oft über dieses
Thema und die Verknüpfung geredet wie nie zuvor. Hier
zeigt sich deutlich, dass wir unsere Interessen nur ge-
meinsam wahrnehmen können; denn Klimaschutz kann
effektiv nur in weltweiter Zusammenarbeit betrieben
werden.

Drittens muss die Auseinandersetzung mit der The-
matik immer vor dem Hintergrund der Versorgung mit
Rohstoffen, aber auch im Bewusstsein der Endlichkeit
fossiler Ressourcen geführt werden.

Viertens geht es hier schlichtweg um sicherheitspoli-
tische Aspekte. Konflikte um Ressourcen sind an der Ta-
gesordnung. Ich brauche das nicht weiter auszuführen;
denn wir werden Tag für Tag damit konfrontiert.

In diesen Rahmen eingebettet sehe ich die Energieau-
ßenpolitik. Sie ist für mich nicht nur – wie das leider in






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, meine Damen und
Herren von der FDP – ein Instrument zur Wahrnehmung
der eigenen Interessen. Für mich ist Energieaußenpolitik
mehr als ein Mittel zum Zweck. Der Begriff ist weiter
gefasst und durch ein Denken in Zusammenhängen ge-
kennzeichnet. Wir können Energie-, Entwicklungs- und
Klimapolitik nicht mehr sektoral betreiben und ausei-
nanderdividieren. Sie sind auf komplexe Weise mitein-
ander verbunden.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das haben wir gemacht!)


– Nein, das fehlt in Ihrem Antrag. So ist das zumindest
nicht zum Ausdruck gekommen.

Genau diese Aspekte und Zusammenhänge – das är-
gert mich ein bisschen an den vorliegenden Anträgen –
haben wir in unserem Koalitionsantrag „Energie- und
Entwicklungspolitik stärker verzahnen – Synergieeffekte
für die weltweite Energie- und Entwicklungsförderung
besser nutzen“ im letzten Jahr aufgezeigt. In diesem Ti-
tel kommt zum Ausdruck, worüber wir hier eigentlich
diskutieren. Ich finde es schade, dass Sie, meine Damen
und Herren von der FDP, und die Kollegen von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen unseren Antrag damals
nicht unterstützt haben. Dort haben wir alle Aspekte auf-
genommen. Ich bin erstaunt: Sie haben etliche Passagen,
manchmal fast wortwörtlich, aus unserem Antrag über-
nommen. Ich bedauere das nicht, sondern finde das gut.
Aber es ist schade, dass Sie im letzten Jahr nicht dazu
bereit waren, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten,
sondern nun einen eigenen Antrag vorgelegt haben, in
dem Sie einen Teil unserer Forderungen als Wahrheit
und Bestandteil Ihrer Politik übernommen haben.


(Iris Gleicke [SPD]: Ein Erkenntnisgewinn!)


– Meine Kollegin hat vollkommen recht. Wir sind Gott
sei Dank immer ein bisschen schneller.

Frau Kopp, darüber hinaus habe ich ein substanzielles
Problem mit dem Antrag Ihrer Fraktion. In Ihrem Antrag
werden Zielkonflikte heraufbeschworen. Es ist sogar von
Widersprüchen zwischen entwicklungs- und umweltpoli-
tischen Zielsetzungen die Rede. Das sehen wir so absolut
nicht. Im Gegenteil: Dort, wo Sie Widersprüche und
Zielkonflikte sehen, sehen wir die Möglichkeit für Syn-
ergien. Ich will dies am Beispiel Öl im Zusammenhang
mit dem Ressourcenreichtum bestimmter Entwicklungs-
länder und der damit verbundenen Möglichkeit der ent-
wicklungsorientierten Verwendung von Einnahmen, die
aus dem Verkauf von Ressourcen stammen, deutlich ma-
chen. Wenn regionale Kontrollmechanismen insbeson-
dere in Afrika bei der Mittelverwendung greifen, dann
besteht bei den Zusatzeinnahmen aus der Öl- und Gasför-
derung in einigen Entwicklungsländern auf jeden Fall
das Potenzial, diese Gelder für die Erreichung der Mil-
lenniumsentwicklungsziele einzusetzen.

Etwa ein Zehntel der weltweit bekannten Ölreserven
liegt auf dem afrikanischen Nachbarkontinent. Damit
aus dem Ressourcensegen kein Ressourcenfluch wird,
müssen wir Initiativen unterstützen wie die zivilgesell-
schaftliche „Publish what you pay“-Initiative oder die
„Extractive Industries Transparency“-Initiative, die sich
darum bemühen, durch Offenlegung der Zahlungen si-
cherzustellen, dass das Geld in entwicklungsrelevanten
Bereichen wie Gesundheit und Bildung Verwendung fin-
det und nicht in die Taschen einiger korrupter Machtha-
ber fließt.

Für viele ressourcenarme Entwicklungsländer hinge-
gen führt die Energieimportabhängigkeit zu hohen Belas-
tungen. Steigende Ölpreise stellen für diese Länder ein er-
hebliches Risiko dar, weil finanzielle Mittel für die eigene
Entwicklung verloren gehen. Vor diesem Hintergrund ist
es nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern ein un-
bedingtes Muss, die Förderung von erneuerbaren Ener-
gien voranzutreiben. Herr Staffelt und Herr Trittin haben
diesen Zusammenhang eben dargelegt. Frau Kopp, es ist
dringend notwendig, die Kernenergie – im Gegensatz zu
Ihrer Forderung – als rückwärtsgewandte Technologie zu
betrachten. Sie ist nicht die Zukunftstechnologie.

Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung
ihre Hausaufgaben macht. Mit einer Fördersumme in
Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr sind die erneuer-
baren Energien und die Energieeffizienz die größten In-
vestitionsbereiche in der bilateralen entwicklungspoliti-
schen Zusammenarbeit. Im Übrigen stehen 120 Millio-
nen Euro pro Jahr für die internationale Zusammenarbeit
im Klimaschutz zur Verfügung. Das ist ganz wichtig,
und damit werden wir unserer Verantwortung gerecht.


(Beifall bei der SPD)


Mit dem Export von Technologien zur Nutzung von
erneuerbaren Energien und zur Verbesserung der Ener-
gieeffizienz können wir einen wesentlichen Beitrag zur
Energieversorgung in ressourcenarmen Entwicklungs-
und Schwellenländern leisten. Nicht zu vergessen: Inte-
ressant ist, dass wir selbst auch davon profitieren, weil
unsere Unternehmen mit ihrer Technologie auf in Zu-
kunft boomenden Märkten Fuß fassen können, auch in
Afrika. Daraus wiederum ergibt sich die Schlussfolge-
rung der Technologiezusammenarbeit auch mit großen
Schwellenländern wie China und Indien. Das ist für uns,
Frau Kopp, in diesem Bereich eine Selbstverständlich-
keit, was Sie nicht so sehen. Wir haben darüber oft ge-
nug diskutiert.

Wir werden die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit
China nicht aufkündigen, auch wenn China schon selbst
als Geberland in Afrika auftrat. Wir müssen darüber re-
den, und wir haben das auch schon getan; aber wir wis-
sen ganz genau, dass wir eigentlich nur auf diesem Wege
Klimaschutzdiplomatie betreiben können. Wir sorgen
nämlich mit unserem Know-how dafür, dass auf den chi-
nesischen Märkten Umweltschutztechnologie installiert
wird. Letztendlich profitieren unsere Unternehmen da-
von. Da hätte ich mir ausgerechnet von der FDP eine
klare Aussage gewünscht.

Mehr Positives kann ich zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen sagen. Es ist allerdings wie-
derum schade, dass Sie nicht unserem Antrag von vor ei-
nem Jahr gefolgt sind; denn die Grundlagen für die er-
folgreiche Politik, die wir jetzt machen, haben wir – das
gebe ich gerne zu – in den Jahren der rot-grünen Zusam-
menarbeit gelegt. Wir sind jetzt etwas erfolgreicher, weil






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Groneberg
wir eine größere Mehrheit hier im Hause haben. Das
freut uns. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Es wäre
schön gewesen, wenn Sie bei unserem letzten Antrag da-
bei gewesen wären.

Als Beleg für unsere Vorwärtsstrategie will ich ein Zi-
tat aus einem Namensartikel unseres Außenministers
vom März 2006 anführen. Er hat gesagt:

Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wird den
Übergang zu einem friedlichen Nach-Öl-Zeitalter
gestalten helfen und dafür Sorge tragen, dass die
Energieversorgung unseres Landes und Europas ge-
sichert bleibt.

Wo bitte, Frau Kopp, ist da die „vergessene Säule“? Das
kann ich hier nicht sehen.

Ich hätte mich wirklich gefreut, wenn wir uns eher
verständigt hätten. Vieles in Ihren Anträgen ist durchaus
richtig. Wir arbeiten weiter an unserem Ziel. Ich kann
nur sagen: Schön, dass Sie dabei sind. Einen Satz
möchte ich ergänzen, Frau Kopp. Sie haben gesagt: Wer
die Energie hat, hat die Macht. Ich würde es anders for-
mulieren: Wer die Energie hat, hat vor allen Dingen Ver-
antwortung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614510200

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1614510300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man

kann am Ende dieser Debatte einige Zahlen nicht oft ge-
nug wiederholen: Schon heute importiert die Europäische
Union 57 Prozent des benötigten Erdgases. Prognosen
zufolge werden im Jahre 2030 80 Prozent des benötigten
Erdgases nach Europa importiert werden müssen – dies
bei ständig steigender Nachfrage. Bereits heute kommen
25 Prozent der Nachfrage vom russischen Staatskonzern
Gasprom. Deutschland ist gegenwärtig zu 40 Prozent auf
russische Gaslieferungen angewiesen. Auch hier steigt
die Tendenz. Der Ausstieg aus der Atomtechnik, die Ver-
hinderung des Baus von Kohlekraftwerken und überam-
bitionierte Klimaschutzziele werden das Ihrige dazu bei-
tragen.

Eine in Ansätzen befindliche europäische Energieau-
ßenpolitik bezieht sich auf vier Hauptelemente, als da
sind: regionale Diversifizierung, Institutionalisierung
der Energiemärkte, Verbreiterung des Energiemixes und
Effizienzerhöhung. Allein mit der Steigerung der Ener-
gieeffizienz lassen sich erhebliche Potenziale erschlie-
ßen. Dazu können wir bei uns – das ist gesagt worden –
viel beitragen. Weit mehr lässt sich bei unseren ost- und
mitteleuropäischen Nachbarn, vor allem in Russland, er-
reichen. So gehen in Russland zwei Drittel der Erdgas-
förderung in den Binnenverbrauch. Eine Erklärung dafür
sind die zurzeit noch niedrigen russischen Binnenpreise
für Erdgas. Eine Ursache sind aber auch veraltete Tech-
nologien und die veraltete Infrastruktur. Hier wäre viel
zu tun, Stichwort Technologieexport.

Durch die Steigerung der Energieeffizienz und mit
der Verbreiterung des Energiemixes – auch das ist ange-
sprochen worden – können wir sicher sehr viel errei-
chen.

Aber auf absehbare Zeit wird sich auf diese Weise die
Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger nur sehr
begrenzt verringern lassen. Deshalb haben wir ein weiter
zunehmendes Interesse daran, gemeinsame Regeln für
den Energiehandel und die Energiemärkte zu vereinba-
ren. Stichworte dazu sind genannt worden: internationa-
les Energierecht, Institutionalisierung des Energiemark-
tes, Energiecharta. Frau Kollegin Kopp, Herr Kollege
Staffelt, wir wissen aber auch, dass sich Russland bisher
beharrlich weigert, der Energiecharta beizutreten.


(Gudrun Kopp [FDP]: Weiter versuchen!)


Gefahren und Risiken in diesem Zusammenhang er-
wachsen uns nicht nur aus der Möglichkeit politischer
Einflussnahme auf Energietrassen und Energietrans-
porte. Hinzu kommt, dass Russland zur Modernisierung,
zum Erhalt und zum Ausbau seiner Produktion gewal-
tige Finanzmittel benötigt, die es aus eigenen Kräften
schwer aufbringen kann.

Doch wie sollen notwendige Investitionen in Russ-
land ohne eine Liberalisierung seines Energiemarktes
zustande kommen? Offenbar hat Russland gegenwärtig
an der geopolitischen Kontrolle über Vorkommen und
Transportwege ein größeres Interesse als an der Er-
schließung neuer Vorkommen und der Erneuerung seiner
Infrastruktur. Es steht zu befürchten, dass in sehr viel
kürzerer Zeit Lieferengpässe bei uns auftreten, als der
abstrakte Vergleich von Reserven und Nachfrageent-
wicklung vermuten lässt. Verschärft wird das Problem
– auch das ist gesagt worden – durch den Energiehunger
von China und Indien.

Eine Diversifizierung der Importe wird daher gar
nicht in erster Linie dem Ziel dienen müssen, Abhängig-
keiten zu verringern, vielmehr muss es auch uns um die
Erschließung neuer Lieferquellen gehen. Für eine stär-
kere Diversifizierung gibt es zwei Optionen: Für die eine
Option steht das Projekt der Nabucco-Pipeline. Hierbei
geht es um den Zugang zu zentralasiatischen und mögli-
cherweise auch iranischen Gasvorkommen. Die zweite
Option besteht im zunehmenden Import von Flüssiggas.

Mit der Nabucco-Pipeline sollen bis zu 30 Milliarden
Kubikmeter Erdgas aus Turkmenistan und unerschlos-
sene Ressourcen Aserbaidschans nach Europa gepumpt
werden, und zwar, wenn es geht, an Russland und Gas-
prom vorbei. Es ist jedoch schon heute zweifelhaft, ob in
Turkmenistan und den angrenzenden Regionen über-
haupt jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas zur Lie-
ferung über diese Pipeline zur Verfügung stehen. Denn
fast alles, was bisher gefördert wird, hat Gasprom ver-
traglich gebunden und leitet es weiter.

Ohne die Einbeziehung der gewaltigen iranischen
Gasvorräte dürfte Europa bei Nabucco also in die Röhre






(A) (C)



(B) (D)


Manfred Grund
gucken. Klar ist: Derzeit kommt eine Zusammenarbeit
mit Iran nicht infrage. Diese Situation könnte sich je-
doch im Falle einer politischen Verständigung über das
iranische Atomprogramm ändern. Ein so umfangreiches
Projekt wie die Nabucco-Pipeline mit Investitionen von
mehr als 5 Milliarden Euro ist zwangsläufig langfristig
anlegt.

Stärker auf Import von Flüssiggas als Zweitoption
setzen zu wollen, könnte sich hingegen als fragwürdige
Option erweisen. Denn der Transport von Flüssiggas
birgt erhebliche Risiken. Pipelines sind nicht nur wirt-
schaftlicher, sondern sie stellen auch eine wechselseitige
Verflechtung dar. Pipelines, die wir bauen, führen nach
Europa, Flüssiggastanker fahren überallhin.

Diversifikation wird unsere Abhängigkeit von Russ-
land allenfalls graduell, aber nicht substanziell verrin-
gern. Diversifiziert allerdings Russland seine Exporte,
wird dies seine Abhängigkeit von uns viel stärker redu-
zieren. Es gibt derzeit keine Strategie, mit der sich die
Asymmetrie im Energiehandel mit Russland wirklich
abbauen ließe; denn dazu müsste Moskau zur Öffnung
und Liberalisierung seines Energiemarktes bereit sein.

Frau Präsidentin, wie ich sehe, geht meine Redezeit
zu Ende. Ich möchte aber noch eines sagen: Wir brau-
chen den stärkeren Aufbau eines integrierten europäi-
schen Energiemarktes, sodass wir als Europäer gemein-
schaftlich mit Gasprom, mit Russland verhandeln
können. Dazu gehören natürlich auch – Frau Kollegin
Kopp, Sie haben es gesagt – Energiespeicher, um Ener-
gie bevorraten zu können und gegenüber Russland bzw.
Engpässen in der Energieversorgung besser gewappnet
zu sein.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614510400

Herr Kollege!


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1614510500

Je größer die Marktmacht Europas in diesem Zusam-

menhang ist, desto größer ist auch unser Verhandlungs-
spielraum und desto sicherer wird unsere Energieversor-
gung.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dafür, dass Sie mich
so lange haben reden lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1614510600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6796 und 16/8181 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef
Dzembritzki, Gert Weisskirchen (Wiesloch),
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Deutsche Personalpräsenz in internationalen
Organisationen im nationalen Interesse konse-
quent stärken

– Drucksachen 16/6602(neu), 16/7938 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Dr. Uschi Eid

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort hat der Kollege Dzembritzki, SPD-Frak-
tion.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1614510700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich – ich sehe, die Freude ist bei meinem
Kollegen Dr. Ruck ähnlich groß –, dass wir heute die
Möglichkeit haben, über diesen Antrag zu sprechen.
Denn dieses Thema beschäftigt uns nun wahrhaftig über
Legislaturperioden, in einer Kontinuität, die beinahe
schon beispielhaft ist. Deswegen ist es gut, dass wir dazu
heute endlich hier im Plenum sprechen können.

Es ist unverkennbar: Der Einfluss internationaler Or-
ganisationen nimmt kontinuierlich zu. Deshalb ist es für
uns wichtig, die Politik in diesen Institutionen mitzuge-
stalten. Wir sind auf Ansprechpartner angewiesen. Ein
Netzwerk deutscher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
internationalen Organisationen ist notwendig. Ein Dia-
log zwischen Regierung und Parlament darüber ist eben-
falls notwendig. Wir müssen darauf achten, dass wir dort
entsprechend unseren Möglichkeiten vertreten sind.

Die Repräsentation deutscher Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ist – das will ich einmal vorweg sagen –
weitaus besser geworden als vor etlichen Jahren. Aber es
ist nicht so, dass wir total zufrieden sein können. Wir
wollen diese Repräsentanz deutscher Mitarbeiter nicht
unmittelbar aus unseren finanziellen Beiträgen ableiten;
denn natürlich müssen wir auch Verständnis dafür ha-
ben, dass Länder mit geringeren Möglichkeiten interna-
tional beteiligt sein müssen. Es kann aber nicht sein,
dass wir im Vergleich zu anderen Industrieländern in
wichtigen Institutionen quasi unterrepräsentiert sind.

Deutschland ist Mitglied in über 200 internationalen
Organisationen. Diese 200 internationalen Institutionen
beschäftigen circa 60 000 Personen im vergleichbaren
höheren Dienst. Das heißt, dort sind 60 000 Menschen
mit Hochschulabschluss tätig. Darin sind Projektperso-
nal, Peacekeeping und Sprachendienst nicht enthalten.






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki
Etwa 5 400 deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind auszumachen. Das heißt, dass der Anteil an deut-
schem Personal seit 1998 – damals waren es 8,8 Prozent –
auf 9,5 Prozent gestiegen ist. Das ist zwar eine Steigerung,
aber Sie werden mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass
hier Verbesserungen möglich sind.


(Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!)


Wir befinden uns in der erfreulichen Situation, dass
wir zum Beispiel auf der Generaldirektorenebene der EU
oder im UN-Sekretariat in der quantitativen Ausstattung
gut vertreten sind. Schaut man sich die Spitzen einmal
an, wird man feststellen, dass mit Achim Steiner bei
UNEP nur noch einer der wenigen Spitzenposten von ei-
nem Deutschen besetzt ist. Bis vor kurzer Zeit, Herr Kol-
lege Trittin, hatte auch Tom Koenigs einen solchen Pos-
ten inne; er ist nun nicht mehr dabei. Gerade bei einer
Diskussion über die internationale Mitarbeit kann man
seitens des Parlaments stellvertretend Tom Koenigs,
aber auch allen anderen für ihr Engagement Dank sagen;
denn sie bringen sich da auch für die Bundesrepublik
Deutschland ein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben erfreulicherweise von Aktivitäten der Bun-
de
Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1614510800
Wir als Parlamentarier können uns über den
Dialog mit den Häusern nicht beklagen. Unsere Zusam-
menarbeit ist wirklich gut. Wir haben immer wieder er-
kennen können, dass Anregungen aufgenommen wer-
den. So verfügen wir jetzt über einen internationalen
Stellenpool, sodass man den nötigen Überblick hat.
Ganz wichtig – das geht aus dem Antrag hervor – sind
die Staatssekretärsrunde für deutsches Personal in inter-
nationalen Organisationen im Kanzleramt und der Koor-
dinator für internationales Personal im Auswärtigen
Amt. Dort besteht eine wirklich enge Zusammenarbeit.

Nicht unbedeutend – das will ich hier noch einmal un-
terstreichen – ist auch der regelmäßig tagende Ressort-
kreis unter Einbeziehung der Länder. Wir erleben es bei
Afghanistan – ich nenne nur das Stichwort Polizei – oder
auch in der Kulturpolitik – ich nenne nur das Stichwort
Lehrerinnen und Lehrer –: Wir brauchen die Länder.
Deswegen ist es wichtig, dass sie einbezogen werden.
Unser föderales System macht das möglich. Ich hoffe, es
wird als Chance und nicht als zusätzliches Problem be-
griffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenfalls gut ist, dass heute eine Vorbereitung durch
Informationsveranstaltungen für Bewerberinnen und Be-
werber für internationale Institutionen stattfindet. Das
hat dazu geführt, dass der Anteil deutscher Bewerberin-
nen und Bewerber tatsächlich gestiegen ist.

Ich kann mich sehr gut an eine Konferenz erinnern, an
der Herr Dr. Ruck und ich teilgenommen haben und zu
der das Auswärtige Amt Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter aus internationalen Organisationen eingeladen hatte.
2007 hat eine solche Konferenz zuletzt stattgefunden.
Interessant war, dass sich 500 Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter beworben haben, um an der Konferenz teilzu-
nehmen, aber nur 200 Plätze vergeben werden konnten.
Das zeigt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfin-
den dies als sehr wichtig. Die Bundesregierung kann
man nur ermuntern, diesen Weg weiterzugehen und zu
prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, den Rahmen noch zu
erweitern.

Vielen ist nicht so bekannt, dass ein großer Teil der
deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in interna-
tionalen Organisationen nicht aus dem öffentlichen Dienst
kommt. Wir haben festzustellen, dass circa 1 200 Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem öffentlichen Be-
reich, aber circa 4 200 aus der privaten Wirtschaft oder
aus anderen Institutionen kommen. Man muss sich na-
türlich auch deren Sorgen anhören. In den Gesprächen
mit dem Verband der Bediensteten in internationalen Or-
ganisationen kommt – nicht überraschenderweise – ge-
rade aus dem Kreis dieser Personen die Bitte, sich stär-
ker um sie zu kümmern. Solche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die im internationalen Bereich tätig waren
und nach Deutschland zurückkommen, sollten keine
Nachteile haben. Vielmehr sollte ihre Erfahrung positiv
zur Kenntnis genommen werden. Die Rückkehr in die
deutschen Sozialsysteme muss ermöglicht bzw. erleich-
tert werden. Es darf nicht dazu kommen, dass diese Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter dann quasi um ihre Siche-
rung und ihre Existenz kämpfen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier geht mein Appell an die Bundesregierung – das
geht ein Stückchen über unseren Antrag hinaus –, sich
dieser Thematik anzunehmen. Die Zugangsmöglichkei-
ten zum Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversiche-
rungssystem müssen für diese Bediensteten aufrechter-
halten werden.

Schauen wir uns die Situation der deutschen Beamtin-
nen und Beamten an! Mein Appell geht erneut dahin,
dass nicht nur im Auswärtigen Amt und im BMZ, wo die
klassische internationale Arbeit stattfindet, sondern auch
in den anderen Häusern der Bundesregierung und bei
den Ländern eine Auslandstätigkeit nicht als längerer
Urlaub verstanden wird, sondern als Dienstleistung, die
von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbracht
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diejenigen, die zurückkommen, dürfen nicht irgendwo
sozusagen abgestellt werden; vielmehr sollte man ihre
Erfahrung sinnvoll und nutzbringend einsetzen. Das
liegt im gemeinsamen Interesse.

Zu prüfen ist auch noch, wie die Flexibilität erhöht
werden kann. Wir haben für alles Regelungen. So wird
zum Beispiel ein Beamter, der in den auswärtigen Dienst






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki
geht, für fünf Jahre beurlaubt. Er kann im Ausnahmefall
für weitere zehn Jahre beurlaubt werden. Nun stelle man
sich vor, dass er 13 oder 14 Jahre gebraucht wird. Hier
muss man an die Kreativität der Regierung appellieren.
Es gilt, flexible Regelungen zu schaffen.

Ich habe mich gerade auf den Konferenzen mit ein-
zelnen Kolleginnen und Kollegen unterhalten. Dass je-
mand, der in jungen Jahren als Regierungs- oder Oberre-
gierungsrat nach Brüssel oder New York gegangen ist
und dort 10 bis 15 Jahre gearbeitet hat, dann, wenn er
zurückkommt, hier nur die Perspektive hat, wieder als
Regierungsrat beschäftigt zu werden, kann natürlich
nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir erwarten,
dass man sich auf Regierungsseite darüber noch einmal
Gedanken macht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Raum steht dann immer wieder das sogenannte
Spiralmodell. Ich vermute, der Kollege Dr. Ruck wird
darauf noch eingehen. Ich will Ihnen deshalb nur kurz
sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir einbrin-
gen müssen: Wenn wir zum Beispiel wollen, dass jün-
gere Kollegen vom Auswärtigen Amt oder von anderen
Behörden in internationale Organisationen geschickt
werden, müssen wir dafür sorgen, dass wir im Personal-
bereich flexibler werden. Das bedeutet, dass das Aus-
wärtige Amt – dieses betrifft es ja in der Regel – Mög-
lichkeiten erhalten muss, eine Art Personalreserve bzw.
einen Personalstock aufzubauen, um in diesem Bereich
tätig werden zu können.

Ein Punkt, der sich in der Diskussion ebenfalls immer
wieder abzeichnet, ist die im Unterschied zu anderen
Ländern lange Ausbildungszeit in Deutschland. Zwi-
schen einem Juristen, der bei uns ausgebildet wurde und
dann in eine internationale Organisation geschickt wird,
und einem Juristen, der in Frankreich oder Großbritan-
nien ausgebildet worden ist und dann in eine internatio-
nale Organisation geschickt wird, können Sie schon ei-
nen massiven Altersunterschied feststellen. Das bringt in
der Regel bei den weiteren Aufstiegsmöglichkeiten Pro-
bleme mit sich. Wir müssen also schauen, ob man hier
gemeinsam mit den Universitäten Wege finden kann, um
Benachteiligungen zu beseitigen.

Nachdem ich die Universitäten angesprochen habe,
möchte ich dazu überleiten, dass es bei uns eigentlich
zum Normalfall werden muss, dass innerhalb der Hoch-
schulen Angebote gemacht werden, mit denen junge
Menschen auf eine Tätigkeit in internationalen Organi-
sationen vorbereitet werden. Hier ist, wie ich glaube, in-
nerhalb der Hochschulen einiges machbar. Diese Ange-
bote sollten in Korrespondenz zu Programmen, die
bereits zur Verfügung stehen, gesetzt werden. Ich nenne
das Carlo-Schmid-Programm für Praktikanten oder das
Programm „Beigeordnete Sachverständige“. Ähnliche
Programme könnten mit einer effektiven Ausbildung an
den Hochschulen kombiniert werden, sodass hier für
beide Seiten, für die Hochschule wie für die Studentin-
nen und Studenten bzw. die jungen Akademiker, enorme
Synergieeffekte entstehen könnten. Ich meine also, dass
gerade im Bereich der akademischen Ausbildung noch
andere Formen und Ideen eingebracht werden könnten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe herzlich
Dank zu sagen für die gute Zusammenarbeit, in diesem
Fall besonders mit meinem Kollegen Dr. Ruck.
Christian, ich erwähne das gerne noch einmal, weil wir
wirklich über Jahre dieses Anliegen immer wieder ein-
gebracht haben. Ich bedanke mich beim Unterausschuss
Vereinte Nationen, der dieses Anliegen ebenfalls mitbe-
gleitet hat, und bei den verantwortlichen Kolleginnen
und Kollegen in der Bundesregierung, die uns mit Rat
und Tat zur Seite standen.

Ich schenke Ihnen jetzt einige Sekunden meiner Re-
dezeit und bitte dafür um Verständnis.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614510900

Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1614511000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

befassen uns heute mit einem altbekannten Antrag. Er
wurde schon in der vorletzten und in der letzten Legisla-
turperiode vorgelegt. Im Wesentlichen hat sich an der
Situation nichts geändert. Deshalb werden wir diesem
Antrag auch zustimmen; denn er ist im Kern richtig.

Herr Kollege Dzembritzki hat eben sehr vieles gesagt,
was ich außerordentlich unterstreiche. Natürlich werde
ich es ein wenig zuspitzen. Denn ich denke, es ist die
Aufgabe der Opposition, zum Beispiel darauf hinzuwei-
sen, dass die deutschen Dienststellen, die möglicherweise
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu internationalen Orga-
nisationen entsenden, von Konzepten zu Personalent-
wicklung, die in der Wirtschaft selbstverständliche Rea-
lität sind, Lichtjahre entfernt sind.


(Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)


Hier ist das Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ nach
wie vor prävalent. Das wird ganz klar, wenn man sich
ansieht, mit welchen Begriffen ein junger Diplomat, der
in den auswärtigen Dienst eintritt, konfrontiert wird. So
tolle Worte wie Fokussierung und Diversifizierung sind
die beiden Schlüsselbegriffe der Personalplanung des
Auswärtigen Amtes. Wenn man genauer hinschaut, stellt
man aber fest, dass es sich hierbei nur um den organi-
sierten Versuch handelt, jederzeit Löcher, die entstehen,
stopfen zu können. Das reicht nicht aus, um wirklich von
Personalplanung zu reden. Vielmehr kommt es darauf
an, eine Strategie zu entwickeln, um Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die sich durch eine Auslandstätigkeit in
internationalen Organisationen weiterentwickeln, strate-
gisch in Aufgabenbereichen einzusetzen, wo sie zum
Nutzen unseres Landes mehr beitragen können, als das






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Werner Hoyer
sonst der Fall ist. Da ist noch viel zu tun; das möchte ich
durchaus kritisch anmerken.

Ich möchte auch kritisch anmerken, dass die Situation
nicht so schön ist, wie es die Koalition hier in Treue zur
Regierung darstellt. Die Präsenz von Deutschen in Spit-
zenpositionen der internationalen Organisationen ist
jammervoll. Man muss sehen, wie schnell das manchmal
bei anderen geht. Die Geschwindigkeit, mit der die Fran-
zosen Herrn Strauss-Kahn plötzlich in eine Topposition
gebracht haben, ist atemberaubend. Hier haben wir noch
sehr großen Nachholbedarf. Beispielsweise sind nach
dem Abgang von Herrn Töpfer nicht mehr allzu viele
Deutsche im Rahmen der UNO zu sehen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Besuch von
Minister Steinmeier in Seoul, als er zum ersten Mal
Herrn Ban Ki-moon, dem damaligen koreanischen Au-
ßenminister, die Unterstützung bei der Wahl zum UN-
Generalsekretär zugesichert hat. Danach ist vom UN-
Generalsekretär im Hinblick auf die Bundesrepublik
nichts mehr passiert. Es wäre schon ganz schön,
Deutschland wäre auf der Ebene unterhalb des UN-Ge-
neralsekretärs oder an der Spitze von UN-Sonderorgani-
sationen wieder vertreten. Hier muss noch einiges ge-
schehen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)


Ich möchte nicht verschweigen, dass ich auch einige
Punkte außerordentlich begrüße. Das Auswärtige Amt
hat seit ein paar Jahren ein Programm zur systemati-
schen Betreuung von Bewerbern für Auswahlverfahren
auf der EU-Ebene installiert. Das ist ausgesprochen er-
folgreich. Die Erfolgsquote deutscher Bewerberinnen
und Bewerber hat sich seitdem erheblich erhöht. Hier
stehen wir sehr gut da. Das kann ich nur begrüßen.

Aber was die Europäische Union angeht, kann man
nicht gerade Erfolgsmeldungen absondern. Hier muss
man schon genauer hinsehen, Herr Dzembritzki. Sie ha-
ben die Zahl der Generaldirektoren angesprochen. Von
den sieben deutschen Generaldirektoren in der Europäi-
schen Kommission werden bis 2010 sechs pensioniert.
Danach kommt nichts, weil wir auf den Ebenen darunter
kaum noch vertreten sind, und wenn, dann nicht in stra-
tegischen Positionen oder Aufgaben mit inhaltlichen
Positionen, die für uns besondere Bedeutung haben.

Eine Ebene weiter unten wird es geradezu bedenklich.
Mögliche Nachfolger der Generaldirektorinnen und -di-
rektoren der Europäischen Union, in der Kommission
wie auch im Rat, sind im Wesentlichen diejenigen, die
jetzt Referatsleiter sind oder es werden könnten. Ich
nenne hier die Zahlen: Bei den Referatsleitern liegt
Deutschland mit 133 hinter Frankreich mit 172, Italien
mit 164 und Belgien mit 152. Das ist außerordentlich be-
denklich, da muss sich etwas tun. Bei den Direktoren
sieht das nicht viel besser aus, zumindest wenn man
Deutschland mit Großbritannien und Frankreich ver-
gleicht. Jetzt rächt es sich, dass man früher immer ge-
glaubt hat, nur auf Spitzenfunktionen achten zu müssen,
aber nicht darauf, dass man auch von unten hervorragen-
des Personal nachschieben muss.
Ich muss mich angesichts meiner außerordentlich be-
grenzten Redezeit auf eine Schlussbemerkung zum
Thema europäischer auswärtiger Dienst beschränken.
Da wird gegenwärtig ein neues Fass aufgemacht. Einige
Weichen werden neu gestellt, was für uns eine enorme
Langzeitwirkung haben wird. Daher bitte ich die Bun-
desregierung, sehr schnell sehr aktiv zu werden. Die In-
teressenkonflikte zwischen Kommission, Ratssekreta-
riat, teilweise sogar innerhalb des Ratssekretariats, und
Mitgliedstaaten sind ganz evident. Einige Dinge werden
gegenwärtig von der Kommission schamhaft verschwie-
gen, weil man daran nicht rütteln will, zum Beispiel das
Beamtenstatut in der Kommission.

Wenn es denn so sein wird, wie sich das die Kommis-
sion vorstellt, dass ihre Generaldirektionen den Kern-
bestand des zukünftigen europäischen auswärtigen
Dienstes ausmachen werden, dann bedeutet das bei dem
gegenwärtigen Personalstatut der Kommission, dass
Mitarbeiter, die aus den Mitgliedstaaten kommen, kein
Direktionsrecht gegenüber Mitarbeitern der Kommission
haben dürfen. Das heißt, sie kommen nur für nachgeord-
nete Aufgaben infrage, gewissermaßen als nationale Ex-
perten. Das kann es nicht sein. Ich bitte dringend, darauf
zu achten.

Ein letztes Wort zum Thema Sprachen. Im Zusam-
menhang mit dem europäischen auswärtigen Dienst wird
eine Entscheidung über das Sprachenregime in diesem
zukünftigen europäischen auswärtigen Dienst herbeizu-
führen sein. Es gibt einen Konflikt zwischen dem Spra-
chenregime der Kommission – das sind drei Sprachen,
Deutsch eingeschlossen – und dem Regime der Europäi-
schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Im Politi-
schen und Sicherheitspolitischen Komitee wird nur Eng-
lisch und Französisch gesprochen. Wenn wir an dieser
Stelle nicht die Weichenstellung zugunsten des Deut-
schen vornehmen, wird das Deutsche auf Jahrzehnte in
der europäischen Außenpolitik keine Rolle spielen. Das
kann nicht in unserem Interesse sein. Dort werden die
Weichen jetzt gestellt, nicht erst in ein paar Jahren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614511100

Das Wort hat nun Christian Ruck, CDU/CSU-Frak-

tion.


Dr. Christian Ruck (CSU):
Rede ID: ID1614511200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In unserem Antrag geht es um eine schlagkräf-
tige, effiziente Vertretung unserer Interessen in internatio-
nalen Organisationen durch eine optimierte strategische,
das heißt durchdachte und langfristige Personalpolitik.
Wir haben das Papier fraktionsübergreifend erarbeitet.
Es ist nicht neu; denn es ist ein sehr dickes Brett, das da zu
bohren ist. Ich darf den ausgesprochenen Dank zurückge-
ben, zum Beispiel an dich, Detlef; wir arbeiten ja schon
jahrelang zusammen an diesem Brett. Es gab auch vorher
schon ein dickes Brett. Auch Kollege Weisskirchen war
betroffen; ich erinnere mich an die dramatische Situation






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck
in der letzten Woche der letzten Legislaturperiode Kohl
im Jahr 1998, als wir einen ähnlichen Antrag verabschie-
det haben. Es war ein etwas ungünstiger Zeitpunkt, und
darum mussten wir an diesem dicken Brett weiterarbei-
ten. Warum ist das Brett so dick? Das hat etwas mit
Mentalitätsveränderungen an vielen Stellen zu tun. So
etwas dauert immer lange.

Das Anliegen ist in den letzten zehn Jahren immer
dringlicher geworden. Die Globalisierung hat sich un-
vermindert fortgesetzt und damit auch die Risiken und
Chancen durch die Globalisierung, die Bedeutung von
internationalen Lösungen und internationaler Zusam-
menarbeit sowie die Bedeutung internationaler Organi-
sationen und ihrer Auswirkung auf unsere Innenpolitik,
auf die Arbeit in unserem Land. Unser Land befindet
sich mitten in diesem Prozess. Die Bundesrepublik ist
hochgradig abhängig von einer positiven internationalen
Entwicklung.

Wir haben in den letzten zehn Jahren auch im außen-
politischen Handel mit ganz neuen Herausforderungen
– Balkan, Kongo, Afghanistan – zu tun gehabt. Nicht zu-
letzt sind wir international einer der größten Zahlmeister.
Das bedeutet, dass wir als Bundesrepublik Deutschland
ein ganz erhebliches Interesse am Erfolg der Arbeit in-
ternationaler Organisationen haben, am Erfolg der EU,
der WTO und auch der UNO-Einsätze. Damit haben wir
auch ein Interesse an frühzeitigen Informationen aus die-
sen Organisationen und an erfolgreicher Einflussnahme.
Mitreden und Mitgestalten sind für uns in den letzten
zehn Jahren immer wichtiger geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das funktioniert nur mit ausreichender Präsenz von
hochqualifiziertem und hochmotiviertem deutschen
Personal in internationalen Organisationen.

Das ist der Inhalt dieses Antrags. Wir sind Mitglied in
mehr als 200 internationalen Institutionen. Wir sind ein
wichtiger und zuverlässiger Beitragszahler. Aber in vie-
len Vertretungen ist unsere Präsenz nicht angemessen,
weder quantitativ noch qualitativ.

Ich möchte ein Beispiel nennen, das uns alle bewegt
hat: der Einsatz im Kongo. Das war eine der teuersten
Missionen, an denen wir mit unseren bei der UN übli-
chen 9 Prozent beteiligt waren. Wir hatten aber, beson-
ders am Anfang, auf die Operation so gut wie keinen
Einfluss, weil wir kaum Personal gestellt haben, ich
glaube, einen oder zwei von 16 000 Leuten. Das hat sich
dann erst durch einen deutschen stellvertretenden
MONUC-Direktor geändert, der andere Leute nachgezo-
gen hat. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man
es nicht machen soll, aber auch dafür, wie es dann doch
geht, wenn man sich anstrengt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ähnlich ist es auf dem Brüsseler Parkett – darauf wurde
bereits eingegangen –, bei der WTO, die für die Export-
nation Deutschland sehr wichtig ist, bei der NATO, in
der UNO-Verwaltung, bei der OECD usw.
Wir haben uns als Antragsteller natürlich immer ge-
fragt, warum es andere offensichtlich besser können. Die
Franzosen und die Engländer sind berühmt für ihre rela-
tiv egozentrische und egoistische Personalpolitik. Hier-
von können wir uns die eine oder andere Scheibe ab-
schneiden.

Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass sich in
den letzten zehn Jahren doch einiges getan hat. Unser
Personalanteil ist seit 1998 signifikant von 3 400 auf
5 400 gestiegen. Das Netzwerk der Bundesregierung mit
den deutschen Mitarbeitern in internationalen Organisa-
tionen wurde deutlich gestärkt. Ich glaube auch, dass im
Personalrahmenkonzept der Bundesregierung viele un-
serer Ideen aufgegriffen wurden. Bei der Umsetzung
wird es uns einen großen Schritt nach vorne bringen.

Wir haben in unserem Antrag dennoch auf einige
wunde Punkte hingewiesen und haben Vorschläge ge-
macht, an denen wir hängen. Detlef, du hast schon auf
das Spiralmodell hingewiesen. Es ist nichts anderes als
die Rotation von Personal der Bundesregierung zwi-
schen Ministerien und internationalen Organisationen.
Dieses Modell wird von anderen Ländern mit Erfolg
praktiziert. Wir müssen hier nachziehen. Das bedeutet
aber, dass man in der Haushaltspolitik in dieser Hinsicht
flexibler wird und eine Art Polster anlegt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, das haben wir zusammen mit den Haushäl-
tern geschafft.

Ganz wichtig ist der Mentalitätswechsel; er wurde be-
reits angesprochen. Wir müssen verhindern, dass jemand,
der im Ausland gedient hat, bei seiner Rückkehr – wenn
er sich überhaupt traut, zurückzukommen – in der Besen-
kammer landet. Es muss vielmehr so sein, dass ein Aus-
landsdienst zu einem Karrieresprung zu Hause führt. So-
lange wir diesen Mentalitätswechsel nicht vollziehen,
wird sich da nur sehr wenig ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig ist auch – das wurde ebenfalls schon ange-
sprochen – die bessere Zugangsmöglichkeit für Deut-
sche in internationalen Organisationen zu den deutschen
Sozialsystemen. Dabei muss man auch an das Umfeld
der Betroffenen denken. Wenn man einen hochqualifi-
zierten Mann oder eine hochqualifizierte Frau für eine
Tätigkeit im Ausland gewinnen will, dann muss das fa-
miliäre Umfeld – ich denke da etwa an schulpflichtige
Kinder – mit berücksichtigt werden und müssen attrak-
tive Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es geht
nicht nur um das Nettogehalt, sondern auch um die
Frage, ob die Familie ohne Probleme mit umziehen und
zurückkehren kann.

Man muss feststellen – Herr Hoyer, auch Sie haben in
dieser Richtung argumentiert –, dass ganze Disziplinen
an Hochschulen wegbrechen. Ich nenne zum Beispiel
die Südostasien- und die Südasienforschung.


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Ja!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christian Ruck
Es gibt kaum noch Hochschulen, die sich auf diesem Ge-
biet engagieren. Obwohl es nicht in unserer Kompetenz
liegt, müssen wir darum kämpfen, dass an dieser Stelle
wieder etwas aufgebaut wird.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich komme zum Schluss. Entscheidend ist auch, dass
man das Ressortdenken überwindet. Einer muss für den
anderen kämpfen. Es wird noch eine Weile dauern, bis
wir das geschafft haben.

Ich bitte die Administration um Entschuldigung, dass
wir wieder einmal einen Bericht fordern. Aber es ist im
Sinne dieser Administration, dass wir alle zwei Jahre er-
fahren, ob wir auf diesem Gebiet Fortschritte machen
oder nicht. Auch die Bundesregierung besteht nur aus
Menschen. Wenn diese alle zwei Jahre Erfolgsberichte
abliefern müssen, dann kann es der Sache nicht schaden.
Insofern ist die Forderung, die wir erheben, sinnvoll.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614511300

Das Wort hat Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614511400

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich

denke, man sollte sich zu Beginn der Debatte – nicht nur
seitens meiner Fraktion, sondern auch fraktionsübergrei-
fend – beim auswärtigen Dienst bedanken. Dort sind
qualifizierte Kolleginnen und Kollegen tätig, die eine
vernünftige Arbeit machen. Da die dort geleistete Arbeit
sehr aufreibend ist, sollte man dies am Anfang einmal
feststellen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Schönen Dank, Kollege Trittin.

Ich möchte hinzufügen, dass ich es bemerkenswert
finde, dass dieser auswärtige Dienst, was die Zeit vor
1945 angeht, mit seiner Tradition und seiner Geschichte
in einem hohen Maße gebrochen hat. In der Nachkriegs-
zeit ist dort eine andere Einstellung gewachsen, die
nichts mehr mit einem bestimmten Typ von Karriere-
diplomaten zu tun hat. Wenn wir über diesen Bereich
diskutieren, ist es mir wichtig, auch dies einmal festzu-
stellen. Das könnte ja ein gemeinsamer Zugang sein.

Wenn man feststellt, dass gute Arbeit geleistet wird,
entsteht daraus die Verpflichtung – ich möchte jetzt be-
gründen, warum meine Fraktion dem vorliegenden An-
trag nicht zustimmen wird –, gute Arbeitsbedingungen
zu schaffen. Ich finde, das erfordert mehr als nur Ap-
pelle, wie dies sowohl im Antrag als auch in den Reden
der Kolleginnen und Kollegen geschehen ist.
Ein paar Punkte möchte ich in diesem Zusammen-
hang kurz ansprechen. Ich denke, dass es gut gewesen
wäre, sich dazu zu äußern, dass Veränderungen im Be-
amtenrecht erforderlich sind. Ein Beispiel: Ich halte es
für nicht akzeptabel, dass mitreisende Familienmitglieder
von Bediensteten im auswärtigen Dienst, die im Ausland
eingesetzt werden, dann, wenn sie verheiratet sind, einen
bestimmten Rechts- und sozialen Status haben, dann
aber, wenn sie in anderen Lebensgemeinschaften leben,
diesen Rechtsstatus nicht haben. Warum wird das nicht
geändert?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das könnte man ganz schnell machen.

Ich denke auch, dass eine solche Debatte nicht geführt
werden kann, ohne dass auf den ungeheuren Berg an
Überstunden hingewiesen wird, die bei den Kolleginnen
und Kollegen des auswärtigen Dienstes immer wieder
auflaufen. Es muss daran gearbeitet werden, wie dies
ausgeglichen und bezahlt oder wie ansonsten damit um-
gegangen wird.

Es wäre auch vernünftig – im Antrag wird von der
Durchlässigkeit des auswärtigen Dienstes gesprochen –,
nicht nur eine Durchlässigkeit von der privaten Wirt-
schaft in den öffentlichen Dienst zu skizzieren. Was ist
mit der Durchlässigkeit zu den Nichtregierungsorganisa-
tionen, zu den NGOs? Was ist mit der Durchlässigkeit in
Richtung Stiftungen? Wenn Sie schon für Durchlässig-
keit sind – auch ich bin dafür –, dann bitte mit einem
weiteren Blick und nicht nur mit Blick auf die private
Wirtschaft und den öffentlichen Dienst. All dies hätte in
einen solchen Antrag gehört.

Auf das Problem des kommenden europäischen aus-
wärtigen Dienstes – dieser taucht im Antrag gar nicht
auf – hat Kollege Hoyer hingewiesen. Seine Ansicht
teile ich; deswegen brauche ich nicht gesondert darauf
einzugehen. Zumindest die Formulierung dieser Pro-
blemstellung hätte in den vorliegenden Antrag gehört.

Gestatten Sie mir, noch drei Punkte anzusprechen, bei
denen ich es für bedenklich halte, dass Dinge nicht zu
Ende formuliert und bedacht worden sind. Die Über-
schrift des Antrages lautet: „Deutsche Personalpräsenz
in internationalen Organisationen im nationalen Inte-
resse konsequent stärken“. Das hat bei mir die Frage auf-
geworfen: Was ist eigentlich das nationale Interesse
Deutschlands? Dann habe ich mit Spannung nachgelesen,
ob es definiert wird; denn das wäre schon länger fällig
gewesen. Es ist aber kein Satz dazu zu finden, was das
nationale Interesse Deutschlands ist.

Ich finde, dies muss definiert werden, wenn man sich
schon darauf beruft. Worin unterscheidet sich das deut-
sche nationale Interesse vom europäischen Interesse?
Liegt es im Interesse Deutschlands, an Militäraktionen teil-
zunehmen, oder wäre es das nationale Interesse Deutsch-
lands, friedlich, sozial, demokratisch, gerecht – man könnte
andere Punkte hinzufügen – vorzugehen? Sie haben noch
nicht einmal den Versuch unternommen, zu erklären,
was das nationale Interesse ist oder was sich daraus ab-






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
leiten lässt. Auch da hätte ich mir etwas mehr Problem-
bewusstsein gewünscht.

