Berichtigung
142. Sitzung, Seite 15061 (D) 1. Absatz; der dritte Satz
ist wie folgt zu lesen: „Nach wie vor dürfen mit jedem Ku-
bikmeter Abluft 20 Milligramm Stäube emittiert werden,
obwohl der Stand der Technik heute schon weniger als
10 Milligramm erlaubt.“
144. Sitzung, Seite 15211 (C) 1. Absatz; der dritte Satz
ist wie folgt zu lesen: „Wenn wir uns darauf verständigen,
endlich einmal die Steuerprüfer in die Verantwortung zu
nehmen und die Anzahl der Steuerhinterzieher deutlich zu
erhöhen, dann hätten wir auch mehr Geld im Staats-
säckel.“
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15371
(A) (C)
(B) (D)
Lintner, Eduard CDU/CSU 21.02.2008
größere Arbeitsbelastung zu tragen haben als in der Zeit
vor den Reformen.Poß, Joachim SPD 21.02.2008
mit Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende, der Sozialhilfe sowie mit Fällen, die das Asylbe-
werberleistungsgesetz betreffen. Es ist kein Wunder,
dass die Sozialgerichte auf diese Weise eine deutlich
Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 21.02.2008
Pflug, Johannes SPD 21.02.2008
Anlage 1
Liste der entschuldi
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Addicks, Karl FDP 21.02.2008
Dr. Berg, Axel SPD 21.02.2008
Bodewig, Kurt SPD 21.02.2008
Bollen, Clemens SPD 21.02.2008
Ernst, Klaus DIE LINKE 21.02.2008
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 21.02.2008
Friedhoff, Paul K. FDP 21.02.2008
Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.02.2008
Dr. Freiherr zu
Guttenberg, Karl-
Theodor
CDU/CSU 21.02.2008
Hilsberg, Stephan SPD 21.02.2008
Hirsch, Cornelia DIE LINKE 21.02.2008
Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.02.2008
Hörster, Joachim CDU/CSU 21.02.2008
Ibrügger, Lothar SPD 21.02.2008
Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 21.02.2008
Kauch, Michael FDP 21.02.2008
Kelber, Ulrich SPD 21.02.2008
Krummacher, Johann-
Henrich
CDU/CSU 21.02.2008
Lafontaine, Oskar DIE LINKE 21.02.2008
Leutheusser-
Schnarrenberger,
Sabine
FDP 21.02.2008
*
Anlagen zum Stenografischen Bericht
gten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der OSZE
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Ar-
beitsgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 14)
Paul Lehrieder (CDU/CSU): Die Große Koalition
hat auf dem Gebiet der Arbeitsmarktreformen in den
vergangenen Jahren einiges in Bewegung gesetzt. Vieles
hat sich dadurch für die Menschen verändert, viele Fra-
gen wurden aufgeworfen, vieles auch als ungerecht emp-
funden. Das hat sich beinahe zwangsläufig auch auf die
Sozialgerichtsbarkeit wie auf die Belastung der Arbeits-
gerichte ausgewirkt.
Seit dem 1. Januar 2005 befasst sich die Sozialge-
richtsbarkeit zusätzlich zu ihren bisherigen Aufgaben
Raidel, Hans CDU/CSU 21.02.2008**
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
21.02.2008
Schultz (Everswinkel),
Reinhard
SPD 21.02.2008
Strässer, Christoph SPD 21.02.2008
Strothmann, Lena CDU/CSU 21.02.2008
Teuchner, Jella SPD 21.02.2008
Dr. Westerwelle, Guido FDP 21.02.2008
Zapf, Uta SPD 21.02.2008
Zeil, Martin FDP 21.02.2008
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
15372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein
neues Rechtsgebiet eingeführt worden, das verständli-
cherweise einen erhöhten gerichtlichen Klärungsbedarf
nach sich zieht. Insbesondere die Rentenversicherer hat-
ten in jüngster Zeit mit millionenfachen Widersprüchen
zu tun. Zudem haben Klagen und Eilanträge rund um
Hartz IV Spitzenzahlen erreicht. Allein für den Oktober
2007 meldete das Bundessozialgericht den Eingang von
mehr als 2 000 neuen Verfahren in diesem Bereich.
Die Richter müssen bei ihrer Arbeit auch Korrekturen
berücksichtigen, die die Bundesregierung in den vergan-
genen Jahren vorgenommen hat. Dazu zählen die An-
gleichung der Regelsätze von Ost- und Westdeutschland
auf heute 347 Euro, die Erhöhung der Freibeträge für
Arbeitseinkommen und die Verschärfung von Sanktio-
nen sowie die Wohnungskosten der 18- bis 25-jährigen.
Aus all diesen Gründen ist es nunmehr an der Zeit, die
Belastung der Sozialgerichtsbarkeit einer eingehenden
Prüfung zu unterziehen.
Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, das
sozialgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleu-
nigen, sodass die Gerichte sowohl ihrer Amtsermitt-
lungspflicht nachkommen, aber auch zeitnahe Entschei-
dungen fällen können. Damit ist letztlich auch den
Prozessparteien gedient. Denn „schnelles Recht ist gutes
Recht“.
Allerdings dürfen die Änderungen nur so weit gehen,
dass sie die Betroffenen in ihren Rechten nicht über Ge-
bühr einengen, zumal sich das sozialgerichtliche Verfah-
ren in der Regel durch die Konstellation „kleiner und
schwacher Bürger gegen übermächtige Behörde“ aus-
zeichnet.
Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir
in den vergangenen Wochen und Monaten einen Weg ge-
funden, der Bürgerfreundlichkeit und verfahrensökono-
mische Effizienz in den sozialgerichtlichen Verfahren
miteinander verbindet. Die anstehende Änderung des
SGG bietet unter verfahrensökonomischen wie auch so-
zialen Aspekten eine Chance zur Beschleunigung und
Effizienzsteigerung der sozialgerichtlichen Verfahren.
Vorgesehen ist unter anderem, bereits im Wider-
spruchsverfahren die Sozialleistungsträger zu entlasten,
indem der Verwaltung die Bekanntgabe der Wider-
spruchsentscheidung bei sogenannten Massenwidersprü-
chen im Wege der öffentlichen Bekanntgabe ermöglicht
wird.
Eine erstinstanzliche Zuständigkeit für die Landes-
sozialgerichte soll für Verfahren eingeführt werden, in
denen es vorwiegend um übergeordnete Rechtsfragen
und weniger um Tatsachenfragen des Einzelfalls geht.
Zur Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens kann
das Gericht unter engen Voraussetzungen den Vortrag ei-
ner Partei verfristen. Dies soll insbesondere der zeitna-
hen Umsetzung der vollständigen Tatsachenermittlung
dienen und darauf hinwirken, dass der Kläger fristgemäß
seine Mitwirkungspflichten erfüllt. Demnach gilt die
Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Ver-
fahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei
Monate nicht betreibt.
Der Schwellenwert zur Berufung wird für natürliche
Personen auf 750 Euro und für juristische Personen auf
10 000 Euro angehoben. So soll die mit Einführung der
erstinstanzlichen Zuständigkeit verbundene Mehrbelas-
tung der Landessozialgerichte aufgefangen werden.
Was die Arbeitsgerichtsbarkeit angeht, soll den Ar-
beitnehmern die Klageerhebung erleichtert werden, in-
dem sie ihre Klage auch vor dem Arbeitsgericht erheben
können, in dessen Bezirk sie normalerweise ihrem Beruf
nachgehen. Das kommt vor allen den Beschäftigten zu-
gute, die, wie zum Beispiel Außendienstmitarbeiter, ihre
Arbeitsleistung fern vom Firmensitz und dem Ort der
Niederlassung erbringen.
Ziel ist es auch, arbeitsgerichtliche Verfahren durch
eine Erweiterung der Alleinentscheidungsbefugnis des
Vorsitzenden zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Letztlich sind die Möglichkeiten, Sozial- und Arbeits-
gerichtsgesetz von bürokratischem Ballast zu befreien
und die Verfahren zu verkürzen, damit noch nicht ausge-
schöpft. Wir wollen aber die Betroffenen mitnehmen
und über die Effizienzsteigerung nicht die Bürgerfreund-
lichkeit aus den Augen verlieren. Von einer hocheffi-
zienten, aber komplizierten Maschine, die der Laie nicht
versteht, hat er keinen Nutzen, weil er sie nicht bedienen
kann.
Deshalb hatte ich auch Bedenken zum ursprünglichen
Vorschlag des Bundesrates, verstärkt auch Instrumente
aus dem verwaltungsgerichtlichen auf das sozialgericht-
liche Verfahren zu übertragen. Die Betroffenen streiten
vor den Sozialgerichten in der Regel um ihre wirtschaft-
liche Existenzsicherung. Ihre Anliegen haben häufig ei-
nen komplexen medizinischen Hintergrund. Dies erfor-
dert eine besonders umfangreiche Tatsachenaufklärung.
Hinzu kommt, dass die Verfahrensbeteiligten in der Re-
gel unterschiedliche Voraussetzungen haben. Auf der ei-
nen Seite stehen Leistungsempfänger, Versicherte oder
behinderte Menschen. Auf der anderen Seite steht eine
hoch spezialisierte Verwaltung, die über einen professio-
nellen Vorsprung verfügt.
Das sozialgerichtliche Verfahren hat deshalb auch die
Aufgabe, zwischen diesen ungleichen Parteien ein ge-
wisses Kräftegleichgewicht herzustellen. Aus diesem
Grund ist auch die fiktive Klagerücknahme nicht in die
SGG-Novelle eingegangen, die der Bundesrat ebenfalls
vorgeschlagen hatte. Demnach wurde im Gegensatz zur
Dreimonatsfrist des Regierungsentwurfs eine Frist von
zwei Monaten vorgeschlagen. Kläger im sozialgerichtli-
chen Verfahren benötigen jedoch häufig länger für die
Entscheidungsfindung als andere Personen, da sie manch-
mal durch Krankheit oder Behinderung in ihrer Ent-
scheidungsfähigkeit eingeschränkt sind. Außerdem kann
die Entscheidung langfristige Folgen für sie nach sich
ziehen. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Betroffenen in-
nerhalb einer Zwei- oder Dreimonatsfrist tatsächlich in
der Lage sind, fundiert darzulegen, warum ihr Rechts-
schutzbedürfnis weiter fortbesteht.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15373
(A) (C)
(B) (D)
Auch der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates,
den § 109 SGG abzuschaffen, wäre zu weit gegangen.
§ 109 SGG besagt, dass im sozialgerichtlichen Verfahren
auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutach-
terlich gehört werden muss. Die Erstellung eines Gut-
achtens durch einen frei gewählten Arztes erhöht die Ak-
zeptanz des Urteils durch die betroffene Partei deutlich.
§ 109 SGG gibt dem Betroffenen die Gewissheit, dass
seine Belange umfassend gewürdigt werden. Oft kann
hierdurch der langwierige und für die Justiz kosteninten-
sive Gang in die zweite Instanz vermieden werden.
Darüber hinaus hat es die Bundesregierung abgelehnt,
eine generelle Zulassungsberufung einzuführen. So ist
bei Klagen, die existenzielle Leistungen betreffen, die
Überprüfung durch eine weitere Instanz gesichert.
Auch der Vorschlag des Bundesrates, einen Vertre-
tungszwang in der zweiten Instanz einzuführen, ist nicht
in die SGG-Novelle aufgenommen worden, da dadurch
eine Zugangsschwelle zum sozialgerichtlichen Rechts-
schutz eingerichtet würde. Die Betroffenen hätten ein
Kostenrisiko zu tragen, was gerade die Kläger, die einen
Anspruch auf existenzielle Leistungen geltend machen,
davon abhalten würde, eine eventuell berechtigte Beru-
fung einzulegen.
Die Änderungen des Sozialgerichts- und des Arbeits-
gerichtsgesetzes sind unbedingt notwendig. Sie tragen
zu einer Verfahrensbeschleunigung bei. Die Änderungen
dürfen aber nur so weit gehen, dass sie die Rechte der
Betroffenen nicht unzumutbar einschränken.
Anette Kramme (SPD): Bei der Anhörung zum Ge-
setzesentwurf, mit dem das Sozial- und das Arbeitsge-
richtsgesetz geändert werden sollen, waren sich die gela-
denen Experten letzte Woche weitestgehend einig. Die
Verfahren vor den Gerichten müssen vereinfacht und be-
schleunigt, die Arbeits- und die gegenwärtig besonders
beanspruchte Sozialgerichtsbarkeit entlastet werden.
Kein Wunder. Ende Januar hat das Bundessozialge-
richt die Prozesszahlen für 2007 vorgestellt. Dabei
wurde ein Anstieg der Verfahren zum SGB II um 38 Pro-
zent auf insgesamt 136 000 Verfahren konstatiert. Jeder
dritte Fall vor Sozialgerichten hängt zusammen mit der
Arbeitsmarktreform von 2005.
Das ist zwar nicht außergewöhnlich. Die Einführung
eines neuen Rechtsgebietes wie die Grundsicherung für
Arbeitsuchende zieht üblicherweise einen erhöhten ge-
richtlichen Klärungsbedarf nach sich. Grundsätzliche
Fragen tauchen auf und müssen richterlich beantwortet
werden. Andererseits müssen Bund und Länder gemein-
sam dafür sorgen, dass die Verfahrensdauer für alle Be-
teiligten zumutbar bleibt. Dies betrifft die Rechtsschutz-
suchenden ebenso wie die Angestellten der Justiz.
Die Damen und Herren im Bundesrat sind daran zu
erinnern, dass es vorrangig Aufgabe der Länder ist, für
eine angemessene personelle Ausstattung der Gerichte
und damit für eine effektive Justiz zu sorgen. Die meis-
ten Länder nehmen diese Verantwortung auch wahr. Die
Zahl der Richterinnen und Richter an den Sozialgerich-
ten ist deutlich gestiegen.
Die Entlastung der Gerichte muss jedoch erfolgen,
ohne die genuin bürgerfreundlichen Elemente der Pro-
zessordnungen aufs Spiel zu setzen. Diese sind integraler
Bestandteil des Rechtssystems und des Gerechtigkeits-
empfindens. Die Klägerfreundlichkeit des Verfahrens
muss erhalten bleiben.
Der vorliegende Gesetzesentwurf wägt die beiden
Ziele – beschleunigen, ohne abzuwürgen – mit Geschick
und Fingerspitzengefühl ab. Er bewahrt das notwendi-
gerweise Einzigartige der Sozial- und Arbeitsgerichts-
barkeit, kommt aber dennoch den Interessen der Länder
entgegen. Zudem sind alle Änderungen auf Anregung
und in Kooperation mit der gerichtlichen Praxis entstan-
den.
Stellvertretend kann man die Einführung der erst-
instanzlichen Zuständigkeit für Landessozialgerichte
nennen. Diese können künftig direkt angerufen werden,
wenn es überwiegend um übergeordnete Rechtsfragen
und nicht um Tatsachenfragen des Einzelfalles geht.
Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens sind
wir sogar noch zu einer Erweiterung dieser sinnvollen
Straffung gekommen. Die geplanten Änderungen des
Sozialgerichtsgesetzes sind alles in allem praxistauglich.
Die Ziele des Gesetzes können mit den getroffenen Re-
gelungen auch tatsächlich erreicht werden. Das hat uns
auch die Anhörung noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Der einzige Wermutstropfen im Gesetzentwurf ist die
Anhebung des Schwellenwerts, ab dem ein Berufungs-
verfahren vor dem Sozialgericht möglich ist. Dieser soll
um 250 Euro erhöht werden. Viele Experten empfinden
dies als zu hoch. Vor Sozialgerichten wird häufig über
Leistungen verhandelt, die für die Betroffenen von exis-
tenzieller Bedeutung sind. Auch 500 Euro sind viel Geld
für jemanden, der von Sozialleistungen abhängt. Hier
hätten wir uns eine moderatere Lösung gewünscht.
Gegen alle weiteren Verschärfungen der Regelungen
zur Berufung haben wir uns jedoch erfolgreich gewehrt.
Die Einführung der Berufungszulassung durch die Erst-
instanz beispielsweise, wie sie der Bundesrat vorschlug,
ist weder nötig noch sinnvoll. Zum einen nutzt schon
heute nur ein Zehntel der Kläger eine zweite Instanz bei
sozialgerichtlichen Verfahren. Zum anderen zeigen uns
Erfahrungen der Verwaltungsgerichte, wo es die Zulas-
sungsberufung gibt, dass dadurch nicht unbedingt Arbeit
für die Gerichte vermieden wird – im Gegenteil. Dort
sind die Gerichte statt mit der Berufung mit der Überprü-
fung des Vorliegens formaler Voraussetzungen beschäf-
tigt. Das kann nicht unser Ziel sein. Wenn schon Arbeit
für die Gerichte, dann im Sinne der Bürger!
Außerdem muss berücksichtigt werden, dass sich
– vor allem in der ersten Instanz – Kläger vor Sozialge-
richten oft selbst verteidigen. Dies stellt einen hohen
Wert dar und senkt die Schwelle zur Klageerhebung. An-
dererseits erhöht es die Wahrscheinlichkeit von Ver-
säumnissen. Diesen Umständen müssen wir Rechnung
tragen. Die Berufung darf nicht unnötig formal er-
schwert werden.
Zu guter Letzt eine weitere und aus unserer Sicht sehr
erfreuliche Nachricht: Der Bundesrat hatte gefordert,
15374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
auch im sozialgerichtlichen Verfahren Gebühren einzu-
führen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
hat im Herbst eine Studie in Auftrag gegeben, um diesen
Vorschlag zu prüfen. Die vorläufigen Ergebnisse liegen
nun vor. Eine Einführung von Gebühren wird nach-
drücklich nicht empfohlen. Wir Sozialdemokraten sind
dankbar für dieses Ergebnis, denn es entspricht unserem
Gerechtigkeitsempfinden. Das Recht, meist existenzielle
Streitfragen von Arbeits- und Sozialgerichten klären zu
lassen, muss jeder haben, unabhängig vom Kontostand
oder dem Vorliegen einer Rechtschutzversicherung.
Auch bezüglich der arbeitsgerichtlichen Regelungen
ist die Gesetzesänderung als gelungen einzuschätzen.
Insbesondere der neueingeführte Gerichtsstand des Ar-
beitsortes hilft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Sie können künf-
tig auch in dem Gerichtsbezirk klagen, in dem sie arbei-
ten. Das kommt vor allem den Außendienstmitarbeitern
zugute, die nun nicht mehr vor dem Arbeitsgericht am
Firmensitz ihres Arbeitgebers klagen müssen, das unter
Umständen hunderte Kilometer von ihrem Arbeitsort
entfernt ist.
Auch das Verfahren bei der nachträglichen Zulassung
von Kündigungsschutzklagen wird im Sinne der Arbeit-
nehmer verändert. Wurde die dreiwöchige Klagefrist
ohne Verschulden versäumt und ein Antrag auf nachträg-
liche Klagezulassung gestellt, soll künftig grundsätzlich
kein gesondertes Verfahren mehr durchgeführt werden.
Die Entscheidung über die nachträgliche Klagezulas-
sung wird mit der Kündigungsschutzklage selbst verbun-
den. Das bisherige Zwischenverfahren wird in der Regel
entbehrlich. Hierdurch wird das Verfahren insgesamt be-
schleunigt. Kurze Verfahren sind gerade bei solchen Fra-
gen im Interesse der Kläger.
Wir sind davon überzeugt, dass der vorliegende Ge-
setzesentwurf die Gerichte entlasten wird. Weiter ge-
hende Änderungen, wie sie der Bundesrat wünscht, sind
weder nötig noch sinnvoll. Insbesondere eine Ver-
schmelzung der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit mit
der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist abzuleh-
nen. Synergieeffekte sind kaum zu erwarten, und recht-
lich spricht einiges gegen eine solche Zusammenlegung.
Stattdessen kann ich eine Zustimmung zum vorliegen-
den Gesetzentwurf der Regierung nur empfehlen. Er ist
technisch geeignet zur Entlastung der Gerichte, dabei
aber auch gerecht und ausgewogen.
Letzteres muss uns besonders wichtig sein. Aufgrund
der sozialen Einschnitte der letzten Jahre haben immer
mehr Bürger das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht in
Deutschland. Umso mehr müssen wir darauf achten,
dass die materielle Schlechterstellung nicht auch noch
mit einer Verringerung des Rechtschutzes einhergeht.
Die Sozialgerichte genießen unter den Bürgern bisher
ein sehr hohes Ansehen. Der vorliegende Gesetzesent-
wurf sorgt dafür, dass dies künftig so bleiben kann.
Heinz-Peter Haustein (FDP): Die Situation an den
Sozialgerichten ist uns allen hinlänglich aus der Bericht-
erstattung bekannt. In Bergen türmen sich die Akten auf
den Schreibtischen an den Gerichten und in den Amts-
zimmern. Es kommen mehr Vorgänge herein, als abgear-
beitet werden können. Experten schätzen, dass das, was
man als Klageflut oder Klagewelle bezeichnen kann,
auch so schnell nicht abebben wird, denn der Drang zur
Klage ist bei uns ungebrochen, insbesondere in der So-
zialgerichtsbarkeit.
Darum müssen wir schleunigst Maßnahmen zur Ent-
lastung der Sozialgerichte ergreifen, nicht nur im Inte-
resse überlasteter Richter, sondern auch im Interesse der
Kläger, die ein Recht auf eine rasche Entscheidung ha-
ben. Oberstes Ziel wäre – das muss man bei der ganzen
Debatte klar herausstellen – eine bessere personelle Aus-
stattung der Gerichte. Denn es ist ja bedenklich, dass un-
ser Staat, der sich heute für alles und jeden zuständig
fühlt und überall mitmischt, nicht mehr in der Lage ist,
die Rechtsordnung – die Grundlage aller Staatlichkeit –
adäquat durchzusetzen, weil die Mittel für die Richter
fehlen.
Gerade solange sich an der Personalausstattung der
Gerichte nichts ändert, sind wir umso mehr dazu ver-
pflichtet, alles uns Mögliche für die Entlastung der Ge-
richte und für die Verfahrensbeschleunigung zu tun.
Daran muss sich der hier zur Debatte stehende Gesetz-
entwurf messen lassen.
Die FDP-Fraktion – darauf hatte ich bereits in der ers-
ten Lesung verwiesen – begrüßt die Einführung der Fik-
tion der Klagerücknahme in § 102 Sozialgesetzbuch
(SGG). Die Mitwirkung der Kläger ist Grundvorausset-
zung für einen zügigen Verfahrensverlauf. Wo Verfahren
verzögert werden, weil die notwendigen Mitwirkungs-
pflichten vonseiten der Kläger nicht erbracht werden, wo
erforderliche Unterlagen nicht über- oder notwendige In-
formationen nicht weitergegeben werden, ist die Fiktion
der Klagerücknahme ein taugliches Mittel.
Auch die Einschränkung der Beschwerdemöglichkei-
ten, wie beispielsweise im Prozesskostenhilfeverfahren
– § 172 (3) SGG bzw. Art. 1 Nr. 29 b Gesetzentwurf –
und die Heraufsetzung des Berufungsstreitwerts hält
meine Fraktion für geeignet, eine Verfahrensbeschleuni-
gung zu erreichen.
Der Gesetzentwurf beinhaltet jedoch auch Maßnah-
men, die nicht hilfreich scheinen, um die Gerichte zu
entlasten. Die Anhörung von Sachverständigen hat mich
und meine Fraktion insofern in unseren Zweifeln bestä-
tigt.
Auch die Sachverständigen halten die Einführung ei-
nes neuen Gerichtsstandes am „gewöhnlichen Arbeits-
ort“ in § 48 (1a) AGG für wenig dienlich. Der Arbeit-
nehmer soll künftig nach dem „Gerichtsstand am
gewöhnlichen Arbeitsort“ dort Klage erheben können,
wo er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Doch zum ei-
nen haben zum Beispiel Außendienstmitarbeiter bereits
heute laut § 29 Zivilprozessordnung die Möglichkeit,
Klage am Erfüllungsort zu erheben. Zum anderen dürfte
es in der Praxis zu Problemen führen, wenn zu entschei-
den ist, was der „gewöhnliche Arbeitsort“ ist.
Die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt die Neu-
regelung nicht. Eine Verfahrensbeschleunigung ist hier-
von nicht zu erwarten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15375
(A) (C)
(B) (D)
Auch die Absicht der Regierung, künftig neue Ver-
waltungsakte nur noch dann nach Erhebung der Klage in
das Verfahren einzubeziehen, wenn dadurch ein vorher-
gehender ersetzt oder abgeändert wird, gehört zu diesen
wohl der Sache wenig dienlichen Neuregelungen. Bis-
lang wurde die Vorschrift des § 96 SGG – Art. 1 Nr. 16
Gesetzentwurf – so ausgelegt, dass die Verwaltungsakte,
die mit dem bereits anhängigen Verfahren in Zusammen-
hang stehen, ohne erneutes zusätzliches Vorverfahren in
das Klageverfahren einbezogen wurden. Die Neurege-
lung würde dazu führen, dass künftig wegen jedes nicht
einen anderen ersetzenden oder abändernden Verwal-
tungsaktes ein Vorverfahren und im Anschluss ein Kla-
geverfahren eröffnet werden muss. Unserem obersten
Ziel der Verschlankung der Abläufe ist das kontrapro-
duktiv.
Auch bezüglich der erhöhten Anforderungen an die
Formulierung des Klagegegenstandes – § 92 (1) SGG,
bzw. Art. 1 Nr. 15 Gesetzentwurf – hegen wir, wie auch
die Sachverständigen, Zweifel. Diese Neuerung droht
uns eine unnötige Verfahrensformalisierung zu besche-
ren.
Welche weiter gehenden Maßnahmen ergriffen wer-
den könnten, haben uns die Sachverständigen in der An-
hörung auch gesagt: Beispielsweise könnte das Recht
des Klägers abgeschafft werden, entgegen der Bewer-
tung des Gerichts, ein weiteres Gutachten einholen zu
lassen. Es wären also mit etwas mehr Entschlossenheit
noch andere sinnvolle Schritte zur Entlastung der Sozial-
gerichtsbarkeit ohne Weiteres denkbar. Für den Anfang
jedoch weisen die Vorschläge des Gesetzentwurfs trotz
der angesprochenen Kritikpunkte unter dem Strich gene-
rell in die richtige Richtung. Insofern stimmt die FDP
dem Gesetzentwurf zu.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit Hartz IV hat
die Zahl der Klagen zugenommen. Und das ist kein
Wunder. Knapp 30 Prozent der Klagen sind erfolgreich.
Dieser Anstieg der Klagen führt dazu, dass die Arbeits-
belastung an den Sozialgerichten zunimmt. Hier muss
zweifelsohne reagiert werden. Die Frage ist nur: Wie?
Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht vor, die An-
forderungen an Klageerhebungen bei Sozialgerichten zu
verschärfen. Im Klartext: Die Möglichkeiten von Sozial-
leistungsbeziehenden, auf dem Rechtswege ihr Recht zu
erkämpfen, sollen eingeschränkt werden. Das ist der fal-
sche Weg. Die Linke lehnt diese Einschränkung der
Rechte von Betroffenen strikt ab.
Lassen sie mich im Folgenden auf drei zentrale Kri-
tikpunkte eingehen:
Erstens wird die gesetzliche Fiktion einer Klagerück-
nahme eingeführt, wenn ein Kläger oder eine Klägerin
das Verfahren drei Monate lang nicht betreibt. Diese Än-
derung wurde in der Anhörung im Fachausschuss Arbeit
und Soziales breit kritisiert, unter anderem vom DGB,
vom Sozialverband Deutschland, vom VdK und der
Neuen Richtervereinigung. Ich zitiere einmal aus der
Stellungnahme des DGB dazu:
Der DGB bezweifelt, dass durch eine fingierte Kla-
gerücknahme die gewünschte Wirkung eintreten
wird. … Denn – anders als bei der Verwaltungsge-
richtsbarkeit – werden häufiger Kranke, Ältere oder
Behinderte ihre Verfahren selber führen und gege-
benenfalls nicht so schnell reagieren können wie
Kläger in der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Die Linke fordert Sie, meine Damen und Herren der
Großen Koalition, deswegen auf, ziehen Sie diese Rege-
lung zurück.
Zweitens soll die Einbeziehung von neuen Leistungs-
bescheiden in ein laufendes Gerichtsverfahren erschwert
werden. Hier wird es besonders absurd. Wenn ein Kläger
in einem laufenden Verfahren einen neuen Leistungsbe-
scheid bekommt, der seiner Auffassung nach wieder
falsch ist, so ist es doch nur im Sinne der Effizienz, wenn
der neue Bescheid in das laufende Verfahren mit einbe-
zogen wird. Ansonsten müsste der Kläger für den neuen
Bescheid ein neues Verfahren in die Wege leiten. Eigent-
lich soll doch mit dem Gesetzentwurf die Arbeitsbelas-
tung der Richter reduziert werden. Mit dieser Regelung
konterkarieren Sie dieses Anliegen.
Drittens. Nach dem Willen von CDU/CSU und SPD
werden die Möglichkeiten, ein Berufungsverfahren ein-
zuleiten, eingeschränkt, indem der Beschwerdewert für
ein Berufungsverfahren von bisher 500 Euro auf zukünf-
tig 750 Euro angehoben wird. Damit wird vielen Kla-
genden die Möglichkeit abgeschnitten, in der nächsten
Instanz, ein Urteil überprüfen zu lassen. 750 Euro sind
schließlich im Bereich der Sozialleistungen kein Pap-
penstiel. Zumal man sich vergegenwärtigen muss, dass
ein Leistungsbescheid im SGB II immer nur für sechs
Monate erstellt wird und die Einbeziehung neuer Be-
scheide ja nun auch erschwert wird.
Ich möchte Ihnen nur mal an einem Beispiel darstellen,
was das bedeutet. Ein ALG-II-Beziehender bekommt aus
Nürnberg, von der Bundesagentur, einen Leistungsbe-
scheid, in dem er – seiner Auffassung nach – im Monat um
100 Euro benachteiligt wird. Dieser Bescheid ist für sechs
Monate ausgestellt. Also beträgt der Streitwert 600 Euro.
Eine Berufung ist deswegen nun nicht machbar.
Die Erhöhung des Schwellenwertes zur Berufung
wird im Ergebnis dazu führen, dass gerade denjenigen,
die am meisten darauf angewiesen sind, ein effektiver
Rechtsschutz versagt wird.
Wenn alle Prozessbeteiligten wissen, dass eine Beru-
fung nicht möglich ist, kann das Auswirkungen auf das
Verfahren haben, zum Beispiel einen voreilig geschlos-
senen Vergleich.
Dieses Gesetz geht an den eigentlichen Ursachen der
Klageflut vorbei. Das beste Mittel, Klagen abzubauen
besteht darin, Hartz IV abzuschaffen. Deswegen schlage
ich Ihnen vor: Ersetzen Sie das ALG II samt dem Sank-
tionssystem durch eine repressionsfreie soziale Grundsi-
cherung. Außerdem müssen die Leistungsvereinbarun-
gen zwischen der Bundesagentur und den regionalen
Jobcentern auf den Prüfstand. Diese verpflichten die
Mitarbeiterinnen, bei sogenannten passiven Leistungen
rund acht Prozent einzusparen. Dieser willkürliche Ein-
15376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
sparungsdruck muss weg. Das ist das Mindeste, was Sie
tun könnten, um die Klageflut zu reduzieren.
Dieses Gesetz jedoch setzt nicht an den Ursachen der
Klageflut an. Es beschneidet vielmehr die Möglichkeiten
der Armen in diesem Land, um ihre Recht zu kämpfen.
Erst werden die materiellen sozialen Rechte beschnitten,
und dann werden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich
dagegen zu wehren. Das ist ein Armutszeugnis – aus
rechtstaatlicher wie aus sozialer Sicht.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
vorliegende Gesetzentwurf soll die Sozialgerichte durch
Verfahrensänderungen entlasten. Vorgeblich soll dies
durch die Einführung neuer, bisher nicht im Sozialge-
richtsgesetz vorhandener Instrumente geschehen. Ich
will mich darauf beschränken, auf die sozialrechtlich äu-
ßerst problematischen Regelungen einzugehen, die letzt-
lich zur Ablehnung des Gesetzentwurfes durch die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen führen: Erstens kann ein
Gericht durch die sogenannte Präklusionsregelung Er-
klärungen und Beweismittel zurückweisen, wenn sie erst
nach Ablauf einer gesetzten Frist vorgelegt werden.
Zweitens kann die Zurücknahme einer Klage fingiert
werden, wenn eine Klage von Klägerseite trotz Auffor-
derung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrie-
ben wird. Dieser Vorgang nennt sich Fiktion der Klage-
rücknahme. Drittens werden nach dem vorliegenden
Entwurf neue Verwaltungsakte nach Klageerhebung
nicht mehr automatisch einbezogen. Und viertens
schließlich soll der Zugang zu den Landessozialgerich-
ten als zweiter Instanz durch die Anhebung des Schwel-
lenwertes für Berufungen von 500 auf 750 Euro entlastet
werden.
Die letztgenannte Änderung ist aus meiner Sicht die
schwerwiegendste: Für das Gros derer, die Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – das heißt
Arbeitslosengeld II – beziehen, wird der Streitgegen-
stand unter dem Schwellenwert liegen, weil die Bewilli-
gungsbescheide auf ein halbes Jahr begrenzt sind. Auch
in Streitigkeiten um Zuzahlungen und Hilfsmittel ist
schon der gegenwärtige Schwellenwert für Berufungen
von 500 Euro zu hoch. Somit kommt die weitere Erhö-
hung des Schwellenwerts einer Versagung des Rechts
der Kläger auf eine zweite Tatsacheninstanz gleich. Die
Erhöhung des Schwellenwerts entfaltet besondere Wir-
kung in Verbindung mit der Bestimmung über den Aus-
schluss von Folgebescheiden (§ 96 SGG). Aufgrund der
kurzen Bewilligungszeiträume für das Arbeitslosengeld II
werden regelmäßig weitere Verwaltungsakte während
des Gerichtsverfahrens erlassen. Bisher bestand die
Möglichkeit, gleichartige Bescheide zusammenzuzie-
hen und auf diese Weise den Streitwert zu erhöhen, um
den Schwellenwert für eine Berufung zu erreichen.
Diese systematisch korrekte und völlig legitime Zusam-
menfassung ist künftig nicht mehr möglich, sodass die
typischen Streitfälle wie die Festsetzung der angemesse-
nen Unterkunftskosten künftig nicht mehr revisionsfähig
sind. Im Übrigen trägt der Ausschluss von Folgebeschei-
den, die nicht ausdrücklich den streitgegenständlichen
Bescheid ändern oder ergänzen, nicht zur Verfahrensbe-
schleunigung bei. Im Gegenteil: Es werden neue Verfah-
ren produziert. Den Sozialgerichten muss die Entschei-
dungsfreiheit eingeräumt werden, alle Folgebescheide in
das Verfahren mit einzubeziehen.
Ärgerlich und keineswegs entlastend ist auch die Ein-
führung der Präklusionsregelung. Im Renten- und
Schwerbehindertenrecht kommt es wegen Änderungen
im Krankheitsverlauf und neuer ärztlicher Gutachten
häufig zu Änderungen der Tatsachen- und Beweislage.
