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ID1614508500

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    Plenarprotokoll 16/145 und zur Änderung damit zusammen- hängender Vorschriften (Drucksache 16/8148) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung Erneuerbarer Ener- gien im Wärmebereich (Erneuerbare- Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG) (Drucksache 16/8149) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ach- ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (Drucksache 16/8150) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Fornahl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: 15237 A 15237 A 15237 A 15249 B 15251 B 15253 A 15255 A 15256 A 15257 D 15258 B 15259 D Deutscher B Stenografisc 145. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Georg Brunnhuber . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 23 und 25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des Rechts der Er- neuerbaren Energien im Strombereich 15235 A 15235 B 15235 B 15236 D Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) über die Bestandsaufnahme und den undestag her Bericht tzung en 21. Februar 2008 l t : Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes Erneuerbare-Energien- Technologien 2003/2004 (Drucksachen 15/5938, 16/480 Nr. 1.17, 16/4962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU) . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 15237 B 15237 C 15239 D 15241 B 15242 D 15245 A 15246 C 15248 A Unterrichtung durch die Bundesregierun Straßenbaubericht 2007 (Drucksache 16/7394) . . . . . . . . . . . . . . . . . g: . 15262 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Wolfgang Tiefensee, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Klaus W. Lippold (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Vogelsänger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Klaas Hübner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der Entschließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkom- mens vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial (Drucksache 16/8151) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der Flächener- werbsverordnung (Flächenerwerbsän- derungsgesetz – FlErwÄndG) (Drucksache 16/8152) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Hopfenge- setzes (Drucksache 16/8153) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutz- systeme auf Schiffen (AFS-Gesetz) (Drucksache 16/8154) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Sech- zehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes (16. WSGÄndG) (Drucksache 16/8188) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Hartfrid Wolff (Rems- Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Handgepäck von Flug- reisenden auf den Prüfstand stellen (Drucksache 16/6641) . . . . . . . . . . . . . . . . 15262 B 15263 C 15264 D 15266 D 15267 D 15269 A 15270 B 15271 D 15273 A 15273 B 15273 B 15273 B 15273 C 15273 C g) Antrag der Abgeordneten Katrin Göring- Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz (Her- born), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Natio- nalsozialismus (Drucksache 16/8184) . . . . . . . . . . . . . . . h) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Zu- sammenarbeit zwischen der Bundesre- publik Deutschland und einzelnen, glo- bal agierenden, internationalen Organisationen und Institutionen im Rahmen des VN-Systems (Drucksache 16/5850) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Naturschutz pra- xisorientiert voranbringen – Entwick- lung der Wildtiere in Deutschland (Drucksache 16/8077) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eck- punkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer (Drucksache 16/8185) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamen- tes und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches der- selben (Drucksache 16/8187) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nah- rungsmittelhilfekonvention (Drucksache 16/8192) . . . . . . . . . . . . . . . 15273 C 15273 D 15273 D 15274 A 15274 A 15274 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 III Tagesordnungspunkt 31: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des InVeKoS- Daten-Gesetzes und des Direktzah- lungen-Verpflichtungengesetzes (Drucksachen 16/7827, 16/8223) . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-Verpflichtun- gengesetzes (Drucksachen 16/8147, 16/8223) . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Eskalation im Atomkon- flikt mit dem Iran verhindern (Drucksachen 16/4202, 16/7532) . . . . . . . c) – m) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 352, 353, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361 und 362 zu Petitionen (Drucksachen 16/8063, 16/8064, 16/8065, 16/8066, 16/8067, 16/8068, 16/8069, 16/8070, 16/8071, 16/8072, 16/8073) . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbe- schlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensge- genständen oder Beweismitteln in der Eu- ropäischen Union (Drucksachen 16/6563, 16/8222) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei, über offene Listen der Partei DIE LINKE in Parlamenten Mandate zu erlangen, und die damit verbundenen Auswirkungen . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Maurer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 15274 C 15274 C 15275 A 15275 C 15276 B 15276 D 15276 D 15278 A 15279 A 15280 B Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christian Carstensen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert (Drucksache 16/6796) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit (Drucksache 16/8181) . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ditmar Staffelt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU) . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef Dzembritzki, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutsche Personalpräsenz in internationa- len Organisationen im nationalen Inte- resse konsequent stärken (Drucksachen 16/6602(neu), 16/7938) . . . . . Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15281 C 15282 D 15283 D 15285 B 15286 A 15287 A 15288 A 15289 B 15290 C 15290 C 15290 D 15292 A 15293 A 15294 B 15295 D 15297 B 15298 A 15298 C 15300 B 15301 B 15301 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Albach, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Wertvolle Computer- spiele fördern, Medienkompetenz stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren (Drucksachen 16/7116, 16/7282, 16/8033) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: „Fair-Work“-Siegel für Computerspiele (Drucksache 16/8178) . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Waitz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bildungszugang von Kin- dern und Jugendlichen stärken – Finan- 15303 C 15304 D 15306 B 15307 B 15308 B 15309 D 15310 A 15310 B 15311 B 15312 C 15313 C 15314 B 15315 A 15316 A zierung von Schüler- und Schülerinnen- beförderung im SGB II ermöglichen (Drucksachen 16/4486, 16/6013) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche aus armen Haushalten fördern (Drucksachen 16/5253, 16/5686) . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Rohde (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Elke Reinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klärung der Vater- schaft unabhängig vom Anfechtungs- verfahren (Drucksachen 16/6561, 16/6649, 16/8219) – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung in der Familie (Drucksachen 16/5370, 16/8219) . . . . . . . Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Gerigk, Birgitt Bender, Priska Hinz (Her- born), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hungern in der Überflussgesellschaft – Maßnahmen gegen die Magersucht ergreifen (Drucksache 16/7458) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15317 B 15317 C 15317 C 15319 B 15319 D 15320 D 15322 B 15323 B 15323 C 15325 A 15325 A 15325 B 15326 A 15327 A 15328 C 15329 C 15330 C 15331 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 V Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Spielmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer (Göt- tingen), Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Brunhilde Irber, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Demo- kratische Entwicklung Simbabwes un- terstützen – Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermögli- chen (Drucksachen 16/5907, 16/7909) . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Katastrophe in Simbabwe verhindern (Drucksachen 16/4859, 16/6365) . . . . . . . Brunhilde Irber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Riester (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zehn Jahre Washingtoner Konferenz – Initiative für eine Nachfolgekonferenz in Deutschland (Drucksache 16/7857) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . 15332 A 15333 B 15334 B 0000 A15335 B 15336 B 15336 C 15337 C 15338 A 15338 D 15339 D 15340 A 15340 B 15341 C 15342 C 15344 A 15344 D 15346 A 15346 D 15347 A Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . Steffen Reiche (Cottbus) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Pawelski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichts- gesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (Drucksachen 16/7716, 16/8217) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine deutschen Soldaten für eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stel- len – Rechtswidrige Kriegshandlungen be- enden (Drucksache 16/7890) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . Ursula Mogg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Fünfte Verordnung zur Ände- rung der Verpackungsverordnung (Drucksachen 16/7954, 16/8123 Nr. 2.1, 16/8216) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15348 B 15349 C 15350 B 15351 D 15352 C 15353 B 15353 C 15353 D 15355 A 15356 C 15357 C 15358 C 15359 C 15360 A 15360 D 15361 C 15361 D 15363 B 15364 C 15366 B 15367 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Ostseeraum zur Modellregion für regionale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Euro- päischen Meerespolitik weiterentwickeln (Drucksachen 16/7286, 16/8171) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futter- mittelgesetzbuches sowie anderer Vor- schriften (Drucksache 16/8100) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Feinstaub-Fahrverbote für Reisebusse sachgerecht und unbürokratisch regeln (Drucksache 16/7865) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aus- verkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen – Verbraucherrechte stärken (Drucksache 16/8182) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: EU-Importverbot für ille- gales Holz durchsetzen (Drucksache 16/8052) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: a) Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 (Drucksache 16/7864) . . . . . . . . . . . . . . . . 15368 A 15368 B 15368 C 15368 D 15369 A 15369 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäische Nachbar- schaftspolitik zur Förderung von Frie- den und Stabilität im Südkaukasus nut- zen (Drucksache 16/8186) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Ent- wicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen (Drucksache 16/5615) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsge- richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Den Ostseeraum zur Modellre- gion für regionale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäischen Meerespolitik weiterent- wickeln (Tagesordnungspunkt 17) Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15369 C 15369 D 15370 A 15370 A 15371 A 15371 D 15373 B 15374 B 15375 B 15376 A 15377 A 15379 A 15380 B 15381 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 VII Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Importverbot für illegales Holz durchsetzen (Tagesordnungspunkt 21) Cajus Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Botz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15382 A 15397 B 15398 D des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbu- ches sowie anderer Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 18) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Feinstaub-Fahrverbote für Rei- sebusse sachgerecht und unbürokratisch re- geln (Tagesordnungspunkt 19) Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Müller (Chemnitz) (SPD) . . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Lutz Heilmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf von Krediten an Fi- nanzinvestoren stoppen – Verbraucherrechte stärken (Tagesordnungspunkt 20) Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15382 D 15384 A 15384 D 15385 C 15386 B 15387 B 15388 A 0000 A15388 D 15389 D 15390 C 15391 C 15392 D 15393 B 15394 D 15395 B 15396 C Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 – Europäische Nachbarschaftspolitik zur För- derung von Frieden und Stabilität im Süd- kaukasus nutzen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Eduard Lintner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Markus Meckel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen (Zusatztagesord- nungspunkt 7) Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15399 C 15400 B 15401 A 15401 D 15402 D 15403 D 15404 C 15405 B 15406 B 15407 B 15408 C 0000 A15409 C 15410 B 15411 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15235 (A) (C) (B) (D) 145. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 9
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    Berichtigung 142. Sitzung, Seite 15061 (D) 1. Absatz; der dritte Satz ist wie folgt zu lesen: „Nach wie vor dürfen mit jedem Ku- bikmeter Abluft 20 Milligramm Stäube emittiert werden, obwohl der Stand der Technik heute schon weniger als 10 Milligramm erlaubt.“ 144. Sitzung, Seite 15211 (C) 1. Absatz; der dritte Satz ist wie folgt zu lesen: „Wenn wir uns darauf verständigen, endlich einmal die Steuerprüfer in die Verantwortung zu nehmen und die Anzahl der Steuerhinterzieher deutlich zu erhöhen, dann hätten wir auch mehr Geld im Staats- säckel.“ Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15371 (A) (C) (B) (D) Lintner, Eduard CDU/CSU 21.02.2008 größere Arbeitsbelastung zu tragen haben als in der Zeit vor den Reformen.Poß, Joachim SPD 21.02.2008 mit Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsu- chende, der Sozialhilfe sowie mit Fällen, die das Asylbe- werberleistungsgesetz betreffen. Es ist kein Wunder, dass die Sozialgerichte auf diese Weise eine deutlich Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 21.02.2008 Pflug, Johannes SPD 21.02.2008 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Addicks, Karl FDP 21.02.2008 Dr. Berg, Axel SPD 21.02.2008 Bodewig, Kurt SPD 21.02.2008 Bollen, Clemens SPD 21.02.2008 Ernst, Klaus DIE LINKE 21.02.2008 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 21.02.2008 Friedhoff, Paul K. FDP 21.02.2008 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.02.2008 Dr. Freiherr zu Guttenberg, Karl- Theodor CDU/CSU 21.02.2008 Hilsberg, Stephan SPD 21.02.2008 Hirsch, Cornelia DIE LINKE 21.02.2008 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.02.2008 Hörster, Joachim CDU/CSU 21.02.2008 Ibrügger, Lothar SPD 21.02.2008 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 21.02.2008 Kauch, Michael FDP 21.02.2008 Kelber, Ulrich SPD 21.02.2008 Krummacher, Johann- Henrich CDU/CSU 21.02.2008 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 21.02.2008 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 21.02.2008 * Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Ar- beitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Die Große Koalition hat auf dem Gebiet der Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gesetzt. Vieles hat sich dadurch für die Menschen verändert, viele Fra- gen wurden aufgeworfen, vieles auch als ungerecht emp- funden. Das hat sich beinahe zwangsläufig auch auf die Sozialgerichtsbarkeit wie auf die Belastung der Arbeits- gerichte ausgewirkt. Seit dem 1. Januar 2005 befasst sich die Sozialge- richtsbarkeit zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben Raidel, Hans CDU/CSU 21.02.2008** Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.02.2008 Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 21.02.2008 Strässer, Christoph SPD 21.02.2008 Strothmann, Lena CDU/CSU 21.02.2008 Teuchner, Jella SPD 21.02.2008 Dr. Westerwelle, Guido FDP 21.02.2008 Zapf, Uta SPD 21.02.2008 Zeil, Martin FDP 21.02.2008 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 15372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein neues Rechtsgebiet eingeführt worden, das verständli- cherweise einen erhöhten gerichtlichen Klärungsbedarf nach sich zieht. Insbesondere die Rentenversicherer hat- ten in jüngster Zeit mit millionenfachen Widersprüchen zu tun. Zudem haben Klagen und Eilanträge rund um Hartz IV Spitzenzahlen erreicht. Allein für den Oktober 2007 meldete das Bundessozialgericht den Eingang von mehr als 2 000 neuen Verfahren in diesem Bereich. Die Richter müssen bei ihrer Arbeit auch Korrekturen berücksichtigen, die die Bundesregierung in den vergan- genen Jahren vorgenommen hat. Dazu zählen die An- gleichung der Regelsätze von Ost- und Westdeutschland auf heute 347 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für Arbeitseinkommen und die Verschärfung von Sanktio- nen sowie die Wohnungskosten der 18- bis 25-jährigen. Aus all diesen Gründen ist es nunmehr an der Zeit, die Belastung der Sozialgerichtsbarkeit einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, das sozialgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleu- nigen, sodass die Gerichte sowohl ihrer Amtsermitt- lungspflicht nachkommen, aber auch zeitnahe Entschei- dungen fällen können. Damit ist letztlich auch den Prozessparteien gedient. Denn „schnelles Recht ist gutes Recht“. Allerdings dürfen die Änderungen nur so weit gehen, dass sie die Betroffenen in ihren Rechten nicht über Ge- bühr einengen, zumal sich das sozialgerichtliche Verfah- ren in der Regel durch die Konstellation „kleiner und schwacher Bürger gegen übermächtige Behörde“ aus- zeichnet. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten einen Weg ge- funden, der Bürgerfreundlichkeit und verfahrensökono- mische Effizienz in den sozialgerichtlichen Verfahren miteinander verbindet. Die anstehende Änderung des SGG bietet unter verfahrensökonomischen wie auch so- zialen Aspekten eine Chance zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung der sozialgerichtlichen Verfahren. Vorgesehen ist unter anderem, bereits im Wider- spruchsverfahren die Sozialleistungsträger zu entlasten, indem der Verwaltung die Bekanntgabe der Wider- spruchsentscheidung bei sogenannten Massenwidersprü- chen im Wege der öffentlichen Bekanntgabe ermöglicht wird. Eine erstinstanzliche Zuständigkeit für die Landes- sozialgerichte soll für Verfahren eingeführt werden, in denen es vorwiegend um übergeordnete Rechtsfragen und weniger um Tatsachenfragen des Einzelfalls geht. Zur Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens kann das Gericht unter engen Voraussetzungen den Vortrag ei- ner Partei verfristen. Dies soll insbesondere der zeitna- hen Umsetzung der vollständigen Tatsachenermittlung dienen und darauf hinwirken, dass der Kläger fristgemäß seine Mitwirkungspflichten erfüllt. Demnach gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Ver- fahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Schwellenwert zur Berufung wird für natürliche Personen auf 750 Euro und für juristische Personen auf 10 000 Euro angehoben. So soll die mit Einführung der erstinstanzlichen Zuständigkeit verbundene Mehrbelas- tung der Landessozialgerichte aufgefangen werden. Was die Arbeitsgerichtsbarkeit angeht, soll den Ar- beitnehmern die Klageerhebung erleichtert werden, in- dem sie ihre Klage auch vor dem Arbeitsgericht erheben können, in dessen Bezirk sie normalerweise ihrem Beruf nachgehen. Das kommt vor allen den Beschäftigten zu- gute, die, wie zum Beispiel Außendienstmitarbeiter, ihre Arbeitsleistung fern vom Firmensitz und dem Ort der Niederlassung erbringen. Ziel ist es auch, arbeitsgerichtliche Verfahren durch eine Erweiterung der Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden zu vereinfachen und zu beschleunigen. Letztlich sind die Möglichkeiten, Sozial- und Arbeits- gerichtsgesetz von bürokratischem Ballast zu befreien und die Verfahren zu verkürzen, damit noch nicht ausge- schöpft. Wir wollen aber die Betroffenen mitnehmen und über die Effizienzsteigerung nicht die Bürgerfreund- lichkeit aus den Augen verlieren. Von einer hocheffi- zienten, aber komplizierten Maschine, die der Laie nicht versteht, hat er keinen Nutzen, weil er sie nicht bedienen kann. Deshalb hatte ich auch Bedenken zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates, verstärkt auch Instrumente aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozialgericht- liche Verfahren zu übertragen. Die Betroffenen streiten vor den Sozialgerichten in der Regel um ihre wirtschaft- liche Existenzsicherung. Ihre Anliegen haben häufig ei- nen komplexen medizinischen Hintergrund. Dies erfor- dert eine besonders umfangreiche Tatsachenaufklärung. Hinzu kommt, dass die Verfahrensbeteiligten in der Re- gel unterschiedliche Voraussetzungen haben. Auf der ei- nen Seite stehen Leistungsempfänger, Versicherte oder behinderte Menschen. Auf der anderen Seite steht eine hoch spezialisierte Verwaltung, die über einen professio- nellen Vorsprung verfügt. Das sozialgerichtliche Verfahren hat deshalb auch die Aufgabe, zwischen diesen ungleichen Parteien ein ge- wisses Kräftegleichgewicht herzustellen. Aus diesem Grund ist auch die fiktive Klagerücknahme nicht in die SGG-Novelle eingegangen, die der Bundesrat ebenfalls vorgeschlagen hatte. Demnach wurde im Gegensatz zur Dreimonatsfrist des Regierungsentwurfs eine Frist von zwei Monaten vorgeschlagen. Kläger im sozialgerichtli- chen Verfahren benötigen jedoch häufig länger für die Entscheidungsfindung als andere Personen, da sie manch- mal durch Krankheit oder Behinderung in ihrer Ent- scheidungsfähigkeit eingeschränkt sind. Außerdem kann die Entscheidung langfristige Folgen für sie nach sich ziehen. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Betroffenen in- nerhalb einer Zwei- oder Dreimonatsfrist tatsächlich in der Lage sind, fundiert darzulegen, warum ihr Rechts- schutzbedürfnis weiter fortbesteht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15373 (A) (C) (B) (D) Auch der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates, den § 109 SGG abzuschaffen, wäre zu weit gegangen. § 109 SGG besagt, dass im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutach- terlich gehört werden muss. Die Erstellung eines Gut- achtens durch einen frei gewählten Arztes erhöht die Ak- zeptanz des Urteils durch die betroffene Partei deutlich. § 109 SGG gibt dem Betroffenen die Gewissheit, dass seine Belange umfassend gewürdigt werden. Oft kann hierdurch der langwierige und für die Justiz kosteninten- sive Gang in die zweite Instanz vermieden werden. Darüber hinaus hat es die Bundesregierung abgelehnt, eine generelle Zulassungsberufung einzuführen. So ist bei Klagen, die existenzielle Leistungen betreffen, die Überprüfung durch eine weitere Instanz gesichert. Auch der Vorschlag des Bundesrates, einen Vertre- tungszwang in der zweiten Instanz einzuführen, ist nicht in die SGG-Novelle aufgenommen worden, da dadurch eine Zugangsschwelle zum sozialgerichtlichen Rechts- schutz eingerichtet würde. Die Betroffenen hätten ein Kostenrisiko zu tragen, was gerade die Kläger, die einen Anspruch auf existenzielle Leistungen geltend machen, davon abhalten würde, eine eventuell berechtigte Beru- fung einzulegen. Die Änderungen des Sozialgerichts- und des Arbeits- gerichtsgesetzes sind unbedingt notwendig. Sie tragen zu einer Verfahrensbeschleunigung bei. Die Änderungen dürfen aber nur so weit gehen, dass sie die Rechte der Betroffenen nicht unzumutbar einschränken. Anette Kramme (SPD): Bei der Anhörung zum Ge- setzesentwurf, mit dem das Sozial- und das Arbeitsge- richtsgesetz geändert werden sollen, waren sich die gela- denen Experten letzte Woche weitestgehend einig. Die Verfahren vor den Gerichten müssen vereinfacht und be- schleunigt, die Arbeits- und die gegenwärtig besonders beanspruchte Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden. Kein Wunder. Ende Januar hat das Bundessozialge- richt die Prozesszahlen für 2007 vorgestellt. Dabei wurde ein Anstieg der Verfahren zum SGB II um 38 Pro- zent auf insgesamt 136 000 Verfahren konstatiert. Jeder dritte Fall vor Sozialgerichten hängt zusammen mit der Arbeitsmarktreform von 2005. Das ist zwar nicht außergewöhnlich. Die Einführung eines neuen Rechtsgebietes wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende zieht üblicherweise einen erhöhten ge- richtlichen Klärungsbedarf nach sich. Grundsätzliche Fragen tauchen auf und müssen richterlich beantwortet werden. Andererseits müssen Bund und Länder gemein- sam dafür sorgen, dass die Verfahrensdauer für alle Be- teiligten zumutbar bleibt. Dies betrifft die Rechtsschutz- suchenden ebenso wie die Angestellten der Justiz. Die Damen und Herren im Bundesrat sind daran zu erinnern, dass es vorrangig Aufgabe der Länder ist, für eine angemessene personelle Ausstattung der Gerichte und damit für eine effektive Justiz zu sorgen. Die meis- ten Länder nehmen diese Verantwortung auch wahr. Die Zahl der Richterinnen und Richter an den Sozialgerich- ten ist deutlich gestiegen. Die Entlastung der Gerichte muss jedoch erfolgen, ohne die genuin bürgerfreundlichen Elemente der Pro- zessordnungen aufs Spiel zu setzen. Diese sind integraler Bestandteil des Rechtssystems und des Gerechtigkeits- empfindens. Die Klägerfreundlichkeit des Verfahrens muss erhalten bleiben. Der vorliegende Gesetzesentwurf wägt die beiden Ziele – beschleunigen, ohne abzuwürgen – mit Geschick und Fingerspitzengefühl ab. Er bewahrt das notwendi- gerweise Einzigartige der Sozial- und Arbeitsgerichts- barkeit, kommt aber dennoch den Interessen der Länder entgegen. Zudem sind alle Änderungen auf Anregung und in Kooperation mit der gerichtlichen Praxis entstan- den. Stellvertretend kann man die Einführung der erst- instanzlichen Zuständigkeit für Landessozialgerichte nennen. Diese können künftig direkt angerufen werden, wenn es überwiegend um übergeordnete Rechtsfragen und nicht um Tatsachenfragen des Einzelfalles geht. Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens sind wir sogar noch zu einer Erweiterung dieser sinnvollen Straffung gekommen. Die geplanten Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes sind alles in allem praxistauglich. Die Ziele des Gesetzes können mit den getroffenen Re- gelungen auch tatsächlich erreicht werden. Das hat uns auch die Anhörung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Der einzige Wermutstropfen im Gesetzentwurf ist die Anhebung des Schwellenwerts, ab dem ein Berufungs- verfahren vor dem Sozialgericht möglich ist. Dieser soll um 250 Euro erhöht werden. Viele Experten empfinden dies als zu hoch. Vor Sozialgerichten wird häufig über Leistungen verhandelt, die für die Betroffenen von exis- tenzieller Bedeutung sind. Auch 500 Euro sind viel Geld für jemanden, der von Sozialleistungen abhängt. Hier hätten wir uns eine moderatere Lösung gewünscht. Gegen alle weiteren Verschärfungen der Regelungen zur Berufung haben wir uns jedoch erfolgreich gewehrt. Die Einführung der Berufungszulassung durch die Erst- instanz beispielsweise, wie sie der Bundesrat vorschlug, ist weder nötig noch sinnvoll. Zum einen nutzt schon heute nur ein Zehntel der Kläger eine zweite Instanz bei sozialgerichtlichen Verfahren. Zum anderen zeigen uns Erfahrungen der Verwaltungsgerichte, wo es die Zulas- sungsberufung gibt, dass dadurch nicht unbedingt Arbeit für die Gerichte vermieden wird – im Gegenteil. Dort sind die Gerichte statt mit der Berufung mit der Überprü- fung des Vorliegens formaler Voraussetzungen beschäf- tigt. Das kann nicht unser Ziel sein. Wenn schon Arbeit für die Gerichte, dann im Sinne der Bürger! Außerdem muss berücksichtigt werden, dass sich – vor allem in der ersten Instanz – Kläger vor Sozialge- richten oft selbst verteidigen. Dies stellt einen hohen Wert dar und senkt die Schwelle zur Klageerhebung. An- dererseits erhöht es die Wahrscheinlichkeit von Ver- säumnissen. Diesen Umständen müssen wir Rechnung tragen. Die Berufung darf nicht unnötig formal er- schwert werden. Zu guter Letzt eine weitere und aus unserer Sicht sehr erfreuliche Nachricht: Der Bundesrat hatte gefordert, 15374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) auch im sozialgerichtlichen Verfahren Gebühren einzu- führen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im Herbst eine Studie in Auftrag gegeben, um diesen Vorschlag zu prüfen. Die vorläufigen Ergebnisse liegen nun vor. Eine Einführung von Gebühren wird nach- drücklich nicht empfohlen. Wir Sozialdemokraten sind dankbar für dieses Ergebnis, denn es entspricht unserem Gerechtigkeitsempfinden. Das Recht, meist existenzielle Streitfragen von Arbeits- und Sozialgerichten klären zu lassen, muss jeder haben, unabhängig vom Kontostand oder dem Vorliegen einer Rechtschutzversicherung. Auch bezüglich der arbeitsgerichtlichen Regelungen ist die Gesetzesänderung als gelungen einzuschätzen. Insbesondere der neueingeführte Gerichtsstand des Ar- beitsortes hilft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Sie können künf- tig auch in dem Gerichtsbezirk klagen, in dem sie arbei- ten. Das kommt vor allem den Außendienstmitarbeitern zugute, die nun nicht mehr vor dem Arbeitsgericht am Firmensitz ihres Arbeitgebers klagen müssen, das unter Umständen hunderte Kilometer von ihrem Arbeitsort entfernt ist. Auch das Verfahren bei der nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen wird im Sinne der Arbeit- nehmer verändert. Wurde die dreiwöchige Klagefrist ohne Verschulden versäumt und ein Antrag auf nachträg- liche Klagezulassung gestellt, soll künftig grundsätzlich kein gesondertes Verfahren mehr durchgeführt werden. Die Entscheidung über die nachträgliche Klagezulas- sung wird mit der Kündigungsschutzklage selbst verbun- den. Das bisherige Zwischenverfahren wird in der Regel entbehrlich. Hierdurch wird das Verfahren insgesamt be- schleunigt. Kurze Verfahren sind gerade bei solchen Fra- gen im Interesse der Kläger. Wir sind davon überzeugt, dass der vorliegende Ge- setzesentwurf die Gerichte entlasten wird. Weiter ge- hende Änderungen, wie sie der Bundesrat wünscht, sind weder nötig noch sinnvoll. Insbesondere eine Ver- schmelzung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit mit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist abzuleh- nen. Synergieeffekte sind kaum zu erwarten, und recht- lich spricht einiges gegen eine solche Zusammenlegung. Stattdessen kann ich eine Zustimmung zum vorliegen- den Gesetzentwurf der Regierung nur empfehlen. Er ist technisch geeignet zur Entlastung der Gerichte, dabei aber auch gerecht und ausgewogen. Letzteres muss uns besonders wichtig sein. Aufgrund der sozialen Einschnitte der letzten Jahre haben immer mehr Bürger das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht in Deutschland. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass die materielle Schlechterstellung nicht auch noch mit einer Verringerung des Rechtschutzes einhergeht. Die Sozialgerichte genießen unter den Bürgern bisher ein sehr hohes Ansehen. Der vorliegende Gesetzesent- wurf sorgt dafür, dass dies künftig so bleiben kann. Heinz-Peter Haustein (FDP): Die Situation an den Sozialgerichten ist uns allen hinlänglich aus der Bericht- erstattung bekannt. In Bergen türmen sich die Akten auf den Schreibtischen an den Gerichten und in den Amts- zimmern. Es kommen mehr Vorgänge herein, als abgear- beitet werden können. Experten schätzen, dass das, was man als Klageflut oder Klagewelle bezeichnen kann, auch so schnell nicht abebben wird, denn der Drang zur Klage ist bei uns ungebrochen, insbesondere in der So- zialgerichtsbarkeit. Darum müssen wir schleunigst Maßnahmen zur Ent- lastung der Sozialgerichte ergreifen, nicht nur im Inte- resse überlasteter Richter, sondern auch im Interesse der Kläger, die ein Recht auf eine rasche Entscheidung ha- ben. Oberstes Ziel wäre – das muss man bei der ganzen Debatte klar herausstellen – eine bessere personelle Aus- stattung der Gerichte. Denn es ist ja bedenklich, dass un- ser Staat, der sich heute für alles und jeden zuständig fühlt und überall mitmischt, nicht mehr in der Lage ist, die Rechtsordnung – die Grundlage aller Staatlichkeit – adäquat durchzusetzen, weil die Mittel für die Richter fehlen. Gerade solange sich an der Personalausstattung der Gerichte nichts ändert, sind wir umso mehr dazu ver- pflichtet, alles uns Mögliche für die Entlastung der Ge- richte und für die Verfahrensbeschleunigung zu tun. Daran muss sich der hier zur Debatte stehende Gesetz- entwurf messen lassen. Die FDP-Fraktion – darauf hatte ich bereits in der ers- ten Lesung verwiesen – begrüßt die Einführung der Fik- tion der Klagerücknahme in § 102 Sozialgesetzbuch (SGG). Die Mitwirkung der Kläger ist Grundvorausset- zung für einen zügigen Verfahrensverlauf. Wo Verfahren verzögert werden, weil die notwendigen Mitwirkungs- pflichten vonseiten der Kläger nicht erbracht werden, wo erforderliche Unterlagen nicht über- oder notwendige In- formationen nicht weitergegeben werden, ist die Fiktion der Klagerücknahme ein taugliches Mittel. Auch die Einschränkung der Beschwerdemöglichkei- ten, wie beispielsweise im Prozesskostenhilfeverfahren – § 172 (3) SGG bzw. Art. 1 Nr. 29 b Gesetzentwurf – und die Heraufsetzung des Berufungsstreitwerts hält meine Fraktion für geeignet, eine Verfahrensbeschleuni- gung zu erreichen. Der Gesetzentwurf beinhaltet jedoch auch Maßnah- men, die nicht hilfreich scheinen, um die Gerichte zu entlasten. Die Anhörung von Sachverständigen hat mich und meine Fraktion insofern in unseren Zweifeln bestä- tigt. Auch die Sachverständigen halten die Einführung ei- nes neuen Gerichtsstandes am „gewöhnlichen Arbeits- ort“ in § 48 (1a) AGG für wenig dienlich. Der Arbeit- nehmer soll künftig nach dem „Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort“ dort Klage erheben können, wo er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Doch zum ei- nen haben zum Beispiel Außendienstmitarbeiter bereits heute laut § 29 Zivilprozessordnung die Möglichkeit, Klage am Erfüllungsort zu erheben. Zum anderen dürfte es in der Praxis zu Problemen führen, wenn zu entschei- den ist, was der „gewöhnliche Arbeitsort“ ist. Die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt die Neu- regelung nicht. Eine Verfahrensbeschleunigung ist hier- von nicht zu erwarten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15375 (A) (C) (B) (D) Auch die Absicht der Regierung, künftig neue Ver- waltungsakte nur noch dann nach Erhebung der Klage in das Verfahren einzubeziehen, wenn dadurch ein vorher- gehender ersetzt oder abgeändert wird, gehört zu diesen wohl der Sache wenig dienlichen Neuregelungen. Bis- lang wurde die Vorschrift des § 96 SGG – Art. 1 Nr. 16 Gesetzentwurf – so ausgelegt, dass die Verwaltungsakte, die mit dem bereits anhängigen Verfahren in Zusammen- hang stehen, ohne erneutes zusätzliches Vorverfahren in das Klageverfahren einbezogen wurden. Die Neurege- lung würde dazu führen, dass künftig wegen jedes nicht einen anderen ersetzenden oder abändernden Verwal- tungsaktes ein Vorverfahren und im Anschluss ein Kla- geverfahren eröffnet werden muss. Unserem obersten Ziel der Verschlankung der Abläufe ist das kontrapro- duktiv. Auch bezüglich der erhöhten Anforderungen an die Formulierung des Klagegegenstandes – § 92 (1) SGG, bzw. Art. 1 Nr. 15 Gesetzentwurf – hegen wir, wie auch die Sachverständigen, Zweifel. Diese Neuerung droht uns eine unnötige Verfahrensformalisierung zu besche- ren. Welche weiter gehenden Maßnahmen ergriffen wer- den könnten, haben uns die Sachverständigen in der An- hörung auch gesagt: Beispielsweise könnte das Recht des Klägers abgeschafft werden, entgegen der Bewer- tung des Gerichts, ein weiteres Gutachten einholen zu lassen. Es wären also mit etwas mehr Entschlossenheit noch andere sinnvolle Schritte zur Entlastung der Sozial- gerichtsbarkeit ohne Weiteres denkbar. Für den Anfang jedoch weisen die Vorschläge des Gesetzentwurfs trotz der angesprochenen Kritikpunkte unter dem Strich gene- rell in die richtige Richtung. Insofern stimmt die FDP dem Gesetzentwurf zu. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit Hartz IV hat die Zahl der Klagen zugenommen. Und das ist kein Wunder. Knapp 30 Prozent der Klagen sind erfolgreich. Dieser Anstieg der Klagen führt dazu, dass die Arbeits- belastung an den Sozialgerichten zunimmt. Hier muss zweifelsohne reagiert werden. Die Frage ist nur: Wie? Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, die An- forderungen an Klageerhebungen bei Sozialgerichten zu verschärfen. Im Klartext: Die Möglichkeiten von Sozial- leistungsbeziehenden, auf dem Rechtswege ihr Recht zu erkämpfen, sollen eingeschränkt werden. Das ist der fal- sche Weg. Die Linke lehnt diese Einschränkung der Rechte von Betroffenen strikt ab. Lassen sie mich im Folgenden auf drei zentrale Kri- tikpunkte eingehen: Erstens wird die gesetzliche Fiktion einer Klagerück- nahme eingeführt, wenn ein Kläger oder eine Klägerin das Verfahren drei Monate lang nicht betreibt. Diese Än- derung wurde in der Anhörung im Fachausschuss Arbeit und Soziales breit kritisiert, unter anderem vom DGB, vom Sozialverband Deutschland, vom VdK und der Neuen Richtervereinigung. Ich zitiere einmal aus der Stellungnahme des DGB dazu: Der DGB bezweifelt, dass durch eine fingierte Kla- gerücknahme die gewünschte Wirkung eintreten wird. … Denn – anders als bei der Verwaltungsge- richtsbarkeit – werden häufiger Kranke, Ältere oder Behinderte ihre Verfahren selber führen und gege- benenfalls nicht so schnell reagieren können wie Kläger in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Linke fordert Sie, meine Damen und Herren der Großen Koalition, deswegen auf, ziehen Sie diese Rege- lung zurück. Zweitens soll die Einbeziehung von neuen Leistungs- bescheiden in ein laufendes Gerichtsverfahren erschwert werden. Hier wird es besonders absurd. Wenn ein Kläger in einem laufenden Verfahren einen neuen Leistungsbe- scheid bekommt, der seiner Auffassung nach wieder falsch ist, so ist es doch nur im Sinne der Effizienz, wenn der neue Bescheid in das laufende Verfahren mit einbe- zogen wird. Ansonsten müsste der Kläger für den neuen Bescheid ein neues Verfahren in die Wege leiten. Eigent- lich soll doch mit dem Gesetzentwurf die Arbeitsbelas- tung der Richter reduziert werden. Mit dieser Regelung konterkarieren Sie dieses Anliegen. Drittens. Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD werden die Möglichkeiten, ein Berufungsverfahren ein- zuleiten, eingeschränkt, indem der Beschwerdewert für ein Berufungsverfahren von bisher 500 Euro auf zukünf- tig 750 Euro angehoben wird. Damit wird vielen Kla- genden die Möglichkeit abgeschnitten, in der nächsten Instanz, ein Urteil überprüfen zu lassen. 750 Euro sind schließlich im Bereich der Sozialleistungen kein Pap- penstiel. Zumal man sich vergegenwärtigen muss, dass ein Leistungsbescheid im SGB II immer nur für sechs Monate erstellt wird und die Einbeziehung neuer Be- scheide ja nun auch erschwert wird. Ich möchte Ihnen nur mal an einem Beispiel darstellen, was das bedeutet. Ein ALG-II-Beziehender bekommt aus Nürnberg, von der Bundesagentur, einen Leistungsbe- scheid, in dem er – seiner Auffassung nach – im Monat um 100 Euro benachteiligt wird. Dieser Bescheid ist für sechs Monate ausgestellt. Also beträgt der Streitwert 600 Euro. Eine Berufung ist deswegen nun nicht machbar. Die Erhöhung des Schwellenwertes zur Berufung wird im Ergebnis dazu führen, dass gerade denjenigen, die am meisten darauf angewiesen sind, ein effektiver Rechtsschutz versagt wird. Wenn alle Prozessbeteiligten wissen, dass eine Beru- fung nicht möglich ist, kann das Auswirkungen auf das Verfahren haben, zum Beispiel einen voreilig geschlos- senen Vergleich. Dieses Gesetz geht an den eigentlichen Ursachen der Klageflut vorbei. Das beste Mittel, Klagen abzubauen besteht darin, Hartz IV abzuschaffen. Deswegen schlage ich Ihnen vor: Ersetzen Sie das ALG II samt dem Sank- tionssystem durch eine repressionsfreie soziale Grundsi- cherung. Außerdem müssen die Leistungsvereinbarun- gen zwischen der Bundesagentur und den regionalen Jobcentern auf den Prüfstand. Diese verpflichten die Mitarbeiterinnen, bei sogenannten passiven Leistungen rund acht Prozent einzusparen. Dieser willkürliche Ein- 15376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) sparungsdruck muss weg. Das ist das Mindeste, was Sie tun könnten, um die Klageflut zu reduzieren. Dieses Gesetz jedoch setzt nicht an den Ursachen der Klageflut an. Es beschneidet vielmehr die Möglichkeiten der Armen in diesem Land, um ihre Recht zu kämpfen. Erst werden die materiellen sozialen Rechte beschnitten, und dann werden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich dagegen zu wehren. Das ist ein Armutszeugnis – aus rechtstaatlicher wie aus sozialer Sicht. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Sozialgerichte durch Verfahrensänderungen entlasten. Vorgeblich soll dies durch die Einführung neuer, bisher nicht im Sozialge- richtsgesetz vorhandener Instrumente geschehen. Ich will mich darauf beschränken, auf die sozialrechtlich äu- ßerst problematischen Regelungen einzugehen, die letzt- lich zur Ablehnung des Gesetzentwurfes durch die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen führen: Erstens kann ein Gericht durch die sogenannte Präklusionsregelung Er- klärungen und Beweismittel zurückweisen, wenn sie erst nach Ablauf einer gesetzten Frist vorgelegt werden. Zweitens kann die Zurücknahme einer Klage fingiert werden, wenn eine Klage von Klägerseite trotz Auffor- derung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrie- ben wird. Dieser Vorgang nennt sich Fiktion der Klage- rücknahme. Drittens werden nach dem vorliegenden Entwurf neue Verwaltungsakte nach Klageerhebung nicht mehr automatisch einbezogen. Und viertens schließlich soll der Zugang zu den Landessozialgerich- ten als zweiter Instanz durch die Anhebung des Schwel- lenwertes für Berufungen von 500 auf 750 Euro entlastet werden. Die letztgenannte Änderung ist aus meiner Sicht die schwerwiegendste: Für das Gros derer, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – das heißt Arbeitslosengeld II – beziehen, wird der Streitgegen- stand unter dem Schwellenwert liegen, weil die Bewilli- gungsbescheide auf ein halbes Jahr begrenzt sind. Auch in Streitigkeiten um Zuzahlungen und Hilfsmittel ist schon der gegenwärtige Schwellenwert für Berufungen von 500 Euro zu hoch. Somit kommt die weitere Erhö- hung des Schwellenwerts einer Versagung des Rechts der Kläger auf eine zweite Tatsacheninstanz gleich. Die Erhöhung des Schwellenwerts entfaltet besondere Wir- kung in Verbindung mit der Bestimmung über den Aus- schluss von Folgebescheiden (§ 96 SGG). Aufgrund der kurzen Bewilligungszeiträume für das Arbeitslosengeld II werden regelmäßig weitere Verwaltungsakte während des Gerichtsverfahrens erlassen. Bisher bestand die Möglichkeit, gleichartige Bescheide zusammenzuzie- hen und auf diese Weise den Streitwert zu erhöhen, um den Schwellenwert für eine Berufung zu erreichen. Diese systematisch korrekte und völlig legitime Zusam- menfassung ist künftig nicht mehr möglich, sodass die typischen Streitfälle wie die Festsetzung der angemesse- nen Unterkunftskosten künftig nicht mehr revisionsfähig sind. Im Übrigen trägt der Ausschluss von Folgebeschei- den, die nicht ausdrücklich den streitgegenständlichen Bescheid ändern oder ergänzen, nicht zur Verfahrensbe- schleunigung bei. Im Gegenteil: Es werden neue Verfah- ren produziert. Den Sozialgerichten muss die Entschei- dungsfreiheit eingeräumt werden, alle Folgebescheide in das Verfahren mit einzubeziehen. Ärgerlich und keineswegs entlastend ist auch die Ein- führung der Präklusionsregelung. Im Renten- und Schwerbehindertenrecht kommt es wegen Änderungen im Krankheitsverlauf und neuer ärztlicher Gutachten häufig zu Änderungen der Tatsachen- und Beweislage. Diese neuen Sachverhalte können durch die Einführung der Möglichkeit der Zurückweisung von Beweismitteln nach Fristablauf ausgeschlossen werden. Der Amtser- mittlungsgrundsatz im Sozialgerichtsverfahren wird ein- geschränkt, ohne dass damit eine nennenswerte Entlas- tung der Sozialgerichte erfolgt. Denn: Über § 44 SGB X besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einen neuen An- trag zu stellen. Eine Entlastung der Gerichte ist daher nicht zu erwarten. Einer der Gutachter, Herr Professor Schlegel, der zugleich Richter am Bundessozialgericht ist, hat diesen Umstand in der Anhörung des Ausschus- ses für Arbeit und Soziales ausdrücklich bekräftigt und sich energisch gegen die Präklusionsregelung gewandt. Bleibt nun noch die Fiktion einer Klagerücknahme zu bewerten. Hier gilt grundsätzlich zu beachten: Das So- zialgerichtsverfahren betrifft einen besonderen Personen- kreis, nämlich Kranke, Menschen mit Behinderungen, Wohnungslose und andere zumeist eher benachteiligte Menschen. Die Mehrheit dieser Personen dürfte in Rechtsdingen unkundig sein, und die Regelungen des Sozialrechts erschließen sich selbst Fachleuten nicht im- mer auf den ersten Blick. Bei dieser besonderen Klientel zumeist Rechtsunkundiger und hilfebedürftiger Perso- nen kann nicht grundsätzlich angenommen werden, dass sie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist substanti- iert darlegen kann, warum ihr Rechtsschutzbedürfnis weiter fortbesteht. Die Entlastungswirkung für die So- zialgerichte dürfte allerdings gering sein, da von einer geringen Zahl von fingierten Klagerücknahmen auszu- gehen ist. Über § 44 SGB X besteht außerdem auch hier die Möglichkeit, einen neuen Antrag zu stellen, wenn das materielle Recht durch eine Entscheidung verletzt worden ist. Bleibt festzuhalten: Einige Regelungen des vorliegen- den Gesetzentwurfs wie etwa die Entlastung von Sozial- gerichten und Leistungsträgern bei Massenwidersprüchen oder die Festlegung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landessozialgerichte bei Streitfällen zwischen Leis- tungsträgern sind zwar zu begrüßen. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine Zustimmung zum Gesetzentwurf zu begründen. Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass die So- zialgerichte vor allem durch eine bessere Qualität der Verwaltungsbescheide entlastet werden. In Berlin und Nordrhein-Westfalen gehen zum Bei- spiel rund 50 Prozent der ALG-II-Klagen zumindest teil- weise zugunsten der Kläger aus. Zu oft muss wegen Un- tätigkeit der Behörden geklagt werden. So beschwert sich das Sozialgericht Berlin in einem an die Sozialsena- torin gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2006, dass vielfach nur über einen Antrag auf einstweiligen Rechts- schutz eine beschleunigte Sachbearbeitung in der Be- hörde erreicht werden könne. Bis heute hat sich hier an Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15377 (A) (C) (B) (D) der unbefriedigenden Situation in der Verwaltung wenig geändert. Es ist zwar klar, dass die Sozialgerichte seit 2005 durch die Reformen am Arbeitsmarkt mit einer steigenden Zahl von Verfahren konfrontiert sind. Die Zahl der Sozialgerichtsverfahren ist seit 2005 von rund 300 000 jährlich auf 400 000 im Jahr 2006 gestiegen und im Jahr 2007 ist nach vorläufigen Zahlen eine weitere Zunahme zu verzeichnen gewesen. Dies darf jedoch nicht zu Verschlechterungen des Rechtsschutzes führen, wie es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschieht. Der Verweis der Regierungsfraktionen von CDU/ CSU und SPD darauf, dass die Bundesländer weitaus schärfere Regelungen wie die Einführung von Sozial- gerichtsgebühren fordern, kann nicht als mildernder Umstand für den vorliegenden Gesetzentwurf geltend gemacht werden. Daher lehnen wir Grüne die Aus- schussempfehlung und damit diesen Gesetzentwurf ab. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Den Ostseeraum zur Modellregion für regionale Kooperationen aus- bauen und den Baltic Sea Action Plan zum Bau- stein einer Europäischen Meerespolitik weiter- entwickeln (Tagesordnungspunkt 17) Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen will den Ostseeraum zur Modellre- gion für regionale Kooperationen ausbauen. Und sie will den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi- schen Meerespolitik weiterentwickeln. Vorweg kann ich Ihnen versichern: Das wollen wir als Koalition im Prin- zip auch; aber nicht zu Ihren Konditionen. Der Antrag der Grünen, den wir heute debattieren, ist unvernünftig, und er zeugt von einem Aktionismus ohne Balance, den wir so nicht mittragen können. Ich möchte Sie an eine Debatte aus dem letzten Som- mer erinnern. Am 6. Juli des Jahres 2007 haben wir an dieser Stelle einen Antrag der Koalition angenommen mit dem Titel „Ostseekooperation weiter stärken und Chancen nutzen“. Hierin haben wir uns zur Ostsee- kooperation bekannt und uns ihrer Fortentwicklung und Vertiefung verpflichtet. Es handelte sich um ein umfang- reiches Konzept zur wirtschaftlichen, infrastrukturellen, touristischen sowie – das sage ich ausdrücklich in Rich- tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – zur ökologi- schen Optimierung der Ostseeregion. Vergleicht man Ih- ren heutigen und unseren damaligen Antrag, so sind einige Parallelen nicht zu übersehen. Dem von Ihnen heute so hochgelobten Baltic Sea Action Plan haben wir schon damals unsere Unterstützung zugesagt. Die Ostsee soll sich nach unseren Plänen bis zum Jahr 2015 zudem zum saubersten und sichersten Meer Europas entwi- ckeln. Wir unterstützen die HELCOM-Maßnahmen zur Bekämpfung der Eutrophierung sowie den HELCOM- Ostsee-Aktionsplan, um nur einige Beispiel aus unserem umfangreichen Antrag exemplarisch herauszugreifen. Das fordern Sie heute auch. Nur – deshalb ist Ihr Antrag unglaubwürdig – damals, als das alles schon einmal zur Debatte stand, haben Sie gegen unseren Antrag ge- stimmt. Im Juli 2007 stimmten die Grünen gegen die Stärkung der Ostseekooperation, und heute wollen Sie den Ostseeraum sogleich zur europäischen Modellregion erheben. Das ist wahrlich unglaubwürdig. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen auch er- klären, warum ich Ihnen Aktionismus vorwerfe. Unser Antrag zur Ostsseekooperation hat wahrlich gute Vor- schläge gemacht, gerade auch zum Umweltschutz in der Ostseeregion. Mir persönlich kommt das unweigerlich so vor, als ob Sie daran zu knabbern haben, dass auch andere Parteien überzeugende Umweltkonzepte vorle- gen können. Als Konsequenz kopieren Sie unsere guten Vorschläge, überfrachten sie aber mit weiteren umwelt- politischen Konzepten, die weit übers Ziel hinausschie- ßen. Sie wissen, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, weil er wirtschaftspolitische Mängel aufweist. Unbekümmert können Sie Ihren Antrag also heute hier einbringen, nur um sich anschließend wieder selbst auf die Schultern zu klopfen und sich einzureden, dass Sie das wahre umweltpolitische Gewissen dieses Parlaments seien. Das meine ich mit „Aktionismus“. Ich sage aus- drücklich, dass wir als CDU/CSU den Umweltschutz un- terstützen, wo wir können. Aber Umweltschutz, Wirt- schaftspolitik und infrastrukturelle Maßnahmen müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Nur dann ist der Ostseeregion geholfen, und die Unter- stützung der Ostseekooperation ist für uns – in dieser Debatte – die oberste Prämisse, damit wir das Beste für die Menschen dort erreichen. Aber ich möchte im Folgenden auch noch etwas kon- kreter auf Ihren Antrag eingehen. Da kritisieren Sie beispielsweise die Umsetzung des EU-Blaubuchs zur in- tegrierten Meerespolitik. Die Europäische Union kon- trolliere die Einhaltung der meerespolitischen Vorgaben nach Ihrem Geschmack beispielsweise nicht ausrei- chend. Sie beschweren sich – ich zitiere –: „Die Verant- wortung für die Umsetzung bleibt in den Händen der Mitgliedstaaten.“ Und kurz darauf heißt es hier: „Daher müssen Standards und Maßnahmen auf die unterschied- lichen Regionen zugeschnitten sein.“ Einerseits kontrol- liert Ihnen die EU das Vorgehen der Ostseestaaten nicht ausreichend zentralistisch, und gleichzeitig fordern Sie regionale Lösungen vor Ort. Das widerspricht sich doch. Für die Union sind maßgeschneiderte Konzepte vor Ort – dort wo die Probleme die Menschen unmittelbar be- schäftigen – immer besser als hoheitliche Bestimmungen einer Zentralgewalt. Die Menschen in den acht Ostsee- anrainern wissen am besten, wo ihnen der Schuh drückt. Es ist einem schwedischen Ostseefischer beispielsweise doch nicht vermittelbar, warum in Brüssel über seine Be- lange entschieden wird, von Spaniern und Italienern, die fernab von der Ostsee liegen, oder von Österreichern und Luxemburgern, die über gar keine Küste verfügen. Wir sprechen uns für regionale Lösungen aus, damit die- jenigen die Probleme der Ostseeregion lösen, die alltäg- lich mit diesen Problemen leben. Das ist auch im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Nichtsdestotrotz lassen wir den Vorwurf nicht gelten, die Maßnahmen des Baltic Sea Action Plans seien nicht verbindlich genug. Auf Grundlage des europäischen 15378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Rechts sind die Mitgliedstaaten doch ohnehin zur Ein- haltung der Mehrzahl der Regelungen verpflichtet. Sichere Schifffahrt, effizientes Notfallmanagement, ge- ringstmögliche Luft- und Wasserverschmutzung durch die Schifffahrt, in diesen Punkten spricht das europäi- sche Recht ohnehin strikte Verpflichtungen aus. Der Bal- tic Sea Action Plan nimmt sogar Russland als Nicht-EU- Mitglied in die Pflicht und fordert von ihm konkrete politische Maßnahmen. Das ist doch bereits ein großer Erfolg. Folglich verstehen wir die Intention Ihres An- trags nicht. Weiterhin fordern Sie von uns, mehr An- strengungen im Umweltschutz, und das obwohl der Bal- tic Sea Action Plan bereits fortschrittlichste Regelungen integriert. Hinsichtlich der Eutrophierung – gemeint sind nachteilige Auswirkungen durch Überdüngung – wurden länderübergreifende vorläufige Ziele der Reduzierung der Nährstoffeinträge vereinbart. Dann wurden Maßnah- men zur Verbesserung der Wasserqualität in Angriff ge- nommen. Es handelt sich hierbei um einen äußerst wich- tigen Schritt. Denn steigt die Wasserqualität der Ostsee, wächst auch die Funktionalität der Ökosysteme. Hier- durch beugen wir einem Verlust an Biodiversität, also dem Verlust an Artenvielfalt in der Ostsee, vor. Bei der Ausarbeitung des Baltic Sea Action Plans wurde zudem der Ökosystemansatz beachtet. Die Verantwortlichen ha- ben folglich alle menschliche Aktivitäten, die sich nach- teilig auf den Zustand der Ostsee auswirken, in ihre Überlegungen miteinbezogen und versuchen, sie regu- lierend und integrativ miteinander in Einklang zu brin- gen. Nach unserer Überzeugung ist ihnen dies im beson- deren Maße gelungen. Sie sehen also: Der Baltic Sea Action Plan ist ein ausgewogenes, hochmodernes Kon- zept zur Fortentwicklung der Ostseekooperation. Vieles von dem, was Sie fordern, wurde bereits umgesetzt. Der Plan integriert ökologische, wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte und schafft ein Gleichgewicht aller drei Säulen. Was wollen Sie mehr? Ich kann Ihre Vorgehensweise grundsätzlich ja nach- vollziehen. Der Mensch strebt nach Sicherheit. Also fordern sie strengere rechtliche Kontrollen und zentralis- tische Entscheidungen, weil Sie glauben, den zugegebe- nermaßen großen und unübersichtlichen Ostseeraum mit seinen acht Anrainerstaaten nur so erfassen zu können. Aber ich rate Ihnen: Vertrauen Sie der Eigenverantwor- tung der Menschen in den betroffenen Regionen. Wir ha- ben die historisch erstmalige Situation, dass die Ostsee kein Meer mehr zwischen verfeindeten Staaten ist. Die Ostsee ist heute die Brücke zwischen gleichberechtigten Partnern, zwischen Freunden. Mit großer Tatkraft sind die Ostseestaaten das ambitionierte Projekt angegangen, eine gemeinsame Ostseepolitik zu entwickeln, um aus dieser Region mit ihrem immensen Potential das Maxi- mum herauszuholen. Sie haben tolle Ergebnisse erzielt. Die Regierungen der Ostsseestaaten und die Bürgerin- nen und Bürger in diesen Staaten haben eigenverant- wortlich eine Strategie der Zusammenarbeit geschaffen. Mit Ihrem Antrag würden Sie diese Kooperation nun in ein rechtliches und bürokratisches Korsett zwingen, das kaum noch Luft zum Atmen lässt. Wo rechtliche Kon- trollen angebracht sind, sind diese auch vorzunehmen; da stimmen wir mit Ihnen überein. In diesem Punkt gibt es bereits strenge Vorgaben. Doch darüber hinaus wollen wir den Betroffenen Raum zur Selbstentfaltung geben, zur eigenen Konzeption von Problemlösungen. Die Menschen, die an der Ostsee leben, an und mit ihr arbei- ten, haben ein vitales Interesse an einer gesunden und fortschrittlichen Ostsee. Sie werden zu guten gemeinsa- men Ergebnissen kommen. Der Baltic Sea Action Plan ist bereits ein solches Ergebnis. An diesem Punkt möchte ich auch noch etwas zu dem zweiten großen Aspekt Ihres Antrags sagen. Sie wollen die Ostseekooperation zum Modellprojekt für regionale Kooperation erklären. Sie wollen ferner ähnliche Kon- zepte für andere europäische Meere: für das Mittelmeer, das Schwarze Meer und das Kaspische Meer. Die Idee hat ihren Reiz; das gebe ich gerne zu. Was in der Ostsee funktioniert, könnte die EU schlicht auf andere Regio- nen in ihrem Hoheitsgebiet übertragen. Und schon wür- den auch andere Regionen florieren, könnte man denken. Ich glaube nur nicht, dass das in der Praxis funktioniert. Denn Sie missachten zweierlei. Zum einen ist die Ost- seeregion nicht so ohne Weiteres mit der Mittelmeer- region zu vergleichen. Beiderorts spielen unterschiedli- che Industriezweige eine Rolle. Beiderorts haben die Anrainerstaaten verschiedene Interessen. Kurzum: Die politischen Rahmenbedingungen sind gänzlich unter- schiedlich. Es braucht stattdessen individuell zuge- schnittene Konzepte, die für die jeweilige Region die je- weils besten Resultate erzielen können. Zum anderen missachten Sie die historische Dimension der Ostsee- kooperation. Wie ich bereits sagte, standen sich rund um die Ostsee über Jahrhunderte Feinde gegenüber. Erst in den letzten Jahrzehnten ist der Gedanke der Zusammen- arbeit gewachsen. Vor allem aber: Der Wille zur Zusam- menarbeit ist in den betroffenen Staaten selbst gereift. Er wurde nicht von außen verordnet. Dass die Kooperation in der Ostsee heute so gut funk- tioniert, ist ein großes Glück. Folgendes geht jedoch nicht: Wir können nicht andere Regionen Europas von oben mit der Holzhammermethode zur Kooperation ver- urteilen. Es ist gut, wenn sich die Völker zur Zusammen- arbeit entschließen. Aber sie müssen es von sich aus wollen. Ansonsten ist die Kooperation von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich fordere Sie deshalb zu et- was mehr Zurückhaltung und Gelassenheit auf. Die Ost- seekooperation besitzt ohnehin viel Attraktivität und Strahlkraft. Für das Jahr 2013 ist eine umfangreiche Kontrolle des Baltic Sea Action Plans geplant. Dann wird eine Zwischenbilanz gezogen: Greifen die Kon- zepte? Kann die Entwicklung der Umweltverschmut- zung gestoppt und umgekehrt werden? Wächst die Re- gion wirtschaftlich? Meine Fraktion glaubt an den Erfolg des Baltic Sea Action Plans. Wenn er positive Wirkung entfaltet, wird man dies in ganz Europa fasziniert zur Kenntnis nehmen. Dann werden sich die Staaten an an- deren Meeren die Frage stellen, wie sie Ähnliches für sich erreichen können. Und so kann langfristig Koopera- tion entstehen. Unsere Herangehensweise ist unaufge- regter als Ihre. Wir setzen auf den langfristigen Erfolg, nicht auf schnelle plakative Forderungen nach einem Mehr auf allen Ebenen. Mehr Umweltschutz, mehr Wirt- schaftswachstum, mehr Kooperation an allen europäi- schen Meeren, das hört sich gut an. In der Praxis braucht Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15379 (A) (C) (B) (D) es jedoch nicht nur gut klingende Forderungen, sondern detaillierte und komplexe Konzepte. Der Baltic Sea Action Plan ist ein solches Konzept. Er wurde von uns bereits seit langem auf den Weg gebracht und unter- stützt. Sie kommen mit Ihrem Antrag folglich ein halbes Jahr zu spät. Die CDU/CSU-Fraktion wird Ihren Antrag heute ab- lehnen. Dr. Margrit Wetzel (SPD): Meere verbinden. Meere verbinden? – Ganz sicher nicht von selbst. Zunächst ein- mal wissen die Menschen, die an den Küsten von Ostsee, Mittelmeer, Schwarzem und Kaspischem Meer leben, dass in den Ländern jenseits ihrer Küste unterschiedliche Sprachen gesprochen, andere Kulturen gelebt und fremde Traditionen gepflegt werden. Es gibt andere Ge- setze, Gepflogenheiten, Verfahren. Andererseits ist das Meer zwischen diesen oft sehr unterschiedlichen Ländern durchaus gemeinsamer „Nützling“ als Verkehrsweg, Rohstoffquelle, Nahrungs- mittellieferant, Energieträger, Quelle für Medikamente, für technologischen Fortschritt, für Tourismus, für Frei- zeitvergnügen. Zugleich ist es auch – und dabei erst recht gemeinsam – „Schützling“: es muss in ökologi- schem Gleichgewicht gehalten werden und dies trotz vielfältiger belastender Einleitungen von Land. Das Meer muss für die Menschen an seinen Küsten und für die Schifffahrt sicher gemacht werden, es muss ge- schützt, gepflegt und bewahrt werden. Spätestens dort sind wir beim Kern des Antrags der Opposition, den es heute zu beraten gilt: Dass Meere verbinden, ist mit politischem Willen verbunden, und letztlich ist es ein langer Weg, bis das verbindende Meer wirklich von allen Anrainerländern so gesehen, so be- handelt und so in Wert gesetzt wird. Bei der Ostsee ist das bereits ganz gut gelungen. Das sehen die Koalitionsfraktionen so, und das sieht offenbar auch die Opposition so. Was im vorliegenden Antrag be- klagt wird, sind gewisse Unverbindlichkeiten in dem, was politisch gemeinsam gewollt wird, Unverbindlich- keiten im Blaubuch der EU-Kommission, bei der in Aus- sicht stehenden Meeresstrategierichtlinie, Unverbind- lichkeiten im Baltic Sea Action Plan, der doch Beispiel geben soll für die anderen großen Binnenmeere im euro- päischen Raum bzw. beim Kaspischen Meer als Ener- gieweg nach Europa. Ich möchte Ihr Augenmerk dabei auf zwei Schwer- punkte lenken: Zum einen auf die Unverbindlichkeit selbst. Angesichts unterschiedlichster nationaler Gesetze und Zuständigkeiten – gerade wir in Deutschland mit un- serem Föderalismus können ein Lied davon singen – ist eine gewisse Unverbindlichkeit, ein gewisser Spielraum beim Vorschreiben der Umsetzungen von gemeinsam politisch gewollten Zielen unbedingt nötig. Wir sind es doch, die immer wieder auf Subsidiarität pochen, die na- tionale Spielräume verlangen, insbesondere doch dann, wenn wir das Verlangte bereits übererfüllen und daher durch europäische Vorgaben ein Absenken unserer Stan- dards befürchten. Mich erinnert die Forderung nach mehr Verbindlichkeit immer an den viel geforderten Bü- rokratieabbau: All jene, die ihn besonders laut fordern, sind doch die gleichen, die eine Regelung bis ins Letzte erwarten, wenn wir Gesetze schaffen, die bewusst Spiel- räume für die Umsetzung öffnen. Das ist hier genauso. Es liegt doch an uns, wie wir die EU-Vorgaben in natio- nales Recht und in nationales Handeln umsetzen, welche Verbindlichkeit wir ihnen geben! „Ja, aber die anderen Länder, die nicht so bewusst handeln, die müssen wir dazu bringen, dass sie durch Verbindlichkeit gezwungen werden, ebenso zu tun“ – das scheint hinter dieser Forderung nach Verbindlich- keit zu stecken. Genau da liegt – und das ist der zweite Punkt, den ich beleuchten möchte – die Crux, wie wir schnell am Beispiel der Ostsee und des Baltic Sea Action Plan erkennen können. Denn was wurde in langen Jahren gemeinsamen und freiwilligen Entwickelns, Diskutierens, Beratens in ei- nem umfangreichen Netzwerk der „Ostseeakteure“ alles geschaffen, bis es zu dem heute Erreichten kam: es gibt den Ostseerat, in dem neben den EU-Anrainerstaaten auch Russland, Norwegen und Island vertreten sind und eine Reihe anderer Länder, darunter Frankreich, die Ukraine und die USA, Beobachterstatus haben. Regel- mäßige zielgerichtete gemeinsame Arbeit der hochrangi- gen und kompetenten Vertreter führen zu Ergebnissen, die dann auch von allen Ländern akzeptiert werden. Be- sonders den Schutz der Meeresumwelt hat die Helsinki- Kommission zum Ziel, unterstützt wird die ganze Netz- werkarbeit durch Abgeordnete der nationalen Parla- mente in der Ostseeparlamentarierkonferenz und mit der sogenannten Politik der Nördlichen Dimension, die durch die Europaparlamentarier initiiert wurde. Wir bringen uns in diesem Netzwerk ein: durch die Regierung, die ihre Vertreter in gemeinsame Sitzungen und Konferenzen schickt, durch die Treffen der Regie- rungschefs, der Außenminister, der Fachminister, der Ressorts. Wir bringen uns auch direkt ein durch unsere Kollegen, die an Parlamentarierkonferenzen teilnehmen, durch Anträge, die wir im Deutschen Bundestag beraten und verabschieden. „Nichts anderes wollen wir mit unserem Antrag!“ werden nun die Grünen sagen. Aber: Die Absicht ist gut, die Liste all dessen, was wünschenswert sein mag, ist umfangreich – aber sie kommt schlicht deutlich zu spät. Anfang Juli letzten Jahres haben die Koalitionsfraktio- nen einen Antrag recht ähnlichen Inhalts verabschiedet, und zwar rechtzeitig vor der 16. Jahrestagung der Ost- seeparlamentarierkonferenz, die im August stattfand. Mir scheint fast, verehrte Kollegen von den Grünen, Sie hätten Ihren Antrag als Protokoll der Ostseeparlamenta- rierkonferenz geschrieben und alles aufgelistet, was dort diskutiert wurde. Insofern, liebe grüne Kollegen, kom- men Sie jetzt zu spät, Sie werfen sich – wie häufig – hin- ter den fahrenden Zug und schreien ganz laut, dass er endlich abfahren soll. Nein, dafür gibt es trotz vieler gu- ter Inhalte kein Lob: Die Politik, die Sie wollen, wird ge- macht – durch die engagierte Arbeit der Regierungsver- treter, die erst mit dafür gesorgt haben, dass wir ein funktionierendes Ostseenetzwerk haben, dass viele der 15380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Regelungen aus dem Baltic Sea Action Plan – den Sie verbindlicher weiterentwickeln wollen – bereits durch EU-Vorgaben für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Sie wissen doch, dass die Anlage VI zum MARPOL- Übereinkommen in Deutschland längst umgesetzt ist, was wir alles tun für eine sichere Schifffahrt, für ein klu- ges Notfallmanagement, was wir alles tun für die Sau- berhaltung der Meere, gegen das Einschleppen fremder Arten. Sie kennen unsere Aktivitäten für die Luftreinhal- tung durch SECA, durch das Voranbringen von landge- stützter Stromversorgung, den Einsatz für Destillate und die Einbindung der Schifffahrt in den Emissionshandel. Und ganz wichtig: Russland ist durch den BSAP mit ins Boot geholt worden. So etwas schaffen wir nicht für das Mittelmeer, das Schwarze und das Kaspische Meer durch einen Beschluss im Deutschen Bundestag. Das Ostseenetzwerk gibt Beispiel, der Ostseerat, in dem Beobachter auch aus Nicht-Anrainerstaaten sind, gibt Beispiel für die anderen Binnenmeere, und zwar ohne durch eine zu hohe Verbindlichkeit gleich abzu- schrecken. Das Ostseenetzwerk ist Beispiel dafür, wie durch gemeinsames politisches Wollen die verbindenden Meere von allen Anrainerländern genutzt, aber auch ge- schützt und gesichert werden können. Dieses gute Beispiel ist es, das wirken wird und das wir auf EU-Ebene auch intensiv unterstützen können: Wir können und sollten die Anrainerstaaten des Mittel- meeres, des Schwarzen und des Kaspischen Meeres mo- tivieren, sich ein Beispiel zu nehmen, sowohl am Ostsee- netzwerk als auch an einem selbstverständlich weiter zu entwickelnden BSAP, besser noch an seiner konsequen- ten Umsetzung durch die Staaten rund um die Ostsee. Für einen Schaufensterbeschluss des Bundestages, in dem die Regierung aufgefordert wird, so zu handeln, wie sie es sowieso in vorbildlicher Weise bereits tut, sind wir uns nicht nur zu schade, wir sind auch überzeugt davon, dass wir den Nationalparlamenten und Regierungen der anderen europäischen und europanahen Binnenmeere so viel politischen Verstand zutrauen können, dass auch sie sich auf den sicher beschwerlichen Weg der entspre- chenden meeresübergreifenden Kooperation machen werden. Unser gutes Beispiel vor Augen, werden sie vie- les von der Zeit einsparen und auch einsparen müssen, die wir gebraucht haben, so weit zu kommen, wie wir sind. Beispiel geben als Hilfe zur Selbsthilfe – das ist es, was wir wollen. Deshalb werden wir den vorliegenden Antrag nach der erfolgten intensiven Beratung im Fach- ausschuss jetzt ablehnen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Im vergange- nen Jahr haben wir in Vorbereitung der Ostseeparlamen- tarierkonferenz hier im Deutschen Bundestag auf der Grundlage von zwei Anträgen der Regierungskoalition und des Antrages „Zukunftschancen des Ostseeraums – Wirtschaft, Ökologie, Kultur und Tourismus“ der FDP- Bundestagsfraktion über den Ostseeraum debattiert. Die- ser Antrag der Grünen kommt ein wenig später. Der Antrag hat zwar den Ostseeraum in der Über- schrift, widmet sich jedoch dem Ostseeraum nur neben- bei. Das ist schade. Die Entwicklungen im Ostseeraum sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass eine auf langfristige Entwicklungen angelegte, kluge Politik für die Menschen spürbare Verbesserungen ihrer Lebens- bedingungen bringt. Die zu Zeiten der sozialliberalen Koalition angelegte Entspannungspolitik hat ihre Krö- nung durch die deutsche Wiedervereinigung erhalten. Die singende Revolution der baltischen Länder und die Erweiterung der EU im Jahr 2004 um die neuen Mitglie- der im Ostseeraum Litauen, Lettland, Estland und Polen sind wichtige Wegmarken dieses langen politischen Pro- zesses. Großen Anteil an diesem Wandel hatte der dama- lige deutsche Außenminister, Hans-Dietrich Genscher, als Architekt der deutschen Einheit. Heute wachsen die Staaten im Ostseeraum weiter zusammen. Es haben sich vielfältige internationale Kooperationen gebildet, die sich dem Ziel einer gemeinsamen Interessenvertretung im Ostseeraum verpflichtet fühlen. Die Ostseeparlamentarierkonferenz im vergangenen Jahr in Berlin war eine eindrucksvolle Demonstration, dass die Menschen im Ostseeraum sich seit dem Zusam- menbruch des Ostblocks zunehmend als zusammenge- hörig empfinden. Die Ostsee ist seit dem Beitritt der drei baltischen Länder und Polen im Jahr 2004 in die EU na- hezu ein EU-Meer; einziger weiterer Anrainer ist Russ- land mit dem Kaliningrader Gebiet und St. Petersburg. Deutschland gehört zu den Ostseeanrainerländern, hat die Entwicklungen hier mitgestaltet. Ob andere Regio- nen, wie die im Antrag genannte Region um das Schwarze Meer, die Entwicklungen im Ostseeraum als nachahmenswertes Modell für die eigene Entwicklung empfinden, werden diese Länder entscheiden. Wir kön- nen auf die positiven Entwicklungen im Ostseeraum ver- weisen, doch wir sollten jede Bevormundung anderer Länder vermeiden. Zu den positiven Entwicklungen des Ostseeraums ge- hört auch die deutliche Verminderung der ökologischen Belastung der Ostsee, auch wenn auf diesem Gebiet noch viel zu tun ist. Wer weitere politische Maßnahmen einfordert, muss zunächst Bilanz ziehen, was die bisheri- gen Investitionen erbracht haben. Die Darstellungen zur Ökologie der Ostsee im vorliegenden Antrag sind un- vollständig und berücksichtigen die Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte nicht. Gerade die Investitionen in Kläranlagen im Einzugsgebiet der Ostsee haben sich positiv ausgewirkt. Seit 20 Jahren sind deutliche Minde- rungen der Schadstoffeinträge zu verzeichnen. Wir freuen uns über Erfolge im Umweltschutz. Gleichzeitig gilt, dass die Schadeinträge in die Ostsee der letzten Jahrzehnte nicht in wenigen Jahren ungeschehen ge- macht werden können. Der Forderungskatalog im Antrag der Grünen ist ein breit angelegter Warenhauskatalog, in dem für jedes Politikfeld ein Angebot gemacht wird. Ich will nur ei- nige Stichworte nennen, die die Breite des Angebots in der Außenpolitik beschreiben: Zentralasienstrategie, Ko- operation mit der Shanghai Cooperation Organization suchen, Meeresschutz in den Beitrittsverhandlungen der Türkei. Völlig ausgeblendet werden jedoch die vielfältigen Probleme, die durch die illegale Fischerei weltweit, aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15381 (A) (C) (B) (D) auch regional in der Ostsee verursacht werden. Die Neu- festsetzung der Dorschfangquoten am Ende des letzten Jahres für 2008 durch die EU stoßen bei den deutschen Fischern auf großes Unverständnis. Die Fangquote soll für die westliche Ostsee um 29 Prozent sinken, für die östliche Ostsee nur um 5 Prozent. Dies entspricht einer Gesamtreduzierung von 19 Prozent. Durch die ungleich- mäßige Verteilung der Ost-/Westquoten bei den einzel- nen Mitgliedstaaten bedeutet diese Reduzierung zum Beispiel für Polen nur ein Minus von 10 Prozent. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Polen im letzten Jahr insbesondere durch illegalen Fischfang aufgefallen ist und den von der EU verhängten Fangstopp nicht ein- gehalten hat, wirkt diese Entscheidung in den Augen der deutschen Fischer wie der blanke Hohn. Illegale Fische- rei darf sich nicht lohnen. Daher ist es gut, dass auf EU- Ebene die Anstrengungen zur Eindämmung der illegalen Fischerei deutlich verstärkt werden. Die FDP lehnt den vorliegenden Antrag ab. Lutz Heilmann (DIE LINKE): „Die Ostsee steht auf der Kippe“ – sagt der WWF. Sie ist also weit davon ent- fernt, eine Modellregion zu sein. Selbst die bisherigen, unzureichenden Beschlüsse der HELCOM wurden nach Untersuchungen des WWF nicht oder nur teilweise er- füllt. Und auch der im November beschlossene Aktions- plan reicht nach Ansicht des WWF noch lange nicht aus. Problem vertagt. Patient tot. Warum steht die Ostsee auf der Kippe? Warum muss umgehend gehandelt werden, und nicht erst in zehn Jah- ren? Die Ostsee ist weitgehend leergefischt; der Dorsch zum Beispiel ist vom Aussterben bedroht. Die beschlos- senen Maßnahmen greifen erst in zehn Jahren. Wenn es dann nicht zu spät ist. Die sauerstoffarmen und -freien Bereiche werden immer größer – auf einem Sechstel ih- rer Fläche ist die Ostsee bereits praktisch tot. Ursache sind die immensen Einleitungen von Stickstoffverbin- dungen und Phosphaten, überwiegend durch die Land- wirtschaft. Die sollen verringert werden – spätestens ab 2016. Das ist viel zu wenig und viel zu spät. Die Land- wirtschaft ist auch für die Einleitung der Pestizide ver- antwortlich. Dieses und andere Gifte lagern sich über kurz oder lang in den Meeresbewohnern ab, die wir dann vielfach essen. Am Grunde der Ostsee schlummern erhebliche Men- gen von Munitionsaltlasten aus den Kriegen. Immer wie- der gelangt einiges davon auch an die Strände: Das be- deutet Lebensgefahr für Menschen. Bei Explosionen unter Wasser sterben Wale, wenn sie wegen der Schallausbreitung nicht qualvoll verenden. Diese Altlas- ten gefährden nun auch den Bau der Ostseepipeline, die ebenfalls die Ostsee gefährdet. Nicht nur wegen des Baus, sondern auch durch die geplante sogenannte Rei- nigung mit dem Gift Glutaraldehyd. Das ist sogar nach Auffassung der Bundesregierung sehr giftig für Wasser- organismen. Diese und weitere Probleme werden auch im Antrag benannt. Und an all diesen Problemen trägt die Bundesregierung eine nicht unerhebliche Mitschuld oder Mitverantwortung! Erstaunlich ist deswegen, dass die Bundesregierung in diesem Antrag zu keinen nationalen Maßnahmen auf- gefordert wird. Alle Forderungen sind auf die europäi- sche Ebene ausgerichtet. Natürlich sind diese Forderun- gen alle gut und richtig. Deswegen stimmen wir dem Antrag auch zu. Aber die Meeresschutzrichtlinie ist praktisch schon beschlossen. Leider ohne die europäi- sche Landwirtschafts- und Fischereipolitik bindend ein- zubeziehen. So ist diese Richtlinie ein weitgehend zahn- loser Tiger. Die Nationalstaaten können weitgehend machen, was sie wollen. So wird der Schutz der Meere nicht vorankommen. Genau deswegen müssen die Na- tionalstaaten in die Pflicht genommen werden. Und ge- nau deswegen wollen wir die Bundesregierung in die Pflicht nehmen. Dass die Grünen das nicht wollen, ver- wundert mich ein wenig. Es ist aus meiner Sicht schon etwas merkwürdig, dass sich die Bundesregierung für eine Meeresstrategie im Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer einsetzen soll. Das ist grundsätzlich sicher wünschenswert. Aber wer seine Hausaufgaben nicht macht, kann nicht glaub- würdig andere dazu drängen, mehr für den Schutz der Meere zu tun. Für die Bundesregierung gibt es aber genug zu tun, damit die Ostsee wirklich zur Modellregion werden könnte: Es sind zwar ein paar Meeresschutzgebiete aus- gewiesen, das stimmt. Das heißt aber nicht viel; denn da kann jeder machen, was er will. Insbesondere in der Nordsee. Im Nationalpark Wattenmeer finden Ölbohrun- gen statt. In den in der Nordsee ausgewiesenen FFH-Ge- bieten wird in großem Stil Sand und Kies abgebaggert. Auch die Offshorewindernergieanlagen sind nicht un- problematisch. Dass hierfür jeweils bedenkenlos Geneh- migungen erteilt werden, zeigt, dass der Meeresschutz bislang nur auf dem Papier steht. Zur Reduzierung der Düngemitteleinträge in die Flüsse – und damit in die Meere – hört und liest man von der Bundesregierung Absichtserklärungen, zum Beispiel in der nationalen Biodiversitätsstrategie. Selbst das reicht nicht aus, wobei noch lange nicht sicher ist, dass dem konkrete Maßnahmen folgen. Die Reduzierung des Stickstoffeintrags wird ja nur angestrebt. Wie man hört, soll die Landwirtschaft im Umweltgesetzbuch sogar ei- nen Freifahrtschein bekommen. Für die gute fachliche Praxis will der Bund keine Vorgaben machen. Wie wol- len Sie Ihre Ziele da erreichen? Das bleibt wohl nicht nur mir schleierhaft. Bei der Beseitigung der Munitionsaltlasten muss das unsägliche Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und den an die Ostsee angrenzenden Bundesländern endlich beendet werden. Der Bund muss hier endlich Verantwor- tung übernehmen. Die Bundesrepublik als Rechtsnach- folger des Deutschen Reiches ist für die Munition der Reichswehr – denn darum handelt es sich überwiegend – verantwortlich. Es kann nicht sein, dass nur da die Muni- tion beseitigt wird, wo die unsägliche Ostseepipeline ge- baut wird. Zu guter Letzt will die Bundesregierung eine feste Fehmarnbelt-Querung bauen, und zwar mitten durch ein FFH-Gebiet in der Ostsee. An dieser Stelle wäre der 15382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Umweltschutz ganz einfach: Lassen Sie es einfach sein. Es gibt viel zu tun – packen Sie es an! Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Unsere Meere sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Klimaregulierer, Nahrungsquelle und Erho- lungsgebiete. Als Handels- und Transportwege verbinden sie Menschen über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Damit sind sie im wahrsten Sinne des Wortes verbinden- des Element. Die Halbinsel EU grenzt an Nordsee, Ost- see, Atlantik, Mittelmeer und seit den EU-Beitritten von Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2007 auch ans Schwarze Meer. Damit steht die EU in der Verantwor- tung, ihr maritimes Erbe zu erhalten. Dieses Erbe ist ge- fährdet durch wachsenden Schiffsverkehr, unsichere Öl- tanker, Überfischung, Überdüngung durch Einträge aus der Landwirtschaft, Munitionsaltlasten und Vieles mehr. Der Schutz unserer Meere ist für uns essenziell. Diese Einsicht beginnt sich im europäischen Bewusstsein durchzusetzen. Mit dem Blaubuch zur Europäischen Meerespolitik und der Meeresstrategierichtlinie hat die EU wichtige Schritte hin zu einer umfassenden Meeres- politik gemacht. Nun ist es an der Zeit, über den Teller- rand der EU hinauszublicken und die Meere verstärkt als Instrument regionaler Kooperation zu nutzen. Ein Ansatzpunkt sind verbesserter Meeresschutz und mehr Sicherheit auf See. Maßnahmen, Zeitpläne und Verantwortlichkeiten sollten regional auf Art und Grad der Verschmutzung der Meere abgestimmt sein. Diesem Ziel kommt der Baltic Sea Action Plan der Helsinki- Kommission ein gutes Stück näher. Im vergangenen No- vember haben sich alle Ostseeanrainer auf das regionale Maßnahmenpaket geeinigt. Der Aktionsplan für die Ost- see bezieht auch das Nicht-EU-Mitglied Russland ein. Damit eignet er sich hervorragend als Vorbild regionaler Kooperation. Wir von Bündnis 90/Die Grünen fordern, den Baltic Sea Action Plan zu einem verbindlichen Maßnahmen- paket mit konkreten Zielen und Zeitplänen werterzuent- wickeln und zum regionalen Baustein einer Europäi- schen Meerespolitik zu machen. Wir haben jetzt die Chance, den Ostseeraum als Modellregion für regionale Kooperationen zu etablieren. Eine Modellregion Ostsee- raum sollte Vorbildfunktion für weitere regionale Ko- operationen übernehmen, zum Beispiel im Schwarz- meerraum und im kaspischen Raum. Die EU hat ein handfestes Interesse an regionaler Kooperation. Regionale Maßnahmen für Meeresschutz und Sicherheit auf See sind unbedingt notwendig und bieten gute Anknüpfungspunkte für Kooperationen über Meerespolitik hinaus. Die Schwarzmeerregion und die kaspische Region beispielsweise gewinnen als Energie- transitrouten zunehmend an Bedeutung. Das Kaspische Meer ist die Brücke nach Zentralasien, einer Wirt- schaftsregion mit wachsenden Märkten und steigendem strategischen Gewicht. Sowohl das Schwarze Meer als auch das Kaspische Meer sind erheblichen Belastungen durch Schiffsverkehr, Ölverschmutzung, Industrieein- träge und eine nicht nachhaltige Fischerei ausgesetzt. Um verbindliche Vereinbarungen über Umwelt- und Sicherheitsstandards sowie regionales Wassermanage- ment und Energiekooperation zur Förderung erneuer- barer Energien zu treffen, sollte die EU an bestehende regionale Initiativen anknüpfen wie die Schwarzmeer- Wirtschaftskooperation, die Eurasische Wirtschaftsge- meinschaft oder die Shanghai Cooperation Organization. Zentral ist, Russland mit ins Boot zu holen. Außerdem sollte die EU entsprechende Vereinbarungen in ihr In- strument der Europäischen Nachbarschaftspolitik und in Assoziierungs- und Beitrittsabkommen aufnehmen. Wir wollen mit unserem Antrag die Meere als Instru- ment regionaler Kooperation für mehr Meeresschutz und Sicherheit auf See nutzen und als Anknüpfungspunkt ei- ner verstärkten regionalen Zusammenarbeit. Die schwe- dische Regierung hat angekündigt, dass sie die regionale Kooperation im Ostseeraum während ihrer Ratspräsi- dentschaft im zweiten Halbjahr 2009 als Modell für wei- tere Kooperationen fördern will. Unser grüner Antrag wird da sicherlich vielfältige Anregungen auch für die parlamentarische Arbeit der anderen Fraktion bieten. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel- gesetzbuches sowie anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 18) Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Vor dem Hintergrund der sogenannten Gammelfleischfälle hat die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren erheb- liche Anstrengungen unternommen, um Verbraucher künftig besser schützen zu können. Im letzten Jahr haben wir das Verbraucherinformationsgesetz beschlossen, ein Meilenstein im Verbraucherschutz. Dadurch haben die Verbraucher erstmalig einen gesetzlich festgelegten An- spruch auf behördliche Information bei Verstößen gegen das Lebens- und Futtermittelrecht. Um noch einmal da- ran zu erinnern: Die sogenannte Verbraucherschutz- ministerin der letzten Bundesregierung war dazu nicht in der Lage. Mit dem jetzt von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebens- und Futtermittelgesetzbuches werden wir die Barrieren für die schwarzen Schafe in der Lebensmittelbranche noch einmal hochsetzen. So gab es Fälle, bei denen nicht si- chere Lebensmittel zwar von Abnehmern zurückgewie- sen worden sind. Diese verschwanden dann aber nicht vom Markt, sondern vorerst wieder in den Lagern, um dann erneut einem anderen Abnehmer angeboten zu werden. Das Spiel ging so lang, bis sich ein unaufmerk- samer oder ebenso krimineller Abnehmer fand – denn so muss man dieses Handeln nennen – und die Lebensmit- tel in Verkehr brachte. Um es noch einmal sehr deutlich zu machen: Wir re- den hier nicht von der Lebensmittelbranche. Wir reden hier von einzelnen schwarzen Schafen. Herr Bode von Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15383 (A) (C) (B) (D) Foodwatch hat ja kürzlich im Interview mit der Süddeut- schen Zeitung kundgetan, die deutschen Agrar- und Le- bensmittelunternehmen seien ein gleichsam semikrimi- nelles Kartell. Die Süddeutsche hat ihn daraufhin gefragt, ob er nicht ein wenig paranoid sei. Dem ist nichts hinzuzufügen. Nein, deutsche Lebensmittel sind sicher und unsere Lebensmittelproduzenten sind kein Haufen von Kriminellen. Aber – dieses Aber möchte ich dick unterstrichen wissen – auch gegen die schwarzen Schafe muss mit aller Härte vorgegangen werden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alles in seiner Macht ste- hende zu veranlassen, Missbrauchsfälle aufzudecken und zu ahnden. Drei wesentliche Punkte des eingebrachten Gesetz- entwurfes möchte ich kurz vorstellen. Mit dem Gesetz werden wir Lebensmittelunterneh- mer künftig verpflichten, die Behörden zu informieren, wenn ihnen verdorbene Lebensmittel angeboten werden. Damit können wir dem Verschiebebahnhof für Gammel- fleisch sehr direkt begegnen. Zum besseren Risikomanagement bei länderübergrei- fenden Vorkommnissen wird der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet, einen Lagebericht auf Basis der Länderinformationen zu erstellen. Die daraus gewonne- nen Erkenntnisse können zur Umsetzung und Koordina- tion notwendiger rechtlicher Maßnahmen dienen. Es ist bedauerlich, dass der Bundesrat diesen Punkt abgelehnt hat, zumal die Verbraucherschutzministerkonferenz im vergangenen Jahr diesen Vorschlag begrüßt hatte. Als dritten Punkt möchte ich noch die Anhebung des Bußgeldrahmens bei fahrlässigen Verstößen nennen. Mit der Anhebung von 20 000 Euro auf 50 000 Euro haben die Behörden nun weitaus schärfe Sanktionsmöglichkei- ten. Das Abschreckungsmoment steigt. Und wer seine Aufgabe als Lebensmittelunternehmer nicht ernst nimmt, muss eben eine empfindliche Strafe hinnehmen. Sie sehen, die Bundesregierung setzt mit diesem Maßnahmenpaket ihren Weg eines sachlichen und kon- sequenten Verbraucherschutzes fort. Dafür möchte ich ihr danken. Bitte erlauben Sie mir noch auf einen weiteren Punkt im Gesetz einzugehen, der für unsere Tierhalter von im- menser Bedeutung ist: die Verfütterung von tierischen Fetten. Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Bundesrat – mit Zustimmung der Bundesregierung – den Vorschlag eingebracht hat, die Verfütterung von tierischen Fetten wieder zuzulassen, wenn auch vorerst nur an Nichtwie- derkäuer. Im Zuge der BSE-Krise hatte die Europäische Union die Verfütterung von tierischen Proteinen als potenzielle Überträger des BSE-Virus verboten. Das war eine Entscheidung, die damals zu Recht getroffen wurde. Aber wir Deutschen sind einmal wieder über das Ziel hi- naus geschossen. Unsere Vorgängerregierung hat zudem auch noch die für die Verfütterung so wichtigen tieri- schen Fette verboten. Wohl gemerkt: Kein anderes EU- Mitgliedsland sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen. Was waren die Folgen? Unsere Veredelungsbetriebe sahen und sehen sich im Vergleich mit den europäischen Nachbarn deutlichen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt. Denn sie müssen die tierischen Fette durch pflanzliche Futtermittel ersetzen. Die Veredelungswirtschaft schätzt die zusätzlichen Kosten, die sie durch das Verbot pro Jahr zu tragen hat, auf etwa 100 Millionen Euro. Für un- sere Kälbermäster liegen die zusätzlichen Kosten pro Tier bei etwa 40 Euro. 10 Prozent Marktanteil wurden durch das Verfütterungsverbot an niederländische Mäs- ter verloren. Aber Verbraucherschutz ist nicht teilbar. Was meine ich damit? Wir können zwar in Deutschland Regelungen und Verbote einführen, aber bei offenen Märkten nützt das oftmals nichts. Wie auch in diesem Fall: Auf die Tische unserer Verbraucher kommt dann eben das niederländische Kalbfleisch – mit tierischen Fetten gefüttert. Mit der aktuellen Regelung zur Verfütterung tieri- scher Fette haben wir meines Erachtens einen längst überfälligen Schritt in die richtige Richtung getan. Ich denke, für unsere Schweinehalter dürfte dies bei der ak- tuellen Marktsituation wenigstens eine kleine Hilfe sein. Den Weg müssen wir aber weiter beschreiten. Denn für die oben erwähnten Kälbermäster ändert sich vorerst nichts. Verboten bleibt die Verfütterung tierischer Fette an Wiederkäuer. Wir brauchen deshalb künftig eine wei- tere Lockerung. Es muss wenigstens möglich sein, Fette von Nichtwiederkäuern an Wiederkäuer zu verfüttern. Hier ist aber auch die Wirtschaft aufgerufen, mitzuhel- fen, dass Analyseverfahren zur Bestimmung der Fetther- kunft weiterentwickelt werden. Erlauben Sie mir bitte zum Schluss noch ein paar Worte zum Thema tierische Proteine. Auch wenn dies ein EU-Thema ist, steht es doch, wie oben erwähnt, in einem engen Zusammenhang mit den tierischen Fetten. Durch das noch immer bestehende Verbot der Verfütte- rung tierischer Proteine müssen europäische Tierhalter auf Ersatz in Form pflanzlicher Proteine zurückgreifen. Das ist unter zwei Aspekten äußerst kritisch zu bewer- ten: Zum einen werden dadurch wichtige Rohstoffe für die Produktion von Biokraftstoffen gebunden. Denn die hierbei in der Regel verwendete Sojapflanze kann eben beides liefern, Proteine und Öl. Andererseits bauen die Hauptproduzenten immer weniger Soja an, das nicht gentechnisch verändert ist. Durch die Null-Toleranz- Politik der EU gegenüber GVO-Pflanzen werden unsere Tierhalter schon bald vor erheblichen Versorgungseng- pässen bei Futtermitteln stehen. Ihnen werden entweder keine oder nur deutlich teuere GVO-freie Proteine zur Verfügung stehen. Die Folge: Wettbewerbsverdrängung. Unseren Fleischbedarf müssten wir dann durch Importe decken. An Exporte wie derzeit wäre nicht mehr zu den- ken. Die Leidtragenden wären letztlich unsere Verbrau- cher. Diese müssten sich damit abfinden, deutlich mehr für fleischliche Lebensmittel als heute auszugeben. Ob diese dann zu den deutschen bzw. europäischen Tier- schutzstandards produziert würden, steht stark zu be- zweifeln. Deswegen schließe ich mich der Forderung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses an, auch tierische Proteine wieder für den Futtermittel- gebrauch zuzulassen. 15384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Wir können es uns nicht mehr leisten, wertvolle Roh- stoffe wie tierische Fette und Proteine aus dem Verwer- tungskreislauf auszuschließen. Allerdings: Verwendung und Verbrauchersicherheit müssen Hand in Hand gehen. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich freue mich, dass wir heute in erster Lesung die Änderung des Lebensmit- tel- und Futtermittelgesetzbuches beraten. Denn das zeigt, dass die Bundesregierung die nötigen Maßnahmen ergreifen will, um die Bevölkerung vor Betrug und un- sicheren Lebensmitteln zu schützen. Ich darf Ihnen kurz in Erinnerung rufen: Verdorbenes Fleisch wurde gehandelt, aufgetautes Fleisch als Frisch- fleisch vertrieben, überlagertes Fleisch umetikettiert und verkauft, Schlachtabfälle wurden zu Lebensmitteln ver- arbeitet. Diese als Gammelfleischskandale bezeichneten Vorfälle der letzten Jahre haben das Vertrauen der Ver- braucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit von Fleisch und Fleischprodukten empfindlich gestört. Das ist angesichts des erreichten Standes der Lebens- mittelsicherheit in Deutschland, guter Hygiene und ho- hen Risikobewusstseins höchst bedauerlich. Leider kann man aufgrund der Zahl der Vorfälle nicht von einzelnen schwarzen Schafen sprechen. Dennoch stellen die Her- steller und Händler von unsicheren Lebensmitteln eine Minderheit dar. Deren Nachlässigkeit oder gar kriminel- ler Energie müssen wir mit der Änderung des LFGB ent- gegentreten und so für die verantwortungsbewussten Le- bensmittelhersteller das Vertrauen wiedergewinnen. Die Einführung einer Meldepflicht für Lebensmittel- unternehmen bezüglich unsicherer Ware, die ihnen gelie- fert wurde, halte ich für sehr wichtig. Es ist zwar erfreu- lich, wenn ein Lebensmittelunternehmen das Recht einhält und unsichere Waren zurückweist. Angesichts der Unverfrorenheit einiger Marktteilnehmer, unsichere Lebensmittel solange anzubieten, bis sich ein verantwor- tungsloser Käufer findet, reicht das aber nicht aus. Sol- che Vorgänge müssen der zuständigen Behörde gemeldet werden, damit diese aktiv gegen Rechtsverletzer vorge- hen kann. Der Aufwand für den meldepflichtigen Be- trieb ist denkbar gering und der Nutzen für die Allge- meinheit denkbar groß. Die Meldepflicht wird Unternehmer davon abhalten, unsichere Waren anzubie- ten. Die Unbelehrbaren werden so schnellstmöglich ver- antwortlich gemacht. Ich halte es für selbstverständlich, dass die Bundesre- gierung befähigt werden soll, bei länderübergreifenden Vorfällen ein Lagebild zu erstellen. Ein Risikomanage- ment auf Bundesebene ist bei solchen Vorgängen uner- lässlich und nur auf Grundlage der in den Ländern erho- benen Daten möglich. Ich habe kein Verständnis für die ablehnende Haltung des Bundesrates an dieser Stelle. Der Aufschub eines Frühwarnsystems um unbestimmte Frist und unter Kostenvorbehalt ist keine Lösung des drängenden Problems. Schon morgen kann ein solch län- derübergreifender Sachverhalt offenbar werden. Der Deutsche Bundestag erwartet dann unverzüglich den Be- richt des Bundesministers. Teilweise bestehen Unter- richtungspflichten gegenüber der EU. Deshalb müssen ihm und seiner Fachbehörde sofort die entsprechenden Kompetenzen eingeräumt werden. Ich bin sicher, dass sich niemand in den Lebensmittel- unternehmen darüber im Unklaren ist, dass es verboten ist, verdorbene Ware zu verkaufen, abgelaufene Ware neu zu etikettieren oder Schlachtabfälle zu Lebensmit- teln zu verarbeiten. Abgesehen von den klaren Rechts- vorschriften gibt es ja auch einen Abwehrreflex, der die Menschen darauf hinweist. Wir haben als Gattung über- lebt, weil uns unser Ekelempfinden davon abhält, ver- dorbene Nahrung zu verzehren. Nun mag dieses Empfin- den von langjährigem Umgang mit ekelerregender Ware abstumpfen. Dennoch wissen die Leute: Das ist verbo- ten. Wenn ein Verstoß gegen das Verbot ungefährlich er- scheint, greift das Unrechtsbewusstsein nicht. Es ist des- halb richtig, diejenigen härter zu bestrafen als bisher, die sich auch von öffentlicher Diskussion, verschärften Kon- trollen und Meldepflicht nicht von ihrem schädlichen Handeln abbringen lassen. Die Gerichte sollten die Mög- lichkeit besser nutzen, durch strafbares Verhalten er- zielte Gewinne abzuschöpfen. Dazu ist es aus meiner Sicht unerlässlich, in diesem Gesetzgebungsverfahren den Informantenschutz zu regeln. Wenn sich nur bereits gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge- trauen, verbotene Praktiken anzuzeigen, erhalten die Be- hörden in der Regel keine aktuellen Informationen. Diese sind aber für die erfolgreiche Verfolgung von Ord- nungswidrigkeiten und Straftaten unentbehrlich. Zu al- lem Überfluss stehen solche Informanten unter dem Ge- neralverdacht, falsche Anschuldigungen aus Rache zu erheben. Das ist ehrabschneidend, und damit muss Schluss sein. Beschäftigte in Lebensmittelunternehmen müssen die rechtlich gesicherte Möglichkeit bekommen, Informationen über verbotene Praktiken an die zuständi- gen Behörden zu geben, ohne um ihren Arbeitsplatz fürchten zu müssen. Ich werde mich in den Ausschuss- beratungen mit großem Nachdruck für eine solche Whistleblower-Regelung einsetzen und hoffe sehr auf die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen aus al- len Fraktionen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Unsere Debatte zur Novellierung des LFGB sollte eigentlich eine De- batte zu den vielen Gammelfleischskandalen der letzten Jahre sein. Doch eines möchte ich vorweg klarstellen: Die heimischen Lebensmittel sind qualitativ hervorra- gend und die deutsche Ernährungswirtschaft nimmt im weltweiten Vergleich die Spitzenposition ein. Deutsche Lebensmittel sind im Ausland gefragt; das zeigen die Exportraten. Nach den vielen Gammelfleischskandalen der letzten Jahre sind es aber gerade nicht mehr die Leistungen der heimischen Land- und Ernährungswirtschaft, die das Meinungsbild bei den Verbrauchern prägen. Daher sind alle Maßnahmen, die zu mehr Lebensmittelsicherheit und mehr Verbraucherschutz durch das LFGB führen, zu begrüßen. Allerdings kann auch die Novelle des LFGB nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Landes- und vor allem auch auf Bundesebene entscheidende Fehler bei Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15385 (A) (C) (B) (D) der Bekämpfung der Gammelfleischskandale gemacht wurden. Die Leistungen von Minister Seehofer und dem ehe- maligen bayerischen Verbraucherminister Schnappauf stehen in krassem Gegensatz zu ihren Ankündigungen und den Notwendigkeiten. So sind von dem am 30. No- vember 2005 von Bundesminister Horst Seehofer be- kanntgegebenen Zehn-Punkte-Sofortprogramm und dem zehn Monate später verabschiedeten 13-Punkte-Maß- nahmenkatalog zur Bekämpfung von Gammelfleisch- skandalen von Bundesminister Seehofer gemeinsam mit den Verbraucherministern der Länder am 7. September 2006 zentrale Punkte bis heute nicht umgesetzt worden. Die schwerwiegenden Defizite liegen bis heute offen zu Tage: Auch heute noch muss K-3-Material nicht einge- färbt werden. Insbesondere bei der Kennzeichnung von tierischen Nebenprodukten, die bereits für die Verwen- dung außerhalb der Lebensmittelkette bestimmt waren, muss sich die Bundesregierung schwere Versäumnisse vorwerfen lassen. Wer aber wie die Bundesregierung alles auf eine Karte setzt, muss mit allem Nachdruck und frühzeitig in Brüssel für das Einfärben von K-3-Material kämpfen. Das ist nur viel zu spät und viel zu zögerlich erfolgt. Deshalb ist erhebliche Skepsis geboten, ob mit der vor- liegenden Novelle des LFGB die notwendige Verbes- serung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland gelin- gen kann. Lassen Sie mich jetzt auf die zentralen Punkte des LFGB eingehen: Erstens. Grundsätzlich begrüßen wir die Ausweitung der Meldepflicht für Lebensmittelunternehmer – und Futtermittelunternehmer –, denen „unsichere Lebensmit- tel“ angeboten werden. Im Gegensatz zum Bundesrat sind wir der Auffassung, dass die Ausnahmeregelung für pflanzliche Lebensmittel und Futtermittel richtig ist. Zweitens. Sinnvoll ist zudem, dass sich der Bund bei länderübergreifenden Sachverhalten ein Lagebild auf der Grundlage der von den Ländern zu übermittelnden Infor- mationen erstellen kann. Drittens. Ob die Verschärfung der Straf- und Buß- geldvorschriften tatsächlich eine abschreckende Wir- kung entfalten wird, muss sich in der Praxis beweisen. Viertens. Die FDP ist wie der Bundesrat der Auffas- sung, dass eine Angleichung der nationalen Regelungen für tierische Fette in der Nutztierfütterung an die Vorga- ben des europäischen Rechts zwingend erforderlich ist. Das derzeitige Verfütterungsverbot belastet die Wirtschaft und bringt keine Verbesserung für die Verbraucher, da die in anderen Mitgliedstaaten mit tierischen Fetten herge- stellten Fleisch-, Milch- und Geflügelprodukte ohne Be- schränkung in Deutschland vermarktet werden dürfen. In einem gemeinsamen Markt ist eine 1:1-Umsetzung von EU-Recht zwingend erforderlich. Deshalb muss das Ver- fütterungsverbot ganz aufgehoben werden. Eine Be- schränkung des Verbots der Verfütterung von Fetten an Wiederkäuer im § 18 LFGB, wie es der Bundesrat fordert, ist nicht ausreichend. Abschließend fordert die FDP-Bundestagsfraktion, die Novelle des LFGB für eine grundlegende Korrektur der sogenannten Nulltoleranz zu nutzen. Die beabsich- tige Änderung des § 10 gegenüber Stoffen mit pharma- kologischer Wirkung in Lebensmitteln geht zwar in die richtige Richtung, ist aber nicht ausreichend. Es werden zum Beispiel nicht alle Fälle der Spurenfunde von Kok- zidiostatika ausreichend berücksichtigt. Die Folgen der „Nulltoleranz-Politik“ belasten die Land- und Ernäh- rungswirtschaft. Hier brauchen wir realistischere und praxisgerechtere Lösungen. Karin Binder (DIE LINKE): Den vorliegenden Ge- setzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futter- mittelgesetzbuches könnte man in folgenden Worten zu- sammenfassen: Packen wir’s an, aber bitte nicht so fest. Nach dem Motto des Bären – wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – versucht Minister Seehofer wie- der einmal alle Klippen zu umschiffen und den Unter- nehmern nicht wehzutun. Wie halbherzig nach diesem Gesetzentwurf unter an- derem mit dem Thema „unsichere Lebensmittel“, auch bekannt unter dem Begriff Gammelfleisch, umgegangen werden soll, möchte ich hier gerne erläutern. Im Vorwort zum Gesetzentwurf stellt das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fest: „… dass nicht sichere Lebensmittel vielfach, nachdem sie von ei- nem Abnehmer zurückgewiesen worden sind, so lange weiter angeboten werden, bis sie einen weniger sorgsa- men Abnehmer finden. Hier besteht zum Schutz des Ver- brauchers Handlungsbedarf.“ Zum Schutz der Verbrau- cher und Verbraucherinnen besteht Handlungsbedarf. Darin sind wir uns einig. Auf welche Weise das Ministe- rium versucht, diesen Schutz herzustellen, ist allerdings etwas befremdlich. Nach dem Papier sollen jetzt aus den Gammel- fleischskandalen seit Beginn dieser Legislaturperiode die Konsequenzen gezogen werden. Da werden der mündige Verbraucher und die Steuerzahlerin in der Be- gründung des Gesetzentwurfs aufgeklärt, dass Lebens- mittelunternehmer künftig anzeigen müssen, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass ein für sie bestimm- tes Lebensmittel nicht sicher sei. Diese neue Meldever- pflichtung gelte jedoch nur für angeliefertes Gammel- oder Ekelfleisch. Die Meldepflicht gilt aber nicht wenn dem Lebensmittelunternehmer ein „unsicheres Lebens- mittel“ (Gammelfleisch) angeliefert wird, das er nicht bestellt hat. Diese Meldepflicht gilt auch nicht in den Fällen, in denen das „unsichere Lebensmittel“ mündlich, telefonisch, per Mail oder per Fax angeboten worden ist. Und sie gilt auch nicht, wenn der Unternehmer bei ei- nem Marktrundgang erkennt, dass von einem anderen Lebensmittelunternehmer nicht sichere Lebensmittel an- geboten werden. Da bleibt mir doch glatt die Spucke weg. Wo sind wir denn? Ist der Handel mit Gammelfleisch etwa ein Kava- liersdelikt? Wenn nicht, dann ist es doch auf jeden Fall meine Pflicht, so etwas anzuzeigen. Das müsste doch für einen redlichen und verantwortungsbewussten Unter- nehmer selbstverständlich sein. Aber für viele Unterneh- 15386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) mer ist es das offenbar nicht; sonst müsste das nicht so explizit geregelt werden. Wenn ich mir nun die Begründung zu dem Gesetzent- wurf noch genauer anschaue, liest sich das für mich wie eine Anleitung zur Umgehung dieses Gesetzes. Hier werden nicht nur Hintertürchen offen gelassen, sondern Tore geöffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ich bitte Sie dringend: Schauen Sie sich diesen Gesetzesentwurf noch einmal gründlich an! Und wenn Sie dann auch zu dem Schluss kommen, dass hier noch einiges verbesserungsfähig ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie gleich noch ein paar andere Dinge er- gänzen würden. Wie wäre es zum Beispiel mit der Verbesserung der Kenntlichmachung von unsicheren, verdorbenen Le- bensmitteln zum Beispiel durch die Angabe des Schlachtdatums bei der Kennzeichnung von Fleischer- zeugnissen; der Verankerung direkter Auskunftsansprü- che der Verbraucher und Verbraucherinnen gegenüber Herstellern, Händlern und Verarbeitern im Verbraucher- informationsgesetz; einem effektiven arbeitsrechtlichen Informantenschutz; der Einführung eines Smiley-Sys- tems, wie es in Dänemark in Gastronomie und Handel erfolgreich praktiziert wird; der unverzüglichen Umset- zung einer manipulationssicheren Kennzeichnung von Schlachtabfällen; der Abschöpfung unlauter entstande- ner Gewinne aus dem Vertrieb solcher unsicheren Lebensmittel – diese Mittel könnten den Geschädigten zukommen bzw. zur Finanzierung einer verstärkten Le- bensmittelkontrolle verwendet werden. Einmal mehr geht es in erster Linie darum, wirtschaft- lichen Interessen gerecht zu werden. Die Interessen der Verbraucher und Verbraucherinnen werden wie so häufig hinten angestellt. Sollte dies jedoch nicht Ihre Absicht sein, Herr Seehofer, dann kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, den Gesetzentwurf noch einmal gründlich zu überarbeiten. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Kontrollsystem für Lebensmittel ist veraltet. Die Ent- wicklung der Lebensmittelüberwachung hat mit der zu- nehmenden räumlichen Trennung der Produktions- schritte und dem internationalen Handel nicht Schritt gehalten. Gammelfleischfunde sind nur die Spitze des Eisberges. Regelmäßig werden 20 Prozent der geprüften Fleischwaren beanstandet. Die sich wiederholenden Funde belegen die unzureichenden Kontrollstrukturen, die nicht in der Lage sind, kritische und riskante Lebens- mittel schnell und flächendeckend zu überprüfen. Ursa- chen für die schlechte Kontrollsituation sind die Weige- rung vieler Bundesländer, effektive Kontrollstrukturen zu schaffen, die kommunale Abhängigkeit der Überwa- chung in vielen Ländern und die Verflechtung mit den Unternehmen. Der mangelnde politische Wille und un- zureichendes Handeln der Verbraucherminister in Bund und Ländern wirkt wie eine Einladung an die Fleischma- fia, sich bundesweit zu etablieren und den verbotenen Handel mit Fleischabfällen noch auszubauen. Vor zwei Jahren kündigte Minister Seehofer 20 Maß- nahmen gegen die Gammelfleischskandale an, um den „Sumpf“ trockenzulegen. Aber seine Strategie lief nach dem Motto: Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Denn zwei Jahre und sechs bekannt gewordene Gammelfleischskandale später zeigt sich: Der Handel mit umetikettierten Schlachtabfällen ist fester Bestand- teil des Fleischmarktes. Hunderte Tonnen verdorbenen, übel riechenden und nicht mehr haltbaren Fleisches schockierten die deutsche Öffentlichkeit. Und beinahe wöchentliche Meldungen zu neuen Funden zeigen, es ist was faul im Fleischmarkt. Das zeigt sich auch beim ak- tuellen Fall in Lohe in Niedersachsen. Ein Betrieb ver- liert die Zulassung, weil er wöchentlich mehrere Tonnen stinkende Schweineköpfe zu Wurst verarbeitete. Länder wie Russland und Polen sind empört, da dieses Ekel- fleisch auch über die Grenzen hinweg in ihre Länder ge- rät. Die Bundesregierung hätte mit der Föderalismusre- form die Chance zu einer überfälligen Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gehabt. Diese Chance wurde vertan. Minister Seehofer hat trotz seiner Kritik an den Bundesländern nicht einmal ver- sucht, Reformen herbeizuführen und Bundeszuständig- keit zu erlangen. Seehofer hätte zumindest eine bessere Koordinierung der Lebensmittelüberwachung zwischen den Ländern durchsetzen müssen. Erst der heute vorliegende Gesetzesvorschlag greift einige Punkte des nach den ersten Gammelfleischskan- dalen im Herbst 2005 schnell verkündeten Zehn-Punkte- Sofortprogramm der Bundesregierung auf. Zu spät, zu wenig und zu zahm. Nach der langen Vorbereitungszeit sind die Einwände der Bundsländer, zum Beispiel zur Zusammenarbeit bei einem Lagebericht, ein Armuts- zeugnis. Zwar schafft Minister Seehofer im novellier- ten Lebensmittel- und Futtermittelgesetz mit der Melde- pflicht der Lebensmittelunternehmer, die Erstellung eines Lagebildes und die Erhöhung der Bußgelder eine etwas härtere Gangart, aber diese Maßnahmen sind völ- lig unzureichend. Einzelne Länder haben bereits jetzt an- gekündigt, dass sie die Erstellung eines Lagebildes nicht mittragen werden. Es zeugt von einem schlechten Hand- werk des Ministers, wenn nach einer solch langen Vor- bereitungszeit weiterhin derart gravierende Einwände gegen den Gesetzentwurf erhoben werden. Das Verbrau- cherinformationsgesetz, VIG, muss umgehend reformiert werden. Es hat so viele Ausnahmen wie ein Schweizer Käse Löcher hat. Beispielsweise können betroffene Un- ternehmen sich auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen, sodass die Öffentlichkeit hier kaum Informa- tionen erhält. Diese Schlupflöcher müssen schnellst- möglich geschlossen werden. Das Gesetz sieht auch Gebühren für Auskünfte für Verbraucherinnen und Ver- brauchern vor. Die Bild-Zeitung titelte vergangene Wo- che: „Das von Minister Seehofer geplante VIG droht zur bitteren Lachnummer zu werden“. Seehofers Antwort: Nur „komplizierte“ Auskunftsersuchen könnten bis zu 500 Euro betragen. Das ist Auskunftsverhinderung statt Informationsfreiheit, denn im Lebensmittelbereich sind ständig mehrere Stationen abzufragen. Der vollmundig verkündete Zehn-Punkte-Plan von November 2005 ist bislang nicht mal ansatzweise umge- setzt. Nicht einmal das Gammelfleisch ist eingefärbt, ob- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15387 (A) (C) (B) (D) wohl schon längst so beschlossen. Der regierenden CDU und SPD in Bund und Ländern fehlt der politische Wille dazu. Das Durchregieren und große Lösungen finden nicht statt und die Öffentlichkeit erfährt nach wie vor nicht, wer in diese Skandale verwickelt war und wo kon- krete Informationen erfragt werden können. Der Etiket- tenschwindel eines Verbraucherinformationsgesetzes gibt den Verbrauchern auch nicht das erforderliche In- strument an die Hand. Aber sie haben ein Recht auf In- formation und Bekanntgabe der Namen der an den Gammelfleischskandalen beteiligten Unternehmen, und zwar ohne Wenn und Aber. Mehr Konsequenz ist nötig und Maßnahmen müssen ergriffen werden, um effektive Gegenstrukturen aufzu- bauen. Wir fordern ein bundesweites und koordiniertes Kontrollprogramm, einen weiteren Ausbau der AVV RÜb, Allgemeine Verwaltungsvorschrift über Grund- sätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrechtlicher, und tabakrechtlicher Vorschriften, mit den Ländern und bes- sere Personalausstattung, eine deutlich bessere Perso- nenausstattung bei den zuständigen Zollbehörden und Ausbau der Importkontrollen, bundesweit einheitliche Qualität der Kontrollmaßnahmen unter Berücksich- tigung der internationalen Warenströme, landesweite mobile Taskforce-Einheiten, Schwerpunktstaatsanwalt- schaften, Veröffentlichungspflichten von Kontrollergeb- nissen auf allen Kontrollebenen ähnlich dem dänischen Smiley-System, Einfärbung von ausgemustertem Fleisch und eine umfassende Reformierung des Verbraucherin- formationsgesetzes. Minister Seehofer versteckt sich gerne hinter den Ländern. Aber da, wo er die Bundeskompetenz hat, muss er sie auch wahrnehmen. Das heißt, das Verbrau- cherinformationsgesetz ist sofort zu reformieren, um Transparenz für jeden Verbraucher und die Medien zu schaffen. Nur so gelingt ein Schlag zur Eindämmung der Kriminalität. Wenn Minister Seehofer noch länger zö- gert, wird er am Ende noch von den einigen fortschrittli- chen Bundesländern überholt. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Feinstaub-Fahrver- bote für Reisebusse sachgerecht und unbüro- kratisch regeln (Tagesordnungspunkt 19) Jens Koeppen (CDU/CSU): Die Senkung der Fein- staubbelastung ist ein ehrenwertes und wichtiges Anlie- gen. Jedoch zeigt die Umsetzung der Kennzeichnungs- verordnung eine gefährliche Mischung aus blindem Aktionismus, Unkenntnis und Bürokratie, die keinem Bürger zugemutet werden darf. Dennoch – diesem Antrag der FDP kann nicht zuge- stimmt werden. Um den bürokratischen Aufwand für Unternehmer und Bürger zu minimieren, gibt es keine Alternative, als bundeseinheitliche Ausnahmeregelun- gen zu schaffen. Dies gilt nicht nur für Busunternehmen. Ich sehe auch keinen Sinn darin, noch einmal eine Verhandlungsrunde mit den Ländern und der Bundes- regierung zu eröffnen. Die Länder haben bei der Entste- hung der Kennzeichnungsverordnung intensiv mitge- wirkt. Dabei ging es ihnen nicht um einheitliche Regelungen, sondern um eigene Regelungskompeten- zen. Was dabei herausgekommen ist, sehen wir jetzt: Ein Flickenteppich und kleinstaatlicher Bürokratiewahn. Genau das war es, wovor meine Kollegen aus der Umwelt- und Verkehrs-AG und ich schon vor zwei Jah- ren gewarnt haben. Schon damals haben wir einen An- trag zu bundeseinheitlichen Ausnahmeregelungen ent- worfen. Leider konnte keine Einigung mit der SPD gefunden werden. In diesem Antrag forderten wir: ers- tens eine generelle Ausnahme benzinbetriebener Fahr- zeuge von feinstaubbezogenen Fahrverboten, zweitens eine generelle Ausnahmeregelung für anerkannte Old- timer, drittens eine Ausnahmeregelung für Anwohner der betroffenen Umweltzonen für eine Dauer von fünf Jahren ab Einrichtung der Umweltzone und viertens eine Ausnahmeregelung für Fahrzeuge ortsansässiger oder auftragsgebundener Klein- und Mittelständischer Unter- nehmen, wenn ihre Fahrzeuge technisch nicht mit ent- sprechendem Filter nachrüstbar sind; und dies ebenfalls für eine Dauer von fünf Jahren ab Einrichtung der Um- weltzone. Erfreulicherweise konnten wir letztlich zumindest die einheitliche Regelung für Benziner und Oldtimer durch- setzen. Dennoch hoffe ich, dass der Umweltminister die Dringlichkeit der Lage insbesondere für die Unterneh- mer erkennt und entsprechend handelt. Zahlreiche betroffene Unternehmen – und dazu zähle ich nicht nur die deutschen Busunternehmen, sondern die Handwerker, Taxen, Transportunternehmen usw. – sind mit einer kompletten Umrüstung ihres Fuhrparks existenziell gefährdet. Zudem leiden sie unter dem ver- meidbaren Bürokratiewahn. Zu denen müssen auch die ausländischen Busse gezählt werden. Klar ist doch, soweit eine Nachrüstbarkeit nicht mög- lich ist, erhalten derzeit alle in allen Kommunen eine Ausnahmegenehmigung. Nun stellt sich für mich die große Frage: Warum muss ein solches Unternehmen je- weils in jeder Kommune einen eigenständigen Antrag stellen? Regionale Kompetenzen mögen in vielen Fällen ihre Berechtigung haben, in diesem Fall ist es völlig irr- witzig und deshalb unnötig! Wen trifft es mal wieder be- sonders hart? Das Rückgrat unserer Gesellschaft – unse- ren Mittelstand. Zudem gebe ich zu bedenken, dass der Autoverkehr nur zu einem sehr geringen Teil am Feinstaubaufkom- men schuld ist. Die Belastung ist in den Wintermonaten am höchsten – vorrangig wegen der Kohlekraftwerke und -heizungen, die dann in Betrieb sind. Darüber hinaus konnten wir kürzlich medienwirksam miterleben, dass die Partikelfiltertechnik nicht notwendig wirksam sein muss. Nach der Kennzeichnungsverordnung reicht der Einbau angeblich wirkender Filter aus. Eine Wirksam- 15388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) keitsprüfung zum Beispiel bei der Abgasuntersuchung wird nicht vorgenommen. Ehrlich gesagt, bezweifle ich nach alledem die Auf- wand-Nutzenrelation für die Umwelt. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages stehe ich täglich vor der Aufgabe, Entscheidungen der Bun- desregierung im Gespräch mit den Menschen zu vertei- digen. Ich will auch in der Lage sein, dies mit gutem Ge- wissen zu tun. Deshalb noch einmal mein Appell, bundeseinheitliche Ausnahmeregelungen zu schaffen. Mit bürokratischen und unsinnigen Gängeleien werden die Bürger verschreckt, und niemand muss sich dann wundern, wenn notwendige und begründete Maßnahmen in Zukunft auf Widerstand stoßen und nicht durchsetzbar sind. Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Nach den Besitzern von Oldtimern und Wohnmobilen, die die FDP alle von Fahrverboten in Umweltzonen ausnehmen wollte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die FDP eine neue Ziel- gruppe entdeckt – diesmal will man der Reisebusbranche unter dem Deckmantel einer unbürokratischen Regelung großzügige und langfristige Ausnahmeregelungen von Fahrverboten in Innenstädten ermöglichen. Eigentlich könnte man diesen Antrag wie auch die Oldtimer- und Wohnmobilanträge gleich zur Seite legen, weil die Lö- sung des Problems ganz nahe liegt: Die Fahrzeuge benö- tigen nur einen Partikelfilter. Weil neue Busse serienmäßig einen Partikelfilter ha- ben und ältere Busse mit funktionierenden Partikelfiltern nachgerüstet werden können, kann man dieses Problem also relativ leicht lösen. Sicherlich, die Umrüstung eines Busses mit einem Partikelfilter ist für den Unternehmer mit einigen Kosten verbunden, allerdings muss man dies auch mit dem Anschaffungspreis und Wert eines Reise- busses in Relation setzen. Außerdem darf man in diesem Zusammenhang auch nicht die Folgekosten für die Ge- sellschaft durch eine hohe Feinstaubbelastung vergessen. Deshalb haben sich auch viele Busunternehmer mit der Feinstaubproblematik befasst und entsprechend rea- giert. Unternehmen wie die BVG hier in Berlin haben früh erkannt, dass Busse ohne Partikelfilter hohe Emis- sionen haben, und entsprechend reagiert. Neue BVG- Busse haben serienmäßig einen Partikelfilter, ältere Fahrzeuge werden konsequent umgerüstet. Und noch eine andere Tatsache macht Ihren Antrag überflüssig. Sie schreiben es doch dort sogar selbst. Es „existieren bereits in einigen Städten Regelungen zur Er- teilung von Ausnahmegenehmigungen“. Ja, genau so war die Novellierung der Kennzeich- nungsverordnung auch geplant. Denn den für die Ertei- lung von Ausnahmen zuständigen Landesbehörden ste- hen nach derzeitiger Rechtslage genügend eigene Entscheidungsspielräume offen, um den Anliegen der Reisebusunternehmen gerecht zu werden, obwohl ich nicht verhehle, dass ich mir aus Umweltschutzgründen wünsche, dass hoffentlich nicht allzu viel davon Ge- brauch gemacht wird. Über mögliche Ausnahmeregelungen sollte unbüro- kratisch vor Ort unter Berücksichtigung der vorhande- nen Immissionsbelastung entschieden werden, zumal die Belastungssituation nicht bundeseinheitlich ist. Es ist so- mit auch nach der Novellierung der Kennzeichnungsver- ordnung kein Problem, dass die Kommunen zum Bei- spiel in touristischen Regionen selbst entscheiden können, weiterhin die Oldtimer, die Wohnmobile, die Reisebusse etc. in ihre jeweiligen Innenstädte fahren zu lassen. Eine generelle bundesweite Ausnahmeregelung für Reisebusse durch eine bundesweite Regelung darf es je- doch nicht geben. Vergessen Sie auch nicht, dass gerade in ländlichen Regionen viele Reisebusse nur am Wochenende regulär im Fernverkehr eingesetzt werden, während sie montags bis freitags im ÖPNV eingesetzt werden. In diesem Zu- sammenhang wäre es unverantwortlich, diese Busse ge- nerell von der Kennzeichnungsverordnung auszuneh- men. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich frage Sie: Warum setzen Sie sich nicht aktiv für die Partikelfil- ter-Nachrüstung ein? Warum beharren sie stattdessen auf dem Status quo und kämpfen nicht gegen die Ursache der Feinstaubbelastung an? Ihnen fehlt es einfach an Problembewusstsein, deshalb fordern Sie die Ausnah- meregelungen. Doch damit machen Sie es sich zu ein- fach. Die SPD-Fraktion wird jedenfalls die Forderung der FDP-Fraktion nicht unterstützen; das angebliche Anlie- gen des Antrages, eine Überbürokratisierung zu verhin- dern, wird nicht erreicht. Wir sind dagegen, dass die Kennzeichnungsverordnung durch immer neue Forde- rungen nach Ausnahmeregelungen immer mehr aufge- weicht wird und deshalb letztendlich wirkungslos blei- ben würde, wenn fast alle Halter von Straßenfahrzeugen eine solche Ausnahmeregelung hätten. Ernst Burgbacher (FDP): 10 Prozent aller Urlaubs- reisen wurden im Jahr 2005 mit dem Bus unternommen, damit liegt der Bus als Reiseverkehrsmittel zwar hinter Pkw und Flugzeug, aber deutlich vor der Bahn. Die Ent- wicklungsprognosen für Busreisen sind laut Forschungs- gemeinschaft Urlaub und Reisen positiv, der Trend zu mehr Kurzurlauben und Städtereisen bietet der Bus- touristik hier gute Chancen. Im Jahr 2006 wurden bei 6,03 Millionen Busurlauben rund 6,1 Milliarden Euro ausgegeben. Die Bustouristik in Deutschland sichert in rund 6 000 Betrieben etwa 65 000 Arbeitsplätze. Busreisen sind ein wichtiges Segment im Tourismus, doch der Verkehrsträger Bus wird gegenüber anderen Verkehrsträgern benachteiligt. Deshalb setzt sich die FDP dafür ein, die nach wie vor bestehenden Wettbe- werbsverzerrungen zulasten der Reisebusse als umwelt- freundliche und sichere Verkehrsmittel abzubauen, um geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Busbranche ihr Potenzial auch ausschöpfen kann. Die Reisebusbranche hatte sich vom Regierungs- wechsel ein Ende der ideologischen Benachteiligungen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15389 (A) (C) (B) (D) gegenüber anderen Verkehrsträgern erhofft. Umso ent- täuschter ist dieser leistungsstarke, mittelständische Wirtschaftsbereich nach über zwei Jahren Schwarz-Rot: Denn die Benachteiligungen für die Reisebusse als kli- mafreundliche und sichere Verkehrsmittel wurden trotz aller Sonntagsreden nicht abgebaut. Der Reisebus ist zur Beförderung von Personen aus ökologischer Sicht un- schlagbar. So steht es auch im aktuellen Tourismuspoliti- schem Bericht der Bundesregierung, wo es heißt: Der Bus gilt als besonders umweltfreundlich, da er bei hoher Auslastung im Verhältnis zu anderen Ver- kehrsmitteln einen geringen Energieverbrauch pro Fahrgast aufweist. Diesen Fakten muss die schwarz-rote Bundesregierung endlich Taten folgen lassen. Dazu müssen im Bereich des Steuer- und Abgabenrechts endlich faire Wettbewerbsbe- dingungen zwischen allen öffentlichen Verkehrsanbietern geschaffen werden. Schließlich müssen die mit der Öko- steuer für den Reisebus entstandenen Benachteiligungen bei der Mineralöl- und Stromsteuer gegenüber dem Schie- nen- und Flugverkehr beseitigt werden. Im Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie- rung, über den wir morgen an dieser Stelle ausführlich debattieren werden, heißt es mit Blick auf die Unterneh- men der Busbranche: „Die Bundesregierung unterstützt die Unternehmen u. a. durch den Abbau von bürokra- tischen Hemmnissen.“ Dies lässt sich leider nicht erken- nen, im Gegenteil. Mit der Kennzeichnungsverordnung für emissionsarme Fahrzeuge, die auch Reisebusse in besonderem Maße betrifft, wird neue Bürokratie ge- schaffen und die Branche zusätzlich belastet. Die Sorgen der Busbranche angesichts der Umsetzung der EU-Fein- staubrichtlinie und deren Forderung nach Befreiung der Busse von der Kennzeichnungspflicht sind der Bundes- regierung bekannt. Es ist auch nicht einzusehen, dass Reisebusse eine Feinstaubplakette benötigen, der gleiche Bus im ÖPNV aber ohne Plakette in die Innenstädte fah- ren kann. Hier muss die Bundesregierung handeln und darauf hinwirken, dass Busse von der Plakettenpflicht insgesamt ausgenommen werden. Doch im Tourismus- politischen Bericht heißt es diesbezüglich nur schwam- mig: Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung setzt sich gegenüber den für die Umsetzung zustän- digen Ländern für Maßnahmen (zum Beispiel Ausnahmegenehmigungen) zu Gunsten eines aus- geglichenen Verhältnisses von Umweltschutz und Wirtschaftsinteressen ein. Ziel unserer parlamentarischen Initiative ist es, den Reisebus als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel von den feinstaubbedingten Fahrverboten in Innenstädten aus- zunehmen. Die in einigen deutschen Städten bestehenden Ausnahmegenehmigungen sind äußerst bürokratisch und kaum praktikabel. Deshalb ist im Rahmen der Verordnung der Kennzeichnung für Kraftfahrzeuge mit geringem Bei- trag zur Schadstoffbelastung – 35. BimSchV – zunächst eine auf fünf Jahre befristete Ausnahmeregelung für Rei- sebusse vorzusehen. Sollte keine sachgerechte, unbüro- kratische und praktikable Regelung gefunden werden, sind Reisebusse generell und bundesweit von feinstaub- bedingten Fahrverboten in Innenstädten auszunehmen. Der Einsatz von Bussen, insbesondere auch im Fern- verkehr, ist schon heute durch die Nutzung konventio- neller Treibstoffe und konventioneller Technik sehr umweltfreundlich; IFEU-Studie: Potenziale 2010. Nur 2,45 Prozent aller verkehrsbedingten Emissionen sind auf Reise- und Linienbusse zurückzuführen. Dabei ver- ursachen Reisebusse nur einen kleinen Anteil dieser Emissionen. Im Vergleich zu konkurrierenden Verkehrs- mitteln weisen selbst Reisebusse älterer Bauart niedrige CO2-Emissionen und einen geringen Energieverbrauch aus. Der Verbrauch bzw. die Emissionen je Person und Kilometer liegen deutlich unter dem von Bahn, Pkw – Otto- und Dieselmotor – und des Flugzeugs. Der Rei- sebus hat je Person und Kilometer zudem sehr niedrige Partikelemissionen; IFEU-lnstitut 2004 und Berechnun- gen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, VDV. Daher kann der Einsatz von Bussen sowohl einen zentralen Beitrag zur Verminderung von klimaschädli- chen Emissionen als auch zur Reduzierung der Fein- staubbelastung leisten. Umgekehrt führen zusätzliche Hindernisse für den Einsatz von Bussen zu einer Verla- gerung auf andere Verkehrsträger und damit zu einer Er- höhung der Emissionen. Der eingeschränkte Zugang für zahlreiche Busse zu zahlreichen Innenstädten infolge der Einführung von Fahrverboten in den sogenannten Um- weltzonen ist vor diesem Hintergrund ausgesprochen kontraproduktiv. Insbesondere der Bustourismus wird durch diese Einschränkung nachhaltig erschwert. In der Folge ist mit einem Anstieg des Individualverkehrs, aber auch des Flugtourismus zu rechnen und mit einem ent- sprechend höheren CO2- und Feinstaubaufkommen je Reisenden. Meine sehr geehrten Damen und Herren von Union und SPD, schließen Sie sich dem Antrag der FDP an und zeigen Sie, dass es sich bei der viel zitierten Unterstüt- zung für die deutsche Busbranche nicht um reine Lip- penbekenntnisse handelt. Lutz Heilmann (DIE LINKE): „Alle Jahre wieder, kommt“ – nein, nicht das Christkind, sondern ein Antrag der FDP zu Umweltzonen. Nachdem Sie erst die Klien- tel der Oldtimerfahrer mit einem Antrag beglückt haben, machen Sie sich nun bei den Busunternehmen beliebt. Wenn Sie aber eine Fahrzeuggruppe nach der anderen komplett von Fahrverboten in Umweltzonen ausnehmen wollen, dann bedeutet das im Endeffekt eine Aushöh- lung der Umweltzonen. Irgendwann bliebe dann nie- mand mehr übrig, der nicht mehr fahren dürfte. Vermut- lich wollen Sie genau das erreichen. Ich frage mich, welche Gruppe Sie als nächstes von Fahrverboten aus- nehmen wollen. Bei den Oldtimern haben Sie ja leider noch einen „Dummen“ gefunden, der Ihr Anliegen im Bundesrat eingebracht hat. Die Hessische Landesregie- rung wurde zum Glück abgewählt – weil Die Linke in den Hessischen Landtag eingezogen ist. Das sage ich hier auch an die Adresse der SPD und der Grünen, die im Wahlkampf ständig das Gegenteil behauptet haben. 15390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Sagen Sie doch bitte einmal offen und ehrlich, dass Sie sich freuen, dass Die Linke in Hessen im Landtag sitzt – und Herr Koch nicht mehr Ministerpräsident wird! Herr Koch kann der FDP also nun nicht mehr helfen. Ich hoffe, dass sich auch kein anderer findet. Und ich hoffe, dass Koalition und Bundesregierung diesmal „hart blei- ben“ – der generellen Befreiung für Oldtimer hat die Bundesregierung ja letztlich zugestimmt. Warum hoffe ich das? Weil Ihre Forderungen letztlich auf die Abschaffung der Umweltzonen hinauslaufen. Alle Reisebusse, egal ob Sie eine Plakette bekommen, und egal, welche das ist, sollen für fünf Jahre komplett von Fahrverboten in Umweltzonen ausgenommen wer- den. Wobei aus den fünf Jahren auch eine dauerhafte Ausnahmegenehmigung werden kann. Statt differenzier- ter Regelungen also „freie Fahrt für freie Busse“. Natür- lich ist es für Unternehmen schmerzlich, wenn die eige- nen Busse nicht mehr überall fahren dürfen. Das gilt aber für alle Betroffenen, nicht nur für Reisebusse. Und natürlich ist der Beitrag jedes einzelnen Fahrzeugs ver- nachlässigbar. Jede und jeder könnte eigentlich sagen, ob ich nun fahre oder nicht, dass ändert ja nichts. Das stimmt ja fast auch. Aber wenn es alle machen, dann macht es eben doch einen Unterschied. Und alte Reise- busse sind keine zu vernachlässigende Größe. Ein alter Bus stößt etwa so viel Feinstaub aus wie hundert Pkw. Neben Feinstaub gelten ab 2010 auch für Stickoxide strenge Grenzwerte. Und der Verkehr hat einen großen Anteil an der Feinstaub- und Stickoxidbelastung. Nicht überall, aber in den Innenstädten. Nur da gibt es ja aus gutem Grund Umweltzonen. In der Berliner Innenstadt werden 80 Prozent der Stickoxidbelastung vom Verkehr erzeugt. Beim Fein- staub sind es 40 Prozent – die Hälfte davon, also 20 Pro- zent der Gesamtbelastung, von Dieselfahrzeugen. 40 Prozent davon lassen sich durch die Umweltzone ver- meiden. Aber nur dann, wenn sie auch wirkt. Sie von der FDP tun alles dafür, dass zehntausende Anwohnerinnen und Anwohner weiter erheblich mit Feinstaub und Stick- oxiden belastet werden. Wollen Sie den frühzeitigen Tod von tausenden Menschen in Kauf nehmen? Sie sagen nur, was Sie nicht wollen. Sie sagen aber nicht, wie Sie den Gesundheitsschutz voranbringen wollen! In Ihrem Antrag unterstellen Sie den Kommunen praktisch Will- kür. Wie ich schon in einer Rede zum Oldtimer-Antrag gesagt habe: Die Kommunen, die Umweltzonen einge- richtet haben oder einrichten, gehen verantwortungsvoll mit den Betroffenen um. Dass bedeutet natürlich nicht, das alle zufrieden sind. Hier geht es um eine Abwägung – und die muss eben auch den Gesundheitsschutz der Be- wohnerinnen und Bewohner der Städte im Auge haben. Dass vermisse ich bei der FDP. Berlin zum Beispiel hatte eine einfache und pragmati- sche Lösung für Oldtimer vorgesehen. Und auch für die Reisebusse gibt es eine Lösung. Wenn die Existenz eines Unternehmens gefährdet ist, dann gibt es Ausnahmege- nehmigungen für bis zu 18 Monate. Das greift auch dann, wenn es keine Nachrüstmöglichkeit gibt. Und be- vor die zweite Stufe in Kraft tritt, wird sehr genau ge- schaut, ob es Nachrüstmöglichkeiten für alle Fahrzeuge gibt. Die Nachrüstung ist ja zurzeit das große Sorgen- kind. Der Skandal um die 40 000 eingebauten wirkungs- losen Filter hat die Nachrüstung fast zum Erliegen gebracht. Der Sache hat der Umweltminister einen Bä- rendienst erwiesen, das steht fest. Die entscheidende Frage ist, ob die ersten Untersuchungsergebnisse vom Oktober 2006 gezeigt haben, dass es Schrottfilter gibt. Ich kann nicht glauben, dass die Ergebnisse völlig un- brauchbar waren, wie Herr Machnig behauptet – der Prä- sident des UBA glaubt das auch nicht, und der müsste es eigentlich wissen. Wenn es Hinweise auf die Unwirk- samkeit einiger Filter gab – worauf vieles hindeutet – dann hätte das Umweltministerium – statt einen Klein- krieg mit dem UBA auszutragen – das Kraftfahrtbundes- amt umgehend im Oktober 2006 informieren müssen; nicht erst im August 2007. Wenn das Umweltministe- rium für den Einbau Zehntausender fehlerhafter Filter verantwortlich ist – dann müssen personelle Konsequen- zen folgen. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Liberalen erweisen sich erneut als Partei der Partiku- larinteressen. Der hier zu diskutierende Antrag zeigt, dass sie mitnichten unsere obersten Gesundheitsschützer sind. Es scheint eher, als stünden sie im Grundsatz mit der Umweltzone auf Kriegsfuß. Im letzten Jahr wollten sie schon die Oldtimer von den Fahrbeschränkungen ausgenommen wissen, nun sind die Reisebusse dran. Die FDP: die Partei der Ausnahmengenehmigungen! Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Es ist mit Blick auf eine vorsorgende Luftreinhaltung und die gravierenden Gesundheitsfolgen bei hoher Feinstaubbe- lastung nicht gerechtfertigt, dass alten Dieselbussen er- laubt sein solle, in die Umweltzone einzufahren. Ein Zi- tat aus der Broschüre der Senatsverwaltung von Berlin „Bessere Luft für Berlin“ (November 2007) sagt im Grundsatz alles Wichtige aus: „Jede Ausnahmegenehmi- gung für Fahrzeuge mit hohen Emissionen reduziert die Wirkung der Umweltzone!“ Berlin hat in nachahmens- werter Weise Vorgaben für Ausnahmegenehmigungen gemacht, diese sollen nur nach eingehender Prüfung des Vorliegens eines Härtefalls erteilt werden und in der Re- gel befristet (längstens 18 Monate) werden. Die Einrichtung von Umweltzonen ist das zentrale Instrument der Kommunen, die Grenzwertüberschrei- tungen beim Feinstaub in den Griff zu bekommen. Symbolische Politik ist es aus unserer Sicht jedoch, Um- weltzonen mit Fahrbeschränkungen anzukündigen und einzurichten und zugleich so viele Ausnahmetatbestände zu schaffen, dass die Idee der Umweltzone wieder ad ab- surdum geführt wird. Wir haben uns mit Blick auf die Oldtimer für pragma- tische Regelungen und begrenzte Sondergenehmigungen etwa bei Oldtimerveranstaltungen in Städten ausgespro- chen. Die über den Bundesrat erfolgte generelle Aus- nahme der Oldtimer-H-Kennzeichen halten wir für falsch. Wir haben schon damals davor gewarnt, dass dies schließlich auch andere Betroffeneninteressen für wei- tere Ausnahmetatbestände auf den Plan ruft. Die Reise- busse sind jetzt die nächste Betroffenengruppe. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15391 (A) (C) (B) (D) Der Bundesverband Deutscher Omnibusunterneh- men (bdo) spricht von verheerenden Folgen für die Tou- rismuswirtschaft, wenn die älteren Reisebusse nicht mehr in die Innenstadt fahren dürfen. Der bdo appelliert in einem Schreiben an Bundestagsabgeordnete sogar mit der Forderung: „Eine Ausnahmeregelung des Busses von der Kennzeichnungsverordnung ist verpflichtend.“ Für Vertreter von – in allererster Linie – Gemeinwohl- interessen ist das inakzeptabel. Verpflichtend ist der Schutz der Gesundheit der Bürger, im Übrigen auch der Touristen! Seit Anfang des Jahres die ersten Umweltzonen ge- startet sind und weitere Kommunen im Frühjahr dieses Jahres folgen, wird über die Umweltzonen geklagt. Von unzumutbaren Belastungen für Anwohner oder Touris- ten und Busunternehmen ist die Rede. Auch die FDP macht sich nicht wirklich die Mühe, über das Ziel der Fahrbeschränkungen nachzudenken: Es geht darum, die Feinstaubbelastung einzudämmen. Längst ist unbestritten, dass Feinstaub die Gesundheit der Menschen belastet. 65 000 Menschen sterben laut EU-Kommission jedes Jahr allein in Deutschland vorzei- tig an den Folgen der Feinstaubbelastung. Seit Jahren wird die Luftqualität mit Erfolg durch die EU-weit gültigen Abgasnormen für Fahrzeuge verbes- sert. Sie werden regelmäßig angeschärft und so dem Stand der Technik angepasst – zum Wohle der Bevölke- rung und so auch der Busfahrer und Touristen. In den Umweltzonen werden Verkehrsbeschränkungen zuerst für alte Busse mit sehr alten niedrigen Schadstoffgrup- pen (Euro 0 oder 1) verordnet. Nicht aus Willkür, son- dern weil sie im Vergleich zu neueren Modellen eine große Menge gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe ausstoßen. Es sollte klar sein, dass hochemittierende Fahrzeuge in verkehrsreichen Innenstädten alle mit Schadstoffen belasten und dafür keine Belohnung erwarten können. Die Einrichtung von Umweltzonen ist daher ein zentra- ler Anreiz für eine beschleunigte und flächendeckende Modernisierung der Fahrzeugflotte vor allem für Ge- sundheitsschutz und Luftreinhaltung. Das gilt auch für die Busflotte. Die Argumentation, der Busverkehr trage nur marginal zur Feinstaubbelastung bei, ist irreführend. Denn alle Emittentengruppen müssen ihren Beitrag zur Feinstaubreduktion leisten, egal wie groß ihr Beitrag ist. Dass es keine Nachrüstmöglichkeiten für Busse gibt, ist nicht richtig, schließlich fahren etwa in Berlin, schon be- vor die Umweltzone kam, alle ÖPNV-Busse mit Filter. Wenn es Modelle gibt, die derzeit wirklich nicht nach- rüstbar sind, dann kann man denen möglicherweise eine Übergangszeit einräumen. Es kann davon ausgegangen werden, dass es auch für Busse Partikelminderungssys- teme geben wird, auch für leichte Nutzfahrzeuge und Lkw sind Filter auf dem Weg. Die Nachfrage hierfür muss aber auch da sein. Auch Busunternehmen müssen sich am Stand der Technik und an strengeren Abgasnor- men orientieren, ihre Einkaufspolitik sollte sich auf um- weltfreundliche und abgasarme Fahrzeuge richten. In der aktuellen Debatte ist es wichtig, Aufklärung über die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub zu betrei- ben, statt Ausnahmegenehmigungen zu fordern und Vor- urteile gegen umweltpolitische Maßnahmen zu reprodu- zieren. Das sollte auch der FDP inzwischen klar sein. Derzeit liest man die Ankündigung, dass London im Fe- bruar 2008 eine Niedrigemissionszone (NEZ) einführt, sie gilt zunächst für schwere Lkw und wird dann ab Juli ausgeweitet. Auch Busse sind betroffen. Kaum jemand kann sich vorstellen, das London damit seine touristi- sche Attraktivität verliert. Das gilt auch für Berlin und andere Metropolen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ausverkauf von Kre- diten an Finanzinvestoren stoppen – Verbrau- cherrechte stärken (Tagesordnungspunkt 20) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Die Verbraucher- rechte bei dem Verkauf von Kreditforderungen zu stär- ken, ist mit Sicherheit ein guter Vorsatz, der vermutlich von uns allen – fraktionsübergreifend – unterstützt wird. Es stellt sich allerdings die Frage, auf welche Weise die- ses Ziel erreicht werden kann und ob die jetzt vorge- schlagenen Maßnahmen letztendlich wirklich geeignet sind, die Position der Verbraucher zu verbessern. Ich habe da so meine Zweifel. Auch wenn in Ihrem Antrag manches in die richtige Richtung weist, verkennen Sie meiner Meinung nach die volkswirtschaftliche Bedeutung von Kreditverkäufen und Verbriefungen. Durch Kreditverkäufe und die damit verbundenen Refinanzierungsmöglichkeiten werden bei den Banken finanzielle Spielräume frei und Kreditrisi- ken können weiter gestreut und ausgelagert werden. Mit- telbar kommen die Kreditverkäufe also auch den Ver- brauchern zugute. Sie profitieren von einer besseren Kreditversorgung und günstigeren Konditionen. Bei neuen gesetzlichen Regelungen muss also immer be- dacht werden: Alles, was den Verkauf von Kreditforde- rungen erschwert, schadet langfristig auch den Kredit- nehmern. Lassen sie mich nun auf einzelne Punkte des Antrags eingehen: Zunächst fordern Sie bei Neuverträgen eine individu- elle Zustimmung der Darlehensnehmer zu einem Kredit- verkauf. Im Grundsatz begrüße ich es, dem Kunden die Möglichkeit zu bieten, einen Verkauf seines Kredits aus- zuschließen. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung würde faktisch allerdings einem generellen Abtretungs- verbot gleichkommen und die Vertragsfreiheit ein- schränken. Aus unserer Sicht ist es an dieser Stelle sinn- voller, die Transparenz für die Kreditkunden zu erhöhen. Das heißt konkret: Die Banken sollen verpflichtet wer- den, Ihre Kunden bereits bei Vertragsabschluss aus- drücklich darüber zu informieren, dass der Kredit ver- kauft werden kann. So erhält der Kunde die Möglichkeit, einen Vertrag auszuhandeln, bei dem ein Verkauf der Forderung ausgeschlossen ist. Die öffentliche Diskus- sion hat bereits jetzt dazu geführt, dass mehrere Banken 15392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) auf freiwilliger Basis den Kreditnehmern zukünftig zwei Immobilienkreditarten anbieten wollen: einen Kredit, der verkauft werden kann, und einen, der nicht verkauft werden kann. Des Weiteren möchten Sie die Kunden auch bei beste- henden Verträgen besser schützen. Einige der vorge- schlagenen Maßnahmen gehen meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Sie sind aber in der jetzt vorgeleg- ten Version allesamt zu weitgehend. Als Unionsfraktion verfolgen wir das Ziel, den Kün- digungsschutz bei Immobilienkrediten zu verbessern. Eine vollkommene Angleichung der Kündigungsschutz- regeln an die von Konsumentenkrediten ist allerdings nicht sachdienlich. Eine Neuregelung muss berücksichti- gen, dass bei Immobiliardarlehen typischerweise lange Laufzeiten und niedrige Anfangstilgungen kombiniert werden. Deshalb wird es in der Regel verhältnismäßig lange dauern, bis die Vorraussetzungen für eine Kündi- gung vorliegen. Die vorgeschlagene Neuregelung würde deshalb Missbrauchsmöglichkeiten einräumen. Die Kre- ditnehmer könnten bei fallenden Kreditzinsen die Bedie- nung der Darlehen einstellen, um sich nach einer Kündi- gung anderweitig günstiger zu finanzieren. Für uns wäre es deshalb allenfalls denkbar, die Kündigung eines Im- mobiliardarlehens erst dann zu erlauben, wenn für länger als einen Monat ein Rückstand von ein viertel der Jah- resleistung aufgelaufen ist. Die Forderung, den Darlehensgeber vor Ablauf der Zinsbindung zu informieren, halten wir für sehr wichtig. Sie entspricht unserer Vorstellung von mehr Transparenz und verbesserter aktiver Information des Kunden. Einen Anspruch auf eine Anschlussfinanzierung und auf die Höhe der Zinsen ist mit unserem Verständnis von Markt- wirtschaft allerdings nicht vereinbar und im Sinne des Verbraucherschutzes auch nicht notwendig. Durch die frühe Information erhält der Kreditkunde die Möglich- keit, sich rechtzeitig auch bei anderen Kreditinstituten um eine Anschlussfinanzierung zu bemühen. Abschließend möchte ich mich vehement gegen Punkt 6 des Antrags aussprechen: das Sonderkündi- gungsrecht unter Verzicht auf die Vorfälligkeitsentschä- digung. Die Vorfälligkeitsentschädigung ist eine wich- tige Voraussetzung für die in Deutschland üblichen Langzeitkredite und Pfandbriefe. Wir sollten unser her- gebrachtes System der Festzinskredite – für das wir ge- rade auf europäischer Ebene noch gekämpft haben – nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Ein Blick auf die Ver- einigten Staaten zeigt, dass sich unser System der lang- fristigen Kreditfinanzierung bewährt hat: Einer der Gründe für die Subprime-Krise in den USA ist die Tatsa- che, dass Immobilien dort nur mit kurzfristiger Zinsbin- dung finanziert werden. In diesem Zusammenhang finde ich es besonders er- staunlich, Kolleginnen und Kollegen von Die Linke, dass Sie unter Punkt 17 Ihres Antrags die Bundesregie- rung dazu auffordern, „mit dem Ziel einer Stärkung des bewährten deutschen Pfandbrief-Systems die auf euro- päischer Ebene im Gang befindliche Harmonisierung der Grundpfandrechte mit höchstem Engagement zu intensi- vieren und zu beschleunigen.“ Diese Bemühungen der Bundesregierung würden durch ein Sonderkündigungs- recht unter Verzicht auf die Vorfälligkeitsentschädigung ja geradezu konterkariert. Wie soll die Reaktion der Kommission in Brüssel ausfallen, wenn wir einerseits auf europäischer Ebene den Erhalt des Pfandbriefs ver- langen und gleichzeitig im eigenen Land den Festzins gefährden? Als Fazit bleibt festzuhalten: Nicht überall, wo Ver- braucherschutz draufsteht, ist auch Verbraucherschutz drin! Der Antrag der Fraktion Die Linke verfolgt zwar ein hehres Ziel, er schießt aber weit über dieses Ziel hi- naus und gefährdet die Finanzstabilität in Deutschland. Ein dermaßen falsch verstandener Verbraucherschutz führt nur zu Preistreiberei! Für die Union gilt stattdessen: Wir wollen den Schutz der Kreditnehmer stärken, ohne dabei aber den volks- wirtschaftlich sinnvollen Verbriefungsmarkt zu gefähr- den. Dabei sind folgende Punkte für uns entscheidend: Erstens Transparenz bei Abschluss des Kreditvertrages, zweitens Benachrichtigung bei Verkauf des Vertrages, drittens Information vor Auslaufen der Zinsbindung und viertens verbesserter Kündigungsschutz des Kreditneh- mers. Bei der Anhörung im Finanzausschuss hat sich schließlich ein fünfter zentraler Punkt herauskristalli- siert: die unberechtigte Vollstreckung aus der Grund- schuld. Hierzu wird Herr Kollege Kolbe unsere Vorstel- lungen erläutern. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Erstens. Die Union nimmt alle Probleme mit Kreditverkäufen sehr ernst. Ohne jeden Zweifel: Bankkunden dürfen nicht willkür- lichen Forderungseintreibern ausgesetzt werden. Es ist daher ganz genau zu prüfen, ob und an welcher Stelle möglicher Handlungsbedarf besteht. Der Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes enthält einen Prüfauftrag zur Verbesserung der Transparenz bei Verkäufen von Kreditforderungen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Praxis, dass Forderungen aus Verträ- gen über Immobilien- und sonstige Kredite an in- oder ausländische Stellen – auch an solche außerhalb der EU und des EWR – verkauft werden, wird derzeit geprüft, ob und inwiefern gesetzliche Maßnahmen zur Regelung des Verkaufs angezeigt sind. Insbesondere ist zu erör- tern, wie die Transparenz für die Kreditnehmer zu ver- bessern ist. Für die Union könnte eine Selbstverpflichtung der Banken mehr als ein symbolisches Ziel sein, um mehr Fairness der Banken gegenüber den privaten Kreditneh- mern zu erzielen. Gesetzliche Maßnahmen zur Siche- rung der Rechte der Kreditnehmer sind aber wohl unver- meidlich. Ohne Zweifel bedarf es auf jeden Fall verbesserter Hinweispflichten für die Kreditnehmer, wenn ein Kredit verkauft wird und bevor ein solcher aus- läuft. Ob ein Sonderkündigungsrecht bei Verkauf des Kre- dits durch die Bank an Dritte – wie von Teilen der SPD Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15393 (A) (C) (B) (D) angedacht – für den Kreditnehmer Sinn macht, ist mehr als zweifelhaft. Denn zum einen würde die in dem Kre- ditzins eingepreiste Vorfälligkeitsentschädigung dann möglicherweise entfallen. Zum anderen könnte dies den Verkauf von Krediten zur Portfoliobereinigung und Frei- setzung von Eigenkapital bei den Banken verzögern bzw. unmöglich machen. Ein Sonderkündigungsrecht ohne Vorfälligkeitsentschädigung könnte sich zu einer Gefahr des deutschen Langfristkredits entwickeln. Mit den Rechtspolitikern sind darüber hinaus Ände- rungen im Hypotheken- und Grundschuldrecht zu bera- ten, um theoretisch möglichen Problemfällen bei einer Zwangsvollstreckung aus abgetretenen Grundpfandrech- ten durch Dritte begegnen zu können. Folgende Punkte sind für die Union von wesentlicher Bedeutung: Erstens. Eine ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung etwa durch den Übergang der Grundschuld auf gutgläu- bige Dritte ist zu unterbinden. Wir schlagen daher vor, dem Grundstückseigentümer und Darlehensnehmer auch gegenüber dem neuen Forderungsinhaber (Zessionar) sämtliche Einwendungen aus dem Darlehensvertrag und der Sicherungsabrede zu geben. Die bestehende Unsi- cherheit können wir damit vermeiden. Zweitens. Wenn ein Kreditinstitut einen Kredit ver- kauft und nicht Ansprechpartner bleibt, muss es diesen Verkauf unverzüglich dem Kreditnehmer mitteilen. Drittens. Wir begrüßen es, dass mehrere Banken auf freiwilliger Basis den Kreditnehmern zukünftig zwei Im- mobilienkreditarten anbieten wollen: einen Kredit, der verkauft werden kann, und einen, der nicht verkauft wer- den kann. Hier hat die öffentliche Diskussion zu ver- nünftigen Reaktionen der Banken geführt. Wir erwarten in den nächsten Wochen weitere Selbstverpflichtungen der Institute. Dann kann der Verbraucher zwischen Insti- tuten, die ihm ein solches Angebot machen, und solchen, die sich dem verweigern, wählen. Viertens. Wir wollen rechtlich klarstellen, dass ein Kreditverhältnis nicht allein dann gekündigt werden kann, wenn die Bank das Vertrauensverhältnis zum Kun- den verloren hat. Vielmehr darf derjenige, der seinen Kredit ordnungsgemäß bedient, nicht rechtlos gestellt werden. Hier arbeiten wir an Regelungen, die auch die Vorgaben von Basel II angemessen berücksichtigen. In der Gesamtbetrachtung ist entscheidend: Die Union will das Recht der Kreditnehmer auf Information stärken, aber ohne dabei den volkswirtschaftlich sinn- vollen Verbriefungsmarkt zu gefährden. Wir sind davon überzeugt, dass dies möglich ist, und erwarten von der Kreditwirtschaft, dass sie sich an der Lösungsfindung konstruktiv beteiligt. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die Probleme mit Verkäufen von Krediten sind aktueller denn je. Die SPD- Fraktion hat dieses Problem bereits seit einiger Zeit er- kannt und diskutiert und prüft, wie Sie ja sehr gut wis- sen, gesetzliche Maßnahmen, um einen verbesserten und effizienten Verbraucherschutz beim Kredithandel zu er- möglichen. Worum geht es? In erster Linie bezieht sich die der- zeitige Diskussion auf den Verkauf von notleidenden Krediten; in den infrage stehenden Fällen werden diese von Bankinstituten an auf größtmögliche und schnelle Rendite orientierte Finanzinvestoren verkauft. Man schätzt hierbei, dass das gehandelte Volumen circa 10 bis 12 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht, bei einer Gesamtsumme von existierenden notleidenden Krediten in Höhe von 160 bis 300 Milliarden Euro. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auch auf den Verkauf von „ordnungsgemäß bedienten Krediten“, also gesunden Krediten, eingehen. In der letzten Zeit wurde insbesondere durch Medien der Eindruck erweckt, dass auch beim Verkauf von gesunden Krediten der einzelne Kreditnehmer kurz vor der Zwangsvollstreckung stünde. Diese Berichterstattungen haben zu einer großen Ver- unsicherung in der Bevölkerung geführt. Richtig ist zwar, dass unter bestimmten Umständen eine solche Maßnahme drohen kann, Gott sei Dank ist sie nur unter besonderen Umständen möglich. Die gesetzliche Lücke, die dies bisher ermöglichte, werden wir daher schließen. Das weit aus größere Problem stellen die sogenannten notleidenden Kredite dar. Ein Kredit ist dann notleidend, wenn er durch das Kreditinstitut bereits gekündigt bzw. jederzeit außerordentlich kündbar ist. Momentan ist es dabei noch so, dass die Banken in ihren AGBs regeln, ab welchem Zeitpunkt der Kredit des in Verzug geratenen Kreditnehmers fällig gestellt werden kann. Meistens ist dies bei zwei oder drei hintereinander ausfallenden Kre- ditraten der Fall. Es ist leider zu beobachten, dass viele Banken sich des Risikos entledigen und diese Kredite an einen Finanz- investor veräußern. Dass dieser dann nichts Gutes im Schilde führt, ist jedem von uns sicherlich klar. Finanz- investoren haben in erster Linie ein Interesse daran, schnelle und effiziente Renditen zu erzielen, und betrei- ben daher häufig unmittelbar die Zwangsvollstreckung, um die Immobilie dann veräußern zu können. An einer Zusammenarbeit mit dem Schuldner, um Lösungen und Wege zu finden, diesen aus der Schuldenfalle zu holen, haben derartige Institute daher kein Interesse. Im Gegen- teil: Da sie häufig keine Vollbanken sind, können sie eventuelle Anschlussfinanzierungen auch gar nicht be- willigen. Für den Haus- oder Wohnungseigentümer, der sich lange und häufig unter großer Eigenleistung den Traum seines Eigenheimes realisiert hat, bedeutet diese Praxis dann den Verlust seines Eigentums, ohne auch nur die geringste Chance auf Lösung seines Problems zu er- halten. Eine solche Entwicklung können wir nicht länger akzeptieren und werden sie deshalb stoppen. In diesem Zusammenhang möchte ich die arrogante Argumentation einiger Bankinstitute zitieren, die belegt, welche Beweggründe sie treiben, vor allem notleidende Kredite zu veräußern. So heißt es in der Info-Broschüre „Deutsche Bank Research“ vom 5. April letzten Jahres auf den Seiten 7 und 8: 15394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) Während Banken im Allgemeinen und vorwiegend regional tätige Institute im Besonderen Rücksicht auf ihren Ruf nehmen und deshalb bei der Abwick- lung von Krediten behutsamer vorgehen, können Abwicklungsgesellschaften ihre bzw. die Interessen ihrer Auftraggeber bei den Verhandlungen und – im Falle des Scheiterns – bei der Zwangsvollstreckung offener durchzusetzen versuchen. Eine Kommentierung dieser doch ganz klaren Aus- sage erspare ich mir. Sie unterstreicht aber die dringende Notwendigkeit, gesetzgeberisch einzugreifen und den Kreditnehmer im Falle des Verkaufs der Forderung er- heblich besser zu schützen. Deshalb sind für uns Sozial- demokraten Verbraucherinteressen von besonderer Be- deutung. Ein Häuslebauer entscheidet sich bei der Finanzie- rung einer Immobilie ganz bewusst für eine bestimmte Bank, der er vertraut, bei der er sich gut beraten und auf- gehoben fühlt und bei der er die Option auf Anschluss- finanzierung eines Kredites erhält. Wird nun sein Kredit verkauft, ist diese Option meist nicht mehr gegeben, da der Aufkäufer keine Vollbank ist und keine Kredite ver- geben darf. Zudem erfährt der Kreditnehmer vom Ver- kauf meist gar nichts und ist daher zu Recht völlig ent- setzt, wenn eines Tages der „böse Onkel aus Amerika“ vor der Tür steht und nach seinem Grundstück lechzt. Auch werden beim Verkauf von Krediten häufig daten- schutzrechtliche Bestimmungen verletzt. Sie sehen also, es ist für einen Finanzinvestor relativ einfach, an ein Grundstück eines in Schwierigkeiten ge- kommenen Schuldners zu kommen zumal sich fast jeder Kreditnehmer den Banken doppelt – in Form der Bestel- lung einer Grundschuld sowie eines abstrakten Schuld- anerkenntnisses – unterwirft und zudem fast immer eine Vollstreckbarkeitserklärung beim Notar unterzeichnet, die die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück ohne aufwendiges und lang andauerndes gerichtliches Verfah- ren möglich macht. Zwar hat jeder Schuldner Möglich- keiten, sich gerichtlich gegen die Zwangsvollstreckung zu wehren, aber realistischerweise muss man davon aus- gehen, dass die meisten in Not geratenen Schuldner ein solches Verfahren zum einen nicht finanzieren können und zum anderen dieses aufgrund der Situation auch keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Es ist deshalb er- forderlich, hier gesetzgeberisch einzugreifen und die Rechte der Kreditnehmer deutlich zu verbessern. Viele gute Überlegungen haben wir daher bereits ge- tätigt, die zurzeit intensiv diskutiert, rechtlich geprüft und in Gesetzestext formuliert werden. Auch die Exper- tenanhörung zum Risikobegrenzungsgesetz wird zurzeit ausgewertet und geprüft. Um es vorab zu sagen: Sachge- rechte Vorschläge für einen verbesserten Verbraucher- schutz sind auf dem Tisch. So sollen Banken verpflichtet werden, ihre Kreditnehmer von jedweder Zession zu in- formieren, mit anderen Worten: Die gängige Praxis der stillen Abtretung, also Verkauf und Abtretung der Forde- rung und der Grundschuld ohne Wissen des Schuldners, soll zukünftig nicht mehr möglich sein. Auch sollte man darüber nachdenken, ein Abtretungsverbot in den Darle- hensvertrag mit aufzunehmen. Entgegen der Drohung vieler Banken muss dies nicht zu einer Verteuerung der Kredite führen. Ein wichtiges Kriterium erscheint mir darüber hinaus, gesetzlich festzulegen, ab welchem Zeitpunkt ein Kredit notleidend wird. Damit wird die zurzeit unterschiedliche Praxis der AGBs der Banken vereinheitlicht und wir würden Rechtssicherheit für die Verbraucher, aber auch für die kreditgebende Bank herstellen. Es kann nicht sein, dass ein Verbraucherkredit über 5 000 Euro um- fangreichen gesetzlichen Schutz findet, ein Immobilien- kredit über 100 000 Euro jedoch nicht. Zuletzt sollten wir auch weiterhin über ein Sonder- kündigungsrecht nachdenken, welches selbstverständ- lich – um den Verbraucher aber auch den Unternehmer nicht übermäßig zu belasten – Regelungen bezüglich der Vorfälligkeitsentschädigungen, die nicht selten im fünf- stelligen Eurobereich liegen, enthalten muss. Auch bei der Wahl von Disagio-Varianten ist über eine anteilige Rückzahlung des Disagios nachzudenken. Ich denke, unser wichtigstes und primäres Ziel bei den anstehenden Gesetzesänderungen muss es sein, Möglichkeiten auszuloten, gerade in Not geratenen Schuldnern eine Chance einzuräumen, ihre – häufig auch für das Alter erworbene – Immobilie zu erhalten bzw. mit ihrer Hausbank Lösungen zu erarbeiten, wieder ordentlich ihre Kredite bedienen zu können. Selbstver- ständlich darf in der Abwägung aller Interessen auch der Gläubigerschutz nicht zu kurz kommen. Der Handel mit Krediten in Deutschland wird in Zu- kunft um ein Vielfaches ansteigen. Es besteht also drin- gender politischer Handlungsbedarf. Wir Sozialdemo- kraten setzen uns deshalb gezielt für die Stärkung der Verbraucherrechte ein, denn der Kreditnehmer darf nicht der Dumme sein, und der Traum von den eigenen vier Wänden darf nicht zum Albtraum werden. Carl-Ludwig Thiele (FDP): Seit eineinhalb Jahren beschäftigen wir uns mit der Problematik der Veräuße- rung von Krediten. Nunmehr hat die Links-Fraktion am Dienstag einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein- gebracht, der heute in 1. Lesung beraten werden soll. Die FDP-Fraktion hat durch meine Kollegin Mechthild Dyckmanns hierzu schon im Spätsommer 2006 entspre- chende Fragen an die Bundesregierung gerichtet. Wir haben seitdem eine intensive Diskussion geführt, zuletzt auch während einer Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages. Die FDP hat immer darauf hingewiesen, dass zwischen den Krediten, die ordnungs- gemäß bedient wurden und den Krediten, die nicht ord- nungsgemäß bedient wurden zu unterscheiden ist. Die Kredite, die ordnungsgemäß bedient wurden, genießen aus Sicht der FDP einen deutlich höheren Schutz als die Kredite bei denen der Schuldner seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Die FDP be- grüßt, dass wir uns in diesem Bereich inzwischen in ei- ner öffentlichen Diskussion befinden, die auch schon dazu geführt hat, dass einzelne Kreditinstitute erklärt ha- ben, dass die Forderungen ihrer Kunden nicht abgetreten werden. Insofern ist es gut, dass der Wettbewerb auch zwischen den Banken funktioniert und der Wettbewerb Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15395 (A) (C) (B) (D) selbst schon zu entsprechenden Angeboten für die Kun- den geführt hat. Auf einige Punkte möchte ich konkret eingehen. Erstens: Die FDP hält es für notwendig, dass eine geeignete Regelung geschaffen wird, nach der die Kreditnehmer bei Vertragsabschluss die Abtretung aus- schließen können, wobei auf die damit verbundenen ge- gebenenfalls höheren Kreditkosten hingewiesen werden soll. Zweitens: Wenn eine Forderung abgetreten wird, dann sollte dieses dem Schuldner mitgeteilt werden. Drittens: Bei Auslaufen der Festzinsvereinbarung halte ich es für nachdenkenswert, dass der Schuldner mit ei- nem gewissen Vorlauf vom Kreditinstitut im Sinne einer Warnfunktion auf das Auslaufen der Festzinsvereinba- rung hingewiesen wird. Dies dient nicht nur dem Schuldner, sondern auch dem Kreditinstitut, weil da- durch frühzeitig Gespräche über eine Fortführung des wechselseitigen Kreditverhältnisses begonnen werden können. Viertens: Es ist darüber nachzudenken, ob die Befreiung vom Bankgeheimnis durch allgemeine Ge- schäftsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Ich könnte mir persönlich vorstellen, dass dies zukünftig nicht mehr durch eine Regelung in den Allgemeinen Ge- schäftsbedingungen möglich ist, sondern ausdrücklich im Vertrag enthalten sein muss. Sie dürfen nicht verges- sen, dass insbesondere für viele Eigenheimbesitzer der Kauf und die Finanzierung einer Immobilie nur einmal im Leben stattfindet. Ein Großteil des Vermögens und auch der Altersvorsorge steckt in dieser Immobilie. Dies sollte bei entsprechenden Überlegungen berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite muß aber auch die Funk- tionsfähigkeit des Finanzplatzes sichergestellt sein. Insofern müssen Abtretungen von Forderungen von Kre- ditinstituten grundsätzlich möglich sein, denn auch Ban- ken können einmal schwierige Zeiten erleben oder in eine Notlage geraten. Dieses erleben wir derzeit tagtäg- lich. Dann muß es aber auch möglich sein, im Interesse der Einlagen von Kunden bei den Banken die Bank so umzustrukturieren, dass sie wieder tragfähig ist und des- halb aus eigener Kraft die Möglichkeit hat, die ihnen an- vertrauten Gelder ordnungsgemäß zu verzinsen und zu- rückzuzahlen. Seitens der FDP werden wir diese Diskussion enga- giert weiterführen. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem Zitat „Wer pünktlich zahlt, hat gar nichts zu befürchten“, betitelte die Berliner Zeitung vom 8. Februar ihr Interview mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Gegenstand waren der Verkauf von Krediten und die Sorgen von Im- mobilienkreditnehmer und -kreditnehmerinnen. „Der Bundesregierung seien keine Fälle bekannt, bei denen es trotz ordnungsgemäßer Bedienung des Darlehens zu ei- ner Zwangsversteigerung eines Eigenheims gekommen sei“, so Frau Zypries weiter. Mit dieser Sachverhaltsdar- stellung schlägt sich die Bundesregierung auf die Seite von Banken und Finanzinvestoren, die ihrerseits eben- falls bemüht sind, ihre zunehmend schärferen Beitrei- bungs- und Zwangsversteigerungspraktiken klein zu re- den. Anwältinnen und Anwälte von Betroffenen und Verbraucherschutzorganisationen vermitteln da ein ganz anderes Bild. Während der Anhörungen im September und im Januar berichteten diese von einer Vielzahl an Fällen. Eine gängige Methode ist, dass mit einer Voll- streckung der sofort fälligen Grundschuld die Notlage und die Kündigungsvoraussetzungen überhaupt erst ge- schaffen werden! Vor diesem Hintergrund ist die Dar- stellung der Ministerin zynisch. Dank des rastlosen Engagements von Betroffenen und ihren Rechtsbeiständen ist es gelungen die Problematik einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Der öf- fentliche Protest hat auch die Regierung schließlich zum Handeln gezwungen. Dass diese das höchst ungern tut, war unter anderem daran zu erkennen, dass der Regie- rungsentwurf der Bundesregierung zum Risikobegren- zungsgesetz diese Problematik zunächst mit keinem Wort erwähnte. Die mittlerweile angedachten Maßnah- men sind im besten Falle partielle Verbesserungen in De- tailfragen. Sie lösen nicht die Kernprobleme. Stattdessen bergen sie in zentralen Fragen sogar die Gefahr einer dramatischen Verschlechterung des Verbraucherschut- zes. So hebelt die vorgeschlagene Neufassung des § 496 BGB den bestehenden § 415 BGB definitiv aus. Letzter hatte für die Wirksamkeit einer Vertragsübertragung aus- drücklich eine Zustimmungspflicht des Kreditnehmers oder der Kreditnehmerin vorgesehen. Statt der Zustim- mung soll in Zukunft nur noch die Information der Kre- ditnehmerin oder des Kreditnehmers notwendig sein. Im derzeit laufenden Verfahren zum Risikobegren- zungsgesetz ist nicht abzusehen, dass die Koalition wirk- lich bereit ist, durchgreifend für Rechtssicherheit bei der Kreditvergabe zu sorgen. Daher hat die Fraktion Die Linke den Antrag „Ausverkauf von Krediten an Finanz- investoren stoppen – Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken“ eingebracht. Dieser ist nach ein- gehender Auswertung zweier Anhörungen im Rahmen des Finanzausschusses sowie einer Vielzahl von Bera- tungen mit Experten/-innen und Betroffenen erarbeitet worden. Mit diesem Antrag verfolgen wir im Kern zwei Anliegen: Zum einen geht es um die Schaffung von Rechtssicherheit für Kreditnehmerinnen und Kreditneh- mer. Zum anderen geht es darum Lehren aus der US-Hy- pothekenkrise zu ziehen und hierzulande vorsorglich al- les dafür zu tun, dass eine Anhäufung von Risiken für die Finanzstabilität rechtzeitig vermieden wird. Die Schaffung von mehr Rechtssicherheit, insbeson- dere für die Immobilienkreditnehmer und -kreditnehme- rinnen, aber beispielsweise auch für mittelständische Unternehmen, muss für diese dadurch gewährleistet werden, dass deren Zustimmung zur Auswechslung des Vertragspartners ausdrücklich eingeholt werden muss. Ausdrücklich meint, dass eine standardisierte Zustim- mung im Kleingedruckten der Allgemeinen Geschäfts- bedingungen (AGB) nicht zulässig ist und auch nicht durch die Androhung eines höheren Zinssatzes erzwun- gen werden darf. Ebenso sind Umgehungsmöglichkei- ten, etwa durch Abspaltung von Teilen eines Kreditinsti- tutes, dadurch zu verhindern, dass auch für solche Fälle die explizite Zustimmung der Darlehensnehmerinnen und Darlehensnehmer eingeholt werden muss. Weiterhin wird in unserem Antrag klargestellt, dass zum Beispiel allein der Umstand, dass ein Kreditnehmer oder eine Kreditarbeitnehmerin arbeitslos wird, dies die Bank 15396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) noch nicht berechtigt, eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse festzustellen, um dann den Kredit kündigen zu können. Insbesondere die Finanzierung von Immobilien ist für eine Vielzahl von Menschen mit einer erheblichen finan- ziellen Kraftanstrengung verbunden. Scheitert diese, so können damit im Handumdrehen existenzielle Probleme verbunden sein. Aus diesem Grunde ist es auch erforder- lich, dass die kreditgebenden Institute stärker in die Ver- antwortung genommen werden, die ihnen aus ihrer be- sonderen Vertrauensstellung erwächst. Das heißt für uns, dass zweifelsfrei sichergestellt sein muss, dass Kredit- nehmer und Kreditnehmerinnen in der Zwangsvollstre- ckung vor der doppelten Inanspruchnahme geschützt sind. Zudem sind aber auch Maßnahmen im Vorfeld zu ergreifen, damit es möglichst erst gar nicht so weit kommt. Hierzu ist es nötig, die Pflicht zur Beratung zu präzisieren und die Unterbreitung seriöser Angebote zur Anschlussfinanzierung zu verlangen. Plant eine Bank dennoch einen laufenden Kreditvertrag an einen Dritten weiterzureichen, so ist dem Verbraucher das Recht auf Kündigung ohne Vorfälligkeitsentschädigung einzuräu- men. Auf dem US-Hypothekenmarkt wurde uns eindring- lich vor Augen geführt, welche Folgen der Sittenverfall bei der Kreditvergabe haben kann, wenn gleichzeitig die Vorschriften zur Rechnungslegung und die Finanzmarkt- aufsicht den Anforderungen nicht genügen. Noch sind die Verhältnisse in den USA nicht vergleichbar mit den unsrigen. Allerdings sollte uns allen der Hinweis von Professor Reifner vom Institut für Finanzdienstleistun- gen eine Warnung sein, der in der Anhörung darauf hin- wies, dass sich in Deutschland mittlerweile die Qualität der Kredite ähnlich dramatisch verschlechtere, wie vor zehn Jahren in den Vereinigten Staaten. Versäumen wir es, hier rechtzeitig gegenzusteuern, dann können wir uns in Nordamerika heute anschauen, was uns auch in Deutschland in einigen Jahren blühen kann. Mahnen sollte uns nicht nur die Existenzbedrohung von Millio- nen amerikanischen Hypothekenkreditnehmern/-innen, sondern auch die akute Gefährdung der Finanzstabilität. Während etwa das Bundesfinanzministerium derzeit noch von Wertverlusten in der Höhe von weltweit 400 Milliarden US-Dollar – resultierend aus der US-Im- mobilienkrise ausgeht – wird anderenorts von Experten ein Wertverlust in der Größenordnung der gesamten deutschen Wertschöpfung eines Jahres, nämlich rund 2,5 Billionen US-Dollar vermutet. Daher wollen wir es nicht nur bei klareren und ein- deutigen Regelungen der Vertragsbeziehungen im BGB belassen. Neben der Verpflichtung der Kreditinstitute auf eine seriösere Kreditvergabe ist es dringend erforder- lich, dass ausnahmslos alle Risiken, die von Banken aus- platziert werden, in der Rechnungslegung dokumentiert und der Aufsicht gemeldet werden müssen. Schließlich greifen wir auch die von Verbraucherschützern wieder- holt vorgetragene Forderung auf, dass die BaFin nicht nur im abstrakten, öffentlichen Interesse sondern auch im Verbraucherinteresse tätig werden soll. Letzteres würde zugleich auch präventiv die Finanzstabilität si- chern, wohingegen die BaFin heute oftmals erst tätig werden kann, wenn das Kind bereits in den Brunnen ge- fallen ist. Während die Koalition nun bereits zum wiederholten Male die weitere Behandlung des Risikobegrenzungsge- setzes verschoben hat, haben Sie hier die Gelegenheit für eine durchgreifende Verbesserung im Interesse der Ver- braucher, der mittelständischen Wirtschaft und der Fi- nanzstabilität zu sorgen, indem Sie unserem Antrag im weiteren Verfahrensgang zustimmen. Ich fordere Sie auf, sich nicht zu verweigern! Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren hier in erster Lesung einen Antrag der Linken zum Kreditverkauf an Finanzinvestoren. In den Medien waren in den vergangenen Monaten immer wie- der Berichte zu vernehmen, in denen von schnellen Zwangsvollstreckungen von Forderungen aus Immobi- lienkrediten berichtet wurde. Leute, die nur minimal mit ihren Zahlungen in Verzug waren, laut Medienberichten sogar welche, die immer pünktlich gezahlt haben, wur- den rigoros aus ihrem Wohneigentum vertrieben. Der Grund dafür? Die Bank oder Sparkasse, die ursprünglich den Kredit vergeben hatte, hatte das Darlehen mittler- weile an einen Finanzinvestor verkauft. Der hat aber eher ein Interesse am schnellen Euro als an einer lang- fristigen Sanierung. Deswegen haben diese Investoren nicht lange gezögert und die Grundschuld verwertet. Er- gebnis: Die Betroffenen sahen sich nach einer Zwangs- versteigerung genötigt, ihr ehemaliges Wohneigentum zu verlassen. Diese Zustände haben wir von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen seit vielen Monaten angepran- gert. Wir haben einen Antrag hier im Bundestag bereits im Juni vergangenen Jahres eingereicht. Dass nun auch die Linken mit einem Antrag nachziehen, freut uns. Auch, dass sie im Gegensatz zur Bundesregierung hier einen Antrag vorlegen, der die Stärkung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Vordergrund stellt. Dieses Ziel teilen wir. Der Schlüssel dazu ist mehr Transparenz und Bedingungen, die die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder auf Augenhöhe mit den Kredit- instituten bringen. Wir wollen deswegen, dass die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer und immer vom Gläubiger vor Ver- tragsabschluss auf einen möglichen Darlehensverkauf hingewiesen werden müssen. Nur dann wissen die Schuldnerinnen und Schuldner, auf was sie sich einlas- sen, und die Bedingung, ob ein Kredit verkäuflich ist oder nicht, kann Teil der Bedingungen in den Kreditver- handlungen werden. Immer wieder wurden Kredite verkauft, ohne dass die Schuldner wussten, an wen. Das muss sich ändern. Des- wegen sollen im Verkaufsfall die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer unverzüglich nach dem Verkauf über den Gläubigerwechsel informiert werden müssen. Nur so können sie sich effektiv auf die neue Lage einstellen. Diese Informationspflichten müssen für notleidende und nichtnotleidende Kredite gelten. Um auch über diese Differenzierung Klarheit zu gewinnen, muss eine Quali- fikation gesetzlich geregelt sein. Es kann nicht sein, dass die Gläubiger über die Unterscheidung bestimmen, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15397 (A) (C) (B) (D) dann massive rechtliche Folgen hat. Die Unterscheidung in notleidende und nichtnotleidende Kredite ist von zen- traler Bedeutung. An der Einstufung der Darlehen orien- tiert sich eine lange Reihe von Rechtsfolgen, an deren Ende die Entscheidung über eine Zwangsvollstreckung steht. Bisher sieht die Bundesregierung nicht vor, diese Unterscheidung festzuschreiben. Das darf nicht sein, wir brauchen eine differenzierte, rechtlich präzise und pra- xistaugliche Unterscheidung zwischen notleidend und nichtnotleidend. Das muss auch im Gesetz stehen. Es kann nicht sein, dass jede Bank hier verfahren kann, wie sie will. Vor jeder Zwangsvollstreckung muss ein obligatori- scher Sanierungsversuch stehen. Damit soll sicherge- stellt werden, dass die Schuldnerinnen und Schuldner Gelegenheit haben, sich aus ihrer finanziellen Notlage zu befreien, ohne gleich ihr Wohneigentum zu verlieren. Die Möglichkeit zur Verbriefung von Krediten soll er- halten bleiben. Denn die Banken müssen die Chance be- halten, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten per Kredit- handel zu Geld zu kommen und sich selber zu sanieren. Die Aufnahme eines Immobilienkredits ist für die meisten Menschen die größte und wichtigste finanzielle Entscheidung ihres Lebens. Sie haben nur selten Erfah- rungen bei der Kreditaufnahme, ganz anders als die Kre- ditgeber. Verbraucherinnen und Verbraucher bedürfen deswegen eines besonderen Schutzes seitens des Gesetz- gebers. Der Antrag der Linken, den wir hier verhandeln, stellt das richtige Ziel, einen umfassenden Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, in den Vordergrund. Einige der Maßnahmen, die die Linksfraktion hier vor- schlägt, ähneln in verblüffender Weise unseren Ideen. Das begrüßen wir ausdrücklich. Über die einzelnen Maßnahmen werden wir uns im parlamentarischen Ver- fahren austauschen. Der Gesetzentwurf der Bundesre- gierung liegt ja bereits vor, ebenso wie unser Antrag aus dem vergangenen Sommer. Wichtig bleibt, die Inte- ressen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick zu haben. Die Gläubiger müssen dabei nicht über Ge- bühr belastet werden. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: EU-Importverbot für illegales Holz durchsetzen (Tagesordnungs- punkt 21) Cajus Caesar (CDU/CSU): „Nicht wegsehen, son- dern hinsehen.