Wenn jemand in internationalen Organisationen eine
Aufgabe übernimmt, dann ist er aus meiner Sicht erst
einmal dieser Organisation verpflichtet und nicht primär
dem Land, aus dem er kommt. Gibt es, wenn man in den
Vereinten Nationen eine Aufgabe übernimmt, Wider-
sprüche zwischen dem, was in dem nicht definierten na-
tionalen Interesse liegt, und dem, was im Interesse dieser
Organisation liegt? Ich denke, dass man sich auf solche
Probleme, auf mögliche Widersprüche zumindest hätte
einlassen müssen, dass man sie erklärt und sich damit
auseinandersetzt. Im Zweifelsfall heißt das für mich:
Wenn man in einer internationalen Organisation arbeitet,
ist man dieser internationalen Organisation verpflichtet
und nicht dem Land, aus dem man kommt.


(Beifall bei der LINKEN)


Das gehört zu einem Mentalitätswechsel und zu einem
neuen Geist, über den man reden muss.

Ein letzter Punkt. Es hat mich sehr geärgert, dass dies
in dem Antrag so formuliert wurde und dass sich einige
in ihren Reden darauf berufen haben. Ich bitte Sie sehr,
anders zu argumentieren. Sie argumentieren im Antrag
und auch in einigen Reden: Weil wir so viel zahlen,
haben wir auch einen Anspruch auf einen bestimmten
Personalumfang. Ich finde, das ist ein schlechtes Argu-
ment. Wir zahlen nicht, um einen bestimmten Personal-
umfang einzuklagen, sondern deswegen, weil uns eine
bestimmte Aufgabe, die zu leisten ist, am Herzen liegt.
Der Kurzschluss: „Wer zahlt, soll auch bestimmen bzw.
entsprechendes Personal stellen“ ist einfach unange-
bracht.

Zum Schluss: Herr Staatsminister, vielleicht wäre es
möglich, dem auswärtigen Dienst zumindest meinen
Dank – vielleicht auch den des ganzen Hauses – auszu-
richten. Die Kolleginnen und Kollegen sollten wissen,
dass wir persönlich und auch die Fraktionen ihre Arbeit
politisch hoch schätzen.

Danke sehr.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614511500

Das Wort hat nun Kollegin Uschi Eid, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614511600

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es

kommt nicht allzu oft vor, dass wir über einen Antrag
zweimal im Plenum debattieren. Unser heutiges Thema
ist aber so wichtig, dass ich das für eine richtige Ent-
scheidung halte. Um es gleich vorweg zu sagen: Wir von
Bündnis 90/Die Grünen werden dem Antrag der Koali-
tion zustimmen, da wir das Bestreben, die personelle Re-
präsentanz Deutschlands in internationalen Organisatio-
nen zu erhöhen, voll und ganz unterstützen.

Bei der letzten Debatte habe ich bereits darauf hinge-
wiesen, dass auch unter Rot-Grün einiges zur Verbesse-
rung der allseits beklagten Situation geschehen ist; zum
Beispiel wurden Informationsmöglichkeiten verbessert
und hinderliche Regelungen verändert. Die Zahlen, die
von meinen Vorrednern schon genannt worden sind, sind
darauf zurückzuführen, dass verschiedene Regierungen
an diesem Problem gearbeitet und versucht haben, die
Situation zu verbessern.

Wir freuen uns, dass es inzwischen ein personalwirt-
schaftliches Rahmenkonzept gibt, das in ressortübergrei-
fender Zusammenarbeit entstanden ist. Konzepte müssen
aber auch umgesetzt werden, und das sehe ich bisher
nicht. Ich glaube, dass die bürokratischen Mühlen etwas
zu langsam mahlen. Vielleicht sorgt die heutige Debatte
ja für neuen Schwung.

Wer Aufgaben in internationalen Organisationen er-
folgreich meistern will, muss qualifiziert und motiviert
sein. In Deutschland mangelt es ganz gestimmt nicht an
Menschen mit diesen Eigenschaften, an Menschen, die
Interesse haben und die nötige Motivation mitbringen.
Eine ganz entscheidende Voraussetzung für eine Tätigkeit
in internationalen Organisationen ist aber die Auslands-
erfahrung. Die kann man zum Beispiel durch Praktika
erwerben. Dadurch wird nicht nur die sprachliche Fertig-
keit vertieft, sondern vor allem auch das so notwendige
fachliche und berufsalltägliche Rüstzeug erworben.
Trotzdem ist festzustellen, dass Praktika in EU-Institutio-
nen und in internationalen Organisationen vom Staat
noch immer viel zu wenig gefördert werden. Das Glei-
che gilt für Praktika in den internationalen Finanzinstitu-
tionen, in denen deutsche Beschäftigte stark unterreprä-
sentiert sind. Ich finde, das muss sich ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gar keine finanzielle Unterstützung gibt es bisher für
Praktika in zivilen Friedensmissionen. Das Zentrum für
Internationale Friedenseinsätze könnte auf diesem Ge-
biet vieles tun, wenn die Bundesregierung Mittel dafür
bereitstellen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Krisenprävention ist ein auch international zu gering ge-
schätztes Anliegen, dessen magere institutionelle Ausstat-
tung bedauerlicherweise mit dem Mangel an Finanzmitteln
einhergeht. Natürlich fehlt es auch an Personal. Das liegt
aber, zumindest in Deutschland, nicht an einem Mangel
an interessierten Menschen, sondern an einer zu gerin-
gen Kapazität und zu wenig Geld. Das ist klar.

Ich betone dies, weil Deutschland gerade hier, auf ei-
nem verhältnismäßig jungen Gebiet der Außenpolitik,
einiges vorzuweisen hat. Einsatz für Krisenprävention
ist verdienstvoll, schwierig und mühsam. Erfolgreiche
Krisenprävention verhindert Opfer und Zerstörungen,
spart Geld und stärkt obendrein das Prestige der deut-
schen Außenpolitik.

Generell gilt: Bei der Einstellung und Beförderung
werden die Kernkompetenzen für internationale Aufga-
ben als zusätzliches Auswahlkriterium noch viel zu we-
nig berücksichtigt, vom Auswärtigen Amt und vom
BMZ einmal abgesehen. Das ist bedauerlich. Leider
werden aber auch zahlreiche nationale und internationale






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid
Programme zur Vorbereitung auf die Übernahme von in-
ternationalen Aufgaben zu wenig genutzt.

Die fachliche und persönliche Eignung der international
Beschäftigten ist die eine Notwendigkeit. Die andere ist
die, dass sich geeignete Personen überhaupt auf Stellen
in internationalen Organisationen bewerben. Ein aktuell
viel diskutiertes Problem ist, dass sich nicht genügend
Polizisten für die dringend notwendige Verstärkung der
Ausbildung von Polizisten in Ländern wie Afghanistan
melden.


(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)


Woran liegt das? Die Rückkehrer hadern oft – das wurde
schon genannt – mit der in Deutschland fehlenden Wert-
schätzung ihres Einsatzes. Schlechtestenfalls ist sogar
ein Karriereknick die Folge. Das ist ein unhaltbarer Zu-
stand, der nicht nur den Betroffenen schadet, sondern
auch der Reputation Deutschlands in internationalen In-
stitutionen und generell auf dem internationalen Parkett.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Negative Auswirkungen auf den weiteren Berufsver-
lauf des Einzelnen darf es nicht geben. Im Gegenteil: Wir
müssen Anreize schaffen, damit sich mehr fähige junge
Männer und Frauen bei internationalen Organisationen
bewerben. Die Bereitschaft zu zeitweiligen Auslandsein-
sätzen sollte nicht nur selbstverständliche, sondern gera-
dezu notwendige Voraussetzung für Beförderungen wer-
den; das ist bislang nicht der Fall.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Präsident, letztlich müssen wir all das Richtige,
das in diesem Antrag steht, dadurch ergänzen, dass das
öffentliche Dienstrecht angepasst werden muss.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614511700

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-

legen Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1614511800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Zwei Fragen haben sich durch diese gesamte De-
batte gezogen. Die eine Frage lautet: Warum sind andere
Staaten besser, wenn es darum geht, ihr Personal in inter-
nationale Organisationen zu schicken? Die zweite Frage
hat der Kollege Gehrcke aufgeworfen, sie lautet: Was ist
eigentlich das deutsche Interesse? Ich finde, unser An-
trag beantwortet dies sehr deutlich, wenn man ihn von
vorne bis hinten durchliest. Unser Antrag zeigt ganz
deutlich: Unser Interesse sind in diesem Fall starke inter-
nationale Organisationen.
Ich glaube, dass sich das aus drei Quellen speist. Die
erste Quelle ist: Wir haben sicherlich eine Geschichte,
die uns bis zu einem sehr hohen Grade verpflichtet, in-
ternational zu denken. Das ist der eine Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Quelle, aus der sich dieses Denken aus
meiner Sicht speisen muss, ist die Anerkennung, dass in-
ternationale Politik und damit internationale Organisa-
tionen – Christian Ruck hat darauf hingewiesen – in ei-
ner globalisierten Welt natürlich immer mehr Bedeutung
gewinnen. Wir schauen plötzlich auf Organisationen, die
wir früher selten wahrgenommen haben. Wir sehen, dass
Länder plötzlich eine Rolle spielen, die wir ihnen früher
nie zugedacht hätten.

Im Zusammenhang mit den Ländern, denen wir frü-
her keine so große Rolle zugedacht hätten, bin ich bei
der dritten Quelle. Wenn wir unsere Interessen interna-
tional vertreten wollen, dann brauchen wir Verbündete
und Partner, dann brauchen wir starke Organisationen, in
denen Recht gesetzt, Recht gemessen und auch Recht
nachgegeben wird. Diese starken internationalen Organi-
sationen werden uns, einem Land mit 80 Millionen Men-
schen, in dem vielleicht irgendwann nur noch 70 oder
60 Millionen Menschen leben werden, dabei helfen, mit
anderen Ländern in positiven Wettbewerb zu treten, zum
Beispiel mit China, wo 1,5 Milliarden Menschen leben,
mit Indien, wo 1,2 oder 1,3 Milliarden Menschen leben,
und mit vielen anderen Staaten, in denen mehrere hun-
dert Millionen Menschen leben; von Russland und den
USA ganz zu schweigen.

Auch aus diesem Grund haben wir ein ganz klares In-
teresse, deutlich zu machen, warum wir dort mit entspre-
chendem Personal vertreten sein müssen. Denn das be-
deutet am Ende des Tages, dass wir diese Organisationen
stark machen. Das ist unser Interesse in diesem Zusam-
menhang.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dem gleichberechtigt steht die Frage gegenüber: Wa-
rum können andere es besser, wenn sie es denn besser
können? Wenn man sich das einmal anschaut, sieht man,
dass auch ein Staat wie die USA in manchen internatio-
nalen Gremien, gemessen an dem, was er bezahlt, unter-
repräsentiert ist. Es gibt auch andere Staaten, die das be-
klagen. Aber in Deutschland scheint das ein spezielles
Problem zu sein. An einem liegt es jedenfalls nicht: Es
liegt nicht daran, dass uns die Menschen fehlen, die das
könnten.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sehr richtig! Sehr gut!)


Es liegt auch nicht daran, dass die Menschen zu unfle-
xibel sind. Ich habe mir im Vorfeld der Debatte einmal
die Mühe gemacht, einige Zahlen über die im Ausland
studierenden Deutschen herauszusuchen: 1995 haben
von den 1,7 Millionen deutschen Studenten 2,4 Prozent
dauerhaft im Ausland studiert. 2005 waren es schon






(A) (C)



(B) (D)


Holger Haibach
4,3 Prozent. Wenn ich noch an all diejenigen denke, die
sich kurzzeitig für einige Semester im Ausland aufhal-
ten, dann glaube ich, dass das ein ganz klares Zeichen
dafür ist, dass besonders diejenigen, die wir für solche
wichtigen Aufgaben vorsehen, durchaus willens und in
der Lage sind, diese Aufgaben zu erfüllen.

Insofern muss man schauen, welche anderen Pro-
bleme wir in diesem Zusammenhang haben. Dazu ist
sehr viel gesagt worden und, ich glaube, auch sehr viel
Richtiges. Das ist einmal die Frage der Anerkennung in-
nerhalb des Dienstes. Der Aufenthalt im Ausland wird
oft nicht als zusätzlicher Wert, sondern sehr häufig als
ein Nachteil empfunden, weil man nicht unter der Be-
obachtung der Leitung war. Denn keiner weiß ganz ge-
nau, was dieser Mitarbeiter im Ausland gemacht hat,
während sein Kollege, der hier geblieben ist, natürlich
unter Beweis stellen konnte, was er alles kann. Diese In-
ternationalität, diese neue Erfahrung wird sehr häufig
nicht als solche, sondern eher als eine Art Durchbruch
der guten fachlichen Praxis angesehen. Ich glaube, das
ist eine Mentalität, an der man arbeiten muss; das ist
auch in dieser Debatte sehr deutlich geworden.

Es gibt einen zweiten Punkt, den ich in dieser Debatte
für ausgesprochen wichtig halte – das ist ein Appell an
uns alle –: Wir sollten aufpassen, dass wir die Attraktivi-
tät des öffentlichen Dienstes nicht schmälern, indem wir
ihn dauernd schlechtreden. Diesem Phänomen begegnen
wir nämlich immer öfter. Dabei geht es dann immer wie-
der um das Schlagwort „Beamtenmikado“ und ähnliche
Begriffe.

Wir tragen hier einen Kampf um die besten Köpfe
aus. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass die großen inter-
nationalen Wirtschaftsunternehmen und die Privatwirt-
schaft die besten Mitarbeiter haben, während der öffent-
liche Dienst sozusagen nur den Rest bekommt. Mit
einem Rest wird man keinen Staat machen können. Das
gilt auch auf internationaler Ebene.

Wir müssen klarmachen, dass der öffentliche Dienst,
gerade wenn es um Tätigkeiten in internationalen Orga-
nisationen geht, eine unheimlich spannende, eine un-
heimlich erfüllende und eine aus meiner Sicht sehr gute
Möglichkeit bietet, das Berufsleben zu gestalten. Wir
müssen viel deutlicher als bisher darauf hinweisen, dass
es hier viel mehr Chancen gibt, als es in der Öffentlich-
keit immer wieder dargestellt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang will ich einen weiteren
wichtigen Aspekt anführen. Wir müssen deutlich ma-
chen, dass internationale Organisationen nicht nur beim
Auswärtigen Amt angesiedelt sind.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Richtig!)


Dass man sich zu einem Ressortkreis zusammenschließt
und auch andere Organisationen in den Blick nimmt, das
sind große Fortschritte.

Wenn man sich anschaut, in welchen Organisationen
Deutschland noch nicht in ausreichendem Maße vertre-
ten ist, stellt man fest: Das sind Organisationen wie die
Internationale Arbeitsorganisation, die Internationale
Atomenergiebehörde, die OECD und die Weltbank. All
diese Organisationen haben natürlich auch mit auswärti-
ger Politik zu tun. Organisatorisch sind sie aber eigent-
lich bei anderen Ministerien angesiedelt. Deswegen sind
die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Nach-
wuchsförderung von entscheidender Bedeutung.

In diesem Bereich, in dem Deutschland durchaus eine
Führungsrolle übernehmen kann, wurde bereits einiges
erreicht. Das kann man am Beispiel des Zentrums für In-
ternationale Friedenseinsätze sehen. Dort findet die Aus-
bildung für Friedenseinsätze statt. Das ist etwas, was sei-
nen Anfang in Deutschland genommen hat. Auf diesem
Gebiet ist Deutschland heute weltweit führend. Aber an-
dere Nationen holen natürlich auf. Deshalb müssen wir
unsere Anstrengungen fortsetzen. Allerdings sollten un-
sere Erfolge an dieser Stelle einmal herausgestellt wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei diesem Thema geht es um eine Aufgabe, die nie-
mals bewältigt sein wird. Es ist und bleibt notwendig,
dass wir uns auch in Zukunft damit beschäftigen. Des-
wegen bin ich den Damen und Herren, die sich – in un-
terschiedlichen Konstellationen – immer wieder die
Mühe machen, diesen Antrag in den Bundestag einzu-
bringen, dankbar. Das ist nicht ganz einfach. Ich finde
aber, das ist eine Aufgabe, an deren Lösung wir alle wei-
terhin arbeiten sollten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614511900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD mit dem Titel „Deutsche Personalprä-
senz in internationalen Organisationen im nationalen In-
teresse konsequent stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7938,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/6602 (neu) in der Ausschussfassung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee
Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Albach, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin
Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD

Wertvolle Computerspiele fördern, Medien-
kompetenz stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje
Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Hochwertige Computerspiele fördern und
bewahren

– Drucksachen 16/7116, 16/7282, 16/8033 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Monika Griefahn
Christoph Waitz
Dr. Lukrezia Jochimsen
Grietje Bettin

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

„Fair-Work“-Siegel für Computerspiele

– Drucksache 16/8178 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Dorothee Bär,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1614512000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Hamburg
gab es eine Veranstaltung mit dem Thema: Wie schützen
wir unsere Kinder vor den schädlichen Einflüssen der
Theater Lebender Fotografien? Das war nicht im
Jahr 2007, das war im Jahr 1907. Damals war das neue
Medium Kino der große Feind, wurde behauptet, dass
die Kinder durch das Kino schädlichen Einflüssen aus-
gesetzt seien. In den 30er-Jahren gab es Bestrebungen,
den Jazz zu verbieten. In den 60er-Jahren war man ge-
gen das Fernsehen, auch wegen der Zombiefilme. Dann
war es Heavy Metal. Auch über das Internet wurde ge-
stritten.

Die Debatte, die wir in diesem Land über Computer-
spiele führen, hat oft einen ähnlich negativen Touch.
Wieder werden Sündenböcke für aktuelle Entwicklun-
gen gesucht. Durch die negativen Begriffe, die im Zu-
sammenhang mit Computerspielen ständig fallen, kom-
men wir dem, was wir erreichen wollen, keinen Schritt
näher. Die Computerspielebranche jedoch bringen wir
mit diesen ständigen Verbotsbestrebungen in ernsthafte
Probleme: Viele Firmen denken über eine Verlagerung
ins Ausland nach. Es gibt Spiele, die für den deutschen
Markt nur noch umgeschrieben, aber nicht mehr für uns
konzipiert werden. Andere Spiele, die es weltweit gibt,
erscheinen bei uns gar nicht erst.

Computerspiele können sehr positive Effekte haben.
Chirurgen, die regelmäßig Computerspiele spielen, ope-
rieren besser, weil das die Geschicklichkeit fördert. Es
gibt darüber hinaus eine Reihe anderer positiver Effekte.

Es ist verlockend, nach einem Sündenbock zu suchen,
wenn ein Kind hyperaktiv ist, laut ist, frech ist, wenn ein
Jugendlicher stiehlt, gewalttätig oder brutal ist oder, im
schlimmsten Fall, zum Attentäter mutiert. Früher war es
der Jazz, heute sind es die Computerspiele. Wir müssen
das nur verbieten, und alle Probleme sind gelöst, sagt
mancher. Wer als Politiker etwas verbietet, macht es sich
leicht, weil er, wenn irgendetwas passiert, aus der Ver-
antwortung entlassen ist; er hat ja sein Möglichstes ge-
tan.

Wir von der Koalition wählen einen anderen Ansatz.
Wir rufen einen Preis für wertvolle Computerspiele ins
Leben. Wir verteufeln nicht die Branche, sondern versu-
chen, die positiven Aspekte herauszuarbeiten, um zu zei-
gen, dass es in dieser Branche viele gibt, die sich an ei-
ner positiven kulturellen Entwicklung in diesem Land
beteiligen. Nun könnte man sagen: Schon wieder ein
Preis! Wenn unser Kulturstaatsminister oder auch andere
Mitglieder der High Society bei der Verleihung eines je-
den Preises, den es in Deutschland gibt, zugegen sein
wollten, hätten sie nichts anderes zu tun, als sich ständig
in Schale zu werfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Ich weiß, dass das Spaß macht; aber irgendwann muss
auch einmal gearbeitet werden. – Denn es gibt den Deut-
schen Filmpreis, den Deutschen Fernsehpreis, den Deut-
schen Buchpreis, den Echo, den Deutschen Theaterpreis,
den Deutschen Jugendvideopreis, den Deutschen Lern-
spielpreis, den Kritikerpreis Spiel des Jahres, und es gibt
selbstverständlich auch den Bayerischen Filmpreis, den
Bayerischen Theaterpreis, den Bayerischen Fernsehpreis –
alles herausragende Preise, die vergeben werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Deswegen möchte ich mich bei den Kultur- und Me-
dienpolitikern der Koalition herzlich bedanken, dass wir
es geschafft haben, uns insgesamt einig zu sein. Ein gro-
ßer Dank geht auch an unsere Haushälter,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


die die Gelder für den Deutschen Computerspielepreis
schon heuer zur Verfügung stellen. Vielen herzlichen
Dank auch an den Staatsminister, der sich für den Deut-
schen Computerspielepreis einsetzt, indem er die Koor-
dination übernimmt. Wenn der BKM 300 000 Euro zur
Verfügung stellt und die Wirtschaft ebenfalls
300 000 Euro, dann zeigt das, wie gut die Verknüpfung
von Politik und Wirtschaft funktionieren kann, wenn wir
an einem Strang ziehen.






(A) (C)



(B) (D)


Dorothee Bär
Warum loben wir diesen Deutschen Computerspiele-
preis aus? Wir wollen natürlich die Entwicklung nicht
verpassen. Wir wollen uns nicht sagen lassen, wir ließen
die tolle Industrie, die wir in Deutschland haben, und
ihre Entwickler ins Ausland abwandern. Es sind im Üb-
rigen nicht nur die Entwickler beteiligt, sondern neben
denjenigen, die für die technischen Herausforderungen
zuständig sind, auch sehr viele Künstler: Musiker, Grafi-
ker, Designer und Autoren. Alle bemühen sich darum,
ein deutsches Kulturgut auf die Beine zu stellen. Der Be-
reich hat eine ganz eigene Kultur entwickelt, es werden
Geschichten erzählt und Abenteuer erlebt. Autoren den-
ken sich eine Spielhandlung aus, und es werden neue
Lieder sowie die passenden Figuren und Szenarien ent-
wickelt.

Besonders wichtig ist bei diesem Thema der ressort-
übergreifende Aspekt: Neben dem Kulturstaatsminister
wollen wir auch die Ressorts für Wirtschaft, Bildung und
Familie erreichen.

Viele Eltern sind heute leider überfordert und brau-
chen bei der Suche nach sinnvollen Spielen Hilfestel-
lung.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ihnen möchten wir Hilfestellung geben, indem wir gute
Spiele fördern. Deshalb stellen wir diesen Preis neben
Internetportale wie „fragFinn.de“ im Rahmen der Initia-
tive „Ein Netz für Kinder“ oder „Schau hin“; Letzteres
betrifft das Fernsehen. Das ist ein erster Schritt in die
richtige Richtung, um Kindern den Umgang mit den Me-
dien beizubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Verbote und Polemik helfen uns nicht weiter. Wir möch-
ten zwar unsere Kinder am liebsten vor allem schützen.
Das Wichtigste ist aber, sie gut vorzubereiten; dies gilt
auch für den Umgang mit den Medien. Unser Preis ist
ein erster Schritt in die richtige Richtung.


(Jörg Tauss [SPD]: Beckstein muss jetzt auch noch reden!)


Wir werden noch viele weitere Schritte gemeinsam ge-
hen.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614512100

Ich erteile das Wort Christoph Waitz, FDP-Fraktion.


Christoph Waitz (FDP):
Rede ID: ID1614512200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wie viele Medienpolitiker des Bundes und der
Länder habe ich im August des letzten Jahres die Games
Convention in Leipzig besuchen dürfen, eine der welt-
weit größten Messen für Computerspiele. Ich konnte mir
vor Ort ein Bild von der Vielfalt der unterschiedlichen
Computerspielearten machen und mich davon überzeu-
gen, welches wirtschaftliche Potenzial in der Computer-
spieleindustrie steckt – ein Potenzial, dem wir in
Deutschland bislang noch nicht genug Beachtung ge-
schenkt haben. Nach Branchenangaben existieren in
Deutschland nur rund 90 Entwicklungsstudios, in denen
600 bis 1 000 Spieleentwickler tätig sind. Im Vergleich
dazu arbeiten in den Vereinigten Staaten
16 000 Entwickler, in Großbritannien 6 000 und in
Frankreich immerhin noch 2 500. Diese Zahlen machen
deutlich, dass wir im internationalen Vergleich unser Po-
tenzial noch lange nicht ausgeschöpft haben.

Wer sich mit Branchenvertretern unterhält, bekommt
sehr deutlich gesagt, dass der Flaschenhals einer besseren
Entwicklung der Computerspieleindustrie in Deutsch-
land der Mangel an qualifizierten Entwicklern und Pro-
grammierern ist. Der Bedarf daran resultiert auch daraus,
dass Computerspiele nur dann wirtschaftlich erfolgreich
sind, wenn sie dem jeweiligen Sprach- und Kulturraum
angepasst sind.

Die von der Koalition und vom Bündnis 90/Die Grü-
nen vorgelegten Anträge greifen Forderungen der Com-
puterspieleverbände, wie sie zum Beispiel im „Leipziger
Manifest“ formuliert werden, sehr richtig auf. In ihrer
Analyse ist beiden Anträgen auch durchaus beizupflich-
ten. Trotzdem können wir uns den Schlussfolgerungen,
die Sie aus der Analyse gezogen haben, leider nicht an-
schließen.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist aber sehr schade!)


Wenn die Computerspielebranche in den letzten Jah-
ren negativ beeinflusst wurde, dann durch Diskussionen
und Forderungen nach dem Verbot von sogenannten Kil-
lerspielen. Kollegin Bär hat schon darauf hingewiesen,
dass es sinnvoll gewesen wäre, dies zu unterlassen, weil
uns diese Verbotsdiskussion nicht weiterbringt.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Ich werde diese Diskussion an dieser Stelle nicht wieder
eröffnen. Aber es wäre aus meiner Sicht schon wichtig
gewesen, wenn in dem Antrag der Koalition zu diesem
Punkt eine eindeutige Aussage zu lesen wäre. Folgen Sie
dem Antrag Bayerns im Bundesrat, die Produktion und
den Vertrieb dieser Spiele in Deutschland zu verbieten,


(Jörg Tauss [SPD]: Nie, nie!)


– ich höre es gern, Herr Tauss – oder gehen Sie den Weg,
den die Familienministerin vorzeichnet, indem sie auf
eine verbesserte Alterskennzeichnung und verschärfte
Alterskontrollen im Einzelhandel abzielt? Ich kann in Ih-
rem Antrag dazu leider nichts lesen. Sie können aber
auch nicht vor diesem Thema einfach so wegtauchen.


(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Machen wir ja auch nicht!)


Ausdrücklich unterstützen können wir Ihren Vor-
schlag, eine Förderung von qualitativ hochwertigen Com-
puterspielen im Rahmen des EU-Programms „MEDIA
2007“ zu prüfen und für eine angemessene Finanzausstat-
tung dieses Programms zu sorgen. Ich hatte aber bereits in
der ersten Lesung versucht, Ihnen zu vermitteln, dass es






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Waitz
sehr schwierig werden wird, dieses Programm vor 2013
noch einmal aufzuschnüren. Es ist schlichtweg durch die
Gremien durch.

Es ist auch diskussionswürdig, was ein qualitativ
hochwertiges Computerspiel ist und ob es immer erzäh-
lungsbasiert sein muss. Wir sollten auf dieser Basis mit
dem EU-Programm beginnen und dann möglichst zeit-
nah die Ergebnisse evaluieren lassen.

Ihrer Forderung, einen Deutschen Computerspiele-
preis einzuführen, folgen wir nicht. Das Instrument,
durch einen Preis Anreize zur Produktion hochwertiger
Computerspiele zu setzen, ist verlockend. Wir halten es
jedoch für angemessen, insbesondere die Produzenten in
die Pflicht zu nehmen, die Preisgelder auszuloben und
gemeinsam mit der Bundesregierung eine unabhängige
Jury auszuwählen. Gleiches gilt auch für die Einführung
eines Qualitätssiegels.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Wo ist denn jetzt der Widerspruch?)


In Anbetracht des Fachkräftemangels in der Compu-
terspieleindustrie geht der Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen, in dem zusätzliche Studienplätze und Personal-
kapazitäten gefordert werden, in die richtige Richtung.
Leider ist es sehr fraglich, ob in Anbetracht der schwieri-
gen Haushaltssituation vieler Bundesländer die benötigte
Anpassung kurzfristig umgesetzt werden kann.

Wir halten es auch für problematisch, wenn die Bun-
desregierung aufgefordert wird, mit den Tarifpartnern
Aus- und Fortbildungsgänge zu verhandeln, um Fertig-
keiten und Kenntnisse zur Computerspieleentwicklung
zu erweitern. Dazu ist sie schlichtweg nicht befugt und
zuständig.

Wenig fruchtbringend ist der Vorschlag der Linken,
ein „Fair-Work-Siegel“ für Computerspiele einzufüh-
ren. Wie mir scheint, will die Linke, ohne dass ein Pro-
blem in diesem Bereich wahrnehmbar wäre, ihren Wäh-
lerinnen und Wählern vor der Wahl in Hamburg noch
einmal deutlich machen, für welche Inhalte sie stehen
möchte. Im Hinblick auf die ganz und gar unerträglichen
Stasiäußerungen der niedersächsischen Landtagsabge-
ordneten Wegner kann ich das gut nachvollziehen.

Computerspiele sind ein Teil unserer Alltagskultur
geworden. Der Deutsche Kulturrat hat die Frage, ob
Computerspiele ein Kulturgut sind, längst mit Ja beant-
wortet und fordert die dauerhafte Aufbewahrung von
Computerspielen in öffentlichen Archiven.

Auch wenn die FDP-Fraktion den vorgelegten Anträ-
gen nicht zustimmt, stimmen wir dem Grundanliegen zu
und werden uns dafür einsetzen, dass die Rahmenbedin-
gungen der Computerspieleindustrie als wichtigem Teil
der Kultur und Kreativwirtschaft weiter verbessert wer-
den. Als sächsischer Bundestagsabgeordneter freue ich
mich auf die nächste Games Convention in Leipzig und
hoffe, dass sie dort möglichst lange weiterexistiert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614512300

Das Wort hat nun Monika Griefahn, SPD-Fraktion.


Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1614512400

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich,

dass wir heute den Weg für den ersten Computerspiele-
preis des Bundes freimachen können.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Mein Kollege Jörg Tauss und ich hatten es gerade wegen
der zum Teil sehr emotional, aber leider auch – Frau Bär
hat es schon angesprochen – populistisch geführten De-
batte um sogenannte Killerspiele während der letzten
Jahre nicht immer leicht mit der Idee eines Preises.


(Beifall bei der SPD)


Doch inzwischen scheint vielen klar geworden zu
sein, dass Computerspiele mehr sind als die 5 Prozent
Gewaltspiele, die auf dem Markt sind. Verkaufsrenner
sind ganz andere Spiele. Dazu gehören zum Beispiel
Strategiespiele wie Siedler oder Fußball-Manager, die
Strategiespiele aus der Anno-Reihe oder das gerade bei
meinen Mädels beliebte Spiel Sing-Star, bei dem man
bekannte Pop- und Rocklieder im Wettbewerb nachsingt.

Auch das sind Computerspiele, auch wenn immer
wieder gesagt wird, Computerspiele seien eine Sache für
Jungs.


(Jörg Tauss [SPD]: Wer singt besser?)


– Beide singen gleich gut.

Es gibt zwar auch gewalthaltige Spiele, für die es wie
beim Film oder bei anderen Medien einen möglichst ef-
fektiven Jugendmedienschutz geben muss. Doch ich bin
froh, dass sich mit unserem Antrag eine positive und för-
dernde Politik durchsetzt und die vermeintlich problem-
lösenden Verbote etwas in den Hintergrund gedrängt
werden.

Notwendig ist der Vollzug der existierenden Gesetze
zum Jugendmedienschutz. Das ist klar, und daran arbei-
ten wir mit Hochdruck, Herr Kollege Waitz. Es geht um
die Umsetzung der bestehenden Gesetze statt um neue
Verbote. Ich meine aber, dass es die existierenden Ge-
waltspiele nicht wert sind, durch solche Diskussionen
immer wieder im Mittelpunkt zu stehen. Mit unserem
Computerspielepreis, mit dem qualitativ hochwertige so-
wie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele
ausgezeichnet werden sollen, erreichen wir das Gegen-
teil, nämlich dass sich die Aufmerksamkeit auf die ande-
ren 95 Prozent der Spiele richtet, die auf dem Markt
sind.

Wir erreichen besonders für die prämierten Spiele zu-
künftig eine größere Aufmerksamkeit und machen bei-
spielsweise deutlich, was für Kinder und Jugendliche gut
ist und was die Eltern und Großeltern ohne Bedenken
kaufen können.

Ein Preis ist eine sinnvolle Förderung von Medien-
kompetenz, und zwar auch gerade der Eltern und Groß-
eltern.






(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie glauben nicht, wie dringend nötig das zum Teil ist.
Gerade Nichtspielern fehlt oft das Verständnis für Com-
puterspiele. Ich höre zum Beispiel immer wieder von
stolzen Großeltern, dass sie ihren Enkeln absichtlich ein
Spiel, das erst ab 16 oder 18 freigegeben ist, kaufen, weil
sie meinen, es sei – ähnlich wie bei einem Buch – beson-
ders anspruchsvoll nach dem Motto: Mein Kind kann
das schon. Mit unserem Preis geben wir solchen Men-
schen eine wichtige Orientierung, genauso wie der Deut-
sche Filmpreis den Kinobesuchern, nach dem Motto:
Das ist ein guter Film; in den kann ich gehen. In diesem
Fall ist es ein gutes Computerspiel.

Der Preis soll in unterschiedlichen Kategorien verge-
ben werden: natürlich für das beste Spiel des Jahres ins-
gesamt, aber auch für ein Kinder- und ein Jugendspiel.
Darüber hinaus gibt es einen Innovations- und einen
Nachwuchspreis. In den Kategorien spiegeln sich zwei
zentrale Anliegen unserer Initiative wider:

Erstens. Computerspiele sind ein Kulturgut. Immer
mehr Spielerinnen und Spieler aus allen Bevölkerungs-
gruppen befassen sich unabhängig vom Alter durch
Computerspiele mit Inhalten, die sehr oft an aktuelle
kulturelle und gesellschaftliche Themen geknüpft sind.
Ich habe vorhin Fußball oder aktuelle Popstars als Bei-
spiele erwähnt. Deswegen können wir inzwischen von
einer sehr vitalen Spielekultur sprechen, die wir auch
fördern sollten. Im Übrigen werden auch die Inhalte kul-
tureller. Zum Beispiel spielen heute – Frau Bär hat das
bereits erwähnt – Musikkompositionen und gutes Design
eine sehr große Rolle. Damit sind Computerspiele ein
wichtiger Kultur- und Kulturwirtschaftsfaktor.

Zweitens. Computerspiele sind zu einem wichtigen
Innovationsfaktor für technische und mediale Entwick-
lungen geworden. Leider muss man aber auch feststel-
len, dass weniger als 10 Prozent aller in Deutschland ge-
kauften Spiele auch hier produziert sind, und das bei
einem Markt, der inzwischen größer ist als der der Film-
industrie. Das ist schade; denn so bleibt eine kulturelle
und wirtschaftliche Chance noch ungenutzt.


(Beifall bei der SPD)


Mit dem neuen Computerspielepreis, dessen Preisgel-
der immer in neue Projekte fließen müssen, können wir
positive Anreize setzen. Herr Waitz, natürlich wird es
Jurys geben, genauso wie beim Filmpreis. Auch dort gibt
es unabhängige Jurys. Die Preise werden nicht vom
Staatsminister für Kultur und Medien per Zuruf verge-
ben. Sinn und Zweck von Jurys ist es, aus dem Wust das
Richtige herauszufinden.

Ich finde, es ist ein wichtiger Schritt, dass der Deut-
sche Bundestag heute beide Aspekte und damit die kul-
turelle und die wirtschaftliche Bedeutung von Compu-
terspielen anerkennt und sich zur Förderung bekennt. Ich
freue mich auf weitere intensive Diskussionen bei der
Umsetzung. Ich hoffe, viele von Ihnen bei der ersten
Preisverleihung zu sehen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1614512500

Das Wort hat nun Lothar Bisky, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614512600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Computerspiele haben heute eine hohe kultu-
relle und wirtschaftliche Bedeutung. Das ist ohne jeden
Zweifel richtig. Es ist auch richtig, diese Entwicklung
weiter zu fördern. Das ist insbesondere für qualitativ
hochwertige und pädagogisch wertvolle Computerspiele
festzustellen. Ob die weitere Förderung der Spielebran-
che allerdings über die Auslobung eines Deutschen
Computerspielepreises oder durch eine Qualitätskenn-
zeichnung für Computerspiele erfolgen sollte, möchte
ich dahingestellt sein lassen. Beides kann man tun, ohne
jeden Zweifel.

Die Kritik der Linken richtet sich nicht gegen eine
Förderung als solche, sondern gegen die unzureichende
Bewertung der Situation und der Probleme in der Com-
puterspielebranche. Sowohl im Koalitionsantrag als
auch im Antrag der Grünen wird Unterstützenswertes
genannt. Erwähnt wird das kulturelle, technologische
und wirtschaftliche Gewicht der Branche. Erwähnt wird
ihre künftige Bedeutung für bildende Künstlerinnen und
Künstler, Komponisten, Musikerinnen und Musiker so-
wie Autoren. Erwähnt werden auch die Produzenten und
Publisher. Es wird gefordert, anerkannte Studiengänge
zu schaffen, Aus- und Fortbildungsgänge zu erweitern,
und vieles mehr. Nur eines lässt sich in den Anträgen
nicht finden: Die schlechten Arbeitsbedingungen der Be-
schäftigten in der Computerspieleindustrie werden mit
keinem einzigen Wort erwähnt. Das geht gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Beide Anträge sind von dem romantischen Begriff der
Kreativwirtschaft geprägt, wie ich finde. Sie verkennen
die industriellen Fertigungsbedingungen in der Compu-
terspielebranche. Von prekärer Beschäftigung ist ebenso
wenig die Rede wie von „hire and fire“, von überlangen
Arbeitszeiten oder Verstößen gegen das Arbeitszeitge-
setz und den Arbeitsschutz. An keiner Stelle wird auf die
oft eintönige, sinnentleerte „Kreativ-Tätigkeit“ in dieser
Branche hingewiesen.

Einen Computerspielepreis auszuloben oder eine Qua-
litätskennzeichnung für Computerspiele zu entwickeln,
ohne dies mit Forderungen und Kontrollen nach guter Ar-
beit zu verbinden, halte ich für politisch falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen gerne ein paar Beispiele für die prekären
Bedingungen in der Games-Branche nennen. Der Beruf
des Spieleentwicklers oder Designers ist beliebt. Es gibt
weniger Arbeitsplätze, als nachgefragt werden. Berufs-
einsteigerinnen und Berufseinsteiger erhalten ein Gehalt
von rund 2 000 Euro brutto im Monat, doch nicht selten
wird von diesem Richtwert nach unten abgewichen.
Qualitätstester von Spielen sind fast ausschließlich Prak-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky
tikantinnen und Praktikanten, denen wenig oder nichts
bezahlt wird. Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden täg-
lich sind keine Seltenheit – ohne Freizeit- oder Über-
stundenausgleich wohlgemerkt. Außerdem ist die Un-
sitte verbreitet, nach Abschluss der Entwicklung eines
Spiels erst einmal bis zu zwei Drittel der Belegschaft zu
entlassen. Gegen solche schlechten Arbeitsbedingungen
brauchen wir ein Instrument. Die Gegenargumente von
Produzenten und Publishern halte ich für nicht stichhal-
tig. Sie behaupten allen Ernstes, es sei richtig, dass die
Beschäftigten in der Spielebranche länger arbeiteten und
vergleichsweise weniger Geld bekämen, weil sie dafür
überdurchschnittlich viel Spaß an der Arbeit hätten. Das
ist Unsinn; denn von Spaß an der Freude kann sich nie-
mand etwas kaufen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir stellen darum den Antrag, über die Einführung
eines Fair-Work-Siegels für Computerspiele sofort abzu-
stimmen. Nur Unternehmen, die die Voraussetzungen für
ein solches Siegel erfüllen, sollen in Zukunft staatliche
Fördermittel beziehen können oder bei der Nominierung
für einen Computerspielepreis berücksichtigt werden.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614512700

Grietje Bettin ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614512800

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Auch ich finde es klasse, dass wir uns hier heute
einmal positiv mit dem Thema Computerspiele ausein-
andersetzen. Das Thema ist für viele Menschen leider
immer noch sehr negativ besetzt. Die unsägliche Debatte
über die Killerspiele, die gerade von der Union angesto-
ßen wurde, wird nun endlich versachlicht, und das be-
grüße ich außerordentlich. Es wurde schon von meinen
Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen, dass
Computerspiele mehr sind als nur Gewaltspiele. Sie sind
ein neues Massenmedium geworden. Computerspiele
sind ein positives Beispiel dafür – Monika Griefahn hat
die positiven Lerneffekte schon angesprochen –, dass
man mithilfe neuer Technologien Medienkompetenz
sinnvoll vermitteln kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Computerspielbranche ist international eine
wichtige Zukunftsbranche, und wir müssen aufpassen,
dass Deutschland den Anschluss nicht verliert. Kollege
Waitz hat das angesprochen. Gerade in Asien und den
USA finden die großen Entwicklungen statt. Dort entste-
hen die Spiele, die in Deutschland am meisten verkauft
werden. Deshalb zielt unser Antrag darauf, in Deutsch-
land insbesondere auf den Fachkräftemangel zu reagie-
ren; denn der ist das Problem, das bei uns immer an ers-
ter Stelle steht.

Zu dem Antrag der Koalition: Wir begrüßen den An-
trag grundsätzlich, aber wir glauben, dass aus dem
Grund, den ich eben angesprochen habe, die Bedürfnisse
der Branche noch nicht wirklich erkannt wurden und
dass Computerspiele zu sehr mit dem Film verglichen
werden. Es wird versucht, Computerspiele und Filme
gleichzusetzen. Wir aber glauben, dass Computerspiele
ein anderes Medium sind, das nach anderen Kriterien
funktioniert. Wir kritisieren, dass das Einzige, was der
Koalition einfällt, der Computerspielepreis ist. Er ist na-
türlich schön für die Spielentwickler, und es ist schön für
den Herrn Staatsminister, wenn er sich auf Fotos mit den
Preisträgern ablichten lassen kann, aber wir glauben,
dass die strukturellen Probleme der Branche anders be-
kämpft und andere Antworten auf die Fragen gefunden
werden müssen.

Außerdem haben wir die Sorge – das ist auch ein Kri-
tikpunkt –, dass wahrscheinlich eher die großen Ent-
wickler von diesem Computerspielepreis profitieren,
jedoch eher die kleinen Entwickler Unterstützung brau-
chen. Deshalb wollen wir, dass – auch als wichtiger Hin-
weis für die Eltern – analog zum Siegel „Spiel des Jah-
res“ ein Gütesiegel entwickelt wird, das alle beantragen
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Thema „Nachwuchsmangel bekämpfen“: Die
Fraktion der Grünen ist der Meinung, dass die Compu-
terspieleentwicklung in Aus- und Fortbildung integriert
werden muss, dass entsprechende Studiengänge an den
Hochschulen und Fachhochschulen geschaffen und ge-
rade kleine, innovative Spieleentwickler gefördert wer-
den müssen – Stichwort Ideenvielfalt. Ein Computer-
spiel zu entwickeln, ist unendlich teuer; und kleine,
innovative Spieleentwickler können sich das nicht unbe-
dingt leisten, wenn sie nicht finanziell unterstützt wer-
den. Einzelne Bundesländer haben eine entsprechende
Unterstützung bereits als einen Teil der Wirtschaftsför-
derung aufgenommen. Wir wünschen uns eine flächen-
deckende Wirtschaftsförderung gerade auch für kleine
und mittlere Spieleentwicklerfirmen in Deutschland.

Zum Thema „Computerspiele sind Kultur“: Wir aus
dem Fachgebiet sind uns, glaube ich, alle einig: Compu-
ter spielen ist eine moderne Fortschreibung des klassi-
schen Spielens mit neuen technischen Mitteln. Compu-
terspiele haben eine eigene Ästhetik, eigene Inhalte.
Aber Computerspiele sind nicht mit Filmen gleichzuset-
zen, deswegen sind andere Maßnahmen notwendig.

Für uns ist wichtig – das wird in unserem Antrag an-
gesprochen –, in Deutschland Archivierungsregeln für
Computerspiele, ähnlich wie für Bücher und Filme, zu
treffen. Kultur ist ein Spiegel der Zeit, und wir sollten
diese Spiele für die Nachwelt erhalten. Technik verän-
dert sich, und damit können diese Spiele nicht immer ge-
spielt werden. Deshalb wollen wir uns für eine Archivie-
rungsregelung auch für Computerspiele einsetzen.

Insgesamt ist klar, dass wir noch am Anfang einer
sehr spannenden Diskussion stehen. Es ist zu begrüßen,
dass wir uns endlich auch mit den positiven Aspekten
der Computerspiele beschäftigen.

Den Antrag der Großen Koalition werden wir aller-
dings ablehnen.






(A) (C)



(B) (D)


Grietje Bettin

(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Unglaublich! Das passt gar nicht zur Rede! – Jörg Tauss [SPD]: Dafür werden wir uns revanchieren!)


Denn wir glauben, dass damit die zentralen Probleme
nicht wirklich gelöst werden können.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614512900

Das Wort erhält der Kollege Philipp Mißfelder von

der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1614513000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Al-

lein die Tatsache, dass der Präsident des Hauses bei die-
ser Debatte anwesend ist, zeigt, dass mittlerweile auch
ausgewiesene Kulturpolitiker der Union anerkennen,
dass es sich bei Computerspielen um Kunst und Kultur-
gut handelt.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Zufall!)


– Herr Tauss, Sie mögen an solche Zufälle glauben, ich
tue das nicht.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614513100

Herr Kollege Mißfelder, aus meiner schieren Anwe-

senheit eine solch weit reichende Schlussfolgerung her-
zuleiten, ist jedenfalls kühn.


(Heiterkeit – Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1614513200

Ich bin mir sicher, dass die Kindergeneration unseres

Präsidenten, zu der ich ja auch zähle, diese Anwesenheit
trotzdem sehr zu schätzen weiß und dass sie das Genera-
tionenproblem auflöst, das zwischen der Internet- und
Computerspielgeneration und der Generation derjenigen
besteht, die noch nie in ihrem Leben im Internet waren.

Ich finde es auch sehr positiv, dass heute Abgeordnete
zu diesem Thema gesprochen haben, die bisher selbst
selten im Internet waren und auch sonst wenig mit die-
sem Thema zu tun hatten. Trotzdem erkennen sie an,
dass wir mit diesem Preis auf dem richtigen Weg sind.
Ich glaube tatsächlich – um mich den Vorrednerinnen
und Vorrednern anzuschließen –, dass wir in den vergan-
genen Monaten und Jahren die Debatte vielfach unter
falschen Vorzeichen geführt haben. Dass viele, gerade
auch ältere Familienpolitiker dieses Kulturgut nicht an-
erkennen, ist Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass
sie ihre eigene Kindergeneration nicht verstehen.

Es gibt keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zu-
sammenhang zwischen dem Spielen von Computerspie-
len – auch von sogenannten Killerspielen – und Gewalt-
exzessen, den konnte auch ein früherer Justizminister
aus Niedersachsen nicht nachweisen, der sich auf diesem
Forschungsfeld verdient gemacht hat und dort immer
noch verdienstvoll tätig ist. Es nutzt der Sache allerdings
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ihr müsst nur noch Beckstein überzeugen!)


– Auch in unserer eigenen politischen Familie, Herr
Tauss, haben wir sicherlich noch viel Überzeugungs-
arbeit in diesem Bereich zu leisten.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)


Dass die scheinbar einfache Lösung vorgeschlagen wird,
Computerspiele zu verbieten, zeigt, dass insgesamt we-
nig Verständnis mit Blick auf das Internet vorhanden ist.
Verbote bringen in dieser Branche nichts. Gerade in ei-
ner digitalisierten Welt gibt es keine Grenzen.