Diese neuen Sachverhalte können durch die Einführung
der Möglichkeit der Zurückweisung von Beweismitteln
nach Fristablauf ausgeschlossen werden. Der Amtser-
mittlungsgrundsatz im Sozialgerichtsverfahren wird ein-
geschränkt, ohne dass damit eine nennenswerte Entlas-
tung der Sozialgerichte erfolgt. Denn: Über § 44 SGB X
besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einen neuen An-
trag zu stellen. Eine Entlastung der Gerichte ist daher
nicht zu erwarten. Einer der Gutachter, Herr Professor
Schlegel, der zugleich Richter am Bundessozialgericht
ist, hat diesen Umstand in der Anhörung des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales ausdrücklich bekräftigt und
sich energisch gegen die Präklusionsregelung gewandt.
Bleibt nun noch die Fiktion einer Klagerücknahme zu
bewerten. Hier gilt grundsätzlich zu beachten: Das So-
zialgerichtsverfahren betrifft einen besonderen Personen-
kreis, nämlich Kranke, Menschen mit Behinderungen,
Wohnungslose und andere zumeist eher benachteiligte
Menschen. Die Mehrheit dieser Personen dürfte in
Rechtsdingen unkundig sein, und die Regelungen des
Sozialrechts erschließen sich selbst Fachleuten nicht im-
mer auf den ersten Blick. Bei dieser besonderen Klientel
zumeist Rechtsunkundiger und hilfebedürftiger Perso-
nen kann nicht grundsätzlich angenommen werden, dass
sie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist substanti-
iert darlegen kann, warum ihr Rechtsschutzbedürfnis
weiter fortbesteht. Die Entlastungswirkung für die So-
zialgerichte dürfte allerdings gering sein, da von einer
geringen Zahl von fingierten Klagerücknahmen auszu-
gehen ist. Über § 44 SGB X besteht außerdem auch hier
die Möglichkeit, einen neuen Antrag zu stellen, wenn
das materielle Recht durch eine Entscheidung verletzt
worden ist.
Bleibt festzuhalten: Einige Regelungen des vorliegen-
den Gesetzentwurfs wie etwa die Entlastung von Sozial-
gerichten und Leistungsträgern bei Massenwidersprüchen
oder die Festlegung der erstinstanzlichen Zuständigkeit
der Landessozialgerichte bei Streitfällen zwischen Leis-
tungsträgern sind zwar zu begrüßen. Dies reicht jedoch
nicht aus, um eine Zustimmung zum Gesetzentwurf zu
begründen. Bündnis 90/Die Grünen fordern, dass die So-
zialgerichte vor allem durch eine bessere Qualität der
Verwaltungsbescheide entlastet werden.
In Berlin und Nordrhein-Westfalen gehen zum Bei-
spiel rund 50 Prozent der ALG-II-Klagen zumindest teil-
weise zugunsten der Kläger aus. Zu oft muss wegen Un-
tätigkeit der Behörden geklagt werden. So beschwert
sich das Sozialgericht Berlin in einem an die Sozialsena-
torin gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2006, dass
vielfach nur über einen Antrag auf einstweiligen Rechts-
schutz eine beschleunigte Sachbearbeitung in der Be-
hörde erreicht werden könne. Bis heute hat sich hier an
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15377
(A) (C)
(B) (D)
der unbefriedigenden Situation in der Verwaltung wenig
geändert. Es ist zwar klar, dass die Sozialgerichte seit
2005 durch die Reformen am Arbeitsmarkt mit einer
steigenden Zahl von Verfahren konfrontiert sind. Die
Zahl der Sozialgerichtsverfahren ist seit 2005 von rund
300 000 jährlich auf 400 000 im Jahr 2006 gestiegen und
im Jahr 2007 ist nach vorläufigen Zahlen eine weitere
Zunahme zu verzeichnen gewesen. Dies darf jedoch
nicht zu Verschlechterungen des Rechtsschutzes führen,
wie es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschieht.
Der Verweis der Regierungsfraktionen von CDU/
CSU und SPD darauf, dass die Bundesländer weitaus
schärfere Regelungen wie die Einführung von Sozial-
gerichtsgebühren fordern, kann nicht als mildernder
Umstand für den vorliegenden Gesetzentwurf geltend
gemacht werden. Daher lehnen wir Grüne die Aus-
schussempfehlung und damit diesen Gesetzentwurf ab.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Den Ostseeraum zur
Modellregion für regionale Kooperationen aus-
bauen und den Baltic Sea Action Plan zum Bau-
stein einer Europäischen Meerespolitik weiter-
entwickeln (Tagesordnungspunkt 17)
Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen will den Ostseeraum zur Modellre-
gion für regionale Kooperationen ausbauen. Und sie will
den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi-
schen Meerespolitik weiterentwickeln. Vorweg kann ich
Ihnen versichern: Das wollen wir als Koalition im Prin-
zip auch; aber nicht zu Ihren Konditionen. Der Antrag
der Grünen, den wir heute debattieren, ist unvernünftig,
und er zeugt von einem Aktionismus ohne Balance, den
wir so nicht mittragen können.
Ich möchte Sie an eine Debatte aus dem letzten Som-
mer erinnern. Am 6. Juli des Jahres 2007 haben wir an
dieser Stelle einen Antrag der Koalition angenommen
mit dem Titel „Ostseekooperation weiter stärken und
Chancen nutzen“. Hierin haben wir uns zur Ostsee-
kooperation bekannt und uns ihrer Fortentwicklung und
Vertiefung verpflichtet. Es handelte sich um ein umfang-
reiches Konzept zur wirtschaftlichen, infrastrukturellen,
touristischen sowie – das sage ich ausdrücklich in Rich-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – zur ökologi-
schen Optimierung der Ostseeregion. Vergleicht man Ih-
ren heutigen und unseren damaligen Antrag, so sind
einige Parallelen nicht zu übersehen. Dem von Ihnen
heute so hochgelobten Baltic Sea Action Plan haben wir
schon damals unsere Unterstützung zugesagt. Die Ostsee
soll sich nach unseren Plänen bis zum Jahr 2015 zudem
zum saubersten und sichersten Meer Europas entwi-
ckeln. Wir unterstützen die HELCOM-Maßnahmen zur
Bekämpfung der Eutrophierung sowie den HELCOM-
Ostsee-Aktionsplan, um nur einige Beispiel aus unserem
umfangreichen Antrag exemplarisch herauszugreifen.
Das fordern Sie heute auch. Nur – deshalb ist Ihr Antrag
unglaubwürdig – damals, als das alles schon einmal zur
Debatte stand, haben Sie gegen unseren Antrag ge-
stimmt. Im Juli 2007 stimmten die Grünen gegen die
Stärkung der Ostseekooperation, und heute wollen Sie
den Ostseeraum sogleich zur europäischen Modellregion
erheben. Das ist wahrlich unglaubwürdig.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen auch er-
klären, warum ich Ihnen Aktionismus vorwerfe. Unser
Antrag zur Ostsseekooperation hat wahrlich gute Vor-
schläge gemacht, gerade auch zum Umweltschutz in der
Ostseeregion. Mir persönlich kommt das unweigerlich
so vor, als ob Sie daran zu knabbern haben, dass auch
andere Parteien überzeugende Umweltkonzepte vorle-
gen können. Als Konsequenz kopieren Sie unsere guten
Vorschläge, überfrachten sie aber mit weiteren umwelt-
politischen Konzepten, die weit übers Ziel hinausschie-
ßen. Sie wissen, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen
können, weil er wirtschaftspolitische Mängel aufweist.
Unbekümmert können Sie Ihren Antrag also heute hier
einbringen, nur um sich anschließend wieder selbst auf
die Schultern zu klopfen und sich einzureden, dass Sie
das wahre umweltpolitische Gewissen dieses Parlaments
seien. Das meine ich mit „Aktionismus“. Ich sage aus-
drücklich, dass wir als CDU/CSU den Umweltschutz un-
terstützen, wo wir können. Aber Umweltschutz, Wirt-
schaftspolitik und infrastrukturelle Maßnahmen müssen
in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.
Nur dann ist der Ostseeregion geholfen, und die Unter-
stützung der Ostseekooperation ist für uns – in dieser
Debatte – die oberste Prämisse, damit wir das Beste für
die Menschen dort erreichen.
Aber ich möchte im Folgenden auch noch etwas kon-
kreter auf Ihren Antrag eingehen. Da kritisieren Sie
beispielsweise die Umsetzung des EU-Blaubuchs zur in-
tegrierten Meerespolitik. Die Europäische Union kon-
trolliere die Einhaltung der meerespolitischen Vorgaben
nach Ihrem Geschmack beispielsweise nicht ausrei-
chend. Sie beschweren sich – ich zitiere –: „Die Verant-
wortung für die Umsetzung bleibt in den Händen der
Mitgliedstaaten.“ Und kurz darauf heißt es hier: „Daher
müssen Standards und Maßnahmen auf die unterschied-
lichen Regionen zugeschnitten sein.“ Einerseits kontrol-
liert Ihnen die EU das Vorgehen der Ostseestaaten nicht
ausreichend zentralistisch, und gleichzeitig fordern Sie
regionale Lösungen vor Ort. Das widerspricht sich doch.
Für die Union sind maßgeschneiderte Konzepte vor Ort
– dort wo die Probleme die Menschen unmittelbar be-
schäftigen – immer besser als hoheitliche Bestimmungen
einer Zentralgewalt. Die Menschen in den acht Ostsee-
anrainern wissen am besten, wo ihnen der Schuh drückt.
Es ist einem schwedischen Ostseefischer beispielsweise
doch nicht vermittelbar, warum in Brüssel über seine Be-
lange entschieden wird, von Spaniern und Italienern, die
fernab von der Ostsee liegen, oder von Österreichern
und Luxemburgern, die über gar keine Küste verfügen.
Wir sprechen uns für regionale Lösungen aus, damit die-
jenigen die Probleme der Ostseeregion lösen, die alltäg-
lich mit diesen Problemen leben. Das ist auch im Sinne
des Subsidiaritätsprinzips.
Nichtsdestotrotz lassen wir den Vorwurf nicht gelten,
die Maßnahmen des Baltic Sea Action Plans seien nicht
verbindlich genug. Auf Grundlage des europäischen
15378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Rechts sind die Mitgliedstaaten doch ohnehin zur Ein-
haltung der Mehrzahl der Regelungen verpflichtet.
Sichere Schifffahrt, effizientes Notfallmanagement, ge-
ringstmögliche Luft- und Wasserverschmutzung durch
die Schifffahrt, in diesen Punkten spricht das europäi-
sche Recht ohnehin strikte Verpflichtungen aus. Der Bal-
tic Sea Action Plan nimmt sogar Russland als Nicht-EU-
Mitglied in die Pflicht und fordert von ihm konkrete
politische Maßnahmen. Das ist doch bereits ein großer
Erfolg. Folglich verstehen wir die Intention Ihres An-
trags nicht. Weiterhin fordern Sie von uns, mehr An-
strengungen im Umweltschutz, und das obwohl der Bal-
tic Sea Action Plan bereits fortschrittlichste Regelungen
integriert. Hinsichtlich der Eutrophierung – gemeint sind
nachteilige Auswirkungen durch Überdüngung – wurden
länderübergreifende vorläufige Ziele der Reduzierung
der Nährstoffeinträge vereinbart. Dann wurden Maßnah-
men zur Verbesserung der Wasserqualität in Angriff ge-
nommen. Es handelt sich hierbei um einen äußerst wich-
tigen Schritt. Denn steigt die Wasserqualität der Ostsee,
wächst auch die Funktionalität der Ökosysteme. Hier-
durch beugen wir einem Verlust an Biodiversität, also
dem Verlust an Artenvielfalt in der Ostsee, vor. Bei der
Ausarbeitung des Baltic Sea Action Plans wurde zudem
der Ökosystemansatz beachtet. Die Verantwortlichen ha-
ben folglich alle menschliche Aktivitäten, die sich nach-
teilig auf den Zustand der Ostsee auswirken, in ihre
Überlegungen miteinbezogen und versuchen, sie regu-
lierend und integrativ miteinander in Einklang zu brin-
gen. Nach unserer Überzeugung ist ihnen dies im beson-
deren Maße gelungen. Sie sehen also: Der Baltic Sea
Action Plan ist ein ausgewogenes, hochmodernes Kon-
zept zur Fortentwicklung der Ostseekooperation. Vieles
von dem, was Sie fordern, wurde bereits umgesetzt. Der
Plan integriert ökologische, wirtschaftliche und soziale
Gesichtspunkte und schafft ein Gleichgewicht aller drei
Säulen. Was wollen Sie mehr?
Ich kann Ihre Vorgehensweise grundsätzlich ja nach-
vollziehen. Der Mensch strebt nach Sicherheit. Also
fordern sie strengere rechtliche Kontrollen und zentralis-
tische Entscheidungen, weil Sie glauben, den zugegebe-
nermaßen großen und unübersichtlichen Ostseeraum mit
seinen acht Anrainerstaaten nur so erfassen zu können.
Aber ich rate Ihnen: Vertrauen Sie der Eigenverantwor-
tung der Menschen in den betroffenen Regionen. Wir ha-
ben die historisch erstmalige Situation, dass die Ostsee
kein Meer mehr zwischen verfeindeten Staaten ist. Die
Ostsee ist heute die Brücke zwischen gleichberechtigten
Partnern, zwischen Freunden. Mit großer Tatkraft sind
die Ostseestaaten das ambitionierte Projekt angegangen,
eine gemeinsame Ostseepolitik zu entwickeln, um aus
dieser Region mit ihrem immensen Potential das Maxi-
mum herauszuholen. Sie haben tolle Ergebnisse erzielt.
Die Regierungen der Ostsseestaaten und die Bürgerin-
nen und Bürger in diesen Staaten haben eigenverant-
wortlich eine Strategie der Zusammenarbeit geschaffen.
Mit Ihrem Antrag würden Sie diese Kooperation nun in
ein rechtliches und bürokratisches Korsett zwingen, das
kaum noch Luft zum Atmen lässt. Wo rechtliche Kon-
trollen angebracht sind, sind diese auch vorzunehmen;
da stimmen wir mit Ihnen überein. In diesem Punkt gibt
es bereits strenge Vorgaben. Doch darüber hinaus wollen
wir den Betroffenen Raum zur Selbstentfaltung geben,
zur eigenen Konzeption von Problemlösungen. Die
Menschen, die an der Ostsee leben, an und mit ihr arbei-
ten, haben ein vitales Interesse an einer gesunden und
fortschrittlichen Ostsee. Sie werden zu guten gemeinsa-
men Ergebnissen kommen. Der Baltic Sea Action Plan
ist bereits ein solches Ergebnis.
An diesem Punkt möchte ich auch noch etwas zu dem
zweiten großen Aspekt Ihres Antrags sagen. Sie wollen
die Ostseekooperation zum Modellprojekt für regionale
Kooperation erklären. Sie wollen ferner ähnliche Kon-
zepte für andere europäische Meere: für das Mittelmeer,
das Schwarze Meer und das Kaspische Meer. Die Idee
hat ihren Reiz; das gebe ich gerne zu. Was in der Ostsee
funktioniert, könnte die EU schlicht auf andere Regio-
nen in ihrem Hoheitsgebiet übertragen. Und schon wür-
den auch andere Regionen florieren, könnte man denken.
Ich glaube nur nicht, dass das in der Praxis funktioniert.
Denn Sie missachten zweierlei. Zum einen ist die Ost-
seeregion nicht so ohne Weiteres mit der Mittelmeer-
region zu vergleichen. Beiderorts spielen unterschiedli-
che Industriezweige eine Rolle. Beiderorts haben die
Anrainerstaaten verschiedene Interessen. Kurzum: Die
politischen Rahmenbedingungen sind gänzlich unter-
schiedlich. Es braucht stattdessen individuell zuge-
schnittene Konzepte, die für die jeweilige Region die je-
weils besten Resultate erzielen können. Zum anderen
missachten Sie die historische Dimension der Ostsee-
kooperation. Wie ich bereits sagte, standen sich rund um
die Ostsee über Jahrhunderte Feinde gegenüber. Erst in
den letzten Jahrzehnten ist der Gedanke der Zusammen-
arbeit gewachsen. Vor allem aber: Der Wille zur Zusam-
menarbeit ist in den betroffenen Staaten selbst gereift. Er
wurde nicht von außen verordnet.
Dass die Kooperation in der Ostsee heute so gut funk-
tioniert, ist ein großes Glück. Folgendes geht jedoch
nicht: Wir können nicht andere Regionen Europas von
oben mit der Holzhammermethode zur Kooperation ver-
urteilen. Es ist gut, wenn sich die Völker zur Zusammen-
arbeit entschließen. Aber sie müssen es von sich aus
wollen. Ansonsten ist die Kooperation von Anfang an
zum Scheitern verurteilt. Ich fordere Sie deshalb zu et-
was mehr Zurückhaltung und Gelassenheit auf. Die Ost-
seekooperation besitzt ohnehin viel Attraktivität und
Strahlkraft. Für das Jahr 2013 ist eine umfangreiche
Kontrolle des Baltic Sea Action Plans geplant. Dann
wird eine Zwischenbilanz gezogen: Greifen die Kon-
zepte? Kann die Entwicklung der Umweltverschmut-
zung gestoppt und umgekehrt werden? Wächst die Re-
gion wirtschaftlich? Meine Fraktion glaubt an den Erfolg
des Baltic Sea Action Plans. Wenn er positive Wirkung
entfaltet, wird man dies in ganz Europa fasziniert zur
Kenntnis nehmen. Dann werden sich die Staaten an an-
deren Meeren die Frage stellen, wie sie Ähnliches für
sich erreichen können. Und so kann langfristig Koopera-
tion entstehen. Unsere Herangehensweise ist unaufge-
regter als Ihre. Wir setzen auf den langfristigen Erfolg,
nicht auf schnelle plakative Forderungen nach einem
Mehr auf allen Ebenen. Mehr Umweltschutz, mehr Wirt-
schaftswachstum, mehr Kooperation an allen europäi-
schen Meeren, das hört sich gut an. In der Praxis braucht
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15379
(A) (C)
(B) (D)
es jedoch nicht nur gut klingende Forderungen, sondern
detaillierte und komplexe Konzepte. Der Baltic Sea
Action Plan ist ein solches Konzept. Er wurde von uns
bereits seit langem auf den Weg gebracht und unter-
stützt. Sie kommen mit Ihrem Antrag folglich ein halbes
Jahr zu spät.
Die CDU/CSU-Fraktion wird Ihren Antrag heute ab-
lehnen.
Dr. Margrit Wetzel (SPD): Meere verbinden. Meere
verbinden? – Ganz sicher nicht von selbst. Zunächst ein-
mal wissen die Menschen, die an den Küsten von Ostsee,
Mittelmeer, Schwarzem und Kaspischem Meer leben,
dass in den Ländern jenseits ihrer Küste unterschiedliche
Sprachen gesprochen, andere Kulturen gelebt und
fremde Traditionen gepflegt werden. Es gibt andere Ge-
setze, Gepflogenheiten, Verfahren.
Andererseits ist das Meer zwischen diesen oft sehr
unterschiedlichen Ländern durchaus gemeinsamer
„Nützling“ als Verkehrsweg, Rohstoffquelle, Nahrungs-
mittellieferant, Energieträger, Quelle für Medikamente,
für technologischen Fortschritt, für Tourismus, für Frei-
zeitvergnügen. Zugleich ist es auch – und dabei erst
recht gemeinsam – „Schützling“: es muss in ökologi-
schem Gleichgewicht gehalten werden und dies trotz
vielfältiger belastender Einleitungen von Land. Das
Meer muss für die Menschen an seinen Küsten und für
die Schifffahrt sicher gemacht werden, es muss ge-
schützt, gepflegt und bewahrt werden.
Spätestens dort sind wir beim Kern des Antrags der
Opposition, den es heute zu beraten gilt: Dass Meere
verbinden, ist mit politischem Willen verbunden, und
letztlich ist es ein langer Weg, bis das verbindende Meer
wirklich von allen Anrainerländern so gesehen, so be-
handelt und so in Wert gesetzt wird.
Bei der Ostsee ist das bereits ganz gut gelungen. Das
sehen die Koalitionsfraktionen so, und das sieht offenbar
auch die Opposition so. Was im vorliegenden Antrag be-
klagt wird, sind gewisse Unverbindlichkeiten in dem,
was politisch gemeinsam gewollt wird, Unverbindlich-
keiten im Blaubuch der EU-Kommission, bei der in Aus-
sicht stehenden Meeresstrategierichtlinie, Unverbind-
lichkeiten im Baltic Sea Action Plan, der doch Beispiel
geben soll für die anderen großen Binnenmeere im euro-
päischen Raum bzw. beim Kaspischen Meer als Ener-
gieweg nach Europa.
Ich möchte Ihr Augenmerk dabei auf zwei Schwer-
punkte lenken: Zum einen auf die Unverbindlichkeit
selbst. Angesichts unterschiedlichster nationaler Gesetze
und Zuständigkeiten – gerade wir in Deutschland mit un-
serem Föderalismus können ein Lied davon singen – ist
eine gewisse Unverbindlichkeit, ein gewisser Spielraum
beim Vorschreiben der Umsetzungen von gemeinsam
politisch gewollten Zielen unbedingt nötig. Wir sind es
doch, die immer wieder auf Subsidiarität pochen, die na-
tionale Spielräume verlangen, insbesondere doch dann,
wenn wir das Verlangte bereits übererfüllen und daher
durch europäische Vorgaben ein Absenken unserer Stan-
dards befürchten. Mich erinnert die Forderung nach
mehr Verbindlichkeit immer an den viel geforderten Bü-
rokratieabbau: All jene, die ihn besonders laut fordern,
sind doch die gleichen, die eine Regelung bis ins Letzte
erwarten, wenn wir Gesetze schaffen, die bewusst Spiel-
räume für die Umsetzung öffnen. Das ist hier genauso.
Es liegt doch an uns, wie wir die EU-Vorgaben in natio-
nales Recht und in nationales Handeln umsetzen, welche
Verbindlichkeit wir ihnen geben!
„Ja, aber die anderen Länder, die nicht so bewusst
handeln, die müssen wir dazu bringen, dass sie durch
Verbindlichkeit gezwungen werden, ebenso zu tun“
– das scheint hinter dieser Forderung nach Verbindlich-
keit zu stecken. Genau da liegt – und das ist der zweite
Punkt, den ich beleuchten möchte – die Crux, wie wir
schnell am Beispiel der Ostsee und des Baltic Sea Action
Plan erkennen können.
Denn was wurde in langen Jahren gemeinsamen und
freiwilligen Entwickelns, Diskutierens, Beratens in ei-
nem umfangreichen Netzwerk der „Ostseeakteure“ alles
geschaffen, bis es zu dem heute Erreichten kam: es gibt
den Ostseerat, in dem neben den EU-Anrainerstaaten
auch Russland, Norwegen und Island vertreten sind und
eine Reihe anderer Länder, darunter Frankreich, die
Ukraine und die USA, Beobachterstatus haben. Regel-
mäßige zielgerichtete gemeinsame Arbeit der hochrangi-
gen und kompetenten Vertreter führen zu Ergebnissen,
die dann auch von allen Ländern akzeptiert werden. Be-
sonders den Schutz der Meeresumwelt hat die Helsinki-
Kommission zum Ziel, unterstützt wird die ganze Netz-
werkarbeit durch Abgeordnete der nationalen Parla-
mente in der Ostseeparlamentarierkonferenz und mit der
sogenannten Politik der Nördlichen Dimension, die
durch die Europaparlamentarier initiiert wurde.
Wir bringen uns in diesem Netzwerk ein: durch die
Regierung, die ihre Vertreter in gemeinsame Sitzungen
und Konferenzen schickt, durch die Treffen der Regie-
rungschefs, der Außenminister, der Fachminister, der
Ressorts. Wir bringen uns auch direkt ein durch unsere
Kollegen, die an Parlamentarierkonferenzen teilnehmen,
durch Anträge, die wir im Deutschen Bundestag beraten
und verabschieden.
„Nichts anderes wollen wir mit unserem Antrag!“
werden nun die Grünen sagen. Aber: Die Absicht ist gut,
die Liste all dessen, was wünschenswert sein mag, ist
umfangreich – aber sie kommt schlicht deutlich zu spät.
Anfang Juli letzten Jahres haben die Koalitionsfraktio-
nen einen Antrag recht ähnlichen Inhalts verabschiedet,
und zwar rechtzeitig vor der 16. Jahrestagung der Ost-
seeparlamentarierkonferenz, die im August stattfand.
Mir scheint fast, verehrte Kollegen von den Grünen, Sie
hätten Ihren Antrag als Protokoll der Ostseeparlamenta-
rierkonferenz geschrieben und alles aufgelistet, was dort
diskutiert wurde. Insofern, liebe grüne Kollegen, kom-
men Sie jetzt zu spät, Sie werfen sich – wie häufig – hin-
ter den fahrenden Zug und schreien ganz laut, dass er
endlich abfahren soll. Nein, dafür gibt es trotz vieler gu-
ter Inhalte kein Lob: Die Politik, die Sie wollen, wird ge-
macht – durch die engagierte Arbeit der Regierungsver-
treter, die erst mit dafür gesorgt haben, dass wir ein
funktionierendes Ostseenetzwerk haben, dass viele der
15380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Regelungen aus dem Baltic Sea Action Plan – den Sie
verbindlicher weiterentwickeln wollen – bereits durch
EU-Vorgaben für die Mitgliedstaaten verbindlich sind.
Sie wissen doch, dass die Anlage VI zum MARPOL-
Übereinkommen in Deutschland längst umgesetzt ist,
was wir alles tun für eine sichere Schifffahrt, für ein klu-
ges Notfallmanagement, was wir alles tun für die Sau-
berhaltung der Meere, gegen das Einschleppen fremder
Arten. Sie kennen unsere Aktivitäten für die Luftreinhal-
tung durch SECA, durch das Voranbringen von landge-
stützter Stromversorgung, den Einsatz für Destillate und
die Einbindung der Schifffahrt in den Emissionshandel.
Und ganz wichtig: Russland ist durch den BSAP mit ins
Boot geholt worden. So etwas schaffen wir nicht für das
Mittelmeer, das Schwarze und das Kaspische Meer
durch einen Beschluss im Deutschen Bundestag.
Das Ostseenetzwerk gibt Beispiel, der Ostseerat, in
dem Beobachter auch aus Nicht-Anrainerstaaten sind,
gibt Beispiel für die anderen Binnenmeere, und zwar
ohne durch eine zu hohe Verbindlichkeit gleich abzu-
schrecken. Das Ostseenetzwerk ist Beispiel dafür, wie
durch gemeinsames politisches Wollen die verbindenden
Meere von allen Anrainerländern genutzt, aber auch ge-
schützt und gesichert werden können.
Dieses gute Beispiel ist es, das wirken wird und das
wir auf EU-Ebene auch intensiv unterstützen können:
Wir können und sollten die Anrainerstaaten des Mittel-
meeres, des Schwarzen und des Kaspischen Meeres mo-
tivieren, sich ein Beispiel zu nehmen, sowohl am Ostsee-
netzwerk als auch an einem selbstverständlich weiter zu
entwickelnden BSAP, besser noch an seiner konsequen-
ten Umsetzung durch die Staaten rund um die Ostsee.
Für einen Schaufensterbeschluss des Bundestages, in
dem die Regierung aufgefordert wird, so zu handeln, wie
sie es sowieso in vorbildlicher Weise bereits tut, sind wir
uns nicht nur zu schade, wir sind auch überzeugt davon,
dass wir den Nationalparlamenten und Regierungen der
anderen europäischen und europanahen Binnenmeere so
viel politischen Verstand zutrauen können, dass auch sie
sich auf den sicher beschwerlichen Weg der entspre-
chenden meeresübergreifenden Kooperation machen
werden. Unser gutes Beispiel vor Augen, werden sie vie-
les von der Zeit einsparen und auch einsparen müssen,
die wir gebraucht haben, so weit zu kommen, wie wir
sind. Beispiel geben als Hilfe zur Selbsthilfe – das ist es,
was wir wollen. Deshalb werden wir den vorliegenden
Antrag nach der erfolgten intensiven Beratung im Fach-
ausschuss jetzt ablehnen.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Im vergange-
nen Jahr haben wir in Vorbereitung der Ostseeparlamen-
tarierkonferenz hier im Deutschen Bundestag auf der
Grundlage von zwei Anträgen der Regierungskoalition
und des Antrages „Zukunftschancen des Ostseeraums –
Wirtschaft, Ökologie, Kultur und Tourismus“ der FDP-
Bundestagsfraktion über den Ostseeraum debattiert. Die-
ser Antrag der Grünen kommt ein wenig später.
Der Antrag hat zwar den Ostseeraum in der Über-
schrift, widmet sich jedoch dem Ostseeraum nur neben-
bei. Das ist schade. Die Entwicklungen im Ostseeraum
sind ein hervorragendes Beispiel dafür, dass eine auf
langfristige Entwicklungen angelegte, kluge Politik für
die Menschen spürbare Verbesserungen ihrer Lebens-
bedingungen bringt. Die zu Zeiten der sozialliberalen
Koalition angelegte Entspannungspolitik hat ihre Krö-
nung durch die deutsche Wiedervereinigung erhalten.
Die singende Revolution der baltischen Länder und die
Erweiterung der EU im Jahr 2004 um die neuen Mitglie-
der im Ostseeraum Litauen, Lettland, Estland und Polen
sind wichtige Wegmarken dieses langen politischen Pro-
zesses. Großen Anteil an diesem Wandel hatte der dama-
lige deutsche Außenminister, Hans-Dietrich Genscher,
als Architekt der deutschen Einheit. Heute wachsen die
Staaten im Ostseeraum weiter zusammen. Es haben sich
vielfältige internationale Kooperationen gebildet, die
sich dem Ziel einer gemeinsamen Interessenvertretung
im Ostseeraum verpflichtet fühlen.
Die Ostseeparlamentarierkonferenz im vergangenen
Jahr in Berlin war eine eindrucksvolle Demonstration,
dass die Menschen im Ostseeraum sich seit dem Zusam-
menbruch des Ostblocks zunehmend als zusammenge-
hörig empfinden. Die Ostsee ist seit dem Beitritt der drei
baltischen Länder und Polen im Jahr 2004 in die EU na-
hezu ein EU-Meer; einziger weiterer Anrainer ist Russ-
land mit dem Kaliningrader Gebiet und St. Petersburg.
Deutschland gehört zu den Ostseeanrainerländern, hat
die Entwicklungen hier mitgestaltet. Ob andere Regio-
nen, wie die im Antrag genannte Region um das
Schwarze Meer, die Entwicklungen im Ostseeraum als
nachahmenswertes Modell für die eigene Entwicklung
empfinden, werden diese Länder entscheiden. Wir kön-
nen auf die positiven Entwicklungen im Ostseeraum ver-
weisen, doch wir sollten jede Bevormundung anderer
Länder vermeiden.
Zu den positiven Entwicklungen des Ostseeraums ge-
hört auch die deutliche Verminderung der ökologischen
Belastung der Ostsee, auch wenn auf diesem Gebiet
noch viel zu tun ist. Wer weitere politische Maßnahmen
einfordert, muss zunächst Bilanz ziehen, was die bisheri-
gen Investitionen erbracht haben. Die Darstellungen zur
Ökologie der Ostsee im vorliegenden Antrag sind un-
vollständig und berücksichtigen die Entwicklungen der
letzten beiden Jahrzehnte nicht. Gerade die Investitionen
in Kläranlagen im Einzugsgebiet der Ostsee haben sich
positiv ausgewirkt. Seit 20 Jahren sind deutliche Minde-
rungen der Schadstoffeinträge zu verzeichnen. Wir
freuen uns über Erfolge im Umweltschutz. Gleichzeitig
gilt, dass die Schadeinträge in die Ostsee der letzten
Jahrzehnte nicht in wenigen Jahren ungeschehen ge-
macht werden können.
Der Forderungskatalog im Antrag der Grünen ist ein
breit angelegter Warenhauskatalog, in dem für jedes
Politikfeld ein Angebot gemacht wird. Ich will nur ei-
nige Stichworte nennen, die die Breite des Angebots in
der Außenpolitik beschreiben: Zentralasienstrategie, Ko-
operation mit der Shanghai Cooperation Organization
suchen, Meeresschutz in den Beitrittsverhandlungen der
Türkei.
Völlig ausgeblendet werden jedoch die vielfältigen
Probleme, die durch die illegale Fischerei weltweit, aber
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15381
(A) (C)
(B) (D)
auch regional in der Ostsee verursacht werden. Die Neu-
festsetzung der Dorschfangquoten am Ende des letzten
Jahres für 2008 durch die EU stoßen bei den deutschen
Fischern auf großes Unverständnis. Die Fangquote soll
für die westliche Ostsee um 29 Prozent sinken, für die
östliche Ostsee nur um 5 Prozent. Dies entspricht einer
Gesamtreduzierung von 19 Prozent. Durch die ungleich-
mäßige Verteilung der Ost-/Westquoten bei den einzel-
nen Mitgliedstaaten bedeutet diese Reduzierung zum
Beispiel für Polen nur ein Minus von 10 Prozent. Vor
dem Hintergrund der Tatsache, dass Polen im letzten
Jahr insbesondere durch illegalen Fischfang aufgefallen
ist und den von der EU verhängten Fangstopp nicht ein-
gehalten hat, wirkt diese Entscheidung in den Augen der
deutschen Fischer wie der blanke Hohn. Illegale Fische-
rei darf sich nicht lohnen. Daher ist es gut, dass auf EU-
Ebene die Anstrengungen zur Eindämmung der illegalen
Fischerei deutlich verstärkt werden.
Die FDP lehnt den vorliegenden Antrag ab.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): „Die Ostsee steht auf
der Kippe“ – sagt der WWF. Sie ist also weit davon ent-
fernt, eine Modellregion zu sein. Selbst die bisherigen,
unzureichenden Beschlüsse der HELCOM wurden nach
Untersuchungen des WWF nicht oder nur teilweise er-
füllt. Und auch der im November beschlossene Aktions-
plan reicht nach Ansicht des WWF noch lange nicht aus.
Problem vertagt. Patient tot.
Warum steht die Ostsee auf der Kippe? Warum muss
umgehend gehandelt werden, und nicht erst in zehn Jah-
ren? Die Ostsee ist weitgehend leergefischt; der Dorsch
zum Beispiel ist vom Aussterben bedroht. Die beschlos-
senen Maßnahmen greifen erst in zehn Jahren. Wenn es
dann nicht zu spät ist. Die sauerstoffarmen und -freien
Bereiche werden immer größer – auf einem Sechstel ih-
rer Fläche ist die Ostsee bereits praktisch tot. Ursache
sind die immensen Einleitungen von Stickstoffverbin-
dungen und Phosphaten, überwiegend durch die Land-
wirtschaft. Die sollen verringert werden – spätestens ab
2016. Das ist viel zu wenig und viel zu spät. Die Land-
wirtschaft ist auch für die Einleitung der Pestizide ver-
antwortlich. Dieses und andere Gifte lagern sich über
kurz oder lang in den Meeresbewohnern ab, die wir dann
vielfach essen.