“ Diese Aussage unserer Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel gilt auch für den Schutz unserer Urwälder. Leider wird die herausragende Bedeutung der Wälder für unsere (Um-)Welt insgesamt noch immer gravierend unterschätzt. Wälder sind die grüne Lunge unserer Erde. Sie beeinflussen das Klima, den Wasser- haushalt und sind wesentliche Kohlenstoffspeicher. Die Zerstörung dieser Naturschätze hat verheerende ökolo- gische, soziale und ökonomische Folgen: Sie führt zu Überschwemmungen, Erosionen, fortschreitender De- sertifikation und verstärken den CO2-Anstieg. Der Ver- lust an biologischer Vielfalt verkleinert und destabilisiert den natürlichen Genpool. Die Lebensumgebung und wirtschaftliche Grundlage zahlreicher indigener Bevöl- kerungsstämme wird zerstört. Wissenschaftliche Pro- gnosen zeigen, dass ohne eine deutliche Trendwende sämtliche tropischen Feuchtwälder in den nächsten 50 bis 100 Jahren von der Erde verschwunden sein wer- den. Mit ihnen auch die bislang unerforschte Vielzahl an Tieren und Pflanzen. Vor allem illegaler Einschlag und der Handel mit die- sem Holz zieht erhebliche umwelt- und entwicklungs- politische Schäden nach sich. Der massive Einschlag läuft allen Regeln nachhaltiger Waldbewirtschaftung zu- wider und verursacht irreparable Wald- und Umwelt- schäden. Die große Nachfrage nach dem beliebten Artikel fördert organisierte Kriminalität, verursacht zahl- reiche Landrechtskonflikte und lenkt die ländliche Be- völkerung in illegale Bahnen. Die durch den illegalen Handel verursachten Steuerausfälle fehlen in den Staats- kassen der betroffenen Regierungen. Nicht selten wird das am Staat vorbei verdiente Geld auch für die Finan- zierung bewaffneter Konflikte eingesetzt. Jährlich werden allein in den Tropen 15 Millionen Hektar Wald abgeholzt. Dies entspricht einer Fläche von der Gesamtgröße Bayerns, Baden-Württembergs und Niedersachsens oder halb Italiens. Neben den verheeren- den Auswirkungen der weltweiten Brandrodungen ge- hen allein etwa 7,2 Millionen Hektar durch den, zumeist illegalen, Holzeinschlag verloren. Allein in Russland, dem Land mit den drittgrößten Urwaldflächen von ins- gesamt 750 Millionen Hektar, stammen bis zu 50 Pro- zent des Holzes aus illegalen Quellen. In den Tropen ist der Anteil sogar noch höher. Indonesisches Tropenholz stammt zu 70 Prozent aus illegalen Quellen. Im brasilia- nischen Amazonasgebiet liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent. Angesichts der dramatischen Situation der Urwälder sind wirksame Maßnahmen auf internationa- ler, europäischer und nationaler Ebene dringend erfor- derlich. Einig sind wir uns auch, dass FLEGT, Forest Law Enforcement, Governance and Trade, eine bedeutende Festlegung im Kampf gegen illegalen Holzeinschlag ist. Ein wirksames europäisches Instrument gegen illegales Tropenholz würde die Anreize für den illegalen Holzein- schlag erheblich eindämmen und damit der Umwelt und der auf den Wald angewiesenen Bevölkerung erheblich helfen. Erste Erfolge sind schon zu verzeichnen – noch dieses Jahr werden Verträge mit Kamerun, Ghana und Malaysia geschlossen. Leider lässt sich aber auch nicht bestreiten, dass die Verhandlungen mit einigen anderen Partnerländern in der letzten Zeit erheblich stocken. Die Kommission hat erkannt, dass einige Vorgehensweisen und Konzepte ver- besserungsbedürftig sind. Die von Ihnen angesprochene Mitteilung wird, vor allem auf Drängen der deutschen Bundesregierung, im Mai diesen Jahres erwartet. Hierbei sollen Verbesserungsvorschläge und rechtliche Alterna- tiven zu FLEGT aufgezeigt werden. Unbeachtet bleibt dieses europäische Projekt aber nicht. Japan und China 15398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) haben sich in letzter Zeit durchaus positiv zu einer mög- lichen Zusammenarbeit im Rahmen des EU-FLEGT-Pro- gramms ausgesprochen. Aber auch das nationale und in- ternationale Engagement Deutschlands im Kampf gegen den Klimawandel und die Zerstörung der Wälder darf nicht außer Acht gelassen werden. Erst kürzlich konnte ich mich bei einer Reise mit dem Bundesumweltminister nach China davon überzeugen, dass Deutschland enorme Projekte zur Wüstenbekämp- fung, zum Erhalt von Urwäldern und zur Wiederauffors- tung vornimmt. International gesehen ist Deutschland mit 300 Millionen Euro der größte Geber im Bereich Waldschutz. Allein in Nord-China wurden bei einer 50:50-Finanzierung für den Waldschutz seit 1995 195 Millionen Euro für entsprechende Projekte einge- setzt. Die Ergebnisse sind überzeugend: Der Rückgang von Naturwäldern in den Ober- und Mittelläufen des Jangtse und des Gelben Flusses wurde aufgehalten. Durch verstärkten Einsatz gelang es, die illegale Holz- nutzung fast vollständig zum Stillstand zu bringen. Im Rahmen des letzten Fünfjahresplanes wurden 22,33 Mil- lionen Hektar aufgeforstet. Die Bundesregierung unter- stützt zudem ein PPP-Projekt für die Forstzertifizierung. Auch andere Pilot-Waldschutzprojekte deutscher Ent- wicklungsorganisationen in Afrika, Lateinamerika und Osteuropa sind wegweisend für den internationalen Um- weltschutz. Die aktuelle Initiative der Bundesregierung „Business and Biodiversity“ will deutsche Firmen, die auch inter- national von großer Bedeutung sind, zur Mitarbeit bewe- gen. Gemeinsam will man Lösungen zum Schutz des Tropenwaldes und der Artenvielfalt erarbeiten. Auch dürfen die zahlreichen Selbstverpflichtungen der deut- schen Wirtschaft, wie zum Beispiel der Verhaltenskodex des Gesamtverbandes Deutscher Holzhandel, nicht un- terschätzt werden. Dieser dient den Mitgliedsunterneh- men als Richtlinie für raubbaufreien Holzimport und zeigt ganz deutlich: Klimaschutz und Industrie schließen sich nicht aus. Im internationalen Rahmen setzt sich Deutschland verstärkt für die Integration des Waldschutzes in das weiterentwickelte Klimaregime ein und unterstützt Pläne zur Inwertsetzung ökologischer Leistung unserer Wälder sowie neue Initiativen wie zum Beispiel das REDD, Re- duced Emissions from Degradation und Deforestation. Auch Sie, meine Damen und Herren der Grünenfraktion, wissen, dass das Thema Urwaldschutz sehr facettenreich ist. In den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit mit Ihrem Minister ist es Ihnen nicht gelungen, Pflöcke zum Schutz des Urwaldes einzuschlagen. Zugegebenermaßen ist dies ein sehr schwer umzusetzendes Thema, nicht zuletzt weil wir es hierbei nicht selten mit vielen unterschiedli- chen Akteuren, die nicht nach unseren Standards han- deln, zu tun haben. Dennoch zeigen die genannten Bei- spiele, dass es auch anders laufen kann – wie jetzt unter der unionsgeführten Koalition. Deutschland ist Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt, Convention on Biological Diversity, CBD. Vor dem Hintergrund zahlreicher erfolg- reicher Bemühungen haben wir gute Voraussetzungen in Bonn, aber auch im Rahmen des zweijährigen Vorsitzes des CBD-Sekretariats, bis zum Jahre 2010 ein weltweites Netz von Schutzgebieten mit nachhaltiger Bewirtschaf- tung, ein „Netz des Lebens“ zu erzielen. Wenn wir unsere Wälder schützen wollen, müssen wir Regelungen erreichen, die die betroffenen Länder, die Menschen vor Ort und die beteiligte Holzindustrie von der Bedeutung der Urwalderhaltung, im Sinne des Klimaschutzes und der Artenvielfalt, überzeugen. Maß- geblich hierfür sind vor allem: politische Reformen, Un- terstützung der lokalen Bevölkerung, Kapazitätenauf- bau, Zertifizierung und Überwachung. Gute Lösungen brauchen Zeit. Ein auf die Schnelle beschlossenes, aber uneffizientes System kostet Zeit und Geld und hilft dennoch keinem. Gerade gestern wurde mir bei der öf- fentlichen Anhörung zum Thema Biomasse hier im Bun- destag wieder deutlich: Nachhaltigkeitsstrategien und Überprüfungssysteme in diesen Bereichen verfolgen gleiche Ziele und müssen ineinander greifen – anders können Effizienz und Nachhaltigkeit nicht durchgesetzt werden. Die bereits erprobten und bewährten Zertifizie- rungsmechanismen wie PEFC-Standards und das FSC- System spielen hierbei eine große Rolle. Die Bundesregierung hat sich jederzeit für eine zü- gige Einsetzung des FLEGT-Aktionsplans eingesetzt, hat aktiv an der Verabschiedung der Verordnung mitgearbei- tet und wird das Vorankommen und eine mögliche Reform dieser Verordnung auch weiterhin tatkräftig un- terstützen. Zu dem von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in die parlamen- tarische Diskussion eingebrachten Antrag, der – wie schon so häufig – eine nationale Strategie im Kampf ge- gen illegalen Holzeinschlag vorschlägt, kann ich Folgen- des sagen: Ihre Vorschläge führen zur Überreglementie- rung und machen einen europäischen Alleingang nötig. Auch ist der Vorschlag EU- und WTO-rechtlich äußerst bedenklich. Europa darf sich nicht mit einfachen Import- verboten zufrieden geben; denn damit verschließen wir die Augen vor den Problemen, lassen auch die Men- schen in den betroffenen Gebieten allein und senden fal- sche Signale an unsere bisherigen Verhandlungspartner. Die Union will keine Gesetzesflut und auch keine büro- kratischen Regelungen. Wir wollen die Grundlagen und nicht die Folgen des illegalen Holzeinschlags bekämp- fen, wir wollen praktische Erfolge und keine neuen Pa- piertiger. Die Union steht für eine verantwortungsbe- wusste Politik und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Herzensanlie- gen der Union. Aus diesem Grund werden wir auch wei- terhin national wie international für dieses Ziel einstehen und für seine Durchsetzung kämpfen. Dr. Gerhard Botz (SPD): Die Bekämpfung des ille- galen Holzeinschlages und des damit verbundenen Han- dels werden von der Bundesregierung und der Koalition äußerst ernst genommen. Wenn Wälder illegal abgeholzt werden und ihre Funktionsweise dauerhaft geschädigt wird, betreffen die Auswirkungen nicht nur den europäi- schen und deutschen Holzmarkt und unsere Waldbesit- zer, sondern es wirkt sich negativ auf das Weltklima aus, ist verbunden mit der Ausweitung von Armut in den be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15399 (A) (C) (B) (D) troffenen Regionen, bedeutet Verlust von Biodiversität und Voranschreiten von Wüstenbildung und ist somit ein globales Problem. Nicht zuletzt führen diese Praktiken auch zu erheblichen Steuerausfällen in den Staaten, in denen illegal Holz eingeschlagen wird. Insofern stimme ich inhaltlich in einigen Teilen dem Antrag durchaus zu: Ja, wir müssen uns weiterhin als Europäer gegen den il- legalen Holzeinschlag einsetzen. Frau Behm, ich kann ihr Drängen ja verstehen, doch was wollen Sie denn mit Ihrem Antrag erreichen? Ein Importverbot auf nationaler Ebene führt doch nur dazu, dass Deutschland sich aus den Verhandlungen herauska- tapultiert. Aber der Markt und die Nachfrage nach dem Holz bestehen doch weltweit. Statt nach Europa würde dieses Holz direkt nach Asien gehen. Aus diesem Grund werden derzeit auf EU-Ebene bila- terale Partnerschaftsverträge mit den Lieferländern ver- handelt. Partnerschaftsabkommen sind grundsätzlich der bessere Weg, denn nur so kann gewährleistet werden, dass überhaupt eine Kontrolle vor Ort ermöglicht wird und wir in Gremien vor Ort ein Mitspracherecht in Kon- trollorganen erhalten. Die Unterscheidung zwischen le- galem und illegalem Holzeinschlag kann nur in Zusam- menarbeit mit den zuständigen Staaten getroffen werden. Die EU verhandelt zurzeit mit neun Staaten, und in die- sem Jahr ist der erfolgreiche Abschluss von drei ersten Abkommen vorgesehen. Parallel dazu werden die Vo- raussetzungen geschaffen, dass die rechtlichen und tech- nischen Kontrollen im Zoll möglich sind und nur noch legal erzeugtes und entsprechend kontrolliertes Holz ein- geführt wird. Deutschland steht zusätzlich auch in Gesprächen mit China, welches weltweit stark nach Rohstoffen fragt, sich sicherlich über ein sofortiges EU-Importverbot zur- zeit freuen würde. Denn auch nur in Zusammenarbeit mit den anderen Importländern können wir eine Eindäm- mung des illegalen Holzeinschlages erreichen. So funk- tioniert nun einmal ein großer Binnenmarkt. Eine nach- haltige Waldbewirtschaftung oder zumindest erst mal ein Stopp des Raubbaus kann nur über eine gemeinsame An- strengung der Staatengemeinschaft erreicht werden. Hier müssen existenzielle Fragen von Armut, Ernährung und Entwicklung gelöst werden. Dies kann leider nicht von heute auf morgen passieren, selbst wenn das wünschens- wert wäre. Die Bundesrepublik ist auf einem guten und gangbaren Weg und wird diesen auch zielstrebig weiter verfolgen und zwar auf nationaler und europäischer Ebene. Und im Übrigen, meine Damen und Herren von den Grünen, wenn es so einfach wäre, wie Sie es hier in Ih- rem Antrag formulieren, warum haben Sie es denn nicht selbst geschafft in den Zeiten Ihrer Regierungsmitwir- kung? Wir haben Ihnen keine Steine in den Weg gelegt. Nein, Sie wissen doch selbst, dass dieser Antrag hier nicht zielführend ist. Wir werden ihn deshalb ablehnen. Man kann es auch so formulieren: Auch dieser Bohrer steckt noch in dicken Bohlen seit unserer rot-grünen Zeit. Ihr könnt es Euch erlauben, den Eindruck zu ver- mitteln, ein Karate-Schlag würde es bringen. Wir wissen es besser und drehen fleißig weiter, bis das Loch fertig ist. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Bilanz der letzten Jahre bei der Eindämmung des illegalen Holzeinschlags ist ernüchternd. Noch immer gehen un- verändert wertvolle Primärwälder durch illegalen Holz- einschlag verloren. Satellitenaufnahmen zeigen die dra- matischen Verluste. In der Anhörung „Biomasse – Chancen und Risiken für globalen Klimaschutz, biologische Vielfalt, Ernäh- rungs- und Versorgungssicherheit sowie Armutsbekämp- fung“ wurde durch den Beitrag über den Anbau von Öl- palmen zur Gewinnung von Palmöl in Indonesien sehr deutlich, dass nicht nur die Nutzung von Holz, sondern auch die Nutzung des Landes nach der Rodung für die Anlage von Ölpalmenplantagen, in anderen Ländern der Erde auch für den Sojaanbau, Triebfeder für die Zerstö- rung der Wälder ist. Ein EU-Importverbot für illegal eingeschlagenes Holz kann vor diesem Hintergrund nur wenig Einfluss haben auf den Erhalt von Wäldern, sondern wird eher die Bürokratie vermehren, statt den illegalen Holzein- schlag einzudämmen. Das geforderte nationale Besitz- und Handelsverbot für Produkte aus illegal geschlagenem Holz ist eben- falls ungeeignet, den illegalen Holzeinschlag zu ver- mindern. Es würde in der Praxis bedeuten, dass jede Lieferung Kiefernholz zum Beispiel aus Russland mit gentechnischen Methoden auf seine Herkunft überprüft werden müsste, jede Lieferung von Schnittholz, Papier etc. Es ist einleuchtend, dass ein Unternehmer, der ille- gal in irgendeinem Land der Welt Holz einschlägt, auch in der Lage und willens ist, Frachtpapiere zu fälschen, um ein Importverbot der EU und ein nationales Besitz- und Handelsverbot zu umgehen. Dann bleibt zur Durchsetzung des Verbots nur die genetische Analyse des Imports. Die entsprechenden gentechnischen Ver- fahren dafür sind entwickelt worden. Die Durchsetzung des umfangreichen Verbotskatalogs im Antrag der Grü- nen gleicht einem Arbeitsauftrag an Labore und Rechtsanwälte. Die FDP lehnt dies ab. In der Begründung des Antrags wird auch auf die Ver- tragsstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt im Mai in Bonn verwiesen. Auch die FDP ist der Ansicht, dass die Bundesregierung zur Durchführung dieser Konfe- renz weitgehend mit leeren Händen dasteht. Die An- nahme des Antrags würde daran allerdings nichts än- dern. Die in der „Nationalen Strategie zum Erhalt der Biologischen Vielfalt“ vorgeschlagene Herausnahme von 550 000 Hektar Wald aus der Nutzung verstärkt den Bedarf an Holzimporten. Die FDP fordert, dass der Waldschutz als eine zen- trale Aufgabe einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Politik angesehen wird. Dabei gilt für uns, dass die exis- tenziellen Bedürfnisse der Menschen in den Entwick- lungsländern einen höheren Stellenwert haben als die Ansprüche der Wohlstandsgesellschaft. 15400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) „Vorhaben nachhaltiger Waldentwicklung sind für den Privatsektor nur dann attraktiv, wenn ausreichende Rechts- und Investitionssicherheit gegeben ist, die eine langfristig selbst tragende Finanzierung und eine regio- nal- und wirtschaftspolitische Konkurrenzfähigkeit zu anderen Landnutzungsformen erlaubt.“ So hat die rot- grüne Bundesregierung es in der Beantwortung einer Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion formuliert. Diese Feststellung ist richtig. Das bedeutet aber auch, dass die staatlichen Institutionen auf dem Forstsektor in die Lage versetzt werden müssen, Recht und Gesetz durchzusetzen. Dazu ist ein Mindestmaß an Wohlstand erforderlich. Das heißt, wirkliche Fortschritte beim Schutz der Wälder können nur erzielt werden, wenn die Armut in den Ländern, in denen in besonderem Maße il- legal Holz eingeschlagen wird, erfolgreich bekämpft wird und die Menschen Möglichkeiten erhalten, sich selbst zu versorgen. Daher sind Ansätze wie dieser Antrag der Grünen, die auf mehr Bürokratie bei uns wie auch in den Holzexport- ländern setzen – Kontrollen, Zertifizierungssysteme, Da- tenbanken, etc. – sehr aus dem Blickwinkel der Wohl- standsgesellschaft formuliert. Sie stärken das Ansehen zuhause, ohne den Menschen vor Ort zu helfen, ohne die Wälder effektiv zu schützen. Diese Politik können wir uns schon lange nicht mehr leisten. Wir sollten versuchen, den armen Ländern der Erde zu helfen, ihre Wälder in entsprechender Weise für die Bekämpfung der Armut zu nutzen und gleichzeitig ein Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes ihrer Wäl- der zu entwickeln. Wir brauchen den Erhalt der Wälder der Erde für das Leben der Menschen vor Ort, die biolo- gische Vielfalt, die Sicherung der Wasserressourcen und den Klimaschutz. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die meisten Urwälder dieser Erde sind von der weitgehenden Zer- störung bedroht. Zum Holzgeschäft und zu Brandrodun- gen kommt neuerdings auch noch der Importsog von In- dustriestaaten hinzu, die billig Palmöl oder Ethanol aus Zuckerrohr beziehen wollen. Dies führt zu zusätzlichen Abholzungen. Die Abholzungen geschehen manchmal „legal“, meistens aber illegal. Beispielsweise fallen bis zu 80 Prozent des in Indonesien geschlagenen Tropen- holzes unter die letzte Kategorie. Auch anderen Her- kunftsländern gelingt es bisher nicht, illegalen Einschlag wirksam zu verhindern. Relevante Mengen des kriminell in Urwäldern geschlagenen Holzes finden auch in Deutschland ihren Absatzmarkt. Dieser Holzverbrauch trägt darum mittelbar zur Urwaldzerstörung bei. Dass dies in der Bundesrepublik bisher weder unterbunden noch geahndet werden kann, haben wir hier schon oft debattiert. Das Problem besteht darin, dass es hierzu- lande nicht verboten ist, Holz und Holzprodukte aus ille- galem Einschlag zu besitzen oder mit ihnen zu handeln. Die Grünen haben nun mit ihrem Antrag die Idee des Einfuhrverbotes erneut aufgegriffen, welches seinerzeit bereits Kern des rot-grünen Entwurfs eines „Urwald- schutzgesetzes“ war. Das verschwand leider in den Schubladen des BMU. Dieser Gesetzentwurf sah vor, das Bundesnatur- schutzgesetz um ein Verbot des Besitzes und der Ver- marktung von Holz und Holzprodukten aus illegalem Einschlag in Urwäldern zu ergänzen. Um die Einhaltung dieses Verbots kontrollieren zu können, sollten die Holz- händler und -verarbeiter verpflichtet werden, einen Le- galitätsnachweis für Holz und Holzprodukte bereitzuhal- ten. Wir unterstützen dieses Anliegen und auch die Position im Grünen-Antrag, die sich für eine Fortent- wicklung der sogenannten FLEGT-Verordnung der Euro- päischen Union hin zu einem generellen Importverbot für illegal geschlagenes Holz einsetzt. Hier haben sich die Grünen weiterentwickelt, denn in ihrem alten Ge- setzentwurf sollte ja noch die Legalitäts-Nachweispflicht für jene Länder nicht gelten, die ein FLEGT-Abkommen mit der EU geschlossen haben. Wir haben das damals kritisiert, denn die FLEGT-Verordnung umfasst nur den Handel mit bestimmten Holzprodukten. Die Zellstoff- und Papierproduktion ist ausgenommen. Vor allem aber – und dies haben die Grünen ja im jetzigen Antrag dar- gestellt – gilt sie eben nur für einige Länder, und nicht einmal für die sind erfolgreiche Verhandlungen in Sicht. Insofern ist auch die Argumentation, die die Regierungs- fraktionen ständig fährt, absurd, FLEGT erfülle doch die Funktion eines Importverbotes und letzteres sei deshalb überflüssig. Der Antrag der Grünen ist gut, hat aber ein systemati- sches Problem: Einfuhrverbote für illegal geschlagenes Holz könnten nur jene Urwälder schützen, die auch in dem jeweiligen Herkunftsland unter Schutz stehen. Holz aus staatlich genehmigtem Urwaldkahlschlag dürfte also weiterhin in Deutschland oder der EU vermarktet wer- den. Selbst wenn dabei der Holzeinschlag in den betref- fenden Staaten gegen Menschenrechte und traditionelle Besitzrechte der Waldvölker verstößt – so wie es in In- donesien, Kolumbien und teilweise auch in Brasilien oft der Fall ist. Uns ist klar, dass dies juristisch anders kaum zu handhaben ist. Unbefriedigend bleibt es doch. Wir unterstützen also den Antrag. Die Linke würde sich aber auch darüber freuen, wenn die Grünen endlich aufhören würden, die absurd hohen Quotenziele für Agroenergien in der EU und in Deutschland zu verteidigen, welche nur durch massive Importe aus den Ländern des Südens zu erfüllen sind. Es ist wirklich schade, dass sie hier den umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen bei ihrer Forde- rung nach einem Importmoratorium nicht folgen kön- nen. Mir ist unverständlich, dass sie nicht begreifen, dass diese Quoten Tropenwaldabholzung und Vertreibungen von indigenen Völkern und Kleinbauern zur Folge ha- ben. Den Agrosprit-Staubsauger, den wir hier anwerfen, haben die Leute da unten auszubaden. Ihre geliebte Zer- tifizierung – die es noch gar nicht gibt – wird daran nichts ändern. Selbst wenn diese vorbildlich in den kor- rupten Ländern durchsetzbar wäre, könnte sie spielend umgangen werden. Schließlich lassen sich damit die in- direkten Verdrängungen überhaupt nicht fassen. Denn die Tropenwälder Brasiliens fallen beispielsweise dem Zuckerrohr für den Agrosprit nur selten direkt zum Op- fer. Der zusätzliche Zuckerrohranbau findet meist auf Altplantagen statt. Er treibt aber bisherige Nutzungen, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15401 (A) (C) (B) (D) wie Rinderherden und Sojaplantagen, in den Amazonas- gürtel oder den ökologisch ebenso wertvollen Cerrado. Wie also wollen die Grünen so etwas zertifizieren? Bitte überdenken sie hier Ihre Position. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Mai wird die EU-Kommission Vorschläge zur Fortent- wicklung ihrer Politik zum Erhalt der Wälder dieser Welt, kurz FLEGT genannt, machen. Die FLEGT-Ver- ordnung sieht vor, mit den Holzexportländern über den Abschluss sogenannter Partnerschaftsabkommen zu ver- handeln. Mit diesen Abkommen soll ein freiwilliges Ge- nehmigungssystem für Holzeinfuhren etabliert werden, welches gewährleisten soll, dass aus diesen Ländern nur legal geschlagenes Holz in die EU eingeführt wird. Bisher konnte allerdings mit keinem Holzexportland eine Vereinbarung über ein FLEGT-Partnerschaftsab- kommen abgeschlossen werden. Unsere Erwartung an die EU-Kommission ist daher, dass sie ein Importverbot für illegal geschlagenes Holz vorschlägt. Dies wäre not- wendig und die richtige Konsequenz aus den fehlenden Erfolgen der gültigen FLEGT-Verordnung. Das EU-Par- lament hat die Forderung nach einem Importverbot für illegal geschlagene Hölzer und Holzprodukte im Übri- gen bereits vor einigen Jahren erhoben. Alles andere als der Vorschlag eines Importverbotes wäre insofern ein Rückschlag und eine herbe Enttäuschung. Es kann doch nicht richtig sein, dass es weiter erlaubt sein soll, mit Holz zu handeln, das unter Verstoß gegen die Waldgesetze der Exportländer gefällt wurde. Ein zü- giges EU-Importverbot für illegales Holz würde in Ver- bindung mit einem entsprechenden Nachweissystem auf dem internationalen Holzmarkt einen starken Impuls für die Unterbindung des illegalen Holzeinschlags, aber auch für die Etablierung von Zertifizierungssystemen für nachhaltige Forstwirtschaft ausüben. Gerade dieser Fort- schritt für die Marktdurchdringung durch Zertifizie- rungssysteme wie FSC wäre ein Gewinn für die Wälder dieser Welt, der weit über die Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags hinausginge. Noch ist aber nicht öffentlich bekannt, was die EU- Kommission vorschlagen wird, und so viel wir wissen, steht dies auch noch nicht fest. Deshalb haben wir wei- terhin die Erwartung, dass die Bundesregierung ein EU- Importverbot für illegales Holz unterstützt, indem sie es fordert, und zwar nicht erst nach einem möglichen Vor- schlag durch die EU-Kommission, sondern bereits im Vorfeld, bevor die Kommission ihren Vorschlag auf den Tisch legt. Denn wenn die Mitgliedstaaten ein deutliches Signal nach Brüssel senden, dass sie ein solches Import- verbot wollen, dann besteht auch die Chance, dass das die Entscheidung der Kommission beeinflusst. Seit mehreren Jahren befassen wir uns hier im Bun- destag mit dem Kampf gegen den Verlust von Urwäldern durch illegalen Holzeinschlag, ohne dass wir auch nur einen Meter vorangekommen wären. Den Erlass eines nationalen Besitz- und Handelsverbotes für illegales Holz hat die Große Koalition mit Verweis auf die angeb- liche EU-Hoheit in dieser Sache abgelehnt. Gleichzeitig war die Rede von einer Verschärfung der EU-Maßnah- men und einer Weiterentwicklung von FLEGT. Wir Grüne sind immer noch der Auffassung, dass man es darauf hätte ankommen lassen können, ob die EU-Kommission tatsächlich gegen dieses Gesetz vorge- gangen wäre – wenn dieses nationale Verbot denn ge- wollt worden wäre. Die Tatsache, dass die Koalition das nicht getan hat, zeigt, dass offenbar nicht einmal die Umweltpolitiker der Koalition dieses nationale Verbot wollten. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Der Holzhandelslobbyist Rudolf Luers führte dies in einer Fernsehsendung jedenfalls auf gutes Lobbying seiner Branche zurück. Wenn wir hier heute über unseren Antrag zum Schutz der Urwälder durch die Austrocknung des Marktes für il- legal eingeschlagenes Holz reden, sollten wir uns be- wusst sein, was auf dem Spiel steht. Bei der Anhörung am Mittwoch konnten wir uns ein Bild davon machen, wie bedroht die Tropenwälder sind. Die Palmölplanta- gen dringen nicht deshalb in den Urwald in Indonesien vor, weil es sonst kein geeignetes Land gäbe. Nein, es geht um die Gewinne, die mit dem wertvollen Tropen- holz gemacht werden können. Ein Stamm kann bis zu 1 000 Euro bringen. Wenn wir Deutsche und Europäer den nicht kaufen, weil er aus illegalem Einschlag stammt, dann geht das Interesse am Raubbau zurück. Das zertifizierte Holz dagegen, das beispielsweise die Kooperativen im Biosphärenreservat Petén in Guatemala anbieten, das hat dann bessere Marktchancen. So ist ein Verbot von Illegalholz gleichzeitig zum Vorteil der länd- lichen Bevölkerung in den Waldregionen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Freiheit und Demokratie im Südkaukasus – Für freie und faire Wahlen 2008 – Europäische Nachbarschaftspolitik zur För- derung von Frieden und Stabilität im Süd- kaukasus nutzen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Manfred Grund (CDU/CSU): Freiheit und Demo- kratie im Südkaukasus zu fördern – und dabei im Beson- deren für faire und freie Wahlen einzutreten –, ist uns si- cher auch parteiübergreifend ein gemeinsames Anliegen. Ob der vorliegende Antrag diesem Zweck gerecht wird, ist jedoch zweifelhaft. Problematisch erscheint mir schon eine mangelnde Differenzierung zwischen den drei Ländern Aserbai- dschan, Armenien und Georgien. Zwar werden in der Begründung spezifisch Defizite zu den einzelnen Staaten angesprochen. Aber was zugleich fehlt, ist ein abgewo- genes Urteil, dass die unterschiedlichen Rahmenbedin- gungen, Verhältnisse und Entwicklungen berücksichtigt. So wird suggeriert, dass in allen drei Ländern letztlich ähnliche Missstände herrschen. Zusätzlich bekräftigt 15402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) wird dieser Eindruck durch die Formulierung des einlei- tenden Absatzes; denn dort werden dieselben Formen politischer Repression einfach gleichermaßen auf alle drei Staaten bezogen. Und im abschließenden Absatz ist dann wiederum undifferenziert, wenn auch etwas kryp- tisch die Rede von „autokratischen Systemen, die im Ge- heimen operieren“. Entsprechend pauschal ist dann auch über weite Stre- cken der Forderungskatalog ausgefallen. So sollen wir uns für die Gewährleistung von Presse- und Meinungs- freiheit, für freie Wahlen, gegen repressive Gewalt- anwendung und für friedliche Konfliktregelungen aussprechen, ebenso für Good Governance als Voraus- setzung vertiefter Beziehungen, was, nebenbei bemerkt, im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik schon der Fall ist. Nun sind dies fraglos Werte, mit de- nen wir uns identifizieren können. Doch sind die Formu- lierungen so allgemein gehalten, dass unklar bleibt, wo- rauf sie sich beziehen. Ebenso unklar bleibt, welche Ansatzpunkte sich daraus erschließen. Diese Forderun- gen erschöpften sich in unkonkreten Bekenntnissen. Sie erschöpfen sich in der Banalität des Selbstverständli- chen. Vollends ratlos bin ich aber offen gestanden ange- sichts der Forderung, politische Willkür international zu ächten. Wo, bitte sehr, beginnt politische Willkür? Pauschale Urteile werden den unterschiedlichen Rea- litäten Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens ebenso wenig gerecht wie pauschale Forderungen. Eine faire Beurteilung ist nur möglich, wenn wir auch die je- weilige Entwicklung innerhalb des einzelnen Landes würdigen. Auf diese Problematik möchte ich am Bei- spiel Georgiens eingehen, weil ich bei der Präsidenten- wahl selbst als Wahlbeobachter der OSZE im Einsatz war. Die Wahl in Georgien hat eine Reihe von Problemen aufgeworfen, die zu Recht kritisiert werden. Dazu zählen insbesondere auch Überreaktionen der Regierung: die Verhängung des Ausnahmezustandes und das zum Teil gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten und Me- dien. Mit dem vorläufigen Amtsverzicht des Präsidenten und der Ansetzung von Neuwahlen wurde jedoch auch ein demokratischer Ausweg aus der Krise gesucht. Im Wahlkampf wurde die Berichterstattung von Saakaschwili dominiert, wenn auch nicht ausschließlich bestimmt. Vor, während und nach der Wahl kam es zu Verstößen und Unregelmäßigkeiten. Die Wahlbeobach- termission der OSZE hat dazu detaillierte Berichte ver- öffentlicht. Diese Missstände wurden zum Teil bereits am Wahltag, zum Teil erst danach sichtbar. Dennoch hält die Wahlbeobachtermission an der Gesamtwertung fest, nach der die Wahl grundsätzlich und weitgehend in Übereinstimmung mit den Standards der OSZE verlau- fen ist. Diese Bewertung wurde in der Pressebericht- erstattung auch in Deutschland oft einseitig ignoriert. Sie bleibt leider auch im Antragstext unerwähnt. Wir haben uns erst kürzlich gemeinsam für eine Stärkung von OSZE und ODIHR eingesetzt; dann sollten wir deren Befunde aber auch bei unseren Stellungnahmen berück- sichtigen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die georgischen Wahlen waren alles andere als perfekt. Im Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen hat die OSZE-Mission eine Liste dringender Reformschritte an- gemahnt. Doch ihre Befunde stützen auch nicht die von der georgischen Opposition ausgehenden Vorwürfe, nach der die Wahl systematisch gefälscht wurde. Viel- mehr dürften die meisten Verfehlungen auf tradierte Ver- haltensweisen zurückgehen, wie sie für ein postsowjeti- sches Transformationsland eben auch nicht ganz untypisch sind. Wie nahezu das ganze Land hatten auch die Mitglieder der Wahlkommissionen keine Erfahrun- gen mit wirklich freien Wahlen. So kurzfristig, wie die Wahl angesetzt wurde, blieb ihnen auch wenig Vorberei- tungszeit. Dadurch wurden Manipulationen erleichtert. Doch der größere Teil der Unregelmäßigkeiten dürfte auf einer Überforderung der Wahlhelfer beruhen. Die georgische Regierung und insbesondere die Über- gangspräsidentin zeigten sich ernsthaft bemüht, Pro- bleme abzustellen, die die OSZE aufdeckte. Die Zusam- menarbeit mit der OSZE und insbesondere ODIHR verlief ausgesprochen positiv. Georgien ist sicher noch keine Musterdemokratie. Gerade die bei den Präsident- schaftswahlen aufgetretenen Schwierigkeiten zeigen aber auch, dass es dafür mehr bedarf als einer entspre- chenden Gesetzgebung und gutem Willen. Demokrati- sierung ist auch ein Lernprozess. Seinen jeweiligen Stand kann man angemessen nicht nur anhand des Ideals messen. Man muss auch die erzielten Fortschritte be- rücksichtigen. Wenn wir uns darauf beschränkten, Miss- stände zu kritisieren, liefen wir Gefahr, Enttäuschung und Misstrauen zu säen. Welchen Anreiz für demokrati- sche Reformen bieten wir damit einer Regierung? Sie hätte zu befürchten, ihre Autorität zu schwächen ohne ihre Legitimität zu steigern. Die OSZE hat die bei der Wahl aufgetretenen Pro- bleme so sorgfältig aufgelistet, um Reformbedarf aufzu- zeigen. Sie hat aber zugleich die Fortschritte im Demokratisierungsprozess gewürdigt. Genau dieses ab- gewogene Urteil vermisse ich in dem vorliegenden An- trag. In Georgien hat es bei der Präsidentenwahl von 2008 zum ersten Mal Wahlen gegeben hat, bei denen es eine echte Alternative gab. Diese Wahlen waren bei allen Mängeln die demokratischsten, die das Land bisher er- lebt hat. In Ihrem Antrag aber bedauern Sie lediglich „diesen Rückschlag in der demokratischen Entwicklung Georgiens“. Das ist schlicht absurd. In dieser Form bie- tet der Antrag allenfalls einen Anlass, aber keine Grund- lage zur qualifizierten Auseinandersetzung mit dem De- mokratisierungsprozess jedenfalls in Georgien. Ich hoffe aber darauf, dass die weiteren Beratungen im Ausschuss zu besseren Erkenntnissen führen mögen. Eduard Lintner (CDU/CSU): Uneingeschränkt zu begrüßen ist zunächst, dass sich der Deutsche Bundestag wieder einmal mit der Situation der drei südkaukasischen Staaten – Georgien, Aserbaidschan und Armenien – be- fasst. Dadurch kommt auch der Öffentlichkeit gegenüber zum Ausdruck, für wie wichtig wir die Lage in diesen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15403 (A) (C) (B) (D) Staaten und ihre Rolle auch für unsere eigene und die geopolitische Situation erachten. Über diese Bedeutung ist sich eine große Mehrheit in diesem Hause sicher ei- nig. Die Krux des Antrags der FDP ist, dass er mit weni- gen, wohlgesetzten Worten wohlfeile Ratschläge erteilt, mit denen man den gegebenen, in einem historischen Zusammenhang stehenden Verhältnissen nicht gerecht werden kann. Die sogenannten klassischen Demokratien des Wes- tens haben Jahrhunderte gebraucht, bis sie zu modernen gefestigten Demokratien geworden sind. Die südkauka- sischen Staaten sind gerade einmal seit 1991 unabhängig und können erst seit damals eigenverantwortlich han- deln. Diese Zeit reicht einfach nicht aus, um aus einer jahrzehntelang totalitär gestalteten Gesellschaftsordnung mit einer festgefügten Ideologie eine verlässliche rechts- staatliche Demokratie zu formen. Rechtsstaatlichkeit – um einen konkreten und sehr wichtigen Teilaspekt he- rauszugreifen – setzt zum Beispiel Unabhängigkeit und Korruptionsfreiheit der Justiz voraus. Dazu sind wie- derum eine fundierte juristische Ausbildung und eine aus Überzeugung gespeiste Treue zu den Idealen der Men- schen- und Bürgerrechte Vorraussetzungen. Mit den al- ten Justiz- und Polizeikadern aus den Zeiten der Sowjet- union wird das nicht zu schaffen sein. Also müssen erst Richter, Staatsanwälte, generell Juristen ausgebildet und herangezogen werden, die sich diesen Zielen innerlich verpflichtet fühlen. Der Staat muss dann flankierend durch eine angemessene Bezahlung, transparente Beru- fungsverfahren und Gewährleistung der Unabhängigkeit die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Hier sind vor allem konkrete Hilfe und guter Rat gefordert und nicht in erster Linie der erhobene Zeigefinger. Maßstab für die Beurteilung der Entwicklung muss fairerweise die Verbesserung im Vergleich zu den frü- heren Verhältnissen in den Staaten selbst sein. Nur so werden die erreichten konkreten Fortschritte für alle sichtbar. Ziel muss aber unverändert das Ideal des de- mokratischen Rechtsstaats sein. Was hier zu fordern ist, ist die beständige Bewegung der Politik in diese Rich- tung. Dabei sind Wahlen wichtige Wegmarken und In- dikatoren. Bloße Ungeduld hilft niemandem, sondern provoziert nur vermeidbaren Widerstand. Die erst kürz- lich in Aserbaidschan erfolgten neuerlichen Amnestien für politische Häftlinge sind ein konkreter Erfolg sol- cher Bemühungen. Auch das, was der FDP-Antrag nur in einem versteck- ten Nebensatz andeutet, gehört offen ausgesprochen: Die in der Region vorhandenen und die Menschen dort und uns alle belastenden gefahrträchtigen Konflikte sind vor allem deshalb „eingefroren“, weil sie von mächtigen Kräften außerhalb der Region für ihre eigenen Interessen genutzt und am Kochen gehalten werden. Es fällt eben- falls auf und ist sicher kein Zufall, dass bei allen soge- nannten Frozen Conflicts Russland eine wichtige, meist sogar die Schlüsselrolle spielt. Ich bin der festen Über- zeugung, dass wir auf dem Weg zu einer friedlichen Lö- sung längst weiter wären, wenn Russland – in manchen Fällen sogar mit Hilfe militärischer Präsenz – sich aus- gewogenen Lösungen nicht in den Weg stellen würde. Der Schlüssel für Lösungen der Frozen Conflicts liegt daher vor allem oder zumindest auch in Moskau und nicht in Washington oder Brüssel, wie uns der Antrag der Linksfraktion ablenkend weismachen will. Nicht übersehen werden darf auch die Tatsache, dass die Präsenz Armeniens auf dem Territorium seines Nachbarn Aserbaidschan in Nagornij Karabach völker- rechtswidrig ist. Armenien schadet sich mit der Isola- tion, in die es sich dadurch begeben hat, selbst, und Aserbaidschan nimmt das zum Anlass für eine teure Fo- kussierung auf militärische Rüstung. Die Region, die eine wirtschaftlich-geopolitische Schicksalsgemeinschaft darstellt, sollte die Chance er- halten, die vorhandenen Konflikte selbst zu lösen. Ein besonders wirksames Mittel und damit eine entschei- dende Hilfe auf dem Weg einer nachhaltigen Entwick- lung in Richtung rechtsstaatliche Demokratie ist das ehr- liche Angebot zur Anbindung an und, soweit vernünftig, auch Einbindung in die europäische und westliche Ge- meinschaft. Dabei ist die Mehrheit der Menschen und auch der politischen und gesellschaftlichen Verantwor- tungsträger auf unserer Seite. Ein wichtiges Instrument dafür ist die europäische Nachbarschaftspolitik der EU, die die Förderung des Rechtsstaats, die Bekämpfung der Armut und die friedliche Beilegung von Konflikten in der Region zum Ziel hat. Die grundsätzliche Kritik der Linksfraktion an der ENP geht an dieser Tatsache ein- fach vorbei und entlarvt sie so als ideologisch bedingt. Erwähnt werden muss hier übrigens auch noch die Ar- beit des Europarats und der OSZE, die sich beide große Verdienste um die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Südkaukasus erworben haben. Wir sollten die Menschen in dieser Region nicht da- durch enttäuschen, dass wir überwiegend nur Kritik für sie übrighaben, auch wenn sie wohlgemeint sein mag. Die Staaten im Südkaukasus brauchen unsere Ermuti- gung, unseren Rat und unsere Zusammenarbeit, um den eingeschlagenen Weg fortzuführen. Diesem umfassen- den Ansatz wird auch der Antrag der FDP – vom Antrag der Linken ganz zu schweigen – nicht gerecht. Wir leh- nen daher beide ab. Markus Meckel (SPD): Es ist gut, dass der südliche Kaukasus immer mehr ins Blickfeld europäischer Politik kommt. Wenn in den ersten Entwürfen der europäischen Nachbarschaftspolitik der südliche Kaukasus nicht ein- mal berücksichtigt war, hat sich das Bild inzwischen deutlich gewandelt. Alle drei Länder sind Partner der europäischen Nachbarschaftspolitik und sehr an einer Zusammenarbeit interessiert. Georgien ist – bei allen Defiziten, die gerade in den letzten Monaten offenbar geworden sind – klar auf einem prowestlichen Kurs und strebt nach der Mitgliedschaft in der Nato. Aserbai- dschan ist ein wichtiger Partner der EU in der Energie- versorgung geworden, was viel Geld in die Kassen des Landes gespült hat. Es wird nun darauf ankommen, dies auch für die langfristige Entwicklung des Landes zu nut- zen. Armenien tut sich manchmal noch schwer und hat insbesondere zu der von der Türkei geschlossenen Grenze zu leiden. Aber auch Armenien versteht sich klar als Partner der EU. Gleichzeitig setzt Armenien wegen 15404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) der ungelösten Konfliktlage um Nagornij Karabach auf die russische Unterstützung. Als Region in der doppelten Nachbarschaft, einmal der EU und zum anderen Russlands, braucht der südli- che Kaukasus eine größere europäische Aufmerksam- keit. Der Anfang ist gemacht, nicht zuletzt durch die An- strengungen unter der deutschen Ratspräsidentschaft, in welcher das Projekt der verstärkten Schwarzmeerzusam- menarbeit als Teil der europäischen Nachbarschaftspoli- tik entwickelt wurde. Es wird nun sehr darauf ankom- men, dem auch wirklich Taten folgen zu lassen. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es zwar gute Ideen gibt, gewiss auch guten Willen, aber die Ressourcen für diese Politik zu gering sind – sowohl finanziell wie auch personell. Dies ist nicht zuletzt auch wegen der Risiken wichtig, vor der wir in der Region stehen. Die sogenannten Fro- zen Conflicts belasten das Zusammenleben und bedeu- ten das steigende Potenzial künftiger heißer Konflikte. Aserbaidschan nutzt die neuen Finanzquellen für eine enorme Aufrüstung, die für die Zukunft große Sorgen machen muss. Die Position Armeniens wird nicht zuletzt durch wirtschaftliche Schwierigkeiten immer schwächer. Hier ist mit zunehmender Dringlichkeit entschlossene internationale Aufmerksamkeit und Vermittlung gefragt – und bis heute leider nicht abzusehen. Dabei wäre dies ein wichtiger Fall für eine gemeinsame Außen- und Si- cherheitspolitik der EU. Nach den Präsidentschaftswahlen in Georgien gibt es neue Äußerungen von Präsident Saakaschwili, wodurch offensichtlich das Gespräch mit Russland gesucht wird, um die Konflikte um Abchasien und Südossetien zu lö- sen bzw. eine weitere Verschärfung der Lage zu verhin- dern. Hier wird von allen Seiten der Wille zum Dialog gefordert sein und zugleich die Bereitschaft, zu dauer- haften Lösungen zu kommen. Nach den Wahlen in Russ- land wird dies eine besondere Aufgabe der nächsten zwei Jahre sein müssen. Von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Region ist die Entwicklung zu Freiheit und Demokratie in allen drei Ländern. In den letzten Jahren hatte Georgien hier die Nase vorn und gab sich den Anschein einer entwi- ckelten Demokratie. Die Labilität der Situation ist in den letzten Monaten aber deutlich geworden. Georgien wird nun bei den kommenden Kommunalwahlen den Beweis erbringen müssen, dass man es mit der Demokratie wirk- lich ernst meint. So bleibt auch hier noch viel zu tun. Mehr aber noch in den beiden Nachbarstaaten. Armenien hat sich gerade einen neuen Präsidenten gewählt. Der neue Präsident Sarkisjan hat deutlich ver- nehmbare Bekenntnisse zu Europa abgegeben. Doch steht der Beweis noch aus, dass es ihm dabei um mehr als nur um wirtschaftliche Vorteile und um Hilfe bei Lö- sung von Armeniens Problemen mit der Türkei geht. Der entschlossene Kampf gegen Korruption im Inneren und der Wille zur Konfliktlösung mit Aserbaidschan in der Außenpolitik müssen für uns Kriterien sein. Russland bleibt auch in Zukunft für den südlichen Kaukasus ein wichtiger Faktor. Hier ist für die Zukunft zu hoffen, dass die Bereitschaft in Russland wächst, die Frozen Conflicts nicht weiter schwelen zu lassen, son- dern sie dauerhaft zu lösen. Ohne Russlands Koopera- tionsbereitschaft wird es sehr schwierig sein. Umso mehr bedarf es des Engagements der EU, sich dieser wichtigen Nachbarschaft zuzuwenden und selbst das Ge- spräch mit Russland zu dieser gemeinsamen Nachbar- schaft zu suchen. Langfristig müssen auch die Länder des südlichen Kaukasus eine europäische Perspektive haben. Viele Menschen hoffen darauf. Wir wissen, der Weg ist noch lang. Doch er muss beschritten werden, zuerst von den Menschen in der Region selbst, wenn sie es denn wollen. Das wird viel Anstrengung brauchen. Doch wenn man sich aufmacht auf diesen Weg, dann sollten wir bereit sein, alle nur mögliche Unterstützung dafür zu bieten. Und gleichzeitig gilt es, die Tür offen zu halten. Es wird jedenfalls nicht nur für die Menschen der Region selbst, sondern auch für die EU von großem Vorteil sein. Markus Löning (FDP): Die FDP legt dem Haus heute einen Antrag zur Lage der Demokratie in Aser- baidschan, Armenien und Georgien vor. Anlass sind wichtige Wahlen, die in diesem Jahr in allen drei Repu- bliken des Südkaukasus stattfinden. Wir meinen, es ist längstens Zeit für den Bundestag, sich jetzt intensiv mit der Situation in dieser Region zu befassen, deren demo- kratische Entwicklung und politische Stabilität im ur- eigensten Interesse Deutschlands liegen. Das Superwahljahr 2008 ist ein wichtiges Schlüssel- jahr für alle drei Republiken. Bereits die Ereignisse in Georgien im Vorfeld und während der Präsidentschafts- wahlen haben gezeigt, wie prekär die Situation der Menschenrechte und Medienfreiheit in dieser jungen Demokratie noch immer ist. Aber auch in Armenien und Aserbaidschan werfen die kommenden Wahlen ihre Schatten voraus: Gewalt gegen Demonstranten, Repres- sionen und Einschüchterungsversuche gegenüber Jour- nalisten und Vertretern aus Nichtregierungsorganisatio- nen sowie die zunehmende öffentliche Diffamierung des politischen Gegners bestimmen den politischen Alltag in der Region. Zudem gab es – neben den massiven Einschränkun- gen im Vorfeld der Wahlen – in der Vergangenheit auch in allen drei Ländern Fälschungen der Wahlergebnisse. Zu seiner Rolle als Energielieferant wie auch als Korri- dor für Energielieferungen kommt eine wichtige politi- sche Bedeutung des Südkaukasus für Europa und für Deutschland hinzu. Seine energiepolitische Bedeutung ist evident: Die EU muss heute 50 Prozent ihrer Energie importieren, bis 2030 wird diese Rate auf 65 Prozent an- steigen. 