Protokoll:
16119

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 119

  • date_rangeDatum: 12. Oktober 2007

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:08 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/119 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. Septem- ber 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen (Drucksachen 16/6460, 16/6612) . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6633) . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin- Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 12349 B 12349 C 12353 B 12353 D 12355 C 12357 B 12358 A 12360 A 12360 B 12360 D 12362 B Deutscher B Stenografisc 119. Si Berlin, Freitag, den I n h a Begrüßung des Parlamentspräsidenten von Kanada, Herrn Peter Milliken . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsun- terstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutio- nen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 12349 A der Fraktion DIE LINKE zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung: Fort- setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz undestag her Bericht tzung 12. Oktober 2007 l t : der Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan (Interna- tional Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grund- lage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. Novem- ber 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. Septem- ber 2007 des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen (Drucksachen 16/6460, 16/6461, 16/6613) Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 12349 D 12350 A 12351 C Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12363 B 12364 A II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 Ursula Mogg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Schmidbauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . Hans Raidel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 30 GO) Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Große Anfrage der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Rainer Brüderle, Dirk Niebel, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Konsequenzen der Auswanderung Hoch- qualifizierter aus Deutschland (Drucksachen 16/3210, 16/5417) . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Uwe Barth (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: a) Antrag der Abgeordneten Michaela Noll, Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Renate Gradistanac, Clemens Bollen, Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Häusliche 12364 D 12366 B 12367 D 12368 C 12369 A 12369 B 12370 B 12371 A 12373 A 12371 B 12371 C 12375 B 12378 A 12378 D 12380 C 12380 D 12381 B 12383 C 12384 D 12387 A 12388 A 12389 D 12391 A 12392 B Gewalt gegen Frauen konsequent wei- ter bekämpfen (Drucksache 16/6429) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (Drucksache 16/6584) . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef Dzembritzki, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Deutsche Personalpräsenz in interna- tionalen Organisationen im nationalen In- teresse konsequent stärken (Drucksache 16/6602) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verzicht der Bundes- regierung auf Einnahmen aus Sponsoring (Drucksachen 16/4488, 16/5564) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Alte Atomkraftwerke jetzt vom Netz nehmen (Drucksache 16/6319) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 12394 C 12394 C 12394 D 12396 A 12397 B 12398 C 12399 C 12400 C 12401 D 12403 A 12403 B 12403 C 12403 D 12404 D 12405 D 12406 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 III Christoph Pries (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: a) Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Auswärtige Kulturpolitik (Drucksachen 16/2233, 16/4024) . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neujustierung der Auswärtigen Kultur- politik (Drucksache 16/6604) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Monika Griefahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesre- gierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. No- vember 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen (Tagesord- nungspunkt 27) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . . 12407 D 12408 C 12409 D 12410 C 12410 C 12410 D 12411 D 12413 A 12413 D 12415 D 12417 A 12417 C 12418 A 12418 D Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Iris Hoffmann (Wismar) (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maik Reichel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Omid Nouripour, Alexander Bonde, Kerstin Andreae und Margareta Wolf (Frank- furt) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In- ternational Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 12419 A 12419 D 12420 C 12420 D 12421 B 12421 D 12422 A 12422 C 12422 D 12423 A 12423 B 12423 D 12424 A 12424 C 12425 A 12425 C 12426 D 12427 A 12427 C 12427 D 12428 B 12428 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. Sep- tember 2006 und 1776 (2007) vom 19. Sep- tember 2007 des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dirk Manzewski, Christine Lambrecht, Dr. Peter Danckert und Dr. Margrit Spielmann (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Be- richt zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. Novem- ber 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Detlef Müller (Chemnitz), Mechthild Rawert und Christoph Strässer (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna- tional Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Reso- lutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep- tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Rainder Steenblock, Irmingard Schewe-Gerigk, Wolfgang Wieland, Grietje Bettin, Thilo Hoppe, Katrin Göring-Eckardt, Christine Scheel, Ulrike Höfken, Dr. Gerhard Schick, Kai Gehring, Bärbel Höhn und Markus Kurth (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 12428 D 12430 A 12430 D NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Lale Akgün, Reinhold Hemker und Renate Gradistanac (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher- heitsunterstützungstruppe in Afghanistan (In- ternational Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep- tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg), Ortwin Runde, Willi Brase, Ulla Burchardt, Elvira Drobinski- Weiß, Dagmar Freitag, Wolfgang Grotthaus, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Hilde Mattheis, Petra Merkel (Berlin), Dr. Matthias Miersch, Florian Pronold, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Marlies Volkmer, Lydia Westrich und Swen Schulz (Spandau) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationa- len Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 12432 B 12433 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 V 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. Novem- ber 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) 12435 B (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Hermann, Hans-Christian Ströbele, Peter Hettlich, Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. Novem- ber 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Christel Humme, Lothar Binding (Heidelberg), Wolfgang Gunkel, Volker Blumentritt, Ulla Burchardt, Gabriele Hiller-Ohm, Frank Hofmann (Volkach), Dr. Herta Däubler-Gmelin und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Be- richt zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. Novem- ber 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) 12434 A 12434 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Deutsche Personalpräsenz in in- ternationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken (Tagesordnungs- punkt 30) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Verzicht der Bundesregierung auf Einnahmen aus Sponsoring (Tagesord- nungspunkt 31) Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Große Anfrage: Auswärtige Kulturpolitik – Antrag: Neujustierung der Auswärtigen Kulturpolitik (Tagesordnungspunkt 33) Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12436 B 12438 D 12439 C 12440 C 12441 C 12442 A 12442 D 12443 D 12444 D 12446 A 12446 D 12447 B 12448 B 12449 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12349 (A) (C) (B) (D) 119. Si Berlin, Freitag, den Beginn: 9
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    1) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12417 (A) (C) (B) (D) ist und der zivile Aufbau verstärkt wird, kann ich mir eine Zustimmung zu dem notwendigen, aber so, wie von Toncar, Florian FDP 12.10.2007 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 12.10.2007 von Bismarck, Carl- Eduard CDU/CSU 12.10.2007 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.10.2007 Dött, Marie-Luise CDU/CSU 12.10.2007 Dr. Faust, Hans Georg CDU/CSU 12.10.2007 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 12.10.2007 Hüppe, Hubert CDU/CSU 12.10.2007 Dr. Jordan, Hans- Heinrich CDU/CSU 12.10.2007 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 12.10.2007 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 12.10.2007 Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 12.10.2007 Lopez, Helga SPD 12.10.2007 Merten, Ulrike SPD 12.10.2007 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 12.10.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 12.10.2007 Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 12.10.2007 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 12.10.2007 Schneider (Erfurt), Carsten SPD 12.10.2007 Dr. Schwall-Düren, Angelica SPD 12.10.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 12.10.2007 Thiele, Carl-Ludwig FDP 12.10.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna- tional Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolu- tionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto- ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einen zivilen Aufbau in Afghanistan kann es gegenwär- tig ohne eine militärische Absicherung durch ISAF nicht geben. Ich stimme dennoch dem Antrag der Bundes- regierung nicht zu, da das, was Deutschland und die in- ternationale Staatengemeinschaft in Afghanistan ma- chen, weder militärisch, polizeilich noch zivil ausreicht, um das Land zu stabilisieren und zu befrieden. Ein mili- tärischer Rückzug ist erst dann vertretbar, wenn afghani- sche Sicherheitskräfte, Polizei und Militär, die Sicher- heit im Land allein herstellen können und wollen. Allerdings ist eine Entsendung von Soldaten auch nur dann für einen Parlamentarier vertretbar, wenn die zivi- len und militärischen Komponenten so angelegt sind, das der Einsatz erfolgreich sein kann. Wenn man dazu politisch nicht in der Lage ist, kann man auch nicht von den Soldaten verlangen, dass sie ihr Leben in diesem ge- fährlichen Einsatz gefährden. Die internationale Staatengemeinschaft muss ihre zi- vilen und militärischen Anstrengungen verstärken und einen Strategiewechsel einleiten: Der Krieg gegen den Terror durch OEF muss beendet werden. Die Taliban- ökonomie des Drogenhandels muss durch Aufkaufen der Mohnernte und der Entwicklung von Alternativen zer- schlagen werden. Der zivile Aufbau muss erheblich ver- stärkt werden. Dem Aufbau einer gut ausgebildeten und anständig bezahlten Polizei kommt dabei eine Schlüssel- rolle zu. Der Einsatz der Tornados ist vor dem Hinter- grund der Defizite bei der Unterstützung des zivilen Aufbaus mindestens die falsche Prioritätensetzung. Ohne eine Lösung der Probleme an der pakistanisch-af- ghanischen Grenze ist eine militärische Stabilisierung im Osten und Süden des Landes nicht möglich. Erst wenn der überfällige Strategiewechsel sichtbar 12418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) der Regierung vorgelegt, nicht hinreichenden ISAF- Mandat vorstellen. Dr. Axel Berg (SPD): Die Entscheidung, die Man- datsverlängerungen der Internationalen Sicherheitsbei- standtruppe, ISAF, und der Entsendung von RECCE- Tornados gemeinsam abstimmen zu lassen, bringt mich in ein Dilemma, da ich bisher allen ISAF-Einsätzen gu- ten Gewissens zugestimmt habe, die Entsendung von RECCE-Tornados aber für falsch und gefährlich halte und dementsprechend meine Stimme verweigert habe. Ich halte den Einsatz von ISAF nach wie vor für wichtig und richtig. Die ISAF soll eine friedliche, politi- sche Entwicklung Afghanistans gewährleisten und die Regierung Afghanistans bei ihrer Aufgabe, für Sicher- heit, Recht und Ordnung im ganzen Land zu sorgen, un- terstützen. Auch beim Wiederaufbau Afghanistans hat ISAF Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu ei- ner Stabilisierung des Nordens Afghanistans beigetra- gen. Dabei muss ISAF klar abgegrenzt werden von der „Operation Enduring Freedom“, OEF, die die Bekämp- fung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. So hat der Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan meine Befürchtungen vom Frühjahr leider bestätigt. Er hat zu erheblichen Unscharfen bei der Auf- gabenteilung von ISAF und OEF geführt. Ich sehe meine Zweifel von damals, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsicht- lich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – de- tailliert zu trennen und dies auch der Bevölkerung zu vermitteln, bestätigt. Es scheint, dass Widerstandsgrup- pen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen und die deutschen Tornados als Flug- zeuge im Kampfeinsatz bzw. zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen bewerten. Durch den doppelten Verwendungszweck, Dual Use, der RECCE-Tornados, können sowohl die ISAF- als auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unter- stützt werden. Es geht also weder nur um Schutz noch nur um Kampf, sondern sowohl um Stabilisierungs- als auch um Kampfunterstützung. Zusätzlich sehe ich auch meine Zweifel an der Pro- blematik des Nutzens der Tornados im Sinne ihrer Auf- gabenbestimmung bei weitem nicht ausgeräumt, denn auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend reduzieren, da Kombattanten und Zivilbevölkerung angesichts lan- desüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum zu unter- scheiden sind. Da im Süden Afghanistans vorrangig die Strategie verfolgt wird, die Aufständischen zu bekämp- fen, werden nicht nur eigene Soldaten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sondern es wird auch die Zivilbevöl- kerung massiv in Mitleidenschaft gezogen und Nothilfe und Aufbau werden vernachlässigt. Der Einsatz deutscher Tornados ist für mich damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Die Tornado-Entsendung hat Afghanistan insgesamt deshalb nicht sicherer gemacht: Das durch Widerstands- aktivitäten verunsicherte Gebiet Afghanistans hat sich nach übereinstimmenden Erkenntnissen der UNO und anderer namhafter Organisationer – Senlis Council, Großbritannien – von der Hälfte auf etwa zwei Drittel des afghanischen Staatsgebiets vergrößert. Der jüngste Anschlag auf BKA-Mitarbeiter in Kabul kann als Zei- chen dafür gewertet werden, dass die Tornado-Entsen- dung den Hass des Widerstandes nun auch auf das deut- sche Personal in Afghanistan gelenkt hat. In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch das Positionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtorganisationen e.V. – VENRQ –, in dem auch eine zunehmende Vermischung der Aktivitäten von OEF und ISAF beklagt wird, die zunehmend zum Ver- trauensverlust in der afghanischen Bevölkerung führt. Ich teile die Meinung von VENRO, in dem u. a. die in Afghanistan hervorragende Hilfe leistenden Organisatio- nen Caritas International, Deutsche Welthungerhilfe, Malteser International, medico international, medico mondale, Misereor und Afghanistan-Schulen Mitglied sind, dass die internationale Hilfe und Unterstützung bei der Friedenssicherung nur gelingen kann, wenn parallel zum Staatsaufbau, „State-building“, auch der zivilgesell- schaftliche Aufbau vorangetrieben wird. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich die Forderung, dass eine Abkehr vom Primat des Militärischen hin zu einer weiteren Stärkung der Zivilgesellschaft und einer konsequenten Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbau- hilfe sich auch in der Bereitstellung von Finanzmitteln widerspiegeln muss: Gegenwärtig werden aus dem Bun- deshaushalt pro Jahr mehr als 530 Millionen Euro für den Militäreinsatz inklusive des Tornado-Einsatzes aus- gegeben. Für den zivilen Aufbau stehen dagegen im Jahr 2007 lediglich 100 Millionen Euro zur Verfügung, ab 2008 sind 125 Millionen Euro vorgesehen. Dieses Miss- verhältnis von Ausgaben für militärische und zivile Zwecke muss zumindest in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht, das heißt, es müssen deutlich mehr Finanzmit- tel für den zivilen Aufbau zur Verfügung gestellt wer- den. Ich fordere meine Kollegen im Haushaltsausschuss bzw. die Kollegen im Verteidigungsausschuss, im Aus- wärtigen Ausschuss und im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit dazu auf, die Bedenken und Wünsche der in Afghanistan tätigen Nichtregierungsorganisationen ernst zu nehmen und die Mittel für den zivilen Aufbau signifikant zu erhöhen. Aus diesen Gründen kann ich weder den weiterhin dringend notwendigen Einsatz der ISAF ablehnen noch dem Einsatz von RECCE-Tornados zustimmen und muss mich leider der Stimme enthalten. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich stimme dem Antrag nicht zu, da ich ihn verfassungs- rechtlich für fragwürdig, ethisch für nicht gerechtfertigt und politisch für falsch halte. Diese Auffassung habe ich bereits in den vergangenen sechs Jahren vertreten und fühle mich durch die zunehmende Radikalisierung in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12419 (A) (C) (B) (D) diesem Land darin bestärkt. Die Absicht Südkoreas, die eignen Truppen abzuziehen, die deutlichen Überlegun- gen Kanadas einen ähnlichen Schritt vorzunehmen und die aktuelle Diskussion in den Niederlanden belegen, dass es sehr wohl auch internationale ernstzunehmende Ansätze gibt, einen stufenweisen Rückzug vorzuneh- men. Es geht darum, eine Befriedung in diesem Land zu erreichen und die Gefahren durch den Terrorismus zu minimieren. Dazu bedarf es politischer, nicht militäri- scher Lösungen. Martin Burkert (SPD): Die Entscheidung, die Man- datsverlängerungen der Internationalen Sicherheitsbei- standstruppe (ISAF) und der Entsendung von RECCE- Tornados gemeinsam abstimmen zu lassen, bringt mich in eine Hopp- oder Topp-Situation. Dem ISAF-Einsatz hätte ich guten Gewissens zugestimmt. Die Entsendung von RECCE-Tornados hatte ich aber für falsch und ge- fährlich gehalten und habe dementsprechend meine Stimme verweigert. Ich halte den Einsatz von ISAF für wichtig und rich- tig. Die ISAF soll eine friedliche politische Entwicklung Afghanistans gewährleisten und die Regierung Afgha- nistans bei ihrer Aufgabe, für Sicherheit, Recht und Ord- nung im ganzen Land zu sorgen, unterstützen. Auch beim Wiederaufbau Afghanistans hat ISAF Erfolge vor- zuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu einer Stabilisierung des Nordens Afghanistans beigetragen. Dabei muss ISAF klar abgegrenzt werden von der Operation „Enduring Freedom“ (OEF), die die Bekämp- fung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. So hat der Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan meine Befürchtungen vom Frühjahr leider bestätigt. Er hat zu erheblichen Unschärfen bei der Auf- gabenteilung von ISAF und OEF geführt. Ich sehe meine Zweifel von damals, dass es gelingen wird, die Einsatz- bedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusam- menarbeit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu tren- nen und dies auch der Bevölkerung zu vermitteln, bestätigt. Es scheint, dass Widerstandsgruppen in Afgha- nistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfein- satz bzw. zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen bewer- ten. Durch den doppelten Verwendungszweck (dual use) der RECCE-Tornados, können sowohl die ISAF- als auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unter- stützt werden. Es geht also weder nur um Schutz noch nur um Kampf, sondern sowohl um Stabilisierungs- als auch um Kampfunterstützung. Zusätzlich sehe ich auch meine Zweifel an der Pro- blematik des Nutzens der Tornados im Sinne ihrer Auf- gabenbestimmung bei weitem nicht ausgeräumt, denn auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend reduzieren, da Kombattanten und Zivilbevölkerung angesichts lan- desüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum zu unter- scheiden sind. Da im Süden Afghanistans vorrangig die Strategie verfolgt wird, die Aufständischen zu bekämp- fen, werden nicht nur eigene Soldaten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sondern auch die Zivilbevölkerung massiv in Mitleidenschaft gezogen und Nothilfe und Aufbau vernachlässigt. Der Einsatz deutscher Tornados ist für mich damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Die Tornado-Entsendung hat Afghanistan insgesamt deshalb nicht sicherer gemacht: Das durch Widerstands- aktivitäten verunsicherte Gebiet Afghanistans hat sich nach übereinstimmenden Erkenntnissen der UNO und anderer namhafter Organisationen – Senlis Council, Großbritannien – von der Hälfte auf etwa zwei Drittel des afghanischen Staatsgebiets vergrößert. Der jüngste Anschlag auf BKA-Mitarbeiter in Kabul kann als Zei- chen dafür gewertet werden, dass die Tornado-Entsen- dung den Hass des Widerstandes nun auch auf das deut- sche Personal in Afghanistan gelenkt hat. In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch das Posi- tionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik deut- scher Nichtorganisationen e. V. (VENRO), in dem auch eine zunehmende Vermischung der Aktivitäten von OEF und ISAF beklagt wird, die zunehmend zum Vertrauens- verlust in der afghanischen Bevölkerung führt. Hinterfragen muss man auch, warum überhaupt noch Tornados gebraucht werden, wenn die USA mittlerweile auch schon mit Flugzeugen eigene Aufklärungsflüge durchführt und damit auf eigenes Datenmaterial zurück- greifen kann. Aus diesen Gründen kann ich weder den weiterhin dringend notwendigen Einsatz der ISAF ablehnen noch dem Einsatz von RECCE-Tornados zustimmen und muss mich leider der Stimme enthalten. Elke Ferner (SPD): Ich stimme mit dem Antrag der Bundesregierung überein, dass ISAF für die Herstellung von Frieden und Sicherheit in Afghanistan einen essen- ziellen Beitrag leistet und stimme deshalb der Verlänge- rung des Einsatzes der deutschen ISAF-Kräfte zu. Bei der Abstimmung über den Einsatz deutscher RECCE- Tornados hatte ich mich im März 2007 der Stimme ent- halten, weil ich – wie noch heute – darin eine Gefähr- dung des ISAF-Einsatzes und der Arbeit der NGOs sehe. Die Zusammenfassung des ISAF- und des Tornado- Mandates im heute vorliegenden Antrag ist der Grund für meine heutige persönliche Erklärung. Ich stimme dem Antrag zu, weil unsere Bundeswehr unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz arbei- tenden NGOs eine sehr gute und für die Stabilisierung Afghanistans unverzichtbare Arbeit leisten. Ich begrüße das bisherige Engagement der Bundesregierung in die- sem Bereich, aber es muss deutlich ausgeweitet werden. Das Hauptziel muss es sein, staatliche Strukturen weiter aufzubauen und die Armut zu verringern. Viele Erfolge – zum Beispiel im Bereich der Mäd- chenbildung oder der Verbesserung der Infrastruktur – sind durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in den meisten Provinzen Afghanistans gefährdet. Die Re- gierung Karzai wird zudem in weiten Teilen des Landes nicht wahrgenommen. Kaum jemand weiß über seine verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verabschie- 12420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) dung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde und die Verstrickung der Regierung und des Parlamentes in Drogengeschäfte nehmen beiden Institutionen zusätzlich Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist die afghanische Be- völkerung zunehmend frustriert über das Tempo, in dem die Verbesserungen für sie persönlich greifbar werden. Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem, dass immer noch moderne staatliche Institutionen auch auf den unteren Provinz- und Distriktebenen fehlen oder nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden noch eine Demokratisierung oder eine stabile wirtschaft- liche Entwicklung des Landes möglich. Dieses fehlende staatliche Gewaltmonopol kann nicht durch die simple Einrichtung entsprechender Institutionen und auch nicht durch militärische Gewalt hergestellt werden. Es fehlen demokratische Rechts- und Gerechtigkeitskonzeptionen sowie institutionalisierte, als legitim verstandene Kon- fliktaustragungsmechanismen. In diesem Punkt mangelt es im gesamten internationalen Engagement noch. Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt wer- den, dass er die Lebenssituation der Afghanen und Afghaninnen tatsächlich verbessern kann, in dem er Si- cherheit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als Dienstleistungserbringer – Bildung, Infrastruktur, Ge- sundheitsversorgung, soziale Absicherung – funktio- niert. Deshalb stimme ich dem vorliegenden Antrag auch in der Absicht zu, die Bundesregierung, die in ihrem aktua- lisierten Papier zur Afghanistan-Strategie geschilderten Vorhaben auch den zivilen Wiederaufbau stärken will, in der Umsetzung dieses Papiers zu unterstützen. Ich ver- weise in diesem Zusammenhang auch auf das Positions- papier des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. vom 8. Oktober 2007. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass insbeson- dere menschenrechtliche Aspekte künftig noch stärker – zum Beispiel in die Formulierung der Mandatsverlän- gerungen betreffenden Anträge – Eingang finden. Die mit der Vollstreckung von 15 Todesurteilen vollzogene Abkehr Präsident Karzais von dem unterzeichneten Mo- ratorium zur Todesstrafe ist nicht hinnehmbar. Fest steht für mich: Eine Politik gegen die zivile af- ghanische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen. Die Strategie der Vermeidung sogenannter Kollate- ralschäden muss künftig Teil jedes Mandates sein. Die Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss auch für die afghanische Bevölkerung erkennbar sein. Ihr fällt es zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate und ihre Aktionen auseinander zu halten. Ich bleibe bei meiner Einschätzung des Tornado-Man- dates vom 5. März 2007: Ich bezweifle nach wie vor, dass die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – detail- liert geregelt werden können. Ich befürchte nach wie vor, dass aufgrund dieses Einsatzes deutsche Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden könnten, auf deren Planung und Durchführung sie kei- nerlei Einfluss haben. Ich sehe die Gefahr, dass der Tor- nado-Einsatz die Lage in Afghanistan eher destabilisiert als stabilisiert und damit die gute Arbeit deutscher Hilfsorganisationen gefährdet. Ich hoffe, dass ich mit dieser Einschätzung nicht Recht habe. In Abwägung beider Sichtweisen stimme ich heute je- doch dem ISAF-Mandat und damit dem gesamten An- trag zu. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Der geplanten Mandatsverlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan werde ich nicht zustimmen. Der Bundesregierung fehlt in Afghanistan ein schlüs- siges Konzept. Auch die Entsendung der Tornados nach Afghanistan hat nicht zu mehr Sicherheit und Stabilität beigetragen. Die Regierung Karzai beklagt zu Recht die hohe Zahl von Zivilisten, die bei den NATO-Luftangrif- fen getötet wurden. Dieses hat sicherlich mit dazu bei- getragen, dass die gezielten Anschläge gegen deutsche Soldaten bzw. Einheiten zugenommen haben. Zudem hat selbst die Bundeskanzlerin noch im No- vember 2006 im Deutschen Bundestag erklärt, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan nicht infrage komme. Dennoch werden die Tornados auch im Süden des Landes eingesetzt. Gleichzeitig werden die Zustände in Afghanistan im- mer besorgniserregender. Trotz des ISAF-Einsatzes be- finden sich Teile des Landes im Kriegszustand. Ebenso haben die Anschläge im gesamten Land sehr stark zuge- nommen. Auch bei der Reduzierung des Drogenanbaus konnten bisher keine überzeugenden und nachhaltigen Erfolge erzielt werden; im Gegenteil, der Anbau hat sich im Süden des Landes stark ausgeweitet. Die internationale Gemeinschaft hat daher bisher kei- nes ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fragen lassen, ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind, die Stabili- sierung und Demokratisierung in der Zukunft zu errei- chen. Der Krieg in Vietnam hat uns gelehrt, dass selbst ein massiver Einsatz von Soldaten und Material nicht zum Erfolg führen muss. Weiterhin besteht für mich ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem Einsatz für militärische Ausgaben und den Ausgaben für den Wie- deraufbau. Die hohen finanziellen Mittel für den militä- rischen Einsatz sollten gezielt für Entwicklungshilfepro- jekte eingesetzt werden. Derzeit ist nicht einmal die Chance eines Endes des Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zu- stands der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegen- wärtigen Bedingungen in Sicht. Ich halte deshalb einen stufenweisen Rückzug der Truppenstärke in Afghanistan für geboten. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat einen Antrag zur Fortsetzung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan in den Deutschen Bundestag eingebracht, über den das Parlament heute zu entscheiden hat. Hier geht es für jede und jeden von uns Abgeordneten darum, die Entscheidung zur Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten auf der Grundlage einer sorgfältigen Abwägung über die Erfolgsaussichten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12421 (A) (C) (B) (D) und Risiken eines solchen Einsatzes und deren Einbet- tung in eine Gesamtstrategie zu treffen. Ich unterstütze ausdrücklich die Stabilisierung Afgha- nistans, weil ein Scheitern der internationalen Gemein- schaft für die Menschen in Afghanistan und die interna- tionale Gemeinschaft fatal wäre. In den zurückliegenden Jahren haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und auch ich persönlich nach sorgfältiger Prüfung den An- trägen der Bundesregierung zur Beteiligung an ISAF zugestimmt und die deutsche zivile und militärische Be- teiligung am internationalen Afghanistan-Engagement intensiv begleitet. Die internationale Staatengemein- schaft hat in ihren Bemühungen um eine Stabilisierung und den Wiederaufbau Afghanistans viel erreicht. Der im Jahre 2005 in der Eröffnung des afghanischen Parla- ments abgeschlossene Petersberg-Prozess hat die wich- tigsten Institutionen und Grundlagen für das politische System und die gesellschaftliche Entwicklung Afghanis- tans geschaffen. Allerdings sind diese neuen Funda- mente noch nicht tragfähig. Afghanistan befindet sich in einer schwierigen Phase. Deshalb verbietet sich auch ein „Raus aus Afghanistan“. Ich habe von Anfang an den Einsatz des zivilen Wiederaufbaus mit militärischer Ab- sicherung unterstützt und bejaht. Die von den Vereinten Nationen mandatierte ISAF-Schutztruppe bleibt für die Absicherung des Aufbaus in Afghanistan weiterhin not- wendig und unverzichtbar. Allerdings lässt die Bundesre- gierung nicht erkennen, dass sie zu einem von Bündnis 90/ Die Grünen und mir eingeforderten Strategiewechsel be- reit ist. Ein solcher dringend notwendiger Strategiewech- sel muss die zentralen zivilen Komponenten von ISAF stärken, eine Beendigung von OEF forcieren und auch gegenüber den Partnern für eine Verstärkung der Bemü- hungen eintreten. Ein Strategiewechsel und eine Forcie- rung der Anstrengungen der internationalen Gemein- schaft und der Bundesrepublik sind unbedingt notwendig. Sosehr ich einerseits von der Notwendigkeit einer weiteren ISAF-Beteiligung überzeugt bin, so sehr bin ich gleichzeitig besorgt über die halbherzige Politik der Bundesregierung. Deshalb werde ich dem Antrag der Bundesregierung in diesem Jahr nicht zustimmen, aber auch bei diesem Mandat nicht mit Nein stimmen – und mich enthalten. Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): Ich unterstütze und befürworte ausdrücklich das deutsche Engagement für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans. Die Bundeswehr leistet dabei im Rahmen von ISAF ei- nen wichtigen und hervorragenden Beitrag zur Absiche- rung des zivilen Wiederaufbauprozesses. Die Bemühungen der vergangenen Jahre zeigen in verschiedenen Bereichen erste Erfolge. So gehen inzwi- schen mehr als sechs Millionen Kinder wieder zur Schule, so viele wie noch nie in der Geschichte Afgha- nistans. Für sie wurden 3 500 neue Schulen gebaut. Hiervon profitieren insbesondere Mädchen, denn ihnen war während der Herrschaft der Taliban der Zugang zu Bildung verwehrt. Auch in Bereichen der Infrastruktur, der medizini- schen Versorgung, des Polizeiaufbaus und der wirt- schaftlichen Entwicklung gibt es Fortschritte. Die afgha- nische Wirtschaft wuchs 2005 um 14 Prozent und Experten prognostizieren für die kommenden Jahre ein Wachstum von rund zehn Prozent. Diese positiven Entwicklungen können jedoch nicht verhehlen, dass sich die Sicherheitslage vor allem im Süden des Landes in den letzten zwei Jahren wieder deutlich verschlechtert hat. Armut und Gewalt nehmen vor allem in den ländlichen Gebieten zu, die bisher kaum bis gar nicht von den Fortschritten im Land profitiert ha- ben. Hier gilt es, die entwicklungspolitischen Aktivitäten möglichst bald auf die ländlichen Regionen auszuwei- ten, um dem weiteren Erstarken der Taliban und War- lords vorzubeugen. Sehr kritisch sehe ich immer noch den Einsatz der deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge. Unabhängig von der Frage, ob und wie die durch diese Einsätze ge- wonnenen Erkenntnisse verwendet bzw. weitergegeben werden, habe ich immer noch die Befürchtung, dass sie die zumindest in Teilen Afghanistans erreichte Stabili- sierung und damit auch die Sicherheit unserer Soldaten gefährden könnten. Soldaten berichten, dass sich durch die Einsätze bei der afghanischen Bevölkerung der Ein- druck einer deutschen „Kriegsbeteiligung“ verstärke und immer weniger zwischen den deutschen Truppen und zum Beispiel denen der Amerikaner unterschieden werde. Auch wenn ich den Einsatz der Tornados weiterhin für falsch halte, ist letztendlich das Engagement der Bundeswehr im Rahmen von ISAF alternativlos, denn eine Stabilisierung des Landes ist die Voraussetzung für eine friedliche Entwicklung und den zivilen Wiederauf- bau der Region. Ich habe mich deshalb entschieden, einer Verlänge- rung des Mandats heute zuzustimmen. Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Ich stimme für die Fort- setzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der ISAF unter Führung der NATO, da eine Beendigung der deutschen Beteiligung ein falsches Zeichen sowohl ge- genüber der afghanischen Bevölkerung als auch gegen- über unseren Verbündeten wäre. Einem Ausscheiden Deutschlands würden mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Bündnispartner folgen. Als der Deutsche Bun- destag einer Beteiligung der Bundeswehr am ISAF- Einsatz zustimmte, hat er auch gleichzeitig eine Verant- wortung für das Land Afghanistan und sein Volk über- nommen. Sich jetzt aus Afghanistan herauszuziehen, hieße, die dortige Bevölkerung dem Chaos und dem Ter- ror der Taliban oder selbst ernannter Warlords preiszu- geben. Sämtliche Bestrebungen, eine Demokratie in Af- ghanistan zu etablieren, wären damit obsolet. Vor diesem Hintergrund gibt es keine andere Mög- lichkeit, als den Weg fortzusetzen, den wir begonnen ha- ben. Dies soll aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass ich die momentane Afghanistan-Strategie der Bun- desregierung für unzureichend halte, vor allem in Hin- 12422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) blick auf eine langfristige Lösung des Afghanistan-Kon- flikts. Aus dem einst zeitlich begrenzten Einsatz ist längst ein langjähriges und teilweise leidvolles Mandat geworden. Hierbei sei nochmals besonders an die bis jetzt 21 in Afghanistan getöteten deutschen Soldaten erinnert. Diese bittere Wahrheit gilt es auch gegenüber unserem eigenen Volk einzugestehen. Daher muss endlich ein Konzept für einen Ausstieg der Bundeswehr aus dem Afghanistan-Einsatz erstellt werden, das jedoch keine Gefahr für die innere Sicherheit Afghanistans darstellt. Deutsche Streitkräfte können und dürfen nicht zu einer dauerhaften Protektoratsmacht am Hindukusch werden. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die in Afghanistan tätigen Entwicklungshilfeorganisa- tionen fordern einen Kurswechsel für den Afghanistan- Einsatz der Weltgemeinschaft. Sie fordern den Stopp von OEF und eine andere Ausrichtung des ISAF-Man- dats. Sie greifen insbesondere ein Kernstück des deut- schen Einsatzes, die PRTs, die Provincial Reconstruction Teams, an. Sie halten die Vermischung von militärischer und ziviler Arbeit für gefährlich. Die Grüne Fraktion fordert seit längerem einen Strategiewechsel ein. Die Bundesregierung verharmlost weiter die kritische Ent- wicklung, dies wird deutlich aus den Antworten auf un- sere Große Anfrage zur Afghanistan-Politik. Die Bun- desregierung denkt überhaupt nicht daran, ihren Kurs zu ändern: Sie hält am OEF-Einsatz weiter fest, sie befür- wortet die Tornados und ändert die Relation – circa 500 Millionen Euro für das Militär und nur 125 Millio- nen Euro für den zivilen Aufbau – nicht. Die Mittel für den Aufbau der afghanischen Polizei – dafür ist Deutschland federführend verantwortlich – sind völlig unzureichend. In der Regel sind deutlich unter Hundert Polizisten in der Ausbildung tätig. Die Frustration und Enttäuschung in der Bevölkerung nehmen dabei weiter zu, wobei man sich dabei der großen regionalen Unter- schiede bewusst sein muss. Inzwischen wird im Süden und Osten Afghanistans das Militär des ISAF-Einsatzes – der war eigentlich an- ders als der von „Enduring Freedom“ nicht auf Kriegs- führung ausgerichtet, sondern auf Schutz und Unterstüt- zung der Aufbau- und Entwicklungsarbeit – immer mehr für den Aufgabenbereich von „Enduring Freedom“ ein- gesetzt. Die Unterscheidung der Einsätze dort von ISAF und „Enduring Freedom“ wird immer weniger möglich. Die Zeit drängt sehr in Afghanistan. Dies erkennt man der starken Zunahme von bewaffneten Angriffen und Anschlägen in Afghanistan: Sie haben von circa 2 400 im Jahr 2005 auf über 6 000 in 2006 zugenommen. Die- ses Jahr hat sich die Lage weiter verschlechtert. Es ist nötig: eine massive Verstärkung der zivilen Hilfe; ein Stopp der OEF-Operation, welche immer wie- der zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führt; eine ver- nünftige Neuausrichtung der ISAF-Mission, welche sich im Süden Afghanistans immer mehr in der Praxis dem Einsatzstil von OEF angenähert hat, wie an der Zahl der zivilen Opfer der ISAF-Mission zu erkennen ist; und die Beendigung des sehr teuren und letztendlich wenig hilf- reichen Tornado-Einsatzes. Es gibt keine Möglichkeit den Antrag der Großen Ko- alition im Parlament noch zu verändern. Ein einzelner Abgeordneter kann nur Ja oder Nein sagen, oder sich enthalten. Die Politik der Bundesregierung gefährdet die Stabilisierung Afghanistans, statt sie zu unterstützen. Die Große Koalition ist nicht bereit, ihre Strategie den sich verändernden Gegebenheiten anzupassen; deshalb bleibt mir als Konsequenz nur ein Nein zu dem Antrag der Bundesregierung. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich lehne die Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, ISAF, und den Einsatz von Bundeswehr- Aufklärungsflugzeugen vom Typ Tornado-RECCE grundsätzlich weiterhin ab. Allerdings sehe ich, dass eine mehrheitliche Ableh- nung der beiden vorgenannten Einsätze notwendig den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zur Folge haben müsste. Mit meiner Enthaltung verbinde ich die Erwartung, dass – nachdem das Engagement in Afghanistan gegen meinen in den bisherigen Abstimmungen zum Ausdruck gebrachten Willen eingegangen wurde – die Bundesre- gierung die Zeit der Mandatsverlängerung dazu nutzt, den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in Abstim- mung mit den internationalen Partnern in einer geordne- ten Art und Weise vorzubereiten und durchzuführen. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Der heute zur Be- schlussfassung im Deutschen Bundestag anstehende An- trag zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der ISAF-Mission sowie dem weiteren Tornado-Einsatz in Afghanistan kann ich aus den folgenden Gründen nicht zustimmen: Erstens. Ähnlich wie im Irak gelingt es dem Westen offenbar nicht, ein demokratisches Staatswesen aufzu- bauen und die Menschen innerlich dafür zu gewinnen. Vielmehr hat sich die Sicherheitslage offenbar weiter verschlechtert und allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres sollen bei Anschlägen oder Kämpfen über 5 000 Menschen getötet worden sein. Die westliche Auf- bauhilfe soll an großen Teilen der Bevölkerung vorbei- gehen und Armut, Korruption und Hoffnungslosigkeit zunehmen. Zweitens. Die zunehmende Militarisierung führt zu einer wachsenden Anzahl von unschuldigen Opfern un- ter der Zivilbevölkerung, hauptsächlich durch Luft- angriffe. Mittlerweile dürfte bei solchen sogenannten „Kollateralschäden“ eine vielfache Anzahl unschuldiger (!) Menschen getötet worden sein, wie bei den schreckli- chen Terrorangriffen vom 11. September 2001 auf New York, die Ausgangspunkt unseres Engagements waren. Auch auf mehrfache Nachfragen war der Bundesvertei- digungsminister nicht bereit, mir Angaben zu zivilen Opfern in Afghanistan zu machen. Mit jedem unschuldig Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12423 (A) (C) (B) (D) getöteten Zivilisten bekämpfen wir nicht den Terror, sondern schaffen diesem neuen Zulauf. Drittens. Ein realistisches Konzept des Westens für Afghanistan vermag ich derzeit nicht zu erkennen. Vor diesem Hintergrund kann ich es nicht verantworten, deutsche Soldaten in einen lebensgefährlichen Einsatz zu schicken. Wir brauchen vielmehr eine Grundsatzde- batte darüber, wie die Bundesrepublik Deutschland und der Westen insgesamt den Terror bekämpfen und Demo- kratie und Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan aufbauen können. Jürgen Koppelin (FDP): Der geplanten Mandats- verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afgha- nistan werde ich nicht zustimmen. Der Bundesregierung fehlt in Afghanistan ein schlüssiges Konzept. Auch die Entsendung der Tornados nach Afghanistan hat nicht zu mehr Sicherheit und Stabilität beigetragen. Die Regie- rung Karzai beklagt zu Recht die hohe Zahl von Zivilis- ten, die bei den NATO-Luftangriffen getötet wurden. Dieses hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass die ge- zielten Anschläge gegen deutsche Soldaten bzw. Einhei- ten zugenommen haben. Zudem hat selbst die Bundes- kanzlerin noch im November 2006 im Deutschen Bundestag erklärt, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan nicht in Frage komme. Dennoch werden die Tornados auch im Süden des Landes einge- setzt. Gleichzeitig werden die Zustände in Afghanistan im- mer besorgniserregender. Trotz des ISAF-Einsatzes be- finden sich Teile des Landes im Kriegszustand. Ebenso haben die Anschläge im gesamten Land sehr stark zuge- nommen. Bei der Reduzierung des Drogenanbaus konn- ten bisher keine überzeugenden und nachhaltigen Er- folge erzielt werden; im Gegenteil, der Anbau hat sich im Süden des Landes stark ausgeweitet. Die internationale Gemeinschaft hat daher bisher keine ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fragen las- sen, ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind, Stabili- sierung und Demokratisierung in der Zukunft zu errei- chen. Der Krieg in Vietnam hat uns gelehrt, dass selbst ein massiver Einsatz von Soldaten und Material nicht zum Erfolg führen muss. Weiterhin besteht für mich ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem Einsatz für militärische Ausgaben und den Ausgaben für den Wie- deraufbau. Die hohen finanziellen Mittel für den militä- rischen Einsatz sollten gezielt für Entwicklungshilfepro- jekte eingesetzt werden. Derzeit ist nicht einmal die Chance eines Endes des Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zu- stands der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegen- wärtigen Bedingungen in Sicht. Ich halte deshalb einen stufenweisen Rückzug der Truppenstärke in Afghanistan für geboten. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Ziel, die afghanische Bevölkerung auf ihrem Weg zu einem friedlichen und stabilen Staat zu begleiten, kann nur mit einem militärischen, aber vor allem auch zivilen Strate- giewechsel erreicht werden. Noch ist das Zeitfenster für einen erfolgreichen Aufbau offen, aber die Situation ist ernst. Ich erwarte, dass der dringend notwendige, von uns Grünen in mehreren Anträgen geforderte Strategie- wechsel von der Bundesregierung jetzt angegangen und konstruktiv umgesetzt wird. Der vorliegende Antrag bezeugt jedoch, dass die Bun- desregierung die Zeichen der Zeit nicht erkennt und in den bisherigen Bahnen reagiert. Die Zusammenführung der Abstimmungen über das ISAF-Mandat und den Tor- nado-Einsatz geschieht überwiegend aus taktischen Überlegungen. Dies dient in keinem Fall einer ehrlichen und fundierten Diskussion über den zukünftigen Weg in Afghanistan. Im Gegenteil, das ist sogar kontraproduk- tiv. Viele Chancen der Vermittlung über die realistischen Ziele in Afghanistan werden damit vertan. Ich sehe die Notwendigkeit, den afghanischen Auf- bau- und Friedensprozess durch ISAF abzusichern. Doch auch hier bedarf es eines Kurswechsels, der jedoch ebenso wenig realisiert wird wie meiner Meinung nach der notwendige forcierte Einstieg in einen qualitativ ver- besserten zivilen und entwicklungspolitischen Wieder- aufbau. Da ich außerdem den Tornado-Einsatz als ein Si- gnal des „Weiter so!“ ablehne, kann ich diesem Antrag auf keinen Fall zustimmen. Ich enthalte mich meiner Stimme, in der Hoffnung, dass dies als ein Signal gewertet wird, einen anderen Weg der Unterstützung Afghanistans einzuschlagen, und zwar mit der Botschaft „Zivil vor Militär“. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der deutschen Afghanistan-Politik darf es ein „Weiter so!“ nicht geben. Angesichts der bedrücken- den Berichte aus Afghanistan ist ein schneller Strategie- wechsel unumgänglich. Hierfür muss sich die Bundes- regierung einsetzen. Es ist meine persönliche Überzeugung, dass Afgha- nistan nur dann eine Chance hat, ein friedlicher, demo- kratischer, die Frauenrechte wahrender und seinen Menschen Freiheit, Sicherheit und Entwicklung garan- tierender Staat zu werden, wenn die Staatengemeinschaft das Engagement in Afghanistan im Rahmen des ISAF- Einsatzes aufrechterhält. Der Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am 15. September 2007 hat den bündnisgrünen Bundestags- abgeordneten empfohlen, dem verbundenen Mandat auf- grund der ablehnenden Haltung zum Tornado-Einsatz nicht zuzustimmen. Ich teile diese Auffassung der Parteitagsmehrheit nicht. Ich nehme den Beschluss aber sehr ernst. In der heutigen Abstimmung zu den Afghanistan-Einsätzen werde ich daher meine persönliche Überzeugung zu- rückstellen und mit Enthaltung votieren. Ich will so dazu beitragen, dass sich die gesamte Partei im Abstim- mungsverhalten der Fraktion wiederfindet. Ich hoffe, so dazu beitragen zu können, dass der in- nerparteiliche Gesprächs- und Diskussionsfaden nicht abreißt und wir zu gemeinsamen Lösungen für einen verlässlichen außenpolitischen Kurs finden. 12424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Mein Votum fällt mir nicht leicht, weil es mich be- drückt, dass sich die Menschen in Afghanistan von uns Grünen im Stich gelassen fühlen könnten. Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Trotz Kritik an der Afghanistan-Politik der Bundesregie- rung und der internationalen Gemeinschaft habe ich heute der Verlängerung des deutschen ISAF-Beitrages zugestimmt. Denn auch als Oppositionspolitikerin musste ich mich in dieser konkreten Bundestagsabstim- mung der Frage stellen, ob die Situation in Afghanistan mit diesem deutschen Militärbeitrag oder mit einem Ab- zug der Bundeswehr besser würde. Nicht die Umsetzung des ISAF-Mandates durch die NATO, die Operation „Enduring Freedom“, OEF, oder das Afghanistan-Kon- zept der Bundesregierung stand heute zur Abstimmung, sondern es geht um den deutschen Beitrag zur ISAF, vor allem im Norden des Landes. Ich bin der Auffassung, dass dieser fortgesetzt werden muss, weil er sinnvoll und elementar wichtig für die Menschen in Afghanistan und den zivilen Aufbau ist. Alle Informationen und Diskus- sionen der letzten beiden Wochen haben gezeigt, dass auch die kritischste Haltung zu den Aufklärungstorna- dos, die auch Teil des Mandates sind, keinesfalls die Be- deutung des lebenswichtigen Auftrags von Gesamt- ISAF aufwiegt. Damit gewichte ich ähnliche Argumente anders als die Mehrheit des grünen Sonderparteitages. Dieser hatte der Bundestagsfraktion empfohlen, dem ISAF-Mandat nicht zuzustimmen, um damit Kritik an den Aufklä- rungs-Tornados und der allgemeinen Afghanistan-Stra- tegie deutlich zu machen. Die deutliche Mehrheit der Bundestagsfraktion hat sich an diese Empfehlung gehal- ten, und das ist auch gut so. Auch ich habe einige Tage nach dem Parteitag ernsthaft erwogen, mich zu enthal- ten, da ich den Beschluss des Parteitages durchaus ernst nehme. Dann traf ich jedoch auf eine Gruppe afghani- scher Parlamentarier und konnte die Frage „Warum sind Sie für die deutsche ISAF-Beteiligung und stimmen im Bundestag doch nicht zu?“ nicht guten Gewissens beant- worten. Damit meine ich nicht, dass für meine persönli- che Entscheidung die Außenwirkung ausschlaggebend war. Vielmehr wurde mir in der Diskussion klar, dass ich eine Enthaltung vor meinem Gewissen nicht verantwor- ten kann. Wenn es um Militäreinsätze geht, kann man sich schuldig machen, wenn man dafür stimmt. Man kann sich aber auch schuldig machen, wenn man dage- gen stimmt und damit billigend in Kauf nimmt, dass Truppen abziehen und ein heftiger Bürgerkrieg beginnt. Das ist die Frage, die heute im Plenum des Bundestages zur Abstimmung stand. Jenseits dieser konkreten Abstimmung sehe ich – wie auch der grüne Sonderparteitag – erheblichen Bedarf für eine Veränderung der Afghanistan-Politik der Bundesre- gierung und der internationalen Gemeinschaft, da so- wohl Sicherheit als auch ziviler Aufbau weiterhin unzu- reichend sind. Die zivile Hilfe und der Polizeiaufbau müssen dringend aufgestockt werden und der Bevölke- rung in allen Provinzen zugute kommen. Die Bundesre- gierung muss sich unter anderem dafür einsetzen, dass der OEF-Einsatz beendet wird, der Drogenanbau anders bekämpft wird und intensivere Verhandlungen sowohl mit afghanischen Oppositionellen als auch mit regiona- len Nachbarn geführt werden. Diese dringend notwendi- gen Überprüfungen und die daraus abzuleitenden Strate- gieveränderungen können jedoch nur das Ergebnis von multilateralen Verhandlungen – nicht zuletzt mit den Af- ghaninnen und Afghanen selber – sein und lassen sich nicht unilateral durch Bundestagsbeschluss bestimmen. Dabei muss die Bundesregierung in Zukunft auch Kritik, vor allem an kontraproduktivem militärischem Vorge- hen, deutlich einbringen. Bei aller Kritik kann ich als Vertreterin einer multilateralen Außenpolitik nicht fordern, dass sich Deutschland unilateral aus der Ge- samtverantwortung eines UN-mandatierten Einsatzes zurückziehen soll. Wenn alle Akteure konstruktiv zu- sammenarbeiten, besteht noch Hoffnung für eine friedli- che Zukunft Afghanistans. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Grünenparteitag hat trotz seiner grundsätzlichen Unter- stützung von ISAF mit Mehrheit beschlossen, die Abge- ordneten dazu aufzufordern, bei der Abstimmung über die Verlängerung des ISAF-Mandates mit Nein oder Ent- haltung zu stimmen, um der grünen Forderung nach ei- nem Strategiewechsel in Afghanistan Nachdruck zu ver- leihen. Ich respektiere die Entscheidung meiner Partei; aber ich kann ihrem Votum in dieser Sache nicht folgen und glaube, dass von dem Parteitag ein falsches politi- sches Signal ausgegangen ist, welches von vielen Men- schen hier und in Afghanistan als Beginn eines Ab- schieds der Grünen aus der gemeinsamen Solidarität mit Afghanistan interpretiert worden ist. Wie die Mehrheit der grünen Partei, ihrer Anhänger- schaft und der grünen Bundestagsfraktion bin ich der Meinung, dass der zivile Aufbau und die politische Sta- bilisierung Afghanistans derzeit nicht ohne militärischen Schutz möglich sind. Ein sofortiger Rückzug von ISAF würde bedeuten, das afghanische Volk und die zivilen Helferinnen und Helfer vor Ort im Stich zu lassen und einen Rückfall des Landes in einen Bürgerkrieg in Kauf zu nehmen. Deshalb stehe ich bei aller Kritik, die im Entschließungsantrag meiner Fraktion zum Ausdruck gebracht wird, hinter dem Konzept von ISAF als interna- tionaler, von den Vereinten Nationen mandatierten Schutztruppe. Multilaterale Außenpolitik, in der die Na- tionen gemeinsam versuchen, Probleme von globaler Relevanz zu lösen und die Verantwortung, die Men- schenrechte zu verteidigen, gemeinsam schultern, lebt von der Verlässlichkeit der Bündnispartner. Ein Abzug des deutschen Kontingents aus Afghanistan würde das Gesamtprojekt ISAF infrage stellen. Auch deshalb kann ich dem deutschen Beitrag zu ISAF meine Zustimmung nicht verweigern. Trotzdem kann es in Afghanistan nicht weitergehen wie bisher. Ein Strategiewechsel, der den zivilen Aufbau und die politische Stabilisierung weiter stärkt, eine neue Strategie im Umgang mit den Opiumbauern und die Be- kämpfung der Korruption vorantreibt, ist dringend gebo- ten. Ein Abzug der internationalen Truppe aus Afghanis- tan löst aber keines dieser Probleme. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12425 (A) (C) (B) (D) Ich werde ISAF zustimmen, denn ich könnte nicht be- gründen, dass ich einerseits einen Strategiewechsel hin zu mehr zivilem Aufbau in Afghanistan fordere, aber an- derseits dem Mandat, das das Instrument dieses Strate- giewechsels sein soll, meine Zustimmung verweigere. Eine besondere Rolle in der innerparteilichen Debatte hat der Streit um die RECCE-Aufklärungstornados ge- spielt. Ich habe im März der Entsendung der Tornados zugestimmt, weil ich davon überzeugt war und bin, dass man den Menschen, die ihr Leben in Afghanistan riskie- ren, sei es als Soldatinnen und Soldaten oder Aufbauhel- ferinnen und Aufbauhelfer, den bestmöglichen Schutz schuldet. Wir Abgeordnete entscheiden über die Entsen- dung von Truppen und stehen damit in besonderer per- sönlicher Verantwortung für die Menschen, die wir ent- senden. In den letzten Wochen haben mich zahlreiche Appelle von internationalen Hilfsorganisationen und afghani- schen Parlamentariern erreicht, die uns deutsche Parla- mentarierinnen und Parlamentarier und insbesondere uns Grüne aufgefordert haben, Afghanistan nicht im Stich zu lassen und der Fortsetzung von ISAF die Zustimmung nicht zu versagen. Diese Appelle und die Reiseberichte von Fraktionskollegen, die vor Ort waren, bestärken mich darin, dass es richtig ist, meinem Gewissen zu fol- gen und für ISAF zu stimmen. Lothar Mark (SPD): Nach gründlicher Abwägung al- ler Argumente zur Fortsetzung der deutschen Beteili- gung am ISAF-Einsatz in Afghanistan habe ich mich dazu entschlossen, der Verlängerung des Mandats zuzu- stimmen, da dieses dazu beiträgt, die Lage vor Ort unter Kontrolle zu bekommen bzw. zu halten. Im Haushaltsausschuss habe ich deshalb einer deutli- chen Aufstockung der Mittel für den zivilen Aufbau und die Schulung der Polizei über das bisher Vorgesehene zugestimmt. Das Ungleichgewicht zwischen den Ausgaben für den zivilen Aufbau und die militärische Absicherung in Af- ghanistan sehe ich aber nach wie vor kritisch. Die Bun- desrepublik Deutschland verwendet jährlich mehr als fünfmal so viel Mittel für das Militär wie für die Ent- wicklungszusammenarbeit. Das Verhältnis beim rechts- staatlichen Polizeiaufbau beträgt sogar 20 zu 1 zuguns- ten des Militärs. Auf lange Sicht müssen die extrem teuren deutschen Soldaten schrittweise durch gut ausge- bildete und motivierte afghanische Soldaten ersetzt wer- den, um die frei werdenden Mittel verstärkt für den zivi- len Aufbau einsetzen zu können. Den mit dem Antrag ebenfalls zur Abstimmung ge- stellten Tornado-Einsatz halte ich für ein falsches Signal und hätte deshalb eine getrennte Abstimmung der Man- date bevorzugt, da ich dem Tornado-Einsatz meine Zu- stimmung verweigert hätte. Meiner Auffassung nach gefährdet er den ISAF-Einsatz eher, als dass er zur Stabi- lisierung der Lage beiträgt, zumal die Einsatzbedingun- gen zwischen der US-geführten Operation Enduring Freedom, OEF, und ISAF nur schwer zu regeln sein dürften und die deutschen Soldaten in der afghanischen Bevölkerung für Kriegsoperationen verantwortlich ge- macht werden könnten. Im Ergebnis bleibt mir aber nur die Möglichkeit, dem Antrag zur weiteren Beteiligung Deutschlands am ISAF- Einsatz insgesamt zuzustimmen. Im Haushaltsausschuss werde ich mich dafür einsetzen, dass von den zuständi- gen Fachausschüssen ein glaubwürdiges und schlüssiges Gesamtkonzept für die nächsten Jahre im oben beschrie- benen Sinne vorgelegt wird. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den zurückliegenden Jahren habe ich nach sorgfältiger Prüfung immer dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an ISAF zugestimmt und die deutsche zivile und militärische Beteiligung am interna- tionalen Afghanistan-Engagement intensiv begleitet. Auch heute will ich eine im Sinne des afghanischen Auf- baus und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF. Die von den Vereinten Nationen mandatierte ISAF- Schutztruppe bleibt für die Absicherung des Aufbaus in Afghanistan weiterhin notwendig und unverzichtbar. Darauf haben in den letzten Tagen nicht zuletzt auch deutsche Hilfs- und Entwicklungsorganisationen hinge- wiesen. Der führende Beitrag der Bundeswehr zur ISAF- Region Nord ist aufseiten der Verbündeten und insbe- sondere der Afghanen hoch angesehen. Das zeigte sich besonders nach dem Anschlag in Kunduz am 19. Mai dieses Jahres, dem drei Bundeswehrsoldaten zum Opfer fielen. In einer Solidaritätsresolution erklärten die Rechtsgelehrten, Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schüle- rinnen und Schüler, Jugendorganisationen und Hand- werksgenossenschaft der Provinz Kunduz: „Die Anwe- senheit des deutschen PRTs in der Provinz Kunduz ist so notwendig wie das Wasser zum Leben. Die leidgeplag- ten Einwohner der Provinz Kunduz brauchen weiterhin die Unterstützung des PRTs.“ Solange afghanische Poli- zei, Justiz und Armee nicht selbst die Sicherheit im Land gewährleisten können, hätte ein Abzug von Bundeswehr und ISAF den Rückzug der meisten UN-Organisationen, NGOs, Entwicklungshelfer und Polizeiberater zur Folge, die in dem gewaltträchtigen Umfeld ohne Rückhalt wä- ren. Alleingelassen würden die friedensbereiten Kräfte, ermutigt die verschiedenen Gewaltakteure. Die Tür würde geöffnet für eine Machtergreifung der Taliban im Süden und Bürgerkrieg in anderen Landesteilen. So sehr ich einerseits von der Notwendigkeit der wei- teren ISAF-Beteiligung überzeugt bin, so sehr bin ich zugleich besorgt über die halbherzige Politik der Bun- desregierung und die widersprüchliche und zum Teil kontraproduktive Politik der Staatengemeinschaft in Af- ghanistan. Ich weiß um die vielen, oft weniger sichtba- ren Aufbauerfolge und die Notwendigkeit von langem Atem. Die Leistungen der engagierten und mutigen Sol- daten, Entwicklungsexperten, Polizeiberater, Diploma- ten und Friedensfachkräfte verdienen unser aller hohen Respekt und Anerkennung. Angestoßen durch Besuche vor Ort und Gespräche mit Afghanistan-Praktikern weist die Grüne Fraktion seit mehr als einem Jahr in Schreiben an die zuständigen Mi- nister, in Bundestagsdebatten und Anträgen eindringlich 12426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) auf die kritische Lageentwicklung in Afghanistan hin und fordert einen Strategiewechsel sowie eine Forcie- rung der Aufbauanstrengungen. Im November letzten Jahres verweigerte die Grüne Fraktion der weiteren deut- schen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom erstmalig ihre Zustimmung. Verdichtet hatten sich Hin- weise über kontraproduktive Operationsweisen im Sü- den und Osten, durch die Gewalt mehr gefördert als eingedämmt wurde. Unsere Warnrufe fanden volle Zu- stimmung bei vielen zivilen und militärischen Afghanis- tan-Insidern, aber kaum ein Echo aufseiten der Regie- rung. Deutlich wird das im jüngsten Afghanistan-Konzept der Bundesregierung und ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage zur Afghanistan-Politik: Verharmlost wird die kritische Entwicklung der politischen und Si- cherheitslage, wo die Enttäuschung und Frustration in der afghanischen Bevölkerung – mit regionalen Diffe- renzierungen – gravierend zugenommen haben: über eine vielfach versagende und korrupte Regierung, über grassierende Kriminalität, über eine weit hinter ihren Versprechen zurückbleibende Staatengemeinschaft. Der richtige Anspruch des Primats des zivilen Aufbaus wird durch eine Praxis der Bundesregierung konterkariert, in der der Anteil der Mittel für den Aufbau nur ein Fünftel beträgt von denen, die für die militärische Absicherung eingesetzt werden. Beschönigt wird das Ergebnis von fünf Jahren deutscher Führungsrolle beim Polizeiaufbau. Ein grundsätzlich richtiger Ansatz wurde mit völlig un- zureichenden Mitteln verfolgt. Mit der Polizeimission EUPOL ist da bisher keine Besserung in Sicht, zurzeit eher das Gegenteil. „Durchgewunken“ wird OEF, wo ausgeklammert bleibt, wie sehr Operationsweisen ge- rade von OEF immer wieder das Ansinnen von Regie- rung, ISAF und Staatengemeinschaft zunichte machen, die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen. In Afghanistan drängt die Zeit, wird das Zeitfenster für eine Wende zum Besseren schmaler. Dringend notwendig sind eine neue und besser konzertierte An- strengung der Internationalen Gemeinschaft und der Bundesrepublik und ein substanzieller Strategiewechsel. Hundert im Verband Entwicklungspolitik, VENRO, zu- sammengeschlossene deutsche Hilfs- und Entwicklungs- organisationen haben dies vor wenigen Tagen noch ein- mal nachdrücklich eingefordert. Wenn die Bundesregierung die Aufwendungen für Aufbau und Entwicklung um 25 Prozent erhöhen will, wo Fachleute mindestens eine Verdoppelung fordern, zeigt das, wie wenig die Bundesregierung die Dringlich- keit der Lage erkannt hat. Um in Afghanistan dazu bei- zutragen, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzuge- winnen und den Abwärtstrend umzukehren, sind ganz andere Anstrengungen erforderlich! Hinzu kommt der Umgang der Bundesregierung mit dem umstrittenen Einsatz der Tornado-Aufklärer. Der Nutzen von Luftaufklärung für den ISAF-Stabilisie- rungseinsatz ist für mich unstrittig. Bisher hat es die Bundesregierung aber versäumt, erhebliche Bedenken auszuräumen: Wie kann eine nur restriktive Weitergabe von Tornado-Bildern an OEF garantiert werden, wenn im Osten der ISAF-Regionalkommandeur und Kom- mandeur OEF Afghanistan identisch sind, wenn im Sü- den und Osten Einheiten von ISAF und OEF dicht zu- sammen und zum Teil unter wechselnder Unterstellung operieren? Auch wenn die Tornados kaum zur „Zielmar- kierung“ geeignet sind: Wie weit tragen sie mittelbar zu den dortigen Kampfeinsätzen bei? Schließlich bleiben die teuren Tornados Symbol für eine falsche finanzielle Prioritätensetzung. Ich will eine im Sinne des afghanischen Aufbaus und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF. Die Politik der Bundesregierung gefährdet die Erfolgschancen von ISAF, statt sie zu verbessern. Deshalb werde ich in die- sem Jahr dem Antrag der Bundesregierung nicht zustim- men. Den Menschen in Afghanistan sagen wir Grüne ganz deutlich: Wir lassen Euch nicht im Stich! Wir setzen uns zugleich für eine wirksamere deutsche und internatio- nale Unterstützung ein! – Das versprachen wir unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem afghanischen Parla- ment bei jeden Zusammentreffen aus tiefer Überzeugung und vollem Herzen. Das gilt unverändert weiter. Deshalb wäre ein Nein zu dem Mandat falsch. Weil ich Verlässlichkeit und Erfolg, weil ich effekti- ven Multilateralismus will, werde ich dem Antrag der Bundesregierung in diesem Jahr nicht zustimmen, son- dern mit Enthaltung stimmen. Mein Abstimmungsver- halten bitte ich die von der deutschen Politik nach Af- ghanistan entsandten Soldaten und Zivilexperten und auch die Menschen in Afghanistan in diesem Sinne zu verstehen: ganz und gar nicht als Signal zum Rückzug aus Afghanistan, sondern als konstruktiven Warnruf der Grünen, die sich seit den 80er-Jahren in besonderer Weise den Menschen und den Menschenrechten in Af- ghanistan verpflichtet fühlen und ihre Kontrollfunktion als Opposition ernst nehmen. Maik Reichel (SPD): Bei der heutigen Abstimmung zu oben genanntem Antrag werde ich mich der Stimme enthalten. Diese Enthaltung liegt in der Tatsache begrün- det, dass die Entsendung von Tornados und das ISAF- Mandat zusammengelegt wurden. Den Einsatz von Tor- nados lehne ich ab – dies habe ich bereits bei der Ab- stimmung im März 2007 getan –, da ich darin eine Ge- fährdung des ISAF-Einsatzes und der Arbeit auch der NGOs sehe. Unsere Soldatinnen und Soldaten der Bun- deswehr leisten einen sehr guten und notwendigen Bei- trag für die Stabilisierung Afghanistans. Ich begrüße das Engagement der deutschen Regie- rung, jedoch müssen wir es deutlich ausweiten. Haupt- ziel muss es sein, staatliche Strukturen weiter aufzubauen und die Armut im Land zu verringern. Ich unterstütze das deutsche Engagement im Rahmen der ISAF-Mission einschließlich der humanitären Hilfe. Gleichzeitig bedaure ich, dass ich aufgrund der Zusam- menlegung der beiden oben genannten Mandate unsere Soldatinnen und Soldaten nicht mit einem klaren Ja un- terstützen kann. Trotzdem wünsche ich ihnen für ihre verantwortungsvolle und nicht ungefährliche Arbeit al- les Gute. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12427 (A) (C) (B) (D) Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auf der Grundlage des „Afghan Compact“ haben im Februar 2002 rund 70 Staaten und internationale Or- ganisationen unter der Verantwortung der afghanischen Regierung ihre Unterstützung zum Wiederaufbau von Afghanistan für die kommenden fünf Jahre zugesagt. Das Ziel war es, dazu beizutragen, selbsttragende staat- liche Strukturen aufzubauen, um die Afghaninnen und Afghanen in die Lage zu versetzen, die politischen und gesellschaftlichen Konflikte demokratisch legitimiert, rechtsstaatlich und basierend auf den universalen Men- schenrechten lösen zu können, sowie selbst für Sicher- heit im Lande sorgen zu können. Noch bedarf Afghanistan weithin der Unterstützung durch die UN-mandatierte International Security Assis- tance Force, ISAF. Unter der Führung der NATO leistet ISAF einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau des Landes. Solange eine militä- rische Absicherung des zivilen Aufbaus erforderlich ist. darf sich die Bundeswehr nicht ohne weiteres aus Afgha- nistan zurückziehen. Vielmehr müssen wir zu der über- nommenen Verantwortung stehen, um den begonnenen zivilen Aufbau zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Die Bundesregierung betont in ihrem Afghanistan- Konzept, dass sie den zivilen Wiederaufbau und die Ent- wicklung in den Vordergrund stellen möchte. Dem ge- genüber steht aber ein klares Missverhältnis zwischen den Ausgaben für eine militärische Absicherung und den Mitteln für den zivilen Aufbau. Auch eine Erhöhung der Mittel von 100 Millionen auf 125 Millionen Euro reicht keineswegs aus. Von einem Kurswechsel hin zu einer Schwerpunktsetzung auf den zivilen Aufbau kann also keine Rede sein. Vielmehr müssen die Mittel für die deutsche zivile Aufbauhilfe 2008 auf mindestens 200 Millionen Euro verdoppelt werden. Entscheidend für einen Strategiewechsel ist zudem die Rolle der Operation Enduring Freedom, OEF. Für OEF-Truppen gibt es kein Stationierungsabkommen, vielmehr behalten sich die USA vor, gemäß dem Mili- tary Commissions Act im souveränen Staat Afghanistan nach eigenen Maßgaben vorzugehen. Angesichts der Tatsache, dass OEF-Einsätze durch rücksichtloses Vor- gehen, insbesondere durch Luftangriffe, immer wieder eine hohe Zahl ziviler Opfer gekostet haben, gefährdet die Antiterroroperation OEF die Akzeptanz von ISAF. Das Nebeneinander dieser beiden – auch völkerrecht- lich – völlig unterschiedlicher Missionen ist eine schwere Belastung für den Erfolg von ISAF. Zudem liegt bis heute keine Evaluation der Tornado- Einsätze vor. Die Frage, ob die Aufklärungsflüge der Tornados wirklich einen Beitrag für die Absicherung von ISAF geleistet haben, wäre aber als Entscheidungs- grundlage von großer Bedeutung gewesen. Bis heute wurde jedoch weder in den Ausschüssen noch im Parla- ment eine entsprechende Auswertung seitens der Bun- desregierung vorgelegt. Ohne einen klaren Strategiewechsel für ein verstärk- tes ziviles Engagement sowie eine Evaluation der Tor- nado-Einsätze kann ich dem Antrag der Bundesregie- rung nicht zustimmen und werde mich daher enthalten. Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Die Bundesregie- rung hat am 19. September 2007 eine Fortsetzung des Einsatzes deutscher Soldaten im Rahmen des ISAF- Mandates sowie den weiteren Einsatz von Recce-Auf- klärungstornados in Afghanistan beschlossen. Im Bun- destag stehen nun beide Einsätze erstmals gemeinsam zur Abstimmung. Bereits bei der ersten Abstimmung über den Einsatz von Tornado-Flugzeugen in Afghanis- tan, am 7. März 2007, habe ich meine Bedenken gegen diese Mission in einer Erklärung nach der Geschäftsord- nung des Deutschen Bundestages zum Ausdruck ge- bracht und den Antrag der Bundesregierung abgelehnt. Während ich den ISAF-Auftrag grundsätzlich befür- worte, befürchte ich, dass vom Einsatz der Aufklärungs- tornados der Bundeswehr erhebliche Gefahren für un- sere Soldaten in der ISAF-Mission ausgehen. Der Erfolg von ISAF insgesamt ist aus meiner Sicht dadurch gefähr- det. Die Stimmung gegenüber den deutschen Soldaten hat sich durch den Einsatz der Torandos mit mehr als 500 Starts und Landungen bereits verschlechtert. Die Mission unserer Soldaten im Rahmen von ISAF muss strikt vom „Antiterrorkampf“ der Operation „Enduring Freedom“ (OEF) getrennt bleiben. Der Einsatz von Auf- klärungs-Tornados bringt erhebliche Unschärfen mit sich, da eine Übermittlung von Aufklärungsergebnissen an OEF zwar „restriktiv“, aber dennoch explizit als Auf- trag vorgesehen ist. OEF wird unter anderem von mehre- ren großen Nichtregierungsorganisationen zunehmend als Hemmnis für die Herstellung von Frieden, für den Wiederaufbau und für eine erfolgreiche Entwicklung in Afghanistan gesehen. Mit einer möglichen Unterstüt- zung von OEF durch die Tornado-Aufklärung wären deutsche Soldaten damit zumindest indirekt daran betei- ligt, dass sich die Spirale der Gewalt in Afghanistan wei- ter dreht. Dies lehne ich entschieden ab. Ich kann daher dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes von Tornados auch dieses Mal nicht zustim- men. Diese Ablehnung betrifft damit bedauerlicherweise auch das ISAF-Mandat aufgrund der Verknüpfung bei- der Mandate. Frank Schwabe (SPD): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung trotz schwerer Bedenken zu. Ich habe mich bisher bei der Verlängerung des ISAF-Mandats enthalten und den Tornado-Einsatz abgelehnt. Ich habe aber jetzt den Eindruck, dass ich mich – trotz des von mir empfundenen Dilemmas – für oder gegen den Ein- satz entscheiden muss. Ich teile die Argumentation derer, die in internationalen militärischen Einsätzen nicht die Lösung internationaler Konflikte sehen und zu Recht hinterfragen, warum gerade Afghanistan der Ort militä- rischen Einsatzes ist, während woanders Leid und Elend hingenommen werden. Ich widerspreche einer Haltung, die immer mehr auf Einsatz des Militärs in internationa- len Konflikten setzt. Gleichzeitig ist aber auch eine Hal- tung, die jede internationale Verantwortung ablehnt, nicht die meine. Manchmal muss internationale Verant- wortung auch einen militärischen Teil enthalten. Es wäre naiv, die augenscheinlichen Probleme des Einsatzes und der schwierigen Situation in Afghanistan nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ich kenne niemanden, der ohne Zweifel ist. Meine Sorge ist, dass, wenn es nicht schnell 12428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) zu dramatischen Veränderungen des internationale Ein- satzes durch eine Stärkung der afghanischen Zivilgesell- schaft und der inländischen Sicherheitsstrukturen kommt, der Einsatz scheitern muss. Ich halte das leider für eine hoch mögliche Variante. Entscheiden muss ich mich vor dem Hintergrund ei- ner ganz konkreten Situation: In der Verantwortung für die Auswirkungen auf die internationale Entwicklung, in Verantwortung vor dem Hintergrund des Engagements deutscher ziviler und militärischer Einsatzkräfte vor Ort und in der Verantwortung für die afghanische Bevölke- rung, für die Deutschland vor einigen Jahren Verantwor- tung übernommen hat. Ich glaube, dass trotz wachsender Skepsis der afghanischen Bevölkerung in der Abwägung der Vor- und Nachteile der Einsatz zurzeit für die Men- schen hilfreich ist. Beim Abzug der internationalen Truppen würden radikale Kräfte sofort die Überhand ge- winnen, und alle Verbesserungen wären gefährdet. Ich glaube, dass es zu entsetzlichen Gräueltaten kommen würde. Nach meinem Eindruck führt der Einsatz der Torna- dos wie befürchtet in der afghanischen Bevölkerung zu einer Verschärfung der Wahrnehmung Deutschlands als Aggressor. Andererseits muss ich nach den verfügbaren Informationen derzeit davon ausgehen, dass durch die Tornados keine Angriffe von OEF-Truppen auf die Zi- vilbevölkerung ermöglicht werden. Deshalb stellt der Tornado-Einsatz aus heutiger Sicht für mich keinen Hin- derungsgrund zu einer Zustimmung zu ISAF dar. Ich bin tief besorgt über den Einsatz im Rahmen von OEF. Und ich bin tief besorgt über die Entwicklung der Regierung Karzai. Ich verurteile die abscheulichen Hinrichtungen in den letzten Tagen, verantwortet durch eine von Deutschland gestützte Regierung. Der Einsatz muss sich verändern. Deutschland muss – wie die gesamte interna- tionale Gemeinschaft – sein ziviles Engagement massiv stärken. Dazu läuft die Zeit ab. Wenn das nicht erreicht wird, muss der Einsatz scheitern. Dennoch glaube ich, dass es die konkrete Lebenssituation der Menschen heute notwendig macht, den Einsatz jetzt weiterzufüh- ren. Deshalb stimme ich zu. Wolfgang Spanier (SPD): Die Fortsetzung der Be- teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan unterstütze ich nach wie vor. Die Aufbauhilfe durch die Bundeswehr im Norden Afghanistans halte ich aus humanitären und politischen Gründen für einen wichtigen Einsatz. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidi- gung. Militärische Gewalt ist auch dann zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen. Der Wiederaufbau Afghanistans zeigt Erfolge, aller- dings bin ich davon überzeugt, dass die zivilen Mittel für den Wiederaufbau verstärkt werden müssen. Ein Rückzug der Bundeswehr aus ISAF würde den Wiederaufbau des Landes zunichte machen, die Men- schen in Afghanistan im Stich lassen, das Land ins Chaos stürzen, terroristischen Gruppen wieder freie Hand geben. Die bisher getrennten Bundestagsmandate für ISAF sowie den Tornado-Einsatz werden in einem Mandat zu- sammengeführt. Nach wie vor kann ich dem Einsatz deutscher Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan nicht zustimmen. Die Aufklärungsflugzeuge dienen nicht nur dem Schutz der Bundeswehr im Norden Afghanistans. Mit dem geplanten Einsatz von deutschen Tornados der Bundeswehr engagiert sich die Bundeswehr beim Kriegseinsatz im Süden Afghanistans im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“. Die Ergebnisse der Luftaufklärung dienen auch dem Einsatz militärischer Mittel. Damit werden deutsche Soldaten in Kampfhand- lungen einbezogen, auf deren Planung und Durchfüh- rung sie keinerlei Einfluss haben. Weil beide Mandate im Antrag der Bundesregierung in einem Mandat zusammengeführt werden, kann ich dem Antrag nicht zustimmen. In der Gesamtwürdigung des Antrags der Bundesre- gierung enthalte ich mich der Stimme. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Der ISAF- Einsatz hat eindeutig belegt, dass der Aufbau des zivilen Lebens in Afghanistan möglich ist und weiterhin beson- derer Unterstützung bedarf. Aus diesem Grund habe ich diesem Einsatz auch immer zugestimmt. Zusätzliche Mittel für den gesellschaftlichen und ver- waltungstechnischen Aufbau sind notwendig. Auch hier stimme ich mit den Zielen des Einsatzes überein. Frauen und Mädchen haben weitreichende Rechte erhalten. Dies gilt es zu erhalten und in jeder Hinsicht zu unterstützen. Den Tornado-Einsatz halte ich nach wie vor für falsch, und ich bedauere zutiefst, dass mir mit der Zu- sammenlegung beider Mandate eine Zustimmung und Unterstützung des zivilen Aufbaus nicht mehr möglich ist. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Omid Nouripour, Alexander Bonde, Kerstin Andreae und Margareta Wolf (Frankfurt) (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanis- tan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezem- ber 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12429 (A) (C) (B) (D) tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) Erstens. Parteipolitisches Taktieren ist in Fragen von Krieg und Frieden völlig unangebracht. Deshalb ist es für uns nicht akzeptabel, dass die Große Koalition die Abstimmungen um die Verlängerung der Mandate des UN-legitimierten Einsatzes der International Security Assistance Forces, ISAF, und der US-geführten Antiter- roreinsätze im Rahmen von Operation Enduring Free- dom, OEF, zeitlich so weit auseinandergelegt hat. Diese Entscheidung geschieht ausschließlich aus Rücksicht auf die Parteitagsregie der Sozialdemokratie, nimmt aber dem Bundestag die Möglichkeit, über ein geschlossenes, kohärentes Paket an militärischer Unter- stützung für den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan abzustimmen. Auch die Zusammenlegung der Mandate von ISAF und der RECCE-Tornados geschieht – so rich- tig sie auch im Rahmen der Kommandostruktur ISAFs sein mag – leider nicht ohne den Hintergedanken einer Disziplinierung der SPD-Abgeordneten. Zweitens. Ein „Weiter so“ kann es in Afghanistan nicht geben. Angesichts sich vermehrender Berichte über die Verschlechterung der Sicherheitslage, der Erhö- hung der Zahl ziviler Opfer, der Unterfinanzierung und Ineffizienz der zivilen Aufbauarbeit, dem Scheitern der bisherigen Strategie im Kampf gegen den Mohnanbau, angesichts des fehlenden Willens vieler lokaler Warlords zur Entwaffnung und der grassierenden Korruption in der afghanischen Administration bedarf es eines schnel- len Strategiewechsels. Dabei ist von großer Bedeutung, dass die Strukturen der internationalen Gemeinschaft auf eine kontinuierliche „Afghanisierung“ der Sicherheit und des zivilen Aufbaus hinwirken müssen. Die Assis- tenz der internationalen Gemeinschaft muss provisorisch bleiben. Die Bundesregierung verweigert sich bisher weitge- hend dieser Einsicht. Die wenigen Ansätze aus dem im September vorgelegten Strategiepapier Afghanistan der Bundesregierung reichen mitnichten aus. Die Bundesre- gierung muss sich dringend in Afghanistan und bei unse- ren Bündnispartnern für einen Strategiewechsel einset- zen. Sofortige Maßnahmen müssen mindestens die Verdopplung der von der Bundesrepublik zur Verfügung gestellten Mittel für den zivilen Aufbau und die Beendi- gung des OEF-Kommandos sein. Der OEF-Einsatz ist kontraproduktiv, weil er durch Doppelstrukturen die Ar- beit von ISAF erschwert, und vor allem, weil er durch Kommandoaktionen im Rahmen des „Krieges gegen den Terrorismus“ das Vertrauen der Bevölkerung in Afgha- nistan verspielt hat. Drittens. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Dies erfordert effektive Kontrollmöglichkeiten ihrer Ak- tivitäten durch den Bundestag. Dafür bedarf es einer ver- lässlichen und kontinuierlichen Informationspolitik der Bundesregierung, allen voran des Bundesverteidigungs- ministers. Diese war in den letzten Monaten allerdings mehr als dürftig. Insbesondere zur Evaluierung des Tor- nado-Einsatzes hätten wir vor der Abstimmung einen umfassenden Bericht erwartet. So ist eine umfassende Bewertung der Arbeit der RECCE-Tornados kaum mög- lich. Die Bundesregierung wird hier ihrer Verantwortung gegenüber dem Parlament nicht gerecht und verspielt in der Öffentlichkeit Vertrauen, das gerade die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan brauchen. Wir fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich ihrer Berichtspflicht nachzukommen und das Parlament um- fassend über Art und Umfang der Aktivitäten der RECCE-Tornados in Afghanistan zu informieren. Viertens. Die Sicherung des Wiederaufbaus in Afgha- nistan ist eine der großen Herausforderungen deutscher Außenpolitik. Im Interesse der Menschen in Afghanistan leisten die Soldaten der Bundeswehr dort seit mehreren Jahren einen gefährlichen, aber sehr wichtigen Einsatz. Beiträge für mehr Sicherheit sind unverzichtbar. Gerade ISAF leistet vor Ort einen wichtigen Dienst und ist auch auf Grundlage vieler Stimmen aus dem Land und von Nichtregierungsorganisationen unver- zichtbar für zivile Aufbauprojekte in Afghanistan. Denn ohne Sicherheit ist die Aufbauarbeit nicht leistbar. Vor dem Hintergrund der Bedrohung der Sicherheit Afgha- nistans durch die Taliban und aufgrund des nicht abge- schlossenen Aufbaus der afghanischen Polizei und Ar- mee kann diese Sicherheit derzeit nur UN-mandatiert und militärisch gewährleistet werden. Fünftens. Die RECCE-Aufklärungstornados sind Teil der ISAF-Mission und dürfen nur unter den Auflagen des ISAF-Mandats eingesetzt werden. Eine kritische Evaluierung ihres Einsatzes war bislang nicht möglich – geschuldet der schlechten Informationspolitik der Bun- desregierung. Aber auch eine sehr kritische Haltung zur Zweckmäßigkeit des Einsatzes der Tornado-Aufklä- rungsflugzeuge wiegt nicht schwer genug, um der Betei- ligung der Bundeswehr an der ISAF-Mission die Zu- stimmung zu entziehen. ISAF bleibt für den zivilen Aufbau unerlässlich. Sechstens. Ein Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen hat im September den Abgeordneten der Grü- nen-Fraktion empfohlen, dem verbundenen Mandat auf- grund der ablehnenden Haltung zum Tornado-Einsatz nicht zuzustimmen. Wir respektieren diese Entscheidung des Parteitags und die Entscheidung der Mehrheit der Fraktion, dieses Ergebnis im Abstimmungsverhalten in dieser Frage widerzuspiegeln. Wir können dieser Aufforderung allerdings aus Ge- wissensgründen nicht folgen, da die Bedeutung einer Fortsetzung der ISAF-Mission für die Menschen und den Aufbau in Afghanistan deutlich schwerer wiegt, so dass wir der Bundeswehrbeteiligung daran die Zustim- mung nicht verweigern können. Dies ist das Ergebnis in- tensiver Gespräche und Diskussion unter anderem mit Menschen, die dauerhaft in Afghanistan leben und sol- chen, die dort Aufbauarbeit leisten. 12430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dirk Manzewski, Christine Lambrecht, Dr. Peter Danckert und Dr. Margrit Spielmann (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Internatio- nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha- nistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. Sep- tember 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen (Tagesord- nungspunkt 27) Seit dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan 2001 haben sich positive Entwicklungen für das Land gezeigt. Insbesondere die Bedingungen für Frauen haben sich durch Diskriminierungsverbote in der Verfassung und eine Quotierung für weibliche Parla- mentsangehörige erheblich verbessert. Frauen haben Zu- gang zu Bildung und können damit den Grundstein für ein selbstbestimmtes Leben setzen. Der Bereich der Bil- dung ist auch insgesamt vorangekommen. Seit 2001 wurden landesweit 3 500 neue Schulen gebaut und die Zahl der Schülerinnen und Schüler hat sich auf 6,5 Mil- lionen mehr als verfünffacht. Hiervon profitieren insbe- sondere die jungen Mädchen, da ihnen unter Herrschaft der Taliban der Zugang zu Bildung verwehrt war. Allein 2005 wurden 500 000 Mädchen zum ersten Mal einge- schult. Mittlerweile sind 40 000 Studierende, darunter ein Viertel junge Frauen, heute an den Universitäten des Landes eingeschrieben. Ein Besuch von afghanischen Frauen in der SPD-Bundestagsfraktion hat diese Verbes- serungen nachhaltig dargelegt. Auch sind Fortschritte bei der medizinischen Versorgung, dem Aufbau der Poli- zei und dem Wachstum der Wirtschaft zu erkennen. Trotz dieser durchaus positiven Entwicklungen halten wir die Vorgehensweise bei diesem Einsatz gleichwohl weder für nachhaltig noch zielführend. Die Situation vor Ort scheint vielmehr zu kippen. Gewalt, Armut und Hoffnungslosigkeit nehmen wieder zu. Vor allem an der ländlichen Region scheinen die positiven Entwicklungen vorbeigegangen zu sein. Hier ist ein Wiedererstarken von Taliban, bewaffneten Kriegsfürsten und Banden zu beobachten. Soldaten berichteten uns von der zuneh- menden Korruption im Lande, die auch die Zusammen- arbeit mit den deutschen Einheiten stark belastet. Das zu Beginn der deutschen Beteiligung formulierte Ziel, für Afghanistan Menschenrechte, Demokratie und Wohl- stand zu ermöglichen, scheint in weite Ferne gerückt. Damit wird aber auch die Situation unserer Soldaten in Afghanistan immer komplizierter und unsicherer. Hierzu hat auch der Einsatz der deutschen Tornados bei- getragen. Unabhängig von der Frage, ob und wie die durch diese Einsätze gewonnenen Erkenntnisse nun ver- wendet bzw. weitergeben werden, verstärkt sich vor al- lem durch die Häufigkeit der Einsätze bei der afghani- schen Bevölkerung der Eindruck einer deutschen „Kriegsbeteiligung“. Soldaten berichteten uns, dass seit- dem immer weniger zwischen den deutschen Truppen und zum Beispiel denen der Amerikaner unterschieden wird, was zu einer weiteren Gefährdung unserer Solda- ten führt. In diesem Spannungsfeld findet nunmehr die Ent- scheidung über die Verlängerung der Beteiligung der deutschen Streitkräfte an diesem Einsatz statt. Auf der einen Seite zeigen sich durchaus positive Aspekte für das Land, auf der anderen Seite scheint das augenblickli- che Vorgehen nicht geeignet, eine langfristige Verbesse- rung der Sicherheitslage in Afghanistan zu ermöglichen. Eine Zustimmung zum ISAF-Einsatz wäre für uns den- noch grundsätzlich möglich gewesen – auch wenn wir eine strategische Neuausrichtung des Einsatzes ange- sichts der derzeitigen Situation in Afghanistan dringend für erforderlich erachten. Die nunmehr erfolgte Ver- knüpfung mit dem Tornado-Einsatz macht uns dies hin- gegen unmöglich. Aus diesem Grund können wir per- sönlich dem Antrag der Bundesregierung weder zustimmen noch gegen ihn stimmen und werden uns da- her enthalten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Detlef Müller (Chemnitz), Mechthild Rawert und Christoph Strässer (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna- tional Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolu- tionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto- ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 27) Wir stimmen mit dem Antrag der Bundesregierung überein, dass ISAF für die Herstellung von Frieden und Sicherheit in Afghanistan einen bedeutsamen Beitrag leistet, und stimmen deshalb der Verlängerung des Ein- satzes der deutschen ISAF-Kräfte im Ergebnis zu. Den Einsatz deutscher RECCE-Tornados hatten wir im März 2007 abgelehnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12431 (A) (C) (B) (D) Die Zusammenfassung des ISAF- und des Tornado- Mandates im heute vorliegenden Antrag ist der Grund für unsere heutige persönliche Erklärung. Wir stimmen dem Antrag zu, weil unsere Bundes- wehr unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz arbeitenden NGOs eine sehr gute und für die Stabilisie- rung Afghanistans unverzichtbare Arbeit leisten. Ein mit einer Ablehnung verbundenes Ende dieses Engagements in der jetzigen Situation halten wir für nicht verantwort- bar. Wir begrüßen das bisherige Engagement der Bundes- regierung in diesem Bereich, halten es aber nicht für aus- reichend. Es muss deutlich ausgeweitet werden, insbe- sondere was den Mitteleinsatz für den zivilen Wiederaufbau angeht. Hauptziel muss sein, staatliche Strukturen weiter aufzubauen und die Armut zu verrin- gern. Viele Erfolge – zum Beispiel im Bereich der Mäd- chenbildung oder der Verbesserung der Infrastruktur, des Zugangs zu gesunden Wasserressourcen oder zum Ge- sundheitswesen, so unzureichend sie augenblicklich auch noch sein mögen – sind durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in den meisten Provinzen Afghanis- tans gefährdet. Die Regierung Karzai wird zudem in weiten Teilen des Landes nicht wahrgenommen und schon gar nicht respektiert. Kaum jemand weiß über seine verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verab- schiedung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbei- tung von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde, sowie die Verstrickung der Regierung und von Parla- mentarieren in Drogengeschäfte nehmen beiden Institu- tionen zusätzlich Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist die afghanische Bevölkerung zunehmend frustriert über das Tempo, in dem die Verbesserungen für sie persönlich greifbar werden. Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem, dass immer noch moderne staatliche Institutionen auch auf den unteren Provinz- und Distriktebenen fehlen oder nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden noch eine Demokratisierung oder eine stabile wirtschaft- liche Entwicklung des Landes möglich. Dieses fehlende staatliche Gewaltmonopol kann nicht durch die simple Einrichtung entsprechender Institutio- nen und auch nicht durch militärische Gewalt hergestellt werden. Es fehlen demokratische Rechts- und Gerech- tigkeitskonzeptionen sowie institutionalisierte, als legi- tim verstandene Konfliktaustragungsmechanismen. In diesem Punkt mangelt es im gesamten internationalen Engagement noch. Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt wer- den, dass er die Lebenssituation der Afghanen und Afghaninnen tatsächlich verbessern kann, indem er Si- cherheit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als Dienstleistungserbringer (Bildung, Infrastruktur, Ge- sundheitsversorgung, soziale Absicherung) funktioniert. Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Antrag auch in der Absicht zu, die Bundesregierung, die mit den in ihrem aktualisierten Papier zur Afghanistan-Strategie geschilderten Vorhaben auch den zivilen Wiederaufbau stärken will, in der Umsetzung dieses Vorhabens zu un- terstützen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf das Positionspapier des Verbandes Entwick- lungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V. vom 8. Oktober 2007. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass insbe- sondere menschenrechtliche Aspekte künftig noch stär- ker – zum Beispiel in die Formulierung der die Mandats- verlängerungen betreffenden Anträge – Eingang finden. So ist die mit der Vollstreckung von 15 Todesurteilen vollzogene Abkehr Präsident Karzais von dem unter- zeichneten Moratorium zur Todesstrafe nicht akzeptabel. Fest steht für uns: Eine Politik gegen die zivile afgha- nische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen. Die Strategie der Vermeidung sogenannter Kollateralschäden muss künftig Teil jedes Mandates sein. Die Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss auch für die afghanische Bevölkerung erkennbar sein. Ihr fällt es zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate und ihre Aktionen auseinanderzuhalten. Daraus ergibt sich die ganz klare Schlussfolgerung, dass mit militäri- schen Mitteln allein die Auseinandersetzung nicht zu ge- winnen ist. Aber genauso gilt: Ohne militärische Absi- cherung des von zivilen Organisationen zu betreibenden Wiederaufbaus wird dieser nicht gelingen. Auch dies ist Ergebnis der bereits zitierten Erklärung von VENRO vom 8. Oktober 2007. Wir sind – insbesondere nach einem Informationsbe- such in Afghanistan Ende August 2007 und nach sorgfäl- tiger Auswertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse – zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorbehalte, die uns zu einer Ablehnung des Tornado-Einsatzes im März geführt haben, in einem wesentlichen Punkt nicht mehr aufrechterhalten werden können: Die technische Aus- stattung der Tornados schließt nach unserer Überzeu- gung aus, dass die Tornados aktiv zur Vorbereitung oder unmittelbaren Beteiligung an Kampfhandlungen und da- mit auch am Tod unbeteiligter Zivilisten benutzt werden können. Die Übermittlung sogenannter Echt-Zeit-Infor- mationen ist mit den RECCE-Tornados aus technischen Gründen nicht möglich. Bei Kampfhandlungen am Bo- den ist der Luftraum für Aufklärungstornados, die nur über Bewaffnung für den Selbstschutz verfügen, ge- sperrt. Der Zeitraum, der von der getätigten Luftauf- nahme über den Rückflug zur Basis, die Entwicklung der Aufnahmen und die Entscheidung über deren Ver- wertbarkeit vergeht, schließt einen Nutzen für aktuelle Kampfhandlungen nach unserer Überzeugung definitiv aus. Auch die Kontrollmechanismen, die ausschließen sollen, dass eine Weitergabe der gewonnenen Erkennt- nisse mandatswidrig zum Beispiel auch für Operationen im Rahmen der Operation OEF erfolgt, haben uns über- zeugt, wobei wir nicht so naiv sind, zu glauben, dass ein solches Sicherheitssystem immer zu 100 Prozent funk- tioniert. Wir befürchten jedoch nach wie vor, dass aufgrund dieses Einsatzes deutsche Soldaten mit Kriegsoperatio- nen in Verbindung gebracht werden könnten, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Mehrere Hundert Tornado-Einsätze, die der Absicherung 12432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) des ISAF-Mandates und des Wiederaufbaus Afghanis- tans dienen, könnten durch die Bevölkerung Afghanis- tans fehlgedeutet und mit anderen Einsätzen in Verbin- dung gebracht werden. In diesem Zusammenhang könnte die Gefahr bestehen, dass der Tornado-Einsatz die gute und wichtige Arbeit deutscher Hilfsorganisatio- nen gefährdet. Wir hoffen, dass wir mit dieser Einschät- zung nicht recht haben. In Abwägung beider Sichtweisen stimmen wir heute dem ISAF-Mandat und damit dem gesamten Antrag zu. Eine Ablehnung des Tornado-Einsatzes würde im Ergeb- nis – auch wenn man dies nicht will – zu einem Nein auch zu ISAF führen. Dies können wir, wie dargelegt, nicht verantworten, auch nicht als Ausdruck des Protes- tes gegen die nach Auffassung vieler Kolleginnen und Kollegen taktisch begründete Zusammenlegung der bei- den bislang getrennten Mandate. Wir verbinden mit der nochmaligen Zustimmung zur Mandatsverlängerung al- lerdings die klare Erwartung und Aufforderung an die Bundesregierung, innerhalb der nächsten sechs Monate endlich den Anforderungen aus dem Parlament gerecht zu werden und Vorschläge für den immer wieder be- schworenen Strategiewechsel zu unterbreiten und zur Debatte zu stellen, denn ein entschiedenes „Weiter-so“ kann und darf es nicht geben. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Kerstin Müller (Köln), Rainder Steenblock, Irmingard Schewe-Gerigk, Wolfgang Wieland, Grietje Bettin, Thilo Hoppe, Katrin Göring-Eckardt, Christine Scheel, Ulrike Höfken, Dr. Gerhard Schick, Kai Gehring, Bärbel Höhn und Markus Kurth (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Inter- nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep- tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) In den zurückliegenden Jahren haben wir nach sorg- fältiger Prüfung immer dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an ISAF zugestimmt und die deutsche zivile und militärische Beteiligung am interna- tionalen Afghanistan-Engagement intensiv begleitet. Gerade weil wir eine im Sinne des afghanischen Auf- baus und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF wollen, können wir in diesem Jahr dem Antrag der Bundesregie- rung nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten. Die von den Vereinten Nationen mandatierte ISAF- Schutztruppe bleibt für die Absicherung des Aufbaus in Afghanistan weiterhin notwendig und unverzichtbar. Darauf haben in den letzten Tagen nicht zuletzt auch deutsche Hilfs- und Entwicklungsorganisationen hinge- wiesen. Der führende Beitrag der Bundeswehr zur ISAF- Region Nord ist aufseiten der Verbündeten und insbe- sondere der Afghanen hoch angesehen. Das zeigte sich besonders nach dem Anschlag in Kunduz am 19. Mai, dem drei Bundeswehrsoldaten zum Opfer fielen. In einer Solidaritätsresolution erklärten die Rechtsgelehrten, Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schülerinnen und Schü- ler, Jugendorganisationen und Handwerksgenossen- schaft der Provinz Kunduz: „Die Anwesenheit des deut- schen PRTs in der Provinz Kunduz ist so notwendig wie das Wasser zum Leben. Die leidgeplagten Einwohner der Provinz Kunduz brauchen weiterhin die Unterstüt- zung des PRTs.“ Solange afghanische Polizei, Justiz und Armee nicht selbst die Sicherheit im Land gewährleisten können, hätte ein Abzug von Bundeswehr und ISAF den Rückzug der meisten UN-Organisationen, NGOs, Ent- wicklungshelfer und Polizeiberater zur Folge, die in dem gewaltträchtigen Umfeld ohne Rückhalt wären. Allein- gelassen würden die friedensbereiten Kräfte, ermutigt die verschiedenen Gewaltakteure. Die Tür würde geöff- net für eine Machtergreifung der Taliban im Süden und Bürgerkrieg in anderen Landesteilen. So sehr wir einerseits von der Notwendigkeit der wei- teren ISAF-Beteiligung überzeugt sind, so sehr sind wir zugleich besorgt über die halbherzige Politik der Bun- desregierung und die widersprüchliche und zum Teil kontraproduktive Politik der Staatengemeinschaft in Af- ghanistan. Wir wissen um die vielen, oft weniger sicht- baren Aufbauerfolge und die Notwendigkeit von langem Atem. Die Leistungen der engagierten und mutigen Sol- daten, Entwicklungsexperten, Polizeiberater, Diploma- ten und Friedensfachkräfte verdienen unser aller hohen Respekt und Anerkennung. Angestoßen durch Besuche vor Ort und Gespräche mit Afghanistan-Praktikern weist die Grünen-Fraktion seit mehr als einem Jahr in Schreiben an die zuständigen Minister, in Bundestagsdebatten und Anträgen eindring- lich auf die kritische Lageentwicklung in Afghanistan hin und fordert einen Strategiewechsel sowie eine For- cierung der Aufbauanstrengungen. Im November letzten Jahres verweigerte die Grünen-Fraktion der weiteren deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Free- dom erstmalig ihre Zustimmung. Verdichtet hatten sich Hinweise über kontraproduktive Operationsweisen im Süden und Osten, durch die Gewalt mehr gefördert als eingedämmt wurde. Unsere Warnrufe fanden volle Zu- stimmung bei vielen zivilen und militärischen Afghanis- tan-Insidern – aber kaum ein Echo aufseiten der Regie- rung. Deutlich wird das im jüngsten Afghanistan- Konzept der Bundesregierung und ihrer Antwort auf un- sere Große Anfrage zur Afghanistan-Politik: Verharm- lost wird die kritische Entwicklung der politischen und Sicherheitslage, wo die Enttäuschung und Frustration in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12433 (A) (C) (B) (D) der afghanischen Bevölkerung – mit regionalen Diffe- renzierungen – gravierend zugenommen haben: über eine vielfach versagende und korrupte Regierung, über grassierende Kriminalität, über eine weit hinter ihren Versprechen zurückbleibende Staatengemeinschaft. Der richtige Anspruch des Primats des zivilen Aufbaus wird durch eine Praxis der Bundesregierung konterkariert, in der der Anteil der Mittel für den Aufbau nur ein Fünftel beträgt von denen, die für die militärische Absicherung eingesetzt werden. Beschönigt wird das Ergebnis von fünf Jahren deutscher Führungsrolle beim Polizeiaufbau: Ein grundsätzlich richtiger Ansatz wurde mit völlig un- zureichenden Mitteln verfolgt. Mit der Polizeimission EUPOL ist da bisher keine Besserung in Sicht, zurzeit eher im Gegenteil. „Durchgewunken“ wird OEF, wo ausgeklammert bleibt, wie sehr Operationsweisen ge- rade von OEF immer wieder das Ansinnen von Regie- rung, ISAF und Staatengemeinschaft zunichtemachen, die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen. In Afghanistan drängt die Zeit, wird das Zeitfenster für eine Wende zum Besseren schmaler. Dringend not- wendig sind eine neue und besser konzertierte Anstren- gung der Internationalen Gemeinschaft und der Bun- desrepublik und ein substanzieller Strategiewechsel. Hundert im Verband Entwicklungspolitik, VENRO, zu- sammengeschlossene deutsche Hilfs- und Entwicklungs- organisationen haben dies vor wenigen Tagen noch einmal nachdrücklich eingefordert. Wenn die Bundes- regierung die Aufwendungen für Aufbau und Entwick- lung um 25 Prozent erhöhen will, wo Fachleute mindes- tens eine Verdoppelung fordern, zeigt das, wie wenig die Bundesregierung die Dringlichkeit der Lage erkannt hat. Um in Afghanistan dazu beizutragen, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen und den Abwärtstrend umzukehren, sind ganz andere Anstrengungen erforder- lich! Hinzu kommt der Umgang der Bundesregierung mit dem umstrittenen Einsatz der Tornado-Aufklärer. Der Nutzen von Luftaufklärung für den ISAF-Stabilisie- rungseinsatz ist für uns unstrittig. Bisher hat es die Bun- desregierung aber versäumt, erhebliche Bedenken aus- zuräumen: Wie kann eine nur restriktive Weitergabe von Tornado-Bildern an OEF garantiert werden, wenn im Osten der ISAF-Regionalkommandeur und Komman- deur OEF Afghanistan identisch sind, wenn im Süden und Osten Einheiten von ISAF und OEF dicht zusam- men und zum Teil unter wechselnder Unterstellung ope- rieren? Auch wenn die Tornados kaum zur „Zielmarkie- rung“ geeignet sind: Wieweit tragen sie mittelbar zu den dortigen Kampfeinsätzen bei? Schließlich bleiben die teuren Tornados Symbol für eine falsche finanzielle Prioritätensetzung. Wir wollen eine im Sinne des afghanischen Aufbaus und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF. Die Politik der Bundesregierung gefährdet die Erfolgschancen von ISAF, statt sie zu verbessern. Deshalb können wir in die- sem Jahr dem Antrag der Bundesregierung nicht zustim- men. Den Menschen in Afghanistan sagen wir ganz deut- lich: „Wir lassen euch nicht im Stich! Wir setzen uns zu- gleich für eine wirksamere deutsche und internationale Unterstützung ein!“ Das versprachen wir unseren Kolle- ginnen und Kollegen aus dem afghanischen Parlament bei jedem Zusammentreffen aus tiefer Überzeugung und vollem Herzen. Das gilt unverändert weiter. Deshalb wäre ein Nein zu dem Mandat falsch. Weil wir Verläss- lichkeit und Erfolg, weil wir effektiven Multilateralis- mus wollen, werden wir dem Antrag der Bundesregie- rung in diesem Jahr nicht zustimmen, sondern mit Enthaltung stimmen. Wir bitten unsere Freundinnen und Freunde in Afgha- nistan, wir bitten die von der deutschen Politik nach Af- ghanistan entsandten Soldaten und Zivilexperten, unser Abstimmungsverhalten in diesem Sinne zu verstehen: ganz und gar nicht als Signal zum Rückzug aus Afgha- nistan, sondern als konstruktiven Warnruf der Grünen, die sich seit den 80er-Jahren in besonderer Weise den Menschen und den Menschenrechten in Afghanistan verpflichtet fühlen und die ihre Kontrollfunktion als Op- position ernst nehmen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Lale Akgün, Reinhold Hemker und Renate Gradistanac (alle SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregie- rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In- ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assis- tance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) Erstens. Wir halten den bisherigen ISAF-Einsatz für richtig, ein Rückzug würde das Erreichte gefährden und die Rückkehr der Taliban und des Bürgerkriegs bedeu- ten. Zweitens. Wir halten eine deutliche Aufstockung der Mittel für den zivilen Aufbau und die Schulung der Poli- zei über das bisher Vorgesehene für notwendig und wer- den uns im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür einset- zen. Drittens. Wir halten den Tornado-Einsatz nach wie vor für das falsche Signal und im Rahmen des deutschen Engagements für kontraproduktiv, auch wenn die Torna- dos nach den uns bekannten Informationen ausschließ- lich von ISAF eingesetzt werden. Viertens. Wir protestieren mit unserem Votum gegen die Zusammenlegung der Entscheidung zum ISAF-Ein- 12434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) satz und zum Tornado-Einsatz. Hierdurch werden die große Zustimmung zum ISAF-Einsatz und die Akzep- tanz des deutschen Engagements für die Menschen in Afghanistan ohne Not belastet. Wir stimmen deshalb gegen die obige Beschlussvor- lage. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg), Ortwin Runde, Willi Brase, Ulla Burchardt, Elvira Drobinski-Weiß, Dagmar Freitag, Wolfgang Grotthaus, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf , Hilde Mattheis, Petra Merkel (Ber- lin), Dr. Matthias Miersch, Florian Pronold, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Marlies Volkmer, Lydia Westrich und Swen Schulz (Spandau) (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna- tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep- tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27) Erstens. Wir haben den ISAF-Einsatz immer für rich- tig gehalten, ein Rückzug würde das Erreichte gefährden und die Rückkehr der Taliban und des Bürgerkriegs be- deuten. Zweitens. Wir halten eine deutliche Aufstockung der Mittel für den zivilen Aufbau und die Schulung der Poli- zei über das bisher Vorgesehene hinaus für notwendig und werden uns im Rahmen der Haushaltsberatungen dafür einsetzen. Drittens. Wir halten den Tornado-Einsatz nach wie vor für das falsche Signal und nicht für notwendig, auch wenn die Tornados nach den uns bekannten Informatio- nen ausschließlich von ISAF eingesetzt wurden. Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte halten wir eine Zustimmung zur Verlängerung des oben genannten Mandats für verantwortbar und richtig. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Hermann, Hans- Christian Ströbele, Peter Hettlich, Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar und Dr. Harald Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz der Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan (International Se- curity Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto- ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 27) Nach fast sechs Jahren militärischen Kampfes und militärischer Präsenz in Afghanistan stellen wir fest: Die Sicherheitslage im Lande ist nach wie vor prekär. Und sie wird zunehmend schlechter. Vor allem im letzten Jahr ist die Zahl der Selbstmordanschläge dramatisch ange- stiegen und damit auch die Zahl der Opfer. Zugleich wurde der Kampf gegen bewaffnete Aufständische (Tali- ban und andere Gruppen) verstärkt militärisch geführt. Insbesondere im Süden und Osten des Landes wird im Rahmen der Operation Enduring Freedom – OEF – zu- nehmend auch unter dem Dach von ISAF mit Raketen und Bomben ein brutaler Antiterrorkrieg geführt, der im- mer mehr Zivilisten und Zivilistinnen das Leben kostet. Ortschaften, in denen Taliban oder Al-Qaida-Kämpfer vermutet wurden, wurden zerstört. Hunderte von Frauen, Kindern und älteren Menschen verloren allein in diesem Jahr bei solchen Einsätzen ihr Leben. Jeder dieser Mili- tärschläge mit zivilen Opfern schürt den Hass und för- dert den Widerstand gegen die ausländischen Truppen. Das Ansehen der fremden Schutztruppen schwindet ra- pide. Die Beschützer werden zunehmend als Besatzer wahrgenommen, trotz vielfacher Wiederaufbauhilfe. Wir sind überzeugt: Der Krieg gegen Terror ist militä- risch nicht zu gewinnen. Der Erfolg von ISAF wird durch die militärische Gewaltspirale zunehmend unmög- lich gemacht. Der Einsatz von Tornados und die Einbindung in die- ses ISAF-Mandat sind der falsche Weg. Sie tragen zur Eskalation der Konflikte bei. Die deutschen Aufklä- rungsflugzeuge entlasten britische Kampfflugzeuge, die sich jetzt ganz auf den Kampf aus der Luft konzentrieren können. Diese Arbeitsteilung wird so auch in der afgha- nischen Bevölkerung gesehen. Dass die deutschen Auf- klärungsbilder nur zur Sicherung und zum Schutz und nicht für zielgenaue Angriffe gegen (vermeintliche) Auf- ständische oder Terroristen benutzt werden, halten wir für naiv. Die Kommandostruktur der US-Streitkräfte von OEF und ISAF sind beispielsweise nicht getrennt, die Tornados werden als NATO-Flugzeuge von einer ge- meinsamen Leitzentrale geführt und koordiniert, sie sind informationstechnisch in die NATO integriert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12435 (A) (C) (B) (D) Ein weiterer Einsatz von deutschen ISAF-Soldaten wäre nur dann verantwortbar, wenn er in Richtung poli- zeiähnlicher Sicherheitsmission entwickelt würde und wenn ein klar erkennbarer Kurs- und Strategiewechsel der Bundesregierung und der NATO eingeleitet würde. Hierzu gehören auch Friedensverhandlungen mit allen wichtigen Akteuren im Lande und ein Konzept zur Ent- wicklung von Sicherheit und Frieden durch die Men- schen in Afghanistan selbst. Ein solcher grundlegender Strategiewechsel, weg von militärischer Eskalation, hin zur Deeskalation und zu verstärktem zivilen Aufbau ist leider nicht in Sicht. Die Ausgaben für Militär – rund 500 Millionen pro Jahr alleine von Deutschland – betra- gen nach wie vor ein Vielfaches dessen, was für zivilen Aufbau – rund 120 Millionen Euro – ausgeben wird. Die Aufbauhilfe für Justiz und Polizei ist dagegen viel zu ge- ring, ebenso die Förderung von Zivilgesellschaft. Wirt- schaft und Infrastruktur sowie Alternativen zum Dro- genanbau müssten systematisch aus- und aufgebaut, Korruption müsste verstärkt bekämpft werden, damit die Menschen erfahren, dass es für alle aufwärts geht. Die einfache Gleichung, nur wenn militärisch Sicherheit her- gestellt ist, kann der zivile Aufbau gelingen, halten wir für falsch. Immer mehr NGOs und Entwicklungshelfer sagen, dass die derzeitige Form des „militärischen Schutzes“ ihre Projekte eher gefährdet. Wenn wir dieses ISAF-Mandat ablehnen, so tun wir dies im Bewusstsein, dass ein „Weiter-so“ für viele Men- schen in Afghanistan, aber auch für die deutschen Solda- ten lebensgefährlich wäre. Mit der Ablehnung dieses Mandates lehnen wir nicht eine internationale Verant- wortung für friedlichen Aufbau und Entwicklung in Af- ghanistan ab. Vielmehr ist unsere Absage an diesen mili- tärischen Einsatz verbunden mit einen Bekenntnis zu einer zivilen Friedens- und Entwicklungsstrategie. Dafür wollen wir uns einsetzen. Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Christel Humme, Lothar Binding (Heidelberg), Wolfgang Gunkel, Volker Blumentritt, Ulla Burchardt, Gabriele Hiller-Ohm, Frank Hofmann (Volkach), Dr. Herta Däubler-Gmelin und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung und den Bericht zu dem Antrag der Bun- desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz der Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Füh- rung der NATO auf Grundlage der Resolutio- nen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto- ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungs- punkt 27) Wir stimmen mit dem Antrag der Bundesregierung überein, dass ISAF für die Herstellung von Frieden und Sicherheit in Afghanistan einen essenziellen Beitrag leistet, und stimmen deshalb der Verlängerung des Ein- satzes der deutschen ISAF-Kräfte zu. Den Einsatz deutscher RECCE-Tornados hatten wir bereits im März 2007 abgelehnt, weil wir – wie noch heute – darin eine Gefährdung des ISAF-Einsatzes und der Arbeit der NGOs sehen. Die Zusammenfassung des ISAF- und des Tornado- Mandates im heute vorliegenden Antrag ist der Grund für unsere heutige persönliche Erklärung. Wir stimmen dem Antrag zu, weil unsere Bundes- wehr unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz arbeitenden NGOs eine sehr gute und für die Stabilisie- rung Afghanistans unverzichtbare Arbeit leisten. Wir begrüßen das bisherige Engagement der Bundes- regierung in diesem Bereich, aber es muss deutlich aus- geweitet werden. Das Hauptziel muss es sein, staatliche Strukturen weiter aufzubauen und die Armut zu verrin- gern. Viele Erfolge, zum Beispiel im Bereich der Mädchen- bildung oder die Verbesserung der Infrastruktur, sind durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in den meisten Provinzen Afghanistans gefährdet. Die Regie- rung Karzai wird zudem in weiten Teilen des Landes nicht wahrgenommen. Kaum jemand weiß über seine verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verabschie- dung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde, und die Verstrickung der Regierung und des Parlamentes in Drogengeschäfte nehmen beiden Institutionen zusätzlich Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist die afghanische Be- völkerung zunehmend frustriert über das Tempo, in dem die Verbesserungen für sie persönlich greifbar werden. Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem, dass moderne staatliche Institutionen auch auf den unte- ren Provinz- und Distriktebenen immer noch fehlen oder nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden noch eine Demokratisierung noch eine stabile wirt- schaftliche Entwicklung des Landes möglich. Dieses fehlende staatliche Gewaltmonopol kann nicht durch die simple Einrichtung entsprechender Institutio- nen und auch nicht durch militärische Gewalt hergestellt werden. Es fehlen demokratische Rechts- und Gerech- tigkeitskonzeptionen sowie institutionalisierte, als legi- tim verstandene Konfliktaustragungsmechanismen. In diesem Punkt mangelt es im gesamten internationalen Engagement noch. Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt wer- den, dass er die Lebenssituation der Afghanen und Af- ghaninnen tatsächlich verbessern kann, indem er Sicher- heit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als Dienstleistungserbringer für Bildung, Infrastruktur, Ge- sundheitsversorgung und soziale Absicherung funktio- niert. 12436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Antrag auch in der Absicht zu, die Bundesregierung, die neben den in ihrem aktualisierten Papier zur Afghanistan-Strategie geschilderten Vorhaben auch den zivilen Wiederaufbau stärken will, in der Umsetzung dieses Papiers zu unter- stützen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf das Positionspapier des Verbandes Entwicklungs- politik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V. vom 8. Oktober 2007. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass insbe- sondere menschenrechtliche Aspekte künftig noch stär- ker, zum Beispiel in die Formulierung der Mandatsver- längerungen betreffende Anträge, Eingang finden. Die mit der Vollstreckung von 15 Todesurteilen vollzogene Abkehr Präsident Karzais von dem unterzeichneten Mo- ratorium zur Todesstrafe ist nicht hinnehmbar. Fest steht für uns: Eine Politik gegen die zivile afgha- nische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen. Die Strategie der Vermeidung sogenannter Kollateralschäden muss künftig Teil jedes Mandates sein. Die Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss auch für die afghanische Bevölkerung erkennbar sein. Ihr fällt es zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate und ihre Aktionen auseinanderzuhalten. Wir bleiben bei unserer Einschätzung des Tornado- Mandates vom 5. März 2007: Wir bezweifeln nach wie vor, dass die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsicht- lich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – de- tailliert geregelt werden können. Wir befürchten nach wie vor, dass aufgrund dieses Einsatzes deutsche Solda- ten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht wer- den könnten, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Wir sehen die Gefahr, dass der Tornado-Einsatz die Lage in Afghanistan eher destabili- siert als stabilisiert und damit die gute Arbeit deutscher Hilfsorganisationen gefährdet. Wir hoffen, dass wir mit dieser Einschätzung nicht recht haben. In Abwägung beider Sichtweisen stimmen wir heute jedoch dem ISAF-Mandat und damit dem gesamten An- trag zu. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Deutsche Personal- präsenz in internationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken (Tages- ordnungspunkt 30) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU): Eingangs möchte ich gerne auf zwei Entwicklun- gen verweisen, die meines Erachtens das heute behan- delte Thema wesentlich prägen: Erstens die wachsende Rolle Deutschlands auf dem internationalen Parkett und zweitens die sich wandelnde wie auch wachsende Bedeutung internationaler Organi- sationen für eine globale Politik. Das Ende des Kalten Krieges hat vor knapp 20 Jahren die politischen Verhältnisse Europas grundlegend verän- dert. Einerseits hat die Auflösung des ehemaligen kom- munistischen Machtblockes ein vielfältiges und ausdif- ferenziertes Staatengefüge in Europa wiederentstehen lassen, andererseits ist mit dem wiedervereinigten Deutschland in der Mitte eben dieses Kontinents ein Staat entstanden, dem zumindest regional wieder fak- tisch eine Spitzenrolle zugefallen ist. Auch im breiteren internationalen Kontext ist Deutschland in eine stärker beachtete Position gerückt, wie beispielsweise in den Verhandlungen der Gruppe EU 3 + 3 über das iranische Atomprogramm oder auch in den Kosovo-Statusver- handlungen deutlich wird. Deutschland demonstriert seine gestiegene Verantwortung auf internationalem Par- kett zudem mittels einer durchaus ehrgeizigen Agenda, die nicht nur durch diverse politische Initiativen, diplo- matische Aktivitäten in internationalen Verhandlungen und Vermittlerdiensten zum Ausdruck kommt, sondern als Fernziel mehrfach einen ständigen Sitz im VN-Si- cherheitsrat ins Auge gefasst hat – freilich mit bislang überschaubarem Erfolg. Für Deutschland bedeutet dies ein verstärktes Maß an Verantwortung und Erwartungshaltung gegenüber Ber- lin. Wir sind nun Ansprechpartner für viele internatio- nale Probleme geworden. Im Gegenzug ermöglicht dies unserem Land allerdings auch in deutlicherer Weise prä- gend Einfluss auf globale politische Themen und Anlie- gen zu nehmen. Anfangs aus dem Ausland durchaus auch kritisch beäugt, hat sich Deutschlands internationa- les Engagement in der internationalen Politik inzwischen an vielen Stellen bewährt und die Dienste deutscher Diplomaten und Außenpolitiker als Vermittler, Partner und auch als Freunde werden an vielen Stellen des Glo- bus aufgrund von Verantwortungsbewusstsein, Verständ- nis und gesundem und lebensnahem Augenmaß sehr ge- schätzt. Ihnen allen sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Die zweite Entwicklung, die ich hier skizzieren möchte, betrifft das Recht internationaler Organisatio- nen, insbesondere das Völkerrecht: War Letzeres in sei- ner Anfangszeit eine Rechtsordnung, in der ausschließ- lich Staaten als Rechtssubjekte angesehen wurden, und die diese als alleinige wesentliche Akteure betrachtete, so hat sich diese Rechtsordnung durch die sukzessive und sich beschleunigende Entwicklung internationaler Organisationen deutlich erweitert. Die Dynamik zur Schaffung und zum Ausbau der Kompetenzen im Be- reich internationaler Organisationen hält ungebrochen an und wird wohl auch in naher Zukunft nicht stagnieren oder Rückschritte machen. Auf anderer Ebene ist mit der EG/EU bereits heute ein Maß an internationaler Integra- tion erreicht worden, das noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten zwischen Nationalstaaten als undenkbar galt. Die VN haben trotz mancher Kritik – nicht nur gegen- über ihrem Vorgänger, dem Völkerbund – Beachtliches geleistet, insbesondere wenn man die vielen kleinen Er- folge betrachtet, die nicht immer die Schlagzeilen be- herrschen, und die vielfach schon fast als selbstverständ- lich angesehen werden. Doch nicht nur internationale Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12437 (A) (C) (B) (D) Organisationen alleine sind heute verstärkt Völker- rechtssubjekte. Zunehmend wird auch das Individuum partiell völkerrechtsfähig. Verträge wie die EMRK stat- ten das Individuum über das Maß von schlichten Rechts- reflexen mit persönlichen – und sogar auf überstaatlicher Ebene einklagbaren – Rechten aus. Entsprechende inter- nationale Organisationen, wie der EGMR in Straßburg haben sich als glaubhafte Garanten auch dieser neuen Dynamik des Völkerrechts einen Namen gemacht. Zusammenfassend kann man somit konstatieren, dass sowohl der Einfluss internationaler Organisationen als Akteure der internationalen Politik gewachsen ist, als auch, dass Deutschland in diesem Politikfeld ein zuneh- mender Stellenwert erwachsen ist. Dieser Stellenwert wird nicht zuletzt durch unsere beträchtlichen Beitrags- zahlungen an internationale Organisationen verdeutlicht. Dies alles wird bisher allerdings – trotz genannter Er- folge – durch weiterhin nur unzureichende Bemühungen flankiert, auch in Führungs- und Entscheidungsstruktu- ren internationaler Organisationen entsprechend des ge- wachsenen Einflusses vertreten zu sein. Diese Situation erfordert eine entsprechende konsequente und zielstre- bige Personalpolitik der Bundesrepublik im Hinblick auf internationale Organisationen und rechtfertigt eine sol- che auch. Zwar scheint ein erster statistischer Überblick über die Aufteilung der Bediensteten in internationalen Orga- nisationen einen angemessenen Anteil deutscher Staats- bürger widerzuspiegeln. Jedoch stellt eine differenzier- tere Betrachtung der personellen Struktur durchaus einen Anlass dar, über mögliche weitergehende und systemati- schere Ansätze nachzudenken. Dies erscheint allein da- her notwendig, da gerade im Bereich von Führungs- und Entscheidungspositionen eine deutliche Unterrepräsen- tation Deutschlands erkennbar ist. Jüngste Blicke auf die Personalpolitik unserer Nach- barn in Frankreich könnten hier als Impulsgeber dienen: In den Schaltzentralen verschiedener internationaler Or- ganisationen wie EZB, WTO, EBRD und IWF befinden sich derzeit französische Staatsbürger in Führungsposi- tionen. Auch eine Betrachtung der Vergangenheit dieser Institutionen lässt ein überdurchschnittliches französi- sches Personalengagement erkennen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Frankreich verfügt zum einen über ein Hochschulsystem, in dem bereits Studenten gezielt auf Tätigkeiten in internationalen Or- ganisationen ausgebildet werden: Studiengänge, die in Modulen ein breites Wissen in den Bereichen Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften, sowie tiefere Kenntnisse ausländischer Kulturen und Sprachen ver- mitteln, fallen in Deutschland – so sie hierzulande über- haupt existiert haben – zunehmend Einsparungsplänen an Universitäten zum Opfer, während man in Frankreich Studiengänge mit interdisziplinärer und regionalwissen- schaftlicher Ausrichtung fördert und unterstützt. Diesbe- züglich redet man in unserem Lande wie die Brandung an unbewegliche Steine. Auch darf nicht unterschlagen werden, dass der fran- zösische Staatsdienst – aus welchen Gründen auch im- mer – trotz mancher Beschwerden für viele Hochschul- absolventen einen attraktiven Arbeitgeber darstellt, während Ministerien und Behörden in Deutschland im Wettbewerb um Spitzenkräfte bisher oftmals das Nach- sehen haben. Als weiterer wesentlicher Grund bleibt festzustellen, dass die französische Politik versucht, eigene Staatsbür- ger über Parteigrenzen hinweg gezielt in Führungs- und Entscheidungspositionen zu bringen. Französische Staatsbürger in internationalen Organisationen werden – zumindest in der Außenwirkung – nicht in erster Linie als „Brückenköpfe“ und/oder „Ausführungsorgane“ französischer Interessen angesehen. Dies macht die Un- terstützung der besagten Kandidaten für eine große Zahl anderer Staaten attraktiv. Dieser Punkt erscheint mir we- sentlich und ich bitte den hier vorliegenden Antrag so zu verstehen, dass deutsche Kandidaten für hochrangige Ämter und Amtsträger in internationalen Organisationen auch als Repräsentanten des ganzen Landes und nicht als politische Weisungsempfänger verstanden und angese- hen werden. In meinen Augen stellt die erhöhte Präsenz Deutscher in internationalen Positionen einen Eigenwert dar. In diesem Sinne sollen sich entsprechende Förder- maßnahmen mittelfristig nicht nur auf zu fördernde Per- sonalwechsel von deutschen Ministerien und Behörden in internationale Organisationen beziehen, sondern auch die dauerhaftere Präsenz deutscher Staatsbürger in inter- nationalen Organisationen gefördert werden. Zudem lohnt es sich, über Quereinstiege von Personen aus Wirt- schaft und Wissenschaft ebenso nachzudenken wie über die Förderung von direkten Berufseinstiegen und lebens- langen Laufbahnen in den internationalen Organisatio- nen. Über die wichtigen, in diesem Antrag genannten Maßnahmen hinaus muss der Ansatz, sich verstärkt auch personell in internationalen Organisationen zu engagie- ren, jedoch umfassend gedacht und angegangen werden. Der vorliegende Antrag wird einen ersten Schritt in diese Richtung markieren, jedoch sei klar verdeutlicht, dass wir uns mit ihm – trotz der Umsetzungen der letzten Jahre – erst am Anfang einer Entwicklung befinden, die zeitlich und inhaltlich zügig und konsequent durch wei- tere Maßnahmen flankiert und konkretisiert werden muss, wie sie im vorliegenden Antrag teilweise erst an- gedeutet werden. Als geeignetes Instrument zur Beförderung der im Antrag formulierten Ziele müssen verstärkt Ausbil- dungsstrukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, überhaupt geeignete Bewerber für entsprechende Posten anbieten zu können. Gerade das im Antrag angespro- chene Spiralsystem und auch die vom AA durchgeführ- ten Schulungen sind ein probates Mittel, derzeitig bereits vorhandenes Humankapital im Sinne verstärkter deut- scher Präsenz in internationalen Organisationen bereit- stellen zu können, jedoch muss deutlich sein, dass auch ein weiterer Blick in die Zukunft erforderlich wird. Um in Zukunft gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte für internationale Organisationen zur Verfü- gung stellen zu können, muss Deutschland zusätzlich entsprechend tiefer greifende universitäre Ausbildungs- möglichkeiten zur Verfügung stellen: In der Ausbildung 12438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) künftiger Führungskräfte für internationale Organisatio- nen bedarf es eines eigenständiges Systems von interdis- ziplinären, internationalen und regionalwissenschaftli- chen Studiengängen, wie sie ausgesprochen erfolgreich in den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und in Frankreich angeboten werden. Modulartige Stu- diengänge, die die Felder Recht, Politik, Wirtschaft, fremde Kultur und Sprachen in eine kohärente Ausbil- dung integrieren, existieren hierzulande derzeit nur rudi- mentär. Zaghafte, bestehende Strukturen sind in der Hochschulpolitik oftmals dem Rotstift zum Opfer gefal- len. Hier gilt es Abhilfe zu schaffen. Ahnliches gilt für regionalwissenschaftliche Institute und Forschungsein- richtungen. Übrigens gerade auch in Bayern. Da das Hochschulsystem bekanntermaßen in der Ho- heit der Bundesländer liegt, muss der Bund künftig ver- stärkte Kooperation suchen und sich gezielt mit den zu- ständigen Instanzen abstimmen. Für eine ideelle Förderung könnte man beispielsweise die Initiative aus dem Bundesbildungsministerium aufgreifen, die 2007 zum Jahr der Geisteswissenschaften erklärt hat, und hier konkrete Perspektiven für ein späteres Arbeitsfeld bei- spielweise von Geistes- und Sozialwissenschaftlern er- öffnen. Allerdings sollte man auch eine finanzielle Förderung einer entsprechenden akademischen Ausbildung als un- abdingbar verstehen. Die Ergebnisse der jüngsten Exzel- lenzinitiative der Vorgängerregierung wirken für geistes- und sozialwissenschaftliche Zweige allerdings eher de- motivierend und haben die bereits vorhandenen Ausbil- dungspotenziale teilweise sogar in Gefahr gebracht. Neben den im Antrag geforderten personellen Res- sourcen für die Ausbildung und Unterstützung geeigne- ter Kandiaten für die Tätigkeit in internationalen Organi- sationen gilt es jedoch dringend auch den Blick über den Tellerrand der unmittelbaren Fördermaßnahmen zu rich- ten. Um eine erhöhte deutsche Personalpräsenz bei inter- nationalen Organisationen gewährleisten zu können, muss auch unsere politische wie diplomatische Aus- landsarbeit entsprechend unterstützt werden. Dies nicht nur um wichtige Strukturen für erfolgreiche Personalent- wicklung und -unterstützung bieten zu können, denn deutsche Auslandsvertretungen bieten nicht nur breite Möglichkeiten der Qualifizierung und Unterstützung deutscher Funktionsträger. In ihnen können zudem Netz- werke gebildet werden, Beziehungen und Kontakte ge- pflegt und Rückkoppelungen ermöglicht werden. Für die Vertretung eines glaubhaften Anspruches auf stärkere Vertretung in internationalen Organisationen ist auch eine gewisse Präsenz in der Fläche vonnöten. Dies gilt insbesondere für die Besetzung von Spitzenpositio- nen, für die es auch um die Unterstützung einer mög- lichst großen Zahl von Ländern zu werben gilt, die sich wiederum vertreten und verstanden wissen wollen. Mit- tels unserer Auslandsvertretungen können wir uns als verlässlicher und präsenter Partner für eine Vielzahl von Staaten anbieten, was wiederum dazu führt, dass unsere internationalen Partner bescheiden animiert werden, die Besetzung von Führungspositionen in internationalen Organisationen mit deutschen Staatsbürgern zu unter- stützen. Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewie- sen werden, dass im Netz der deutschen Auslandsvertre- tungen über den Verlauf der vergangenen Jahre große Lücken entstanden sind, die mittelfristig geschlossen werden müssen, um unser gestiegenes Maß an interna- tionaler Verantwortung zu füllen und dies auch in die Besetzung von Führungspositionen internationaler Orga- nisationen zu übertragen. Bereits jetzt ist Deutschland in gewissen Gegenden nur noch schwach vertreten, bei gleichzeitig steigender Präsenz anderer Nationen. Eine weitere Ausdünnung unseres Netzes an diploma- tischen und konsularischen Auslandsvertretungen, Schu- len und auch Goethe-Instituten hat einen Mangel an Prä- senz in ganzen Weltregionen zufolge. Hierdurch wurde es zumindest schwieriger, sich einer Vielzahl von Staa- ten als attraktiver Partner anzubieten. Um aber einen Führungsanspruch in internationalen Organisationen vertreten zu können, ist es von hohem Wert, einer größt- möglichen Zahl von Staaten glaubhaft Verständnis und Engagement für deren Interessen und Anliegen vermit- teln zu können. Dies wird nur durch ein engmaschiges Netz von Vertretungen in der Fläche zu bewerkstelligen sein. Ohne eine entsprechende personelle und finanzielle Ausstattung auch der deutschen Auslandsvertretungen wird Deutschland einen glaubhaften Anspruch auf Ver- tretung in Führungs- und Entscheidungsstrukturen inter- nationaler Organisationen nur schwer durchsetzen oder auch nur befördern können. Letztlich wird in den nächs- ten Jahren daher wenig an einer deutlichen Anhebung der finanziellen Ausstattung der Auslandsarbeit des AA vorbeiführen. Es wurde in den letzten Jahren vieles geleistet und an- gestoßen – hierfür danken wir. Gleichwohl gilt es, die begonnene Dynamik kreativ fortzusetzen. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU:) Nach den bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts haben die Weltge- meinschaft und Europa neue internationale und multila- terale Mechanismen zur Lösung globaler und regionaler Probleme geschaffen. Trotz aller Unzulänglichkeiten gibt es für die internationalen Bemühungen keine sinn- volle Alternative, umso mehr als durch das Ende des Ost-West-Konflikts die Ordnung in der Welt nicht größer geworden ist und die Globalisierung von Chancen und Risiken sowie neuen Herausforderungen wie der Klima- wandel die Notwendigkeit strategischer Lösungen noch dringender machen. Deutschland ist Mitglied in mehr als 200 internationa- len Institutionen. Wegen des zunehmenden Einflusses dieser Institutionen und der Wichtigkeit von ihnen be- gleiteter Prozesse für Deutschland ist es von zentraler Bedeutung, die Politik dieser Institutionen genau zu ver- folgen und mitzugestalten. „Wir können – so der Bun- despräsident in seiner Berliner Rede – erheblich zur ge- meinwohlverträglichen Gestaltung der Globalisierung beitragen – vorausgesetzt wir sind auch mit ausreichend viel kompetentem Personal zur Stelle, und wir wissen was wir wollen.“ Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12439 (A) (C) (B) (D) Um Deutschlands Interessen aktiv zu vertreten, ist die Mitwirkung in den institutionellen Lenkungsgremien un- zureichend. So zahlte Deutschland bei dem Einsatz der MONUC mit rund 90 Millionen US-Dollar wie üblich rund 9 Prozent der Kosten, hatte aber zunächst auf die Operation wenig Einfluss. Deutschland ist heute in einer ganz anderen Weise ge- fordert, internationale Verantwortung zu tragen, aber auch seine nationalen Interessen im Wettstreit internatio- naler Prozesse mit Nachdruck zu vertreten. Dazu sind wir auf kompetente Beratung und frühzeitige Informa- tionen angewiesen. Während sich unsere Wettbewerber wie Franzosen und Briten schon seit Jahren in ihrem nationalen Perso- nalmanagement darauf eingestellt haben, hinkt Deutsch- land – trotz aller positiven Veränderungen – leider noch immer hinterher. Wenn wir besser werden wollen – und das müssen wir im nationalen Interesse – ist es erforder- lich, stärker zu agieren und weniger zu reagieren. Das erfordert nicht nur den Willen, sondern auch die Kapazi- täten, in bestimmten Politikfeldern die Meinungsführer- schaft zu übernehmen. Seit meiner letzten Initiative zur Stärkung der interna- tional ausgerichteten Personalpolitik der Bundesregie- rung vor rund zehn Jahren hat sich vieles zum Positiven gewendet. AA und Kanzleramt haben mit den beteiligten Ressorts straffere Strukturen geschaffen. Es wurden zahlreiche Instrumente, wie Datenbanken für Stellen- pools, Vorbereitungskurse für internationale Ausschrei- bungen und Bewerbungscoachings entwickelt, Kampa- gnen und eine Jobmesse durchgeführt. Damit konnte der deutsche Personalanteil seit 1998 von 3 400 auf 5 400 Personen gesteigert werden. Ich möchte den beteiligten Akteuren dafür meinen herzlichen Dank aussprechen. Die Pflege von Kontakten der Bundesregierung mit den deutschen Mitarbeitern in internationalen Organisa- tionen wurde über eine intensivierte Netzwerkarbeit deutlich verbessert. Das in dieser Woche vom Kabinett verabschiedete Personalrahmenkonzept wird den positiven Trend noch beschleunigen und die Voraussetzungen schaffen, ver- stärkt auch internationale Führungspositionen besetzen zu können. Bei aller Freude über die Verbesserungen: Wenn wir eine unserem Gewicht entsprechende Rolle spielen wol- len, dann müssen wir noch einige „Schippen“ draufle- gen. Wesentliche Ansatzpunkte haben wir in unserem Antrag deutlich formuliert: Erstens. Von zentraler Bedeutung ist das Spiralmodell – die Rotation von Personal der Bundesregierung zwi- schen Ministerien und internationalen Organisationen. Dies wird von anderen seit Jahren mit Erfolg praktiziert. Der Bedarf und das Interesse ist groß, durch die jährliche lineare Stellenkürzung die dafür erforderliche Personal- reserve zu schaffen. Da müssen wir etwas tun und dafür sorgen, den Ressorts auf Grundlage seriöser Bedarfspla- nungen entsprechende zusätzliche Stellen zur Verfügung zu stellen. Zweitens. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Die Flexibilität unserer Spitzenkräfte, geordnete natio- nale Bahnen für ein internationales Engagement zu ver- lassen, muss sich auch für deren nationale Karriere loh- nen. Wir müssen weg von der Situation, das wer Karriere machen will, am besten zu Hause bleibt. Die Tätigkeit im Ausland oder für eine internationale Orga- nisation muss zu einem festen Bestandteil der Personal- und der Karriereentwicklung werden. Drittens. Wir müssen auch für eine größere Flexibili- tät im öffentlichen Dienst sorgen. Zumindest der zeitlich beschränkte Einsatz von Deutschen mit internationaler Erfahrung im deutschen öffentlichen Dienst sollte stär- ker ermöglicht werden. Viertens. Die Eifersüchteleien der Ressorts müssen abgebaut werden. Wir können nur erfolgreich sein, wenn alle an einem Strang ziehen. Der Erfolg für Deutschland muss Handlungsmaxime sein. Fünftens. Die Netzwerkarbeit der ehemaligen deut- schen Beschäftigten bei internationalen Organisationen muss intensiviert werden. Wenn wir zumindest zu den wichtigsten Mitbewer- bern aufschließen wollen, gibt es noch viele dicke Bret- ter zu bohren. Lassen Sie uns gemeinsam den notwendi- gen Mentalitätswechsel angehen. Detlef Dzembritzki (SPD): Der vorliegende Antrag schließt an einen Beschluss des Deutschen Bundestages von 1998 an und entwickelt ihn weiter. Ferner knüpft er an einen entsprechenden Antragsentwurf aus der 15. Le- gislaturperiode an, der aufgrund des vorzeitigen Endes der Legislatur nicht mehr zur Verabschiedung kam. Wir greifen hier also ein Thema auf – die deutsche Personal- präsenz in internationalen Organisationen –, das für den Deutschen Bundestag nicht neu ist, das aber in den ver- gangenen Jahren nichts an Aktualität verloren hat, son- dern eher noch wichtiger geworden ist. Ich möchte zunächst die Leitgedanken des Antrags in aller Kürze skizzieren: Der Einfluss internationaler Or- ganisationen hat in der Vergangenheit kontinuierlich zu- genommen und wird weiter zunehmen. Es ist deshalb wichtig, die Politik dieser Institutionen im Auge zu be- halten und sie nach Kräften mit zu gestalten. Hierzu ist man auf Ansprechpartner innerhalb dieser Institutionen, auf Kontaktpersonen, angewiesen. Ein Netzwerk deut- scher Mitarbeiter und eine umfassende Personalstrategie der Bundesregierung sind hierzu erforderlich, so wie sie auch von anderen Ländern mit großer Selbstverständ- lichkeit angestrebt und betrieben werden. Dem wider- spricht, dass Deutschland in vielen internationalen Orga- nisationen qualitativ und quantitativ nicht angemessen repräsentiert ist. Hier ist sicher auch ein Wort der Selbstkritik nicht un- angebracht. Trotz der Bedeutung des Themas ist etwa eine systematische Personalpolitik der Bundesregierung gegenüber internationalen Organisationen nicht immer erkennbar. Vernünftige Reformansätze, die es gab – ich nenne hier beispielhaft die verstärkte Anwendung des sogenannten Spiralmodells, das den wiederholten Wech- 12440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) sel von Tätigkeiten in nationalen und internationalen Institutionen erleichtern soll –, sind in der Praxis leider oft genug stecken geblieben. Umso erfreulicher ist das jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Personalrah- menkonzept zu Fragen der internationalen Personalpoli- tik. Auch müssen die in internationalen Organisationen tätigen Deutschen besser mit der deutschen Politik ver- traut gemacht werden, gleichzeitig sollte aber auch die deutsche Politik ihr Know-how besser nutzen. Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages von 1998 wurden aber messbare Verbesserungen erreicht. Ich nenne hier – wiederum beispielhaft – die Staatsse- kretärsrunde, den Koordinator im Auswärtigen Amt, den Ressortkreis, den Internationaler Stellenpool und das Carlo-Schmid-Programm für Praktikanten. Nun kommt es darauf an, an das Erreichte anzuknüpfen und ein Sys- tem der Personal- und Nachwuchsförderung zu entwi- ckeln. Dieses System muss zu einer angemessenen deut- schen Präsenz in internationalen Organisationen und zur systematischen Nutzung des dort erworbenen Wissens führen. Der Antrag nennt die Schritte, die unseres Erachtens erforderlich sind, um hier zu einer deutlichen Verbesse- rung der Situation zu gelangen. Einige aus meiner Sicht besonders wichtige Punkte möchte ich hier nennen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine langfris- tig angelegte Personalstrategie auszuarbeiten und umzu- setzen – sowohl für den öffentlichen als auch für den nichtöffentlichen Bereich. Die Koordinierung der inter- nationalen Personalpolitik soll weiter ausgebaut werden. Die Aufnahme auch von befristeter Arbeit in interna- tionalen Organisationen soll attraktiver gemacht und die Reintegration nach der Rückkehr in die deutschen Insti- tutionen verbessert werden. Ich habe das Spiralmodell bereits erwähnt. Dieses Modell muss konsequent ange- wandt und weiterentwickelt werden. Die Bundesregie- rung wird aufgefordert, aufzuzeigen, welche Maßnah- men sie in diesem Zusammenhang zu ergreifen beabsichtigt, und welche Voraussetzungen für die Wei- terentwicklung des Modells erfüllt sein müssen. Ferner müssen wir – und das ist ebenfalls ein wichti- ger Punkt – zu einer verbesserten Durchlässigkeit zwi- schen öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft gelan- gen. Es sind nicht nur die öffentlich Bediensteten aus der Bundesrepublik, die einen wichtigen Beitrag in interna- tionalen Organisationen leisten, auch in der Privatwirt- schaft, das wird manchmal übersehen, gibt es hier sehr große Potenziale, deren Erfahrungen wir in internatio- nale Organisationen einbringen können und einbringen sollten. Ferner brauchen wir ein Konzept zur systemati- scheren Nutzung der Erfahrung von Rückkehrern bei der Besetzung wichtiger Inlandspositionen mit internationa- lem Bezug, und wir dürfen auch die sozialen Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht übersehen. Eine wichtige Frage ist auch die der fortgesetzten Kommunikation mit denjenigen, die ihre Arbeit vorüber- gehend oder für längere Zeit in internationalen Organisa- tionen ausüben. Diese Kommunikation sollte durch ein internetgestütztes Netzwerk verbessert werden, über das zum Beispiel der künftige Personalbedarf einer Organi- sation abgefragt werden kann. Die Hochschulen sollten ihr Angebot stärker auf eine Tätigkeit in internationalen Organisationen ausrichten. Weitere Forderungen des Antrags zielen auf eine Er- leichterung des Einstiegs bei internationalen Organisa- tionen, eine Erhöhung des deutschen Personalanteils bei NATO und OECD und eine stärker inhaltlich ausgerich- tete Schwerpunktsetzung deutscher Politik in internatio- nalen Organisationen. Ich bin überzeugt, dass unsere Initiative aus dem Par- lament die gute Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und der Interessenvertretung der deutschen Be- schäftigten in internationalen Organisationen uns bei der weiteren Arbeit zum Erfolg führen wird. Marina Schuster (FDP): Heute treffen sich im Aus- wärtigen Amt die, über die wir gerade sprechen: nämlich die deutschen Vertreter bei internationalen Organisatio- nen. Und erst gestern konnten wir diese Spitzenvertreter zu einem Gespräch treffen. Gleichwohl: Das Thema der deutschen Präsenz in internationalen Organisationen ist nicht neu. Wir führen in jeder Legislaturperiode mindes- tens eine Debatte dazu. Und der vorliegende Antrag un- terscheidet sich denn auch kaum von jenen aus den Vor- jahren. Und das liegt eben daran, dass die Situation weiterhin unbefriedigend ist. Ich zitiere aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen: „Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern in vielen Organisationen quantitativ und qualitativ nicht angemessen repräsentiert.“ Nun kann man verschiedene Vergleichsmaßstäbe an- legen, um Deutschlands Erfolg oder Misserfolg bei der Platzierung des eigenen Personals in internationalen Or- ganisationen zu messen. Ein paar Beispiele werde ich nachher noch nennen. Entscheidend ist für uns aber vor allen Zahlenwerken unser eigener Anspruch. Deutschland setzt auf einen ak- tiven Multilateralismus. Der Grad unserer internationa- len Vernetzung ist wirtschaftlich und politisch immens. Und diese internationale Vernetzung ist auch ein Garant für unseren Wohlstand und unser Ansehen bei unseren Partnern. Wir sehen uns als einen Motor der Europäi- schen Union. Und die Bundeskanzlerin hat bei ihrer Rede bei den Vereinten Nationen ja verdeutlicht: Deutschland strebt in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Zu diesen eigenen politischen Ansprüchen steht die Präsenz deutschen Personals in internationalen Organi- sationen in einem krassen Missverhältnis. Gemessen an den finanziellen Beiträgen zu internationalen Organisa- tionen, an den Bewerberzahlen oder auch an den finan- ziellen Bemühungen der Bundesregierung gibt es nur ein klares Urteil: wir könnten besser dastehen. Selbst wenn man die teilweise festgelegten nationalen Quoten berücksichtigt: Deutschland muss hier besser werden. Ein Beispiel: Allein bei der Weltbank steht un- ser Personalanteil im vergleichbaren höheren Dienst mit 6 Prozent einem französischen Anteil von mehr 13 Pro- zent und einem britischen von mehr als 10 Prozent ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12441 (A) (C) (B) (D) genüber, obwohl wir zweitgrößter Beitragszahler sind. Das gleiche Bild bei Organisationen ohne nationale Quoten. Nun liegt mir keine Aufstellung vor, die unsere Perso- nalpräsenz in internationalen Organisationen nach Dienststufen aufschlüsselt; vielleicht könnte man das von der Bundesregierung ja mal bekommen. Aber wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, dann sind wir insbe- sondere auf der Ebene der Referatsleiter und ihrer Stell- vertreter besonders schlecht vertreten – sprich dort, wo Entscheidungen intensiv vorbereitet werden. Hier be- steht mit Sicherheit Verbesserungsbedarf. Eine Konzen- tration auf Leitungsposten ist aber bei Weitem nicht aus- reichend. Und noch etwas ist mir wichtig: Es macht nur dann Sinn, nationale Experten zeitweise oder längerfristig in internationale Organisationen zu entsenden, wenn man diese dann nicht aus den Augen verliert und aufs Ab- stellgleis stellt. Sie brauchen nach der Rückkehr auch entsprechende Alternativen, damit man ihr Potenzial nützt, statt sie auf der Karriereleiter ganz hintenanzustel- len. Es geht auch um Berufsperspektiven für junge Men- schen in Deutschland. Unsere internationale Vernetzung werden wir dauerhaft nämlich nur dann aufrechterhalten können, wenn diese beruflich wie privat von möglichst vielen Menschen gelebt und geteilt wird. Wir haben sehr gut ausgebildete junge Menschen, viele von ihnen be- reits mit ersten Auslandserfahrungen. Das ist ein Kapi- tal, das wir international investieren müssen, um unsere Interessen bestmöglich zu vertreten. Ich bin der Mei- nung: Weder die Bewerber noch wir sollten da falsche Bescheidenheit oder Zurückhaltung an den Tag legen. Wir erkennen ausdrücklich an, dass vonseiten der In- formationspolitik für interessierte Bewerber bereits eini- ges getan wurde. Aber wenn ich mir die Zahlen zur Per- sonalentwicklung anschaue, dann stelle ich noch keinen Durchbruch fest. Das heißt, wir brauchen mehr Anstren- gungen, die sich nicht nur auf die Platzierung von Spit- zenbeamten konzentrieren, und zwar sowohl finanziell als auch organisatorisch. Schaut man in den Haushaltsentwurf für das Jahr 2008 dann ist von solchen verstärkten Bemühungen lei- der nicht viel zu sehen. Für die „Auswahl und Vorberei- tung von Bewerberinnen und Bewerbern für internatio- nale Aufgaben“ stehen im AA-Haushalt gerade einmal 133 000 Euro zur Verfügung. Absolut und auch vergli- chen mit den durchaus sinnvoll ausgegebenen 700 000 Euro für die Ausbildung junger Diplomaten aus anderen Ländern ist dies eindeutig zu wenig. Ob wir mit diesen bescheidenen Mitteln wirklich einen Bewerberpool ge- nerieren können, der dann auch international wettbe- werbsfähig ist, wage ich zu bezweifeln. Auf die Möglichkeiten einer besseren politischen Flankierung von Bewerbungen aus unserem eigenen Land kann ich jetzt nicht eingehen. Das sollten wir in den Ausschüssen tun. Nur so viel: Bei langfristig ange- legter Personalpolitik kommt es auch auf Kontinuität seitens der Planung an. Das ist mit dem im Auswärtigen Amt bestehenden Rotationsprinzip nur bedingt verein- bar. Wie hier mehr Kontinuität in die Personalentwick- lung gebracht werden kann, gehört zu den zu lösenden Aufgaben. Einen Satz aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen möchte ich zum Abschluss noch zitieren: „Eine systema- tische Personalpolitik der Bundesregierung gegenüber internationalen Organisationen ist nicht immer erkenn- bar.“ Das ist sehr wohl richtig. Ich erwarte mir von den Beratungen in den Ausschüssen dann auch, dass man hier Farbe bekennt – sprich: Geld in die Hand zu neh- men –, dass nicht das Gleiche passiert wie mit unserem Antrag zum Auswärtigen Dienst, den alle Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss eigentlich befürworteten, aber dann gegenüber Steinbrück nicht durchgebracht haben. Das hätten wir uns für die Mitarbeiter im AA wirklich gewünscht und dafür kämpfen wir weiter. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Haben die keine anderen Probleme, habe ich spontan gedacht, als ich die- sen Punkt auf der Tagesordnung sah. Ich könnte Ihnen eine Menge außenpolitischer Themen nennen, die end- lich im Plenum des Bundestages diskutiert gehörten: Der nach wie vor drohende Krieg gegen den Iran, die zuge- spitzte Lage im Südkaukasus, die Kosovo-Problematik, UNO-Reform; um nur einige zu nennen. Aber sei’s drum. Nur, mein Ärger ist nach Lektüre des Antrages der Koalitionsparteien beträchtlich gewachsen. In Ordnung geht, dass Diplomaten besser betreut, besser ausgebildet und – ich füge hinzu – besser bezahlt werden müssen. Die Koordination soll verbessert wer- den, auch das trifft nicht meinen Widerspruch. Ich kriti- siere die politische Linie und nicht die Arbeit der deut- schen Diplomaten. Die arbeiten gut – im Gegensatz dazu ist die Politik der Bundesregierung falsch. Ich ärgere mich, dass mehr Einfluss für Deutschland auch damit begründet wird, dass Deutschland erheblich zahlt. Ich dachte immer, wir zahlen, damit die internationalen Or- ganisationen gut arbeiten, und nicht, weil wir daraus ab- leiten wollen, auch dort bestimmend zu sein. Das ist überheblich – ebenso überheblich wie die deutsche For- derung nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. In der Überschrift wird vom „nationalen Interesse“ Deutschlands geschrieben. Im Text findet sich nichts, wie das „nationale Interesse“ Deutschlands definiert wird. Definiert wurde das nationale Interesse im Weiß- buch zur Bundeswehrreform. Und genau diese politische Linie, der deutsche Zugriff auf Naturressourcen, auf Handelswege, die Auslandseinsätze der Bundeswehr, das lehnen wir, die Linke, ab. Zu Beginn ihrer Amtszeit hat die Bundeskanzlerin im Auswärtigen Ausschuss die Philosophie ihrer Außen- politik als „selbstbewusste Bescheidenheit“ beschrieben. Das hat mir gefallen. Nur, die tatsächliche Außenpolitik der Bundesregierung ist anders: Deutschland betreibt wieder Großmachtpolitik, nicht national, sondern über den deutschen Einfluss in internationalen Organisatio- nen. 12442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) In diese Richtung geht auch der vorliegende Antrag der Koalitionsparteien. Mehr Einfluss für Deutschland – das ist seine Botschaft. Damit schließt sich der Kreis zur Forderung nach einem ständigen Sitz im Weltsicher- heitsrat. Selbstbewusste Bescheidenheit sähe anders aus. Wer Deutschland am Hindukusch verteidigen will, ge- hört nicht in den Weltsicherheitsrat. Deutsche Diploma- ten arbeiten in internationalen Organisationen um diese zu stärken, und nicht, um nationale Interessen zu vertre- ten. In diesem Geist sollten wir Diplomaten ausbilden, betreuen und koordinieren – und nicht nach dem Gestus: Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird. Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit vielen Jahren wird zu Recht immer wieder darüber ge- klagt, dass Deutschland in internationalen Organisatio- nen zu wenig vertreten ist – sei es bei den Vereinten Na- tionen, ihren Unterorganisationen wie UNDP, UNICEF, WHO, FAO oder in internationalen Finanzorganisatio- nen wie Weltbank und IWF oder den Regionalen Ent- wicklungsbanken, um nur einige zu nennen. Die Gründe dafür sind vielfältig, und ihre Beseitigung dauert lange. Eine oder auch zwei Legislaturperioden genügen offen- bar dafür nicht. Ich sage dies, weil es schon im Juni 1998 einen Bun- destagsbeschluss gab, der in die gleiche Richtung ging wie der jetzt vorgelegte Koalitionsantrag. Seitdem ist – auch unter Rot-Grün – immerhin einiges geschehen, zum Beispiel wurden hemmende Regelungen verändert und Informationsmöglichkeiten verbessert. Die einzel- nen Ressorts haben für ihre Zuständigkeitsbereiche per- sonalwirtschaftliche Gesamtkonzepte vorgelegt, die inzwischen in einer ressortübergreifenden Zusammenar- beit zu einem Rahmenkonzept weiterentwickelt wurden. Konzepte allerdings müssen auch umgesetzt werden. Und bisher sind immer noch zu viele gut gemeinte Be- mühungen im bürokratischen Räderwerk steckengeblie- ben. Die Schlüssel für eine Eignung für Aufgaben in inter- nationalen Organisationen sind Qualifikation und Moti- vation. Woran es ganz sicher nicht fehlt, sind geeignete Men- schen in Deutschland. Allerdings genügt die fachliche und sprachliche Ausbildung an Hochschulen und Uni- versitäten allein nicht für die Übernahme von Aufgaben in internationalen Organisationen. Um die Voraussetzun- gen dafür zu verbessern, müssen zum Beispiel Auslands- praktika absolviert werden. Obwohl es eine ganze Reihe von geeigneten Einrichtungen dafür gibt, werden Prak- tika in internationalen Organisationen und in EU-Institu- tionen staatlicherseits noch immer viel zu wenig geför- dert. In den internationalen Finanzinstitutionen ist mangelnde deutsche Präsenz besonders auffällig, ein Zu- stand der schleunigst durch geeignete Fördermaßnahmen zu beenden ist. Außerhalb von Auswärtigem Amt und BMZ wird die Eignung für internationale Aufgaben noch zu wenig als Kriterium bei der Einstellung und Beförderung ange- wandt. Darüber hinaus braucht der Nachwuchs spezielle Vorbereitungskurse auf internationale Aufgaben. Auch davon gibt es eine Reihe nationaler wie internationaler Programme, die noch zu wenig genutzt werden. Mindestens so wichtig wie die Eignung ist jedoch der Anreiz, sich auf offene Stellen in internationalen Organi- sationen zu bewerben. Wenn das – wie es der Fall ist – zu wenige Menschen tun, muss nach den Gründen ge- fragt werden. Ohne motivierte Bewerberinnen und Be- werber nützen auch perfekte Qualifikationen nicht viel. Woran liegt die Zurückhaltung? Die Rückkehrer ma- chen die Erfahrung, dass ihr Einsatz im Ausland wenig oder gar nicht honoriert wird. Schlimmer noch: Die zeit- weilige Abwesenheit führt oft genug zu einem Karriere- knick. Dieser unhaltbare Zustand schadet nicht nur den Betroffenen. Wegen seiner negativen Auswirkungen auf die Bewerberzahlen beeinträchtigt er auch die Präsenz Deutschlands auf dem internationalen Parkett. Wo es keine deutschen Mitarbeiter, Kollegen oder Vorgesetze gibt, kann man Deutsche auch nicht wahrnehmen oder kennenlernen. Um diesen Missstand zu beheben, sind bereits eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden oder geplant. Die Förderung von zeitweiligen Auslandseinsätzen muss zu einer Selbstverständlichkeit werden. Für viele Berei- che sollte sie geradezu notwendige Voraussetzung für Beförderungen werden. Bisher ist jedoch oft das Gegen- teil der Fall: Auslandserfahrungen werden personalpoli- tisch vielerorts als Komplikation für die Planung und als überflüssig angesehen. Dies deutet auf einen Grad an Provinzialität hin, der in einer international vernetzten Welt einfach kontraproduktiv ist. Es ist eine Banalität, muss aber gesagt werden: Reisen bildet, und Auslandserfahrungen erweitern den Hori- zont. Ein Land wie Deutschland, vielfach verflochten mit der Welt, kann sich keine Personalpolitik leisten, die nicht ausreichend auf internationale Strukturen ausge- richtet ist. Und last but not least: Deutschland hat Kom- petenzen. Deutsches Personal kann Fähigkeiten und Fachwissen einbringen, sei es im Umwelt-, Gesundheits-, Agrar- oder Friedens- und Sicherheitsbereich. Diese Kompetenzen müssen international besser eingesetzt und genutzt werden. Das zu tun, dient uns allen. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Beschlussantrag wird zur rechten Zeit im Plenum behandelt. Die dem An- trag zugrunde liegende These von der zunehmenden Globalisierung und Multilateralisierung unserer Außen- politik hätte nicht nachdrücklicher unterstrichen werden können, als dies durch unsere Präsidentschaften in EU und G 8 geschehen ist. Multilaterale Foren werden in einer globalisierten Welt immer maßgeblicher. Die Bundesregierung teilt un- eingeschränkt die Analyse des Antrags, dass nachhaltige deutsche Mitgestaltung in diesen Institutionen natürlich eine interessenorientierte, nachdrückliche und vor allem mittelfristig angelegte internationale Personalpolitik zur Voraussetzung hat. Politisches Ziel der Bundesregierung war und ist es, dass Deutschland entsprechend seinem politischen, wirt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12443 (A) (C) (B) (D) schaftlichen und kulturellen Gewicht, aber auch gemäß dem hohen deutschen Finanzierungsanteil in internatio- nalen Organisationen auf allen Funktionsebenen ange- messen vertreten ist. Insbesondere seit 1998 hat die Bundesregierung ihre Bemühungen bereits deutlich intensiviert, um eine Erhö- hung der deutschen Präsenz zu verwirklichen. Diese Be- mühungen haben inzwischen zu konkreten Fortschritten geführt. Der Antrag erwähnt einige dieser Fortschritte, manch andere könnten noch ergänzt werden. Was jetzt im nächsten Schritt nottut – und auch da stimme ich mit dem Antrag überein –, ist eine weitere Systematisierung und strategischere Ausrichtung der deutschen internationalen Personalpolitik. Auch inso- weit ist die Bundesregierung bereits initiativ geworden: Vor zwei Tagen, am 10. Oktober, hat das Kabinett ein „Personalrahmenkonzept der Bundesregierung zu zen- tralen Fragen der internationalen Personalpolitik“ be- schlossen. Dieses Konzept ist unter Federführung des Auswärti- gen Amtes in den vergangenen 18 Monaten im Ressort- kreis gemeinsam erarbeitet und verhandelt worden. Es definiert einen anzustrebenden gemeinsamen Mindest- standard aller Ressorts – im Rahmen ihrer personalwirt- schaftlichen Möglichkeiten und spezifischen dienstli- chen Erfordernisse – zu den zentralen, den öffentlichen Dienst betreffenden Fragestellungen der internationalen Personalpolitik. Regelungsgegenstand dieses Konzepts sind unter an- derem die folgenden Bereiche: Umsetzung des Spiral- modells, systematische Erfassung strategischer Zielposi- tionen und Bewerberzielgruppen, Systematisierung der Aus- und Fortbildung, Ausdehnung der Nachwuchsför- derung und Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedin- gungen für deutsche internationale Bedienstete. Mit der Billigung des Konzepts ist die Bundesregie- rung der Forderung des aktuellen Beschlussantrags nachgekommen, eine langfristig angelegte Personalstra- tegie für eine verbesserte Positionierung deutschen Per- sonals in internationalen Organisationen auszuarbeiten. Eines ist jedoch klar: Der Lackmustest für die Umset- zung sowohl des Konzepts als auch der entsprechenden Forderungen dieses Hauses wird die Bereitstellung dafür erforderlicher finanzieller Ressourcen sein, sofern die Maßnahmen sich nicht aus dem bestehenden Personal- und Mittelbestand der Ressorts erwirtschaften lassen sollten. Eine Bestandsaufnahme der Kostenfrage wird von der Bundesregierung zu gegebener Zeit vorgenom- men. Die Seriosität gebietet es zu sagen: Auch hier im Bun- destag müssen wir uns darüber klar sein, dass wir nur dann eine Umsetzung der Forderungen des vorliegenden Beschlussantrags im öffentlichen Dienst einfordern kön- nen, wenn wir umgekehrt den Ressorts eine Stellenaus- stattung zubilligen, die eine erforderliche Vorbereitung, flexible und zügige Präsentation von Kandidaturen in in- ternationalen Organisationen erlaubt. Mit anderen Wor- ten: Wenn wir uns strategisch in internationalen Organi- sationen positionieren wollen, müssen wir auch bereit sein, den dafür im öffentlichen Dienst anfallenden Preis zu bezahlen. Ansonsten bleiben diese Beschlüsse samt ihrer Forderungskataloge weitgehend bedeutungslos. Parallel zu den Bemühungen im Bereich des öffentli- chen Dienstes finden derzeit im Ressortkreis Sondierun- gen statt, wie die personalpolitische Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Sektoren für internationale Organi- sationen intensiviert werden kann. Dies betrifft die Ver- besserung der Durchlässigkeit zwischen internationalen Organisationen und öffentlichem Dienst, Privatwirt- schaft und wissenschaftlichen Institutionen. Ob in die- sem Zusammenhang eine stärkere Öffnung des ministe- riellen Bereichs für Rückkehrer aus internationalen Organisationen – wie es der Beschlussantrag fordert – tatsächlich einen gangbaren Weg darstellt, wage ich per- sönlich angesichts unseres den hoheitlichen Bereich be- herrschenden Beamtenrechts zu bezweifeln. Alternativ käme nur eine dramatische Erhöhung von Mitteln für ta- rifliche und außertarifliche Zeitvertragsstellen im minis- teriellen Bereich in Betracht. Beide Optionen scheinen mir wenig wahrscheinlich zu sein. Ungeachtet des Dissenses in einzelnen Aspekten de- cken sich die Analyse und Schlussfolgerungen des Be- schlussantrags mit der grundsätzlichen Einschätzung und den konkreten Projektplänen der Bundesregierung. Eine regelmäßige Berichtspflicht über die weitere Ent- wicklung wird Bundesregierung wie Bundestag dazu an- halten, sich wechselseitig darüber zu unterrichten, inwie- weit die Forderungen dieses Antrags umgesetzt bzw. ob die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaf- fen worden sind. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Verzicht der Bundes- regierung auf Einnahmen aus Sponsoring (Ta- gesordnungspunkt 31) Norbert Barthle (CDU/CSU): Es ist Freitagnachmit- tag, viele Kollegen sind auf dem Weg in die Wahlkreise, um dort ihre politische Arbeit fortzusetzen. Wir nicht. Warum nicht? Weil uns die PDS wieder einmal mit ei- nem Schaufensterantrag quält. Statt sich einmal um die wirklich wichtigen Themen in unserer Republik zu küm- mern, wie wir zum Beispiel unser Gemeinwesen weiter reformieren und modernisieren, um damit die Grundla- gen für unseren Wohlstand zu sichern, stürzt sich die Linke zum x-ten Mal mit Verve auf einen kaum relevan- ten Nebenschauplatz. Aber so funktioniert das bei Popu- listen: Such dir ein Thema – schlag laut Alarm – und hoppel zum nächsten! Nun also das Sponsoring. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf Einnahmen aus Sponsoring zu verzich- ten. Die Begründung lautet: Durch Sponsern der Bundesverwaltung können sich Unternehmen Vorteile verschaffen, und es entsteht der Eindruck, dass die Bundesregierung käuflich ist. 12444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Ich habe einmal angerufen, zum Beispiel beim Berli- ner Senat: Lasst ihr euch sponsern? Ja sicher, das kommt vor, lautete die Antwort. Da ist doch nichts dabei, wir sind ja nicht nur sexy, sondern vor allem arm, und Spon- soring erspart uns Kosten, ist ja auch immer für einen guten Zweck. – Nun frage ich einmal hier in die Runde, ob jemand weiß, welche andere Partei neben der SPD den Berliner Senat bildet? Die PDS, richtig. Mit Ihrem Antrag sagen Sie indirekt, das auch der Berliner Senat im Verdacht der Käuflichkeit steht. Dass Sie mit Ihrer rechten Hand die Bundesregierung abwat- schen wollen, kann ich ja noch verstehen. Aber dass Sie sich mit Ihrer linken Berliner Hand selbst eine runter- hauen, finde ich schon amüsant. Wenn der Antrag im Jahr 2000 gestellt worden wäre, hätte ich ja unter Umständen noch ein wenig Verständnis dafür gehabt. Damals hatte der Bundesrechnungshof festgestellt, dass die notwendige Transparenz beim Sponsoring nicht immer gegeben gewesen sei. Die rot- grüne Bundesregierung hat reagiert, das Innenministe- rium erließ 2003 eine „Allgemeine Verwaltungsvor- schrift zur Förderung von Tätigkeiten des Bundes durch Leistungen Privater“; gemeint sind damit Sponsoring, Spenden und sonstige Schenkungen. Dort sind die Grundsätze klar genannt, denen sich die Verwaltung un- terwirft, um dem von Ihnen pauschal geäußerten Vor- wurf zu begegnen. Es heißt dort richtigerweise: Sponsoring trägt in geeigneten Fällen dazu bei, Ver- waltungsziele zu erreichen. Gleichwohl muss die öffentliche Verwaltung schon jeden Anschein frem- der Einflussnahme vermeiden, um die Integrität und die Neutralität des Staates zu wahren. An diese Verwaltungsvorschrift hat sich die öffentli- che Verwaltung zu halten; und ich habe überhaupt kei- nen Zweifel daran, dass sie dies auch sorgfältig und ver- antwortungsbewusst tut. In Ihrem Antrag nennen Sie selbst die Summe von 55 Millionen Euro, die im ersten Zweijahresbericht Au- gust 2003 bis Dezember 2004 angenommen wurde. Was Sie – selbstverständlich – verschweigen, ist die Tatsache, daß hiervon allein 41 Millionen Euro für eine Gesund- heitskampagne zur Aidsaufklärung aufgewendet wur- den. Ich bin Berichterstatter für den Haushalt des Bun- desgesundheitsministeriums und damit auch für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zustän- dig. Wir sind, wie alle in diesem Haus wissen, von einem ausgeglichenen Haushalt noch entfernt, auch wenn die Richtung dank der entschlossenen Politik der Großen Koalition endlich wieder stimmt. Endlich sinkt die Neu- verschuldung, das Ziel einer schwarzen Null im Jahr 2011 ist erreichbar. Doch in diesen Zeiten leerer Kassen wäre zum Beispiel ein Großteil der wichtigen Aufklä- rungsarbeit dieser Bundeszentrale schlicht nicht möglich gewesen. Erst durch Sponsoring wurde die flächende- ckende Aidskampagne der Bundesregierung durchführ- bar. Wie die Reaktion der PDS darauf lauten würde, kann ich mir lebhaft vorstellen: Der Staat soll das bezahlen. Unser verehrter Kollege Peter Struck hat ja einmal aus- gerechnet, wie viele Milliarden Euro die Ideen und Vor- schläge der PDS kosten würden und kam auf die erstaun- liche Zahl von knapp 155 Milliarden Euro – jährlich, wohlgemerkt. Wer so jenseits von Gut und Böse argu- mentiert, kann natürlich auch auf die paar Millionen Euro aus Sponsoring großzügig verzichten. Wer jedoch, wie der Rest des Hauses, seine Verant- wortung gegenüber kommenden Generationen ernst nimmt, die Haushaltslage wirklich nachhaltig verbessern möchte, wird zu dem Ergebnis kommen, dass Einnah- men aus Sponsoring nicht so grundsätzlich zu kritisieren sind, wie die Linke das mit ihrem Antrag tut. Werden die Prinzipien der Verwaltungsvorschrift eingehalten, wird die notwendige Transparenz gewahrt, sieht die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion im Sponsoring keinerlei Pro- bleme. Nicht nur wir sehen das so, der Bundesrechnungshof übrigens genauso. Als er im Jahr 2006 auf Wunsch des Rechnungsprüfungsausschusses den ersten Sponsoring- Bericht der Bundesregierung überprüfte, kam er zu dem Ergebnis, dass die Verwaltungsvorschrift geeignet ist, die Transparenz über die von Privaten empfangenen Leistungen herzustellen und damit die Integrität und Neutralität des Staates zu wahren. Die Verbesserungs- vorschläge des Rechnungshofes wurden und werden selbstverständlich ernst genommen und umgesetzt: Be- reits im zweiten Jahresbericht für die Jahre 2005 und 2006 wurden die Namen der Sponsoren für Leistungen über 5 000 Euro offengelegt. Dieser zweite Bericht weist Leistungen von insge- samt 80,3 Millionen Euro aus. Auch hier bilden die In- formationskampagnen zur Aidsprävention und -aufklä- rung sowie zum Nichtrauchen mit 49,7 Millionen Euro die Schwerpunkte. Der Haushaltsausschuss hat in seiner Beschlussemp- fehlung vom 8. Juni 2007 mit den Stimmen der Union, der SPD, der FDP und der Grünen diesen Schaufenster- antrag abgelehnt. Ich fordere alle hier im Plenum auf, heute das Gleiche zu tun. Schicken wir den Antrag da- hin, wohin er gehört: in den Papierkorb! Petra Merkel (Berlin) (SPD): Wir haben im Frühjahr bereits über diesen Antrag der Fraktion Die Linke ge- sprochen – damals wurden unsere Reden zu Protokoll gegeben. Nach Überweisung an die zuständigen Aus- schüsse liegen die Voten nun vor, und wir beraten den Antrag erneut im Plenum. In allen Ausschüssen ist die- ser Antrag abgelehnt worden. Zwischenzeitlich – diesen Sommer – wurde der zweite Sponsoring-Bericht vom Bundesministerium des Innern vorgelegt. In diesem wurden unsere Anregungen, die Anregungen des Rechnungsprüfungsausschusses, aufgegriffen und umgesetzt. Ein Punkt, der uns sehr wichtig war, ist, dass die Sponsoren genannt werden – dies tut der Bericht nun auch, und ein hohes Maß an Transparenz ist damit gewährleistet. Schon im März habe ich auf darauf hingewiesen, dass die entscheidende Frage ist: Wollen wir Sponsoring zu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12445 (A) (C) (B) (D) lassen und so etwas Zusätzliches ermöglichen, für das uns sonst die Mittel fehlen? Oder wollen wir generell keinerlei Sponsoring zulassen, weil es die Möglichkeit geben könnte – eine Eventualität –, dass jemand den Eindruck gewinnen könnte, hier könnte versucht wer- den, eine Gegenleistung zu erkaufen. Ich beantworte diese Frage, wie schon vor sieben Monaten – Sponsoring ja, aber transparent und korrekt! So, wie wir es machen! Und selbstverständlich ist auch: Mit Sponsoring werden keine Pflichtaufgaben, keine Kernaufgaben finanziert. Natürlich ist Sponsoring ein Thema, auf das sich die Presse gerne stürzt, und gerne werden dann Beträge ge- nannt, die den Eindruck erwecken, in unserem Land blühe die Pflanze Korruption. Aber – meine lieben Kol- leginnen und Kollegen von der Linken – Sie sind doch nicht ernsthaft davon überzeugt, dass sich die Bundesre- gierung kaufen lässt, weil ein Unternehmen ein Fest mit 50 000 Euro oder weniger sponsert! Sie stellen in der Begründung Ihres Antrages ja gerade auf den Bereich des Ministeriums für Verteidigung ab: Ich habe mir im zweiten Sponsoring-Bericht die Firmen und die Sponso- ring-Summen des Bundesministeriums für Verteidigung besonders noch einmal angesehen – ich gestehe: Die treiben mir nicht die Tränen in die Augen –, aber ich habe jetzt auch den Namen des Gebers, die Summe und den Verwendungszweck als Grundinformation. Selbstverständlich müssen wir dieses heikle Thema sehr sensibl und korrekt handhaben. Ich finde, das tun wir! Das tun wir im Parlament mit kritischem Blick und mit aller notwendigen Verantwortung. Wir sind uns eventueller Gefahren bewusst und nutzen auch unsere Möglichkeiten zur parlamentarischen Kontrolle. Wir ha- ben uns im Rechnungsprüfungsausschuss – dessen Mit- glied ich bin und in dem ich für den Bereich des Bundes- innenministeriums zuständig bin – viele Jahre mit dem Thema Sponsoring beschäftigt – und wir werden das Thema auch weiter verfolgen. Wir haben die Entstehung des Sponsoring-Berichts unterstützt, der erscheint nun alle zwei Jahre, und wir beraten ihn intensiv. Wir haben dafür Sorge getragen, dass Sponsoring in geregelten Bahnen verläuft. Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass Sponsoring transparent und nachvollziehbar ist, sodass nicht der Eindruck entstehen könnte, irgendwer wäre ir- gendwie käuflich oder jemand würde wegen Sponsoring begünstigt. Im zweiten Sponsoring-Bericht, der seit Juli vorliegt, finden sich Beträge, die in unterschiedlicher Höhe eini- ges ermöglichen. Was können wir dem zweiten Sponso- ring-Bericht denn jetzt entnehmen? Auch aus diesem Bericht wird erneut ersichtlich, dass mit dem Sponsoring Projekte verwirklicht werden konnten, die ohne dieses Sponsoring nicht oder nur in geringerem Umfang mög- lich gewesen wären. Im Vergleich zum Gesamthaushalt haben diese Leistungen nur ein sehr geringes Volumen. Die Gesamtsumme für alle Ressorts betrug laut zwei- tem Sponsoring-Bericht (für die Jahre 2005 und 2006) rund 80 Millionen Euro – davon entfielen rund 75,8 Mil- lionen Euro auf 716 Leistungen, deren Wert über 5 000 Euro lag. Schwerpunkt waren erneut – wie schon im ersten Bericht – die Sachleistungen. Und wenn jetzt für alle ersichtlich ist, dass das THW Schenkungen, Spenden und Sponsoring für viele Orts- verbände erhält – da können wir uns doch nur bei den Sponsoren bedanken! Von der Teilfinanzierung einer Kfz-Halle bis zur Verpflegung für Jugendarbeit, von der Sachleistung einer Anhänger-Wechselbrücke bis zur Schenkung von zwei Pkw und der Übernahme der Kos- ten für Live-Musik – da ist Sinnvolles für den THW mit privatem finanziellen Engagement unterstützt und er- möglicht worden. Ich möchte gerne ein weiteres Beispiel geben – das verdeutlicht, dass es wahrlich nicht anrüchig ist, wenn ein Ministerium oder ein Amt Sponsorleistungen an- nimmt –: Das Bundespräsidialamt hat zum Beispiel insgesamt Leistungen von fast 1 Millionen Euro (935 737 Euro) angenommen – diese dienten ausschließ- lich zur Unterstützung des Sommerfestes 2006. Und jetzt frage ich Fraktionsmitglieder der Linken: Gehen Sie jetzt nicht zum Sommerfest des Bundespräsi- denten? Verweigern Sie das gesponserte Essen und die Getränke? Ich möchte gerne von Ihnen wissen, was Sie von dem Sponsoring-Bericht halten. Reichen Ihnen die Informa- tionen nicht? Was finden Sie verwerflich an den dort aufgeführten Leistungen? Schon im März habe ich auf die Leistungen, die das Bundesministerium für Gesundheit erhielt, hingewiesen. Fast 50 Millionen Euro hat dieses Ministerium an Spon- sorleistungen erhalten – und zwar für Maßnahmen zur Gesundheitsprävention – nämlich kostenlose Plakatflä- chen für Anzeigen zur Aidsprävention. Nochmals an die Fraktion Die Linke – Warum wollen Sie das nicht zulas- sen? Ich habe mir noch mal Ihre Rede vom März dieses Jahres durchgelesen – Sie konstruieren zwischen Aufträ- gen an große Firmen, politischen Entscheidungen, Spen- den und Sponsoring eines: Korruption. In dem zweiten Bericht wird unseren Forderungen im Rechnungsprü- fungsausschuss nach mehr Transparenz Rechnung getra- gen. Nun gibt es ein Gegenmittel gegen den Vorwurf von Begünstigung und Korruption – und das heißt Transpa- renz. Und die haben wir geschaffen: Ab 5 000 Euro wer- den die Namen der Geber genannt. Für das Mäzenaten- tum im Kulturbereich gibt es eine besondere Regelung, sie werden nicht genannt. Derzeit arbeitet das Ministe- rium darüber hinaus an einer Vorgabe, die den Bedürf- nissen der Mäzene und der Öffentlichkeit Rechnung tra- gen soll. Ob sich die Grenze von 5 000 Euro bewährt, werden wir wiederum überprüfen. Ich bin sicher, dass die große Mehrheit im Rechnungsprüfungsausschuss, auch mit den Oppositionsfraktionen – vielleicht nicht mit der Linken –, auch die folgenden Sponsoring-Be- richte kritisch bearbeiten wird und mithilfe des Rech- nungshofs und der Ministerien die Gratwanderung zwi- schen Transparenz und Bürokratie wahren wird. Sie werden sich nach meiner Rede nicht wundern, dass meine Fraktion Ihren Antrag ablehnen wird. 12446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Dr. Claudia Winterstein (FDP): Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag, die Bundesregierung solle auf Einnahmen durch private Spenden verzichten. Wissen Sie eigentlich, wovon Sie sprechen? Beim Thema „Spenden“ zeigen Sie lieber mit dem Finger auf andere, während es Ihre Partei mit den Spenden offenbar nicht ganz so genau nimmt. Es ist schon eine bemerkens- werte Ironie, dass der Ältestenrat Ihren Antrag gerade dann auf die Tagesordnung setzt, wenn gleichzeitig ge- gen die Linkspartei in Sachen Spenden ermittelt wird. Doch nun zur Sache: Abgesehen von dem scheinheili- gen Getue halte ich die Bedenken der Linksfraktion zum Sponsoring in der Bundesverwaltung auch sachlich für falsch. Sie sagen: Das Ansehen des Staates steht auf dem Spiel; Kollegin Lötzsch spricht in einer Pressemitteilung sogar von „der gekauften Republik“. Da sollte man doch die Kirche im Dorf lassen. Sie unterstellen, dass Unter- nehmen sich Vorteile verschafft hätten, ohne diese Vor- würfe belegen zu können. An der Stelle sollten Sie vor- sichtiger argumentieren. Rund 82 Millionen Euro in Geld- und Sachspenden haben Ministerien und Behörden des Bundes in den Jah- ren 2005 und 2006 von privater Seite erhalten, Geld, mit dem überwiegend Projekte finanziert wurden, für die an- sonsten keine Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Es wäre äußerst bedauerlich, wenn der Staat auf diese Mit- tel verzichten müsste. Der mit Abstand größte Teil der Sponsoren-Gelder ist in die Aidsaufklärung geflossen: über 44 Millionen Euro. Wir sind uns doch wohl hier alle einig, wie wichtig dieses Thema ist, insbesondere vor dem Hintergrund steigender Infektionszahlen in Deutschland. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was falsch daran sein soll, wenn der Staat die Unterstützung privater Ge- ber in Anspruch nimmt, um gute, sinnvolle Projekte durchzuführen. Wollen Sie wirklich ohne Not eine gute Sache beenden? Ganz im Gegenteil: Das Engagement der Spender verdient unsere volle Unterstützung. Immer weniger Bürger identifizieren sich mit dem Staat. Eine Kultur des Spendens fördert den Austausch zwischen Bürger und Staat. Wer spendet, setzt sich aktiv für die Gesellschaft ein! Wir brauchen mehr privates Engagement und nicht weniger! Selbstverständlich brauchen wir klare Regeln für das Sponsoring. Das heißt: Offenlegen, was gesponsert, wie viel gesponsert wurde und vor allem: von wem gespon- sert wurde! Der gesponserte Zweck muss eine eindeutige Außen- wirkung haben. Es kann zum Beispiel nicht angehen, dass sich Ministerien interne Betriebsfeiern bezahlen lassen. Firmen dürfen sich nicht zu Dauersponsoren ei- ner bestimmten Behörde entwickeln, das gefährdet die Chancen- und Wettbewerbsgleichheit unter den poten- ziellen Sponsoren. Und das Wichtigste ist: Wir brauchen Transparenz. Dazu gehört die Veröffentlichung der Sponsorennamen im Interesse der Bürger und Steuerzahler. Transparenz ist das wirksamste Mittel, damit gar nicht erst der Ver- dacht von Korruption oder Interessenüberschneidungen aufkommen kann. Hier hat die Bundesregierung in der Vergangenheit Fehler begangen. Durch die fehlende Na- mensnennung im ersten Sponsoring-Bericht konnte der Eindruck entstehen: Der Bund hat etwas zu verbergen. Der Bundesrechungshof hat dies zu Recht kritisiert. Wir haben im Rechungsprüfungsausschuss diese Kritik auf- genommen, und das Innenministerium hat im zweiten Sponsoring-Bericht die Namen der Unternehmen und Verbände genannt. Regeln für das Sponsoring sind wichtig, sie dürfen aber nicht dazu führen, dass sich potenzielle Spender ab- geschreckt fühlen und vom Sponsoring zurückziehen. Dies gilt vor allem für den Kunst- und Kulturbereich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kunstmäzene ihre Unter- stützung nur anonym leisten wollen. Dieser Wunsch ist absolut respektabel. Eine zwingende Nennung der Namen von Kunstmäzenen würde deren Spendenbereit- schaft bremsen und negative Auswirkungen auf den Kulturbereich haben. Deswegen haben wir uns im Rech- nungsprüfungsausschuss für eine Ausnahme im Sponso- ring-Bericht eingesetzt, die das Ministerium auch so um- gesetzt hat. Somit haben wir nun eine zufriedenstellende Regelung erreicht. Denn eines ist klar: Das Sponsoring braucht klare Re- geln und Transparenz. Der Staat muss aber auch die Chance haben, privates Engagement für sinnvolle Dinge zu nutzen, und ausgerechnet das wollen Sie verhindern. Kehren Sie also lieber vor der eigenen Haustür, anstatt uns mit scheinheiligen und überflüssigen Anträgen zu nerven. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): In dieser Woche wurde viel über Gerechtigkeit im Bundestag gesprochen, das ist ein gutes Zeichen. Wir sollten alle Politikfelder unter dem Gerechtigkeitsaspekt unter die Lupe nehmen. Nehmen wir die demokratische Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger bei politischen Entscheidungen. Haben alle den gleichen Zugang zu den Entscheidungs- trägern, oder gibt es hier Abstufungen und Privilegien, die zu einem demokratischen System im Widerspruch stehen? Ich weiß nicht, ob schon mal eine Arbeitslosen- vereinigung Empfänge, Bälle oder Essen in einem Bun- desministerium ausgerichtet hat, um in einer gemütli- chen, völlig ungezwungenen Atmosphäre bei einem Glas Wein und einer Frühlingsrolle über das Leben mit Hartz IV mit einem Minister ins Gespräch zu kommen. Ich weiß, dass der Rüstungskonzern EADS seit 2003 insgesamt 20 Empfänge, Bälle und Essen für das Bun- desministerium der Verteidigung, die Bundeswehr und ihre Gäste ausgerichtet hat. Ich weiß auch, dass der Rüs- tungskonzern EADS in der Zeit von 1999 bis 2007 Rüs- tungsaufträge im Wert von 10,5 Milliarden Euro von der Bundesregierung erhalten hat. Natürlich werden Ver- träge nicht auf Empfängen oder Bällen geschlossen, doch wer behauptet, dass es keinen Zusammenhang zwi- schen dem Sponsoring durch EADS und den üppigen Rüstungsaufträgen gibt, der irrt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12447 (A) (C) (B) (D) Die Bundesregierung tut ja so, als ob Korruption ein merkwürdiges Phänomen wäre, das es nur in Afrika gibt. In unserem Land gibt es eine lange Geschichte von Be- stechung und Korruption. Denken wir nur an Herrn Schäuble, der eine illegale Spende von 100 000 DM vom Waffenhändler Schreiber angenommen hatte und als CDU-Parteivorsitzender zurücktreten musste. Der Journalist Hans Leyendecker hat in seinem neuen Buch Die große Gier die Korruption unter anderem bei Siemens aufgearbeitet. Bemerkenswert ist, dass es im- mer um Korruption im Ausland geht. In Norwegen hat Siemens dem Militär zu hohe Rech- nungen gestellt. Die Sache flog auf, weil ein ehrlicher norwegischer Siemens-Mitarbeiter den Betrug meldete. Allerdings wurde er daraufhin von Siemens entlassen. Wenn Siemens dem norwegischen Militär überhöhte Rechnungen ausstellt, wäre nicht einmal zu überprüfen, ob der Konzern mit der Bundeswehr ähnlich verfährt? Ich habe die Bundesregierung gefragt, welche Konse- quenzen sie aus den massiven Korruptionsvorwürfen ge- genüber Siemens bezüglich der Verträge, die die Bun- desregierung mit dem Konzern geschlossen hat, zieht und ob sie beabsichtigt, die entsprechenden Verträge auf Korruption hin zu überprüfen? Die Bundesregierung ant- wortete: „Anlass zu einer Überprüfung von Verträgen mit Siemens besteht erst dann, wenn der Verdacht vor- liegt, dass Mitarbeiter von Siemens Bedienstete der Bun- desregierung bestochen haben.“ Jeder Bürger, der hört, dass sein Nachbar von einem üblen Versicherungsvertreter über den Tisch gezogen wurde, würde seinen Vertrag, den er mit dem gleichen üblen Versicherungsvertreter abgeschlossen hat, über- prüfen. Doch die Bundesregierung ist da völlig sorgen- frei. Es ist ja auch nicht ihr Geld, sondern das Geld der Steuerzahler. Das Sponsoring der Bundesregierung ist eine Ein- stiegsdroge für Bestechung und Korruption, deshalb for- dert die Linke, die Finanzierung von Empfängen und Bällen in den Bundesministerien durch Unternehmen und Lobbyisten endlich zu beenden. Es geht darum, die Integrität und die Neutralität des Staates zu wahren, aber auch mehr Gerechtigkeit beim Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu politischen Entscheidungen zu erlangen. Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir können es klar benennen: Sponsoring von Bundes- behörden ist und bleibt ein heikles Thema. Denn allzu leicht kann in der Öffentlichkeit der Anschein entstehen, dass sich einzelne Interessengruppen mittels gezielter Sponsorleistungen versuchen die Gunst der Bundesver- waltung zu verschaffen. Aber ist es ratsam, das Kind leichtfertig mit dem Bade auszuschütten, wie von der Linken mit einem kompletten Sponsoring-Verbot hier gefordert? Um es vorweg zu nehmen: Nein, ist es nicht! Denn im Einzelfall kann Sponsoring durchaus von Be- deutung sein: In finanzieller, wie aber auch in ideeller Hinsicht. Lassen Sie uns das Thema doch einmal veranschauli- chen. Der zweite Sponsoring-Bericht für den Zeitraum von 2005 bis 2006 benennt entsprechende Leistungen in einer Gesamthöhe von 80 Millionen Euro. Darunter fal- len Geldleistungen aber auch Sachleistungen. Diese rei- chen von der Umlackierung eines Lkws für das Techni- sche Hilfswerk in Mannheim für knapp 5 000 Euro bis hin zur Bereitstellung von Plakatflächen für die Aids- Präventionskampagne der Bundeszentrale für gesund- heitliche Aufklärung in einem Gegenwert von 11,1 Mil- lionen Euro. Um einmal die Verhältnisse zurechtzu- rücken. Aus den derzeit laufenden Haushaltsberatungen können sie entnehmen, dass der Bundeszentrale für ge- sundheitliche Aufklärung ein jährliches Gesamtbudget von lediglich 7 Millionen Euro zur Verfügung steht. Da- ran lässt sich unschwer erkennen, welche enorme Be- deutung Sponsoring gerade in diesem Bereich hat. Aber es gibt selbstverständlich auch Sponsorleistun- gen, die wir kritisch beäugen. Insbesondere dann, wenn es wie zum Beispiel im Verteidigungsbereich zwischen Sponsoren und der entsprechenden Bundesverwaltung anderweitige vertragliche Beziehungen bestehen. Doch in diesen Fällen ist Transparenz und Offenheit die beste Methode, um möglichen Einflussnahmen zu begegnen. Wer in diesen Bereichen mit unlauteren Mitteln Einfluss nehmen will, wird auf jeden Fall versuchen seine Ano- nymität zu wahren. Deswegen haben wir uns von Bünd- nis 90/Die Grünen dafür eingesetzt, dass das Sponsoring aus dem Schattenbereich ins Licht kommt. Wir haben uns im Rechnungsprüfungsausschuss mehrmals mit der Thematik beschäftigt und glücklicherweise über die Mo- nate hinweg beim zuständigen Bundesinnenministerium einen Sinneswandel bewirken können. Die fehlende na- mentliche Nennung der Sponsoren im ersten Sponso- ring-Bericht wurde anfangs mit abwechselnd skurrilen Begründungen erklärt. In einem Ablehnungsbescheid auf Einsicht in die Namensliste erklärte das Bundesin- nenministerium in einem Schreiben beispielsweise ei- nem Antragsteller: Auf die Namensnennung werde auch deshalb verzichtet, „damit Sponsoren oder Spender durch die Veröffentlichung nicht befürchten müssen, künftig auch von anderer Seite gebeten zu werden, Maß- nahmen, Projekte, etc. zu unterstützen.“ Diese Begrün- dung ist nicht nur völlig abwegig, sondern lässt erst recht Vermutungen ins Kraut schießen, dass es hier wohl et- was zu verheimlichen gibt. Der Verdacht von Parteilich- keit und Beeinflussung ist dann nicht von der Hand zu weisen. Gerade deswegen ist es ungemein wichtig, dass für die Öffentlichkeit in diesem sensiblen Bereich Transpa- renz hergestellt wird. Ein Vertuschen und Tuscheln beschädigt dagegen die eigentlich gute Idee, dass die Bundesverwaltung einzelne Projekte durch eigens bei Unternehmen und Verbänden akquirierte Mittel mitfi- nanziert. Dadurch wird der Bundesverwaltung die Mög- lichkeit eröffnet, neben den regulären Budgetmitteln durch eigene Anstrengungen zusätzliche Maßnahmen durchführen zu können. Dies stärkt meiner Meinung nach im ausgesprochen positiven Sinne die Eigenverant- wortung und den Gestaltungsspielraum der Verwaltung. 12448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Das Bundesinnenministerium hat letztlich unsere Kri- tik aus dem Rechnungsprüfungsausschuss aufgenom- men. Als schmaler Grat zwischen der Gefahr von über- bordender Bürokratie auf der einen Seite und möglichst großer Transparenz auf der anderen Seite soll in Zukunft eine Namensnennung ab einer Wertgrenze von 5 000 Euro vorgesehen werden. Diese Wertgrenze ist ein Kompromiss. Die Mehrzahl der Sponsorleistungen liegt nämlich unterhalb dieser Grenze. Es muss in Zukunft überprüft werden, ob sich diese Grenze als praktikabel erweist. Im Zweifelsfall muss sie dementsprechend an- gepasst werden. Der schmale Grat besteht aber auch darin, dass mit ei- ner neuen Transparenzregelung nicht das Mäzenatentum in der Kulturförderung behindert werden soll. Deswegen braucht es eine scharfe begriffliche Differenzierung zwi- schen Sponsoring, Spende und sonstiger Schenkung. Beim privaten Mäzenatentum sollte dem Wunsch nach Anonymität Rechnung getragen werden können, gerade weil hier im Gegensatz zum Sponsoring eben beispiels- weise keine Gegenleistung in Form von Werbung erwar- tet wird. Die Kulturförderung zeigt exemplarisch, wie kontraproduktiv ein völliger Verzicht auf Sponsoring, Spenden und Schenkungen wäre. Wir brauchen vielmehr eine Regelung die den schma- len Grat meistert. Dies bedeutet: Sponsoring braucht größtmögliche Transparenz. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Große Anfrage: Auswärtige Kulturpolitik – Antrag: Neujustierung der Auswärtigen Kul- turpolitik (Tagesordnungspunkt 33) Harald Leibrecht (FDP): Wenn wir heute über eine Neujustierung der deutschen auswärtigen Kulturpolitik debattieren, müssen wir zunächst einmal den Istzustand analysieren. Wir haben hier vor einem knappen Jahr über die Haushaltssituation in der auswärtigen Kulturpolitik de- battiert. Ich habe damals erklärt – und dazu stehe ich auch heute –, dass ich den erhöhten Haushalt für dieses Ressort natürlich begrüße, dass es aber notwendig ist, Umstrukturierungen in der auswärtigen Kulturpolitik vorzunehmen. Für die FDP ist es dabei von großer Wichtigkeit, dass es zu einer breit gefächerten Vermittlung deutscher Kul- tur kommt, um einer facettenreichen auswärtigen Kul- turpolitik gerecht zu werden. Das heißt, so wichtig natür- lich das Goethe-Institut als Mittler deutscher Kultur ist und so sehr ich die Reformbestrebungen des Goethe- Instituts begrüße, dass wir die zahlreichen anderen Mitt- lerorganisationen mit ihren wichtigen Beiträgen für die deutsche auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht vernachlässigen dürfen. Für ihren mehr als umfangreichen Antrag zur Neujus- tierung auswärtiger Kulturpolitik möchte ich Frau Dr. Eid ganz herzlich danken. Sie sprechen darin viele wichtige Punkte an, auch wenn dieser Antrag wahr- scheinlich vor den Haushaltsberatungen noch besser auf- gehoben gewesen wäre. Ich persönlich bin sehr an einer Revitalisierung der transatlantischen Beziehungen interessiert, die in den letzten Jahren ja arg strapaziert worden sind. Doch denke ich, dass wir uns hier nicht allein auf die Vermitt- lung eines realistischen Deutschlandbildes in den USA konzentrieren sollten. Gleichen Stellenwert muss für uns auch haben, dass wir es schaffen, auch wieder ein realis- tisches Bild der USA hier in Deutschland zu zeichnen. Wenn wir langfristig innovative internationale Ko- operationen auf zivilgesellschaftlicher Ebene vorantrei- ben, sei es im transatlantischen Dialog, bei der noch im- mer zäh verlaufenden europäischen Integration oder in anderen Regionen, zahlt sich das auch für uns aus und ist somit eine sinnvolle Investition in die Zukunft. Erklärtes Ziel der liberalen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind die Darstellung der kulturellen Vielfalt Deutschlands und die aktive Förderung der Ver- breitung der deutschen Sprache. Wir möchten das Inte- resse an Deutschland, seiner Geschichte, Kultur und Politik im Ausland wecken und damit die Voraussetzun- gen für enge und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Partnern schaffen. Auswärtige Kulturpolitik sollte dabei Deutschland nicht nur in sei- nen vielfältigen Teilen, sondern auch als Ganzes wider- spiegeln. Andererseits ist auswärtige Kulturpolitik keine Einbahnstraße. Sie dient ebenso dazu, unsere Aufmerk- samkeit den Kulturen anderer Länder zu schenken und von deren Eigenarten und Vielfalt zu lernen. Das ist, denke ich, ein ganz besonders wichtiger Punkt, wenn wir darüber reden, was auswärtige Kultur- politik zur Krisenprävention beitragen kann. Hier geht es nämlich unter anderem darum, in Zukunft schneller poli- tische Entwicklungen in der Welt zu erkennen und da- rauf reagieren zu können. Daher meine ich, dass wir uns mit unserer Auslands- kulturarbeit frühzeitig in Regionen engagieren müssen, die bislang von unserem Tellerrand gefallen sind. Ich denke zum Beispiel an Zentralasien, wo zum Teil er- schreckende Diktaturen entstanden sind. Aktive Kultur- und Bildungspolitik sollte hier zum Ziel haben, die mit einem aufgeklärten, freiheitlichen, demokratischen Staat verbundenen Werte zu vermitteln. Gerade in der heutigen globalisierten Welt müssen wir lernen, unterschiedliche Kulturen zu verstehen, und uns darum bemühen, von anderen Kulturen besser ver- standen zu werden. Eine effektiv gestaltete auswärtige Kultur- und Bildungspolitik kann einen sehr wichtigen Beitrag dazu leisten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12449 (A) (C) (B) (D) Anlage 14 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 836. Sitzung am 21. Sep- tember 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Drittes Gesetz zur Änderung des Rindfleischeti- kettierungsgesetzes – Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Verbrau- cherinformation – Gesetz über die Aufhebung des Freihafens Bremen – Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftli- chen Engagements – Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport – Gesetz zur Reform des Versicherungsvertrags- rechts – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen – Gesetz zur Umsetzung des VN-Übereinkommens vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearter- roristischer Handlungen – Gesetz zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwi- schen der Europäischen Union und den Vereinig- ten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu dem Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundes- republik Deutschland und den Vereinigten Staa- ten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 26. Mai 2000 über die internationale Beför- derung von gefährlichen Gütern auf Binnenwas- serstraßen (ADN) – Gesetz zu dem Protokoll vom 22. April 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober 1973 zur Errichtung des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage – Viertes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Verbesserung der Qualifizie- rung und Beschäftigungschancen von jüngeren Menschen mit Vermittlungshemmnissen Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die mit dem Ge- setzentwurf intendierte Zielsetzung, mit dem erweiterten Förderangebot zur nachhaltigen beruflichen Integration junger Menschen insbesondere leistungsschwächeren Jugendlichen beim Übergang zwischen Schule und Be- ruf eine zusätzliche Chance zur Aufnahme einer Berufs- ausbildung und zu einem beruflichen Abschluss zu ge- ben. Angesichts der demografischen Entwicklung und der nach wie vor überdurchschnittlich hohen Arbeitslosig- keit auch Jüngerer ohne Berufsabschluss ist die berufli- che Erstausbildung die entscheidende Voraussetzung für den Einstieg ins Erwerbsleben und dauerhafte Beruf- schancen. Nach Auffassung des Bundesrates muss des- halb sichergestellt werden, dass die neuen Qualifizie- rungsinstrumente die Aufnahme und den Abschluss einer Berufsausbildung tatsächlich unterstützen. In Anbetracht dessen hält er den Ansatz des Qualifi- zierungszuschusses, leistungsschwache Jugendliche be- trieblich zu qualifizieren und zu einer Berufsausbildung zu motivieren, grundsätzlich für richtig, aber nicht für hinreichend ausgestaltet. Die betriebliche Qualifizierung im Rahmen einer regulären Beschäftigung verbessert zwar die individuellen Integrationschancen. Entschei- dend für eine nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit ist aber, dass mit den Qualifizierungszuschüssen nach dem SGB III – ein systematischer Kompetenzzuwachs für die Ju- gendlichen erreicht wird, – an bereits in der Einstiegsqualifizierung, in Berufsvor- bereitungsmaßnahmen oder einer abgebrochenen Be- rufsausbildung vermittelte Ausbildungsbestandteile angeschlossen wird, – ein Beitrag zur Vervollständigung einer Berufsaus- bildung geleistet wird und – Maßnahmen gefördert werden, die auf einen Ab- schluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf aus- gerichtet sind. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass Qualifizierungselemente in Maßnahmen nach dem SGB III und dem SGB II an- schlussfähig ausgestaltet werden und sich vorrangig an dem Ziel eines Ausbildungsabschlusses orientieren. Des Weiteren hält der Bundesrat eine zeitlich befris- tete Öffnung der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen für marktbenachteiligte Altbewerberinnen und Altbewerber für erforderlich und bittet, diese Rege- lung bis zum 31. Dezember 2009 zu verlängern. Dabei sollen auch diese Maßnahmen an bereits absolvierte Ausbildungsbestandteile in der Einstiegsqualifizierung, in berufsvorbereitenden Maßnahmen und in einer abge- brochenen Berufsausbildung anschließen. – Zweites Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Perspektiven für Langzeitar- beitslose mit besonderen Vermittlungshemmnis- sen – JobPerspektive 12450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich, dass mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozial- gesetzbuch – Verbesserung der Beschäftigungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen – Jobpers- pektive“ die Integration von arbeitsmarktfernen Menschen mit besonderen Vermittlungshemmnissen in sozialversi- cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt gefördert werden soll. Mit dem Beschäftigungszuschuss soll eine neue Ar- beitgeberleistung für die Einstellung von Arbeitneh- mern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, eingeführt werden. Die Förderdauer soll zunächst bis zu 24 Monate betragen und anschließend ohne zeitliche Unterbrechung unbefristet erbracht werden, wenn eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voraussichtlich in- nerhalb der nächsten 24 Monate nicht möglich ist. Der Bundesrat hat Bedenken, ob die Möglichkeit der Gewährung eines Beschäftigungszuschusses bei Einstel- lung junger Erwachsener unter 25 Jahren nicht die Ver- wirklichung des vorrangigen Ziels der Ausbildung jun- ger Erwachsener gefährden könnte. Außerdem sieht der Bundesrat die Gefahr, dass die Zielsetzung des SGB II, Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Erwerbstätig- keit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu überwinden, durch die Möglichkeit einer unbefristeten Gewährung des Beschäftigungszuschusses unterlaufen werden könnte. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, die Wirkungen des neuen Instrumentes des Beschäf- tigungszuschusses auf die Ausbildung von jungen Er- wachsenen unter 25 Jahren sowie im Hinblick auf die Zielsetzung des SGB II, Hilfebedürftigkeit dauerhaft zu überwinden, nach Ablauf eines Erprobungszeitraumes von drei Jahren zu untersuchen und Bundestag und Bun- desrat über das Ergebnis zu berichten. – Gesetz zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Mit dem vorliegenden Gesetz wird in § 4 Abs. 5 Nr. 2 des Mikrozensusgesetzes 2005 für Frauen im Alter von 15 bis 75 Jahren die Frage nach der „Zahl der lebend ge- boren Kinder“ eingefügt, die alle vier Jahre erhoben wird. Im Gesetzgebungsverfahren zum Mikrozensusgesetz 2005 waren sich fast alle Beteiligten darin einig, dass eine weitere Aufblähung des Fragebogens eine Gefahr für die Qualität der gesamten Mikrozensuserhebung dar- stellt. Deshalb konnte im Vermittlungsverfahren zum Mikrozensusgesetz 2005 der Fragenkatalog einge- schränkt werden. Beim Mikrozensus 2007 umfasst das Frageprogramm für den „Grundbogen“ 158 Fragen. Unter Einbeziehung des Zusatzbogens zum sogen. Ad-hoc-Modul der EU- Arbeitskräftestichprobe erhöht sich der Frageumfang auf 174 Fragen. Der Fragebogen (rd. 40 Seiten), die dazuge- hörigen Erläuterungen und die weiteren Informationen für die Befragten über den Mikrozensus umfassen über 50 DIN-A-4-Seiten. Die beim Gesetzgebungsver- fahren zum Mikrozensusgesetz 2005 befürchtete Über- frachtung des Mikrozensus ist trotz der im Vermittlungs- verfahren erreichten Begrenzung der zusätzlichen Fragen eingetreten. Auch der Gesetzgeber hat die Problematik der Über- frachtung des Mikrozensus gesehen. Deshalb ist in der Verordnungsermächtigung in § 13 Nr. 2 Mikrozensusge- setz 2005 zur Vermeidung einer Erweiterung des Erhe- bungsumfangs die Einführung neuer Erhebungsmerk- male zur Deckung eines geänderten Bedarfs an die gleichzeitige Aussetzung anderer Merkmale gekoppelt. Im aktuellen Gesetzgebungsverfahren wurde diese Kop- pelung mit dem Hinweis auf keine zu erwartenden prak- tikablen Lösungsvorschläge umgangen. Dies ist nicht sachgerecht und im Hinblick auf die Erhaltung der Qua- lität der gesamten Mikrozensuserhebung künftig nicht mehr hinnehmbar. Merkmalsstreichungen führen selbstverständlich im- mer zu Informationsverlusten. Aber nach dem Koaliti- onsvertrag von CDU, CSU und SPD ist auch Bürokratie- abbau ein Ziel der Koalition. Die Erweiterung des Erhebungsumfangs beim Mikrozensus ist mit der „Neu- entlastung von Bürgern, Wirtschaft und Behörden von einem Übermaß an Vorschriften und der damit einherge- henden Belastung durch bürokratische Pflichten“ nicht vereinbar. Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesrat, dass jede künftige Erweiterung des Fragenkatalogs beim Mi- krozensus – und mag sie für sich betrachtet auch noch so berechtigt sein – nicht zu einer Erweiterung des Erhe- bungsumfangs führen darf. – Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Die Bundesregierung wird gebeten, die Auswirkun- gen der neu eingeführten Bereichsausnahme für Schul- bücher bei der Schrankenregelung des § 53 Abs. 3 UrhG sorgfältig zu beobachten und im Fall einer unangemesse- nen Verschlechterung der Bedingungen für den Kultus- bereich der Länder kurzfristig eine Anpassung des Ge- setzes vorzuschlagen. Der Bundesrat spricht sich darüber hinaus dafür aus, nach der Verabschiedung des „Zweiten Korbes“ mög- lichst rasch die Arbeiten an einem „Dritten Korb“ für die Belange von Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Wissens- und Informationsgesellschaft aufzuneh- men. Im Rahmen dieses „Dritten Korbes“ gilt es insbe- sondere – zu prüfen, wie den Besonderheiten von Open Ac- cess- und Open Source-Verwertungsmodellen Rech- nung getragen werden kann; – auf Basis der Ergebnisse eines internationalen Ver- gleichs einen klaren Rechtsrahmen für ein Zweitver- öffentlichungsrecht für Urheber von wissenschaftli- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12451 (A) (C) (B) (D) chen Beiträgen, die überwiegend im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und For- schungstätigkeit entstanden sind, zu schaffen; – über die bisherige Fassung des § 52b UrhG hinaus die Wiedergabe von Werken an elektronischen Lese- plätzen neben öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven auch in Bildungseinrichtungen zu er- möglichen. Darüber hinaus setzt sich der Bundesrat weiter dafür ein, dass – die bestehende Regelung hinsichtlich der öffentli- chen Zugänglichmachung für Unterricht und For- schung (§ 52a UrhG) hinsichtlich bestehender Rechtsunsicherheiten, geltender Bereichsausnahmen sowie ihrer Befristung überprüft wird; – die elektronische Versendung von Fachartikeln durch Bibliotheken nicht mehr begrenzt wird. Die bisheri- gen Regelungen sind nicht ausreichend. Der offene Zugang zu Informationen muss gewahrt bleiben. Die Kernaufgaben der Bibliotheken als Orte der Informa- tionsversorgung sollten nicht zu Gunsten des Mark- tes beschränkt werden. Begründung: Auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 16/5939) wer- den mit einer Ergänzung von § 53 Abs. 3 UrhG Schulbücher von der gesetzlichen Schranke, die die Vervielfältigung zum Gebrauch im Schulunterricht und für Prüfungen erlaubt, ausgenommen. Eine der- artige Vervielfältigung ist damit nur noch mit Einwil- ligung des Berechtigten zulässig. Durch diese soge- nannte Bereichsausnahme sollen Eingriffe in den Primärmarkt der Schulbuchverlage vermieden wer- den. Im Hinblick auf die Vorgaben des Dreistufentests, wonach durch eine Schrankenregelung die normale Verwertung eines Werks nicht beeinträchtigt werden darf, steht die Berücksichtigung der berechtigten In- teressen der Schulbuchverlage bei der Ausgestaltung der Schranke außer Frage. Das klassensatzweise Ko- pieren ganzer Schulbücher oder großer Teile davon ist allerdings bereits nach geltendem Recht nicht zu- lässig. Andererseits ist die Fertigung einzelner Ko- pien in Klassenstärke für Unterricht und Prüfungen notwendig und nicht mehr wegzudenken. So verwen- den die Lehrkräfte für Prüfungen, aber auch zur Er- gänzung oder Vertiefung des Stoffs Aufgaben, Übun- gen und Darstellungen aus Schulbüchern, die nur sie selbst zur Verfügung haben, und die von der Klasse nicht als Lehrmittel verwendet werden. Auch bieten die Verlage spezielle Lehrerhefte an, die ergänzend zu dem Schulbuch für die Schüler unter anderem auch Kopiervorlagen enthalten. Für diese bisher zu- lässigen und im Unterricht unabdingbaren Kopien er- halten die Urheber eine Vergütung gemäß § 54a UrhG. Derartige, für einen modernen, effektiven Unter- richtsablauf auch im Interesse der Schüler weiterhin notwendige Kopien sind künftig nur mit Zustim- mung der Rechteinhaber zulässig. Der Bundesrat geht davon aus, dass seitens der Rechteinhaber nicht beabsichtigt ist, die Kopien grundsätzlich zu verbie- ten. Dies wäre nicht nur aus Sicht der Schulen, son- dern auch aus Sicht der Urheber problematisch, weil die bisherige Vergütung entfallen würde, ohne dass das Verbot wirksam kontrolliert werden könnte. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, unter wel- chen Bedingungen eine Zustimmung erteilt wird. Dies gilt sowohl für das Verfahren als auch für die Frage einer Lizenzzahlung. Zunächst sind daher die Beteiligten (Kultusverwaltung, Schulbuchverlage, Urheber und ZFS – Zentralstelle Fotokopieren an Schulen) aufgefordert, sinnvolle und praktikable Re- gelungen zu treffen, die den Primärmarkt der Schul- buchverlage ausreichend schützen, aber im Schulbe- trieb notwendige Kopien zu angemessenen Bedingungen und ohne Verwaltungsaufwand auf ver- traglicher Basis weiter ermöglichen. Sollte sich aber diese Erwartung nicht erfüllen und die Neuregelung zu Unzuträglichkeiten im Schulbe- trieb oder zu unangemessenen Kosten für die Schu- len, Schulaufwandsträger und Kultushaushalte füh- ren, die durch den notwendigen Schutz des Primärmarkts der Schulbuchverlage nicht gerechtfer- tigt sind, ist eine Änderung des Gesetzes erforder- lich. Die Prüfung sollte zusammen mit der im Jahr 2008 auf jeden Fall erforderlichen Überprüfung zu den §§ 52a und 137k UrhG erfolgen. Darüber hinaus bleibt die Schaffung eines bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts für die sich herausbildende globale Wissens- und Informa- tionsgesellschaft ein zentrales bildungs- und for- schungspolitisches Ziel. Dafür hat sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, dem "Zweiten Korb", vom 19. Mai 2006 – Bundesratsdrucksache 257/06 (Beschluss) – mit Nachdruck eingesetzt. Auf den Entschließungs- antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung des Deutschen Bundestages vom 4. Juli 2007 wird ebenfalls verwiesen (Bundestags- drucksache 16/5939, S. 26). Mit der Umsetzung des „Zweiten Korbes“ zur Änderung des Urheberrechts wurde zwar ein Schritt auf dem Weg zu einem sol- chen bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urhe- berrecht unternommen. Diesem müssen jedoch wei- tere Schritte folgen. Notwendig ist ein „Dritter Korb“ zur Novellierung des Urheberrechts, der die spezifi- schen Anforderungen von Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Wissens- und Informationsge- sellschaft sowie der zunehmend wissensbasierten Wirtschaft stärker in den Mittelpunkt rückt und den rasanten technologischen Entwicklungen im IuK-Be- reich sowie den Rahmenbedingungen für die neuen Lehr- und Lernplattformen (beispielsweise e-Lear- ning, Distance Teaching, Online Instructioning usw.) Rechnung trägt. Auf der Grundlage des Open-Access-Prinzips könnte die Chance für innovative, attraktive und elektroni- schen Umgebungen angemessene Organisations- und 12452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 (A) (C) (B) (D) Geschäftsmodelle für Publikation und Distribution von Wissen eröffnet werden, die auch Verlagen und der gesamten Informationswirtschaft neue Möglich- keiten zur Erschließung von Publikations- und Dis- tributionsmärkten bieten. In den USA („government purpose license“) und Großbritannien („crown copy-right“) können Urhe- ber, die bei aus Steuermitteln finanzierten Einrich- tungen beschäftigt sind, Nutzungsrechte an Verlage nur eingeschränkt übertragen. Auf Grund eines inter- nationalen Vergleichs muss ein verlässlicher rechtli- cher Rahmen für ein Zweitveröffentlichungsrecht bei Wissenschaftspublikationen geschaffen werden, wie dies in AGB großer internationaler Wissenschafts- verlage teilweise bereits, aber auch in wenig transpa- renter Differenzierung, möglich ist. Um Bildungseinrichtungen, deren Bildungsauftrag unzweifelhaft ist, nicht un-verhältnismäßig von der dynamischen technologischen Entwicklung abzu- koppeln und deren Nutzerinnen und Nutzern nicht moderne Nutzungsmöglichkeiten zu verwehren, sind eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des im "Zweiten Korb" eingeführten § 52b UrhG, wozu die Urheberrechtsrichtlinie die Möglichkeit eröffnet, und eine Präzisierung des Anwendungsbereichs von § 52a UrhG sowie dessen vollständige Entfristung er- forderlich. – Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes Er hat beschlossen: 1. festzustellen, dass das Gesetz nicht seiner Zustim- mung bedarf und 2. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundge- setzes nicht zu stellen. Begründung zu Ziffer 1: Das Gesetz bedarf nach der Föderalismusreform nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates. – Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsver- fahren Er hat beschlossen: – festzustellen, dass das Gesetz seiner Zustimmung be- darf und – dem Gesetz zuzustimmen. Begründung zur Zustimmungsbedürftigkeit: Entgegen der Eingangsformel im Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 21. Juni 2007 bedarf das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 des Grundgesetzes. Dies folgt aus § 73 BImSchG in der Fassung von Ar- tikel 2 Nr. 6 des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2819). Danach kann von dem in diesem (Bundes-Immissionsschutz-) Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes getroffenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens durch Lan- desrecht nicht abgewichen werden. Mit dieser erst in den damaligen Beratungen des Bundestages einge- fügten Regelung sollen Abweichungsbefugnisse der Länder nach Artikel 84 Abs. 1 Satz 2 GG und Artikel 125b Abs. 2 GG ausgeschlossen werden. In der hierzu gehörenden Beschlussempfehlung (Bundestags- drucksache 16/3311, S. 16) wird das besondere Be- dürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung i.S.d. Ar- tikels 84 Abs. 1 Satz 5 GG ausführlich begründet. Das Gesetz wurde (u.a. durch diese Regelung) zu- stimmungsbedürftig i.S.d. Artikels 84 Abs. 1 Satz 6 GG und mit Zustimmung des Bundesrates beschlos- sen. Da § 73 BImSchG i.d.F. des Öffentlichkeitsbeteili- gungsgesetzes die Abweichungsbefugnis des Lan- desgesetzgebers generell für alle Regelungen des Verwaltungsverfahrens nach dem Bundes-Immis- sionsschutzgesetz (in seiner jeweils geltenden Fas- sung) ausschließt, bedürfen auch spätere Gesetzesän- derungen zum Verfahrensrecht der Zustimmung des Bundesrates. Eine solche Änderung sieht aber Arti- kel 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Reduzierung und Be- schleunigung von immissionsschutzrechtlichen Ge- nehmigungsverfahren mit der als § 12 Abs. 1 Satz 3 in die 9. BImSchV einzufügenden verfahrensrechtli- chen Neuregelung vor. Nach Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG ist dieses Gesetz daher zustimmungsbe- dürftig. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestal- tung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – Rahmen- pläne 2006 bis 2009 und 2007 bis 2010 – Drucksachen 16/310, 16/413 Nr. 1.6 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten des Sachverständigenrates für Um- weltfragen Umweltverwaltungen unter Reformdruck – Herausfor- derungen, Strategien, Perspektiven – Drucksachen 16/4690, 16/5327 Nr. 1 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12453 (A) (C) (B) (D) Innenausschuss Drucksache 16/4258 Nr. 2.22 Finanzausschuss Drucksache 16/6041 Nr. 1.10 Drucksache 16/6041 Nr. 2.5 Drucksache 16/6041 Nr. 2.6 Drucksache 16/6041 Nr. 2.7 Drucksache 16/6041 Nr. 2.21 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/5505 Nr. 2.26 Drucksache 16/5681 Nr. 1.4 Drucksache 16/5806 Nr. 1.3 Drucksache 16/6041 Nr. 1.4 Drucksache 16/6041 Nr. 2.3 Drucksache 16/6041 Nr. 2.4 Drucksache 16/6041 Nr. 2.19 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 16/3196 Nr. 1.52 Drucksache 16/3573 Nr. 2.6 Drucksache 16/5199 Nr. 2.3 Drucksache 16/5806 Nr. 1.5 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 16/4939 Nr. 1.3 Drucksache 16/6041 Nr. 2.15 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 16/6041 Nr. 1.1 Drucksache 16/6041 Nr. 1.2 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 16/2555 Nr. 2.116 Drucksache 16/5199 Nr. 1.3 Drucksache 16/6041 Nr. 1.3 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 16/6041 Nr. 1.11 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 16/4939 Nr. 2.9 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 16/3382 Nr. 2.34 Drucksache 16/3897 Nr. 1.10 Drucksache 16/4105 Nr. 2.47 Drucksache 16/4501 Nr. 2.10 Drucksache 16/4939 Nr. 2.16 119. Sitzung Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611900000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Ich wünsche uns einen guten Morgen und min-
destens ähnlich gute Beratungen im Rahmen unserer
heutigen Tagesordnung.