Am Grunde der Ostsee schlummern erhebliche Men-
gen von Munitionsaltlasten aus den Kriegen. Immer wie-
der gelangt einiges davon auch an die Strände: Das be-
deutet Lebensgefahr für Menschen. Bei Explosionen
unter Wasser sterben Wale, wenn sie wegen der
Schallausbreitung nicht qualvoll verenden. Diese Altlas-
ten gefährden nun auch den Bau der Ostseepipeline, die
ebenfalls die Ostsee gefährdet. Nicht nur wegen des
Baus, sondern auch durch die geplante sogenannte Rei-
nigung mit dem Gift Glutaraldehyd. Das ist sogar nach
Auffassung der Bundesregierung sehr giftig für Wasser-
organismen. Diese und weitere Probleme werden auch
im Antrag benannt. Und an all diesen Problemen trägt
die Bundesregierung eine nicht unerhebliche Mitschuld
oder Mitverantwortung!
Erstaunlich ist deswegen, dass die Bundesregierung
in diesem Antrag zu keinen nationalen Maßnahmen auf-
gefordert wird. Alle Forderungen sind auf die europäi-
sche Ebene ausgerichtet. Natürlich sind diese Forderun-
gen alle gut und richtig. Deswegen stimmen wir dem
Antrag auch zu. Aber die Meeresschutzrichtlinie ist
praktisch schon beschlossen. Leider ohne die europäi-
sche Landwirtschafts- und Fischereipolitik bindend ein-
zubeziehen. So ist diese Richtlinie ein weitgehend zahn-
loser Tiger. Die Nationalstaaten können weitgehend
machen, was sie wollen. So wird der Schutz der Meere
nicht vorankommen. Genau deswegen müssen die Na-
tionalstaaten in die Pflicht genommen werden. Und ge-
nau deswegen wollen wir die Bundesregierung in die
Pflicht nehmen. Dass die Grünen das nicht wollen, ver-
wundert mich ein wenig.
Es ist aus meiner Sicht schon etwas merkwürdig, dass
sich die Bundesregierung für eine Meeresstrategie im
Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer einsetzen
soll. Das ist grundsätzlich sicher wünschenswert. Aber
wer seine Hausaufgaben nicht macht, kann nicht glaub-
würdig andere dazu drängen, mehr für den Schutz der
Meere zu tun.
Für die Bundesregierung gibt es aber genug zu tun,
damit die Ostsee wirklich zur Modellregion werden
könnte: Es sind zwar ein paar Meeresschutzgebiete aus-
gewiesen, das stimmt. Das heißt aber nicht viel; denn da
kann jeder machen, was er will. Insbesondere in der
Nordsee. Im Nationalpark Wattenmeer finden Ölbohrun-
gen statt. In den in der Nordsee ausgewiesenen FFH-Ge-
bieten wird in großem Stil Sand und Kies abgebaggert.
Auch die Offshorewindernergieanlagen sind nicht un-
problematisch. Dass hierfür jeweils bedenkenlos Geneh-
migungen erteilt werden, zeigt, dass der Meeresschutz
bislang nur auf dem Papier steht.
Zur Reduzierung der Düngemitteleinträge in die
Flüsse – und damit in die Meere – hört und liest man von
der Bundesregierung Absichtserklärungen, zum Beispiel
in der nationalen Biodiversitätsstrategie. Selbst das
reicht nicht aus, wobei noch lange nicht sicher ist, dass
dem konkrete Maßnahmen folgen. Die Reduzierung des
Stickstoffeintrags wird ja nur angestrebt. Wie man hört,
soll die Landwirtschaft im Umweltgesetzbuch sogar ei-
nen Freifahrtschein bekommen. Für die gute fachliche
Praxis will der Bund keine Vorgaben machen. Wie wol-
len Sie Ihre Ziele da erreichen? Das bleibt wohl nicht nur
mir schleierhaft.
Bei der Beseitigung der Munitionsaltlasten muss das
unsägliche Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund und
den an die Ostsee angrenzenden Bundesländern endlich
beendet werden. Der Bund muss hier endlich Verantwor-
tung übernehmen. Die Bundesrepublik als Rechtsnach-
folger des Deutschen Reiches ist für die Munition der
Reichswehr – denn darum handelt es sich überwiegend –
verantwortlich. Es kann nicht sein, dass nur da die Muni-
tion beseitigt wird, wo die unsägliche Ostseepipeline ge-
baut wird.
Zu guter Letzt will die Bundesregierung eine feste
Fehmarnbelt-Querung bauen, und zwar mitten durch ein
FFH-Gebiet in der Ostsee. An dieser Stelle wäre der
15382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Umweltschutz ganz einfach: Lassen Sie es einfach sein.
Es gibt viel zu tun – packen Sie es an!
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Unsere Meere sind Lebensraum für Tiere und
Pflanzen, Klimaregulierer, Nahrungsquelle und Erho-
lungsgebiete. Als Handels- und Transportwege verbinden
sie Menschen über nationalstaatliche Grenzen hinweg.
Damit sind sie im wahrsten Sinne des Wortes verbinden-
des Element. Die Halbinsel EU grenzt an Nordsee, Ost-
see, Atlantik, Mittelmeer und seit den EU-Beitritten von
Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2007 auch ans
Schwarze Meer. Damit steht die EU in der Verantwor-
tung, ihr maritimes Erbe zu erhalten. Dieses Erbe ist ge-
fährdet durch wachsenden Schiffsverkehr, unsichere Öl-
tanker, Überfischung, Überdüngung durch Einträge aus
der Landwirtschaft, Munitionsaltlasten und Vieles mehr.
Der Schutz unserer Meere ist für uns essenziell. Diese
Einsicht beginnt sich im europäischen Bewusstsein
durchzusetzen. Mit dem Blaubuch zur Europäischen
Meerespolitik und der Meeresstrategierichtlinie hat die
EU wichtige Schritte hin zu einer umfassenden Meeres-
politik gemacht. Nun ist es an der Zeit, über den Teller-
rand der EU hinauszublicken und die Meere verstärkt als
Instrument regionaler Kooperation zu nutzen.
Ein Ansatzpunkt sind verbesserter Meeresschutz und
mehr Sicherheit auf See. Maßnahmen, Zeitpläne und
Verantwortlichkeiten sollten regional auf Art und Grad
der Verschmutzung der Meere abgestimmt sein. Diesem
Ziel kommt der Baltic Sea Action Plan der Helsinki-
Kommission ein gutes Stück näher. Im vergangenen No-
vember haben sich alle Ostseeanrainer auf das regionale
Maßnahmenpaket geeinigt. Der Aktionsplan für die Ost-
see bezieht auch das Nicht-EU-Mitglied Russland ein.
Damit eignet er sich hervorragend als Vorbild regionaler
Kooperation.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen fordern, den Baltic
Sea Action Plan zu einem verbindlichen Maßnahmen-
paket mit konkreten Zielen und Zeitplänen werterzuent-
wickeln und zum regionalen Baustein einer Europäi-
schen Meerespolitik zu machen. Wir haben jetzt die
Chance, den Ostseeraum als Modellregion für regionale
Kooperationen zu etablieren. Eine Modellregion Ostsee-
raum sollte Vorbildfunktion für weitere regionale Ko-
operationen übernehmen, zum Beispiel im Schwarz-
meerraum und im kaspischen Raum.
Die EU hat ein handfestes Interesse an regionaler
Kooperation. Regionale Maßnahmen für Meeresschutz
und Sicherheit auf See sind unbedingt notwendig und
bieten gute Anknüpfungspunkte für Kooperationen über
Meerespolitik hinaus. Die Schwarzmeerregion und die
kaspische Region beispielsweise gewinnen als Energie-
transitrouten zunehmend an Bedeutung. Das Kaspische
Meer ist die Brücke nach Zentralasien, einer Wirt-
schaftsregion mit wachsenden Märkten und steigendem
strategischen Gewicht. Sowohl das Schwarze Meer als
auch das Kaspische Meer sind erheblichen Belastungen
durch Schiffsverkehr, Ölverschmutzung, Industrieein-
träge und eine nicht nachhaltige Fischerei ausgesetzt.
Um verbindliche Vereinbarungen über Umwelt- und
Sicherheitsstandards sowie regionales Wassermanage-
ment und Energiekooperation zur Förderung erneuer-
barer Energien zu treffen, sollte die EU an bestehende
regionale Initiativen anknüpfen wie die Schwarzmeer-
Wirtschaftskooperation, die Eurasische Wirtschaftsge-
meinschaft oder die Shanghai Cooperation Organization.
Zentral ist, Russland mit ins Boot zu holen. Außerdem
sollte die EU entsprechende Vereinbarungen in ihr In-
strument der Europäischen Nachbarschaftspolitik und in
Assoziierungs- und Beitrittsabkommen aufnehmen.
Wir wollen mit unserem Antrag die Meere als Instru-
ment regionaler Kooperation für mehr Meeresschutz und
Sicherheit auf See nutzen und als Anknüpfungspunkt ei-
ner verstärkten regionalen Zusammenarbeit. Die schwe-
dische Regierung hat angekündigt, dass sie die regionale
Kooperation im Ostseeraum während ihrer Ratspräsi-
dentschaft im zweiten Halbjahr 2009 als Modell für wei-
tere Kooperationen fördern will. Unser grüner Antrag
wird da sicherlich vielfältige Anregungen auch für die
parlamentarische Arbeit der anderen Fraktion bieten.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel-
gesetzbuches sowie anderer Vorschriften
(Tagesordnungspunkt 18)
Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Vor dem
Hintergrund der sogenannten Gammelfleischfälle hat die
Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren erheb-
liche Anstrengungen unternommen, um Verbraucher
künftig besser schützen zu können. Im letzten Jahr haben
wir das Verbraucherinformationsgesetz beschlossen, ein
Meilenstein im Verbraucherschutz. Dadurch haben die
Verbraucher erstmalig einen gesetzlich festgelegten An-
spruch auf behördliche Information bei Verstößen gegen
das Lebens- und Futtermittelrecht. Um noch einmal da-
ran zu erinnern: Die sogenannte Verbraucherschutz-
ministerin der letzten Bundesregierung war dazu nicht in
der Lage.
Mit dem jetzt von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebens- und
Futtermittelgesetzbuches werden wir die Barrieren für
die schwarzen Schafe in der Lebensmittelbranche noch
einmal hochsetzen. So gab es Fälle, bei denen nicht si-
chere Lebensmittel zwar von Abnehmern zurückgewie-
sen worden sind. Diese verschwanden dann aber nicht
vom Markt, sondern vorerst wieder in den Lagern, um
dann erneut einem anderen Abnehmer angeboten zu
werden. Das Spiel ging so lang, bis sich ein unaufmerk-
samer oder ebenso krimineller Abnehmer fand – denn so
muss man dieses Handeln nennen – und die Lebensmit-
tel in Verkehr brachte.
Um es noch einmal sehr deutlich zu machen: Wir re-
den hier nicht von der Lebensmittelbranche. Wir reden
hier von einzelnen schwarzen Schafen. Herr Bode von
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15383
(A) (C)
(B) (D)
Foodwatch hat ja kürzlich im Interview mit der Süddeut-
schen Zeitung kundgetan, die deutschen Agrar- und Le-
bensmittelunternehmen seien ein gleichsam semikrimi-
nelles Kartell. Die Süddeutsche hat ihn daraufhin
gefragt, ob er nicht ein wenig paranoid sei. Dem ist
nichts hinzuzufügen. Nein, deutsche Lebensmittel sind
sicher und unsere Lebensmittelproduzenten sind kein
Haufen von Kriminellen. Aber – dieses Aber möchte ich
dick unterstrichen wissen – auch gegen die schwarzen
Schafe muss mit aller Härte vorgegangen werden. Der
Gesetzgeber ist verpflichtet, alles in seiner Macht ste-
hende zu veranlassen, Missbrauchsfälle aufzudecken
und zu ahnden.
Drei wesentliche Punkte des eingebrachten Gesetz-
entwurfes möchte ich kurz vorstellen.
Mit dem Gesetz werden wir Lebensmittelunterneh-
mer künftig verpflichten, die Behörden zu informieren,
wenn ihnen verdorbene Lebensmittel angeboten werden.
Damit können wir dem Verschiebebahnhof für Gammel-
fleisch sehr direkt begegnen.
Zum besseren Risikomanagement bei länderübergrei-
fenden Vorkommnissen wird der Bundesregierung die
Möglichkeit eröffnet, einen Lagebericht auf Basis der
Länderinformationen zu erstellen. Die daraus gewonne-
nen Erkenntnisse können zur Umsetzung und Koordina-
tion notwendiger rechtlicher Maßnahmen dienen. Es ist
bedauerlich, dass der Bundesrat diesen Punkt abgelehnt
hat, zumal die Verbraucherschutzministerkonferenz im
vergangenen Jahr diesen Vorschlag begrüßt hatte.
Als dritten Punkt möchte ich noch die Anhebung des
Bußgeldrahmens bei fahrlässigen Verstößen nennen. Mit
der Anhebung von 20 000 Euro auf 50 000 Euro haben
die Behörden nun weitaus schärfe Sanktionsmöglichkei-
ten. Das Abschreckungsmoment steigt. Und wer seine
Aufgabe als Lebensmittelunternehmer nicht ernst nimmt,
muss eben eine empfindliche Strafe hinnehmen.
Sie sehen, die Bundesregierung setzt mit diesem
Maßnahmenpaket ihren Weg eines sachlichen und kon-
sequenten Verbraucherschutzes fort. Dafür möchte ich
ihr danken.
Bitte erlauben Sie mir noch auf einen weiteren Punkt
im Gesetz einzugehen, der für unsere Tierhalter von im-
menser Bedeutung ist: die Verfütterung von tierischen
Fetten. Ich begrüße es ausdrücklich, dass der Bundesrat
– mit Zustimmung der Bundesregierung – den Vorschlag
eingebracht hat, die Verfütterung von tierischen Fetten
wieder zuzulassen, wenn auch vorerst nur an Nichtwie-
derkäuer. Im Zuge der BSE-Krise hatte die Europäische
Union die Verfütterung von tierischen Proteinen als
potenzielle Überträger des BSE-Virus verboten. Das war
eine Entscheidung, die damals zu Recht getroffen wurde.
Aber wir Deutschen sind einmal wieder über das Ziel hi-
naus geschossen. Unsere Vorgängerregierung hat zudem
auch noch die für die Verfütterung so wichtigen tieri-
schen Fette verboten. Wohl gemerkt: Kein anderes EU-
Mitgliedsland sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen.
Was waren die Folgen? Unsere Veredelungsbetriebe
sahen und sehen sich im Vergleich mit den europäischen
Nachbarn deutlichen Wettbewerbsnachteilen ausgesetzt.
Denn sie müssen die tierischen Fette durch pflanzliche
Futtermittel ersetzen. Die Veredelungswirtschaft schätzt
die zusätzlichen Kosten, die sie durch das Verbot pro
Jahr zu tragen hat, auf etwa 100 Millionen Euro. Für un-
sere Kälbermäster liegen die zusätzlichen Kosten pro
Tier bei etwa 40 Euro. 10 Prozent Marktanteil wurden
durch das Verfütterungsverbot an niederländische Mäs-
ter verloren. Aber Verbraucherschutz ist nicht teilbar.
Was meine ich damit? Wir können zwar in Deutschland
Regelungen und Verbote einführen, aber bei offenen
Märkten nützt das oftmals nichts. Wie auch in diesem
Fall: Auf die Tische unserer Verbraucher kommt dann
eben das niederländische Kalbfleisch – mit tierischen
Fetten gefüttert.
Mit der aktuellen Regelung zur Verfütterung tieri-
scher Fette haben wir meines Erachtens einen längst
überfälligen Schritt in die richtige Richtung getan. Ich
denke, für unsere Schweinehalter dürfte dies bei der ak-
tuellen Marktsituation wenigstens eine kleine Hilfe sein.
Den Weg müssen wir aber weiter beschreiten. Denn für
die oben erwähnten Kälbermäster ändert sich vorerst
nichts. Verboten bleibt die Verfütterung tierischer Fette
an Wiederkäuer. Wir brauchen deshalb künftig eine wei-
tere Lockerung. Es muss wenigstens möglich sein, Fette
von Nichtwiederkäuern an Wiederkäuer zu verfüttern.
Hier ist aber auch die Wirtschaft aufgerufen, mitzuhel-
fen, dass Analyseverfahren zur Bestimmung der Fetther-
kunft weiterentwickelt werden.
Erlauben Sie mir bitte zum Schluss noch ein paar
Worte zum Thema tierische Proteine. Auch wenn dies
ein EU-Thema ist, steht es doch, wie oben erwähnt, in
einem engen Zusammenhang mit den tierischen Fetten.
Durch das noch immer bestehende Verbot der Verfütte-
rung tierischer Proteine müssen europäische Tierhalter
auf Ersatz in Form pflanzlicher Proteine zurückgreifen.
Das ist unter zwei Aspekten äußerst kritisch zu bewer-
ten: Zum einen werden dadurch wichtige Rohstoffe für
die Produktion von Biokraftstoffen gebunden. Denn die
hierbei in der Regel verwendete Sojapflanze kann eben
beides liefern, Proteine und Öl. Andererseits bauen die
Hauptproduzenten immer weniger Soja an, das nicht
gentechnisch verändert ist. Durch die Null-Toleranz-
Politik der EU gegenüber GVO-Pflanzen werden unsere
Tierhalter schon bald vor erheblichen Versorgungseng-
pässen bei Futtermitteln stehen. Ihnen werden entweder
keine oder nur deutlich teuere GVO-freie Proteine zur
Verfügung stehen. Die Folge: Wettbewerbsverdrängung.
Unseren Fleischbedarf müssten wir dann durch Importe
decken. An Exporte wie derzeit wäre nicht mehr zu den-
ken.
Die Leidtragenden wären letztlich unsere Verbrau-
cher. Diese müssten sich damit abfinden, deutlich mehr
für fleischliche Lebensmittel als heute auszugeben. Ob
diese dann zu den deutschen bzw. europäischen Tier-
schutzstandards produziert würden, steht stark zu be-
zweifeln. Deswegen schließe ich mich der Forderung
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
an, auch tierische Proteine wieder für den Futtermittel-
gebrauch zuzulassen.
15384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Wir können es uns nicht mehr leisten, wertvolle Roh-
stoffe wie tierische Fette und Proteine aus dem Verwer-
tungskreislauf auszuschließen. Allerdings: Verwendung
und Verbrauchersicherheit müssen Hand in Hand gehen.
Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich freue mich, dass
wir heute in erster Lesung die Änderung des Lebensmit-
tel- und Futtermittelgesetzbuches beraten. Denn das
zeigt, dass die Bundesregierung die nötigen Maßnahmen
ergreifen will, um die Bevölkerung vor Betrug und un-
sicheren Lebensmitteln zu schützen.
Ich darf Ihnen kurz in Erinnerung rufen: Verdorbenes
Fleisch wurde gehandelt, aufgetautes Fleisch als Frisch-
fleisch vertrieben, überlagertes Fleisch umetikettiert und
verkauft, Schlachtabfälle wurden zu Lebensmitteln ver-
arbeitet. Diese als Gammelfleischskandale bezeichneten
Vorfälle der letzten Jahre haben das Vertrauen der Ver-
braucherinnen und Verbraucher in die Sicherheit von
Fleisch und Fleischprodukten empfindlich gestört.
Das ist angesichts des erreichten Standes der Lebens-
mittelsicherheit in Deutschland, guter Hygiene und ho-
hen Risikobewusstseins höchst bedauerlich. Leider kann
man aufgrund der Zahl der Vorfälle nicht von einzelnen
schwarzen Schafen sprechen. Dennoch stellen die Her-
steller und Händler von unsicheren Lebensmitteln eine
Minderheit dar. Deren Nachlässigkeit oder gar kriminel-
ler Energie müssen wir mit der Änderung des LFGB ent-
gegentreten und so für die verantwortungsbewussten Le-
bensmittelhersteller das Vertrauen wiedergewinnen.
Die Einführung einer Meldepflicht für Lebensmittel-
unternehmen bezüglich unsicherer Ware, die ihnen gelie-
fert wurde, halte ich für sehr wichtig. Es ist zwar erfreu-
lich, wenn ein Lebensmittelunternehmen das Recht
einhält und unsichere Waren zurückweist. Angesichts
der Unverfrorenheit einiger Marktteilnehmer, unsichere
Lebensmittel solange anzubieten, bis sich ein verantwor-
tungsloser Käufer findet, reicht das aber nicht aus. Sol-
che Vorgänge müssen der zuständigen Behörde gemeldet
werden, damit diese aktiv gegen Rechtsverletzer vorge-
hen kann. Der Aufwand für den meldepflichtigen Be-
trieb ist denkbar gering und der Nutzen für die Allge-
meinheit denkbar groß. Die Meldepflicht wird
Unternehmer davon abhalten, unsichere Waren anzubie-
ten. Die Unbelehrbaren werden so schnellstmöglich ver-
antwortlich gemacht.
Ich halte es für selbstverständlich, dass die Bundesre-
gierung befähigt werden soll, bei länderübergreifenden
Vorfällen ein Lagebild zu erstellen. Ein Risikomanage-
ment auf Bundesebene ist bei solchen Vorgängen uner-
lässlich und nur auf Grundlage der in den Ländern erho-
benen Daten möglich. Ich habe kein Verständnis für die
ablehnende Haltung des Bundesrates an dieser Stelle.
Der Aufschub eines Frühwarnsystems um unbestimmte
Frist und unter Kostenvorbehalt ist keine Lösung des
drängenden Problems. Schon morgen kann ein solch län-
derübergreifender Sachverhalt offenbar werden. Der
Deutsche Bundestag erwartet dann unverzüglich den Be-
richt des Bundesministers. Teilweise bestehen Unter-
richtungspflichten gegenüber der EU. Deshalb müssen
ihm und seiner Fachbehörde sofort die entsprechenden
Kompetenzen eingeräumt werden.
Ich bin sicher, dass sich niemand in den Lebensmittel-
unternehmen darüber im Unklaren ist, dass es verboten
ist, verdorbene Ware zu verkaufen, abgelaufene Ware
neu zu etikettieren oder Schlachtabfälle zu Lebensmit-
teln zu verarbeiten. Abgesehen von den klaren Rechts-
vorschriften gibt es ja auch einen Abwehrreflex, der die
Menschen darauf hinweist. Wir haben als Gattung über-
lebt, weil uns unser Ekelempfinden davon abhält, ver-
dorbene Nahrung zu verzehren. Nun mag dieses Empfin-
den von langjährigem Umgang mit ekelerregender Ware
abstumpfen. Dennoch wissen die Leute: Das ist verbo-
ten.
Wenn ein Verstoß gegen das Verbot ungefährlich er-
scheint, greift das Unrechtsbewusstsein nicht. Es ist des-
halb richtig, diejenigen härter zu bestrafen als bisher, die
sich auch von öffentlicher Diskussion, verschärften Kon-
trollen und Meldepflicht nicht von ihrem schädlichen
Handeln abbringen lassen. Die Gerichte sollten die Mög-
lichkeit besser nutzen, durch strafbares Verhalten er-
zielte Gewinne abzuschöpfen. Dazu ist es aus meiner
Sicht unerlässlich, in diesem Gesetzgebungsverfahren
den Informantenschutz zu regeln. Wenn sich nur bereits
gekündigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-
trauen, verbotene Praktiken anzuzeigen, erhalten die Be-
hörden in der Regel keine aktuellen Informationen.
Diese sind aber für die erfolgreiche Verfolgung von Ord-
nungswidrigkeiten und Straftaten unentbehrlich. Zu al-
lem Überfluss stehen solche Informanten unter dem Ge-
neralverdacht, falsche Anschuldigungen aus Rache zu
erheben. Das ist ehrabschneidend, und damit muss
Schluss sein. Beschäftigte in Lebensmittelunternehmen
müssen die rechtlich gesicherte Möglichkeit bekommen,
Informationen über verbotene Praktiken an die zuständi-
gen Behörden zu geben, ohne um ihren Arbeitsplatz
fürchten zu müssen. Ich werde mich in den Ausschuss-
beratungen mit großem Nachdruck für eine solche
Whistleblower-Regelung einsetzen und hoffe sehr auf
die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen aus al-
len Fraktionen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Unsere Debatte
zur Novellierung des LFGB sollte eigentlich eine De-
batte zu den vielen Gammelfleischskandalen der letzten
Jahre sein. Doch eines möchte ich vorweg klarstellen:
Die heimischen Lebensmittel sind qualitativ hervorra-
gend und die deutsche Ernährungswirtschaft nimmt im
weltweiten Vergleich die Spitzenposition ein. Deutsche
Lebensmittel sind im Ausland gefragt; das zeigen die
Exportraten.
Nach den vielen Gammelfleischskandalen der letzten
Jahre sind es aber gerade nicht mehr die Leistungen der
heimischen Land- und Ernährungswirtschaft, die das
Meinungsbild bei den Verbrauchern prägen. Daher sind
alle Maßnahmen, die zu mehr Lebensmittelsicherheit
und mehr Verbraucherschutz durch das LFGB führen, zu
begrüßen. Allerdings kann auch die Novelle des LFGB
nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Landes- und vor
allem auch auf Bundesebene entscheidende Fehler bei
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15385
(A) (C)
(B) (D)
der Bekämpfung der Gammelfleischskandale gemacht
wurden.
Die Leistungen von Minister Seehofer und dem ehe-
maligen bayerischen Verbraucherminister Schnappauf
stehen in krassem Gegensatz zu ihren Ankündigungen
und den Notwendigkeiten. So sind von dem am 30. No-
vember 2005 von Bundesminister Horst Seehofer be-
kanntgegebenen Zehn-Punkte-Sofortprogramm und dem
zehn Monate später verabschiedeten 13-Punkte-Maß-
nahmenkatalog zur Bekämpfung von Gammelfleisch-
skandalen von Bundesminister Seehofer gemeinsam mit
den Verbraucherministern der Länder am 7. September
2006 zentrale Punkte bis heute nicht umgesetzt worden.
Die schwerwiegenden Defizite liegen bis heute offen zu
Tage: Auch heute noch muss K-3-Material nicht einge-
färbt werden. Insbesondere bei der Kennzeichnung von
tierischen Nebenprodukten, die bereits für die Verwen-
dung außerhalb der Lebensmittelkette bestimmt waren,
muss sich die Bundesregierung schwere Versäumnisse
vorwerfen lassen.
Wer aber wie die Bundesregierung alles auf eine
Karte setzt, muss mit allem Nachdruck und frühzeitig in
Brüssel für das Einfärben von K-3-Material kämpfen.
Das ist nur viel zu spät und viel zu zögerlich erfolgt.
Deshalb ist erhebliche Skepsis geboten, ob mit der vor-
liegenden Novelle des LFGB die notwendige Verbes-
serung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland gelin-
gen kann.
Lassen Sie mich jetzt auf die zentralen Punkte des
LFGB eingehen:
Erstens. Grundsätzlich begrüßen wir die Ausweitung
der Meldepflicht für Lebensmittelunternehmer – und
Futtermittelunternehmer –, denen „unsichere Lebensmit-
tel“ angeboten werden. Im Gegensatz zum Bundesrat
sind wir der Auffassung, dass die Ausnahmeregelung für
pflanzliche Lebensmittel und Futtermittel richtig ist.
Zweitens. Sinnvoll ist zudem, dass sich der Bund bei
länderübergreifenden Sachverhalten ein Lagebild auf der
Grundlage der von den Ländern zu übermittelnden Infor-
mationen erstellen kann.
Drittens. Ob die Verschärfung der Straf- und Buß-
geldvorschriften tatsächlich eine abschreckende Wir-
kung entfalten wird, muss sich in der Praxis beweisen.
Viertens. Die FDP ist wie der Bundesrat der Auffas-
sung, dass eine Angleichung der nationalen Regelungen
für tierische Fette in der Nutztierfütterung an die Vorga-
ben des europäischen Rechts zwingend erforderlich ist.
Das derzeitige Verfütterungsverbot belastet die Wirtschaft
und bringt keine Verbesserung für die Verbraucher, da die
in anderen Mitgliedstaaten mit tierischen Fetten herge-
stellten Fleisch-, Milch- und Geflügelprodukte ohne Be-
schränkung in Deutschland vermarktet werden dürfen. In
einem gemeinsamen Markt ist eine 1:1-Umsetzung von
EU-Recht zwingend erforderlich. Deshalb muss das Ver-
fütterungsverbot ganz aufgehoben werden. Eine Be-
schränkung des Verbots der Verfütterung von Fetten an
Wiederkäuer im § 18 LFGB, wie es der Bundesrat fordert,
ist nicht ausreichend.
Abschließend fordert die FDP-Bundestagsfraktion,
die Novelle des LFGB für eine grundlegende Korrektur
der sogenannten Nulltoleranz zu nutzen. Die beabsich-
tige Änderung des § 10 gegenüber Stoffen mit pharma-
kologischer Wirkung in Lebensmitteln geht zwar in die
richtige Richtung, ist aber nicht ausreichend. Es werden
zum Beispiel nicht alle Fälle der Spurenfunde von Kok-
zidiostatika ausreichend berücksichtigt. Die Folgen der
„Nulltoleranz-Politik“ belasten die Land- und Ernäh-
rungswirtschaft. Hier brauchen wir realistischere und
praxisgerechtere Lösungen.
Karin Binder (DIE LINKE): Den vorliegenden Ge-
setzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futter-
mittelgesetzbuches könnte man in folgenden Worten zu-
sammenfassen: Packen wir’s an, aber bitte nicht so fest.
Nach dem Motto des Bären – wasch mir den Pelz, aber
mach mich nicht nass – versucht Minister Seehofer wie-
der einmal alle Klippen zu umschiffen und den Unter-
nehmern nicht wehzutun.
Wie halbherzig nach diesem Gesetzentwurf unter an-
derem mit dem Thema „unsichere Lebensmittel“, auch
bekannt unter dem Begriff Gammelfleisch, umgegangen
werden soll, möchte ich hier gerne erläutern. Im Vorwort
zum Gesetzentwurf stellt das Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz fest: „… dass
nicht sichere Lebensmittel vielfach, nachdem sie von ei-
nem Abnehmer zurückgewiesen worden sind, so lange
weiter angeboten werden, bis sie einen weniger sorgsa-
men Abnehmer finden. Hier besteht zum Schutz des Ver-
brauchers Handlungsbedarf.“ Zum Schutz der Verbrau-
cher und Verbraucherinnen besteht Handlungsbedarf.
Darin sind wir uns einig. Auf welche Weise das Ministe-
rium versucht, diesen Schutz herzustellen, ist allerdings
etwas befremdlich.
Nach dem Papier sollen jetzt aus den Gammel-
fleischskandalen seit Beginn dieser Legislaturperiode
die Konsequenzen gezogen werden. Da werden der
mündige Verbraucher und die Steuerzahlerin in der Be-
gründung des Gesetzentwurfs aufgeklärt, dass Lebens-
mittelunternehmer künftig anzeigen müssen, wenn sie
Grund zu der Annahme haben, dass ein für sie bestimm-
tes Lebensmittel nicht sicher sei. Diese neue Meldever-
pflichtung gelte jedoch nur für angeliefertes Gammel-
oder Ekelfleisch. Die Meldepflicht gilt aber nicht wenn
dem Lebensmittelunternehmer ein „unsicheres Lebens-
mittel“ (Gammelfleisch) angeliefert wird, das er nicht
bestellt hat. Diese Meldepflicht gilt auch nicht in den
Fällen, in denen das „unsichere Lebensmittel“ mündlich,
telefonisch, per Mail oder per Fax angeboten worden ist.
Und sie gilt auch nicht, wenn der Unternehmer bei ei-
nem Marktrundgang erkennt, dass von einem anderen
Lebensmittelunternehmer nicht sichere Lebensmittel an-
geboten werden.
Da bleibt mir doch glatt die Spucke weg. Wo sind wir
denn? Ist der Handel mit Gammelfleisch etwa ein Kava-
liersdelikt? Wenn nicht, dann ist es doch auf jeden Fall
meine Pflicht, so etwas anzuzeigen. Das müsste doch für
einen redlichen und verantwortungsbewussten Unter-
nehmer selbstverständlich sein. Aber für viele Unterneh-
15386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
mer ist es das offenbar nicht; sonst müsste das nicht so
explizit geregelt werden.
Wenn ich mir nun die Begründung zu dem Gesetzent-
wurf noch genauer anschaue, liest sich das für mich wie
eine Anleitung zur Umgehung dieses Gesetzes. Hier
werden nicht nur Hintertürchen offen gelassen, sondern
Tore geöffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Großen Koalition, ich bitte Sie dringend: Schauen Sie
sich diesen Gesetzesentwurf noch einmal gründlich an!
Und wenn Sie dann auch zu dem Schluss kommen, dass
hier noch einiges verbesserungsfähig ist, wäre ich Ihnen
dankbar, wenn Sie gleich noch ein paar andere Dinge er-
gänzen würden.
Wie wäre es zum Beispiel mit der Verbesserung der
Kenntlichmachung von unsicheren, verdorbenen Le-
bensmitteln zum Beispiel durch die Angabe des
Schlachtdatums bei der Kennzeichnung von Fleischer-
zeugnissen; der Verankerung direkter Auskunftsansprü-
che der Verbraucher und Verbraucherinnen gegenüber
Herstellern, Händlern und Verarbeitern im Verbraucher-
informationsgesetz; einem effektiven arbeitsrechtlichen
Informantenschutz; der Einführung eines Smiley-Sys-
tems, wie es in Dänemark in Gastronomie und Handel
erfolgreich praktiziert wird; der unverzüglichen Umset-
zung einer manipulationssicheren Kennzeichnung von
Schlachtabfällen; der Abschöpfung unlauter entstande-
ner Gewinne aus dem Vertrieb solcher unsicheren
Lebensmittel – diese Mittel könnten den Geschädigten
zukommen bzw. zur Finanzierung einer verstärkten Le-
bensmittelkontrolle verwendet werden.
Einmal mehr geht es in erster Linie darum, wirtschaft-
lichen Interessen gerecht zu werden. Die Interessen der
Verbraucher und Verbraucherinnen werden wie so häufig
hinten angestellt. Sollte dies jedoch nicht Ihre Absicht
sein, Herr Seehofer, dann kann ich Ihnen nur dringend
empfehlen, den Gesetzentwurf noch einmal gründlich zu
überarbeiten.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das
Kontrollsystem für Lebensmittel ist veraltet. Die Ent-
wicklung der Lebensmittelüberwachung hat mit der zu-
nehmenden räumlichen Trennung der Produktions-
schritte und dem internationalen Handel nicht Schritt
gehalten. Gammelfleischfunde sind nur die Spitze des
Eisberges. Regelmäßig werden 20 Prozent der geprüften
Fleischwaren beanstandet. Die sich wiederholenden
Funde belegen die unzureichenden Kontrollstrukturen,
die nicht in der Lage sind, kritische und riskante Lebens-
mittel schnell und flächendeckend zu überprüfen. Ursa-
chen für die schlechte Kontrollsituation sind die Weige-
rung vieler Bundesländer, effektive Kontrollstrukturen
zu schaffen, die kommunale Abhängigkeit der Überwa-
chung in vielen Ländern und die Verflechtung mit den
Unternehmen. Der mangelnde politische Wille und un-
zureichendes Handeln der Verbraucherminister in Bund
und Ländern wirkt wie eine Einladung an die Fleischma-
fia, sich bundesweit zu etablieren und den verbotenen
Handel mit Fleischabfällen noch auszubauen.