90 Prozent dieser Importe kommen aus der Nachbarschaft, Russland und dem Nahen Osten. Der Südkaukasus hat einen wichtigen Anteil an der notwen- digen Strategie der Diversifizierung von Energieliefe- ranten, Bezugsquellen sowie Transportwegen. Doch noch wichtiger ist seine politische Bedeutung: die demo- kratische Entwicklung des Südkaukasus ist Vorausset- zung für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der ge- samten Region. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15405 (A) (C) (B) (D) Demokratiedefizite behindern nicht nur die politische Stabilität, sie behindern auch langfristige Reformen und wirtschaftliche Entwicklung. Sie führen zu einer Desta- bilisierung des Gemeinwesens und geben letztendlich Nahrung für Brutstätten krimineller und terroristischer Aktivitäten. Dies heißt, wir müssen den Dialog in Fragen demokratischer und wirtschaftlicher Reformen intensi- vieren. Dies heißt aber auch, dass sich Deutschland – und das nicht nur im Vorfeld von Wahlen – stärker mit der Lage der Menschenrechte und Medienfreiheit vor Ort befassen muss. Armenien, Aserbaidschan und Georgien sind junge Staaten, denen es trotz enormer wirtschaftlicher und so- zialer Umwälzungen sowie blutiger regionaler Konflikte gelungen ist, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und ein gewisses Maß an politischer Stabilität zu erreichen. Poli- tische Stabilität ohne demokratische Entwicklung ist je- doch nicht genug. Alle drei Staaten haben sich zur Einhaltung der Men- schenrechte sowie zu nachhaltigen politischen und wirt- schaftlichen Reformen verpflichtet. Die Wahlen 2008 sind ein wichtiger Prüfstein für eben diese Zusagen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei nicht nur die korrekte Auszählung der Stimmen am Wahltag, sondern auch die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und der freie Zugang zu Medien im Vorfeld der Wahlen. In Bezug auf die möglichen Auswirkungen der Ko- sovo-Debatte auf die Lage im Südkaukasus titelte die Zeit kürzlich eine „südkaukasische Bredouille“, in die Russland mit seiner Politik gegenüber den separatisti- schen Gebieten in Abchasien, Südossetien und Berg- Karabach geraten sei. Eben aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir uns nicht in eine Bredouille begeben, indem wir eine einseitige oder halbherzige Politik ge- genüber unseren Partnern im Südkaukasus betreiben. Politische, wirtschaftliche sowie kulturelle Koopera- tionsbeziehungen sollen Reformen unserer gleichberech- tigten Partner im Südkaukasus unterstützen. Die Entwick- lungen in Georgien in den letzten Tagen haben diese Notwendigkeit noch einmal unterstrichen. Umgekehrt brauchen wir in allen drei Staaten faire und freie Wah- len: die essenziellen Voraussetzungen für ein Klima de- mokratischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität. Denn Kooperation ist weder eine Einbahnstraße noch ein Nullsummenspiel. In Kenntnis der spürbaren Verschlechterung der Si- tuation der Presse- und Medienfreiheit in allen drei Län- dern des Südkaukasus und in Sorge um die Lage der Menschen- und Bürgerrechte sprechen wir uns aus- drücklich dafür aus, die Region bei ihren Anstrengungen um mehr Demokratie und Pluralismus zu unterstützen. Hierfür sind die Wahrnehmung und Beobachtung der Lage vor Ort wichtige Instrumente. Politische Aufmerk- samkeit und Anteilnahme können verhindern, dass auto- kratische Systeme länger im Geheimen operieren. Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Es ist erfreulich, dass wir heute mit dem Südkaukasus über eine Region debattieren, die in der öffentlichen Wahrnehmung und Medienberichterstattung leider viel zu wenig Beachtung findet. Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP ha- ben einen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Sie werden verstehen, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, dass Die Linke mindestens ein ebenso großes Interesse an dieser Region hat und folglich einen eigenen Antrag vorlegt. Der Antrag der FDP betont die Notwendigkeit einer demokratischen Entwicklung in den drei Südkaukasusre- publiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Die- ses wichtige Anliegen unterstützt Die Linke voll und ganz. In dem FDP-Antrag dominiert allerdings eine eu- rozentrische Handschrift, die keine Antwort auf die Frage liefert, welche sozialen und ökonomischen Grund- lagen geschaffen werden müssten, damit sich die betref- fenden Staaten selbstbestimmt und demokratisch entwi- ckeln können und welche inneren und äußeren Kräfte dem entgegenstehen? Hierfür müssten vor allem die geo- strategischen Interessen der EU, aber auch der USA, die mit den jeweiligen Oligarchien aufs engste verbunden sind, sowie die Interessen Russlands kritisch hinterfragt werden, und genau dieser Aufgabe weicht die FDP aus. Die Fraktion Die Linke stellt in den Mittelpunkt ihres Antrags ein erweitertes Verständnis einer demokrati- schen Nachbarschaftspolitik der EU, die mit den Part- nerländern einen fairen und gleichberechtigten Umgang pflegt und dies nicht von der Übernahme des eigenen Wirtschafts- und Politikmodells abhängig macht. Die Südkaukasusregion darf nicht auf die Rolle einer Nachschubbasis und eines Transitraums für den Energie- hunger Europas nach fossilen Rohstoffen reduziert wer- den. Sie bildet vielmehr eine Brücke für den politischen Dialog mit den Staaten Zentralasiens und des mittleren Ostens und ist somit von nicht zu unterschätzender Be- deutung. Die EU-Nachbarschaftspolitik verfolgt bislang das Ziel, Georgien, Armenien und Aserbaidschan mithilfe einer einseitigen Exportorientierung in die internationale Arbeitsteilung der kapitalistischen Weltwirtschaft zu in- tegrieren. Die Entwicklung einer stabilen Binnenwirt- schaft wird dabei ebenso vernachlässigt wie der Aufbau armutsfester Sozialstandards. Wie nicht anders zu erwar- ten, ist als Folge dieser neoliberalen Politik der materi- elle Reichtum in allen drei Ländern höchst ungleich ver- teilt: Nur eine schmale Führungselite partizipiert an den wirtschaftlichen Erfolgen, während die Bevölkerungs- mehrheit nahe am bzw. unter dem Existenzminimum lebt. Die „Kaukasusinitiative“ der Bundesregierung, die sich als „Struktur- und Friedenspolitik“ versteht, igno- riert, dass die ungezügelte Herrschaft der Oligarchien und die neoliberale Privatisierungswelle nach Auflösung der Sowjetunion zu gravierenden sozialen Verwerfungen geführt haben, die nicht mit noch mehr Privatisierung zu bewältigen sind. Auch andere „Eckpfeiler“ der Kaukasus- initiative, wie „Kommunale Demokratie“ und ein „de- mokratisches Rechtssystem“, stehen unter diesen Bedin- gungen im Widerspruch zu den geostrategischen Interes- sen, die über die Oligarchien realisiert werden. Die Linksfraktion fordert, dass die EU-Nachbarschafts- politik stärker an sozialen Kriterien auszurichten ist, an der Förderung von Bildung, Ausbildung, Gesundheit und Öko- 15406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) logie als öffentliche und nicht privatwirtschaftlich zu lö- sende Aufgaben. Primär muss die Entwicklung der Binnen- wirtschaft in den Südkaukasusstaaten unterstützt werden. Die EU muss hierbei auch ihren eigenen Binnenmarkt stär- ker für andere Exportprodukte wie Industriegüter und land- wirtschaftliche Erzeugnisse aus den Partnerländern öffnen und nicht nur für Erdöl und Erdgas. Ein weiteres Entwicklungshemmnis bilden die unge- lösten, eingefrorenen Regionalkonflikte in Abchasien, Südossetien und Berg-Karabach. Die USA, aber zuse- hends auch die EU, betreiben seit dem Zerfall der Sowjetunion eine offensive Zurückdrängung des russi- schen Einflusses im Südkaukasus. Das aggressive Vor- gehen der USA verletzt die legitimen Sicherheitsinteres- sen Russlands und führt zur gegensätzlichen, regionalen Blockbildung unter Einbeziehung Georgiens und Aser- baidschans auf Seiten der USA und Armeniens auf Sei- ten Russlands. Eine eventuelle Aufnahme Georgiens in die NATO würde die Blockkonfrontation weiter zuspit- zen und findet deshalb keine Zustimmung der Linksfrak- tion. Eines darf nicht vergessen werden: Die Leidtragenden in der Südkaukasusregion sind die insgesamt weit über eine Million Flüchtlinge, die Anfang der 90er Jahre im Zuge blutiger Sezessionskonflikte aus ihren Wohnsitzen vertrieben wurden. Die umgehende Verbesserung ihrer humanitären Lage und ihr Recht auf schnelle Rückkehr in die Herkunftsregionen müssen im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. Die südkaukasischen Regionalkonflikte müssen nach den Prinzipien des Völkerrechts und des Gewaltver- zichts gelöst werden. Die diesbezüglichen Vorschläge der Linksfraktion lauten: Entmilitarisierung der Südkau- kasusregion und Intensivierung der Konfliktvermittlung. Die deutsche Bundesregierung ist hierbei aufgerufen, deutlich größere Anstrengungen zu unternehmen, um auf der Ebene von UN und OSZE eine Verhandlungslö- sung zu unterstützen. Die Linke bekräftigt die territoriale Integrität Georgiens, Aserbaidschans und Armeniens so- wie die Unverletzlichkeit der völkerrechtlich anerkann- ten Grenzen! Die Linke sieht in der Einführung von ho- hen Autonomiestandards für Abchasen, Süd-Osseten und Karabach-Armenier die einzige völkerrechtlich legi- time Alternative zu den faktisch vollzogenen, gewaltsa- men Sezessionen. Die Fraktion Die Linke ruft die Bundesregierung auf, ihre Außen- und Europapolitik strikt am Primat des Völ- kerrechts auszurichten, um im Südkaukasus einer ver- hängnisvollen Fehlentwicklung präventiv entgegenzu- wirken, die Frieden und Stabilität in dieser wichtigen Nachbarschaftsregion der EU weiter untergraben würde. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wer die Präsidentschaftswahlen in Armenien am vergangenenen Wochenende beobachtet hat, findet eine Erfahrung bestätigt, die erst kürzlich auch im benachbar- ten Georgien gemacht werden konnte: Die Entwicklung demokratischer Verfahren braucht Zeit und braucht Un- terstützung. Dieser Satz unterstellt jedoch immerhin, dass eine solche Entwicklung tatsächlich stattfindet. Das ist in Armenien und Georgien der Fall. Es handelt sich nicht, wie in anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, lediglich um eine Inszenierung von Wah- len, von Pluralismus. Zwar gibt es, besonders im Vorfeld, unbestreitbar Pro- bleme. Besonders der Einsatz der sogenannten staatli- chen Ressourcen – vornehmlich der staatlich kontrollier- ten Medien – zugunsten des Favoriten der Regierung, bleibt kritikwürdig. Auch die schwer überprüfbaren Vor- würfe verbreiteten Stimmenkaufs werden immer wieder laut. Die unterlegene Opposition ruft zu Demonstratio- nen gegen Wahlfälschungen auf und behauptet, sie habe gesiegt. Die Beobachtungen der OSZE jedoch sind im Vergleich dazu differenzierter und vor allem optimisti- scher. So war es in Georgien und jetzt auch in Armenien. Der Tenor der OSZE-Bewertung ist: Im Wesentlichen sind die Wahlen frei und fair, aber es bedarf weiterer Verbesserungen. Diese Beschreibung lässt sich weitgehend auf die ge- samte Entwicklung der Länder des Südkaukasus übertra- gen. Dabei muss natürlich die Ausgangslage, die Vorge- schichte der jetzigen Staaten des südlichen Kaukasus berücksichtigt werden. Weder die Osmanen noch die Za- ren haben dort Modernisierung und Demokratie beför- dert. In der Sowjetunion herrschten Repression und Willkür. Eine demokratische Tradition gibt es also nicht. Vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtigen Ent- wicklungen zu bewerten, die von den Standards der Europäischen Union noch weit entfernt sind. Besonders deutlich ist dies in Aserbaidschan, wo nach wie vor die politische Opposition verfolgt und zivilge- sellschaftliche, emanzipatorische Bestrebungen zumin- dest argwöhnisch beobachtet werden. In Georgien und auch in Armenien jedoch ist inzwischen eine sich lang- sam konsolidierende Parteienlandschaft zu beobachten. Von einer der Regierungsmacht auf Augenhöhe gegen- überstehenden Opposition kann zwar noch keine Rede sein. Zu zerstritten und zu wenig programmatisch profiliert ist sie noch, zudem – auch durch staatliche All- gegenwart – eingeschränkt in ihren Handlungsmöglich- keiten. Dennoch sind erste Ansätze einer sich entwi- ckelnden pluralistischen Kultur zu sehen. Problematisch bleibt die wirtschaftliche Entwicklung. Die sozialen Spannungen sind groß, auch im vom Öl- und Gasgeschäft profitierenden Aserbaidschan. Die Kor- ruption grassiert. Staat und Regierung dienen noch immer eher der persönlichen Bereicherung als der Stabi- lisierung gesellschaftlicher und ökonomischer Entwick- lung. In dieser ambivalenten, auch für Krisen anfälligen Lage spielt die politische Orientierung hin zur Europäi- schen Union eine bedeutende Rolle und ermöglicht er- heblichen Einfluss. Dies gilt am ehesten für Georgien, das in seinem Konflikt mit Russland am stärksten auf westliche Unterstützung setzt. Daran ändert im Übrigen auch das jetzt in hiesigen Medien herbeispekulierte neue Bündnis mit Russland gegen die Unabhängigkeit separa- tistischer Gebilde nichts. Das zwischen Aserbaidschan und der Türkei isolierte Armenien lehnt sich außenpoli- tisch nach wie vor stark an die Schutzmacht Russland Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15407 (A) (C) (B) (D) an. Die autoritäre Regierung in Baku hingegen versucht, gestützt auf ihre Rohstoffprofite, eine Balance zwischen Russland, den USA und der EU zu halten. Für die Europäische Union und nicht zuletzt für das in der Region hochangesehene Deutschland müssen die drei Staaten des südlichen Kaukasus ein außenpoliti- scher Schwerpunkt bleiben. Unser Interesse an einer sta- bilen – das heißt nicht zuletzt demokratischen – Ent- wicklung in der Nachbarschaft der EU liegt auf der Hand. Deshalb ist eine Stärkung der europäischen Nach- barschaftspolitik sinnvoll und notwendig. Dafür bedarf es nicht nur eines intensiveren Einsatzes von Mitteln als bisher. Von ebenso großer Bedeutung ist die Transparenz ihrer Verwendung und die Konditionierung ihres Einsat- zes. Maßstab dafür ist zu Recht der europäische Acquis communautaire, besser noch seine Übertragung auf die Staaten des Südkaukasus. Konkret bedeutet das die For- derung nach Garantie der Menschenrechte, nach Rechts- staatlichkeit und konsequenter Korruptionsbekämpfung als Voraussetzungen weiterer und dauerhafter Unterstüt- zung durch die EU. Es geht dabei nicht zuletzt um die notwendige Verankerung der Demokratie als eines auch wirtschaftlich für alle nutzbringenden Gesellschaftssys- tems. Zu oft und zu lange haben die Menschen in der früheren Sowjetunion die Erfahrung gemacht, dass De- mokratie die Bereicherung weniger und die Verarmung vieler bedeute. Zu oft führt das noch zum Ruf nach star- ker Führung statt zur Motivation zur gesellschaftlichen Beteiligung. Die EU und auch Deutschland können mehr für die- ses Ziel tun. Dazu gehört schließlich auch ein verstärktes Engagement für die internationale Vermittlung zur Lö- sung der regionalen Konflikte von Abchasien und Süd- ossetien bis Nagorny-Karabach. Diese Krisenherde bin- den bis heute viel zu viele politische und nicht zuletzt militärische Ressourcen. Lösungsangebote des Westens gab es schon viele, aber es braucht auch Anreize zur Überwindung erstarrter Positionen. Die Annäherung an die Europäische Union könnte auch hier ein solcher An- reiz sein. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Die Regierungsver- handlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammen- arbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen (Zusatztagesordnungspunkt 7) Anette Hübinger (CDU/CSU): Bolivien ist einer der wichtigsten entwicklungspolitischen Partner der Bun- desrepublik Deutschland in Südamerika. Die deutsche Entwicklungsarbeit ist dort seit über 40 Jahren engagiert. Dennoch müssen wir konstatieren, dass Bolivien immer noch das ärmste und auch exportschwächste Land dieser Region ist. Trotz seiner reichen Rohstoffvorkommen, vornehm- lich Erdgas, ist es bisher unzureichend gelungen, die steigenden Einnahmen an die sozial bedürftigen Bevöl- kerungsgruppen weiterzugeben und für Investitionen in wirtschaftliche Strukturen zu nutzen. Es mangelt an sta- bilen staatlichen Institutionen, an wirtschaftlich effizien- ten Strukturen und nachhaltigen Sozialsystemen. Bolivien durchlebt seit mehr als fünf Jahren politisch turbulente Zeiten mit rasch wechselnden Regierungen, konfliktgeladenen Auseinandersetzungen und Protest- kundgebungen der Bevölkerung. Seit 2003 sind drei neue Präsidenten vereidigt worden. Diese politisch und wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen haben natürlich auch den Erfolg der deutschen Entwicklungs- zusammenarbeit tangiert und sie vor neue Herausforde- rungen gestellt. Der Amtsantritt des Präsidenten Morales als erster in- digener Präsident und seine Ankündigungen von tief greifenden sozialen und ökonomischen Veränderungen haben in der Bevölkerung große Hoffnung und Erwar- tungen ausgelöst. Die partizipative Mobilisierung der indigenen Bevöl- kerungen, die immerhin 60 Prozent der Bevölkerung darstellt, die bislang faktisch ausgeschlossen war, ist wohl bis heute Morales größter Erfolg. Im Hinblick auf die Anerkennung ihrer Rechte und ihrer Rolle im politi- schen Leben konnten in den vergangen Jahren beachtli- che Fortschritte erzielt werden. So hat die Regierung die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Bevölkerung in einem eigenen Gesetz veran- kert, welches durch die öffentliche Generalversammlung im September vergangenen Jahres verabschiedet wurde. Auch wenn wir immer wieder Berichte über weiterhin bestehende gravierende Probleme und Diskriminierung gegenüber indigenen Personen zur Kenntnis nehmen müssen, begrüßen wir dennoch Boliviens bis dato unter- nommene Reformanstrengungen in diesem Bereich. Viele Probleme sind jedoch noch ungelöst, wie zum Beispiel die fortschreitende Entwicklung der Gewalten- teilung, hier insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz. Gerade im Bereich der Institutionenbildung und des Aufbaus funktionierender Verwaltungsstrukturen kön- nen wir als Partner Boliviens wichtige Unterstützung leisten. Die Lösung der sozialen Spannungen, der Aufbau funktionierender Wirtschaftsstrukturen einschließlich ei- ner effizienten und nachhaltigen Ressourcennutzung und die Bekämpfung von Korruption sind immer noch die größten Herausforderungen, denen sich Bolivien ernst- haft stellen und bezüglich derer es auch eine größere Re- formbereitschaft signalisieren muss. In diesem Zusam- menhang bleibt es abzuwarten, ob die durchgeführten Verstaatlichungen im Erdöl- und Erdgasbereich auch die wirtschaftliche Entwicklung Boliviens positiv beeinflus- sen oder ob dadurch das Vertrauen ausländischer Inves- toren verloren gegangen ist. Eines der dringendsten Probleme ist die Armut breiter Bevölkerungsschichten in Bolivien. Mit dem von der bo- livianischen Regierung im Jahr 2006 vorgelegten Plan Nacional de Dessarrollo, PND, bekennt sie sich eindeu- tig zu ihrem Ziel der Armutsbekämpfung. Dieser Regie- 15408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) rungsplan bildet auch die Grundlage unserer entwick- lungspolitischen Zusammenarbeit. So benennt er unter anderem das Ziel einer verstärkten industriellen Ent- wicklung durch die Förderung von kleineren und mittle- ren Unternehmen. Weiterhin fließen Gelder aus den Na- tionalisierungen in die Armutsbekämpfung. Allerdings fehlen oftmals schlüssige Umsetzungspläne, eine klare Priorisierung der Programme und Details zur Finanzie- rung. Darüber hinaus wird seit kurzem auch über die Einführung eines Einkommensteuersystems nachge- dacht. Und genau hier setzt unsere Entwicklungszusammen- arbeit mit Bolivien an. Die deutsche EZ engagiert sich schwerpunktmäßig in drei Sektoren: der Verbesserung der Trink- und Abwassersituation, der Stärkung einer de- mokratischen und effizienten Regierungsführung und im Bereich einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Ent- wicklung. Kernpunkt der Regierungspolitik Morales ist eine Landreform, deren Schwerpunkt auf der Förderung des kollektiven Landbesitzes von indigenen Gemeinden liegt, die familiären Privatbesitz hingegen ablehnt. Die- sen Ansatz werden wir weiterhin kritisch betrachten, denn in meinen Augen ist der Besitz von Grund und Bo- den eine existenzielle Lebensgrundlage in Bolivien. Auch ist es ein Irrtum, die Mechanisierung und Produk- tivität der Landwirtschaft mit der Nutzung von Trakto- ren gleichzusetzen. Um eine Produktivitätssteigerung im Agrarsektor zu erreichen, ist vielmehr der Einsatz von Forschungsergebnissen vonnöten. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine Zusammenarbeit bei der Quinoa-For- schung. Hier sollten wir von deutscher Seite eine stär- kere Kooperation anbieten. Im Bereich der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Good Governance unterstützen wir den Verfas- sungsreformprozess und sind in der Stärkung institutio- neller Reformen und im Bereich Dezentralisierung enga- giert. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse sind das Bereiche, bei denen wir wichtige Hilfestellungen leisten können, aber auch den Werde- gang kritisch begleiten und beobachten müssen. Im Dezember vergangenen Jahres hatte der Verfas- sungskonvent nach langer Auseinandersetzung in der verfassungsgebenden Versammlung einem neuen von der Regierungspartei MAS vorgelegten Verfassungsent- wurf zugestimmt. Die Opposition blieb allerdings der Abstimmung fern. Aus Protest gegen die aus ihrer Sicht unrechtmäßig angenommene neue Verfassung des Lan- des erklärten sich fünf der neun Departements für auto- nom. Nach diesem klaren und politischen Signal der Op- position in der seit Monaten andauernden politischen Krise hat der sozialistische Präsident Morales eingelenkt und versucht nun, sich gemeinsam mit den oppositionel- len Bezirkschefs durch die Bildung einer Kommission über die Streitpunkte einer neuen Verfassung, des Auto- nomierechtes und der Finanzfragen zu beraten. Diese politischen Auseinandersetzungen werden wir auch in Zukunft weiter kritisch beobachten und begleiten müssen. Es ist wichtig, wie Sie auch in Ihrem Antrag zu Recht einfordern, unsere Entwicklungspolitik gemein- sam mit unserem Partner immer wieder kritisch zu über- prüfen und neu zu überdenken. Erst vor wenigen Wochen hat im Ausschuss Erz- bischof Abastoflor aus La Paz berichtet, wie wichtig und bedeutsam das deutsche Engagement für die boliviani- sche Bevölkerung ist. Das uns entgegenbrachte Ver- trauen und die Hoffnung der Bevölkerung auf Verände- rung der sozialen und wirtschaftlichen Schieflage nehmen Deutschland natürlich auch in die Pflicht. Ver- trauen beruht auf einer kontinuierlichen Zusammenar- beit. Die politischen Unruhen der vergangenen Jahre in Bolivien sind jedoch ein positives Zeichen dafür, dass der politische Wille zu Veränderungen auch vorhanden ist. Deshalb ist es nur richtig, unsere Entwicklungszu- sammenarbeit mit Bolivien zielgerichtet fortzusetzen und diese Veränderungswünsche gemeinsam mit Boli- vien in eine demokratische Struktur zu lenken. Erst wenn dies nicht gelingt, muss neu über eine entwick- lungspolitische Zusammenarbeit nachgedacht werden. Daher lehnt die Fraktion der CDU/CSU den zu beraten- den Antrag der FDP-Fraktion ab. Dr. Sascha Raabe (SPD): Die letzten Regierungs- verhandlungen zwischen Deutschland und Bolivien im Juni vergangenen Jahres sind nach einhelliger Meinung beider Seiten konstruktiv und harmonisch verlaufen. Für die Jahre 2007 und 2008 wurden Neuzusagen über Mit- tel in Höhe von 35 Millionen Euro für die finanzielle und 17 Millionen Euro für die technische Zusammen- arbeit vereinbart. Die deutschen entwicklungspolitischen Ziele und Schwerpunkte in Bolivien sind: Stärkung der demokratischen Regierungsführung unter verantwortli- cher Beteiligung der Zivilgesellschaft, die Reduzierung der Armut durch die nachhaltige Nutzung der landwirt- schaftlichen Produktion, die Verbesserung der Wasser- ver- und -entsorgung für die ärmsten Gruppen der boli- vianischen Bevölkerung sowie der Schutz natürlicher Ressourcen. Dabei sind allein für Vorhaben im Bereich „gute Regierungsführung“ rund 16,5 Millionen Euro veranschlagt. Der Dialog, den die Bundesregierung und hier insbe- sondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung mit Bolivien führt, war und ist eng. Nur über einen engen Dialog, der die Be- dürfnisse und Ideen des Partnerlandes berücksichtigt, und nicht über einseitige Konditionierung bei der Mittel- vergabe werden wir dauerhaft und nachhaltig positive Entwicklungen für die Menschen in Bolivien erreichen. Ihr Problem, sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, ist, dass Ihnen schlicht und ergreifend die Regie- rung Morales nicht in den Kram passt. Sie kommen nicht damit klar, dass die Bolivianer mehrheitlich links ge- wählt haben und dass Präsident Evo Morales eine selbst- bewusste Politik für die Armen in seinem Land macht. Bei aller Kritik, die man gegenüber bestimmten Teilen seiner Politik sicher anbringen kann, muss man akzeptie- ren, dass sich Bolivien diesen Präsidenten gewählt hat, und zwar einen Präsidenten, der der jahrzehntelang in Bolivien benachteiligten indigen Bevölkerungsmehrheit angehört. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15409 (A) (C) (B) (D) Sie kritisieren in Ihrem Antrag die, wie Sie sagen, „Verstaatlichung“ der Erdöl- und Gasindustrie. In Wirk- lichkeit geht es darum, dass sittenwidrig geschlossene Verträge der Vorgängerregierung, die eine Plünderung der Rohstoffe Boliviens ohne nennenswerten Nutzen für das Land zur Folge hatten, nun revidiert wurden. Aus Sicht der bolivianischen Bevölkerung, von der Sie in Ih- rem Antrag ja selber schreiben, wie arm sie ist, macht das durchaus Sinn. Sie profitiert jetzt mehr als vorher von der Gewinnung der Rohstoffe, die aus der Erde Bo- liviens gefördert werden. Man kann wohl ungefähr von einer Verdreifachung der Einnahmen für den boliviani- schen Staat ausgehen, die nun unter anderem zur Ar- mutsbekämpfung im Land zur Verfügung stehen. Morales hat die von den Vorgängerregierungen ausge- handelten Verträge neu verhandelt. Und es bleibt festzu- halten, dass die meisten Unternehmen, sicher zähneknir- schend, aber doch im Land geblieben sind und die neuen Bedingungen akzeptiert haben. Zurzeit sind rund 20 aus- ländische Unternehmen im bolivianischen Energiesektor tätig, und auch wenn die Summe der Direktinvestitionen seit 2005 zurückgegangen ist, heißt das nicht, dass Boli- vien für ausländische Investoren heute nicht mehr attrak- tiv wäre. Diese Firmen schreiben auch heute noch schwarze Zahlen. Sie sind vielleicht nicht mehr ganz so fett wie früher, aber der Kuchen ist gerechter verteilt als vorher. Jeder bekommt jetzt ein ganzes Stück, keiner muss sich mehr mit den Krümeln begnügen. Wir fordern von unseren Partnerländern immer, dass sie nachhaltig wirtschaften sollen, dass sie selbst Wege finden sollen, um wirtschaftlich unabhängig zu werden. Das geht nicht, wenn man seine Ressourcen ausschließ- lich ausländischen Konzernen überlässt. Mit der Natio- nalisierung der Vorkommen bekommt jeder seinen An- teil. Bolivien geht so einen möglichen Weg, ob der der FDP in Deutschland nun gefällt oder nicht. Wenn die so erzielten Mittel sinnvoll verwendet wer- den, geht die Rechnung letztlich auch für uns auf. Ent- wicklungsländer, die ihre Bodenschätze selber nutzen und sie nicht von ausländischen Firmen ausbeuten las- sen, brauchen weniger Hilfe von außen. Sie werden so auch zu stärkeren Handelspartnern. In Ihrem Antrag schreiben Sie: Eine nachhaltige wirkungsvolle Entwicklungszu- sammenarbeit muss auf die marktwirtschaftliche Integration der Armen selbst als handelnde Sub- jekte einer Volkswirtschaft ausgerichtet sein und die Armen am Beginn der marktwirtschaftlichen Wertschöpfungskette, im Agrarbereich, Kleinge- werbe, Kleinhandel und Handwerk besonders för- dern. Der Satz ist gar nicht so dumm. Die Armen müssen an der Wertschöpfungskette beteiligt werden. Nichts ande- res will Morales ja tun, wenn er sein Volk stärker an der Ressourcengewinnung beteiligt und die Macht multi- nationaler Konzerne in seinem Land in gewissem Maße begrenzt. Es sollte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, zu denken geben, dass sogar zahlreiche kirchli- che Organisationen seinerzeit dafür geworben haben, Morales eine Chance zu geben und ihn nicht dafür zu verurteilen, dass er die Verträge neu verhandelt hat. Dr. Karl Addicks (FDP): Wir sprechen heute über ein Land, das zurzeit und in der jüngsten Vergangenheit immer wieder in den Schlagzeilen war – Bolivien. Mo- mentan sind es die Überschwemmungen, die einige Teile Boliviens in Not gebracht haben. Es waren aber auch an- dere Bilder und Nachrichten, die uns aus Bolivien er- reicht haben. Bilder von gewaltsamen Auseinanderset- zungen und Demonstrationen gegen die von Präsident Morales entworfene Verfassung und das Verfassungsver- fahren. Das Land stand in diesen Tagen näher an einer Spaltung als vor einer Einigung! Es ist genau das Gegen- teil von dem eigentlichen Ziel der Verfassungsreform – ein geeintes Land zu erhalten – eingetreten. Morales hat als Präsident bei der indigenen Bevölkerungsmehr- heit viele Hoffnungen geweckt. Aber er hat leider ver- gessen, dass er der Präsident aller Bolivianer ist! Eines seiner großen Ziele war eine Verfassungsreform im Sinne der indigenen Bevölkerung. Bereits im Jahr 2006 begann die verfassunggebende Versammlung mit ihrer Arbeit, die im Jahre 2007 abge- schlossen sein sollte. Immer wieder gab es Verzögerun- gen und Verfahrensprobleme. Kritiker und Beobachter des Verfassungsprozesses haben schon früh die Befürch- tung geäußert, dass der Verfassungsentwurf das Land spalten wird, da die weiße Minderheit im Entwurf klar benachteiligt wird. Genau dies haben wir auch in unse- rem Antrag kritisiert und die Bundesregierung aufgefor- dert, auf diese Entwicklungen in den Regierungsver- handlungen einzugehen. So ist die denkbar schlechteste Situation in Bolivien eingetreten. Durch die fehlende Einbeziehung der Opposition und der weißen Minderheit kam es zu Konflikten um den Verfassungsentwurf bis hin zu Autonomiebestrebungen einzelner Regionen. Nach tagelangen Auseinandersetzungen mit vielen Ver- letzten und leider auch Toten sind nun glücklicherweise alle Parteien an einen Tisch gekommen. In einem Refe- rendum wird nun über den Verfassungsentwurf entschie- den. Es sind so einige Dinge, die in der Zusammenarbeit mit Bolivien einer kritischen Überprüfung bedürfen. In unserem Antrag haben wir diese genannt. Stellvertretend möchte ich einen Punkt herausgreifen, der für die wirt- schaftliche Entwicklung Boliviens von enormer Bedeu- tung ist: die stattgefundenen Verstaatlichungen von Wirtschaftsunternehmen der unterschiedlichsten Bran- chen. Eingehen möchte ich auf den Erdgas- und Erdöl- bereich. Im Jahr 2006 hat Morales mit seiner neuen Wirtschaftspolitik begonnen. Immer unter der Über- schrift, dass doch alles nur zum Wohle der Bevölkerung ist. Ich hoffe sehr, dass die Bolivianer, die immer noch zu den ärmsten Menschen Lateinamerikas gehören, auch wirklich etwas von diesen Einnahmen des Staates haben. Die Vergangenheit lehrt uns eher etwas anderes. Bisher sind Verstaatlichungen noch nie dem Wohle der Bevöl- kerung zugute gekommen, sondern meist in die Taschen korrupter Eliten gewandert. Das wird in Bolivien nicht anders kommen. Das Bundesministerium für wirtschaft- liche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, sieht 15410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 (A) (C) (B) (D) dies übrigens ganz anders! Aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass im BMZ die Entwicklungen eines Lan- des nicht richtig erkannt werden. Besonders beunruhigt bin ich, wenn ich mir allein die Entwicklungen beim Nachbarn Venezuela, ebenso mit Rohstoffvorkommen gesegnet, anschaue. Dort fand auch eine Verstaatlichung der Rohstoffvorkommen statt. An- geblich alles zum Wohle der Bevölkerung! Bisher haben die Venezolaner aber nicht so viel davon gemerkt. Im Gegenteil, die Einnahmen durch den hohen Ölpreis kommen nicht der Bevölkerung zugute, sondern werden für die militärische Aufrüstung oder zur Unterstützung undemokratischer Regierungen, wie dem Iran oder Weißrussland, benutzt. Die Bevölkerung aber steht vor leeren Supermarktregalen. Bolivien ist auf dem gleichen Weg wie Venezuela. Im September nahm Morales Bezie- hungen zum Iran auf und bereitete Ahmadinedschad ei- nen großen Empfang in Bolivien. Das sind Dinge, die je- den Demokraten abschrecken, und wir sind nicht verpflichtet, das auch zu unterstützen. Wir wünschen uns eine Entwicklungszusammenarbeit, die ganz klar an die Einhaltung von Good Governance und Rechtsstaatlichkeit gebunden ist. In der Zusammen- arbeit mit Bolivien sehe ich noch deutlichen Nachholbe- darf in diesem Bereich. Hier muss die Bundesregierung die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit an diese Bedingungen knüpfen. Lassen Sie mich dazu noch eine letzte Nachricht aus Bolivien anbringen. Die Regie- rungspartei MAS hat ein Disziplinarverfahren gegen vier der fünf obersten Verfassungsrichter beantragt, in dem sie ihnen Amtsmissbrauch und Rechtsbeugung vorwirft. Hintergrund ist, dass diese obersten Verfassungsrichter dem Präsidenten widersprochen haben und vier Mitglieder des obersten Gerichtshofes, die per Dekret durch Morales ernannt wurden, abgesetzt hatten. Angesichts dieser un- demokratischen Entwicklungen, muss die Zusammenar- beit mit Bolivien kritisch überprüft werden! Heike Hänsel (DIE LINKE): Mit dem gegenwärti- gen Verfassungsprozess werden in Bolivien nach Jahr- hunderten der sozialen, politischen, kulturellen und wirt- schaftlichen Ausgrenzung jetzt die Grundlagen für eine gerechtere Ausrichtung des Landes geschaffen. Das un- terstützt Die Linke ausdrücklich. Die bislang ausge- schlossenen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen in Bolivien, das ist die Bevölkerungsmehrheit, fordern ihre Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Ent- scheidungsprozessen und an der Nutzung der natürlichen Ressourcen ihres Landes ein. Das ist völlig berechtigt, und das tun sie schon lange außerparlamentarisch, neu ist, dass sie in der Regierung nun Unterstützung haben, wenn es darum geht, diese Teilhabe tatsächlich durchzu- setzen. Die Bundesregierung könnte davon lernen: Der am 10. Dezember von der verfassunggebenden Versamm- lung Boliviens verabschiedete Verfassungsentwurf wird im Laufe des Jahres den Bolivianerinnen und Bolivia- nern in einem Volksentscheid zur Abstimmung vorge- legt. Damit wäre der bolivianische Verfassungsprozess ein nachahmenswertes Beispiel für den Ratifizierungs- prozess zum EU-Reformvertrag. Leider hat die Bundes- regierung dieses positive Beispiel bislang nicht aufge- griffen. Aber natürlich gilt auch in Bolivien: Wo etwas Neues entsteht, wo mehr Menschen an politischen Entschei- dungen und wirtschaftlichem Wohlstand beteiligt wer- den wollen, gibt es immer auch diejenigen, die ihre bisherigen langjährigen Privilegien und Pfründe vertei- digen. Uns hat im Dezember schockiert, wie unverfroren die oppositionellen Gouverneure der vergleichsweise wohlhabenden Ostprovinzen die bolivianische Regie- rung und die verfassungsmäßige Ordnung herausgefor- dert haben, um den Verfassungsprozess zu sabotieren. Sie haben sich verfassungswidrige Autonomiestatuten gegeben, wollten gar Passkontrollen an den Provinz- grenzen durchführen. Die Grundbesitzer in den Ostpro- vinzen haben paramilitärische Banden rekrutiert, die gewaltsame Übergriffe auf Vertreterinnen und Vertreter der verfassunggebenden Versammlung verübten. Ihre Agenda lautet: Alles soll so bleiben, wie es war! Die neuen Ansprüche der bislang Ausgegrenzten erkennen sie nicht an. Wir kennen das aus vielen Beispielen, in de- nen demokratische und soziale Aufbrüche in Chaos und Gewalt erstickt wurden. Ich nenne nur Chile 1973 und Haiti 1991. Der hier zur Debatte stehende Antrag der FDP stellt die Verhältnisse völlig auf den Kopf, wenn er die „Ge- fahr“ an die Wand malt, die bolivianische Regierung würde den Verfassungsprozess nutzen, um die demokra- tische Opposition zu unterdrücken, oder – noch grotes- ker – es drohe die Diskriminierung der weißen und mestizischen Bevölkerung durch die Ausweitung der Beteiligungsrechte für die Indigenen. Das ist blanker Zy- nismus angesichts des bestehenden, jahrhundertealten Wohlstands- und Machtgefälles zwischen der weißen und der indigenen Bevölkerung. Zum FDP-Antrag nur soviel: Die Regierung Morales ist mit einem überzeugenden demokratischen Mandat ausgestattet. Es besteht keine Veranlassung, sie über gute Regierungsführung zu belehren. Insbesondere sind wir nicht der Meinung, dass die Umsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik ein Ausweis guter Regierungsführung wäre. Die von der bolivianischen Regierung vorgenom- menen Verstaatlichungen sind legitim. Von den neuen Verträgen mit Förderunternehmen profitiert die Bevölke- rung, gerade weil die Regierung Morales die Armutsbe- kämpfung ernsthaft zu ihrem politischen Programm ge- macht hat. Dass die FDP ausgerechnet an Bolivien ein Exempel für strengere Konditionierung statuieren will, ist deshalb als politische Provokation zu deuten. Das gilt umso mehr, wenn man weiß, dass die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in Lateinamerika mit Orga- nisationen zusammenarbeitet, die die autonomistischen Umtriebe in Bolivien – und anderswo – unterstützen. Es ist gut, dass die Bundesregierung die Autonomie- bestrebungen in Ostbolivien nicht unterstützt. Im Aus- schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung hat sich die Bundesregierung mit einem sehr ausgeglichenen Standpunkt präsentiert. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn sie der bolivianischen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15411 (A) (C) (B) (D) Regierung in ihrem Konflikt mit den Autonomisten den Rücken gestärkt hätte. Stattdessen hat sie sich auf einen „neutralen“ Standpunkt zurückgezogen und setzt auf Dialog. Auch wir sind dafür, politische Auseinanderset- zungen im Gespräch beizulegen. Aber wir sind zugleich dafür, dass die Verantwortlichkeiten für die Zuspitzung der Krise klar benannt und berechtigte und illegitime Ansprüche nicht vermischt oder gleichgesetzt werden. Die Verfassungsprozesse in Bolivien, Ecuador und Venezuela sind – trotz aller Hindernisse – eine histori- sche Chance, dass die berechtigten Ansprüche von Mil- lionen von Menschen, die bislang nie zum Tragen ka- men, endlich artikuliert werden. Die Linke ist der Fokussierung auf Good Governance. Bereits 2006 wur- den diese Schwerpunkte von der Regierung Morales be- stätigt. Außerdem arbeiten Deutschland und Bolivien beim Schutz der Biodiversität zusammen. Der Wald- schutz wird auch in Bolivien zunehmend relevant. Die deutsche EZ sollte in diesem Kontext darüber nachden- ken, wie sie mit dem Thema Klima- und Ressourcen- schutz als Entwicklungsherausforderung umgeht – auch über Bolivien hinaus. Bolivien hat Ende 2007 schwere Unruhen im Umfeld der verfassunggebenden Versammlung erlebt. Der Staat und die politischen Entscheidungsträger befinden sich in einer ausgesprochen schwierigen Lage. Es liegt in der Ansicht, genau das sollte auch die Richtschnur der deut- schen Entwicklungspolitik sein. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bevor ich auf den Inhalt des Antrages der FDP eingehe, möchte ich mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, mein Erstau- nen darüber, dass wir uns im Februar 2008 mit einem Antrag der FDP-Fraktion beschäftigen, der am 13. Juni 2007 eingebracht wurde und die „anstehenden Regie- rungsverhandlungen mit der bolivianischen Regierung“ zum Thema hat. Diese Regierungsverhandlungen wur- den bereits Ende Juni 2007 in Bonn abgeschlossen. Wir beraten hier also einen Antrag, der schlichtweg überholt ist. Die Tatsache, dass die Kolleginnen und Kollegen von der FDP in den vergangenen acht Monaten ihren Antrag nicht aktualisiert und ihn unverändert aufgerufen haben, lässt durchaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit ih- res Interesses an der Entwicklung in Bolivien zu. Ziel- führender wäre es doch gewesen, die Ergebnisse der Re- gierungsverhandlungen als Grundlage für den Antrag zu nutzen, anstatt acht Monate nach Abschluss der Ver- handlungen das Verhalten der Regierung bei eben diesen beeinflussen zu wollen. Ich frage mich wirklich, welches Zeichen die FDP-Fraktion mit diesem Antrag setzen will. Die Ergebnisse der Regierungsverhandlungen zwi- schen Bolivien und Deutschland weisen eine starke Kon- tinuität in der Zusammenarbeit auf. Die finanzielle Aus- stattung steigt leicht von 32 Millionen für 2005/2006 auf 35 Millionen Euro für 2007/2008. Schwerpunkte der deutschen EZ sind weiterhin Wasser- und Abwasserwirt- schaft, nachhaltige Landwirtschaft sowie die Stärkung von Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentlicher Ver- waltung, also die im FDP-Antrag mehrfach geforderte Verantwortung der Beteiligten, Polarisierung, Spaltung und Gewalt zu verhindern und eine Verfassung zu schaf- fen, die ein stabiles, legitimes und tragfähiges Funda- ment für die Entwicklung Boliviens hin zu Gerechtig- keit, Inklusion und Entwicklung, gerade für die Ärmsten des Landes, bildet. Die Bundesregierung, aber auch die politischen Stiftungen sowie nichtstaatlichen und kirch- lichen Organisationen müssen daher, wo immer möglich und gewollt, den bolivianischen Partnern bei der Gie- ßung dieses Fundamentes mit Rat und Tat zur Seite ste- hen und den Prozess mit konstruktiver Kritik begleiten. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns in diesem Hause mit den Entwicklungen in Bolivien beschäftigen. Es handelt sich nicht zu Unrecht um eines der Schwer- punktländer der deutschen EZ. Nach wie vor leben in Bolivien 23 Prozent der Bevölkerung von weniger als ei- nem US-Dollar am Tag. Immer noch sind 23 Prozent der Bolivianer unterernährt. Ich hätte mir gewünscht, dass Bolivien ein Pilotland bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung wäre. Ich bin mir bewusst, dass es nicht allein an der deutschen Seite liegt, dass ein Pilotprogramm nicht zustande kam. Ich glaube aber auch, dass wir uns bei den nächsten Verhandlungen mit Bolivien erneut um ein solches Programm bemühen müssen, um die bolivia- nischen Partner bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung zu unterstützen. In Anbetracht der immensen Entwicklungsherausfor- derungen, vor denen Bolivien steht, und den Anstren- gungen, die von der gegenwärtigen Regierung unter- nommen werden, um die Situation zu verbessern, bin ich der Meinung, dass Bolivien es verdient, dass wir uns ernsthaft, zeitnah und zukunftsgerichtet mit den Ent- wicklungen in diesem Land beschäftigen. 145. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dagmar G. Wöhrl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)