Auf der Ehrentribüne hat der Parlamentspräsident
von Kanada, der Speaker des House of Commons,
Peter Milliken, mit seiner Delegation Platz genommen.
Ich begrüße Sie, lieber Peter Milliken, und Ihre Kolle-
ginnen und Kollegen ganz herzlich hier im Deutschen
Bundestag.


(Beifall)


Die seit vielen Jahren enge und freundschaftliche Bezie-
hung zwischen unseren Ländern wird auch in der Zu-
sammenarbeit unserer beiden Parlamente deutlich und
hat sich nicht zuletzt im Rahmen der G-8-Parlamentsprä-
sidenten-Treffen bewährt. Für Ihren Aufenthalt in Ber-
lin, den anschließenden Aufenthalt in Dresden und Ihr
weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere
besten Wünsche.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:

Rede
a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Internatio-
nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha-

(International Security Assistance Force, ISAF)

der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember
2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002)
vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom
13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. Septem-
ber 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005,
1707 (2006) vom 12. September 200

(2007) vom 19. September 2007 des

rates der Vereinten Nationen

– Drucksachen 16/6460, 16/6612 –
tzung

12. Oktober 2007

.01 Uhr

Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Detlef Dzembritzki
Dr. Werner Hoyer
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller (Köln)


– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 16/6633 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Lothar Mark
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

ordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE zu der Beratung des
Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Internatio-

text
nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha-

(International Security Assistance Force, ISAF)

der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember
2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002)
vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom
13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. Septem-
ber 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005,
1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776

(2007) vom 19. September 2007 des Sicherheits-

rates der Vereinten Nationen
– Drucksachen 16/6460, 16/6461, 16/6613 –
Berichterstattung:

rdnete Bernd Schmidbauer
Dzembritzki
rner Hoyer

ang Gehrcke
6 und 1776
Sicherheits-

Abgeo
Detlef
Dr. We
Wolfg

Kerstin Müller (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Zu dem Antrag der Bundesregierung liegen ein Ent-
schließungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein weite-
rer Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und
zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum
Antrag der Bundesregierung werden wir am Ende dieser
Debatte namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster erhält das Wort
der Kollege Detlef Dzembritzki für die SPD-Fraktion. –
Ich stelle fest, dass Sie ein bisschen verblüfft sind. Aber
ich folge wie immer den Empfehlungen, die die Ge-
schäftsführer – sicher mit guten Gründen – ausgehandelt
haben.

Bitte schön, Herr Dzembritzki, Sie haben das Wort.