Vor zwei Jahren kündigte Minister Seehofer 20 Maß-
nahmen gegen die Gammelfleischskandale an, um den
„Sumpf“ trockenzulegen. Aber seine Strategie lief nach
dem Motto: Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger
gelandet. Denn zwei Jahre und sechs bekannt gewordene
Gammelfleischskandale später zeigt sich: Der Handel
mit umetikettierten Schlachtabfällen ist fester Bestand-
teil des Fleischmarktes. Hunderte Tonnen verdorbenen,
übel riechenden und nicht mehr haltbaren Fleisches
schockierten die deutsche Öffentlichkeit. Und beinahe
wöchentliche Meldungen zu neuen Funden zeigen, es ist
was faul im Fleischmarkt. Das zeigt sich auch beim ak-
tuellen Fall in Lohe in Niedersachsen. Ein Betrieb ver-
liert die Zulassung, weil er wöchentlich mehrere Tonnen
stinkende Schweineköpfe zu Wurst verarbeitete. Länder
wie Russland und Polen sind empört, da dieses Ekel-
fleisch auch über die Grenzen hinweg in ihre Länder ge-
rät.
Die Bundesregierung hätte mit der Föderalismusre-
form die Chance zu einer überfälligen Neuordnung der
Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gehabt.
Diese Chance wurde vertan. Minister Seehofer hat trotz
seiner Kritik an den Bundesländern nicht einmal ver-
sucht, Reformen herbeizuführen und Bundeszuständig-
keit zu erlangen. Seehofer hätte zumindest eine bessere
Koordinierung der Lebensmittelüberwachung zwischen
den Ländern durchsetzen müssen.
Erst der heute vorliegende Gesetzesvorschlag greift
einige Punkte des nach den ersten Gammelfleischskan-
dalen im Herbst 2005 schnell verkündeten Zehn-Punkte-
Sofortprogramm der Bundesregierung auf. Zu spät, zu
wenig und zu zahm. Nach der langen Vorbereitungszeit
sind die Einwände der Bundsländer, zum Beispiel zur
Zusammenarbeit bei einem Lagebericht, ein Armuts-
zeugnis. Zwar schafft Minister Seehofer im novellier-
ten Lebensmittel- und Futtermittelgesetz mit der Melde-
pflicht der Lebensmittelunternehmer, die Erstellung
eines Lagebildes und die Erhöhung der Bußgelder eine
etwas härtere Gangart, aber diese Maßnahmen sind völ-
lig unzureichend. Einzelne Länder haben bereits jetzt an-
gekündigt, dass sie die Erstellung eines Lagebildes nicht
mittragen werden. Es zeugt von einem schlechten Hand-
werk des Ministers, wenn nach einer solch langen Vor-
bereitungszeit weiterhin derart gravierende Einwände
gegen den Gesetzentwurf erhoben werden. Das Verbrau-
cherinformationsgesetz, VIG, muss umgehend reformiert
werden. Es hat so viele Ausnahmen wie ein Schweizer
Käse Löcher hat. Beispielsweise können betroffene Un-
ternehmen sich auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
berufen, sodass die Öffentlichkeit hier kaum Informa-
tionen erhält. Diese Schlupflöcher müssen schnellst-
möglich geschlossen werden. Das Gesetz sieht auch
Gebühren für Auskünfte für Verbraucherinnen und Ver-
brauchern vor. Die Bild-Zeitung titelte vergangene Wo-
che: „Das von Minister Seehofer geplante VIG droht zur
bitteren Lachnummer zu werden“. Seehofers Antwort:
Nur „komplizierte“ Auskunftsersuchen könnten bis zu
500 Euro betragen. Das ist Auskunftsverhinderung statt
Informationsfreiheit, denn im Lebensmittelbereich sind
ständig mehrere Stationen abzufragen.
Der vollmundig verkündete Zehn-Punkte-Plan von
November 2005 ist bislang nicht mal ansatzweise umge-
setzt. Nicht einmal das Gammelfleisch ist eingefärbt, ob-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15387
(A) (C)
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wohl schon längst so beschlossen. Der regierenden CDU
und SPD in Bund und Ländern fehlt der politische Wille
dazu. Das Durchregieren und große Lösungen finden
nicht statt und die Öffentlichkeit erfährt nach wie vor
nicht, wer in diese Skandale verwickelt war und wo kon-
krete Informationen erfragt werden können. Der Etiket-
tenschwindel eines Verbraucherinformationsgesetzes
gibt den Verbrauchern auch nicht das erforderliche In-
strument an die Hand. Aber sie haben ein Recht auf In-
formation und Bekanntgabe der Namen der an den
Gammelfleischskandalen beteiligten Unternehmen, und
zwar ohne Wenn und Aber.
Mehr Konsequenz ist nötig und Maßnahmen müssen
ergriffen werden, um effektive Gegenstrukturen aufzu-
bauen. Wir fordern ein bundesweites und koordiniertes
Kontrollprogramm, einen weiteren Ausbau der AVV
RÜb, Allgemeine Verwaltungsvorschrift über Grund-
sätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung der
Einhaltung lebensmittelrechtlicher, weinrechtlicher, und
tabakrechtlicher Vorschriften, mit den Ländern und bes-
sere Personalausstattung, eine deutlich bessere Perso-
nenausstattung bei den zuständigen Zollbehörden und
Ausbau der Importkontrollen, bundesweit einheitliche
Qualität der Kontrollmaßnahmen unter Berücksich-
tigung der internationalen Warenströme, landesweite
mobile Taskforce-Einheiten, Schwerpunktstaatsanwalt-
schaften, Veröffentlichungspflichten von Kontrollergeb-
nissen auf allen Kontrollebenen ähnlich dem dänischen
Smiley-System, Einfärbung von ausgemustertem Fleisch
und eine umfassende Reformierung des Verbraucherin-
formationsgesetzes.
Minister Seehofer versteckt sich gerne hinter den
Ländern. Aber da, wo er die Bundeskompetenz hat,
muss er sie auch wahrnehmen. Das heißt, das Verbrau-
cherinformationsgesetz ist sofort zu reformieren, um
Transparenz für jeden Verbraucher und die Medien zu
schaffen. Nur so gelingt ein Schlag zur Eindämmung der
Kriminalität. Wenn Minister Seehofer noch länger zö-
gert, wird er am Ende noch von den einigen fortschrittli-
chen Bundesländern überholt.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Feinstaub-Fahrver-
bote für Reisebusse sachgerecht und unbüro-
kratisch regeln (Tagesordnungspunkt 19)
Jens Koeppen (CDU/CSU): Die Senkung der Fein-
staubbelastung ist ein ehrenwertes und wichtiges Anlie-
gen. Jedoch zeigt die Umsetzung der Kennzeichnungs-
verordnung eine gefährliche Mischung aus blindem
Aktionismus, Unkenntnis und Bürokratie, die keinem
Bürger zugemutet werden darf.
Dennoch – diesem Antrag der FDP kann nicht zuge-
stimmt werden. Um den bürokratischen Aufwand für
Unternehmer und Bürger zu minimieren, gibt es keine
Alternative, als bundeseinheitliche Ausnahmeregelun-
gen zu schaffen. Dies gilt nicht nur für Busunternehmen.
Ich sehe auch keinen Sinn darin, noch einmal eine
Verhandlungsrunde mit den Ländern und der Bundes-
regierung zu eröffnen. Die Länder haben bei der Entste-
hung der Kennzeichnungsverordnung intensiv mitge-
wirkt. Dabei ging es ihnen nicht um einheitliche
Regelungen, sondern um eigene Regelungskompeten-
zen. Was dabei herausgekommen ist, sehen wir jetzt: Ein
Flickenteppich und kleinstaatlicher Bürokratiewahn.
Genau das war es, wovor meine Kollegen aus der
Umwelt- und Verkehrs-AG und ich schon vor zwei Jah-
ren gewarnt haben. Schon damals haben wir einen An-
trag zu bundeseinheitlichen Ausnahmeregelungen ent-
worfen. Leider konnte keine Einigung mit der SPD
gefunden werden. In diesem Antrag forderten wir: ers-
tens eine generelle Ausnahme benzinbetriebener Fahr-
zeuge von feinstaubbezogenen Fahrverboten, zweitens
eine generelle Ausnahmeregelung für anerkannte Old-
timer, drittens eine Ausnahmeregelung für Anwohner
der betroffenen Umweltzonen für eine Dauer von fünf
Jahren ab Einrichtung der Umweltzone und viertens eine
Ausnahmeregelung für Fahrzeuge ortsansässiger oder
auftragsgebundener Klein- und Mittelständischer Unter-
nehmen, wenn ihre Fahrzeuge technisch nicht mit ent-
sprechendem Filter nachrüstbar sind; und dies ebenfalls
für eine Dauer von fünf Jahren ab Einrichtung der Um-
weltzone.
Erfreulicherweise konnten wir letztlich zumindest die
einheitliche Regelung für Benziner und Oldtimer durch-
setzen.
Dennoch hoffe ich, dass der Umweltminister die
Dringlichkeit der Lage insbesondere für die Unterneh-
mer erkennt und entsprechend handelt.
Zahlreiche betroffene Unternehmen – und dazu zähle
ich nicht nur die deutschen Busunternehmen, sondern
die Handwerker, Taxen, Transportunternehmen usw. –
sind mit einer kompletten Umrüstung ihres Fuhrparks
existenziell gefährdet. Zudem leiden sie unter dem ver-
meidbaren Bürokratiewahn. Zu denen müssen auch die
ausländischen Busse gezählt werden.
Klar ist doch, soweit eine Nachrüstbarkeit nicht mög-
lich ist, erhalten derzeit alle in allen Kommunen eine
Ausnahmegenehmigung. Nun stellt sich für mich die
große Frage: Warum muss ein solches Unternehmen je-
weils in jeder Kommune einen eigenständigen Antrag
stellen? Regionale Kompetenzen mögen in vielen Fällen
ihre Berechtigung haben, in diesem Fall ist es völlig irr-
witzig und deshalb unnötig! Wen trifft es mal wieder be-
sonders hart? Das Rückgrat unserer Gesellschaft – unse-
ren Mittelstand.
Zudem gebe ich zu bedenken, dass der Autoverkehr
nur zu einem sehr geringen Teil am Feinstaubaufkom-
men schuld ist. Die Belastung ist in den Wintermonaten
am höchsten – vorrangig wegen der Kohlekraftwerke
und -heizungen, die dann in Betrieb sind. Darüber hinaus
konnten wir kürzlich medienwirksam miterleben, dass
die Partikelfiltertechnik nicht notwendig wirksam sein
muss. Nach der Kennzeichnungsverordnung reicht der
Einbau angeblich wirkender Filter aus. Eine Wirksam-
15388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
keitsprüfung zum Beispiel bei der Abgasuntersuchung
wird nicht vorgenommen.
Ehrlich gesagt, bezweifle ich nach alledem die Auf-
wand-Nutzenrelation für die Umwelt.
Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages stehe
ich täglich vor der Aufgabe, Entscheidungen der Bun-
desregierung im Gespräch mit den Menschen zu vertei-
digen. Ich will auch in der Lage sein, dies mit gutem Ge-
wissen zu tun. Deshalb noch einmal mein Appell,
bundeseinheitliche Ausnahmeregelungen zu schaffen.
Mit bürokratischen und unsinnigen Gängeleien werden
die Bürger verschreckt, und niemand muss sich dann
wundern, wenn notwendige und begründete Maßnahmen
in Zukunft auf Widerstand stoßen und nicht durchsetzbar
sind.
Detlef Müller (Chemnitz) (SPD): Nach den Besitzern
von Oldtimern und Wohnmobilen, die die FDP alle von
Fahrverboten in Umweltzonen ausnehmen wollte, war es
nur eine Frage der Zeit, bis die FDP eine neue Ziel-
gruppe entdeckt – diesmal will man der Reisebusbranche
unter dem Deckmantel einer unbürokratischen Regelung
großzügige und langfristige Ausnahmeregelungen von
Fahrverboten in Innenstädten ermöglichen. Eigentlich
könnte man diesen Antrag wie auch die Oldtimer- und
Wohnmobilanträge gleich zur Seite legen, weil die Lö-
sung des Problems ganz nahe liegt: Die Fahrzeuge benö-
tigen nur einen Partikelfilter.
Weil neue Busse serienmäßig einen Partikelfilter ha-
ben und ältere Busse mit funktionierenden Partikelfiltern
nachgerüstet werden können, kann man dieses Problem
also relativ leicht lösen. Sicherlich, die Umrüstung eines
Busses mit einem Partikelfilter ist für den Unternehmer
mit einigen Kosten verbunden, allerdings muss man dies
auch mit dem Anschaffungspreis und Wert eines Reise-
busses in Relation setzen. Außerdem darf man in diesem
Zusammenhang auch nicht die Folgekosten für die Ge-
sellschaft durch eine hohe Feinstaubbelastung vergessen.
Deshalb haben sich auch viele Busunternehmer mit
der Feinstaubproblematik befasst und entsprechend rea-
giert. Unternehmen wie die BVG hier in Berlin haben
früh erkannt, dass Busse ohne Partikelfilter hohe Emis-
sionen haben, und entsprechend reagiert. Neue BVG-
Busse haben serienmäßig einen Partikelfilter, ältere
Fahrzeuge werden konsequent umgerüstet.
Und noch eine andere Tatsache macht Ihren Antrag
überflüssig. Sie schreiben es doch dort sogar selbst. Es
„existieren bereits in einigen Städten Regelungen zur Er-
teilung von Ausnahmegenehmigungen“.
Ja, genau so war die Novellierung der Kennzeich-
nungsverordnung auch geplant. Denn den für die Ertei-
lung von Ausnahmen zuständigen Landesbehörden ste-
hen nach derzeitiger Rechtslage genügend eigene
Entscheidungsspielräume offen, um den Anliegen der
Reisebusunternehmen gerecht zu werden, obwohl ich
nicht verhehle, dass ich mir aus Umweltschutzgründen
wünsche, dass hoffentlich nicht allzu viel davon Ge-
brauch gemacht wird.
Über mögliche Ausnahmeregelungen sollte unbüro-
kratisch vor Ort unter Berücksichtigung der vorhande-
nen Immissionsbelastung entschieden werden, zumal die
Belastungssituation nicht bundeseinheitlich ist. Es ist so-
mit auch nach der Novellierung der Kennzeichnungsver-
ordnung kein Problem, dass die Kommunen zum Bei-
spiel in touristischen Regionen selbst entscheiden
können, weiterhin die Oldtimer, die Wohnmobile, die
Reisebusse etc. in ihre jeweiligen Innenstädte fahren zu
lassen.
Eine generelle bundesweite Ausnahmeregelung für
Reisebusse durch eine bundesweite Regelung darf es je-
doch nicht geben.
Vergessen Sie auch nicht, dass gerade in ländlichen
Regionen viele Reisebusse nur am Wochenende regulär
im Fernverkehr eingesetzt werden, während sie montags
bis freitags im ÖPNV eingesetzt werden. In diesem Zu-
sammenhang wäre es unverantwortlich, diese Busse ge-
nerell von der Kennzeichnungsverordnung auszuneh-
men.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich frage
Sie: Warum setzen Sie sich nicht aktiv für die Partikelfil-
ter-Nachrüstung ein? Warum beharren sie stattdessen auf
dem Status quo und kämpfen nicht gegen die Ursache
der Feinstaubbelastung an? Ihnen fehlt es einfach an
Problembewusstsein, deshalb fordern Sie die Ausnah-
meregelungen. Doch damit machen Sie es sich zu ein-
fach.
Die SPD-Fraktion wird jedenfalls die Forderung der
FDP-Fraktion nicht unterstützen; das angebliche Anlie-
gen des Antrages, eine Überbürokratisierung zu verhin-
dern, wird nicht erreicht. Wir sind dagegen, dass die
Kennzeichnungsverordnung durch immer neue Forde-
rungen nach Ausnahmeregelungen immer mehr aufge-
weicht wird und deshalb letztendlich wirkungslos blei-
ben würde, wenn fast alle Halter von Straßenfahrzeugen
eine solche Ausnahmeregelung hätten.
Ernst Burgbacher (FDP): 10 Prozent aller Urlaubs-
reisen wurden im Jahr 2005 mit dem Bus unternommen,
damit liegt der Bus als Reiseverkehrsmittel zwar hinter
Pkw und Flugzeug, aber deutlich vor der Bahn. Die Ent-
wicklungsprognosen für Busreisen sind laut Forschungs-
gemeinschaft Urlaub und Reisen positiv, der Trend zu
mehr Kurzurlauben und Städtereisen bietet der Bus-
touristik hier gute Chancen. Im Jahr 2006 wurden bei
6,03 Millionen Busurlauben rund 6,1 Milliarden Euro
ausgegeben. Die Bustouristik in Deutschland sichert in
rund 6 000 Betrieben etwa 65 000 Arbeitsplätze.
Busreisen sind ein wichtiges Segment im Tourismus,
doch der Verkehrsträger Bus wird gegenüber anderen
Verkehrsträgern benachteiligt. Deshalb setzt sich die
FDP dafür ein, die nach wie vor bestehenden Wettbe-
werbsverzerrungen zulasten der Reisebusse als umwelt-
freundliche und sichere Verkehrsmittel abzubauen, um
geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die
Busbranche ihr Potenzial auch ausschöpfen kann.
Die Reisebusbranche hatte sich vom Regierungs-
wechsel ein Ende der ideologischen Benachteiligungen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15389
(A) (C)
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gegenüber anderen Verkehrsträgern erhofft. Umso ent-
täuschter ist dieser leistungsstarke, mittelständische
Wirtschaftsbereich nach über zwei Jahren Schwarz-Rot:
Denn die Benachteiligungen für die Reisebusse als kli-
mafreundliche und sichere Verkehrsmittel wurden trotz
aller Sonntagsreden nicht abgebaut. Der Reisebus ist zur
Beförderung von Personen aus ökologischer Sicht un-
schlagbar. So steht es auch im aktuellen Tourismuspoliti-
schem Bericht der Bundesregierung, wo es heißt:
Der Bus gilt als besonders umweltfreundlich, da er
bei hoher Auslastung im Verhältnis zu anderen Ver-
kehrsmitteln einen geringen Energieverbrauch pro
Fahrgast aufweist.
Diesen Fakten muss die schwarz-rote Bundesregierung
endlich Taten folgen lassen. Dazu müssen im Bereich des
Steuer- und Abgabenrechts endlich faire Wettbewerbsbe-
dingungen zwischen allen öffentlichen Verkehrsanbietern
geschaffen werden. Schließlich müssen die mit der Öko-
steuer für den Reisebus entstandenen Benachteiligungen
bei der Mineralöl- und Stromsteuer gegenüber dem Schie-
nen- und Flugverkehr beseitigt werden.
Im Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie-
rung, über den wir morgen an dieser Stelle ausführlich
debattieren werden, heißt es mit Blick auf die Unterneh-
men der Busbranche: „Die Bundesregierung unterstützt
die Unternehmen u. a. durch den Abbau von bürokra-
tischen Hemmnissen.“ Dies lässt sich leider nicht erken-
nen, im Gegenteil. Mit der Kennzeichnungsverordnung
für emissionsarme Fahrzeuge, die auch Reisebusse in
besonderem Maße betrifft, wird neue Bürokratie ge-
schaffen und die Branche zusätzlich belastet. Die Sorgen
der Busbranche angesichts der Umsetzung der EU-Fein-
staubrichtlinie und deren Forderung nach Befreiung der
Busse von der Kennzeichnungspflicht sind der Bundes-
regierung bekannt. Es ist auch nicht einzusehen, dass
Reisebusse eine Feinstaubplakette benötigen, der gleiche
Bus im ÖPNV aber ohne Plakette in die Innenstädte fah-
ren kann. Hier muss die Bundesregierung handeln und
darauf hinwirken, dass Busse von der Plakettenpflicht
insgesamt ausgenommen werden. Doch im Tourismus-
politischen Bericht heißt es diesbezüglich nur schwam-
mig:
Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung
setzt sich gegenüber den für die Umsetzung zustän-
digen Ländern für Maßnahmen (zum Beispiel
Ausnahmegenehmigungen) zu Gunsten eines aus-
geglichenen Verhältnisses von Umweltschutz und
Wirtschaftsinteressen ein.
Ziel unserer parlamentarischen Initiative ist es, den
Reisebus als das umweltfreundlichste Verkehrsmittel von
den feinstaubbedingten Fahrverboten in Innenstädten aus-
zunehmen. Die in einigen deutschen Städten bestehenden
Ausnahmegenehmigungen sind äußerst bürokratisch und
kaum praktikabel. Deshalb ist im Rahmen der Verordnung
der Kennzeichnung für Kraftfahrzeuge mit geringem Bei-
trag zur Schadstoffbelastung – 35. BimSchV – zunächst
eine auf fünf Jahre befristete Ausnahmeregelung für Rei-
sebusse vorzusehen. Sollte keine sachgerechte, unbüro-
kratische und praktikable Regelung gefunden werden,
sind Reisebusse generell und bundesweit von feinstaub-
bedingten Fahrverboten in Innenstädten auszunehmen.
Der Einsatz von Bussen, insbesondere auch im Fern-
verkehr, ist schon heute durch die Nutzung konventio-
neller Treibstoffe und konventioneller Technik sehr
umweltfreundlich; IFEU-Studie: Potenziale 2010. Nur
2,45 Prozent aller verkehrsbedingten Emissionen sind
auf Reise- und Linienbusse zurückzuführen. Dabei ver-
ursachen Reisebusse nur einen kleinen Anteil dieser
Emissionen. Im Vergleich zu konkurrierenden Verkehrs-
mitteln weisen selbst Reisebusse älterer Bauart niedrige
CO2-Emissionen und einen geringen Energieverbrauch
aus. Der Verbrauch bzw. die Emissionen je Person und
Kilometer liegen deutlich unter dem von Bahn, Pkw
– Otto- und Dieselmotor – und des Flugzeugs. Der Rei-
sebus hat je Person und Kilometer zudem sehr niedrige
Partikelemissionen; IFEU-lnstitut 2004 und Berechnun-
gen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen,
VDV.
Daher kann der Einsatz von Bussen sowohl einen
zentralen Beitrag zur Verminderung von klimaschädli-
chen Emissionen als auch zur Reduzierung der Fein-
staubbelastung leisten. Umgekehrt führen zusätzliche
Hindernisse für den Einsatz von Bussen zu einer Verla-
gerung auf andere Verkehrsträger und damit zu einer Er-
höhung der Emissionen. Der eingeschränkte Zugang für
zahlreiche Busse zu zahlreichen Innenstädten infolge der
Einführung von Fahrverboten in den sogenannten Um-
weltzonen ist vor diesem Hintergrund ausgesprochen
kontraproduktiv. Insbesondere der Bustourismus wird
durch diese Einschränkung nachhaltig erschwert. In der
Folge ist mit einem Anstieg des Individualverkehrs, aber
auch des Flugtourismus zu rechnen und mit einem ent-
sprechend höheren CO2- und Feinstaubaufkommen je
Reisenden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von Union
und SPD, schließen Sie sich dem Antrag der FDP an und
zeigen Sie, dass es sich bei der viel zitierten Unterstüt-
zung für die deutsche Busbranche nicht um reine Lip-
penbekenntnisse handelt.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): „Alle Jahre wieder,
kommt“ – nein, nicht das Christkind, sondern ein Antrag
der FDP zu Umweltzonen. Nachdem Sie erst die Klien-
tel der Oldtimerfahrer mit einem Antrag beglückt haben,
machen Sie sich nun bei den Busunternehmen beliebt.
Wenn Sie aber eine Fahrzeuggruppe nach der anderen
komplett von Fahrverboten in Umweltzonen ausnehmen
wollen, dann bedeutet das im Endeffekt eine Aushöh-
lung der Umweltzonen. Irgendwann bliebe dann nie-
mand mehr übrig, der nicht mehr fahren dürfte. Vermut-
lich wollen Sie genau das erreichen. Ich frage mich,
welche Gruppe Sie als nächstes von Fahrverboten aus-
nehmen wollen. Bei den Oldtimern haben Sie ja leider
noch einen „Dummen“ gefunden, der Ihr Anliegen im
Bundesrat eingebracht hat. Die Hessische Landesregie-
rung wurde zum Glück abgewählt – weil Die Linke in
den Hessischen Landtag eingezogen ist. Das sage ich
hier auch an die Adresse der SPD und der Grünen, die
im Wahlkampf ständig das Gegenteil behauptet haben.
15390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Sagen Sie doch bitte einmal offen und ehrlich, dass Sie
sich freuen, dass Die Linke in Hessen im Landtag sitzt –
und Herr Koch nicht mehr Ministerpräsident wird! Herr
Koch kann der FDP also nun nicht mehr helfen. Ich
hoffe, dass sich auch kein anderer findet. Und ich hoffe,
dass Koalition und Bundesregierung diesmal „hart blei-
ben“ – der generellen Befreiung für Oldtimer hat die
Bundesregierung ja letztlich zugestimmt.
Warum hoffe ich das? Weil Ihre Forderungen letztlich
auf die Abschaffung der Umweltzonen hinauslaufen.
Alle Reisebusse, egal ob Sie eine Plakette bekommen,
und egal, welche das ist, sollen für fünf Jahre komplett
von Fahrverboten in Umweltzonen ausgenommen wer-
den. Wobei aus den fünf Jahren auch eine dauerhafte
Ausnahmegenehmigung werden kann. Statt differenzier-
ter Regelungen also „freie Fahrt für freie Busse“. Natür-
lich ist es für Unternehmen schmerzlich, wenn die eige-
nen Busse nicht mehr überall fahren dürfen. Das gilt
aber für alle Betroffenen, nicht nur für Reisebusse. Und
natürlich ist der Beitrag jedes einzelnen Fahrzeugs ver-
nachlässigbar. Jede und jeder könnte eigentlich sagen, ob
ich nun fahre oder nicht, dass ändert ja nichts. Das
stimmt ja fast auch. Aber wenn es alle machen, dann
macht es eben doch einen Unterschied. Und alte Reise-
busse sind keine zu vernachlässigende Größe. Ein alter
Bus stößt etwa so viel Feinstaub aus wie hundert Pkw.
Neben Feinstaub gelten ab 2010 auch für Stickoxide
strenge Grenzwerte. Und der Verkehr hat einen großen
Anteil an der Feinstaub- und Stickoxidbelastung. Nicht
überall, aber in den Innenstädten. Nur da gibt es ja aus
gutem Grund Umweltzonen.
In der Berliner Innenstadt werden 80 Prozent der
Stickoxidbelastung vom Verkehr erzeugt. Beim Fein-
staub sind es 40 Prozent – die Hälfte davon, also 20 Pro-
zent der Gesamtbelastung, von Dieselfahrzeugen.
40 Prozent davon lassen sich durch die Umweltzone ver-
meiden. Aber nur dann, wenn sie auch wirkt. Sie von der
FDP tun alles dafür, dass zehntausende Anwohnerinnen
und Anwohner weiter erheblich mit Feinstaub und Stick-
oxiden belastet werden. Wollen Sie den frühzeitigen Tod
von tausenden Menschen in Kauf nehmen? Sie sagen
nur, was Sie nicht wollen. Sie sagen aber nicht, wie Sie
den Gesundheitsschutz voranbringen wollen! In Ihrem
Antrag unterstellen Sie den Kommunen praktisch Will-
kür. Wie ich schon in einer Rede zum Oldtimer-Antrag
gesagt habe: Die Kommunen, die Umweltzonen einge-
richtet haben oder einrichten, gehen verantwortungsvoll
mit den Betroffenen um. Dass bedeutet natürlich nicht,
das alle zufrieden sind. Hier geht es um eine Abwägung –
und die muss eben auch den Gesundheitsschutz der Be-
wohnerinnen und Bewohner der Städte im Auge haben.
Dass vermisse ich bei der FDP.
Berlin zum Beispiel hatte eine einfache und pragmati-
sche Lösung für Oldtimer vorgesehen. Und auch für die
Reisebusse gibt es eine Lösung. Wenn die Existenz eines
Unternehmens gefährdet ist, dann gibt es Ausnahmege-
nehmigungen für bis zu 18 Monate. Das greift auch
dann, wenn es keine Nachrüstmöglichkeit gibt. Und be-
vor die zweite Stufe in Kraft tritt, wird sehr genau ge-
schaut, ob es Nachrüstmöglichkeiten für alle Fahrzeuge
gibt. Die Nachrüstung ist ja zurzeit das große Sorgen-
kind. Der Skandal um die 40 000 eingebauten wirkungs-
losen Filter hat die Nachrüstung fast zum Erliegen
gebracht. Der Sache hat der Umweltminister einen Bä-
rendienst erwiesen, das steht fest. Die entscheidende
Frage ist, ob die ersten Untersuchungsergebnisse vom
Oktober 2006 gezeigt haben, dass es Schrottfilter gibt.
Ich kann nicht glauben, dass die Ergebnisse völlig un-
brauchbar waren, wie Herr Machnig behauptet – der Prä-
sident des UBA glaubt das auch nicht, und der müsste es
eigentlich wissen. Wenn es Hinweise auf die Unwirk-
samkeit einiger Filter gab – worauf vieles hindeutet –
dann hätte das Umweltministerium – statt einen Klein-
krieg mit dem UBA auszutragen – das Kraftfahrtbundes-
amt umgehend im Oktober 2006 informieren müssen;
nicht erst im August 2007. Wenn das Umweltministe-
rium für den Einbau Zehntausender fehlerhafter Filter
verantwortlich ist – dann müssen personelle Konsequen-
zen folgen.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Liberalen erweisen sich erneut als Partei der Partiku-
larinteressen. Der hier zu diskutierende Antrag zeigt,
dass sie mitnichten unsere obersten Gesundheitsschützer
sind. Es scheint eher, als stünden sie im Grundsatz mit
der Umweltzone auf Kriegsfuß. Im letzten Jahr wollten
sie schon die Oldtimer von den Fahrbeschränkungen
ausgenommen wissen, nun sind die Reisebusse dran. Die
FDP: die Partei der Ausnahmengenehmigungen!
Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Es ist
mit Blick auf eine vorsorgende Luftreinhaltung und die
gravierenden Gesundheitsfolgen bei hoher Feinstaubbe-
lastung nicht gerechtfertigt, dass alten Dieselbussen er-
laubt sein solle, in die Umweltzone einzufahren. Ein Zi-
tat aus der Broschüre der Senatsverwaltung von Berlin
„Bessere Luft für Berlin“ (November 2007) sagt im
Grundsatz alles Wichtige aus: „Jede Ausnahmegenehmi-
gung für Fahrzeuge mit hohen Emissionen reduziert die
Wirkung der Umweltzone!“ Berlin hat in nachahmens-
werter Weise Vorgaben für Ausnahmegenehmigungen
gemacht, diese sollen nur nach eingehender Prüfung des
Vorliegens eines Härtefalls erteilt werden und in der Re-
gel befristet (längstens 18 Monate) werden.
Die Einrichtung von Umweltzonen ist das zentrale
Instrument der Kommunen, die Grenzwertüberschrei-
tungen beim Feinstaub in den Griff zu bekommen.
Symbolische Politik ist es aus unserer Sicht jedoch, Um-
weltzonen mit Fahrbeschränkungen anzukündigen und
einzurichten und zugleich so viele Ausnahmetatbestände
zu schaffen, dass die Idee der Umweltzone wieder ad ab-
surdum geführt wird.
Wir haben uns mit Blick auf die Oldtimer für pragma-
tische Regelungen und begrenzte Sondergenehmigungen
etwa bei Oldtimerveranstaltungen in Städten ausgespro-
chen. Die über den Bundesrat erfolgte generelle Aus-
nahme der Oldtimer-H-Kennzeichen halten wir für
falsch. Wir haben schon damals davor gewarnt, dass dies
schließlich auch andere Betroffeneninteressen für wei-
tere Ausnahmetatbestände auf den Plan ruft. Die Reise-
busse sind jetzt die nächste Betroffenengruppe.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15391
(A) (C)
(B) (D)
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunterneh-
men (bdo) spricht von verheerenden Folgen für die Tou-
rismuswirtschaft, wenn die älteren Reisebusse nicht
mehr in die Innenstadt fahren dürfen. Der bdo appelliert
in einem Schreiben an Bundestagsabgeordnete sogar mit
der Forderung: „Eine Ausnahmeregelung des Busses
von der Kennzeichnungsverordnung ist verpflichtend.“
Für Vertreter von – in allererster Linie – Gemeinwohl-
interessen ist das inakzeptabel. Verpflichtend ist der
Schutz der Gesundheit der Bürger, im Übrigen auch der
Touristen!
Seit Anfang des Jahres die ersten Umweltzonen ge-
startet sind und weitere Kommunen im Frühjahr dieses
Jahres folgen, wird über die Umweltzonen geklagt. Von
unzumutbaren Belastungen für Anwohner oder Touris-
ten und Busunternehmen ist die Rede.
Auch die FDP macht sich nicht wirklich die Mühe,
über das Ziel der Fahrbeschränkungen nachzudenken: Es
geht darum, die Feinstaubbelastung einzudämmen.
Längst ist unbestritten, dass Feinstaub die Gesundheit
der Menschen belastet. 65 000 Menschen sterben laut
EU-Kommission jedes Jahr allein in Deutschland vorzei-
tig an den Folgen der Feinstaubbelastung.
Seit Jahren wird die Luftqualität mit Erfolg durch die
EU-weit gültigen Abgasnormen für Fahrzeuge verbes-
sert. Sie werden regelmäßig angeschärft und so dem
Stand der Technik angepasst – zum Wohle der Bevölke-
rung und so auch der Busfahrer und Touristen. In den
Umweltzonen werden Verkehrsbeschränkungen zuerst
für alte Busse mit sehr alten niedrigen Schadstoffgrup-
pen (Euro 0 oder 1) verordnet. Nicht aus Willkür, son-
dern weil sie im Vergleich zu neueren Modellen eine
große Menge gesundheitsschädlicher Luftschadstoffe
ausstoßen.
Es sollte klar sein, dass hochemittierende Fahrzeuge
in verkehrsreichen Innenstädten alle mit Schadstoffen
belasten und dafür keine Belohnung erwarten können.
Die Einrichtung von Umweltzonen ist daher ein zentra-
ler Anreiz für eine beschleunigte und flächendeckende
Modernisierung der Fahrzeugflotte vor allem für Ge-
sundheitsschutz und Luftreinhaltung. Das gilt auch für
die Busflotte. Die Argumentation, der Busverkehr trage
nur marginal zur Feinstaubbelastung bei, ist irreführend.
Denn alle Emittentengruppen müssen ihren Beitrag zur
Feinstaubreduktion leisten, egal wie groß ihr Beitrag ist.
Dass es keine Nachrüstmöglichkeiten für Busse gibt, ist
nicht richtig, schließlich fahren etwa in Berlin, schon be-
vor die Umweltzone kam, alle ÖPNV-Busse mit Filter.
Wenn es Modelle gibt, die derzeit wirklich nicht nach-
rüstbar sind, dann kann man denen möglicherweise eine
Übergangszeit einräumen. Es kann davon ausgegangen
werden, dass es auch für Busse Partikelminderungssys-
teme geben wird, auch für leichte Nutzfahrzeuge und
Lkw sind Filter auf dem Weg. Die Nachfrage hierfür
muss aber auch da sein. Auch Busunternehmen müssen
sich am Stand der Technik und an strengeren Abgasnor-
men orientieren, ihre Einkaufspolitik sollte sich auf um-
weltfreundliche und abgasarme Fahrzeuge richten.
In der aktuellen Debatte ist es wichtig, Aufklärung
über die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub zu betrei-
ben, statt Ausnahmegenehmigungen zu fordern und Vor-
urteile gegen umweltpolitische Maßnahmen zu reprodu-
zieren. Das sollte auch der FDP inzwischen klar sein.