(Zuruf von der FDP: Das ist richtig!)


Ich finde es richtig, um an das anzuknüpfen, was Frau
Griefahn gesagt hat, dass die Koalitionsfraktionen die-
sen Preis auf den Weg gebracht haben. Eine kleine Kor-
rektur muss trotzdem erlaubt sein. Nicht nur Sie und
Herr Tauss waren dafür verantwortlich, sondern in erster
Linie natürlich die Union, unser Kulturstaatsminister,
Frau Bär und Herr Börnsen. Ich möchte mich selber von
diesem Dank nicht ausschließen.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Monika Griefahn [SPD]: Ohne Parlament hätte Herr Neumann das nicht gemacht, Herr Mißfelder! Das ist wirklich eine Parlamentsinitiative! Sie sollten das Parlament nicht unter den Scheffel stellen!)


Ich verweise deshalb darauf, dass wir diesen Preis auf
den Weg gebracht haben und in diesem Bereich in den
nächsten Jahren sicherlich noch viel zu tun haben.

Ich glaube, es ist richtig, deutlich zu machen, dass
Computerspiele auch Kulturgut und eine Ausdrucksform
der Kunst sind. Dass dort öffentliche Aufklärungsarbeit
geleistet werden muss, gerade um besonders wertvolle
Computerspiele herauszustellen, halte ich für sinnvoll
und erstrebenswert.

Ich glaube, dies ist eine der wenigen Debatten, bei der
uns viele Jugendliche über das Internet – vielleicht auch
über das Fernsehen, wenn diese Debatte dort überhaupt
übertragen wird; ich wünschte mir, dass Parlamentsde-
batten häufiger im Fernsehen übertragen werden – genau
auf den Mund schauen, um zu erfahren, was die Politiker
zu den für sie wichtigen Themen sagen. Die generelle
Kriminalisierung einer ganzen Generation die Compu-
terspiele macht, ist nämlich falsch und zeugt von wenig
Verständnis für die Kinder. Deshalb finde ich diesen
Preis und auch die heutige Debatte richtig.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614513300

Nachdem die meisten Anwesenden Wert darauf ge-

legt haben, zu den Initiatoren dieses Preises gezählt zu
werden, will ich für die wenigen, die das nicht in An-
spruch nehmen, wenigstens festhalten, dass sie der Ver-
gabe dieses Preises nicht im Wege stehen wollen.


(Heiterkeit)


Nun erhält zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes
der Kollege Tauss für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1614513400

Herr Präsident! Vielen Dank und vielen Dank auch

für die freundlichen Worte, gestern Abend an meine
Adresse gerichtet. Ich brauche heute ein bisschen mehr
Redezeit, weil die nachfolgende Rednerin noch nicht da
ist.

Ich will an dieser Stelle alles unterstreichen, was zur
wirtschaftlichen und zur kulturellen Bedeutung gesagt
worden ist. Um einen Vergleich zu ziehen: Es ist in der
Tat so, dass die Computerspielindustrie die Filmindus-
trie zwischenzeitlich sogar überrundet hat. In den USA
hat die Filmindustrie mittlerweile eine größere ökonomi-
sche Bedeutung als die Automobilindustrie. Das zeigt
ein Stück weit, welche Bedeutung das hat, wovon wir
hier reden. Aus diesem Grunde ist es gut, dass wir dieses
Thema hier ansprechen.

Manchmal wird man gefragt: Habt ihr keine anderen
Sorgen als Computerspiele? Ähnlich wurde übrigens ge-
fragt, als wir hier einmal über den Film diskutiert haben.
Die Aufregung ist immer groß, wenn es zu irgendwel-
chen Katastrophen kommt. Katastrophen will ich über-
haupt nicht kleinreden. Kollege Mißfelder und andere
haben sie angesprochen. Das sind ernste Themen. Aller-
dings wird man den Computerspielerinnen und Compu-
terspielern mit einfachen Kausalzusammenhängen, wie
sie immer wieder dargelegt werden – Computerspiele
führen zu Gewalttätigkeit –, nicht gerecht, und man dis-
kriminiert im Grunde genommen einen großen Teil der
jungen Generation. Aus diesem Grunde glaube ich, dass
von dieser Debatte ein Signal ausgehen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die tragischen Vorgänge in Erfurt hatten viel eher mit
einem, mittlerweile zum Glück korrigierten, Schulgesetz
zu tun – nach vielen Jahren Schulbesuch konnte man
ohne Abschluss dastehen, Stichwort „Perspektivlosig-
keit“ – als mit anderen Dingen.

Wenn ich mit jungen Leuten diskutiere, zum Beispiel
mit Schulklassen aus meinem Wahlkreis, dann bemerke
ich Folgendes: Dieses Thema bewegt. Computerspiele
sind mittlerweile ein fundamentaler und kultureller Be-
standteil des Alltags vieler Menschen, insbesondere jun-
ger Menschen; der Anteil der unter 30-Jährigen ist dabei
überproportional hoch.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sie spielen doch auch, Herr Tauss! Geben Sie es doch zu!)

– Ja, natürlich spiele ich auch. Das muss ich zugeben.
Obwohl ich spiele, will ich darauf hinweisen, dass ich
noch nicht marodierend durch den Bundestag gezogen
bin.


(Beifall bei der SPD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Herr Tauss, das sagen Sie! – Zuruf des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])


Es gibt welche, die sagen, ich hätte dafür andere Auffäl-
ligkeiten. Kollege Krings, das mag sein. – Es wäre in der
Tat ein Problem, dieses Thema auf Killerspiele zu redu-
zieren.

Wir hätten in den heute von der Großen Koalition auf
den Weg gebrachten und vorgelegten Antrag „Wertvolle
Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken“
noch viele Punkte aufnehmen können. Kollege Bisky,
ich denke nicht, dass es richtig gewesen wäre, hier das
Elend der Branche zu benennen. Ich war bei vielen Fir-
men hier in Deutschland, die Computerspiele herstellen.
Ich habe gesehen, mit welcher Begeisterung junge Men-
schen an der Entwicklung arbeiten und was für kreative
Teams am Werk sind. In meinem Wahlkreis gibt es bei-
spielsweise Personen, die ein Piratencomputerspiel ver-
treiben. Ohne dass wir die bestehenden Probleme in ir-
gendeiner Form ignorieren, muss ich sagen: Es macht
Spaß, mit denen zu diskutieren, die sich mit den Compu-
terspielen beschäftigen.

Der Preis ist notwendig, weil wir ein anderes Signal
geben wollen. Das ist richtig; darauf ist hingewiesen
worden. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass von-
seiten der Wirtschaft ein großes Interesse an diesem
Preis gezeigt worden ist.

Bei allem Lob kann man an der Stelle auch das Nega-
tive noch kurz ansprechen. Wir erwarten, dass die Wirt-
schaft ihre Zusagen jetzt auch einhält.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ja, richtig!)


Wir tun etwas für diesen Bereich, nicht nur was sein An-
sehen angeht; wir fördern die Computerspiele an den un-
terschiedlichen Stellen, wie beschrieben, halten dies für
richtig und wichtig, erwarten jetzt aber auch, dass das
Geld kommt.

Wir geben vom Bund und erwarten den gleichen An-
teil von der Industrie. Das ist bisher noch nicht erfolgt.
Wenn es nicht erfolgt, laufen wir Gefahr, dass die Initia-
tive scheitert. Ich sage also in aller Deutlichkeit: Wir er-
warten von der Wirtschaft, dass sie ihre Zusagen jetzt
einlöst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Alles andere hätte einen großen Imageverlust zur Folge.
Dass der Bund allein einen Preis für Computerspiele be-
zahlt, würde ich nicht einsehen. In diesem Sinne würde
ich es auch für gut halten, wenn wir mit der Branche
noch etwas kritischer und offensiver diskutierten.

Computerspiele haben etwas mit Kultur zu tun und
nicht damit, dass gewalttätige junge Menschen irgendwo
in der Gegend herumrandalieren. – Dieses deutliche Si-
gnal sollten wir geben.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
Herr Präsident, die Lampe leuchtet, die mir nachfol-
gende Rednerin ist auch da. Insofern passt es: Ich be-
danke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614513500

Herr Kollege Tauss, Sie haben ohne Not den Eindruck

erweckt, der Redebeitrag habe nur der Füllung der Lücke
bis zum nächsten Tagesordnungspunkt gedient. Davon
kann natürlich überhaupt keine Rede sein.


(Jörg Tauss [SPD]: Ich danke Ihnen auch für diese freundlichen Worte!)


Davon war jeder spätestens nach Ihrem Redebeitrag
überzeugt.

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord-
nungspunkt.

Zum Tagesordnungspunkt 8 a gibt es eine Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 16/8033. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/7116 mit dem Titel „Wertvolle Com-
puterspiele fördern, Medienkompetenz stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist die
Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Koalitions-
fraktionen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/7282 mit dem Titel „Hochwer-
tige Computerspiele fördern und bewahren“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist
mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord-
nungspunkt 8 b. Hierbei geht es um den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/8178 mit dem Titel:
„Fair-Work“-Siegel für Computerspiele. – Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Bildungszugang von Kindern und Jugendli-
chen stärken – Finanzierung von Schüler- und
Schülerinnenbeförderung im SGB II ermögli-
chen

– Drucksachen 16/4486, 16/6013 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche
aus armen Haushalten fördern

– Drucksachen 16/5253, 16/5686 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1614513600

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Gleiche Chancen im Bildungssystem – darum geht es
heute. Gleiche Chancen im Bildungssystem, das heißt
gleiche Chancen von Arbeiterkindern auf einen Studien-
platz, gleiche Chancen von Migrantenkindern auf einen
Ausbildungsplatz, gleiche Chancen von Kindern Ar-
beitsloser auf einen guten Schulabschluss.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])


Da kann jeder im Bundestag zustimmen, aber wenn es in
die Details geht, sind die Antworten sehr unterschied-
lich.

Die sogenannte Linke fordert: Schülerfahrkarten für
Kinder aus Arbeitslosenhaushalten sollen vom Bund be-
zahlt werden. Das Geld soll man sich bei den Ländern
holen. – Das ist ein unseriöser Finanzierungsvorschlag.
Diese Forderung kann nur bei voller Missachtung des
Grundgesetzes gestellt werden.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Wahrscheinlich waren die Antragsteller bei der Födera-
lismusdebatte gerade nicht im Bundestag. Sonst wüssten
sie nämlich, dass Bundesländer und Kommunen für die
Lernmittelfreiheit in Schulen und für den Weg zur
Schule verantwortlich sind, egal ob wir das gut finden
oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Sie wollten verantwortlich sein!)


Es ist wichtig, dass sich die Menschen an Landtagswah-
len beteiligen, denn im Land – nicht im Bund – wird
über die Bildungschancen der Kinder entschieden.

Ich möchte kurz auf den Antrag der Grünen eingehen:
Er ist mit Verantwortung für unser Bildungssystem und
den Staatshaushalt geschrieben. Ich teile ausdrücklich mit
Ihnen die Meinung, dass vom heutigen Tag ein Signal an
die Länder und Kommunen ausgehen muss, damit sie ih-
rer Verantwortung für gleiche Bildungschancen – sie






(A) (C)



(B) (D)


Katja Mast
selbst hatten den Wunsch, die Verantwortung dafür zu tra-
gen – gerecht werden.

Nehmen wir einmal an, ich teilte Ihr Grundanliegen,
Schülerfahrkarten voll über das SGB II zu finanzieren,
dann fände ich es spannend, zu wissen, wie es in Berlin
geregelt ist, wo die Linke doch in der Regierung sitzt
und die verantwortliche Senatorin stellt. Siehe da: Selbst
in Berlin werden den Familien, die Arbeitslosengeld II
erhalten, nicht die Kosten für Schülerfahrkarten zurück-
erstattet.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Weil wir da mit Ihnen sitzen!)


Hier im Bundestag und in Talkshows fordern Sie, was
das Zeug hält, und halten nichts davon ein, wenn Sie die
Verantwortung tragen: Das ist Ihre Art der Politik;


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


die Menschen sollen das wissen. Das ist unseriös und
unglaubwürdig. Es zeigt, dass Sie lieber reden als han-
deln.

Ich teile Ihre Grundlogik ausdrücklich nicht, wonach
Kinder von Arbeitslosengeldempfängern mehr Chancen
auf Bildung und später auf einen Beruf haben, wenn wir
das Arbeitslosengeld erhöhen. Das Arbeitslosengeld II
ist ein über Steuern finanziertes soziokulturelles Exis-
tenzminimum. Um den Kindern zu helfen, brauchen wir
bessere Schulen. Man muss also die Struktur ändern:
Wir brauchen mehr Ganztagsbildungsangebote, um den
Teufelskreislauf – Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungs-
niveau, kein strukturierter Tagesablauf und das tägliche
Durchwurschteln – zu durchbrechen. Nur so eröffnen
wir gleiche Bildungschancen. Nur so rückt für diese
Kinder ein guter Ausbildungsplatz in greifbare Nähe.

Das nehmen wir Sozialdemokraten ernst. Als Partei
des Fortschritts wissen wir:


(Lachen des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE])


Bildung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teil-
habe. Ja, ich gehe weiter: Bildung ist die beste Arbeitslo-
senversicherung. Wir sind davon überzeugt:

Der Staat hat dafür zu sorgen, dass alle den gleichen
Zugang zu Bildung haben, unabhängig von ihrer
Herkunft. Jeder Mensch hat das Recht auf einen ge-
bührenfreien Bildungsweg von Krippe und Kinder-
garten bis zur Hochschule.

Diese Sätze sind brandaktuell und stehen in unserem
Hamburger Grundsatzprogramm. Dieses Grundsatzpro-
gramm ist das Leitbild für unser Regierungshandeln; da-
für stehen wir Sozialdemokraten, das Ziel klar vor Au-
gen. Schritt für Schritt setzen wir das Programm um.

Lassen Sie mich einige Beispiele dafür aufführen, um
zu zeigen, dass glaubwürdige Politik nicht in Talkshows
und mit Scheinanträgen, sondern durch verantwortliches
Regierungshandeln gemacht wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es war die Schröder-Regierung, die den Durchbruch
beim Thema Ganztagsschulen geschafft hat, indem sie
mutig 4 Milliarden Euro in die Hand genommen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute gibt es keine Landesregierung und keinen Bun-
desminister mehr, der ohne ein klares Bekenntnis zur
Ganztagsschule bestehen kann. Ohne den Mut der
Schröder-Regierung wären allein in meiner Heimat
sechs Schulen heute keine Ganztagsschulen: in Birken-
feld, Dietlingen, Mühlacker und drei in Pforzheim.

Wir werden auch für Kinder ab einem Jahr den
Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchsetzen,
weil wir wissen, dass Chancengerechtigkeit schon bei
den Kleinen anfängt; dabei liegen wir aber noch mit un-
serem Koalitionspartner im Argen.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wir befinden uns in der Diskussion!)


Wir haben mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz
von Renate Schmidt angefangen und damit 230 000 zu-
sätzliche Kitaplätze geschaffen; da machen wir in der
Großen Koalition weiter.


(Beifall bei der SPD)


Damit sorgen wir für gleiche Bildungschancen, gerade
auch für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, und
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unabhängig
vom Geldbeutel.

Der Übergang von der Bildungs- zur Arbeitsmarktpo-
litik ist fließend: Wann fängt die Berufsorientierung an?
Wer ist dafür zuständig? Wie helfen wir den Jugendli-
chen, die trotz Schulabschluss keine Chance auf Ausbil-
dung haben? Wir im Bund nehmen Geld in die Hand und
gehen mutig voran: mit mehr Berufsberatern in den
Schulen, mit der Einstiegsqualifizierung, die mit über
70 Prozent Erfolgsquote in Ausbildung die beste Me-
thode ist, und nun mit dem geplanten Ausbildungsbonus
für Altbewerber. Mit ihm werden wir bis 2010 100 000
zusätzliche Ausbildungsplätze für die Jugendlichen
schaffen, die es heute schwer haben. Der Betrieb be-
kommt einen Zuschuss, und bei Problemen hilft eine zu-
sätzliche sozialpädagogische Begleitung.

Lassen Sie mich noch einmal Pforzheim und den
Enz-Kreis zitieren: Wir haben schon seit längerem für
jährlich 40 Jugendliche aus dem Berufsvorbereitungs-
jahr so einen Zuschuss. Das ist ehrliche Hilfe. Die
Kombination aus zusätzlichem Ausbildungsplatz, Bo-
nus für den Betrieb und sozialpädagogischer Beglei-
tung ist ein Erfolg. Eine Ausbildung im Betrieb ist bes-
ser als jede Warteschleife. Deshalb handeln wir im
Bund – und das ist gut so – mit unserem Ausbildungs-
bonus.

Doch auch für die BAföG-Empfänger konnten wir ei-
niges erreichen: 10 Prozent mehr. Um deutlich zu ma-
chen, was wir da erreicht haben, zitiere ich den Koali-
tionsvertrag:






(A) (C)



(B) (D)


Katja Mast
Das BAföG als Sozialleistung wird in seiner jetzi-
gen Struktur zur Finanzierung des Lebensunterhalts
erhalten (keine Reduzierung des Zuschusses).

10 Prozent mehr; das zeigt, was wir in der Großen Koali-
tion bewegen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen steht im Koalitionsvertrag eindeutig:

Die Koalitionspartner sind in der Frage von Studien-
gebühren unterschiedlicher Auffassung.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr wahr!)


Aber auch in den Bundesländern zeigen wir, dass wir
nicht nur über gleiche Chancen in der Bildungspolitik re-
den, sondern auch handeln. Rheinland-Pfalz ist unser so-
zialdemokratischer Champion. Kurt Beck regiert allein
mit sozialdemokratischer Politik:


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der LINKEN)


keine Studiengebühren, Beitragsfreiheit für das letzte
Kindergartenjahr, denn von Anfang an wird über Bil-
dungs- und Zukunftschancen entschieden, Rechtsan-
spruch auf einen Kindergartenplatz für Zweijährige ab
2010, Beitragsfreiheit der Kitaplätze bis 2010 und die
Zusammenführung der Haupt- und Realschule zur „Re-
alschule plus“; das gibt Hauptschülern neue Perspekti-
ven bei der Berufsorientierung.


(Beifall bei der SPD)


Ich bleibe also dabei: Das Verändern der Strukturen
führt zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Dazu stehen wir
Sozialdemokraten auf allen Ebenen, ob im Bund, in den
Ländern oder in den Kommunen. Wir gehen Schritt für
Schritt vor: gebührenfreie Kindergärten, Ganztagsschu-
len, gebührenfreies Studium und Begleitung lebenslan-
gen Lernens. Das sind wir den Menschen und der Zu-
kunft unseres Landes schuldig.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614513700

Jörg Rohde ist der nächste Redner für die FDP-Frak-

tion.


(Beifall bei der FDP)



Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1614513800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Frau Mast, ich bin Ihnen sehr dank-
bar, dass Sie auf die Scheinheiligkeit der Linksfraktion
hingewiesen haben.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Wenn man in politischer Verantwortung ist, dann kann
man die Forderungen, die man erhebt, auch vor Ort um-
setzen.


(Beifall der Abg. Katja Mast [SPD])


Das muss man deutlich machen. Allerdings haben Sie es
versäumt, darauf hinzuweisen, dass der Regierungspart-
ner der Linken in Berlin die SPD ist.

(Elke Reinke [DIE LINKE]: Richtig!)


Das ist natürlich kein Ruhmesblatt für diese Diskussion.


(Beifall bei der FDP)


Die Zielsetzung beider Anträge, die heute zur Ab-
stimmung stehen, verdient Respekt und Anerkennung.
Es ist völlig unbestritten, dass die Bildungschancen von
Kindern und Jugendlichen nicht von der Finanzkraft ih-
res Elternhauses abhängen dürfen. Auch die FDP spricht
sich uneingeschränkt für Chancengerechtigkeit im Zu-
gang zu frühkindlicher, schulischer und beruflicher Bil-
dung aus.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht für Chancengleichheit! Da geht es schon los!)


Mit zahlreichen Anträgen hat die FDP in den vergan-
genen Jahren im Deutschen Bundestag, vor allem aber in
den Landtagen Vorschläge dafür unterbreitet. Denn, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Lin-
ken, das, was Sie in Ihren Anträgen fordern, fällt nicht in
die Zuständigkeit des Bundes, sondern in die Zuständig-
keit der Länder.


(Christoph Waitz [FDP]: Sehr richtig!)


Bildung ist Ländersache, und Bildung bleibt Länder-
sache.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist das Ergebnis der Föderalismusreform, und das ist
gut so. Je zentralistischer Bildung organisiert wird, desto
bürokratischer wird sie. Je mehr Gestaltungsmöglichkei-
ten die Länder haben, desto mehr können sie auch für
Bildung tun, desto vielfältiger und dynamischer kann
sich Schule entwickeln. Dies gilt explizit für die Sicher-
stellung der Schülerbeförderung durch die Landkreise
und die Versorgung mit Lernmitteln. Es ist Aufgabe der
Länder und Landkreise, auch Kindern und Jugendlichen
aus einkommensschwachen Familien den Zugang zu
Schule und Bildung zu ermöglichen. Sie kommen die-
sem Auftrag auch nach. Alles andere ist eine unverant-
wortliche Schwarzmalerei.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614513900

Herr Kollege Rohde, möchten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Tauss beantworten?


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1614514000

Sehr gerne, Herr Tauss.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1614514100

Das ist wunderbar. – Obwohl wir um Koalitionspart-

ner werben, will ich jetzt weniger nett sein.

Ich will Ihrem leidenschaftlichen Bekenntnis zum Fö-
deralismus – ich sehe, auch der Kollege Burgbacher ist
anwesend – gerne folgen. Können Sie mir aber bestäti-
gen, dass der Kollege Barth und die Kollegin Pieper im
Ausschuss für Bildung und Forschung gelegentlich ganz
andere Töne anschlagen und völlig mit Recht darauf hin-






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
weisen, dass man doch eine verstärkte Kooperation von
Bund und Ländern im Bildungsbereich anstreben sollte?
Seid ihr euch nicht ganz einig über das, was ihr da wollt?


Jörg Rohde (FDP):
Rede ID: ID1614514200

Lieber Kollege Tauss, auch in der FDP gibt es Mei-

nungsvielfalt.


(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!)


Es ist nicht alles stromlinienförmig; es gibt also auch
Einzelmeinungen. Ich trage Ihnen jetzt die Mehrheits-
meinung vor.

Wir haben eine intensive Debatte innerhalb der FDP
gerade über die Bildungspolitik geführt. Es gibt natür-
lich gute Argumente für die eine oder für die andere
Seite. Bei der FDP setzt sich aber die Meinung durch,
dass Bildung Ländersache ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Eure Bildungspolitiker sind also die Minderheit!)


– Es gibt Bildungspolitiker auf verschiedenen Ebenen.
Die FDP ist in Kommunalparlamenten, in den Landta-
gen, im Bundestag und in Europa vertreten. Auf den ver-
schiedenen Ebenen gibt es unterschiedliche Meinungen.
Das gilt aber auch für andere Parteien. Ich bin sicher,
dass Sie auch in der SPD den einen oder anderen finden,
der in dieser Frage vielleicht nicht Ihrer Meinung ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber ich bin die Mehrheit!)


Ich trage eben die Mehrheitsmeinung der FDP vor.


(Beifall bei der FDP)


Viele Landkreise gehen bei der Schülerbeförderung
mit gutem Beispiel voran und befreien Eltern mit niedri-
gen Einkommen von den Zuzahlungen. Dies ist der rich-
tige Weg. Falsch wäre es dagegen, dort, wo von den
zuständigen Trägern Verantwortung nicht in zufrieden-
stellendem Maße wahrgenommen wird, mit Nothilfen
durch den Bund einzuspringen. Dies hätte in vielfacher
Hinsicht negative Auswirkungen:

Zum einen müssten wir befürchten, dass sich dann
weitere Landkreise aus der Verantwortung stehlen, weil
sie zukünftig ja schon wüssten, dass im Zweifel der
Bund einspringt. Zum anderen würde vor allem für die
betroffenen Eltern eine unzumutbare Situation eintreten,
wenn sie zwischen den Kostenträgern des SGB II,
SGB XII oder des Asylbewerberleistungsgesetzes und
den Landkreisen hin und her geschickt würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der
Grünen, die in Ihren Anträgen skizzierten Missstände
gibt es vereinzelt, aber sie müssen vor Ort abgestellt
werden, nicht im Deutschen Bundestag. Tragen Sie
deshalb die heute vorliegenden Anträge in Ihre Land-
tags- und Kreistagsfraktionen! Dorthin gehören diese Ini-
tiativen. Im Deutschen Bundestag können wir Ihren An-
trägen leider nicht zustimmen.

Das heißt allerdings nicht, dass man von Berlin aus
zur Lösung vieler Probleme der Länder und Kommunen
nicht beitragen könnte. Im Gegenteil: Im Rahmen der
Föderalismusreform II, also der Neuregelung der Fi-
nanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, müssen
die Länder und Kommunen auch finanziell in die Lage
versetzt werden, ihren Aufgaben umfassend und verant-
wortungsbewusst nachzukommen. Insbesondere von der
Union und der SPD erwartet die FDP deshalb, dass die
Föderalismusreform II nicht weiter auf die lange Bank
geschoben wird.

Der Schlüssel zur Lösung der Probleme einkommens-
schwacher Familien liegt in der Schaffung neuer Ar-
beitsplätze und in der Verbesserung der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Wir brauchen bessere Hinzuver-
dienstmöglichkeiten für Bezieher sozialer Leistungen.
Niedrigere Steuern und Lohnnebenkosten würden zu
mehr Beschäftigung führen und damit einkommens-
schwachen Familien den Weg aus dem Leistungsbezug
ebnen.

Für diejenigen, die dennoch auf staatliche Unterstüt-
zung angewiesen sind, fordern wir Liberale schon seit
langem die Einführung eines Bürgergeldes. Im Bürger-
geld sind alle steuerfinanzierten Sozialleistungen wie
Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld, BAföG, Grund-
sicherung und Kindergeld zu einer bedarfsdeckenden
Leistung zusammengefasst. Die bürokratisch aufwendige
und oftmals auch zermürbende und stigmatisierende Er-
mittlung der einzelnen Bedarfe und Sonderbedarfe nach
heutigem Recht fiele weg. Ein individuell nachzuwei-
sender Mehrbedarf, wie ihn die Linken fordern, würde
dagegen einen weiteren Gang zur Arge, zum Jobcenter
oder zum Sozialamt bedeuten.

Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im
Bundestag die Weichen für mehr Arbeit und stabile Län-
der- und Kommunalfinanzen stellen! Die Bildungspoli-
tik dagegen sollten wir weiterhin den Ländern überlas-
sen, und zwar in vollem Umfang, also auch was
Lernmittel und den Weg zur Schule betrifft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614514300

Karl Schiewerling spricht jetzt für die CDU/CSU-

Fraktion – mindestens für die Mehrheit, vermute ich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Haben Sie jetzt auch noch einen Champion für uns?)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1614514400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Rohde, der guten Ordnung halber zu Ihren
Hinweisen auf Bund, Länder und Kommunen: Viele
Länder und Kommunen sind mittlerweile in der glückli-
chen Lage, ausgeglichene Haushalte zu haben. Ich weise
deutlich darauf hin, dass der Bund hier noch einige An-
strengungen unternehmen muss, um das auch hinzube-
kommen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist wohl wahr! – Jörg Rohde [FDP]: Entschuldigung, wir sind die Opposition!)







(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling
Bevor wir anfangen, Gelder vom Bund auf die Länder
und die Kommunen zu verteilen, sollten wir einmal
schauen, wie die Zuständigkeiten unter dem Strich wirk-
lich verteilt sind, und sollten die Diskussionen in der
Föderalismuskommission II abwarten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben in der Tat das Problem, dass die Bildungs-
situation in Deutschland – dies ergibt sich aus den PISA-
Studien – beklagenswert ist. Im Kreuzfeuer der Kritik
steht dabei der enge Zusammenhang zwischen sozialer
Herkunft und den erzielten Bildungsleistungen. Dass es
diesen Zusammenhang gibt, ist offenkundig. Aber er ist
nicht immer zwangsläufig gegeben.

Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld II bezie-
hen, sind nicht dümmer als andere Kinder und vor allen
Dingen nicht per se bildungsarm. Es gibt im Bereich der
Arbeitslosengeld-II-Bezieher sehr unterschiedliche Le-
benssituationen. Es ist notwendig, diese auch in dieser
Frage sehr differenziert zu betrachten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir machen uns in der CDU/CSU-Fraktion zuneh-
mend Sorgen um diejenigen Kinder, die aus jenen hoch-
problematischen sozialen Milieus kommen, die völlig
überfordert sind, das eigene Leben zu gestalten, Tagesab-
läufe zu strukturieren und damit den Kindern zu helfen,
in ihrem Leben Orientierung zu bekommen. In diesem
Milieu greifen übrigens noch nicht einmal Sanktions-
maßnahmen, wie sie im SGB II vorgesehen sind. Wir ha-
ben ein Problem: Diese Milieus wachsen in Deutschland
schneller als manche andere.

Deshalb hat sich meine Fraktion Anfang dieses Jahres
intensiv mit dem Thema der Familien in sozial schwieri-
gem Umfeld beschäftigt. Schätzungsweise 2,6 Millionen
Menschen leben in der sogenannten ererbten oder zu
vererbenden Sozialhilfe, viele davon in Ballungszentren
und in einschlägig bekannten Wohngebieten. Sie leben
in zweiter und dritter Generation von staatlichen Trans-
ferleistungen. Viele dieser Familien haben in ihrem Le-
ben nicht ein einziges Mal die Situation erlebt, dass sie
selbst, ihre Eltern oder ihre Großeltern mit ihrer eigenen
Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdient haben. Sie
haben die Fähigkeit verloren, ihr eigenes Leben zu ge-
stalten.

Besonders davon betroffen sind in der Tat Familien,
sind die Kinder. Sie erleben den staatlichen Transfer als
eine absolute Lebensnormalität. So leben sie zum einen
in der Gefahr, den apathischen Stil ihrer Eltern nachzule-
ben. Zum anderen gehören diese Kinder in der Tat oft zu
den Bildungsarmen. Bildung ist aber die wesentliche
Grundlage für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe.
Ich sage Ihnen sehr deutlich – auch mit Blick auf die Le-
benssituation dieser Kinder –: Wir dürfen keines dieser
Kinder verloren geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier muss – das möchte ich betonen – Hilfe ansetzen.
Hier muss Selbsthilfe organisiert werden und muss mehr
passieren als die bloße finanzielle Steigerung der Sozial-
transfers. Wir benötigen aufsuchende Hilfestrukturen,
die auf diese Familien zugehen und sie im Alltag stär-
ken. Die Angebote müssen niedrigschwellig sein, um so
auch die Eltern in sozial schwierigen Milieus für die Ar-
beit mit ihren Kindern zu gewinnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt zahlreiche gute Beispiele in diesem Zusammen-
hang. Ich erwähne nur die Arche in Hamburg oder die
Einrichtung Lichtblick Hasenbergl in München. Denn
die Praxis zeigt: Über die Hilfe für die Kinder kann in
vielen Fällen auch die Lebenseinstellung der Eltern ver-
ändert werden. Wir brauchen dazu allerdings ein Zusam-
menwirken zwischen den unterschiedlichen Bereichen.
Dazu gehören Schule und auch Kinder- und Jugendhilfe.
Alle müssen mithelfen, dass wir dort weiterkommen.

In den vorliegenden Anträgen geht es im Wesentli-
chen darum, die Leistungen des SGB II auszuweiten. Sie
fordern Lernmittelfreiheit, die Übernahme der Kosten
für das Mittagessen und Schultransporte. Angebliche
Kommerzialisierungstendenzen im Schulwesen sollen
gestoppt werden und vieles mehr.

Die Zuständigkeit der Länder für Bildung ist im Rah-
men der Föderalismusreform I gerade ausdrücklich
betont worden. Was wir jetzt bestimmt nicht machen
werden, ist, in diesen Kompetenzbereich der Länder ein-
zugreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nicht nur die Bildungshoheit liegt bei den Ländern, son-
dern in der logischen Folge ist auch die Beförderung der
Schüler zu den Schulen Aufgabe der Länder. Jedes Bun-
desland regelt in speziellen Gesetzen, Verordnungen und
Erlassen, wie die Beförderung der Schüler zu organisie-
ren ist und wer die Kosten dafür trägt. Oft werden die
Kosten für die Beförderung im öffentlichen Nahverkehr
bezuschusst. In ländlichen Gebieten wird die Beförde-
rung in der Regel mit speziellen Schulbussen gewähr-
leistet.

Im SGB II ist glasklar geregelt, welche Leistungen
der Bund und welche die Kommunen zu erbringen ha-
ben. Die Kommunen sind zuständig für die Beförderung
der Schülerinnen und Schüler, ebenso für die Schulspei-
sung und die Übermittagbetreuung. Daher kann es hier
nicht darum gehen, neue Leistungsanforderungen an die
Grundsicherung zu stellen. An dieser Stelle weise ich in
aller Deutlichkeit darauf hin, dass das Bundessozialge-
richt im November 2006 Höhe und Art der Bedarfser-
mittlung, wie sie in § 23 des SGB II geregelt ist, als ver-
fassungsgemäß angesehen hat.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt nichts darüber aus, ob es ausreichend ist!)


In vielen Ländern gibt es sehr innovative Schulpro-
jekte, die ganz bewusst in sozial schwierigen Regionen
durchgeführt werden. Es ist immer das Engagement ein-
zelner Menschen oder Gruppen, das darüber hinaus zu
Verbesserungen führt. Ich weise darauf hin, dass es in






(A) (C)



(B) (D)


Karl Schiewerling
Nordrhein-Westfalen den Landesfonds „Kein Kind ohne
Mahlzeit“ gibt, für den das Land 10 Millionen Euro zur
Verfügung stellt. 50 000 Kinder und Jugendliche profi-
tieren jedes Jahr davon. Die Landesregierung NRW hat
einen besonderen Schwerpunkt auf die kulturelle Bil-
dung gelegt. Sie hat sich unter anderem das Ziel gesetzt,
die künstlerisch-musische Grundausbildung in den
Schulen zu verbessern. Das reduziert Bildung nicht auf
Wissen, wie die PISA-Studie es tut. Dies ist vielmehr ein
Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Sicht auf den
Menschen und einer entsprechenden Förderung. Die Ini-
tiative „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein beachtlicher
Erfolg.

Des Weiteren gibt es diverse Projekte rund um das
Thema gesunde Ernährung. Doch die präventive Arbeit
hat nur dann Erfolg, wenn wir es den Kindern vorleben,
in der Schule, in der Freizeit und vor allem in der Fami-
lie. Eltern haben eine Vorbildfunktion.

Lassen Sie mich deutlich sagen, dass es auch um die
überwiegende Zahl von Familien geht, die keine Grund-
sicherung bekommen, deren Einkommen aber nur knapp
darüber liegt. Diese Familien müssen alles, ob Busfahr-
karte oder Schulbücher, selbst bezahlen. Diese Familien
müssen wir fördern. Sie gehören zum Kern der Leis-
tungsträger unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen reformieren wir den Kinderzuschlag. Mit
den geplanten Neuregelungen wollen wir verhindern,
dass etwa 250 000 Kinder auf Grundsicherung angewie-
sen sind. Ich halte das für den richtigen Weg; denn wir
wollen verhindern, dass Kinder und Familien auf den
Hilfebezug zurückgreifen müssen, und wir wollen, dass
diejenigen, die Hilfe beziehen, da so schnell wie möglich
wieder herauskommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614514500

Das Wort erhält nun die Kollegin Elke Reinke, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Elke Reinke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614514600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! „Aufstieg durch Bildung – Qualifizierungs-
initiative der Bundesregierung“, beschlossen im letzten
Monat. „Aufstieg durch Bildung“ – für wen? Junge Men-
schen aus sozial benachteiligten Familien sind damit si-
cher nicht gemeint; denn für die meisten platzt der Traum
vom Aufstieg spätestens nach Klasse zehn. Fahrten zu
weiterführenden Schulen, Gymnasien, Ausbildungsstät-
ten oder zu Einrichtungen, in denen man das berufsvor-
bereitende Jahr absolvieren kann, sind für Hartz-IV-Kin-
der in sogenannten Bedarfsgemeinschaften viel zu teuer.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Verbreiten Sie einmal das Gegenteil! Damit tun Sie denen einen Gefallen!)

Ein Jugendlicher aus meinem Landkreis besucht eine
Fachoberschule und möchte danach gerne studieren. Ihm
stehen zum Leben gerade einmal 278 Euro pro Monat
zur Verfügung. Da nach dem zehnten Schuljahr keine
Fahrtkosten erstattet werden, gehen rund 100 Euro pro
Monat für die Fahrkarte drauf. Im Regelsatz sind für
Bus- oder Bahnfahrten aber nur 16,67 Euro vorgesehen.
Es bleiben 178 Euro übrig, von denen er allerdings auch
Schulbücher bezahlen muss. Ihm bleiben also 6 Euro pro
Tag. Wie lange steht er das wohl noch durch?

Natürlich versuchen die meisten Eltern, das nötige
Geld irgendwie zusammenzukratzen. Sie sparen an an-
derer Stelle, zum Beispiel am Kinobesuch, beim Sport-
verein und auch am Essen. Weil viele Familien das nicht
durchhalten, müssen Jugendliche die Schule und manch-
mal auch die Ausbildung abbrechen. Das ist wieder ein-
mal kein Einzelfall – leider. Fragen Sie doch einmal in
Ihrem Wahlkreis nach! Sie werden überrascht sein, wie
viele dieser Einzelfälle Sie dort finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Fakt ist nun einmal, dass die Finanzierung der Schüle-
rinnen- und Schülerbeförderung in den letzten Jahren zu-
nehmend auf die Eltern abgewälzt worden ist. Die Kos-
ten der Schülerbeförderung werden durch die Regelsätze
gemäß SGB II und XII nicht abgedeckt. Deutlich wird:
Die Beförderungskosten sind ein echtes Hindernis beim
Zugang zu Bildung. Die Verlierer sind wieder einmal die
sowieso schon Benachteiligten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie werden systematisch von höherer Bildung ausge-
grenzt.

Im Antrag meiner Fraktion wird die Bundesregierung
zum einen aufgefordert, die Länder auf ihre Verantwor-
tung für eine sozial ausgewogene Finanzierung der
Schülerbeförderung hinzuweisen und umgehend aktiv zu
werden. Zum anderen fordert die Linke vom Bund, dass
der Bund, solange die Länder ihrer Verantwortung nicht
nachkommen, entsprechende Förderungen gemäß
SGB II und SGB XII sowie Asylbewerberleistungsge-
setz möglich macht.

Mir ist schon bekannt, dass hier die Länder zuständig
sind. Die Bundesregierung muss aber die Länder anwei-
sen, ihre Verantwortung wahrzunehmen,


(Andrea Nahles [SPD]: Das genau ist ja nicht möglich! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ CSU]: Anweisen? Wir leben nicht im demokratischen Sozialismus!)


und bundesweite Mindestregelungen auf den Weg brin-
gen. Ihr ständiges Kompetenzgerangel, dieses Hin und
Her, nervt übrigens nicht nur mich, sondern auch die Be-
troffenen. Sie wollen von Ihnen endlich Lösungen.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ihre Sprache ist verräterisch! – Andrea Nahles [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
wollen, dass für arme Kinder Lernmittel, Schulbeförde-






(A) (C)



(B) (D)


Elke Reinke
rung, Schulmahlzeiten, Sportangebote, Musikschulen
und Bibliotheken bereitgestellt werden. Das sind richtige
und wichtige Forderungen; die erheben wir ebenfalls.
Aber Sie haben schon vergessen: Sie waren es doch ge-
meinsam mit den sogenannten Sozialdemokraten, die
mit Einführung von Hartz IV die Regelsätze für 6- bis
14-Jährige auf 207 Euro gesenkt haben.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wo waren sie vorher?)


Jetzt tun die Grünen so, als hätten sie mit diesem Verar-
mungsgesetz nichts zu tun. Dieser Antrag der Grünen ist
eine Bankrotterklärung aller Hartz-IV-Parteien.

Ich möchte noch einmal kurz auf unseren Antrag zu-
rückkommen. Entfernen Sie die Stoppschilder zum
„Aufstieg durch Bildung“.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung be-
sagt: Deutschland braucht eine gemeinsame Anstren-
gung, um schneller voranzukommen. Dann leisten Sie
jetzt Ihren ersten Beitrag. Stimmen Sie unserem Antrag
zu!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614514700

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614514800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler beziehen Leis-
tungen gemäß SGB II bzw. Hartz IV. 1,4 Millionen
Schülerinnen und Schüler stellen sich in jedem Schuljahr
oder sogar in jedem Halbjahr die Frage, wie sie Hefte,
Stifte, Füller, Ranzen und anderes benötigtes Material
bezahlen können. Die Kosten für dieses Material sind
nicht im Regelsatz vorgesehen. Das ist ausdrücklich
nicht – das wollen wir einmal klarstellen – Sache der
Länder, sondern eine originäre Aufgabe gemäß SGB II.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass
wir wenigstens als Kannleistung eine Öffnungsklausel
einführen, um es dem Fallmanager in den Fällen, in de-
nen unabweisbar Bedarf an Unterrichtsmaterial besteht,
möglich zu machen – es geht nicht um einen rechtlichen
Anspruch –, Mittel für dieses Material zu bewilligen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614514900

Sie schauen gerade nach allen Seiten; das macht für

mich nicht klar, wo Ihre Präferenzen liegen.


(Heiterkeit)


Aber wenn Sie bereit wären, eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß zu beantworten, werde ich das gerne ge-
nehmigen.

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614515000

Gerne.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1614515100

Herr Kollege Kurth, ich möchte Sie fragen, ob es zu-

trifft, dass in der siebenjährigen Regierungszeit, die das
Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit den Sozialde-
mokraten gestaltet hat,


(Ute Kumpf [SPD]: Das war eine gute Zeit!)


sowohl bei der Sozialhilfe, also im SGB XII, als auch
beim Arbeitslosengeld II, also im Sozialgesetzbuch II,
die Pauschalierung der Regelsätze beschlossen wurde
und damit bewusst eine Abkehr vom früher geltenden
Sozialhilferecht erfolgt ist,


(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Die haben aus den Fehlern gelernt!)


nach dem man für jeden Kühlschrank, für jeden Fernse-
her und, und, und beim zuständigen Sachbearbeiter ei-
nen eigenen Antrag stellen und dann auf die Entschei-
dung warten musste, ob der Antrag genehmigt wird oder
nicht. Warum sind Sie jetzt gegen die pauschalen Regel-
sätze, die Sie selbst eingeführt haben?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614515200

Kollege Weiß, ich bin nicht allgemein gegen die Pau-

schalierung. Damals haben wir uns dafür eingesetzt;
dazu stehen wir. Aber die Frage, ob die pauschalierten
Regelsätze ihren Zweck erfüllen, hängt davon ab, ob sie
ausreichend bemessen sind. Das ist doch der entschei-
dende Punkt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber das System, nach dem sie bemessen werden, haben Sie doch auch mit beschlossen!)


– Auch wenn wir das mit beschlossen haben, müssen
wir, nachdem wir zwei Jahre lang Erfahrungen damit ge-
sammelt haben, rückblickend sagen, dass insbesondere
die entwicklungsbedingten Bedarfe von Kindern und Ju-
gendlichen in den Regelsätzen offensichtlich nicht ange-
messen berücksichtigt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das haben wir erkannt, und darauf müssen wir reagieren.

Wenn eine allgemeine Erhöhung der Regelsätze vor
dem Hintergrund der Mehrheiten in diesem Hause nicht
möglich ist, dann sollte den Fallmanagern, die mit kon-
kreten Schicksalen zu tun haben, zumindest die gesetzli-
che Möglichkeit eröffnet werden, nach Prüfung des kon-
kreten Einzelfalls zum Beispiel zu entscheiden: Wie ich
sehe, wird eine Schulausstattung gebraucht. Ich treffe
eine Einzelfallentscheidung und bewillige das. – Ich
finde, als eine Art Notmaßnahme – so ist unser Antrag
nämlich zu verstehen – wäre es absolut gerechtfertigt, an
dieser Stelle von der Pauschalierung abzuweichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Markus Kurth Dann müssen Sie an anderen Stellen auch abweichen!)





(A) (C)


(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich meine insbe-
sondere die der Sozialdemokraten –, jetzt möchte ich Ih-
nen kurz aus einem Gesetzesantrag vorlesen;


(Andrea Nahles [SPD]: Das müssen Sie allen vortragen, Herr Kollege! Nicht nur uns!)


danach dürfen Sie raten, von wem er ist. Ich sage nur,
dass es sich um einen Gesetzesantrag handelt, der sich
aktuell im Bundesrat befindet. Darin heißt es:

Die von Schülerinnen und Schülern für den regulä-
ren Unterricht typischerweise geforderte Ausstat-
tung mit Schulmaterialien übersteigt preislich den
im Regelsatz … vorgesehenen Betrag. Ausgaben
für notwendige Schulmaterialien, wie Taschenrech-
ner, Füller, Stifte, Hefte … liegen in der Summe ty-
pischerweise oberhalb der in Regelsatz und Regel-
leistung hierfür vorgesehenen Beträge.

Welche Lösung dieses Missstands wird in diesem Ge-
setzesantrag vorgeschlagen? Es müsse eine abweichende
Erbringung von Leistungen möglich sein, und zwar ins-
besondere bei einmaligen Bedarfen. Diese werden um
den Bedarfstatbestand der besonderen Lernmittel – au-
ßer Schulbüchern – erweitert.

Wer macht diesen Vorschlag, der exakt dem ent-
spricht, was wir schon im Mai letzten Jahres in unserem
Antrag vorgeschlagen haben?


(Ute Kumpf [SPD]: Kurt Beck!)


Diesen Vorschlag macht das Land Rheinland-Pfalz.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Aha! Interessant!)


Unterzeichnet ist dieser Antrag mit „Mit freundlichen
Grüßen von Kurt Beck“, dem Supersozialdemokraten,
wie Sie ihn vorhin nannten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Auch ein Champion!)


Wenn Sie gleich gegen unseren Antrag stimmen, dann
werden Sie also auch den Inhalt genau dieses Gesetzes-
antrags ablehnen, der am 28. September 2007 in den
Bundesrat eingebracht worden ist und der uns im April
dieses Jahres wieder auf den Tisch flattern wird.

Auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU
brauchen sich nicht zu freuen. Jetzt werde ich nämlich
noch aus einem Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-
Westfalen zitieren,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Von Herrn Laumann! Ja, den kennen wir!)


der sich ebenfalls im Bundesrat befindet. Darin heißt es:

Mit dem jetzigen System

– also dem des SGB II –

können besondere entwicklungsbedingte Bedarfe
der Kinder und Jugendlichen insbesondere im Zu-
sammenhang mit der Teilhabe an der Bildung nicht
hinreichend abgebildet werden.


(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Und so etwas kommt aus NordrheinWestfalen?)


Wie wahr! Das entspricht fast wörtlich dem, was in un-
serem Antrag steht.


(Andrea Nahles [SPD]: Sie haben ja abgeschrieben, Herr Kurth!)


Wenn ich darf, ergänze ich noch einen Satz:

Die Lebenswirklichkeit der betroffenen Kinder, die
Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII er-
halten, zeigt unter anderem, dass die Aufwendun-
gen für Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und
die persönliche Ausstattung für die Schule aus den
Regelleistungen nicht getragen werden können.

Auch das Land NRW schlägt eine Öffnungsklausel vor.

Da Sie, Frau Nahles, gerade kess dazwischengerufen
haben, wir hätten unseren Antrag abgeschrieben, sage
ich Ihnen: Unser Antrag, der hier und jetzt behandelt
wird, stammt vom 9. Mai letzten Jahres. Kurt Beck ist
– wahrscheinlich, nachdem er unseren Antrag gelesen
hat – zu derselben Einsicht gelangt wie wir, und zwar am
28. September 2007.