    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
    gen! Liebe Frau Kopp, wenn ich sage, dass das Thema
    der sicheren Energieversorgung für die Bundesregierung
    ein wichtiges Thema ist, dann dürfen Sie mir das glau-
    ben. Das kann man an den Ergebnissen unseres Energie-
    gipfels und an dem integrierten Energie- und Klimapro-
    gramm sehen. An diesen Programmen, die wir in den
    letzten zwei Jahren auf den Weg gebracht haben, kann
    man auch unsere energieaußenpolitische Zieltriade er-
    kennen, nämlich erstens Energiequellen und Energie-
    transportwege zu diversifizieren, zweitens noch mehr
    Energie zu sparen und effizienter zu nutzen und drittens
    die erneuerbaren Energien auszubauen.

    Wir haben während unserer EU-Ratspräsidentschaft
    im letzten Jahr einen energiepolitischen Aktionsplan mit
    sehr ehrgeizigen Zielen verabschiedet, an dem wir arbei-
    ten und den wir Stück für Stück umsetzen. Er verbindet
    Versorgungssicherheit und Klimaschutz durch Maßnah-
    men zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Sen-
    kung des Energieverbrauchs. Das betrifft verschiedene
    Bereiche: das Erneuerbare-Energien-Gesetz – über
    dessen Novellierung wir heute Morgen sehr intensiv dis-
    kutiert haben –, das Erneuerbare-Energien-Wärme-
    gesetz, die Biogaseinspeisung und die Eckpunkte für die
    Energieeinsparung.