Derzeit liest man die Ankündigung, dass London im Fe-
bruar 2008 eine Niedrigemissionszone (NEZ) einführt,
sie gilt zunächst für schwere Lkw und wird dann ab Juli
ausgeweitet. Auch Busse sind betroffen. Kaum jemand
kann sich vorstellen, das London damit seine touristi-
sche Attraktivität verliert. Das gilt auch für Berlin und
andere Metropolen.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Ausverkauf von Kre-
diten an Finanzinvestoren stoppen – Verbrau-
cherrechte stärken (Tagesordnungspunkt 20)
Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Die Verbraucher-
rechte bei dem Verkauf von Kreditforderungen zu stär-
ken, ist mit Sicherheit ein guter Vorsatz, der vermutlich
von uns allen – fraktionsübergreifend – unterstützt wird.
Es stellt sich allerdings die Frage, auf welche Weise die-
ses Ziel erreicht werden kann und ob die jetzt vorge-
schlagenen Maßnahmen letztendlich wirklich geeignet
sind, die Position der Verbraucher zu verbessern. Ich
habe da so meine Zweifel.
Auch wenn in Ihrem Antrag manches in die richtige
Richtung weist, verkennen Sie meiner Meinung nach die
volkswirtschaftliche Bedeutung von Kreditverkäufen
und Verbriefungen. Durch Kreditverkäufe und die damit
verbundenen Refinanzierungsmöglichkeiten werden bei
den Banken finanzielle Spielräume frei und Kreditrisi-
ken können weiter gestreut und ausgelagert werden. Mit-
telbar kommen die Kreditverkäufe also auch den Ver-
brauchern zugute. Sie profitieren von einer besseren
Kreditversorgung und günstigeren Konditionen. Bei
neuen gesetzlichen Regelungen muss also immer be-
dacht werden: Alles, was den Verkauf von Kreditforde-
rungen erschwert, schadet langfristig auch den Kredit-
nehmern.
Lassen sie mich nun auf einzelne Punkte des Antrags
eingehen:
Zunächst fordern Sie bei Neuverträgen eine individu-
elle Zustimmung der Darlehensnehmer zu einem Kredit-
verkauf. Im Grundsatz begrüße ich es, dem Kunden die
Möglichkeit zu bieten, einen Verkauf seines Kredits aus-
zuschließen. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung
würde faktisch allerdings einem generellen Abtretungs-
verbot gleichkommen und die Vertragsfreiheit ein-
schränken. Aus unserer Sicht ist es an dieser Stelle sinn-
voller, die Transparenz für die Kreditkunden zu erhöhen.
Das heißt konkret: Die Banken sollen verpflichtet wer-
den, Ihre Kunden bereits bei Vertragsabschluss aus-
drücklich darüber zu informieren, dass der Kredit ver-
kauft werden kann. So erhält der Kunde die Möglichkeit,
einen Vertrag auszuhandeln, bei dem ein Verkauf der
Forderung ausgeschlossen ist. Die öffentliche Diskus-
sion hat bereits jetzt dazu geführt, dass mehrere Banken
15392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
auf freiwilliger Basis den Kreditnehmern zukünftig zwei
Immobilienkreditarten anbieten wollen: einen Kredit,
der verkauft werden kann, und einen, der nicht verkauft
werden kann.
Des Weiteren möchten Sie die Kunden auch bei beste-
henden Verträgen besser schützen. Einige der vorge-
schlagenen Maßnahmen gehen meiner Meinung nach in
die richtige Richtung. Sie sind aber in der jetzt vorgeleg-
ten Version allesamt zu weitgehend.
Als Unionsfraktion verfolgen wir das Ziel, den Kün-
digungsschutz bei Immobilienkrediten zu verbessern.
Eine vollkommene Angleichung der Kündigungsschutz-
regeln an die von Konsumentenkrediten ist allerdings
nicht sachdienlich. Eine Neuregelung muss berücksichti-
gen, dass bei Immobiliardarlehen typischerweise lange
Laufzeiten und niedrige Anfangstilgungen kombiniert
werden. Deshalb wird es in der Regel verhältnismäßig
lange dauern, bis die Vorraussetzungen für eine Kündi-
gung vorliegen. Die vorgeschlagene Neuregelung würde
deshalb Missbrauchsmöglichkeiten einräumen. Die Kre-
ditnehmer könnten bei fallenden Kreditzinsen die Bedie-
nung der Darlehen einstellen, um sich nach einer Kündi-
gung anderweitig günstiger zu finanzieren. Für uns wäre
es deshalb allenfalls denkbar, die Kündigung eines Im-
mobiliardarlehens erst dann zu erlauben, wenn für länger
als einen Monat ein Rückstand von ein viertel der Jah-
resleistung aufgelaufen ist.
Die Forderung, den Darlehensgeber vor Ablauf der
Zinsbindung zu informieren, halten wir für sehr wichtig.
Sie entspricht unserer Vorstellung von mehr Transparenz
und verbesserter aktiver Information des Kunden. Einen
Anspruch auf eine Anschlussfinanzierung und auf die
Höhe der Zinsen ist mit unserem Verständnis von Markt-
wirtschaft allerdings nicht vereinbar und im Sinne des
Verbraucherschutzes auch nicht notwendig. Durch die
frühe Information erhält der Kreditkunde die Möglich-
keit, sich rechtzeitig auch bei anderen Kreditinstituten
um eine Anschlussfinanzierung zu bemühen.
Abschließend möchte ich mich vehement gegen
Punkt 6 des Antrags aussprechen: das Sonderkündi-
gungsrecht unter Verzicht auf die Vorfälligkeitsentschä-
digung. Die Vorfälligkeitsentschädigung ist eine wich-
tige Voraussetzung für die in Deutschland üblichen
Langzeitkredite und Pfandbriefe. Wir sollten unser her-
gebrachtes System der Festzinskredite – für das wir ge-
rade auf europäischer Ebene noch gekämpft haben –
nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Ein Blick auf die Ver-
einigten Staaten zeigt, dass sich unser System der lang-
fristigen Kreditfinanzierung bewährt hat: Einer der
Gründe für die Subprime-Krise in den USA ist die Tatsa-
che, dass Immobilien dort nur mit kurzfristiger Zinsbin-
dung finanziert werden.
In diesem Zusammenhang finde ich es besonders er-
staunlich, Kolleginnen und Kollegen von Die Linke,
dass Sie unter Punkt 17 Ihres Antrags die Bundesregie-
rung dazu auffordern, „mit dem Ziel einer Stärkung des
bewährten deutschen Pfandbrief-Systems die auf euro-
päischer Ebene im Gang befindliche Harmonisierung der
Grundpfandrechte mit höchstem Engagement zu intensi-
vieren und zu beschleunigen.“ Diese Bemühungen der
Bundesregierung würden durch ein Sonderkündigungs-
recht unter Verzicht auf die Vorfälligkeitsentschädigung
ja geradezu konterkariert. Wie soll die Reaktion der
Kommission in Brüssel ausfallen, wenn wir einerseits
auf europäischer Ebene den Erhalt des Pfandbriefs ver-
langen und gleichzeitig im eigenen Land den Festzins
gefährden?
Als Fazit bleibt festzuhalten: Nicht überall, wo Ver-
braucherschutz draufsteht, ist auch Verbraucherschutz
drin! Der Antrag der Fraktion Die Linke verfolgt zwar
ein hehres Ziel, er schießt aber weit über dieses Ziel hi-
naus und gefährdet die Finanzstabilität in Deutschland.
Ein dermaßen falsch verstandener Verbraucherschutz
führt nur zu Preistreiberei!
Für die Union gilt stattdessen: Wir wollen den Schutz
der Kreditnehmer stärken, ohne dabei aber den volks-
wirtschaftlich sinnvollen Verbriefungsmarkt zu gefähr-
den. Dabei sind folgende Punkte für uns entscheidend:
Erstens Transparenz bei Abschluss des Kreditvertrages,
zweitens Benachrichtigung bei Verkauf des Vertrages,
drittens Information vor Auslaufen der Zinsbindung und
viertens verbesserter Kündigungsschutz des Kreditneh-
mers. Bei der Anhörung im Finanzausschuss hat sich
schließlich ein fünfter zentraler Punkt herauskristalli-
siert: die unberechtigte Vollstreckung aus der Grund-
schuld. Hierzu wird Herr Kollege Kolbe unsere Vorstel-
lungen erläutern.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Erstens. Die Union
nimmt alle Probleme mit Kreditverkäufen sehr ernst.
Ohne jeden Zweifel: Bankkunden dürfen nicht willkür-
lichen Forderungseintreibern ausgesetzt werden. Es ist
daher ganz genau zu prüfen, ob und an welcher Stelle
möglicher Handlungsbedarf besteht.
Der Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes enthält
einen Prüfauftrag zur Verbesserung der Transparenz bei
Verkäufen von Kreditforderungen. Vor dem Hintergrund
der zunehmenden Praxis, dass Forderungen aus Verträ-
gen über Immobilien- und sonstige Kredite an in- oder
ausländische Stellen – auch an solche außerhalb der EU
und des EWR – verkauft werden, wird derzeit geprüft,
ob und inwiefern gesetzliche Maßnahmen zur Regelung
des Verkaufs angezeigt sind. Insbesondere ist zu erör-
tern, wie die Transparenz für die Kreditnehmer zu ver-
bessern ist.
Für die Union könnte eine Selbstverpflichtung der
Banken mehr als ein symbolisches Ziel sein, um mehr
Fairness der Banken gegenüber den privaten Kreditneh-
mern zu erzielen. Gesetzliche Maßnahmen zur Siche-
rung der Rechte der Kreditnehmer sind aber wohl unver-
meidlich. Ohne Zweifel bedarf es auf jeden Fall
verbesserter Hinweispflichten für die Kreditnehmer,
wenn ein Kredit verkauft wird und bevor ein solcher aus-
läuft.
Ob ein Sonderkündigungsrecht bei Verkauf des Kre-
dits durch die Bank an Dritte – wie von Teilen der SPD
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15393
(A) (C)
(B) (D)
angedacht – für den Kreditnehmer Sinn macht, ist mehr
als zweifelhaft. Denn zum einen würde die in dem Kre-
ditzins eingepreiste Vorfälligkeitsentschädigung dann
möglicherweise entfallen. Zum anderen könnte dies den
Verkauf von Krediten zur Portfoliobereinigung und Frei-
setzung von Eigenkapital bei den Banken verzögern
bzw. unmöglich machen. Ein Sonderkündigungsrecht
ohne Vorfälligkeitsentschädigung könnte sich zu einer
Gefahr des deutschen Langfristkredits entwickeln.
Mit den Rechtspolitikern sind darüber hinaus Ände-
rungen im Hypotheken- und Grundschuldrecht zu bera-
ten, um theoretisch möglichen Problemfällen bei einer
Zwangsvollstreckung aus abgetretenen Grundpfandrech-
ten durch Dritte begegnen zu können.
Folgende Punkte sind für die Union von wesentlicher
Bedeutung:
Erstens. Eine ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung
etwa durch den Übergang der Grundschuld auf gutgläu-
bige Dritte ist zu unterbinden. Wir schlagen daher vor,
dem Grundstückseigentümer und Darlehensnehmer auch
gegenüber dem neuen Forderungsinhaber (Zessionar)
sämtliche Einwendungen aus dem Darlehensvertrag und
der Sicherungsabrede zu geben. Die bestehende Unsi-
cherheit können wir damit vermeiden.
Zweitens. Wenn ein Kreditinstitut einen Kredit ver-
kauft und nicht Ansprechpartner bleibt, muss es diesen
Verkauf unverzüglich dem Kreditnehmer mitteilen.
Drittens. Wir begrüßen es, dass mehrere Banken auf
freiwilliger Basis den Kreditnehmern zukünftig zwei Im-
mobilienkreditarten anbieten wollen: einen Kredit, der
verkauft werden kann, und einen, der nicht verkauft wer-
den kann. Hier hat die öffentliche Diskussion zu ver-
nünftigen Reaktionen der Banken geführt. Wir erwarten
in den nächsten Wochen weitere Selbstverpflichtungen
der Institute. Dann kann der Verbraucher zwischen Insti-
tuten, die ihm ein solches Angebot machen, und solchen,
die sich dem verweigern, wählen.
Viertens. Wir wollen rechtlich klarstellen, dass ein
Kreditverhältnis nicht allein dann gekündigt werden
kann, wenn die Bank das Vertrauensverhältnis zum Kun-
den verloren hat. Vielmehr darf derjenige, der seinen
Kredit ordnungsgemäß bedient, nicht rechtlos gestellt
werden. Hier arbeiten wir an Regelungen, die auch die
Vorgaben von Basel II angemessen berücksichtigen.
In der Gesamtbetrachtung ist entscheidend: Die
Union will das Recht der Kreditnehmer auf Information
stärken, aber ohne dabei den volkswirtschaftlich sinn-
vollen Verbriefungsmarkt zu gefährden. Wir sind davon
überzeugt, dass dies möglich ist, und erwarten von der
Kreditwirtschaft, dass sie sich an der Lösungsfindung
konstruktiv beteiligt.
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Die Probleme mit
Verkäufen von Krediten sind aktueller denn je. Die SPD-
Fraktion hat dieses Problem bereits seit einiger Zeit er-
kannt und diskutiert und prüft, wie Sie ja sehr gut wis-
sen, gesetzliche Maßnahmen, um einen verbesserten und
effizienten Verbraucherschutz beim Kredithandel zu er-
möglichen.
Worum geht es? In erster Linie bezieht sich die der-
zeitige Diskussion auf den Verkauf von notleidenden
Krediten; in den infrage stehenden Fällen werden diese
von Bankinstituten an auf größtmögliche und schnelle
Rendite orientierte Finanzinvestoren verkauft. Man
schätzt hierbei, dass das gehandelte Volumen circa
10 bis 12 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht, bei einer
Gesamtsumme von existierenden notleidenden Krediten
in Höhe von 160 bis 300 Milliarden Euro.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz auch auf den
Verkauf von „ordnungsgemäß bedienten Krediten“, also
gesunden Krediten, eingehen. In der letzten Zeit wurde
insbesondere durch Medien der Eindruck erweckt, dass
auch beim Verkauf von gesunden Krediten der einzelne
Kreditnehmer kurz vor der Zwangsvollstreckung stünde.
Diese Berichterstattungen haben zu einer großen Ver-
unsicherung in der Bevölkerung geführt. Richtig ist
zwar, dass unter bestimmten Umständen eine solche
Maßnahme drohen kann, Gott sei Dank ist sie nur unter
besonderen Umständen möglich. Die gesetzliche Lücke,
die dies bisher ermöglichte, werden wir daher schließen.
Das weit aus größere Problem stellen die sogenannten
notleidenden Kredite dar. Ein Kredit ist dann notleidend,
wenn er durch das Kreditinstitut bereits gekündigt bzw.
jederzeit außerordentlich kündbar ist. Momentan ist es
dabei noch so, dass die Banken in ihren AGBs regeln, ab
welchem Zeitpunkt der Kredit des in Verzug geratenen
Kreditnehmers fällig gestellt werden kann. Meistens ist
dies bei zwei oder drei hintereinander ausfallenden Kre-
ditraten der Fall.
Es ist leider zu beobachten, dass viele Banken sich des
Risikos entledigen und diese Kredite an einen Finanz-
investor veräußern. Dass dieser dann nichts Gutes im
Schilde führt, ist jedem von uns sicherlich klar. Finanz-
investoren haben in erster Linie ein Interesse daran,
schnelle und effiziente Renditen zu erzielen, und betrei-
ben daher häufig unmittelbar die Zwangsvollstreckung,
um die Immobilie dann veräußern zu können. An einer
Zusammenarbeit mit dem Schuldner, um Lösungen und
Wege zu finden, diesen aus der Schuldenfalle zu holen,
haben derartige Institute daher kein Interesse. Im Gegen-
teil: Da sie häufig keine Vollbanken sind, können sie
eventuelle Anschlussfinanzierungen auch gar nicht be-
willigen. Für den Haus- oder Wohnungseigentümer, der
sich lange und häufig unter großer Eigenleistung den
Traum seines Eigenheimes realisiert hat, bedeutet diese
Praxis dann den Verlust seines Eigentums, ohne auch nur
die geringste Chance auf Lösung seines Problems zu er-
halten. Eine solche Entwicklung können wir nicht länger
akzeptieren und werden sie deshalb stoppen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die arrogante
Argumentation einiger Bankinstitute zitieren, die belegt,
welche Beweggründe sie treiben, vor allem notleidende
Kredite zu veräußern. So heißt es in der Info-Broschüre
„Deutsche Bank Research“ vom 5. April letzten Jahres
auf den Seiten 7 und 8:
15394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
Während Banken im Allgemeinen und vorwiegend
regional tätige Institute im Besonderen Rücksicht
auf ihren Ruf nehmen und deshalb bei der Abwick-
lung von Krediten behutsamer vorgehen, können
Abwicklungsgesellschaften ihre bzw. die Interessen
ihrer Auftraggeber bei den Verhandlungen und – im
Falle des Scheiterns – bei der Zwangsvollstreckung
offener durchzusetzen versuchen.
Eine Kommentierung dieser doch ganz klaren Aus-
sage erspare ich mir. Sie unterstreicht aber die dringende
Notwendigkeit, gesetzgeberisch einzugreifen und den
Kreditnehmer im Falle des Verkaufs der Forderung er-
heblich besser zu schützen. Deshalb sind für uns Sozial-
demokraten Verbraucherinteressen von besonderer Be-
deutung.
Ein Häuslebauer entscheidet sich bei der Finanzie-
rung einer Immobilie ganz bewusst für eine bestimmte
Bank, der er vertraut, bei der er sich gut beraten und auf-
gehoben fühlt und bei der er die Option auf Anschluss-
finanzierung eines Kredites erhält. Wird nun sein Kredit
verkauft, ist diese Option meist nicht mehr gegeben, da
der Aufkäufer keine Vollbank ist und keine Kredite ver-
geben darf. Zudem erfährt der Kreditnehmer vom Ver-
kauf meist gar nichts und ist daher zu Recht völlig ent-
setzt, wenn eines Tages der „böse Onkel aus Amerika“
vor der Tür steht und nach seinem Grundstück lechzt.
Auch werden beim Verkauf von Krediten häufig daten-
schutzrechtliche Bestimmungen verletzt.
Sie sehen also, es ist für einen Finanzinvestor relativ
einfach, an ein Grundstück eines in Schwierigkeiten ge-
kommenen Schuldners zu kommen zumal sich fast jeder
Kreditnehmer den Banken doppelt – in Form der Bestel-
lung einer Grundschuld sowie eines abstrakten Schuld-
anerkenntnisses – unterwirft und zudem fast immer eine
Vollstreckbarkeitserklärung beim Notar unterzeichnet,
die die Zwangsvollstreckung in ein Grundstück ohne
aufwendiges und lang andauerndes gerichtliches Verfah-
ren möglich macht. Zwar hat jeder Schuldner Möglich-
keiten, sich gerichtlich gegen die Zwangsvollstreckung
zu wehren, aber realistischerweise muss man davon aus-
gehen, dass die meisten in Not geratenen Schuldner ein
solches Verfahren zum einen nicht finanzieren können
und zum anderen dieses aufgrund der Situation auch
keine Aussicht auf Erfolg haben wird. Es ist deshalb er-
forderlich, hier gesetzgeberisch einzugreifen und die
Rechte der Kreditnehmer deutlich zu verbessern.
Viele gute Überlegungen haben wir daher bereits ge-
tätigt, die zurzeit intensiv diskutiert, rechtlich geprüft
und in Gesetzestext formuliert werden. Auch die Exper-
tenanhörung zum Risikobegrenzungsgesetz wird zurzeit
ausgewertet und geprüft. Um es vorab zu sagen: Sachge-
rechte Vorschläge für einen verbesserten Verbraucher-
schutz sind auf dem Tisch. So sollen Banken verpflichtet
werden, ihre Kreditnehmer von jedweder Zession zu in-
formieren, mit anderen Worten: Die gängige Praxis der
stillen Abtretung, also Verkauf und Abtretung der Forde-
rung und der Grundschuld ohne Wissen des Schuldners,
soll zukünftig nicht mehr möglich sein. Auch sollte man
darüber nachdenken, ein Abtretungsverbot in den Darle-
hensvertrag mit aufzunehmen. Entgegen der Drohung
vieler Banken muss dies nicht zu einer Verteuerung der
Kredite führen.
Ein wichtiges Kriterium erscheint mir darüber hinaus,
gesetzlich festzulegen, ab welchem Zeitpunkt ein Kredit
notleidend wird. Damit wird die zurzeit unterschiedliche
Praxis der AGBs der Banken vereinheitlicht und wir
würden Rechtssicherheit für die Verbraucher, aber auch
für die kreditgebende Bank herstellen. Es kann nicht
sein, dass ein Verbraucherkredit über 5 000 Euro um-
fangreichen gesetzlichen Schutz findet, ein Immobilien-
kredit über 100 000 Euro jedoch nicht.
Zuletzt sollten wir auch weiterhin über ein Sonder-
kündigungsrecht nachdenken, welches selbstverständ-
lich – um den Verbraucher aber auch den Unternehmer
nicht übermäßig zu belasten – Regelungen bezüglich der
Vorfälligkeitsentschädigungen, die nicht selten im fünf-
stelligen Eurobereich liegen, enthalten muss. Auch bei
der Wahl von Disagio-Varianten ist über eine anteilige
Rückzahlung des Disagios nachzudenken.
Ich denke, unser wichtigstes und primäres Ziel bei
den anstehenden Gesetzesänderungen muss es sein,
Möglichkeiten auszuloten, gerade in Not geratenen
Schuldnern eine Chance einzuräumen, ihre – häufig
auch für das Alter erworbene – Immobilie zu erhalten
bzw. mit ihrer Hausbank Lösungen zu erarbeiten, wieder
ordentlich ihre Kredite bedienen zu können. Selbstver-
ständlich darf in der Abwägung aller Interessen auch der
Gläubigerschutz nicht zu kurz kommen.
Der Handel mit Krediten in Deutschland wird in Zu-
kunft um ein Vielfaches ansteigen. Es besteht also drin-
gender politischer Handlungsbedarf. Wir Sozialdemo-
kraten setzen uns deshalb gezielt für die Stärkung der
Verbraucherrechte ein, denn der Kreditnehmer darf nicht
der Dumme sein, und der Traum von den eigenen vier
Wänden darf nicht zum Albtraum werden.
Carl-Ludwig Thiele (FDP): Seit eineinhalb Jahren
beschäftigen wir uns mit der Problematik der Veräuße-
rung von Krediten. Nunmehr hat die Links-Fraktion am
Dienstag einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein-
gebracht, der heute in 1. Lesung beraten werden soll. Die
FDP-Fraktion hat durch meine Kollegin Mechthild
Dyckmanns hierzu schon im Spätsommer 2006 entspre-
chende Fragen an die Bundesregierung gerichtet. Wir
haben seitdem eine intensive Diskussion geführt, zuletzt
auch während einer Anhörung des Finanzausschusses
des Deutschen Bundestages. Die FDP hat immer darauf
hingewiesen, dass zwischen den Krediten, die ordnungs-
gemäß bedient wurden und den Krediten, die nicht ord-
nungsgemäß bedient wurden zu unterscheiden ist. Die
Kredite, die ordnungsgemäß bedient wurden, genießen
aus Sicht der FDP einen deutlich höheren Schutz als die
Kredite bei denen der Schuldner seinen vertraglichen
Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Die FDP be-
grüßt, dass wir uns in diesem Bereich inzwischen in ei-
ner öffentlichen Diskussion befinden, die auch schon
dazu geführt hat, dass einzelne Kreditinstitute erklärt ha-
ben, dass die Forderungen ihrer Kunden nicht abgetreten
werden. Insofern ist es gut, dass der Wettbewerb auch
zwischen den Banken funktioniert und der Wettbewerb
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15395
(A) (C)
(B) (D)
selbst schon zu entsprechenden Angeboten für die Kun-
den geführt hat. Auf einige Punkte möchte ich konkret
eingehen. Erstens: Die FDP hält es für notwendig, dass
eine geeignete Regelung geschaffen wird, nach der die
Kreditnehmer bei Vertragsabschluss die Abtretung aus-
schließen können, wobei auf die damit verbundenen ge-
gebenenfalls höheren Kreditkosten hingewiesen werden
soll. Zweitens: Wenn eine Forderung abgetreten wird,
dann sollte dieses dem Schuldner mitgeteilt werden.
Drittens: Bei Auslaufen der Festzinsvereinbarung halte
ich es für nachdenkenswert, dass der Schuldner mit ei-
nem gewissen Vorlauf vom Kreditinstitut im Sinne einer
Warnfunktion auf das Auslaufen der Festzinsvereinba-
rung hingewiesen wird. Dies dient nicht nur dem
Schuldner, sondern auch dem Kreditinstitut, weil da-
durch frühzeitig Gespräche über eine Fortführung des
wechselseitigen Kreditverhältnisses begonnen werden
können. Viertens: Es ist darüber nachzudenken, ob die
Befreiung vom Bankgeheimnis durch allgemeine Ge-
schäftsbedingungen ausgeschlossen werden kann. Ich
könnte mir persönlich vorstellen, dass dies zukünftig
nicht mehr durch eine Regelung in den Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen möglich ist, sondern ausdrücklich
im Vertrag enthalten sein muss. Sie dürfen nicht verges-
sen, dass insbesondere für viele Eigenheimbesitzer der
Kauf und die Finanzierung einer Immobilie nur einmal
im Leben stattfindet. Ein Großteil des Vermögens und
auch der Altersvorsorge steckt in dieser Immobilie. Dies
sollte bei entsprechenden Überlegungen berücksichtigt
werden. Auf der anderen Seite muß aber auch die Funk-
tionsfähigkeit des Finanzplatzes sichergestellt sein.
Insofern müssen Abtretungen von Forderungen von Kre-
ditinstituten grundsätzlich möglich sein, denn auch Ban-
ken können einmal schwierige Zeiten erleben oder in
eine Notlage geraten. Dieses erleben wir derzeit tagtäg-
lich. Dann muß es aber auch möglich sein, im Interesse
der Einlagen von Kunden bei den Banken die Bank so
umzustrukturieren, dass sie wieder tragfähig ist und des-
halb aus eigener Kraft die Möglichkeit hat, die ihnen an-
vertrauten Gelder ordnungsgemäß zu verzinsen und zu-
rückzuzahlen.
Seitens der FDP werden wir diese Diskussion enga-
giert weiterführen.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Mit dem Zitat „Wer
pünktlich zahlt, hat gar nichts zu befürchten“, betitelte
die Berliner Zeitung vom 8. Februar ihr Interview mit
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Gegenstand
waren der Verkauf von Krediten und die Sorgen von Im-
mobilienkreditnehmer und -kreditnehmerinnen. „Der
Bundesregierung seien keine Fälle bekannt, bei denen es
trotz ordnungsgemäßer Bedienung des Darlehens zu ei-
ner Zwangsversteigerung eines Eigenheims gekommen
sei“, so Frau Zypries weiter. Mit dieser Sachverhaltsdar-
stellung schlägt sich die Bundesregierung auf die Seite
von Banken und Finanzinvestoren, die ihrerseits eben-
falls bemüht sind, ihre zunehmend schärferen Beitrei-
bungs- und Zwangsversteigerungspraktiken klein zu re-
den. Anwältinnen und Anwälte von Betroffenen und
Verbraucherschutzorganisationen vermitteln da ein ganz
anderes Bild. Während der Anhörungen im September
und im Januar berichteten diese von einer Vielzahl an
Fällen. Eine gängige Methode ist, dass mit einer Voll-
streckung der sofort fälligen Grundschuld die Notlage
und die Kündigungsvoraussetzungen überhaupt erst ge-
schaffen werden! Vor diesem Hintergrund ist die Dar-
stellung der Ministerin zynisch.
Dank des rastlosen Engagements von Betroffenen und
ihren Rechtsbeiständen ist es gelungen die Problematik
einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Der öf-
fentliche Protest hat auch die Regierung schließlich zum
Handeln gezwungen. Dass diese das höchst ungern tut,
war unter anderem daran zu erkennen, dass der Regie-
rungsentwurf der Bundesregierung zum Risikobegren-
zungsgesetz diese Problematik zunächst mit keinem
Wort erwähnte. Die mittlerweile angedachten Maßnah-
men sind im besten Falle partielle Verbesserungen in De-
tailfragen. Sie lösen nicht die Kernprobleme. Stattdessen
bergen sie in zentralen Fragen sogar die Gefahr einer
dramatischen Verschlechterung des Verbraucherschut-
zes. So hebelt die vorgeschlagene Neufassung des § 496
BGB den bestehenden § 415 BGB definitiv aus. Letzter
hatte für die Wirksamkeit einer Vertragsübertragung aus-
drücklich eine Zustimmungspflicht des Kreditnehmers
oder der Kreditnehmerin vorgesehen. Statt der Zustim-
mung soll in Zukunft nur noch die Information der Kre-
ditnehmerin oder des Kreditnehmers notwendig sein.
Im derzeit laufenden Verfahren zum Risikobegren-
zungsgesetz ist nicht abzusehen, dass die Koalition wirk-
lich bereit ist, durchgreifend für Rechtssicherheit bei der
Kreditvergabe zu sorgen. Daher hat die Fraktion Die
Linke den Antrag „Ausverkauf von Krediten an Finanz-
investoren stoppen – Rechte von Verbraucherinnen und
Verbrauchern stärken“ eingebracht. Dieser ist nach ein-
gehender Auswertung zweier Anhörungen im Rahmen
des Finanzausschusses sowie einer Vielzahl von Bera-
tungen mit Experten/-innen und Betroffenen erarbeitet
worden. Mit diesem Antrag verfolgen wir im Kern zwei
Anliegen: Zum einen geht es um die Schaffung von
Rechtssicherheit für Kreditnehmerinnen und Kreditneh-
mer. Zum anderen geht es darum Lehren aus der US-Hy-
pothekenkrise zu ziehen und hierzulande vorsorglich al-
les dafür zu tun, dass eine Anhäufung von Risiken für
die Finanzstabilität rechtzeitig vermieden wird.
Die Schaffung von mehr Rechtssicherheit, insbeson-
dere für die Immobilienkreditnehmer und -kreditnehme-
rinnen, aber beispielsweise auch für mittelständische
Unternehmen, muss für diese dadurch gewährleistet
werden, dass deren Zustimmung zur Auswechslung des
Vertragspartners ausdrücklich eingeholt werden muss.
Ausdrücklich meint, dass eine standardisierte Zustim-
mung im Kleingedruckten der Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen (AGB) nicht zulässig ist und auch nicht
durch die Androhung eines höheren Zinssatzes erzwun-
gen werden darf. Ebenso sind Umgehungsmöglichkei-
ten, etwa durch Abspaltung von Teilen eines Kreditinsti-
tutes, dadurch zu verhindern, dass auch für solche Fälle
die explizite Zustimmung der Darlehensnehmerinnen
und Darlehensnehmer eingeholt werden muss. Weiterhin
wird in unserem Antrag klargestellt, dass zum Beispiel
allein der Umstand, dass ein Kreditnehmer oder eine
Kreditarbeitnehmerin arbeitslos wird, dies die Bank
15396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
noch nicht berechtigt, eine wesentliche Verschlechterung
der Vermögensverhältnisse festzustellen, um dann den
Kredit kündigen zu können.
Insbesondere die Finanzierung von Immobilien ist für
eine Vielzahl von Menschen mit einer erheblichen finan-
ziellen Kraftanstrengung verbunden. Scheitert diese, so
können damit im Handumdrehen existenzielle Probleme
verbunden sein. Aus diesem Grunde ist es auch erforder-
lich, dass die kreditgebenden Institute stärker in die Ver-
antwortung genommen werden, die ihnen aus ihrer be-
sonderen Vertrauensstellung erwächst. Das heißt für uns,
dass zweifelsfrei sichergestellt sein muss, dass Kredit-
nehmer und Kreditnehmerinnen in der Zwangsvollstre-
ckung vor der doppelten Inanspruchnahme geschützt
sind. Zudem sind aber auch Maßnahmen im Vorfeld zu
ergreifen, damit es möglichst erst gar nicht so weit
kommt. Hierzu ist es nötig, die Pflicht zur Beratung zu
präzisieren und die Unterbreitung seriöser Angebote zur
Anschlussfinanzierung zu verlangen. Plant eine Bank
dennoch einen laufenden Kreditvertrag an einen Dritten
weiterzureichen, so ist dem Verbraucher das Recht auf
Kündigung ohne Vorfälligkeitsentschädigung einzuräu-
men.
Auf dem US-Hypothekenmarkt wurde uns eindring-
lich vor Augen geführt, welche Folgen der Sittenverfall
bei der Kreditvergabe haben kann, wenn gleichzeitig die
Vorschriften zur Rechnungslegung und die Finanzmarkt-
aufsicht den Anforderungen nicht genügen. Noch sind
die Verhältnisse in den USA nicht vergleichbar mit den
unsrigen. Allerdings sollte uns allen der Hinweis von
Professor Reifner vom Institut für Finanzdienstleistun-
gen eine Warnung sein, der in der Anhörung darauf hin-
wies, dass sich in Deutschland mittlerweile die Qualität
der Kredite ähnlich dramatisch verschlechtere, wie vor
zehn Jahren in den Vereinigten Staaten. Versäumen wir
es, hier rechtzeitig gegenzusteuern, dann können wir uns
in Nordamerika heute anschauen, was uns auch in
Deutschland in einigen Jahren blühen kann. Mahnen
sollte uns nicht nur die Existenzbedrohung von Millio-
nen amerikanischen Hypothekenkreditnehmern/-innen,
sondern auch die akute Gefährdung der Finanzstabilität.
Während etwa das Bundesfinanzministerium derzeit
noch von Wertverlusten in der Höhe von weltweit
400 Milliarden US-Dollar – resultierend aus der US-Im-
mobilienkrise ausgeht – wird anderenorts von Experten
ein Wertverlust in der Größenordnung der gesamten
deutschen Wertschöpfung eines Jahres, nämlich rund
2,5 Billionen US-Dollar vermutet.
Daher wollen wir es nicht nur bei klareren und ein-
deutigen Regelungen der Vertragsbeziehungen im BGB
belassen. Neben der Verpflichtung der Kreditinstitute
auf eine seriösere Kreditvergabe ist es dringend erforder-
lich, dass ausnahmslos alle Risiken, die von Banken aus-
platziert werden, in der Rechnungslegung dokumentiert
und der Aufsicht gemeldet werden müssen. Schließlich
greifen wir auch die von Verbraucherschützern wieder-
holt vorgetragene Forderung auf, dass die BaFin nicht
nur im abstrakten, öffentlichen Interesse sondern auch
im Verbraucherinteresse tätig werden soll. Letzteres
würde zugleich auch präventiv die Finanzstabilität si-
chern, wohingegen die BaFin heute oftmals erst tätig
werden kann, wenn das Kind bereits in den Brunnen ge-
fallen ist.
Während die Koalition nun bereits zum wiederholten
Male die weitere Behandlung des Risikobegrenzungsge-
setzes verschoben hat, haben Sie hier die Gelegenheit für
eine durchgreifende Verbesserung im Interesse der Ver-
braucher, der mittelständischen Wirtschaft und der Fi-
nanzstabilität zu sorgen, indem Sie unserem Antrag im
weiteren Verfahrensgang zustimmen. Ich fordere Sie auf,
sich nicht zu verweigern!