(Zuruf von der SPD: Das glaubt ihr doch nicht im Ernst! – Lachen der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Das Land Nordrhein-Westfalen ist zu dieser Einsicht am
14. Dezember 2007 gelangt, also beträchtliche Zeit
nachdem wir unseren Antrag vorgelegt haben. Ich
denke, das spricht für sich. Stimmen Sie unserem Antrag
zu! Dann unterstützen Sie auch Ihre Ministerpräsiden-
ten, und dann stellen wir einmal seltene Einigkeit her.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614515300

Ich schließe die Debatte.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6013, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4486
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Das Erste war die Mehr-
heit. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 9 b. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5686, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 16/5253 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Das Erste war die Mehrheit.
Auch diese Beschlussempfehlung ist damit angenom-
men.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Klärung der Vaterschaft unab-
hängig vom Anfechtungsverfahren

– Drucksachen 16/6561, 16/6649 –

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
genetische Untersuchungen zur Klärung der
Abstammung in der Familie

– Drucksache 16/5370 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 16/8219 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Christine Lambrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
Irmingard Schewe-Gerigk

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgese-
hen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.

Die nachwirkende Begeisterung über den letzten Ta-
gesordnungspunkt bitte ich außerhalb des Plenarsaals
fortzusetzen, damit die volle Konzentration für den
nächsten Tagesordnungspunkt hergestellt werden kann.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Bundesministerin Brigitte Zypries.


Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1614515400

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Ge-
setzentwurf, mit dem wir uns heute in zweiter und dritter
Lesung zu befassen haben, beruht darauf, dass wir einen
enormen wissenschaftlichen Fortschritt haben. Die
Frage, ob der Vater der Vater ist, hat schon die Genera-
tionen vor uns umgetrieben. Heute kann dies mit einem
einfachen DNA-Test überprüft werden.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ich sage nur: Ingo Iltis!)


Als es aufkam, dass in den U-Bahnen und S-Bahnen
in Berlin plakatiert wurde: „Sind das Ihre Augen? Ist das
Ihr Mund? Machen Sie einen genetischen Test!“, haben
wir gesagt: Wir müssen handeln.

Parallel dazu war beim Bundesverfassungsgericht ein
Verfahren anhängig, in dessen Rahmen unsere Auffas-
sung, dass es nicht richtig ist, genetische Tests heimlich
durchführen zu lassen, bestätigt wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Das ist ein
Verstoß gegen das Recht der Kinder auf informationelle
Selbstbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat
uns aufgegeben, bis zum 31. März ein Gesetz zu ma-
chen, mit dem die Abstammung einfacher geklärt wer-
den kann. Insofern befinden wir uns gerade auf der Ziel-
geraden. Vielen Dank dafür, dass der Bundestag bereit
war, das in der Form zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir schaffen ein Verfahren, das völlig unabhängig ist
von der Anfechtung der Vaterschaft. Man kann künftig
isoliert klären lassen, ob jemand der Vater ist. Das kann
der Vater beantragen, das können aber auch die Mutter
oder das Kind beantragen. So sorgen wir dafür, dass sich
das Recht auf Kenntnis der Abstammung ohne einen
Rechtsverstoß verwirklichen lässt, nämlich ohne dieses
heimliche Verfahren. Damit stärken wir zugleich das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und wir
schützen die Familie, weil sich in Zukunft kein Vater
mehr von seinem Kind rechtlich lossagen muss, nur weil
er die Abstammung geklärt haben möchte. In Zukunft
haben der rechtliche Vater, die Mutter und das Kind je-
weils gegeneinander einen Anspruch auf Einwilligung in
eine genetische Untersuchung zur Klärung der Abstam-
mung. Willigt beispielsweise die Mutter als für das Kind
Sorgeberechtigte nicht ein, kann das Familiengericht an
ihrer Stelle entscheiden. Dabei muss es – das haben wir
auch festgelegt – die besonderen Interessen des Kindes
berücksichtigen. Wenn bei dem Kind eine besonders
schwierige Situation festzustellen ist und eine Beein-
trächtigung des Kindeswohls droht, dann muss das Inte-
resse des Vaters auf Klärung der Abstammung für eine
gewisse Zeit warten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist eine Regelung, die wir für wichtig halten und die
in den Entwürfen des Bundesrates, die wir heute eben-
falls beraten, nicht vorhanden ist. Ansonsten ist die Ziel-
richtung dessen, was die Länder und was wir vorge-
schlagen haben, ungefähr identisch. Aber genau dieser
wichtige Gesichtspunkt, auf den wir nach meinem Da-
fürhalten Rücksicht nehmen müssen, fehlt.

Wenn die Einwilligung des Ehepartners vorliegt oder
sie durch das Familiengericht ersetzt wurde, dann kann
der Klärungsberechtigte ein Gutachten einholen. Ich
meine auch, dass es richtig ist, dass der Betroffene und
nicht das Gericht dieses Gutachten veranlasst. Das Ni-
veau, um das es hier geht, ist ein anderes. Das freihändig
eingeholte Privatgutachten ist sehr viel kostengünstiger
und einfacher, und vor allen Dingen geht es sehr viel
schneller. Deswegen spricht alles dafür.

Im Übrigen wissen wir, dass aus 80 Prozent der Gut-
achten herauskommt, dass der Vater der Vater ist. Viele
Männer machen sich also völlig unnötig Sorgen, dass sie
vielleicht nicht der Vater seien. In diesen 80 Prozent der
Fälle sind anschließend kein Anfechtungsverfahren und
daher auch kein fundierteres und gründlicheres, vom Ge-
richt beauftragtes Gutachten nötig.

Noch kurz zu einem zweiten Punkt, den wir diskutiert
haben: Der biologische Vater wird keinen eigenständigen
Klärungsanspruch erhalten. Er behält das Recht, das er
nach der geltenden Rechtslage hat. Er kann also unter be-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Brigitte Zypries
stimmten Voraussetzungen anfechten. Dies ist nach unse-
rer Auffassung ausreichend; denn wir brauchen kein zu-
sätzliches Verfahren für Leute, die aus bloßer Neugier
oder um die Familie zu stören, behaupten, sie seien der
Vater.


(Beifall des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel [SPD])


Ich bedanke mich beim Hause dafür, dass die Bera-
tungen dieses Gesetzentwurfs so konstruktiv erfolgen
konnten, wie sie erfolgt sind, und hoffe, dass wir damit
einiges getan haben, um in diesem schwierigen familien-
rechtlichen Bereich etwas mehr Rechtsfrieden herzustel-
len.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1614515500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1614515600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Vor fast genau drei Jahren habe ich hier eine Frage
gestellt, die offenbar viele Väter beschäftigt: Ist es wirk-
lich mein Kind? Das Thema der genetischen Klärung der
Vaterschaft ist heikel. Wir müssen nicht nur die Rechte
der Väter, sondern auch die Rechte der Kinder, der Müt-
ter, ja der ganzen Familie beachten.

Bereits im Januar 2005 hat die FDP-Bundestagsfrak-
tion den Antrag „Verfahren der Vaterschaftstests verein-
fachen und Grundrechte wahren“ in den Deutschen Bun-
destag eingebracht.


(Ina Lenke [FDP]: Nicht erst seit der Fahrt mit der S-Bahn!)


Wir wollten das Recht der Väter, die biologische Vater-
schaft feststellen zu lassen, stärken und der Zunahme der
heimlichen Vaterschaftstests Einhalt gebieten. Wir schlu-
gen daher ein niederschwelliges Abstammungstestver-
fahren vor, das nicht notwendigerweise mit der Anfech-
tung der rechtlichen Vaterschaft enden sollte.


(Beifall bei der FDP)


Wir erinnern uns: Damals gab es auch Stimmen, die die
Vaterschaftstests ganz freigeben oder aber unter Strafe
stellen wollten.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Herr Goll!)


Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Fe-
bruar 2007, also zwei Jahre nach unserem Antrag, wurde
jedoch die Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion be-
stärkt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, einen Ver-
fahrensweg zu eröffnen, der das Recht auf Kenntnis und
Feststellung der Abstammung verwirklicht, ohne dies
zwingend mit einem Anfechtungsverfahren zu verbin-
den.

Die Bundesregierung hat auf dieses Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts kurz vor Ablauf der gesetzten
Frist reagiert. Danach können der rechtliche Vater, die
Mutter oder das Kind die Einwilligung in eine geneti-
sche Abstammungsuntersuchung sowie die Duldung der
Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten geneti-
schen Probe von den Familienmitgliedern verlangen.
Nicht feststellungsberechtigt ist in diesem vereinfachten
Klärungsverfahren der biologische Vater, der nicht der
rechtliche Vater ist. Wird der Anspruch auf Einwilligung
nicht erfüllt, hat das Familiengericht die Einwilligung
auf Antrag zu ersetzen und die Duldung einer Probenent-
nahme anzuordnen. Dabei hat das Gericht das Verfahren
auszusetzen, wenn und solange die Klärung der Abstam-
mung eine so erhebliche Beeinträchtigung des Kindes-
wohls begründet, dass sie auch unter Berücksichtigung
der Belange des Antragstellers für das Kind unzumutbar
wäre. Ich glaube, damit ist dem Kindeswohl durchaus
Rechnung getragen worden. Diese Regelung entspricht
nicht nur den Forderungen der FDP-Bundestagsfraktion,
sondern auch den berechtigten Interessen aller betrof-
fenen Väter, Kinder und Mütter.

Der Gesetzentwurf wurde in einer Sachverständigen-
anhörung intensiv beraten. Die Gespräche der Bericht-
erstatter brachten weitere Klärung, insbesondere zur An-
fechtungsfrist, die wie bisher zwei Jahre ab dem
Zeitpunkt der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beträgt.

Umstritten bleibt die Feststellungsberechtigung des
biologischen Vaters. Das Bundesverfassungsgericht lässt
dem Gesetzgeber hier einen Ermessensspielraum. Das
Bundesverfassungsgericht verlangt vom Gesetzgeber
aber ausdrücklich, dass – ich zitiere – „das von Art. 6
Abs. 1 GG geschützte Interesse insbesondere des Kin-
des, gegebenenfalls seine rechtliche und soziale Zuord-
nung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung
findet“. Es stellte sich also die Frage, ob und gegebenen-
falls unter welchen Voraussetzungen ein potenzieller
biologischer Vater in eine bestehende, sozial gewach-
sene Familie eingreifen darf. Ich bin der Meinung, dass
man nicht alles, was naturwissenschaftlich möglich ist,
wirklich machen muss. Rechtliche Bedenken gegen die
fehlende Feststellungsberechtigung des potenziellen bio-
logischen Vaters müssen hier zurückstehen.

Aus meiner familienrechtlichen Praxis weiß ich, dass
es für Familien und insbesondere für Kinder sehr
schmerzlich ist, wenn vom Vater leichtfertig der Vorwurf
erhoben wird, es seien gar nicht seine Kinder. Für Fami-
lien ist es sehr problematisch, wenn solche Vorwürfe er-
hoben werden. Deswegen ist es, denke ich, wichtig, dass
es für Familien einen gesetzlichen Rahmen gibt, in dem
sie Klärung finden und in einem weiteren Schritt ent-
scheiden können, ob eine Anfechtung notwendig ist.

Ich glaube, die gefundene gesetzliche Regelung sorgt
dafür, dass einerseits mit der Vaterschaftsanfechtung
kein Schindluder getrieben werden kann, aber anderer-
seits die Interessen aller – insbesondere der Kinder – ge-
wahrt bleiben. Die FDP-Fraktion wird deshalb diesem
Gesetzentwurf zustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614515700

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die

Unionsfraktion.


Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1614515800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist

ein guter Tag für die materielle Gerechtigkeit und ins-
besondere für all diejenigen Männer, die es bisher schwer
hatten, aus ihrer babylonischen Gefangenschaft einer
Zahlvaterschaft herauszukommen und besser als bisher zu
klären, ob man als Zahlvater überhaupt der biologische
Vater ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner
Entscheidung vom 13. Februar letzten Jahres uns auch
aufgegeben. Mit dem Gesetzentwurf – er wird offenbar
von allen gelobt –, den wir kurz vor Toresschluss auf den
Weg gebracht haben, werden Ideen sowohl von der FDP
als auch von der Union und der SPD – hier verweise ich
im Übrigen auf den Koalitionsvertrag – umgesetzt.

Aber warum meine ich, dass heute ein guter Tag ist?
Wie ist die Gesetzeslage jetzt? Schließlich beschäftigt
sich nicht jeder in diesem Saal oder vor dem Fernseh-
schirm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit
dem Anfechtungs- und Abstammungsrecht. Die Men-
schen haben auch noch etwas anderes zu tun.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Bisher ist es nur möglich, sich von der rechtlichen
Stellung als sogenannter rechtlicher Vater oder Zahlva-
ter, der man aufgrund gesetzlicher Vermutungen ist, zu
lösen, indem man ein Anfechtungsverfahren einleitet,
das auf dem Grundsatz „Alles oder nichts“ beruht. „Al-
les“ bedeutet die sofortige Lösung der Familienbande
mit der sofortigen Beendigung der Unterhaltszahlungs-
pflicht. „Nichts“ ist, wenn die Klage abgewiesen wird.
Das Problem ist, dass man bei der Anfechtungsklage für
den Vater oder auch Nichtvater, den Zweifel quälen, sehr
hohe Hürden geschaffen hat, um überhaupt die Eintritts-
karte dafür zu bekommen, dass in einem forensischen
Verfahren mit molekularbiologischem Gutachten geklärt
wird, ob er der Vater ist oder nicht, ob er anfechtungsbe-
rechtigt ist.

Wir haben – nicht zuletzt bestätigt durch das Bundes-
verfassungsgericht – einen dualen Weg gewählt, wie es
so schön heißt, indem wir zwei Verfahren nebeneinander
stellen. Bei dem einen Verfahren steht zunächst nur die
Frage im Raum – welche Konsequenzen zu ziehen sind,
wird erst einmal ausgeblendet –: Stammt das Kind, des-
sen Vaterschaft ich anerkannt habe oder dessen Vater ich
aufgrund der gesetzlichen Annahme bin, da ich mit der
Kindesmutter verheiratet bin, leiblich von mir ab? Bei
diesem Verfahren sind die Hürden bei weitem nicht so
hoch gelegt. Eigentlich bestehen gar keine Hürden. Der
Vater, der es wissen will, geht zu der Mutter, mit der er
zusammenlebt, und sagt: Ich habe arge Bedenken, dass
das Fritzchen von mir ist. Es hat so eine gewisse Ähn-
lichkeit mit unserem Nachbarn. – Daraufhin kann die
Frau sagen: „Jawohl, du hast recht“ und beichtet. Dann
ist im Grunde genommen die Anfechtung unkompliziert.
Aber wir haben es in der Regel mit dem Fall zu tun, dass
die Kindsmutter dies bisher verhindert hat. Deswegen ist
man auf heimliche Vaterschaftstests ausgewichen, zu de-
nen ich – ähnlich wie Cato mit ceterum censeo in den
Senatsverhandlungen – noch kommen werde. In den Fäl-
len, in denen die Mutter ihre Einwilligung zur Entnahme
eines Haares oder eines anderen molekularbiologischen
Refernzmaterials verweigert, ist das Gericht nun, ohne
weitere Beweise zu erheben oder ohne weitere Darle-
gungen zu verlangen, sofort in der Lage, zu sagen: „Die
Einwilligung wird ersetzt“, oder sogar: Die Untersu-
chung wird angeordnet.

Nun kommt es darauf an, welches Ergebnis dieses
Klärungsverfahren auf niedriger Flamme zeitigt. Kommt
es zu dem Ergebnis, dass der Vater tatsächlich der Vater
ist, ist Ende der Durchsage. Dann kann die Mutter sagen:
Du hast dich umsonst aufgeregt; du warst wieder einmal
voreilig eifersüchtig. – Die Familie wird in ihrem Frie-
den trotzdem mächtig gestört sein.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Familie ist zerstört! So ist das mit den emanzipierten Männern!)


Ist das Klärungsverfahren aber zu dem Ergebnis gekom-
men, dass er nicht der leibliche Vater ist, dann hat er die
Möglichkeit, zu sagen – wenn wir ehrlich sind, wird das
in den meisten Fällen so sein –: Da das Kind nicht von
mir abstammt, löse ich mich auch von allen anderen
Pflichten. – Das ist aber nicht zwingend. Er hat auch die
Möglichkeit, zu sagen: Ich belasse es dabei. Was kann
eigentlich der Kleine dafür? Ich habe mich an ihn ge-
wöhnt und zu ihm – genauso wie bei einem adoptierten
Kind – Liebe und Herzlichkeit entwickelt. Ich sehe da-
von ab, anzufechten. – Das ist ein schönes Ergebnis, viel
besser als vorher, als es nur die Alles-oder-nichts-Lö-
sung gab. Aber er hat auch die Möglichkeit, zu sagen:
„Jetzt will ich es nicht nur bei der Feststellung belassen,
nicht der Vater zu sein; ich möchte mich auch von allen
damit verbundenen Pflichten lösen“, und er ficht an.

Nun haben wir im Laufe des Verfahrens den Gesetz-
entwurf ein bisschen geändert. Zuerst sah der Regie-
rungsentwurf vor, dass man im Anfechtungsverfahren
– genauso wie es das Bundesverfassungsgericht in ei-
nem Obiter Dictum gesagt hat – das Kindeswohl berück-
sichtigen muss. Im Anfechtungsverfahren soll das Kin-
deswohl aber keinesfalls schlechter berücksichtigt
werden als heutzutage. Deswegen sah der Entwurf zuerst
nicht nur im Klärungsverfahren, sondern auch im An-
fechtungsverfahren die Möglichkeit vor, auf Einspruch
des Kindes oder der Mutter, die das als Sachwalterin gel-
tend macht, die Anfechtungsklage abzuweisen. Das ha-
ben wir Gott sei Dank übereinstimmend mit den Kolle-
gen von der SPD-Fraktion wieder eliminiert, weil wir
gesagt haben: Das Kindeswohl ist eigentlich ausreichend
berücksichtigt, indem wir erstens im Klärungsverfahren
die Möglichkeit der Aussetzung gewähren, wenn das
Kindeswohl gefährdet ist, und zweitens die Frist, binnen
derer angefochten werden muss, bei zwei Jahren belas-
sen, damit nicht über Jahre das Damoklesschwert über
dem Familienfrieden schwebt und der Mann möglicher-
weise eine Art Erpressungspotenzial in die Hand be-
kommt nach dem Motto: Liebe Frau, bring mir einmal
die Latschen und mach mir das Essen warm! Wenn du
nicht spurst, dann werde ich anfechten. – Das wäre ein






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Jürgen Gehb
unerträgliches Verhältnis. Deswegen belassen wir es bei
der Zweijahresfrist, binnen derer angefochten werden
muss, und zwar von dem Zeitpunkt an, zu dem der Vater
den Anfechtungsgrund kennt.

Ich weiß schon, dass die mir nachfolgenden Redner,
wie sie das in den Berichterstattergesprächen und auch
in der Rechtsausschusssitzung gemacht haben, genau
das wieder geißeln werden. Es ist eben das Los von uns
Abgeordneten, dass wir vieles immer wieder gebetsmüh-
lenartig vortragen. Dennoch: Ich finde, diese Lösung ist
gelungen. Sie steht auch im Einklang mit der Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts.

Ich will aber noch auf einen Punkt kommen, den Sie,
Frau Ministerin, eben zur Ouvertüre Ihres Beitrags ge-
macht haben. Sie sagten, das Bundesverfassungsgericht
habe die heimlichen Vaterschaftstests verboten. Genau
das hat es nicht gemacht. Das Bundesverfassungsgericht
hat gesagt, dass es gegen das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung des Kindes verstößt, wenn diese Da-
ten im Gerichtsverfahren eingebracht und dort verwen-
det werden; denn Adressat unserer Grundrechte ist in al-
lererster Linie der Staat, der Hoheitsträger, und das
Gericht begegnet in dem Moment dem Anfechtenden als
Hoheitsträger. Es ist keineswegs gesagt, dass damit die
Einholung eines heimlichen Gutachtens verboten wäre.
Schon gar nicht ist nach dem gegenwärtigen Gesetz ein
Verstoß strafbewehrt.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)


Davor kann ich auch nur warnen. Deswegen komme ich
jetzt zu meinem ceterum censeo, nicht zu dem ceterum
censeo Carthaginem esse delendam, sondern zu dem ce-
terum censeo, dass ich heimliche Vaterschaftstests nicht
für überflüssig halte. Wenn ein zweifelnder Vater entwe-
der bei seiner Frau mit der Idee vorstellig wird, sich un-
tersuchen zu lassen, oder gar schon zum Gericht rennt
und damit sein Anliegen öffentlich – notorisch – macht,
dürfte der Familienfrieden gefährdet sein. Weil Sie eben
gesagt haben, in 80 Prozent der Fälle komme man eher
zu dem Ergebnis, dass die Zweifel an der Vaterschaft
ausgeräumt werden, frage ich Sie: Warum lässt man
nicht dem zweifelnden Vater nur für sich selber, nicht
zur Verwertung vor Gericht und nicht zu Beweiszwe-
cken, sondern nur zur Selbstvergewisserung die Mög-
lichkeit, einen Test durchzuführen? Wenn dieser Test zu
dem Ergebnis kommt, dass er der Vater ist, dann wird
der Mann Abbitte leisten, vielleicht mit einem Rosen-
strauß nach Hause kommen und sagen: Alles bestens,
liebe Frau. –


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein langes ceterum censeo! Das andere ist besser bekannt!)


Aber wenn öffentlich das Abstammungsverfahren und
dann auch noch das Anfechtungsverfahren in Gang ge-
setzt sind, dann, so glaube ich, ist der Familienfrieden
nicht mehr zu retten. Ich hoffe, wir alle sind noch zu ret-
ten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614515900

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Jetzt wird es wunderlich!)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516000

Diese Wortspielereien kenne ich aus der Grundschule.

Manche behalten ihr kindliches Gemüt.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte gleich darauf kommen, was der Gesetzent-
wurf bezweckt; denn es muss nicht alles fünfmal wieder-
holt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat gefordert,
dass parallel zum Anfechtungsverfahren ein isoliertes
Klärungsverfahren eingeführt wird, das nicht die rechtli-
chen Bindungen zu dem Kind beenden soll. Anspruchs-
berechtigt sind Mutter, rechtlicher Vater und Kind.

Ich will gleich auf den Knackpunkt kommen – Herr
Gehb hat schon darauf hingewiesen, dass die nachfol-
genden Redner das kritisieren werden –: die Kinder-
schutzklausel. Man kann durch das Klärungsverfahren
zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um den Vater des
Kindes handelt oder nicht, oder aber durch eine freiwil-
lige Erklärung, indem man die Vaterschaft erklärt, ohne
dass das Gericht eingeschaltet wird.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist der Problemfall!)


– Das ist der Problemfall. – Da ist nämlich die im Klä-
rungsverfahren eingeführte Kinderschutzklausel nicht
relevant, weil es kein gerichtliches Klärungsverfahren
gibt. Bei der gegenwärtigen Rechtslage – auch das haben
Sie schon gesagt – kann man nicht vor Gericht gehen
und die Vaterschaft anfechten, weil man glaubt, nicht der
Vater des Kindes zu sein. Dann wird man gefragt, warum
man die Vaterschaft anficht, aufgrund welcher Umstände
man dazu kommt und welche Tatsachen man anführen
kann, um die Vermutung zu belegen, dass man nicht der
Vater des Kindes ist. Man muss substantiiert vortragen,
wie der Jurist sagt. Mit dem Klärungsverfahren fällt die-
ser Vortrag jetzt weg. Das ist im Grunde eine verbilligte
Eintrittskarte in das Anfechtungsverfahren.

In diesem Zusammenhang will ich aus der Begrün-
dung des ersten Gesetzentwurfs zitieren, in dem die Kin-
derschutzklausel noch stand. Dort heißt es:

Die Anfechtungsberechtigung soll zum Schutz des
Kindes … eingeschränkt werden. Dies ist erforder-
lich, weil durch den neuen Anspruch auf Klärung
der Abstammung sehr viel leichter als bisher die
Kenntnis erworben werden kann, dass der rechtli-
che Vater nicht der biologische Vater ist.

Es heißt weiter, hier müsse

ein Korrektiv geschaffen werden, das in Ausnahme-
fällen die Anfechtung ausschließen kann.






(A) (C)



(B) (D)


Jörn Wunderlich
Dabei wird auf das Bundesverfassungsgericht Bezug ge-
nommen; das ist völlig korrekt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Daniela Raab [CDU/ CSU]: Das ist falsch, Herr Wunderlich! Das wissen Sie!)


Nach den Beratungen im Ausschuss wurde diese Rege-
lung zum Schutz des Kindes aber komplett gestrichen,
und zwar mit der Begründung: Das haben wir bislang
auch nicht gehabt; das Bundesverfassungsgericht müsste
die Kinder besserstellen.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das erleichterte Verfahren hatten wir vorher auch nicht!)


– Das erleichterte Verfahren hatten wir bislang auch
nicht; genau so ist es.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber da haben die Frauen doch eingewilligt! Da braucht man gar keine Darlegungslast! Das entspricht der gegenwärtigen Gesetzeslage!)


– Nein, das sehen Sie falsch.

Die Rechte der Kinder werden hier wieder missachtet.


(Zurufe von der SPD: Ach!)


Die Kinder haben sich ihre Eltern nicht ausgesucht: we-
der die sozialen noch die biologischen noch die rechtli-
chen. Wenn Personenidentität besteht, ist das natürlich
ideal; aber das ist hier nicht der Fall.

Trotz aller positiven Aspekte, die der Gesetzentwurf
bietet – Stichwort: Beibehaltung der Zweijahresfrist –,
fehlt einiges. So finden sich die Mindeststandards für die
genetischen Untersuchungen nicht wieder. Frau Zypries
hat von gründlichen Verfahren gesprochen. Da muss
man sich fragen: Was ist mit den Ergebnissen von nicht
gründlichen Verfahren? Sind sie relevant, kann man sich
darauf verlassen, oder bleiben Restzweifel? – Ich
komme zu einer weiteren Formulierung: aus Kosten-
gründen. Hier geht es um Abstammung. Es geht darum,
Kenntnis darüber zu erlangen, von wem man stammt.
Kann man in solch einem Fall mit Kostengründen argu-
mentieren?

Während die Entnahme einer genetischen Probe im
Gesetzentwurf geregelt ist – man muss eine genetische
Probe vom Arzt entnehmen lassen, sich mit einem Licht-
bildausweis ausweisen; wenn das Kind noch keinen
Lichtbildausweis hat, muss eine Geburtsurkunde vorge-
legt werden –, ist nicht geregelt, wie nach der Entnahme
mit den genetischen Proben zu verfahren ist. Es heißt,
das Gericht kann die Entnahme und die Untersuchung
anordnen. Aber die Möglichkeit der Anordnung einer
Untersuchung ist ursprünglich nicht im Gesetzentwurf
aufgenommen worden; das hat der Bundesrat vorge-
schlagen.

Weiter heißt es: Das alles wird irgendwann im Gen-
diagnostikgesetz geregelt. Wann, wissen wir nicht, aber
irgendwann wird es geregelt. Im BGB können wir es
nicht regeln, also lassen wir es.
Die Regelungen zum Datenschutz sind zu dünn, es
gibt keine Standards für die Untersuchung, die Kinder-
schutzklausel ist gestrichen. Deshalb werden wir diesem
Gesetz – bei allen positiven Aspekten – nicht zustim-
men.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Daran wird es ja Gott sei Dank nicht scheitern!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516100

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sollen Väter
künftig die erleichterte Möglichkeit erhalten, legal klä-
ren zu können, ob sie der biologische Vater eines Kindes
sind, ohne die Vaterschaft zugleich rechtlich anfechten
zu müssen. Das unterstützen wir grundsätzlich. Schon
unter Rot-Grün, Herr Gehb, hat eine Beratung über ein
solches Verfahren stattgefunden.

Mit dieser Regelung soll auch den heimlichen Vater-
schaftstests Einhalt geboten werden. Als Bürgerrechts-
partei haben sich die Grünen von Anfang an gegen heim-
liche Vaterschaftstests ausgesprochen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unterstützt wurden wir in dieser Auffassung vom Bun-
desverfassungsgericht. Es entschied nämlich, dass heim-
liche Tests gerichtlich nicht verwertet werden dürfen,
weil das das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung des Kindes verletzen würde.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist etwas anderes als ein Verbot!)


Stattdessen forderte das Bundesverfassungsgericht ein
vereinfachtes Verfahren zur Klärung der Vaterschaft.

Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt jetzt vor, aber
es ist ein Gesetzentwurf mit Schieflage: zugunsten der
Väter – Sie haben ja schon gejubelt –, aber zulasten der
Kinder. Ich frage mich, woher dieses große Misstrauen
vieler Männer gegenüber der Mutter des gemeinsamen
Kindes kommt, wenn es um die Frage ihrer biologischen
Vaterschaft geht. Bei über 80 Prozent der circa 20 000
Tests steht fest, dass es sich bei dem Zweifler um den bio-
logischen Vater handelt. Ich frage Sie: Ist es Zufall, dass
die Zweifel meist im Vorfeld von Scheidungen auftau-
chen? Ist es Zufall, dass die Frage der Vaterschaft zur
materiellen Frage des Unterhalts degradiert wird? – Ich
glaube, nicht.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wenn das so leicht ist, können die Frauen doch einfach zustimmen!)


Es ist gut, dass die Koalition dem Petitum der Sach-
verständigen Rechnung getragen hat, die Anfechtungs-
frist nach der Vaterschaftsklärung nicht neu beginnen zu






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
lassen. Man muss doch keine Hellseherin sein, um schon
jetzt sagen zu können: Auch das neue Verfahren zur Klä-
rung der Vaterschaft wird meist genutzt werden, wenn
eine Beziehungskrise besteht. Diese Krise wird dann auf
dem Rücken des Kindes ausgetragen. Denn das neue
Verfahren stellt es – ohne irgendwelche Hürden – na-
hezu in das Belieben des rechtlichen Vaters, sich jeder-
zeit von dem Kind – auch nach einem längeren Zusam-
menleben – und den Unterhaltsansprüchen zu lösen, es
sei denn, die Mutter kann beweisen, dass der rechtliche
Vater schon vorher Grund zum Zweifel hatte. Dann wäre
die Anfechtungsfrist von zwei Jahren in der Regel ver-
strichen.

Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsge-
richt dem Gesetzgeber nahegelegt, ein Gegengewicht zu
dieser erleichterten Kenntnisverschaffung herzustellen.
So sollte es unter besonderen Bedingungen nicht gleich
zu einer Beendigung der rechtlichen Vaterschaft kom-
men, wenn dadurch das Kindeswohl erheblich beein-
trächtigt wäre. Eine Kinderschutzklausel im Anfech-
tungsverfahren wäre also ein geeignetes Mittel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Diese hat die Koalition aber aus dem ursprünglichen Ge-
setzentwurf gestrichen.

Nun wenden Sie ein, dass das Kindeswohl bereits im
Klärungsverfahren geprüft wird. Was ist eigentlich mit
den Fällen – Herr Wunderlich hat gerade etwas dazu
gesagt –, in denen die Mutter unter dem Druck eines for-
malen Klärungsverfahrens, das jetzt besteht, dazu ge-
bracht wird, einer einvernehmlichen Klärung zuzustim-
men?


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Ja, was ist dann?)


Im anschließenden Anfechtungsverfahren spielt das Kin-
deswohl dann keine Rolle mehr.


(Daniela Raab [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Da sagen Sie: Die Gerichte werden es schon richten. Ich
finde, es ist besser, man hat klare Gesetze.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir werden durch dieses Gesetz nicht alle heimlichen
Tests verhindern können. Darum ist es umso wichtiger,
dass die Labore in die Verantwortung genommen wer-
den. Bisher untersuchen viele auch die illegal gewonne-
nen Gewebeproben. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darum fordern wir Grünen in einem Gendiagnostikge-
setz, das diesem Hause als Entwurf vorliegt, nicht nur
klare Qualitätsstandards, sondern auch eine Ahndung als
Straftat für die Labore – nicht für die Väter, Herr Kol-
lege Gehb –, wenn das Einverständnis der Sorgeberech-
tigten nicht vorliegt. Ich wundere mich wirklich, dass
jetzt gesagt wird, im BGB könne man die Qualität der
Labore nicht regeln, das werde alles im Gendiagnostik-
gesetz geregelt. Wann legen Sie, meine Damen und Her-
ren von der Koalition, den Entwurf eines Gendiagnostik-
gesetzes vor?

Ich komme zum Schluss. Wir unterstützen das Ziel
der erleichterten Klärung der Vaterschaft. Die konkrete
Ausgestaltung ist unseres Erachtens aber nicht ausrei-
chend kindeswohlorientiert. Darum werden wir uns der
Stimme enthalten.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516200

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin

Christine Lambrecht.


Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1614516300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am Ende einer
Debatte spricht, hat man den großen Vorteil, dass man
nicht alles wiederholen muss, sondern auf vieles von
dem, was gesagt wurde, eingehen kann. Eingehen
möchte ich auf die mit diesem Gesetzentwurf verbun-
dene Zielsetzung – sie wurde bereits angesprochen –:
Wir versuchen, heimliche Vaterschaftstests so gut wie
möglich auszuschließen. Auf der anderen Seite wollen
wir dem berechtigten Anliegen auf Klärung der Vater-
schaft Rechnung tragen. Ich glaube, das ist mit diesem
Gesetzentwurf hervorragend gelungen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich jetzt zu einigen Punkten kommen,
die in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz so
konsensual behandelt worden sind. Herr Gehb, manch-
mal fällt es mir schwer, Ihnen zu widersprechen. Sie ha-
ben die Frage gestellt: Warum lassen wir heimliche Va-
terschaftstests nicht einfach zu?


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Habe ich nicht gesagt! Ich habe nur gesagt: Sie wird es geben!)


– Gut, dann nehme ich das zurück. – Ich will noch ein-
mal begründen, warum wir keine heimlichen Vater-
schaftstests wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Solche Tests entsprechen nicht unserem Familienbild.
Wenn ein Vater Zweifel daran hat, dass er der biologi-
sche Vater eines Kindes ist, dann sollte das in einer fai-
ren Partnerschaft – egal ob mit oder ohne Trauschein –
zuerst einmal innerhalb der Familie besprochen werden;
es sollten dann nicht heimlich Spucke oder Haare ent-
nommen werden.


(Beifall bei der SPD)


Als Mann sollte man so viel Mumm haben, mit seiner
Partnerin darüber zu sprechen, und nicht diesen heimli-
chen Gang machen. Es geht dabei um die Rechte der
ebenfalls Betroffenen, nämlich der Mütter und der Kin-
der. Sie sollten damit einverstanden sein, dass ihr Erbgut






(A) (C)



(B) (D)


Christine Lambrecht
untersucht wird. Schon allein aus diesem Grund darf es
keine heimlichen Vaterschaftstests geben.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])


Die Kinderschutzklausel ist immer wieder angespro-
chen worden. Wir haben es im Ausschuss schon bespro-
chen. Da wir hier aber nicht unter uns sind, verweise ich
ganz kurz auf Folgendes: Das Bundesverfassungsgericht
gibt uns zu Recht auf, eine Kinderschutzklausel bzw. ei-
nen Standard einzuführen, der im bisherigen Anfech-
tungsverfahren nicht gegeben ist. Dieses Erfordernis er-
füllen wir durch die Kinderschutzklausel, die nunmehr
im vorgelagerten Klärungsverfahren verankert ist. Wir
sind nämlich der Meinung, dass das erste Verfahren aus
der Sicht des Kindes entscheidend ist. Wenn ein Kind,
das in einer vermeintlich intakten Familie lebt, auf ein-
mal erfährt, dass der Vater, mit dem es jahrelang zusam-
men in einer Gemeinschaft gelebt hat, nicht sein biologi-
scher Vater sein soll, dann ist der Moment gekommen, in
dem dieses Kind Schutz braucht. Das ist der entschei-
dende Moment.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Da wird das Kind beeinträchtigt, und deswegen braucht
es in diesem Moment Schutz.

Deswegen sind wir zu der Auffassung gelangt: Wir
brauchen die Kinderschutzklausel in diesem Moment
und nicht dann, wenn es darum geht, ob Unterhalt ge-
zahlt wird, ob es ein Besuchsrecht gibt oder ob weiß der
Teufel welche rechtlichen Regelungen getroffen werden.
Da, wo es an die Substanz der kindlichen Seele geht,
brauchen wir die Kinderschutzklausel.


(Beifall bei der SPD)


Wir sorgen dafür, dass dann, wenn es tatsächlich zu
einer solchen sehr schwierigen Situation für ein Kind
kommt, das Verfahren schnell durchgeführt wird. Wenn
sich ein Vater so entscheidet, dann muss alles innerhalb
von zwei Jahren ablaufen. Er bekommt Kenntnis davon,
dass er vielleicht nicht der Vater ist, klärt das in der Fa-
milie, führt das Klärungsverfahren durch und muss dann
auch das Anfechtungsverfahren durchführen, und das al-
les in zwei Jahren. Da das eine sehr kurze Zeit ist, reicht
es aus, die Kinderschutzklausel im Klärungsverfahren,
diesem für das Kind entscheidenden Moment, einzufüh-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Daniela Raab [CDU/CSU])


Frau Schewe-Gerigk und Herr Wunderlich, Sie haben
gesagt, in den Fällen, in denen es einvernehmlich zum
Klärungsverfahren kommt, werde der Kinderschutz
nicht entsprechend gewahrt. Haben Sie doch ein biss-
chen mehr Vertrauen zu Müttern!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mütter wissen, ob ihre Kinder von einem solchen Klä-
rungsverfahren betroffen sind, und sie werden dann ein
solches Verfahren nicht einfach durchlaufen lassen, son-
dern sehr wohl die Interessen ihrer Kinder vertreten. Da
sollten wir ein bisschen mehr Mut haben, den Müttern zu
vertrauen, und nicht in die gleiche Falle tappen, in die
immerhin 80 Prozent der Männer tappen, die fälschli-
cherweise vermuten, sie seien nicht der biologische Va-
ter.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Beispiel war jetzt gar nicht gut!)


Ich glaube, dass wir eine ausgewogene Entscheidung
getroffen haben, die verschiedenen Interessen berück-
sichtigt haben und mit dieser Regelung leben können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Klärung
der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8219, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 16/6561 und 16/6649 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion,
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetz-
entwurf des Bundesrates über genetische Untersuchun-
gen zur Klärung der Abstammung in der Familie.

Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8219, den
Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5370
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der
Fall. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung von al-
len Mitgliedern des Hauses abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Priska






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Hinz (Herborn), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hungern in der Überflussgesellschaft – Maß-
nahmen gegen die Magersucht ergreifen

– Drucksache 16/7458 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt Themen, die viele Menschen berühren, die aber
in der Politik ein Schattendasein fristen. So ist das auch
beim Thema Magersucht. Während seit Jahren darüber
diskutiert wird, dass über die Hälfte der Deutschen zu
dick ist, spielt das gegenteilige Phänomen, die Mager-
sucht, kaum eine Rolle. Dabei leiden 1,4 Millionen Ju-
gendliche zwischen 11 und 17 Jahren unter den Sympto-
men einer Essstörung. Schon neunjährige Mädchen
machen Diäten, die häufig die Einstiegsdroge für Mager-
sucht sind.

Was ist der Grund dafür? Magersucht hat immer viele
Ursachen: Auf der einen Seite ist sie eine Form des see-
lischen Verhungerns, auf der anderen Seite spielt unser
gesellschaftliches Schönheitsideal eine nicht zu unter-
schätzende Rolle; vor allem Frauen können gar nicht
dünn genug sein. Dabei ist Magersucht eine unter-
schätzte und oft tödlich verlaufende Krankheit, an der
zwischen 100 000 und 200 000 Personen, davon
90 Prozent Frauen, leiden. Magersucht ist die Erkran-
kung mit der höchsten Todesrate unter jungen Frauen:
Bei über 15 Prozent der Erkrankten führt sie zum Tode,
wie die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen fest-
stellte. Wer die Krankheit überlebt, hat trotzdem
schlechte Heilungschancen: Nur knapp jede zweite Er-
krankte kann wirklich geheilt werden.

Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass sich in
Deutschland, in einer Überflussgesellschaft, junge
Frauen für ein fragwürdiges Schönheitsideal zu Tode
hungern. Wir müssen handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Hier ist die Gesellschaft, aber auch die Politik gefragt.
Bei diesem fragwürdigen Schönheitsideal spielt die
Modebranche naturgemäß eine gewichtige Rolle. Die
Magermodels sind die Vorbilder für viele Essgestörte.
Kaum irgendwo hat das Dünnsein einen so großen Stel-
lenwert. Meist männliche Spitzendesigner – ich will hier
keine Namen nennen – entwerfen Modelle für Knaben-
figuren, und die Models müssen sich hineinhungern. Erst
die Todesfälle mehrerer Models haben zu einem Pro-
blembewusstsein geführt. Länder wie Italien, Spanien
und Österreich haben Vereinbarungen mit der Mode-
branche abgeschlossen und einen Antimagersuchtkodex
vereinbart. So war es nur konsequent, dass in der letzten
Woche bei der Madrider Modewoche drei Models nach
Gewichtskontrollen ausgeschlossen wurden. Genau das
brauchen wir auch in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darum haben wir, die Grünen, im Dezember einen An-
trag mit umfangreichen Forderungen eingebracht.

Ich habe mich sehr gefreut, dass Ministerin Schmidt
und einige ihrer Kolleginnen mit einigen Prominenten
eine Kampagne gegen den Magerwahn ins Leben geru-
fen haben. Es ist sicher ein Gewinn für die Kampagne,
dass sich prominente Unterstützerinnen gefunden haben,
die selbst der Glamourwelt entstammen; aber Glamour
ist nicht alles. Der mediengerecht inszenierten Selbstdar-
stellung müssen jetzt endlich auch Taten folgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Da reicht es nicht, wenn Ministerin Schmidt auf der
Düsseldorfer Modemesse in einen Dialog mit der Bran-
che eintritt. Wir brauchen endlich verbindliche Selbst-
verpflichtungen der Modeindustrie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Modelagenturen tragen eine Verantwortung.
Sie sollten die Richtlinien der Academy of Eating Disor-
ders anwenden und keine untergewichtigen Models ein-
setzen. Magersüchtige gehören nicht auf den Laufsteg;
Magersüchtige gehören in ärztliche Behandlung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Nicht immer sind Allgemeinmediziner und -medizi-
nerinnen – sie sehen die kranken Frauen oft als Erste – in
der Lage, die Krankheit zu erkennen und gezielt zu be-
handeln. Darum fordern wir nicht nur eine bessere Aus-
und Weiterbildung, sondern auch Leitlinien für die Dia-
gnose und Behandlung sowie eine verbesserte For-
schung.

Auch wenn es nicht in der Bundeskompetenz liegt:
Wir brauchen einen Ausbau und eine bessere Vernetzung
der Beratungsstellen, die über ein enormes Fachwissen
verfügen und oft die erste Ansprechstelle für die jungen
Frauen sind.

Magersucht ist nicht nur für die Betroffenen ein Pro-
blem: An dieser psychischen Erkrankung leiden auch die
Angehörigen mit. Darum sind kostenlose Telefonhot-






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
lines und Internetberatung für Betroffene und ihre Ange-
hörigen unabdingbar. Die Themen Essstörungen und
Schönheitsideale gehören aber auch in den Schulunter-
richt. Kinder müssen lernen, dass Nahrungsmittel Le-
bensmittel – wirklich Mittel zum Leben – sind.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP)


Der Umgang mit Lebensmitteln muss genauso wie die
Mathematik erlernt werden.

Das Thema Essstörungen ist komplex. Es umfasst
nicht nur die Magersucht, sondern auch die Bulimie und
die Fettsucht. Alle Krankheitserscheinungen haben aber
eines gemeinsam: Sie sind ein Hilfeschrei. Wir alle ste-
hen in der Verantwortung. Das, was die Politik beitragen
kann, haben wir in unserem Antrag formuliert. Lassen
Sie uns in den Ausschüssen darüber diskutieren, welche
Hilfen wir den jungen Menschen anbieten können.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516500

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-

Becker für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD])



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1614516600

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Wir diskutieren an dieser Stelle häufig über das
Problem der Kinderarmut. Wenn man den Titel des vor-
liegenden Antrags – „Hungern in der Überflussgesell-
schaft“ – liest, will man ihn eigentlich in diesen Pro-
blemkreis einordnen; aber es geht heute um etwas ganz
anderes, einen eigentlich paradoxen Zusammenhang.
Denn anders als in der Nachkriegszeit muss heute nie-
mand mehr hungern, weil Nahrungsmittelknappheit be-
stünde. Im Gegenteil, gerade in finanziell ärmeren
Schichten ist Übergewicht überproportional vertreten.
Wenn es heute um Hunger und Magersucht geht, dann
haben wir es mit anderen Ursachen zu tun. Das kann ein
falsches Schönheitsideal sein; häufig geht es aber eben
auch um massive Entwicklungsstörungen. Die Krank-
heit, mit der wir es zu tun haben, beruht dann letztend-
lich auf der Weigerung, erwachsen zu werden, oder auf
einem fehlenden Selbstwertgefühl. Die Betroffenen,
meist junge Mädchen oder Frauen, brauchen es dann für
ihr Selbstwertgefühl, die totale Kontrolle über den eige-
nen Körper, das Hungergefühl und das Gewicht zu ha-
ben, und setzen sich da sehr stark unter Druck.

Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass Ma-
gersucht und Fehlernährung gravierende Probleme sind.
Es kann sogar Todesgefahr bestehen. Wir müssen das
ernst nehmen, und wir tun das, allerdings nicht erst, seit-
dem die Grünen diesen Antrag vorgelegt haben. Bereits
ein halbes Jahr vor diesem Antrag hat meine Fraktion ei-
nen Fachkongress mit Experten zum Thema „Heran-
wachsende vor Fehlernährung schützen“ durchgeführt,
und schon im Mai 2007 hat die Koalition einen Antrag
zu dem Thema der richtigen Ernährung mit einem um-
fangreichen Maßnahmenkatalog eingebracht, den der
Deutsche Bundestag auch angenommen hat.

Schließlich hat die Bundesregierung fast zeitgleich
mit dem heute hier zu debattierenden Antrag mit einem,
wie ich finde, beeindruckenden Aufwand, nämlich mit
der Beteiligung der drei zuständigen Ministerinnen,


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gelobt!)


Frau von der Leyen, Frau Schmidt und Frau Schavan, in
seltener Eintracht zusammen mit weiteren Persönlich-
keiten aus den Bereichen Mode, Kultur und Sport, eine
großangelegte Kampagne vorgestellt: „Leben hat Ge-
wicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die außergewöhnlich starke Besetzung mit drei zustän-
digen Ministerinnen zeigt, welche Bedeutung die Regie-
rung diesem Ansatz beimisst.

Aber wichtiger als die Frage, wer als Erster die Idee
aufgebracht hat, den Bundestag damit zu beschäftigen,
ist die Frage, wie wir diesem Missstand abhelfen kön-
nen. Ich glaube, hier liegen wir inhaltlich gar nicht weit
auseinander.

Im Mittelpunkt muss natürlich die Prävention stehen.
Wir müssen ein Bewusstsein für ein realistisches, positi-
ves Körpergefühl schaffen, das keinen absurden Schön-
heitsidealen nachhängt. Generell müssen wir infrage
stellen, ob das Aussehen eines Menschen überhaupt
diese Bedeutung haben darf. Das muss man relativieren
und ein Stück tiefer hängen; da gelten doch ganz andere
Werte, die viel wichtiger sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir brauchen mehr Forschung über die Ursachen der
krankhaften Magersucht, und wir müssen das Wissen
über die Zusammenhänge zwischen Sport, Gesundheit
und Ernährung verstärken. An dieser Stelle kann man
dann auch sagen: Wer gesund und sportlich ist, tut damit
vielleicht auch etwas für ein attraktives Äußeres.

Nach meiner Meinung leisten die Medien da übrigens
teilweise ganz gute Arbeit. Eine undifferenzierte Me-
dienschelte ist da nicht angebracht. Wenn ich in Zeit-
schriften über Diäten lese, dann geht es eigentlich nie-
mals allein um den Verlust von Zentimetern und Kilos,
sondern immer auch um Tipps für eine gesunde und aus-
gewogene Ernährung.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diäten sind die Einstiegsdroge!)