Detlef Dzembritzki (SPD):
Rede ID: ID1611900100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

gibt bösere Überraschungen als die, als Erster am Freitag
im Bundestag zu sprechen.

Diese Debatte ist ernst, diese Debatte ist wichtig. Wir
Sozialdemokraten haben nach der Diskussion im
Herbst 2006 die Konsequenz gezogen, eine Taskforce,
eine Arbeitsgruppe, einzurichten, der Kollegen angehö-
ren, die Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Aus-
schuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, im Verteidigungsausschuss, im Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe und im Innenaus-
schuss sind. Diese Taskforce setzt sich mit den besonde-
ren Herausforderungen auseinander, die sich für uns in
Afghanistan stellen. Wir haben uns in jeder Sitzungs-
woche getroffen und intensiv gearbeitet. Wir haben uns
bemüht, aufzuarbeiten, was in den zurückliegenden Jah-
ren in Afghanistan geschehen war. Wir haben die
aktuelle Arbeit begleitet, und wir haben natürlich inten-
sive Gespräche in Afghanistan, in Washington und in Ot-
tawa geführt.

Ich freue mich sehr, dass der Parlamentspräsident Ka-
nadas hier ist; denn gerade unsere kanadischen Freunde
sind in Afghanistan sehr aktiv und haben ein großes Op-
fer gebracht. Unser Respekt, unsere Dankbarkeit und un-
sere Anerkennung gelten insbesondere Ihrem Land, Ih-
ren Menschen, die sich so solidarisch in Afghanistan
einbringen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Kernerkennt-
nis dieser Arbeit von zwölf Monaten und dieser Ge-
spräche mit Kollegen auch aus anderen nationalen Par-
lamenten ist, dass wir in Afghanistan alle sehr eng
zusammenarbeiten und uns dort inhaltlich nichts trennt.
Wir haben allerdings festgestellt, dass wir noch entschie-
den besser werden können; das ist auch bei einer Kon-
ferenz vor wenigen Tagen gemeinsam mit der Friedrich-
Ebert-Stiftung und der kanadischen Botschaft deutlich
geworden, einem „international round table“ mit Exper-
ten aus den Vereinigten Staaten, aus europäischen Län-
dern, mit Kollegen aus nationalen Parlamenten. Wir
können durch mehr Kooperation, durch mehr Abstim-
mung und durch die Mittel, die wir im personellen wie
im materiellen Bereich zur Verfügung stellen, eine grö-
ßere Wirkung für die Menschen in Afghanistan errei-
chen. Viele fragen sich dort: Wo bleiben eigentlich die
Milliarden, die die internationale Gemeinschaft ein-
bringt? Wo kommen sie bei den Menschen an? – Wir
müssen tatsächlich noch mehr dafür sorgen, dass sie die
Menschen in Afghanistan direkt erreichen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Die internationale Gemeinschaft hat einige Instru-
mente geschaffen. Im Afghanistan Compact haben wir
die Vereinbarung, dass sich die politischen Direktoren
der Außenministerien mit der afghanischen Regierung
regelmäßig treffen. Hier muss sehr schnell geprüft wer-
den, ob nicht durch intensivere Treffen, durch häufigere
Zusammenkünfte eine bessere Abstimmung im interna-
tionalen Bereich erreicht werden kann.

Wir haben aber auch sehr deutlich erfahren, dass die
Entscheidungen, die wir hier im Haus treffen, nicht nur
für die Bundeswehr, nicht nur für unsere Menschen im
Land von entscheidender Bedeutung sind, sondern im-
mer auch in unmittelbarer Wirkung zu unseren Partnern,
zu den Mitakteuren in Afghanistan stehen. Alle Länder,
die in Afghanistan aktiv sind, achten auch darauf, wie
der Bundestag entscheidet. Deswegen ist es umso wich-
tiger, zu erreichen, über diese Jahresentscheidung hinaus
eine Verbindlichkeit für unser Handeln festzustellen. Die
Mitakteure in Afghanistan, aber auch die Menschen dort
sollen wissen, dass wir uns nicht nur von Jahr zu Jahr
einbringen, sondern für einen längeren Zeitraum zur
Verfügung stehen. Das Günstigste wäre, den Afghanis-
tan Compact, der eine Wirkung für den Zeitraum von
2006 bis 2011 haben soll, dafür als Instrument zu nutzen,
um vom Bundestag aus zu signalisieren: Das ist unsere
Richtschnur; das ist unsere verbindliche Aussage an die
Kanadier, Niederländer, Australier und all die anderen,
die in Afghanistan aktiv sind. – Diese solidarische Geste
ist notwendig. Sie brächte ein Stückchen Sicherheit für
unsere Menschen, für unsere Soldaten, für unsere Ent-
wicklungshelfer in Afghanistan und würde uns nicht so
verwundbar machen, wie wir es im Augenblick sind, in-
dem durch kriminelle Maßnahmen der Versuch unter-
nommen wird, unsere Entscheidungen hier im Land zu
beeinflussen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen uns aber auch noch einmal intensiv mit
den Feldern beschäftigen, die in besonderer Weise dafür
entscheidend sind, dass – der Einsatz der internationalen
Gemeinschaft ist die Grundlage unserer Arbeit in Afgha-
nistan – die afghanischen Verantwortungsträger, Regie-
rung und Parlament, befähigt werden, die Sicherheit in
Afghanistan herzustellen. Das heißt, wir müssen uns in-
tensiv anschauen: Was geschieht eigentlich beim Poli-
zeiaufbau? Was passiert beim Armeeaufbau? Was ist mit
der Justiz? Da muss insgesamt noch ein Stückchen mehr
Professionalität erreicht werden. Wir müssen den Bedarf






(A) (C)



(B) (D)


Detlef Dzembritzki
kennen; er wird bei der Polizei auf 60 000, beim Militär
auf 70 000 geschätzt. Bei der Justiz ist bisher verhältnis-
mäßig wenig Konkretes formuliert, was alles geschaffen
werden müsste.

Wenn wir uns Polizei und Armee anschauen, dann
stellen wir fest, dass der errechnete Bedarf bei weitem
unterschritten wird. Ich bin der Regierung für den offe-
nen Bericht, den sie vorgelegt hat, und das Konzept sehr
dankbar. Sie schreibt selbst, dass zum Beispiel von den
30 000 ausgebildeten Soldaten maximal 17 000 zur Ver-
fügung stehen. Wir müssen uns Gedanken machen: Wo
sind die anderen geblieben? Wir brauchen eine weitaus
größere Kapazität. Dabei spielt die Frage von Bezahlung
und von Zuverlässigkeit eine Rolle. Aber wir müssen
auch wissen: Wie viel Kapazität brauchen wir, braucht
die internationale Gemeinschaft, um die Armee zu befä-
higen, die Aufgaben selbstständig zu übernehmen? Das
Gleiche gilt für die Polizei. Das Gleiche gilt für die Jus-
tiz. Dann müssen die entsprechenden materiellen und
personellen Ressourcen so zur Verfügung gestellt wer-
den, dass eine Chance besteht, bis zum Jahr 2011 das
Ziel von Afghanistan Compact, dieser internationalen
Vereinbarung, zu erreichen.


(Beifall bei der SPD)


Erreichen wir es nicht, dann wird es nicht möglich sein,
unser Engagement schrittweise zurückzunehmen. Im
Augenblick müssen wir unser Engagement verstärken,
um dieses Ziel zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das ist die Botschaft, die aus diesem Haus hinausgehen
muss.

Ich will abschließend noch sagen, dass die Besuche
dort und die Gespräche mit afghanischen Kollegen im-
mer wieder zeigen: Die Menschen in Afghanistan wollen
Frieden, wollen Sicherheit, wollen Entwicklung.
Schauen Sie sich zum Beispiel die Ausstellung des Ver-
teidigungsministeriums an! Ich habe gerade eine Aus-
stellung im Goethe-Institut in Washington erlebt. Da war
ein Workshop junger Afghanen. „Nichts als Leben“ war
die Überschrift. Sie müssen sich die Bilder anschauen.
Sie müssen sich vergegenwärtigen, welchen kulturellen
Anspruch die Menschen haben, welchen Wunsch nach
friedlichem Zusammenleben diese Bilder widerspiegeln.
Sehr schön fand ich auch ein Theaterfestival vor einigen
Wochen in Kabul: ohne Schüsse, ohne kriminelle Taten.
Hunderte, Tausende von Menschen sind zusammenge-
kommen, haben dieses Theaterfestival gefeiert.

Es wird immer davon gesprochen, dass wir Leucht-
türme schaffen wollen. Dabei geht es nicht nur um die
schnelle Realisierung von Krankenhausbauten zum Bei-
spiel in Masar oder von Schulen, sondern auch darum,
dabei zu helfen, dass solche kulturellen Möglichkeiten
wahrgenommen werden können. Ich erinnere mich an
die Nachkriegszeit in Berlin. Jedes Theater, jede Oper,
jede Ausstellung, die es in den Nachkriegsjahren in Ber-
lin gab, wurde mit Freude und in einer besonderen Weise
wahrgenommen. In Kabul ist das sicherlich in gleicher
Weise möglich. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, vielleicht auch noch ein Leuchtturmprojekt „Natio-
naltheater in Kabul“.

In diesem Sinne viel Erfolg für unsere Arbeit!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611900200

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Guido

Westerwelle für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Rede ID: ID1611900300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag wird
dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des
Einsatzes in Afghanistan zustimmen. Wir stimmen die-
sem Antrag deshalb zu, weil er nicht nur gedacht ist, um
Afghanistan zu helfen, sondern weil es auch um uns und
unsere eigenen Interessen geht. Es geht nicht nur um ei-
nen Akt der Solidarität mit dem afghanischen Volk, es
geht auch ganz handfest um unsere eigene Sicherheit
und unsere eigene Freiheit auf dem europäischen Konti-
nent. Wir tun das für Afghanistan und noch mehr für uns
selbst.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


In dem Augenblick, in dem sich die friedliche Völker-
gemeinschaft und diejenigen, die in Afghanistan für
Freiheit kämpfen und eintreten, aus Afghanistan zurück-
ziehen, in dem Augenblick – am Tag danach – wird Ka-
bul wieder zur Hauptstadt des Terrorismus der Welt. All
denen, die sagen, es sei nichts erreicht worden, denen
möchte ich entgegnen: Das ist eine ungewöhnlich igno-
rante und törichte Betrachtung. Es ist unglaublich viel
erreicht worden:


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Die Kinder können wieder zur Schule gehen. Mädchen
können zur Schule gehen. Frauen, die vergewaltigt wor-
den sind, wurden früher gesteinigt. Jetzt haben sie wie-
der Chancen auf ein einigermaßen erträgliches Leben.
Ja, die Armut ist immer noch groß. Ja, es gibt Drogen-
handel. Ja, es gibt Korruption. Aber all das ist im Ver-
gleich zu den vorherigen Barbareien der Taliban gar
nichts, meine sehr geehrten Damen und Herren. Auch
das muss einmal gesagt werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Manche meinen ja, das alles sei nun Schnee von ges-
tern. Welches barbarische Potenzial in diesen Taliban-
terroristen steckt, das hat eine kleine, in Europa wenig
beachtete, aber, wie ich finde, unglaublich grausame
Nachricht gezeigt, die in der letzten Woche ver-
öffentlicht worden ist: Da wird im Süden Afghanistans
ein 15-jähriger Junge mit ein paar Dollar, die er in der






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Guido Westerwelle
Tasche gehabt hat, um sein karges Leben vielleicht etwas
wohlhabender – so könnte man sagen – organisieren zu
können, von den Taliban erwischt und anschließend auf-
gehängt. Die Schlinge wird dann noch langsam hochge-
zogen, damit der Weg in den Tod möglichst lange dauert.

Ich möchte nicht – ich bin fest davon überzeugt, das
gilt auch für die große Mehrheit des Deutschen Bundes-
tages und für die große Mehrheit unseres Volkes –, dass
so etwas quasi organisiert in Afghanistan wieder passie-
ren kann.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kann ich der Bundesregierung nur anempfeh-
len, dass sie die Überlegungen, die sie uns im Kanzler-
amt und auch an anderer Stelle vorgetragen hat, weiter-
hin anstellt.

Ich denke, dass wir um unserer selbst willen gar nicht
anders können, als dort Erfolg zu erzielen. All denjeni-
gen, die meinen, der Erfolg sei ausgeschlossen, möchte
ich energisch widersprechen, auch vor dem Hintergrund
und den Eindrücken meiner gerade stattgefundenen
Reise mit vielen Gesprächen dortselbst. Ein Erfolg für
die friedliche Völkergemeinschaft in Afghanistan ist
möglich, wenn wir bereit sind, dafür auch etwas zu tun,
und zwar mehr und anderes, als bisher getan wurde. Es
reicht für den Aufbau von Polizeistrukturen nicht aus,
eine Handvoll Polizeibeamte nach Afghanistan zu schi-
cken und ein paar Handschellen und ein paar Gummi-
knüppel mitzuliefern. Wenn wir jemals wieder aus Af-
ghanistan herauswollen, müssen wir dafür sorgen, dass
dort eigene staatliche Strukturen entstehen. Dazu zählt
auch eine funktionierende Polizeistruktur. Das muss zu
einem Schwerpunkt unserer Arbeit werden.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man mit den Leuten beispielsweise in Kunduz
spricht – Sie haben während Ihrer Amtszeit als Verteidi-
gungsminister ähnlich gesprochen und einem das auch
anempfohlen –,


(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!)


und zwar nicht nur mit den Dorf- bzw. Stammesältesten,
sondern auch mit den vielen Entwicklungshelfern, dann
kann es dazu kommen, so wie es Kollegin Homburger,
Kollegen van Essen und mir passiert ist, dass man plötz-
lich zwei deutschen Polizeibeamten gegenübersteht und
– es war meine erste Reise nach Afghanistan – erzählt
bekommt, was alles nötig ist. Dabei bekommt man auch
eine Ahnung von der Größe und von den Entfernungen,
die überwunden werden müssen. Afghanistan ist ja dop-
pelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Als
ich dann die beiden fragte: „Was machen Sie hier?“, be-
kam ich zur Antwort: „Wir bauen hier den Polizeiappa-
rat auf“. Ich fragte: „Wer hilft Ihnen denn?“ Die Antwort
lautete: „Nein, nein, wir sind die beiden Einzigen“. Da-
bei haben sie, wenn sie innerhalb des von ihnen betreu-
ten Gebietes von einem Ende zum anderen gelangen
wollen, Fahrzeiten von ungefähr elf Stunden zu über-
winden. Dass zwei Polizeibeamte Polizeistrukturen in
der gesamten Region Kunduz/Tachar, für die sie zustän-
dig sind, aufbauen, ist schlechterdings unmöglich.

Nun muss der Deutsche Bundestag meines Erachtens
nicht nur A, sondern auch B sagen. Ich sage es ganz klar:
Wir wollen Erfolg in Afghanistan. Das heißt aber auch:
Wir müssen Geld für den Polizeiaufbau in die Hand neh-
men. Das sollten wir hier alle gemeinsam beschließen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte etwas an diejenigen gerichtet sagen, die
vor Ort für uns arbeiten. Ich glaube, nur wenn man ein-
mal dort gewesen ist, bekommt man eine Ahnung davon,
unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten: die-
jenigen, die als zivile Helfer Schulen aufbauen oder als
Polizeibeamte tätig sind, und auch unsere Soldatinnen
und Soldaten. Das anzusprechen, ist für mich ein wichti-
ges Anliegen, weil ich persönlich erlebt habe, unter wel-
chen Bedingungen unsere Soldatinnen und Soldaten und
die Entwicklungshelfer und Aufbauhelfer Dienst tun.
Damit die Soldatinnen und Soldaten, die Bürgerinnen
und Bürger, die dort für Deutschland arbeiten, nicht den
Eindruck bekommen, dieses Land stünde nicht hinter ih-
nen, sage ich hier für meine Fraktion – und ich glaube,
auch für einen großen Teil dieses Hauses –: Wir sind
dankbar für die Arbeit unserer Soldatinnen und Solda-
ten. Ich füge hinzu: Ich bin geradezu stolz auf die Arbeit
der Soldatinnen und Soldaten und all der Aufbauhelfer
in Afghanistan vor Ort. Deren Arbeit ist gefährlich und
nötig zugleich.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte mit zwei kurzen Bemerkungen an diejeni-
gen, die den Antrag heute ablehnen werden, schließen.
Ich respektiere es, wenn Kolleginnen und Kollegen auf-
grund von Überlegungen zu einem anderen Ergebnis
kommen. Zwei Dinge respektiere ich allerdings nicht:
erstens das, was in der letzten Debatte gesagt worden ist
– Herr Kollege Gysi, ich glaube, Sie waren es, der das
hier eingebracht hat –, nämlich dass nur 2 Millionen
Mädchen wieder in der Schule seien und dass es viel
mehr sein müssten. Das empfinde ich, offen gestanden,
als zynisch; denn Afghanistan ist eines der ärmsten Län-
der der Welt.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der
Linksfraktion darum, damit aufzuhören, zu behaupten,
dieser Einsatz sei durch Recht und Gesetz nicht ge-
deckt. Dieser Einsatz entspricht Recht und Gesetz, dem
internationalen Völkerrecht und ausdrücklich auch unse-
rem nationalen Verfassungsrecht.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS Dr. Guido Westerwelle SES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der LINKEN)





(A) (C)


(B) (D)


Unsere Soldatinnen und Soldaten arbeiten dort auf der
Basis unserer Verfassung. Jede andere Behauptung ist
Polemik und dient in Wahrheit nur der Attacke.

Ich möchte an die Kolleginnen und Kollegen der Grü-
nen ein Schlusswort richten.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)


Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie der Sache
nach dem Antrag nicht zustimmen wollen, dann ist das
Ihr gutes Recht. Aber eines finde ich persönlich nicht ak-
zeptabel: Wenn Sie der Meinung sind, dass dieser Ein-
satz richtig ist, dann müssen Sie heute als Abgeordnete
für dieses Mandat stimmen. Für den Einsatz zu sein,
aber, weil ein Parteitag anders entschieden hat, hier ge-
gen das eigene Gewissen zu entscheiden, entspricht
nicht dem Auftrag, den Sie nach der Verfassung haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich hoffe sehr, dass es eine große Mehrheit für den
Antrag in diesem Hause gibt. Wir als Oppositionsfrak-
tion werden den Regierungsfraktionen jedenfalls beiste-
hen, wenn dieser Einsatz heute mit großer Mehrheit be-
schlossen wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611900400

Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1611900500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!

In Afghanistan geht es in der Tat zunächst um unsere ei-
gene Sicherheit; das hat der Kollege Westerwelle gerade
in seiner Rede überzeugend dargestellt. Das machen die
Bilder vom 11. September 2001 deutlich, aber auch die
Tatsache, dass glücklicherweise und mit großem Auf-
wand und beeindruckender Leistung unserer Sicherheits-
behörden die Anschläge haben vereitelt werden können,
die in Pakistan und dann im Sauerland vorbereitet wor-
den sind. Wenn wir uns heute die Lage in Pakistan an-
schauen, in den Tribal Areas, wo die Situation der in Af-
ghanistan vor 9/11 vergleichbar ist, wird deutlich: Wenn
es nicht gelingt, Afghanistan zu stabilisieren, dann ist
auch jede Lösung für Pakistan unmöglich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Afghanistan ist ein Land von enormer geopolitischer
Bedeutung.


(Zuruf von der LINKEN)

– Sie haben mit Ihrem Hinweis, dass Afghanistan für uns
schon seit längerem eine enorme geopolitische Bedeu-
tung hat, völlig recht; denn dass die Wiedervereinigung
in Freiheit und die Einigung Europas stattfinden konn-
ten, hat auch wesentlich mit Afghanistan zu tun. Die de-
mokratischen Kräfte in Kabul – unter ihnen der Verteidi-
gungsminister Wardak – sagen deutlich, dass es in
Afghanistan Enttäuschung über den Westen gibt. Afgha-
nistan hat mit dem Widerstand gegen die Okkupation
durch die Sowjetunion mit dafür gesorgt, dass die
Sowjetunion ihren Hegemonialanspruch in Mittel- und
Osteuropa nicht mehr aufrechterhalten konnte. Der
Kampf der Afghanen gegen diese Besatzung hat also
auch dazu geführt, dass die Wiedervereinigung Deutsch-
lands in Freiheit und die Einigung Europas möglich ge-
worden sind.

Das heißt, unser Land hat wesentlich von dem profi-
tiert, was die Afghanen in der Vergangenheit geleistet
haben. Aber danach hat der Westen dieses Land verges-
sen. Das ist ein Grund dafür, dass es zu 9/11 hat kommen
können. Die terroristischen Aktivitäten, die heute die Si-
cherheit unseres Landes bedrohen, entstammen dem
Umfeld Afghanistans. Deswegen ist dieses Land für uns
von so großer geopolitischer Bedeutung. Es liegt daher
in erster Linie in unserem eigenen Interesse, dass wir bei
der Stabilisierung dieses Landes erfolgreich sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611900600

Herr Kollege von Klaeden, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Gehrcke?


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1611900700

Gern.


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611900800

Herr Kollege von Klaeden, da Sie eben auf den afgha-

nischen Widerstand gegen die sowjetische Besatzung
abgehoben haben, möchte ich Sie fragen: Würden Sie
mir recht geben, dass ein wesentlicher Teil dieses Wider-
standes, den Sie eben gelobt haben, von den Taliban, ei-
ner von Pakistan und der CIA aufgebauten Widerstands-
organisation, geleistet worden ist?


(Jörg van Essen [FDP]: Das fragt natürlich ein Altkommunist aus dem Westen!)


Herr Westerwelle hat zu Recht die menschenverach-
tende Politik der Taliban kritisiert. Man sollte sich daher
in der Argumentation nicht auf die Taliban berufen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1611900900

Herr Kollege Gehrcke, ich danke Ihnen herzlich, dass

Sie mir die Gelegenheit geben, auf diese Frage zu ant-
worten. Sie wiederholen die in Deutschland weit ver-
breitete, aber dennoch falsche Propaganda, dass die Tali-
ban eine Folge der Handlungen der CIA gewesen seien.






(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden

(Lachen bei der LINKEN)


In Wirklichkeit sind die Taliban eine fundamentalisti-
sche islamistische Bewegung, die sowohl aus Afghanis-
tan als auch aus Pakistan kommt und die insbesondere
vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt worden
ist. Die Amerikaner haben sich vor allem um die Unter-
stützung der Mudschahedin gekümmert.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Einer ihrer Repräsentanten ist der Verteidigungsminister
Wardak, der heute als Mitglied der afghanischen Regie-
rung mit uns gemeinsam für mehr Sicherheit in diesem
Land sorgen will.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich finde es bemerkenswert, dass Sie diesen Punkt
hier ansprechen; denn Ihre Partei hat, was die Herausfor-
derung hinsichtlich unserer Sicherheitslage und der Ver-
teidigung unserer Freiheit angeht, in allen drei Phasen
versagt. Als es in der ersten Phase während des Kalten
Krieges darum ging, in der NATO mit unseren Verbün-
deten gemeinsam dafür zu sorgen, die Freiheit und die
Sicherheit Deutschlands und Westeuropas zu gewähr-
leisten, hat Ihre Partei auf der anderen Seite gestanden.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Als es in der zweiten Phase der NATO-Politik darum
ging, die Freiheit nach Mittel- und Osteuropa auszudeh-
nen, die Staaten dort zu stabilisieren und ihnen die Mög-
lichkeit zu geben, Rechtsstaaten zu werden und die
Marktwirtschaft einzuführen, und als es darum ging, den
Massenmord in Jugoslawien zu verhindern, hat Ihre Par-
tei auf der anderen Seite gestanden. Herr Gysi ist sogar
nach Jugoslawien gefahren und hat Milošević umarmt.

Jetzt, wo es in der dritten Phase darum geht, Gefahren
von unserem Land abzuwenden, die von Extremisten
ausgehen und die weit außerhalb unserer Grenzen entste-
hen, steht Ihre Partei wieder auf der anderen Seite.


(Zurufe von der LINKEN)


Als der Kollege von Herrn Blechschmidt – er ist glückli-
cherweise freigekommen – ermordet worden ist, war uns
allen bekannt, dass diese Tat keinen politischen, sondern
einen kriminellen Hintergrund hatte. Trotzdem hat Ihr
Fraktionsvorsitzender Gysi genauso wie die Taliban die-
ses feige Verbrechen zum Anlass genommen, zum Ab-
zug der Bundeswehr aus Afghanistan aufzurufen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)


Damit hat er sich auf die Propaganda der Taliban einge-
lassen, die die Diskussion bei uns sehr genau beobachten
und versuchen, durch Anschläge – auch in den letzten
Tagen – die Entscheidung dieses Parlaments zu beein-
flussen. Sie müssen sich einmal fragen, auf welcher
Seite Sie stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Afghanistan wegen seiner besonderen geopoliti-
schen Bedeutung für Freiheit und Stabilität zu sorgen, ist
eine Aufgabe, die sich die freie Welt gemeinsam gestellt
hat. Deswegen will ich hier einmal darauf hinweisen,
dass das Ganze kein Engagement der Bundesrepublik
Deutschland allein ist, sondern sich 26 NATO-Staaten
im Bündnis gemeinsam in Afghanistan engagieren und
sich neben diesen 26 NATO-Staaten weitere 11 Staaten,
die nicht Mitglied der NATO sind, in Afghanistan betei-
ligen, um dort für Freiheit, Sicherheit und Stabilität zu
sorgen. Dazu gehören Länder wie Australien, Neusee-
land, Österreich oder Schweden. All diese Länder könn-
ten, wenn sie dem hier häufig gegen den Afghanistan-
Einsatz vorgetragenen Argument, Afghanistan sei doch
so weit weg, folgen würden, mit guten Gründen sagen,
dass sie sich nicht beteiligen. Diese Länder haben aber
erkannt, dass es für ihre eigene Sicherheit, aber auch für
die Glaubwürdigkeit der freien Welt erforderlich ist, ein
Land wie Afghanistan nicht wieder im Stich zu lassen.

Die Extremisten in der islamischen Welt versuchen
– das gilt für die Propaganda, die in Moscheen bei uns
oder in Zentralasien verbreitet wird –, die Auseinander-
setzung immer als eine Auseinandersetzung zwischen
Morgenland und Abendland, zwischen Islam und Chris-
tentum darzustellen. Wenn wir uns auf eine solche Argu-
mentation einlassen würden, wären wir schon auf die
Propaganda dieser Extremisten hereingefallen.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist unwahr!)


Es geht in Wirklichkeit darum, die moderaten Kräfte, die
demokratisch gesinnten Kräfte, die rechtsstaatlich ge-
sinnten Kräfte in der islamischen Welt zu stärken und
mit ihnen gemeinsam die Extremisten zu isolieren und
zu bekämpfen. Darum geht es auch in Afghanistan.

In der Debatte in Deutschland hört man immer wieder
das Argument, da die Sowjetunion gescheitert sei, habe
auch die NATO keine Chance, in Afghanistan erfolg-
reich zu sein. Man muss sich immer wieder vor Augen
führen, dass wir nicht die Sowjetunion sind. Wir sind
nicht dort, um das Land zu okkupieren. Wir sind dort,
um die demokratisch gewählte Regierung zu unterstüt-
zen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Zurufe von der LINKEN)


– Ich kann verstehen, dass Sie den Zeiten der Sowjet-
union nachtrauern. – Deswegen ist es so, dass heute nach
wie vor über 80 Prozent der Menschen in Afghanistan
unser Engagement unterstützen und uns auffordern, im
Land zu bleiben.

Führen wir uns einmal vor Augen, welch beeindru-
ckende Persönlichkeiten sich in Afghanistan für die Zu-
kunft ihres Landes engagieren. Ich erinnere an Professor
Ashraf, ein Exilafghane, der in Karlsruhe Professor für
Bergbau war und eine Aufgabe in seinem Land über-
nommen hat. Er ist übrigens CDU-Mitglied. Ich erinnere
ferner an den Außenminister Spanta von den Grünen,
der 20 Jahre lang als politischer Flüchtling in Aachen
lebte, dort an der Universität gearbeitet hat und dann die
schwierige Aufgabe, den Aufbau seines Landes zu un-
terstützen, übernommen hat. Diese Menschen sorgen ge-
meinsam dafür, dass das Land nach und nach an Stabili-
tät gewinnt. Diese beeindruckenden Persönlichkeiten






(A) (C)



(B) (D)


Eckart von Klaeden
und alle anderen Menschen, die sich für den Aufbau ih-
res Landes einsetzen, dürfen wir nicht im Stich lassen,
wenn wir in der internationalen Politik unsere Glaub-
würdigkeit nicht verlieren wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Kollege Dzembritzki hat zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass es in Afghanistan beeindruckende Fort-
schritte gibt. Auch der Kollege Westerwelle hat die be-
eindruckende Anzahl von Schulen genannt und über
Kinder gesprochen, die wieder den Unterricht besuchen
können.

Aber selbst bei den schwierigen Kapiteln, zum Bei-
spiel beim Drogenanbau, gibt es bemerkenswerte Fort-
schritte.


(Lachen bei der LINKEN)


Wir müssen zwar konstatieren, dass der Drogenanbau
auch in diesem Jahr wieder zugenommen hat;


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


gleichzeitig hat aber auch die Anzahl der Provinzen in
Afghanistan zugenommen, die mittlerweile drogenfrei
sind. Sie hat sich von 6 auf 13 Provinzen mehr als ver-
doppelt. Es gibt aber nach wie vor 21 Provinzen, in de-
nen Drogen angebaut werden, in denen der Drogenanbau
sogar wesentlich zugenommen hat. Wenn man aber die
Provinzen, in denen der Drogenanbau abgenommen hat,
die heute als drogenfrei gelten können, mit den Provin-
zen vergleicht, in denen Sicherheit herrscht oder in de-
nen sich die Sicherheitslage wesentlich verbessert hat,
dann findet man heraus, dass auch zur Bekämpfung des
Drogenanbaus der Aufbau von Sicherheit der entschei-
dende Schlüssel ist. Deswegen sorgen diejenigen, die
den Drogenanbau als Argument für den Rückzug ver-
wenden, nur dafür, dass der Drogenanbau in ganz Af-
ghanistan wieder zunimmt. Die Sicherheit in Afghanis-
tan ist der Schlüssel zur Bekämpfung des Drogenanbaus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Wir dürfen nicht wackeln, weil wir damit das Ver-
trauen derjenigen zerstören oder beeinträchtigen, die
sich in Afghanistan um den Aufbau ihres eigenen Lan-
des bemühen. Wenn wir wackeln, wenn wir den Ein-
druck erwecken, dass die Aufgabe nicht zu meistern sei
– Kollege Westerwelle hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass das falsch ist –, dass die größte Gefahr für Afgha-
nistan nicht die schwierige Aufgabe selbst, sondern un-
sere eigene Halbherzigkeit ist, wenn wir den Eindruck
erwecken, dass wir uns aus Afghanistan, ohne die Auf-
gabe erfüllt zu haben, verabschieden wollen, dann wer-
den wir diejenigen stärken oder werden dafür sorgen,
dass die Zahl derjenigen zunimmt, die man im NATO-
Deutsch Fence-Sitters nennt. Das sind diejenigen, die
von einem imaginären Zaun die Entwicklung ihres Lan-
des beobachten und sich sagen: Wir sind zwar nicht für
die Taliban, aber wenn die internationale Gemeinschaft
irgendwann einmal abzieht, und die Aufgabe ist nicht er-
füllt, dann werden die Taliban zurückkommen. Deswe-
gen wäre es jetzt für mich, weil ich das Land nicht ver-
lassen kann, falsch, mich am Aufbau zu beteiligen. Ich
muss mich dann vielmehr auf eine Situation einstellen,
in der ich mich später einmal mit den Taliban wieder ar-
rangieren kann.

Deswegen sorgen Wackeln, Zögern und fehlendes En-
gagement dafür, dass wir die Voraussetzung für unseren
eigenen Erfolg unterminieren. Deswegen darf es an un-
serem Engagement keinen Zweifel geben. Das gilt für
die ISAF-Debatte, aber insbesondere auch für den zivi-
len Aufbau. Wir müssen uns darauf einstellen, dass für
den Erfolg in Afghanistan auch im nächsten Jahr deut-
lich mehr getan werden muss.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611901000

Dr. Lothar Bisky ist der nächste Redner für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611901100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Spie-

gel der vergangenen Woche lesen wir über das Kom-
mando Spezialkräfte, KSK, in Afghanistan. Ich zitiere:

Im Verteidigungsausschuss … erfahren von den
Abgründen gerade einmal ein paar Dutzend der ins-
gesamt 613 Bundestagsabgeordneten, die schon
bald über die Fortsetzung der Isaf und OEF-Man-
date entscheiden müssen und damit auch über künf-
tige Einsätze des KSK am Hindukusch.

Sie werden die Entscheidung auf der Basis von viel
Vertrauen und wenig Wissen treffen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Klar, Spiegel-Leser sollten eigentlich mehr wissen.
Dennoch frage ich mich, ob ich genug weiß, um eine
Entscheidung wissend fällen zu können, zumal ich nicht
automatisch – das werden Sie einsehen – Vertrauen in
die Regierung der Großen Koalition entwickeln kann.
Mein Vertrauen wird nicht größer, wenn ich mir ansehe,
dass der Herr Außenminister in seiner Rede zur ersten
Lesung sagte:

... in dieser Situation ist es notwendig, dass wir ne-
ben dem zivilen Engagement … auch unser militä-
risches Engagement aufrechterhalten.

Nun ist es nicht dem Außenminister anzulasten – das
will ich ausdrücklich sagen –, dass ich der Einsicht in die
Notwendigkeit vor längerer Zeit gelegentlich zu einfältig
Folge geleistet habe und deshalb gelernt habe, gründlich
nachzufragen. Deshalb frage ich heute nach den Erfah-
rungen der zivilen Kräfte und der Bundeswehr in Afgha-
nistan. Ich will da keine Schwarz-Weiß-Malerei üben.
Da ist Positives zu berichten. Ich denke an Schulen, an
die Situation der Frauen, an Unterstützung humanitärer
Art und an Hilfe beim demokratischen Aufbau des Lan-
des.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky
Zugleich dürfen wir nicht übersehen, dass nach sechs-
jährigem Engagement die Gewalt in Afghanistan wieder
deutlich zunimmt. Kurz: Die Ergebnisse sind wider-
sprüchlich. Deshalb muss ich gründlicher prüfen, was
eine Verlängerung des Mandats bringen könnte.


(Beifall bei der LINKEN)


In der Beantwortung dieser Frage unterscheidet uns
Folgendes grundlegend: Die Regierung meint, sie würde
mithilfe des Militärs den Terrorismus bekämpfen können.
Wir von der Linken sagen: Im Ergebnis des militärischen
Engagements ist der Terrorismus nicht entscheidend ge-
schwächt worden. Tatsächlich stärken militärische Ak-
tionen häufig Hass, in dessen Gefolge wieder terroristi-
sche Aktionen wachsen.

Wir bewerten also die gleichen Ereignisse und Pro-
zesse unterschiedlich, auch wenn die Linke sich von ter-
roristischen Anschlägen genauso distanziert, wie Sie es
tun, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Sie müssen sich nicht distanzieren, Sie müssen sie bekämpfen!)


– Ja, wir sind da unterschiedlicher Meinung: Sie sagen,
mit Militär, ich sage das nicht.

Herr von Klaeden, ich will eine Anmerkung machen.
Der Versuch, Herrn Gysi in irgendeine Nähe zu den Tali-
ban zu schieben, ist völlig abwegig, und ich weise das
entschieden zurück.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie instrumentalisieren sie!)


Ich will Ihnen jetzt erläutern, warum ich von dem von
Ihnen in Aussicht gestellten Erfolg nicht überzeugt bin.
Nach unserer Analyse der Situation in Afghanistan ist
die UN-mandatierte und NATO-geführte Mission ISAF,
an ihren eigenen und nicht an irgendwelchen anderen
Zielen gemessen, gescheitert. Warum?


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Unsinn!)


Was wir als Taliban bezeichnen, sind ja keine Fremd-
körper in Afghanistan. Vielmehr handelt es sich bei ih-
nen um eine politische islamistische Gruppierung mit ei-
nem menschenverachtenden Weltbild. Aber – das ist
entscheidend – die Taliban rekrutieren sich aus den Völ-
kern Afghanistans, vor allem den Paschtunen; sie wer-
den dort anders wahrgenommen als im fernen Europa,
habe ich bei Scholl-Latour und anderen nachlesen kön-
nen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach je! Scholl-Latour!)


– Ja, man darf ja noch Bücher lesen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Unter den Taliban darf man das nicht!)

Damit ist ganz offensichtlich eine gewisse Verankerung
in der afghanischen Gesellschaft gegeben, ob uns das ge-
fällt oder nicht; dies ist nur eine Tatsachenbeschreibung.
Der Versuch, vielschichtige Wirklichkeiten auf ein einfa-
ches Schwarz-Weiß-Bild zu reduzieren und dementspre-
chend politisch und militärisch zu handeln, muss Schiff-
bruch erleiden.

Aus diesen Gründen ist angesichts der komplexen
Konfliktsituation in Afghanistan Skepsis angebracht:
Die Politik der USA, nach der der Feind unseres Feindes
unser Freund ist, wurde in Afghanistan seit 1979 mit
dem Resultat praktiziert, dass die vermeintlichen
Freunde, die Mudschahedin, letztlich zum Nährboden
des Islamismus und Terrorismus wurden.

Ende 2001 praktizierten die USA diese Politik erneut:
Die unbotmäßigen Taliban wurden mithilfe anderer
Kriegsherren gestürzt, die gerne als moderate Islamisten
bezeichnet werden. Dazu möchte ich – mit Ihrer Geneh-
migung, Herr Präsident – Frau Malalai Joya, Abgeord-
nete des afghanischen Parlaments, zitieren:

... sechs Jahre nach den Angriffen auf Afghanistan
unter der Führung der USA liegt unser verwüstetes
Land noch immer in den Ketten der fundamentalis-
tischen Warlords. Die Regierung Bush übergab die
Macht an Menschen, die sich in der Vergangenheit
als Mörder und Plünderer bewährt haben und ge-
nauso finster, böse und grausam wie die Taliban
sind.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Ich zitiere sie weiter:

Die westlichen Medien sprechen über Demokratie
und die Befreiung Afghanistans, aber die USA und
ihre Verbündeten fördern Warlords, Kriminalisie-
rung und Drogenbarone in unserem … Land und
haben durch ihre massiven Militäroperationen bis-
her Tausende unschuldiger Zivilisten getötet, ohne
in ihrem Krieg gegen die brutalen Taliban wesentli-
che Fortschritte zu erzielen.

Dennoch tut die Bundesregierung so, als ob die ISAF-
Mission Fortschritte erziele. Aber: ISAF mutiert von der
ursprünglichen Schutztruppe immer mehr zur Kampf-
truppe im Sinne der OEF. Das ist die Wirklichkeit,


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


und dies wird durch den deutschen Tornadoeinsatz auch
noch weiter befördert. Dies lehnen wir Linken entschie-
den ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Meine Damen und Herren, die ISAF-Mission läuft
aus dem Ruder. Wer die deutsche Beteiligung an dieser
Mission fortsetzen will, unterstützt die militärische Es-
kalationsstrategie der NATO. Dazu sagen wir entschie-
den Nein;






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


wir erwarten von der Regierung eine Exit-Strategie.
Schon in der Vergangenheit hat die Bundesregierung je-
den Eskalationsschritt der NATO mitgetragen: von der
geografischen Ausweitung des ISAF-Mandats bis hin
zur Verlegung der Aufklärungstornados.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist offensichtlich:
Wer glaubt, dass die Beteiligung an ISAF und OEF auf
die militärische Vorgehensweise der Verbündeten einen
mäßigenden Einfluss hat, irrt. Im Gegenteil: Obschon
die Bundeswehr an allen Planungen und Durchführun-
gen von ISAF und NATO beteiligt ist, ist der Strategie-
wechsel hin zu mehr ziviler Aufbauhilfe ausgeblieben.


(Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister: Falsch!)


Damit macht sich Deutschland an der humanitären Kata-
strophe mitschuldig.

Die Linke fordert einen sofortigen Strategiewechsel.
Damit stehen wir nicht allein. VENRO, der Verband Ent-
wicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisatio-
nen, dem über 100 kirchliche und private NGOs angehö-
ren, forderte Anfang dieser Woche eine neue Strategie
für Afghanistan. Ähnlich wie VENRO sind auch wir für
einen Strategiewechsel, obwohl wir, damit ich nicht
falsch verstanden werde, nicht alles gleich beurteilen.
Wir sind entschieden dafür, das Militär in seine Schran-
ken zu weisen. Ähnlich wie VENRO sind auch wir für
eine strikte Trennung militärischer und ziviler Projekte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611901200

Herr Kollege Bisky, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Nachtwei?


Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611901300

Ja, bitte.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611901400

Herr Kollege Bisky, Sie haben gerade die interessante

und bemerkenswerte Stellungnahme von VENRO ange-
sprochen und sich der richtigen Forderung nach einem
Strategiewechsel angeschlossen. Haben Sie zur Kenntnis
genommen, dass VENRO wie auch Caritas international,
medico international und andere gleichzeitig festgestellt
hat, die Forderung nach einem Strategiewechsel ändere
nichts daran, dass ISAF weiterhin unverzichtbar ist?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Und jetzt?)



Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611901500

Herr Nachtwei, das habe ich nicht in Abrede gestellt.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha! – Interessant! – Ach nein? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

– Nein. – Ich habe nur gesagt: VENRO fordert einen
Strategiewechsel.


(Zuruf von der SPD: Bei Anwesenheit von ISAF in Afghanistan!)


Das ist wahr, und das können Sie nachlesen. Ich habe er-
wähnt, dass wir zu anderen Schlussfolgerungen kom-
men.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei VENRO gibt es viele, die weiterhin die militärische
Unterstützung im Rahmen von ISAF wollen. Wir sagen
dazu Nein. Das ist ein Unterschied.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ja! Aber nicht sehr überzeugend! – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ja, ja! Dann sollten Sie sich aber nicht darauf berufen!)


Einen Strategiewechsel wollen wir alle. Ich habe das ja
jetzt dank Ihrer Frage, Herr Nachtwei, eindeutig klarstel-
len können.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ja! Aber erst einmal haben Sie sinnentstellend zitiert!)


Wie ich sehe, können auch wir einer Meinung sein. Das,
was VENRO fordert, ist nicht unsere Position. Ich will
VENRO nicht instrumentalisieren. Dieser Verband will
auch uns nicht instrumentalisieren. Das ist korrekt.

Meine Damen und Herren, wir wollen weg von der
militärischen Besetzung und hin zur ausschließlich zivi-
len Unterstützung durch die internationale Gemein-
schaft. Wir sagen: Es gilt, jenseits militärischer Mittel
den Auf- und Ausbau einer zivilen Infrastruktur und die
Teilhabe aller Menschen in Afghanistan an politischen
Entscheidungen zu befördern. Diese Unterstützung kann
nur zivil geleistet werden. Das bisherige zivile En-
gagement der internationalen Staatengemeinschaft für
Afghanistan ist ungenügend. Daraus ziehen wir die rich-
tigen Konsequenzen. Wir unterstützen Bestrebungen,
um in Afghanistan zu einem Waffenstillstand zu kom-
men,


(Zuruf von der SPD: Mit wem denn?)


wir wollen den dortigen Drogenhandel bekämpfen, und
wir wollen die Afghan Ownership mit allen zivilen Maß-
nahmen, die möglich sind, weiterentwickeln.

Angesichts der fortgeschrittenen Zeit komme ich zum
Schluss. Meine Damen und Herren, der gute Zweck hei-
ligt auch in Afghanistan keine militärischen Mittel, sie
diskreditieren ihn eher.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben nach Ihrem Treffen mit
dem südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Nelson
Mandela gesagt – ich zitiere –:

Wir brauchen Frieden auf der Welt, und insbeson-
dere die Konflikte in Afrika müssen friedlich gelöst
werden.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Lothar Bisky
Sie bemerkten völlig zu Recht, Mandelas Beispiel habe
gezeigt, dass Gewaltlosigkeit am Ende der bessere Weg
sei. Dies sollte sich die Welt zu Herzen nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wir tun es, Frau Dr. Merkel, und deshalb sagt die Linke
eindeutig Nein zur Verlängerung des Mandats.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611901600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

die Kollegin Renate Künast.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611901700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine

Fraktion ist mehrheitlich davon überzeugt, dass eine
weitere Beteiligung Deutschlands an ISAF nötig ist. Wir
sind davon überzeugt, dass ISAF in Afghanistan, in die-
ser Region nötig ist. Aber wir sind gleichermaßen be-
sorgt, dass die bisherige, halbherzige Politik insgesamt
den Problemen in Afghanistan nicht gerecht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich stehe hier und sage Ihnen: Wir können dieser
Bundesregierung bei der heutigen Abstimmung über
ISAF inklusive der Tornado-Einsätze nicht einfach Pro-
kura geben für ein Weiter-so, weil wir in tiefer Sorge
über das Missverhältnis zwischen dem Militärischen
und dem Zivilen sind. Genau das werden wir bei der
heutigen Abstimmung zum Ausdruck bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben darüber eine durchaus lange Debatte ge-
führt – wie wir Grünen so sind. Wir zeigen das transpa-
rent und öffentlich, sodass Sie sich gerne daran delektie-
ren können. Ich sage Ihnen: Wir haben es uns nicht
einfach gemacht. Wir wissen um unsere Verantwortung
als Fraktion. Wir haben uns lange Jahre mit Afghanistan
beschäftigt. Wir haben – darauf sind wir stolz – den
Petersberg-Prozess mit angeschoben und darauf hinge-
wiesen, dass man auch einen zivil-militärischen Ansatz
erst entwickeln muss. Der Petersberg-Prozess war wich-
tig, um tatsächlich eine verfassunggebende Versamm-
lung zu bekommen. Aber auch die anderen Schritte zur
Strukturierung des zivilen Aufbaus sind wichtig. An die-
ser Stelle stehen wir alle miteinander, steht die interna-
tionale Staatengemeinschaft allenfalls am Anfang.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben es uns nicht einfach gemacht; Sie wissen
um unseren Parteitag. Wir sitzen hier heute als Grüne
mit diesem Parteitagsbeschluss, wir sitzen hier aber auch
auf der Basis des Grundgesetzes, das uns sagt, wir sind
an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Wir sitzen
hier und sagen Ihnen ganz klar: Wir wollen Afghanistan
in seiner weiteren Entwicklung unterstützen. Deshalb
haben wir heute zwei Anträge eingebracht, die darauf
abzielen. Es darf hier nicht nur um das Militärische ge-
hen, es muss auch darum gehen, was jetzt zivil in Afgha-
nistan zu tun ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich denke, wir haben mit einigen in diesem Hause ei-
nen Konsens über die Problemanalyse. Wir wissen alle:
Militärisch ist der Aufstand dort nicht zu besiegen. Nie-
mand sollte glauben, dass man militärisch siegen könnte.
Die internationale Staatengemeinschaft muss sich auch
zivil engagieren, und wir müssen die Eigenverantwor-
tung Afghanistans stärken, insbesondere durch Struk-
turen im Sicherheitsbereich. Die Bundesregierung ist un-
seres Erachtens nicht hinreichend gewillt, die Kon-
sequenzen zu ziehen, um auf allen Seiten – beim Militär,
bei den Entwicklungshelfern, bei der afghanischen Re-
gierung – den Strategiewechsel einzuleiten. Diese Bun-
desregierung müsste die Kraft sein, die das international
antreibt. Es darf kein Weiter-so geben. Es muss ein Land
diese Veränderung der Praxis antreiben. Das müsste
diese Bundesregierung tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich höre hier aber auch heute noch viel zu viele
Durchhalteparolen. Wir alle wissen um das enge Zeit-
fenster. Ich sage aber an Herrn Bisky und seine Fraktion
gerichtet: Auch Ihre Abzugsparolen werden dem Ganzen
nicht gerecht. Sie müssen sich auch mit der Frage aus-
einandersetzen, was die Afghaninnen und Afghanen vor
Ort sagen. Wir hören jetzt – ich finde, das ist ein großer
Ausdruck von Respekt –, dass eine Schule im Norden
Afghanistans nach Michael Diebel benannt worden ist,
einem deutschen Soldaten, der dort im Mai umgebracht
wurde. Das drückt etwas aus, nämlich Respekt. Das ist
eine Schule, auf die Afghanen gehen. Sie wollen, dass
diese Schule so heißt. Was heißt das denn? Das passt
doch gar nicht zu den Argumenten von der Linken.

Mir passt auch nicht die Art und Weise – das kann ich
Ihnen auch von vielen weiblichen Abgeordneten aus Ka-
bul mitteilen –, wie Sie die Abgeordnete Malalai Joya
hier als Kronzeugin anbieten.


(Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!)


Das löst gerade bei den weiblichen Abgeordneten in Af-
ghanistan tiefes Entsetzen aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind entsetzt darüber, was diese Frau hier zum Bes-
ten gibt.

Die weiblichen Abgeordneten in Kabul sagen – daran
erkennen Sie schon, dass sich etwas verändert haben
muss –: Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwol-
len; aber Steinigungen und den Zustand, dass überhaupt
niemand zur Schule gehen kann, gibt es nicht mehr. –
Deshalb haben sie ein Problem mit Malalai Joya, die
sich auch vor Ort selber ins Off katapultiert hat, indem
sie das Parlament als Stall beschimpft hat, in dem Esel
und Hunde sitzen. Machen Sie das einmal, einen Musli-
men als Hund bezeichnen. Sie wissen, dass Sie dann je-






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
den Gesprächsfaden an dieser Stelle abgeschnitten ha-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, Sie haben eine zweifelhafte Kronzeugin hin-
sichtlich der Situation in Afghanistan und des Willens
nach Veränderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Ich will an dieser Stelle auf die Bundesregierung zu-
rückkommen. Wir brauchen vor Ort in Afghanistan eine
Veränderung und hier in Deutschland eine breitere De-
batte. Frau Bundeskanzlerin, deshalb haben wir hier
zwei Anträge eingebracht. Mit dem einen werden Sie,
Frau Merkel, aufgefordert, Ihrer Pflicht als Regierungs-
chefin nachzukommen und nach Afghanistan zu reisen.
Ich glaube, dass dies die vornehmste Pflicht jedes Regie-
rungschefs und jeder Regierungschefin ist – aus Respekt
vor den Polizeibeamten, Soldaten und Entwicklungshel-
fern, die dort eingesetzt sind, und um sich vor Ort selbst
ein Bild über die Situation zu machen. Ich meine, Sie
sollten sich vor Ort darüber informieren – so wie es viele
Abgeordnete schon getan haben –, welche Schäden
durch den OEF-Einsatz für den weiteren Friedenspro-
zess dort verursacht wurden, unter welchen Umständen
die Soldaten ihren Dienst dort verrichten müssen und
was jetzt im zivilen Bereich getan werden muss.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611901800

Frau Kollegin, ich wollte nur vorsichtig fragen, ob Sie

eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel zulassen wol-
len.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611901900

Nein.


(Zuruf von der Linken: Ach ja! – Weitere Zurufe von der Linken)


– Wir leben in einem freien Land. Selbst Abgeordnete
dürfen Ihre Zwischenfragen einmal nicht zulassen. Da-
mit können Sie leben, weil Sie ja so demokratisch geson-
nen sind, wie ich Ihren Zwischenrufen dort hinten un-
schwer entnehmen kann.

Zurück zur Bundesregierung und zum Ernsthaften.
Jetzt ist es meines Erachtens nötig, dass sich Frau
Merkel nach Afghanistan begibt und sich dort nicht nur
anschaut, was militärisch geschieht, sondern auch, wel-
che zivilen Maßnahmen noch durchzuführen sind.

Die Ausgestaltung des Engagements in Afghanistan
wird national und international ja sehr kontrovers disku-
tiert. Wir alle wissen, dass auch britische Offiziere vor
Ort den Einsatz von OEF-Kräften kritisieren und einen
Stopp verlangen. Sie wissen, dass er vor Ort kontrapro-
duktiv ist. Wir wissen, dass die afghanische Regierung
das Vorgehen, durch das unverhältnismäßig viele zivile
Opfer verursacht wurden, wiederholt kritisiert hat. Wir
wissen, dass circa 100 Entwicklungshilfe- und Hilfsor-
ganisationen kritisiert haben, dass es dieses Missverhält-
nis zwischen dem Militärischen und dem Zivilen gibt.
Sie sagen im Übrigen auch: Bei allen Problemen brau-
chen wir ISAF, weil uns dadurch der zeitliche Spielraum
und räumliche Schutz gegeben wird, um überhaupt einen
zivilen Aufbau leisten zu können.

Ich sehe, dass diese Entwicklungshelfer die Realität
kennen. Sie machen keine naiven Vorschläge, wie man
in einem Land wie Afghanistan mit bewaffneten Auf-
ständischen und Selbstmordattentätern einen zivilen
Aufbau organisieren kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen, dass Deutschland als Steller der dritt-
größten Truppe und als viertgrößte Gebernation in Af-
ghanistan eine aktive Rolle übernimmt. Unsere Sorge
heute ist aber, dass die Bundesregierung die Chancen in
Afghanistan nicht erfolgreich verbessert. Sie müssten
sich jetzt nämlich kritisch zu OEF äußern, Sie müssten
die Mängel beim Polizei- und Armeeaufbau abbauen,
und Sie müssten dafür Sorge tragen, dass der Compre-
hensive Approach vor Ort weiterentwickelt wird, sodass
Polizei- und Justizaufbau tatsächlich voranschreiten.

Ich möchte Ihnen aber an einem Punkt, dem Aufbau
der Polizei, schildern, was diese Regierung tatsächlich
tut. Ich meine, beim Polizeiaufbau verhält sie sich wie
ein Juniorpartner.

Sie haben im Juni dieses Jahres die Federführung an
die EU abgegeben. Das Ziel war, dass die EU die Res-
sourcen bündelt, den Aufbau stärkt und das Ganze mit
dem EU-Programm Justizaufbau verzahnt. Und was se-
hen wir in der Praxis? In der Praxis sehen wir, dass man
vom Regen in die Traufe gekommen ist. Die Verzahnung
findet gar nicht statt. Faktisch ist es so, dass der Aufbau
stockt, nur knapp die Hälfte des Personals vor Ort ist.
Wir sehen vor Ort, dass die Europäische Kommission
ihre Finanzmittel quasi als Faustpfand benutzt, um die
Mitgliedstaaten zu erpressen, um mehr Zuständigkeit im
Sicherheitsbereich für die Europäische Kommission zu
bekommen.

Frau Merkel, an dieser Stelle wäre ein Punkt, an dem
Sie einmal auf den Tisch hauen und dafür Sorge tragen
müssen, dass EUPOL jetzt und nicht irgendwann im
nächsten Jahr tatsächlich personell, technisch und finan-
ziell ausgestattet ist, obwohl selbst das eigentlich zu we-
nig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kann doch nicht sein, dass wir am Ende in anderen
Interessen der Europäischen Kommission hängen blei-
ben, einmal ganz zu schweigen von der zögerlichen Be-
reitstellung von Beamten durch die Bundesländer. An
dieser Stelle – das muss ich sagen – ist es ein Armuts-
zeugnis, dass die Polizeibeamten, die da sind, nicht ein-
mal Fahrzeuge haben, um sich zu bewegen.

Wir wissen auch – das haben wir in unserem Antrag
angesprochen –, dass es noch mehr braucht, es braucht
nämlich ein Konzept für Pakistan. Wir vermissen, dass
dort mit einem sortierten Konzept ordentlich vorgegan-
gen wird. Ein regionales Konzept hat diese Bundesregie-






(A) (C)



(B) (D)


Renate Künast
rung nicht. Sie vertritt eine meines Erachtens kurzfris-
tige Außenpolitik, weil sie Pakistan und Indien aufrüstet,
was wir für unverantwortlich halten, weil es kein kom-
plettes Konzept gibt, das auch dafür sorgt, dass diese
Grenzregion anders ausgestattet ist.

Wir sind in tiefer Sorge, ob das Zeitfenster für Afgha-
nistan jetzt wirklich genutzt wird. Wir stimmen mehr-
heitlich nicht zu, aber ich sage ganz klar: Als Opposition
haben wir nicht jede Umsetzung in der Hand. Die mehr-
heitliche Enthaltung ist für uns der Ausdruck von Sorge,
ob in Afghanistan im zivilen Bereich genug getan wird.

Es ist der Ausdruck einer Aufforderung, jetzt hinzu-
fahren, die Konzepte zu entwickeln, das Zivile zu stär-
ken, es mehr zu koordinieren und kontraproduktive Mili-
täreinsätze zu unterlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611902000

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Heike

Hänsel das Wort.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611902100

Frau Künast, was Sie hier über Malalai Joya gesagt

haben, kann ich so nicht stehen lassen. Diese Frau hat
eine Biografie. Sie hat in jüngsten Jahren bereits gegen
das Taliban-Regime gekämpft. Sie setzt sich aktiv genau
gegen diese Fundamentalisten in Afghanistan ein, die in
vielen wichtigen Positionen im Parlament und in den Re-
gionen sitzen. Ich finde es ein Unding, dass Sie sie hier
in dieser Art und Weise als eine zweifelhafte Kronzeugin
bezeichnen. Das machen Taliban und Fundamentalisten
in Afghanistan genauso.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre parlamentarischen Kolleginnen, die Sie zitiert
haben, haben dafür gestimmt, dass sie aus dem Parla-
ment ausgeschlossen wird. Daran können Sie auch se-
hen, wie weit die Demokratisierung in dem Parlament
vorangeschritten ist. Wir haben versucht, dass sie eine
Möglichkeit bekommt, hier im Auswärtigen Ausschuss
zu sprechen. Das wurde ihr auch mit der Begründung
verwehrt, sie sei ja nicht Teil der offiziellen Delegation.
Also wurde ihre Ausgrenzung hier sogar noch fortge-
führt.


(Beifall bei der LINKEN)


In meinen Augen brauchen Sie nach dieser Rede das
Wort von Frauenrechten in Afghanistan und der Fortfüh-
rung von ISAF nicht mehr in den Mund zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von den Linken: Bravo!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611902200

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will nicht in Zweifel

stellen, dass für die frühere Abgeordnete Malalai Joya
die Situation in Afghanistan schwer war


(Zuruf von der Linken: Sie ist es immer noch!)

und dass sie sich dort unter Gefährdung ihres eigenen
Lebens engagiert hat. Ich glaube aber trotzdem, dass sie
als Kronzeugin für die Zustände in Afghanistan, als die
ihre Fraktion sie heranzieht, zweifelhaft ist.


(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Das können Sie doch nicht wissen! Reden Sie doch mit ihr!)


Denn es gibt in Afghanistan – auch ich war dort und
habe mit Frauen und Männern geredet – viele Frauen,
die meinen, dass sie immerhin inzwischen auf einem
Weg sind, dessen Grundrichtung stimmt.

Wir alle wissen, wie extrem schwierig die Situation in
Afghanistan ist. Insofern nehme ich mir diese Meinung
heraus und weise darauf hin, wie viele Frauen in Afgha-
nistan dem Parlament angehören oder in NGOs kämpfen
und wie viele Entwicklungshelfer und Hilfsorganisatio-
nen Frauen vor Ort helfen, ihren Lebensalltag zu gestal-
ten, Geld zu verdienen, sich bewegen zu können und Bil-
dung zu erleben.

Mit Verlaub, die Frage, ob ich für Frauenrechte
kämpfe, beantworten nicht Sie; das habe ich in meinen
51 Lebensjahren immer selbst entschieden. Das wird mit
Sicherheit so bleiben, und das ist gut so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611902300

Das Wort erhält nun die Bundesministerin

Heidemarie Wieczorek-Zeul.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
alle sind erleichtert und froh, dass Rudolf Blechschmidt
endlich freigekommen ist. Wir haben mit ihm und seinen
Angehörigen mitgelitten und hoffen, dass er die schwe-
ren Belastungen während der Geiselnahme gesund über-
steht. Wir fühlen mit ihm und hoffen, dass er die Konse-
quenzen gut überwinden kann. Ich denke, das kann ich
für uns alle sagen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich war selbst im Dezember 2001 nach dem Sturz der
Taliban in Kabul. Alle Menschen dort haben es begrüßt,
dass wir gekommen sind; sie haben aber auch gefragt, ob
wir auch an ihrer Seite bleiben werden, wenn die Lage
schwieriger wird, oder ob sich wie 1989 nach dem Ab-
zug der Sowjets die Welt wieder von Afghanistan ab-
wenden wird.


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja!)


Ich habe damals zugesagt – dieser Verpflichtung fühle
ich mich nach wie vor verbunden –: Wir werden an eurer
Seite bleiben.

Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen
– auch an die Kolleginnen und Kollegen der Grünen –,
die das im Jahr 2001 genauso gesehen haben: Bitte ste-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
hen Sie zu dieser Verpflichtung. Internationale Ver-
pflichtungen können nicht alle fünf Jahre verändert wer-
den. Bitte stehen Sie dazu! Ich fühle mich verpflichtet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist auch völlig falsch, die zivile und militärische
Unterstützung auseinanderzudividieren. Das geht an den
Realitäten Afghanistans völlig vorbei.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ohne flankierende Unterstützung durch die Truppen der
internationalen Gemeinschaft steht der zivile Wieder-
aufbau auf verlorenem Posten. Das ist die Wahrheit.
Wenn Sie den Truppenabzug fordern, dann heißt das,
dass Sie auch den zivilen Wiederaufbau aufgeben. Das
kann nicht Ihre Position sein. Deshalb appelliere ich an
die Linkspartei: Denken Sie auch in dieser Frage um!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Die Konsequenz wäre, dass Frauen wieder unter-
drückt werden. Die afghanische Frauenministerin hat
das deutlich geschildert. Sie war sechs Jahre lang im
Keller ihres eigenen Hauses eingesperrt, den sie nicht
verlassen konnte. Wollen Sie zulassen, dass Frauen wie-
der unterdrückt werden? Wollen Sie zulassen, dass es wie-
der zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt?
Nein, das dürfen wir nicht zulassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das UN-
Prinzip der „Responsibility to protect“, das seit eini-
gen Jahren besteht und vorsieht, denen zu helfen, die
sich nicht selbst helfen können oder deren jeweilige Re-
gierung nicht selbst in der Lage dazu ist. Das heißt, wir
müssen der Regierung in Afghanistan heute auch des-
halb beistehen, damit es nicht wieder zu massiven Men-
schenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen kommt.
Es ist völlig klar, dass wir den zivilen, den wirtschaftli-
chen und den politischen Wiederaufbau voranbringen
müssen. Deshalb müssen wir der Verlängerung des
ISAF-Mandats zustimmen. Ich möchte an dieser Stelle
Tom Koenigs danken, der hervorragende Arbeit geleis-
tet hat und der Ende dieses Jahres seine Arbeit dort been-
den wird. Er hat wunderbare Worte an Ihre Adresse ge-
sagt, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.
Ich hoffe, dass Sie sie bei der Abstimmung beherzigen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wurde bereits viel über die Erfolge gesagt. Deshalb
nur so viel: Als ich im Jahr 2001 in Afghanistan war,
konnte kein Mädchen in die Schule gehen. Heute gehen
etwa 3 Millionen Mädchen in die Schule. Das ist ein
wunderbares Ergebnis. Frauen sind zudem beim Zugang
zum Gesundheitswesen nicht mehr diskriminiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin mir sicher, dass niemand einen Rückfall akzep-
tieren wird; das würden wir auch nicht hinnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kollegin Renate Künast, es geht nicht um ein
„Weiter so“, sondern um das Setzen besonderer Schwer-
punkte, zum Beispiel bei der Ausdehnung der Rechts-
staatlichkeit und der guten Regierungsführung in alle
Regionen. Das bedeutet unter anderem, den Aufbau der
afghanischen Polizei in der Fläche voranzubringen. Ich
fordere die Europäische Union auf, dazu beizutragen,
dass endlich logistische Probleme überwunden werden
und volle Handlungsfähigkeit erreicht wird, damit die
Polizei in Afghanistan in vollem Umfang ausgebildet
werden kann und die Präsenz der europäischen Polizei-
mission wirkt; das reicht bisher nicht aus. Wir, die Bun-
desregierung, setzen einen besonderen Schwerpunkt bei
der Ausbildung der Polizei. Das gilt sowohl in Kabul als
auch – das ist neu – in Masar-i-Scharif. Wir unterstützen
zudem den Fonds, aus dem die Gehälter derjenigen, die
für den Rechtsstaat tätig sind, mitfinanziert werden.

Der Aufbau des Justizsektors, den wir unterstützen,
hängt eng damit zusammen. Hier geht es insbesondere
um die Unterstützung und die Hilfe für Frauen; das ist
ein besonderer Schwerpunkt. Ein weiterer ist die Einbe-
ziehung der ländlichen Bevölkerung. Renate Künast, wir
reden nicht nur, sondern handeln auch praktisch. Wir ergrei-
fen zum Beispiel Maßnahmen, die Einkommen schaffen.
Wir haben es im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts von
KfW-Entwicklungsbank und Aga-Khan-Stiftung geschafft,
dass seit 2005 rund 30 000 Kleinstkredite vergeben
wurden. Damit wurden 150 000 Haushalte erreicht. Das
Netz soll auf 21 Niederlassungen ausgebaut werden. Das
ist realer Wiederaufbau. Ihn wollen und werden wir vo-
ranbringen.

Im Zusammenhang damit steht ein weiterer Schwer-
punkt, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Rund
70 Prozent der Bevölkerung sind unter 25 Jahre. Wir
wollen durch Ausbau des Bildungswesens und vor allen
Dingen des Grundbildungsbereichs dazu beitragen, dass
Kinder und Jugendliche, gerade Mädchen, die Chance
haben, in die Schule zu gehen. Wir unterstützen den na-
tionalen Bildungsplan des zuständigen Ministers mit
17 Millionen Euro. Damit können 1 000 Schulen neu ge-
baut werden und wird 8 000 Lehrerinnen und Lehrern
die Chance eröffnet, mit ihrer Ausbildung dazu beizutra-
gen, dass Kinder eine gute Zukunft haben. Das ist realer
Wiederaufbau. Wir dürfen deshalb das Klima der Sicher-
heit nicht gefährden. Es ist wichtig, den zivilen Aufbau
voranzubringen und zugleich das ISAF-Mandat zu be-
stätigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte mich noch einmal an die Adresse der
Linkspartei wenden. Ich finde, dass Sie die Augen vor
einer Situation verschließen, die sich qualitativ verändert
hat. Selbstmordattentate sind eine neue Entwicklung.
Dieser Entwicklung kann man nicht mit Gewaltfreiheit






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
begegnen. Was würden Sie denn sagen, wenn Selbst-
mordattentate in unserem Land begangen würden? Wo-
hin ziehen Sie sich dann zurück?


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Eine Frage der Ursache!)


Es ist nicht links, zu sagen, es dürfe keine militärische
Aktion stattfinden.


(Frank Spieth [DIE LINKE]: Ursachenanalyse!)


Das ist nicht links, sondern damit würden gerade die
Chancen der Menschen eingeschränkt werden, eigene
Entscheidungen zu treffen. Aus meiner Sicht heißt links
sein, dazu beizutragen, dass Menschen bessere Lebens-
chancen haben und dass sie selber und eigenständig ent-
scheiden können.


(Widerspruch des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])


Wer dazu beiträgt, das zu verhindern, der tut das genaue
Gegenteil dessen, was man von der Linken erwartet,
nämlich Menschen zu schützen und dazu beizutragen,
dass sie bessere Lebenschancen und bessere Möglichkei-
ten haben, ihr eigenes Leben zu gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer wie die Linkspartei sagt, die Bundeswehr müsse
raus aus Afghanistan, der versucht eigentlich, sich ganz
woanders anzubiedern. Darüber müssen Sie selbst noch
einmal nachdenken.

Letzter Punkt: Ich danke all denjenigen, die die Arbeit
vor Ort leisten. Ich bin ganz sicher, dass der Wiederauf-
bau in Afghanistan ein Erfolg für die Menschen, die so
lange gelitten haben, sein kann und dass der Erfolg auch
im Interesse unserer eigenen Sicherheit ist.

Ich danke Ihnen sehr herzlich.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611902400

Nächster Redner ist der Kollege Hellmut Königshaus,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1611902500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

heute Morgen schon sehr viel über die Erfolge, die in
Afghanistan erzielt wurden, gesprochen. Ja, die gibt es,
und es gibt sicherlich wesentlich mehr, als die Kollegen
von der Linksfraktion zuzugeben bereit sind. Würden
wir uns von dort zurückziehen, würde alles das, was wir
erreicht haben, zusammenbrechen. Deshalb müssen wir
diese Erfolge im wahrsten Sinne des Wortes verteidigen.


(Beifall bei der FDP)


Wenn Sie, Herr Bisky, sagen, der gute Zweck heilige
nicht die militärischen Mittel, dann möchte ich wissen,
wann denn militärische Mittel überhaupt gerechtfertigt
sind, wenn nicht für einen guten Zweck.


(Beifall bei der FDP)


Das ist der Grund, weshalb die FDP-Fraktion der Ver-
längerung des Mandats zustimmen wird. Ohne Sicher-
heit – das ist das Credo, das wir immer wieder von den
Entwicklungspolitikern, aber auch von anderen im
Hause gehört haben – gibt es keine Entwicklung. Das
müssen wir konkret umsetzen. Dazu dienen nicht solche
unwürdigen Wortwechsel, wie wir sie hier gerade erlebt
haben. Dazu ist das Thema viel zu wichtig. Frau Künast,
was nun eigentlich Ihre Empfehlung an Ihre Fraktion ist,
das ist, so glaube ich, niemandem hier im Raum klarge-
worden, Ihrer eigenen Fraktion wahrscheinlich auch
nicht.

Wir dürfen uns bei diesem Thema nicht in die Büsche
schlagen. Wenn wir unsere Bekenntnisse zu den Men-
schenrechten und zur weltweiten Entwicklung wirklich
ernst meinen, dann müssen wir uns zur Solidarität mit
Afghanistan bekennen. Dazu gehört, dass wir klare Be-
kenntnisse abgeben, wie wir tatsächlich weiter verfahren
wollen. Wir jedenfalls, die Liberalen, sagen Ja zum zivi-
len Aufbau und deshalb auch Ja zu den militärischen
Einsätzen; denn unter diesen konkreten Bedingungen
sind das zwei Seiten einer Medaille. Diejenigen, die auf
Fortschritte verweisen, haben völlig recht, aber auch die-
jenigen, die Zweifel anmelden, ob das schon reicht.
Wenn wir nicht durchhalten – das müssen wir sehen –,
werden wir keine Fortschritte machen, weder schnelle
noch langsame, sondern wir werden im Gegenteil alles
zerstören. Deshalb müssen wir zunächst einmal denen,
die vor Ort tätig sind, unsere Solidarität zeigen, unseren
Dank und unsere Anerkennung aussprechen und unsere
Unterstützung gewähren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das zentrale Problem in Afghanistan ist die aus-
ufernde Drogenwirtschaft. Das ist hier viel zu wenig er-
örtert worden. Sie ist die wirtschaftliche Basis für den
Terror, der dort ausgeübt wird. Wir werden dem Problem
nicht begegnen können, wenn wir unsere Konzepte nicht
entschieden ändern. Wir haben bisher kein Konzept der
Bundesregierung zu diesem Thema gehört. Ein solches
fordern wir hier ein.

Es geht vor allem darum, dass unsere dort tätigen Hel-
fer, die militärischen wie die zivilen, die notwendige Un-
terstützung bekommen, nicht nur unsere ideelle. Wohl-
feile Worte werden ihnen da nicht helfen. Die Soldaten
brauchen Ausrüstung. Die zivilen Aufbauhelfer brau-
chen Konzepte und vor allem ein ausreichendes Budget.
Daran fehlt es nach wie vor.

Wenn wir einfach einmal vergleichen, wo wir wirk-
lich Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit
und beim Aufbau setzen, dann werden wir feststellen:
Der Schwerpunkt liegt noch immer nicht auf Afghanis-
tan. Wir tun viel zu wenig für den zivilen Aufbau. Wenn
wir das, was wir tun, mit dem vergleichen, was die
Kanadier dort in diesem Bereich leisten – die Kollegen
des kanadischen Parlaments haben die Besuchertribüne






(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus
gerade verlassen –, dann stellen wir fest, dass wir immer
noch viel zu wenig tun.


(Beifall bei der FDP)


Wie bereits angesprochen wurde, haben wir in vielen
Bereichen unsere Schulaufgaben noch nicht gemacht. In
den wesentlichen Fächern, für die wir die Verantwortung
übernommen hatten, haben wir noch nicht einmal ange-
fangen, sie zu machen. Nehmen wir die Polizeiausbil-
dung: Das ist doch eine Blamage sondergleichen, was
wir dort erleben. Ich bin froh, dass Sie, Herr Minister
Huber, hier sind. Auch die Länder haben dort eine Ver-
pflichtung. Sie verfügen über die meisten Polizeikontin-
gente. Auch sie müssen bereit sein, dort etwas mehr zu
tun, als sie bisher getan haben. Wir Deutsche können uns
nicht hinter Europa verstecken. Die Länder sind mit da-
bei.


