1) Anlage 13
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12417
(A) (C)
(B) (D)
ist und der zivile Aufbau verstärkt wird, kann ich mir
eine Zustimmung zu dem notwendigen, aber so, wie von
Toncar, Florian FDP 12.10.2007
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 12.10.2007
von Bismarck, Carl-
Eduard
CDU/CSU 12.10.2007
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
12.10.2007
Dött, Marie-Luise CDU/CSU 12.10.2007
Dr. Faust, Hans
Georg
CDU/CSU 12.10.2007
Dr. Happach-Kasan,
Christel
FDP 12.10.2007
Hüppe, Hubert CDU/CSU 12.10.2007
Dr. Jordan, Hans-
Heinrich
CDU/CSU 12.10.2007
Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 12.10.2007
Lafontaine, Oskar DIE LINKE 12.10.2007
Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 12.10.2007
Lopez, Helga SPD 12.10.2007
Merten, Ulrike SPD 12.10.2007
Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 12.10.2007
Nitzsche, Henry fraktionslos 12.10.2007
Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 12.10.2007
Rupprecht
(Tuchenbach),
Marlene
SPD 12.10.2007
Schneider (Erfurt),
Carsten
SPD 12.10.2007
Dr. Schwall-Düren,
Angelica
SPD 12.10.2007
Strothmann, Lena CDU/CSU 12.10.2007
Thiele, Carl-Ludwig FDP 12.10.2007
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung und den Bericht zu dem
Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna-
tional Security Assistance Force, ISAF) unter
Führung der NATO auf Grundlage der Resolu-
tionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001,
1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom
27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto-
ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004,
1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707
(2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007)
vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27)
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Einen zivilen Aufbau in Afghanistan kann es gegenwär-
tig ohne eine militärische Absicherung durch ISAF nicht
geben. Ich stimme dennoch dem Antrag der Bundes-
regierung nicht zu, da das, was Deutschland und die in-
ternationale Staatengemeinschaft in Afghanistan ma-
chen, weder militärisch, polizeilich noch zivil ausreicht,
um das Land zu stabilisieren und zu befrieden. Ein mili-
tärischer Rückzug ist erst dann vertretbar, wenn afghani-
sche Sicherheitskräfte, Polizei und Militär, die Sicher-
heit im Land allein herstellen können und wollen.
Allerdings ist eine Entsendung von Soldaten auch nur
dann für einen Parlamentarier vertretbar, wenn die zivi-
len und militärischen Komponenten so angelegt sind,
das der Einsatz erfolgreich sein kann. Wenn man dazu
politisch nicht in der Lage ist, kann man auch nicht von
den Soldaten verlangen, dass sie ihr Leben in diesem ge-
fährlichen Einsatz gefährden.
Die internationale Staatengemeinschaft muss ihre zi-
vilen und militärischen Anstrengungen verstärken und
einen Strategiewechsel einleiten: Der Krieg gegen den
Terror durch OEF muss beendet werden. Die Taliban-
ökonomie des Drogenhandels muss durch Aufkaufen der
Mohnernte und der Entwicklung von Alternativen zer-
schlagen werden. Der zivile Aufbau muss erheblich ver-
stärkt werden. Dem Aufbau einer gut ausgebildeten und
anständig bezahlten Polizei kommt dabei eine Schlüssel-
rolle zu. Der Einsatz der Tornados ist vor dem Hinter-
grund der Defizite bei der Unterstützung des zivilen
Aufbaus mindestens die falsche Prioritätensetzung.
Ohne eine Lösung der Probleme an der pakistanisch-af-
ghanischen Grenze ist eine militärische Stabilisierung im
Osten und Süden des Landes nicht möglich.
Erst wenn der überfällige Strategiewechsel sichtbar
12418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
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der Regierung vorgelegt, nicht hinreichenden ISAF-
Mandat vorstellen.
Dr. Axel Berg (SPD): Die Entscheidung, die Man-
datsverlängerungen der Internationalen Sicherheitsbei-
standtruppe, ISAF, und der Entsendung von RECCE-
Tornados gemeinsam abstimmen zu lassen, bringt mich
in ein Dilemma, da ich bisher allen ISAF-Einsätzen gu-
ten Gewissens zugestimmt habe, die Entsendung von
RECCE-Tornados aber für falsch und gefährlich halte
und dementsprechend meine Stimme verweigert habe.
Ich halte den Einsatz von ISAF nach wie vor für
wichtig und richtig. Die ISAF soll eine friedliche, politi-
sche Entwicklung Afghanistans gewährleisten und die
Regierung Afghanistans bei ihrer Aufgabe, für Sicher-
heit, Recht und Ordnung im ganzen Land zu sorgen, un-
terstützen. Auch beim Wiederaufbau Afghanistans hat
ISAF Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche
Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu ei-
ner Stabilisierung des Nordens Afghanistans beigetra-
gen.
Dabei muss ISAF klar abgegrenzt werden von der
„Operation Enduring Freedom“, OEF, die die Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. So
hat der Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz
Afghanistan meine Befürchtungen vom Frühjahr leider
bestätigt. Er hat zu erheblichen Unscharfen bei der Auf-
gabenteilung von ISAF und OEF geführt.
Ich sehe meine Zweifel von damals, dass es gelingen
wird, die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsicht-
lich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – de-
tailliert zu trennen und dies auch der Bevölkerung zu
vermitteln, bestätigt. Es scheint, dass Widerstandsgrup-
pen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht
nachvollziehen und die deutschen Tornados als Flug-
zeuge im Kampfeinsatz bzw. zur Vorbereitung von
Kampfeinsätzen bewerten.
Durch den doppelten Verwendungszweck, Dual Use,
der RECCE-Tornados, können sowohl die ISAF- als
auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unter-
stützt werden. Es geht also weder nur um Schutz noch
nur um Kampf, sondern sowohl um Stabilisierungs- als
auch um Kampfunterstützung.
Zusätzlich sehe ich auch meine Zweifel an der Pro-
blematik des Nutzens der Tornados im Sinne ihrer Auf-
gabenbestimmung bei weitem nicht ausgeräumt, denn
auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das
hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend reduzieren,
da Kombattanten und Zivilbevölkerung angesichts lan-
desüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum zu unter-
scheiden sind. Da im Süden Afghanistans vorrangig die
Strategie verfolgt wird, die Aufständischen zu bekämp-
fen, werden nicht nur eigene Soldaten einem erhöhten
Risiko ausgesetzt, sondern es wird auch die Zivilbevöl-
kerung massiv in Mitleidenschaft gezogen und Nothilfe
und Aufbau werden vernachlässigt.
Der Einsatz deutscher Tornados ist für mich damit
kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan.
Die Tornado-Entsendung hat Afghanistan insgesamt
deshalb nicht sicherer gemacht: Das durch Widerstands-
aktivitäten verunsicherte Gebiet Afghanistans hat sich
nach übereinstimmenden Erkenntnissen der UNO und
anderer namhafter Organisationer – Senlis Council,
Großbritannien – von der Hälfte auf etwa zwei Drittel
des afghanischen Staatsgebiets vergrößert. Der jüngste
Anschlag auf BKA-Mitarbeiter in Kabul kann als Zei-
chen dafür gewertet werden, dass die Tornado-Entsen-
dung den Hass des Widerstandes nun auch auf das deut-
sche Personal in Afghanistan gelenkt hat.
In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch
das Positionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik
deutscher Nichtorganisationen e.V. – VENRQ –, in dem
auch eine zunehmende Vermischung der Aktivitäten von
OEF und ISAF beklagt wird, die zunehmend zum Ver-
trauensverlust in der afghanischen Bevölkerung führt.
Ich teile die Meinung von VENRO, in dem u. a. die in
Afghanistan hervorragende Hilfe leistenden Organisatio-
nen Caritas International, Deutsche Welthungerhilfe,
Malteser International, medico international, medico
mondale, Misereor und Afghanistan-Schulen Mitglied
sind, dass die internationale Hilfe und Unterstützung bei
der Friedenssicherung nur gelingen kann, wenn parallel
zum Staatsaufbau, „State-building“, auch der zivilgesell-
schaftliche Aufbau vorangetrieben wird.
Deshalb unterstütze ich ausdrücklich die Forderung,
dass eine Abkehr vom Primat des Militärischen hin zu
einer weiteren Stärkung der Zivilgesellschaft und einer
konsequenten Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbau-
hilfe sich auch in der Bereitstellung von Finanzmitteln
widerspiegeln muss: Gegenwärtig werden aus dem Bun-
deshaushalt pro Jahr mehr als 530 Millionen Euro für
den Militäreinsatz inklusive des Tornado-Einsatzes aus-
gegeben. Für den zivilen Aufbau stehen dagegen im Jahr
2007 lediglich 100 Millionen Euro zur Verfügung, ab
2008 sind 125 Millionen Euro vorgesehen. Dieses Miss-
verhältnis von Ausgaben für militärische und zivile
Zwecke muss zumindest in ein ausgewogenes Verhältnis
gebracht, das heißt, es müssen deutlich mehr Finanzmit-
tel für den zivilen Aufbau zur Verfügung gestellt wer-
den.