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir debattieren hier in erster Lesung einen Antrag der
Linken zum Kreditverkauf an Finanzinvestoren. In den
Medien waren in den vergangenen Monaten immer wie-
der Berichte zu vernehmen, in denen von schnellen
Zwangsvollstreckungen von Forderungen aus Immobi-
lienkrediten berichtet wurde. Leute, die nur minimal mit
ihren Zahlungen in Verzug waren, laut Medienberichten
sogar welche, die immer pünktlich gezahlt haben, wur-
den rigoros aus ihrem Wohneigentum vertrieben. Der
Grund dafür? Die Bank oder Sparkasse, die ursprünglich
den Kredit vergeben hatte, hatte das Darlehen mittler-
weile an einen Finanzinvestor verkauft. Der hat aber
eher ein Interesse am schnellen Euro als an einer lang-
fristigen Sanierung. Deswegen haben diese Investoren
nicht lange gezögert und die Grundschuld verwertet. Er-
gebnis: Die Betroffenen sahen sich nach einer Zwangs-
versteigerung genötigt, ihr ehemaliges Wohneigentum
zu verlassen. Diese Zustände haben wir von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen seit vielen Monaten angepran-
gert. Wir haben einen Antrag hier im Bundestag bereits
im Juni vergangenen Jahres eingereicht. Dass nun auch
die Linken mit einem Antrag nachziehen, freut uns.
Auch, dass sie im Gegensatz zur Bundesregierung hier
einen Antrag vorlegen, der die Stärkung der Rechte der
Verbraucherinnen und Verbraucher in den Vordergrund
stellt. Dieses Ziel teilen wir. Der Schlüssel dazu ist mehr
Transparenz und Bedingungen, die die Verbraucherinnen
und Verbraucher wieder auf Augenhöhe mit den Kredit-
instituten bringen.
Wir wollen deswegen, dass die Kreditnehmerinnen
und Kreditnehmer und immer vom Gläubiger vor Ver-
tragsabschluss auf einen möglichen Darlehensverkauf
hingewiesen werden müssen. Nur dann wissen die
Schuldnerinnen und Schuldner, auf was sie sich einlas-
sen, und die Bedingung, ob ein Kredit verkäuflich ist
oder nicht, kann Teil der Bedingungen in den Kreditver-
handlungen werden.
Immer wieder wurden Kredite verkauft, ohne dass die
Schuldner wussten, an wen. Das muss sich ändern. Des-
wegen sollen im Verkaufsfall die Kreditnehmerinnen
und Kreditnehmer unverzüglich nach dem Verkauf über
den Gläubigerwechsel informiert werden müssen. Nur
so können sie sich effektiv auf die neue Lage einstellen.
Diese Informationspflichten müssen für notleidende und
nichtnotleidende Kredite gelten. Um auch über diese
Differenzierung Klarheit zu gewinnen, muss eine Quali-
fikation gesetzlich geregelt sein. Es kann nicht sein, dass
die Gläubiger über die Unterscheidung bestimmen, die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15397
(A) (C)
(B) (D)
dann massive rechtliche Folgen hat. Die Unterscheidung
in notleidende und nichtnotleidende Kredite ist von zen-
traler Bedeutung. An der Einstufung der Darlehen orien-
tiert sich eine lange Reihe von Rechtsfolgen, an deren
Ende die Entscheidung über eine Zwangsvollstreckung
steht. Bisher sieht die Bundesregierung nicht vor, diese
Unterscheidung festzuschreiben. Das darf nicht sein, wir
brauchen eine differenzierte, rechtlich präzise und pra-
xistaugliche Unterscheidung zwischen notleidend und
nichtnotleidend. Das muss auch im Gesetz stehen. Es
kann nicht sein, dass jede Bank hier verfahren kann, wie
sie will.
Vor jeder Zwangsvollstreckung muss ein obligatori-
scher Sanierungsversuch stehen. Damit soll sicherge-
stellt werden, dass die Schuldnerinnen und Schuldner
Gelegenheit haben, sich aus ihrer finanziellen Notlage
zu befreien, ohne gleich ihr Wohneigentum zu verlieren.
Die Möglichkeit zur Verbriefung von Krediten soll er-
halten bleiben. Denn die Banken müssen die Chance be-
halten, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten per Kredit-
handel zu Geld zu kommen und sich selber zu sanieren.
Die Aufnahme eines Immobilienkredits ist für die
meisten Menschen die größte und wichtigste finanzielle
Entscheidung ihres Lebens. Sie haben nur selten Erfah-
rungen bei der Kreditaufnahme, ganz anders als die Kre-
ditgeber. Verbraucherinnen und Verbraucher bedürfen
deswegen eines besonderen Schutzes seitens des Gesetz-
gebers. Der Antrag der Linken, den wir hier verhandeln,
stellt das richtige Ziel, einen umfassenden Schutz der
Verbraucherinnen und Verbraucher, in den Vordergrund.
Einige der Maßnahmen, die die Linksfraktion hier vor-
schlägt, ähneln in verblüffender Weise unseren Ideen.
Das begrüßen wir ausdrücklich. Über die einzelnen
Maßnahmen werden wir uns im parlamentarischen Ver-
fahren austauschen. Der Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung liegt ja bereits vor, ebenso wie unser Antrag aus
dem vergangenen Sommer. Wichtig bleibt, die Inte-
ressen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Blick
zu haben. Die Gläubiger müssen dabei nicht über Ge-
bühr belastet werden.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: EU-Importverbot
für illegales Holz durchsetzen (Tagesordnungs-
punkt 21)
Cajus Caesar (CDU/CSU): „Nicht wegsehen, son-
dern hinsehen.“ Diese Aussage unserer Bundeskanzlerin
Frau Dr. Angela Merkel gilt auch für den Schutz unserer
Urwälder. Leider wird die herausragende Bedeutung der
Wälder für unsere (Um-)Welt insgesamt noch immer
gravierend unterschätzt. Wälder sind die grüne Lunge
unserer Erde. Sie beeinflussen das Klima, den Wasser-
haushalt und sind wesentliche Kohlenstoffspeicher. Die
Zerstörung dieser Naturschätze hat verheerende ökolo-
gische, soziale und ökonomische Folgen: Sie führt zu
Überschwemmungen, Erosionen, fortschreitender De-
sertifikation und verstärken den CO2-Anstieg. Der Ver-
lust an biologischer Vielfalt verkleinert und destabilisiert
den natürlichen Genpool. Die Lebensumgebung und
wirtschaftliche Grundlage zahlreicher indigener Bevöl-
kerungsstämme wird zerstört. Wissenschaftliche Pro-
gnosen zeigen, dass ohne eine deutliche Trendwende
sämtliche tropischen Feuchtwälder in den nächsten
50 bis 100 Jahren von der Erde verschwunden sein wer-
den. Mit ihnen auch die bislang unerforschte Vielzahl an
Tieren und Pflanzen.
Vor allem illegaler Einschlag und der Handel mit die-
sem Holz zieht erhebliche umwelt- und entwicklungs-
politische Schäden nach sich. Der massive Einschlag
läuft allen Regeln nachhaltiger Waldbewirtschaftung zu-
wider und verursacht irreparable Wald- und Umwelt-
schäden. Die große Nachfrage nach dem beliebten
Artikel fördert organisierte Kriminalität, verursacht zahl-
reiche Landrechtskonflikte und lenkt die ländliche Be-
völkerung in illegale Bahnen. Die durch den illegalen
Handel verursachten Steuerausfälle fehlen in den Staats-
kassen der betroffenen Regierungen. Nicht selten wird
das am Staat vorbei verdiente Geld auch für die Finan-
zierung bewaffneter Konflikte eingesetzt.
Jährlich werden allein in den Tropen 15 Millionen
Hektar Wald abgeholzt. Dies entspricht einer Fläche von
der Gesamtgröße Bayerns, Baden-Württembergs und
Niedersachsens oder halb Italiens. Neben den verheeren-
den Auswirkungen der weltweiten Brandrodungen ge-
hen allein etwa 7,2 Millionen Hektar durch den, zumeist
illegalen, Holzeinschlag verloren. Allein in Russland,
dem Land mit den drittgrößten Urwaldflächen von ins-
gesamt 750 Millionen Hektar, stammen bis zu 50 Pro-
zent des Holzes aus illegalen Quellen. In den Tropen ist
der Anteil sogar noch höher. Indonesisches Tropenholz
stammt zu 70 Prozent aus illegalen Quellen. Im brasilia-
nischen Amazonasgebiet liegt der Anteil sogar bei
80 Prozent. Angesichts der dramatischen Situation der
Urwälder sind wirksame Maßnahmen auf internationa-
ler, europäischer und nationaler Ebene dringend erfor-
derlich.
Einig sind wir uns auch, dass FLEGT, Forest Law
Enforcement, Governance and Trade, eine bedeutende
Festlegung im Kampf gegen illegalen Holzeinschlag ist.
Ein wirksames europäisches Instrument gegen illegales
Tropenholz würde die Anreize für den illegalen Holzein-
schlag erheblich eindämmen und damit der Umwelt und
der auf den Wald angewiesenen Bevölkerung erheblich
helfen. Erste Erfolge sind schon zu verzeichnen – noch
dieses Jahr werden Verträge mit Kamerun, Ghana und
Malaysia geschlossen.
Leider lässt sich aber auch nicht bestreiten, dass die
Verhandlungen mit einigen anderen Partnerländern in
der letzten Zeit erheblich stocken. Die Kommission hat
erkannt, dass einige Vorgehensweisen und Konzepte ver-
besserungsbedürftig sind. Die von Ihnen angesprochene
Mitteilung wird, vor allem auf Drängen der deutschen
Bundesregierung, im Mai diesen Jahres erwartet. Hierbei
sollen Verbesserungsvorschläge und rechtliche Alterna-
tiven zu FLEGT aufgezeigt werden. Unbeachtet bleibt
dieses europäische Projekt aber nicht. Japan und China
15398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
haben sich in letzter Zeit durchaus positiv zu einer mög-
lichen Zusammenarbeit im Rahmen des EU-FLEGT-Pro-
gramms ausgesprochen. Aber auch das nationale und in-
ternationale Engagement Deutschlands im Kampf gegen
den Klimawandel und die Zerstörung der Wälder darf
nicht außer Acht gelassen werden.
Erst kürzlich konnte ich mich bei einer Reise mit dem
Bundesumweltminister nach China davon überzeugen,
dass Deutschland enorme Projekte zur Wüstenbekämp-
fung, zum Erhalt von Urwäldern und zur Wiederauffors-
tung vornimmt. International gesehen ist Deutschland
mit 300 Millionen Euro der größte Geber im Bereich
Waldschutz. Allein in Nord-China wurden bei einer
50:50-Finanzierung für den Waldschutz seit 1995
195 Millionen Euro für entsprechende Projekte einge-
setzt. Die Ergebnisse sind überzeugend: Der Rückgang
von Naturwäldern in den Ober- und Mittelläufen des
Jangtse und des Gelben Flusses wurde aufgehalten.
Durch verstärkten Einsatz gelang es, die illegale Holz-
nutzung fast vollständig zum Stillstand zu bringen. Im
Rahmen des letzten Fünfjahresplanes wurden 22,33 Mil-
lionen Hektar aufgeforstet. Die Bundesregierung unter-
stützt zudem ein PPP-Projekt für die Forstzertifizierung.
Auch andere Pilot-Waldschutzprojekte deutscher Ent-
wicklungsorganisationen in Afrika, Lateinamerika und
Osteuropa sind wegweisend für den internationalen Um-
weltschutz.
Die aktuelle Initiative der Bundesregierung „Business
and Biodiversity“ will deutsche Firmen, die auch inter-
national von großer Bedeutung sind, zur Mitarbeit bewe-
gen. Gemeinsam will man Lösungen zum Schutz des
Tropenwaldes und der Artenvielfalt erarbeiten. Auch
dürfen die zahlreichen Selbstverpflichtungen der deut-
schen Wirtschaft, wie zum Beispiel der Verhaltenskodex
des Gesamtverbandes Deutscher Holzhandel, nicht un-
terschätzt werden. Dieser dient den Mitgliedsunterneh-
men als Richtlinie für raubbaufreien Holzimport und
zeigt ganz deutlich: Klimaschutz und Industrie schließen
sich nicht aus.
Im internationalen Rahmen setzt sich Deutschland
verstärkt für die Integration des Waldschutzes in das
weiterentwickelte Klimaregime ein und unterstützt Pläne
zur Inwertsetzung ökologischer Leistung unserer Wälder
sowie neue Initiativen wie zum Beispiel das REDD, Re-
duced Emissions from Degradation und Deforestation.
Auch Sie, meine Damen und Herren der Grünenfraktion,
wissen, dass das Thema Urwaldschutz sehr facettenreich
ist. In den sieben Jahren Ihrer Regierungszeit mit Ihrem
Minister ist es Ihnen nicht gelungen, Pflöcke zum Schutz
des Urwaldes einzuschlagen. Zugegebenermaßen ist dies
ein sehr schwer umzusetzendes Thema, nicht zuletzt
weil wir es hierbei nicht selten mit vielen unterschiedli-
chen Akteuren, die nicht nach unseren Standards han-
deln, zu tun haben. Dennoch zeigen die genannten Bei-
spiele, dass es auch anders laufen kann – wie jetzt unter
der unionsgeführten Koalition. Deutschland ist Gastgeber
der 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens
über die biologische Vielfalt, Convention on Biological
Diversity, CBD. Vor dem Hintergrund zahlreicher erfolg-
reicher Bemühungen haben wir gute Voraussetzungen in
Bonn, aber auch im Rahmen des zweijährigen Vorsitzes
des CBD-Sekretariats, bis zum Jahre 2010 ein weltweites
Netz von Schutzgebieten mit nachhaltiger Bewirtschaf-
tung, ein „Netz des Lebens“ zu erzielen.
Wenn wir unsere Wälder schützen wollen, müssen
wir Regelungen erreichen, die die betroffenen Länder,
die Menschen vor Ort und die beteiligte Holzindustrie
von der Bedeutung der Urwalderhaltung, im Sinne des
Klimaschutzes und der Artenvielfalt, überzeugen. Maß-
geblich hierfür sind vor allem: politische Reformen, Un-
terstützung der lokalen Bevölkerung, Kapazitätenauf-
bau, Zertifizierung und Überwachung. Gute Lösungen
brauchen Zeit. Ein auf die Schnelle beschlossenes, aber
uneffizientes System kostet Zeit und Geld und hilft
dennoch keinem. Gerade gestern wurde mir bei der öf-
fentlichen Anhörung zum Thema Biomasse hier im Bun-
destag wieder deutlich: Nachhaltigkeitsstrategien und
Überprüfungssysteme in diesen Bereichen verfolgen
gleiche Ziele und müssen ineinander greifen – anders
können Effizienz und Nachhaltigkeit nicht durchgesetzt
werden. Die bereits erprobten und bewährten Zertifizie-
rungsmechanismen wie PEFC-Standards und das FSC-
System spielen hierbei eine große Rolle.
Die Bundesregierung hat sich jederzeit für eine zü-
gige Einsetzung des FLEGT-Aktionsplans eingesetzt, hat
aktiv an der Verabschiedung der Verordnung mitgearbei-
tet und wird das Vorankommen und eine mögliche
Reform dieser Verordnung auch weiterhin tatkräftig un-
terstützen. Zu dem von Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, in die parlamen-
tarische Diskussion eingebrachten Antrag, der – wie
schon so häufig – eine nationale Strategie im Kampf ge-
gen illegalen Holzeinschlag vorschlägt, kann ich Folgen-
des sagen: Ihre Vorschläge führen zur Überreglementie-
rung und machen einen europäischen Alleingang nötig.
Auch ist der Vorschlag EU- und WTO-rechtlich äußerst
bedenklich. Europa darf sich nicht mit einfachen Import-
verboten zufrieden geben; denn damit verschließen wir
die Augen vor den Problemen, lassen auch die Men-
schen in den betroffenen Gebieten allein und senden fal-
sche Signale an unsere bisherigen Verhandlungspartner.
Die Union will keine Gesetzesflut und auch keine büro-
kratischen Regelungen. Wir wollen die Grundlagen und
nicht die Folgen des illegalen Holzeinschlags bekämp-
fen, wir wollen praktische Erfolge und keine neuen Pa-
piertiger. Die Union steht für eine verantwortungsbe-
wusste Politik und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Herzensanlie-
gen der Union. Aus diesem Grund werden wir auch wei-
terhin national wie international für dieses Ziel einstehen
und für seine Durchsetzung kämpfen.
Dr. Gerhard Botz (SPD): Die Bekämpfung des ille-
galen Holzeinschlages und des damit verbundenen Han-
dels werden von der Bundesregierung und der Koalition
äußerst ernst genommen. Wenn Wälder illegal abgeholzt
werden und ihre Funktionsweise dauerhaft geschädigt
wird, betreffen die Auswirkungen nicht nur den europäi-
schen und deutschen Holzmarkt und unsere Waldbesit-
zer, sondern es wirkt sich negativ auf das Weltklima aus,
ist verbunden mit der Ausweitung von Armut in den be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15399
(A) (C)
(B) (D)
troffenen Regionen, bedeutet Verlust von Biodiversität
und Voranschreiten von Wüstenbildung und ist somit ein
globales Problem. Nicht zuletzt führen diese Praktiken
auch zu erheblichen Steuerausfällen in den Staaten, in
denen illegal Holz eingeschlagen wird. Insofern stimme
ich inhaltlich in einigen Teilen dem Antrag durchaus zu:
Ja, wir müssen uns weiterhin als Europäer gegen den il-
legalen Holzeinschlag einsetzen.
Frau Behm, ich kann ihr Drängen ja verstehen, doch
was wollen Sie denn mit Ihrem Antrag erreichen? Ein
Importverbot auf nationaler Ebene führt doch nur dazu,
dass Deutschland sich aus den Verhandlungen herauska-
tapultiert. Aber der Markt und die Nachfrage nach dem
Holz bestehen doch weltweit. Statt nach Europa würde
dieses Holz direkt nach Asien gehen.
Aus diesem Grund werden derzeit auf EU-Ebene bila-
terale Partnerschaftsverträge mit den Lieferländern ver-
handelt. Partnerschaftsabkommen sind grundsätzlich der
bessere Weg, denn nur so kann gewährleistet werden,
dass überhaupt eine Kontrolle vor Ort ermöglicht wird
und wir in Gremien vor Ort ein Mitspracherecht in Kon-
trollorganen erhalten. Die Unterscheidung zwischen le-
galem und illegalem Holzeinschlag kann nur in Zusam-
menarbeit mit den zuständigen Staaten getroffen werden.
Die EU verhandelt zurzeit mit neun Staaten, und in die-
sem Jahr ist der erfolgreiche Abschluss von drei ersten
Abkommen vorgesehen. Parallel dazu werden die Vo-
raussetzungen geschaffen, dass die rechtlichen und tech-
nischen Kontrollen im Zoll möglich sind und nur noch
legal erzeugtes und entsprechend kontrolliertes Holz ein-
geführt wird.
Deutschland steht zusätzlich auch in Gesprächen mit
China, welches weltweit stark nach Rohstoffen fragt,
sich sicherlich über ein sofortiges EU-Importverbot zur-
zeit freuen würde. Denn auch nur in Zusammenarbeit
mit den anderen Importländern können wir eine Eindäm-
mung des illegalen Holzeinschlages erreichen. So funk-
tioniert nun einmal ein großer Binnenmarkt. Eine nach-
haltige Waldbewirtschaftung oder zumindest erst mal ein
Stopp des Raubbaus kann nur über eine gemeinsame An-
strengung der Staatengemeinschaft erreicht werden. Hier
müssen existenzielle Fragen von Armut, Ernährung und
Entwicklung gelöst werden. Dies kann leider nicht von
heute auf morgen passieren, selbst wenn das wünschens-
wert wäre. Die Bundesrepublik ist auf einem guten und
gangbaren Weg und wird diesen auch zielstrebig weiter
verfolgen und zwar auf nationaler und europäischer
Ebene.
Und im Übrigen, meine Damen und Herren von den
Grünen, wenn es so einfach wäre, wie Sie es hier in Ih-
rem Antrag formulieren, warum haben Sie es denn nicht
selbst geschafft in den Zeiten Ihrer Regierungsmitwir-
kung? Wir haben Ihnen keine Steine in den Weg gelegt.
Nein, Sie wissen doch selbst, dass dieser Antrag hier
nicht zielführend ist. Wir werden ihn deshalb ablehnen.
Man kann es auch so formulieren: Auch dieser Bohrer
steckt noch in dicken Bohlen seit unserer rot-grünen
Zeit. Ihr könnt es Euch erlauben, den Eindruck zu ver-
mitteln, ein Karate-Schlag würde es bringen. Wir wissen
es besser und drehen fleißig weiter, bis das Loch fertig
ist.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Bilanz
der letzten Jahre bei der Eindämmung des illegalen
Holzeinschlags ist ernüchternd. Noch immer gehen un-
verändert wertvolle Primärwälder durch illegalen Holz-
einschlag verloren. Satellitenaufnahmen zeigen die dra-
matischen Verluste.
In der Anhörung „Biomasse – Chancen und Risiken
für globalen Klimaschutz, biologische Vielfalt, Ernäh-
rungs- und Versorgungssicherheit sowie Armutsbekämp-
fung“ wurde durch den Beitrag über den Anbau von Öl-
palmen zur Gewinnung von Palmöl in Indonesien sehr
deutlich, dass nicht nur die Nutzung von Holz, sondern
auch die Nutzung des Landes nach der Rodung für die
Anlage von Ölpalmenplantagen, in anderen Ländern der
Erde auch für den Sojaanbau, Triebfeder für die Zerstö-
rung der Wälder ist.
Ein EU-Importverbot für illegal eingeschlagenes
Holz kann vor diesem Hintergrund nur wenig Einfluss
haben auf den Erhalt von Wäldern, sondern wird eher
die Bürokratie vermehren, statt den illegalen Holzein-
schlag einzudämmen.
Das geforderte nationale Besitz- und Handelsverbot
für Produkte aus illegal geschlagenem Holz ist eben-
falls ungeeignet, den illegalen Holzeinschlag zu ver-
mindern. Es würde in der Praxis bedeuten, dass jede
Lieferung Kiefernholz zum Beispiel aus Russland mit
gentechnischen Methoden auf seine Herkunft überprüft
werden müsste, jede Lieferung von Schnittholz, Papier
etc. Es ist einleuchtend, dass ein Unternehmer, der ille-
gal in irgendeinem Land der Welt Holz einschlägt, auch
in der Lage und willens ist, Frachtpapiere zu fälschen,
um ein Importverbot der EU und ein nationales Besitz-
und Handelsverbot zu umgehen. Dann bleibt zur
Durchsetzung des Verbots nur die genetische Analyse
des Imports. Die entsprechenden gentechnischen Ver-
fahren dafür sind entwickelt worden. Die Durchsetzung
des umfangreichen Verbotskatalogs im Antrag der Grü-
nen gleicht einem Arbeitsauftrag an Labore und
Rechtsanwälte. Die FDP lehnt dies ab.
In der Begründung des Antrags wird auch auf die Ver-
tragsstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt im Mai
in Bonn verwiesen. Auch die FDP ist der Ansicht, dass
die Bundesregierung zur Durchführung dieser Konfe-
renz weitgehend mit leeren Händen dasteht. Die An-
nahme des Antrags würde daran allerdings nichts än-
dern. Die in der „Nationalen Strategie zum Erhalt der
Biologischen Vielfalt“ vorgeschlagene Herausnahme
von 550 000 Hektar Wald aus der Nutzung verstärkt den
Bedarf an Holzimporten.
Die FDP fordert, dass der Waldschutz als eine zen-
trale Aufgabe einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten
Politik angesehen wird. Dabei gilt für uns, dass die exis-
tenziellen Bedürfnisse der Menschen in den Entwick-
lungsländern einen höheren Stellenwert haben als die
Ansprüche der Wohlstandsgesellschaft.
15400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
„Vorhaben nachhaltiger Waldentwicklung sind für
den Privatsektor nur dann attraktiv, wenn ausreichende
Rechts- und Investitionssicherheit gegeben ist, die eine
langfristig selbst tragende Finanzierung und eine regio-
nal- und wirtschaftspolitische Konkurrenzfähigkeit zu
anderen Landnutzungsformen erlaubt.“ So hat die rot-
grüne Bundesregierung es in der Beantwortung einer
Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion formuliert.
Diese Feststellung ist richtig. Das bedeutet aber auch,
dass die staatlichen Institutionen auf dem Forstsektor in
die Lage versetzt werden müssen, Recht und Gesetz
durchzusetzen. Dazu ist ein Mindestmaß an Wohlstand
erforderlich. Das heißt, wirkliche Fortschritte beim
Schutz der Wälder können nur erzielt werden, wenn die
Armut in den Ländern, in denen in besonderem Maße il-
legal Holz eingeschlagen wird, erfolgreich bekämpft
wird und die Menschen Möglichkeiten erhalten, sich
selbst zu versorgen.
Daher sind Ansätze wie dieser Antrag der Grünen, die
auf mehr Bürokratie bei uns wie auch in den Holzexport-
ländern setzen – Kontrollen, Zertifizierungssysteme, Da-
tenbanken, etc. – sehr aus dem Blickwinkel der Wohl-
standsgesellschaft formuliert. Sie stärken das Ansehen
zuhause, ohne den Menschen vor Ort zu helfen, ohne die
Wälder effektiv zu schützen. Diese Politik können wir
uns schon lange nicht mehr leisten.
Wir sollten versuchen, den armen Ländern der Erde
zu helfen, ihre Wälder in entsprechender Weise für die
Bekämpfung der Armut zu nutzen und gleichzeitig ein
Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes ihrer Wäl-
der zu entwickeln. Wir brauchen den Erhalt der Wälder
der Erde für das Leben der Menschen vor Ort, die biolo-
gische Vielfalt, die Sicherung der Wasserressourcen und
den Klimaschutz.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die meisten
Urwälder dieser Erde sind von der weitgehenden Zer-
störung bedroht. Zum Holzgeschäft und zu Brandrodun-
gen kommt neuerdings auch noch der Importsog von In-
dustriestaaten hinzu, die billig Palmöl oder Ethanol aus
Zuckerrohr beziehen wollen. Dies führt zu zusätzlichen
Abholzungen. Die Abholzungen geschehen manchmal
„legal“, meistens aber illegal. Beispielsweise fallen bis
zu 80 Prozent des in Indonesien geschlagenen Tropen-
holzes unter die letzte Kategorie. Auch anderen Her-
kunftsländern gelingt es bisher nicht, illegalen Einschlag
wirksam zu verhindern. Relevante Mengen des kriminell
in Urwäldern geschlagenen Holzes finden auch in
Deutschland ihren Absatzmarkt. Dieser Holzverbrauch
trägt darum mittelbar zur Urwaldzerstörung bei. Dass
dies in der Bundesrepublik bisher weder unterbunden
noch geahndet werden kann, haben wir hier schon oft
debattiert. Das Problem besteht darin, dass es hierzu-
lande nicht verboten ist, Holz und Holzprodukte aus ille-
galem Einschlag zu besitzen oder mit ihnen zu handeln.
Die Grünen haben nun mit ihrem Antrag die Idee des
Einfuhrverbotes erneut aufgegriffen, welches seinerzeit
bereits Kern des rot-grünen Entwurfs eines „Urwald-
schutzgesetzes“ war. Das verschwand leider in den
Schubladen des BMU.
Dieser Gesetzentwurf sah vor, das Bundesnatur-
schutzgesetz um ein Verbot des Besitzes und der Ver-
marktung von Holz und Holzprodukten aus illegalem
Einschlag in Urwäldern zu ergänzen. Um die Einhaltung
dieses Verbots kontrollieren zu können, sollten die Holz-
händler und -verarbeiter verpflichtet werden, einen Le-
galitätsnachweis für Holz und Holzprodukte bereitzuhal-
ten. Wir unterstützen dieses Anliegen und auch die
Position im Grünen-Antrag, die sich für eine Fortent-
wicklung der sogenannten FLEGT-Verordnung der Euro-
päischen Union hin zu einem generellen Importverbot
für illegal geschlagenes Holz einsetzt. Hier haben sich
die Grünen weiterentwickelt, denn in ihrem alten Ge-
setzentwurf sollte ja noch die Legalitäts-Nachweispflicht
für jene Länder nicht gelten, die ein FLEGT-Abkommen
mit der EU geschlossen haben. Wir haben das damals
kritisiert, denn die FLEGT-Verordnung umfasst nur den
Handel mit bestimmten Holzprodukten. Die Zellstoff-
und Papierproduktion ist ausgenommen. Vor allem aber
– und dies haben die Grünen ja im jetzigen Antrag dar-
gestellt – gilt sie eben nur für einige Länder, und nicht
einmal für die sind erfolgreiche Verhandlungen in Sicht.
Insofern ist auch die Argumentation, die die Regierungs-
fraktionen ständig fährt, absurd, FLEGT erfülle doch die
Funktion eines Importverbotes und letzteres sei deshalb
überflüssig.
Der Antrag der Grünen ist gut, hat aber ein systemati-
sches Problem: Einfuhrverbote für illegal geschlagenes
Holz könnten nur jene Urwälder schützen, die auch in
dem jeweiligen Herkunftsland unter Schutz stehen. Holz
aus staatlich genehmigtem Urwaldkahlschlag dürfte also
weiterhin in Deutschland oder der EU vermarktet wer-
den. Selbst wenn dabei der Holzeinschlag in den betref-
fenden Staaten gegen Menschenrechte und traditionelle
Besitzrechte der Waldvölker verstößt – so wie es in In-
donesien, Kolumbien und teilweise auch in Brasilien oft
der Fall ist. Uns ist klar, dass dies juristisch anders kaum
zu handhaben ist. Unbefriedigend bleibt es doch. Wir
unterstützen also den Antrag. Die Linke würde sich aber
auch darüber freuen, wenn die Grünen endlich aufhören
würden, die absurd hohen Quotenziele für Agroenergien
in der EU und in Deutschland zu verteidigen, welche nur
durch massive Importe aus den Ländern des Südens zu
erfüllen sind.
Es ist wirklich schade, dass sie hier den umwelt- und
entwicklungspolitischen Organisationen bei ihrer Forde-
rung nach einem Importmoratorium nicht folgen kön-
nen. Mir ist unverständlich, dass sie nicht begreifen, dass
diese Quoten Tropenwaldabholzung und Vertreibungen
von indigenen Völkern und Kleinbauern zur Folge ha-
ben. Den Agrosprit-Staubsauger, den wir hier anwerfen,
haben die Leute da unten auszubaden. Ihre geliebte Zer-
tifizierung – die es noch gar nicht gibt – wird daran
nichts ändern. Selbst wenn diese vorbildlich in den kor-
rupten Ländern durchsetzbar wäre, könnte sie spielend
umgangen werden. Schließlich lassen sich damit die in-
direkten Verdrängungen überhaupt nicht fassen. Denn
die Tropenwälder Brasiliens fallen beispielsweise dem
Zuckerrohr für den Agrosprit nur selten direkt zum Op-
fer. Der zusätzliche Zuckerrohranbau findet meist auf
Altplantagen statt. Er treibt aber bisherige Nutzungen,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15401
(A) (C)
(B) (D)
wie Rinderherden und Sojaplantagen, in den Amazonas-
gürtel oder den ökologisch ebenso wertvollen Cerrado.
Wie also wollen die Grünen so etwas zertifizieren? Bitte
überdenken sie hier Ihre Position.
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im
Mai wird die EU-Kommission Vorschläge zur Fortent-
wicklung ihrer Politik zum Erhalt der Wälder dieser
Welt, kurz FLEGT genannt, machen. Die FLEGT-Ver-
ordnung sieht vor, mit den Holzexportländern über den
Abschluss sogenannter Partnerschaftsabkommen zu ver-
handeln. Mit diesen Abkommen soll ein freiwilliges Ge-
nehmigungssystem für Holzeinfuhren etabliert werden,
welches gewährleisten soll, dass aus diesen Ländern nur
legal geschlagenes Holz in die EU eingeführt wird.
Bisher konnte allerdings mit keinem Holzexportland
eine Vereinbarung über ein FLEGT-Partnerschaftsab-
kommen abgeschlossen werden. Unsere Erwartung an
die EU-Kommission ist daher, dass sie ein Importverbot
für illegal geschlagenes Holz vorschlägt. Dies wäre not-
wendig und die richtige Konsequenz aus den fehlenden
Erfolgen der gültigen FLEGT-Verordnung. Das EU-Par-
lament hat die Forderung nach einem Importverbot für
illegal geschlagene Hölzer und Holzprodukte im Übri-
gen bereits vor einigen Jahren erhoben. Alles andere als
der Vorschlag eines Importverbotes wäre insofern ein
Rückschlag und eine herbe Enttäuschung.
Es kann doch nicht richtig sein, dass es weiter erlaubt
sein soll, mit Holz zu handeln, das unter Verstoß gegen
die Waldgesetze der Exportländer gefällt wurde. Ein zü-
giges EU-Importverbot für illegales Holz würde in Ver-
bindung mit einem entsprechenden Nachweissystem auf
dem internationalen Holzmarkt einen starken Impuls für
die Unterbindung des illegalen Holzeinschlags, aber
auch für die Etablierung von Zertifizierungssystemen für
nachhaltige Forstwirtschaft ausüben. Gerade dieser Fort-
schritt für die Marktdurchdringung durch Zertifizie-
rungssysteme wie FSC wäre ein Gewinn für die Wälder
dieser Welt, der weit über die Bekämpfung des illegalen
Holzeinschlags hinausginge.
Noch ist aber nicht öffentlich bekannt, was die EU-
Kommission vorschlagen wird, und so viel wir wissen,
steht dies auch noch nicht fest. Deshalb haben wir wei-
terhin die Erwartung, dass die Bundesregierung ein EU-
Importverbot für illegales Holz unterstützt, indem sie es
fordert, und zwar nicht erst nach einem möglichen Vor-
schlag durch die EU-Kommission, sondern bereits im
Vorfeld, bevor die Kommission ihren Vorschlag auf den
Tisch legt. Denn wenn die Mitgliedstaaten ein deutliches
Signal nach Brüssel senden, dass sie ein solches Import-
verbot wollen, dann besteht auch die Chance, dass das
die Entscheidung der Kommission beeinflusst.
Seit mehreren Jahren befassen wir uns hier im Bun-
destag mit dem Kampf gegen den Verlust von Urwäldern
durch illegalen Holzeinschlag, ohne dass wir auch nur
einen Meter vorangekommen wären. Den Erlass eines
nationalen Besitz- und Handelsverbotes für illegales
Holz hat die Große Koalition mit Verweis auf die angeb-
liche EU-Hoheit in dieser Sache abgelehnt. Gleichzeitig
war die Rede von einer Verschärfung der EU-Maßnah-
men und einer Weiterentwicklung von FLEGT.
Wir Grüne sind immer noch der Auffassung, dass
man es darauf hätte ankommen lassen können, ob die
EU-Kommission tatsächlich gegen dieses Gesetz vorge-
gangen wäre – wenn dieses nationale Verbot denn ge-
wollt worden wäre. Die Tatsache, dass die Koalition das
nicht getan hat, zeigt, dass offenbar nicht einmal die
Umweltpolitiker der Koalition dieses nationale Verbot
wollten. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Der
Holzhandelslobbyist Rudolf Luers führte dies in einer
Fernsehsendung jedenfalls auf gutes Lobbying seiner
Branche zurück.