Ich will einige weitere vielversprechende Ansätze
nennen. Der 13. Kinder- und Jugendbericht, der dieses
Jahr noch vorgelegt wird, wird erstmals das Thema Ge-
sundheit in den Mittelpunkt stellen und dabei auch den
Aspekt der Ernährung bzw. der Krankheit durch Fehler-
nährung aufgreifen. Die Bundesregierung fördert Mo-






(A) (C)



(B) (D)


Elisabeth Winkelmeier-Becker
dellprojekte zur Stärkung der Selbsthilfe und For-
schungsprojekte zum Thema Essstörung. Ich möchte
hier beispielhaft nur ein einziges Projekt nennen. In die-
sem Projekt werden Mädchen ab dem sechsten Schuljahr
an die Thematik anhand von Barbiepuppen herange-
führt. Dieses Modell war schon in meiner Jugend be-
kannt. Bei mir hat es nicht zu Magersucht geführt.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Barbiepuppen sind aber schlechte Models!)


Mit der Mode- und mit der Werbewirtschaft werden
Gespräche mit dem Ziel geführt, eine Selbstverpflich-
tung zu erreichen. Ich denke, wir sind uns einig, dass
Hungermodels eben nicht auf den Laufsteg gehören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine letzte Bemerkung. Wir müssen uns klarmachen,
dass es hier eigentlich um eine weitere Variante des The-
mas „Wie machen wir unsere jungen Menschen stark?“
geht. Wenn man es schafft, junge Menschen stark und
selbstbewusst zu machen, dann ist das der beste Schutz
davor, dass sie sich über ihr Aussehen definieren und
sich durch die Beherrschung des Hungers beweisen müs-
sen, dass sie sich selbst unter Kontrolle haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])


Wir müssen jungen Menschen die Kraft geben, in die
neue Rolle eines Erwachsenen hineinzuwachsen. Ob der
Antrag der Grünen dazu neue Aspekte enthält, werden
wir im Rahmen der parlamentarischen Beratung sehen.
Ich freue mich darauf und danke Ihnen für Ihre Auf-
merksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516700

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Ina

Lenke.


(Beifall bei der FDP)



Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1614516800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ess-

störungen stellen wirklich ein sehr ernstes gesundheit-
liches Problem dar. Das haben schon alle Rednerinnen
vor mir gesagt. Ich will darauf hinweisen, dass es nicht
nur die jungen Mädchen sind, die Schönheitsidealen
nacheifern und deswegen erkranken.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 7 Prozent der Männer!)


Auch junge Männer sind davon befallen. Der Anteil der
17- bis 24-jährigen jungen Männer liegt bei 10 Prozent.
Das sind 90 000 Erkrankte. Jeder kennt einen solchen
Fall in seiner Umgebung. Gott sei Dank sind nicht alle
Betroffenen lebensgefährlich erkrankt.

Frau Schewe-Gerigk, Sie haben auch gesagt, dass
10 bis 15 Prozent der Erkrankten diese Krankheit nicht
überleben. Das ist eine sehr hohe Zahl. Wir müssen uns
alle also große Sorgen machen.
Der Antrag der Grünen listet nur bereits vorhandene
Hilfsangebote auf; Sie fordern noch mehr solcher Ange-
bote. Selbstverpflichtung, Kampagnen und Appelle fin-
den sich in Ihrem Antrag, aber keine neuen Lösungs-
wege.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ohne eine Selbstverpflichtung geht es nicht! Wollen Sie ein Gesetz?)


Die Kollegin von der CDU/CSU hat die Modebran-
che erwähnt, die eine Selbstverpflichtung einführen will.
Das halte ich für sehr vernünftig. Die IGEDO, die,
glaube ich, weltgrößte Modemesse in Düsseldorf, hat
dem übertriebenen Schlankheitswahn den Kampf ange-
sagt. Es soll ein nationaler Kodex in diesem Jahr erarbei-
tet werden. Wir wollen einmal schauen, was dabei he-
rauskommt.

Die Bundesregierung hat mit den drei Ministerinnen
im Dezember letzten Jahres – kurz nachdem Sie den An-
trag eingebracht haben, Frau Schewe-Gerigk – diese
Kampagne gestartet. Die FDP unterstützt solche Kampa-
gnen natürlich; das ist ganz klar. Da die Ministerinnen
heute an dieser Debatte aber nicht teilnehmen – auch
wenn es ein Antrag von den Grünen und nicht von der
Großen Koalition ist –, muss man schon die Frage stel-
len, wie wichtig ihnen dieses Thema überhaupt ist. Das
zeigt mir, dass es sich eher um eine Werbekampagne
handelt, dass die Umsetzung durch irgendjemanden er-
folgen soll und die Ministerinnen dieses Thema nicht
nachdrücklich unterstützen.

Der Bundesfachverband Essstörungen hat Richtli-
nien für Modelagenturen vorgeschlagen. Sie sehen fol-
gendermaßen aus: Das Mindestalter von Models soll
16 Jahre betragen. Die absolute Gewichtsuntergrenze
liegt bei 56,5 Kilogramm, wenn man 1,75 Meter groß
ist. Bei diesen Maßen ist man schon superschlank. Wir
kennen ja alle unsere eigenen Kilos, die wir mit uns he-
rumtragen. Die FDP begrüßt diese Richtlinien. Ich hoffe,
dass die Mode- und Medienbranche eine solche Selbst-
verpflichtung eingeht.

Mich ärgern auch große Anzeigen für Hautcremes,
auf denen bekannte Models zu sehen sind. Ein Model,
das schon auf die 40 zugeht, sieht wie gemalt aus. Es
wird ein Gesicht gezeigt, das in seiner Makellosigkeit
wie ein Babygesicht aussieht. Vielleicht wissen Sie, um
wen es geht. Ich will nicht unbedingt den Namen nen-
nen. Da frage ich mich, wie man mit fast 40 Jahren keine
Falten haben kann. Das gibt es einfach nicht. Das Bild
ist so stark bearbeitet, dass es unwirklich ist.

Sie wissen auch, dass Models auf einem Foto durch
Computerbearbeitung noch schlanker gemacht werden,
als sie sind. Wenn dann 14-, 15-jährige junge Mädchen
diese Schönheitsideale auf einem Foto sehen, die aber
nicht der Wirklichkeit entsprechen, und diesen dann
nacheifern wollen, dann gibt es wirklich große Pro-
bleme. Denn kein Mensch kann diese Pseudoschönhei-
ten erreichen, auch die Models nicht.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
Was ist also wichtig? Dazu hat Frau Winkelmeier-
Becker etwas gesagt, was ich wiederholen möchte.
Wichtig ist nicht, ob man Kleidergröße 34 oder 36 hat;
wichtig sind ein gepflegtes Aussehen und eine starke ei-
genständige Persönlichkeit. Die Eltern, die Schule und
alle anderen haben einen großen Anteil daran, dass das
stärker im Vordergrund steht.

Ich will Ihnen eine Werbung zeigen, die mir nicht erst
anlässlich dieser Diskussion ins Auge gefallen ist. Ich
meine die Anzeigen der Kosmetikfirma Dove. Kennen
Sie diese Anzeigen, die letzten Sommer erschienen sind?
Ich zeige Sie Ihnen hier. – Ich habe mich jedes Mal,
wenn ich diese Anzeigen gesehen habe, wirklich gefreut.
Da sind Dickere, Dünnere, Schlankere usw. zu sehen.
Alle sind trotz ihrer Unterschiedlichkeit attraktiv. Man
sollte auch einmal die positiven Beispiele in der Werbe-
branche zeigen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Ich kann leider nicht länger als fünf Minuten spre-
chen; deshalb zum Schluss: Ich habe mir die Homepage
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung an-
gesehen. Liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe
Irmingard Schewe-Gerigk, das können Sie wirklich
nicht toppen. Die haben eine super Homepage. Man fin-
det Hilfsangebote in seinem direkten Umfeld. Man
braucht nur seine Postleitzahl anzugeben und findet ent-
sprechende Hilfsangebote. Das ist eine super Sache.
Darauf sollten wir aufbauen und nicht unbedingt noch
etwas Neues machen, was ich für nicht sehr gut halte.
Wir sollten uns diese Ideen anschauen.

Was bleibt nun von den Forderungen der Grünen in
diesem Antrag übrig? Erstens die Forderung eines eigen-
ständigen Werbeverbots für Wunderpräparate zur Ge-
wichtsabnahme; zweitens, in der Öffentlichkeit Auf-
merksamkeit für dieses Problem zu schaffen. Für
folgenlose Parlamentswerbekampagnen und Ministerin-
nenkampagnen eignet sich dieses Thema nicht. Lassen
Sie uns deshalb zusammen nach Lösungen suchen. Eine
Selbstverpflichtung der Mode- und Medienbranche wäre
sicher das Richtige; denn Gesetze beseitigen dieses Pro-
blem nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Grübel [CDU/CSU]: Da sind wir beim Thema: Schönheit kennt kein Alter!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614516900

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin

Marlene Rupprecht.


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1614517000

Herr Kollege, das finde auch ich: Schönheit kennt

kein Alter. Und Schönheit kennt auch kein Gewicht; so
ist es.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich gebe Ihnen, Frau Lenke, recht: Wenn es bei dem
Kampagnenstart der drei Ministerinnen, die sich dazu
zusammengeschlossen haben, bleibt, dann war dies hi-
nausgeschmissenes Geld; denn nach all dem, was wir
wissen, ist bei Essstörungen und insgesamt bei Verhal-
ten, das nicht immer nur vom Kopf zu steuern ist, Nach-
haltigkeit erforderlich. Nachhaltigkeit kann nur durch
Kontinuität und Regelmäßigkeit sichergestellt werden.
In diesem Fall würde ich Ihnen recht geben. Aber wenn
man einmal anschaut, dass mit dem Start dieser Kam-
pagne ein Programm ins Laufen gebracht wurde, das
wirklich auf Kontinuität angelegt ist, das heißt, dass tat-
sächlich Forschung betrieben wird – zum Beispiel bei
Essstörungen über zwölf Jahre –, und wenn man sieht,
dass es derzeit bereits entsprechende Forschungsprojekte
gibt und dem Thema der gesunden Ernährung ein ganzer
Kinder- und Jugendbericht gewidmet wird, dann kommt
man zu dem Ergebnis, dass das schon etwas mit Konti-
nuität und Nachhaltigkeit zu tun hat.

Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion will ich einen
weiteren Aspekt ansprechen. Dabei will ich gar nicht
dem widersprechen, was in Ihrem Antrag steht; aber ich
meine, dass darin viele Aspekte enthalten sind, die be-
reits mit dieser Kampagne erfüllt werden. Ein Aspekt,
den man in den Mittelpunkt stellen muss und über den
wir vor ein paar Wochen diskutiert haben, ist der, Fami-
lien so zu stärken, dass sie ihre Aufgabe wahrnehmen
können, das heißt, Familien in die Lage zu versetzen,
dass Vater und Mutter ihre Kinder annehmen können.
Nichts ist besser, als wenn ein Kind vermittelt bekommt:
So wie du bist – du brauchst dich nicht erst so oder so zu
verändern –, bist du angenommen. – Das ist die beste
Prävention, und die kostet nichts, außer dass man den El-
tern vielleicht zeigt, dass man seine Kinder dadurch,
dass man sie in den Arm nimmt, sie streichelt und Nähe
zeigt – das weiß man heute aus der Bindungsforschung;
dadurch werden im Hirn Synapsen geschlossen und an-
genehme Erinnerungen gespeichert –, stärkt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte noch einmal betonen, dass es nicht darauf
ankommt, die Norm zu erfüllen. Leben ist vielfältig.
Kleidergröße 34, 36 oder 56 sind nicht die Norm, son-
dern die Vielfalt ist die Norm. Da, wo krankhafte Züge
an den Tag treten, wo man von Krankheit sprechen
muss, kommt es darauf an, nicht mit Ablehnung und
Moral – nach dem Motto „Wie kannst du nur?“ – zu re-
agieren. An dieser Stelle ist Hilfe notwendig. Vorausset-
zung dafür ist aber, dass man den Menschen akzeptiert,
so, wie er ist, ob dick oder dünn, nicht wahr?


(Zuruf des Abg. Ralf Göbel – Ja, Herr Göbel, wir haben ja miteinander – Schön. Wenn der Mensch akzeptiert wird, wie er ist, ist es leicht, an ihn heranzukommen. Dann kann man ihm sagen: Komm, wir nehmen eine medizinische Behandlung in Angriff! Wir schaffen das! – Warum sollte sich ein Mensch einem Arzt gegenüber öffnen, der ihm von vornherein signalisiert: So, wie du bist, kann ich dich Marlene Rupprecht nicht annehmen? Voraussetzung dafür ist, dass man den Menschen so annimmt, wie er ist. Das fängt beim Kleinkind an, setzt sich im Kindergarten und in der Schule fort, und gilt auch später im Berufsleben. Sätze wie: „Dich können wir in der Öffentlichkeit nicht präsentieren!“, „Weil du zu dick bist, bist du nicht vermittelbar!“, oder: „Weil du zu dünn bist, bist du nicht vermittelbar!“ halte ich für Diskriminierung. Wir haben ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet. Danach ist Diskriminierung verboten. Auch diese Form der Diskriminierung gehört dazu. Ich glaube, dass wir diese Aspekte viel zu wenig berücksichtigen. Wir glauben, dass wir alles regeln können, ohne genau hinzuschauen, wie unsere Welt funktioniert. Wir können zwar Millionen an Forschungsgeldern ausgeben, wir werden aber nichts erreichen, wenn die Bereitschaft zur Akzeptanz nicht da ist. Wenn man weiß, dass man so, wie man ist, akzeptiert wird, dann ist man gefeit. Dann nimmt man es an, wenn einer zu einem sagt: „Mir passt das schon. Jedes Pfund an dir liebe ich.“ Das sagt zum Beispiel mein Mann zu mir. (Heiterkeit bei der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen wir jetzt mit den Models?)


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)





(A) (C)


(B) (D)


– Wie soll ich hier über Magersucht reden, wenn ich
mich, so wie ich bin, nicht selber infrage stelle?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614517100

Kollegin Rupprecht, der Kollege Burgbacher möchte

Ihnen bei der Einhaltung der Redezeit helfen, indem er
eine Zwischenfrage stellt. Möchten Sie sie zulassen?


Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1614517200

Wunderbar, Herr Burgbacher.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614517300

Bitte.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1614517400

Frau Kollegin, hier geht es um Kampagnen. Stimmen

Sie mir zu, wenn ich sage, dass es eine ganz einfache
Kampagne gäbe: Schönheit braucht Platz.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/ CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Marlene Rupprecht (SPD):
Rede ID: ID1614517500

Ja. Ich will das Thema aber nicht in eine Ecke schie-

ben. Ich will nicht, dass wir darüber lachen. Anorexia
nervosa ist eine Krankheit. Die Betroffenen brauchen
Hilfe, und es bedarf der Sachlichkeit. Die Betroffenen
brauchen aber vor allem eines: Sie müssen so akzeptiert
werden, wie sie sind.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Models?)


Dann haben wir das Problem nicht. Dann sind sie nicht
anfällig für diese Werbung. Dann streben sie solchen
Idealen nicht nach. Diese Idealmaße sind keineswegs für
alle ideal. Bei dem einen liegt das Idealgewicht bei
75 Kilogramm, bei dem anderen bei 56 Kilogramm.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Models werden vom Streicheln aber nicht dicker!)


Ich denke, das passt schon. Wir müssen endlich begrei-
fen – das fängt hier im Parlament an –, dass wir den
Menschen, der vor uns steht, so nehmen müssen, wie er
ist. Wir sollten genauer hinhören, was er macht. Wir
sollten den Kindern Vorbilder sein und sie stärken, in-
dem wir sie akzeptieren.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614517600

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Dr. Martina Bunge das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal etwas zum Thema Magersucht!)



Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614517700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die moderne Frau soll stark, unabhängig, erfolgreich
und natürlich attraktiv sein, wobei attraktiv häufig mit
schlank gleichgesetzt wird. Einen wesentlichen Beitrag
hierzu liefern unzählige direkte und indirekte Werbebot-
schaften, die Frauen in einem vermeintlich perfekten,
weil schlanken Körper zeigen.

Auch wenn es ein absurdes Frauenbild ist – ich erin-
nere an meine Vorrednerin –, das von den Medien tag-
täglich vermittelt wird, dem Gebot der Schlankheit kön-
nen sich Frauen, vor allen Dingen in jungen Jahren,
kaum entziehen. Ja, es wurde gesagt: Auch Männer ste-
hen zunehmend unter dem gesellschaftlichen Druck, den
perfekten Körper anzustreben.

Diäten können ein Einstieg in spätere Essstörungen
wie Magersucht sein, was hier vorrangiges Thema ist.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift insofern in
ihrem Antrag ein wichtiges Thema auf. Doch vieles, was
Sie in Ihrem Maßnahmenpaket schreiben, geht meines
Erachtens nicht über die fast zeitgleich gestartete Kam-
pagne der Bundesregierung „Leben hat Gewicht“ hi-
naus.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unser Antrag war vor der Kampagne!)


– Einen Tag eher. Ich habe extra nachgesehen.

So wird beispielsweise die Sensibilisierung der Me-
dien so lange ohne nennenswerte Konsequenzen bleiben,
solange immer noch in der Mode-, Werbe- und Medien-
industrie die Möglichkeit besteht, mit Schlankheitswahn
und Diätangeboten einen höheren Gewinn zu erzielen.
Dass hier ein großes Potenzial besteht, wird niemand be-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Martina Bunge
streiten. Denn schließlich wird niemand jemals die ver-
meintliche Idealfigur erreichen.

Die Ursachen für Essstörungen sind nicht unbekannt.
Sie sind vielfältig und nicht ausschließlich in falschen
Vorbildern zu suchen. Sie stehen insbesondere im Kon-
text zu den sich verändernden Leitbildern und Anforde-
rungen an Frauen, zur Auseinandersetzung mit der eige-
nen Geschlechterrolle, zum starken Konkurrenz- und
Leistungsdruck und auch zur familiären Situation und zu
persönlichen Erlebnissen.

Eine Essstörung kann Ausdruck einer Bewältigungs-
strategie sein und Gefühle wie Angst, Überforderung
und Einsamkeit verdrängen. Die Kontrolle über das
Essen kann ein Gefühl bislang unbekannter Sicherheit
und Macht vermitteln, zumindest zu Beginn. Entschei-
dend ist, dass wir die Existenz, die Gründe und Zusam-
menhänge einer Essstörung in den Blick nehmen und
Raum und Atmosphäre schaffen, damit sich die Betrof-
fenen äußern können.


(Beifall bei der LINKEN)


Zudem sind Ansätze zur Prävention von Essstörungen
dringend zu stärken und auszubauen. Kampagnen allein
reichen nicht. Komplexe Präventionsansätze müssen be-
reits in den jungen Lebensjahren ansetzen und nicht nur
die Risikofaktoren in den Blick nehmen, sondern auch
– es ist gesagt worden – die persönlichen Ressourcen
stärken. Die Ansätze müssen alters- und geschlechter-
spezifisch sein.

Eine Voraussetzung für gesunde Ernährung ist, die
Mittel dafür zu haben. Armut hat erhebliche Auswirkun-
gen auf das Essverhalten, vor allen Dingen dann, wenn
die Regelsätze – das ist ernährungswissenschaftlich be-
wiesen – nicht ausreichen. Deshalb lautet auch aus die-
ser Sicht unsere Forderung: Hartz IV muss weg!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Schnellstens sollten wir wenigstens ein unentgeltliches
Schulessen einführen, damit eine gewisse Grundlage ge-
legt werden kann.


(Beifall bei der LINKEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nichts mit dem Problem Magersucht zu tun! Arme Leute haben eher zu viel Gewicht! Immer diese Hartz-IV-Scheibe!)


Ich frage mich, wann wir hier endlich einmal – wir ha-
ben im Plenum sehr viel über Ernährung und Bewegung
diskutiert – über einen komplexen Ansatz sprechen kön-
nen, nämlich über das angekündigte Präventionsgesetz.
Dies wäre ein langfristiger, dauerhafter und flächende-
ckender Ansatz. Aber wie ich heute auf einer Tagung ge-
hört habe: Es steht in den Sternen, ob wir dieses Präven-
tionsgesetz bekommen. Das finde ich sehr schade. Denn
das wäre der Ansatz, den wir brauchen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614517800

Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Koschorrek für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Rolf Koschorrek (CDU):
Rede ID: ID1614517900

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich bin hier nun

der einzige männliche Redner, der das traute Bild der
Damen stört.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Du machst immer eine gute Figur!)


– Ja, gut. – Der von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte
Antrag stellt mit dem Krankheitsbild Magersucht eine
der gefährlichsten Essstörungen in den Mittelpunkt, die
insbesondere unter Jugendlichen und da besonders unter
jungen Frauen besorgniserregend zunimmt.

Das Krankheitsbild und die Gefährlichkeit dieser Er-
krankung, der Anorexia nervosa, sind in der Medizin
schon lange bekannt, ebenso wie die verschiedenen an-
deren Formen von Fehlernährung mit Suchtcharakter wie
Bulimie oder Adipositas. Insofern lässt sich nur feststel-
len, dass Sie mit diesem Antrag erneut das Augenmerk
auf eine bekannte, sehr ernst zu nehmende Suchterkran-
kung, das fehlgesteuerte Essverhalten mit extremer Ge-
wichtsabnahme, lenken.

Bekannt sind auch die vielfach dauerhaften körperli-
chen Schädigungen und seelischen Folgen der Mager-
sucht: ein Mangel an lebenswichtigen Elektrolyten, Ent-
zündungen der Speiseröhre, Herzrhythmusstörungen,
Nierenstörungen bis hin zur Niereninsuffizienz, eine
Einschränkung der Fruchtbarkeit, Knochenerweichun-
gen infolge des Vitaminmangels und nicht zuletzt eine
extreme Schädigung der Zähne. Veränderungen des Ei-
weißstoffwechsels wirken sich auf die Übertragung zwi-
schen den Nervenzellen im Gehirn aus und führen zu
Depressionen. Zusammen mit der allgemeinen Leis-
tungsfähigkeit sinkt auch die Konzentrationsfähigkeit.

Wir begegnen der Magersucht bereits heute mit einer
umfassenden medizinischen Versorgung, die selbstver-
ständlich auch die Psychotherapie umfasst. Standardmä-
ßig erfolgt die Therapie der Magersucht bei uns nach
Richtlinienpsychotherapie, und wir gewährleisten damit
eine gute Grundversorgung der Erkrankten. Spezielle
Ambulanzen für Essstörungen, Fachärzte, psychosoma-
tische Kliniken, Selbsthilfeeinrichtungen und Beratungs-
stellen stehen eigentlich in ausreichendem Maße in der
gesamten Bundesrepublik zur Verfügung. Hinzu kommt
das schon vorhin angesprochene umfassende Beratungs-
angebot im Internet.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614518000

Kollege Koschorrek, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Lenke?


Dr. Rolf Koschorrek (CDU):
Rede ID: ID1614518100

Ja. Warum auch nicht?






(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1614518200

Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen, ob auch Sie

der Meinung sind, dass die Gesundheitsberufe sowie die
Ärzte und Ärztinnen, wie es im Antrag der Grünen ge-
fordert wird, noch stärker sensibilisiert werden sollten.


Dr. Rolf Koschorrek (CDU):
Rede ID: ID1614518300

Ich komme darauf in meiner Rede noch zu sprechen.

Vielleicht kann ich Ihre Frage dann beantworten.


(Ina Lenke [FDP]: Nein! Das möchte ich eigentlich nicht!)


– Ich habe eben gesagt, dass eigentlich in ausreichendem
Maße Möglichkeiten vorhanden sind. Was es noch nicht
in ausreichendem Maße gibt, ist die Inanspruchnahme.
Daran müssen wir arbeiten.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie viele Hausärzte und wie viele Gynäkologen erkennen denn diese Krankheit?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614518400

Die Frage, die jetzt beantwortet wird, hat die Kollegin

Lenke gestellt, es sei denn, auch Sie melden sich zu ei-
ner Zwischenfrage.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein danke!)



Dr. Rolf Koschorrek (CDU):
Rede ID: ID1614518500

Wir können das meinetwegen weit auffächern. – Ich

bin mit Ihnen einig, dass wir bei der Erkennung, der
Therapie und der Verbesserung der Diagnosefähigkeit
der Ärzte noch deutlichen Nachholbedarf haben. Aber
daran arbeiten wir.


(Ina Lenke [FDP]: Aha! Das hätte ich nicht gedacht!)


Wir haben darüber hinaus eine Reihe von Vorsorge-
maßnahmen ergriffen, mit denen wir uns an die poten-
ziell besonders Gefährdeten, die Jugendlichen und spe-
ziell die jungen Frauen, wenden. In der Praxis finden die
Betroffenen schon heute ein breites Spektrum ambulan-
ter und stationärer Therapien sowie zahlreiche Angebote
zur psychologischen Hilfe und zu Selbsthilfeeinrichtun-
gen vor. Nicht zuletzt die Bundeszentrale für gesundheit-
liche Aufklärung und die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung bieten den Betroffenen ebenso wie den Ge-
fährdeten und ihren Familien und Freunden Unterstüt-
zung an.

Ein Beispiel ist das Therapiekonzept der bundesweit
bekannten Medizinisch-Psychosomatischen Klinik in
meinem Heimatort Bad Bramstedt, die bei der Behand-
lung der an Essstörungen leidenden Patienten sehr gute
Erfolge vorzuweisen hat. Hier werden verhaltensthera-
peutische und medizinische Behandlungen mit einer
Reihe von ergänzenden Therapiemaßnahmen verbunden,
unter Einbindung der niedergelassenen Ärzte aller Fach-
richtungen in der gesamten Region.
In dieses Konzept sind alle Ärzte, Psychologen, das
Pflegepersonal, Krankengymnasten und Sport- und Phy-
siotherapeuten ebenso eingebunden wie Diätassistenten,
Ergotherapeuten und Sozialarbeiter, und zwar nicht nur
in der Klinik, sondern auch in der Fläche. Ich finde, das
ist ein Modellprojekt, das wir ausbauen sollten und das
für andere Regionen durchaus Vorbildcharakter haben
kann.

Im Rahmen der Forschungen zur Fehl- und Mangeler-
nährung wird eine breite Palette von Einzelaspekten un-
tersucht. Analysiert werden die psychosozialen und so-
ziokulturellen Ursachen der Nahrungsverweigerung und
der Fehlernährung, die im extremen Fall zu Magersucht
führen. Renommierte Universitäts- und Forschungsinsti-
tute führen Untersuchungen zu den Ursachen der Mager-
sucht sowie zu geeigneten Therapiekonzepten und The-
rapieaussichten durch.

Es wurde ein bundesweiter Forschungsverbund zur
Psychotherapie von Essstörungen gegründet. An dieser
Stelle möchte ich auf eine laufende Studie hinweisen.
Unter der Leitung der Sprecherin des Forschungsverbun-
des, Frau Professor de Zwaan, läuft zurzeit an der Psy-
chosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung
des Universitätsklinikums Erlangen in Zusammenarbeit
mit bundesweit acht weiteren Zentren eine Studie zur
Magersucht in Metropolregionen.

Ziel dieser weltweit ersten Multicenterstudie zur am-
bulanten Therapie ist es, eine Alternative zur Standard-
therapie zu entwickeln, um den Betroffenen vor allem
mit Blick auf die bisher unbefriedigende Langzeitwir-
kung frühzeitig wirksame Hilfe anzubieten. Diese Unter-
suchung wird vom Bundesforschungsministerium bis
2009 mit mehr als 1 Million Euro gefördert.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass wir bereits
heute vieles tun, um den verschiedenen Ursachen und
Auslösern der Magersucht ein Bewusstsein für gesunde
Ernährung entgegenzusetzen. Es steht eine Reihe von
Präventionsangeboten bereit. Zugleich tun wir bereits
heute viel, um an Magersucht Erkrankten zu helfen,
wenngleich wir sicherlich noch nicht so weit sind, dass
diese Angebote nicht noch verbessert werden könnten.
Das werden wir im weiteren parlamentarischen Verfah-
ren miteinander diskutieren und erarbeiten können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir einmal gespannt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614518600

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin

Dr. Margrit Spielmann das Wort.


Dr. Margrit Spielmann (SPD):
Rede ID: ID1614518700

Danke. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen

und Kollegen! An den Beiträgen, die wir heute gehört
haben, wird deutlich, dass es unser Ziel sein muss, dass
über das Thema Magersucht eine breite gesellschaftliche
Debatte geführt wird.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Spielmann
Als Gesundheitspolitikerin möchte ich sagen, dass ich
einige Forderungen Ihres Antrages begrüße. Auch ich
bin für eine stärkere Sensibilisierung hinsichtlich der Er-
kennung und Behandlung von Essstörungen der in den
Gesundheitsberufen Tätigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Sensibilisierung sollte aber nicht nur für Ärztinnen
und Ärzte gelten, sondern auch für Pädagoginnen und
Pädagogen.

Ich begrüße es, wenn die Bundesregierung aufgefor-
dert wird, sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen,
dass an Schulen und in Kitas mehr zum Thema gesunde
Ernährung vermittelt wird.

Ich begrüße es, wenn die Bundesregierung aufgefor-
dert wird, sich dafür einzusetzen, dass in Kooperation
mit Ländern, Kommunen, Krankenkassen, Patientenbe-
ratungsstellen Angebote gefördert werden, bei denen
sich Betroffene und Angehörige beraten lassen können.

Ich begrüße die Forderung, die Forschung zur Indika-
tion Magersucht zu verstärken. In besonderer Weise be-
grüße ich die Forderung, alle Aktivitäten zu bündeln
– auch dies kommt in Ihrem Antrag zum Vorschein –
und alle mit dem Problem Magersucht Konfrontierten
als Partner zu gewinnen.

Wir unterstützen Ihr Anliegen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, meinen
aber, dass es schon sehr vielfältige Kampagnen dazu
gibt. Ich möchte einige aufzählen. In den nächsten Mo-
naten wird – das wurde schon genannt – ein Experten-
gremium unter der Federführung der drei Ministerinnen
konkrete Maßnahmen gegen Magersucht erarbeiten. Die
Ergebnisse sollen auf einem Kongress vorgestellt wer-
den.


(Ina Lenke [FDP]: Wann denn?)


Sie haben die Auftaktveranstaltung der Initiative „Le-
ben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheits-
wahn“ als Glamourveranstaltung dargestellt.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war sie auch! Ich war da!)


Ich habe andere Rückkopplungen bekommen, auch
wenn ich zugeben muss, dass ich bei dieser Veranstal-
tung nicht zugegen war. Zu dieser Kampagne gehört die
Thematisierung im Rahmen des Nationalen Aktions-
plans der Bundesregierung zur Prävention von Fehler-
nährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit
zusammenhängenden Krankheiten.

Zu den Kampagnen, die zurzeit diskutiert und durch-
geführt werden, gehört in besonderer Weise – darauf
legen wir Familienpolitikerinnen großen Wert – das Er-
stellen und Auswerten des 13. Kinder- und Jugendbe-
richtes bis Ende 2008. Erstmals rückt das Thema
Gesundheit in den Mittelpunkt der Kinder- und Jugend-
politik. Der Bericht soll Aufschluss über Maßnahmen
gegen Essstörungen geben, und in ihm sollen neue An-
gebote für die Kinder- und Jugendhilfe im Bereich ge-
sundheitsbezogener Prävention formuliert werden.

Zu den Kampagnen gehört auch, dass das Bundesge-
sundheitsministerium dieses Jahr die Selbsthilfe bei Ess-
störungen durch ein Modellprojekt stärken wird. Ziel
soll dabei sein, die Selbsthilfepotenziale der Betroffenen
zu fördern und Handlungsempfehlungen für die Zusam-
menarbeit der Beratungseinrichtungen mit der Selbst-
hilfe modellhaft zu erarbeiten. Dafür werden in den
kommenden drei Jahren rund 250 000 Euro zur Verfü-
gung gestellt.

Zu den Kampagnen gehört auch – das wurde genannt –,
dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Essstörun-
gen und der Barmer Ersatzkasse Beratungsangebote be-
werten wird.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Richtlinien für Models, Frau Kollegin? – Gegenrufe von der SPD: Die sind mit drin!)


Das alles sind Kampagnen, die Sie in Ihrem Antrag
fordern, die aber schon auf dem Weg sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unseren zukünfti-
gen Debatten sollten wir beachten, dass das Schönheits-
ideal von jungen Frauen und Männern nie das alleinige
Motiv einer Essstörung ist, sondern diese – das macht
auch die heutige Debatte deutlich – durch vielfältige
Faktoren – biologische, familiäre, leistungsbezogene
und psychosoziale Faktoren – bedingt ist, auf die wir uns
in der Diskussion auch einlassen müssen. Deshalb sollte
das Thema nicht allein unter gesundheitspolitischem As-
pekt, sondern interdisziplinär behandelt werden. Wir for-
dern alle, die hier Familienpolitik, Verbraucherschutz
oder Gesundheitsthemen bearbeiten, auf, sich dieser ge-
samtgesellschaftlichen Diskussion anzuschließen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614518800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7458 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer

(Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lü-

beck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brunhilde






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Petra Pau
Irber, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Demokratische Entwicklung Simbabwes un-
terstützen – Arbeit der internationalen Nicht-
regierungsorganisationen ermöglichen

– Drucksachen 16/5907, 16/7909 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck)

Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Marina Schuster
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller (Köln)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Katastrophe in Simbabwe verhindern

– Drucksachen 16/4859, 16/6365 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer (Lübeck)

Dr. Herta Däubler-Gmelin
Marina Schuster
Monika Knoche
Kerstin Müller (Köln)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch, aber immer noch viele laute
Verabschiedungsreden, die mich daran hindern, die Aus-
sprache zu eröffnen und der ersten Rednerin das Wort zu
erteilen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen,
die an dieser Debatte nicht teilhaben wollen und noch et-
was zu besprechen haben, das an einem anderen Ort zu
tun.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1614518900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist schon grotesk: Während in Afrika Men-
schen verhungern, diskutieren wir hier über Magersüch-
tige, die nicht essen, obwohl sie im Überfluss vom Nah-
rungsangebot Gebrauch machen könnten. Dies stellt eine
Schwierigkeit dar, wenn wir hier jetzt über Simbabwe
diskutieren wollen.

Die Situation in Simbabwe ist Ihnen allen aus den
Medien bestens bekannt. Dennoch möchte ich skizzie-
ren, wie es dort jetzt aussieht. Der Abstieg der einstigen
Kornkammer Afrikas ist einzigartig und zugleich derart
erschreckend, dass ich nicht umhin kann, Ihnen diese Si-
tuation vor Augen zu führen.

Der bereits in den 80er-Jahren einsetzende wirtschaft-
liche Verfall ist seit der gewaltsamen Vertreibung der
weißen Siedler vor acht Jahren auf einer Talfahrt, die
laut IWF weltweit ihresgleichen sucht. Die Arbeitslosen-
quote in Simbabwe wird mittlerweile auf 80 bis
90 Prozent geschätzt. Die Inflation hat geradezu gro-
teske Ausmaße erreicht: Offizielle Stellen beziffern die
Entwertung des Simbabwe-Dollars auf 66 200 Prozent
innerhalb eines Jahres. Unabhängige Fachleute halten
selbst diese Angabe für geschönt; sie gehen mittlerweile
von einer realen Inflationsrate von 150 000 Prozent aus.

Das von der Regierung angeordnete Einfrieren der
Preise hat zu einem vorläufigen Stillstand der wirtschaft-
lichen Aktivitäten geführt. Die Regale in den Geschäften
sind leer. Nach Hortungskäufen und Plünderungen durch
Sicherheitskräfte und Milizen sind Grundnahrungsmittel
selbst auf dem Schwarzmarkt selten geworden.

Die durchschnittliche Lebenserwartung ist dramatisch
gesunken. Mit lediglich 34 Jahren für Frauen und 37 Jah-
ren für Männer weist Simbabwe heute die niedrigsten
Werte weltweit auf.

Ein Drittel der auf 11 Millionen Einwohner geschätz-
ten Bevölkerung Simbabwes ist außer Landes geflohen,
vor allem nach Südafrika und Großbritannien. Wenn es
bislang noch nicht zu größeren Hungerkatastrophen ge-
kommen ist, dann liegt das nur daran, dass die Flücht-
linge aus dem Ausland ihre zurückgebliebenen Familien
durch Devisentransfers am Leben erhalten.

Der wirtschaftliche Niedergang dieses einst blühen-
den Landes ist nur der sichtbare Teil der simbabwischen
Tragödie. Für unsere Augen weitgehend unsichtbar und
doch ungleich schlimmer ist die politische Unter-
drückung der Bevölkerung. Diese Unterdrückung läuft
anlässlich der von Mugabe einseitig auf den 29. März
festgelegten Wahlfarce auf einen Höhepunkt zu.

Entzug von Nahrungsmitteln, gewaltsame Einschüch-
terung, massive Bedrohung oppositioneller Wahlveran-
staltungen sowie Verhaftung und Folter unliebsamer Per-
sonen gehören zur traurigen Tagesordnung. Hinzu
kommt das übliche Repertoire zur Vorbereitung von
Wahlen in autoritären Staaten: Neuzuschnitt der Wahl-
kreise, Nichtzulassung von potenziell unzuverlässigen
Erstwählern sowie Wahlausschluss von über 3 Millionen
im Ausland lebenden Staatsbürgern.

Dass es trotz der massiven Einschüchterung durch
den Staatsapparat noch eine organisierte Opposition im
Lande gibt, grenzt an ein Wunder. So gibt es aktuell zwei
Bewerber für das Präsidentenamt: Morgan Tsvangirai,
langjähriger Chef der Bewegung für Demokratischen
Wandel und Simba Makoni, einst Finanzminister und
engster Vertrauter Mugabes. Die Kandidatur Makonis
weist auf Risse innerhalb der Staatspartei ZANU-PF hin,
in der sich die Unzufriedenen nun offen von den loyalen
Parteigängern Mugabes absetzen.

Doch bedeutet die Kandidatur Makonis zugleich eine
Spaltung der oppositionellen Kräfte. Schließlich gibt es
bisher kein Bündnis zwischen den beiden Präsident-
schaftskandidaten, um gemeinsam gegen Mugabe vorzu-
gehen. Tsvangirai hat ein Bündnis mit Makoni bislang
mit der Begründung abgelehnt, dass Makoni als Vertre-
ter des alten Regimes für Elend und Unterdrückung im
Lande mitverantwortlich sei. Diese Begründung mag
sachlich richtig sein, doch könnte sich die Zurückwei-






(A) (C)



(B) (D)


Brunhilde Irber
sung als schwerwiegender Fehler erweisen. Nur ein
schlagkräftiges Bündnis aller oppositionellen Kräfte
kann einem skrupellosen Machtpolitiker wie Mugabe
ernsthaft gefährlich werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


In Anbetracht dieser Situation drängt sich die Frage
auf, was wir in Deutschland tun können.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614519000

Kollegin Irber, das können wir jetzt leider nicht mehr

beantworten.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1614519100

Das ist aber sehr schade, Frau Präsidentin.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das macht dann Walter Riester!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614519200

Vielleicht bringt das die weitere Debatte.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1614519300

Darf ich noch eine letzte Bemerkung machen?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614519400

Einen letzten Satz, bitte.


Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1614519500

Ich denke, wir sollten unsere Zusammenarbeit mit

den zivilgesellschatlichen Akteuren über unseren Ent-
wicklungsfond weiter fördern. Die bilaterale Entwick-
lungszusammenarbeit sollte nach Möglichkeit wieder
aufgenommen werden. Wir müssen vor allem Druck auf
die SADC machen. Sie bekommt von der EU
46 Millionen Dollar. Deshalb müssen wir auf die EU
Druck machen – darum bitte ich die Bundesregierung –,
damit sie ihrerseits auf SADC Einfluss ausübt, Mugabe,
Mbeki und die Staatschefs aller anderen umliegenden
Staaten dazu zu bringen, darüber nachzudenken, wie
man die fürchterliche Situation der Menschen in Sim-
babwe beenden kann.

Ich möchte noch eines ansprechen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614519600

Frau Kollegin Irber, Sie können zwar weiterreden,

aber das geht zulasten der Redezeit von Herrn Riester.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Oh nein! Den wollen wir auch hören!)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1614519700

Ich komme zum Schluss. Die Nichtregierungsorgani-

sationen und die politischen Stiftungen müssen wieder in
Simbabwe arbeiten können, und die Zivilgesellschaft
sollte auch von uns unterstützt werden, damit der Boden
für die Zeit nach Mugabe neu bereitet werden kann und
neue Setzlinge wachsen können. Dem vorliegenden An-
trag stimmen wir gerne zu.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614519800

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Marina

Schuster das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1614519900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ein wenig mehr Mut, das hätte ich mir von Ihnen, meine
Kollegen von der Großen Koalition, heute gewünscht.
Dann hätten Sie unserem Simbabwe-Antrag vom März
2007 zugestimmt.


(Beifall bei der FDP)


Stattdessen haben Sie Monate später einen eigenen An-
trag vorgelegt, der bei allgemeinen Formulierungen
bleibt und nur das Mindeste anspricht. Kein Wort über
EU-Sanktionen, kein Wort über die G-8-Präsidentschaft,
kein Wort über die Afrikanische Union! Es wäre Ihnen
sicherlich kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn Sie
unserem Antrag zugestimmt hätten. Gerade wenn es um
die Einhaltung der Menschenrechte geht, sollte es uns
Parlamentariern wichtig sein, ein klares Signal zu sen-
den.

Für die Menschen in Simbabwe wäre es ein wichtiges
Zeichen gewesen; denn die dortige Lage ist verheerend.
Die Kollegin Irber hat es geschildert. Unserer Sprache
fehlt es mittlerweile an Superlativen, um die dortige Si-
tuation zu beschreiben. Hyperinflation – gestern wurden
100 000 Prozent gemeldet; das ist wahrlich eine kata-
strophale Lage –, Wirtschaftskollaps, Armut, Menschen-
rechtsverletzungen und viele Flüchtlinge, das alles sind
Stichworte, hinter denen sich Hunderttausende Schick-
sale verbergen. Man kann sich heute in Simbabwe bei-
spielsweise von einem durchschnittlichen Monatsgehalt
gerade einmal zwei Brote kaufen. Das muss man sich in
Deutschland einmal vorstellen! Immer wenn wir bisher
dachten, dass es nicht schlimmer kommen kann, hat uns
das Regime Mugabe eines Besseren belehrt. Lässt man
ihn weiter gewähren, wirtschaftet er das Land in Grund
und Boden. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Erschreckende ist – das hat meine Kollegin schon
angesprochen –: Mugabe steht wohl eine weitere Amts-
zeit bevor. Die Konkurrenz aus den eigenen Reihen ist
überschaubar. Die Opposition ist gespalten. Sie muss zu-
dem täglich mit neuen Repressionen rechnen. Wahlver-
anstaltungen sind nicht möglich. Es wird wahrscheinlich
keine freie und faire Wahl am 29. März geben. Deshalb
ist es gerade jetzt wichtig, dass wir, die Parlamentarier,
die Opposition und die Zivilgesellschaft in Simbabwe
unterstützen. Dazu finde ich in dem Antrag der Koalition
nur sehr wenig. Wir können doch nicht ernsthaft darauf
warten, dass sich das Problem Mugabe von alleine löst.

Erfreulicher ist hingegen das Engagement von Kanz-
lerin Merkel; das möchte ich hier nicht verschweigen.






(A) (C)



(B) (D)


Marina Schuster
Sie hat die Menschenrechtsverletzungen des Regimes
Mugabe beim EU-Afrika-Gipfel und während ihrer
Reise angesprochen. Dieser Einsatz ist lobenswert,
reicht aber nicht; denn das mediale Gedächtnis ist kurz.
Wir müssen viel stärker und ausdauernder auf die afrika-
nischen Nachbarn einwirken, auch in der Öffentlichkeit.
Südafrikas Präsident Mbeki setzt auf stille Diplomatie.
Aber viel wurde bisher nicht erreicht. Das haben uns die
Tickermeldungen von eben bestätigt. Wir hoffen des-
halb, dass sich unter Mbekis Nachfolger eine Neuorien-
tierung ergibt; denn die Flüchtlinge, die täglich von Sim-
babwe in die Nachbarländer strömen, sind auch ein
innerafrikanisches Problem.

Hier ist die Afrikanische Union gefragt. Sie muss sich
viel mehr als bisher dafür einsetzen, dass Mugabe end-
lich abtritt. Da dürfen wir den Vorwand der Nichtein-
mischung in innere Angelegenheiten nicht gelten lassen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn das ist gerade der Unterschied der AU im Ver-
gleich zu ihrer Vorgängerorganisation, der Organisation
für Afrikanische Einheit: Die AU hat sich auf die Fahnen
geschrieben, bei Unrechtsregimen tätig zu werden. Hier
müssen wir die AU, aber auch die SADC-Staaten in die
Pflicht nehmen. Auch die internationale Gemeinschaft
hält sich mit Kritik zurück. Der VN-Sicherheitsrat hat
Simbabwe bisher noch kein einziges Mal zur Sprache
gebracht, und das bei einem Land, in dem die Menschen-
würde mit Füßen getreten wird. Während Mugabe in ei-
nem der prächtigsten Paläste Afrikas residiert, kämpft
die Bevölkerung ums Überleben. Das hat meine Kolle-
gin Irber sehr ausführlich dargestellt. Für einen Aufstand
sind die Menschen vor Ort durch die restriktive Informa-
tionspolitik schlicht unzureichend informiert oder viel-
leicht einfach zu hungrig, und das in einem Land, das
einst die Kornkammer Afrikas war.

Dass dieses Land in den Ruin getrieben wird, dürfen
wir hier nicht tatenlos mit ansehen. Bilateral und seitens
der EU müssen wir deutlich mehr Druck machen. Des-
halb haben wir in unserem Antrag auch gefordert, die
EU-Sanktionsliste zu erweitern und weitere Vertreter des
Regimes Mugabe auf diese Liste zu setzen. In dieser
Hinsicht sind uns andere Staaten voraus. Ich finde es
sehr bedauerlich, dass die Kollegen von der Großen Ko-
alition nicht mitgemacht haben; denn es sollte uns ein
Anliegen sein, die Menschen in Simbabwe zu unterstüt-
zen. Ich möchte auch an dieser Stelle sagen: Wir sollten
nicht immer nur predigen und schöne Papiere schreiben,
sondern auch handeln.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520000

Kollegin Schuster, auch Sie müssen bitte zum Schluss

kommen.

Marina Schuster (FDP):
Rede ID: ID1614520100

Ich komme zum letzten Satz.

Wir sind als Parlamentarier – das ist ein wichtiges
Signal aus diesem Hause – und als Regierung gefragt;
denn die Zeiten, in denen sich Despoten sicher fühlen
können, sollten auch in Afrika vorbei sein.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520200

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Arnold

Vaatz das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1614520300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Meine beiden Vorrednerinnen haben schon die
faktische Lage in Simbabwe so trübselig, wie sie ist,
ziemlich deutlich beschrieben, sodass ich eigentlich die
Fakten nicht noch einmal aufzählen muss. Vielleicht ge-
statten Sie mir aber die Wiedergabe eines kurzen Ein-
drucks. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, als ich
vor einigen Jahren in Harare war. Als ich eine Schlange
vor einer Tankstelle gesehen habe, habe ich mich dazu
durchgerungen, denjenigen, der als nächster Treibstoff
erhalten sollte, zu fragen, wie lange er gewartet hat. Die
Antwort war, er habe zwei Tage nachts im Auto ver-
bracht, um Benzin zu tanken. In einem Hospital sagte
mir ein Patient, dass er, um überhaupt die Autofahrt zum
Krankenhaus bezahlen zu können, sein Haus habe ver-
kaufen müssen. Das sind meines Erachtens Verhältnisse,
die man sich beim besten Willen hier in Europa in ihren
ganzen Dimensionen nicht vorstellen kann.

Zu den Pressionen des täglichen Lebens kommen
noch Einschüchterungsmaßnahmen, die von der Regie-
rung ausgehen. Es gibt einen außer Rand und Band gera-
tenen Geheimdienst namens CIO, der allgegenwärtig ist
und von dem eine enorm einschüchternde Wirkung aus-
geht. Es gibt die sogenannten Green Bombers. Das sind
junge Leute, die in Lagern zusammengefasst und dort
militärisch ausgebildet werden und sozusagen die Grup-
pen fürs Grobe abgeben, also mit gewalttätiger Energie
auf die Bürger losgehen und ebenfalls eine enorme Ein-
schüchterungswirkung haben.