Ich fordere meine Kollegen im Haushaltsausschuss
bzw. die Kollegen im Verteidigungsausschuss, im Aus-
wärtigen Ausschuss und im Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit dazu auf, die Bedenken und Wünsche
der in Afghanistan tätigen Nichtregierungsorganisationen
ernst zu nehmen und die Mittel für den zivilen Aufbau
signifikant zu erhöhen.
Aus diesen Gründen kann ich weder den weiterhin
dringend notwendigen Einsatz der ISAF ablehnen noch
dem Einsatz von RECCE-Tornados zustimmen und
muss mich leider der Stimme enthalten.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich
stimme dem Antrag nicht zu, da ich ihn verfassungs-
rechtlich für fragwürdig, ethisch für nicht gerechtfertigt
und politisch für falsch halte. Diese Auffassung habe ich
bereits in den vergangenen sechs Jahren vertreten und
fühle mich durch die zunehmende Radikalisierung in
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diesem Land darin bestärkt. Die Absicht Südkoreas, die
eignen Truppen abzuziehen, die deutlichen Überlegun-
gen Kanadas einen ähnlichen Schritt vorzunehmen und
die aktuelle Diskussion in den Niederlanden belegen,
dass es sehr wohl auch internationale ernstzunehmende
Ansätze gibt, einen stufenweisen Rückzug vorzuneh-
men. Es geht darum, eine Befriedung in diesem Land zu
erreichen und die Gefahren durch den Terrorismus zu
minimieren. Dazu bedarf es politischer, nicht militäri-
scher Lösungen.
Martin Burkert (SPD): Die Entscheidung, die Man-
datsverlängerungen der Internationalen Sicherheitsbei-
standstruppe (ISAF) und der Entsendung von RECCE-
Tornados gemeinsam abstimmen zu lassen, bringt mich
in eine Hopp- oder Topp-Situation. Dem ISAF-Einsatz
hätte ich guten Gewissens zugestimmt. Die Entsendung
von RECCE-Tornados hatte ich aber für falsch und ge-
fährlich gehalten und habe dementsprechend meine
Stimme verweigert.
Ich halte den Einsatz von ISAF für wichtig und rich-
tig. Die ISAF soll eine friedliche politische Entwicklung
Afghanistans gewährleisten und die Regierung Afgha-
nistans bei ihrer Aufgabe, für Sicherheit, Recht und Ord-
nung im ganzen Land zu sorgen, unterstützen. Auch
beim Wiederaufbau Afghanistans hat ISAF Erfolge vor-
zuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in
ihrem Verantwortungsbereich zu einer Stabilisierung des
Nordens Afghanistans beigetragen.
Dabei muss ISAF klar abgegrenzt werden von der
Operation „Enduring Freedom“ (OEF), die die Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. So
hat der Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz
Afghanistan meine Befürchtungen vom Frühjahr leider
bestätigt. Er hat zu erheblichen Unschärfen bei der Auf-
gabenteilung von ISAF und OEF geführt. Ich sehe meine
Zweifel von damals, dass es gelingen wird, die Einsatz-
bedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusam-
menarbeit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu tren-
nen und dies auch der Bevölkerung zu vermitteln,
bestätigt. Es scheint, dass Widerstandsgruppen in Afgha-
nistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen
und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfein-
satz bzw. zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen bewer-
ten. Durch den doppelten Verwendungszweck (dual use)
der RECCE-Tornados, können sowohl die ISAF- als
auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unter-
stützt werden. Es geht also weder nur um Schutz noch
nur um Kampf, sondern sowohl um Stabilisierungs- als
auch um Kampfunterstützung.
Zusätzlich sehe ich auch meine Zweifel an der Pro-
blematik des Nutzens der Tornados im Sinne ihrer Auf-
gabenbestimmung bei weitem nicht ausgeräumt, denn
auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das
hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend reduzieren,
da Kombattanten und Zivilbevölkerung angesichts lan-
desüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum zu unter-
scheiden sind. Da im Süden Afghanistans vorrangig die
Strategie verfolgt wird, die Aufständischen zu bekämp-
fen, werden nicht nur eigene Soldaten einem erhöhten
Risiko ausgesetzt, sondern auch die Zivilbevölkerung
massiv in Mitleidenschaft gezogen und Nothilfe und
Aufbau vernachlässigt.
Der Einsatz deutscher Tornados ist für mich damit
kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan.
Die Tornado-Entsendung hat Afghanistan insgesamt
deshalb nicht sicherer gemacht: Das durch Widerstands-
aktivitäten verunsicherte Gebiet Afghanistans hat sich
nach übereinstimmenden Erkenntnissen der UNO und
anderer namhafter Organisationen – Senlis Council,
Großbritannien – von der Hälfte auf etwa zwei Drittel
des afghanischen Staatsgebiets vergrößert. Der jüngste
Anschlag auf BKA-Mitarbeiter in Kabul kann als Zei-
chen dafür gewertet werden, dass die Tornado-Entsen-
dung den Hass des Widerstandes nun auch auf das deut-
sche Personal in Afghanistan gelenkt hat. In dieser
Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch das Posi-
tionspapier des Verbandes Entwicklungspolitik deut-
scher Nichtorganisationen e. V. (VENRO), in dem auch
eine zunehmende Vermischung der Aktivitäten von OEF
und ISAF beklagt wird, die zunehmend zum Vertrauens-
verlust in der afghanischen Bevölkerung führt.
Hinterfragen muss man auch, warum überhaupt noch
Tornados gebraucht werden, wenn die USA mittlerweile
auch schon mit Flugzeugen eigene Aufklärungsflüge
durchführt und damit auf eigenes Datenmaterial zurück-
greifen kann.
Aus diesen Gründen kann ich weder den weiterhin
dringend notwendigen Einsatz der ISAF ablehnen noch
dem Einsatz von RECCE-Tornados zustimmen und
muss mich leider der Stimme enthalten.
Elke Ferner (SPD): Ich stimme mit dem Antrag der
Bundesregierung überein, dass ISAF für die Herstellung
von Frieden und Sicherheit in Afghanistan einen essen-
ziellen Beitrag leistet und stimme deshalb der Verlänge-
rung des Einsatzes der deutschen ISAF-Kräfte zu. Bei
der Abstimmung über den Einsatz deutscher RECCE-
Tornados hatte ich mich im März 2007 der Stimme ent-
halten, weil ich – wie noch heute – darin eine Gefähr-
dung des ISAF-Einsatzes und der Arbeit der NGOs sehe.
Die Zusammenfassung des ISAF- und des Tornado-
Mandates im heute vorliegenden Antrag ist der Grund
für meine heutige persönliche Erklärung.
Ich stimme dem Antrag zu, weil unsere Bundeswehr
unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz arbei-
tenden NGOs eine sehr gute und für die Stabilisierung
Afghanistans unverzichtbare Arbeit leisten. Ich begrüße
das bisherige Engagement der Bundesregierung in die-
sem Bereich, aber es muss deutlich ausgeweitet werden.
Das Hauptziel muss es sein, staatliche Strukturen weiter
aufzubauen und die Armut zu verringern.
Viele Erfolge – zum Beispiel im Bereich der Mäd-
chenbildung oder der Verbesserung der Infrastruktur –
sind durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in
den meisten Provinzen Afghanistans gefährdet. Die Re-
gierung Karzai wird zudem in weiten Teilen des Landes
nicht wahrgenommen. Kaum jemand weiß über seine
verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verabschie-
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dung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbeitung
von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde und
die Verstrickung der Regierung und des Parlamentes in
Drogengeschäfte nehmen beiden Institutionen zusätzlich
Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist die afghanische Be-
völkerung zunehmend frustriert über das Tempo, in dem
die Verbesserungen für sie persönlich greifbar werden.
Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem,
dass immer noch moderne staatliche Institutionen auch
auf den unteren Provinz- und Distriktebenen fehlen oder
nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden
noch eine Demokratisierung oder eine stabile wirtschaft-
liche Entwicklung des Landes möglich. Dieses fehlende
staatliche Gewaltmonopol kann nicht durch die simple
Einrichtung entsprechender Institutionen und auch nicht
durch militärische Gewalt hergestellt werden. Es fehlen
demokratische Rechts- und Gerechtigkeitskonzeptionen
sowie institutionalisierte, als legitim verstandene Kon-
fliktaustragungsmechanismen. In diesem Punkt mangelt
es im gesamten internationalen Engagement noch.
Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt wer-
den, dass er die Lebenssituation der Afghanen und
Afghaninnen tatsächlich verbessern kann, in dem er Si-
cherheit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als
Dienstleistungserbringer – Bildung, Infrastruktur, Ge-
sundheitsversorgung, soziale Absicherung – funktio-
niert.
Deshalb stimme ich dem vorliegenden Antrag auch in
der Absicht zu, die Bundesregierung, die in ihrem aktua-
lisierten Papier zur Afghanistan-Strategie geschilderten
Vorhaben auch den zivilen Wiederaufbau stärken will, in
der Umsetzung dieses Papiers zu unterstützen. Ich ver-
weise in diesem Zusammenhang auch auf das Positions-
papier des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher
Nichtregierungsorganisationen e.V. vom 8. Oktober 2007.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass insbeson-
dere menschenrechtliche Aspekte künftig noch stärker
– zum Beispiel in die Formulierung der Mandatsverlän-
gerungen betreffenden Anträge – Eingang finden. Die
mit der Vollstreckung von 15 Todesurteilen vollzogene
Abkehr Präsident Karzais von dem unterzeichneten Mo-
ratorium zur Todesstrafe ist nicht hinnehmbar.