(Beifall bei der FDP)


Was die Drogen- und Korruptionsbekämpfung an-
geht, erleben wir eine klassische Kopf-in-den-Sand-Poli-
tik. Frau Bundeskanzlerin, dass besser koordiniert und
dass die Schwerpunktsetzung besser betrieben wird, hat
übrigens nichts mit Reisen zu tun, sondern mit Führung,
auch durch Sie. Sie müssen hier dafür sorgen, dass die
Menschen vor Ort tatsächlich eine Friedensdividende
spüren. Nur dann werden wir etwas erreichen.


(Beifall bei der FDP)


Unsere Soldaten brauchen die erforderliche Ausrüs-
tung. Das Trauerspiel um die Hubschrauber ist schlicht-
weg unverständlich. Auch Sie, Herr Struck, haben als
Verteidigungsminister über viele Jahre in Kenntnis die-
ses Problems nichts unternommen. Wir haben unsere
Probleme mit dem gegenwärtigen Verteidigungsminis-
ter; aber er war immerhin derjenige, der neue Beschaf-
fungen veranlasst hat. Ich weise darauf hin, auch wenn
es uns noch viel zu lange dauert.

Ich komme zum Schluss. Wenn wir unsere Anstren-
gungen nicht massiv verstärken, werden wir nicht voran-
kommen, sondern zurückfallen. Rupert Neudeck hat
kürzlich bei einer Anhörung unserer Fraktion gesagt,
noch sei Afghanistan nicht verloren. Er hat das Wort
„noch“ betont. Noch ist nichts verloren, meine Damen
und Herren, aber die Zeit wird knapp. Darum müssen
wir zusammenstehen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611902600

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ruprecht Polenz

für die CDU/CSU-Fraktion.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1611902700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Etwa 60 Prozent der Menschen in Deutschland antwor-
ten auf die Frage, ob die Bundeswehr in Afghanistan
bleiben soll: Holt sie nach Hause. Hingegen sagen
80 Prozent der Menschen in Afghanistan: Bitte, bleibt
bei uns; wir brauchen euch so lange, bis wir selber für
unsere eigene Sicherheit sorgen können. Diese unter-
schiedlichen Meinungsspiegel in den jeweiligen Bevöl-
kerungen machen deutlich: Man hat in Afghanistan sehr
wohl verstanden, dass die Absicherung des zivilen
Aufbaus durch Streitkräfte – sie müssen noch aus dem
Ausland kommen, weil man selber nicht stark genug
ist – unabdingbar ist, während in Deutschland – gerade
unter dem Eindruck der Berichterstattung über den Irak-
krieg – der Eindruck entsteht, dass es in Afghanistan so
ähnlich wie im Irak werden könnte und dass man sich
deshalb lieber früher als später zurückziehen müsse.

Es stellt sich die Frage: Warum sind wir dort? Das
müssen wir mit den Bürgerinnen und Bürgern hier in
Deutschland besprechen. Wenn die Talibanregierung Bin
Laden nach den Anschlägen vom 11. September an die
USA ausgeliefert hätte, dann wären unsere Truppen
wahrscheinlich nicht in diesem Land. Weil sie das aber
nicht getan haben, weil sie vielmehr den Eindruck erweckt
haben, entschlossen zu sein, weiterhin mit al-Qaida zu-
sammenzuarbeiten und ihr einen Zufluchtsort zu gewäh-
ren, hat sich die Entwicklung dann so vollzogen, wie sie
sich vollziehen musste, im Interesse unserer eigenen Si-
cherheit.

Die Biografien der Attentäter vom 11. September, die
aus verschiedenen Ländern kamen und ganz unter-
schiedliche Personen waren, hatten eines gemeinsam, sie
waren alle für Wochen und Monate in Trainingscamps
der al-Qaida in Afghanistan gewesen. Wir wissen inzwi-
schen, dass die Anschläge der al-Qaida europaweit,
weltweit Opfer gefordert haben – darunter auch Deut-
sche in anderen Teilen der Welt. Die Anschläge in Lon-
don und Madrid und das, was im Sauerland geplant
wurde, gehen ebenfalls auf al-Qaida zurück.

Die Menschen bei uns fragen sich: Wie lange muss
die Bundeswehr in Afghanistan bleiben? Die Antwort ist
relativ einfach zu geben. Die Bundeswehr muss dort so
lange bleiben, bis von Afghanistan keine Gefahr mehr
für unsere Sicherheit ausgeht, bis Afghanistan selbst für
seine eigene Sicherheit sorgen kann. Denn der Satz:
„Ohne Frieden in Afghanistan gibt es keine Sicherheit
für uns“, ist richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zum Aufbau der eigenen Sicherheitsstrukturen
braucht Afghanistan Hilfe: zum Aufbau einer loyalen
Armee, der Polizei, eines funktionierenden Justizwesens
und einer funktionierenden Rechtsordnung. Dabei sind
sicherlich noch stärkere Anstrengungen als bisher nötig.
Insbesondere bei der Polizeiausbildung, bei der wir ur-
sprünglich als Führungsnation eine besondere Verant-
wortung getragen haben – bei EUPOL stellen wir nach
wie vor einen starken Anteil –, müssen wir mehr tun.
Denn im Bewusstsein der Afghanen tritt ihnen ihr eige-
ner Staat in den existenziellen Vorsorgevorkehrungen
gerade auch durch die Polizei gegenüber. Vor ihrer alten
Polizei hatten sie oft Angst. Sie war korrupt; sie war ein
Werkzeug von Warlords, von anderen. Deshalb ist es so
wichtig, eine zivile Bürgerpolizei aufzubauen, auf die
sich die Afghanen verlassen können. Das ist auch ein
Schlüssel für die Akzeptanz der afghanischen Regierung
in der afghanischen Bevölkerung.






(A) (C)



(B) (D)


Ruprecht Polenz

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir hier eine nachlaufende Verantwor-
tung aus unserer früheren Position als Führungsnation.
Ich würde mir wünschen, dass wir hier verstärkt darüber
sprechen – trotz unserer föderalen Probleme bei der Poli-
zeiausbildung –, wie wir hier mehr tun können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611902800

Es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei.

Ganz offenkundig möchten Sie sie zulassen. Bitte Herr
Kollege Nachtwei, Sie haben das Wort.


Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611902900

Kollege Polenz, Sie haben völlig zu Recht die Bedeu-

tung des Polizeiaufbaus für eine nachhaltige Sicherheits-
struktur in Afghanistan angesprochen und woran es da
bisher so eklatant fehlt. Wir waren gemeinsam auf der
NATO-Parlamentarier-Versammlung in Reykjavík, bei
der glücklicherweise auch acht Länderinnenminister da-
bei waren. Ist Ihnen bei den Länderinnenministern, die
zum Polizeiaufbau in Afghanistan durch Polizisten auch
etwas beitragen, irgendein sonderliches Interesse an der
Afghanistan-Frage aufgefallen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja! – Lachen bei der CDU/CSU)


unter anderem des nordrhein-westfälischen Innenminis-
ters Wolf von der FDP?


(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Der ist der Beste – mit Abstand!)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1611903000

Ich gehe davon aus, Herr Kollege Nachtwei, dass die

Innenminister von Bund und Ländern auf der einen Seite
das Problem haben, dass im Bewusstsein der deutschen
Bevölkerung die Präsenz der Polizei etwa auf der Straße,
an sozialen Brennpunkten stärker sein könnte, als sie es
ist. Von daher haben sie den Eindruck, sie hätten schon
in Deutschland an allen Ecken und Enden mit dem Poli-
zeieinsatz zu knapsen. Andererseits wissen sie im Sinne
einer Sicherheitsvorsorge und Prävention, dass die Hilfe
für Afghanistan auch Vorkehrungen erleichtert, die sie
sonst im Hinblick auf Terroranschläge, Prävention vor
solchen Attentaten, hier leisten müssten. Von daher kann
man wohl die Innenminister davon überzeugen oder sie
sind davon überzeugt, dass ein Einsatz deutscher Poli-
zeikräfte zu Ausbildungszwecken in Afghanistan der Si-
cherheit hier in Berlin auf dem Prenzlauer Berg oder in
München oder in Münster, wo wir beide herkommen, in
gleicher Weise dient.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen natürlich darüber nachdenken, was wir ma-
chen können, um Polizeikräfte schneller verfügbar zu
haben, damit wir die Lücke, die zwischen Militäreinsatz
und ziviler Verwaltung beim Aufbau von sogenannten
Failed States entsteht, rascher und schneller schließen
können.

Lassen Sie mich etwas zur Glaubwürdigkeit und Ver-
lässlichkeit sagen. Wir sind im Auftrag der Vereinten
Nationen in Afghanistan. Diejenigen, die heute sagen,
wir können der Verlängerung des Bundeswehrmandates
nicht zustimmen, oder die sich der Stimme enthalten, ge-
ben im Grunde den Vereinten Nationen diesen Auftrag
zurück. Wir sind auf Bitten der afghanischen Regierung
im Land. Wer sich heute der Stimme enthält oder dage-
gen stimmt, der sagt: Ihr habt uns vergebens gebeten,
seht zu, wir ihr klarkommt! Wir sind im Bündnis mit der
NATO in Afghanistan. Wer sich heute der Stimme ent-
hält oder dagegen stimmt, der sagt: Es ist uns egal, wie
ihr dort weitermacht. Wir verabschieden uns jetzt.

Machen Sie es sich mit den Signalen nicht so einfach!
Das sage ich an die Adresse der Grünen. Sie können
vielleicht noch der deutschen Öffentlichkeit das kompli-
zierte Verfahren erklären, wie Ihre Abstimmungen hier
stattfinden. In der Weltöffentlichkeit und in Afghanistan
wirkt eine mehrheitliche Enthaltung Ihrer Fraktion wie
der Einstieg zum Ausstieg. Daran führt überhaupt kein
Weg vorbei. Ich glaube, dass diese Verantwortung auf
manchen von Ihnen schwer lastet. Vielleicht führt dies ja
noch dazu, dass der eine oder andere sagt: Das Signal,
das von dieser Bundestagsabstimmung in Kabul an-
kommt, ist wichtiger als das, was bei meiner eigenen
Parteibasis vor Ort ankommt. Das ist die Frage, vor der
Sie stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir stehen zu Afghanistan und unserer Rolle, dabei
mitzuhelfen, das Land zu befrieden und aufzubauen. Wir
brauchen nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg einen
politischen Versöhnungsprozess. Grundlage dafür muss
die demokratisch verabschiedete neue afghanische Ver-
fassung sein.

Priorität hat der zivile Wiederaufbau. Die Erhöhung
der Mittel auf 125 Millionen Euro ist ein wichtiger
Schritt in diese Richtung, aber es müssen weitere folgen.
Es geht um Good Governance und um Arbeitsplätze in
Afghanistan. Die militärische Bekämpfung der Aufstän-
dischen muss gemeinsam mit unseren Bündnispartnern
fortgesetzt werden. Die Bundeswehr muss und wird so
lange bleiben, bis afghanische Sicherheitskräfte selbst
für die Sicherheit der Afghanen sorgen und gewährleis-
ten können, dass von afghanischem Territorium keine
Gefahren mehr für uns und die internationale Gemein-
schaft ausgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611903100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Mogg für

die SPD-Fraktion.


Ursula Mogg (SPD):
Rede ID: ID1611903200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ehrt dieses Parlament und unsere Gesellschaft insge-






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Mogg
samt, dass wir über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte
immer wieder neu miteinander ringen. Das tun wir heute
einmal mehr. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns
nur eine absolut offene und intensive Diskussion vor-
wärtsbringt und letztlich auch eint.

Wir erwarten heute eine breite Mehrheit im Deut-
schen Bundestag zur Fortsetzung des militärischen En-
gagements in Afghanistan einschließlich des Einsatzes
der Tornados. Das ist das Ergebnis fortgesetzter Debat-
ten – oft schwierig, zugegeben. Diese Debatten, liebe
Kolleginnen und Kollegen von den Linken, folgen kei-
ner Kriegslogik; ganz im Gegenteil.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Medien berichten über jede einzelne Variante
unserer Diskussion, und das ist auch gut so. Wir tau-
schen uns mit afghanischen Kolleginnen und Kollegen
ebenso aus wie mit den Kolleginnen und Kollegen im
Bündnis. Als Fachpolitiker suchen wir das Gespräch mit
den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und selbstver-
ständlich mit all denen, die in den unterschiedlichsten
Organisationen Verantwortung für den demokratischen
und zivilen Aufbau des Landes übernommen haben.

Uns erreichen in diesen Tagen viele Hinweise und
Ratschläge von Bürgerinnen und Bürgern unseres Lan-
des. Gerade heute Morgen haben Menschen vor diesem
Parlament ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Ein-
satz zum Ausdruck gebracht. Ich möchte feststellen: Wir
wägen jedes einzelne Argument. Wir geben nicht ein-
fach Prokura, liebe Kollegin Künast. Das sage ich in
Würdigung Ihres persönlichen Meinungsfindungspro-
zesses, aber auch des Meinungsfindungsprozesses Ihrer
Fraktion und Partei. Die Erfahrung lehrt, dass wir das
ganz ordentlich machen. Dafür ist die Debatte über den
Einsatz der Aufklärungs-Tornados ein gutes Beispiel.
Nach einer mehr als kritischen und intensiven Diskus-
sion ist der Auftrag der Tornados klar: Sie leisten keine
militärische Luft-Boden-Unterstützung. Sie führen topo-
grafische Aufklärung durch. Das Lagebild, das nach der
Rückkehr erstellt wird, ist mehrere Stunden alt und so-
mit untauglich für eine direkte Zieldatenübermittlung.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Vor dem Hintergrund einer erkennbar schwierigen
Lage wird der Ruf nach einem Strategiewechsel laut.
Welche Strategie aber ist notwendig und richtig? Viele
Kolleginnen und Kollegen haben sich in dieser Debatte
schon kritisch mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ja, es
ist wahr, wir können und müssen noch mehr tun für den
zivilen Aufbau. Ja, wir können und müssen noch mehr
tun für Schulen und Bildung. Ja, wir können und müssen
noch mehr tun für den Aufbau und den Dialog mit der
Zivilgesellschaft. Ja, der Zugang zu medizinischer Ba-
sisversorgung ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.
Aber stellt die Aufstockung von Mitteln für zusätzliche
Projekte allein schon einen Strategiewechsel dar? Ich
meine: Nein.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)

Notwendig und richtig aber ist es, die unterschiedli-
chen Ansätze und Akteure zu einem abgestimmten und
kohärenten Ansatz zusammenzuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte mit einem kleinen Beispiel arbeiten: Viele
fleißige Arbeiter haben sich vorgenommen, ein großes
schönes Haus zu bauen. Sie haben auch viele gute Ideen,
wie dieses Haus aussehen soll. Allerdings sind zu viele
Architekten am Werk. So ist an eine Realisierung der gu-
ten Idee nicht zu denken.

Der Kollege Bartels hat die unterschiedlichen Vorge-
hensweisen gestern in einem Beitrag in der Financial
Times Deutschland am Beispiel des Sicherheitssektors
beschrieben: Einheiten unter NATO-Kommando, Ein-
heiten unter OEF-Kommando, nationale Kräfte, die kei-
nem der beiden Kommandos unterstellt sind, und private
Sicherheitsfirmen, mit deren Arbeit sich aus guten Grün-
den derzeit der US-Kongress beschäftigt. Darüber hi-
naus gibt es die afghanische Armee und die afghanische
Polizei. Ich füge hinzu: Jeder dieser Akteure hat jenseits
der Kommandostruktur und des Auftrags gelegentlich
auch eine sehr spezielle Idee davon, wie der Auftrag,
Sicherheit für Land und Leute herzustellen, erreicht werden
kann. Zugegeben, das ist etwas vereinfacht. Aber es geht
im Kern in der Tat um ein Konzept für Afghanistan, das
die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
militärischen Aspekte des internationalen Engagements
auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Nur so ist das
Ziel zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als Verteidigungspolitikerin unterstreiche ich klar
und deutlich die Notwendigkeit, noch mehr in zivile Pro-
jekte zu investieren. Was sonst? Es ist jedoch meine
Aufgabe, insbesondere einen Blick auf das ebenso unbe-
stritten notwendige militärische Engagement zur Absi-
cherung der Gesamtentwicklung zu werfen. Ministerin
Wieczorek-Zeul unterstreicht zu Recht, dass eine rasche
Stabilisierung der Situation in Afghanistan durch Ent-
wicklungshilfe allein nicht zu leisten ist. Was also ist zu
tun?

Aufgabe Nummer eins: alle Maßnahmen kritisch
überprüfen und, wenn notwendig, neu justieren.

Aufgabe Nummer zwei: afghanische Sicherheitskräfte,
Soldaten und Polizisten weiter ausbilden und damit in
die Lage versetzen, die Sicherheit des Landes selbst ge-
währleisten zu können. Dazu gehört auch, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, sie so zu bezahlen, dass sie zur
Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht darauf angewie-
sen sind, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn der Tagelöhner im deutschen Feldlager mehr ver-
dient als ein Polizist, darf man sich über nichts wundern.
Die aktuellen Berichte nach der Befreiung der deutschen
Geisel sind ein Beispiel dafür.

Aufgabe Nummer drei: Das PRT-Konzept muss wei-
ter in die Fläche wirken können. Dazu sind kleine Teams
aus zivilen und militärischen Kräften zu bilden, die die






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Mogg
ländliche Bevölkerung in den oft weglosen Regionen er-
reichen. Ihre Aufgabe muss es sein, mit der Bevölkerung
vor Ort sinnvolle Projekte zu identifizieren und zu reali-
sieren. Dabei geht es auch um die Stärkung der Afghan
Ownership. Dabei müssen die finanziellen Mittel, die
den PRTs zur Verfügung stehen, im Interesse einer
schnellen und flexiblen Hilfe aufgestockt werden.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Aufgabe Nummer vier: Kohärenz erarbeiten für alle
Bereiche. Das ist nicht nur naheliegend – siehe Beispiel
Sicherheitssektor –, sondern zwingend notwendig.

Last, not least Aufgabe Nummer fünf: Wir müssen
uns offen und ehrlich mit der Situation in Afghanistan
befassen. Das bedeutet auch, dass wir unseren eigenen
militärischen Beitrag kritisch an der Herausforderung
messen. Darauf hat unter anderem der ehemalige Bun-
deswehrgeneralinspekteur Kujat in einem Beitrag in der
Ausgabe des Tagesspiegel von vorgestern hingewiesen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick auf
ein Ereignis dieser Woche werfen: die Fotoausstellung
des Bundesministeriums der Verteidigung, nur einige
Meter von hier entfernt im Paul-Löbe-Haus. Es sind fan-
tastische Bilder von grandiosen Landschaften, von Men-
schen, jungen, dynamischen Menschen, Kindern, zum
Beispiel einem Jungen, der sich mit seiner Jacke als Fan
des FC Bayern München präsentiert.


(Beifall des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich rate Ihnen allen, diese Ausstellung anzusehen. Herr
Minister, ich schlage Ihnen vor, darüber nachzudenken,
diese Ausstellung auf Reisen gehen zu lassen, damit sie
überall im Land gesehen werden kann. Sie ist wirklich
absolut fantastisch.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich
wünsche sehr, dass das Ergebnis der gemeinsamen An-
strengungen möglichst bald möglichst vielen Afghanen
viele neue Perspektiven bietet; denn im Kern geht es um
unser aller Sicherheit. Zur Fortsetzung des Mandates
gibt es derzeit keine Alternative.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611903300

Bernd Schmidbauer ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1611903400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich will mit einem Zitat von Herrn
Naumann beginnen, der jüngst unter dem Titel „Bünd-
nisfall im Bundestag“ zu der aktuellen Debatte über Af-
ghanistan Stellung bezogen hat. Ich stimme ihm zu. Er
verweist auf eine Kommission des britischen Parla-
ments, die festgestellt hat:
Afghanistan braucht eine dauerhafte militärische
und finanzielle Verpflichtung der internationalen
Gemeinschaft. Wenn sie am Hindukusch Erfolg ha-
ben will, muss der Umfang ihres Engagements sehr
groß sein – wesentlich größer, als es die Weltge-
meinschaft gegenwärtig wahrhaben will, ge-
schweige denn zu leisten bereit ist.

Das ist eine Seite der Debatte über unseren Einsatz in
Afghanistan.

Zu Recht führt Herr Naumann aus, dass der Bundes-
wehreinsatz in Afghanistan keine Frage von Monaten,
sondern von Jahren ist. Ich teile auch die Ansicht, dass,
wenn sich die internationale Gemeinschaft aus Afgha-
nistan zurückzieht, das Land zurück in die Hände der Ta-
liban fällt und wieder eine Brutstätte des Terrorismus
wird. Die Gefahren würden von dort zu uns kommen,
und wir müssten ihnen auf unserem Boden begegnen.
Wer hier noch Anschauungsunterricht braucht, sollte
einmal die letzten terroristischen Angriffe in Europa
analysieren; dann sieht er, woher sie eigentlich gekom-
men sind. Wenn wir unser Engagement aufgeben, dann
hat nicht nur die NATO, sondern die ganze zivilisierte
Welt verloren.

Es wird mehrfach betont, dass Afghanistan eines der
ärmsten und am meisten geschundenen Länder dieser
Welt ist. 30 Jahre lang befindet sich Afghanistan im
Krieg. Die Menschen leben unter furchtbaren Umstän-
den; sie haben viele Familienangehörige und Freunde
verloren, ebenso ihre Häuser, ihr Hab und Gut. Außer-
dem gibt es kaum Erwerbsmöglichkeiten in dieser Zeit.

Hinzu kommen schwierige Umweltbedingungen. Die
Wüste breitet sich immer stärker aus; die Menschen ha-
ben unter Dürreperioden zu leiden. Die Menschen flie-
hen, die Menschen werden vertrieben. Walter Kälin, der
Beauftragte des UN-Generalsekretärs für die Menschen-
rechte von Binnenflüchtlingen, hat aktuell darauf hinge-
wiesen, dass es mindestens 80 000 Binnenflüchtlinge
gibt.

Wenn von humanitärer Leistung geredet wird, wird
oft vergessen, dass der Zugang zu dieser Hilfe ein großes
Problem darstellt. Sie ist kaum mehr möglich, da Mit-
arbeiter von Hilfsorganisationen angegriffen oder sogar
getötet werden. Diesen Umstand nicht zu beachten, ist
ein Schwachpunkt in der Argumentation vieler. Ich bin
dafür, dass wir humanitäre Hilfe leisten. Aber es kann
nicht angehen, dass gleichzeitig der militärische Einsatz
verteufelt wird. Dabei wird nämlich vergessen, dass das
eine ohne das andere völlig unmöglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Seit sechs Jahren unternimmt die Weltgemeinschaft
den Versuch, aus Afghanistan, einem – um es vornehm
auszudrücken – sehr instabilen Land, in dem zum Teil
katastrophale Zustände herrschen und das zum Teil Brut-
stätte des Terrorismus war und noch immer ist, ein Land
mit Perspektiven für die Bevölkerung zu entwickeln. Ei-
nes ist aber klar: Wunder sind nicht zu erwarten. Viele
Dinge – das wird deutlich – laufen gut; viele Dinge lau-
fen schlecht oder nur sehr schleppend. Viele Fragen und






(A) (C)



(B) (D)


Bernd Schmidbauer
Probleme sind nicht gelöst. Ich nenne beispielsweise den
Drogenanbau, Drogenhandel, Korruption, fehlende oder
kaum belastbare Sicherheitsstrukturen sowie die Ausbil-
dung der Polizei- und der Armeekräfte. Hier muss es
Druck auf die Karzai-Regierung geben.

Lieber Herr Kollege Nachtwei, ich möchte noch et-
was zu Ihrer Argumentation von vorhin bezüglich der
Länder sagen. Ich glaube, wir können feststellen, dass
der Innensenator von Berlin, Herr Dr. Hanning und an-
dere mehrfach in Afghanistan waren und sich um diese
Dinge gekümmert haben. Es ist nicht so, dass man alles
schleifen lässt. Trotzdem gehört zur Wahrheit, dass sich
die internationale Gemeinschaft, insbesondere Europa,
intensiver um diese Fragen kümmern muss und dafür
eintreten muss, dass bürokratische Hemmnisse abgebaut
werden. Es darf letztendlich nicht über Reisekosten de-
battiert werden, sondern man muss über die Probleme
vor Ort wie den Aufbau von Sicherheitsstrukturen reden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Eine Bemerkung noch zum Thema Drogenanbau,
das schon ein Kollege angesprochen hat. Es ist wahr,
dass 92 Prozent des Rohopiums aus diesem Land kom-
men und damit überall Unheil angerichtet wird. Es ist
aber auch wahr – der Kollege von Klaeden hat darauf
hingewiesen –, dass in einigen Provinzen kein Opium
mehr produziert wird. Es gibt also einen leichten Rück-
gang bei der Opiumproduktion. Was heißt aber schon
leichter Rückgang? Dies sind nur sehr kleine Fort-
schritte. Aber sie gehören zur Beschreibung der Realität
dazu.

Es muss deutlich werden, dass wir nicht nur den mili-
tärischen Aspekt in den Vordergrund stellen und nur
über die Fortsetzung unseres militärischen Engagements
reden. Auch der zivile Wiederaufbau ist von ganz ent-
scheidender Bedeutung. Es muss hier ein Zusammen-
spiel von Sicherheits- und Entwicklungspolitik geben.
Das ist die Forderung, die an uns herangetragen wird
und die sich in der Konzeption der Bundesregierung nie-
derschlägt. Auch die NGOs können ihre Arbeit nicht
ohne den Schutz des Militärs leisten.

Ich will noch auf einen weiteren Punkt hinweisen,
nämlich auf die Nachbarländer. Wenn wir über Afgha-
nistan reden, verkennen wir oft die Situation im Iran und
in Pakistan. Dieser Mangel soll jetzt mithilfe der Vor-
schläge der G 8 behoben werden. Herr Bundesaußen-
minister, eine wichtige Bitte: Lassen Sie an dieser Stelle
nicht locker! Pakistan ist der Schlüssel für die Befrie-
dung Afghanistans.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wer anderes erzählt, verkennt die Wirklichkeit. Er sieht
nicht, welche Kämpfe sich in den Provinzen im Grenz-
gebiet zu Pakistan abspielen. Dieses Gebiet ist ein Rück-
zugsgebiet der Taliban, wo sie sich mit al-Qaida-Kämp-
fern treffen, um Anschläge vorzubereiten und um
Menschen auszubilden, die dann in unser Land zurück-
kehren.

Ich muss nicht besonders darauf hinweisen, wie sensi-
bel derzeit der Dialog mit dem Iran ist. Denn auch der
Iran leidet unter der Bedrohung, die von Afghanistan
ausgeht.

Sicherlich geht es mit dem Fortschritt nur langsam
voran. Aber es geht voran. Es gibt keine Alternative zu
unserer Politik. Ich will, ohne alles aufzuzählen, auf fol-
gende Fortschritte hinweisen: 50 Prozent der schul-
pflichtigen Kinder haben Zugang zu Schuleinrichtungen.
Vor einigen Jahren waren es nur 20 Prozent. Insgesamt
wurden 3 500 Schulen, allein 300 von der Bundes-
republik Deutschland, gebaut. Es besteht eine medizini-
sche Grundversorgung in weiten Teilen des Landes. All
diese Dinge sind nicht zu übersehen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611903500

Herr Kollege.


Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1611903600

Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Bei aller Kritik dürfen wir jetzt das kleine Pflänzchen
Hoffnung, dass wir angebaut haben, nicht der Zerstörung
preisgeben. Wenn wir jetzt aufgeben und kapitulieren,
dann haben die Gegner der zivilisierten Welt gewonnen.
Das wollen wir nicht zulassen. Wir werden den Men-
schen in Afghanistan zur Seite stehen und helfen, den
eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Gehen Sie mit!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611903700

Das Wort hat nun der Kollege Gert Weisskirchen für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1611903800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Warum wird die SPD dem Antrag der Bundesregierung
zustimmen?


(Zuruf von der LINKEN: Ja, genau!)


Mit unserem Ja werden wir deutlich machen und dazu
beitragen, dass die afghanische Bevölkerung ihre Le-
bensbedingungen durch ihr eigenes Handeln verbessern
kann. Damit die afghanische Bevölkerung dies tun kann,
braucht sie ein Mindestmaß an Sicherheit. Deshalb ist es
nötig, dass wir die Mandate verlängern, und deshalb ist
es nötig, dass ISAF gestärkt wird.

ISAF hat kein zentral militärisches Ziel; das wissen
alle, die sich intensiv mit der Sache befassen, lieber Kol-
lege Gehrcke. ISAF hat das Ziel, politisch dazu beizutra-
gen, die Institutionen – den gewählten Präsidenten, das
gewählte Parlament und die Provinzräte – und die Zivil-
gesellschaft in Afghanistan zu stärken. Die Menschen in
Afghanistan sollen die Chance erhalten, ihr Leben in die






(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)

eigene Hand zu nehmen. Deshalb brauchen wir die Ver-
längerung des Mandats. Das wissen alle, die sich mit Af-
ghanistan im Detail befassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich empfehle denjenigen, die in ihrer Entscheidung
noch schwanken, sich zu überlegen, ob sie nicht einmal
in dieses Land fahren sollten, um den Menschen vor Ort
zu begegnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Versperren Sie doch nicht die Augen vor der Realität in
Afghanistan! Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie
sich die Ohren zustopfen, weil Sie die Klagen der Men-
schen in Afghanistan nicht hören wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Menschen in Afghanistan wollen, dass wir dort sind.
Sie wollen, dass wir uns nicht wieder abwenden, und sie
wollen sich gemeinsam mit uns auf einen neuen Weg be-
geben.

Gibt es irgendeinen Zweifel daran, was geschehen
würde, wenn wir heute mit Nein stimmen würden? Lie-
ber Kollege Ströbele, Sie werden das ja gleich tun. Mei-
nen Sie nicht, dass Ihr Nein dazu führen könnte, dass die
Tweede Kamer, die in den Niederlanden im nächsten
November über die Verlängerung entscheiden wird, das
Mandat beendet? Meinen Sie nicht, dass dann auch die
Kollegen im Abgeordnetenhaus in Ottawa mit Nein
stimmen und sich dem Mandat verweigern werden?

Was wäre denn die Konsequenz? Afghanistan würde
wieder in die Hände der Taliban fallen. Lieber Kollege
Ströbele, wollen Sie das etwa? Das kann ich mir nicht
vorstellen. Deswegen bitte ich Sie, noch einmal sehr ge-
nau darüber nachzudenken, ob ein Nein nicht vielleicht
doch dem Terrorismus die Chance böte, sich weiter ein-
zunisten, den Menschen zu beleidigen und Frauen zu un-
terdrücken. Das wollen wir beenden, und deswegen
brauchen wir die Verlängerung des ISAF-Mandats.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lieber Kollege Ströbele und alle anderen, die noch nach-
denken: Stimmen Sie mit Ja, damit ISAF mithelfen
kann, dafür zu sorgen, dass Afghanistan eine Chance
hat, sich gut und friedlich zu entwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frau Kollegin Mogg hat darauf hingewiesen, dass
man sich im Paul-Löbe-Haus gegenwärtig eine Aus-
stellung über Afghanistan anschauen kann. Ich bitte
Sie herzlich, sich diese Ausstellung anzuschauen. Die
Bilder, die Sie dort sehen können, zeigen Menschen aus
Afghanistan, die, wenn wir mit Nein stimmen würden,
ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren wür-
den.

Schauen Sie sich das eindrucksvolle Bild an, das eine
Witwe zeigt! Sie heißt Sakina. Dort steht in der Doku-
mentation, dass sie mit ihren drei Kindern in einer Fels-
höhle lebt. Sie hat eine ganz kleine Tür, die sie vor Ein-
dringlingen schützt. Diese Tür hat aber nicht vor den
Taliban geschützt, die gekommen sind und ihren Mann
vor ihren Augen erschossen haben. Sakina sagt – auch
das können Sie in der Dokumentation lesen –: Alle Trä-
nen habe ich schon vergossen.

Ich hoffe sehr, dass wir alle bei unseren Entscheidun-
gen, die wir hier treffen, genau solche Menschen vor Au-
gen haben, die ihre Hoffnung darauf setzen, dass sie von
dieser Schreckensherrschaft befreit werden. Unser Ja
dient dazu, dass diese Menschen wissen: Es gibt weit
weg von ihnen, in Europa, in Deutschland und an-
derswo, gewählte Frauen und Männer in den Parlamen-
ten, die ihr Schicksal sehr genau kennen und mit ihnen
gemeinsam versuchen, Elend, Hunger und Not abzuwen-
den. Das brauchen diese Menschen. Unser Ja ist ein Ja
zu ihrer guten Zukunft.

Deshalb bitte ich Sie alle, dem Antrag der Bundes-
regierung zuzustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611903900

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gysi das

Wort.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Dienstreiseantrag nach Afghanistan stellen!)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611904000

Herr Weisskirchen, ich habe Ihnen und auch Frau

Wieczorek- Zeul sehr genau zugehört. Ich möchte kurz
darauf erwidern.

Erstens. Es gibt viele zivile Aufbauhelfer – das er-
wähnen Sie nie –, die sagen, dass sie überhaupt nur aktiv
in Afghanistan tätig sein können, wenn der erste Soldat
zehn Kilometer entfernt ist. Das widerlegt Ihre These,
dass sie die Soldaten dringend benötigen, um Aufbau-
hilfe zu leisten.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Sie setzen sich nicht mit der Frage aus-
einander, dass wir nur ein Fünftel der Mittel für Ent-
wicklungshilfe und vier Fünftel der Mittel für die Bun-
deswehr zur Verfügung stellen. Das Verhältnis ist grob
falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Sie haben mich hier das letzte Mal ausge-
lacht, als ich von Selbstbefreiung gesprochen habe.
Herr Weisskirchen, worauf hoffen wir beide in Birma?
Wir hoffen auf Selbstbefreiung und nicht darauf, dass
die Bundeswehr das regelt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen die Mönche und die Zivilbevölkerung unter-
stützen, damit es dort eine Selbstbefreiung gibt. Aller-
dings weise ich darauf hin: Anschließend darf der Wes-
ten sich nicht die Reichtümer des Landes aneignen.
Auch das ist wichtig, damit es eine Selbstbefreiung wird.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gregor Gysi
Lassen Sie mir meine Logik. Sie haben Ihre Logik,
aber auch ich habe eine. Versuchen Sie doch einmal, sie
zu verstehen. Es gibt entsetzliche terroristische Akte.
Darüber sind wir uns völlig einig. Wie reagiert der Wes-
ten? Mit Bomben. Wir führen Krieg. Bomben führen im-
mer zu Kollateralschäden, auch in Afghanistan. Dort
wurden zum Beispiel eine Geburtsfeier und eine Hoch-
zeitsgesellschaft bombardiert. Es gibt also unter Unbe-
teiligten Tote. Was ist die Folge? Als Folge entsteht
Hass. Dann findet sich jemand wie Bin Laden, der den
Hass dieser Leute nutzt und aus ihnen Terroristen macht.
Dann erleben wir die nächsten Anschläge in Madrid und
London. Daraufhin kommen von uns wieder Bomben.
Verstehen Sie nicht, dass wir aus dieser Spirale der Ge-
walt herausmüssen? Das ist unser Anliegen.


(Beifall bei der LINKEN)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1611904100

Lieber Kollege Gysi, offenbar hat es das, was im Sep-

tember 2001 geschehen ist, nicht gegeben. Haben Sie
vergessen, dass die Brutstätte jener Terroristen in Afgha-
nistan war?


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Haben Sie vergessen, dass al-Qaida dort ihren Mordzug
begonnen hat? Haben Sie vergessen, dass es Bin Laden
war, der unsere eigene Zivilisation zum Ziel gemacht
hat, um seine instrumentelle Sicht, seinen Terrorismus
durchzusetzen? Haben Sie das alles vergessen, lieber
Kollege Gysi? Ich habe es nicht vergessen.


(Zurufe von der LINKEN: Schauspieler!)


Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass die Antwort,
die die UNO gibt – sie ist völkerrechtlich gesichert, steht
auf dem Boden unserer nationalen Rechte und wird
durch das Bundesverfassungsgericht unterstützt –, völ-
kerrechtlich fragwürdig ist, dann muss ich Ihnen sagen:
Sie sind Jurist. Was für ein Jurist sind Sie denn? Was ist
denn das für eine völkerrechtliche Argumentation?


(Lebhafter Beifall bei der SPD und der CDU/ CSU sowie Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611904200

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Hans

Raidel für die CDU/CSU-Fraktion. Dann wird es noch
eine Erklärung zur Abstimmung geben, Herr Kollege
Ströbele, die nach unserer Geschäftsordnung am Schluss
der Aussprache erfolgt. – Kollege Raidel.


Hans Raidel (CSU):
Rede ID: ID1611904300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vor wenigen Monaten saßen Parlamentarierin-
nen aus Afghanistan hier auf der Tribüne; damals haben
alle Fraktionen weitere Unterstützung zugesagt. Heute
besteht die Möglichkeit, dieses Versprechen einzulösen.
Deswegen bitten wir um Zustimmung zu diesem Man-
dat. Die Regierung in Afghanistan, die Bevölkerung, das
Parlament, sie alle bitten uns um weitere Unterstützung,
vor allem um deutsche Unterstützung, weil sie um die
Qualität unseres Engagements im zivilen und im militä-
rischen Bereich wissen.

Niemand bestreitet Rückschläge, niemand bestreitet
Schwierigkeiten, aber insgesamt gibt es eine positive
Entwicklung, die doch nicht aufs Spiel gesetzt werden
darf. Das wurde auch heute wieder in allen Beiträgen
deutlich.

Die Bundeswehr leistet einen hervorragenden, einen
entscheidenden Sicherheitsbeitrag; darauf sollten wir
stolz sein, statt diesen Beitrag kleinzureden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich wünschte mir, dass wir manchmal mehr Zivilcourage
hätten, hier im Parlament und auch draußen bei öffentli-
chen Diskussionen.


(Zuruf von der SPD: Haben wir doch!)


Ich danke allen, die sich dort in Afghanistan im zivi-
len und vor allem im militärischen Bereich für diese gute
Sache einsetzen, in erster Linie unserer Bundeswehr. Sie
hat hierbei sicherlich den schwierigsten und gefährlichs-
ten Part zu leisten. Deshalb – das muss hier ebenfalls be-
tont werden – steht der Schutz unserer Soldaten für uns
an oberster Stelle.

Nach meiner Überzeugung leistet die Bundeswehr
auch den wichtigsten Part in dem gesamten Wiederauf-
bauszenario, weil jeder Kundige weiß: Ohne Sicherheit
gibt es keinen Wiederaufbau. – Dieses Zitat von Ihnen,
Herr Struck, stimmt in vollem Umfang.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir sind im Norden des Landes eingesetzt, meine Da-
men und Herren, und wir erledigen unsere Aufgaben
umsichtig und vor allem effektiv. Nach meiner Auffas-
sung sollten wir es dabei belassen. Wir sollten keine in-
haltliche Ausweitung des Mandates beschließen, weil
wir die Bundeswehr damit personell und materiell über-
fordern könnten und dadurch die Erfüllung des jetzigen
Auftrages möglicherweise an Qualität einbüßte. Um-
fangreiche Nothilfe für andere Partner leisten wir ohne-
hin, materiell und auch personell.

Damit hier nichts falsch verstanden wird: Wir sind für
jede konstruktive Kritik dankbar. Aber Kritik, ohne Bes-
seres anzubieten, kann doch keine Beachtung finden.
Das gilt für NGOs, und das gilt auch hier im Parlament,
meine Damen und Herren. Es kann doch nun wirklich
keine Alternative sein, aus Afghanistan herauszugehen,
denn das würde das bisher Erreichte auf allen Gebieten
gefährden.

Unser Ziel bleibt auch weiterhin: Wir wollen die Her-
zen der afghanischen Bevölkerung gewinnen und sie auf
dem Weg in eine gute Zukunft unterstützen. Unsere ei-
gene Bevölkerung wollen wir weiter davon überzeugen,
dass unser Engagement auch unserer Sicherheit dient.
Wir kennen alle Probleme in Afghanistan: Wir kennen
unsere dortigen Probleme, wir kennen diejenigen der
Regierung und die der Bevölkerung. Die Bundesregie-






(A) (C)



(B) (D)


Hans Raidel
rung hat deshalb dankenswerterweise einen neuen Af-
ghanistan-Plan beschlossen. Die Erhöhung der Sicher-
heit und die Fortsetzung des zivilen Aufbaus werden neu
bewertet und verbessert. Wir begrüßen diesen Fortschritt
und unterstützen alle Einzelmaßnahmen.

Meine Damen und Herren, mit dem heutigen Be-
schluss zur Verlängerung dieses Mandats stehen unsere
Glaubwürdigkeit und unsere Zuverlässigkeit bei der
Bevölkerung in Afghanistan auf dem Prüfstand. Wir dür-
fen nicht nur Staub aufwirbeln, sondern wir müssen dort
auch Spuren hinterlassen. Deswegen bitte ich Sie alle:
Geben Sie unseren Soldaten mit Ihrer Zustimmung den
notwendigen parlamentarischen Rückhalt! Setzen wir
für Afghanistan ein weiteres Zeichen der Hoffnung!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611904400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/6612 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung
der NATO.

Hierzu liegen zahlreiche Erklärungen zur Abstim-
mung von Mitgliedern des Hauses vor, die dem Proto-
koll beigefügt werden.1)

Bevor wir mit der Abstimmung beginnen, erhält nach
§ 30 unserer Geschäftsordnung der Kollege Ströbele die
Gelegenheit, eine Erklärung zur Aussprache abzugeben,
in der die Möglichkeit besteht, Äußerungen klarzustel-
len, die sich auf die eigene Person bezogen haben. Diese
Erklärung erfolgt nach unserer Geschäftsordnung nach
Schluss der Aussprache, also jetzt. Sie müssen sich da-
her noch einen kleinen Augenblick gedulden. Ich
schlage vor, dass Sie das im Sitzen tun.

Bitte schön, Herr Kollege Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Herr Präsident. – Ich habe mich zu Wort ge-
meldet, weil mich der Kollege Weisskirchen in seiner
Rede mehrfach angesprochen und aufgefordert hat, statt
mit Nein mit Ja zu stimmen. Er hat einige Gründe vorge-
tragen, zu denen ich etwas sagen möchte.

Herr Kollege Weisskirchen, ich hatte den Eindruck,
Sie haben Ihre Rede von vor drei Jahren gehalten. Die-
sen Eindruck hatte ich auch bei der Rede der Ministerin
und bei einigen Reden aus den Reihen der Koalition,
weil keiner von Ihnen – auch Sie nicht, Herr
Weisskirchen – mit einer einzigen Silbe dazu Stellung

1) Anlagen 2 bis 10
genommen hat, dass sich die Situation in Afghanistan in
den letzten drei Jahren dramatisch verändert hat.

Sie sagten, Sie wollen die Herzen der Menschen in
Afghanistan gewinnen. Wir sind immer weiter davon
entfernt, die Herzen der Menschen zu gewinnen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will mich jetzt nicht mit Ihnen darüber streiten, ob es
überhaupt noch viele Leute in Afghanistan gibt, die sa-
gen: Die Militärs sollen bleiben. Aber eines ist klar: Die
OEF-Einsätze, die im Süden Afghanistans stattfinden,
tragen dazu bei, das Hass gesät wird und den Taliban
neue Kämpfer zugetrieben werden.

Sie können doch nicht heute Ihre Rede von damals
halten, ohne darauf einzugehen, dass sich die Sicher-
heitslage in Afghanistan dramatisch verschärft hat, dass
die Zahl der Gewalttaten um 30 Prozent gestiegen ist
und dass allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres
viel mehr Menschen in Afghanistan im Krieg umgekom-
men sind als im ganzen letzten Jahr. Sie müssen zur
Kenntnis nehmen, dass diese Art der Kriegsführung in
die Irre führt, dass ein Strategiewechsel dringend erfor-
derlich ist, dass man der Fortsetzung des ISAF-Mandats
nicht zustimmen kann, wenn kein Strategiewechsel statt-
findet,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


und dass die Bundesregierung zu einem Strategiewech-
sel verpflichtet ist.

Sie haben hier behauptet, ISAF hat lediglich die Auf-
gabe, den Aufbau sicherzustellen und die Bevölkerung
zu schützen. Das war das ursprüngliche Mandat von
ISAF. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass heute jeden Tag,
jede Woche ISAF-Soldaten an dem Offensivkrieg im Sü-
den Afghanistans beteiligt sind, dass sie genauso wie die
OEF-Soldaten an der offensiven Kriegführung schuld
sind, bei der immer wieder Dutzende, Hunderte von Zi-
vilisten umkommen. Wenn Sie mir das nicht glauben,
dann glauben Sie das Herrn Generalmajor Kasdorf, der
vorgestern in der FAZ erklärt hat: 90 Prozent der Spe-
zialeinsätze von OEF geschehen mit Unterstützung
durch ISAF-Einsätze, sind überhaupt nicht denkbar ohne
die Unterstützung durch ISAF-Einsätze.

Wer das alles zur Kenntnis nimmt, der muss einen
Strategiewechsel fordern. Ohne einen Strategiewechsel
führt das in die Irre. Auch die Bedrohung, in Deutsch-
land, in Europa durch terroristische Anschläge getroffen
zu werden, bomben Sie und andere in Afghanistan gera-
dezu herbei. Deshalb werde ich dabei bleiben, hier mit
Nein zu stimmen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1611904500

Nun mache ich noch einmal darauf aufmerksam, dass

es zu diesem Antrag der Bundesregierung eine Be-
schlussempfehlung gibt. Diese Beschlussempfehlung






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
auf der Drucksache 16/6612 hat zum Inhalt, diesem An-
trag zuzustimmen.

Es ist hier namentliche Abstimmung verlangt. Ich
bitte noch einmal, bei der Stimmabgabe darauf zu ach-
ten, dass die Stimmkarten, die Sie verwenden, Ihren Na-
men tragen. Ich nehme an, dass die Schriftführerinnen
und Schriftführer an den vorgesehenen Stellen ihre
Plätze eingenommen haben. – Das scheint der Fall zu
sein. Ich eröffne die Abstimmung.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611904600

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine

Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
werden wir später bekanntgeben.1)

Ich komme jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
wärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/6613 zu dem
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu dem
Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afghanistan.
Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf
Drucksache 16/6461 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung des gan-
zen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die weiteren Ent-
schließungsanträge:

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/6663? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
bei Zustimmung der FDP und Ablehnung des übrigen
Hauses abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/6660? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Gegenstim-
men des übrigen Hauses ebenfalls abgelehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6661? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen
und Gegenstimmen des übrigen Hauses ebenfalls abge-
lehnt.

Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6662? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit dem gleichen Ergebnis wie vorher abge-
lehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Sibylle Laurischk, Rainer Brüderle, Dirk Niebel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

1) Ergebnis Seite 12373 C
Konsequenzen der Auswanderung Hochquali-
fizierter aus Deutschland

– Drucksachen 16/3210, 16/5417 –

Hierzu ist verabredet, eineinhalb Stunden zu debattie-
ren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1611904700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach-

dem in dieser Woche verkündet wurde, dass zwei deut-
sche Naturwissenschaftler den Nobelpreis erhalten,
könnten wir vielleicht der Meinung sein, dass die Aus-
wanderung Hochqualifizierter in Deutschland keine
Rolle spielt.

Tatsächlich verlassen jährlich jedoch Zehntausende
das Land. Die Zahl steigt um rund 10 000 im Jahr. Insge-
samt verlassen offiziell 155 000 Menschen im Jahr
Deutschland. Dabei werden aber nur diejenigen als Aus-
wanderer gezählt, die sich bei den Meldeämtern abmel-
den. Die eigentliche Zahl dürfte höher liegen. Wir gehen
davon aus, dass sich 100 000 Menschen nicht abmelden,
sondern bei Freunden und Verwandten gemeldet bleiben.
Insofern muss man wohl davon ausgehen, dass pro Jahr
rund eine viertel Million Menschen aus Deutschland
auswandern.

Es ist nicht verwunderlich, dass das Phänomen Aus-
wanderung einen immer breiteren Raum in der öffentli-
chen Diskussion einnimmt. In etlichen Medienberichten
und mittlerweile auch Fernsehsendungen beschäftigt
man sich mit dieser Thematik.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach, deswegen habt ihr eine Große Anfrage gestellt!)


Es fällt auf, dass der Impuls, sein Glück in einem frem-
den Land zu suchen, nur zu einem geringen Teil von
Abenteuerlust und Suche nach Selbstverwirklichung ge-
prägt ist. Viele Auswanderer treffen keine Entscheidung
pro Auswanderung, sondern gegen die hiesigen Verhält-
nisse. Es erfolgt eine Abstimmung mit den Füßen.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ach!)


Hierbei sind die Gründe vielfältig, sie haben aber den
gemeinsamen Nenner, dass bekannte Strukturprobleme
in Deutschland seit Jahren nicht systematisch beseitigt
werden. Zu nennen sind unter anderem bürokratische
Hemmnisse für Selbstständige und Existenzgründer,
eine mangelhaft ausgestattete Forschungslandschaft und
bessere und offenere Forschungsbedingungen in anderen
Ländern.


(Jörg Tauss [SPD]: Zwei Nobelpreisträger in dieser Woche! – Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Sie sind auch die ganze Zeit in Deutschland gewesen!)







(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
– Sie haben etwas nicht verstanden, Herr Tauss. – Ärzte
haben im Ausland neben einem höheren Salär auch ge-
ordnete Arbeitszeiten. Die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ist bei uns mangels klarer Kinderbetreuungs-
angebote nicht gegeben. Junge Menschen aus den neuen
Bundesländern sind einfach gezwungen, wegzugehen,
um überhaupt Arbeit zu finden. Die Steuerquote ist in
Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern zu hoch.
Die FDP fordert seit Jahren eine Steuerreform. Die
Mehrwertsteuererhöhung mit den entsprechenden Preis-
steigerungen tut ein Übriges.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Deswegen wandern die dorthin aus, wo es 20 Prozent gibt!)


Die Auffassung der Bundesregierung in der Antwort
auf unsere Große Anfrage, dass eine isolierte Betrach-
tung der Auswanderung zu kurz greife, da die Rückkeh-
rerquote doch hoch sei, teile ich überhaupt nicht. Bei der
Betrachtung der Auswanderung geht es in erster Linie
nicht um diejenigen, die gezielt eine Tätigkeit im Aus-
land suchen, um ihre Karriere zu forcieren und dann hier
wieder fortzusetzen, sondern um diejenigen, die talen-
tiert und qualifiziert, aber dennoch in Deutschland
perspektivlos sind und deren Chancen im Ausland,
selbst auf kurze Zeit gesehen, erheblich besser sind. Ich
erinnere hier auch an die Generation Praktikum, die sich
ausgenutzt fühlt und aus solchen Erfahrungen heraus be-
reit ist zu gehen.

Die Auswanderung spielt international zunehmend
eine Rolle und ist eine Folge der Globalisierung von
Wirtschaft und Wissenschaft. Dabei kommt es zu einem
Wettbewerb um die besten Köpfe. Durch ihn entscheidet
sich, wer bei den Zukunftstechnologien, aber auch in
entscheidenden Wirtschaftsbereichen erfolgreich mithal-
ten kann.


(Zuruf von der FDP: Sehr richtig!)


Für Deutschland kommt es darauf an, in diesem Wettbe-
werb nicht auf der Verliererseite zu stehen.


(Beifall bei der FDP)


Gravierende ökonomische Gründe lassen es Arbeit-
nehmern lohnend erscheinen, ins Ausland zu gehen.
1982, also vor 25 Jahren, stand Deutschland immerhin
beim Pro-Kopf-Einkommen weltweit auf Platz 3. Heute
ist Deutschland beim Pro-Kopf-Einkommen weltweit
auf Platz 18 abgesackt. Dies zeigt, dass es nicht nur
handfeste ökonomische Gründe für die Entscheidung zur
Auswanderung gibt, sondern zugleich auch gute Gründe
dafür, dass es aus der Sicht Hochqualifizierter wenig
sinnvoll erscheint, den Weg der Einwanderung nach
Deutschland zu suchen.

Für den deutschen Arbeitsmarkt werden aber drin-
gend Fachkräfte benötigt. Beispielsweise fehlen schon
heute 50 000 Ingenieure, deren Stellenbesetzung die
Schaffung neuer Arbeitsstellen im nachgeordneten Be-
reich bewirken würde. Somit ist die qualifizierte
Zuwanderung nicht nur notwendig, um die wirtschaftli-
che Leistungsfähigkeit Deutschlands zu erhalten, son-
dern auch ein aktiver Beitrag, um die Arbeitslosigkeit zu
verringern.

Es ist für uns wichtig, dass Talente hier verbleiben
bzw. ins Land kommen, denn sie sind gut ausgebildet
und hochmotiviert. Der Wandel weg vom produzieren-
den Gewerbe hin zum Dienstleistungssektor, der sich
seit Jahrzehnten vollzieht, ist darauf angewiesen, dass
die Arbeitnehmer über einen hohen Bildungsgrad verfü-
gen.


(Beifall bei der FDP)


Der Bedarf an Fach- und Hochschulabsolventen
steigt ständig, während die Zahl der Studierenden sinkt.
Deutschland ist neben Japan, Tschechien, Ungarn und
Italien das einzige OECD-Land,


(Jörg Tauss [SPD]: Studiengebühren in NRW zum Beispiel! – Zuruf von der FDP: Aus welchem Land kommen denn die Nobelpreisträger? – Jörg Tauss [SPD]: Aus Berlin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Die haben keine Studiengebühren zahlen müssen!)


in dem bereits heute die Erwerbsbevölkerung schrumpft,
wenn keine Zuwanderung stattfindet. Da wir gerade das
Stichwort Studiengebühren hören: Wir sollten uns
wirklich überlegen, was es das Land kostet, wenn gut
ausgebildete und weitgehend auf Kosten der Öffentlich-
keit ausgebildete Leute gehen. Das ist volkswirtschaftli-
cher Unsinn.


(Beifall bei der FDP)


Die Freizügigkeit ist eine der Errungenschaften des
Grundgesetzes, und die Arbeitnehmerfreizügigkeit in-
nerhalb der EU ist eine Errungenschaft der EU. Aufgabe
der Politik ist es allerdings, Tendenzen zu erkennen, die
schädlich für die deutsche Volkswirtschaft sind. Ein Bei-
spiel habe ich gerade genannt.

Ein Land wie Russland, das bislang ein Auswande-
rungsland war, hat erkannt, dass der Staat aktiv gegen
den eigenen Bevölkerungsschwund vorgehen muss.
Russlanddeutsche werden wieder eine Perspektive in
Russland haben und fühlen sich dort zunehmend akzep-
tiert. Der russische Staat hat sogar ein Rückkehrpro-
gramm für im Ausland lebende Russen aufgelegt.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wollen wir aber keine russischen Verhältnisse hier!)


Obwohl es mittlerweile einen Minimalkonsens zwi-
schen den Parteien gibt, dass Deutschland ein Einwan-
derungsland ist und aufgrund des demografischen
Wandels die weitere Einwanderung Hochqualifizierter
notwendig ist, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
zu halten bzw. auszubauen, sind die Strukturen nicht da-
rauf ausgerichtet. Dies müssen wir endlich ändern.

Für mich war es daher geradezu sensationell, dass die
Bundesregierung bei der Beantwortung der Großen An-
frage zur Auswanderung Hochqualifizierter einräumte,
dass eine Zuwanderungssteuerung über ein sogenann-
tes Punktesystem sinnvoll sein könnte. Dies hätte auch
aus FDP-Sicht den Vorteil, dass die Zuwanderung über






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk

Ilse Aigner
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach

Anette Hübinger Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck


(Reutlingen)

Veronika Bellmann
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt

Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu

Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich

Krummacher

Laurenz Meyer (Hamm)

Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Hildegard Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)

Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Peter Altmaier
Susanne Jaffke

Friedrich Merz
passgenaue Profile relativ
könnte.


(Beifall bei Ein solches System würde m lichen Strukturreformen D großen Schritt voranbringen begrüßt ein solches positives drücklich. Wirtschaftlich er länder wie Kanada haben ein ist sicherlich eine verpasste C des Zuwanderungsrechts, das wanderung nicht in die Disku Gesetzgebung aufgenommen (Beifall bei der FDP so der SPD – Jörg Tauss [S ren die Bundesratsinitiat – Sie sind doch in der Regier da? (Jörg Tauss [SPD]: Ich Württemberg in der Reg Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 581; davon ja: 454 nein: 79 enthalten: 48 Ja CDU/CSU Ulrich Adam genau gesteuert werden der FDP)


it gleichzeitigen wirtschaft-
eutschland wieder einen
. Die deutsche Wirtschaft
Zuwanderungssignal aus-

folgreiche Einwanderungs-
solches Punktesystem. Es
hance der jüngsten Reform
s wir diese qualifizierte Zu-
ssion und auch nicht in die

haben.

wie bei Abgeordneten
PD]: Sehr gut! Wo wa-
iven?)

ung, oder täusche ich mich

bin nicht in Baden-
ierung und auch nicht

Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

in Nordrhein-Westfalen
FDP: Zum Glück!)

Das Integrationsklima in D
weiter verbessern; denn eine
ein Standortvorteil. Das sage
auf die Integrationsbeauftra
Die FDP will Reformen; das
Die Auswanderung würde da
würden ein positives Klima
rung schaffen und damit de
Einwanderung hin zu den Cha


(Beifall bei Vizepräsidentin Katrin G Ich komme zurück zum l und gebe Ihnen das Erg Abstimmung bekannt: Abge Ja haben gestimmt 454, mit und enthalten haben sich 48 Beschlussempfehlung angeno Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster ! – Gegenruf von der eutschland muss sich noch gute Integrationspolitik ist ich insbesondere mit Blick gte der Bundesregierung. habe ich bereits ausgeführt. mit abgebaut werden. Wir für qualifizierte Zuwanden negativen Blick auf die ncen lenken, die sie bietet. der FDP)


öring-Eckardt:
etzten Tagesordnungspunkt
ebnis der namentlichen
gebene Stimmen 581. Mit
Nein haben gestimmt 79,
Abgeordnete. Damit ist die
mmen.

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer (Altötting)

Wolfgang Meckelburg






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Ingo Schmitt (Berlin)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl (Heilbronn)

Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann


(Hildesheim)

Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf (Rosenheim)

Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung (Karlsruhe)

Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel (Berlin)

Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Detlef Müller (Chemnitz)

Michael Müller (Düsseldorf)

Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche (Cottbus)

Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-

Hanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Renate Schmidt (Nürnberg)

Olaf Scholz
Reinhard Schultz


(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen


(Wiesloch)

Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)

Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Elke Hoff
Birgit Homburger






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto


(Frankfurt)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)

Martin Zeil

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Priska Hinz (Herborn)

Fritz Kuhn
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Omid Nouripour
Krista Sager
Margareta Wolf (Frankfurt)


1) Korrektur gegenüber der Fassung

Ich komme zurück zu uns
Wort dem Herrn Bundesmini
für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei de Dr. Wolfgang Schäuble nern: Frau Präsidentin! Meine Kollegen! Das Thema Ausw Marco Bülow Renate Gradistanac Reinhold Hemker Petra Hinz Jürgen Kucharczyk Sönke Rix Heinz Schmitt Andreas Steppuhn Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff FDP Joachim Günther Heinz-Peter Haustein Jürgen Koppelin DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll vom 12. Oktober 2007 erer Redeliste und gebe das ster Dr. Wolfgang Schäuble r CDU/CSU)


(Wolmirstedt)


, Bundesminister des In-

verehrten Kolleginnen und
anderung ist bekannterma-
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer (Köln)

Volker Schneider


(Saarbrücken)

Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe

Fraktionsloser
Abgeordneter

Gert Winkelmeier1)

Enthalten

CDU/CSU

Peter Albach
Dr. Wolf Bauer
Manfred Kolbe

ßen nicht neu. In früheren Z
und Verfolgung, die Mensch
ungewisse neue Welt zu reise
ten und immer enger zusam
die Motive vielfältiger. Die B
nern, die das Klima südlic
Menschen, die zu einem Leb
irgendwann kennengelernt h
die von ihrem Arbeitgebe
werden, und Wissenschaftle
Dr. Rainer Tabillion

FDP

Uwe Barth
Dr. Edmund Peter Geisen
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Volker Beck (Köln)

Grietje Bettin
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)

Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth (Augsburg)

Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler

eiten waren es eher Armut
en dazu bewegten, in eine
n. Heute, in der globalisier-
menwachsenden Welt, sind
andbreite reicht von Rent-

her Länder schätzen, über
enspartner ziehen, den sie

aben, bis zu Berufstätigen,
r ins Ausland geschickt
rn, die an internationalen
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke

Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Klaus Barthel

Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann

Ewald Schurer
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-

Schnarrenberger
Michael Link (Heilbronn)

Markus Löning

Nein

CDU/CSU

Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Dr. Peter Gauweiler
Norbert Schindler
Willy Wimmer (Neuss)


SPD
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Jan Korte
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer

SPD

Dr. Axel Berg
Martin Burkert
Dr. Peter Danckert
Christian Kleiminger
Christine Lambrecht
Dirk Manzewski
Marko Mühlstein
Maik Reichel
Ottmar Schreiner






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Instituten arbeiten oder Lehr- und Forschungsaufträge
außerhalb Deutschlands als willkommene Gelegenheit
wahrnehmen, ihr Wissen zu erweitern.

Die Motive für Auswanderung gehen aus unserer
Statistik so wenig hervor wie die Antwort auf die Frage,
ob ein registrierter Fortzug eine dauerhafte oder nur eine
befristete Ausreise ist. Deswegen, Frau Kollegin
Laurischk, ist es angesichts des vorhandenen statisti-
schen Materials zumindest fragwürdig, ob Ihre Schluss-
folgerungen belastbar sind.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ich denke, schon!)


Nach einer Studie der Deutschen Bundesbank vom
Dezember 2006 ist Deutschland noch vor Japan, den
Vereinigten Staaten von Amerika und China die real und
finanziell offenste Volkswirtschaft. Die deutsche Wirt-
schaft lebt vor allem vom Export. Auch der gegenwär-
tige Aufschwung ist von der Weltnachfrage nach
deutschen Investitionsgütern getragen. Wir sind wirt-
schaftlich stärker als jedes andere Land in die Globali-
sierung eingebunden, und der überwiegende Teil der
Mitarbeiter großer deutscher Unternehmen – Ausländer
und Deutsche – arbeitet im Ausland. Man muss schon in
die Statistik hineinschauen; dann kommt man nämlich
auf die eigentlichen Gründe. Vielleicht ist es deshalb
eher selbstverständlich als überraschend, dass in einer so
stark exportorientierten Volkswirtschaft die Menschen
bereit sind, ihr Land auch einmal aus beruflichen Grün-
den zu verlassen. Für unsere bedeutende Stellung als Ex-
portland auf den internationalen Handelsmärkten ist das
eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg.

Übrigens gibt es auch in meinem Haus immer mehr
Beamte, die für mehrere Jahre ins Ausland ziehen, um
dort Aufgaben wahrzunehmen. Sie werden zwar auch in
der Statistik berücksichtigt, sind aber keine Auswande-
rer.

Diese Entwicklung – das ist genauso wichtig, Frau
Kollegin Laurischk – beschränkt sich nicht auf Deutsch-
land. In unseren europäischen Nachbarländern – in Eng-
land, Dänemark und Finnland – ist es ähnlich. In Frank-
reich und Österreich nimmt man – ähnlich wie Sie es
darstellen – die Auswanderung teilweise als Bedrohung
wahr. Die Schweizer, bei denen auch mehr Menschen
auswandern als einwandern, sehen diese Entwicklung
– wie anderes auch – viel gelassener.

Die gegenseitigen Wanderungsströme werden sich
nicht regelmäßig ausgleichen. Dieses Phänomen gilt für
alle europäischen Länder. Es ist Ausdruck der Globali-
sierung. Das heißt nicht, dass man das Phänomen stei-
gender Wanderungsbewegungen ignorieren und nicht
versuchen sollte, zu eruieren, was die Gründe sind. Inso-
fern greift die Große Anfrage, die wir heute beraten, ein
wichtiges Thema auf. Aber es ist falsch – wie es gele-
gentlich geschieht –, in den gestiegenen Zahlen reflexar-
tig eine Bedrohung oder geradezu einen Beweis für den
Niedergang unseres Landes zu sehen. Die Ursachen und
die Auswirkungen sind einfach viel zu komplex. Man
muss unbefangen und dafür genauer hinschauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Problematisch wird Auswanderung dann, wenn Men-
schen Deutschland den Rücken kehren, nicht weil sie
eine besondere, vielleicht eine einmalige Chance im
Ausland wahrnehmen oder Auslandserfahrung sammeln
wollen, sondern weil sie hier schlicht keine Chancen für
sich sehen. Deswegen muss unser Ziel – auch das Ziel
weiterer Reformen – sein, die Bedingungen in unserem
Staat so zu gestalten, dass alle eine Chance haben, dass
Leistung sich lohnt, also zum Erfolg führt. Aber hier
sind wir seit zwei Jahren auf einem guten Weg, wie jede
Statistik belegt.

Im Übrigen stimmt die Bundesregierung mit den Fra-
gestellern überein, dass es im Zuge der Globalisierung
auch um einen Wettbewerb um die besten Köpfe geht;
das ist zwangsläufig so. Wir müssen natürlich darauf
achten, dass wir in diesem Wettbewerb attraktiv bleiben.
Also müssen wir Standortbedingungen erhalten oder
schaffen, damit deutsche Hochqualifizierte nicht auf
Dauer weggehen, sondern dass sie bleiben oder mit in-
ternationaler Erfahrung ausgerüstet zurückkommen. Da-
für sind die beiden diesjährigen Nobelpreisträger Peter
Grünberg und Gerhard Ertl, denen ich im Namen aller
meiner Kollegen meinen Glückwunsch aussprechen
möchte,


(Beifall im ganzen Hause)


interessante Beispiele. Peter Grünberg verbrachte drei
Jahre an der Carleton-Universität in Kanada. Gerhard
Ertl studierte in den 50er-Jahren an der Pariser Sorbonne
und übernahm später verschiedene Gastprofessuren in
den USA. Frau Kollegin Laurischk, nach Ihrer Argu-
mentation hätte jede dieser Auswanderungen zu größten
Sorgen Anlass geben müssen. Beide haben nun den No-
belpreis und arbeiten in Deutschland.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ob sie heute noch zurückkämen, wäre fraglich!)


– Jedenfalls sind sie hier. Beide Nobelpreisträger haben
im Ausland gearbeitet und beide sind zurückgekommen.
Beide haben übrigens gesagt, dass die Bedingungen in
Deutschland gar nicht so schlecht seien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine der Grund-
freiheiten in der Europäischen Union; auch das fließt in
die Statistik ein. Die Wanderung von Arbeitnehmern ist
ein notwendiger und – ich sage auch – gewünschter Pro-
zess für das Zusammenwachsen. Wir sollten also nicht
allzu sehr Angst davor haben, dass Hochqualifizierte ins
Ausland gehen. Wir sollten besser Verbindung mit ihnen
halten, damit sie eines Tages zurückkehren. Vielleicht
sollten wir uns über eine bessere Betreuung der Deut-
schen im Ausland Gedanken machen. Je enger unsere
Verbindung zu Deutschen im Ausland ist, desto mehr
profitieren wir alle von den Erfahrungen, die sie im Aus-
land machen, und desto eher können wir ihnen den Weg
zurück ebnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist unstreitig, dass wir Nachwuchskräfte aus der
ganzen Welt für den Wissenschafts- und Forschungs-






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
standort Deutschland gewinnen und möglichst hier hal-
ten möchten und müssen. Das ist eine gemeinsame Auf-
gabe von Bund und Ländern, die sie zusammen mit den
Hochschulen und den außeruniversitären Forschungsein-
richtungen wahrnehmen müssen. Nur so bekommen wir
ein attraktives, konkurrenzfähiges Wissenschaftssystem,
das dem wissenschaftlichen Nachwuchs berechenbare
Karrierewege bietet. Das bedarf dauerhafter Anstren-
gung. Aber so schlecht, wie es manchmal dargestellt
wird, sind wir auch nicht, wenn man der Meinung des
Nobelpreisträgers Ertl Glauben schenken darf.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Bundesregierung fördert im Übrigen den wissen-
schaftlichen Nachwuchs durch eine Vielzahl von Maß-
nahmen im Rahmen der Programm- und Projektförde-
rung, zum Beispiel durch die Förderung der
universitären Spitzenforschung im Rahmen der Exzel-
lenzinitiative, und in erheblichem Umfang auch indirekt
durch die institutionelle Förderung der Wissenschafts-
und Mittlerorganisationen.

Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes
wurden Regelungen in Kraft gesetzt, die im weltweiten
Wettbewerb um die besten Köpfe die Zuwanderung
Hochqualifizierter nach Deutschland erleichtern.


(Zuruf von der FDP: Viel zu unbürokratisch!)


Gänzlich neu und mit den Zuwanderungsregelungen an-
derer Staaten der Europäischen Union nicht vergleichbar
ist, dass wir Hochqualifizierten in Forschung und Lehre
von Anfang an und ohne jede Gehaltsgrenze ein Dauer-
aufenthaltsrecht bieten. Das haben andere Staaten in Eu-
ropa gar nicht; das muss man einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nur für den Bereich der Wirtschaft haben wir eine Ge-
haltsgrenze festgelegt, weil andere Qualifikationsmerk-
male in diesem Bereich nicht zielführend sind. Bedenkt
man, dass auch dort von Anfang an ein Daueraufent-
haltsrecht eingeräumt wird, dann halte ich die Gehalts-
grenze insoweit für durchaus gerechtfertigt. Insgesamt
bieten die neuen Bestimmungen zur Arbeitsmigration
weitaus mehr Flexibilität als frühere Regelungen. Es
empfiehlt sich allerdings, sie zu kennen, bevor man sie
kritisiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit den neuen Regeln im gerade geänderten Zuwan-
derungs- und Bleiberecht haben wir auch die Hürden für
Ausländer, die in Deutschland investieren und Arbeits-
plätze schaffen wollen, weiter gesenkt. Die Mindestin-
vestitionssumme ist auf eine halbe Million Euro und die
Zahl der zu schaffenden Arbeitsplätze auf fünf halbiert
worden. Auch das in der Richtlinie der EU vorgesehene
vereinfachte Verfahren zur Zulassung von Forschern ist
bereits in der Gesetzesänderung berücksichtigt, die am
28. August dieses Jahres in Kraft getreten ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Da können wir noch mal gucken! Wir sind ja offen!)


– Natürlich sind wir offen. Herr Tauss, wenn man aber
gucken will, muss man zuerst einmal wissen, was ist;
das empfiehlt sich immer. Deswegen habe ich vorgetra-
gen, was wir gerade verabschiedet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt haben wir uns auf der Kabinettsklausur in Mese-
berg darauf verständigt, kurzfristig weitere Maßnahmen
in Kraft zu setzen. Um aktuelle Engpässe in Ingenieur-
berufen auszugleichen, wird die Bundesagentur für Ar-
beit ab Mitte Oktober – das ist schon bald; heute ist be-
reits der 12. Oktober – bei Bewerbern aus den neuen
zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf die
individuelle Vorrangprüfung verzichten. Ebenso werden
wir bei ausländischen Absolventen deutscher Hochschu-
len auf die individuelle Vorrangprüfung verzichten, um
ihren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleich-
tern. Der dazu erforderlichen Verordnung hat das Kabi-
nett bereits zugestimmt.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Es wird Zeit!)


Es ist natürlich richtig, zunächst möglichst das eigene
Potenzial auszuschöpfen. Auch das muss man dabei be-
denken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die künftige Arbeitsmarktentwicklung und der durch
den demografischen Wandel zu erwartende wachsende
Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften können es aber
notwendig machen, weitere Öffnungen des Arbeits-
markts vorzunehmen. Deswegen haben wir in Meseberg
im Hinblick auf mittel- und langfristige Perspektiven be-
schlossen, dass die zuständigen Ressorts zügig einen
Vorschlag für ein systematisches Monitoring zur Er-
mittlung des Bedarfs entwickeln werden, um eine ver-
lässliche Grundlage für Entscheidungen zu schaffen. Die
Bundesregierung will eine arbeitsmarktadäquate Steue-
rung der Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte er-
reichen und so die Position unseres Landes im Wettbe-
werb um die Besten weiter stärken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dabei kommt übrigens auch den deutschen Auslands-
schulen eine wichtige Rolle zu.