Es stellt sich die Frage, wie das alles gekommen ist.
Ich glaube, es wäre unehrlich in dieser Debatte, wenn
wir uns nicht die Fehleinschätzung der demokratischen
Welt eingestehen würden, die nicht sah, wes Geistes
Kind der dortige Diktator Robert Mugabe ist. Der Wes-
ten hatte gemeint, ihn instrumentalisieren zu können,
weil er damals eher auf chinesischer als auf russischer
Seite war. Demzufolge jubelte man ihn als Hoffnungs-
träger hoch. Man hat damals im Übrigen auch nicht be-
achtet, wie viel Blut er auf seinem Weg zur Macht ver-
gossen hat. Im Jahre 1982 hat das sogenannte Matabele-
Massaker stattgefunden, bei dem eine fünfstellige An-
zahl von Menschen mit Unterstützung der von Nordko-
rea ausgebildeten sogenannten Fünften Brigade getötet
wurde. Dieses Massaker ist leider ignoriert worden.






(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz
Danach hat es Entwicklungshilfe gegeben. Simbabwe
sollte auf seinem Weg zu einem eigenständigen Staats-
gebilde und nach der Unabhängigkeit unterstützt wer-
den. Seit 1982 ist Entwicklungshilfe in Höhe von etwa
1 Milliarde Euro von Deutschland nach Simbabwe ge-
flossen.

Wenn man heute fragt, ob diese Entwicklungshilfe
nachhaltig war oder nicht, dann stellt man fest, dass sie
verpufft ist. In dem in Simbabwe vorhandenen Chaos ist
überhaupt nicht mehr sichtbar, welche Aufbauarbeit dort
geleistet worden ist. Das ist eine niederschmetternde
Nachricht, die wir auch der Öffentlichkeit in Deutsch-
land überbringen müssen. Denn wir müssen natürlich
Auskunft darüber geben, wie sich unsere Entwicklungs-
hilfe tatsächlich ausgewirkt hat.

Wir müssen feststellen, dass sich der Wandel der Situa-
tion in Simbabwe schleichend angebahnt hat. Aber wenn
man einen Zeitpunkt bzw. ein Ereignis benennen will,
von dem an es steil bergab ging, dann ist das wohl die
Landreform. Wenn man bedenkt, mit welcher Brutalität
und nach welchen Prinzipien die Landreform, deren
grundsätzliche Notwendigkeit bestimmt auch in diesem
Raum niemand bestreitet, durchgeführt wurde, dann ist
festzustellen, dass das ein Schlag ins Gesicht der Rechts-
staatlichkeit gewesen ist. Die Landreform hatte zur
Folge, dass ganze Regionen in die Subsistenzwirtschaft
zurückgefallen sind. Die Kornkammer war nicht länger
die Kornkammer. Die Landreform wurde zum Selbstbe-
dienungsladen für Günstlinge des Staatschefs, also für
Kriegsveteranen, die sich dabei bedienen konnten.

Alle Schritte der Regierung, die unternommen wur-
den, um in dieser Situation eine Stabilität der Versorgung
zustande zu bringen, schlugen fehl. Ganze Landstriche
sind verödet. Wenn man heute über das Land fliegt, dann
sieht man, dass riesige Areale, Hunderte oder Tausende
Hektar überhaupt nicht mehr bewirtschaftet werden. Das
ist im Übrigen auch nicht von heute auf morgen wieder
rückgängig zu machen. Dem Land ist ein bleibender
Schaden entstanden.

Dazu kommt jetzt noch die politische Repression, die
in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Die Wah-
len, die seit dem Jahr 2002 stattgefunden haben, waren
keine freien Wahlen. Die Opposition hatte nie dieselben
Chancen wie die Regierung. Es gab immer stärkere Be-
mühungen zur Gleichschaltung der Presse und zur Be-
schneidung der Unabhängigkeit der Gerichte. Alles lief
auf eine Machtausweitung der herrschenden Partei
ZANU-PF und des Präsidenten persönlich hinaus.

Seit zehn Jahren sind wir als Weltgemeinschaft ei-
gentlich nur ein Zaungast, der den katastrophalen Zu-
sammenfall dieses Landes mehr oder weniger hilflos be-
trachtet. Wirkliche Eingriffsmöglichkeiten haben wir
nicht. Ich glaube aber, dass es trotzdem richtig war, im
Jahr 2002 die Entwicklungszusammenarbeit einzustel-
len; denn wir können die Strukturen, die dieses Elend
verursachen, nicht auch noch stärken. Bedauerlich ist
nur, dass andere Staaten, zum Beispiel China, das diplo-
matische Vakuum, das wir hinterlassen, ausfüllen und
für ihre Interessen nutzen. Vor dieser Tatsache sollten
wir die Augen nicht verschließen.
Ich meine, das Wichtigste, worüber wir in diesem Zu-
sammenhang sprechen müssen, ist die Tatsache, dass
sich Afrika immer noch um Solidarität gegenüber dem
Diktator Robert Mugabe bemüht. Wenn man die SADC
an ihren Grundsätzen messen wollte, dann hätte sie ei-
gentlich unverzüglich etwas gegen die Lage in Sim-
babwe tun müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das große Problem ist, dass die Lippenbekenntnisse
der SADC einerseits und ihre Taten andererseits bis jetzt
zu nichts geführt haben, was in diesem Land in irgendei-
ner Weise nach vorn deutet. Das ist die Realität. Auch
der NEPAD-Prozess, in den wir so große Hoffnungen
gesetzt haben, hatte in Bezug auf Simbabwe bis heute
keinerlei Wirkung.

Solidarität ist prinzipiell etwas Positives. Darin sind
wir uns sicherlich einig. Aber es gibt auch falsche Soli-
darität. Wir müssen schon entscheiden, ob wir mit dem
leidenden Volk in Simbabwe solidarisch sein wollen
oder mit dem Todfeind des Volkes, der dieses Volk re-
giert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die soge-
nannte stille Diplomatie von Thabo Mbeki bis jetzt kei-
nerlei positive Erfolge gezeitigt hat. Heute hat eine Pres-
sekonferenz in Johannesburg stattgefunden, bei der die
Oppositionellen aus Simbabwe genau dies gesagt haben,
und zwar beide Flügel der zerstrittenen Oppositionspar-
tei MDC.

Ich halte es für wichtig, immer wieder zu sagen: Wir
müssen den afrikanischen Nachbarländern mitteilen,
dass wir diese falsche Solidarität so nicht akzeptieren
können; derjenige, der behauptet, die Verhältnisse in
Simbabwe seien normal, setzt sich dem Verdacht aus,
diese Verhältnisse auch dann als normal zu bezeichnen,
wenn sie einmal in seinem eigenen Land eintreten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten uns auch in dieser Frage klar hinter unsere
Kanzlerin stellen, die an der Konferenz in Lissabon teil-
genommen hat; sie hat sie nicht boykottiert. Sie hat in al-
ler Klarheit gesagt, was sie für richtig und was sie für
falsch hält. Diese Ehrlichkeit in der öffentlichen politi-
schen Auseinandersetzung ist dringend erforderlich.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir eine zu-
sätzliche halbe Minute Redezeit gegeben haben.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, aus diesem Haus eine
klare Botschaft zu senden: Simbabwes Schicksal ist uns
nicht gleichgültig. Wir werden alles, was in unserer
Macht steht, dafür tun, unsere Mittel so einzusetzen,
dass sie den Menschen in diesem Land helfen und nicht
deren Leiden verlängern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520400

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege

Hüseyin Aydin das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen September
hat sich die Opposition in Simbabwe unter Vermittlung
des südafrikanischen Präsidenten Mbeki auf eine Politik
der kleinen Schritte eingelassen. Das war auch der
Wunsch der Europäischen Union. Die Verhandlungspart-
ner aus beiden Fraktionen der oppositionellen MDC sind
von der Forderung nach einer neuen Verfassung abge-
rückt. Teile der Zivilgesellschaft und die Basis der MDC
haben dieses Vorgehen scharf kritisiert. Die Ereignisse
der letzten Wochen zeigen, dass die Kritik der Opposi-
tion berechtigt war.

Die Unabhängigkeit der Wahlkommission ist nicht
gewährleistet. Die Aktualisierung der Wählerverzeich-
nisse wird verschleppt. Die Regierung in Harare hat ihr
Versprechen nach mehr Versammlungsfreiheit gebro-
chen. In der letzten Woche wurde wieder eine friedliche
Kundgebung der Opposition gewaltsam aufgelöst. Im
Polizeigewahrsam kam es erneut zu Brutalitäten. Einer
Hochschwangeren wurde dabei eine Hand gebrochen.
Das Mugabe-Regime hat sich an praktisch keines der
Zugeständnisse gehalten, die unter der Vermittlung von
Südafrikas Präsidenten vereinbart worden sind.

Wir erwarten, dass die ANC-Regierung in Pretoria
die Konsequenz zieht und Mugabe deutlich zurecht-
weist. Die sogenannte stille Diplomatie ist gescheitert.
Ich sage: Es reicht nicht aus, Mugabe nur durch einen
anderen Kopf aus seinem Umfeld zu ersetzen. Sim-
babwe braucht eine grundlegende Demokratisierung der
Gesellschaft von unten.

Der Kampf für die Demokratie ist dabei untrennbar
mit dem Kampf um bessere Lebensbedingungen verbun-
den. Bei einer Inflationsrate von, wie bereits erwähnt,
100 000 Prozent und 150 000 Prozent lösen sich alle
Werte in nichts auf. Grundnahrungsmittel und Benzin
gibt es nur noch auf dem Schwarzmarkt. Rund ein Vier-
tel der Bevölkerung ist bereits geflohen. Letztes Jahr
hieß es in einem Hirtenbrief der Katholischen Bischofs-
konferenz Simbabwes – ich zitiere –:

Schwarze Simbabwer kämpfen heute für dieselben
Grundrechte, für die sie auch im Befreiungskampf
stritten. Es ist derselbe Konflikt zwischen jenen, die
Macht und Reichtum im Überfluss haben, und je-
nen, die nichts haben.

Die Hoffnung auf ein einvernehmliches Auskommen
mit den Regierenden ist leider begraben. Mugabe wird
bei den Präsidentschaftswahlen erneut kandidieren. Er
hat angekündigt, ohnehin keinen anderen Sieger als sich
selbst zu akzeptieren. Es gibt nur einen Weg: Mugabe
muss auf demokratischem Wege zu Fall gebracht wer-
den. Das kann nur die simbabwische Bevölkerung schaf-
fen. Jede direkte Intervention von außen würde dem Re-
gime nur neue Vorwände liefern, um die Opposition zu
diskreditieren.

Unsere Aufgabe ist es, die demokratischen Kräfte zu
unterstützen. Gerade an diesem Punkt aber bewies die
Bundesregierung ihre Halbherzigkeit. Dort, wo alle Ka-
meras aufgebaut waren, wie auf dem Lissabon-Gipfel im
Dezember, verliert die Kanzlerin ein paar mahnende
Worte in Richtung Mugabe.

Doch als im letzten September mit Bischof Pius
Ncube einer der wichtigsten Regimegegner durch eine
Schmutzkampagne politisch kaltgestellt wurde, war
nicht der Hauch eines Protestes zu vernehmen. Warum?
Weil der simbabwische Geheimdienst eine Liebesaffäre
des Bischofs öffentlich machte. Offenbar ist der Bruch
des Zölibats zu heikel, als dass die Bundesregierung hier
lautstark Position aufseiten des Bischofs beziehen
möchte.

Diese Politik der unscharfen Konturen kommt auch
im vorliegenden Antrag zum Ausdruck. Was soll die
Aussage, dass Simbabwe bei rechtsstaatlichen und wirt-
schaftlichen Reformen unterstützt werden soll, bedeu-
ten? Wer ist damit gemeint? Welche Reformen sind da-
mit gemeint?

Solch einem Wischiwaschi versagen wir unsere Zu-
stimmung. Die Linke ist nicht gewillt, Ihrer Simbabwe-
Politik einen Blankoscheck auszustellen. Wir sagen: Die
Kritik an der Unterdrückung in Simbabwe darf keine
Frage des politischen Opportunismus sein. Alle demo-
kratischen Kräfte aus den Reihen der Kirchen, der Ge-
werkschaften und der Zivilgesellschaft haben unsere un-
geteilte Solidarität.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

die Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie haben die desaströse Situation in Simbabwe in Ihren
Reden ausführlich beschrieben. Nach 28 Jahren stehen
die Menschen dort vor einem Scherbenhaufen: Hyperin-
flation, eine Arbeitslosenquote von 80 Prozent, ein Vier-
tel der Bevölkerung – 3 Millionen Menschen – auf der
Flucht. Davon sind nun auch schon die Nachbarländer
betroffen. Man kann es so zusammenfassen: Mugabe ist
ein Mann der Vergangenheit und nicht ein Mann der Zu-
kunft.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ein Diktator der Gegenwart!)


Zum Wohle seines Volkes sollte er besser in Rente ge-
hen. Ich glaube, dass wir uns da einig sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Kerstin Müller (Köln)

Die große Frage ist, ob die Präsidentschafts- und Par-
lamentswahlen am 29. März 2008 den überfälligen
Wechsel einleiten werden.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


Sollten sie allerdings wie im Jahre 2005 unter unfairen
und undemokratischen Bedingungen stattfinden, dann,
Frau Schuster, ist in der Tat nicht viel zu erwarten; wobei
ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben habe.

Allerdings: Die von der Opposition geforderte Verfas-
sungsreform steht aus; Sie haben das gesagt. Die Wahl-
kreise wurden zugunsten der ZANU-PF aufgestockt.
Wählerregistrierung, Aufstellung der Kandidatenlisten,
all das war intransparent. Im Vorfeld gibt es schon wie-
der willkürliche Demonstrationsverbote, Demonstratio-
nen werden gewaltsam zerschlagen. All das spricht nicht
dafür, dass es anders laufen wird.

Neu ist, dass es einen Kandidaten aus dem eigenen
Lager gibt: Simba Makoni, ein ehemals hochrangiger
moderater ZANU-PF-Funktionär. Ob das eine Chance
für das Land ist, muss sich erst zeigen; das ist eine of-
fene Frage. Jedenfalls zeigt das den Riss und auch die
Unzufriedenheit in der ZANU-PF mit dem Regime
Mugabe. Makoni ist beim Volk beliebt. Mit seinem Pro-
gramm setzt er auf Ausgleich. Vielleicht kann hier ein
Wechsel gelingen.

Wir müssen uns die Frage stellen: Was können wir,
was kann die internationale Gemeinschaft tun, um die-
sen Prozess, um eine demokratische Entwicklung in
Simbabwe zu unterstützen? Es war zunächst einmal rich-
tig, dass die Staats- und Regierungschefs in Lissabon im
Dezember 2007 nicht einfach zur Tagesordnung überge-
gangen sind. Ich finde es sehr gut – das will ich aus-
drücklich sagen –, dass gerade die Bundeskanzlerin sehr
deutliche Worte zu Mugabe gefunden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich finde es auch richtig, dass der Allgemeine Rat der
EU die Geltung der gezielten Sanktionen gegenüber
Simbabwe am Montag verlängert hat.

Wir müssen allerdings kritisch bilanzieren, dass all
dies, auch die Sanktionspolitik, bisher nicht viel ge-
bracht hat, genauso wenig – Herr Vaatz hat es angespro-
chen – wie die sogenannte stille Diplomatie Südafrikas
und der SADC. Die Oppositionsparteien haben heute in
Johannesburg ganz klar gesagt: Die Vermittlungsbemü-
hungen sind gescheitert. Dennoch zeigt das, die Krise in
Simbabwe kann letztlich nur von den Afrikanern selbst
gelöst werden.

Dabei ist Simbabwe neben Darfur inzwischen zu der
Glaubwürdigkeitsprobe für die Afrikanische Union ge-
worden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Der Präsident von Botswana hat mir einmal gesagt,
seine Regierung wolle eigentlich gar nicht mehr an den
SADC-Versammlungen teilnehmen, denn das, was man
dort beschließe, sei eine Farce, wenn sich nicht in Sim-
babwe endlich einmal etwas ändert. Ich sage Ihnen: Er
hat recht.

Ich glaube, entscheidend ist: Solange Mugabe von
seinen afrikanischen Freunden mit Samthandschuhen
angepackt wird, solange man zwar irgendwie vermittelt,
aber gleichzeitig Mugabe signalisiert, man lasse ihn in
Ruhe, so lange tyrannisiert dieser weiter seine Bevölke-
rung. Deshalb ist es wichtig, dass wir, die internationale
Gemeinschaft – ich erwarte, auch die Bundesregierung –,
den Ländern der SADC, vor allem Südafrika sehr deut-
lich machen, dass wir nicht länger bereit sind, diese
Doppelzüngigkeit hinzunehmen, erst recht nicht, weil sie
Unterstützung von der Europäischen Union erhalten.
Wir müssen den SADC-Staaten klar sagen – dafür sind
alle multilateralen Kanäle zu nutzen –: Wachen Sie end-
lich auf! Mugabe ist schon lange kein Freiheitskämpfer
mehr. Im Gegenteil: Er nimmt den Menschen die Frei-
heit. Deshalb fliehen sie, deshalb haben auch die Anrai-
nerländer bereits den Schaden.

Die interne Spaltung in der SADC zur Frage der Soli-
darität mit Mugabe muss daher überwunden werden.
Sonst werden die Vermittlung Mbekis und der internatio-
nale Druck weiterhin wirkungslos verpuffen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520700

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich glaube, insbesondere die SADC kann zu fairen
und freien Wahlen beitragen, indem sie ihre Leitlinien
endlich ernst nimmt, indem sie Beobachter hinschickt
und prüft, ob die Wahlen fair und frei abgehalten wer-
den, und auch bei der Wahlvorbereitung auf faire Bedin-
gungen drängt. Das ist entscheidend.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520800

Der Kollege Vaatz hat zu Recht darauf hingewiesen,

dass ich heute ausgesprochen großzügig bin. Jetzt sind
Sie aber wirklich weit über die Zeit.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich bin sofort fertig.

Es darf nicht wieder passieren, was 2005 passiert ist.
Hier müssen den Worten der Kanzlerin auch Taten fol-
gen. Das ist entscheidend.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614520900

Das Wort hat der Kollege Walter Riester für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Walter Riester (SPD):
Rede ID: ID1614521000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich weiß nicht, wer sich erinnert: Fast auf den Tag genau
vor fünf Jahren haben wir eine Debatte über Simbabwe
gehalten. Viele Argumente – ich habe es nachgelesen –

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1614521100
Ich
freue mich auf den EU-Afrika-Gipfel in Lissabon, aber
nur dann, wenn Mugabe nicht eingeladen wird; ich be-
tone: Visastopp, Waffenembargo, Einfrieren der Konten
sind wichtige Schritte. – Wir alle haben dann geklatscht.

Frau Schuster, ich habe einmal nachgelesen, was der
Liberale Löning gesagt hat – das war sehr weitsichtig –:
Wir müssen erkennen, die bisherigen Sanktionen haben
nichts genützt; in dem Erkennen wird uns eine Verschär-
fung der Sanktionen nicht weiterführen.

Ich glaube, es ist Zeit, sich ein bisschen zurückzuneh-
men. Wir merken, dass es den Menschen in Simbabwe
jetzt viel schlechter geht. Ich bin überzeugt: Der Kon-
flikt wird sich im Innenverhältnis lösen, oder er wird
nicht gelöst,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


weder durch die SADC noch – wir merken das – durch
die Nachbarländer.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sollen wir zuschauen?)


– Nein, das bedeutet nicht Zuschauen. – Die starke Un-
terstützung der Widerstandskräfte in Simbabwe – von
den Kirchen über die Gewerkschaften bis hin zu den Op-
positionsbewegungen – birgt die Chance, dass der
29. März vielleicht keinen Regierungswechsel, aber hof-
fentlich auch nicht einen ähnlichen Auftakt wie in Kenia
bringt. Es ist wichtig, den Befriedungsprozess einzulei-
ten und die genannten Kräfte zu stärken. Dann haben wir
die Chance, von außen stärker zu wirken.

Ehrlicherweise muss man aufzeigen: In den letzten
fünf Jahren haben Sanktionen – ich spreche mich nicht
gegen sie aus – keine Wirkung gezeigt. Bei allen Besu-
chen, die ich als Parlamentarier machte – egal ob in Ma-
lawi oder in Namibia –, hatte ich, wenn wir uns mit der
Regierung unterhalten haben, nicht den Eindruck, dass
ein geschlossener Widerstand gegen Simbabwe aufzu-
bauen ist. Das muss man erkennen.

Deswegen bin ich sehr dafür, alle Widerstandskräfte
zu unterstützen, die Menschen zu unterstützen. Ich bin
aber nicht dafür, dass fünf Jahre später erneut gesagt
wird, das Problem sei nur Robert Mugabe. Es ist Robert
Mugabe, aber nicht nur er. Wir können das Problem nur
überwinden, wenn wir in Simbabwe Kräfte stärken wie
in anderen Ländern auch.

Wenn ich auf die Geschichte zurückblicke – das ist
mein letzter Satz –, muss ich sagen: Ich habe noch nie
erlebt – das müsste eigentlich Anlass zur Besinnung
sein –, dass ein Wirtschaftsboykott zur Ablösung eines
Despoten geführt hätte, ob in Kuba, im Irak oder in Sim-
babwe.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder in Südafrika!)


– Oder in Südafrika.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614521200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Demokratische
Entwicklung Simbabwes unterstützen – Arbeit der inter-
nationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/7909, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5907 anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak-
tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-
Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Katastrophe in Simbabwe verhindern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/6365, den Antrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/4859 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP

Zehn Jahre Washingtoner Konferenz – Initia-
tive für eine Nachfolgekonferenz in Deutsch-
land

– Drucksache 16/7857 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans-Joachim Otto für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1614521300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
und der nationalsozialistischen Terrorherrschaft sind
noch immer zahlreiche geraubte, beschlagnahmte und
verfolgungsbedingt abhandengekommene Kunstwerke
nicht identifiziert und ihren rechtmäßigen Eigentümern
bzw. deren Erben zurückgegeben. Das ist ein Zustand,
der uns nicht ruhen lassen darf. Wir haben die morali-
sche Verpflichtung, uns nach Kräften für eine intensive
Provenienzforschung nach sogenannter NS-Raubkunst
einzusetzen.

Seit fast zehn Jahren sind die Grundsätze der Wa-
shingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von
den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, die
Grundlage für die Restitutionspraxis und bleiben – das
will ich ganz unmissverständlich sagen – die Grundlage
aller Überlegungen zur Verbesserung dieser Praxis. Die
Washingtoner Konferenz vom Dezember 1998 war zu-
dem in vielen anderen Staaten die Initialzündung, die
Bemühungen zur Provenienzforschung und Restitution
von NS-Raubkunst zu verstärken, wenn nicht gar erst zu
beginnen. Allein die Tatsache, dass die Washingtoner
Grundsätze von 44 Staaten getragen werden, zeigt die
Dimension des Unrechts, das es aufzuarbeiten galt und
weiterhin gilt.

In der Bundesrepublik wurde – das will ich betonen –
einiges zur Umsetzung dieser Grundsätze getan. Unter
anderem wurde die Magdeburger Koordinierungsstelle
eingerichtet, die gemeinsame Erklärung von Bund, Län-
dern und kommunalen Spitzenverbänden beschlossen
und eine Handreichung zur Umsetzung der Restitutions-
grundsätze erarbeitet und aktualisiert.

Allerdings waren die Anstrengungen der Provenienz-
forschung in Deutschland – das sollten wir selbstkritisch
feststellen – einige Jahre in den Hintergrund gerückt.
Auch eine immer wieder aufflammende Kritik an einer
unzureichenden Personalausstattung und an einem un-
klaren Auftrag der Koordinierungsstelle in Magdeburg
führte nicht zu einer Intensivierung der Provenienzre-
cherche. Es bedurfte erst der sehr umstrittenen Rückgabe
des Kirchner-Gemäldes aus dem Berliner Brücke-Mu-
seum, damit endlich die Themen Provenienzforschung
und Restitution von NS-Raubkunst wieder auf die politi-
sche Tagesordnung gesetzt wurden.

Durch die verstärkten Diskussionen über diese The-
men haben wir alle in den vergangenen zwei Jahren, so
denke ich, viel dazugelernt. Nicht zuletzt auch der Blick
in unsere Nachbarländer Frankreich und die Nieder-
lande, die im Übrigen – auch das sollte hier gesagt sein –
ein Vielfaches in die Provenienzforschung investiert ha-
ben, hat uns eine zentrale Erkenntnis gebracht, die für
fast alle Restitutionsverfahren gilt: Immer dann, wenn
ein Museum, eine Sammlung oder ein sonstiger heutiger
Besitzer aufgrund eigener Provenienzrecherchen auf die
Erben der früheren Eigentümer zugeht, sind die Chancen
für eine Einigung besonders gut. In den meisten dieser
Fälle sieht die faire und gerechte Lösung, die angestrebt
wird, so aus, dass das betreffende Exponat in der ange-
stammten Sammlung verbleiben kann und die Erben in
Anerkennung der Initiative des Museums mit diesem
eine Vereinbarung treffen – sei es in Form eines Kauf-
vertrages, einer Dauerleihgabe oder auch in vielen Fäl-
len einer Schenkung.

Neben der moralischen Verpflichtung, die ohnehin
besteht, sollte diese Erkenntnis für uns der Anlass sein,
alles zu unternehmen, um die aktive Provenienzfor-
schung zu verstärken.


(Beifall bei der FDP)


Die Einrichtung der Arbeitsstelle für Provenienzfor-
schung durch den Kulturstaatsminister ist sicher ein
Schritt in die richtige Richtung. Ich gebe allerdings auch
da zu bedenken, ob die Summe von 1,2 Millionen Euro,
die aus dem Haushalt der Kulturstiftung des Bundes
– ich frage mich übrigens, warum die Länder nichts da-
zugeben –


(Monika Grütters [CDU/CSU]: Das tun sie doch! 200 000 Euro!)


zusätzlich für Provenienzforschung zur Verfügung ste-
hen soll, für ein so großes Land wie Deutschland mit
Hunderten von Museen wirklich ausreichend und ange-
messen ist. Es wäre daher von großer Symbolkraft und
würde einen zusätzlichen Schub für die Provenienzfor-
schung bedeuten, wenn die Bundesregierung in Wahr-
nehmung ihrer Vorbildfunktion zehn Jahre nach der
Washingtoner Konferenz eine Nachfolgekonferenz in
Deutschland ausrichten würde.


(Beifall bei der FDP)


Eine solche Konferenz wäre zudem auch international
das klare Bekenntnis, dass sich Deutschland der beson-
deren Verantwortung in dieser Frage bewusst ist. Vor al-
lem aber würde eine solche internationale Konferenz die
Möglichkeit des wechselseitigen Erfahrungsaustausches
bieten. 44 Staaten mit höchst unterschiedlicher Praxis
haben die Washingtoner Erklärung unterzeichnet. Das
heißt, es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrun-
gen mit der Umsetzung der entsprechenden Grundsätze.

Ich habe noch einmal nachgelesen, was die Kollegen
gesagt haben, als ich vor einiger Zeit diesen Vorschlag
schon einmal im Kulturausschuss gemacht habe. Das
zentrale Argument lautete: Es ist nicht Aufgabe der Bun-
desrepublik Deutschland, eine solche Konferenz zu or-
ganisieren. Das hinterlässt womöglich einen falschen
Eindruck und ist ein falsches Signal.

Ich sage Ihnen: Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Wer, wenn nicht die Bundesregierung, ist berufen, an die
positive Signalwirkung der Washingtoner Konferenz an-
zuknüpfen und eine Konferenz auszurichten, bei der
über Erfolge und auch Probleme berichtet werden kann,
vorbildhafte Modelle zur Nachahmung empfohlen und
noch ausstehende Aufgaben identifiziert werden kön-
nen? Ich kann nicht erkennen, wo eine solche Initiative
einen falschen Eindruck hinterlassen könnte.

Ich möchte gleich noch auf einen zweiten Einwand
eingehen, der angeführt wurde. Eine Fachkonferenz,
vielleicht von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus-
gerichtet: ja; aber eine Konferenz auf der gleichen Ebene






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Otto (Frankfurt)

wie die Washingtoner Konferenz: nein. – Eine Fachkon-
ferenz ist schön und gut und sicherlich sinnvoll. Ich will
gar nichts dagegen sagen.

Wenn wir aber wirklich ein Signal senden wollen,
wenn wir wollen, dass die Regierungen der betreffenden
Staaten sich mit den Erfahrungen und den noch ausste-
henden Aufgaben auseinandersetzen und die gewonne-
nen Erkenntnisse umgesetzt werden, dann müssen wir
die Einberufung einer Regierungskonferenz anstreben.


(Beifall bei der FDP)


Dabei bin ich mir darüber im Klaren, dass die Washing-
toner Konferenz einen über geraubte Kunstgegenstände
hinausgehenden Ansatz hatte und man dort alle Vermö-
gensverluste abschließend aufarbeiten wollte. Aber ich
frage Sie: Wenn die Washingtoner Konferenz vor allem
im Bereich der NS-Raubkunst ein Erfolg war und ganz
wichtige Impulse gesetzt hat, warum sollten wir nicht
daran anknüpfen und zehn Jahre danach eine Folgekon-
ferenz in Deutschland ausrichten?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614521400

Herr Kollege Otto, bitte!


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1614521500

Ich folge Ihnen, Herr Präsident. – Danke schön.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614521600

Das Wort hat die Kollegin Professor Monika Grütters

von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1614521700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Kollege Otto, wir sprechen heute zum zweiten Mal
in dieser Legislaturperiode im Plenum des Deutschen
Bundestages über Fragen der Restitution, das heißt über
den Umgang mit NS-Raubkunst. Ich meine, das ist ein
gutes Signal.


(Beifall bei der FDP – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Da sind wir uns einig! Die Rede fängt gut an!)


Wir, das Parlament, stellen uns dieser Problematik.
Nicht nur wir tun das, sondern auch auf der Regierungs-
ebene ist so viel passiert wie in keiner Vorgängerregie-
rung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Auch das ist richtig!)


Staatsminister Neumann hat Initiativen entwickelt und
dabei wirklich zur Lösung offener Fragen in dieser sen-
siblen Thematik beigetragen.

Ausgangspunkt der erneuten und aktuellen Debatte ist
übrigens nicht das zehnjährige Jubiläum der Washingto-
ner Konferenz, sondern die umstrittene Rückgabe des
Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“ durch den
Berliner Senat.

(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Auch das stimmt!)


Es war dieser Fall, der Zweifel an der gängigen Restitu-
tionspraxis aufgeworfen hat, vor allen Dingen deshalb,
weil der Berliner Senat ihn so unglaublich schlecht ge-
handhabt hat. Unabhängig von dem Ergebnis dieses ein-
zelnen Vorgangs ist das deshalb traurig, weil er so viele
erfolgreiche Restitutionsvorgänge negativ überschattet.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das habe ich auch gesagt!)


Denn schließlich ist die einvernehmliche Restitution
– das wissen auch Sie – gängige Praxis.

Was ist erreicht worden? Deutschland hat – das haben
auch Sie erwähnt – nicht nur 1998 an der Konferenz teilge-
nommen und die Washingtoner Erklärung unterzeichnet,
sondern auch eine Gemeinsame Erklärung zur Auffin-
dung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzo-
genen Kulturgutes verabschiedet. Sie haben zu Recht die
Einrichtung einer Koordinierungsstelle in Magdeburg
und die Erarbeitung einer Handreichung erwähnt. Doch
zeigt jener Fall Kirchner, wie heikel diese Vorgänge sind
und wie schwer es ist, generell verbindliche Regeln zu
empfehlen.

Obwohl es sich bei derartigen Vorgängen primär um
Aufgaben der Länder handelt, hat sich Kulturstaats-
minister Neumann entschlossen, bundesseitig Verant-
wortung zu übernehmen – denn Sie haben ja die Regie-
rung angesprochen –, und eine Arbeitsgruppe eingesetzt,
der unter anderem Vertreter aus Bund, Ländern, Kom-
munen und der KMK sowie von Museen und der Koor-
dinierungsstelle in Magdeburg – Sie wissen das – ange-
hören. Es waren diese Experten, die sich mit den
vorhandenen Papieren und Instrumenten auseinanderge-
setzt haben. Ich finde, das Ergebnis ist in mehrfacher
Hinsicht eindrucksvoll; denn, Herr Otto, es beantwortet
Ihre Frage nach der Einberufung einer möglichen Was-
hingtoner Folgekonferenz oder aber – das ist wirklich
ein Unterschied – einer Konferenz in Bezug auf Kunst-
werke in Deutschland.

Weder der Wortlaut noch der Geist der Washingtoner
Erklärung stehen hier zur Debatte. Deutschland steht zu
seiner moralischen Verantwortung, auch mehr als
60 Jahre nach Kriegsende Kulturgüter zu suchen und zu-
rückzugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Einigkeit besteht auch darüber, dass die Gemeinsame Er-
klärung unverändert bestehen bleibt. Lediglich die
Handreichung aus dem Jahr 2001 wurde redaktionell
überarbeitet, aber ohne die Substanz zur Disposition zu
stellen. So wird zum Beispiel die Beweislast nicht in-
frage gestellt. Sie liegt nicht bei den Opfern und deren
Nachfahren. Auch Verjährungs- und Ausschlussfristen
wird es – das war ebenfalls ein Thema im Kulturaus-
schuss – in Deutschland nicht geben, weil dies unserer
moralischen Verantwortung nicht gerecht würde; denn
Unrecht wie dieses kann nicht verjähren.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Monika Grütters
Im Ergebnis der Initiativen Neumanns ist eine zen-
trale Arbeits- und Geschäftsstelle Provenienzrecherche
– Sie haben sie erwähnt – eingerichtet worden. Sie haben
freundlicherweise erklärt, dass Sie das in Ordnung fin-
den.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja, so bin ich!)


Richtig ist, dass sie beim Institut für Museumsforschung
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angesiedelt ist.
Herr Otto, 1 Million Euro kommen vom Bund und
200 000 Euro von der Kulturstiftung der Länder. Die tun
also sehr wohl etwas dafür. Wichtig ist, dass vor allen
Dingen kleinen Museen geholfen wird, die häufig mit
den Forschungsaufgaben überfordert sind, weil sie ähn-
lich wie die großen nicht nur auf Forderungen reagieren,
sondern unaufgefordert zur Aufklärung beitragen möch-
ten. Ich empfinde die Zweifel an den Museen häufig als
unberechtigt.

Was wäre noch zu tun? Herr Otto, alle anderen Fra-
gen, die 1998 in Washington zur Debatte standen – der
Umgang mit Raubgold, entzogene Versicherungswerte,
enteignete Grundstücke oder die sogenannte Holocaust-
Erziehung –, liegen weder in der Zuständigkeit des
Staatsministers für Kultur noch in der Zuständigkeit des
Kulturausschusses. Diese Aufgaben sind unter der jetzi-
gen Regierung sehr offensiv und zielgerichtet bearbeitet
worden.

Es geht nicht um eine grundsätzliche Hinterfragung
der Substanz der Washingtoner Erklärung und der Ge-
meinsamen Erklärung sowie ihres moralischen Gehalts.
Vielmehr muss der Gedankenaustausch zwischen den
betroffenen Akteuren über die nunmehr startende Prove-
nienzrecherche, die mit immerhin 1,2 Millionen Euro
ausgestattet ist, und über konkrete Fragen der Restitu-
tionspraxis – die sind viel heikler als die Grundfragen –
intensiviert werden. Vor allen Dingen das hat der un-
glückliche Fall Kirchner gezeigt.

Wir unterstützen die Einrichtung einer großen Fach-
konferenz, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit
der bei ihr neu geschaffenen Arbeitsstelle Provenienzre-
cherche plant. Herr Otto, ich finde es falsch, diese An-
sätze schlechtzureden, ehe sie überhaupt in die Praxis
umgesetzt wurden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Haben wir doch gar nicht!)


– Doch, Herr Otto. Sie sagen, das sei das Gegenteil von
dem, was Sie möchten. Dabei ist Ihre Begrifflichkeit un-
präzise. Sie sind nicht auf die Hauptthemen in Washing-
ton 1998 eingegangen, die hiermit eben nichts zu tun
haben. – Die internationale Beteiligung an dieser Fach-
konferenz muss gegeben sein und – ich komme zum
Schluss – das Hauptaugenmerk auf die aktive Recherche
und Forschung im Hinblick auf NS-Raubkunst gerichtet
werden.

Ihr und, wie ich meine, unser aller Ziel muss es sein,
mit den Museumsakteuren gemeinsam faire und ge-
rechte Lösungen für die Wiedergutmachung erlittenen
Unrechts zu finden und das in einer Fachkonferenz zu
besprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ein bisschen lau!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614521800

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia

Jochimsen von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614521900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf

Antrag der FDP sollen wir heute die Bundesregierung
auffordern, im Herbst dieses Jahres in Berlin eine Nach-
folgekonferenz der Washington Conference on Holo-
caust-Era Assets durchzuführen.

Ich wette, aus dieser Konferenz wird nichts. Wie
würde Deutschland auf dieser Konferenz dastehen? Im
Antrag der FDP heißt es: „Angesichts der besonderen
moralischen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik
Deutschland bei der Aufarbeitung der in der Zeit des Na-
tionalsozialismus entstandenen Vermögensverluste und
der Restitution von NS-Raubkunst hat“, sollte erstens
„analysiert werden, welche Ziele der Washingtoner Er-
klärung bereits erreicht werden konnten“, und zweitens
sollten internationale Erfahrungen mit der Umsetzung
ausgetauscht sowie „vorbildhafte Vorgehensweisen und
Strukturen identifiziert werden“. Wie würde Deutsch-
land da abschneiden?

Die Sachverständige Monika Tatzkow hat bei der öf-
fentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Kultur und
Medien festgestellt:

Tatsache ist …, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land anders als Länder, die von Nazi-Deutschland
in Westeuropa überfallen und besetzt wurden oder
denen der Krieg erklärt wurde, bei der Umsetzung
der Washingtoner Erklärung noch ganz am Anfang
steht. Neun Jahre nach der Erklärung wissen wir
nicht viel; der Informationsstand ist sehr unzurei-
chend.

Das war vor einem Jahr. Viel hat sich seitdem weiß Gott
nicht geändert.


(Monika Grütters [CDU/CSU]: Doch! Die Arbeitsstelle Provenienzrecherche!)


Die lang angekündigte Arbeitsstelle für Provenienzre-
cherche und -forschung unter dem Dach der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz ist personell immer noch nicht
besetzt. Sie hat noch keinen einzigen Arbeitstag hinter
sich gebracht. Ihre finanzielle Ausstattung mit 1 Mil-
lion Euro – 200 000 Euro Zuschuss von den Ländern
kommen noch hinzu – ist keineswegs ausreichend für die
Aufarbeitung dieses seit Jahrzehnten vernachlässigten
Bereiches. Auch der Fachbeirat bei der Koordinierungs-
stelle für Kulturverluste in Magdeburg hat seine Arbeit
noch nicht aufgenommen. All das steht nur auf dem Pa-
pier. Heute veröffentlichte der Staatsminister eine Pres-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lukrezia Jochimsen
seerklärung; tatsächlich ist aber noch gar nichts gesche-
hen.

Noch eines: Im vergangenen Jahr hat die Bundesre-
gierung das Ausfuhrverbotsgesetz für Kunstwerke ver-
schärft und NS-Raubkunst davon nicht ausgenommen,
ganz anders als Österreich, das sein Gesetz, nach dem
die Ausfuhr von Raubkunst verboten ist, für diese Fälle
ausdrücklich außer Kraft gesetzt hat. Das aber bedeutet
eine klare Verfügungsbeschränkung für Alteigentümer.
Entweder können sie die ihnen zurückgegebenen Werke
nun in Deutschland, dem Land der Täter, verkaufen,
oder sie benötigen eine Ausfuhrgenehmigung des Kul-
turstaatsministers. Ist das ein fairer und gerechter Um-
gang nach all dem angetanen Unrecht?

Wie sähe Deutschland also auf einer internationalen
Bilanzkonferenz zehn Jahre nach der Washingtoner Er-
klärung aus? Wie könnte es sich darstellen? Wenn wir
unsere Umsetzungsdefizite in Gegenwart aller anderen
43 Signatarstaaten ganz offen zur Diskussion stellten
und uns auf qualitative Veränderungen für die Zukunft
verpflichteten, dann wäre ich sehr für eine solche Konfe-
renz. Eine salvierende Großveranstaltung unter dem ver-
pflichtenden Titel „Washingtoner Nachfolgekonferenz“
in Berlin im Schonraum der Gastgeberrolle wird meine
Fraktion allerdings nicht befürworten.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614522000

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Reiche von der

SPD-Fraktion.


Steffen Reiche (SPD):
Rede ID: ID1614522100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit

der Washingtoner Konferenz vor rund zehn Jahren ist
viel erreicht worden. So beschämt wir über die über
50 Jahre davor sein müssen, so dankbar und zufrieden
können wir über das zwischenzeitlich Erreichte sein. Es
ist bei Weitem noch nicht alles geschafft, aber die Wei-
chenstellungen, die in Deutschland nach der Washingto-
ner Konferenz vorgenommen wurden, sorgen dafür, dass
wir uns in die richtige Richtung bewegen. Die Washing-
toner Konferenz und ihr Ergebnis, die Washingtoner Er-
klärung, waren ein Erfolg. Gab es in Deutschland vorher
nur wenige Bemühungen, durch Provenienzrecherchen
die Eigentumsverhältnisse an Kunstwerken zu klären, ist
durch die Koordinierungsstelle in Magdeburg, durch die
Gemeinsame Erklärung von 1999 und durch die Hand-
reichung von 2001 ein allgemeines Bewusstsein ge-
schaffen worden.

Insbesondere durch die Aktivitäten der Bundesregie-
rung und von Herrn Neumann ist eine Arbeitsstelle für
Provenienzrecherche und -forschung eingerichtet wor-
den und wird, denke ich, in den nächsten Wochen perso-
nell untersetzt und entsprechend ausgestattet. Die Hand-
reichung ist auf der Grundlage der Erfahrungen von
sechs Jahren überarbeitet worden. Der Antrag der FDP
zeigt, wie ich finde, sehr gut, was alles in den letzten
Jahren unternommen worden ist. Dafür herzlichen Dank.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Bitte!)


Die aktive Stärkung der Provenienzrecherche ist also
gemeinsames Anliegen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja!)


Der US-amerikanische Holocaustbeauftragte, Sonder-
botschafter Christian Kennedy, hat im vergangenen Jahr
vorgeschlagen – ich weiß nicht, ob die FDP es zuerst
vorgeschlagen hat oder er –,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist wurscht!)


eine Bilanzkonferenz, also eine Art Washington II, in
Berlin zu veranstalten. Die Bilanz würde gerade auf-
grund der Arbeit der Bundesregierung in den letzten
zwei Jahren nicht schlecht ausfallen. Es ist viel gesche-
hen.

Aber die Frage ist, ob statt einer großen Bilanznach-
folgekonferenz nicht vielmehr eine Fachkonferenz – von
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz organisiert – die
Erfahrungen besser auswerten und neue Impulse geben
könnte. Vor zwei Monaten hat die Stiftung Preußischer
Kulturbesitz an das Leo-Baeck-Institut geschrieben und
darauf hingewiesen, dass die SPK als Veranstalter einer
internationalen Fachkonferenz zum Themenkomplex der
Restitution von NS-Raubkunst zur Verfügung steht. Auf
diese Weise wäre gesichert, dass dieses schon an sich
hochkomplexe Thema nicht durch andere Themen, über
die zurzeit in den USA diskutiert wird, wie zum Beispiel
die Versicherungspolicen aus der NS-Zeit oder andere
Forderungen von Holocaustnachkommen, überlastet
werden würde. Eine solche Fachkonferenz könnte bei-
des: Bilanz ziehen und Impulse geben.

Die Bundesregierung sollte aufgrund der Bedeutung
des Themas und der von dieser Regierung erreichten
Fortschritte eine solche Tagung nicht nur mitfinanzieren,
sondern auch dabei präsent sein. Die Überlegungen, die
es dazu im Auswärtigen Amt gibt, teile und unterstütze
ich.

Zu Beginn dieses Jahres hat die Europäische Kom-
mission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von
unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaa-
tes verbrachten Kulturgütern gemacht und will damit die
verschiedenen Änderungen der Richtlinie von 1993
kodifizieren. Unser Thema, die in der NS-Zeit unrecht-
mäßig angeeigneten Kulturgüter, ist ein Sonderfall des
größeren Themas unrechtmäßig angeeigneter und ver-
brachter Kulturgüter.

Vor zehn Jahren haben die Vereinigten Staaten zur
Washingtoner Konferenz eingeladen. Sie hat stattgefun-
den, um das in Europa entstandene Problem der unrecht-
mäßigen Aneignung der Vermögen von Holocaust-Op-
fern zu lösen. Weil dieses in Europa entstandene
Problem in einer Nachfolgekonferenz am besten in Eu-
ropa gelöst werden kann, schlage ich vor, dass die sich
vereinigenden Staaten von Europa in den nächsten Jah-
ren zu einer Konferenz einladen, um zu bilanzieren, wel-
che Lösungen in dieser Frage erreicht wurden. Vor allem
sollte im Rahmen einer von der EU veranstalteten Kon-






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Reiche (Cottbus)

ferenz nach Wegen gesucht werden, wie die Erfahrungen
der UNESCO im Hinblick auf den weltweiten Kulturgü-
terschutz in anderen Situationen von Völkermord und
Krieg genutzt werden können.

Es ist meiner Meinung nach die Krux des FDP-Vor-
schlags, eine deutsche Washington-Nachfolgekonferenz
abzuhalten. Wie gewährleistet man dort die Balance zwi-
schen selbstgerechter deutscher Präsentation der Erfolge
und erneuter Einladung zur Anklage Deutschlands?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Und das soll mit der Fachkonferenz anders sein? – Gegenruf von der CDU/CSU: Natürlich! Keine Frage!)


– Ich denke, das kann mit der Fachkonferenz anders
sein, weil dort die Fachleute an diesem Thema arbeiten
und nicht die Regierungen, die natürlich auch eingeladen
sind, auf dieser Konferenz über weitere, über dieses
fachlich eingrenzte Thema hinausgehende Themen zu
diskutieren.

Das Problem, über das zu diskutieren ist – zunächst
auf der SPK-Konferenz und später im Rahmen einer EU-
Konferenz –, ist ein europäisches Problem. Denn Staaten
in Europa und Menschen aus Europa sind davon betrof-
fen.

Meiner Meinung nach wird an Ihrem Antrag deutlich,
dass die FDP nicht europäisch genug denkt. Wir können
diese Herausforderung nur gemeinsam in Europa lösen.
Deshalb sollte eine Nachfolgekonferenz eine europäi-
sche Initiative sein. Das Volk der damaligen Täter lebt
heute mitten in der Europäischen Union. Auch in ande-
ren Staaten der heutigen Europäischen Union sind von
Deutschen organisiert oder von Deutschen angestiftet
und unterstützt unrechtmäßige Eigentumswechsel ge-
schehen. Die davon Betroffenen leben in Staaten Euro-
pas oder außerhalb Europas.

Die Europäische Union könnte diesen Themenkom-
plex in einer von ihr organisierten Veranstaltung auf
sinnvolle Weise weiter behandeln, zugleich andere welt-
weit geschehene Kulturgüterverbrechen thematisieren
und ausgehend von den zum Beispiel in Deutschland
durchgeführten Verfahren Lösungsansätze entwickeln.
Sie könnte die Arbeit der Fachkonferenz also auf sinn-
volle Weise aufgreifen und weiterführen.

Martin Roth, der Generaldirektor der Staatlichen
Kunstsammlung Dresden, sagt zu Recht – ich zitiere ihn –:

Es geht … nicht nur um die deutsch-jüdischen Zu-
sammenhänge, sondern wir haben alle gelernt in
den letzten Jahren, dass dieses Provenienzfor-
schungsthema und Restitutionsthema noch mal
deutlich größer ist.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber Martin Roth unterstützt den FDP-Vorschlag!)