Fest steht für mich: Eine Politik gegen die zivile af-
ghanische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen.
Die Strategie der Vermeidung sogenannter Kollate-
ralschäden muss künftig Teil jedes Mandates sein. Die
Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss auch für
die afghanische Bevölkerung erkennbar sein. Ihr fällt es
zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate und ihre
Aktionen auseinander zu halten.
Ich bleibe bei meiner Einschätzung des Tornado-Man-
dates vom 5. März 2007: Ich bezweifle nach wie vor,
dass die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsichtlich
der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – detail-
liert geregelt werden können. Ich befürchte nach wie
vor, dass aufgrund dieses Einsatzes deutsche Soldaten
für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden
könnten, auf deren Planung und Durchführung sie kei-
nerlei Einfluss haben. Ich sehe die Gefahr, dass der Tor-
nado-Einsatz die Lage in Afghanistan eher destabilisiert
als stabilisiert und damit die gute Arbeit deutscher
Hilfsorganisationen gefährdet. Ich hoffe, dass ich mit
dieser Einschätzung nicht Recht habe.
In Abwägung beider Sichtweisen stimme ich heute je-
doch dem ISAF-Mandat und damit dem gesamten An-
trag zu.
Joachim Günther (Plauen) (FDP): Der geplanten
Mandatsverlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in
Afghanistan werde ich nicht zustimmen.
Der Bundesregierung fehlt in Afghanistan ein schlüs-
siges Konzept. Auch die Entsendung der Tornados nach
Afghanistan hat nicht zu mehr Sicherheit und Stabilität
beigetragen. Die Regierung Karzai beklagt zu Recht die
hohe Zahl von Zivilisten, die bei den NATO-Luftangrif-
fen getötet wurden. Dieses hat sicherlich mit dazu bei-
getragen, dass die gezielten Anschläge gegen deutsche
Soldaten bzw. Einheiten zugenommen haben.
Zudem hat selbst die Bundeskanzlerin noch im No-
vember 2006 im Deutschen Bundestag erklärt, dass ein
Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan
nicht infrage komme. Dennoch werden die Tornados
auch im Süden des Landes eingesetzt.
Gleichzeitig werden die Zustände in Afghanistan im-
mer besorgniserregender. Trotz des ISAF-Einsatzes be-
finden sich Teile des Landes im Kriegszustand. Ebenso
haben die Anschläge im gesamten Land sehr stark zuge-
nommen. Auch bei der Reduzierung des Drogenanbaus
konnten bisher keine überzeugenden und nachhaltigen
Erfolge erzielt werden; im Gegenteil, der Anbau hat sich
im Süden des Landes stark ausgeweitet.
Die internationale Gemeinschaft hat daher bisher kei-
nes ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fragen lassen,
ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind, die Stabili-
sierung und Demokratisierung in der Zukunft zu errei-
chen. Der Krieg in Vietnam hat uns gelehrt, dass selbst
ein massiver Einsatz von Soldaten und Material nicht
zum Erfolg führen muss. Weiterhin besteht für mich ein
eklatantes Missverhältnis zwischen dem Einsatz für
militärische Ausgaben und den Ausgaben für den Wie-
deraufbau. Die hohen finanziellen Mittel für den militä-
rischen Einsatz sollten gezielt für Entwicklungshilfepro-
jekte eingesetzt werden.
Derzeit ist nicht einmal die Chance eines Endes des
Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zu-
stands der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegen-
wärtigen Bedingungen in Sicht. Ich halte deshalb einen
stufenweisen Rückzug der Truppenstärke in Afghanistan
für geboten.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Bundesregierung hat einen Antrag zur Fortsetzung
des ISAF-Einsatzes in Afghanistan in den Deutschen
Bundestag eingebracht, über den das Parlament heute zu
entscheiden hat. Hier geht es für jede und jeden von uns
Abgeordneten darum, die Entscheidung zur Entsendung
deutscher Soldatinnen und Soldaten auf der Grundlage
einer sorgfältigen Abwägung über die Erfolgsaussichten
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12421
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(B) (D)
und Risiken eines solchen Einsatzes und deren Einbet-
tung in eine Gesamtstrategie zu treffen.
Ich unterstütze ausdrücklich die Stabilisierung Afgha-
nistans, weil ein Scheitern der internationalen Gemein-
schaft für die Menschen in Afghanistan und die interna-
tionale Gemeinschaft fatal wäre. In den zurückliegenden
Jahren haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
auch ich persönlich nach sorgfältiger Prüfung den An-
trägen der Bundesregierung zur Beteiligung an ISAF
zugestimmt und die deutsche zivile und militärische Be-
teiligung am internationalen Afghanistan-Engagement
intensiv begleitet. Die internationale Staatengemein-
schaft hat in ihren Bemühungen um eine Stabilisierung
und den Wiederaufbau Afghanistans viel erreicht. Der
im Jahre 2005 in der Eröffnung des afghanischen Parla-
ments abgeschlossene Petersberg-Prozess hat die wich-
tigsten Institutionen und Grundlagen für das politische
System und die gesellschaftliche Entwicklung Afghanis-
tans geschaffen. Allerdings sind diese neuen Funda-
mente noch nicht tragfähig. Afghanistan befindet sich in
einer schwierigen Phase. Deshalb verbietet sich auch ein
„Raus aus Afghanistan“. Ich habe von Anfang an den
Einsatz des zivilen Wiederaufbaus mit militärischer Ab-
sicherung unterstützt und bejaht. Die von den Vereinten
Nationen mandatierte ISAF-Schutztruppe bleibt für die
Absicherung des Aufbaus in Afghanistan weiterhin not-
wendig und unverzichtbar. Allerdings lässt die Bundesre-
gierung nicht erkennen, dass sie zu einem von Bündnis 90/
Die Grünen und mir eingeforderten Strategiewechsel be-
reit ist. Ein solcher dringend notwendiger Strategiewech-
sel muss die zentralen zivilen Komponenten von ISAF
stärken, eine Beendigung von OEF forcieren und auch
gegenüber den Partnern für eine Verstärkung der Bemü-
hungen eintreten. Ein Strategiewechsel und eine Forcie-
rung der Anstrengungen der internationalen Gemein-
schaft und der Bundesrepublik sind unbedingt
notwendig.
Sosehr ich einerseits von der Notwendigkeit einer
weiteren ISAF-Beteiligung überzeugt bin, so sehr bin
ich gleichzeitig besorgt über die halbherzige Politik der
Bundesregierung. Deshalb werde ich dem Antrag der
Bundesregierung in diesem Jahr nicht zustimmen, aber
auch bei diesem Mandat nicht mit Nein stimmen – und
mich enthalten.
Iris Hoffmann (Wismar) (SPD): Ich unterstütze und
befürworte ausdrücklich das deutsche Engagement für
den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans.
Die Bundeswehr leistet dabei im Rahmen von ISAF ei-
nen wichtigen und hervorragenden Beitrag zur Absiche-
rung des zivilen Wiederaufbauprozesses.
Die Bemühungen der vergangenen Jahre zeigen in
verschiedenen Bereichen erste Erfolge. So gehen inzwi-
schen mehr als sechs Millionen Kinder wieder zur
Schule, so viele wie noch nie in der Geschichte Afgha-
nistans. Für sie wurden 3 500 neue Schulen gebaut.
Hiervon profitieren insbesondere Mädchen, denn ihnen
war während der Herrschaft der Taliban der Zugang zu
Bildung verwehrt.
Auch in Bereichen der Infrastruktur, der medizini-
schen Versorgung, des Polizeiaufbaus und der wirt-
schaftlichen Entwicklung gibt es Fortschritte. Die afgha-
nische Wirtschaft wuchs 2005 um 14 Prozent und
Experten prognostizieren für die kommenden Jahre ein
Wachstum von rund zehn Prozent.
Diese positiven Entwicklungen können jedoch nicht
verhehlen, dass sich die Sicherheitslage vor allem im
Süden des Landes in den letzten zwei Jahren wieder
deutlich verschlechtert hat. Armut und Gewalt nehmen
vor allem in den ländlichen Gebieten zu, die bisher kaum
bis gar nicht von den Fortschritten im Land profitiert ha-
ben. Hier gilt es, die entwicklungspolitischen Aktivitäten
möglichst bald auf die ländlichen Regionen auszuwei-
ten, um dem weiteren Erstarken der Taliban und War-
lords vorzubeugen.