Wir werden ein Zuwanderungskonzept entwickeln,
das den Interessen unseres Landes auch im nächsten
Jahrzehnt Rechnung trägt, und wir werden quantitative
und qualitative Instrumente einsetzen. Wir werden die
Erfahrungen auch anderer Länder bei der arbeitsmarkt-
bezogenen Steuerung von Zuwanderung einbeziehen.
Schließlich werden wir aufmerksam beobachten, wie
sich die Zuwanderungsregelungen im europäischen Rah-
men entwickeln. Die Kommission will in Kürze eine
Richtlinie zur Zuwanderung von Hochqualifizierten vor-
legen, die wir einer genauen Prüfung unterziehen wollen
und bei der wir in manchen Punkten ein wenig Grund
zur Skepsis haben; um auch dies nicht zu verschweigen.

Jedenfalls ist es gut, dass wir uns nicht verschließen,
sondern aktiv am internationalen Austausch teilnehmen.
Es ist erfreulich, dass die deutsche Expertise internatio-
nal gefragt ist. So bin ich zuversichtlich, dass es uns
auch in der Zukunft gelingt, die Balance zwischen Welt-
offenheit und Heimatbindung in Deutschland zu halten.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
Noch einmal in einem Satz: Es ist wichtig, dass wir uns
mit diesen Fragen beschäftigen, aber ich warne vor fal-
schen Schlussfolgerungen aus statistischem Material.
Wir wissen, dass Zuwanderung jedenfalls in der Art, die
wir statistisch erfassen, in der globalisierten Welt eine
notwendige Voraussetzung dafür ist, dass Deutschland
seine Position auf den Weltmärkten erhalten kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sibylle Laurischk [FDP]: Was sagen Sie zum Punktesystem?)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611904800

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Dr. Petra Sitte.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611904900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bis jetzt

läuft die Debatte so, wie ich es mir schon gedacht hatte:
Unter dem Titel „Konsequenzen der Auswanderung
Hochqualifizierter aus Deutschland“ wird darüber gere-
det, ob Deutschland nun einen positiven oder negativen
Wanderungssaldo hat. Es werden die Berufsperspektiven
Hochqualifizierter in Wissenschaft und Wirtschaft the-
matisiert. Hochqualifizierte werden sozusagen nach
Nützlichkeit abgecheckt. Es werden Verluste der Wirt-
schaft infolge des Fachkräftemangels thematisiert. Es
werden Änderungen des Aufenthaltsgesetzes und die
Einführung eines Punktesystems zur Steuerung von Zu-
wanderung gefordert, und letztlich wird über die Locke-
rung von Freizügigkeitsregelungen für EU-Arbeitneh-
merinnen und -Arbeitnehmer diskutiert. Das alles ist
nachzulesen und ist hier zum Teil schon angesprochen
worden.

Es ist unter den gegebenen Bedingungen und aus Ih-
rer Sicht durchaus richtig, das zu thematisieren. Wir aber
kritisieren genau dieses Herangehen an dieses Thema.
Sie doktern damit nämlich nur an den Symptomen he-
rum. Noch viel schlimmer ist: Sie verlieren die Ursachen
für diese Misere aus den Augen. Insofern nutze ich die
heutige Debatte sehr gern, um einiges Grundsätzliches
zu sagen und um auch auf diese Ursachen aufmerksam
zu machen. Auf den Punkt gebracht: Es geht in Ihrem
Ansatz um die Kapitalisierung von Wissen. Wissen ist
zur Hauptquelle von Wertschöpfung und Profit gewor-
den. Was bedeutet das für unsere Debatte ganz grund-
sätzlich?

Erstens. Menschen werden mit all ihren Fähigkeiten
und mit ihrer hohen Qualifizierung, also mit ihrem le-
bendigen Wissen, als ökonomischer Bestandteil dieses
Systems betrachtet.


(Uwe Barth [FDP]: Sind sie das nicht?)


– Sie sind weit mehr, Herr Barth. Darauf bestehe ich in
dieser Debatte.

Zweitens. Auch Wissen, das bereits vorhanden ist,
das viel früher gewonnen wurde, das als verfügbare Er-
kenntnis vorliegt, das man nachschlagen kann, soll um-
fassend kommerzialisiert werden.

Beides, hochqualifizierte Menschen und Wissen, darf
nach Ihrer Logik aber nur exklusiv verfügbar sein.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ich glaube, Sie haben überhaupt nicht gehört, was ich gesagt habe! Das ist ja absurd!)


Exklusivität heißt dann eben auch: Es bekommt nicht
mehr jede und jeder Zugang zu diesen Ressourcen. Ei-
nerseits müssen Unternehmen Know-how für innovative
Verfahren, Produkte und Dienstleistungen kaufen bzw.
entwickeln können. Andererseits müssen Menschen sich
den Zugang zu Wissen und Bildung leisten können. Wer
dazu in der Lage ist, der realisiert natürlich den Wettbe-
werbsvorteil, von dem Sie sprechen. Wissen und Bil-
dung werden dadurch quasi über Monopolstellungen
künstlich verknappt. Das heißt, Wissen und Bildung be-
gegnen uns dann auf einem Markt als Ware. Das halten
wir für außerordentlich problematisch, weil genau diese
Zugangsbeschränkungen letztlich dazu geführt haben,
dass es in dieser Gesellschaft einen Mangel an Bildung
gibt.


(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb fehlen hochqualifizierte Menschen.

Beredte Zeugnisse dafür sind die Sozialerhebungen
des Deutschen Studentenwerkes, die PISA-Studie und
die jüngste OECD-Studie zur Bildungsbeteiligung.
Nicht zuletzt der Bericht der Bundesregierung zur tech-
nologischen Leistungsfähigkeit konstatiert eklatante
Probleme in Bildungs- und Weiterbildungssystemen so-
wie einen gravierenden Fachkräftemangel. In diesem
Land bekommen also viel zu wenige eine reale Chance
auf Bildung. Das kritisieren wir; das wollen wir nicht
hinnehmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611905000

Frau Sitte, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau

Laurischk zulassen?


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611905100

Bitte schön.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611905200

Bitte schön.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1611905300

Frau Kollegin Sitte, ist Ihnen bewusst, dass das politi-

sche System, das Sie immer noch vertreten, nämlich das
der DDR, nicht zuletzt deshalb untergegangen ist, weil
die Hochqualifizierten dort nicht mehr bleiben wollten,
da sie in ihrem Land keine Perspektive mehr gesehen ha-
ben? Sie haben das System, das Sie vertreten, als ge-
scheitert erachtet. Letztendlich hielten zu viele Men-
schen die DDR nicht mehr für erhaltbar. Es geht hier
nicht um ein ökonomisches Prinzip, sondern um Ent-
wicklungschancen der Menschen sowie der Volkswirt-
schaften, in denen sie leben.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611905400

Frau Kollegin, es geht um eine sehr differenzierte Be-

trachtung. Ich würde gern wissen, wie Sie zu der Be-
hauptung kommen, dass ich die DDR vertrete. Auch da-
rüber sollte eine differenzierte Debatte geführt werden.

An einem ist die DDR ganz bestimmt nicht zugrunde
gegangen: am Bildungssystem.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Bildungssystem der DDR war Vorbild für die finni-
sche Reform. Die Finnen sind derzeit in allen Studien
weltweit ganz oben.

Wir kommen mit pauschalen Vorwürfen nicht weiter.
Lassen Sie uns eine differenzierte Debatte führen! Ich
versuche, meinen Beitrag dazu zu leisten.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann können wir zum Thema zurückkehren, Frau Kollegin!)


Ich rede über die Vermittlung von Wissen und Bildung
vor allem im öffentlichen Raum. Darüber haben Sie so
gut wie kein Wort verloren.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen – das haben wir hier schon mehrfach be-
tont –: Wissen und Bildung soll sich jeder und jede un-
abhängig von seiner und ihrer sozialen Situation leisten
können. Die Zahl der Verlierer in dieser Gesellschaft
wiegt doch wohl weit schwerer als der Profit einzelner
Menschen und Unternehmen. Wer unter diesen Bedin-
gungen in dem Bewusstsein, dass es in dieser Gesell-
schaft einen Mangel an Bildung gibt – das muss offenge-
legt werden –, von Wissensgesellschaft spricht, führt in
die Irre – es sei denn, er wollte Ihre Wettbewerbslogik,
Ihren ökonomisierten Ansatz verlassen. Wir wollen das
ganz ausdrücklich.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will Ihnen das gern begründen. Seinem Wesen
nach eignet sich Wissen überhaupt nicht, als Ware be-
handelt zu werden. Denn man kann es gar nicht exakt
messen. Wer will bestimmen, wo erfinderische Wissens-
arbeit in der Gesellschaft angefangen hat und wie viele
Stunden für den Wissensgewinn aufgewendet wurden?
Zählen zu den Orten der Wissensbildung nicht auch Kin-
dertagesstätten, Schulen, Hochschulen, Wissenschafts-
einrichtungen, Weiterbildungsstätten? Gerade diese Ein-
richtungen werden aber vor allem von der Gesellschaft
getragen und finanziert. Das sind sehr schöne Beispiele
dafür, dass Wissen durch Weitergabe und Teilen ver-
mehrt wird. Die Nobelpreisträger sind angesprochen
worden: Beide sind von Wissenschaftseinrichtungen ge-
kommen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden,
und haben ihre Ideen dort maßgeblich entwickelt.

Wir halten es prinzipiell für falsch, dieses System
konsequent Ihrer Wettbewerbslogik zu unterwerfen.
Diese Logik heißt am Ende nichts weiter, als dass sich
die Gesellschaft, nachdem sie diese Finanzierung er-
möglicht hat, selber enteignet. Deshalb ist die Linke ge-
gen Privatisierung und Kommerzialisierung von Wissen
und Wissensproduktion im öffentlichen Raum. Wir wol-
len nicht, dass damit verbundene Einrichtungen und Ak-
teure Teile eines ökonomisierten Systems von Wissen-
schaft und Bildung werden. Für uns ist das ein
zivilisatorischer Rückschritt. Die Gesellschaft war schon
einmal weiter.

Aus diesem Grunde kritisieren wir die bildungs- und
wissenschaftspolitische Weichenstellung der Bundesre-
gierung. Sie ändern mit den derzeitigen Maßnahmen
nicht wirklich etwas an der Unterfinanzierung des Bil-
dungs- und Forschungssystems in der Breite. Ihre Exzel-
lenz- und Eliteprogramme sind nämlich Ausdruck dieser
Wettbewerbslogik. Am Ende erreichen Sie nur wenige
Einrichtungen und nur wenige Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler.

Hochschulen müssen sich seit mehreren Jahren an un-
ternehmerischen Kriterien messen lassen. Studierende
werden in der Diktion zu Kunden. Sie sollen für das Stu-
dium bezahlen. Wer es sich nicht leisten kann, den rettet
am Ende auch das BAföG nicht. Wenn er für sein Stu-
dium Kredite aufnehmen muss, verlässt er die Hoch-
schule hochverschuldet. All das betrachten wir nicht als
Schritte, um Bildung und Wissen viel mehr Menschen
zugänglich zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben selber festgestellt, von jenen, die als Hoch-
qualifizierte aus den Bildungseinrichtungen kommen,
sind immer mehr bereit, die Heimatregionen zu verlas-
sen. Das tun sie nicht einfach, um einmal die Nase in die
Welt zu stecken. Das sind vielmehr Reaktionen auf eine
globalisierte Arbeitswelt. Der globalisierte Arbeits-
markt entwurzelt Menschen. Sie müssen praktisch im-
mer und überall flexibel und verfügbar sein. Diese Art
von Flexibilität – das kann mir keiner erzählen – wird
nicht freiwillig gewählt; sie entwurzelt Familien. Die
Betroffenen verlieren permanent ihren Freundeskreis
oder müssen sich diesen ständig neu aufbauen. Länder
und Regionen müssen trotz bester persönlicher Voraus-
setzungen verlassen werden. Die Menschen haben keine
Chance, sich im eigenen Land selbstbestimmt und auf
eigener Leistung beruhend etwas aufzubauen.

Wir haben aber nicht nur – das will ich betonen – ein
Stellenproblem im Wissenschafts- und Wirtschaftssys-
tem. Viele Nachwuchsforscher und -forscherinnen kriti-
sieren das deutsche Wissenschaftssystem als zu unat-
traktiv für Berufs- und Familienplanung. Das deutsche
System wird quasi als Closed Shop wahrgenommen, und
die Netzwerkbildung, die infolge persönlicher Abhän-
gigkeiten möglich ist, ist kontraproduktiv für eine selbst-
bestimmte wissenschaftliche Arbeit.

In diesem System bleibt das intellektuelle Potenzial
von Frauen dramatisch ungenutzt. Viele Länder sind
deutlich weiter, indem sie ausdrücklich sagen: Beide
Partner sollen eine Chance bekommen. In den Einstel-
lungsgesprächen wird nach dem familiären Kontext ge-
fragt und darauf Rücksicht genommen.

Weitere Gründe für die Abwanderung von Hochquali-
fizierten liegen in arbeitsmarkpolitischen Versäumnis-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
sen. Nun versucht man durch kurzfristige Maßnahmen,
den Fachkräftemangel auszugleichen. Rückhol- und Ab-
werbungsinitiativen laufen. Grundsätzlich habe ich über-
haupt nichts dagegen, dass versucht wird, Hochqualifi-
zierte, die wir ausgebildet haben, wieder zurückzuholen.
Schließlich haben wir als Gesellschaft unseren Beitrag
dazu geleistet. Warum soll die Gesellschaft daraus nicht
ihren Nutzen ziehen? Das ist in Ordnung. Alles andere
wäre eine falsche Interpretation.

Abschied und Wiederkehr sind in einer globalisierten
Welt, für Wissenschaft und Forschung natürlich erst
recht, völlig normale Vorgänge – dass wir uns an dieser
Stelle nicht missverstehen. Wenn sich aber globale Ein-
bahnstraßen bilden, wenn reichere Länder sozusagen die
Hauptadressaten von Hochqualifizierten sind, dann habe
ich damit ein Problem.


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich haben die reicheren Länder viel attraktivere
Lebensbedingungen zu bieten; das ist völlig klar. Des-
halb verläuft dieser Wettbewerb unfair, deshalb muss an
dieser Stelle die Politik ihrer Aufgabe nachkommen;
auch dort müssen wir gewissermaßen für einen Klima-
wandel sorgen. Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass den
ärmeren Ländern durch den Verlust an Wissen und Bil-
dung Chancen auf kulturelle und Chancen auf demokra-
tische Entwicklungen verloren gehen.

Was glauben Sie denn, wie lange es noch dauern wird,
bis die katastrophalen Folgen aus globaler Ungleichver-
teilung von Reichtum und Produktivität, aus ungerechten
Welthandelsstrukturen, aus kriegerischen Auseinander-
setzungen um Rohstoffe und aus dem Bildungskolonia-
lismus der reichen gegenüber den ärmeren Ländern die-
ser Welt auf uns zurückfallen? Die Erde ist nun einmal
keine Scheibe. Wir haben es doch erlebt: Die Welle, die
wir vorn auslösen, holt uns hinten wieder ein. Bitter ist
diese Erfahrung im Bereich der Lohnentwicklung gewe-
sen. Das Lohndumping ist ein aktuelles Thema in
Deutschland. Wir haben es selber mit verursacht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Antwort der Linken besteht nicht in einer Ableh-
nung der Zuwanderung. Aber wir kritisieren ihre Selek-
tivität nach nationalstaatlichen Nützlichkeitskriterien.
Nichts anderes wäre im Übrigen das Punktesystem, von
dem die Grünen und auch Sie sprechen. Mit der Einfüh-
rung dieses Punktesystem will man nichts anderes, als
dessen Nützlichkeit für Deutschland herauszufinden.
Wir kritisieren außerdem die soziale Selektivität und
Ungerechtigkeit des deutschen Bildungs- und Wissen-
schaftssystems. Vor diesem Hintergrund ist beides re-
formbedürftig.

Abschließend will ich sagen, meine Damen und Her-
ren: Wissen und Bildung sind humane Grundwerte. Da-
rauf haben alle Menschen ein Anrecht – hier wie an-
derswo.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611905500

Es gibt eine Kurzintervention des Kollegen Barth.


(Jörg Tauss [SPD]: Kollege Barth, was wollen Sie denn sagen?)



Uwe Barth (FDP):
Rede ID: ID1611905600

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin Sitte,

wie Sie wissen, habe ich genau wie Sie eine DDR-Sozia-
lisation. Ich habe das DDR-Bildungssystem durchlaufen.
Es hat mich immerhin bis in den Deutschen Bundestag
gebracht,


(Jörg Tauss [SPD]: Immerhin! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das spricht nicht unbedingt für das System!)


was auch ökonomisch nicht gänzlich nachteilig ist. Da-
her weiß ich aber, dass pauschale Kritik genauso wenig
tauglich ist wie pauschales Lob.

Liebe Frau Kollegin, wenn Sie das DDR-Bildungs-
system quasi in Gänze als Vorbild für die freie Welt, die
restliche Welt, darstellen, dann sage ich Ihnen Folgen-
des:

Punkt eins. Ein wesentlicher Grund für den Bau der
Mauer 1961 war das massenhafte Davonlaufen von da-
mals gut Ausgebildeten aus der DDR, die sich dort näm-
lich gedanklich wie materiell eingemauert gefühlt
haben – vorher schon und nachher im Ergebnis einge-
mauert wurden.

Punkt zwei. Wenn Sie dieses System hier so pauschal
loben, müssen Sie auch dazusagen, dass Teil dieses Sys-
tems eine Auswahl gewesen ist, und zwar nach politi-
schen Kriterien, nach Haltungskriterien. Wer mit dem
System nicht zumindest in gewissem Maße mitgegangen
ist, durfte kein Abitur machen und durfte auch nicht stu-
dieren. Das ist Teil der Wahrheit.

Ich glaube, dass insbesondere die Finnen sich sehr
wehren würden, würden sie Ihre Aussage hören, dass sie
das Bildungssystem der DDR sozusagen als Vorbild ge-
nommen haben und deshalb das Bildungssystem der
DDR zu loben ist.

Vielen Dank.


(Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP] – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Der ist Diplomphysiker! Der muss sich ungeheuer mit dem System identifiziert haben! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich! Ich bin betroffen!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611905700

Frau Sitte.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611905800

Herr Kollege Barth, zum Ersten: So wenig wie ich die

DDR pauschal verteidige, kritisiere ich pauschal die
Wissenschafts- und Forschungspolitik von Frau Ministe-
rin Schavan. Sie werden sicherlich im Ausschuss schon
gemerkt haben, dass ich da sehr genau hinschaue.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte

(Uwe Barth [FDP]: Um so mehr entsetzt es mich, dass es hier geschah!)


Zum Zweiten: Ich will überhaupt nicht in Abrede stel-
len, dass die DDR vor allem deshalb verlassen worden
ist, weil die Leute unzufrieden waren. Die Gemengelage
der Gründe für diese Unzufriedenheit ist aber sehr breit.

Drittens möchte ich sagen: Die Delegationen aus
Finnland, die bei Margot Honecker vorgesprochen und
letztlich dann doch DDR-Schulen besucht haben, sind so
heimlich nicht vonstatten gegangen. Es geht überhaupt
nicht darum, alles pauschal schönzureden. Ich habe es
auch nicht gemacht. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass
ich mir wünsche, dass wir differenziert darüber diskutie-
ren. Ich kann Ihnen ziemlich genau sagen, was ich an
meiner Schulbildung klasse fand und was ich nicht so
toll fand.


(Jan Mücke [FDP]: Was denn nicht?)


Was ich ganz klasse fand, war beispielsweise die natur-
wissenschaftliche Ausbildung zu DDR-Zeiten. Das
wirkt bis heute nach. Nicht umsonst habe ich mich ja für
die Politikbereiche Forschung und Technologie entschie-
den.

Zum Schluss möchte ich sagen: Reden wir nicht anei-
nander vorbei. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich
über die Ursachen für die gegenwärtige Misere sprechen
wollte. Von den Ursachen der gegenwärtigen Misere zu
sprechen, heißt, auch von den Nachteilen des bundes-
deutschen Bildungs- und Wissenschaftssystems zu spre-
chen. Alle anderen Probleme leiten sich für mich derzeit
davon ab, beispielsweise der Fachkräftemangel in der
Wirtschaft. Das alles gehört in diese Debatte hinein. Ich
habe dies als Schwerpunkt herausgegriffen. Das ist legi-
tim.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wenden wir uns wieder der Zukunft zu!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611905900

Jetzt hat der Kollege Michael Bürsch das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1611906000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich will in der Tat versuchen, wieder zu dem Thema
des heutigen Tages zurückzukommen, nämlich den Wan-
derungsbewegungen von Hochqualifizierten im 21. Jahr-
hundert.

Das Positive am Anfang: Ich finde es wie der Innen-
minister sehr gut, dass wir uns diesem Thema widmen
und darauf schauen, was die Gründe für die Wande-
rungsbewegungen von Fachkräften und Hochqualifizier-
ten sind. Die Debatte verdient allerdings, seriös und dif-
ferenziert geführt zu werden. Insofern muss ich an die
Adresse der FDP sagen: Wenn man so einseitig wie Sie
vorgeht, kommt man nicht weiter. Das war zum Teil
maßlos übertrieben und klang ein bisschen, zugespitzt
gesagt, wie das Horrorszenario „Deutschland: akademi-
kerfreie Zone“.


(Sibylle Laurischk [FDP]: So, wie Sie das interpretieren, habe ich es nicht gesagt!)


– Mit solcher Schwarzmalerei, Frau Kollegin Laurischk,
kommen wir wirklich nicht weiter.

Das FDP-Szenario ist einseitig, weil Wanderungsbe-
wegungen ein relativ normaler Vorgang in einer freien
Gesellschaft sind. Zuwanderung und Abwanderung hat
es immer gegeben. In den 50 Jahren seit dem Zweiten
Weltkrieg – das hat die Zuwanderungskommission
schon vor ein paar Jahren festgestellt – sind circa
31 Millionen Menschen zu uns gekommen, 22 Millionen
haben in dieser Zeit Deutschland verlassen. Nach den
vier Grundrechenarten können wir einen Wanderungsge-
winn von 9 Millionen Menschen feststellen. Deutsch-
land ist also – das kann man an dieser Stelle auch einmal
betonen – ein Zuwanderungsland.

Gerade in einer globalisierten Welt gehört der Umzug
von Spitzenkräften – das bedeutet einerseits Weggang,
aber andererseits auch Zuzug – inzwischen zum Alltag.
Die Bundesregierung hat hierzu in ihrer Antwort auf die
Große Anfrage der FDP aus meiner Sicht drei schlichte
Wahrheiten ausgesprochen. Diese noch einmal zu nen-
nen, trägt vielleicht zur Wahrheitsfindung bei, Frau Kol-
legin.

Erstens. Hochqualifizierte haben ein Recht darauf,
ihre Chancen zu nutzen und ins Ausland zu gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein vollkommen natürlicher Prozess, der dem
Streben von Menschen nach Veränderung, nach neuen
Herausforderungen und neuen Entwicklungsmöglichkei-
ten entspricht.

Zweitens. Die Wissenschaft ist inzwischen längst in-
ternationalisiert. Das sieht man beispielsweise an den
Lebensläufen der Nobelpreisträger, die dieser Tage ge-
kürt werden. Das gilt auch für den akademischen Ar-
beitsmarkt.

Drittens. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine
Grundfreiheit der Europäischen Union, auf die wir stolz
sind und die wir angestrebt haben, damit nationale Gren-
zen an Bedeutung verlieren und die Welt weiter zusam-
menwachsen kann.

Es ist schon einigermaßen erstaunlich, dass ausge-
rechnet die FDP an dieser Stelle nach mehr Staat ruft.
Dieser vehemente Ruf nach mehr Staat, der bitte schön
alles Mögliche verhindern, beschränken und schützen
soll, ist schon einigermaßen überraschend für die libe-
rale Welt, Frau Kollegin. Das passt irgendwie nicht zu-
sammen.


(Beifall bei der SPD – Sibylle Laurischk [FDP]: Sie haben wohl nicht zugehört!)


Es spricht einiges für die Annahme, dass ein Großteil
der deutschen Auswanderer sich nur eine Zeit lang im
Ausland aufhält, um ihren Horizont zu erweitern, neue






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch
Erfahrungen zu sammeln und damit auch ihre Chancen
hierzulande zu verbessern. Ich habe gerade zusammen
mit dem Innenausschuss die baltischen Länder besucht.
Dort gibt es einen enormen Zug von Hochqualifizierten
und Fachkräften nach Irland, Großbritannien, Spanien
usw. Aber man stellt schon jetzt, drei Jahre nach dem
Beitritt zur Europäischen Union, fest, dass diese Men-
schen zurückkommen, dass sie den Bezug zu ihrem Hei-
matland durchaus behalten haben und dass sie jetzt das
Wissen und die Erfahrungen, die sie gesammelt haben,
nach Lettland, Estland und Litauen bringen.

Es geht also um einen Kreislauf des Wissens. Das ist
ein Begriff, den der französische Migrationsforscher
Ladame schon 1970 prägte. Er spricht von einer „circu-
lation des élites“. Das ist diesem Thema angemessen.


(Jörg Tauss [SPD]: Übersetz das mal für die FDP! – Gegenruf des Abg. Uwe Barth [FDP]: Übersetzen Sie es mir mal!)


– Wir reden ja am heutigen Tage über Internationalität;
dann können wir auch etwas Französisches aufnehmen.

Völlig realitätsfern ist aus meiner Sicht, wenn die
ganze Wanderungs- und Exzellenzdiskussion auf eine
reine Wirtschaftsfrage reduziert wird. An dieser Stelle
– und nur an dieser Stelle – bin ich bei Frau Sitte. Die
heute weltweite Wanderbewegung von Hochqualifizier-
ten in Wissenschaft und Wirtschaft kann man doch
wahrhaftig nicht nur ökonomisch betrachten. Vielmehr
geht es um individuelle Perspektiven der Selbstbestim-
mung von Menschen, und es geht um kulturelle Aspekte.
Deutschland will ja nicht nur im internationalen Wettbe-
werb spitze sein; es will auch ein Land mit einer interna-
tionalen Kultur und einer pluralistischen Gesellschaft
sein. Diese Aspekte müsste die FDP in ihre Überlegun-
gen zum Standort Deutschland dringend einbeziehen.


(Beifall bei der SPD)


So viel zur Lagebeurteilung in Bezug auf das, was die
FDP sehr einseitig und einäugig in die heutige Debatte
eingeführt hat. Die Diskussion bietet aber, wenn wir sie
ernsthaft führen, doch Gelegenheit, einige Dinge zu nen-
nen, die verändert werden können und sollten,


(Sibylle Laurischk [FDP]: Aha!)


auch wenn – es ist schon erwähnt worden – unsere bei-
den Nobelpreisträger, auf die wir sehr stolz sind, in die-
sen Tagen bestätigt haben, wie hervorragend der Wissen-
schaftsstandort Deutschland zu beurteilen ist; auch das
muss man als Rückmeldung aus der Praxis im Auge ha-
ben.


(Beifall bei der SPD)


Verbesserungswürdig sind – zugegeben – zum Bei-
spiel die Karriereperspektiven für Hochschullehrerinnen
und Hochschullehrer, ebenso wie das gewaltige Thema
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da sind wir
noch nicht am Ende dessen angelangt, was wir erreichen
können. Auf Dauer ist aus meiner Sicht auch nicht hin-
nehmbar, dass viele hochqualifizierte Ärzte in Deutsch-
land im internationalen Vergleich offensichtlich deutlich
weniger verdienen als in anderen Ländern.

(Sibylle Laurischk [FDP]: Und deshalb gehen!)


Das sind nur einige wenige Beispiele, die man wie-
derum differenziert betrachten muss, nicht nur immer
durch dieselbe Brille, Frau Kollegin. Zahlreiche Rah-
menbedingungen wurden in den letzten Jahren verbes-
sert. Das kann man vielleicht auch als Opposition einmal
feststellen. Man muss es nicht loben, aber man kann die
Wahrheit durchaus zur Kenntnis nehmen. Es geht darum,
diese Dinge kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu
verbessern. Das ist auch das Ziel dieser Bundesregie-
rung; das sage ich an dieser Stelle mit voller Überzeu-
gung.

Die andere Seite der Medaille der Wanderbewegung
von Hochqualifizierten ist die Zuwanderung. Darauf ist
schon hingewiesen worden. Ich meine, wir müssen uns
im Wettbewerb um die besten Köpfe noch besser posi-
tionieren. Wenn wir die Bedingungen künftig nicht ver-
bessern, werden wir in Konkurrenz mit Großbritannien,
Irland und anderen Ländern wie Tschechien und den bal-
tischen Ländern ins Hintertreffen geraten. Estland zum
Beispiel ist in der IT-Technik sehr weit voraus.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wir können uns eine Scheibe abschneiden mit Blick da-
rauf, wie viele Dienstleistungen man dort inzwischen
über das Internet abrufen kann, dass man in diesem klei-
nen Land mit den Möglichkeiten des Internets sogar
wählen kann.

Kluge Köpfe gehen da hin, wo sie gute Bedingungen
finden,


(Beifall des Abg. Uwe Barth [FDP])


wo sie willkommen sind, wo man ihnen eine langfristige
Aufenthaltsperspektive bietet, wo man ihnen auf dersel-
ben Augenhöhe begegnet. Da sehe ich durchaus noch
Verbesserungsbedarf.


(Uwe Barth [FDP]: Sehr gut!)


Wir haben mit der Reform des Aufenthaltsgesetzes
in diesem Sommer Schritte in die richtige Richtung ge-
macht. Das hat der Herr Innenminister erwähnt. Dem be-
grenzten Lob für das, was wir dort erreicht haben,
schließe ich mich ausdrücklich an, ob es um die Mög-
lichkeiten von Studierenden oder um die Möglichkeiten
von Selbstständigen geht.

Aber aus meiner Sicht reichen diese Schritte noch
nicht aus.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Da stimme ich Ihnen zu!)


Es bedarf auch aus psychologischen Gründen durchaus
noch einer weiteren Öffnung und meiner Meinung nach
auch des Mutes, Weltoffenheit zu zeigen und deutlich zu
machen, dass wir Zuwanderung akzeptieren und wollen,
dass unser Land wirklich ein Land der offenen Grenzen
ist.

Was wir insofern brauchen, ist eine langfristige Steue-
rung der Zuwanderung. An der Stelle sage ich ausdrück-
lich – das habe ich an dieser Stelle mindestens schon






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Bürsch
fünf- oder sechsmal gesagt –: Wir brauchen eine Punk-
teregelung,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


aber nicht, Frau Kollegin, aus ökonomischen Gründen,
sondern aus den genannten gesellschaftlichen Gründen.
So ist die globalisierte Welt aus meiner Sicht. Wir brau-
chen die Zuwanderung von Menschen aus allen Ländern
dieser Welt. Dafür kann die Punkteregelung durchaus
eine gute Methode sein. Wir brauchen ein Auswahlver-
fahren für Ausländer, das sich nicht an dem kurz- oder
mittelfristigen Arbeitsmarktbedarf orientiert, sondern
langfristig ausgerichtet ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe Länder wie Australien, Kanada und Neusee-
land besucht und mir die Regelungen in diesen Ländern
angesehen. Es geht dabei ausdrücklich nicht nur um die
ökonomische Seite. Da würden Sie mich völlig falsch
verstehen, Frau Kollegin. Es geht vielmehr auch um die
gesellschaftliche Mitwirkung und um die gesellschaftli-
che Öffnung. Einen solchen Effekt erhoffe ich mir von
der Punkteregelung. Eine entsprechende Auswahl wird
anhand verschiedener Kriterien wie Alter, Qualifikation
und Sprachkenntnisse getroffen. Das Wichtigste ist:
Diese Menschen bekommen sofort eine Niederlassungs-
erlaubnis und damit ein Recht auf Aufenthalt und ein
Recht auf Arbeit. Dieses Signal der Weltoffenheit brau-
chen wir.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir die großen Chancen nutzen wollen, die un-
ser Land und unsere Gesellschaft bieten, dann brauchen
wir eine noch besser gesteuerte Zuwanderungspolitik.
Nach Verabschiedung des Aufenthaltsgesetzes stelle ich
fest, dass sich die beiden großen Volksparteien inzwi-
schen einig sind, dass Deutschland ein Einwanderungs-
land ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Es hat lange gedauert! Aber okay!)


Insofern sollten wir daraus die Konsequenzen ziehen.

Ich habe den Innenminister so verstanden, dass wir
uns diesem Thema Punkteregelung nunmehr sehr wohl-
wollend und offen zuwenden werden. Ich habe die Hoff-
nung, dass sich noch mehr aus diesem Hause an einem
solchen Vorstoß für eine Punkteregelung beteiligen. Wir
wollen keine Gruppen gegeneinander ausspielen. Es
geht nicht darum, die Arbeitnehmer in Deutschland zu
benachteiligen. Es geht nicht um die Frage: entweder
Ausländer oder Deutsche, die eine Arbeit suchen. Die
Interessen beider Gruppen sollen berücksichtigt werden.
Das wäre für mich die beste Lösung.

Das Thema ist wichtig. Wir sollten weiter darüber
diskutieren.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906100

Jetzt hat die Kollegin Dr. Thea Dückert das Wort für

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich schließe mich gerne den Glückwünschen an unsere
beiden Nobelpreisträger von ganzem Herzen an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Dennoch möchte ich in diesem Zusammenhang ganz
nüchtern feststellen, dass diese Forschungsergebnisse
schon 20 Jahre zurückliegen.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Ganz genau!)


Ich möchte ferner feststellen, dass die Umsetzung dieser
in Deutschland erzielten Forschungsergebnisse, also die
Erlangung der Marktreife, im Ausland erfolgt ist. Ich
denke schon, dass wir darüber nachdenken müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Klar ist: Wir brauchen die besten Köpfe. Das Problem
ist aber: Sie rauchen viel zu oft an anderen Orten dieser
Welt. Es ist schon so, dass dem Land der Dichter und Den-
ker die Denker abhanden kommen. Das zeigen die Zahlen,
so lückenhaft sie auch sind: Im Jahre 2005 sind etwa
150 000 Deutsche ausgewandert, ungefähr 100 000 sind
zurückgekommen. Da klafft schon eine große Lücke. Man
kann sie nun kleinreden, wie Sie, Herr Schäuble, es ver-
sucht haben. Aber ich denke, man kommt weiter, wenn
man dieses Problem ernst nimmt.

Sie haben ja gesagt, wir sollten die Gelassenheit ande-
rer Länder wie zum Beispiel England zur Kenntnis neh-
men. Es ist immer hilfreich, einen Blick von außen auf
die Situation im eigenen Land zu werfen. Im Sommer
hat die britische Tageszeitung The Independent darauf
hingewiesen, dass wir in Deutschland den größten Mas-
senexodus an Hochqualifizierten in den letzten
60 Jahren zu verzeichnen haben. Unsere qualifizierten
Bürgerinnen und Bürger gingen lieber ins Ausland, weil
ihnen die Bedingungen hier nicht attraktiv genug seien.

Nun muss man diesem Alarmismus nicht unbedingt
folgen. Aber ich glaube, dadurch wird ein Finger in die
Wunde gelegt. Es kann uns nicht egal sein – wir dürfen
dieses Problem nicht kleinreden –, wenn ein Missver-
hältnis zwischen der Anzahl derjenigen, die unser Land
verlassen, und der Anzahl derjenigen, die zurückkom-
men bzw. die neu in unser Land kommen – ich spreche
von der Zuwanderung –, besteht.

Wir müssen das ernst nehmen, weil der Fachkräfte-
mangel bei uns ganz eklatant ist. Herr Minister, Sie ha-
ben gesagt, wir sollten unbefangen hinschauen. Das
Wirtschaftsministerium hat eine Studie gemacht und die
Zahlen untersucht. Ich denke, das ist ein Beispiel für un-
befangenes Hinschauen. Es wurde festgestellt, dass ge-
genwärtig 100 000 Facharbeiterstellen zu spät oder gar
nicht besetzt werden, was einem Wertschöpfungsverlust
von 20 Milliarden Euro pro Jahr entspricht. Das ist pro-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Thea Dückert
blematisch. Deutschland steht, was die Ausbildung von
Fachkräften und Hochqualifizierten und das Konkurrie-
ren mit dem Ausland um Fachkräfte und Hochqualifi-
zierte anbelangt, nicht an der Spitze. Das ist einfach so.

Herr Schäuble, die deutsche Wirtschaft ist überhaupt
nicht ruhig. Es ist festzustellen, dass 60 Prozent der Be-
triebe in der I- und K-Branche mit zwischen 50 und
250 Beschäftigten Fachkräftemangel als großes Problem
beschreiben. Das Gleiche gilt für 40 Prozent der großen
Betriebe.

Die Situation zeichnet sich also dadurch aus, dass wir
zu wenig Fachkräfte ausbilden, wir gute ins Ausland ge-
hen lassen, die Bedingungen in Deutschland nicht attrak-
tiv genug sind, damit sie hierbleiben wollen, wir diejeni-
gen, die hier sind, nicht ausreichend weiterqualifizieren
– wir müssten sie lebenslang weiterqualifizieren, damit
sich ihre Qualifikation nicht entwertet –, und vor allen
Dingen dadurch, dass wir es den ausländischen Fach-
kräften unglaublich schwer machen, hierherzukommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein umfassendes Konzept. Wir brau-
chen eine bessere Ausbildung der jungen Leute, die hier
sind, insbesondere der Frauen. Wir brauchen die Qualifi-
zierung derjenigen, die hier sind. Wir brauchen aber
auch die Zuwanderung. Wir müssen das zusammen be-
trachten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte überhaupt nichts davon, so eine Art Rück-
holprogramm aufzulegen. Die FDP hat so etwas vorge-
schlagen und auf Russland verwiesen. Ich glaube, für
Deutschland besteht die Aufgabe darin, die Arbeitsbe-
dingungen für Hochqualifizierte, auch für Fachkräfte
und insbesondere Frauen, so zu gestalten, dass sie gerne
hier arbeiten. Das betrifft Fragen der Kindererziehung,
der Betreuungseinrichtungen, der Weiterqualifizierung
und der Entlohnung. Wir müssen denjenigen, die hier
sind, gute Möglichkeiten bieten, aber auch junge Leute
aus dem Ausland hierherkommen lassen.

Das Problem ist nicht, dass unsere jungen Leute aus
Deutschland rausgehen – das sollen sie ruhig tun, um
ihre Qualifikationen zu erweitern –, das Problem ist viel-
mehr, dass sich diese Regierung sozusagen auf die
Bremse stellt und Deutschland gegenüber denjenigen ab-
schottet, die aus dem Ausland kommen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Das stimmt doch nicht!)


In Ihrer Antwort haben Sie zu Recht darauf hingewie-
sen, dass die Erfahrung lehrt – Stichwort „Greencard“ –,
dass jede ausländische hochqualifizierte Kraft, die nach
Deutschland gekommen ist, im Durchschnitt 2,5 Ar-
beitsplätze geschaffen hat. In Ihrer Antwort auf die
Frage 49 schreiben Sie auch – Herr Minister, das haben
Sie eben auch hier gesagt –, dass es üblich und produkti-
vitätssteigernd sei, wenn unsere gut Ausgebildeten das
Land verlassen. Das mag ja sein. Es ist aber auch pro-
duktivitätssteigernd, wenn gut Ausgebildete zu uns kom-
men. Das ist auch üblich, nicht bei uns, aber in den
Nachbarländern. Daran müssen wir etwas ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben nicht auf die Probleme hingewiesen. Auf
das Punktesystem sind Sie nicht ausführlich eingegan-
gen. In der Antwort wird es genamedropt; es kommt vor.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Freundlich angedeutet!)


Ich nehme an, dass an dieser Stelle die Probleme des Ar-
beitsministeriums durchschlagen. Ich glaube – auch das
muss man einmal sagen –, dass wir von der Idee, dass
ausländische Arbeitskräfte Arbeit in Deutschland ver-
nichten, angesichts der Realität endlich Abstand nehmen
sollten. Diese Einsicht müsste auch in der Regierung an-
gekommen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir arbeiten daran!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906300

Frau Dr. Dückert, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906400

Ich komme zum Schluss. – Wir müssen die Einkom-

mensschwelle für diejenigen, die nach Deutschland
kommen wollen, senken. Es ist ein Witz, dass Frau
Schavan erst viel dafür getan hat, dass sie nicht gesenkt
wurde, im Sommer aber in der Presse eine Senkung ge-
fordert hat.

Ich sage: Jammern Sie nicht! Wenden Sie sich nicht
an die Presse! Sie sitzen doch am Ruder. Sie können die
Zuzugsschwellen senken. Wenn Sie das machen, haben
vielleicht auch die jungen Leute aus dem Ausland die
gleichen guten Chancen, hierher zu kommen, wie unsere
jungen Leute sie haben, ins Ausland zu gehen. Dann be-
kommen wir vielleicht eine gute Balance.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906500

Jetzt hat Stephan Mayer das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1611906600

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Ich bin froh, dass die FDP-
Fraktion diese Große Anfrage zur Abwanderung Hoch-
qualifizierter aus Deutschland gestellt hat. Denn mit der
Antwort der Bundesregierung wird Gott sei Dank mit ei-
nigen Vorurteilen und Unterstellungen aufgeräumt, die
einfach nicht zutreffen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Es ist eine Mär, dass es eine massenhafte Abwande-
rung und einen flächendeckenden Braindrain aus Deutsch-
land gibt. Natürlich gibt es Abwanderung aus Deutsch-
land, aber es gibt auch eine nicht zu vernachlässigende






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

Zuwanderung. Die Abwanderung ist mitnichten stei-
gend. Die höchsten Zahlen der Abwanderung aus
Deutschland liegen bereits einige Jahre zurück, zum Bei-
spiel 1993 mit 815 000 und 1998 mit 755 000.


(Jörg Tauss [SPD]: Anschließend haben wir es geändert!)


In den letzten Jahren beläuft sich die gesamte Abwande-
rung aus Deutschland immer auf zwischen 600 000 und
700 000 Menschen und ist relativ konstant.

Es trifft zu, dass die Abwanderung deutscher Staats-
angehöriger tendenziell steigend ist; aber auch nicht in
dem Maße, wie es teilweise in der Öffentlichkeit darge-
stellt wird. Zum Beispiel haben im Jahr 1991 98 900
deutsche Staatsangehörige Deutschland verlassen. Im
Jahr 2005 waren es 144 800. Sehr interessant ist, dass
von diesen knapp 145 000 allein 42 Prozent in EU-Län-
der und 14 400 – das sind ungefähr 10 Prozent – in die
Schweiz ausgewandert sind.


(Zuruf von der FDP: Wir reden nicht über Auswanderung! Wir reden über die Auswanderung Hochqualifizierter!)


Das heißt, dass allein über die Hälfte der deutschen
Staatsangehörigen, die Deutschland verlassen haben, in
die Europäische Union – das wird naturgemäß durch die
Arbeitnehmerfreizügigkeit erleichtert, die eine der vier
Grundfreiheiten ist, auf die wir sehr stolz sind – und in
die Schweiz ausgewandert ist.

Sehr interessant ist auch, dass es durchaus eine sehr
nennenswerte Zuwanderung aus dem EU-Ausland
nach Deutschland gibt. Zum Beispiel ist für französische
Akademiker Deutschland das Hauptauswanderungs-
land. Dieses Thema sollte man hier einmal differenziert
darstellen.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deutschland ist ein Land, in das Zuwanderung statt-
gefunden hat und auch immer stattfinden wird. Ich bin
aber der Meinung, dass es verfehlt wäre, Deutschland als
klassisches Zuwanderungs- oder Einwanderungsland zu
bezeichnen. Deutschland ist kein Zuwanderungsland wie
Kanada, Australien und Neuseeland es sind oder die
USA es einmal waren.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt aber keine Rolle rückwärts! Darauf haben wir uns gerade geeinigt! Es gibt Zuwanderung, und Deutschland braucht Zuwanderung. Dies wird mitnichten bestritten. (Sibylle Laurischk [FDP]: Was ist denn nun Sache?)


Ich möchte nur daran erinnern, dass nach dem Zwei-
ten Weltkrieg 12 Millionen Flüchtlinge und Heimatver-
triebene in die Bundesrepublik Deutschland gekommen
sind und maßgeblich dazu beigetragen haben, Deutsch-
land wirtschaftlich aufzubauen und die neue deutsche
Gesellschaft zu formieren und mitzuentwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – dies gilt es,
an dieser Stelle zu erwähnen – sind insgesamt 3,2 Mil-
lionen Aussiedler und Spätaussiedler nach Deutschland
gekommen und haben sich hier größtenteils erfolgreich
und hervorragend integriert.


(Zuruf von der FDP: Hier geht es um Hochqualifizierte, Herr Kollege!)


An dieser Stelle gilt es auch, festzuhalten, dass, wenn
im Einzelfall Bedarf vorhanden ist, wenn in bestimmten
Wirtschaftszweigen oder bestimmten Berufsgruppen
konkreter Bedarf nach Zuwanderung besteht, diese Zu-
wanderung schon heute im gesetzlich vorhandenen Rah-
men möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte an dieser Stelle zum Beispiel an die No-
vellierung des Zuwanderungsrechts erinnern. Wir ha-
ben in diesem Jahr beschlossen, den Schwellenwert
deutlich zu reduzieren: Selbstständige, die nicht aus dem
EU-Ausland kommen, müssen nicht mehr wie bisher
1 Million Euro, sondern nur noch 500 000 Euro investie-
ren. Das Erfordernis, zehn Arbeitsplätze zu schaffen,
wurde auf fünf Arbeitsplätze reduziert.

Es ist schon nach der ersten Novellierung des Zuwan-
derungsrechts, die zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten
ist, zum Beispiel möglich, dass ausländische Studenten,
die in Deutschland ihren Hochschulabschluss erworben
haben, ein Jahr in Deutschland bleiben können, um sich
hier eine dauerhafte Anstellung zu suchen. Das ist mei-
nes Erachtens ebenfalls ein sehr wichtiger Aspekt, den
es in diesem Zusammenhang differenziert herauszustel-
len gilt.

Ich bin auch sehr froh, dass die Bundesregierung bei
ihrer Klausurtagung in Meseberg weitere, durchaus
sachgerechte und notwendige detaillierte Erweiterungen
der Zuwanderungsmöglichkeiten beschlossen hat, indem
zum Beispiel in Zukunft, schon in wenigen Tagen, auf
die individuelle Vorrangprüfung bei ganz bestimmten
Ingenieuren verzichtet wird, an denen in Deutschland
ein konkreter, zugegebenermaßen teilweise auch ekla-
tanter Bedarf vorhanden ist, so bei Elektroingenieuren
und bei Ingenieuren des Fahrzeug- und des Maschinen-
baus. Für sie besteht ab sofort – das gilt auch in Bezug
auf die zwölf Mitgliedsländer, die jüngst zur Europäi-
schen Union hinzugekommen sind – die Möglichkeit,
auf die individuelle Vorrangprüfung seitens der Bun-
desagentur für Arbeit zu verzichten. Ebenso ist es nach
den Beschlüssen von Meseberg möglich, dass Studenten,
die in Deutschland ihren Hochschulabschluss erworben
und damit ein erhöhtes Interesse an Deutschland, an der
deutschen Gesellschaft und am deutschen Arbeitsmarkt
zum Ausdruck gebracht haben, nicht der individuellen
Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit un-
terzogen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das war überfällig!)


Meines Erachtens ist in der breiten Öffentlichkeit
ebenfalls zu wenig bekannt, dass die Bundesagentur für
Arbeit nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (Altötting)

schon heute die Möglichkeit hat, auf die individuelle
Vorrangprüfung zu verzichten, wenn in einem ganz kon-
kreten Wirtschaftszweig, in einer ganz bestimmten Be-
rufsgruppe ein Bedarf an ausländischen Arbeitskräften
besteht und dieser Arbeitskräftebedarf zudem – das sage
ich auch in aller Deutlichkeit – durch inländische Ar-
beitskräfte und Arbeitsuchende nicht gedeckt werden
kann. Von dieser schon heute bestehenden Möglichkeit
wird vielleicht da und dort zu wenig Gebrauch gemacht.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die heiß dis-
kutierte Mindesteinkommensgrenze von 85 500 Euro
brutto wird meines Erachtens insgesamt überschätzt. Sie
gilt zum Beispiel nicht für Forscher und für Wissen-
schaftler, also in einem Bereich, in dem wir uns selbst-
verständlich stärker aufstellen wollen. Es ist hinlänglich
darauf hingewiesen worden, dass wir als deutsche Volks-
wirtschaft, aber ebenso als deutscher Wissenschafts-
standort in einem weltweiten Wettbewerb um die besten
und qualifiziertesten Köpfe gerade im Bereich der For-
schung und der Wissenschaft stehen. Für sie gilt schon
heute diese Mindesteinkommensgrenze von 85 500 Euro
nicht.

Aber ich sage auch ganz deutlich, dass wir nach wie
vor in Deutschland Arbeitslosigkeit haben. Auch wenn
sie heute Gott sei Dank und insbesondere dank der weg-
weisenden und zielgerichteten Reformen der Bundesre-
gierung so niedrig ist wie seit zwölf Jahren nicht mehr,
muss man doch zur Kenntnis nehmen: In Deutschland
sind immerhin noch 3,6 Millionen Menschen offiziell als
arbeitslos registriert. Bei solchen Gelegenheiten muss
man immer wieder darauf hinweisen, dass es in Deutsch-
land an die 5 Millionen Menschen gibt, die gern arbeiten
würden, denen dazu aber keine Gelegenheit gegeben
wird. Auch dies gilt es zu berücksichtigen, wenn sehr
vorschnell – teilweise leider Gottes auch seitens der
Wirtschaft – gefordert wird, die Schleusen zu öffnen und
noch mehr ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland
zu lassen.

Vor diesem Hintergrund möchte ich schon beleuch-
ten, dass die aktuellen Vorschläge des EU-Kommissars
Franco Frattini, die er am 13. September geäußert hat,
durchaus mit einer gewissen Skepsis und auch mit Sorge
zu bedenken und zu betrachten sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Das haben Sie aber vorsichtig formuliert!)


Franco Frattini hat angekündigt, dass er am 23. Oktober
zwei Richtlinienvorschläge zum Thema Hochqualifi-
zierte und eine Rahmenrichtlinie zum Rechtsstatus von
Arbeitsmigranten insgesamt erlassen wird. Ich weise
sehr deutlich und entschieden darauf hin und bitte die
Bundesregierung, sehr geehrter Herr Bundesinnen-
minister Schäuble, in Zukunft bei den Verhandlungen im
JI-Rat darauf einzuwirken und die Klarstellung zu for-
dern, dass die Kompetenz für die legale Zuwanderung in
den Arbeitsmarkt weiterhin in der Kompetenz der EU-
Nationalländer liegen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: So ist es!)

Hierin sehe ich die große Gefahr, dass seitens der EU
und der EU-Kommission, insbesondere seitens des zu-
ständigen EU-Kommissars Frattini, eine gewisse Sala-
mitaktik dahin gehend angewandt wird, dass sich die EU
immer mehr Kompetenzen im Bereich der legalen Mig-
ration einzuverleiben versucht; es ist ganz klar, dass es
dem entgegenzuwirken gilt. Meines Erachtens gilt es
diesen Bemühungen vor allem deshalb zu begegnen,
weil es in Europa, so integriert es mittlerweile auch ist,
nach wie vor 27 verschiedene Arbeitsmärkte gibt. Die
Situation in Portugal und Zypern unterscheidet sich von
der in Finnland und auch von der Situation in Deutsch-
land. Deutschland ist nun einmal das größte, das bevöl-
kerungsreichste Land innerhalb der Europäischen Union
und demzufolge auch der größte Arbeitsmarkt. Deswe-
gen gilt es auf dieser Ebene nachdrücklich klarzustellen,
dass die Kompetenz für die legale Arbeitsmigration wei-
terhin in den Händen der Nationalstaaten verbleiben
muss.

Ich möchte betonen: Hier sehe ich auch die Wirtschaft
in der Verantwortung. So wirtschaftsfreundlich ich per-
sönlich gesinnt bin und so positiv ich insbesondere der
mittelständischen Wirtschaft gegenüberstehe, so deutlich
muss ich darauf hinweisen, dass sich die Wirtschaft, was
die Aus- und Fortbildung junger Menschen anbelangt,
nicht aus der Verantwortung stehlen darf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Deswegen gilt es, den meines Erachtens teilweise etwas
vorschnellen Verlautbarungen der Wirtschaft, es gebe ei-
nen eklatanten Fachkräftemangel, der nur durch eine
Ausweitung der Arbeitsmigration aus dem Nicht-EU-
Ausland zu beheben sei, entgegenzutreten.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Nein! Wir brauchen eine Bildungsreform! Es geht der Wirtschaft doch auch um ganz andere Themen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt
nicht nur innerhalb der Europäischen Union unterschied-
liche Arbeitsmärkte, sondern auch in Deutschland. Im
Agenturbezirk Ingolstadt beträgt die Arbeitslosigkeit
1,5 Prozent, in Görlitz 21 Prozent. In meinem Wahlkreis,
in Altötting, sind die Arbeitslosenzahlen andere als in
Hamburg oder Berlin. Hier muss man wirklich ins Detail
gehen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird pein-
lich genau darauf achten, dass beim Zuzug von Nicht-
EU-Ausländern weiterhin generell an der individuellen
Vorrangprüfung festgehalten wird. Wir lehnen eine wie
auch immer geartete Punkteregelung und die Festlegung
bestimmter Zuwanderungsquoten für Deutschland kate-
gorisch ab.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Haben Sie das auch mit dem Herrn Innenminister abgesprochen?)


Abschließend möchte ich die FDP-Fraktion bitten – –


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906700

Bitte wirklich abschließend.






(A) (C)



(B) (D)


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1611906800

Ich komme zum Abschluss, Frau Präsidentin. – Das

Zahlenmaterial, das in der Antwort der Bundesregierung
geliefert wurde, ist eine gute Basis für die zukünftige
Generation. Es besteht keine Veranlassung zu überhitz-
ten und überzogenen Diskussionen. Lassen Sie uns zu
einer gewissen Gelassenheit und Sachlichkeit zurück-
kehren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sibylle Laurischk [FDP]: Wir sind doch schon die ganze Zeit dabei!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611906900

Jetzt spricht der Kollege Uwe Barth für die FDP-

Fraktion.


Uwe Barth (FDP):
Rede ID: ID1611907000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehr-

ten Kolleginnen und Kollegen! Herr Mayer, Sie haben
gerade eine bemerkenswerte Achterbahnfahrt gemacht.


(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein! Das war eine sehr gute Rede! – Gegenruf der Abg. Sibylle Laurischk [FDP]: Nein! Eine Achterbahn!)


Deutschland ist kein Zuwanderungsland, aber wir brau-
chen Zuwanderung. Wir brauchen keine neuen Überle-
gungen und keine neuen Gesetze. Der Minister sagt: So
ist es. Aber in seiner Rede und in der Antwort auf unsere
Große Anfrage kündigte er an, Monitoring durchführen
und ein entsprechendes Konzept vorlegen zu wollen. Im-
merhin haben Sie die Forscher und Wissenschaftler in
Ihren sehr allgemeinen Ausführungen zur Zuwanderung
einmal erwähnt. Ich sage das deshalb, weil wir über die
Auswanderung Hochqualifizierter sprechen. Forscher
und Wissenschaftler gehören zweifellos zu dieser Ziel-
gruppe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle kennen das
Lied „Die Gedanken sind frei“, welches im Wesentli-
chen zum Inhalt hat, dass sich Gedanken nicht verbieten
lassen. Wissenschaftler und Forscher sind von Gedanken
getrieben. Sie lassen sich nicht einsperren, in einer glo-
balisierten Welt schon gar nicht. Denkverbote, Gänge-
lung, aber auch finanzielle Unterausstattung – an dieser
Stelle möge Herr Staatssekretär Rachel einmal genau zu-
hören – schrecken Wissenschaftler und Forscher ab und
vertreiben sie, und zwar dorthin, wo sie bessere Rah-
menbedingungen vorfinden.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja! Deswegen ändern wir das ja jetzt!)


Dass wir gerade zwei deutsche Nobelpreisträger, die
ausnahmsweise sogar in Deutschland tätig sind, bejubeln
dürfen, bedeutet keine Trendwende. Aber das zeigt im-
merhin – das ist die gute Nachricht –, dass Spitzenfor-
schung möglich ist, wenn man sie das tun lässt und wenn
sie das tun dürfen. Die Regel ist leider, dass viele deut-
sche Spitzenforscher in Deutschland keine geeigneten
Rahmenbedingungen mehr vorfinden. Demzufolge fin-
det Spitzenforschung nicht im gewünschten Umfang in
Deutschland statt. Spitzenforscher, die auf sehr wichti-
gen Zukunftsfeldern tätig sind, verlassen unser Land,
weil wir sie in ihren Möglichkeiten einschränken, in fi-
nanzieller und inhaltlicher Hinsicht.

Das ist in anderen Ländern ganz anders. Warum wa-
ren denn gerade die amerikanischen Research Universi-
ties in den letzten Jahren Heimstatt für viele deutsche
Nobelpreisträger, und warum bringen sie regelmäßig
Nobelpreisträger hervor? Das ist deshalb der Fall, weil
dort Forschungsfreiheit herrscht, weil die Wissenschaft-
ler und Forscher dort nicht durch bürokratische Monster
belästigt werden,


(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)


weil sie von fachfremden Aufgaben befreit sind


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist Miesmacherei!)


und weil ihre Tätigkeit dort angemessen honoriert wird;
auch dieser Aspekt spielt für Wissenschaftler bzw.
Hochqualifizierte eine Rolle.

Da die Bundesregierung zu Recht festgestellt hat,
dass der Bedarf an gut ausgebildeten Menschen in den
nächsten Jahren steigen wird, wundert es mich ein biss-
chen, dass in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage
von Themen wie der Verlängerung der Lebensarbeits-
zeit, der Initiative „50 plus“ und dem Kindergeld die
Rede ist. Das sind keine geeigneten Mittel, um Wissen-
schaftler wieder nach Deutschland zu holen.

Das Ergebnis ist eine langfristig negative Wande-
rungstendenz. Man muss konstatieren, dass wir den Sog,
den die internationalen Wissenschaftsleuchttürme auf die
Hochqualifizierten ausüben, nicht durch eigene Lock-
instrumente kompensieren können. Wir sitzen in dem
Verliererzug namens Braindrain,


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, ja! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Schwarzmalerei hoch drei! Es gibt einen Braindrain: bei der FDP!)


und die Endstation dieses Zuges hat – auch ohne Lok-
führerstreik – keinen Anschluss an die Weltspitze. Wir
haben diese Endstation noch nicht erreicht; das ist die
gute Botschaft. Es ist durchaus so, dass die mangelnde
politische Bereitschaft der vergangenen Jahre allmählich
zu schwinden scheint. Ich will in diesem Zusammen-
hang das Land Nordrhein-Westfalen erwähnen, das mit
dem Programm zur Förderung junger Spitzenwissen-
schaftlerinnen und Spitzenwissenschaftler aus dem Aus-
land einen Weg beschreitet, mit dem jungen Wissen-
schaftlern zum Beispiel mit der eigenständigen Leitung
von Forschungsgruppen, aber auch – Kollege Bürsch hat
es angesprochen – mit dem Tenure-Track Perspektiven
eröffnet werden. Das sind notwendige Dinge. Bedauer-
lich, dass es nur vier Länder sind – ich frage mich, was
die anderen zwölf machen und was die Bundesregierung
tut, um die Länder zu ermuntern.


(Jörg Tauss [SPD]: Was macht denn BadenWürttemberg? Werden wir doch mal konkret! Nix machen sie!)


Der Minister hat gesagt – damit komme ich zum
Schluss, Frau Präsidentin –, dass die Nobelpreisträger






(A) (C)



(B) (D)


Uwe Barth
geäußert hätten, die Bedingungen in Deutschland seien
gar nicht so schlecht.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Gut sind die!)


Das ist ein relativ geringer Anspruch, das ist nicht der
Anspruch, den wir an unser Land als Wissenschafts- und
Forschungsstandort stellen sollten. Wenn die Große An-
frage der FDP-Bundestagsfraktion dazu geführt hat, dass
wir hier über dieses Thema reden und dass die Bundesre-
gierung erklärt, sie will ein Monitoring durchführen und
ein Konzept vorlegen, dann hat diese Große Anfrage et-
was bewegt. Ich sage Ihnen für meine Fraktion zu, dass
wir an diesem Konzept entsprechend mitarbeiten.

Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielen Dank, Frau Präsidentin!


(Beifall bei der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611907100

Jetzt ist die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion

an der Reihe.


(Beifall bei der SPD)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1611907200

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Zur Großen Anfrage der FDP muss ich sagen:
Wer wie Sie durch Ihre Frage implizit andeutet, das Ar-
beiten deutscher Fachkräfte im Ausland sei ein riesiges
Problem, ist auf dem Holzweg.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Die Exportwirtschaft – und wir sind nun einmal Export-
weltmeister – braucht internationales Know-how und In-
genieure, die andere Kulturen und Europa kennen. So
entsteht hier in Deutschland kulturelle Vielfalt und Wert-
schöpfung.


(Beifall bei der SPD)


Doch nun zum Kernanliegen. Der Aufschwung in
Deutschland soll anhalten. Wir wollen weiter am Abbau
der Arbeitslosigkeit arbeiten und alle am Aufschwung
teilhaben lassen. Das geht nur mit guten Löhnen und gu-
ter Arbeit, inklusive Mindestlohn, und dazu brauchen
wir Innovation und Qualität. Für Innovation und Qualität
wiederum brauchen wir Fachkräfte, Fachkräfte, Fach-
kräfte. Woher kommen denn Fachkräfte in einer alternden
Gesellschaft? Wir müssen qualifizieren und Qualifizierte
herholen. Nur so bekommen wir die Nobelpreisträger der
Zukunft und Fachkräfte, die täglich durch ihre Leistung
für kulturelle Vielfalt und Wertschöpfung sorgen – un-
sere Nobelpreisträger des Alltags.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Gute Formulierung!)


Fordern und Fördern, das ist der Grundgedanke der
Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010. Fordern und
Fördern, das gilt aber auch im Hinblick auf den Fach-
kräftemangel. Fördern: Jeder in Deutschland soll als
Fachkraft am Arbeitsmarkt eine Chance haben. Fördern:
Wir wollen Unternehmen, die gut ausbilden, belohnen.
Fordern: Wir brauchen auch ausländische Fachkräfte in
Deutschland. Fordern: Unternehmen müssen bei Aus-
und Weiterbildung noch stärker zulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Fachkräfte sind notwendig; daran besteht kein Zwei-
fel. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be-
rufsforschung macht allerdings klar, dass ein flächende-
ckender Fachkräftemangel noch nicht besteht, wohl aber
ein Fachkräftemangel in einzelnen Wirtschaftsbereichen
und Regionen, nämlich dort, wo die Arbeitslosigkeit ge-
ring ist, wie in Bayern und Baden-Württemberg. Ge-
sucht werden insbesondere qualifizierte Fachkräfte und
Ingenieure.

Ich finde es bemerkenswert, dass die Zahl der arbeits-
losen Ingenieure seit letztem Jahr schlagartig zurückge-
gangen ist. Anfang 2006 waren noch 50 000 Ingenieure
arbeitslos. 18 Monate danach sind es weniger als die
Hälfte. Wir können den eigenen Ingenieurbedarf also
nicht über unsere arbeitslosen Ingenieure decken. Des-
halb sind alle Handelnden gefragt, hier anzusetzen.

Zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte will ich Ih-
nen gerne ein Beispiel aus meiner Heimat schildern. Die
Hochschule der Goldstadt Pforzheim – bundesweit be-
kannt für Gestaltung, Technik, Wirtschaft und Recht –
hat die Zeichen der Zeit erkannt. Sie reagiert auf die de-
mografische Entwicklung mit einer Globalisierungsstra-
tegie. Der Kollege Tauss war gemeinsam mit mir dort
beim Rektor, sodass er weiß, was jetzt kommt.


(Uwe Barth [FDP]: Er war also auch einmal in einer Hochschule! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Fortbildung im Alter schadet nicht! – Jörg Tauss [SPD]: Du, ich war nicht zum ersten Mal dort!)


– Du warst nicht zum ersten Mal an der Hochschule,
aber beim neuen Rektor, lieber Jörg. – Diese Globalisie-
rungsstrategie wird zugunsten der Studenten und der
kleinen und mittelständischen Unternehmen durchge-
führt; denn gerade die kleinen und mittelständischen Un-
ternehmen schaffen in Baden-Württemberg Arbeits-
plätze.

Trotz knapper Mittel hat diese Hochschule ein zusätz-
liches Büro für den Ausbau internationaler Hochschul-
kontakte eingerichtet,


(Jörg Tauss [SPD]: Vorbildlich!)


obwohl schon vierzig solcher Kooperationen bestehen.
Man baut also auf einem großen Stamm auf. Das Ziel ist
ganz klar: Mehr ausländische Studenten in Pforzheim,
bessere Wirtschaftsbeziehungen für die gesamte Region
und damit mehr Arbeit für die Zukunft.


(Beifall bei der SPD)


Aber auch die Große Koalition setzt Rahmenbedin-
gungen für ausländische Fachkräfte; das haben viele
meiner Vorredner schon gesagt. Ausländer, die in
Deutschland ihr Studium abgeschlossen haben, können
hier nun leichter arbeiten. Das zieht weitere Arbeits-
kräfte an.






(A) (C)



(B) (D)


Katja Mast
Politik wird am Beispiel konkret. Lassen Sie mich
deshalb ein weiteres hinzufügen: Firmen – gerade im
süddeutschen Raum – suchen händeringend nach Ma-
schinenbau-, Fahrzeugbau- und Elektroingenieuren.
Deshalb erlauben wir, dass diese Ingenieure schon vor
Einführung der Freizügigkeit anderer Berufsgruppen aus
den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei
uns arbeiten können. Das ist konkrete Politik und kon-
krete praktische Hilfe für den Arbeitsmarkt.

Ausländische Fachkräfte, die leichter nach Deutsch-
land kommen, sind das eine. Mir geht es aber vor allem
darum, unsere Fachkräfte hier zu halten, sie zu qualifi-
zieren und auszubilden. Es fehlen betriebliche Ausbil-
dungsplätze, es gibt Schulabgänger ohne Ausbildungsfä-
higkeit, Frauen sind weniger erwerbstätig, weil sie
Familie und Beruf nicht vereinbaren können, und den
Kindern von Ausländern, die in zweiter oder dritter Ge-
neration hier sind, geben wir keine ehrlichen Chancen.
Wir schöpfen unsere eigenen Potenziale also nicht aus.

Auch wenn mein Vorredner gesagt hat, dass das nicht
ganz stimmt: Bildung und Betreuung sind zur Gewin-
nung von Fachkräften die richtige Antwort. Hier tut sich
viel in Deutschland: das Recht auf einen Kindergarten-
platz, das Ganztagsschulprogramm der Schröder-Regie-
rung und das Recht auf einen Krippenplatz ab 2013 von
der Großen Koalition: Das sind die richtigen Schritte zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ich habe gesagt, es gehe darum, Fachkräfte zu halten,
zu qualifizieren und auszubilden. Auch hierfür sind die
Beispiele unserer Politik noch lange nicht erschöpft;
denn Regieren geht über Debattieren. Deshalb trägt die
SPD diese Regierung gerne.

Wir haben bei den über 55-Jährigen eine Beschäfti-
gungsquote, von der die FDP während ihrer Regierungs-
verantwortung geträumt hätte. Sie liegt heute bei
52 Prozent und lag zu Beginn der Schröder-Regierung
bei 38 Prozent. Dadurch werden Fachkräfte im Land und
im Erwerbsleben gehalten.


(Beifall bei der SPD)


Doch wie machen wir die Jugend fit für die Qualifi-
zierung als Fachkräfte? Wir haben hier im Bundestag
erst vor vier Monaten den Antrag „Junge Menschen för-
dern – Ausbildung schaffen und Qualifizierung sichern“
verabschiedet. Aus meiner Sicht hätte die Überschrift
genauso heißen können: Unser Beitrag zur Beseitigung
des Fachkräftemangels.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In diesem Antrag finden Sie eine Vielzahl an Maßnah-
men zum Fördern und Fordern der Jugend. Wir brau-
chen ein Mehr an betrieblichen Ausbildungsplätzen.
Deshalb prüft das Arbeitsministerium, wie es Unterneh-
men fördern kann, die überdurchschnittlich ausbilden.
Denn wer mehr tut als andere, der soll aus Sicht der SPD
belohnt werden. Er soll weniger Arbeitslosenversiche-
rung zahlen müssen. Denn wir wissen: Bildung ist die
beste Arbeitslosenversicherung und der beste Schlüssel
für mehr Fachkräfte in Deutschland.


(Beifall bei der SPD)

Es gibt viele Jugendliche, die trotz Schulabschluss
nicht ausbildungsfähig sind. Jeder von uns kann ein Lied
davon singen, was ihm bei Betriebsbesuchen darüber be-
richtet wird. Mit dem EQJ, aber auch mit dem Qualifi-
zierungszuschuss für jugendliche Langzeitarbeitslose
haben wir da Brücken gebaut. Auch das sind alles Ein-
zelbeispiele für konkrete Hilfe zur Beseitigung des Fach-
kräftemangels und bei der Qualifizierung.

Das ist deshalb wichtig, weil nicht nur Abiturienten
Ingenieurwissenschaften studieren, sondern auch Fach-
arbeiter- und Handwerkerkinder im zweiten Bildungs-
weg nach einer Berufsausbildung. Deshalb müssen wir
auch die Durchlässigkeit unserer Studiengänge aus-
bauen.

Eines ist doch unbestritten: Fachkräfte sind auf Dauer
unser zentraler Innovations- und Wachstumsmotor. Bei
dieser Entwicklung wollen wir Sozialdemokraten alle
Menschen mitnehmen, auch die zahllosen Talente im
Land, die sich bisher wegen Sprachproblemen und der
frühen Auslese im Schulsystem nicht entfalten konnten.

Wir brauchen gleiche Chancen durch gleiche Bil-
dungschancen für alle. Nur so bekommen wir neben den
Nobelpreisträgern aus dem Aus- und Inland auch genü-
gend Personen, die täglich durch ihre Leistung für kultu-
relle Vielfalt und Wertschöpfung sorgen: unsere Nobel-
preisträger des Alltags.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611907300

Jetzt spricht Kollege Kai Gehring für Bündnis 90/Die

Grünen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611907400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Überschrift der Debatte könnte zum Teil lauten:
Thema verfehlt! Denn beim Lesen der Großen Anfrage
entsteht der Eindruck, dass weder der Fragesteller FDP
noch der Antwortgeber Bundesregierung die Problema-
tik richtig erfasst haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Aber jetzt sagen Sie es uns!)


Die FDP beklagt mit einer fast schon nationalen Bor-
niertheit einen Braindrain deutscher Fachkräfte. Die
Bundesregierung betont immerhin den möglichen Brain-
gain, tut aber nichts dafür, dass auch wirklich mehr
Hochqualifizierte nach Deutschland kommen.

Worum es wirklich in dieser Debatte gehen muss, ist
Braincirculation.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Mast [SPD]: Übersetzen! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Braintraffic klingt besser!)


Das heißt, wir müssen die internationale Mobilität
hochqualifizierter Menschen in allen Richtungen er-
möglichen. Uns Grünen liegt dabei nicht allein der






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
Standort Deutschland am Herzen, sondern auch die Zu-
kunftsperspektiven von Schwellen- und Entwicklungs-
ländern. Nur durch den ständigen Austausch in alle
Richtungen der besten Köpfe in dieser globalisierten
Welt können alle Seiten profitieren. Das muss die zen-
trale Botschaft in dieser Debatte sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die entscheidende Frage für Deutschland ist dabei:
Wie gewährleisten wir, dass hier genügend hochqualifi-
zierte Fachkräfte zur Verfügung stehen? Wie erreichen
wir, dass angesichts des demografischen Wandels alle
vorhandenen Begabungen und Potenziale von Frauen,
Älteren und Migrantinnen und Migranten stärker als bis-
lang genutzt werden, dass möglichst viele junge Men-
schen exzellent ausgebildet werden und das lebenslange
Lernen in diesem Land tatsächlich ernst genommen
wird? Wie schaffen wir es, dass sich genügend Hochqua-
lifizierte – egal ob sie zugewandert sind oder nicht – für
ein Leben und Arbeiten in Deutschland entscheiden? Die
Beantwortung dieser Fragen ist zentral, da der Mangel
an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein
immer stärkeres Hemmnis für technologischen Fort-
schritt und für nachhaltiges Wirtschaftswachstum wird.