– Ja, weil er meinen noch nicht kannte.


(Heiterkeit des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])

Ich habe heute mit ihm darüber diskutiert. Nachdem wir
kurz miteinander gesprochen haben, hat er dem viel ab-
gewinnen können, weil er merkte, dass mein Vorschlag
über Ihren Vorschlag weit hinausgeht und den Rahmen
sinnvoller und größer absteckt.

Außerdem, so Martin Roth, ist eine von Deutschen in
Deutschland organisierte Nachfolgekonferenz nicht der
richtige Rahmen. Was größer ist als Deutschland, ist Eu-
ropa. Alles, was Deutschland sinnvollerweise nicht al-
leine lösen kann, löst es in der Europäischen Union. Das
damalige, besonders große, perverse und schwierige
Verbrechen war ein deutsches. Aber es gibt in der Zeit
danach auch Probleme, die mit unseren bei der Lösung
des in diesem Zusammenhang wohl größten Problems
gemachten Erfahrungen andernorts lösbar würden. Eine
solche europäische Konferenz könnte besser und glaub-
würdiger das Thema „Best Practice“ thematisieren. Sie
könnte, wie Martin Roth formuliert hat, thematisieren,
was in anderen europäischen Ländern geschehen ist
bzw., um ihn noch einmal zu zitieren, wie „man in ande-
ren europäischen Ländern gearbeitet“ hat.

Unser Wunsch ist, dass der BKM die SPK bei der
Fachkonferenz unterstützt und begleitet und in Brüssel
die Anregung unterbreitet, dass nach Amerika in den
nächsten Jahren Europa zu einer Konferenz einladen
könnte; ob in Brüssel, in Berlin oder im UNESCO-Ort
Paris, ist egal, wenn man den richtigen Rahmen hat.
Nach den Vereinigten Staaten von Amerika bieten diesen
Rahmen die sich vereinigenden Staaten von Europa. Wer
europäisch denkt, sieht besser. Eine europäische Konfe-
renz kann besser eine sinnvolle Folgeveranstaltung der
amerikanischen Konferenz sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614522200

Das Wort hat die Kollegin Dr. Uschi Eid von Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614522300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die

Frage, wie wir unserer Verantwortung im Umgang mit
den unter dem NS-Regime enteigneten Kunst- und Kul-
turgütern gerecht werden, hat uns immer wieder beschäf-
tigt. Diese Frage ist wichtig; sie ist aber viel zu spät ge-
stellt worden. Es war 1998, als das Washingtoner
Abkommen Klarheit brachte und die Weichen für faire
und gerechte Lösungen gestellt hat.

Vor zwei Jahren kam es in Deutschland zu einer kon-
troversen Debatte über die Rückgabe des Kirchner-Ge-
mäldes „Berliner Straßenszene“. Doch der Eindruck, den
manch einer damals angesichts des spektakulären Ein-
zelfalls zu erwecken versuchte, ist falsch: Es gibt keinen
Bedarf, die Restitutionspraxis infrage zu stellen. Es gibt
ganz im Gegenteil eine ziemlich erfolgreiche Rückgabe-
realität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid
In 90 Prozent aller Fälle kommt es zu einer gütlichen Ei-
nigung; die meisten Rückgabestücke besitzen vor allem
einen hohen emotionalen Wert. Trotzdem wurde ver-
sucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Prinzipien
und Ideen der Washingtoner Erklärung nicht einer fairen
und gerechten Lösung dienen, ja dass sie nur den Pro-
fitinteressen des internationalen Kunsthandels nutzen.
Vor diesem Hintergrund hat die FDP einen Antrag ge-
stellt, den sie Ende letzten Jahres noch einmal umge-
schrieben hat.

Das Thema Restitution wurde im Ausschuss intensiv
und ernsthaft diskutiert. Der Ausschuss hat dazu eine
Anhörung durchgeführt, in der nicht nur die Praxis in
Deutschland, sondern auch die Erfahrungen im Ausland
beleuchtet wurden. Die Anhörung war ein großer Schritt
zu einer Versachlichung der Debatte. Staatsminister
Neumann hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die breit
besetzt war, und er hat einige Punkte der Kritik an der
gegenwärtigen Praxis in Deutschland aufgenommen.
Konsens ist und bleibt – das ist immer wieder deutlich
geworden –, dass es keine Abstriche an der Washingto-
ner Erklärung gibt. Das ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum die FDP nach dieser ausführlichen Bestands-
aufnahme und den Ankündigungen des Staatsministers
ihren alten Antrag wieder einbringt, verstehe ich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Grütters [CDU/CSU] und der Abg. Monika Griefahn [SPD])


Eine Neuauflage der Washingtoner Konferenz in
Deutschland geht an der Realität vorbei. Der Antrag sen-
det zudem ein falsches Signal, nämlich dass wir eine
vermeintlich günstigere Rückgabepraxis erreichen wol-
len. Doch „günstig“ ist eine Terminologie, die bei nie
verjährendem Unrecht unpassend ist.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD] – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wer hat denn von „günstig“ gesprochen?)


Es ist zu begrüßen, dass die Diskussion, die wir in den
vergangenen Monaten geführt haben, Früchte trägt. Der
Vorschlag, eine Stelle für Provenienzrecherche einzu-
richten, ist richtig, auch wenn darüber gestritten werden
kann, wie weit die dafür bereitgestellten Gelder reichen;
dazu haben sich ja auch die Kolleginnen und Kollegen,
die vor mir gesprochen haben, geäußert. Um die Her-
kunftsforschung ist es an deutschen Museen schlecht be-
stellt; das hat die Expertenanhörung im Kulturausschuss
gezeigt. Es ist richtig, die Zusammenarbeit der Magde-
burger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste mit
den Museen vor Ort auf eine breitere Grundlage zu stel-
len. Allerdings sind die finanziellen und personellen
Engpässe in vielen Museen, die eine eigenständige For-
schung behindern, damit noch nicht beseitigt.

Einige Rahmenbedingungen sind neu justiert worden,
sodass die Notwendigkeit einer Evaluation der Rückga-
bepraxis, wie im Antrag vorgesehen, nicht ersichtlich ist.
Deshalb ist eine Neuauflage oder „Nachfolgeveranstal-
tung“ der Washingtoner Konferenz in diesem Herbst aus
der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen nicht erforderlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Grütters [CDU/CSU])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614522400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Rita Pawelski von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Pawelski (CDU):
Rede ID: ID1614522500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ste-

hen auch 63 Jahre nach Kriegsende in der moralischen
Verpflichtung, das von den Nazis gestohlene Kulturgut
weiterhin aktiv zu suchen und den rechtmäßigen Besit-
zern zurückzugeben. Darum steht Deutschland uneinge-
schränkt zu den Vereinbarungen der Washingtoner Er-
klärung von 1998. Wir erfüllen die eingegangenen
Verpflichtungen.

Staatsminister Neumann hat drei wesentliche Neue-
rungen auf den Weg gebracht: Erstens. Seit dem
1. Januar 2008 hat die Arbeitsstelle für Provenienzfor-
schung und -recherche die Arbeit aufgenommen.


(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Hat sie nicht!)


– Hat sie seit Januar.

Zweitens. Bei der in 2001 eingerichteten Koordinie-
rungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg wurde
ein Fachbeirat etabliert.

Drittens. Die maßgeblichen Handreichungen wurden,
wie gefordert, überarbeitet und werden ständig aktuali-
siert. Sie helfen gerade den kleineren Museen, weil sie
sehr detailliert zeigen, wie geraubte Kunst aufgespürt
werden kann. Es gibt eine Checkliste, die abgearbeitet
werden kann. Das ist gerade für kleinere Museen eine
große Hilfe.

Diese Bundesregierung hat gehandelt. Die von ihr be-
schlossenen Maßnahmen tragen entscheidend dazu bei,
dass die Provenienzforschung in Deutschland transpa-
renter, koordinierter und nachvollziehbarer wird. Dies
hat auch die FDP bestätigt. Staatsminister Bernd
Neumann hat einmal mehr bewiesen, dass er sich nicht
scheut, sensible Themen anzupacken und erfolgreich zu
lösen.

Jetzt nähert sich der Tag, an dem sich die Washingto-
ner Konferenz zum zehnten Male jährt. Die FDP will
eine Nachfolgekonferenz, diesmal in Deutschland. Staa-
ten und Organisationen sollen berichten, wie die elf
Punkte der Erklärung abgearbeitet wurden und welche
Anstrengungen darüber hinaus unternommen werden
sollen. Was könnte außerdem das Ziel einer Nachfolge-
konferenz sein? Die Grundpfeiler für die Rückgabe von
Restitutionsgütern wurden 1998 festgelegt. Erwartet die
FDP zusätzliche, andere oder neue Grundsätze?

Außerdem, verehrter Herr Otto, sehe ich zwischen
dem heute debattierten Antrag der FDP und dem FDP-
Antrag „National bedeutsames Kulturgut schützen“ eine






(A) (C)



(B) (D)


Rita Pawelski
– ich sage es einmal freundlich – Disharmonie. In dem
Antrag vom 25. Oktober 2006 fordern Sie, dass die Ba-
lance zwischen den Interessen der Alteigentümer und
den Anliegen der Museen und öffentlichen Sammlungen
im Geiste der Washingtoner Erklärung zum Beispiel
durch eine zehnjährige Haltefrist neu justiert werden
muss. Sie fordern somit von den Eigentümern der ge-
raubten Kunstwerke etwas, was in der Washingtoner Er-
klärung auch nicht ansatzweise vereinbart wurde. Ist
dies ein Punkt, den Sie auf einer Nachfolgekonferenz ge-
klärt haben möchten?

In Ihrer am 1. Dezember 2006 gehaltenen Rede kriti-
sierten Sie die neu entstandene Restitutionsindustrie und
wollten Vorkehrungen gegen die schwarzen Schafe tref-
fen, wie Sie sagten, die ziemlich ungeniert Geschäfte
machen. Herr Otto, dies ist ein sehr sensibles Thema.
Wollen wir das wirklich auf einer Nachfolgekonferenz
diskutieren?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber Sie wollen doch auch eine Konferenz!)


Meine Damen und Herren, in dem heute debattierten
Antrag lobt die FDP, dass die Bundesregierung konkrete
und erfolgreiche Maßnahmen ergriffen hat. Dies wurde
heute bereits zu Recht mehrfach erwähnt. Um das bisher
Erreichte zu bewerten und nächste Schritte vorzuberei-
ten, brauchen wir eine Fachkonferenz der beteiligten
Museen mit Experten und Wissenschaftlern aus den ver-
schiedenen Ländern. Darum unterstützen wir die von
Staatsminister Neumann geforderte Fachkonferenz, die
mit internationaler Unterstützung dieses unglaublich
wichtige Thema aufarbeitet und uns neue Wege aufzeigt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614522600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7857 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und
des Arbeitsgerichtsgesetzes

– Drucksache 16/7716 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


– Drucksache 16/8217 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Es ist vereinbart, dass die Reden zu Protokoll genom-
men werden sollen. Dabei handelt es sich um die Reden
der Kollegen Paul Lehrieder von der CDU/CSU, Anette
Kramme, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Jörn
Wunderlich, Die Linke, und Markus Kurth, Bündnis 90/
Die Grünen.1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichts-
gesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/8217, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/7716 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegen-
stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Keine deutschen Soldaten für eine schnelle
Eingreiftruppe zur Verfügung stellen –
Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden
– Drucksache 16/7890 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke von der Fraktion
Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614522700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im

Vorfeld einer Debatte gibt es in der Regel Signale aus
anderen Fraktionen, wie sie über einen vorgelegten An-

1) Anlage 2






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
trag denken. Mich hat als Erstes die Frage erreicht,
warum wir einen Antrag einbringen, obwohl die Bun-
desregierung längst entschieden hat, die schnelle Ein-
greiftruppe nach Afghanistan zu entsenden. Die Antwort
ist relativ einfach: Gerade weil die Bundesregierung die-
sen Beschluss gefasst hat, muss der Deutsche Bundestag
dies nach unserer Auffassung korrigieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Der Deutsche Bundestag als Volksvertretung ist der
Souverän, nicht die Bundesregierung. Sie hat zu ma-
chen, was das Parlament beschließt. Wenn die Bundesre-
gierung eine Fehlentscheidung trifft, dann muss das Par-
lament als Souverän die Bundesregierung zurückpfeifen
und die Entscheidung korrigieren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Das wollen wir mit diesem Antrag, und wir wollen eine
Auseinandersetzung darüber.

Als Zweites hat mich die Frage erreicht, ob wir jetzt
jede Woche Anträge zum Thema Afghanistan in den
Bundestag einbringen wollen. Einige haben gesagt, dass
sie das nervt. Ich kann zwar verstehen, dass sie davon
genervt sind, aber solange Deutschland Krieg führt, wer-
den wir dieses Thema und unsere Gegenargumente so
häufig wie möglich im Deutschen Bundestag vorbrin-
gen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Walter Kolbow [SPD]: Wir auch!)


Das ist für uns keine Frage, die man sozusagen unter
dem Punkt Verschiedenes abhandeln kann. Für die Linke
ist die Position einer Antikriegspartei konstituierend.
Diese Position – das Nein zu Kriegen und damit auch
zum Krieg in Afghanistan – ist nicht verhandelbar.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wenn unser Antrag die Ausschüsse durchlaufen hat,
werden wir – damit Sie wissen, wie wir mit dem Antrag
weiter verfahren – im Deutschen Bundestag namentliche
Abstimmung beantragen. Denn wir wollen, dass die
Wählerinnen und Wähler wissen, wer sich in dieser
Frage wie positioniert,


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Das wissen sie jetzt schon!)


damit sie mit ihren Abgeordneten diskutieren und sie zur
Rechenschaft ziehen können. Jeder, der zur Entsendung
der schnellen Eingreiftruppe Ja sagt, muss vor der Öf-
fentlichkeit, vor den Wählerinnen und Wählern und vor
dem eigenen Gewissen die Verantwortung dafür über-
nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich denke, dass es generell zwei politische Linien
gibt, die nicht zusammenlaufen. Darum unterscheiden
sich auch die strategischen Überlegungen.
Schauen wir uns einmal die Linie bei der schnellen
Eingreiftruppe an. Es war interessant, zu sehen, wie Sie
von der Bundesregierung im Hinblick auf den NATO-Gip-
fel argumentiert haben. Sie haben argumentiert, es sei
richtig gewesen, dies ohne Aussprache im Parlament zu
entscheiden, weil Sie weiter gehende Forderungen der
USA abwehren wollten. Das Gegenteil ist der Fall. Die
Entsendung von Kampftruppen ist der Türöffner für die
Forderung nach noch mehr Truppen. Das steht doch im
Raum. Lesen Sie einmal den heutigen Beitrag des Kolle-
gen Klose, den ich leider nicht mehr sehe! Viele Abgeord-
nete aus den Reihen der Regierungskoalition sagen schon
jetzt, man müsse mehr Soldaten nach Afghanistan entsen-
den. Ich will mich mit den genannten Zahlen gar nicht
aufhalten. Sie können stimmen oder nicht. Aber nach der
Logik der jetzigen Regierungspolitik werden Sie – diese
Position werden Sie immer wieder einnehmen – mehr und
mehr deutsche Soldaten in diesen Krieg schicken. Das ist
die Logik Ihrer Politik und eines Krieges, der – das weiß
jeder in diesem Hause – militärisch nicht zu gewinnen ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behaupten wir doch gar nicht!)


– Ich habe dich gar nicht angesprochen. Aber das ist die
Logik einer solchen Politik.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber wir sagen das auch nicht!)


Wenn man aus dieser Logik heraus will, muss man Si-
gnale setzen und endlich mit dem Abzug der Truppen
beginnen. Man wird in Afghanistan keine Politik der na-
tionalen Versöhnung betreiben können, wenn immer
wieder die Gefahr einer weiteren Besetzung des Landes
droht. Eine weitere Besetzung bedeutet weitere Opfer,
weitere Verletzte und weitere Entwürdigungen. Dann
wird neuer Hass entstehen. Genau das muss man be-
kämpfen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Es gibt genau diese zwei Grundlinien: mehr Truppen
oder raus aus Afghanistan. Das ist die Logik der Ausei-
nandersetzung.

Dabei geht auch ganz schnell das Völkerrecht über
Bord. Ich habe mir den ersten Beschluss über den ISAF-
Einsatz noch einmal durchgelesen. Das ursprüngliche
Ziel war, mitzuhelfen, Kabul abzusichern. Was ist daraus
geworden? Es ist eine Kriegstruppe geworden. Ich bitte
die Bundesregierung, endlich aufzuklären, was mit den
gezielten Tötungen ist. Das kann man in einem Inter-
view mit dem deutschen ISAF-General Kasdorf nachle-
sen. Beteiligungen an gezielten Tötungen sind rechts-
widrig.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Es wird behauptet, deutsche Soldaten machten das nicht.
Wenn im Rahmen von ISAF und OEF gezielte Tötungen
betrieben werden, dann ist man aufgrund der Truppenbe-
teiligung auch an gezielten Tötungen beteiligt. Ich finde,






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Gehrcke
das ist ein katastrophaler Zustand. Klären Sie endlich,
was mit den Gefangenen oder Festgesetzten in Afghanis-
tan ist. Wir haben keinen Vertrag mit Afghanistan. An
wen werden diese übergeben? Jeder weiß, dass in afgha-
nischen Gefängnissen gefoltert wird. Wenn Sie es zulas-
sen, dass Gefangene afghanischen Organen übergeben
werden, setzen Sie die Gefangenen der Folterung aus.
Auch das ist rechtswidrig.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


All das haben Sie nicht geklärt. Wir fordern endlich
eine Erklärung vor dem Deutschen Bundestag, damit je-
der weiß, was in Afghanistan passiert und wer die Ver-
antwortung dafür trägt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614522800

Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1614522900

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Zurzeit wird die eine oder andere Überlegung ange-
stellt, ob und unter welchen Voraussetzungen man viel-
leicht mit der Fraktion Die Linke koalieren könne. Ich
kann allen, die solche Überlegungen anstellen, nur raten,
dem Antrag nicht zuzustimmen, über den wir heute de-
battieren; denn dieser Antrag zeigt die völlige Unfähig-
keit der Fraktion Die Linke, Sicherheitsvorsorge für
Deutschland zu betreiben, international Verantwortung
zu übernehmen und Bündnissolidarität zu wahren. Wa-
rum ist das so? Die Linke beantragt, dass der Deutsche
Bundestag ablehnen soll, dass deutsche Soldaten eine
Aufgabe übernehmen, die seit 2005 norwegische Solda-
ten ausgeführt haben. Die norwegischen Soldaten haben
dies unter deutschem Kommando getan.


(Zuruf von der Linken: Schlimm genug!)


Wie wollen Sie, Herr Gehrcke, das in Oslo erklären?


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gerne, ich habe da gute Partner! Die sehen das auch so!)


Wie wollen Sie, wenn Sie schon dort wären, die Passage
in Ihrem Antrag erklären, Norwegen habe durch die
Stellung der Quick Reaction Force gegen alle Regeln des
Völkerrechts verstoßen? Das ist das, was Sie hier be-
haupten.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das steht nicht drin! – Gegenruf des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist Logik!)


Was Deutschland jetzt mit der Übernahme der Quick
Reaction Force macht, ist exakt dasselbe, was Norwegen
bisher gemacht hat. Der Auftrag der Quick Reaction
Force bleibt unverändert und ist im Übrigen ein völlig
anderer, als Sie es in Ihrem Antrag, den Sie über alle
möglichen Medien, angefangen vom Neuen Deutsch-
land, vertreiben, darlegen. Es geht um Patrouillenein-
satz, es geht um die Absicherung etwa von öffentlichen
Veranstaltungen oder von Konvois, es geht um den Ein-
satz gegen gewaltbereite Menschenmengen, und es geht
um Evakuierungsoperationen, beispielsweise von Ver-
tretern der ISAF oder der internationalen Gemeinschaft.
Hier zeigt sich beispielhaft Ihre Unfähigkeit zur Solida-
rität; denn evakuiert werden müssen könnten möglicher-
weise auch zivile Entwicklungshelfer, wenn sie in Ge-
fahr geraten. Sie aber sagen: Seht einmal zu, wie ihr da
selber herauskommt. – Es geht bei der Quick Reaction
Force um Zugriffs- und Durchsuchungsoperationen. Au-
ßerdem soll sie eine taktische Reserve sein. Und es geht
auch gemeinsam mit afghanischen Streitkräften und af-
ghanischen Sicherheitskräften um offensive Operationen
gegen militante, bewaffnete Aufständische. Auch das ist
eine Frage der Solidarität; denn wir sind in Afghanistan,
und der ISAF-Einsatz heißt, dass wir den Afghanen,
auch den afghanischen Sicherheitskräften, helfen, Si-
cherheit herzustellen. Das ist der Auftrag.

Sie beschreiben in Ihrem Antrag eine Situation, die
sich ausweislich der norwegischen Erfahrungen über-
haupt nicht so darstellt. Norwegen hat im Jahr 2007
26 Einsätze in der Quick Reaction Force durchgeführt.
In der Regel waren etwa 70 Soldaten daran beteiligt. Es
handelte sich überwiegend um Aufgaben der Absiche-
rung der Provincial Reconstruction Teams, die bekannt-
lich der zivil-militärischen Zusammenarbeit dienen, der
Absicherung von Konvois oder beispielsweise der Absi-
cherung von Veranstaltungen wie der Eröffnung der
neuen Brücke, die über den tadschikisch-afghanischen
Grenzfluss Piandsch führt, im August 2007. Die Absi-
cherung war bei der Einweihung der Brücke erforder-
lich, weil dort hochrangiges Publikum anwesend war.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Brücken will die Linkspartei nicht bauen!)


Dann gab es – darüber haben wir hier schon gespro-
chen – im Grenzgebiet zwischen der Nord- und der
Westregion die Operation Yolo-2. Dabei ist es zu verein-
zelten Kampfhandlungen der afghanischen Sicherheits-
kräfte und der norwegischen Quick Reaction Force ge-
gen bewaffnete Aufständische gekommen. Es hat bisher
keinen Einsatz im Süden und auch keinen im Osten ge-
geben. Norwegen hatte bisher auch – wir hoffen natür-
lich alle, dass das so bleibt – keine Verluste durch das
Stellen der Quick Reaction Force.


(Inge Höger [DIE LINKE]: Aber die schwersten Kämpfe seit dem Zweiten Weltkrieg!)


Die Quick Reaction Force ist seit 2005 Bestandteil
der ISAF im Norden. Das ISAF-Mandat enthält die Be-
rechtigung zur Selbstverteidigung und Nothilfe, die
Berechtigung, zur Durchsetzung des Auftrags auch mili-
tärische Gewalt einzusetzen. Es ist natürlich offensicht-
lich, dass der Einsatz militärischer Gewalt, insbesondere
der Schusswaffengebrauch, auch zur Tötung von An-
greifern und Gegnern führen kann. Das ist richtig. Aber
Sie verschweigen, dass nach den Aussagen des Verteidi-
gungsministers der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
immer zu beachten ist. Das heißt, dass der Einsatz tödli-






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz
cher Gewalt dann eingeschränkt ist, wenn es mildere
Mittel gibt, die mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt wer-
den können. Die Quick Reaction Force ist also ein Teil
von ISAF und stellt wie ISAF insgesamt die Vorausset-
zungen für die Sicherheit her, die für den zivilen Wieder-
aufbau erforderlich ist. Sie ist beispielsweise erforder-
lich, damit die Überlandleitung aus Usbekistan über
Masar-i-Scharif nach Kabul fertiggestellt werden kann.
Dort wird Strom über 460 Kilometer transportiert.
200 000 Menschen werden durch diese Stromleitung an
das Elektrizitätsnetz angeschlossen werden. Ohne die
Quick Reaction Force, ohne die ISAF ist das nicht sicher
zu gewährleisten.

Auch die Umsetzung des Aufbauprogramms für den
afghanischen Mittelstand, für Handwerker, für die Land-
wirtschaft – bisher sind insgesamt etwa 15 000 Männer
und Frauen trainiert worden –, ist ohne ein einigermaßen
sicheres Umfeld nicht zu gewährleisten.

Die Lehrerausbildung in den Provinzen Kunduz,
Takhar und Badakhshan, in denen 15 Referenzschulen
aufgebaut und inzwischen 8 000 Lehrer ausgebildet wor-
den sind, ist ohne ISAF und die Quick Reaction Force
nicht durchführbar. Auch für das Entwickeln einer lega-
len Einkommensalternative zum Drogenanbau, etwa
durch Unterstützung von Viehwirtschaft, Bienenzucht
oder Obstplantagen, ist diese Absicherung notwendig.

Allein im Norden Afghanistans, für den Deutschland
eine besondere Verantwortung trägt, sind inzwischen
70 Schulen neu gebaut bzw. wieder errichtet worden,
20 Brücken, 40 Gesundheitsstationen mit Trinkwasser-
und Bewässerungsanlagen sind in 30 Dörfern wieder
hergestellt oder neu eingerichtet worden. 10 000 zurück-
kehrende Flüchtlinge sind unterstützt worden.

All das, Herr Gehrcke, war nur möglich, weil ISAF
im Norden ein vergleichsweise sicheres Umfeld geschaf-
fen hat. Damit der ISAF-Einsatz mit unseren wenigen
Truppen, die im Norden stationiert sind, wirksam organi-
siert werden kann, ist diese spezielle Ausprägung der
Quick Reaction Force notwendig. So wird ein Schuh
daraus. Wenn Sie sich dieser Notwendigkeit verweigern,
wenn die Linke die Quick Reaction Force ablehnt, dann
stellen Sie zum einen die ISAF insgesamt infrage bzw.
lehnen sie ab – aber das tun Sie ja sowieso –, aber zum
anderen gefährden Sie gleichzeitig – und das sagen Sie
so nicht – den Wiederaufbau Afghanistans. Sie provozie-
ren damit die Rückkehr der Taliban und al-Qaidas.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Damit gefährden Sie auch die Sicherheit in Deutschland.
Das ist die Konsequenz Ihres Antrags, wenn man Ihn zu
Ende denkt.

Deshalb weise ich noch einmal darauf hin: Jeder, der
meint, er könne mit Ihnen verantwortlich zusammenar-
beiten – etwa koalieren –, der sollte sich diesen Antrag
gut aufheben.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614523000

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Rainer Stinner von

der FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1614523100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Polenz, Sie haben versucht, die Fraktion Die
Linke mit logischen Argumenten zu überzeugen.


(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Das ist so meine Art!)


Ich gebe zu, diesen Versuch werde ich nicht wiederho-
len.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Eure Logik haben wir auch nicht!)


Ich bin aber dankbar, dass Sie diese Diskussion am
Laufen halten und wir unsere Positionen dazu klarma-
chen können, vor allem, dass die Regierung ihre Position
zu diesem Thema nachhaltig klarmachen kann.

Völlig klar ist – Sie haben es gesagt –: Die Quick Re-
action Force, die Eingreiftruppe, ist notwendig, damit
wir den Auftrag, den wir in Afghanistan haben, erfüllen
können. Wir haben zusammen mit der afghanischen Re-
gierung einen Stabilisierungsauftrag. Zur Umsetzung
dieses Auftrages gehört am Ende des Tages eventuell
auch – wenn es notwendig ist – der Einsatz militärischer
Gewalt. Das sollten wir gar nicht beschönigen, sondern
deutlich ausdrücken: Wenn es zur Erfüllung unseres Auf-
trags notwendig ist, dann muss eventuell militärische Ge-
walt eingesetzt werden. Das ist die Wahrheit, das bein-
haltet auch das ISAF-Mandat. Die norwegischen
Soldaten haben das in den letzten Monaten unter deut-
schem Kommando in fabelhafter Weise umgesetzt. Und
es ist – wie gesagt – überhaupt nicht einzusehen, warum
das, was unter deutschem Kommando stattfindet, nicht
auch von deutschen Soldaten ausgeführt werden sollte.
Das ist ein ganz normaler Vorgang.

Von daher müssen wir ganz klar festhalten, meine Da-
men und Herren: Mit Blick auf das Mandat handelt es
sich nicht um eine neue Qualität des Einsatzes, sondern
der Einsatz der Eingreiftruppe geschieht im Rahmen des
bisherigen Mandats. Deutschland muss für diese Auf-
gabe neue Kompetenzen und Kapazitäten bereitstellen.
Damit hat das Ministerium noch genügend zu tun.

Die Debatte zeigt aber auch, wie konfus in der Bun-
desrepublik insgesamt über das Mandat, über Mandatie-
rung und Mandatserfüllung diskutiert wird und wie kon-
fus insbesondere die Regierung mit diesem Thema
umgeht. Der Kern unserer Diskussion ist doch, wie we-
nig die Öffentlichkeit aufgeklärt wird und vor allen Din-
gen wie wenig die Öffentlichkeit bei dieser schwierigen
Aufgabe mitgenommen wird.

Die Regierung versucht bis zum heutigen Tage fast
krampfhaft immer noch den Eindruck zu erwecken, es
gehe in Afghanistan primär darum, Brücken zu bauen
und Schulen einzuweihen. Das ist ohne Zweifel wichtig.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Stinner
Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es geht eben
auch um anderes. Daher kann ich nicht verstehen, dass
bis zum heutigen Tage auf der Homepage der Bundesre-
gierung steht: Der Kampf gegen die Taliban findet nur
im Rahmen der OEF statt, und es gibt eine strikte Tren-
nung zwischen ISAF und OEF. Nein, das stimmt nicht.
Auch im Rahmen von ISAF wird gegen die Taliban ge-
kämpft, nicht nur im Süden, sondern auch im Norden.
Das ist ein Faktum. Die Operation „Harekate Yolo“ war
genau so ein Fall. Das müssen wir doch zur Kenntnis
nehmen.

Diese Unsicherheit führt dazu, dass auch in den Rei-
hen der Koalitionsfraktionen in den ersten Wochen die-
ser Diskussion eine gewisse Unsicherheit geherrscht hat.
Es ist zum Beispiel ein Gegensatz zwischen Stabilisie-
rung und Kampfeinsatz konstruiert worden. Das ist kein
Gegensatz; das gehört eventuell zusammen. Es soll nicht
im Vordergrund stehen; das wissen wir alle. Dafür setzen
wir uns nachdrücklich ein.

Der Verteidigungsminister trägt leider selber zur Ver-
wirrung bei. Zwei Vokabeln – auch Herr Kollege Polenz
hat sie heute hier benutzt – trägt er wie ein Mantra vor
sich her: „Selbstverteidigung“ und „Verhältnismäßig-
keit“. Lieber Herr Polenz, Verhältnismäßigkeit ist eine
Maxime jeden staatlichen Handelns. Das gilt für die Ber-
liner Polizei und für alle anderen. Daher ist es selbstver-
ständlich, dass wir verhältnismäßig vorgehen und nicht
mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Wir müssen der Öffentlichkeit deutlich sagen: Im
Notfall geht das, was wir militärisch tun, über die Selbst-
verteidigung hinaus – auch in Afghanistan. Die Schilde-
rung der norwegischen Soldaten, die wir im Fernsehen
zur Kenntnis nehmen konnten, zeigt doch, dass das, was
sie getan haben, über eine militärische Selbstverteidi-
gung hinausging. Das muss die Bevölkerung wissen; das
müssen auch unsere Soldaten wissen. Hier gibt es leider
eine weitere Grauzone: Die Soldaten sind sich nicht be-
wusst, was sie in Afghanistan wirklich tun dürfen, lieber
Kollege Siebert. Das heißt, sie wissen nicht, welche
Funktionen, welche Fähigkeiten und welche Kompeten-
zen sie eigentlich haben.

Ich habe im Verteidigungsausschuss versucht, eine
Diskussion darüber anzuregen, um mehr zu erfahren.
Das Ergebnis war: Die Bundesregierung setzt jetzt, im
Februar 2008 – wir sind schon sechs Jahre in Afghanis-
tan –, eine Arbeitsgruppe ein, um uns diese Frage im
Ausschuss in 14 Tagen kompetent beantworten zu kön-
nen.


(Marina Schuster [FDP]: Das ist zu spät!)


Dazu sage ich deutlich: Das ist blamables Regierungs-
handeln. Die Soldaten haben Besseres verdient.


(Beifall bei der FDP)


Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, den Sinn
dessen, was dort getan wird, der Bevölkerung klarzuma-
chen. Daran muss wirklich gearbeitet werden. Meine
Damen und Herren von der Regierung, nur so können
Sie den bodenlosen Argumenten der Linken nachhaltig
den Boden entziehen.
Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614523200

Das Wort hat der Kollege Niels Annen von der SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1614523300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Gehrcke, wenn ich es richtig in Erinnerung
habe, haben Sie gesagt, Sie wollten jede Gelegenheit
nutzen, um an dieser Stelle Ihre Position darzulegen,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!)


und Sie hätten gehört, das nerve uns und wir sähen das
als Ritual an.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Genau!)


Ich sage Ihnen: Lassen wir uns gemeinsam auf diese
Diskussion ein. Ich fürchte mich überhaupt nicht vor
dieser Debatte. Eine Parlamentsarmee benötigt nämlich
die öffentliche Auseinandersetzung über die Grundsätze
des Einsatzes der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten.
Diese Auseinandersetzung muss in der Öffentlichkeit, in
diesem Hohen Hause, in der Bundesregierung, überall
dort, wo es die Menschen bewegt, geführt werden.


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege, dagegen, dass Sie „Wir brauchen die
Diskussion in der Öffentlichkeit“ sagen, ist nichts einzu-
wenden, aus Gründen der Legitimation unseres Einsat-
zes und auch weil es für die Soldatinnen und Soldaten,
die dort Dienst leisten, wichtig ist, zu wissen, dass sie
die Unterstützung dieses Hauses haben, dass es also ein
Verständnis für diese schwierige Mission gibt.

Sie sind aber auch gefordert. Sie sollten hier keinen
Antrag vorlegen, bei dem es offensichtlich eigentlich nur
darum geht, Stichwörter wie „völkerrechtswidrig“ oder
„Verwicklung in einen wie auch immer gearteten Krieg“
zu geben und eine entsprechende Assoziation herzustel-
len. Das ISAF-Mandat, über das wir hier reden, und die
Quick Reaction Force, über die wir hier diskutieren, sind
beide glasklar durch das Völkerrecht legitimiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie entwerten mit dieser Form der Ritualisierung
– nicht mit der regelmäßigen Debatte; von mir aus kön-
nen wir jeden Tag in der Sitzungswoche darüber debat-
tieren; damit habe ich gar kein Problem – Teile der Ar-
gumente. Ich würde sagen: Lassen Sie uns in diesem
Haus eine kritische Debatte führen, auch über die Frage,
ob die Strategie von Counter Insurgency gerade im Sü-
den, aber auch im Osten Afghanistans Erfolg haben
kann. Das ist eine Frage, die auch auf der NATO-Gipfel-
konferenz jetzt zur Debatte steht.

Unsere Strategie der vernetzten Sicherheit, unsere
Strategie, die darauf setzt, miteinander ins Gespräch zu
kommen, aber auch das klare Bekenntnis dazu, dass man
in Afghanistan einen Teil „militärische Absicherung“






(A) (C)



(B) (D)


Niels Annen
braucht, all das kann zu der Erkenntnis führen, dass es
eine Quick Reaction Force braucht, wie das in den ver-
gangenen Monaten und Jahren ja auch vorgekommen ist.
So führen wir eine seriöse Debatte.

Der Kollege Polenz hat zu Recht erwähnt, seit wann
die Norweger dort unter deutschem Kommando Dienst
tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wann hat es in diesem Hause, Herr Kollege Gehrcke,
eine von Ihnen beantragte Debatte über die Arbeit der
norwegischen Soldaten im Rahmen der Quick Reaction
Force gegeben? Ich kann mich nicht daran erinnern.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Souverän ist das Parlament. Ich unterschreibe
diesen Satz. Das bedeutet für jeden von Ihnen und für je-
den von uns: Wir werden uns für unsere Entscheidung
den Wählerinnen und Wählern stellen; gar keine Frage.
Ich will die einzelnen Punkte nicht wiederholen, weil sie
ausreichend dargestellt worden sind. Ich stimme dem zu,
was zu den Aufgaben der Quick Reaction Force und zu
den Absicherungsnotwendigkeiten gesagt worden ist.

Wenn wir uns jetzt die Diskussionslage in Deutsch-
land und innerhalb des Bündnisses anschauen, erkennen
wir: Es gibt Punkte, über die wir uns Gedanken machen
müssen. Ich bedauere ein wenig, dass ein unseriöser
Zungenschlag hineinkommt. Fakt ist: Die Menschen in
Deutschland zweifeln daran, dass es die richtige Ent-
scheidung war, mit Soldaten nach Afghanistan zu gehen.
– Jeder von uns erfährt das – in Bürgergesprächen, Anru-
fen, Mails, Briefen. Damit müssen wir uns auseinander-
setzen; gar keine Frage. Deswegen glaube ich – das sage
ich auch mit Blick auf Bukarest –: Die Menschen wer-
den sich nicht überzeugen lassen, wenn man einfach nur
sagt: Die Glaubwürdigkeit des Bündnisses NATO steht
infrage, wenn wir in Afghanistan scheitern. – Wir müs-
sen sagen, welcher Weg der richtige Weg für Afghanis-
tan ist. Der militärische Aspekt wird einer sein, auf den
wir uns in Zukunft werden verlassen müssen.

Sie aber, Herr Kollege Gehrcke, sprechen für eine
Fraktion, die es sich immer zugutehält, das Militär nicht
in den Mittelpunkt zu rücken. Mit dieser Form der De-
batte rücken Sie das Militär aber jede Woche in den Mit-
telpunkt.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Deswegen denke ich, dass wir das von Ihnen angesto-
ßene Ritual in Zukunft nutzen sollten, um über folgende
Fragen zu sprechen: Wie schaffen wir wirklich vernetzte
Sicherheit? Was können wir beim Polizeiaufbau besser
machen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie können wir mit den NGOs besser zusammenarbei-
ten? Dann könnte vielleicht, gegen Ihre Intention, aus
dieser Debatte wirklich etwas Konstruktives herauskom-
men. Es könnte auch herauskommen, dass der Einsatz
unserer Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Quick
Reaction Force wirklich die politische Legitimation be-
sitzt, die diese für ihre Arbeit brauchen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614523400

Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin von

Bündnis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614523500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer gegen

ISAF ist, ist auch gegen QRF – das ist logisch. Jemand,
der immer schon gegen ISAF war, behauptet nun, die
QRF sei eine neue Qualität.


(Zuruf von der LINKEN: Ist das keine neue Qualität?)


Das allerdings dementieren Sie in Ihrem eigenen Antrag.
Sie schreiben:

… keine deutschen Soldaten dem ISAF-Kom-
mando für den Austausch

– ich zitiere die Linkspartei –

der norwegischen schnellen Eingreiftruppe … zur
Verfügung zu stellen;

Das heißt, der Antimilitarismus der Linkspartei beginnt
dann, wenn es deutsche Soldaten betrifft und nicht mehr
norwegische.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die nationalistische Note!)


In der Tat ist es so, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land im Rahmen ihrer Verantwortung für den Norden mit
einem Zehntel der ISAF-Truppen ein Viertel des Landes
relativ stabil hält.

Ich finde es schon interessant, wie dieser Einsatz im
Norden einerseits von Briten und Amerikanern und an-
dererseits gelegentlich von Ihnen, Herr Gehrcke, verzerrt
dargestellt wird. Ich glaube, dass Herr Annen recht hat.
Ich wünschte mir, aufseiten der Regierung würde gehört,
was er hier gesagt hat; denn in der Tat brauchen wir ei-
nen Strategiewechsel und ein anderes Herangehen. Ich
habe heute in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass je-
mand aus Ihren Reihen meint, wir brauchten keinen
Strategiewechsel, sondern mehr Soldaten. Es sei unsoli-
darisch, schreibt Herr Klose an dieser Stelle.

Dieser Haltung möchte ich die Haltung von jeman-
dem entgegensetzen, bei dem wir unterstellen sollten,
dass er weiß, was er gerade tut. Am gleichen Tag, an
dem dieses Plädoyer von Herrn Klose zu lesen war,
wurde im Tagesspiegel ein Interview mit Brigadegeneral
Dammjacob veröffentlicht. Auf den Vorhalt, „es dürfe
keine Zweiteilung der NATO in Kämpfer und Aufbauer
geben“, sagte Herr Dammjacob:






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin
Ich kann ja nicht durchs Land ziehen und Feinde
suchen, die ich erschießen kann.

Herr Dammjacob sagte später:

Wir versuchen hier klarzumachen, dass wir keine
Besatzer sind, sondern helfen wollen.

Daraufhin fiel dem Tagesspiegel – so weit sind wir
schon – die Frage ein:

Was sagen Sie Leuten, die meinen, Sie bestechen
die Leute?

Herr Dammjacob antwortete:

Den Gedanken finde ich ziemlich absurd. Für wel-
che Gegenleistung sollte ich den Afghanen denn
bestechen?

Darauf folgte die Antwort:

Damit er nett bleibt.

Herr Dammjacob:

Na, das ist ja interessant. Ich gehe davon aus, dass
der von vornherein nett ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit diesen einfachen Worten hat der kommandie-
rende General den Ansatz Deutschlands und den Kern
der deutschen Strategie im Rahmen von ISAF zutreffend
beschrieben.

Wir dürfen im Streit über die Strategie – sie wird im
Süden in dieser Form nicht umgesetzt – nicht weiter der
bisherigen Logik folgen und sagen: Letztes Jahr haben
wir 500 Soldaten mehr geschickt; dieses Jahr schicken
wir eventuell 1 000 Soldaten mehr. Auch dazu hat Herr
Dammjacob etwas gesagt, und zwar auf die Frage, ob er
1 000 weitere Soldaten in Afghanistan brauchen könne:

Ich komme mit dem aus, was ich habe. Und ich for-
dere nicht mehr Soldaten.

Deswegen muss sich die Regierung beim NATO-Gip-
fel in Bukarest in der Tat für einen Strategiewechsel ein-
setzen. Dort, wo ein Strategiewechsel vollzogen wurde,
zeigen sich Erfolge. Ich weise darauf hin, dass der
Mohnanbau im Norden anders als im Süden zurückge-
gangen ist. Es ist mittlerweile gelungen, im Osten Aus-
gleichsmaßnahmen zu ergreifen: Stammesältere sorgen
mit den Aufständischen über die Tribal Liaison Offices
in bestimmten Bereichen für Sicherheit. Es gibt inzwi-
schen Aufbauprojekte der GTZ, die endlich – mit einem
Jahr Verzögerung – auch im Süden aufgenommen wur-
den. Das heißt, das Bild von Afghanistan ist kein Bild
der durchgehenden Verschlechterung, sondern das Bild
einer unterschiedlichen Entwicklung. Wir können heute
feststellen, dass dort, wo ein Strategiewechsel erfolgt ist,
dies zu Erfolgen geführt hat.

Bevor ich zu meinem Schlusssatz komme, muss ich,
glaube ich, die Luft anhalten.


(Heiterkeit)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614523600

Erlauben Sie zum Schluss eine Zwischenfrage? –

Bitte schön.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1614523700

Herr Kollege Trittin, angesichts des Lobes über die

deutsche Strategie im Norden frage ich Sie: Würden Sie
gleichwohl erstens einräumen, dass die Taliban im Sü-
den Afghanistans – auch weil sich dort überwiegend
paschtunische Stammesgebiete befinden – per se einen
stärkeren Rückhalt als im Norden hatten? Würden Sie
zweitens einräumen, dass die Rauschgiftanbaugebiete
im Süden von vornherein stärker als im Norden verbrei-
tet waren? Würden Sie also einräumen, dass die Tatsa-
che, dass die Erfolge im Süden noch ausstehen, nicht al-
lein – auch nicht in erster Linie – einem anderen
strategischen Vorgehen geschuldet ist, sondern dass die
Lage im Süden vielerorts offensichtlich ein anderes Vor-
gehen erforderlich macht?


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614523800

Herr Polenz, ich glaube, darüber kann niemand hin-

wegreden; das tut übrigens auch Herr Dammjacob in
dem Text nicht.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber Sie!)


– Nein. Ich habe vier Minuten Redezeit, und Herr Polenz
gibt mir jetzt die Gelegenheit, das Ganze etwas ausführ-
licher darzustellen. Das freut mich; ich bedanke mich
dafür. – Es ist in der Tat etwas anderes, wenn Sie eine of-
fene Grenze haben, über die nachts immer wieder Leute
kommen können, die dann bei stärkerem militärischen
Druck entsprechend wieder entfliehen können. Deswe-
gen ist das, was ich hier gesagt habe, auch nicht als Kri-
tik zum Beispiel an den Niederländern zu verstehen, die
dort mit einem ganz ähnlichen Konzept wie die Deut-
schen ebenfalls größere Probleme haben, nur unter ande-
ren Schwierigkeiten. Wir müssen gemeinsam feststellen
– deswegen habe ich die Beispiele aus dem Tribal Liai-
son Office im Osten und der GTZ im Süden genommen –,
dass der Ansatz, Aufbau und Sicherheit miteinander zu
verknüpfen, was dort unter schwierigen Bedingungen
umgesetzt werden muss, richtig ist, dass aber ein Ver-
ständnis, wie es sich in vielen Kommandoaktionen nie-
dergeschlagen hat, nämlich dass es dort einen Feind gibt,
den man militärisch zerschlagen müsste, kontraproduk-
tiv gewesen ist.

Das ist der Grund, warum wir für einen Strategie-
wechsel im Norden wie im Süden plädieren. Ich glaube,
das ist der richtige Weg. Sowohl der Einsatz von immer
mehr Soldaten als auch der blanke Abzug würde in die
Irre führen. Es würde zu mehr Krieg führen. Wir müssen
an dieser Strategie festhalten, und wir müssen sie für
ganz Afghanistan durchsetzen. Das ist die Herausforde-
rung, vor der diese Bundesregierung steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614523900

Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Winkelmeier.






(A) (C)



(B) (D)


Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614524000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es

ist schon erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit auch in
dieser Debatte wieder geleugnet wird, dass die schnelle
Eingreiftruppe eine neue Qualität im Krieg in Afghanis-
tan darstellt. Herr Polenz, ich glaube, die Linke muss
auch nicht der Bevölkerung in Norwegen erklären, dass
es nichts nutzt, die Probleme dort mit militärischen Mit-
teln zu lösen, sondern dass man diese in erster Linie mit
zivilen Mitteln lösen muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Die norwegische Bevölkerung hat in ihrem Parlament
durchgesetzt, dass die Ausgaben für die Rüstung in Af-
ghanistan heruntergefahren und gleichzeitig die Zivil-
ausgaben erhöht werden. Ich glaube, das ist ein sehr gu-
tes Beispiel. Dem sollte sich unsere Regierung
anschließen.


(Beifall bei der LINKEN)


86 Prozent der Deutschen wollen trotz Ihrer Propa-
ganda nicht, dass die Bundeswehr sich an Kampfeinsät-
zen beteiligt. Die Bundesregierung müsste doch allmäh-
lich gelernt haben, dass ihre Öffentlichkeitsarbeit nach
der Methode „Weichspülen und Einlullen“ das genaue
Gegenteil des angestrebten Zwecks bewirkt. Die Bevöl-
kerung wohnt schließlich nicht hinter dem Mond. Sie
bekommt doch mit, dass der ursprüngliche Unterstüt-
zungsauftrag der ISAF-Truppe inzwischen Aufstandsbe-
kämpfung heißt. Das beinhaltet auch gezieltes Töten.

Sie sieht die Folgen dieses Strategiewechsels, näm-
lich die dramatische Zunahme der Zahl der Anschläge in
den letzten anderthalb Jahren, die sich selbst in diesem
schweren und harten afghanischen Winter mit bis zu
90 Anschlägen pro Woche auf einem hohen Niveau be-
wegt.

Heute debattieren wir über 250 Soldaten für eine
schnelle Eingreiftruppe. Zur selben Zeit denken Regie-
rung und Koalitionsspitzen aber schon halböffentlich
über die Aufstockung des deutschen Kontingents um
weitere 1 000 Soldaten nach. Ich sage Ihnen: Wenn Sie
glauben, damit den Pentagon-Chef besänftigen zu kön-
nen, dann sind Sie schief gewickelt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Klose redet in der heutigen Ausgabe der Süd-
deutschen Zeitung Klartext. Dort sagt er, was die Spitzen
von SPD und CDU/CSU wirklich denken: „Gleiches Ri-
siko für alle … Warum wir in Afghanistan sind, und wa-
rum unsere Soldaten auch in den Süden müssen.“


(Walter Kolbow [SPD]: Als Fraktionsloser können Sie gar nicht wissen, was in einer Fraktion los ist!)