Sehr kritisch sehe ich immer noch den Einsatz der
deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge. Unabhängig
von der Frage, ob und wie die durch diese Einsätze ge-
wonnenen Erkenntnisse verwendet bzw. weitergegeben
werden, habe ich immer noch die Befürchtung, dass sie
die zumindest in Teilen Afghanistans erreichte Stabili-
sierung und damit auch die Sicherheit unserer Soldaten
gefährden könnten. Soldaten berichten, dass sich durch
die Einsätze bei der afghanischen Bevölkerung der Ein-
druck einer deutschen „Kriegsbeteiligung“ verstärke und
immer weniger zwischen den deutschen Truppen und
zum Beispiel denen der Amerikaner unterschieden
werde.
Auch wenn ich den Einsatz der Tornados weiterhin
für falsch halte, ist letztendlich das Engagement der
Bundeswehr im Rahmen von ISAF alternativlos, denn
eine Stabilisierung des Landes ist die Voraussetzung für
eine friedliche Entwicklung und den zivilen Wiederauf-
bau der Region.
Ich habe mich deshalb entschieden, einer Verlänge-
rung des Mandats heute zuzustimmen.
Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Ich stimme für die Fort-
setzung der Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz der
ISAF unter Führung der NATO, da eine Beendigung der
deutschen Beteiligung ein falsches Zeichen sowohl ge-
genüber der afghanischen Bevölkerung als auch gegen-
über unseren Verbündeten wäre. Einem Ausscheiden
Deutschlands würden mit großer Wahrscheinlichkeit
weitere Bündnispartner folgen. Als der Deutsche Bun-
destag einer Beteiligung der Bundeswehr am ISAF-
Einsatz zustimmte, hat er auch gleichzeitig eine Verant-
wortung für das Land Afghanistan und sein Volk über-
nommen. Sich jetzt aus Afghanistan herauszuziehen,
hieße, die dortige Bevölkerung dem Chaos und dem Ter-
ror der Taliban oder selbst ernannter Warlords preiszu-
geben. Sämtliche Bestrebungen, eine Demokratie in Af-
ghanistan zu etablieren, wären damit obsolet.
Vor diesem Hintergrund gibt es keine andere Mög-
lichkeit, als den Weg fortzusetzen, den wir begonnen ha-
ben. Dies soll aber keineswegs darüber hinwegtäuschen,
dass ich die momentane Afghanistan-Strategie der Bun-
desregierung für unzureichend halte, vor allem in Hin-
12422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
blick auf eine langfristige Lösung des Afghanistan-Kon-
flikts. Aus dem einst zeitlich begrenzten Einsatz ist
längst ein langjähriges und teilweise leidvolles Mandat
geworden.
Hierbei sei nochmals besonders an die bis jetzt 21 in
Afghanistan getöteten deutschen Soldaten erinnert.
Diese bittere Wahrheit gilt es auch gegenüber unserem
eigenen Volk einzugestehen. Daher muss endlich ein
Konzept für einen Ausstieg der Bundeswehr aus dem
Afghanistan-Einsatz erstellt werden, das jedoch keine
Gefahr für die innere Sicherheit Afghanistans darstellt.
Deutsche Streitkräfte können und dürfen nicht zu einer
dauerhaften Protektoratsmacht am Hindukusch werden.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die in Afghanistan tätigen Entwicklungshilfeorganisa-
tionen fordern einen Kurswechsel für den Afghanistan-
Einsatz der Weltgemeinschaft. Sie fordern den Stopp
von OEF und eine andere Ausrichtung des ISAF-Man-
dats. Sie greifen insbesondere ein Kernstück des deut-
schen Einsatzes, die PRTs, die Provincial Reconstruction
Teams, an. Sie halten die Vermischung von militärischer
und ziviler Arbeit für gefährlich. Die Grüne Fraktion
fordert seit längerem einen Strategiewechsel ein. Die
Bundesregierung verharmlost weiter die kritische Ent-
wicklung, dies wird deutlich aus den Antworten auf un-
sere Große Anfrage zur Afghanistan-Politik. Die Bun-
desregierung denkt überhaupt nicht daran, ihren Kurs zu
ändern: Sie hält am OEF-Einsatz weiter fest, sie befür-
wortet die Tornados und ändert die Relation – circa
500 Millionen Euro für das Militär und nur 125 Millio-
nen Euro für den zivilen Aufbau – nicht. Die Mittel für
den Aufbau der afghanischen Polizei – dafür ist
Deutschland federführend verantwortlich – sind völlig
unzureichend. In der Regel sind deutlich unter Hundert
Polizisten in der Ausbildung tätig. Die Frustration und
Enttäuschung in der Bevölkerung nehmen dabei weiter
zu, wobei man sich dabei der großen regionalen Unter-
schiede bewusst sein muss.
Inzwischen wird im Süden und Osten Afghanistans
das Militär des ISAF-Einsatzes – der war eigentlich an-
ders als der von „Enduring Freedom“ nicht auf Kriegs-
führung ausgerichtet, sondern auf Schutz und Unterstüt-
zung der Aufbau- und Entwicklungsarbeit – immer mehr
für den Aufgabenbereich von „Enduring Freedom“ ein-
gesetzt. Die Unterscheidung der Einsätze dort von ISAF
und „Enduring Freedom“ wird immer weniger möglich.
Die Zeit drängt sehr in Afghanistan. Dies erkennt man
der starken Zunahme von bewaffneten Angriffen und
Anschlägen in Afghanistan: Sie haben von circa 2 400
im Jahr 2005 auf über 6 000 in 2006 zugenommen. Die-
ses Jahr hat sich die Lage weiter verschlechtert.
Es ist nötig: eine massive Verstärkung der zivilen
Hilfe; ein Stopp der OEF-Operation, welche immer wie-
der zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führt; eine ver-
nünftige Neuausrichtung der ISAF-Mission, welche sich
im Süden Afghanistans immer mehr in der Praxis dem
Einsatzstil von OEF angenähert hat, wie an der Zahl der
zivilen Opfer der ISAF-Mission zu erkennen ist; und die
Beendigung des sehr teuren und letztendlich wenig hilf-
reichen Tornado-Einsatzes.
Es gibt keine Möglichkeit den Antrag der Großen Ko-
alition im Parlament noch zu verändern. Ein einzelner
Abgeordneter kann nur Ja oder Nein sagen, oder sich
enthalten. Die Politik der Bundesregierung gefährdet die
Stabilisierung Afghanistans, statt sie zu unterstützen.
Die Große Koalition ist nicht bereit, ihre Strategie den
sich verändernden Gegebenheiten anzupassen; deshalb
bleibt mir als Konsequenz nur ein Nein zu dem Antrag
der Bundesregierung.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich lehne die Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan, ISAF, und den Einsatz von Bundeswehr-
Aufklärungsflugzeugen vom Typ Tornado-RECCE
grundsätzlich weiterhin ab.
Allerdings sehe ich, dass eine mehrheitliche Ableh-
nung der beiden vorgenannten Einsätze notwendig den
sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zur
Folge haben müsste.
Mit meiner Enthaltung verbinde ich die Erwartung,
dass – nachdem das Engagement in Afghanistan gegen
meinen in den bisherigen Abstimmungen zum Ausdruck
gebrachten Willen eingegangen wurde – die Bundesre-
gierung die Zeit der Mandatsverlängerung dazu nutzt,
den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in Abstim-
mung mit den internationalen Partnern in einer geordne-
ten Art und Weise vorzubereiten und durchzuführen.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Der heute zur Be-
schlussfassung im Deutschen Bundestag anstehende An-
trag zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an
der ISAF-Mission sowie dem weiteren Tornado-Einsatz
in Afghanistan kann ich aus den folgenden Gründen
nicht zustimmen:
Erstens. Ähnlich wie im Irak gelingt es dem Westen
offenbar nicht, ein demokratisches Staatswesen aufzu-
bauen und die Menschen innerlich dafür zu gewinnen.
Vielmehr hat sich die Sicherheitslage offenbar weiter
verschlechtert und allein in den ersten neun Monaten
dieses Jahres sollen bei Anschlägen oder Kämpfen über
5 000 Menschen getötet worden sein. Die westliche Auf-
bauhilfe soll an großen Teilen der Bevölkerung vorbei-
gehen und Armut, Korruption und Hoffnungslosigkeit
zunehmen.
Zweitens. Die zunehmende Militarisierung führt zu
einer wachsenden Anzahl von unschuldigen Opfern un-
ter der Zivilbevölkerung, hauptsächlich durch Luft-
angriffe. Mittlerweile dürfte bei solchen sogenannten
„Kollateralschäden“ eine vielfache Anzahl unschuldiger
(!) Menschen getötet worden sein, wie bei den schreckli-
chen Terrorangriffen vom 11. September 2001 auf New
York, die Ausgangspunkt unseres Engagements waren.
Auch auf mehrfache Nachfragen war der Bundesvertei-
digungsminister nicht bereit, mir Angaben zu zivilen
Opfern in Afghanistan zu machen. Mit jedem unschuldig
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12423
(A) (C)
(B) (D)
getöteten Zivilisten bekämpfen wir nicht den Terror,
sondern schaffen diesem neuen Zulauf.