Unser Bildungssystem ist in diesem Zusammenhang
von entscheidender Bedeutung. Es ist leider hochgradig
selektiv und zutiefst ungerecht. Dass wir damit Akade-
miker- und Fachkräftemangel ernten, haben uns die neue
OECD-Bildungsstudie und die DSW-Sozialerhebung
überdeutlich ins Stammbuch geschrieben. Das war eine
klare Ohrfeige für die Bildungs- und Qualifizierungspo-
litik von Schwarz-Rot.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat zu diesem Thema wenig Ta-
ten, aber reichlich schöne Worte produziert. „Nationale
Qualifizierungsoffensive“ hieß es in Meseberg, und so
heißt der schwarz-rote Versuch einer Brücke über die
Fachkräftelücke. Doch nach zwei Jahren Defensive in
diesem Bereich wird eine einzelne Offensive nicht aus-
reichen. Sie haben stattdessen mit einer ideologischen
Zuwanderungspolitik die Hürden für ausländische Fach-
kräfte, Studierende und Höchstqualifizierte beibehalten
und zum Teil sogar erhöht. Sie müssen die Hürden ab-
senken, sonst bleibt die Internationalisierung eine hohle
Phrase.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um die besten Köpfe zu gewinnen, brauchen wir
neben besseren Zuwanderungs- und Integrationsbedin-
gungen vor allem einen Dreiklang aus attraktiven Stu-
dienbedingungen, Beschäftigungsbedingungen und Le-
bensbedingungen. Ich komme nun zu den einzelnen
Punkten.

Gute Studienbedingungen sind nötig, weil gegen das
Fachkräftetief nur ein Studierendenhoch auf Dauer wir-
ken kann. Das heißt, Bund und Länder müssen genügend
ausfinanzierte Studienplätze bereithalten, um Zehntau-
senden zusätzlichen Abiturienten und Studienberechtig-
ten den Weg in die Hörsäle zu ebnen.

(Jörg Tauss [SPD]: 10 000 reichen auch nicht aus!)


Mehr Studienplätze alleine bringen aber nichts, wenn
sich junge Menschen ein Studium nicht mehr leisten
können.

Statt Große Anfragen einzubringen, sollten Sie von
der FDP lieber Ihren Länderkollegen und Landesminis-
tern die Studiengebühren ausreden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Da hat er recht!)


Damit wäre viel mehr gegen den Fachkräftemangel ge-
tan als mit der Antwort der Bundesregierung.


(Jörg Tauss [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Der nächste Punkt sind die attraktiven Beschäfti-
gungsbedingungen. Sie bedeuten vor allen Dingen eine
bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gute Be-
rufseinstiegsperspektiven und angemessene Bezahlung
statt prekärer Praktika und Billiglohn sowie gerechtere
Karrierechancen für Frauen in diesem Land. Gerade im
Bereich Wissenschaft und Forschung, wo die Fachkräf-
telücke besonders eklatant ist, hat es die Bundesregie-
rung bislang leider versäumt, attraktive und vor allem
verlässliche Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Nicht zuletzt sind attraktive Lebensbedingungen not-
wendig. Denn auch wenn wir von Braindrain oder Brain-
gain reden


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Circulation!)


– wunderbar, da ist ja bei der PDS/Linksfraktion etwas
hängen geblieben –:


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist der Lerneffekt! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Braintraffic!)


Es geht bzw. kommt nicht nur das Gehirn, sondern der
ganze Mensch. Dieser Mensch ist kreativ und hochquali-
fiziert. Solche Menschen entscheiden sich in der globa-
lisierten Welt für Regionen mit einer besonders hohen
Lebensqualität, in denen ein Klima der Toleranz und Of-
fenheit herrscht. Dies gilt besonders für ausländische
Fach- und Kreativkräfte. Dementsprechend entwickeln
Unternehmen in Regionen mit hoher kultureller Vielfalt
deutlich erfolgreicher Produkte und melden mehr Pa-
tente an. Das hat die Studie des IAB bewiesen.

Das zeigt, dass die sogenannten weichen Standort-
faktoren inzwischen knallhart sind. Toleranz ist eine
entscheidende Voraussetzung für Talente und Technolo-
gie. Soziale Stabilität, Familienfreundlichkeit, kulturelle
und gesellschaftliche Vielfalt sind zwingend für Kreati-
vität und Innovationen in diesem Land.

Bekämpfen Sie deshalb keinen vermeintlichen Brain-
drain! Sorgen Sie lieber dafür, dass genügend Menschen
in diesem Land gut qualifiziert werden und gerne und er-
folgreich in Deutschland leben und arbeiten, egal ob sie
hier ausgebildet, zugewandert oder hierher zurückge-






(A) (C)



(B) (D)


Kai Gehring
kehrt sind. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung, die
sie dringend besser lösen muss.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611907500

Als Nächste hat das Wort die Kollegin Anette

Hübinger für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1611907600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vieles ist heute schon zu dem Thema Auswan-
derung und Zuwanderung gesagt worden. Dennoch er-
laube ich mir, einiges zu wiederholen, weil es für mich
wichtig ist.

Wichtig ist für mich, dass es zur Normalität geworden
ist, dass wir mittlerweile in einer internationalen, global
vernetzten Welt leben. Dies wird von uns hingenommen,
ohne zu bedenken, was dafür geleistet wurde und was
dahintersteht. Der vielerorts beschriene Exodus der
Hochqualifizierten aus unserem Land kann allerdings
nicht empirisch festgestellt werden. Vielmehr kehren
laut einer Studie der Deutschen Forschungsgemeinschaft
unter Auslandsstipendiaten 85 Prozent der Wissen-
schaftler wieder nach Deutschland zurück. Untermauert
wird dies auch durch eine Studie des Bundesinstituts für
Bevölkerungsforschung. Danach steigt die Zahl der aus-
gewanderten hochqualifizierten Personen zwar etwas.
Jedoch ist der Auslandsaufenthalt zumeist zeitlich be-
fristet. Vier Fünftel der deutschen Wissenschaftler halten
sich weniger als ein Jahr im Ausland auf. Die Studie
zeigt aber auch, dass es zu einer Europäisierung der Mi-
gration von Deutschen gekommen ist. Konstant über
60 Prozent der Abwanderer halten sich im europäischen
Ausland auf. Das ist die Folge eines geeinten Europas
und eines gemeinsamen Marktes, wie er von uns gewollt
wurde.

Die Mobilität von Hochqualifizierten ist nur zu be-
grüßen, für deutsche und ausländische Fachkräfte sowie
Wissenschaftler gleichermaßen. Es liegt doch in unse-
rem eigenen Interesse, dass unsere Wissenschaftler und
Fachkräfte ins Ausland gehen, sich dort weiterbilden,
persönliche Erfahrungen sammeln und mit diesem Wis-
sen wieder nach Hause zurückkehren. Genauso interes-
siert sind wir daran, international renommierte Wissen-
schaftler und Fachkräfte für eine Tätigkeit in unserem
Land zu gewinnen.

Künftig kommt der internationalen Ausrichtung
von Wissenschaft und Bildung in unserem Land eine
große Bedeutung zu.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dem Wettbewerb um die klügsten Köpfe müssen wir uns
stellen. Für deutsche und ausländische Hochqualifizierte
muss eine Tätigkeit gerade in Deutschland interessant
werden. Netzwerke wie das Projekt GAIN helfen deut-
schen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen wäh-
rend eines Auslandsaufenthalts, Kontakte zu halten, und
zeigen Wege für eine mögliche Rückkehr an eine deut-
sche Hochschule oder Forschungseinrichtung auf. Ent-
scheidend für die Attraktivität einer wissenschaftlichen
Tätigkeit in unserem Land sind aber die strukturellen
Bedingungen in diesen Einrichtungen. Unseren Nach-
wuchswissenschaftlern müssen eine Perspektive für eine
wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland und gute
Rahmenbedingungen für sich und ihre Familien geboten
werden.

Neue Wege sind hier die Einführung von Tenure-
Track-Verfahren – das wurde schon angesprochen – so-
wie die weitere Etablierung von Dual-Career-Services
an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Der
Wettbewerb um die klügsten Köpfe ist aber auch eine
Frage des Gehalts. Daher sollte der Vergaberahmen der
W-Besoldung für Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler überdacht werden. Wir wollen, dass in Zukunft
noch mehr ausländische Spitzenforscher und Nach-
wuchswissenschaftler dem Ruf an eine deutsche Hoch-
schule oder Forschungseinrichtung folgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die vor wenigen Wochen von Frau Ministerin Schavan
vorgestellte Internationalisierungsinitiative zeigt den
Handlungsrahmen hierfür auf.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in man-
chen Branchen wird der Wirtschaftsstandort Deutsch-
land darauf angewiesen sein, gezielt hochqualifizierte
Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Auf der
Klausurtagung der Bundesregierung in Meseberg wurde
hierfür die Entwicklung eines Konzeptes vereinbart. Die
Erleichterung des Zugangs ausländischer Absolventen
deutscher Hochschulen zum Arbeitsmarkt in bestimmten
Bereichen begrüßen wir.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Anmerken möchte ich an dieser Stelle aber auch, dass
unser Bedarf an Fachkräften nicht zu einem Exodus in
den Ländern der Dritten Welt führen darf. Vielmehr
sollte der zeitliche und gegenseitige Austausch von
Menschen und Wissen – mein Kollege nennt das Brain-
Circulation; das ist schon ein alter Begriff und kommt
vom französischen Ausdruck „circulation des élites“ –
das Ziel unserer Bemühungen sein.

Für die CDU/CSU-Fraktion ist ferner klar: Unser
Fachkräftemangel kann und wird nicht alleine durch eine
gesteuerte Zuwanderung behoben werden. Vielmehr
müssen wir unsere eigenen Fachkräfte ausbilden und
weiterbilden. Die Bundesregierung hat dies erkannt.
Noch im Herbst dieses Jahres soll eine Nationale Quali-
fizierungsinitiative verabschiedet werden. Die Qualität
des deutschen Ausbildungs- und Weiterbildungswesens
soll grundlegend verbessert werden. Es soll in der vor-
schulischen und schulischen Ausbildung angefangen
werden, in der es eine stärkere Zusammenarbeit geben
soll. Die Zahl der Schul- und Studienabbrecher soll deut-
lich gesenkt werden, und die Zahl der Studierenden soll
auf 40 Prozent ansteigen. Das setzt eine intensivere






(A) (C)



(B) (D)


Anette Hübinger
Betreuung von Schülern und Studierenden voraus. Hier-
für haben Bund und Länder mit dem Hochschulpakt die
Grundlage gelegt.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Eine gute Geschichte!)


Nicht zuletzt soll der Zugang zum Hochschulstudium für
Absolventen der dualen Berufsausbildung erleichtert
werden. Aber auch das lebenslange Lernen soll verstärkt
gefördert werden. Hier sind auch die deutschen Unter-
nehmen gefordert;


(Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!)


denn eine gute und fortwährende Weiterbildung der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet eine Inves-
tition in den Wirtschaftsstandort Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie Sie sehen, ist Deutschland durch unsere Politik, die
Politik der Großen Koalition, heute und in der Zukunft
für die Herausforderungen und Chancen der globalisier-
ten Welt gut aufgestellt. Erfolgreich werden wir aber nur
sein, wenn sich unsere Gesellschaft ausländischen Mit-
bürgerinnen und Mitbürgern gegenüber öffnet.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611907700

Zum Abschluss der Debatte hat jetzt der Kollege Jörg

Tauss für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD – Uwe Barth [FDP]: Unser Altstudent!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1611907800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen des Präsidiums!

Ich bedanke mich sehr – das sage ich an die Innenpoliti-
kerinnen und Innenpolitiker gerichtet – für die Möglich-
keit, als Wissenschaftspolitiker etwas zu diesem Thema
sagen zu dürfen; denn im Grunde genommen – das ha-
ben alle Beiträge gezeigt – führen wir auch aufgrund der
Anfrage, die die FDP gestellt hat,


(Uwe Barth [FDP]: Nur aufgrund der Anfrage!)


eine bildungspolitische Debatte. Insofern loben wir euch
jetzt einmal. Es waren nicht alle Fragen so furchtbar in-
telligent. Es sind, lieber Herr Minister, auch nicht alle
Fragen so beantwortet worden, wie wir als Wissen-
schaftspolitiker es uns gewünscht hätten. Sie hatten aber
gegenüber Frau Schavan angedeutet und haben es heute
angesprochen, dass wir in dem einen oder anderen Punkt
zu Verbesserungen kommen müssen. Die Beschlüsse
von Meseberg sind an vielen Stellen diskutiert worden.

Das Thema ist übrigens auch nicht neu. So neu, dass
Sie ausgerechnet jetzt eine Anfrage hätten stellen müs-
sen, ist es nun weiß Gott nicht.


(Uwe Barth [FDP]: Wenn wir es nicht gemacht hätten, wer dann?)

Man könnte schon fast biblisch werden. Schauen Sie
sich das Matthäus-Evangelium an. Da finden Sie bereits
den ersten Globalisierungsbefehl. Keine Sorge, ich habe
nur zehn Minuten Redezeit und will es abkürzen. Ich
will nicht den ganzen Zeitraum seit Matthäus abhandeln.
Matthäus sagte: Gehet hin in alle Welt!


(Heiterkeit)


Das war, wenn man so will, der Globalisierungsbefehl.
Seit diesem Globalisierungsbefehl gibt es Menschen, die
dieses tun. Darauf folgte eine jahrhundertelange Ent-
wicklung.

1996 – das war zu Ihrer Regierungszeit – schrieb der
Spiegel: Wir verlieren Köpfe. – Das habe ich 1996 in ei-
ner Debatte angeführt. Damals waren wir tragischer-
weise noch in der Opposition. Das war die Zeit, in der
der Spiegel von der „Talfahrt in die Zukunft“ schrieb,
weil während Ihrer Regierungsverantwortung die Mittel
für Wissenschaft und Forschung deutlich gekürzt wor-
den sind. Im Spiegel waren die dramatischen Folgen zu
lesen, nämlich dass deutsche Forscher gegangen sind,
weil sie hier keine Perspektive mehr hatten.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Was hat sich seitdem geändert?)


Ich glaube, das war einer der Gründe, warum Sie 1998
die Wahl verloren haben; denn die Leute haben gesagt:
Wir brauchen etwas Neues. – Dann regierte Rot-Grün.
Frau Kollegin Aigner schaut ganz unglücklich, weil ich
wieder Rot-Grün beschwöre. Jetzt kommen wir aber zu
Schwarz-Rot. Wir haben es ganz gut gemacht. Wir ha-
ben seinerzeit mit Rot-Grün den Trend gestoppt; dann
kam Schwarz-Rot. Immer dann, wenn Rot dabei ist, geht
es aufwärts. Das ist eine gute Botschaft, die uns natürlich
freut.


(Beifall bei der SPD)


Das Thema ist ernst. Deswegen bedaure ich ein biss-
chen, dass sich die FDP an den Symptomen abarbeitet;
denn das Kurieren an Symptomen hilft nichts. Sie stellen
keine Diagnose und haben keine politische Therapie.


(Uwe Barth [FDP]: Das war eine Anfrage, Herr Kollege!)


Die zentrale Frage betrifft die Geschwindigkeit und
Qualität des Innovationssystems in Deutschland. Das
ist das Spielfeld, auf dem wir uns bewegen. In dieser Be-
ziehung haben wir etwas getan, und wir müssen noch
mehr tun. In diesem Punkt sind wir uns hier im Hause,
zumindest die Bildungs- und Wissenschaftspolitiker, ei-
nig. Was den Haushalt angeht, so sind wir uns ebenfalls
einig. Wir sind dabei, den Haushalt für 2008 aufzustel-
len, und wir wollen in ihm weitere bildungspolitische
Schwerpunkte setzen, die zu hervorragenden Arbeitsbe-
dingungen für junge Wissenschaftler und Forscher füh-
ren werden.

Es ist in der Tat eine bildungspolitische Debatte, die
wir jetzt führen. Ich stimme allen zu, die das gesagt ha-
ben. Kollege Gehring und Kollegin Sitte, es ist richtig,
dass wir hier im Lande immer noch Bildungspotenziale
vergeuden. Das ist ein Fakt, keine Ideologie. Das ist






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
keine Frage von Rot, Grün, Schwarz oder Gelb. Es ist
ein Fakt in diesem Lande, dass wir immer noch Bil-
dungspotenziale vergeuden. Darum müssen wir uns
kümmern.

Es stellt sich die Frage – auch der Arbeitsminister hat
das gestern angedeutet –, wie wir mit denjenigen Ju-
gendlichen in Deutschland umgehen, die in den letzten
Jahren keine Lehrstelle gefunden haben. Ich verweise an
dieser Stelle auf die Qualifizierungsinitiative, die im
Herbst vorgelegt werden wird. Jugendliche, die keine
Ausbildung haben, haben noch nicht einmal die Perspek-
tive, ins Ausland zu gehen. Sie haben überhaupt keine
Perspektive, weder bei uns noch anderswo. Qualifikation
ist also von zentraler Bedeutung.

Die Studierenden sind angesprochen worden. In der
Tat ist es notwendig, dass die Anzahl der Studierenden
steigt. Deswegen reden wir darüber, ob es sinnvoll ist,
das BAföG zu erhöhen.


(Uwe Barth [FDP]: Um wie viel eigentlich?)


Wir streiten mit unserem lieben Koalitionspartner gele-
gentlich – in den Ländern wird richtig heftig gestritten –
über die unsinnigen Studiengebühren. Wir, die SPD, set-
zen uns wie in der Vergangenheit dafür ein – ich glaube,
wir werden erfolgreich sein –, dass es in 2008 zu einer
10-prozentigen Steigerung der Bedarfssätze und zu einer
8-prozentigen Steigerung der Freibeträge kommt. Das ist
unser Ziel. Das haben wir auch entsprechend erklärt.
Auch hier habe ich den Eindruck, dass die Koalition auf
einem guten Weg ist.

Außerdem wollen wir die Weiterbildungsbeteili-
gung bis 2015 steigern; das ist ein klares Ergebnis der
Kabinettsklausur in Meseberg. – In diesem Bereich gibt
es also wirklich Erfreuliches zu vermelden. In anderen
Punkten sind wir noch nicht so weit.

Ich stimme Ihnen völlig zu: Es gibt unterschiedliche
Antworten auf die Frage, warum viele junge Wissen-
schaftler ins Ausland gehen. Beispielsweise hat mein
Neffe – ein fitter Kerl; mein Neffe! – in Australien stu-
diert. Er ist dann in die USA gegangen – dafür kann ich
nichts; ich bin ja nur der stolze Onkel –, war zunächst an
der Ostküste und ist dann an die Westküste gezogen. Er
hat eine Amerikanerin geheiratet, eine Familie gegrün-
det und wird in den deutschen Wissenschaftsbetrieb aller
Voraussicht nach nicht zurückkehren. So etwas kommt
vor. Jetzt müssen wir eben schauen, wie wir dafür sorgen
können, dass mehr amerikanische Wissenschaftler zu
uns kommen. Über genau diesen Punkt diskutieren wir
hier. Von mir aus kann man es „Brain-Circulation“ nen-
nen. Mir ist vom Prinzip her wurscht, welchen Begriff
man benutzt.

Wir fragen junge Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, warum sie ins Ausland gegangen sind. Wir wa-
ren kürzlich in Kalifornien, Kollegin Aigner.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


– Gut, es ist mittlerweile ein Jahr her. Da ich nicht so oft
verreise, war das für mich kürzlich. – Der Kollege
Schulz war in der Tat kürzlich in Kalifornien und hat mit
jungen Nachwuchswissenschaftlern diskutiert. Sie haben
gesagt, einer der Gründe, warum sie Deutschland verlas-
sen haben, sei, dass es in Deutschland zu lange dauere,
um eine wissenschaftliche Karriere zu machen. Das ist
auch einer der Gründe, warum wir gesagt haben, dass
wir die Juniorprofessur brauchen. Wir müssen es jun-
gen Menschen – Kollege Koppelin, wir beide kommen
nicht mehr in Betracht; aber das ist auch wurscht – er-
möglichen, in Deutschland frühzeitiger als bisher eine
wissenschaftliche Karriere zu machen. Das ist ein ganz
wichtiger Punkt.

Diese Koalition ist nicht mehr ganz so ideologisch be-
frachtet.


(Uwe Barth [FDP]: Überhaupt nicht!)


Die alte Regelung, dass jemand erst habilitiert werden
kann, wenn er einem Professor so lange gedient hat, bis
er einen grauen Bart hat, ist schlecht. Hier müssen wir
etwas tun. Auch müssen wir ermöglichen, dass Frauen
früher eine wissenschaftliche Karriere machen können.
Wenn das der Fall ist, dann werden auch mehr junge
Frauen diesen Weg einschlagen.


(Beifall der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt eine ganze Reihe weiterer Punkte. Liebe Kol-
legen von der FDP, wir sollten überlegen, was zu tun ist.
Internationale Preise sind zu erwähnen. Rot-Grün hat
zur Förderung internationaler Wissenschaftlerinnen den
Kovalevskaja-Preis initiiert. Das ist zwar ein schwieriger
Name, aber Sofja Kovalevskaja war eine tolle Frau. Die-
ser Preis ist hervorragend ausgestattet. Im Moment un-
terhalten wir uns mit Frau Ministerin Schavan und Herrn
Staatssekretär Rachel darüber, wie es mit dem „Research
in Germany Award“ weitergehen soll. „Germany Award“
ist ein klassischer neobadischer Begriff. Es ist ein Preis
unterhalb des Nobelpreises, dessen Verleihung darauf
abzielt, weitere internationale Spitzenleute hierher zu
holen. Tolle Geschichte, das wollen wir machen. Ich ver-
weise auch auf die GAIN-Initiative – ich habe sie gerade
im Zusammenhang mit dem Kollegen Schulz indirekt
angesprochen – des DAAD, der Alexander-von-
Humboldt-Stiftung und der Deutschen Forschungsge-
meinschaft. Das ist ein ganz wichtiges Angebot.

Übrigens hat die deutsche Wirtschaft, die immer über
Fachkräftemangel klagt, in den letzten Jahren geschla-
fen. Es gab in den USA, wohin viele qualifizierte Wis-
senschaftler gegangen sind, überhaupt keine Stellenan-
gebote. Man hat überhaupt nicht systematisch überprüft,
wo sich die Fachkräfte aufhalten. Heute jammert man. In
diesem Bereich sind viele Versäumnisse begangen wor-
den.

Ich erinnere an die Initiative eines Deutschen, der vor
kurzem aus den USA nach Deutschland zurückgekom-
men ist. Es handelt sich um Professor Eicke Weber, der
nun am Fraunhofer-Institut in Freiburg arbeitet. Eicke
Weber hat gesagt: So geht es nicht! Er selbst hat ehren-
amtlich dafür gesorgt, dass deutsche Nachwuchswissen-
schaftler in den USA endlich Stellenangebote der deut-
schen Wirtschaft bekommen. Ich finde, das ist eine






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss
hervorragende Geschichte. Initiativen wie diese brau-
chen wir.

Kurzum: Wir brauchen die Erfahrungen und die Fä-
higkeiten von jungen Menschen, auch von solchen, die
zu uns kommen wollen. Wir sollten aufhören, so zu tun
– liebe Kollegen von der Union, Sie bekommen in Bay-
ern genug Stimmen; Sie brauchen also nicht jeden
Stammtisch zu erobern –, als stünden an den Grenzen
Zigtausende von Menschen, vor allem hochqualifizierte,
die nur ein Ziel haben, nämlich endlich nach Deutsch-
land zu kommen. Das ist genauso eine Mär wie die Aus-
sage, wir wären kein Einwanderungsland gewesen. Da
diese Mär vertreten wurde, haben wir uns um die Quali-
fizierung der Kinder derer, die in den letzten Jahren zu
uns gekommen sind, nicht gekümmert. Ich sage: Auch
wer nach Deutschland gekommen ist, verdient Respekt,
die Heimat verlassen zu haben. Sie haben auch ihre Bei-
träge geleistet und haben jetzt Kinder, für die wir etwas
tun müssen.

In den nächsten Jahren wird es einen Trendwechsel ge-
ben: Wir werden uns als Deutsche, als Europäer um die
besten Kräfte bewerben müssen. Damit sind wir bei dem
Punkt, den Sie angesprochen haben: Darf das zulasten an-
derer Länder gehen? Andere Staaten in Osteuropa hätten
sehr viel mehr Grund, den Weggang von qualifizierten
Spitzenkräften in Richtung Europa oder in Richtung USA
zu beklagen. Das ist in Rumänien und anderswo – wir hat-
ten kürzlich eine Wissenschaftsdelegation da – ein echtes
Problem. Deshalb ist an dieser Stelle mehr Kooperation
von unserer Seite nötig, aber auch ein verstärktes Ange-
bot, hierherzukommen. Gleichzeitig müssen wir ermög-
lichen, dass die Länder an dem, was sie bei uns machen,
partizipieren. Ich halte das für einen wichtigen Punkt, auf
den wir noch mehr Gedanken verwenden müssen. Ich bin
für diesen Hinweis außerordentlich dankbar. Nur zu sagen
„Seid umschlungen, kommt zu uns!“, reicht nicht.

Gleichwohl wurde hier schon das richtige Stichwort
gegeben. Ich wollte am Ende der Debatte ebenfalls in die
Freude einstimmen, die hier zum Ausdruck gekommen
ist. Ich halte es nicht für schlimm, dass Professor
Grünberg und Professor Ertl schon seit vielen Jahren in
verdienstvoller Weise im Wissenschaftssystem arbeiten.
Ganz im Gegenteil, jetzt ist ihre Leistung endlich hono-
riert worden. Beide kommen aus einer der viel ge-
schmähten Forschungseinrichtungen, über die wir
lange Zeit diskutiert haben: Ist die deutsche Großfor-
schung nur bürokratisch? Was haben wir etwa seit 1994
– seitdem bin ich im Bundestag – über Jülich für Diskus-
sionen geführt! Es hat sich gezeigt, dass unser For-
schungssystem innovativ ist; es kann innovativ sein. Wir
müssen alles tun, damit es auch innovativ bleibt.

In diesem Sinne ein schönes Wochenende, liebe Kol-
leginnen und Kollegen. Vielen Dank für eure nette An-
frage. Trotzdem fühlen wir uns ermuntert, an diesen
Stellen so weiterzumachen wie beschrieben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611907900

Ich schließe die Aussprache.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaela
Noll, Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-
wie der Abgeordneten Renate Gradistanac,
Clemens Bollen, Angelika Graf (Rosenheim),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Häusliche Gewalt gegen Frauen konsequent
weiter bekämpfen

– Drucksache 16/6429 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Aktionsplan II der Bundesregierung zur Be-
kämpfung von Gewalt gegen Frauen

– Drucksache 16/6584 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. – Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Michaela Noll, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1611908000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Der gefährlichste Ort für Frauen in
Deutschland ist nicht ein stillgelegtes Betriebsgelände
oder eine dunkle Bahnhofsunterführung; es ist leider ihr
Zuhause. Nirgendwo sonst werden Frauen so oft belei-
digt, gedemütigt, geschlagen oder sogar getötet. Jede
vierte Frau hat körperliche oder sexuelle Gewalt durch
ihren Partner erlebt, also im unmittelbaren sozialen Um-
feld. 50 000 Frauen flüchten jährlich in ein Frauenhaus.
– Das sind nur einige Ergebnisse einer Studie unseres
Bundesfamilienministeriums mit dem Titel „Lebens-
situation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in
Deutschland“.

Diese Zahlen sind ernüchternd. Das Ergebnis, dass
jede vierte Frau betroffen ist, ist für mich ein Armuts-
zeugnis für ein zivilisiertes Land wie Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll
Meist haben die Frauen einen langen Leidensweg hinter
sich, bevor sie überhaupt Anzeige erstatten. Oftmals sind
es auch nicht die Opfer, es sind Nachbarn oder Be-
kannte, die Alarm schlagen.

Frauen sind in Deutschland von häuslicher Gewalt
mehr bedroht als durch andere Gewaltdelikte wie Woh-
nungseinbruch, Raub oder Körperverletzung mit Waffen.
Was sind die Risikofaktoren? Risikofaktoren sind vor al-
lem Trennung oder Trennungsabsicht sowie Gewalt-
erfahrung in Kindheit und Jugend. Wir sollten uns auch
von der Ansicht verabschieden, dass Gewalt fast aus-
schließlich in bildungsfernen Schichten geschieht. Ge-
walt hat viele Gesichter. Schauen Sie sich einmal das Tä-
terprofil eines Stalkers an! Sie kommen oftmals nicht
aus bildungsfernen Schichten. Gewalt findet in allen
Schichten statt.

Früher war das Gewaltthema ein Tabuthema; es war
Privatsache. Es wurde schlichtweg totgeschwiegen.
Viele Opfer hatten nicht den Mut, Anzeige zu erstatten.
Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Aber
das hat sich Gott sei Dank geändert. 1997 war es die
Union, die als Erste die Vergewaltigung in der Ehe – ein
absolutes Tabuthema – unter Strafe gestellt hat.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Du liebe Zeit! Aus der Opposition heraus haben wir das durchgesetzt, Frau Noll! So eine Geschichtsklitterung!)


Zwei Jahre später hat die rot-grüne Bundesregierung ih-
ren Aktionsplan auf den Weg gebracht. Das waren wich-
tige Schritte. Heute heißt es: Wer schlägt, der geht. Trotz
dieser Entwicklung haben wir noch immer erschreckend
hohe Zahlen. Gewalt gehört für Frauen nach wie vor zu
ihrem Alltag. Deshalb brauchen wir weitere Maßnah-
men.

Ich möchte ganz kurz auf das Gesetz gegen die be-
harrliche Nachstellung eingehen, das am 31. März dieses
Jahres in Kraft trat. Ich brauche den Kolleginnen und
Kollegen, die hier sitzen, nicht mehr zu erläutern, wel-
che Ausmaße und welche Folgen ein solcher Psycho-
terror für ein Opfer haben kann. Wir haben lang und
breit darüber diskutiert, auch in den Anhörungen. Es ist
kein Kavaliersdelikt mehr. In seiner schärfsten Form
können die Verfolgung, das Nachstellen und das Ein-
schüchtern Leben bedrohen, wie gerade vor kurzem der
Fall der jungen Hamburgerin wieder einmal gezeigt hat.

Dieser Straftatbestand war wichtig, aber wir können
uns nicht darauf ausruhen. Wir müssen weitermachen.
Deswegen bin ich sehr dankbar, dass die Bundesregie-
rung vor zwei Wochen beschlossen hat, den Aktionsplan
fortzuschreiben. Ich freue mich schon sehr auf das, was
die Ministerin uns gleich daraus schildern wird. Wir von
den beiden Koalitionsfraktionen wollen den Aktionsplan
mit einem Antrag begleiten. Deswegen komme ich auf
zwei Punkte zu sprechen, die mir sehr wichtig sind.

Erstens: Stalking. Ein Gesetz gegen Stalking ist wich-
tig, aber es muss sich auch in der Praxis bewähren.


(Uwe Barth [FDP]: Das ist bei allen Gesetzen so!)

Da sind die Länder und Kommunen gefragt. Bei einem
Round-Table-Gespräch in meinem Wahlkreis habe ich
festgestellt, wie wichtig Aufklärung, Information und
Vernetzung sind. Deshalb geht unser Appell an die Län-
der, es praxisnah umzusetzen. Genauso wichtig ist es,
anzuregen, die Zusammenarbeit mit Frauenhäusern und
Beratungsstellen zu intensivieren. Hamburg hat 100 Be-
amte abgestellt, die sich dem Problem der wachsenden
Beziehungsgewalt widmen.

Zweites wichtiges Thema: Gewalt gegen Migrantin-
nen. Die schon erwähnte Studie hat Hinweise darauf ge-
geben, dass die Quote extrem hoch ist. 46 Prozent der
befragten Migrantinnen gaben an, schon einmal Opfer
von sexueller oder körperlicher Gewalt gewesen zu sein;
das heißt, jede zweite Migrantin. Ich glaube, auch hier
können wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)


Deswegen brauchen wir in diesem Bereich mehr Sensi-
bilisierung, gerade bei der Aus- und Fortbildung von Ju-
ristinnen und Juristen, Ärztinnen und Ärzten. Sie müssen
sich mit dem Problem näher auseinandersetzen; denn
oftmals sind sie die ersten Ansprechpartner für die Op-
fer.

Wir brauchen niedrigschwellige Beratungsangebote
sowie mehrsprachige Informations- und Öffentlichkeits-
arbeit. Einige Länder sind bereits auf einem guten Weg.
NRW hat gerade einen Zehn-Punkte-Plan gegen
Zwangsverheiratung verabschiedet. Dort gibt es Online-
beratung und spezielle Integrationskurse. Ich glaube, das
ist der richtige Weg.

Was müssen wir noch machen? Ich halte es für ausge-
sprochen wichtig, die Migrantenfamilien mit einzubezie-
hen. Wir müssen vor allem die männlichen Familienmit-
glieder ansprechen. Wir müssen Brückenbauer – ich
nenne sie gerne so – finden. Das sind Menschen mit Mi-
grationshintergrund, die in die Migrantenfamilien gehen
und aufgrund ihrer hohen Akzeptanz dazu beitragen
können, die Täter anzusprechen, sie in die Verantwor-
tung zu nehmen und auf eine Verhaltensänderung hinzu-
wirken. Ich weiß, dass das gelingen kann.

In Hilden, in meinem Wahlkreis, haben wir einen so-
genannten interkulturellen Berater. Das ist ein Lehrer an
einer Grundschule im sozialen Brennpunkt, an der
80 Prozent der Kinder Ausländer sind; er selber ist
marokkanischer Herkunft. Er geht in die Familien, in de-
nen Gewalt stattfindet, führt Gespräche, klärt auf und
weist auch auf die strafrechtlichen Folgen hin, die dem
Täter drohen, wenn er sein Verhalten nicht ändert. Er
macht ihm unmissverständlich klar, dass häusliche Ge-
walt in Deutschland nicht toleriert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uwe Barth [FDP])


Ich denke, das sind gute und wichtige Beispiele. Ich
würde mir wünschen, dass noch weitere folgen und an-
dere Bundesländer ähnliche Konzepte wie in Nordrhein-
Westfalen in Angriff nehmen.






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll
Außerdem plant die Bundesregierung, die Täter ge-
zielter in Augenschein zu nehmen. Ich glaube, das ist
wichtig; denn 90 Prozent der Täter sind Männer. Gerade
in der Täterarbeit stehen wir noch am Anfang.

Alles in allem gibt es noch sehr viel zu tun. Ich bin
aber der festen Überzeugung: Wenn alle Ebenen, das
heißt Bund, Länder und Kommunen, eng und konstruk-
tiv zusammenarbeiten, können wir viel dafür tun, Gewalt
in jeglicher Form zu verhindern. Denn: Jede geschlagene
Frau ist eine zu viel. Helfen Sie alle mit!

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611908100

Das Wort hat nun Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-

Fraktion.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1611908200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Noll, ich kann Ihnen in jeder
Hinsicht nur zustimmen, wenn Sie sagen, jede geschla-
gene Frau sei eine zu viel. Das stimmt so. Ich bin sogar
der Meinung, dass sich Gewalterfahrungen nicht auf
jede vierte Frau in Deutschland beschränken. Vielen
Frauen ist nämlich gar nicht klar, in welcher Form sie
Gewalt erleben. Es gibt nicht nur die Gewalt, die körper-
lich ausgeübt wird. Es handelt sich ganz häufig auch um
psychische Gewaltausübung, also Missbrauch im seeli-
schen Zusammenhang. Diese Form von Gewalt wird
nicht auf den ersten Blick deutlich, ist aber meiner An-
sicht nach fast noch schlimmer als die physische Gewalt,
wenn man da überhaupt gewichten kann. Insofern ist es
gut und richtig und wichtig, dass sowohl ein entspre-
chender Antrag vorgelegt wurde, als auch, dass das Mi-
nisterium von Frau von der Leyen hier aktiv werden
wird. Ein Plan für das Vorgehen wurde uns hier ja schon
vorgestellt.

Ich bin der Meinung, dass wir die verschiedenen Be-
reiche, die angesprochen worden sind, intensiv weiter
beraten müssen. Ich hoffe, dass wir bei diesen Fragen im
Ausschuss sehr kooperativ vorgehen werden; denn das
Thema „Gewalt in der Familie“ eignet sich nicht für
kontroverse Auseinandersetzungen. Hier ist eine mög-
lichst geschlossene Vorgehensweise angebracht.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich beginne mit dem Schutz von Migrantinnen. Wir
bleiben dabei, dass es für die Bewältigung des Themas
Zwangsheirat flankierende Maßnahmen wie Beratungs-
stellen braucht. Zugleich muss betroffenen Frauen, wenn
sie sich offenbaren, ein Bleiberecht eingeräumt werden,
damit sie dann nicht von Abschiebung bedroht sind oder
in irgendeiner Form aufenthaltsrechtliche Probleme be-
fürchten müssen. Hier ist gerade auch im Zusammen-
hang mit Menschenhandel meiner Ansicht nach weitere
Aufklärung und Zusammenarbeit mit entsprechenden
Fachverbänden nötig.

Behinderte Frauen können sich, wenn sie Opfer von
Gewalt werden, oftmals nicht wehren, weil sie aufgrund
ihrer körperlichen Situation oder eben auch ihrer geisti-
gen Behinderung gar nicht erfassen können, in was für
eine Situation sie geraten. Der jüngste Bericht hierzu im
Spiegel erschüttert, wie ich glaube, alle, die ihn lesen.

Ein Feld, das meiner Ansicht nach besonderer Auf-
merksamkeit in einer alternden Gesellschaft bedarf, ist
Gewalt gegen Ältere. Hiervon sind insbesondere ältere
Frauen betroffen; denn das Alter ist weiblich. Gerade die
Angst, in Abhängigkeitsverhältnissen wie zum Beispiel
einer Pflegesituation nicht ausreichend geschützt zu
sein, ist groß. Hier ist, wie ich meine, weitere Aufklä-
rung sowie genaues Hinschauen nötig; denn Gewalt fin-
det dort statt, wo man nicht hinschaut, wo man meint, sie
gar nicht wahrnehmen zu können. Oftmals ist sie durch-
aus vorhanden, aber man schaut eben weg.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eine
andere Form von Gewalt hinweisen, die in der Familie
stattfindet, auf die Gewalt gegen Kinder. Es handelt sich
häufig um eine indirekte Form von Gewalt. Man glaubt
vermeintlich, dass Kinder nichts davon mitbekommen,
wenn Mütter geschlagen, drangsaliert oder aus dem
Haus geschmissen werden und sich oftmals nachts in
haltloser Situation wiederfinden. Das ist ein großer Irr-
tum. Die Kinder spüren das. Sie sind hoch verunsichert
und verängstigt. Sie sind in dieser Situation indirekt Op-
fer von Gewalt.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Das ist ein Zusammenhang, der nach meinem Dafürhal-
ten auch heute noch viel zu wenig berücksichtigt und in
der familiengerichtlichen Praxis leider noch immer zu
wenig gewürdigt wird.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit komme ich zu einem Bereich, Frau Ministerin,
auf den ich Ihr besonderes Augenmerk lenken möchte.
Im Zusammenhang mit der Familienrechtsreform, die im
Justizministerium vorbereitet wird und zum Teil schon
vorgestellt wurde, ist nach meinem Dafürhalten darauf
zu achten, dass die Umsetzung des Reformziels eines
verstärkten Umgangs zwischen Kindern und Vätern
– dieser ist sicherlich ein diskussionswürdiges Reform-
ziel – nicht dazu führt, dass hier womöglich der Retrau-
matisierung von Kindern durch erzwungenen oder nach-
drücklich verlangten Umgang mit ihren Vätern Tür und
Tor geöffnet wird.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Ich habe hier einen praktischen Anlass zur Sorge. Des-
wegen sage ich das an dieser Stelle so deutlich, gerade
Ihnen als Mutter vieler Kinder und als Medizinerin.

Wir haben in Deutschland zunehmend Schutzräume
für Opfer familiärer Gewalt geschaffen, Frauenhäuser






(A) (C)



(B) (D)


Sibylle Laurischk
und Beratungsstellen. In dem Zusammenhang möchte
ich aber kurz ein ganz großes Manko anschneiden, und
zwar die unzureichende Finanzierung von Frauenhäu-
sern. Sie ist auf Länderebene sehr unterschiedlich gere-
gelt. In verschiedenen Bundesländern gibt es auf diesem
Feld Sparmaßnahmen. Insgesamt ist die Finanzierung
nach wie vor nicht nachhaltig gesichert. Wenn wir wirk-
lich die Gewalt in der Familie beseitigen wollen, dann
müssen wir sicher finanzierte und professionell aufge-
stellte Schutzräume anbieten. Solange wir das nicht
schaffen und die Zuständigkeiten immer nur zwischen
den Ländern und dem Bund hin- und herschieben, kom-
men wir in einer ganz wesentlichen strukturellen Frage
nicht weiter. Dieses Defizit muss abgebaut werden. Das
ist ein Appell aus der Opposition an die Bundesregie-
rung und an die Kollegen in der Koalition, hier vielleicht
doch einmal einen Weg zu finden.

Es gäbe noch vieles zum Thema „Gewalt in der Fami-
lie“ zu sagen. Meine Zeit ist leider schon um. Aber ich
glaube, das Wesentliche haben Sie gehört.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611908300

Ich erteile das Wort Kollegin Renate Gradistanac,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1611908400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Statistisch gesehen ist es für eine Frau tausend-
mal gefährlicher, verheiratet zu sein, als durch den Wald
zu joggen. Das sagt eine Kripochefin aus Baden-
Württemberg, die eine 30-jährige Berufserfahrung hat.
Das eigene Zuhause ist leider immer noch der gefähr-
lichste Ort für eine Frau. Häusliche Gewalt, so Amnesty
International, ist in Europa die größte Bedrohung für die
Gesundheit und das Leben von Frauen im Alter von
16 bis 44 Jahren. Sie stellt für Frauen ein größeres Ri-
siko dar als Krebs oder Autounfälle.

Gewalt gegen Frauen wird überwiegend durch Män-
ner verübt, von Männern, die Partner oder Ehemänner
sind. Es sind also den Frauen bekannte Männer. Das ist
schlimm, weil da natürlich ein besonderes Vertrauens-
verhältnis besteht. Einkommen, Bildung und Alter spie-
len dabei keine Rolle; es ist ein Gerücht, dass bestimmte
Bevölkerungsgruppen besonders gewalttätig sind. Jähr-
lich suchen mehr als 40 000 Frauen in Deutschland mit
ihren Kindern Frauenhäuser auf. Gott sei Dank haben
wir Frauenhäuser. Sie brauchen jede Unterstützung der
Länder und der Kommunen.

Die Polizei registriert jährlich circa 300 Morde. Dazu
sehen wir immer dramatische Fernsehbilder. Außerdem
– das ist schwierig; ich bitte das richtig zu verstehen –
kostet die Gewalt gegen Frauen die Solidargemeinschaft
jährlich 14,8 Milliarden Euro. Die Kosten entstehen
durch Justiz, Polizei, ärztliche Behandlung und Arbeits-
ausfälle.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
vergangenen Jahren viel erreicht und die Situation von
Opfern verbessert. Der Antrag von CDU/CSU und SPD
„Häusliche Gewalt gegen Frauen konsequent weiter be-
kämpfen“ spiegelt dies wider. 1999 hat die damalige rot-
grüne Bundesregierung den Aktionsplan zur Bekämp-
fung von Gewalt gegen Frauen vorgelegt. Damit lag da-
mals erstmals ein umfassendes und ressortübergreifen-
des Gesamtkonzept vor, das eine sehr nachhaltige
Bekämpfung in Gang gesetzt hat.

Der Aktionsplan ist erfolgreich umgesetzt. Hier kurz
zwei Punkte: Seit 2002 haben wir das Gewaltschutzge-
setz. Durch den Platzverweis haben Opfer von Gewalt
erstmals eine echte Alternative: das Frauenhaus oder
Handeln nach dem Grundsatz – er wurde schon ge-
nannt – „Wer schlägt, muss gehen“.

Bei mir zu Hause im Schwarzwald hat diese Maß-
nahme, nämlich dass der „Herr des Hauses“ im Falle von
Gewaltanwendung gehen muss, schon zu einer gewissen
Erschütterung geführt; denn bislang war das Motto „Mir
gehören meine Frau, meine Kinder, mein Hund und
mein Haus“ selbstverständlich. Diese Männer fragen
sich nun, wie es sein kann, dass sie im Falle von Gewalt-
anwendung gehen müssen. Diese Regelung wurde aber
von jedermann verstanden, und es hat sich gezeigt, dass
das Gesetz weitgehend angewandt wird und die Täter
sich daran halten. Man müsste einmal prüfen, ob es noch
weitere Verbesserungen geben kann. Von den runden Ti-
schen wird es hierzu sicherlich Vorschläge geben.

Mit dem zweiten Gesetz, dem sogenannten Stalking-
gesetz, haben wir im Frühjahr weitere Gesetzeslücken
geschlossen. Damit sind Opfer von Nachstellungen bes-
ser geschützt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit 2004 liegt nun die erste repräsentative Studie
über das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen vor. Ich will
einige Zahlen nennen: 40 Prozent der befragten Frauen
haben seit dem 16. Lebensjahr körperliche oder sexuelle
Gewalt erlebt. Mehr als die Hälfte der Befragten hat un-
terschiedliche Formen von sexueller Belästigung erfah-
ren. 42 Prozent aller Frauen waren Formen von psychi-
scher Gewalt – diese Sorge kam vorhin zum Ausdruck –
ausgesetzt. Die ermittelten wissenschaftlichen und damit
repräsentativen Befunde bestätigen die Schätzungen der
Frauenbewegung und auch der Fachleute – das wurde
seit 40 Jahren vermutet –, dass jede vierte Frau in
Deutschland Gewalterfahrungen hat.

Diese Studie hat auch ergeben – Frau Noll, Sie haben
dies erwähnt –, dass Migrantinnen noch häufiger Gewalt
ausgesetzt sind als deutsche Frauen. Sie werden außer-
dem auch öfter und schwerer verletzt. Gerade Frauen-
häuser und Beratungsstellen sind für diese Migrantinnen
wichtig. Der Anteil der Migrantinnen an den Hilfesu-
chenden in den Häusern ist uns bekannt. Sie nehmen die
Angebote in Form von Frauenhäusern und Beratungs-
stellen deutlich mehr in Anspruch als alle anderen
Hilfsangebote.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Gradistanac
Voraussichtlich zum Jahresende wird die Studie zur
Kriminalität und Gewalt im Leben alter Menschen abge-
schlossen sein. Die Zwischenergebnisse lassen darauf
schließen, dass auch ältere und pflegebedürftige Men-
schen Opfer von Gewalt werden: zu Hause und im Pfle-
geheim – und das nicht nur in Einzelfällen. Fachleute
wissen, dass auch ältere Frauen Opfer sexueller Gewalt
werden.

Über die Gewalterfahrungen von Frauen mit Behin-
derungen fehlen uns leider noch gesicherte Daten. Es
gibt allerdings Hinweise darauf, dass ein erhöhtes Ge-
waltrisiko besteht, besonders dann, wenn sie auf Pflege-
kräfte angewiesen sind. Wir fordern entsprechende Stu-
dien und zielgerichtete Maßnahmen.

Seit letzter Woche liegt der zweite Aktionsplan der
Bundesregierung vor. Frau Ministerin, dies ist eine un-
glaubliche Leistung angesichts der Tatsache, dass so
viele Maßnahmen wie zum Beispiel die Betreuung von
unter Dreijährigen auf den Weg gebracht werden. Mit
seinen 133 Einzelmaßnahmen ist dieser Aktionsplan ein
unglaublich ehrgeiziges Projekt. Ich freue mich, dass
sich die Maßnahmen in weiten Teilen mit unseren Forde-
rungen decken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Sibylle Laurischk [FDP])


Diese betreffen Frauen mit Behinderungen, Migrantin-
nen sowie ältere Frauen.

Ausdrücklich möchte ich begrüßen, Frau Ministerin,
dass man mit dem Schwerpunkt Prävention bereits bei
den Kindern ansetzt. Sie haben unter anderem den Na-
tionalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutsch-
land 2005–2010“ aufgenommen. Darin wird aufgezeigt,
wie wichtig es ist, dass Kinder in einer gewaltarmen,
besser noch in einer gewaltfreien Umgebung aufwach-
sen. Wir haben dazu ein Gesetz verabschiedet, mit dem
die Gewalt gegen Kinder geächtet werden soll. Damit
wollen wir die Erziehungsberechtigten nicht stigmatisie-
ren, sondern ihnen aufzeigen, dass sie sich an die Bera-
tungsstellen wenden sollen, wenn sie Hilfe brauchen.
Die Tatsache, dass das aufgenommen wurde, stärkt die
Position der SPD-Bundestagsfraktion, die in dieser Wo-
che einen Antrag mit der Forderung, Kinderrechte ins
Grundgesetz aufzunehmen, verabschiedet hat,


(Beifall bei der SPD)


um dem originären Anspruch von Kindern auf persönli-
che Entwicklung und eine gewaltfreie Umgebung und
Erziehung Nachdruck zu verleihen.

Ich komme jetzt zum Schluss. Der Europarat hat die
Kampagne „Stoppt häusliche Gewalt gegen Frauen“ ge-
startet. Wir haben die Erklärung hier in einer feierlichen
Stunde bekräftigt. Ich freue mich darauf, an der zügigen
Umsetzung des zweiten Aktionsplans durch die Bundes-
regierung mitzuarbeiten. Ich glaube, diesbezüglich wird
im ganzen Deutschen Bundestag zum ersten Mal Einver-
nehmen bestehen. Das ist ein Beitrag, der den Familien
bei der Gestaltung eines guten Familienlebens hilft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611908500

Das Wort hat nun Kollegin Kirsten Tackmann, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611908600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Frauen und
Mädchen ist eine schwerwiegende Menschenrechtsver-
letzung. Darin sind wir uns einig. Deswegen begrüßt
meine Fraktion, Die Linke, ausdrücklich die zentralen
Forderungen des vorliegenden Koalitionsantrages: häus-
liche Gewalt gegen Frauen konsequent weiter bekämp-
fen und den nationalen Aktionsplan fortschreiben. Das
ist ja unterdessen erfolgt. Wir können das nur unterstüt-
zen.

In der heutigen Debatte möchte ich unseren Blick auf
eines der schwerwiegendsten Probleme lenken, mit de-
nen Frauen auf der Flucht vor Gewalt konfrontiert wer-
den. Im Koalitionsantrag steht, dass Frauenhäuser als
Zufluchtsstätten nach wie vor notwendig sind. Darin
sind wir uns einig. Es wird begrüßt, dass die Kosten-
erstattung zwischen den kommunalen Trägern nach
§ 36 a SGB II erfolgt. Das klingt zwar harmlos, ist aber
im Vergleich zur früheren Sozialhilfe eine deutliche
Verschlechterung. In 12 von 16 Bundesländern werden
Frauenhäuser heute nicht mehr pauschal, sondern nach
sogenannten Tagessätzen finanziert. Das heißt, dass für
Frauen ohne eigenes Einkommen die Kosten entspre-
chend SGB II übernommen werden. Das hat einige
schwerwiegende Konsequenzen:

Erstens. Wenn die Frauen nicht anspruchsberechtigt
sind, müssen sie für ihren Aufenthalt im Frauenhaus
selbst aufkommen. Das können aber viele oft nicht.
Diese Regelung trifft insbesondere Studentinnen und
Asylbewerberinnen.

Zweitens. Die Frauen müssen sofort, also in der un-
mittelbaren Fluchtsituation, einen Hartz-IV-Antrag stel-
len. Im Klartext heißt das: Die Frauen befinden sich in
einer extremen Notsituation. Statt die dringend benötigte
sozialpsychologische Betreuung zu erhalten, gehen sie
mit einer Mitarbeiterin des Frauenhauses erst einmal zur
Arge und stellen einen Hartz-IV-Antrag. Was das kon-
kret bedeuten kann, hat mir eine Mitarbeiterin eines
Frauenhauses in Brandenburg berichtet: Die von Gewalt
betroffene Frau kam als „normale“ Kundin in einen
Raum, wo neben ihrer eigenen Fallmanagerin eine wei-
tere Fallmanagerin saß, mit einem anderen Erwerbslosen
im Gespräch. Der Versuch, die Fallmanagerin auf die be-
sondere Situation der von Gewalt betroffenen Frau hin-
zuweisen, scheiterte an der Insensibilität bzw. Unwissen-
heit der Fallmanagerin. Der Termin musste abgesagt
werden. Ein ALG-Anspruch besteht allerdings erst ab
Antragstellung. Das ist nur ein Beispiel für die unwür-
dige Situation, in die von Gewalt betroffene Frauen
durch die Regelung im SGB II gebracht werden, von der
katastrophalen datenschutzrechtlichen Situation einmal
ganz abgesehen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Kirsten Tackmann
Hinzu kommt, dass von der Antragstellung bis zur
ersten Auszahlung der Leistungen nach dem SGB II Wo-
chen vergehen können. In dieser Zeit sind die Frauen oft
mittellos. Eine Zwischenfinanzierung über das SGB XII
ist gesetzlich leider ausgeschlossen. Einmalige Beihilfen
wie in der früheren Sozialhilfe gibt es nicht mehr. Hinzu
kommen Probleme bei der Bewilligung der Übernahme
der Kosten für die Unterkunft bzw. für die Fortzahlung
der Miete für die verlassene Wohnung usw.

Im neuen Aktionsplan steht:

Bei der Evaluation der Umsetzung des SGB II wird
auch die Gruppe der von Gewalt betroffenen
Frauen Berücksichtigung finden.

Angesichts der Armutssituation, in die viele Frauen im
Frauenhaus geraten, ist das in der Tat dringend erforder-
lich. Im Koalitionsantrag fehlt das „Fördern“ übrigens
völlig, um von Gewalt betroffenen Frauen eine Chance
auf dem Arbeitsmarkt zu bieten. Ich finde, das ist ein
großer Fehler.


(Beifall des Abg. Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE])


In der Bundesrepublik gibt es etwa 400 Frauenhäuser,
in denen jährlich schätzungsweise 40 000 Frauen Zu-
flucht finden. Über die Tagessatzfinanzierung werden
die Frauenhäuser SGB-II-abhängig. Sie müssen ihren
Etat sogar bis zur Hälfte selbst einwerben. Dadurch wer-
den die Frauenhausmitarbeiterinnen zu Geldbeschaffe-
rinnen. Ihnen fehlt dann die Zeit für die psychosoziale
Arbeit und die Begleitung der betroffenen Frauen.

Niemand bestreitet heute ernsthaft die gesellschaftli-
che Realität. 25 Prozent der in Deutschland lebenden
Frauen – das ist hier heute schon mehrfach gesagt wor-
den – machen Erfahrungen mit körperlicher und sexuel-
ler Gewalt. Die psychische Gewalt ist ebenfalls schon
angesprochen worden. Seit 30 Jahren fordern Frauen-
häuser: Jede dieser Frauen soll unabhängig von ihrem
sozialen Status oder ihrer Nationalität Zuflucht und Hilfe
finden können. Mit Hartz IV haben wir uns von diesem
Ziel wieder weiter entfernt. Von Gewalt betroffene
Frauen brauchen dringend bundeseinheitlich finanziell
abgesicherte Frauen- und Schutzhäuser. Das ist heute
schon von anderen Rednern gefordert worden. Die Bun-
deskanzlerin hat das übrigens auch so gesehen; aber da
war sie noch Frauenministerin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen
von der Koalition, liebe Ministerin, die Ernsthaftigkeit
unserer Bemühungen zum Thema Gewalt wird auch da-
ran gemessen werden, ob wir die Probleme, die ich hier
aufgeführt habe, lösen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das geschieht zu Recht. Ich denke, wir müssen hier end-
lich handeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611908700

Ich erteile das Wort Kollegin Irmingard Schewe-

Gerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am
helllichten Tag hier vorne zu stehen und über Frauen-
politik zu sprechen, ist in dieser Legislaturperiode eine
Seltenheit geworden. Die Große Koalition, aber auch die
FDP und die Linke trauen sich mit diesem Thema nur
äußerst selten ans Tageslicht.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!)


Ich freue mich, dass das heute einmal anders ist. Im
Prinzip reden wir auch über ein Problem der inneren Si-
cherheit. Deshalb hätte Herr Schäuble eigentlich hier-
bleiben können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der bringt ohnehin nur Unsicherheit!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
ich freue mich über den nachhaltigen Eindruck, den die
rot-grüne Bundesregierung offensichtlich mit ihrem ers-
ten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen bei Ihnen gemacht hat. Denn der gesamte Fest-
stellungsteil Ihres Antrages ist ein einziges Loblied auf
die unter Rot-Grün verabschiedeten Maßnahmen. Ich
nenne hier nur den ersten Aktionsplan gegen Gewalt und
das Gewaltschutzgesetz.

Ich finde es schön, dass Sie unsere damalige Politik
so ausführlich würdigen. Tatsächlich haben diese Maß-
nahmen und Gesetze zu einem Perspektivwechsel im
Umgang mit häuslicher Gewalt geführt. Heute heißt es:
Der Täter geht, das Opfer bleibt. Der Staat ist für den
Schutz vor Gewalt in der Familie verantwortlich, nicht
länger nur ein paar couragierte Frauenprojekte. Justiz
und Polizei halten sich nicht länger heraus, wie sie es
früher taten, um eine vermeintlich nicht zu störende Pri-
vatautonomie der Familie zu schützen.

Die Frauen nehmen das Gesetz an. Allein in Nord-
rhein-Westfalen wurde die Polizei im Jahr 2006 zu mehr
als 19 000 Fällen häuslicher Gewalt gerufen. In fast der
Hälfte der Fälle sprach sie einen Wohnungsverweis für
die Gewalttäter aus.

Leider gilt noch immer: Gewalt durch den aktuellen
oder ehemaligen Partner ist eine der ernsthaftesten Be-
drohungen für Leib und Leben von Frauen. Es wurde be-
reits gesagt: Mehr als jede vierte Frau erleidet sie einmal
in ihrem Leben. Familie bleibt für Frauen der gefähr-
lichste Ort; Familie ist kein Wert an sich. Das muss in
den Ohren der Betroffen wirklich zynisch klingen.

Es ist deshalb richtig, an den ersten Aktionsplan anzu-
knüpfen. Aber ich muss sagen, Frau Ministerin: Ihre
Verdienste in der Familienpolitik in Ehren, aber was Sie
hier in der Frauenpolitik abliefern, ist wirklich unbefrie-
digend. Denn gemessen an den Problemen, die Sie rich-






(A) (C)



(B) (D)


Irmingard Schewe-Gerigk
tig analysieren, sind die Lösungsvorschläge als mickrig
zu bezeichnen.

Ich will ein Beispiel dafür nennen. Am deutlichsten
wird das bei dem, was Sie zum besseren Schutz von Mi-
grantinnen vorschlagen. In Ihrem Antrag steht, dass Sie
diese Zielgruppe in den Blick nehmen wollen. Das hört
sich prima an. Aber all die Modellprojekte und Studien
werden den Migrantinnen wenig helfen. Was nützt zum
Beispiel eine Onlineberatung für zwangsverheiratete
Frauen – falls sie überhaupt einen Computer haben –,
wenn sie sich aufgrund ihres ungesicherten Aufenthalts-
status gar nicht aus der Zwangsehe befreien können oder
wenn sie ins Ausland verschleppt wurden – das sind
viele – und ihnen nach Ablauf eines halben Jahres die
Rückkehr nach Deutschland und damit der nötige Schutz
verwehrt wird? Das ist so, als würden Sie einer Ertrin-
kenden sagen, dass das Ufer nahe ist, aber nicht den Ret-
tungsring werfen. Ihnen Schutz zu gewähren, ist unsere
Aufgabe; das müssen wir tun. Sie haben das versäumt,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktio-
nen. Ich nenne das unterlassene Hilfeleistung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein sicherer Aufenthalt ist die Voraussetzung dafür,
dass andere Maßnahmen wirken können. Alle Expertin-
nen und Experten haben uns gesagt: Ein Rückkehrrecht
und ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bei Zwangsver-
heiratung müssen in das Gesetz aufgenommen werden.
Das ist die allerwichtigste Hilfe für Zwangsverheiratete.
Die Bundesregierung ist auf diesem Ohr leider taub und
verschließt den Hilfesuchenden die rettende Tür.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


– Doch, das stimmt.

Während wir uns hier über ein paar Modellprojekte
unterhalten, denken die unionsgeführten Bundesländer
bereits über weitere aufenthaltsrechtliche Verschlechte-
rungen nach, konkret darüber, ob die Frist bis zu einem
eigenständigen Aufenthaltsrecht für ausländische Ehe-
gattinnen nicht wieder auf drei Jahre erhöht werden
sollte.

Frau Noll, Sie haben vorhin das Zehn-Punkte-Pro-
gramm der Landesregierung Nordrhein-Westfalens an-
gesprochen; das hört sich wunderbar an. Aber warum
haben Sie nicht gesagt, dass die einzige Schutzeinrich-
tung für junge Mädchen in Bielefeld von ebendieser
Landesregierung geschlossen worden ist? Das ist die
Doppelbödigkeit Ihrer Politik: Sie versprechen etwas,
Sie machen Modelle und schreiben Broschüren; aber
diese Schutzeinrichtung, in der die erforderliche Hilfe
gewährt werden konnte, wird geschlossen. Das ist wirk-
lich doppelzüngig.

Frau Ministerin, Ihr Aktionsplan mag gut gemeint
sein, aber für uns gilt auch hier: Gut gemeint ist nicht
immer gut. Die von Gewalt betroffenen Frauen im Land
haben mehr verdient als einen Aktionsplan mit warmen
Worten und wenigen Taten.
Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611908800

Das Wort hat nun Bundesministerin Ursula von der

Leyen.

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir
über das Thema Gewalt gegen Frauen und vor allem,
wie sich in der Debatte bereits deutlich herausgeschält
hat, über das Thema Gewalt im häuslichen Bereich spre-
chen, insbesondere, wenn wir den 130 Maßnahmen um-
fassenden Aktionsplan gegen Gewalt hier debattieren,
Maßnahmen, zu denen sich die Bundesregierung ver-
pflichtet und die sie ausführen wird, wobei sie deutlich
macht, dass sie eng mit Aktivitäten in Ländern und
Kommunen verzahnt sein müssen, dann ist es meines Er-
achtens auch gegenüber den vielen Trägern und Organi-
sationen, die hinter diesen Maßnahmen stehen und sie
mit unglaublich viel Einsatz voranbringen, nicht richtig,
jetzt in einen parteipolitischen Streit zu verfallen, ob die-
ser Aktionsplan so geschnitten ist, dass er jeder Fraktion
und jedem politisch Handelnden gefällt. Ich halte es für
wichtiger, wenn wir geschlossen, fraktionsübergreifend
dieses wirklich große Bündel an Maßnahmen, das nicht
nur die Bundesregierung, sondern viele andere Beteiligte
einbezieht, würdigen und dann auch tatkräftig umsetzen.

Wenn wir wissen, dass jede dritte Frau körperliche
Gewalt und jede siebte Frau in strafrechtlich relevanter
Form sexuelle Gewalt erlebt hat, dann ist deutlich, dass
Gewalt gegen Frauen kein Randproblem ist, sondern
mitten in unserer Gesellschaft stattfindet. Damit ist klar,
dass Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft heraus in Zu-
sammenarbeit aller Verantwortlichen verhindert oder ab-
gewendet werden muss und dass wir uns nicht in ein-
zelne Gebietskörperschaften oder in einzelne Parteien
spalten lassen dürfen.

Gewalt ist eine schwere Hypothek; sie hinterlässt
tiefe Spuren und Wunden. Sie ist eine schwere Hypothek
auch für die nachwachsende Generation. 60 Prozent der
Frauen, die Gewalt erlebt haben, sagen: Die Kinder sind
dabei im Haushalt gewesen und haben alles mit ange-
hört. Jede zweite Frau sagt: Die Kinder haben alles mit
angesehen und alles mit angehört. Oft sind die Kinder in
den Streit mit hineingezogen worden, wenn sie versucht
haben, die Mutter zu verteidigen. Jedes zehnte Kind ist
dann auch selber körperlich angegriffen, misshandelt
und verletzt worden.

Diese Kinder erleben Gewalt als etwas, das zum All-
tag dazugehört. Sie erleben Gewalt als etwas, womit der
Vater, der Stiefvater oder der Mann seinen Willen durch-
setzt: Sie ist sein Argument in der Auseinandersetzung.
Also erleben sie Gewalt als etwas, was scheinbar eine
selbstverständliche und akzeptierte Verhaltensweise ist.
Daraus erklärt sich auch der deutlich erkennbare Zusam-
menhang, dass dann, wenn es in der Kindheit Gewalt-
erfahrungen gab, das Risiko sehr viel höher ist, später






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
entweder selber zum Täter oder aber auch zum Opfer zu
werden, weil in der Kindheit folgende paradoxe Haltung
gelernt wurde: Vielleicht bin ja ich als Kind schuld, dass
der Vater so wütend wird, dass er die Mutter schlägt und
gegen sie ausfallend wird.

Das genaue Gegenteil muss die Grunderfahrung der
Kindheit sein: starke Frauen und starke Männer, die auf
Augenhöhe Beziehungen miteinander führen und vor al-
lem Respekt vor der Integrität des anderen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aus solchen Beziehungen können starke Kinder erwach-
sen.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist mir ein Teil
des Aktionsplans besonders wichtig – hier haben wir ei-
nen Schwerpunkt gesetzt –: Wir lenken den Blick auf die
Kinder und Jugendlichen, die zu Hause Gewalt erleben
und ganz spezifische Hilfe brauchen. Wir brauchen, was
dieses Thema angeht, mehr Kompetenzen im schuli-
schen Bereich und eine Verknüpfung mit der Jugend-
hilfe.

Ich will das am Beispiel eines Modellprojekts präzi-
sieren, das wir an einer Schule in der Stadt Berlin durch-
führen. Es wird getestet: Wie kann die Schule diese spe-
zifische Thematik gemeinsam mit der Jugendhilfe so in
Angriff nehmen, dass den betroffenen Kindern, die die-
ses Thema ja nicht ohne Weiteres von sich aus anspre-
chen, in ihrer sehr schwierigen Lebenslage ganz gezielt
geholfen werden kann?

Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat mit
Gleichstellungspolitik zu tun. Aber es geht dabei auch
um Familienpolitik und um Jugend- und Kinderpolitik.
Deshalb ist die Vernetzung von Jugendhilfe, schuli-
schem Bereich und all den Trägern und Organisationen,
die Gewaltprävention betreiben oder von Gewalt Betrof-
fenen Unterstützung und Hilfe bieten, so unendlich
wichtig.

Mehrfach ist hier zu Recht der große Fortschritt er-
wähnt worden, zu dem das Gewaltschutzgesetz geführt
hat. Es verfolgt die Grundhaltung: Wer schlägt, der muss
gehen. Ich finde, dass noch ein weiterer Aspekt aufge-
nommen werden sollte: Wenn nämlich der Täter gehen
muss, wenn er also des Hauses bzw. der Wohnung ver-
wiesen wurde und die geschlagene und misshandelte
Frau mit den verängstigten Kindern zurückbleibt, dann
muss diesen Menschen Hilfe ins Haus geschickt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie sind oft völlig traumatisiert und unfähig, aktiv zu
werden, und die Zeit, in der sie handeln müssen, ist auf
wenige Tage befristet.

Sehr wichtig ist hier die Zusammenarbeit mit den
Ländern und Kommunen, mit der Gerichtsbarkeit, mit
der Polizei, aber auch mit den Interventionsstellen – sie
haben in jedem Bundesland einen anderen Namen. De-
ren Mitarbeiter suchen die Frauen, Familien und Kinder
auf, um sie zu beraten, wo sie Hilfe erhalten, um wieder
auf die eigenen Füße zu kommen, wo sie Schutz finden
und vor allen Dingen wie ihr Leben weitergehen soll.

Ein zweiter Schwerpunkt, der im Aktionsplan zur Be-
kämpfung von Gewalt gegen Frauen gesetzt worden ist,
betrifft das Thema „Frauen mit Migrationshintergrund“.
Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, der hier schon debat-
tiert worden ist. Angesichts der Kürze meiner Redezeit
werde ich auf dieses Thema jetzt nicht weiter eingehen.

Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der mir
im Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen wichtig ist. Körperliche und sexuelle Gewalt be-
deuten körperliche Verletzung. Daher müssen wir unse-
ren Blick auf das Gesundheitswesen richten. Denn es
sind die Ärztinnen und Ärzte und die Krankenschwes-
tern und -pfleger, die die betroffenen Frauen als Erste
und manchmal Einzige sehen. Es ist ganz entscheidend,
dass sie sensibilisiert sind, die Not zu erkennen und rich-
tig zu reagieren, wenn um 2 oder 3 Uhr morgens eine
Frau mit Platzwunden zu ihnen kommt.

Sie müssen die richtigen Fragen stellen, die richtigen
Untersuchungen durchführen und die Ergebnisse richtig
dokumentieren, damit sie später für eventuelle Prozesse
genutzt werden können. Nachdem im Rahmen der Fort-
und Weiterbildung zu diesem Thema im Krankenhaus
erste Erfahrungen gesammelt wurden, ist es mir sehr
wichtig, jetzt den Blick auf die niedergelassenen Ärztin-
nen und Ärzte zu erweitern, um dieses Thema nicht aus
den Augen zu verlieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, im vorliegenden Aktions-
plan wird deutlich, dass der Bund einiges in die Wege
geleitet hat. Alleine werden wir diesen Aktionsplan al-
lerdings nicht umsetzen können. Wir brauchen eine enge
Zusammenarbeit der zuständigen Bundesministerien,
aber auch eine Kooperation von Bund, Ländern und vor
allen Dingen den verschiedenen Trägern der Hilfe. Vor
diesem Hintergrund findet der Antrag der Koalition
meine volle Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611908900

Ich erteile nun das Wort Kollegin Angelika Graf,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1611909000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist ein bisschen schwierig, in dieser Debatte den Faden
noch einmal aufzunehmen, weil vieles von dem, was
wichtig ist, bereits gesagt worden ist.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss nicht reden!)


– Ich tue es aber.






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Graf (Rosenheim)


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU], an den Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Das war jetzt aber typisch Macho-Mann!)


Wir reden über ein Thema, bei dem man die Debatte
nicht abbrechen sollte. Man sollte vielmehr versuchen,
andere Punkte, die auch wichtig sind, herauszuarbeiten
und auf Punkte, die noch nicht angesprochen worden
sind, einzugehen.

Es ist angesprochen worden, dass wir diesen zweiten
Aktionsplan von seinen Ansätzen und Lösungen her be-
grüßen sollten.


(Beifall bei der SPD)


Es ist angesprochen worden, dass es ein erschreckendes
Ausmaß von Gewalt gegen Frauen gibt und dass oft die
ihnen am nächsten stehenden Personen die Täter sind,
was das Thema so schwierig macht. Es ist auch ange-
sprochen worden, dass es sehr unterschiedliche Lebens-
situationen sind, in denen Gewalt gegen Frauen – insbe-
sondere gegen Frauen, aber auch gegen Kinder –
ausgeübt wird und dass es sich sowohl um seelische als
auch um körperliche Gewalt handelt. Für mich ist wich-
tig: Nicht nur Brachialgewalt, auch Worte können ge-
walttätig sein, können Menschen sehr verletzen.

Gewalt gegen Frauen wird vor allem in Partnerschaf-
ten ausgeübt, und da insbesondere bei Trennung, bei
Pflegebedürftigkeit und bei Behinderung. Nicht zu ver-
gessen: Frauen mit Migrationshintergrund – auch das ist
schon erwähnt worden – sind von Gewalt überdurch-
schnittlich häufig betroffen. Wir haben hier im Deut-
schen Bundestag schon einige Male über Zwangsverhei-
ratung gesprochen und uns mit „Ehrenmorden“
beschäftigt. Wir hatten Anhörungen in den Ausschüssen,
in denen der Zusammenhang zwischen häuslicher Ge-
walt und diesen Formen der Gewalt, der Gewalt gegen
junge Frauen, die gegen ihren Willen verheiratet werden,
ganz klar herausgekommen ist.

Die Vielfältigkeit der Situationen, in denen Frauen
von Gewalt betroffen sein können, zeigt, dass Gewalt ein
gesamtgesellschaftliches Problem ist. Frau von der
Leyen, Sie haben gesagt: Das ist kein Randproblem. Ich
stimme Ihnen völlig zu: Das ist ein Problem, das mitten
in unserer Gesellschaft ist. Wir dürfen nicht vergessen,
dass wir in einer Zeit leben, in der Gewalt alltäglich ist.
Ich spreche jetzt nicht von den Abendnachrichten. Aber
wenn man zu etwas vorgerückter Stunde – zum Teil
kann man so etwas auch am Nachmittag beobachten –
im Fernsehen Sendungen ansieht oder wenn man sich
anschaut, was alles an Computerspielen verkauft wird,
muss man sagen: Es sind schlimme Dinge, die da laufen.
Ich spreche beispielsweise von Musikvideos und von
Ego-Shootern und solchen Dingen. Ich spreche aber
auch davon, dass in vielen Bereichen unserer Medien
Sexualität und Gewalt oder sexualisierte Gewalt öffent-
lich dargeboten werden. Diese medial gefütterte Gewalt-
verherrlichung lässt sich nur schlecht durch Gesetze
kontrollieren. Es gelten auch hier Angebot und Nach-
frage, der Markt regelt das. In dem Moment, wo die
Menschen so etwas sehen wollen, werden sie es in der
heutigen Zeit auch sehen können. Das heißt, wir müssen
zu einem Bewusstsein kommen, dass gewaltverherrli-
chende Unterhaltung uns als Gesellschaft nicht mehr un-
terhält und dass wir diese Angebote nicht mehr nachfra-
gen. Das muss das Ziel sein.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])


Wir bieten mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen, mit dem Gewaltschutzgesetz aus
der rot-grünen Zeit und mit der Kampagne des Europara-
tes, die auch schon angesprochen worden ist, Maßnah-
men an, die greifen, wenn Frauen bereits von Gewalt be-
troffen sind. Genauso wichtig ist aber – auch das ist im
Aktionsplan berücksichtigt –, dass wir die Prävention
nicht vernachlässigen. Es ist wichtig, den potenziellen
Opfern von Gewalt den Rücken zu stärken. Viele Frauen
verbringen Jahre in Beziehungen, in denen sie massiver
psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Sie
müssen die Kraft bekommen, sich aus dieser Beziehung
zu lösen. Sonst laufen alle unsere Anstrengungen ins
Leere. Daneben müssen wir sie fit dafür machen, dass
sie nicht aus einer Gewaltbeziehung in die nächste Ge-
waltbeziehung flüchten; denn auch das kommt relativ
häufig vor. Wir müssen uns auch über die Gründe für ein
solches Verhalten klar werden.