    In Ihrem FDP-Antrag sprechen Sie von Rahmenbe-
    dingungen auf nationaler und europäischer Ebene. Sie
    sprechen von einem liberalisierten Energiewettbewerb
    und vom Vorantreiben des Ausbaus grenzüberschreiten-
    der Netzkapazitäten für Strom und Erdgas. Hier besteht
    Konsens zwischen uns und der FDP. Das sind Punkte, an
    denen wir arbeiten und die wir im Rahmen verschiede-
    ner Gesetze schon auf den Weg gebracht haben. Ich
    erwähne hier nur die Kraftwerks-Netzanschlussverord-
    nung, die Anreizregulierungsverordnung und die GWB-
    Novelle, wodurch endlich eine verschärfte Missbrauchs-
    aufsicht möglich wird.

    Das heißt aber auch, dass Wettbewerb in den leitungs-
    gebundenen Sektoren nur dann möglich ist, wenn es
    – auch da besteht Konsens – in diesem Bereich ausrei-
    chende Leitungskapazitäten gibt. Eine Beschleunigung
    des Netzausbaus ist für uns sehr wichtig. Hier sind noch
    viele Verbesserungen nötig. Wir merken, dass oftmals
    vor Ort, in den Kommunen, in den Ländern, Investitio-
    nen auf der Strecke bleiben, auch durch verlangsamte
    Planungsverfahren. Deswegen arbeitet unser Ministe-
    rium an einem Gesetz mit einem vordringlichen Bedarfs-
    plan für die Übertragungsleitungen.

    Durch die dena-Netzstudie I – jetzt kommt auch die
    Netzstudie II – wissen wir, dass wir, wenn man einen
    Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch
    von 20 Prozent unterstellt, allein bis zum Jahr 2015
    845 Kilometer Fernleitungstrassen hinzubauen müssen.
    Das heißt, wir müssen zu einem beschleunigten Verfah-
    ren in diesem Bereich kommen.


    (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie doch endlich Erdverkabelung zu! Dann haben Sie den Ärger nicht!)


    Für den grenzüberschreitenden Stromnetzausbau, der
    ebenfalls ein wichtiger Punkt ist und den Sie auch in Ih-
    rem Antrag angesprochen haben, sind wir in Gesprächen
    mit den Benelux-Staaten und Frankreich und den dorti-
    gen Netzbetreibern. Für uns ist wichtig, eine regionale
    Stromhandelsbörse zu schaffen.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Energieau-
    ßenpolitik ist für die Regierung ein wichtiger Bestandteil
    der Außenwirtschaftspolitik. Minister Glos wird am Wo-
    chenende wieder in die kaspische Region reisen, und
    mehr als 80 Unternehmer werden ihn auch dieses Mal
    begleiten. Dabei wird es um Förderung des Exports von
    Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energien-Technolo-
    gien gehen. Ich glaube, dass wir mit unseren Export-
    initiativen „Erneuerbare Energien“ und „Energieeffi-
    zienz“ sehr gut aufgestellt sind. Wir helfen sehr vielen
    deutschen Unternehmen, im Ausland Geschäfte in die-
    sem Bereich zu tätigen. Außerdem tragen wir mit dazu
    bei, unsere Spitzentechnologie im Bereich der erneuer-
    baren Energien weltweit zu vertreiben.

    Daneben ist es aber auch wichtig, dass wir zur Er-
    schließung neuer Quellen für die Energieversorgung
    kommen. Wir brauchen dazu sehr viele bilaterale Ge-
    spräche und einen intensiven Dialog mit großen Erzeu-
    gerländern wie Russland und Norwegen. Frau Kopp hat
    es schon angesprochen: Russland hat einen Anteil von
    35 Prozent und Norwegen von 27 Prozent an unserer
    Gasversorgung. Die Bedeutung dieser Länder wird nicht
    weniger werden, sondern zunehmen. Deswegen ist der
    Dialog mit diesen Ländern sehr wichtig. Aber der Dialog
    mit den vielen Transit- und Verbraucherländern darf da-
    bei nicht auf der Strecke bleiben.

    Wir haben 2006 das deutsch-indische Energieforum
    gegründet. Wir stehen, was den Energiesektor anbelangt,
    in enger Kooperation mit China. Ich will in diesem Zu-
    sammenhang noch die Internationale Energie-Agentur
    erwähnen, die für die Verhinderung von Ölkrisen eine
    wichtige Rolle spielt.

    Sie haben auch die Energieforschung angesprochen,
    Frau Kopp. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben das
    5. Energieforschungsprogramm auf den Weg gebracht.
    Im Rahmen dieses Programms werden wir 1,7 Milliar-
    den Euro in die Hand nehmen, um die Forschung und
    Weiterentwicklung vor allem im Bereich der emissions-
    freien fossilen Kraftwerke und der Brennstoffzellen
    voranzutreiben. Es geht aber auch um die Weiterent-
    wicklung von Brennstoffzellen sowie um die Wasser-
    stofftechnologie und die Technik für CO2-Trennung und
    CO2-Einlagerung. Das sind nur einige Beispiele. Ich
    kann nicht alle aufzählen.

    Wir können zu Recht behaupten: Wir sind gut aufge-
    stellt. In vielen Bereichen sind wir sogar internationale
    Spitze. Ich denke dabei an unsere Technologien im Be-






    (A) (C)



    (B) (D)


    Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
    reich der erneuerbaren Energien. Wenn man gut aufge-
    stellt ist, bedeutet dies aber nicht, dass man nicht noch
    besser werden kann. Wir arbeiten intensiv daran, in vie-
    len Bereichen noch besser zu werden. Wir würden uns
    natürlich sehr freuen, wenn wir auch zukünftig die Un-
    terstützung der FDP hätten.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)




Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ursula Lötzer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Ja, Frau Kopp, wir brauchen ein zusammenhängendes
    Konzept, das ökologische, soziale und Entwicklungsper-
    spektiven mit ökonomischen verbindet. Aber genau das
    vermisse ich in Ihrem Antrag.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie orientieren sich einseitig an den ökonomischen Inte-
    ressen.

    Der Klimawandel bedroht die Existenz von Millionen
    von Menschen. Er bedroht vor allem die Menschen in
    den Entwicklungsländern, die vom Wohlstand wegen
    des fehlenden Zugangs zu Energie bis jetzt ausgeschlos-
    sen sind. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die natio-
    nalen Treibhausemissionen um mindestens 40 Prozent
    und nicht nur um 20 Prozent zu reduzieren. Andererseits
    müssen die Zahlungen für die Bewältigung des Klima-
    wandels in den Entwicklungsländern erhöht werden.

    In der Entwicklungszusammenarbeit muss der Tech-
    nologietransfer für regenerative Energien und Energie-
    effizienz verstärkt werden. Das findet man in Ihrem An-
    trag aber nicht.


    (Gudrun Kopp [FDP]: Doch! Das steht doch drin!)


    Sie setzen im Wesentlichen auf Ausweitung des Freihan-
    dels, auf Atomenergie und auf eine Energie-NATO, wo-
    mit diese Probleme nicht gelöst, sondern verstärkt wer-
    den.

    Die meisten Menschen in den Entwicklungsländern
    haben bis heute keinerlei Zugang zu Energie. Sie be-
    fürchten sogar, dass sie über die Begrenzung der Emis-
    sionen ihrer Entwicklung zum Wohlstand beraubt
    werden sollen. Der Hauptzuwachs am weltweiten Ener-
    giebedarf kommt natürlich von Schwellenländern wie
    China. Vergleicht man aber den Pro-Kopf-Bedarf an
    Energie, liegen Industrieländer wie Deutschland und die
    USA noch immer weit vorne. Daraus ergibt sich für uns
    die Verantwortung, vor allem unseren Bedarf abzusen-
    ken.

    Wir müssen in der Energieaußenpolitik von dem Leit-
    bild ausgehen: Jeder Mensch auf der Erde hat das glei-
    che Recht an der Nutzung der Atmosphäre. Die Indus-
    trieländer haben nicht das Recht, heute die Rohstoffe zu
    verschwenden, die andere Länder morgen selbst brau-
    chen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Deshalb noch einmal – obwohl darüber bereits heute
    Morgen diskutiert wurde –: Mit der Biokraftstoffquote
    sorgt die Regierung weiterhin für das Abholzen der Re-
    genwälder, die Verknappung und Verteuerung von Le-
    bensmitteln und den Ruin von Kleinbauern. Deshalb
    muss die Quote zurückgenommen werden und reicht
    eine Nachhaltigkeitsverordnung für die Lösung dieses
    Problems nicht aus.

    Wir brauchen erst recht keine weitere Handels- und
    Investitionsliberalisierung, Frau Kopp. Wir brauchen im
    Gegenteil ein internationales Investitionsregime bei der
    UN,


    (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Was?)


    das menschenrechtliche, soziale, gewerkschaftliche und
    ökologische Standards auch für transnational agierende
    Konzerne festlegt. Diese müssen dann allerdings auch
    sanktionsfähig sein, nicht aber die WTO.

    Es ist richtig: Die Energieversorgung ist von der Ab-
    hängigkeit von fossilen Energieträgern und vom Uran
    geprägt. Gerade vor diesem Hintergrund ist aber Ihr Ver-
    such, die Atomenergie zu rechtfertigen, lächerlich. Ich
    will gar nicht auf die ungelöste Entsorgungsfrage, die
    Kinderkrebsstudie oder das Risiko atomarer Unfälle ein-
    gehen.

    Bleiben wir bei der Rohstofffrage. In der Uranversor-
    gung sind wir zu 100 Prozent vom Ausland abhängig.
    Das derzeit wirtschaftlich zu fördernde Uran reicht für
    etwa 70 Jahre. Wird der Bedarf gesteigert, reduzieren
    sich die Vorräte ganz schnell. Durch den Uranabbau
    werden Regionen radioaktiv verseucht. Derzeit werden
    Vorkommen abgebaut, die circa 1 Prozent Uran enthal-
    ten. Fast das gesamte schwachstrahlende Material bleibt
    als Abraumhalde erhalten ebenso wie die Schlammmas-
    sen, die durch die Abtrennung entstehen. Je länger die
    Atomenergie genutzt wird, je größer der Bedarf, umso
    mehr muss auf schlechte Erze zurückgegriffen werden.
    Die ökologischen Schäden in den Abbaugebieten wür-
    den sich potenzieren. Das ist nicht vertretbar, schon gar
    nicht, weil es bessere Alternativen gibt.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie setzen neben der Atomenergie auch auf die Ener-
    gie-NATO. Der Krieg um Öl hat eine lange Tradition –
    leider. In der Vergangenheit ging es vor allem um den
    Profit aus der Verwertung der Ressourcen. Heute kommt
    die Frage der Versorgungssicherheit hinzu. Folgen des
    Klimawandels, Umweltkrisen, Dürren und Wasserknapp-
    heit verschärfen Landnutzungskonflikte. Umweltprobleme
    erhöhen kriegerische Gefahren.

    Die Bundesregierung hat leider 1992 in den Verteidi-
    gungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr den unge-
    hinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen zum vita-
    len Sicherheitsinteresse Deutschlands erklärt. Das ist






    (A) (C)



    (B) (D)


    Ulla Lötzer
    verheerend und verschärft die Kriegsgefahr weltweit,
    statt für friedliche Lösungen zu sorgen. Wir brauchen
    keine Bereitstellung einer Energie-NATO für einen
    Krieg um Rohstoffe. Wir brauchen eine Energiewende.
    Wir brauchen Verfahren und Institutionen, die die Vertei-
    lung der knappen Ressourcen friedlich und gerecht lö-
    sen. Wir brauchen eine größere Unabhängigkeit von
    Rohstoffimporten.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Das heißt, wir brauchen in erster Linie Energieeffi-
    zienz und die Einsparung von Energie. Riesige Effi-
    zienzpotenziale in Deutschland werden bisher nicht ge-
    nutzt. Wir könnten unseren Energieverbrauch nach
    Studien bis 2050 halbieren. Wir brauchen den massiven
    Ausbau erneuerbarer Energien; darüber wurde heute
    Morgen bereits ausführlich diskutiert. Auf diesem Weg
    kann der Energiebedarf, verbunden mit Energieeffi-
    zienzprogrammen, gedeckt werden. Für die Realisierung
    brauchen wir strukturelle Eingriffe in die Energiewirt-
    schaft. Mit dem Energiekartell der vier großen Energie-
    konzerne wird es nicht möglich sein, diese Ener-
    giewende herbeizuführen.

    Wir brauchen keine NATO, die Ressourcen und Tran-
    sitwege für Rohstoffe sichert. Wir brauchen den Mut im
    Parlament und in der Regierung, die Energiekonzerne zu
    entmachten und die Energieversorgung zu rekommunali-
    sieren. Dann würden wir bei der Lösung des Problems
    einen Schritt weiterkommen.

    Danke.


    (Beifall bei der LINKEN)