Drittens. Ein realistisches Konzept des Westens für
Afghanistan vermag ich derzeit nicht zu erkennen. Vor
diesem Hintergrund kann ich es nicht verantworten,
deutsche Soldaten in einen lebensgefährlichen Einsatz
zu schicken. Wir brauchen vielmehr eine Grundsatzde-
batte darüber, wie die Bundesrepublik Deutschland und
der Westen insgesamt den Terror bekämpfen und Demo-
kratie und Rechtsstaatlichkeit in Afghanistan aufbauen
können.
Jürgen Koppelin (FDP): Der geplanten Mandats-
verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afgha-
nistan werde ich nicht zustimmen. Der Bundesregierung
fehlt in Afghanistan ein schlüssiges Konzept. Auch die
Entsendung der Tornados nach Afghanistan hat nicht zu
mehr Sicherheit und Stabilität beigetragen. Die Regie-
rung Karzai beklagt zu Recht die hohe Zahl von Zivilis-
ten, die bei den NATO-Luftangriffen getötet wurden.
Dieses hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass die ge-
zielten Anschläge gegen deutsche Soldaten bzw. Einhei-
ten zugenommen haben. Zudem hat selbst die Bundes-
kanzlerin noch im November 2006 im Deutschen
Bundestag erklärt, dass ein Einsatz der Bundeswehr im
Süden von Afghanistan nicht in Frage komme. Dennoch
werden die Tornados auch im Süden des Landes einge-
setzt.
Gleichzeitig werden die Zustände in Afghanistan im-
mer besorgniserregender. Trotz des ISAF-Einsatzes be-
finden sich Teile des Landes im Kriegszustand. Ebenso
haben die Anschläge im gesamten Land sehr stark zuge-
nommen. Bei der Reduzierung des Drogenanbaus konn-
ten bisher keine überzeugenden und nachhaltigen Er-
folge erzielt werden; im Gegenteil, der Anbau hat sich
im Süden des Landes stark ausgeweitet.
Die internationale Gemeinschaft hat daher bisher
keine ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fragen las-
sen, ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind, Stabili-
sierung und Demokratisierung in der Zukunft zu errei-
chen. Der Krieg in Vietnam hat uns gelehrt, dass selbst
ein massiver Einsatz von Soldaten und Material nicht
zum Erfolg führen muss. Weiterhin besteht für mich ein
eklatantes Missverhältnis zwischen dem Einsatz für
militärische Ausgaben und den Ausgaben für den Wie-
deraufbau. Die hohen finanziellen Mittel für den militä-
rischen Einsatz sollten gezielt für Entwicklungshilfepro-
jekte eingesetzt werden.
Derzeit ist nicht einmal die Chance eines Endes des
Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zu-
stands der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegen-
wärtigen Bedingungen in Sicht. Ich halte deshalb einen
stufenweisen Rückzug der Truppenstärke in Afghanistan
für geboten.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Ziel,
die afghanische Bevölkerung auf ihrem Weg zu einem
friedlichen und stabilen Staat zu begleiten, kann nur mit
einem militärischen, aber vor allem auch zivilen Strate-
giewechsel erreicht werden. Noch ist das Zeitfenster für
einen erfolgreichen Aufbau offen, aber die Situation ist
ernst. Ich erwarte, dass der dringend notwendige, von
uns Grünen in mehreren Anträgen geforderte Strategie-
wechsel von der Bundesregierung jetzt angegangen und
konstruktiv umgesetzt wird.
Der vorliegende Antrag bezeugt jedoch, dass die Bun-
desregierung die Zeichen der Zeit nicht erkennt und in
den bisherigen Bahnen reagiert. Die Zusammenführung
der Abstimmungen über das ISAF-Mandat und den Tor-
nado-Einsatz geschieht überwiegend aus taktischen
Überlegungen. Dies dient in keinem Fall einer ehrlichen
und fundierten Diskussion über den zukünftigen Weg in
Afghanistan. Im Gegenteil, das ist sogar kontraproduk-
tiv. Viele Chancen der Vermittlung über die realistischen
Ziele in Afghanistan werden damit vertan.
Ich sehe die Notwendigkeit, den afghanischen Auf-
bau- und Friedensprozess durch ISAF abzusichern.
Doch auch hier bedarf es eines Kurswechsels, der jedoch
ebenso wenig realisiert wird wie meiner Meinung nach
der notwendige forcierte Einstieg in einen qualitativ ver-
besserten zivilen und entwicklungspolitischen Wieder-
aufbau. Da ich außerdem den Tornado-Einsatz als ein Si-
gnal des „Weiter so!“ ablehne, kann ich diesem Antrag
auf keinen Fall zustimmen.
Ich enthalte mich meiner Stimme, in der Hoffnung,
dass dies als ein Signal gewertet wird, einen anderen
Weg der Unterstützung Afghanistans einzuschlagen, und
zwar mit der Botschaft „Zivil vor Militär“.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): In der deutschen Afghanistan-Politik darf es
ein „Weiter so!“ nicht geben. Angesichts der bedrücken-
den Berichte aus Afghanistan ist ein schneller Strategie-
wechsel unumgänglich. Hierfür muss sich die Bundes-
regierung einsetzen.
Es ist meine persönliche Überzeugung, dass Afgha-
nistan nur dann eine Chance hat, ein friedlicher, demo-
kratischer, die Frauenrechte wahrender und seinen
Menschen Freiheit, Sicherheit und Entwicklung garan-
tierender Staat zu werden, wenn die Staatengemeinschaft
das Engagement in Afghanistan im Rahmen des ISAF-
Einsatzes aufrechterhält.
Der Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am
15. September 2007 hat den bündnisgrünen Bundestags-
abgeordneten empfohlen, dem verbundenen Mandat auf-
grund der ablehnenden Haltung zum Tornado-Einsatz
nicht zuzustimmen.
Ich teile diese Auffassung der Parteitagsmehrheit
nicht. Ich nehme den Beschluss aber sehr ernst. In der
heutigen Abstimmung zu den Afghanistan-Einsätzen
werde ich daher meine persönliche Überzeugung zu-
rückstellen und mit Enthaltung votieren. Ich will so dazu
beitragen, dass sich die gesamte Partei im Abstim-
mungsverhalten der Fraktion wiederfindet.
Ich hoffe, so dazu beitragen zu können, dass der in-
nerparteiliche Gesprächs- und Diskussionsfaden nicht
abreißt und wir zu gemeinsamen Lösungen für einen
verlässlichen außenpolitischen Kurs finden.
12424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Mein Votum fällt mir nicht leicht, weil es mich be-
drückt, dass sich die Menschen in Afghanistan von uns
Grünen im Stich gelassen fühlen könnten.
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Trotz Kritik an der Afghanistan-Politik der Bundesregie-
rung und der internationalen Gemeinschaft habe ich
heute der Verlängerung des deutschen ISAF-Beitrages
zugestimmt. Denn auch als Oppositionspolitikerin
musste ich mich in dieser konkreten Bundestagsabstim-
mung der Frage stellen, ob die Situation in Afghanistan
mit diesem deutschen Militärbeitrag oder mit einem Ab-
zug der Bundeswehr besser würde. Nicht die Umsetzung
des ISAF-Mandates durch die NATO, die Operation
„Enduring Freedom“, OEF, oder das Afghanistan-Kon-
zept der Bundesregierung stand heute zur Abstimmung,
sondern es geht um den deutschen Beitrag zur ISAF, vor
allem im Norden des Landes. Ich bin der Auffassung,
dass dieser fortgesetzt werden muss, weil er sinnvoll und
elementar wichtig für die Menschen in Afghanistan und
den zivilen Aufbau ist. Alle Informationen und Diskus-
sionen der letzten beiden Wochen haben gezeigt, dass
auch die kritischste Haltung zu den Aufklärungstorna-
dos, die auch Teil des Mandates sind, keinesfalls die Be-
deutung des lebenswichtigen Auftrags von Gesamt-
ISAF aufwiegt.
Damit gewichte ich ähnliche Argumente anders als
die Mehrheit des grünen Sonderparteitages. Dieser hatte
der Bundestagsfraktion empfohlen, dem ISAF-Mandat
nicht zuzustimmen, um damit Kritik an den Aufklä-
rungs-Tornados und der allgemeinen Afghanistan-Stra-
tegie deutlich zu machen. Die deutliche Mehrheit der
Bundestagsfraktion hat sich an diese Empfehlung gehal-
ten, und das ist auch gut so. Auch ich habe einige Tage
nach dem Parteitag ernsthaft erwogen, mich zu enthal-
ten, da ich den Beschluss des Parteitages durchaus ernst
nehme. Dann traf ich jedoch auf eine Gruppe afghani-
scher Parlamentarier und konnte die Frage „Warum sind
Sie für die deutsche ISAF-Beteiligung und stimmen im
Bundestag doch nicht zu?“ nicht guten Gewissens beant-
worten. Damit meine ich nicht, dass für meine persönli-
che Entscheidung die Außenwirkung ausschlaggebend
war. Vielmehr wurde mir in der Diskussion klar, dass ich
eine Enthaltung vor meinem Gewissen nicht verantwor-
ten kann. Wenn es um Militäreinsätze geht, kann man
sich schuldig machen, wenn man dafür stimmt. Man
kann sich aber auch schuldig machen, wenn man dage-
gen stimmt und damit billigend in Kauf nimmt, dass
Truppen abziehen und ein heftiger Bürgerkrieg beginnt.