Eines dürfen wir nicht vergessen: Eltern sind immer
auch Vorbilder für ihre eigenen Kinder. Welche Hypo-
thek dieses Verhalten ihrer Eltern für die Kinder bedeu-
ten kann, können wir uns alle vorstellen. Es gibt inzwi-
schen auch jede Menge Statistiken darüber. Menschen,
die in der Kindheit Gewalt erfahren haben, werden auch
im Erwachsenenalter überdurchschnittlich häufig zu Op-
fern von Gewalt – auch von sexueller Gewalt – oder
selbst zu Tätern oder Täterinnen.

Im Bereich der Prävention können wir noch viel tun –
auch für Ältere und Pflegebedürftige. Sie können sich
oftmals nicht mehr aus eigener Kraft wehren. Die für sie
Verantwortlichen können wir aber sehr wohl sensibilisie-
ren. In Pflegeheimen sind die Heimbeiräte, das Pflege-
personal und die Ärzte gefordert, genauer hinzusehen.
Im privaten Bereich ist das jeder Einzelne, der mit be-
troffenen Pflegebedürftigen in Kontakt kommt.

Zum Schluss eine Bemerkung, die manchen von Ih-
nen aus meinem Mund erstaunen mag: Männer sind oft
Täter, können aber auch Opfer von Gewalt sein. Ich
denke, für sie ist die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen,
aufgrund der Tabuisierung des Themas immer noch sehr
hoch. Da Gewalt aber ein gesamtgesellschaftliches Pro-
blem ist, müssen wir die Männer in ihren verschiedenen
Rollen noch stärker in unsere Konzepte einbeziehen –
auch deshalb, weil Opfer zu Tätern werden können und
weil aus einem geprügelten oder missbrauchten kleinen
Jungen oft ein Gewalttäter wird.

Hier schließt sich der Kreis. Es geht darum, dieses
Thema gesamtgesellschaftlich in den Blick zu nehmen
und allen, die Opfer sein können, den Rücken zu stärken,
sodass sie sich gegen die Gewalt, die sie erfahren, weh-
ren können.






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Graf (Rosenheim)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für alle Gruppen – vom Kind bis zum Greis – gilt:
Selbstbewusstsein und die Ergänzung durch professio-
nelle Angebote und Beratungsstellen sind die beste Prä-
vention.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611909100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6429 und 16/6584 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef
Dzembritzki, Gert Weisskirchen (Wiesloch),
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD

Deutsche Personalpräsenz in internationalen
Organisationen im nationalen Interesse konse-
quent stärken

– Drucksache 16/6602 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben: Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg, Dr. Christian Ruck, Staatsminister Günter
Gloser, Detlef Dzembritzki, Marina Schuster, Wolfgang
Gehrcke und Dr. Uschi Eid.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6602 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

1) Anlage 11
Verzicht der Bundesregierung auf Einnahmen
aus Sponsoring

– Drucksachen 16/4488, 16/5564 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)

Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk

Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben: Norbert Barthle, Petra
Merkel, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Gesine Lötzsch
und Anna Lührmann.2)

Wir kommen zur Beschlussfassung des Haushaltsaus-
schusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel: „Verzicht der Bundesregierung auf Einnahmen aus
Sponsoring“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung der Drucksache 16/5564, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4488 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia
Kotting-Uhl und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Alte Atomkraftwerke jetzt vom Netz nehmen

– Drucksache 16/6319 –
Überweisungsvorschlag:
Auschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Auschuss für Wirtschaft und Technologie
Auschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich erteile Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen, das Wort.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611909200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel

dieses Antrags heißt nicht, alle Atomkraftwerke jetzt
vom Netz zu nehmen, obwohl das auch keine schlechte
Forderung wäre, sondern wir haben gefordert, alte
Atomkraftwerke jetzt vom Netz zu nehmen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611909300

Sie haben Recht, Frau Kollegin, „t“ und „l“ in dieser

Schrift sind ähnlich.

2) Anlage 12






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611909400

Genau, da ist nur dieser kleine Querstrich.

Der Antrag hat seinen Grund. Die Pannenserie in den
Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel hat eine
alte Einsicht bestätigt: Atomkraftwerke sind nicht sicher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Technisches und menschliches Versagen können je-
derzeit zu Störfällen führen mit katastrophalen Folgen
für Mensch und Umwelt. Wir erinnern uns: vor einem
Jahr das Atomkraftwerk in Schweden. Wir dachten im-
mer, Schweden hätte die sichersten Atomkraftwerke der
Welt. In Forsmark ist es dazu gekommen, dass wir
20 Minuten an einem der schwersten Reaktorunfälle auf
der Erde vorbeigeschrammt sind. Es hätte zum schwers-
ten Reaktorunfall seit Tschernobyl kommen können.

Deshalb war es richtig, meine Damen und Herren,
dass die rot-grüne Regierung hier in Deutschland den
Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb bleibt es auch richtig, am Atomausstieg festzu-
halten. Deshalb ist es ein Gebot der Vernunft, besonders
störanfällige alte Atomkraftwerke so schnell wie mög-
lich abzuschalten. Deutschlands älteste AKWs, Bruns-
büttel, Biblis A und Biblis B, führen die Pannenstatistik
an, dicht gefolgt von Krümmel. Die Zahl der Zwischen-
fälle lag in diesen Meilern in den letzten vier Jahren 50
bis 100 Prozent über dem Durchschnitt.

Daraus kann es nur eine Konsequenz geben: Diese
Pannenreaktoren müssen vom Netz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch der Bundesminister Gabriel hat diesen Schluss ge-
zogen – wo ist er denn eigentlich? Er sieht heute etwas
anders aus, aber das Ministerium ist da, sagen Sie es
Minister Gabriel weiter! – und Ende August in der Süd-
deutschen Zeitung die Abschaltung der ältesten AKWs
gefordert. Wörtlich hat er dort gesagt, eine solche Ab-
schaltung bringe „einen hohen sicherheitstechnischen
Gewinn“. Recht hat er. In diesem Punkt unterstützen ihn
die Grünen.

Ich frage mich: Wo bleibt die Konsequenz? Diesen
Worten müssen auch Taten folgen. Es kann nicht sein,
dass man hier ein großes Risiko sieht und gleichzeitig
nichts dagegen macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Atomkraftwerke sind nicht sicher. Das gilt auch für
den Schutz gegen Terroranschläge. Einige Atomkraft-
werke sind bautechnisch noch nicht einmal gegen den
Absturz leichter Sportmaschinen gesichert. Gegen einen
terroristischen Angriff mit einem Verkehrsflugzeug sind
alle Atomkraftwerke, die wir hier haben, nicht geschützt.
Auch eine Vernebelung der Anlagen würde in einem sol-
chen Fall nichts helfen.

Doch was macht die Bundesregierung? Minister
Schäuble verängstigt die Menschen mit dem theoreti-
schen Szenario einer „schmutzigen Bombe“. Minister
Jung redet über den verfassungswidrigen Abschuss von
Passagierflugzeugen. Wir Grünen haben einen wirksa-
men Vorschlag, meine Damen und Herren. Wir sagen:
Schalten Sie die besonders verwundbaren Atomkraft-
werke ab! Denn das gibt mehr Sicherheit in diesem
Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch da hat Minister Gabriel das Richtige gesagt. In
der Berliner Zeitung erklärte er, durch eine Abschaltung
älterer AKWs könnte die innere Sicherheit sofort verbes-
sert werden. Recht hat er. Aber auch hier muss man fra-
gen: Wo bleiben die Taten? Wir möchten sehen, dass aus
diesen richtigen Analysen die entsprechenden Konse-
quenzen gezogen werden.

Gucken wir uns den nächsten Punkt an, die Versor-
gungssicherheit. Auch dazu ließe sich einiges sagen. Im
Sommer standen zeitweilig 7 der 17 deutschen Atom-
kraftwerke still. Von Versorgungsproblemen konnte da
keine Rede sein. Die gute Nachricht lautet: Wir haben die
abgeschalteten AKWs gar nicht vermisst. Nicht eine
Lampe hat geflackert. Es hat funktioniert – ohne sieben
AKWs.

Umso sicherer und wichtiger ist es, dass wir eine vor-
zeitige Abschaltung der unsicheren und besonders ter-
rorgefährdeten Pannenreaktoren jetzt machen. Wir kön-
nen es. Es gibt genug Energie, die wir hier erzeugen. Wir
brauchen diese Pannenreaktoren nicht in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern von Ihnen den Willen zum Handeln. Le-
sen Sie unseren Antrag – er ist einfach gut – und stim-
men Sie ihm zu, wenn er wieder zur Abstimmung steht!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611909500

Das Wort hat nun Kollege Georg Nüßlein, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1611909600

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zum

x-ten Mal beschäftigt den Deutschen Bundestag ein An-
trag der Grünen zum beschleunigten Ausstieg aus der
Kernenergie. Ob alte oder alle Atomkraftwerke sei ihr
ziemlich egal, hat Frau Höhn gerade eingeräumt. Zum
x-ten Mal legen Sie uns ein Sammelsurium von Vorbe-
halten, unhaltbaren Anwürfen und nicht belegbaren Be-
hauptungen vor


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?)


und unterstreichen Ihre altbekannten Ressentiments ge-
genüber der Kernenergie, und dann wundern Sie sich,
wenn kaum jemand an der Debatte teilnimmt.


(Beifall der Abg. Angelika Brunkhorst [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
Für mich stellt sich die Frage, warum Sie das tun. Ein
Motiv einer Oppositionspartei könnte sein, die Uneinig-
keit der Regierungskoalition in diesem Punkt zu de-
monstrieren. Das ist aber entbehrlich; denn wir haben
schon im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir uns in
dieser Frage nicht einig sind.


(Rainer Arnold [SPD]: Richtig!)


Im Übrigen meine ich, dass es auch gut ist, dass es auch
Punkte gibt, in denen wir uns nicht einig sind, weil sich
sonst der geschätzte Wähler darüber wundern würde,
dass man erst gegeneinander Wahlkampf führt, um dann
bei gleichen Mehrheitsverhältnissen in allen Punkten ei-
nig zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das kann nicht sein. Dabei geht es auch um die Glaub-
würdigkeit von Politik. Anders ist es bei Ihnen, liebe
Freunde von den Grünen: Was Sie machen, hat mit
Glaubwürdigkeit nichts zu tun. Ihnen geht es um nichts
anderes als Ihre Rehabilitierung als Ausstiegspartei. Sie
wollen sich aus der Verantwortung für den Ausstieg auf
Raten davonschleichen, nach dem Motto „Vielleicht
merken es unsere Wähler ja nicht“.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So einfach geht das aber nicht. Wer wie Sie im Zu-
sammenhang mit der Kernenergie permanent den Teufel
an die Wand malt und das, was Sie über die Gefahren der
Kernenergie sagen, wirklich ernst meint, der hätte in der
alten Bundesregierung für den sofortigen und kompro-
misslosen Ausstieg eintreten müssen.

Offenkundig geht es den Grünen nur darum, immer
wieder Ängste zu schüren, um sich dann als weißer Rit-
ter und Beschützer in der Not aufzuspielen und die paar
Prozentpunkte zu sammeln, die man braucht, um in den
Bundestag zu kommen und entweder in der Regierung
faule Kompromisse einzugehen oder dann, wenn man in
der Opposition ist, wieder dagegen zu sein.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben denn Ihre Argumente?)


– Es ärgert mich nicht nur, Frau Höhn, dass Sie dazwi-
schenrufen. Insbesondere ärgert mich das, was Sie im-
mer im Zusammenhang mit den Terrorgefahren an die
Wand malen.


(Zurufe von der LINKEN: Schäuble!)


Wir haben in geheimer Sitzung beraten – deshalb kön-
nen wir hier nicht darüber reden –, aber offen gesagt ist
mir nicht klar geworden, woran man die Terrorgefahren
festmachen kann.

Wenn die alten Kernkraftwerke das höchste Gefah-
renpotenzial im Zusammenhang mit Terrorangriffen auf-
wiesen,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es ja auch!)


dann würde ich von Ihnen immerhin so viel Verantwor-
tungsbewusstsein erwarten, dass Sie nicht alle Terroris-
ten dieser Erde auf diese Schwachstelle hinweisen wür-
den, wenn es sie denn gäbe.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Wir sind uns wirklich nicht einig!)


In dem Stil geht es weiter. Sie behaupten, die jüngsten
Störfälle in den Atomkraftwerken Krümmel und Bruns-
büttel hätten erneut gezeigt, wie stark die Unfallwahr-
scheinlichkeit mit dem Alter der AKWs steigt.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Erstens sprechen Sie von Störfällen, obwohl es keine
Störfälle waren. Das ist der erneute Versuch, Nichtereig-
nisse zu Störfällen hochzustilisieren.


(Lachen bei der LINKEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch kein Nichtereignis!)


– Aber ein Störfall war es mit Sicherheit nicht, Frau
Höhn. Das wissen Sie so präzise wie alle anderen Kolle-
gen im Saal.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611909700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Wieland von den Grünen?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1611909800

Gerne.


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611909900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Da Sie uns unterstellt

haben, wir wollten nur Ängste in der Bevölkerung schü-
ren und Terroristen auf AKWs als Anschlagsziele auf-
merksam machen, frage ich Sie, ob Sie das auch Ihrem
Verteidigungsminister unterstellen, der in der Hessen-
schau am 16. September dieses Jahres ausdrücklich die
Befugnis zum Abschießen von Flugzeugen gefordert
hat, und zwar auch und gerade dann, wenn ein solches
Flugzeug auf ein AKW zusteuert?


(Hellmut Königshaus [FDP]: Das bezieht sich doch nur auf hessische Kernkraftwerke!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1611910000

Herr Kollege, ich sehe keinen Unterschied zwischen

alten und neuen Kernkraftwerken an dieser Stelle. Ich
habe nicht gesagt, dass das, was Sie behaupten, stimmt,
sondern, dass das, was Sie behaupten, grundfalsch ist.
Ich gebe Ihnen recht: Es gibt insgesamt ein Risiko terro-
ristischer Anschläge. Das gilt für jeden Bereich. Wir tun
gut daran, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir mit
diesem Gefahrenpotenzial umgehen. Dazu hat Herr Jung
einen hier im Hause vieldiskutierten Beitrag geleistet.
Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist,
noch einmal über die Äußerungen von Herrn Jung zu
diskutieren. Das haben wir in dieser Woche bereits ge-
tan.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Antwort!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
Zweitens. Sie behaupten, die jüngsten Störfälle beleg-
ten insbesondere, dass die Unfallwahrscheinlichkeit mit
zunehmendem Alter der Atomanlagen steige. Abgese-
hen davon, dass es sich nicht um Störfälle handelt, ist es
zumindest ungeschickt, gerade Krümmel, das 1983 in
Betrieb gegangen ist, als Beispiel für ein altes Atom-
kraftwerk zu wählen.

Drittens. Anhand der Nettowirkungsgrade kann man
zeigen, dass ältere Anlagen nicht per se schlechter sind.

Viertens. Mit Ihrer rein auf Plausibilitäten basieren-
den Aussage stellen Sie das gesamte Wartungs- und Ri-
sikomanagement infrage. Das ist wohl Ihre Absicht.

Fünftens. In den USA zum Beispiel werden derzeit
bei 50 Kernkraftwerken die Laufzeiten von 40 auf
60 Jahre verlängert. Ich frage mich, warum deutsche
Technik Ihrer Meinung nach dafür keine Grundlage bie-
ten kann.

Es geht aber noch abenteuerlicher weiter. Sie behaup-
ten, Atomkraft sei kein wirksames Mittel im Kampf ge-
gen den Klimawandel, insbesondere weil „Atomanlagen
über die gesamte Produktions- und Entsorgungskette er-
hebliche Mengen CO2“ produzierten. Ich stelle Ihnen an-
heim, dazu eine McKinsey-Studie zum Thema „Kosten
und Potenziale der Vermeidung von Treibhausgasemis-
sionen in Deutschland“ zu lesen. Dann werden Sie fest-
stellen, dass das Vermeidungspotenzial durch verlän-
gerte Laufzeiten bei der Kernenergie erheblich größer ist
als alle anderen Maßnahmen im Energiesektor, die wir
treffen könnten, und das zu erheblich niedrigeren volks-
wirtschaftlichen Kosten.

Dann kommt das alte Argument, das Uran gehe uns
aus. Ich will nicht bestreiten, dass auch Uran endlich ist.
Aber Uran kommt zu einem erheblichen Teil aus poli-
tisch stabilen Regionen. Fast 50 Prozent unseres Natur-
urans kommt zum Beispiel aus Kanada. So kann man na-
türlich einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
Die Reichweiten sind zudem technisch verlängerbar. Im
Übrigen ist der Kostenanteil des Rohstoffes nicht sehr
hoch. Bei den Produktionskosten liegt der Anteil von
Natururan bei 3,5 Prozent, sodass sich preisliche Verän-
derungen nicht in starkem Maße auswirkten. Unter dem
Gesichtspunkt der Endlichkeit sagen wir von der Union
deutlich: Wir sehen die Kernenergie als Brücke in einen
neuen Energiemix, den wir in den nächsten Jahren mit
verstärkten gemeinsamen Anstrengungen entwickeln
müssen. 48 Prozent unseres Grundlaststroms kommt von
der Kernenergie. Ich weiß nicht, wie man diesen Anteil
ersetzen sollte. Vielleicht wissen Sie es. Ich bin ge-
spannt, was die nachfolgenden Redner dazu sagen wer-
den.

Der Gipfel dessen, was die Grünen behaupten und
meine Argumentation untermauert, ist folgende Einlas-
sung zum Thema Endlagerung: „Hier ist der Staat ge-
fragt, alles zu unternehmen, dieses Problem schnell zu
lösen.“ Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie
haben in Ihrer Regierungszeit alles getan, um dieses Pro-
blem nicht und erst recht nicht schnell zu lösen.

Sie sind offenkundig da angekommen, wohin Sie im-
mer gehört haben, nämlich auf der Oppositionsbank. Ich
appelliere aber auch an die Kollegen der Koalition, da
sich die Grünen wieder für eine zielorientierte Erkun-
dung von Gorleben einsetzen: Lassen Sie uns einver-
nehmlich diesen Weg beschreiten. Dann hätte uns der
Antrag, den wir heute diskutieren, doch noch einen
Schritt vorangebracht.

Für mich bleiben allerdings unter dem Strich beim
Thema Kernenergie insgesamt einige wesentliche Fra-
gen offen. Zum Beispiel: Wenn wir das ehrgeizige Ziel
schaffen, bis zum Jahr 2020 30 Prozent unseres Strom-
bedarfs nach Effizienzgewinnen aus erneuerbaren Ener-
gien zu decken – wir von der Union werden uns dafür
einsetzen, dass uns das gelingt –, dann frage ich: Wo
kommen dann die übrigen 70 Prozent her? Aus dem eu-
ropäischen Ausland? Da drängt sich mir die Frage auf,
was Kernkraftwerke im benachbarten Ausland ungefähr-
licher als inländische macht. Wer steht für den volkswirt-
schaftlichen Schaden gerade, den wir durch einen
schnellen Ausstieg provozieren? Wer bezahlt das alles?
Die Verbraucher? Darüber müssen wir reden. Wir müs-
sen aber auch mit den Versorgern darüber reden, dass sie
uns zeitnah sagen, was Laufzeitverlängerungen am Ende
für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für die
Strompreise bedeuten. Die Preise müssen nämlich sin-
ken, wenn wir das tun wollen. Ich halte das für ein wich-
tiges Signal, das von den Versorgern als Unterstützung
unserer Politik kommen muss.

Vielen Dank.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611910100

Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit noch verlän-

gern? Der Kollege Kelber wollte eine Zwischenfrage
stellen.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1611910200

Wir zwei haben demnächst genügend Gelegenheit,

über viele Themen miteinander zu diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sehen, dass das Thema die Kolleginnen und Kolle-
gen brennend interessiert und wie schnell die alle nach
Hause wollen. Deshalb diskutieren wir das später.


(Ulrich Kelber [SPD]: In der Zeit hätten Sie die Frage beantwortet!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611910300

Deswegen erteile ich jetzt sofort Kollegin Angelika

Brunkhorst, FDP-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Angelika Brunkhorst (FDP):
Rede ID: ID1611910400

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Höhn, ich schätze Sie wirklich sehr, und Sie
haben vieles auf den Weg gebracht, wofür ich Sympathie
habe. Aber jetzt muten Sie uns etwas zu. Der Herbst
steht vor der Tür, und der Winter naht. Sie holen das Ein-
gemachte aus dem Keller und tischen uns die alten Argu-
mente wieder auf. Es wird zwar neu angerichtet, aber
mein Appetit hält sich wirklich in Grenzen. Auch die






(A) (C)



(B) (D)


Angelika Brunkhorst
Bürger sind mittlerweile so weit, dass sie bei den typi-
schen Argumenten nicht mehr reflexartig Angst bekom-
men und Kernkraftwerke ablehnen. Die Emnid-Umfrage
im Juni hat gezeigt, dass mittlerweile eine Mehrheit der
Bürger dafür ist, für eine Überbrückungszeit die Laufzei-
ten der Kernkraftwerke zu verlängern.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wie war denn die Fragestellung in der Umfrage?)


– Das kann ich Ihnen schriftlich geben. Ich habe sie da-
bei, Herr Kelber. Seien Sie ganz ruhig. – Ihr Bundes-
minister Gabriel und die Bundeskanzlerin, Frau Merkel,
haben die Klimaziele für 2020 festgelegt. Es soll
40 Prozent weniger CO2-Emissionen geben. Wir wollen
das schaffen. Das ist ein hehres Ziel. Aber wie wollen
Sie das erreichen, wenn Sie die Kernkraftwerke abschal-
ten? Wir haben in 16 Jahren gerade einmal um 15 Pro-
zent reduziert, wollen aber 40 Prozent einsparen. Sie
wollen CO2-Emissionen von 120 Millionen Tonnen ein-
sparen. Wie wollen Sie das kompensieren? Die Frage ha-
ben Sie bis heute nicht beantwortet. Wir haben die Emis-
sionen, die wir eingespart haben, hauptsächlich in den
ersten fünf Jahren eingespart. Das korrespondiert damit,
dass in dieser Zeit viele Industrien in der ehemaligen
DDR aufgegeben wurden.

Ich möchte zu einigen technischen Dingen Stellung
nehmen. In dem Antrag wird von den Gefahren gespro-
chen, die vom Alterungsprozess der Reaktoren und den
hochkomplexen Veränderungen in der atomaren Struktur
metallischer Werkstoffe ausgehen. Ich habe mich schlau
gemacht; denn auch ich bin keine Ingenieurin. Man hat
mir gesagt, dass es Tests und Laborverfahren gibt – zum
Beispiel noch intensiverer Neutronenbeschuss –, mit de-
nen man erproben kann, wie die metallenen Werkstoffe
und Anlagenkomponenten reagieren. Es ist dabei he-
rausgekommen, dass der durch den Neutronenbeschuss
bedingte Verschleiß deswegen nicht so hoch ist, wie es
bei anderen Kraftwerken der Fall ist, weil wir Wasser-
puffer zwischen den Druckbehältern und den Reaktor-
kernen haben, die größer sind, als es zum Beispiel im
Ausland üblich ist. Sollte es trotzdem zu Versprödungen
kommen, dann besteht – selbst bei laufendem Betrieb –
immer noch die Möglichkeit, die spröden Materialien
durch eine sogenannte Erhitzung auszuheilen, zu glätten
und die Gitterstruktur neuwertig wiederherzustellen. Ich
bitte Sie, diese Anregung einfach einmal zur Kenntnis zu
nehmen.

An die Bürger in diesem Lande gerichtet, möchte ich
sagen: Natürlich haben wir hier bei uns in Deutschland
die höchsten Sicherheitsstandards. Es ist so, dass be-
stimmte Anlagenkomponenten nach einer bestimmten
Reihe von Jahren ausgetauscht werden müssen. Wäh-
rend seines Lebenszyklus wird ein Kernkraftwerk ein-
mal runderneuert.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eines der Grundprobleme! – Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Nehmen Sie runderneuerte Reifen im Winter! Die sind nicht so gut!)


– Ja, Herr Hill. Da wird einfach nicht die ganze Wahrheit
gesagt. Auch darum geht es.
Die Grünen tun so, als wären sie der einzige Anwalt
für die Sicherheit der deutschen Bevölkerung.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kelber auch noch!)


Dem möchte ich doch widersprechen. Frau Höhn, Sie
verlangen in Ihrem Antrag, dass unvoreingenommene
Experten befragt werden. Gleichzeitig beantragen Sie,
atomkritische Experten zurate zu ziehen. Das ist ein bis-
schen widersinnig. Das verstehe ich nicht so ganz. Wir
haben immer noch hervorragende Wissenschaftler. Es
vergeht fast kein Tag, ohne dass Ihnen ein Experte sagt:
Wir können aus der Kernenergie nicht aussteigen, wenn
wir die Versorgungssicherheit und die günstigen Strom-
preise halten wollen.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sehen doch alles durch die gelbe Parteibrille!)


– Ja, natürlich. Durch Ihre, durch die grüne, sehe ich ga-
rantiert nicht. Das kann ich Ihnen sofort unterschreiben.


(Ute Kumpf [SPD]: Ihre Brille ist giftgrün!)


Ich möchte noch einen Bogen schlagen. Liebe Frau
Höhn, auch Sie kennen Herr Dr. Moore von Greenpeace
und Herrn Professor Vahrenholt. Das sind nun wirklich
keine Personen, die im Verdacht stehen, unsere Politik
zu unterstützen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie kennen Herrn Dr. Töpfer?)


Sie befinden sich eher auf Ihrer Politikschiene. Auch
diese beiden Experten sagen: Liebe Leute, kommt auf
den Boden der Realität zurück! Stellt euch den Realitä-
ten! Wir kommen auch über 2020 hinaus nicht ohne die
Kernkraftwerke aus, soweit sie sicher sind. – Um Sicher-
heit geht es auch uns; das möchte ich hier wirklich beto-
nen. Wir sind auf die Erkenntnisse aus den Ereignissen
rund um Krümmel und Brunsbüttel, die vorgelegt wer-
den, gespannt. Wir werden das sehr kritisch begutachten.
Wir werden darüber noch diskutieren.

Ich möchte noch auf die Endlagerfrage eingehen
– Herr Nüßlein hat es hier schon thematisiert –: Es gibt
jede Menge Konzeptionen. Es war wirklich Ihr Minister,
Herr Trittin, der die Lösung des Problems verhindert hat.
Daher haben Sie nicht unbedingt das Recht, hier jetzt
eine schnellstmögliche Endlagerung einzufordern.

Danke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611910500

Ich erteile das Wort Kollegen Christoph Pries, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christoph Pries (SPD):
Rede ID: ID1611910600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
befassen uns heute zum wiederholten Mal in dieser






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Pries
Legislaturperiode mit der Sicherheit unserer Atomkraft-
werke. Im Grundsatz sind wir uns alle einig: Die Sicher-
heit muss beim Betrieb der deutschen Atomkraftwerke
allerhöchste Priorität haben. Sobald wir uns aber darüber
unterhalten, was als sicher gilt, ist es mit der Einigkeit
schnell vorbei. Denn das, was nach Stand von Wissen-
schaft und Forschung sicher ist, hängt ganz entscheidend
vom Standpunkt des Betrachters ab. Dementsprechend
sind die Positionen in der Frage der Reaktorsicherheit
ebenso festgefahren wie diejenigen, die den Atomaus-
stieg betreffen.

Man muss allerdings feststellen, dass sich nach den
Störfällen in den Atomkraftwerken Krümmel und Bruns-
büttel – Herr Nüßlein, ich empfehle Ihnen, an Ihrer Defi-
nition des Begriffs „Störfall“ zu arbeiten – gerade bei der
FDP eine gewisse Flexibilität in der Frage der Reaktor-
sicherheit gezeigt hat.

Kollege Kauch hat am 6. August im Tagesspiegel mit
Blick auf die Terrorgefährdung alter Atomkraftwerke
gefordert:

Aus unserer Sicht wäre es klug, die Reststrommen-
gen auf besser geschützte Anlagen zu übertragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Den Antrag von Vattenfall auf Strommengenübertra-
gung für das Atomkraftwerk Brunsbüttel bezeichnet
Herr Kauch als „keine gute Idee“. Da bin ich mit dem
Kollegen uneingeschränkt einer Meinung. Ob das aller-
dings für die übrigen Kollegen der FDP zutrifft, wage
ich nach dem, was Sie gerade gesagt haben, Frau
Brunkhorst, zu bezweifeln. Noch im Mai dieses Jahres
haben wir hier über einen Antrag der FDP zur Atom-
energie debattiert. Darin fordern Sie eine Novelle des
Atomgesetzes mit dem Ziel, „die zulässige Betriebs-
dauer der Kernenergieanlagen zu verlängern“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, was
wollen Sie jetzt? Wollen Sie den Energiekonzernen
nahelegen, die unsinnigen Anträge auf Strommengen-
übertragungen von neuen Atomkraftwerken auf störan-
fällige Altanlagen zurückzuziehen? Wollen Sie alte
Atomkraftwerke wegen ungenügenden Schutzes gegen
Terroranschläge schneller abschalten? Oder wollen Sie
den Energiekonzernen einen Freibrief für den Betrieb ih-
rer Anlagen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag geben? Ich
bin schon sehr gespannt, wie Sie diesen Widerspruch in
Zukunft auflösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611910700

Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Christoph Pries (SPD):
Rede ID: ID1611910800

Gerne.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611910900

Herr Königshofen, bitte.

Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1611911000

Der nicht – mit dem werde ich immer verwechselt –,

er würde wegen der Frage Ärger bekommen. Mein
Name ist Königshaus. Es ist halt später Freitagnachmit-
tag. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir
über unterschiedliche Sachverhalte sprechen? Es geht
nicht um Restlaufzeitenübertragung. Der Antrag, über
den wir im Moment reden und über den die Kollegin ge-
sprochen hat, lautet: Alte Atomkraftwerke jetzt vom
Netz nehmen. Das ist etwas anderes als die Frage der
Laufzeitenveränderung.


Christoph Pries (SPD):
Rede ID: ID1611911100

Herr Königshaus, diese Fragen hängen unmittelbar

miteinander zusammen. Wenn Sie Reststrommengen
von neuen Atomanlagen auf alte Atomanlagen übertra-
gen wollen, hat das sehr wohl einen Aspekt, der die Si-
cherheitslage in Deutschland betrifft. Insofern ist das
Thema nicht verkehrt angesprochen worden.

Ich bin, wie gesagt, schon sehr gespannt, wie Sie die-
sen Widerspruch in Zukunft auflösen wollen. Kommen
Sie mir jetzt bitte nicht damit, dass natürlich nur Atom-
kraftwerke weiterbetrieben werden dürfen, die nach dem
Stand von Wissenschaft und Technik sicher sind! Die
Chefs der Energiekonzerne werden bei dieser Forderung
richtig zittern; ich sehe das schon vor mir. Ich sehe
schon, wie die FDP den Herren beim Thema Reaktorsi-
cherheit die Daumenschrauben anlegen möchte, eine
Partei, die den Bürgerinnen und Bürgern seit Jahrzehn-
ten erzählt: Deutsche Atomkraftwerke erfüllen höchste
Sicherheitsstandards und sind die sichersten der Welt.


(Angelika Brunkhorst [FDP]: Dazu stehen wir auch heute noch!)


– Wer ständig mit Superlativen wirbt, Frau Brunkhorst,
sollte nicht vergessen, dass man die nicht steigern kann.

Brunsbüttel und Krümmel haben wieder einmal of-
fenbart, es ist nicht alles so rosig, wie es uns die Hoch-
glanzbroschüren der Energiekonzerne glauben machen
wollen. Es ist auch dieses Mal wieder gut gegangen.
Aber das ist keine Entschuldigung für die gravierenden
Mängel im Sicherheitsmanagement und in der Sicher-
heitskultur, die in den Atomkraftwerken offenbar gewor-
den sind. Das ist schon gar keine Entschuldigung für die
unzureichende Informationspolitik und die schleppende
Kooperation des Betreibers mit den Aufsichtsbehörden.

Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt aus diesem
Grund die Maßnahmen, die Bundesumweltminister
Sigmar Gabriel nach den Störfällen eingeleitet hat. Dazu
gehören: die Einführung von selbst lernenden Sicher-
heitsmanagementsystemen in den deutschen Atomkraft-
werken; die Etablierung klarer und verbindlicher Kom-
munikationsregeln in den Anlagen; die Beschleunigung
der Bearbeitung von Erkenntnissen der periodischen Si-
cherheitsüberprüfungen und ein verbesserter Schutz der
Kraftwerkswarten gegen das Eindringen von Gasen.

Die zügige Umsetzung, die Kontrolle und die Weiter-
entwicklung dieser Maßnahmen sind ein wichtiger Bei-
trag, um eine größtmögliche Sicherheit beim Betrieb der






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Pries
deutschen Atomkraftwerke während ihrer Restlaufzeit
zu gewährleisten.


(Beifall bei der SPD)


Absolute Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wird es bei einer komplexen Hochrisikotechnologie wie
der Atomenergie allerdings nie geben. Aus diesem
Grund unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion die Ini-
tiative von Bundesumweltminister Gabriel zur Übertra-
gung von Reststrommengen von den ältesten auf die
neueren Atomkraftwerke. Der Bundesumweltminister
hat den vier großen Energiekonzernen angeboten, durch
Strommengenübertragung die sieben ältesten Atomkraft-
werke sofort bzw. bis zum Herbst 2009 vom Netz zu
nehmen.

Dafür hätten die verbleibenden Anlagen, die neueren
Baureihen angehören, entsprechend länger in Betrieb
bleiben können. Dies hätte das atomtechnische Risiko in
Deutschland verringert und zu einer erheblichen Klima-
verbesserung zwischen Politik und Energiewirtschaft
beigetragen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Vorschlag hätte auf der Grundlage des geltenden
Atomgesetzes umgesetzt werden können, das explizit
eine genehmigungsfreie Übertragung von Reststrom-
mengen von alten auf neuere Anlagen erlaubt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
bin davon überzeugt, dass der Bundesumweltminister
das Notwendige und atomrechtlich Durchsetzbare veran-
lasst hat. Ihre wichtigsten Forderungen sind damit be-
reits hinfällig geworden. Dass Sie mit Ihrem Antrag
noch eine Schüppe drauflegen, Frau Höhn, ist mit Blick
auf die Pflege Ihrer Klientel erlaubt und auch verständ-
lich.

Wie Sie wissen, haben die Energiekonzerne das An-
gebot des Bundesumweltministers ungenutzt gelassen.
Wieder wurde eine Chance vertan, Herr Rüttgers. Und
nicht nur das. Die Energiekonzerne haben gleichzeitig
angekündigt, an ihren Anträgen auf Übertragung von
Reststrommengen von neueren, besser gesicherten Anla-
gen auf ihre Uraltmeiler festzuhalten. So bedauerlich
diese Bunkermentalität ist, so sehr war sie doch zu er-
warten. Interessant ist daher weniger die Ablehnung
selbst als deren ausschließlich atomrechtliche Begrün-
dung. Kein Konzern hat die Ablehnung des Vorschlags
von Sigmar Gabriel damit begründet, die gleichzeitige
oder zeitnahe Abschaltung von sieben Atomkraftwerken
werde die Versorgungssicherheit in Deutschland gefähr-
den; Frau Höhn, Sie hatten es schon angesprochen. Wa-
rum das? Die Versorgungssicherheit zählt doch sonst zu
den Standardargumenten der Energiekonzerne. Die Ant-
wort ist einfach. Die Abschaltung der sieben Uraltmeiler
hätte die Versorgungssicherheit in Deutschland mitnich-
ten gefährdet.


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Genau! – Zuruf von der SPD: Es ist nicht dunkel geworden!)


Im Juli und August dieses Jahres waren zeitweise bis
zu sieben deutsche Atomkraftwerke gleichzeitig vom
Netz. Und? – Keine Preisexplosion an der Strombörse,
keine Stromausfälle, nichts; kurz: Keiner hat es gemerkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Hans-Kurt Hill [DIE LINKE])


Überhaupt verliert das Argument, erneuerbare Ener-
gien seien nicht grundlastfähig, zunehmend an Überzeu-
gungskraft. Am Dienstag haben drei Unternehmen aus
dem Bereich der erneuerbaren Energien ihr regeneratives
Kombikraftwerk vorgestellt. Sie haben damit eine Zu-
sage eingehalten, die sie anlässlich des Energiegipfels im
vergangenen Jahr gemacht haben. Durch die zentrale
Steuerung von bundesweit 36 Windkraft-, Solar- und
Biogasanlagen sowie eines Pumpspeicherkraftwerkes
funktioniert das regenerative Kombikraftwerk wie ein
herkömmliches Kraftwerk. Es kann Schwankungen in
der Stromproduktion und im Stromverbrauch kompen-
sieren und deckt den Strombedarf einer Kleinstadt mit
12 000 Haushalten – zu jeder Zeit und bei jedem Wetter.

In diesem Jahr werden bereits 15 Prozent des deut-
schen Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien ge-
deckt. Zusammen mit unseren Anstrengungen im Be-
reich der Energieeinsparung und der Energieeffizienz ist
das der richtige Weg zu einer sicheren und nachhaltigen
Energieversorgung. Diesen Weg haben wir begonnen.
Diesen Weg werden wir weitergehen. Im Gegensatz
dazu ist die Atomenergie ein Auslaufmodell. Mit der
Novelle zum Atomgesetz haben wir dafür gesorgt, dass
das auch so bleibt. Gleichzeitig werden wir dafür sorgen,
dass beim Betrieb der Anlagen die größtmögliche Si-
cherheit gewährleistet wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611911200

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Hans-Kurt

Hill, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hans-Kurt Hill (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611911300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was passiert, wenn unser Auto in die Jahre kommt? Es
beginnt zu klappern, schluckt mehr Sprit, und es geht
mit den großen Reparaturen los. Selbst wenn wir es zur
Inspektion in die Werkstatt bringen, irgendwann müssen
wir es ausmustern. Wenn wir es bis zum Gehtnichtmehr
oder, wie man im Saarland sagt, bis auf den Grutz fah-
ren, dann hat die Karre nur noch Schrottwert, und wir
schauen uns nach den neuesten und effizientesten Mo-
dellen um. Im Grunde ist das mit allen Gebrauchssachen
so.

Wie ist das nun mit den Atomkraftwerken? Da gibt es
neue und alte Anlagen. Nun hören wir, die alten seien
genauso gut wie die neuen. Das wird jedenfalls von
Vattenfall und Co. so behauptet. Die Kolleginnen und






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Kurt Hill
Kollegen von der CDU/CSU wie auch von der FDP sto-
ßen natürlich ins gleiche Horn.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Wann haben wir das denn gesagt?)


Ich sage Ihnen, meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen: Da werde ich stutzig und, wie ich glaube, auch
die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung. Herr Kol-
lege Nüßlein und Frau Kollegin Brunkhorst, ich kann Ih-
nen nur empfehlen, sich einmal die neueste Emnid-Um-
frage vom August anzusehen. Danach wollen sich zum
Beispiel 53 Prozent der CDU/CSU-Anhänger von den
AKWs verabschieden.

Nun, bei einem alten Auto bekomme ich eventuell
noch einen Kolbenfresser. Bei einem alten AKW geht
man das Risiko ein, ganze Lebensräume zu zerstören.
Die Wahrheit ist: Die Energieversorger machen pro
Atommeiler 300 Millionen Euro Gewinn pro Jahr. Das
bedeutet Profit auf Kosten und Risiko der Allgemein-
heit.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist schädlich! Sozialisieren!)


Das ist der einzige Grund, Herr Nüßlein, warum die
Schrottmeiler noch weiter laufen sollen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was war denn im Sommer? In einer Sondersitzung
des Umweltausschusses hat uns der Umweltminister
über weitreichendste Probleme bei Atomanlagen unter-
richtet. Dabei ist deutlich geworden, dass diese Technik
ebenso ist wie andere Technik: je älter, desto problemati-
scher. Betrachten wir doch einmal die damaligen Vor-
gänge! Durch mangelhafte Überwachungsroutine und
vor allem durch die Verschleierungstaktik der mittler-
weile schon ausgetauschten Betriebsführung ist eine
hochexplosive Mischung entstanden. Hinzu kommt die
Terrorgefahr, die eben angesprochen wurde. Dagegen
können vor allem alte Kraftwerke – dass das so ist, Herr
Nüßlein, wissen Sie genauso gut wie ich – nicht gesi-
chert werden. Ich sage also: Alte Atommeiler sofort ab-
schalten.

Geradezu zynisch finde ich das Verhalten der CDU/
CSU und auch der FDP, die all diese Fragen noch für so
unwichtig halten. Wer mir also eine alte Karre als neues
und sicheres Modell verkaufen will,


(Hellmut Königshaus [FDP]: Wer macht das denn? Tut doch keiner! So ein Quatsch!)


der will nur eines, nämlich seinen Vorteil sichern, und
zwar zu meinen Lasten bzw. in unserem Fall zulasten der
Bürgerinnen und Bürger. Da gehe ich lieber zu einem
ehrlichen Kaufmann. Das soll ganz einfach heißen:
Wechseln Sie den Stromanbieter


(Hellmut Königshaus [FDP]: Oder die Steckdose!)


oder auch die Partei! Dann kommt der Atomausstieg von
selbst.
Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall einen guten und si-
cheren Nachhauseweg.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611911400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6319 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:

a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Birgitt
Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswärtige Kulturpolitik

– Drucksachen 16/2233, 16/4024 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Uschi Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neujustierung der auswärtigen Kulturpolitik

– Drucksache 16/6604 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Uschi
Eid, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1611911500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der

Stellenwert des Kulturaustausches und der auswärtigen
Kulturpolitik ist bei uns im Hohen Hause unumstritten.
Tragfähige internationale und gute nachbarschaftliche
Beziehungen benötigen ein kulturelles Fundament.
Nichts ist hierfür wichtiger als die Begegnungen von
Menschen, Künstlern, Kulturschaffenden, Studierenden
und Wissenschaftlern über gesellschaftliche und kultu-
relle Grenzen hinweg.

Ereignisse wie der Karikaturenstreit haben deutlich
gemacht, dass der auswärtigen Kulturpolitik als Medium
und Botschafter für Toleranz, Verständigung, aber auch
für Humor eine zunehmend wichtigere Rolle zukommt.
Dialog und Begegnung mit anderen Völkern und Kultu-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Uschi Eid
ren sind wichtige Grundlagen, um interkulturellen Miss-
verständnissen und Konflikten vorzubeugen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch deshalb muss die auswärtige Kulturpolitik fes-
ter Bestandteil der Außenpolitik sein. Dass wir dabei
durchaus unterschiedliche Bewertungen von Deutsch-
lands Rolle in der Welt und in Europa vornehmen,
Deutschlands Selbstverständnis als Kulturnation anders
akzentuieren oder auch die Aufgabe kulturpolitischer In-
strumente unterschiedlich sehen, ist eher ein Gewinn für
dieses Politikfeld. Eine kritische und konstruktive Be-
gleitung aus dem Deutschen Bundestag ist gerade des-
wegen wünschenswert und notwendig.

Ich freue mich deshalb sehr, dass zum Beispiel die
Initiative meiner Fraktion erfolgreich war, jetzt wieder
einen Unterausschuss für auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik einzurichten, also einen parlamentarischen
Ort, wo diese Debatte intensiv geführt werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das vergangene Jahr wurde vom Auswärtigen Amt
als Reflexionsphase zur konzeptionellen Ausrichtung
der auswärtigen Kulturpolitik angekündigt. Der grüne
Antrag heute ist ein Beitrag meiner Fraktion zu dieser
Reflexion und konzeptionellen Ausrichtung. Denn ob-
wohl die Bundesregierung nicht müde wird, eine Trend-
wende in ihrer auswärtigen Kulturpolitik auszurufen,
sehe ich diese nicht. Unser Antrag könnte Hilfestellung
geben, um die Marschroute festzulegen.

Ich kann hier aus Zeitgründen nur vier der wichtigs-
ten Anregungen aus unserem Antrag nennen. Erstens.
Eine zentrale Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik ist
es, die kulturelle Dimension der europäischen Integra-
tion zu stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Argument, in Europa sei die kulturelle Basis zur
Schaffung der Union bereits ausreichend gelegt, halte
ich für wenig begründet. Das Zusammenwachsen Euro-
pas bedarf vielmehr eines dauerhaften kulturellen Aus-
tauschs, vor allem mit den neu aufgenommenen Staaten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Die transatlantische Freundschaft und die
notwendige Kooperation mit den USA in wirtschafts-,
außen- und sicherheitspolitischer Hinsicht sollte auch
durch die auswärtige Kulturpolitik unterstützt werden,
um die Basis einer gemeinsamen Welt- und Wertesicht
zwischen Nordamerika und Europa zu festigen sowie
kulturelle und wertebezogene Differenzen abzubauen.

Drittens. Die regionalen Schwerpunktsetzungen be-
dürfen einer kritischen Überprüfung. Vor dem Hinter-
grund der weltpolitischen Entwicklungen ist es verständ-
lich, dass die Schwerpunktsetzungen auf Mittel- und
Osteuropa, Asien und den Nahen Osten aufrechterhalten
bleiben sollen, um dynamischen Wachstumsregionen
auch kulturpolitisch Rechnung zu tragen. Verstärkte Me-
dien-, Kultur- und Wissenschaftskooperationen sind aber
auch mit reformorientierten afrikanischen Staaten gebo-
ten. Eine Erhöhung der Präsenz der Mittlerorganisatio-
nen halte ich dort für dringend erforderlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Eine besondere kulturelle Herausforderung
ist die Verhinderung von Konflikten. Durch den Aufbau
kulturpolitischer Dialog- und Begegnungsstrukturen,
durch gezielte Förderung des interkulturellen Verständ-
nisses und freiheitlich-moderner Bildungssysteme kann
ein Beitrag geleistet werden, Feindbilder abzubauen,
eine Kultur der Toleranz zu fördern und Fähigkeiten zur
friedlichen Konfliktbearbeitung zu vermitteln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist 30 Jahre her,
dass eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundes-
tages eine Bestandsaufnahme des Politikfeldes auswär-
tige Kulturpolitik vornahm. Meiner Meinung nach und
nach Meinung meiner Fraktion ist es an der Zeit, eine er-
neute umfassende Analyse der Entwicklungen, Heraus-
forderungen und Aufgaben der auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik vorzunehmen. Durch die erneute Einset-
zung einer solchen Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestages nach 30 Jahren könnte die Aufgabe sinn-
voll erfüllt werden.

Herr Präsident, da wir unseren Antrag heute überwei-
sen, würde ich mich freuen, wenn er im Laufe der Aus-
schussberatungen auch die Zustimmung der anderen
Fraktionen finden könnte. Ich freue mich auf eine kon-
struktive Beratung.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/ CSU] und der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611911600

Das Wort hat nun Kollege Peter Gauweiler für die

CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1611911700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten heute nicht nur über eine Große An-
frage, sondern auch über eine große Antwort der Bun-
desregierung. Mit 99 Seiten zu Ihren 165 Fragen hat sie
Dissertationsniveau erreicht. Aber ich kann wirklich nur
jedem Abgeordneten – auch wenn wir uns heute zur aus-
wärtigen Kulturpolitik, was vielleicht sogar angenehmer
ist, traditionsgemäß im kleinen Kreis versammeln –
empfehlen, das durchzulesen. Die Fragen und Antworten
sind ein wirklich gutes Kompendium für die Arbeit die-
ses Hauses.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal eine kompakte Zusammenfassung!)


– Die Zusammenfassung, die Sie, Herr Wieland einfor-
dern, sehe ich darin, zunächst einmal der Kollegin
Dr. Uschi Eid für die Arbeit, die sie geleistet hat, herz-
lich zu danken.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Gauweiler

(Beifall im ganzen Hause)


Sie haben ganz richtig gesagt, dass sich die Große
Koalition rühmt, eine Wende zum Besseren geschafft zu
haben. Die Grünen sind der Meinung, dass dies noch
keine ausreichende Wende ist. Auch das ist richtig. Nach
dem Beitrag der Frau Kollegin Eid und angesichts der
Politik ihrer Fraktion können wir als Erstes feststellen,
dass es eine Wiederentdeckung der auswärtigen Kultur-
politik durch die Grünen gibt. Auch dieses Ergebnis ist
einer Erwähnung wert.

Es ist gut, was wir – ich nenne in diesem Zusammen-
hang Frau Griefahn, Frau Grütters und Frau Jochimsen –
in diesem Bereich in den letzten zwei Jahren fraktions-
übergreifend haben erreichen können. Nehmen Sie nur
den gemeinsamen Antrag von Union und SPD zur Stär-
kung der Goethe-Institute, für die sich, ausgehend von
einer Krise, eine große Chance ergab. Nehmen Sie nur
– das möchte ich hier rühmen, Herr Staatsminister – die
Konferenz des Auswärtigen Amtes „Menschen bewegen –
Kultur und Bildung in der deutschen Außenpolitik“, die
nahezu von allen Feuilletons deutscher Zeitungen als
– diesen Ausdruck habe ich heute gelernt – „Leucht-
feuer“ herausgestellt worden ist.

Auch im finanziellen Bereich hat die Große Koalition
für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Beachtli-
ches geleistet. Zwischen 1998 und 2005 sind die Haus-
haltsmittel für die auswärtige Kulturpolitik massiv ge-
sunken. Im Jahr 2005 gab es den absoluten Tiefpunkt.
Mit einer Steigerung um 3,8 Prozent gegenüber 2006 ha-
ben wir eine Trendwende im jetzigen Haushalt eingelei-
tet. Frau Eid, wenn euch der Fischer jetzt zu sehr plagt,
dann halten Sie ihm einmal entgegen, dass er die Schlie-
ßung von 17 Goethe-Instituten zwischen 1998 und 2002
zu verantworten hat.


(Lothar Mark [SPD]: Sehr richtig!)


Nun gibt es elf Neueröffnungen. Das kann sich doch se-
hen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Auch das ist eine Erwähnung wert: Es gibt wieder ein
großes Interesse an der deutschen Sprache. Das sehen die
offen Linken genauso wie die verschwiegen Rechten po-
sitiv. Die Zahl der ausländischen Studenten in Deutsch-
land ist seit 2004 um 65 Prozent gestiegen. Deutschland
belegt zwischenzeitlich den dritten Platz bei den belieb-
testen Studienstandorten in der Welt.


(Ute Kumpf [SPD]: Wenn wir Studiengebühren einführen, ist es damit gleich vorbei!)


– Dazu melde ich schon einmal einen Redebeitrag für
die nächste Debatte an.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


Natürlich müssen wir uns über die räumlichen Priori-
täten unterhalten und darüber diskutieren, ob man in der
auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Europa ver-
nachlässigen darf. Ich finde es beachtlich, dass in Ihrer
Großen Anfrage die Frage nach den räumlichen Schwer-
punkten – dies ist für Sie intern sicherlich ein unange-
nehmes Thema; das ist bei uns genauso der Fall – ange-
sprochen worden ist. Frau Griefahn, wir waren uns einig,
dass eine Schwerpunktsetzung nicht unmittelbar zulas-
ten Europas – Entschuldigung, dass ich in diesem Zu-
sammenhang immer vom Abendland gesprochen habe –,
unseres kulturellen und wirtschaftlichen Umfeldes, ge-
hen darf.

Wir müssen es als positive Tatsache erwähnen, dass in
der Zwischenzeit in Osteuropa neben dem Englischen
das Deutsche eine Lingua franca geworden ist. Das
Goethe-Institut teilt uns mit, dass in den USA 2,5 Pro-
zent der Menschen deutsch sprechen. In den Staaten der
GUS liegt dieser Anteil bei über 38 Prozent. Das sind
Zahlen, an denen wir nicht einfach vorbeigehen können.
Auch im Sprachlichen gilt: Stammkundschaft geht vor
Laufkundschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


In der Antwort auf die Große Anfrage heißt es, dass
man sich bemühen werde, „das vorhandene Netz euro-
päischer Institutsstandorte zu erhalten“. Damit ich hier
nicht nur Süßholz raspele, möchte ich sagen: „Bemü-
hen“ klingt ein bisschen schwach. Wenn im Zeugnis
steht, er hat sich im Englischen sehr bemüht, dann weiß
die kundige Pädagogin, dass da noch einiges zugelegt
werden könnte.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie kennen sich da anscheinend aus!)


– Danke, Frau Professor.

Ich finde es gut, dass Kulturpolitik zunehmend als In-
strument der Konfliktverhütung verstanden wird,


(Lothar Mark [SPD]: Sehr gut!)


und zwar nicht nur bei der abendlichen Diskussion am
Kamin unter Wohlerzogenen. Ich erinnere mich noch gut
an das, was mir Herr Barenboim auf die Frage „Herr
Professor, was sagen Sie, wenn eingewendet wird, dass
die Idee Ihres israelisch-arabischen Orchesters furchtbar
naiv ist?“ geantwortet hat. Er sagte: „Möglicherweise
stimmt das. Das, was wir machen, ist ziemlich naiv.
Aber zu erwarten, dass sich die Menschen besser vertra-
gen, nachdem man erst ganze Stadtteile der jeweils an-
deren Seite dem Erdboden gleichgemacht hat und da-
nach in die übliche Konferenzdiplomatie eingetreten ist,
halte ich für noch viel naiver.“


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht schaffen wir es ja irgendwann einmal, daraus
Konsequenzen für die praktische Politik zu ziehen.

Wir haben uns nicht ohne Grund schon im letzten Jahr
mit großer Hilfe des Auswärtigen Amtes darum bemüht,
im Libanon mit den Kulturattachés aus allen Ländern
dieser Region, aus Israel ebenso wie aus den arabischen
Ländern, zusammenzutreffen. Herr Präsident, ich habe
mich damals sehr darüber gefreut und war dankbar da-
für, dass uns das Präsidium die Möglichkeit geboten
hatte, eine solche Konferenz in Beirut durchzuführen.
Aus Sicherheitsgründen musste diese Konferenz damals






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Gauweiler
leider kurzfristig abgesagt werden. Wir bemühen uns,
dass, Haushaltsmittel vorausgesetzt, zu einem geeigne-
ten Zeitpunkt, den wir mit dem Präsidium abstimmen
werden, eine solche Konferenz nunmehr in Kairo durch-
geführt wird.

Ich fand das, was Herr Gysi heute zum Thema Birma
gesagt hat, sehr gut. Er hat die Dynamik des kulturellen
Einsatzes aufgezeigt. Wir alle hoffen, dass die Kulturin-
tervention, die von den Mönchen gestartet wurde, erfolg-
reich sein wird. Dieses Beispiel steht für viele. Es be-
steht die Möglichkeit, dass das irgendwann auch in den
Köpfen der Menschen ankommt.

Die Große Anfrage und die Antwort der Bundesregie-
rung sind – ich sage das zum Schluss – ein wertvolles
Fundament, auf dem der Deutsche Bundestag die aus-
wärtige Kulturpolitik, die eine Investition in die Zukunft
ist, entwickeln kann. Dafür möchte ich Ihnen herzlich
danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611911800

Ich erteile das Wort Kollegin Lukrezia Jochimsen,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1611911900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich habe bei diesen vielen Fragen und Antworten
viel gelernt, auch über die Anfänge unserer auswärtigen
Kulturpolitik. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass es
noch 1975 eine große parlamentarische Debatte über die
Neudefinition der auswärtigen Kulturpolitik gegeben
hat. Die Kultur sollte die dritte Säule der Außenpolitik
– so hieß das damals – sein. Nicht nur wirtschaftliche
und politische Interessen Deutschlands sollten nach au-
ßen vertreten werden, sondern gleichberechtigt auch kul-
turelle, und zwar in Form einer friedlichen, partner-
schaftlichen Verständigung mit anderen Ländern,
Völkern und Kulturen.

So weit, so fern; denn mittlerweile stützt sich die
deutsche Außenpolitik auch auf eine – um im Bild zu
bleiben – vierte Säule, die militärische Säule. Damit hat
sich aus meiner Sicht alles grundlegend geändert. An ei-
nem Tag wie heute, an dem wir eine große Debatte über
die Verlängerung des Mandats für den Militäreinsatz in
Afghanistan geführt haben, kann ich nicht über die Neu-
justierung der auswärtigen Kulturpolitik reden, ohne auf
Afghanistan und unsere militärische Außenpolitik einzu-
gehen.

Was bedeutet ein Zuwachs im Etat für auswärtige
Kulturpolitik angesichts der Ausgaben für die militäri-
sche Außenpolitik, die die Regierung der Bevölkerung
aufnötigt? Und vor allem: Was kann unsere auswärtige
Kulturpolitik in einem Land, in dem wir Krieg führen,
leisten? In Afghanistan werden Schulen gebaut, es wird
Unterricht ermöglicht. Das ist gut. Aber unsere Militär-
einsätze und die unserer Verbündeten zerstören Schulen
wieder, und gerade Kinder und Jugendliche werden täg-
lich getötet und verletzt.

Dialogkultur und interkulturelle Verständigung gelten
als Ziele unserer auswärtigen Kultur- und Bildungspoli-
tik. Ich frage Sie: Wie werden diese Ziele heute in
Afghanistan erreicht? Auch soll unsere auswärtige Kul-
turpolitik Kooperationsmöglichkeiten mit Mittlerorgani-
sationen herstellen. Aber haben die Mittlerorganisatio-
nen in Afghanistan uns nicht gerade gebeten, sie im
militärfreien Raum operieren zu lassen, weil sie sonst
um das Leben ihrer Leute und die Akzeptanz ihrer Ar-
beit fürchten müssen?

Was also bewirkt unsere löbliche Investition in aus-
wärtige Kulturpolitik tatsächlich? Zunächst einen schö-
nen Schein, um nicht zu sagen einen Propagandavor-
hang, hinter dem ganz anderen politischen Interessen
nachgegangen wird: unserer Sicherheit – das haben wir
heute Morgen mehrfach gehört – und geopolitischen
Machtstrategien. So werden dann beim zweiten Blick
die Widersprüche deutlich zwischen dem, was wir als
unsere auswärtigen Kulturaufgaben angeben – Verstän-
digung, Verantwortungsethik, Autonomie von Kunst und
Bildung, ja, Verhinderung von Konflikten –, und dem,
was sich tatsächlich abspielt: Krieg.

Die vierte Säule der auswärtigen Politik, die militäri-
sche, muss also weg. Solange sie Stützpfeiler unserer
Außenpolitik ist und bleibt, kann kulturelle Arbeit und
Unterstützung in einem Land wie Afghanistan nicht
wirklich Gutes bewirken und vor allem die militärische
Präsenz nicht rechtfertigen.

Das habe ich in der alten Bundesrepublik gelernt:
Keine Schule, kein Krankenhaus, auch keine Mädchen-
bildung konnte die sowjetische Militärherrschaft recht-
fertigen. Kein Politiker und kein Journalist hat damals
solch einen Zusammenhang hergestellt. Wieso dies 2007
bei uns gang und gäbe ist, ist mir unverständlich. Es
käme einer besonderen Neujustierung der auswärtigen
Kulturpolitik gleich, wenn sich dies ändern würde.

Ja, wir als Fraktion Die Linke sind für eine Neujustie-
rung der auswärtigen Kulturpolitik. Die Idee einer En-
quete-Kommission unterstützen wir auch. Insofern wer-
den wir dem Antrag der Grünen zustimmen. Aber für
uns geht Neujustierung auswärtiger Kulturpolitik mit
dem Verzicht auf militärische Mittel einher.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611912000

Nun hat als letzte Rednerin des heutigen Tages Kolle-

gin Monika Griefahn, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Monika Griefahn (SPD):
Rede ID: ID1611912100

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Uschi Eid, wir diskutieren heute über die
Große Anfrage und über Ihren Antrag. Ich finde das In-
strument der Kleinen und Großen Anfragen prinzipiell
gut, weil damit wichtige Aspekte dargestellt, aktuelle






(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
Daten und auch Verbesserungsmöglichkeiten deutlich
gemacht werden. Aber ich muss sagen: Bei dieser Gro-
ßen Anfrage, auch wenn alle Vorredner sie sehr positiv
bewertet haben, habe ich mich doch manchmal gefragt,
ob das alles wirklich notwendig war, liebe Uschi Eid.
Denn wir haben das Instrument des Unterausschusses
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“, der viele Fra-
gen aufgegriffen und Daten zur Verfügung gestellt hat.
Wir haben den jährlichen Bericht über die auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik, über den wir intensiv dis-
kutiert haben.

Ich finde, wir haben sehr viel auf den Weg gebracht,
sodass diejenigen, die davon betroffen sind, jetzt auch
arbeiten müssen. Als jemand, der sich damit beschäftigt,
wie die Leute die notwendigen Unterlagen zusammen-
tragen müssen, muss ich ehrlich sagen: Manchmal hat es
ein bisschen an Beschäftigungstherapie für unsere Mitt-
lerorganisationen erinnert, die in der Zeit Unterlagen zu-
sammentragen mussten, in der sie eigentlich hätten ar-
beiten müssen, um die Konzepte umzusetzen, die wir
schon beschlossen haben, und zwar einvernehmlich.

Ich hätte mir gewünscht, dass Fragen wie zum Bei-
spiel die, an welchen internationalen und europäischen
Tagungen Mitarbeiter aller Ressorts der Bundesregie-
rung seit 1998 teilgenommen haben, in so einer Auflis-
tung nicht vorkommen. Ich finde die Antwort der Bun-
desregierung auf diese Frage richtig. Sie schreibt: „Die
Bundesregierung führt hierzu keine umfassenden Über-
sichten.“


(Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Banalste, das du bringen kannst!)


Das finde ich wirklich ein bisschen üppig.

Ich muss sagen: Wir arbeiten da immer gut zusam-
men, und vieles ist auf dem Weg; wir müssen es voran-
bringen.

Die erkennbare, in den vergangenen Monaten einge-
leitete beeindruckende Trendwende in der auswärtigen
Kulturpolitik hängt auch mit den handelnden Personen
zusammen. Unser Minister hat sich dafür aktiv einge-
setzt; bei Joschka Fischer habe ich dies manchmal sehr
vermisst. Liebe Uschi Eid, du warst damals auch in der
Regierung und hättest vieles davon auch mit anleiern
können. Es hat mir ein bisschen leidgetan, dass Lothar
Mark und ich, die wir hierfür schon viel früher aktiv wa-
ren, immer gepusht, aber nicht immer entsprechende Re-
sonanz gefunden haben.

Nichtsdestotrotz konnten wir erreichen, dass das
Goethe-Institut als größte Mittlerorganisation bereits in
diesem Jahr gestärkt worden ist und dass mehr Mittel
vorhanden sind. Die Neukonzeption läuft auf Hoch-
touren. Auch für 2008 werden wir weitere Anstrengun-
gen unternehmen und zum Beispiel Projektmittel um
10 Millionen Euro erhöhen. Das sind Gelder, die wirk-
lich vor Ort ankommen.

Angesichts dessen, dass auch Einrichtungen, die uns
beiden wichtig sind, über zu wenig Mittel verfügen
konnten – zum Beispiel das Goethe-Institut in Addis
Abeba, das neben Nairobi das einzige Institut in Mittel-
Ost-Afrika ist, das bislang nur 43 600 Euro Projektmittel
im Jahr zur Verfügung hatte und davon auch noch
Spracharbeit und alle Anschaffungen für die Bibliothek
bezahlt hat –, ist klar, dass zu wenig Geld für die kultu-
rellen Projekte übrig bleibt. Es ist eine gute Sache, dass
diese Einrichtung mehr Geld bekommt, wenn die Pro-
jektmittel für das Goethe-Institut erhöht werden; dafür
haben wir gemeinsam gestritten. Bei der Aufstockung
dieser Mittel liegt der Fokus auf dem neuen Schwer-
punktprojekt: 20 Millionen Euro für die Initiative „Ak-
tion Afrika“ fließen in einen Themenbereich, bei dem
wir die Hilfe von Ihnen, Frau Eid, wirklich brauchen
können, um die Initiative praktisch auszustatten. Mit den
Mitteln werden wir Schüleraustausche, Medienarbeit,
Stipendien, Künstleraustausche und Kulturprojekte
durchführen, um für den Kontinent, der vielleicht ein
Stück zu kurz gekommen ist, tatsächlich etwas auf den
Weg zu bringen.

Einen Aspekt der Großen Anfrage begrüße ich übri-
gens ausdrücklich. Mehrere Fragen zielen auf die Ver-
bindung von auswärtiger Kulturpolitik und Entwick-
lungshilfe ab. Das halte ich für einen sehr wichtigen
Punkt. In der Antwort der Bundesregierung heißt es
dazu:

Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von
Entwicklungsprojekten besteht darin, dass sie mit
den kulturellen Rahmenbedingungen des jeweiligen
Landes kompatibel sind.

Genau diese Verbindung zeigt uns, wie wichtig es
auch für den Erfolg für Entwicklungshilfe ist, dass wir
die Kultur des Gastlandes nicht nur gut kennen, sondern
auch in den kulturellen Dialog eintreten. Die Trennung
von Kulturpolitik und Entwicklungshilfe ist meiner Mei-
nung nach – das sage ich schon seit längerem – nicht
mehr zeitgemäß, gerade in Schwellenländern, wo die In-
strumente der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
und Bildung als solche sowie deren Verknüpfung zen-
trale Punkte sind, um vorankommen. Ich hoffe dabei na-
türlich auf die kompetente Kooperation und Hilfe, die
auch Uschi Eid dabei geben kann, weil sie sich damit
schon immer besonders beschäftigt hat.

Einen Schwerpunkt in der Großen Anfrage bilden
Fragen zum Einsatz von Evaluation. Hier passiert vieles,
und noch mehr ist geplant. Die Budgetierung des
Goethe-Institutes, die ich ebenfalls zusammen mit mei-
nem Kollegen Lothar Mark seit 1998 einzuführen ver-
sucht habe und die endlich 2008 weltweit gelten wird,
bedeutet nicht nur den flexibleren und besseren Einsatz
finanzieller Mittel, sondern eben auch den Einsatz von
Evaluation. Um durch Ergebnisse von Evaluationsmaß-
nahmen die derzeitige Arbeit des Auswärtigen Amtes
und seiner Mittler noch weiter zu optimieren, werden
wir auch 2008 dafür rund 300 000 Euro zusätzlich in den
Haushalt einstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


An dieser Stelle muss ich aber auch dem heute vorlie-
genden Antrag der Grünen in zweierlei Hinsicht wider-
sprechen. Erstens ist von der dort festgestellten Halbher-






(A) (C)



(B) (D)


Monika Griefahn
zigkeit unserer Maßnahmen nun wirklich nichts zu
erkennen, wenn man sieht, dass wir Evaluation durch-
führen. Zweitens bin ich dagegen, dass wir, wie es zur-
zeit Mode zu sein scheint, einem Evaluationswahn ver-
fallen.


(Lothar Mark [SPD]: Sehr richtig!)


Das bringt nichts, kostet viel Geld und hindert an der Ar-
beit, die vor Ort gemacht werden muss. Wenn man im-
mer nur Berichte schreibt, dann kommt man nicht mehr
dazu, die Dinge tatsächlich zu tun.


(Zustimmung bei der SPD)


Ich kann davon ein Lied singen: Ich war Bildungsrefe-
rentin und musste immer irgendwelche Anträge und Be-
richte schreiben, während ich für die Maßnahmen an
sich die wenigste Zeit aufwenden konnte. Das müssen
wir wirklich dringend anders machen.


(Beifall bei der SPD)


Im nächsten Jahr machen wir noch einen wichtigen
Schritt, auf den ich zum Schluss eingehe. Das ist die
Schulinitiative, für die wir 2008 zusätzliche 41,5 Millio-
nen Euro aufbringen wollen; damit wollen wir das Netz
der deutschen Schulen im Ausland verstärken und aus-
bauen. Das ist wichtig – Herr Gauweiler hat darauf auf-
merksam gemacht –, denn in den letzten Jahren ist im-
mer klarer geworden, welch großen Beitrag Bildung für
die Entwicklung eines Landes und dessen Kultur leistet,
aber auch, welche Anbindung die deutsche Sprache da-
bei bietet. Ich werde mir wirklich merken, wie Sie das so
schön gesagt haben: Stammkundschaft vor Laufkund-
schaft. Das ist ganz richtig.

In den kommenden Jahren wollen wir das Schulnetz
auf 1 000 Partnerschulen ausbauen, insbesondere in der
Region Asien, aber auch im Nahen und Mittleren Osten
sowie in Mittel- und Osteuropa; denn dort sind wir nicht
hinreichend präsent. Das bedeutet nicht, dass wir überall
neue Schulen bauen müssen. Stattdessen können wir
auch an qualifizierten Schulen des Gastlandes die Ange-
bote, Deutsch als Fremdsprache zu erlernen, ausbauen
und so eine Antwort auf die starke Nachfrage gerade in
Asien und Osteuropa geben.


(Beifall bei der SPD)


Ich erlebe auf internationalen Konferenzen immer
wieder, dass wir gebeten werden, dafür zu sorgen, dass
auf diesen Konferenzen auch auf Deutsch übersetzt
wird. Denn viele unserer Kollegen, zum Beispiel solche
aus Osteuropa, können eher Deutsch als Englisch.


(Lothar Mark [SPD]: Das ist gut so!)


Wenn die Konferenzsprache nur Englisch oder Franzö-
sisch ist, können sie nicht folgen. Hier haben wir, wie ich
glaube, eine Verantwortung. Wir müssen deutlich ma-
chen, dass Deutsch in der EU und auf vielen internatio-
nalen Konferenzen eine Amtssprache ist. Weil wir aber
immer klaglos hinnehmen, dass Englisch oder Franzö-
sisch geredet wird, tragen wir mit dazu bei, dass unsere
osteuropäischen Kollegen häufig nicht mitreden können.
Das finde ich nicht gut.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist die Schularbeit;
das wird mir immer wieder deutlich. Im Moment feiern
mehrere Schulen auf der ganzen Welt größere Jubiläen.
So feiert zum Beispiel die Deutsche Schule Montevideo
gerade ihr 150-jähriges Jubiläum. Die Anbindung Uru-
guays an Deutschland ist enorm. Viele Leute in diesem
Land, auch viele Entscheidungsträger, haben diese
Schule durchlaufen. Sie gilt als eine der besten Schulen
in Montevideo, und viele Leute gehen zum Studieren
dorthin. Ich glaube, dass unsere Anbindung an derartige
Länder sehr wichtig ist. Wir müssen sie ausbauen. Das
ist im Rahmen der Schulinitiative, die die Koalition mit
einem eigenen Antrag, den sie in den nächsten Wochen
einbringt, parlamentarisch begleiten wird, ein sehr wich-
tiger Punkt.

Wie Sie sehen, ist in der auswärtigen Kulturpolitik
eine ganze Menge im Fluss. Wir haben viel vor. Es
kommt auf die Taten an. Ich wünsche mir, dass wir über
unsere Taten diskutieren und konkrete Anträge stellen,
um das Außenministerium in seinen Aktivitäten zu un-
terstützen. Auf die Auswertung von Berichten sollten
wir nicht so viel Wert legen. Mehr Wert sollten wir da-
rauf legen, dass etwas getan wird. Ich hoffe, dass wir in
diesem Sinne im Ausschuss weiterhin aktiv kooperieren.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1611912200

Der Kollege Harald Leibrecht von der FDP-Fraktion

hat seine Rede zu Protokoll gegeben. Ich schließe damit
die Aussprache.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6604 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung verein-
bart, dass in der kommenden Sitzungswoche keine Be-
fragung der Bundesregierung und am Donnerstag keine
Aktuelle Stunde stattfinden soll. Sind Sie damit einver-
standen? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch
das so beschlossen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 24. Oktober 2007, 13 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.