Der Artikel zeigt, wohin die Reise in Afghanistan ge-
hen wird. Ich sage Ihnen: Nach sechs Jahren Kriegsbe-
teiligung geraten wir in einen immer tieferen Kriegs-
sumpf. Das sage ich Ihnen, Herr Kolbow, auch als
Fraktionsloser; denn auch als Fraktionsloser habe ich
eine Meinung, die ich hier vertreten können muss.

(Walter Kolbow [SPD]: Keine Ahnung von Fraktion; sonst wären Sie doch in einer!)


Dabei ist ein radikaler Schnitt erforderlich. Wir brau-
chen endlich ein politisches Afghanistan-Konzept, das
die Priorität auf die zivile Hilfe setzt.

Wie wenig Sie im zivilgesellschaftlichen Bereich vo-
rangekommen sind, zeigt der Fall des 23-jährigen Stu-
denten und Journalisten Kambaksch. Der junge Mann
sitzt in Masar-i-Scharif in der Todeszelle. Er wurde in ei-
nem Geheimprozess wegen „Abfall vom rechten Glau-
ben“ durch einen „Rat der Gelehrten“ verurteilt. Er hatte
keinen Verteidiger. Sein Vergehen war: Er hat Schriften
aus dem Internet über die Stellung der Frau im Islam
verbreitet. Nun kommt der Gipfel: Der afghanische Se-
nat hat das Todesurteil bestätigt, und Präsident Karzai
hat nicht die Absicht, ihn zu begnadigen.

Das ist die Realität in Afghanistan, an der die Bundes-
regierung mitschuldig ist.


(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Sie ist das Ergebnis einer vollkommen verfehlten Afgha-
nistanpolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614524100

Als letzte Rednerin hat die Kollegin Ursula Mogg von

der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ursula Mogg (SPD):
Rede ID: ID1614524200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach diesem Redebeitrag ist es vielleicht hilfreich, die
Debatte auf den Kern zurückzuführen, also auf das, wo-
rüber wir heute Abend debattieren wollen. Wir reden
darüber, dass die Bundeswehr 240 norwegische Soldaten
ablösen soll, die bisher die Aufgaben einer Quick Reac-
tion Force im Norden von Afghanistan im Zuständig-
keitsbereich der Bundeswehr erfüllt haben. Das wollen
wir ab Juli im Rahmen des bestehenden Mandates tun.
Dazu werden wir nicht mehr Soldaten brauchen, wie im-
mer wieder unterstellt wird, sondern es wird alles im
Rahmen des Mandats, das 3 500 Soldatinnen und Solda-
ten vorsieht, geschehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der
Linken, Sie sprechen viel über Verantwortung. Haben
Sie einmal darüber nachgedacht, dass es auch verant-
wortungslos sein kann, nichts zu tun? Ich habe den Red-
nern Ihrer Fraktion gestern mit großem Interesse in der
Debatte über das Kosovo zugehört und habe mit Entset-
zen festgestellt, dass sie einen Teil der Wirklichkeit
komplett ausgeblendet haben. In Ihrer Argumentation
findet sich der Zeitraum 1998/99 überhaupt nicht wieder.
Sie haben Milošević und das komplett ausgeblendet, wo-
rüber wir damals in diesem Hause miteinander diskutiert
haben.

Genauso blenden Sie jetzt die Tatsache komplett aus,
dass es in der Debatte über Afghanistan noch mehr zu






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Mogg
beachten gibt. Mit diesem Mandat, über das wir fortge-
setzt im Deutschen Bundestag beraten, haben wir für die
Menschen in Afghanistan eine Verantwortung übernom-
men.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da hilft es – darauf hat schon der Kollege Polenz hin-
gewiesen –, sich einmal anzusehen, was die Norweger in
den vergangenen zwei Jahren getan haben. Sie waren zu-
ständig für die Rettung der Soldaten und der afghani-
schen Zivilbevölkerung; sie haben Konvois geschützt
und sind gegen bewaffnete Gruppen vorgegangen, die
die Zivilbevölkerung bedrohen und terrorisieren. Auch
das gehört zur Wirklichkeit in Afghanistan.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihren
Antragstext zu lesen – auch darauf ist in dieser Debatte
schon hingewiesen worden –, fällt an vielen Stellen sehr
schwer, weil Sie mit nichts anderem arbeiten als mit
Unterstellungen. Der Kollege Stinner hat es schon ange-
sprochen: Nach unserem Rechtssystem und unserem de-
mokratischen Verständnis gilt das Prinzip der Verhältnis-
mäßigkeit. Wenn Sie sich mit dem beschäftigen würden,
was die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr be-
wegt, dann würden Sie wissen, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten mit gezielten Tötungen nichts im Sinn ha-
ben.


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Bei allem, was sie tun, wissen sie, dass sie Demokraten
und Staatsbürger in Uniform sind und das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit selbstverständlich beachten müs-
sen.


(Beifall bei der SPD – Erneuter Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Sie fordern in Ihrem Antrag eine rechtzeitige, wahr-
heitsgemäße und umfassende Information ein. Was ma-
chen wir denn andauernd im Plenum und in den Aus-
schüssen des Bundestages? Sie stellen sich doch selbst
ein schlechtes Zeugnis aus, wenn Sie das in dieser Art
und Weise in Ihrem Antragstext fordern.

Sie sprechen von einer Überdehnung des Mandates.
Haben Sie denn einmal in den damaligen Antragstext der
Bundesregierung geschaut, in dem steht, welche Aufga-
ben zu leisten sind und welcher Auftrag zu erfüllen ist?
Dies steht in Punkt 3 des Antrages vom 21. September
2005. Dort wird dies genau beschrieben: „Unterstützung
der Regierung von Afghanistan bei der Aufrechterhal-
tung der Sicherheit“. Was tut die Quick Reaction Force?
Genau dies tut sie.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Halten Sie das für Logik?)


„Mitwirkung an der Führung von ISAF …“, „Sicherung
des Arbeitsumfeldes des Personals …“, und zwar zivil
und militärisch. Das tut die Quick Reaction Force. Sie
brauchen nur den Antragstext von 2005 zu lesen. Sie
können unter Punkt 5 genau nachlesen, um welche ein-
zusetzenden Kräfte und Fähigkeiten es geht. Das ist alles
ganz genau aufgelistet. Es gibt kein Geheimnis in die-
sem Parlament.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614524300

Frau Kollegin Mogg, denken Sie an die Zeit.


Ursula Mogg (SPD):
Rede ID: ID1614524400

Das tue ich gerne, Herr Präsident. Obwohl: Mein

Herz ist voll, und da läuft der Mund gerne über.

Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion, dringend auf: Verbreiten Sie keine Pa-
nik! Vermeiden Sie Unterstellungen! Bleiben Sie bei der
Wahrheit und übernehmen Sie gemeinsam mit uns allen
in diesem Parlament die Verantwortung für die Men-
schen in Afghanistan! Verharmlosen will niemand.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614524500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7890 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpa-
ckungsverordnung
– Drucksachen 16/7954, 16/8123 Nr. 2.1, 16/8216 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Marco Bülow
Horst Meierhofer
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Gerd Bollmann von der
SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerd Bollmann (SPD):
Rede ID: ID1614524600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Entgegen vielen Befürchtungen ist der Entwurf der fünf-
ten Novelle zur Verpackungsverordnung ohne grundle-
gende Änderungen durch den Bundesrat verabschiedet
worden. Der Bundesrat hat sowohl dem Trennungsmo-
dell als auch dem System der Vollständigkeitserklärung






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Bollmann
zugestimmt. Unseriösen Selbstentsorgern und Trittbrett-
fahrern wird die Möglichkeit zum betrügerischen Miss-
brauch genommen. Das Ziel der Novelle, kurzfristig die
getrennte Haushaltssammlung und das gesamte System
zu stabilisieren und vor einem Zusammenbruch zu be-
wahren, ist erreicht. Die SPD stimmt daher der heute
vorliegenden Novelle zu und erwartet eine zügige Um-
setzung.

Ich will jedoch nicht verhehlen, dass wir uns in man-
chen Punkten bessere Lösungen vorstellen können. Die
Verbesserungen zugunsten der Kommunen und der Bür-
ger gehen uns nicht weit genug. Die Auflage, dass die
öffentlich-rechtlichen Entsorger bei der Vergabe der
Sammlung durch die dualen Systeme anzuhören sind,
wurde vom Bundesrat gestrichen. Begründet wird dies
damit, dass eine solche Auflage aufgrund des Verstoßes
gegen höheres Recht nicht möglich ist. Anscheinend war
das Ministerium anderer Meinung. Ich will dies nicht
kommentieren und auch nicht entscheiden, wer recht hat.
Die Auffassung des Bundesrates macht aber eines deut-
lich: Wenn wir bei der Sammlung bürgerfreundliche und
unbürokratische Lösungen wollen, müssen wir neue
Wege gehen. Wir sind weiterhin der Meinung, dass eine
Zuständigkeit der Kommunen für die Sammlung und de-
ren Ausschreibung nach wettbewerbs- und europarecht-
lichen Kriterien am sinnvollsten ist.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU])


Sicherlich gibt es unterschiedliche Auffassungen zur
besten Ausgestaltung der Verpackungsverordnung. Die
Diskussionen haben verdeutlicht: Es gibt hier weiteren
Gesprächs- und, wie ich meine, Handlungsbedarf. Die
SPD begrüßt daher, dass das Bundesumweltministerium
das von uns geforderte Planspiel durchführen wird. In
diesem Planspiel soll eine Abschätzung der Folgen der
jetzigen Novelle durchgeführt und sollen weitergehende
Änderungen durchgespielt werden. Es müssen die Mög-
lichkeiten einer grundlegenden Novellierung dargestellt
werden. Dabei müssen alle Optionen aufgezeigt werden.
Denkblockaden darf es nicht geben. Ziel muss es sein, zu
längerfristigen ökologisch und ökonomisch sinnvollen
sowie bürgerfreundlichen Lösungen zu kommen.

Anmerken möchte ich noch, dass sich die SPD auch
einer Abgabenregelung nicht grundsätzlich verschließen
wird. Die Verpackungsverordnung sollte zu einer mate-
rial- und stoffstromorientierten Regelung im Sinne der
Kreislaufwirtschaft weiterentwickelt werden. Mit der
Regelung, dass die Kommunen die Sammlung stoffglei-
cher Materialien in der gelben Tonne verlangen können,
weist die jetzige Novelle in die richtige Richtung. Eine
zukünftige Ausgestaltung der Verpackungsverordnung
muss für Kommunen und Bürger gleichermaßen verläss-
lich und handhabbar sein sowie die örtlichen Gegeben-
heiten berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Petzold [CDU/CSU])


Keinesfalls darf es zu weiteren Privatisierungen kom-
men. Die Hausmüllentsorgung gehört zur Daseinsvor-
sorge. Wir lassen nicht zu, dass daran gerüttelt wird.

(Beifall bei der SPD)


Gestatten Sie mir einige allgemeine Worte zur Abfall-
wirtschaft. In den letzten Jahren wurde immer wieder
mit dem Hinweis auf bessere technische Möglichkeiten
ein Verzicht auf die getrennte Haushaltssammlung gefor-
dert. Ich kann mir vorstellen, dass Herr Meierhofer in
seinem gleich folgenden Beitrag wieder darauf hinwei-
sen wird, dass das, was wir da machen, eigentlich völlig
überflüssig und nicht mehr zeitgemäß ist.


(Michael Brand [CDU/CSU]: So schlecht ist der Kollege Meierhofer doch gar nicht!)


Ich lehne eine technische Mülltrennung keineswegs
ab. Die Fachleute sind aber der Meinung, dass die händi-
sche Trennung derzeit bessere Ergebnisse bringt. Diese
Auffassung wurde in der Anhörung zur fünften Novelle
der Verpackungsverordnung unter anderem von Profes-
sor Dr. Pretz von der Technischen Hochschule in Aachen
bestätigt. Dies war auch das Ergebnis der großen Anhö-
rung, die wir 2004 im Bundestag durchgeführt haben.
Von acht Sachverständigen haben sich damals sieben
eindeutig geäußert. Bei der Anhörung zur fünften No-
velle habe ich diesbezüglich noch einmal nachgefragt.
Von Professor Dr. Pretz wurde diese Auffassung eindeu-
tig bestätigt. Ich denke, man muss irgendwann damit
aufhören, die Leute zu verunsichern und so zu tun, als
würde nur Blödsinn gemacht, der eigentlich völlig über-
flüssig ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Verzicht auf die getrennte Haushaltssammlung
bedeutet, dass der größte Teil des Abfalls verbrannt
wird. Mit dem Hinweis auf den Klimaschutz wird die
thermische Abfallverwertung als Möglichkeit zur CO2-
Einsparung gepriesen. Einen derartigen Vorrang für die
Verbrennung lehne ich jedoch ab. Sowohl unter Klima-
schutzaspekten als auch unter Berücksichtigung der Res-
sourcenschonung halte ich einen massiven Einstieg in
die thermische Verwertung für den ökologisch und öko-
nomisch falschen Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ob wir zur Energienutzung Rohöl oder aus Öl herge-
stellte Kunststoffe verbrennen: Die Minderung des CO2-
Ausstoßes ist in beiden Fällen nur gering. Die Bindung
von CO2-Produkten und -Stoffen ist auch unter Klima-
schutzaspekten besser. Darüber hinaus schonen wir Res-
sourcen und werden angesichts hoher Rohstoffpreise un-
abhängiger.

Eine moderne Abfallwirtschaft muss Kreislaufwirt-
schaft mit dem Ziel der Ressourcenschonung sein. Bei
der Abfallwirtschaft geht es heute nicht mehr um eine
möglichst hygienische und kostengünstige Beseitigung
des Abfalls; die Abfallwirtschaft ist heute eine moderne
Umweltindustrie, wo zahlreiche Menschen beschäftigt
und modernste Technologien eingesetzt werden. Sie ent-
wickelt sich angesichts knapper und teurer Rohstoffe zu
einem für Deutschland immer wichtiger werdenden






(A) (C)



(B) (D)


Gerd Bollmann
Wirtschaftszweig. Diese Entwicklung müssen wir weiter
fördern.

Thermische Verwertung lehnen wir natürlich nicht
grundsätzlich ab. Sie hat Vorrang vor der Deponierung.
Wenn eine stoffliche Verwertung technisch unmöglich
oder nicht bezahlbar ist, muss der Abfall thermisch ver-
wertet werden. Diese Verwertung muss den bestmögli-
chen Energieausstoß haben. Müllverbrennungsanlagen
und Ersatzbrennstoffkraftwerke müssen bessere Werte
als heute erzielen. Das ist durch den Einsatz der Kraft-
Wärme-Kopplung möglich. Damit leistet die Abfallwirt-
schaft auch noch einen Beitrag zu einer klimafreundli-
chen Energiepolitik.

In diesem Zusammenhang will ich noch hervorheben,
dass die Abfallwirtschaft allein durch das Deponierungs-
verbot einen großen Anteil an der Reduzierung von
Treibhausgasen hat. Zwischen 1990 und 2003 wurden
im Abfallbereich 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente
eingespart. Bis 2012 wird eine Einsparung von weiteren
8,4 Millionen Tonnen CO2 prognostiziert.

Zum Schluss möchte ich auf ein Problem der Abfall-
wirtschaft und der Umweltpolitik allgemein hinweisen.
Bei der Umsetzung und dem Vollzug – sei es des Depo-
nierungsverbots, der Verpackungsverordnung oder einer
ordnungsgemäßen Abfallverwertung – gibt es immer
wieder Probleme. Ich bin für Bürokratieabbau, schlanke
Gesetze und Verordnungen. Wir müssen erlassene Ge-
setze aber auch vollziehen und den Vollzug kontrollieren
können.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)


Bürokratieabbau darf nicht mit übermäßigem Perso-
nalabbau verwechselt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Umweltbehörden müssen personell so ausgestattet
sein, dass ein ordnungsgemäßer Vollzug möglich ist. Da-
für sollten wir uns gemeinsam einsetzen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614524700

Das Wort hat der Kollege Horst Meierhofer von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1614524800

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich möchte gleich mit einer Reaktion auf die Ver-
mutung, die Sie, Herr Bollmann, ausgesprochen haben,
anfangen. Natürlich wünschen wir uns mehr Wettbe-
werb. Wenn Sie sagen, momentan seien verschiedene
Alternativen nicht in der Lage, die Trennung gut durch-
zuführen, dann brauchen Sie doch keine Angst vor dem
Wettbewerb zu haben; denn diese Alternativen werden
im Wettbewerb nicht bestehen können. Das ist eine ganz
einfache Antwort darauf.

(Beifall bei der FDP)


Ich weiß nicht, warum man den Einsatz anderer innova-
tiver Techniken von vornherein ausschließen soll.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)


Es ist doch nicht ausgeschlossen, dass das möglich ist.
Sie haben einen der Experten zitiert; ich könnte Ihnen
die anderen vorhalten. Es ist nun einmal bei Anhörungen
so, dass sich jeder seine Experten einlädt. Hier war es so,
dass die Meinungen, die vorher bestanden, leider nur be-
stätigt wurden.


(Gerd Andres [SPD]: Wer war der von der FDP?)


Deswegen ist es vollkommen unzweckmäßig, wenn man
hier so tut, als wäre eine klare Aussage getroffen wor-
den.

Wir fordern die Zulassung von Alternativen. Dies
schließen Sie mit dieser Novelle aus. Das ist ein Skan-
dal. Wir wollen zu neuen Modellen kommen. Diese
Möglichkeit wird mit dieser Novelle verhindert.

Die CDU/CSU hat schon mehrfach – erst gestern wie-
der im Ausschuss – bestätigt, dass man sich nicht sicher
ist, ob man hier tatsächlich zu einer Verbesserung
kommt. Daher frage ich mich: Warum stimmt die CDU/
CSU dem zu? Das Wirtschaftsministerium hat damit
große Schwierigkeiten. Staatssekretär Pfaffenbach hat
sich schon vor längerer Zeit dagegen ausgesprochen.
Auch Herr Glos war sehr kritisch. Aber im Endeffekt
sagt man aus Gründen des Koalitionsfriedens: Wir stim-
men dieser Sache zu, obwohl wir wissen, dass es in die
vollkommen falsche Richtung geht.

Ich verstehe nicht, warum man nicht in der Lage ist,
zu sagen: Wenn jemand glaubt, ohne den Grünen Punkt,
ohne den gelben Sack genau die gleichen ökologischen
Ergebnisse zu erzielen, warum sollte man ihm das unter-
sagen? Es gibt keine Möglichkeit für einen Wettbewerb,
wenn man an der Ladentheke dafür zahlt, dass später der
gelbe Sack abgeholt wird. Das ist das Problem. Ich bin
wirklich sehr enttäuscht, dass man hier nicht in der Lage
war, in die richtige Richtung zu marschieren.

Ich muss sagen, dass die Ideen des Bundesrates zum
Teil in die richtige Richtung gegangen sind. Ich fand
zum Beispiel sehr erfreulich, dass man sich jetzt schon
überlegt, eine sechste Novelle zu erarbeiten. Das haben
auch Sie jetzt relativ positiv dargestellt. In den ersten
Debatten – ich erinnere mich daran – war das noch kein
Thema. Wir haben damals gesagt: Mit dieser großen Re-
paraturnovelle haben wir das Problem erst einmal besei-
tigt. – Wir müssen dem Bundesrat dankbar sein, dass er
diesen weiteren Schritt gegangen ist. Ich glaube nicht,
dass die CDU/CSU und die SPD in der Lage gewesen
wären, hier so schnell zu entscheiden.

Wir haben schon vor längerer Zeit einen Antrag ein-
gebracht, der nicht zu weniger Umweltschutz und weni-
ger Wettbewerb führt, sondern zu mehr. Er kann zu bes-
seren ökologischen und ökonomischen Ergebnissen
führen. Ich maße mir nicht an, zu wissen, welche Form
der Verwertung an welcher Stelle die vernünftigste ist.






(A) (C)



(B) (D)


Horst Meierhofer
Ich glaube, dass auch Sie das nicht können. Man muss
die Ziele definieren. Wie diese Ziele zu erreichen sind,
ist nicht die Aufgabe der Politiker. Sie verhalten sich an
verschiedenen Stellen so, dass man den Eindruck ge-
winnt: Wir als Bundestagsabgeordnete sind besser infor-
miert als die meisten Fachleute. Das halte ich nicht un-
bedingt für klug.


(Gerd Bollmann [SPD]: Wir hatten zwei Anhörungen!)


Deswegen glaube ich, dass wir uns an dieser Stelle nicht
für schlauer halten sollten als die Leute, die sagen, dass
es Alternativen gibt.


(Beifall bei der FDP)


Wir wollten eigentlich eine Mininovelle, die nur die
gröbsten Probleme beseitigt. Erreicht haben wir leider
das Gegenteil, nämlich einen Schritt in die vollkommen
falsche Richtung. Wir haben auf das Problem, dass es zu
wenig Wettbewerb in dieser Branche gibt, damit re-
agiert, dass wir den Wettbewerb vollkommen ausge-
schlossen haben. Ich weiß nicht, wie wir davon so
schnell wieder runterkommen können.

Ich glaube, dass die CDU/CSU gut daran getan hätte,
sich deutlicher von dem zu distanzieren, was die SPD
wollte. Es soll nicht um eine Rekommunalisierung ge-
hen, sondern um mehr Wettbewerb. Auch die Kommu-
nen haben hier andere Vorschläge. Ich freue mich auf die
Rede der Kollegin Kotting-Uhl, die hier sicherlich noch
einiges dazu sagen wird. Daran sieht man, dass das kein
Streit zwischen Links und Rechts oder zwischen Wirt-
schaft und Ökologie ist. Es geht um die starre Ansicht,
der Staat müsse alles regeln. Man ist nicht in der Lage,
zu glauben, dass man das vielleicht anders regeln
könnte. Das halte ich für ein bisschen feige.

Eine Änderung wird noch vorgenommen. Diese Än-
derung betrifft die sogenannten Brötchentüten. An dieser
Stelle muss man fast ein bisschen schmunzeln; hier sind
wir vielleicht der gleichen Meinung, Herr Bollmann.
Man hat nämlich so getan, als könne man hier einen Vor-
teil ziehen. Angesichts von 0,03 Cent pro Tüte muss
man sich mit Blick auf den Bundesrat wirklich die Frage
stellen, ob man in diesem Punkt noch viel erreicht hätte.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Es geht um den Mittelstand!)


Insgesamt bin ich enttäuscht. Wenn man ein bestehen-
des System verschärft durch „intelligente Fehlwürfe“,
indem man davon ausgeht, dass der Bürger schlauer ist
als das System, dann sollten wir uns wirklich grundle-
gende Gedanken machen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614524900

Das Wort hat der Kollege Michael Brand von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1614525000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach der Novelle ist vor der Novelle. Diesen Grundsatz
können wir heute amtlich festhalten; das wurde durch
die Äußerungen des Kollegen Bollmann deutlich. Au-
ßerdem hat die SPD-Fraktion vor dieser Debatte in einer
schriftlichen Meldung zur heutigen Beratung erklärt,
dass sie unter anderem – ich will das zitieren – „grundle-
gende Änderungen“ der Verpackungsverordnung nicht
ausschließt, wobei „alle Optionen Berücksichtigung fin-
den“ sollen. Zudem hat die SPD-Fraktion am heutigen
Tag erklärt, sie wolle – Zitat – „die Zuständigkeit und
Ausschreibung der Sammlung“ – also beides, meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen – „durch die Kommu-
nen“. Ich finde, das ist sehr bemerkenswert. Das will ich
am Ende dieser zum Teil quälenden Debatte über die
vorliegende fünfte Novelle festhalten: Wirklich zufrie-
den mit dieser Novelle ist hier im Hause wohl niemand.
Herr Kollege Meierhofer; das ist auch von uns immer
wieder thematisiert worden. Es besteht am heutigen Tag
gar kein Anlass, etwas anderes zu erklären.

Die Beobachter sind sich einig, dass die von Lobbyin-
teressen in die Öffentlichkeit gespielten Nachrichten und
Zahlen über einen unmittelbar bevorstehenden Zusam-
menbruch der haushaltsnahen Sammlung nicht den Be-
stand hatten, von dem auch das BMU berichtet hat. Den-
noch – dazu steht die CDU/CSU – mussten einige
Auswüchse bei der Entsorgung von Verkaufsverpackun-
gen endlich korrigiert werden. Deswegen hat die Union
in der Ausschusssitzung im Dezember 2005 als erste
Fraktion die Initiative ergriffen und gesagt: Wir wollen
unseriöse Verrechnungsmodelle und das Trittbrettfahrer-
tum beenden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass es mehr und nicht weniger Wettbewerb geben
wird, hat uns Umweltminister Gabriel in Aussicht ge-
stellt. Dass es mehr und nicht weniger Schutz von Res-
sourcen geben wird, hat uns Minister Gabriel ebenfalls
in Aussicht gestellt. Dass es zu einer effizienten und
nicht nur zu einer scheinbaren Bekämpfung der wirkli-
chen Trittbrettfahrer kommen wird, hat er uns ebenfalls
in Aussicht gestellt. Dass es keine das System eventuell
massiv gefährdenden Rechtsprobleme geben wird, hat
uns der Umweltminister ebenfalls in Aussicht gestellt.
Für die Union möchte ich aber sehr deutlich sagen, dass
diese Novelle vor allem die Novelle des Umweltminis-
ters Gabriel und seines Staatssekretärs Machnig ist. Dies
möchte ich betonen: Das ist uns allen klar. Nun hat die
Bundesregierung alle Änderungswünsche des Bundesra-
tes – zum Teil ging es dabei um deutliche Änderungen –
auf Empfehlung des Umweltministers übernommen.

Aus Sicht der CDU/CSU ist heute nicht der geeignete
Zeitpunkt, die Debatten der letzten Monate zu wiederho-
len. Im November letzten Jahres haben wir im Deut-
schen Bundestag im Rahmen der zweiten und dritten Le-
sung eine ausgiebige Diskussion über dieses Thema
geführt. Ich möchte festhalten: Die CDU/CSU bekennt
sich zur getrennten Erfassung und setzt sich ganz ent-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Brand
schieden für einen Wettbewerb der Systeme ein, der die-
sen Namen auch verdient.

Ich kann all das, was Kollege Bollmann mit Blick auf
die Anhörung und den Sachverständigen Herrn Profes-
sor Pretz dankenswerterweise ausgeführt hat, unterstrei-
chen. Ich glaube, dass man es sich nicht so einfach ma-
chen kann, wie es in dieser Debatte einige oftmals tun.
Man kann nicht einfach sagen: Vielleicht können wir
stoffliche und thermische Verwertung gleichstellen und
sozusagen alles durch den Schornstein jagen. So einfach,
liebe Kollegen von der FDP, ist die Wahrheit nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ob durch die vorliegende fünfte Novelle der Wettbe-
werb und die Effizienz zum Wohle von Umwelt und Ver-
brauchern gestärkt oder geschwächt werden, werden wir
genau beobachten. Ich will an dieser Stelle darauf hin-
weisen, dass das Bundeskartellamt die vom Bundesum-
weltministerium favorisierte besondere Rolle der Ge-
meinsamen Stelle in Kernelementen kritisiert und
Nachbesserungen zugunsten eines fairen Wettbewerbs
verlangt hat. In diesem Zusammenhang kommen mir
wieder die Äußerungen in den Sinn, die in der letzten
Diskussion, die wir im Deutschen Bundestag zu diesem
Thema geführt haben, von Vertretern der FDP wie der
Grünen gemacht worden sind. Auch Sie, Frau Kotting-
Uhl, haben damals gefordert, dass es zu mehr Wettbe-
werb kommen muss; das will ich ausdrücklich unter-
streichen. Wir ermutigen das BMU ausdrücklich, alles
zu unterstützen, was den Wettbewerb stärkt, und ge-
nauso alles zu bremsen, was zu einer Schwächung des
Wettbewerbs führt.

Aus Sicht der CDU/CSU gab es durchaus die reale
Chance auf einen Kompromiss für eine bessere Verpa-
ckungsverordnung; dies hat sich in der Anhörung, die
der Bundestag am 10. Oktober des vergangenen Jahres
durchgeführt hat, ergeben. Ob und inwieweit die von der
SPD bereits begonnene Debatte über eine sechste No-
velle die gewünschten Verbesserungen bringen kann,
werden wir sehen.

Es gibt weitere offene Themen. Ich nenne hier vor al-
lem den von uns und anderen angesprochenen dramati-
schen Einbruch im Bereich von Mehrweg. Die rot-grüne,
Trittin’sche Regelung zum Pfand auf Einweg ist gerade
dabei, dem ökologisch wertvollen Mehrwegsystem und
vielen mittelständischen Getränkeunternehmern in ra-
sender Geschwindigkeit den Garaus zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist im Übrigen ein perfektes Beispiel dafür – das
möchte ich an die beiden Vertreter der Grünen gerichtet
sagen –, wie „gut gemeint und schlecht gemacht“ zu mi-
serablen Ergebnissen führen kann.

Vom BMU und leider auch über die jetzt aufschreien-
den Umweltorganisationen bis hin zu manchen Länder-
vertretern wurde während des Verfahrens zu stark auf
den Grünen Punkt und damit auf Einweg geschaut. Dass
den berechtigten Anliegen der Mehrwegbefürworter
trotz einer aktuell angesetzten Novelle nicht Rechnung
getragen und das Thema vertagt wurde, ist eindeutig ein
Sieg des Grünen Punktes über den Blauen Umweltengel.
Ich will Sie hier ausdrücklich ausnehmen, Frau Kotting-
Uhl, weil Sie diese Debatte wohltuend begleitet und im-
mer geäußert haben, dass wir nicht einseitig auf den
Grünen Punkt schauen sollten.

Es wird interessant sein, zu beobachten – da will ich
das Farbenspiel aufnehmen –, ob nach dem grünen Um-
weltminister der rote Umweltminister nicht nur dem
Grünen Punkt, sondern auch dem Blauen Engel hilft.
Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind aufgeru-
fen, die Rettung des breit akzeptierten Mehrwegsystems
einzuleiten. 2010 – das sagen uns alle Beobachter – wird
es zu spät sein. Ich appelliere eindringlich an den Bun-
desumweltminister, schnell aktiv zu werden und sich als
Roter nach dem Einsatz für das Grüne nun auch für das
Blaue ins Zeug zu legen. Ansonsten sehen wir als Union
– wie könnte es anders sein? – schwarz, und zwar für das
Mehrwegsystem. Das BMU ist dringend aufgefordert, zu
handeln, statt Gutachten einzuholen. Die Mehrwegquote
bei alkoholfreien Getränken befindet sich nämlich in ra-
santem Fall: Wir haben gerade noch 31 Prozent Mehr-
weg. Das ist dramatisch und könnte ein Sterben der mit-
telständischen Industrie im Bereich des Mehrwegs
auslösen.

Auch bezüglich der konkreten Umsetzung dieser
fünften Novelle in die Praxis höre ich noch viel Skepsis.
Wir werden die Verfahren vor dem Bundeskartellamt
ebenso genau beobachten müssen wie eventuell proble-
matische Einzelregelungen. Wir warnen zudem davor,
die Handelslizensierung – also die Praxis, dass Handels-
unternehmen den Produzenten durch massiven Druck
die Freiheit abpressen, das für sie angeblich beste duale
System auszusuchen – durch die Hintertür wieder zuzu-
lassen. Wir wissen ja, wie das in der Praxis funktioniert.
Wir setzen darauf, dass sowohl der Bundesumweltminis-
ter und das Bundeskartellamt als auch die Länder dieser
Tendenz von Anfang an einen Riegel vorschieben.

Ohnehin übersehen wir als CDU/CSU nicht, dass eine
zu starke Ausrichtung auf die großen Unternehmen bei
Handel, dualen Systemen und Entsorgungsunternehmen
dazu führt, dass es Marktkonzentrationen gibt und der
Mittelstand unter die Räder eines schädlichen Konzen-
trationsprozesses geraten kann. Lieber Herr Kollege
Meierhofer, auch da muss ich Ihnen sagen: So einfach ist
die Welt nicht! Denn wenn wir nicht auf die mittelständi-
sche Struktur in diesem Bereich schauen – ohne sie über-
zogen unter Schutz zu stellen –, wird die mittelständi-
sche Wirtschaft an dieser Stelle ein Riesenproblem
haben.


(Horst Meierhofer [FDP]: Dafür brauchen wir kein Duales System!)


Wir setzen darauf, dass wir als die Mittelstandsfraktion
in diesem Parlament bei unserem Koalitionspartner auf
ein offenes Ohr treffen, wenn es darum geht, Fehlent-
wicklungen rasch zu begegnen.

Trotz aller Mängel sind wir als CDU/CSU-Fraktion
von Anfang an und bis heute als Anwalt von Umwelt






(A) (C)



(B) (D)


Michael Brand
und Verbrauchern für die getrennte, haushaltsnahe
Sammlung, für die hochwertige stoffliche Verwertung
auch im Bereich der Verpackungen; ich habe es eben un-
terstrichen. Für die Zukunft setzen wir uns für eine Wei-
terentwicklung in Richtung von Stoffströmen ein, die die
Ressourcen schonen und bei denen im Wege des stoffli-
chen Recyclings Rohstoffe zurückgewonnen werden. Es
ist ein zutiefst konservativer Ansatz – auch im Zeitalter
der Konsumgesellschaft und des teils gegebenen Ver-
packungswahns –, die Grundlagen unserer Natur zu
schonen. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wünschen wir der fünften Novelle der Verpackungsver-
ordnung den erhofften Erfolg. Die CDU/CSU-Fraktion
wird sich an der strategischen Weiterentwicklung dieses
Themas beteiligen, und dies wie gewohnt aktiv und in-
tensiv. Dabei werden wir insbesondere auf die sehr er-
gebnisreiche Anhörung im Deutschen Bundestag zu-
rückgreifen können, die vom BMU – auch dies will ich
hier sagen – bei dieser Novelle nicht ausreichend be-
rücksichtigt worden ist. Die CDU/CSU hat nach der An-
hörung am 10. Oktober einen sachlichen Dialog mit dem
Koalitionspartner versucht, der auch nach der Verab-
schiedung dieser fünften Novelle seine Fortsetzung fin-
den wird. In diesem Sinne sehen wir dem inhaltlichen
Dialog mit Interesse entgegen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614525100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter

von der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1614525200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-

serer Ansicht nach ist die Novelle zur Verpackungsver-
ordnung durch den Bundesrat nicht wesentlich verändert
worden. Darum bleiben wir bei unserer Ablehnung, ob-
wohl wir natürlich einige Ansätze begrüßen. Zum Bei-
spiel war es längst überfällig, dass sämtliche Verpackun-
gen, die typischerweise beim Endverbraucher anfallen,
haushaltsnah in gelben Tonnen oder Säcken gesammelt
werden. Wenn also sogenannte Selbstentsorger künftig
nicht mehr bei Drogerien und dergleichen, sondern nur
noch bei gewerblichen Verpackungsabfällen zulässig
sind, dann werden Schlupflöcher für Trittbrettfahrer ge-
schlossen, und das ist gut so. Die Drogerieketten brau-
chen hier keine Krokodilstränen zu vergießen. Sie dürf-
ten in den letzten Jahren ein Vermögen gespart haben.
Schließlich zahlten sie nie für den Grünen Punkt und
hatten trotzdem kaum Aufwand mit den paar Seifen-
schachteln.


(Zuruf von der CDU/CSU: Verstaatlichen!)


Weiterhin mangelhaft ist allerdings, dass es keine
Verwertungsquoten für gewerbliche Verpackungsabfälle
geben soll. Dies ermöglicht Manipulationen, weil bei der
Quotenerfüllung gewerbliche Verpackungsabfälle mit
Verpackungen von privaten Haushalten verrechnet wer-
den können.

Auch für das gegenwärtig größte Problem hat die No-
velle keine Lösung – Kollege Brand hat es angesprochen –:
Trotz des Pflichtpfands für Einwegflaschen und -dosen
sinkt die Mehrwegquote unaufhörlich. Sie haben die
Zahl schon genannt: Nur noch 30 Prozent der alkohol-
freien Getränke werden in wieder befüllbaren Ver-
packungen verkauft. In den 90er-Jahren – ich wiederhole
diese Zahl – waren es über 70 Prozent. Herr Brand, Sie
haben hier als Koalition die Mehrheit. Dann tun Sie et-
was!


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Deswegen habe ich den Umweltminister auch angesprochen! Die Exekutive ist hier ja noch getrennt von der Legislative!)


Noch ein Wort zu jenen, die das Duale System mittel-
fristig abschaffen wollen. Alternativ soll dafür eine ge-
meinsame Entsorgung aller Haushaltsabfälle eingeführt
werden. Zunächst käme also alles zusammen in eine
Tonne, und die Trennung erfolgte später durch private
Firmen und weitgehend maschinell. Zum Thema Privati-
sierung und Wettbewerb sage ich nur, Herr Meierhofer:
Wir kennen das.


(Horst Meierhofer [FDP]: Woher?)


Dann geht es nämlich mit Preisdumping und Dum-
pinglöhnen los. Wenn Sie in Regensburg von Bürgerbe-
teiligung und Transparenz sprechen, dann ist dies sehr
nett. Auf der anderen Seite führt dieser Wettbewerb zu
Dumpinglöhnen. Da ist dann nichts mehr mit Transpa-
renz, und mit der Bürgerbeteiligung ist es dann auch vor-
bei.


(Horst Meierhofer [FDP]: Unsinn!)


Nun noch einmal zur Anhörung des Umweltausschus-
ses. Die Fachleute erklärten ganz klar, dass die haus-
haltsnahe Trennung der Abfallfraktionen gegenwärtig
noch die beste und preiswerteste Art sei, um zu qualita-
tiv hochwertigen Abfallfraktionen zu kommen. Nur sol-
che lassen sich auch vernünftig stofflich verwerten.
Technik, die Gemischtabfall sinnvoll und bezahlbar im
Großmaßstab trennen kann, gibt es leider noch nicht.
Wer aber die wertvollen Sekundärrohstoffe ohnehin
durch den Schornstein jagen will, weil es schön profita-
bel ist, dem kann dies ohnehin egal sein. Genau dies ist
ja das Ziel von Pyromanen, und das lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Meierhofer [FDP]: Hat sich das auf uns bezogen?)


– Ja.


(Horst Meierhofer [FDP]: Das ist ja eine übelste Unterstellung!)


Aus diesem Grund unterstützen wir im Übrigen auch
Bürgerinitiativen, die gegen die momentan überall aus
dem Boden schießenden und meist überdimensionierten
Ersatzbrennstoffkraftwerke – kurz: EBS-Kraftwerke –
kämpfen. Wir haben das Gefühl, dass diese EBS-Kraft-
werke wieder die Müllverbrennung puschen sollen – mit






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
all ihren negativen Folgen für die Kreislaufwirtschaft
und den Verkehr und leider mit schlechteren Emissions-
werten als bei der klassischen Monoverbrennung. Dies,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir nicht zulas-
sen. Es wird Zeit, dass wir im Umweltausschuss auch
einmal über diese EBS-Kraftwerke intensiv sprechen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614525300

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt

hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1614525400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Dieses Thema – das letzte am heutigen Abend – bietet
offensichtlich ein vielfältiges Spektrum an Möglichkei-
ten, sich zu äußern. Jeder sucht sich seinen Schwerpunkt
aus. Auch ich will noch einiges hinzufügen.

Aus grüner Sicht kann man sich selten freuen, wenn
sich der Bundesrat mit umweltpolitischen Themen be-
fasst und seine Spur hinterlassen hat. Umso mehr freut
es mich, dass diesmal der Bundesrat in einem Punkt, den
in dieser Debatte noch niemand erwähnt hat, eine posi-
tive Spur hinterlassen hat. Dabei handelt es sich um die
Biokunststoffe. Der Bundesrat hat dafür gesorgt, dass
die Biokunststoffe für zwei weitere Jahre vom Pfand be-
freit sind. Das halte ich für richtig. Es geht dabei insbe-
sondere um Flaschen aus Biokunststoffen. Allerdings
wurde zur Auflage gemacht, dass sie in Zukunft zu
75 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen
und gleichzeitig biologisch abbaubar sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine gute Forderung, die aber den kleinen Fehler
aufweist, dass es diese Flaschen noch gar nicht gibt. Das
heißt, wir haben es mit einem wunderbaren Fall von In-
novationsdruck zu tun, wobei allerdings die zwei Jahre
etwas kurz sind. Das heißt, wir werden uns in absehbarer
Zeit damit befassen müssen, ob wir die Verlängerung um
zwei Jahre nicht noch etwas ausdehnen sollten, damit
der Innovationsdruck zum Ziel führen kann.

Auch die vorgelegte Novelle enthält neben dem, was
sie eigentlich regeln soll – was auch mehr oder weniger
gut gelungen ist –, durchaus positive Punkte. Für mich
war und ist vor allem entscheidend, dass die Spiel-
zeugente und die Salatschüssel – sprich: stoffgleiche
Nichtverpackungen – jetzt in der gelben Tonne entsorgt
werden dürfen, wenn die Kommune das wünscht. Aller-
dings gibt es – ich hoffe, dass Sie mir darin zustimmen –
ein großes Aber. „Wenn die Kommune das wünscht“
heißt, dass die Kommune auch die Kosten übernehmen
muss. Es gibt keine Lizenzgebühren und damit nicht ein-
mal die geringe Lenkungswirkung, die die Kommunen
heute noch ausüben.

Ich bin im Umweltausschuss vor allem von Staats-
sekretär Müller etwas dafür gescholten worden, dass wir
Grünen die Novelle ablehnen, obwohl sie das, was sie
regeln sollte, einigermaßen gut regelt – wie gesagt, so
gut oder schlecht, wie es innerhalb des bestehenden Sys-
tems möglich ist.

Ich will gerne begründen, warum wir die Novelle ab-
lehnen. Wenn ich einen Schuh habe, der mir nicht mehr
passt und dessen Absatz wackelt, dann kann ich ihn zum
Schuhmacher bringen und den Absatz reparieren lassen.
Vielleicht läuft es sich dann eine Zeit lang etwas besser,
aber der Schuh wird mir trotzdem nicht passen, und ich
werde mir Blasen holen. Das gleiche Problem haben wir
mit der Verpackungsverordnung. Sie passt nicht mehr in
die heutige Zeit. Sie wird den heutigen Aufgaben nicht ge-
recht. Die Zeiten, in denen wir uns eine Verpackungsver-
ordnung mit einem finanziellen Volumen von 1,58 Milliar-
den Euro im Jahr leisten können, um uns um 5 Prozent
der Abfälle zu kümmern, sind vorbei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Seit dem Inkrafttreten der Verpackungsverordnung
hat sich die Lage verändert. Die Frage der Nutzung von
Ressourcen stellt sich völlig anders und verschärft sich
von Jahr zu Jahr. Wir müssen Antworten auf die Fragen
finden, wie wir Wertstoffe in Ressourcen umwandeln
können, wie wir von der Abfallpolitik zu einer Ressour-
cenpolitik kommen können. Wir können es uns nicht
mehr leisten, Lizenzgebühren ohne Lenkungswirkung
für einen kleinen Teil von Abfällen zu erheben. Wir
brauchen perspektivisch für alle Produkte Ressourcenab-
gaben mit Lenkungswirkung. Notwendig ist die Ent-
wicklung dieser Verpackungsverordnung zu einer Wert-
stoffverordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen werden Ihnen zu gegebener Zeit einen
entsprechenden Antrag vorlegen. Wir haben das Kon-
zept erarbeitet. Ich hoffe, dass Sie sich angemessen da-
mit befassen und vielleicht sogar mit uns zu einer glei-
chen Meinung kommen.

Auch wenn ich nicht dem Präsidenten vorgreifen
möchte, freue ich mich, Ihnen jetzt als letzte Rednerin
einen schönen Feierabend wünschen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1614525500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung
der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8216,
der Verordnung auf Drucksache 16/7954 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Die Debatten sind beendet. Aber ich bitte Sie, noch
eine Weile hier zu bleiben, weil wir noch einige Formali-
täten zu den verbliebenen Tagesordnungspunkten zu er-
ledigen haben.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans-
Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Den Ostseeraum zur Modellregion für regio-
nale Kooperationen ausbauen und den Baltic
Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi-
schen Meerespolitik weiterentwickeln

– Drucksachen 16/7286, 16/8171 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Gero Storjohann

Wir nehmen die Reden der Kollegen Gero
Storjohann, CDU/CSU, Dr. Margrit Wetzel, SPD,
Dr. Christel Happach-Kasan, FDP, Lutz Heilmann, Die
Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen,
zu Protokoll.1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem soeben verlesenen Titel. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/8171, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/7286 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Lebensmittel- und Futtermittelge-
setzbuches sowie anderer Vorschriften

– Drucksache 16/8100 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Wir nehmen die Reden der Kollegen Franz-Josef
Holzenkamp, CDU/CSU, Dr. Marlies Volkmer, SPD,
Hans-Michael Goldmann, FDP, Karin Binder, Die
Linke, und Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen, zu
Protokoll.2)

1) Anlage 3
2) Anlage 4
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/8100 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Jens Ackermann, Michael Kauch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Feinstaub-Fahrverbote für Reisebusse sachge-
recht und unbürokratisch regeln

– Drucksache 16/7865 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss fürTourismus (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Federführung strittig

Wir nehmen die Reden der Kollegen Jens Koeppen,
CDU/CSU, Detlef Müller, SPD, Ernst Burgbacher, FDP,
Lutz Heilmann, Die Linke, und Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7865 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federfüh-
rung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit. Die Fraktion der FDP wünscht Feder-
führung beim Ausschuss für Tourismus.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
FDP abstimmen, das heißt Federführung beim Aus-
schuss für Tourismus. Wer stimmt für diesen Überwei-
sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen abstimmen, das heißt Federführung
beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor-
schlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist
der Überweisungsvorschlag bei Enthaltung der
FDP-Fraktion einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren
stoppen – Verbraucherrechte stärken

– Drucksache 16/8182 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss

3) Anlage 5






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

Wir nehmen die Reden der Kollegen Leo
Dautzenberg und Manfred Kolbe, CDU/CSU, Dr. Hans-
Ulrich Krüger, SPD, Carl-Ludwig Thiele, FDP,
Dr. Barbara Höll, Die Linke, und Dr. Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8182 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

EU-Importverbot für illegales Holz durchset-
zen
– Drucksache 16/8052 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen
von den Kollegen Cajus Caesar, CDU/CSU


(Marco Bülow [SPD]: Die hätte ich gerne gehört!)


– die wäre in lateinischer Sprache gewesen; ich weiß
nicht, ob Sie die vollständig verstanden hätten –,


(Heiterkeit – Zuruf von der SPD: Si tacuisses, philosophus mansisses!)


Dr. Gerhard Botz, SPD, Dr. Christel Happach-Kasan,
FDP, Eva Bulling-Schröter, Die Linke, und Cornelia
Behm, Bündnis 90/Die Grünen.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8052 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Freiheit und Demokratie im Südkaukasus –
Für freie und faire Wahlen 2008
– Drucksache 16/7864 –

1) Anlage 6
2) Anlage 7
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Hüseyin-
Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Europäische Nachbarschaftspolitik zur Förde-
rung von Frieden und Stabilität im Südkauka-
sus nutzen

– Drucksache 16/8186 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen
werden. Sie stammen von den Kollegen Manfred Grund
und Eduard Lintner von der CDU/CSU-Fraktion,
Markus Meckel, SPD, Markus Löning, FDP, Dr. Hakki
Keskin, Die Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/
Die Grünen.3)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/7864 und 16/8186 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien
für eine kritische Überprüfung der Entwick-
lungszusammenarbeit nutzen und an Bedin-
gungen knüpfen

– Drucksache 16/5615 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen
von der Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU,
Dr. Sascha Raabe, SPD, Dr. Karl Addicks, FDP, Heike
Hänsel, Die Linke, und Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die
Grünen.4)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5615 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist so. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

3) Anlage 8
4) Anlage 9






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 22. Februar 2008,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.