Das ist die Frage, die heute im Plenum des Bundestages
zur Abstimmung stand.
Jenseits dieser konkreten Abstimmung sehe ich – wie
auch der grüne Sonderparteitag – erheblichen Bedarf für
eine Veränderung der Afghanistan-Politik der Bundesre-
gierung und der internationalen Gemeinschaft, da so-
wohl Sicherheit als auch ziviler Aufbau weiterhin unzu-
reichend sind. Die zivile Hilfe und der Polizeiaufbau
müssen dringend aufgestockt werden und der Bevölke-
rung in allen Provinzen zugute kommen. Die Bundesre-
gierung muss sich unter anderem dafür einsetzen, dass
der OEF-Einsatz beendet wird, der Drogenanbau anders
bekämpft wird und intensivere Verhandlungen sowohl
mit afghanischen Oppositionellen als auch mit regiona-
len Nachbarn geführt werden. Diese dringend notwendi-
gen Überprüfungen und die daraus abzuleitenden Strate-
gieveränderungen können jedoch nur das Ergebnis von
multilateralen Verhandlungen – nicht zuletzt mit den Af-
ghaninnen und Afghanen selber – sein und lassen sich
nicht unilateral durch Bundestagsbeschluss bestimmen.
Dabei muss die Bundesregierung in Zukunft auch Kritik,
vor allem an kontraproduktivem militärischem Vorge-
hen, deutlich einbringen. Bei aller Kritik kann ich als
Vertreterin einer multilateralen Außenpolitik nicht
fordern, dass sich Deutschland unilateral aus der Ge-
samtverantwortung eines UN-mandatierten Einsatzes
zurückziehen soll. Wenn alle Akteure konstruktiv zu-
sammenarbeiten, besteht noch Hoffnung für eine friedli-
che Zukunft Afghanistans.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
Grünenparteitag hat trotz seiner grundsätzlichen Unter-
stützung von ISAF mit Mehrheit beschlossen, die Abge-
ordneten dazu aufzufordern, bei der Abstimmung über
die Verlängerung des ISAF-Mandates mit Nein oder Ent-
haltung zu stimmen, um der grünen Forderung nach ei-
nem Strategiewechsel in Afghanistan Nachdruck zu ver-
leihen. Ich respektiere die Entscheidung meiner Partei;
aber ich kann ihrem Votum in dieser Sache nicht folgen
und glaube, dass von dem Parteitag ein falsches politi-
sches Signal ausgegangen ist, welches von vielen Men-
schen hier und in Afghanistan als Beginn eines Ab-
schieds der Grünen aus der gemeinsamen Solidarität mit
Afghanistan interpretiert worden ist.
Wie die Mehrheit der grünen Partei, ihrer Anhänger-
schaft und der grünen Bundestagsfraktion bin ich der
Meinung, dass der zivile Aufbau und die politische Sta-
bilisierung Afghanistans derzeit nicht ohne militärischen
Schutz möglich sind. Ein sofortiger Rückzug von ISAF
würde bedeuten, das afghanische Volk und die zivilen
Helferinnen und Helfer vor Ort im Stich zu lassen und
einen Rückfall des Landes in einen Bürgerkrieg in Kauf
zu nehmen. Deshalb stehe ich bei aller Kritik, die im
Entschließungsantrag meiner Fraktion zum Ausdruck
gebracht wird, hinter dem Konzept von ISAF als interna-
tionaler, von den Vereinten Nationen mandatierten
Schutztruppe. Multilaterale Außenpolitik, in der die Na-
tionen gemeinsam versuchen, Probleme von globaler
Relevanz zu lösen und die Verantwortung, die Men-
schenrechte zu verteidigen, gemeinsam schultern, lebt
von der Verlässlichkeit der Bündnispartner. Ein Abzug
des deutschen Kontingents aus Afghanistan würde das
Gesamtprojekt ISAF infrage stellen. Auch deshalb kann
ich dem deutschen Beitrag zu ISAF meine Zustimmung
nicht verweigern.
Trotzdem kann es in Afghanistan nicht weitergehen
wie bisher. Ein Strategiewechsel, der den zivilen Aufbau
und die politische Stabilisierung weiter stärkt, eine neue
Strategie im Umgang mit den Opiumbauern und die Be-
kämpfung der Korruption vorantreibt, ist dringend gebo-
ten. Ein Abzug der internationalen Truppe aus Afghanis-
tan löst aber keines dieser Probleme.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12425
(A) (C)
(B) (D)
Ich werde ISAF zustimmen, denn ich könnte nicht be-
gründen, dass ich einerseits einen Strategiewechsel hin
zu mehr zivilem Aufbau in Afghanistan fordere, aber an-
derseits dem Mandat, das das Instrument dieses Strate-
giewechsels sein soll, meine Zustimmung verweigere.
Eine besondere Rolle in der innerparteilichen Debatte
hat der Streit um die RECCE-Aufklärungstornados ge-
spielt. Ich habe im März der Entsendung der Tornados
zugestimmt, weil ich davon überzeugt war und bin, dass
man den Menschen, die ihr Leben in Afghanistan riskie-
ren, sei es als Soldatinnen und Soldaten oder Aufbauhel-
ferinnen und Aufbauhelfer, den bestmöglichen Schutz
schuldet. Wir Abgeordnete entscheiden über die Entsen-
dung von Truppen und stehen damit in besonderer per-
sönlicher Verantwortung für die Menschen, die wir ent-
senden.
In den letzten Wochen haben mich zahlreiche Appelle
von internationalen Hilfsorganisationen und afghani-
schen Parlamentariern erreicht, die uns deutsche Parla-
mentarierinnen und Parlamentarier und insbesondere uns
Grüne aufgefordert haben, Afghanistan nicht im Stich zu
lassen und der Fortsetzung von ISAF die Zustimmung
nicht zu versagen. Diese Appelle und die Reiseberichte
von Fraktionskollegen, die vor Ort waren, bestärken
mich darin, dass es richtig ist, meinem Gewissen zu fol-
gen und für ISAF zu stimmen.
Lothar Mark (SPD): Nach gründlicher Abwägung al-
ler Argumente zur Fortsetzung der deutschen Beteili-
gung am ISAF-Einsatz in Afghanistan habe ich mich
dazu entschlossen, der Verlängerung des Mandats zuzu-
stimmen, da dieses dazu beiträgt, die Lage vor Ort unter
Kontrolle zu bekommen bzw. zu halten.
Im Haushaltsausschuss habe ich deshalb einer deutli-
chen Aufstockung der Mittel für den zivilen Aufbau und
die Schulung der Polizei über das bisher Vorgesehene
zugestimmt.
Das Ungleichgewicht zwischen den Ausgaben für den
zivilen Aufbau und die militärische Absicherung in Af-
ghanistan sehe ich aber nach wie vor kritisch. Die Bun-
desrepublik Deutschland verwendet jährlich mehr als
fünfmal so viel Mittel für das Militär wie für die Ent-
wicklungszusammenarbeit. Das Verhältnis beim rechts-
staatlichen Polizeiaufbau beträgt sogar 20 zu 1 zuguns-
ten des Militärs. Auf lange Sicht müssen die extrem
teuren deutschen Soldaten schrittweise durch gut ausge-
bildete und motivierte afghanische Soldaten ersetzt wer-
den, um die frei werdenden Mittel verstärkt für den zivi-
len Aufbau einsetzen zu können.
Den mit dem Antrag ebenfalls zur Abstimmung ge-
stellten Tornado-Einsatz halte ich für ein falsches Signal
und hätte deshalb eine getrennte Abstimmung der Man-
date bevorzugt, da ich dem Tornado-Einsatz meine Zu-
stimmung verweigert hätte. Meiner Auffassung nach
gefährdet er den ISAF-Einsatz eher, als dass er zur Stabi-
lisierung der Lage beiträgt, zumal die Einsatzbedingun-
gen zwischen der US-geführten Operation Enduring
Freedom, OEF, und ISAF nur schwer zu regeln sein
dürften und die deutschen Soldaten in der afghanischen
Bevölkerung für Kriegsoperationen verantwortlich ge-
macht werden könnten.
Im Ergebnis bleibt mir aber nur die Möglichkeit, dem
Antrag zur weiteren Beteiligung Deutschlands am ISAF-
Einsatz insgesamt zuzustimmen. Im Haushaltsausschuss
werde ich mich dafür einsetzen, dass von den zuständi-
gen Fachausschüssen ein glaubwürdiges und schlüssiges
Gesamtkonzept für die nächsten Jahre im oben beschrie-
benen Sinne vorgelegt wird.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
den zurückliegenden Jahren habe ich nach sorgfältiger
Prüfung immer dem Antrag der Bundesregierung zur
deutschen Beteiligung an ISAF zugestimmt und die
deutsche zivile und militärische Beteiligung am interna-
tionalen Afghanistan-Engagement intensiv begleitet.
Auch heute will ich eine im Sinne des afghanischen Auf-
baus und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF.
Die von den Vereinten Nationen mandatierte ISAF-
Schutztruppe bleibt für die Absicherung des Aufbaus in
Afghanistan weiterhin notwendig und unverzichtbar.