Wenn wir hier heute über unseren Antrag zum Schutz
der Urwälder durch die Austrocknung des Marktes für il-
legal eingeschlagenes Holz reden, sollten wir uns be-
wusst sein, was auf dem Spiel steht. Bei der Anhörung
am Mittwoch konnten wir uns ein Bild davon machen,
wie bedroht die Tropenwälder sind. Die Palmölplanta-
gen dringen nicht deshalb in den Urwald in Indonesien
vor, weil es sonst kein geeignetes Land gäbe. Nein, es
geht um die Gewinne, die mit dem wertvollen Tropen-
holz gemacht werden können. Ein Stamm kann bis zu
1 000 Euro bringen. Wenn wir Deutsche und Europäer
den nicht kaufen, weil er aus illegalem Einschlag
stammt, dann geht das Interesse am Raubbau zurück.
Das zertifizierte Holz dagegen, das beispielsweise die
Kooperativen im Biosphärenreservat Petén in Guatemala
anbieten, das hat dann bessere Marktchancen. So ist ein
Verbot von Illegalholz gleichzeitig zum Vorteil der länd-
lichen Bevölkerung in den Waldregionen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Freiheit und Demokratie im Südkaukasus –
Für freie und faire Wahlen 2008
– Europäische Nachbarschaftspolitik zur För-
derung von Frieden und Stabilität im Süd-
kaukasus nutzen
(Tagesordnungspunkt 22 a und b)
Manfred Grund (CDU/CSU): Freiheit und Demo-
kratie im Südkaukasus zu fördern – und dabei im Beson-
deren für faire und freie Wahlen einzutreten –, ist uns si-
cher auch parteiübergreifend ein gemeinsames Anliegen.
Ob der vorliegende Antrag diesem Zweck gerecht wird,
ist jedoch zweifelhaft.
Problematisch erscheint mir schon eine mangelnde
Differenzierung zwischen den drei Ländern Aserbai-
dschan, Armenien und Georgien. Zwar werden in der
Begründung spezifisch Defizite zu den einzelnen Staaten
angesprochen. Aber was zugleich fehlt, ist ein abgewo-
genes Urteil, dass die unterschiedlichen Rahmenbedin-
gungen, Verhältnisse und Entwicklungen berücksichtigt.
So wird suggeriert, dass in allen drei Ländern letztlich
ähnliche Missstände herrschen. Zusätzlich bekräftigt
15402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
wird dieser Eindruck durch die Formulierung des einlei-
tenden Absatzes; denn dort werden dieselben Formen
politischer Repression einfach gleichermaßen auf alle
drei Staaten bezogen. Und im abschließenden Absatz ist
dann wiederum undifferenziert, wenn auch etwas kryp-
tisch die Rede von „autokratischen Systemen, die im Ge-
heimen operieren“.
Entsprechend pauschal ist dann auch über weite Stre-
cken der Forderungskatalog ausgefallen. So sollen wir
uns für die Gewährleistung von Presse- und Meinungs-
freiheit, für freie Wahlen, gegen repressive Gewalt-
anwendung und für friedliche Konfliktregelungen
aussprechen, ebenso für Good Governance als Voraus-
setzung vertiefter Beziehungen, was, nebenbei bemerkt,
im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik
schon der Fall ist. Nun sind dies fraglos Werte, mit de-
nen wir uns identifizieren können. Doch sind die Formu-
lierungen so allgemein gehalten, dass unklar bleibt, wo-
rauf sie sich beziehen. Ebenso unklar bleibt, welche
Ansatzpunkte sich daraus erschließen. Diese Forderun-
gen erschöpften sich in unkonkreten Bekenntnissen. Sie
erschöpfen sich in der Banalität des Selbstverständli-
chen. Vollends ratlos bin ich aber offen gestanden ange-
sichts der Forderung, politische Willkür international zu
ächten. Wo, bitte sehr, beginnt politische Willkür?
Pauschale Urteile werden den unterschiedlichen Rea-
litäten Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens
ebenso wenig gerecht wie pauschale Forderungen. Eine
faire Beurteilung ist nur möglich, wenn wir auch die je-
weilige Entwicklung innerhalb des einzelnen Landes
würdigen. Auf diese Problematik möchte ich am Bei-
spiel Georgiens eingehen, weil ich bei der Präsidenten-
wahl selbst als Wahlbeobachter der OSZE im Einsatz
war.
Die Wahl in Georgien hat eine Reihe von Problemen
aufgeworfen, die zu Recht kritisiert werden. Dazu zählen
insbesondere auch Überreaktionen der Regierung: die
Verhängung des Ausnahmezustandes und das zum Teil
gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten und Me-
dien. Mit dem vorläufigen Amtsverzicht des Präsidenten
und der Ansetzung von Neuwahlen wurde jedoch auch
ein demokratischer Ausweg aus der Krise gesucht.
Im Wahlkampf wurde die Berichterstattung von
Saakaschwili dominiert, wenn auch nicht ausschließlich
bestimmt. Vor, während und nach der Wahl kam es zu
Verstößen und Unregelmäßigkeiten. Die Wahlbeobach-
termission der OSZE hat dazu detaillierte Berichte ver-
öffentlicht. Diese Missstände wurden zum Teil bereits
am Wahltag, zum Teil erst danach sichtbar. Dennoch hält
die Wahlbeobachtermission an der Gesamtwertung fest,
nach der die Wahl grundsätzlich und weitgehend in
Übereinstimmung mit den Standards der OSZE verlau-
fen ist. Diese Bewertung wurde in der Pressebericht-
erstattung auch in Deutschland oft einseitig ignoriert. Sie
bleibt leider auch im Antragstext unerwähnt. Wir haben
uns erst kürzlich gemeinsam für eine Stärkung von
OSZE und ODIHR eingesetzt; dann sollten wir deren
Befunde aber auch bei unseren Stellungnahmen berück-
sichtigen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die
georgischen Wahlen waren alles andere als perfekt. Im
Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen hat die
OSZE-Mission eine Liste dringender Reformschritte an-
gemahnt. Doch ihre Befunde stützen auch nicht die von
der georgischen Opposition ausgehenden Vorwürfe,
nach der die Wahl systematisch gefälscht wurde. Viel-
mehr dürften die meisten Verfehlungen auf tradierte Ver-
haltensweisen zurückgehen, wie sie für ein postsowjeti-
sches Transformationsland eben auch nicht ganz
untypisch sind. Wie nahezu das ganze Land hatten auch
die Mitglieder der Wahlkommissionen keine Erfahrun-
gen mit wirklich freien Wahlen. So kurzfristig, wie die
Wahl angesetzt wurde, blieb ihnen auch wenig Vorberei-
tungszeit. Dadurch wurden Manipulationen erleichtert.
Doch der größere Teil der Unregelmäßigkeiten dürfte
auf einer Überforderung der Wahlhelfer beruhen.
Die georgische Regierung und insbesondere die Über-
gangspräsidentin zeigten sich ernsthaft bemüht, Pro-
bleme abzustellen, die die OSZE aufdeckte. Die Zusam-
menarbeit mit der OSZE und insbesondere ODIHR
verlief ausgesprochen positiv. Georgien ist sicher noch
keine Musterdemokratie. Gerade die bei den Präsident-
schaftswahlen aufgetretenen Schwierigkeiten zeigen
aber auch, dass es dafür mehr bedarf als einer entspre-
chenden Gesetzgebung und gutem Willen. Demokrati-
sierung ist auch ein Lernprozess. Seinen jeweiligen
Stand kann man angemessen nicht nur anhand des Ideals
messen. Man muss auch die erzielten Fortschritte be-
rücksichtigen. Wenn wir uns darauf beschränkten, Miss-
stände zu kritisieren, liefen wir Gefahr, Enttäuschung
und Misstrauen zu säen. Welchen Anreiz für demokrati-
sche Reformen bieten wir damit einer Regierung? Sie
hätte zu befürchten, ihre Autorität zu schwächen ohne
ihre Legitimität zu steigern.
Die OSZE hat die bei der Wahl aufgetretenen Pro-
bleme so sorgfältig aufgelistet, um Reformbedarf aufzu-
zeigen. Sie hat aber zugleich die Fortschritte im
Demokratisierungsprozess gewürdigt. Genau dieses ab-
gewogene Urteil vermisse ich in dem vorliegenden An-
trag.
In Georgien hat es bei der Präsidentenwahl von 2008
zum ersten Mal Wahlen gegeben hat, bei denen es eine
echte Alternative gab. Diese Wahlen waren bei allen
Mängeln die demokratischsten, die das Land bisher er-
lebt hat. In Ihrem Antrag aber bedauern Sie lediglich
„diesen Rückschlag in der demokratischen Entwicklung
Georgiens“. Das ist schlicht absurd. In dieser Form bie-
tet der Antrag allenfalls einen Anlass, aber keine Grund-
lage zur qualifizierten Auseinandersetzung mit dem De-
mokratisierungsprozess jedenfalls in Georgien. Ich hoffe
aber darauf, dass die weiteren Beratungen im Ausschuss
zu besseren Erkenntnissen führen mögen.
Eduard Lintner (CDU/CSU): Uneingeschränkt zu
begrüßen ist zunächst, dass sich der Deutsche Bundestag
wieder einmal mit der Situation der drei südkaukasischen
Staaten – Georgien, Aserbaidschan und Armenien – be-
fasst. Dadurch kommt auch der Öffentlichkeit gegenüber
zum Ausdruck, für wie wichtig wir die Lage in diesen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15403
(A) (C)
(B) (D)
Staaten und ihre Rolle auch für unsere eigene und die
geopolitische Situation erachten. Über diese Bedeutung
ist sich eine große Mehrheit in diesem Hause sicher ei-
nig. Die Krux des Antrags der FDP ist, dass er mit weni-
gen, wohlgesetzten Worten wohlfeile Ratschläge erteilt,
mit denen man den gegebenen, in einem historischen
Zusammenhang stehenden Verhältnissen nicht gerecht
werden kann.
Die sogenannten klassischen Demokratien des Wes-
tens haben Jahrhunderte gebraucht, bis sie zu modernen
gefestigten Demokratien geworden sind. Die südkauka-
sischen Staaten sind gerade einmal seit 1991 unabhängig
und können erst seit damals eigenverantwortlich han-
deln. Diese Zeit reicht einfach nicht aus, um aus einer
jahrzehntelang totalitär gestalteten Gesellschaftsordnung
mit einer festgefügten Ideologie eine verlässliche rechts-
staatliche Demokratie zu formen. Rechtsstaatlichkeit
– um einen konkreten und sehr wichtigen Teilaspekt he-
rauszugreifen – setzt zum Beispiel Unabhängigkeit und
Korruptionsfreiheit der Justiz voraus. Dazu sind wie-
derum eine fundierte juristische Ausbildung und eine aus
Überzeugung gespeiste Treue zu den Idealen der Men-
schen- und Bürgerrechte Vorraussetzungen. Mit den al-
ten Justiz- und Polizeikadern aus den Zeiten der Sowjet-
union wird das nicht zu schaffen sein. Also müssen erst
Richter, Staatsanwälte, generell Juristen ausgebildet und
herangezogen werden, die sich diesen Zielen innerlich
verpflichtet fühlen. Der Staat muss dann flankierend
durch eine angemessene Bezahlung, transparente Beru-
fungsverfahren und Gewährleistung der Unabhängigkeit
die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Hier sind vor
allem konkrete Hilfe und guter Rat gefordert und nicht in
erster Linie der erhobene Zeigefinger.
Maßstab für die Beurteilung der Entwicklung muss
fairerweise die Verbesserung im Vergleich zu den frü-
heren Verhältnissen in den Staaten selbst sein. Nur so
werden die erreichten konkreten Fortschritte für alle
sichtbar. Ziel muss aber unverändert das Ideal des de-
mokratischen Rechtsstaats sein. Was hier zu fordern ist,
ist die beständige Bewegung der Politik in diese Rich-
tung. Dabei sind Wahlen wichtige Wegmarken und In-
dikatoren. Bloße Ungeduld hilft niemandem, sondern
provoziert nur vermeidbaren Widerstand. Die erst kürz-
lich in Aserbaidschan erfolgten neuerlichen Amnestien
für politische Häftlinge sind ein konkreter Erfolg sol-
cher Bemühungen.
Auch das, was der FDP-Antrag nur in einem versteck-
ten Nebensatz andeutet, gehört offen ausgesprochen: Die
in der Region vorhandenen und die Menschen dort und
uns alle belastenden gefahrträchtigen Konflikte sind vor
allem deshalb „eingefroren“, weil sie von mächtigen
Kräften außerhalb der Region für ihre eigenen Interessen
genutzt und am Kochen gehalten werden. Es fällt eben-
falls auf und ist sicher kein Zufall, dass bei allen soge-
nannten Frozen Conflicts Russland eine wichtige, meist
sogar die Schlüsselrolle spielt. Ich bin der festen Über-
zeugung, dass wir auf dem Weg zu einer friedlichen Lö-
sung längst weiter wären, wenn Russland – in manchen
Fällen sogar mit Hilfe militärischer Präsenz – sich aus-
gewogenen Lösungen nicht in den Weg stellen würde.
Der Schlüssel für Lösungen der Frozen Conflicts liegt
daher vor allem oder zumindest auch in Moskau und
nicht in Washington oder Brüssel, wie uns der Antrag
der Linksfraktion ablenkend weismachen will.
Nicht übersehen werden darf auch die Tatsache, dass
die Präsenz Armeniens auf dem Territorium seines
Nachbarn Aserbaidschan in Nagornij Karabach völker-
rechtswidrig ist. Armenien schadet sich mit der Isola-
tion, in die es sich dadurch begeben hat, selbst, und
Aserbaidschan nimmt das zum Anlass für eine teure Fo-
kussierung auf militärische Rüstung.
Die Region, die eine wirtschaftlich-geopolitische
Schicksalsgemeinschaft darstellt, sollte die Chance er-
halten, die vorhandenen Konflikte selbst zu lösen. Ein
besonders wirksames Mittel und damit eine entschei-
dende Hilfe auf dem Weg einer nachhaltigen Entwick-
lung in Richtung rechtsstaatliche Demokratie ist das ehr-
liche Angebot zur Anbindung an und, soweit vernünftig,
auch Einbindung in die europäische und westliche Ge-
meinschaft. Dabei ist die Mehrheit der Menschen und
auch der politischen und gesellschaftlichen Verantwor-
tungsträger auf unserer Seite. Ein wichtiges Instrument
dafür ist die europäische Nachbarschaftspolitik der EU,
die die Förderung des Rechtsstaats, die Bekämpfung der
Armut und die friedliche Beilegung von Konflikten in
der Region zum Ziel hat. Die grundsätzliche Kritik der
Linksfraktion an der ENP geht an dieser Tatsache ein-
fach vorbei und entlarvt sie so als ideologisch bedingt.
Erwähnt werden muss hier übrigens auch noch die Ar-
beit des Europarats und der OSZE, die sich beide große
Verdienste um die Förderung von Rechtsstaatlichkeit
und Demokratie im Südkaukasus erworben haben.
Wir sollten die Menschen in dieser Region nicht da-
durch enttäuschen, dass wir überwiegend nur Kritik für
sie übrighaben, auch wenn sie wohlgemeint sein mag.
Die Staaten im Südkaukasus brauchen unsere Ermuti-
gung, unseren Rat und unsere Zusammenarbeit, um den
eingeschlagenen Weg fortzuführen. Diesem umfassen-
den Ansatz wird auch der Antrag der FDP – vom Antrag
der Linken ganz zu schweigen – nicht gerecht. Wir leh-
nen daher beide ab.
Markus Meckel (SPD): Es ist gut, dass der südliche
Kaukasus immer mehr ins Blickfeld europäischer Politik
kommt. Wenn in den ersten Entwürfen der europäischen
Nachbarschaftspolitik der südliche Kaukasus nicht ein-
mal berücksichtigt war, hat sich das Bild inzwischen
deutlich gewandelt. Alle drei Länder sind Partner der
europäischen Nachbarschaftspolitik und sehr an einer
Zusammenarbeit interessiert. Georgien ist – bei allen
Defiziten, die gerade in den letzten Monaten offenbar
geworden sind – klar auf einem prowestlichen Kurs und
strebt nach der Mitgliedschaft in der Nato. Aserbai-
dschan ist ein wichtiger Partner der EU in der Energie-
versorgung geworden, was viel Geld in die Kassen des
Landes gespült hat. Es wird nun darauf ankommen, dies
auch für die langfristige Entwicklung des Landes zu nut-
zen. Armenien tut sich manchmal noch schwer und hat
insbesondere zu der von der Türkei geschlossenen
Grenze zu leiden. Aber auch Armenien versteht sich klar
als Partner der EU. Gleichzeitig setzt Armenien wegen
15404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
der ungelösten Konfliktlage um Nagornij Karabach auf
die russische Unterstützung.
Als Region in der doppelten Nachbarschaft, einmal
der EU und zum anderen Russlands, braucht der südli-
che Kaukasus eine größere europäische Aufmerksam-
keit. Der Anfang ist gemacht, nicht zuletzt durch die An-
strengungen unter der deutschen Ratspräsidentschaft, in
welcher das Projekt der verstärkten Schwarzmeerzusam-
menarbeit als Teil der europäischen Nachbarschaftspoli-
tik entwickelt wurde. Es wird nun sehr darauf ankom-
men, dem auch wirklich Taten folgen zu lassen.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es zwar gute Ideen
gibt, gewiss auch guten Willen, aber die Ressourcen für
diese Politik zu gering sind – sowohl finanziell wie auch
personell.
Dies ist nicht zuletzt auch wegen der Risiken wichtig,
vor der wir in der Region stehen. Die sogenannten Fro-
zen Conflicts belasten das Zusammenleben und bedeu-
ten das steigende Potenzial künftiger heißer Konflikte.
Aserbaidschan nutzt die neuen Finanzquellen für eine
enorme Aufrüstung, die für die Zukunft große Sorgen
machen muss. Die Position Armeniens wird nicht zuletzt
durch wirtschaftliche Schwierigkeiten immer schwächer.
Hier ist mit zunehmender Dringlichkeit entschlossene
internationale Aufmerksamkeit und Vermittlung gefragt
– und bis heute leider nicht abzusehen. Dabei wäre dies
ein wichtiger Fall für eine gemeinsame Außen- und Si-
cherheitspolitik der EU.
Nach den Präsidentschaftswahlen in Georgien gibt es
neue Äußerungen von Präsident Saakaschwili, wodurch
offensichtlich das Gespräch mit Russland gesucht wird,
um die Konflikte um Abchasien und Südossetien zu lö-
sen bzw. eine weitere Verschärfung der Lage zu verhin-
dern. Hier wird von allen Seiten der Wille zum Dialog
gefordert sein und zugleich die Bereitschaft, zu dauer-
haften Lösungen zu kommen. Nach den Wahlen in Russ-
land wird dies eine besondere Aufgabe der nächsten
zwei Jahre sein müssen.
Von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Region
ist die Entwicklung zu Freiheit und Demokratie in allen
drei Ländern. In den letzten Jahren hatte Georgien hier
die Nase vorn und gab sich den Anschein einer entwi-
ckelten Demokratie. Die Labilität der Situation ist in den
letzten Monaten aber deutlich geworden. Georgien wird
nun bei den kommenden Kommunalwahlen den Beweis
erbringen müssen, dass man es mit der Demokratie wirk-
lich ernst meint. So bleibt auch hier noch viel zu tun.
Mehr aber noch in den beiden Nachbarstaaten.
Armenien hat sich gerade einen neuen Präsidenten
gewählt. Der neue Präsident Sarkisjan hat deutlich ver-
nehmbare Bekenntnisse zu Europa abgegeben. Doch
steht der Beweis noch aus, dass es ihm dabei um mehr
als nur um wirtschaftliche Vorteile und um Hilfe bei Lö-
sung von Armeniens Problemen mit der Türkei geht. Der
entschlossene Kampf gegen Korruption im Inneren und
der Wille zur Konfliktlösung mit Aserbaidschan in der
Außenpolitik müssen für uns Kriterien sein.
Russland bleibt auch in Zukunft für den südlichen
Kaukasus ein wichtiger Faktor. Hier ist für die Zukunft
zu hoffen, dass die Bereitschaft in Russland wächst, die
Frozen Conflicts nicht weiter schwelen zu lassen, son-
dern sie dauerhaft zu lösen. Ohne Russlands Koopera-
tionsbereitschaft wird es sehr schwierig sein. Umso
mehr bedarf es des Engagements der EU, sich dieser
wichtigen Nachbarschaft zuzuwenden und selbst das Ge-
spräch mit Russland zu dieser gemeinsamen Nachbar-
schaft zu suchen.
Langfristig müssen auch die Länder des südlichen
Kaukasus eine europäische Perspektive haben. Viele
Menschen hoffen darauf. Wir wissen, der Weg ist noch
lang. Doch er muss beschritten werden, zuerst von den
Menschen in der Region selbst, wenn sie es denn wollen.
Das wird viel Anstrengung brauchen. Doch wenn man
sich aufmacht auf diesen Weg, dann sollten wir bereit
sein, alle nur mögliche Unterstützung dafür zu bieten.
Und gleichzeitig gilt es, die Tür offen zu halten. Es wird
jedenfalls nicht nur für die Menschen der Region selbst,
sondern auch für die EU von großem Vorteil sein.
Markus Löning (FDP): Die FDP legt dem Haus
heute einen Antrag zur Lage der Demokratie in Aser-
baidschan, Armenien und Georgien vor. Anlass sind
wichtige Wahlen, die in diesem Jahr in allen drei Repu-
bliken des Südkaukasus stattfinden. Wir meinen, es ist
längstens Zeit für den Bundestag, sich jetzt intensiv mit
der Situation in dieser Region zu befassen, deren demo-
kratische Entwicklung und politische Stabilität im ur-
eigensten Interesse Deutschlands liegen.
Das Superwahljahr 2008 ist ein wichtiges Schlüssel-
jahr für alle drei Republiken. Bereits die Ereignisse in
Georgien im Vorfeld und während der Präsidentschafts-
wahlen haben gezeigt, wie prekär die Situation der
Menschenrechte und Medienfreiheit in dieser jungen
Demokratie noch immer ist. Aber auch in Armenien und
Aserbaidschan werfen die kommenden Wahlen ihre
Schatten voraus: Gewalt gegen Demonstranten, Repres-
sionen und Einschüchterungsversuche gegenüber Jour-
nalisten und Vertretern aus Nichtregierungsorganisatio-
nen sowie die zunehmende öffentliche Diffamierung des
politischen Gegners bestimmen den politischen Alltag in
der Region.
Zudem gab es – neben den massiven Einschränkun-
gen im Vorfeld der Wahlen – in der Vergangenheit auch
in allen drei Ländern Fälschungen der Wahlergebnisse.
Zu seiner Rolle als Energielieferant wie auch als Korri-
dor für Energielieferungen kommt eine wichtige politi-
sche Bedeutung des Südkaukasus für Europa und für
Deutschland hinzu. Seine energiepolitische Bedeutung
ist evident: Die EU muss heute 50 Prozent ihrer Energie
importieren, bis 2030 wird diese Rate auf 65 Prozent an-
steigen. 90 Prozent dieser Importe kommen aus der
Nachbarschaft, Russland und dem Nahen Osten. Der
Südkaukasus hat einen wichtigen Anteil an der notwen-
digen Strategie der Diversifizierung von Energieliefe-
ranten, Bezugsquellen sowie Transportwegen. Doch
noch wichtiger ist seine politische Bedeutung: die demo-
kratische Entwicklung des Südkaukasus ist Vorausset-
zung für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der ge-
samten Region.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15405
(A) (C)
(B) (D)
Demokratiedefizite behindern nicht nur die politische
Stabilität, sie behindern auch langfristige Reformen und
wirtschaftliche Entwicklung. Sie führen zu einer Desta-
bilisierung des Gemeinwesens und geben letztendlich
Nahrung für Brutstätten krimineller und terroristischer
Aktivitäten. Dies heißt, wir müssen den Dialog in Fragen
demokratischer und wirtschaftlicher Reformen intensi-
vieren. Dies heißt aber auch, dass sich Deutschland
– und das nicht nur im Vorfeld von Wahlen – stärker mit
der Lage der Menschenrechte und Medienfreiheit vor
Ort befassen muss.
Armenien, Aserbaidschan und Georgien sind junge
Staaten, denen es trotz enormer wirtschaftlicher und so-
zialer Umwälzungen sowie blutiger regionaler Konflikte
gelungen ist, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und ein
gewisses Maß an politischer Stabilität zu erreichen. Poli-
tische Stabilität ohne demokratische Entwicklung ist je-
doch nicht genug.
Alle drei Staaten haben sich zur Einhaltung der Men-
schenrechte sowie zu nachhaltigen politischen und wirt-
schaftlichen Reformen verpflichtet. Die Wahlen 2008
sind ein wichtiger Prüfstein für eben diese Zusagen. Von
besonderer Bedeutung sind hierbei nicht nur die korrekte
Auszählung der Stimmen am Wahltag, sondern auch die
Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und der freie
Zugang zu Medien im Vorfeld der Wahlen.
In Bezug auf die möglichen Auswirkungen der Ko-
sovo-Debatte auf die Lage im Südkaukasus titelte die
Zeit kürzlich eine „südkaukasische Bredouille“, in die
Russland mit seiner Politik gegenüber den separatisti-
schen Gebieten in Abchasien, Südossetien und Berg-
Karabach geraten sei. Eben aus diesem Grund ist es
wichtig, dass wir uns nicht in eine Bredouille begeben,
indem wir eine einseitige oder halbherzige Politik ge-
genüber unseren Partnern im Südkaukasus betreiben.
Politische, wirtschaftliche sowie kulturelle Koopera-
tionsbeziehungen sollen Reformen unserer gleichberech-
tigten Partner im Südkaukasus unterstützen. Die Entwick-
lungen in Georgien in den letzten Tagen haben diese
Notwendigkeit noch einmal unterstrichen. Umgekehrt
brauchen wir in allen drei Staaten faire und freie Wah-
len: die essenziellen Voraussetzungen für ein Klima de-
mokratischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität.
Denn Kooperation ist weder eine Einbahnstraße noch ein
Nullsummenspiel.
In Kenntnis der spürbaren Verschlechterung der Si-
tuation der Presse- und Medienfreiheit in allen drei Län-
dern des Südkaukasus und in Sorge um die Lage der
Menschen- und Bürgerrechte sprechen wir uns aus-
drücklich dafür aus, die Region bei ihren Anstrengungen
um mehr Demokratie und Pluralismus zu unterstützen.
Hierfür sind die Wahrnehmung und Beobachtung der
Lage vor Ort wichtige Instrumente. Politische Aufmerk-
samkeit und Anteilnahme können verhindern, dass auto-
kratische Systeme länger im Geheimen operieren.
Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Es ist erfreulich,
dass wir heute mit dem Südkaukasus über eine Region
debattieren, die in der öffentlichen Wahrnehmung und
Medienberichterstattung leider viel zu wenig Beachtung
findet. Die Kolleginnen und Kollegen von der FDP ha-
ben einen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Sie
werden verstehen, meine Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, dass Die Linke mindestens ein ebenso großes
Interesse an dieser Region hat und folglich einen eigenen
Antrag vorlegt.
Der Antrag der FDP betont die Notwendigkeit einer
demokratischen Entwicklung in den drei Südkaukasusre-
publiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Die-
ses wichtige Anliegen unterstützt Die Linke voll und
ganz. In dem FDP-Antrag dominiert allerdings eine eu-
rozentrische Handschrift, die keine Antwort auf die
Frage liefert, welche sozialen und ökonomischen Grund-
lagen geschaffen werden müssten, damit sich die betref-
fenden Staaten selbstbestimmt und demokratisch entwi-
ckeln können und welche inneren und äußeren Kräfte
dem entgegenstehen? Hierfür müssten vor allem die geo-
strategischen Interessen der EU, aber auch der USA, die
mit den jeweiligen Oligarchien aufs engste verbunden
sind, sowie die Interessen Russlands kritisch hinterfragt
werden, und genau dieser Aufgabe weicht die FDP aus.
Die Fraktion Die Linke stellt in den Mittelpunkt ihres
Antrags ein erweitertes Verständnis einer demokrati-
schen Nachbarschaftspolitik der EU, die mit den Part-
nerländern einen fairen und gleichberechtigten Umgang
pflegt und dies nicht von der Übernahme des eigenen
Wirtschafts- und Politikmodells abhängig macht.
Die Südkaukasusregion darf nicht auf die Rolle einer
Nachschubbasis und eines Transitraums für den Energie-
hunger Europas nach fossilen Rohstoffen reduziert wer-
den. Sie bildet vielmehr eine Brücke für den politischen
Dialog mit den Staaten Zentralasiens und des mittleren
Ostens und ist somit von nicht zu unterschätzender Be-
deutung.
Die EU-Nachbarschaftspolitik verfolgt bislang das
Ziel, Georgien, Armenien und Aserbaidschan mithilfe
einer einseitigen Exportorientierung in die internationale
Arbeitsteilung der kapitalistischen Weltwirtschaft zu in-
tegrieren. Die Entwicklung einer stabilen Binnenwirt-
schaft wird dabei ebenso vernachlässigt wie der Aufbau
armutsfester Sozialstandards. Wie nicht anders zu erwar-
ten, ist als Folge dieser neoliberalen Politik der materi-
elle Reichtum in allen drei Ländern höchst ungleich ver-
teilt: Nur eine schmale Führungselite partizipiert an den
wirtschaftlichen Erfolgen, während die Bevölkerungs-
mehrheit nahe am bzw. unter dem Existenzminimum
lebt. Die „Kaukasusinitiative“ der Bundesregierung, die
sich als „Struktur- und Friedenspolitik“ versteht, igno-
riert, dass die ungezügelte Herrschaft der Oligarchien
und die neoliberale Privatisierungswelle nach Auflösung
der Sowjetunion zu gravierenden sozialen Verwerfungen
geführt haben, die nicht mit noch mehr Privatisierung zu
bewältigen sind. Auch andere „Eckpfeiler“ der Kaukasus-
initiative, wie „Kommunale Demokratie“ und ein „de-
mokratisches Rechtssystem“, stehen unter diesen Bedin-
gungen im Widerspruch zu den geostrategischen Interes-
sen, die über die Oligarchien realisiert werden.
Die Linksfraktion fordert, dass die EU-Nachbarschafts-
politik stärker an sozialen Kriterien auszurichten ist, an der
Förderung von Bildung, Ausbildung, Gesundheit und Öko-
15406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
logie als öffentliche und nicht privatwirtschaftlich zu lö-
sende Aufgaben. Primär muss die Entwicklung der Binnen-
wirtschaft in den Südkaukasusstaaten unterstützt werden.
Die EU muss hierbei auch ihren eigenen Binnenmarkt stär-
ker für andere Exportprodukte wie Industriegüter und land-
wirtschaftliche Erzeugnisse aus den Partnerländern öffnen
und nicht nur für Erdöl und Erdgas.
Ein weiteres Entwicklungshemmnis bilden die unge-
lösten, eingefrorenen Regionalkonflikte in Abchasien,
Südossetien und Berg-Karabach. Die USA, aber zuse-
hends auch die EU, betreiben seit dem Zerfall der
Sowjetunion eine offensive Zurückdrängung des russi-
schen Einflusses im Südkaukasus. Das aggressive Vor-
gehen der USA verletzt die legitimen Sicherheitsinteres-
sen Russlands und führt zur gegensätzlichen, regionalen
Blockbildung unter Einbeziehung Georgiens und Aser-
baidschans auf Seiten der USA und Armeniens auf Sei-
ten Russlands. Eine eventuelle Aufnahme Georgiens in
die NATO würde die Blockkonfrontation weiter zuspit-
zen und findet deshalb keine Zustimmung der Linksfrak-
tion.
Eines darf nicht vergessen werden: Die Leidtragenden
in der Südkaukasusregion sind die insgesamt weit über
eine Million Flüchtlinge, die Anfang der 90er Jahre im
Zuge blutiger Sezessionskonflikte aus ihren Wohnsitzen
vertrieben wurden. Die umgehende Verbesserung ihrer
humanitären Lage und ihr Recht auf schnelle Rückkehr
in die Herkunftsregionen müssen im Mittelpunkt aller
Bemühungen stehen.
Die südkaukasischen Regionalkonflikte müssen nach
den Prinzipien des Völkerrechts und des Gewaltver-
zichts gelöst werden. Die diesbezüglichen Vorschläge
der Linksfraktion lauten: Entmilitarisierung der Südkau-
kasusregion und Intensivierung der Konfliktvermittlung.
Die deutsche Bundesregierung ist hierbei aufgerufen,
deutlich größere Anstrengungen zu unternehmen, um
auf der Ebene von UN und OSZE eine Verhandlungslö-
sung zu unterstützen. Die Linke bekräftigt die territoriale
Integrität Georgiens, Aserbaidschans und Armeniens so-
wie die Unverletzlichkeit der völkerrechtlich anerkann-
ten Grenzen! Die Linke sieht in der Einführung von ho-
hen Autonomiestandards für Abchasen, Süd-Osseten
und Karabach-Armenier die einzige völkerrechtlich legi-
time Alternative zu den faktisch vollzogenen, gewaltsa-
men Sezessionen.
Die Fraktion Die Linke ruft die Bundesregierung auf,
ihre Außen- und Europapolitik strikt am Primat des Völ-
kerrechts auszurichten, um im Südkaukasus einer ver-
hängnisvollen Fehlentwicklung präventiv entgegenzu-
wirken, die Frieden und Stabilität in dieser wichtigen
Nachbarschaftsregion der EU weiter untergraben würde.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Wer die Präsidentschaftswahlen in Armenien am
vergangenenen Wochenende beobachtet hat, findet eine
Erfahrung bestätigt, die erst kürzlich auch im benachbar-
ten Georgien gemacht werden konnte: Die Entwicklung
demokratischer Verfahren braucht Zeit und braucht Un-
terstützung. Dieser Satz unterstellt jedoch immerhin,
dass eine solche Entwicklung tatsächlich stattfindet. Das
ist in Armenien und Georgien der Fall. Es handelt sich
nicht, wie in anderen Nachfolgestaaten der früheren
Sowjetunion, lediglich um eine Inszenierung von Wah-
len, von Pluralismus.
Zwar gibt es, besonders im Vorfeld, unbestreitbar Pro-
bleme. Besonders der Einsatz der sogenannten staatli-
chen Ressourcen – vornehmlich der staatlich kontrollier-
ten Medien – zugunsten des Favoriten der Regierung,
bleibt kritikwürdig. Auch die schwer überprüfbaren Vor-
würfe verbreiteten Stimmenkaufs werden immer wieder
laut. Die unterlegene Opposition ruft zu Demonstratio-
nen gegen Wahlfälschungen auf und behauptet, sie habe
gesiegt. Die Beobachtungen der OSZE jedoch sind im
Vergleich dazu differenzierter und vor allem optimisti-
scher. So war es in Georgien und jetzt auch in Armenien.
Der Tenor der OSZE-Bewertung ist: Im Wesentlichen
sind die Wahlen frei und fair, aber es bedarf weiterer
Verbesserungen.
Diese Beschreibung lässt sich weitgehend auf die ge-
samte Entwicklung der Länder des Südkaukasus übertra-
gen. Dabei muss natürlich die Ausgangslage, die Vorge-
schichte der jetzigen Staaten des südlichen Kaukasus
berücksichtigt werden. Weder die Osmanen noch die Za-
ren haben dort Modernisierung und Demokratie beför-
dert. In der Sowjetunion herrschten Repression und
Willkür. Eine demokratische Tradition gibt es also nicht.
Vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtigen Ent-
wicklungen zu bewerten, die von den Standards der
Europäischen Union noch weit entfernt sind.
Besonders deutlich ist dies in Aserbaidschan, wo nach
wie vor die politische Opposition verfolgt und zivilge-
sellschaftliche, emanzipatorische Bestrebungen zumin-
dest argwöhnisch beobachtet werden. In Georgien und
auch in Armenien jedoch ist inzwischen eine sich lang-
sam konsolidierende Parteienlandschaft zu beobachten.
Von einer der Regierungsmacht auf Augenhöhe gegen-
überstehenden Opposition kann zwar noch keine Rede
sein. Zu zerstritten und zu wenig programmatisch
profiliert ist sie noch, zudem – auch durch staatliche All-
gegenwart – eingeschränkt in ihren Handlungsmöglich-
keiten. Dennoch sind erste Ansätze einer sich entwi-
ckelnden pluralistischen Kultur zu sehen.
Problematisch bleibt die wirtschaftliche Entwicklung.
Die sozialen Spannungen sind groß, auch im vom Öl-
und Gasgeschäft profitierenden Aserbaidschan. Die Kor-
ruption grassiert. Staat und Regierung dienen noch
immer eher der persönlichen Bereicherung als der Stabi-
lisierung gesellschaftlicher und ökonomischer Entwick-
lung.
In dieser ambivalenten, auch für Krisen anfälligen
Lage spielt die politische Orientierung hin zur Europäi-
schen Union eine bedeutende Rolle und ermöglicht er-
heblichen Einfluss. Dies gilt am ehesten für Georgien,
das in seinem Konflikt mit Russland am stärksten auf
westliche Unterstützung setzt. Daran ändert im Übrigen
auch das jetzt in hiesigen Medien herbeispekulierte neue
Bündnis mit Russland gegen die Unabhängigkeit separa-
tistischer Gebilde nichts. Das zwischen Aserbaidschan
und der Türkei isolierte Armenien lehnt sich außenpoli-
tisch nach wie vor stark an die Schutzmacht Russland
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15407
(A) (C)
(B) (D)
an. Die autoritäre Regierung in Baku hingegen versucht,
gestützt auf ihre Rohstoffprofite, eine Balance zwischen
Russland, den USA und der EU zu halten.
Für die Europäische Union und nicht zuletzt für das in
der Region hochangesehene Deutschland müssen die
drei Staaten des südlichen Kaukasus ein außenpoliti-
scher Schwerpunkt bleiben. Unser Interesse an einer sta-
bilen – das heißt nicht zuletzt demokratischen – Ent-
wicklung in der Nachbarschaft der EU liegt auf der
Hand. Deshalb ist eine Stärkung der europäischen Nach-
barschaftspolitik sinnvoll und notwendig. Dafür bedarf
es nicht nur eines intensiveren Einsatzes von Mitteln als
bisher. Von ebenso großer Bedeutung ist die Transparenz
ihrer Verwendung und die Konditionierung ihres Einsat-
zes. Maßstab dafür ist zu Recht der europäische Acquis
communautaire, besser noch seine Übertragung auf die
Staaten des Südkaukasus. Konkret bedeutet das die For-
derung nach Garantie der Menschenrechte, nach Rechts-
staatlichkeit und konsequenter Korruptionsbekämpfung
als Voraussetzungen weiterer und dauerhafter Unterstüt-
zung durch die EU. Es geht dabei nicht zuletzt um die
notwendige Verankerung der Demokratie als eines auch
wirtschaftlich für alle nutzbringenden Gesellschaftssys-
tems. Zu oft und zu lange haben die Menschen in der
früheren Sowjetunion die Erfahrung gemacht, dass De-
mokratie die Bereicherung weniger und die Verarmung
vieler bedeute. Zu oft führt das noch zum Ruf nach star-
ker Führung statt zur Motivation zur gesellschaftlichen
Beteiligung.
Die EU und auch Deutschland können mehr für die-
ses Ziel tun. Dazu gehört schließlich auch ein verstärktes
Engagement für die internationale Vermittlung zur Lö-
sung der regionalen Konflikte von Abchasien und Süd-
ossetien bis Nagorny-Karabach. Diese Krisenherde bin-
den bis heute viel zu viele politische und nicht zuletzt
militärische Ressourcen. Lösungsangebote des Westens
gab es schon viele, aber es braucht auch Anreize zur
Überwindung erstarrter Positionen. Die Annäherung an
die Europäische Union könnte auch hier ein solcher An-
reiz sein.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Die Regierungsver-
handlungen mit Bolivien für eine kritische
Überprüfung der Entwicklungszusammen-
arbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen
(Zusatztagesordnungspunkt 7)
Anette Hübinger (CDU/CSU): Bolivien ist einer der
wichtigsten entwicklungspolitischen Partner der Bun-
desrepublik Deutschland in Südamerika. Die deutsche
Entwicklungsarbeit ist dort seit über 40 Jahren engagiert.
Dennoch müssen wir konstatieren, dass Bolivien immer
noch das ärmste und auch exportschwächste Land dieser
Region ist.
Trotz seiner reichen Rohstoffvorkommen, vornehm-
lich Erdgas, ist es bisher unzureichend gelungen, die
steigenden Einnahmen an die sozial bedürftigen Bevöl-
kerungsgruppen weiterzugeben und für Investitionen in
wirtschaftliche Strukturen zu nutzen. Es mangelt an sta-
bilen staatlichen Institutionen, an wirtschaftlich effizien-
ten Strukturen und nachhaltigen Sozialsystemen.
Bolivien durchlebt seit mehr als fünf Jahren politisch
turbulente Zeiten mit rasch wechselnden Regierungen,
konfliktgeladenen Auseinandersetzungen und Protest-
kundgebungen der Bevölkerung. Seit 2003 sind drei
neue Präsidenten vereidigt worden. Diese politisch und
wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen haben
natürlich auch den Erfolg der deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit tangiert und sie vor neue Herausforde-
rungen gestellt.
Der Amtsantritt des Präsidenten Morales als erster in-
digener Präsident und seine Ankündigungen von tief
greifenden sozialen und ökonomischen Veränderungen
haben in der Bevölkerung große Hoffnung und Erwar-
tungen ausgelöst.
Die partizipative Mobilisierung der indigenen Bevöl-
kerungen, die immerhin 60 Prozent der Bevölkerung
darstellt, die bislang faktisch ausgeschlossen war, ist
wohl bis heute Morales größter Erfolg. Im Hinblick auf
die Anerkennung ihrer Rechte und ihrer Rolle im politi-
schen Leben konnten in den vergangen Jahren beachtli-
che Fortschritte erzielt werden. So hat die Regierung die
Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der
indigenen Bevölkerung in einem eigenen Gesetz veran-
kert, welches durch die öffentliche Generalversammlung
im September vergangenen Jahres verabschiedet wurde.
Auch wenn wir immer wieder Berichte über weiterhin
bestehende gravierende Probleme und Diskriminierung
gegenüber indigenen Personen zur Kenntnis nehmen
müssen, begrüßen wir dennoch Boliviens bis dato unter-
nommene Reformanstrengungen in diesem Bereich.
Viele Probleme sind jedoch noch ungelöst, wie zum
Beispiel die fortschreitende Entwicklung der Gewalten-
teilung, hier insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz.
Gerade im Bereich der Institutionenbildung und des
Aufbaus funktionierender Verwaltungsstrukturen kön-
nen wir als Partner Boliviens wichtige Unterstützung
leisten.
Die Lösung der sozialen Spannungen, der Aufbau
funktionierender Wirtschaftsstrukturen einschließlich ei-
ner effizienten und nachhaltigen Ressourcennutzung und
die Bekämpfung von Korruption sind immer noch die
größten Herausforderungen, denen sich Bolivien ernst-
haft stellen und bezüglich derer es auch eine größere Re-
formbereitschaft signalisieren muss. In diesem Zusam-
menhang bleibt es abzuwarten, ob die durchgeführten
Verstaatlichungen im Erdöl- und Erdgasbereich auch die
wirtschaftliche Entwicklung Boliviens positiv beeinflus-
sen oder ob dadurch das Vertrauen ausländischer Inves-
toren verloren gegangen ist.
Eines der dringendsten Probleme ist die Armut breiter
Bevölkerungsschichten in Bolivien. Mit dem von der bo-
livianischen Regierung im Jahr 2006 vorgelegten Plan
Nacional de Dessarrollo, PND, bekennt sie sich eindeu-
tig zu ihrem Ziel der Armutsbekämpfung. Dieser Regie-
15408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
rungsplan bildet auch die Grundlage unserer entwick-
lungspolitischen Zusammenarbeit. So benennt er unter
anderem das Ziel einer verstärkten industriellen Ent-
wicklung durch die Förderung von kleineren und mittle-
ren Unternehmen. Weiterhin fließen Gelder aus den Na-
tionalisierungen in die Armutsbekämpfung. Allerdings
fehlen oftmals schlüssige Umsetzungspläne, eine klare
Priorisierung der Programme und Details zur Finanzie-
rung. Darüber hinaus wird seit kurzem auch über die
Einführung eines Einkommensteuersystems nachge-
dacht.
Und genau hier setzt unsere Entwicklungszusammen-
arbeit mit Bolivien an. Die deutsche EZ engagiert sich
schwerpunktmäßig in drei Sektoren: der Verbesserung
der Trink- und Abwassersituation, der Stärkung einer de-
mokratischen und effizienten Regierungsführung und im
Bereich einer nachhaltigen landwirtschaftlichen Ent-
wicklung.
Kernpunkt der Regierungspolitik Morales ist eine
Landreform, deren Schwerpunkt auf der Förderung des
kollektiven Landbesitzes von indigenen Gemeinden
liegt, die familiären Privatbesitz hingegen ablehnt. Die-
sen Ansatz werden wir weiterhin kritisch betrachten,
denn in meinen Augen ist der Besitz von Grund und Bo-
den eine existenzielle Lebensgrundlage in Bolivien.
Auch ist es ein Irrtum, die Mechanisierung und Produk-
tivität der Landwirtschaft mit der Nutzung von Trakto-
ren gleichzusetzen. Um eine Produktivitätssteigerung im
Agrarsektor zu erreichen, ist vielmehr der Einsatz von
Forschungsergebnissen vonnöten. Vorstellbar wäre zum
Beispiel eine Zusammenarbeit bei der Quinoa-For-
schung. Hier sollten wir von deutscher Seite eine stär-
kere Kooperation anbieten.
Im Bereich der Förderung von Rechtsstaatlichkeit
und Good Governance unterstützen wir den Verfas-
sungsreformprozess und sind in der Stärkung institutio-
neller Reformen und im Bereich Dezentralisierung enga-
giert. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten
Ereignisse sind das Bereiche, bei denen wir wichtige
Hilfestellungen leisten können, aber auch den Werde-
gang kritisch begleiten und beobachten müssen.
Im Dezember vergangenen Jahres hatte der Verfas-
sungskonvent nach langer Auseinandersetzung in der
verfassungsgebenden Versammlung einem neuen von
der Regierungspartei MAS vorgelegten Verfassungsent-
wurf zugestimmt. Die Opposition blieb allerdings der
Abstimmung fern. Aus Protest gegen die aus ihrer Sicht
unrechtmäßig angenommene neue Verfassung des Lan-
des erklärten sich fünf der neun Departements für auto-
nom. Nach diesem klaren und politischen Signal der Op-
position in der seit Monaten andauernden politischen
Krise hat der sozialistische Präsident Morales eingelenkt
und versucht nun, sich gemeinsam mit den oppositionel-
len Bezirkschefs durch die Bildung einer Kommission
über die Streitpunkte einer neuen Verfassung, des Auto-
nomierechtes und der Finanzfragen zu beraten.
Diese politischen Auseinandersetzungen werden wir
auch in Zukunft weiter kritisch beobachten und begleiten
müssen. Es ist wichtig, wie Sie auch in Ihrem Antrag zu
Recht einfordern, unsere Entwicklungspolitik gemein-
sam mit unserem Partner immer wieder kritisch zu über-
prüfen und neu zu überdenken.
Erst vor wenigen Wochen hat im Ausschuss Erz-
bischof Abastoflor aus La Paz berichtet, wie wichtig und
bedeutsam das deutsche Engagement für die boliviani-
sche Bevölkerung ist. Das uns entgegenbrachte Ver-
trauen und die Hoffnung der Bevölkerung auf Verände-
rung der sozialen und wirtschaftlichen Schieflage
nehmen Deutschland natürlich auch in die Pflicht. Ver-
trauen beruht auf einer kontinuierlichen Zusammenar-
beit. Die politischen Unruhen der vergangenen Jahre in
Bolivien sind jedoch ein positives Zeichen dafür, dass
der politische Wille zu Veränderungen auch vorhanden
ist. Deshalb ist es nur richtig, unsere Entwicklungszu-
sammenarbeit mit Bolivien zielgerichtet fortzusetzen
und diese Veränderungswünsche gemeinsam mit Boli-
vien in eine demokratische Struktur zu lenken. Erst
wenn dies nicht gelingt, muss neu über eine entwick-
lungspolitische Zusammenarbeit nachgedacht werden.
Daher lehnt die Fraktion der CDU/CSU den zu beraten-
den Antrag der FDP-Fraktion ab.
Dr. Sascha Raabe (SPD): Die letzten Regierungs-
verhandlungen zwischen Deutschland und Bolivien im
Juni vergangenen Jahres sind nach einhelliger Meinung
beider Seiten konstruktiv und harmonisch verlaufen. Für
die Jahre 2007 und 2008 wurden Neuzusagen über Mit-
tel in Höhe von 35 Millionen Euro für die finanzielle
und 17 Millionen Euro für die technische Zusammen-
arbeit vereinbart. Die deutschen entwicklungspolitischen
Ziele und Schwerpunkte in Bolivien sind: Stärkung der
demokratischen Regierungsführung unter verantwortli-
cher Beteiligung der Zivilgesellschaft, die Reduzierung
der Armut durch die nachhaltige Nutzung der landwirt-
schaftlichen Produktion, die Verbesserung der Wasser-
ver- und -entsorgung für die ärmsten Gruppen der boli-
vianischen Bevölkerung sowie der Schutz natürlicher
Ressourcen. Dabei sind allein für Vorhaben im Bereich
„gute Regierungsführung“ rund 16,5 Millionen Euro
veranschlagt.
Der Dialog, den die Bundesregierung und hier insbe-
sondere das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung mit Bolivien führt, war
und ist eng. Nur über einen engen Dialog, der die Be-
dürfnisse und Ideen des Partnerlandes berücksichtigt,
und nicht über einseitige Konditionierung bei der Mittel-
vergabe werden wir dauerhaft und nachhaltig positive
Entwicklungen für die Menschen in Bolivien erreichen.
Ihr Problem, sehr geehrte Damen und Herren von der
FDP, ist, dass Ihnen schlicht und ergreifend die Regie-
rung Morales nicht in den Kram passt. Sie kommen nicht
damit klar, dass die Bolivianer mehrheitlich links ge-
wählt haben und dass Präsident Evo Morales eine selbst-
bewusste Politik für die Armen in seinem Land macht.
Bei aller Kritik, die man gegenüber bestimmten Teilen
seiner Politik sicher anbringen kann, muss man akzeptie-
ren, dass sich Bolivien diesen Präsidenten gewählt hat,
und zwar einen Präsidenten, der der jahrzehntelang in
Bolivien benachteiligten indigen Bevölkerungsmehrheit
angehört.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15409
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Sie kritisieren in Ihrem Antrag die, wie Sie sagen,
„Verstaatlichung“ der Erdöl- und Gasindustrie. In Wirk-
lichkeit geht es darum, dass sittenwidrig geschlossene
Verträge der Vorgängerregierung, die eine Plünderung
der Rohstoffe Boliviens ohne nennenswerten Nutzen für
das Land zur Folge hatten, nun revidiert wurden. Aus
Sicht der bolivianischen Bevölkerung, von der Sie in Ih-
rem Antrag ja selber schreiben, wie arm sie ist, macht
das durchaus Sinn. Sie profitiert jetzt mehr als vorher
von der Gewinnung der Rohstoffe, die aus der Erde Bo-
liviens gefördert werden. Man kann wohl ungefähr von
einer Verdreifachung der Einnahmen für den boliviani-
schen Staat ausgehen, die nun unter anderem zur Ar-
mutsbekämpfung im Land zur Verfügung stehen.
Morales hat die von den Vorgängerregierungen ausge-
handelten Verträge neu verhandelt. Und es bleibt festzu-
halten, dass die meisten Unternehmen, sicher zähneknir-
schend, aber doch im Land geblieben sind und die neuen
Bedingungen akzeptiert haben. Zurzeit sind rund 20 aus-
ländische Unternehmen im bolivianischen Energiesektor
tätig, und auch wenn die Summe der Direktinvestitionen
seit 2005 zurückgegangen ist, heißt das nicht, dass Boli-
vien für ausländische Investoren heute nicht mehr attrak-
tiv wäre. Diese Firmen schreiben auch heute noch
schwarze Zahlen. Sie sind vielleicht nicht mehr ganz so
fett wie früher, aber der Kuchen ist gerechter verteilt als
vorher. Jeder bekommt jetzt ein ganzes Stück, keiner
muss sich mehr mit den Krümeln begnügen.
Wir fordern von unseren Partnerländern immer, dass
sie nachhaltig wirtschaften sollen, dass sie selbst Wege
finden sollen, um wirtschaftlich unabhängig zu werden.
Das geht nicht, wenn man seine Ressourcen ausschließ-
lich ausländischen Konzernen überlässt. Mit der Natio-
nalisierung der Vorkommen bekommt jeder seinen An-
teil. Bolivien geht so einen möglichen Weg, ob der der
FDP in Deutschland nun gefällt oder nicht.
Wenn die so erzielten Mittel sinnvoll verwendet wer-
den, geht die Rechnung letztlich auch für uns auf. Ent-
wicklungsländer, die ihre Bodenschätze selber nutzen
und sie nicht von ausländischen Firmen ausbeuten las-
sen, brauchen weniger Hilfe von außen. Sie werden so
auch zu stärkeren Handelspartnern.
In Ihrem Antrag schreiben Sie:
Eine nachhaltige wirkungsvolle Entwicklungszu-
sammenarbeit muss auf die marktwirtschaftliche
Integration der Armen selbst als handelnde Sub-
jekte einer Volkswirtschaft ausgerichtet sein und
die Armen am Beginn der marktwirtschaftlichen
Wertschöpfungskette, im Agrarbereich, Kleinge-
werbe, Kleinhandel und Handwerk besonders för-
dern.
Der Satz ist gar nicht so dumm. Die Armen müssen an
der Wertschöpfungskette beteiligt werden. Nichts ande-
res will Morales ja tun, wenn er sein Volk stärker an der
Ressourcengewinnung beteiligt und die Macht multi-
nationaler Konzerne in seinem Land in gewissem Maße
begrenzt. Es sollte Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von
der FDP, zu denken geben, dass sogar zahlreiche kirchli-
che Organisationen seinerzeit dafür geworben haben,
Morales eine Chance zu geben und ihn nicht dafür zu
verurteilen, dass er die Verträge neu verhandelt hat.
Dr. Karl Addicks (FDP): Wir sprechen heute über
ein Land, das zurzeit und in der jüngsten Vergangenheit
immer wieder in den Schlagzeilen war – Bolivien. Mo-
mentan sind es die Überschwemmungen, die einige Teile
Boliviens in Not gebracht haben. Es waren aber auch an-
dere Bilder und Nachrichten, die uns aus Bolivien er-
reicht haben. Bilder von gewaltsamen Auseinanderset-
zungen und Demonstrationen gegen die von Präsident
Morales entworfene Verfassung und das Verfassungsver-
fahren. Das Land stand in diesen Tagen näher an einer
Spaltung als vor einer Einigung! Es ist genau das Gegen-
teil von dem eigentlichen Ziel der Verfassungsreform
– ein geeintes Land zu erhalten – eingetreten. Morales
hat als Präsident bei der indigenen Bevölkerungsmehr-
heit viele Hoffnungen geweckt. Aber er hat leider ver-
gessen, dass er der Präsident aller Bolivianer ist! Eines
seiner großen Ziele war eine Verfassungsreform im
Sinne der indigenen Bevölkerung.
Bereits im Jahr 2006 begann die verfassunggebende
Versammlung mit ihrer Arbeit, die im Jahre 2007 abge-
schlossen sein sollte. Immer wieder gab es Verzögerun-
gen und Verfahrensprobleme. Kritiker und Beobachter
des Verfassungsprozesses haben schon früh die Befürch-
tung geäußert, dass der Verfassungsentwurf das Land
spalten wird, da die weiße Minderheit im Entwurf klar
benachteiligt wird. Genau dies haben wir auch in unse-
rem Antrag kritisiert und die Bundesregierung aufgefor-
dert, auf diese Entwicklungen in den Regierungsver-
handlungen einzugehen. So ist die denkbar schlechteste
Situation in Bolivien eingetreten. Durch die fehlende
Einbeziehung der Opposition und der weißen Minderheit
kam es zu Konflikten um den Verfassungsentwurf bis
hin zu Autonomiebestrebungen einzelner Regionen.
Nach tagelangen Auseinandersetzungen mit vielen Ver-
letzten und leider auch Toten sind nun glücklicherweise
alle Parteien an einen Tisch gekommen. In einem Refe-
rendum wird nun über den Verfassungsentwurf entschie-
den.
Es sind so einige Dinge, die in der Zusammenarbeit
mit Bolivien einer kritischen Überprüfung bedürfen. In
unserem Antrag haben wir diese genannt. Stellvertretend
möchte ich einen Punkt herausgreifen, der für die wirt-
schaftliche Entwicklung Boliviens von enormer Bedeu-
tung ist: die stattgefundenen Verstaatlichungen von
Wirtschaftsunternehmen der unterschiedlichsten Bran-
chen. Eingehen möchte ich auf den Erdgas- und Erdöl-
bereich. Im Jahr 2006 hat Morales mit seiner neuen
Wirtschaftspolitik begonnen. Immer unter der Über-
schrift, dass doch alles nur zum Wohle der Bevölkerung
ist. Ich hoffe sehr, dass die Bolivianer, die immer noch
zu den ärmsten Menschen Lateinamerikas gehören, auch
wirklich etwas von diesen Einnahmen des Staates haben.
Die Vergangenheit lehrt uns eher etwas anderes. Bisher
sind Verstaatlichungen noch nie dem Wohle der Bevöl-
kerung zugute gekommen, sondern meist in die Taschen
korrupter Eliten gewandert. Das wird in Bolivien nicht
anders kommen. Das Bundesministerium für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, sieht
15410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
(A) (C)
(B) (D)
dies übrigens ganz anders! Aber es wäre ja nicht das
erste Mal, dass im BMZ die Entwicklungen eines Lan-
des nicht richtig erkannt werden.
Besonders beunruhigt bin ich, wenn ich mir allein die
Entwicklungen beim Nachbarn Venezuela, ebenso mit
Rohstoffvorkommen gesegnet, anschaue. Dort fand auch
eine Verstaatlichung der Rohstoffvorkommen statt. An-
geblich alles zum Wohle der Bevölkerung! Bisher haben
die Venezolaner aber nicht so viel davon gemerkt. Im
Gegenteil, die Einnahmen durch den hohen Ölpreis
kommen nicht der Bevölkerung zugute, sondern werden
für die militärische Aufrüstung oder zur Unterstützung
undemokratischer Regierungen, wie dem Iran oder
Weißrussland, benutzt. Die Bevölkerung aber steht vor
leeren Supermarktregalen. Bolivien ist auf dem gleichen
Weg wie Venezuela. Im September nahm Morales Bezie-
hungen zum Iran auf und bereitete Ahmadinedschad ei-
nen großen Empfang in Bolivien. Das sind Dinge, die je-
den Demokraten abschrecken, und wir sind nicht
verpflichtet, das auch zu unterstützen.
Wir wünschen uns eine Entwicklungszusammenarbeit,
die ganz klar an die Einhaltung von Good Governance
und Rechtsstaatlichkeit gebunden ist. In der Zusammen-
arbeit mit Bolivien sehe ich noch deutlichen Nachholbe-
darf in diesem Bereich. Hier muss die Bundesregierung
die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit an diese
Bedingungen knüpfen. Lassen Sie mich dazu noch eine
letzte Nachricht aus Bolivien anbringen. Die Regie-
rungspartei MAS hat ein Disziplinarverfahren gegen vier
der fünf obersten Verfassungsrichter beantragt, in dem
sie ihnen Amtsmissbrauch und Rechtsbeugung vorwirft.
Hintergrund ist, dass diese obersten Verfassungsrichter
dem Präsidenten widersprochen haben und vier Mitglieder
des obersten Gerichtshofes, die per Dekret durch Morales
ernannt wurden, abgesetzt hatten. Angesichts dieser un-
demokratischen Entwicklungen, muss die Zusammenar-
beit mit Bolivien kritisch überprüft werden!
Heike Hänsel (DIE LINKE): Mit dem gegenwärti-
gen Verfassungsprozess werden in Bolivien nach Jahr-
hunderten der sozialen, politischen, kulturellen und wirt-
schaftlichen Ausgrenzung jetzt die Grundlagen für eine
gerechtere Ausrichtung des Landes geschaffen. Das un-
terstützt Die Linke ausdrücklich. Die bislang ausge-
schlossenen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen
in Bolivien, das ist die Bevölkerungsmehrheit, fordern
ihre Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Ent-
scheidungsprozessen und an der Nutzung der natürlichen
Ressourcen ihres Landes ein. Das ist völlig berechtigt,
und das tun sie schon lange außerparlamentarisch, neu
ist, dass sie in der Regierung nun Unterstützung haben,
wenn es darum geht, diese Teilhabe tatsächlich durchzu-
setzen.
Die Bundesregierung könnte davon lernen: Der am
10. Dezember von der verfassunggebenden Versamm-
lung Boliviens verabschiedete Verfassungsentwurf wird
im Laufe des Jahres den Bolivianerinnen und Bolivia-
nern in einem Volksentscheid zur Abstimmung vorge-
legt. Damit wäre der bolivianische Verfassungsprozess
ein nachahmenswertes Beispiel für den Ratifizierungs-
prozess zum EU-Reformvertrag. Leider hat die Bundes-
regierung dieses positive Beispiel bislang nicht aufge-
griffen.
Aber natürlich gilt auch in Bolivien: Wo etwas Neues
entsteht, wo mehr Menschen an politischen Entschei-
dungen und wirtschaftlichem Wohlstand beteiligt wer-
den wollen, gibt es immer auch diejenigen, die ihre
bisherigen langjährigen Privilegien und Pfründe vertei-
digen. Uns hat im Dezember schockiert, wie unverfroren
die oppositionellen Gouverneure der vergleichsweise
wohlhabenden Ostprovinzen die bolivianische Regie-
rung und die verfassungsmäßige Ordnung herausgefor-
dert haben, um den Verfassungsprozess zu sabotieren.
Sie haben sich verfassungswidrige Autonomiestatuten
gegeben, wollten gar Passkontrollen an den Provinz-
grenzen durchführen. Die Grundbesitzer in den Ostpro-
vinzen haben paramilitärische Banden rekrutiert, die
gewaltsame Übergriffe auf Vertreterinnen und Vertreter
der verfassunggebenden Versammlung verübten. Ihre
Agenda lautet: Alles soll so bleiben, wie es war! Die
neuen Ansprüche der bislang Ausgegrenzten erkennen
sie nicht an. Wir kennen das aus vielen Beispielen, in de-
nen demokratische und soziale Aufbrüche in Chaos und
Gewalt erstickt wurden. Ich nenne nur Chile 1973 und
Haiti 1991.
Der hier zur Debatte stehende Antrag der FDP stellt
die Verhältnisse völlig auf den Kopf, wenn er die „Ge-
fahr“ an die Wand malt, die bolivianische Regierung
würde den Verfassungsprozess nutzen, um die demokra-
tische Opposition zu unterdrücken, oder – noch grotes-
ker – es drohe die Diskriminierung der weißen und
mestizischen Bevölkerung durch die Ausweitung der
Beteiligungsrechte für die Indigenen. Das ist blanker Zy-
nismus angesichts des bestehenden, jahrhundertealten
Wohlstands- und Machtgefälles zwischen der weißen
und der indigenen Bevölkerung.
Zum FDP-Antrag nur soviel: Die Regierung Morales
ist mit einem überzeugenden demokratischen Mandat
ausgestattet. Es besteht keine Veranlassung, sie über gute
Regierungsführung zu belehren. Insbesondere sind wir
nicht der Meinung, dass die Umsetzung neoliberaler
Wirtschaftspolitik ein Ausweis guter Regierungsführung
wäre. Die von der bolivianischen Regierung vorgenom-
menen Verstaatlichungen sind legitim. Von den neuen
Verträgen mit Förderunternehmen profitiert die Bevölke-
rung, gerade weil die Regierung Morales die Armutsbe-
kämpfung ernsthaft zu ihrem politischen Programm ge-
macht hat. Dass die FDP ausgerechnet an Bolivien ein
Exempel für strengere Konditionierung statuieren will,
ist deshalb als politische Provokation zu deuten. Das gilt
umso mehr, wenn man weiß, dass die FDP-nahe
Friedrich-Naumann-Stiftung in Lateinamerika mit Orga-
nisationen zusammenarbeitet, die die autonomistischen
Umtriebe in Bolivien – und anderswo – unterstützen.
Es ist gut, dass die Bundesregierung die Autonomie-
bestrebungen in Ostbolivien nicht unterstützt. Im Aus-
schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung hat sich die Bundesregierung mit einem sehr
ausgeglichenen Standpunkt präsentiert. Noch besser
wäre es allerdings gewesen, wenn sie der bolivianischen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008 15411
(A) (C)
(B) (D)
Regierung in ihrem Konflikt mit den Autonomisten den
Rücken gestärkt hätte. Stattdessen hat sie sich auf einen
„neutralen“ Standpunkt zurückgezogen und setzt auf
Dialog. Auch wir sind dafür, politische Auseinanderset-
zungen im Gespräch beizulegen. Aber wir sind zugleich
dafür, dass die Verantwortlichkeiten für die Zuspitzung
der Krise klar benannt und berechtigte und illegitime
Ansprüche nicht vermischt oder gleichgesetzt werden.
Die Verfassungsprozesse in Bolivien, Ecuador und
Venezuela sind – trotz aller Hindernisse – eine histori-
sche Chance, dass die berechtigten Ansprüche von Mil-
lionen von Menschen, die bislang nie zum Tragen ka-
men, endlich artikuliert werden. Die Linke ist der
Fokussierung auf Good Governance. Bereits 2006 wur-
den diese Schwerpunkte von der Regierung Morales be-
stätigt. Außerdem arbeiten Deutschland und Bolivien
beim Schutz der Biodiversität zusammen. Der Wald-
schutz wird auch in Bolivien zunehmend relevant. Die
deutsche EZ sollte in diesem Kontext darüber nachden-
ken, wie sie mit dem Thema Klima- und Ressourcen-
schutz als Entwicklungsherausforderung umgeht – auch
über Bolivien hinaus.
Bolivien hat Ende 2007 schwere Unruhen im Umfeld
der verfassunggebenden Versammlung erlebt. Der Staat
und die politischen Entscheidungsträger befinden sich in
einer ausgesprochen schwierigen Lage. Es liegt in der
Ansicht, genau das sollte auch die Richtschnur der deut-
schen Entwicklungspolitik sein.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bevor
ich auf den Inhalt des Antrages der FDP eingehe, möchte
ich mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, mein Erstau-
nen darüber, dass wir uns im Februar 2008 mit einem
Antrag der FDP-Fraktion beschäftigen, der am 13. Juni
2007 eingebracht wurde und die „anstehenden Regie-
rungsverhandlungen mit der bolivianischen Regierung“
zum Thema hat. Diese Regierungsverhandlungen wur-
den bereits Ende Juni 2007 in Bonn abgeschlossen. Wir
beraten hier also einen Antrag, der schlichtweg überholt
ist. Die Tatsache, dass die Kolleginnen und Kollegen
von der FDP in den vergangenen acht Monaten ihren
Antrag nicht aktualisiert und ihn unverändert aufgerufen
haben, lässt durchaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit ih-
res Interesses an der Entwicklung in Bolivien zu. Ziel-
führender wäre es doch gewesen, die Ergebnisse der Re-
gierungsverhandlungen als Grundlage für den Antrag zu
nutzen, anstatt acht Monate nach Abschluss der Ver-
handlungen das Verhalten der Regierung bei eben diesen
beeinflussen zu wollen. Ich frage mich wirklich, welches
Zeichen die FDP-Fraktion mit diesem Antrag setzen
will.
Die Ergebnisse der Regierungsverhandlungen zwi-
schen Bolivien und Deutschland weisen eine starke Kon-
tinuität in der Zusammenarbeit auf. Die finanzielle Aus-
stattung steigt leicht von 32 Millionen für 2005/2006 auf
35 Millionen Euro für 2007/2008. Schwerpunkte der
deutschen EZ sind weiterhin Wasser- und Abwasserwirt-
schaft, nachhaltige Landwirtschaft sowie die Stärkung
von Demokratie, Zivilgesellschaft und öffentlicher Ver-
waltung, also die im FDP-Antrag mehrfach geforderte
Verantwortung der Beteiligten, Polarisierung, Spaltung
und Gewalt zu verhindern und eine Verfassung zu schaf-
fen, die ein stabiles, legitimes und tragfähiges Funda-
ment für die Entwicklung Boliviens hin zu Gerechtig-
keit, Inklusion und Entwicklung, gerade für die Ärmsten
des Landes, bildet. Die Bundesregierung, aber auch die
politischen Stiftungen sowie nichtstaatlichen und kirch-
lichen Organisationen müssen daher, wo immer möglich
und gewollt, den bolivianischen Partnern bei der Gie-
ßung dieses Fundamentes mit Rat und Tat zur Seite ste-
hen und den Prozess mit konstruktiver Kritik begleiten.
Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns in diesem
Hause mit den Entwicklungen in Bolivien beschäftigen.
Es handelt sich nicht zu Unrecht um eines der Schwer-
punktländer der deutschen EZ. Nach wie vor leben in
Bolivien 23 Prozent der Bevölkerung von weniger als ei-
nem US-Dollar am Tag. Immer noch sind 23 Prozent der
Bolivianer unterernährt. Ich hätte mir gewünscht, dass
Bolivien ein Pilotland bei der Umsetzung des Rechts auf
Nahrung wäre. Ich bin mir bewusst, dass es nicht allein
an der deutschen Seite liegt, dass ein Pilotprogramm
nicht zustande kam. Ich glaube aber auch, dass wir uns
bei den nächsten Verhandlungen mit Bolivien erneut um
ein solches Programm bemühen müssen, um die bolivia-
nischen Partner bei der Umsetzung des Menschenrechts
auf Nahrung zu unterstützen.
In Anbetracht der immensen Entwicklungsherausfor-
derungen, vor denen Bolivien steht, und den Anstren-
gungen, die von der gegenwärtigen Regierung unter-
nommen werden, um die Situation zu verbessern, bin ich
der Meinung, dass Bolivien es verdient, dass wir uns
ernsthaft, zeitnah und zukunftsgerichtet mit den Ent-
wicklungen in diesem Land beschäftigen.
145. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2008
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9