Darauf haben in den letzten Tagen nicht zuletzt auch
deutsche Hilfs- und Entwicklungsorganisationen hinge-
wiesen. Der führende Beitrag der Bundeswehr zur ISAF-
Region Nord ist aufseiten der Verbündeten und insbe-
sondere der Afghanen hoch angesehen. Das zeigte sich
besonders nach dem Anschlag in Kunduz am 19. Mai
dieses Jahres, dem drei Bundeswehrsoldaten zum Opfer
fielen. In einer Solidaritätsresolution erklärten die
Rechtsgelehrten, Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schüle-
rinnen und Schüler, Jugendorganisationen und Hand-
werksgenossenschaft der Provinz Kunduz: „Die Anwe-
senheit des deutschen PRTs in der Provinz Kunduz ist so
notwendig wie das Wasser zum Leben. Die leidgeplag-
ten Einwohner der Provinz Kunduz brauchen weiterhin
die Unterstützung des PRTs.“ Solange afghanische Poli-
zei, Justiz und Armee nicht selbst die Sicherheit im Land
gewährleisten können, hätte ein Abzug von Bundeswehr
und ISAF den Rückzug der meisten UN-Organisationen,
NGOs, Entwicklungshelfer und Polizeiberater zur Folge,
die in dem gewaltträchtigen Umfeld ohne Rückhalt wä-
ren. Alleingelassen würden die friedensbereiten Kräfte,
ermutigt die verschiedenen Gewaltakteure. Die Tür
würde geöffnet für eine Machtergreifung der Taliban im
Süden und Bürgerkrieg in anderen Landesteilen.
So sehr ich einerseits von der Notwendigkeit der wei-
teren ISAF-Beteiligung überzeugt bin, so sehr bin ich
zugleich besorgt über die halbherzige Politik der Bun-
desregierung und die widersprüchliche und zum Teil
kontraproduktive Politik der Staatengemeinschaft in Af-
ghanistan. Ich weiß um die vielen, oft weniger sichtba-
ren Aufbauerfolge und die Notwendigkeit von langem
Atem. Die Leistungen der engagierten und mutigen Sol-
daten, Entwicklungsexperten, Polizeiberater, Diploma-
ten und Friedensfachkräfte verdienen unser aller hohen
Respekt und Anerkennung.
Angestoßen durch Besuche vor Ort und Gespräche
mit Afghanistan-Praktikern weist die Grüne Fraktion seit
mehr als einem Jahr in Schreiben an die zuständigen Mi-
nister, in Bundestagsdebatten und Anträgen eindringlich
12426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
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auf die kritische Lageentwicklung in Afghanistan hin
und fordert einen Strategiewechsel sowie eine Forcie-
rung der Aufbauanstrengungen. Im November letzten
Jahres verweigerte die Grüne Fraktion der weiteren deut-
schen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom
erstmalig ihre Zustimmung. Verdichtet hatten sich Hin-
weise über kontraproduktive Operationsweisen im Sü-
den und Osten, durch die Gewalt mehr gefördert als
eingedämmt wurde. Unsere Warnrufe fanden volle Zu-
stimmung bei vielen zivilen und militärischen Afghanis-
tan-Insidern, aber kaum ein Echo aufseiten der Regie-
rung.
Deutlich wird das im jüngsten Afghanistan-Konzept
der Bundesregierung und ihrer Antwort auf unsere
Große Anfrage zur Afghanistan-Politik: Verharmlost
wird die kritische Entwicklung der politischen und Si-
cherheitslage, wo die Enttäuschung und Frustration in
der afghanischen Bevölkerung – mit regionalen Diffe-
renzierungen – gravierend zugenommen haben: über
eine vielfach versagende und korrupte Regierung, über
grassierende Kriminalität, über eine weit hinter ihren
Versprechen zurückbleibende Staatengemeinschaft. Der
richtige Anspruch des Primats des zivilen Aufbaus wird
durch eine Praxis der Bundesregierung konterkariert, in
der der Anteil der Mittel für den Aufbau nur ein Fünftel
beträgt von denen, die für die militärische Absicherung
eingesetzt werden. Beschönigt wird das Ergebnis von
fünf Jahren deutscher Führungsrolle beim Polizeiaufbau.
Ein grundsätzlich richtiger Ansatz wurde mit völlig un-
zureichenden Mitteln verfolgt. Mit der Polizeimission
EUPOL ist da bisher keine Besserung in Sicht, zurzeit
eher das Gegenteil. „Durchgewunken“ wird OEF, wo
ausgeklammert bleibt, wie sehr Operationsweisen ge-
rade von OEF immer wieder das Ansinnen von Regie-
rung, ISAF und Staatengemeinschaft zunichte machen,
die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen.
In Afghanistan drängt die Zeit, wird das Zeitfenster
für eine Wende zum Besseren schmaler. Dringend
notwendig sind eine neue und besser konzertierte An-
strengung der Internationalen Gemeinschaft und der
Bundesrepublik und ein substanzieller Strategiewechsel.
Hundert im Verband Entwicklungspolitik, VENRO, zu-
sammengeschlossene deutsche Hilfs- und Entwicklungs-
organisationen haben dies vor wenigen Tagen noch ein-
mal nachdrücklich eingefordert.
Wenn die Bundesregierung die Aufwendungen für
Aufbau und Entwicklung um 25 Prozent erhöhen will,
wo Fachleute mindestens eine Verdoppelung fordern,
zeigt das, wie wenig die Bundesregierung die Dringlich-
keit der Lage erkannt hat. Um in Afghanistan dazu bei-
zutragen, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzuge-
winnen und den Abwärtstrend umzukehren, sind ganz
andere Anstrengungen erforderlich!
Hinzu kommt der Umgang der Bundesregierung mit
dem umstrittenen Einsatz der Tornado-Aufklärer. Der
Nutzen von Luftaufklärung für den ISAF-Stabilisie-
rungseinsatz ist für mich unstrittig. Bisher hat es die
Bundesregierung aber versäumt, erhebliche Bedenken
auszuräumen: Wie kann eine nur restriktive Weitergabe
von Tornado-Bildern an OEF garantiert werden, wenn
im Osten der ISAF-Regionalkommandeur und Kom-
mandeur OEF Afghanistan identisch sind, wenn im Sü-
den und Osten Einheiten von ISAF und OEF dicht zu-
sammen und zum Teil unter wechselnder Unterstellung
operieren? Auch wenn die Tornados kaum zur „Zielmar-
kierung“ geeignet sind: Wie weit tragen sie mittelbar zu
den dortigen Kampfeinsätzen bei? Schließlich bleiben
die teuren Tornados Symbol für eine falsche finanzielle
Prioritätensetzung.
Ich will eine im Sinne des afghanischen Aufbaus und
Friedensprozesses erfolgreiche ISAF. Die Politik der
Bundesregierung gefährdet die Erfolgschancen von
ISAF, statt sie zu verbessern. Deshalb werde ich in die-
sem Jahr dem Antrag der Bundesregierung nicht zustim-
men.
Den Menschen in Afghanistan sagen wir Grüne ganz
deutlich: Wir lassen Euch nicht im Stich! Wir setzen uns
zugleich für eine wirksamere deutsche und internatio-
nale Unterstützung ein! – Das versprachen wir unseren
Kolleginnen und Kollegen aus dem afghanischen Parla-
ment bei jeden Zusammentreffen aus tiefer Überzeugung
und vollem Herzen. Das gilt unverändert weiter. Deshalb
wäre ein Nein zu dem Mandat falsch.
Weil ich Verlässlichkeit und Erfolg, weil ich effekti-
ven Multilateralismus will, werde ich dem Antrag der
Bundesregierung in diesem Jahr nicht zustimmen, son-
dern mit Enthaltung stimmen. Mein Abstimmungsver-
halten bitte ich die von der deutschen Politik nach Af-
ghanistan entsandten Soldaten und Zivilexperten und
auch die Menschen in Afghanistan in diesem Sinne zu
verstehen: ganz und gar nicht als Signal zum Rückzug
aus Afghanistan, sondern als konstruktiven Warnruf der
Grünen, die sich seit den 80er-Jahren in besonderer
Weise den Menschen und den Menschenrechten in Af-
ghanistan verpflichtet fühlen und ihre Kontrollfunktion
als Opposition ernst nehmen.
Maik Reichel (SPD): Bei der heutigen Abstimmung
zu oben genanntem Antrag werde ich mich der Stimme
enthalten. Diese Enthaltung liegt in der Tatsache begrün-
det, dass die Entsendung von Tornados und das ISAF-
Mandat zusammengelegt wurden. Den Einsatz von Tor-
nados lehne ich ab – dies habe ich bereits bei der Ab-
stimmung im März 2007 getan –, da ich darin eine Ge-
fährdung des ISAF-Einsatzes und der Arbeit auch der
NGOs sehe. Unsere Soldatinnen und Soldaten der Bun-
deswehr leisten einen sehr guten und notwendigen Bei-
trag für die Stabilisierung Afghanistans.
Ich begrüße das Engagement der deutschen Regie-
rung, jedoch müssen wir es deutlich ausweiten. Haupt-
ziel muss es sein, staatliche Strukturen weiter
aufzubauen und die Armut im Land zu verringern. Ich
unterstütze das deutsche Engagement im Rahmen der
ISAF-Mission einschließlich der humanitären Hilfe.
Gleichzeitig bedaure ich, dass ich aufgrund der Zusam-
menlegung der beiden oben genannten Mandate unsere
Soldatinnen und Soldaten nicht mit einem klaren Ja un-
terstützen kann. Trotzdem wünsche ich ihnen für ihre
verantwortungsvolle und nicht ungefährliche Arbeit al-
les Gute.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12427
(A) (C)
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Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Auf der Grundlage des „Afghan Compact“ haben
im Februar 2002 rund 70 Staaten und internationale Or-
ganisationen unter der Verantwortung der afghanischen
Regierung ihre Unterstützung zum Wiederaufbau von
Afghanistan für die kommenden fünf Jahre zugesagt.
Das Ziel war es, dazu beizutragen, selbsttragende staat-
liche Strukturen aufzubauen, um die Afghaninnen und
Afghanen in die Lage zu versetzen, die politischen und
gesellschaftlichen Konflikte demokratisch legitimiert,
rechtsstaatlich und basierend auf den universalen Men-
schenrechten lösen zu können, sowie selbst für Sicher-
heit im Lande sorgen zu können.
Noch bedarf Afghanistan weithin der Unterstützung
durch die UN-mandatierte International Security Assis-
tance Force, ISAF. Unter der Führung der NATO leistet
ISAF einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung
und zum Wiederaufbau des Landes. Solange eine militä-
rische Absicherung des zivilen Aufbaus erforderlich ist.
darf sich die Bundeswehr nicht ohne weiteres aus Afgha-
nistan zurückziehen. Vielmehr müssen wir zu der über-
nommenen Verantwortung stehen, um den begonnenen
zivilen Aufbau zu einem erfolgreichen Ende zu führen.
Die Bundesregierung betont in ihrem Afghanistan-
Konzept, dass sie den zivilen Wiederaufbau und die Ent-
wicklung in den Vordergrund stellen möchte. Dem ge-
genüber steht aber ein klares Missverhältnis zwischen
den Ausgaben für eine militärische Absicherung und den
Mitteln für den zivilen Aufbau. Auch eine Erhöhung der
Mittel von 100 Millionen auf 125 Millionen Euro reicht
keineswegs aus. Von einem Kurswechsel hin zu einer
Schwerpunktsetzung auf den zivilen Aufbau kann also
keine Rede sein. Vielmehr müssen die Mittel für die
deutsche zivile Aufbauhilfe 2008 auf mindestens
200 Millionen Euro verdoppelt werden.
Entscheidend für einen Strategiewechsel ist zudem
die Rolle der Operation Enduring Freedom, OEF. Für
OEF-Truppen gibt es kein Stationierungsabkommen,
vielmehr behalten sich die USA vor, gemäß dem Mili-
tary Commissions Act im souveränen Staat Afghanistan
nach eigenen Maßgaben vorzugehen. Angesichts der
Tatsache, dass OEF-Einsätze durch rücksichtloses Vor-
gehen, insbesondere durch Luftangriffe, immer wieder
eine hohe Zahl ziviler Opfer gekostet haben, gefährdet
die Antiterroroperation OEF die Akzeptanz von ISAF.
Das Nebeneinander dieser beiden – auch völkerrecht-
lich – völlig unterschiedlicher Missionen ist eine
schwere Belastung für den Erfolg von ISAF.
Zudem liegt bis heute keine Evaluation der Tornado-
Einsätze vor. Die Frage, ob die Aufklärungsflüge der
Tornados wirklich einen Beitrag für die Absicherung
von ISAF geleistet haben, wäre aber als Entscheidungs-
grundlage von großer Bedeutung gewesen. Bis heute
wurde jedoch weder in den Ausschüssen noch im Parla-
ment eine entsprechende Auswertung seitens der Bun-
desregierung vorgelegt.
Ohne einen klaren Strategiewechsel für ein verstärk-
tes ziviles Engagement sowie eine Evaluation der Tor-
nado-Einsätze kann ich dem Antrag der Bundesregie-
rung nicht zustimmen und werde mich daher enthalten.
Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Die Bundesregie-
rung hat am 19. September 2007 eine Fortsetzung des
Einsatzes deutscher Soldaten im Rahmen des ISAF-
Mandates sowie den weiteren Einsatz von Recce-Auf-
klärungstornados in Afghanistan beschlossen. Im Bun-
destag stehen nun beide Einsätze erstmals gemeinsam
zur Abstimmung. Bereits bei der ersten Abstimmung
über den Einsatz von Tornado-Flugzeugen in Afghanis-
tan, am 7. März 2007, habe ich meine Bedenken gegen
diese Mission in einer Erklärung nach der Geschäftsord-
nung des Deutschen Bundestages zum Ausdruck ge-
bracht und den Antrag der Bundesregierung abgelehnt.
Während ich den ISAF-Auftrag grundsätzlich befür-
worte, befürchte ich, dass vom Einsatz der Aufklärungs-
tornados der Bundeswehr erhebliche Gefahren für un-
sere Soldaten in der ISAF-Mission ausgehen. Der Erfolg
von ISAF insgesamt ist aus meiner Sicht dadurch gefähr-
det. Die Stimmung gegenüber den deutschen Soldaten
hat sich durch den Einsatz der Torandos mit mehr als
500 Starts und Landungen bereits verschlechtert. Die
Mission unserer Soldaten im Rahmen von ISAF muss
strikt vom „Antiterrorkampf“ der Operation „Enduring
Freedom“ (OEF) getrennt bleiben. Der Einsatz von Auf-
klärungs-Tornados bringt erhebliche Unschärfen mit
sich, da eine Übermittlung von Aufklärungsergebnissen
an OEF zwar „restriktiv“, aber dennoch explizit als Auf-
trag vorgesehen ist. OEF wird unter anderem von mehre-
ren großen Nichtregierungsorganisationen zunehmend
als Hemmnis für die Herstellung von Frieden, für den
Wiederaufbau und für eine erfolgreiche Entwicklung in
Afghanistan gesehen. Mit einer möglichen Unterstüt-
zung von OEF durch die Tornado-Aufklärung wären
deutsche Soldaten damit zumindest indirekt daran betei-
ligt, dass sich die Spirale der Gewalt in Afghanistan wei-
ter dreht. Dies lehne ich entschieden ab. Ich kann daher
dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des
Einsatzes von Tornados auch dieses Mal nicht zustim-
men. Diese Ablehnung betrifft damit bedauerlicherweise
auch das ISAF-Mandat aufgrund der Verknüpfung bei-
der Mandate.
Frank Schwabe (SPD): Ich stimme dem Antrag der
Bundesregierung trotz schwerer Bedenken zu. Ich habe
mich bisher bei der Verlängerung des ISAF-Mandats
enthalten und den Tornado-Einsatz abgelehnt. Ich habe
aber jetzt den Eindruck, dass ich mich – trotz des von
mir empfundenen Dilemmas – für oder gegen den Ein-
satz entscheiden muss. Ich teile die Argumentation derer,
die in internationalen militärischen Einsätzen nicht die
Lösung internationaler Konflikte sehen und zu Recht
hinterfragen, warum gerade Afghanistan der Ort militä-
rischen Einsatzes ist, während woanders Leid und Elend
hingenommen werden. Ich widerspreche einer Haltung,
die immer mehr auf Einsatz des Militärs in internationa-
len Konflikten setzt. Gleichzeitig ist aber auch eine Hal-
tung, die jede internationale Verantwortung ablehnt,
nicht die meine. Manchmal muss internationale Verant-
wortung auch einen militärischen Teil enthalten. Es wäre
naiv, die augenscheinlichen Probleme des Einsatzes und
der schwierigen Situation in Afghanistan nicht zur
Kenntnis zu nehmen. Ich kenne niemanden, der ohne
Zweifel ist. Meine Sorge ist, dass, wenn es nicht schnell
12428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
zu dramatischen Veränderungen des internationale Ein-
satzes durch eine Stärkung der afghanischen Zivilgesell-
schaft und der inländischen Sicherheitsstrukturen
kommt, der Einsatz scheitern muss. Ich halte das leider
für eine hoch mögliche Variante.
Entscheiden muss ich mich vor dem Hintergrund ei-
ner ganz konkreten Situation: In der Verantwortung für
die Auswirkungen auf die internationale Entwicklung, in
Verantwortung vor dem Hintergrund des Engagements
deutscher ziviler und militärischer Einsatzkräfte vor Ort
und in der Verantwortung für die afghanische Bevölke-
rung, für die Deutschland vor einigen Jahren Verantwor-
tung übernommen hat. Ich glaube, dass trotz wachsender
Skepsis der afghanischen Bevölkerung in der Abwägung
der Vor- und Nachteile der Einsatz zurzeit für die Men-
schen hilfreich ist. Beim Abzug der internationalen
Truppen würden radikale Kräfte sofort die Überhand ge-
winnen, und alle Verbesserungen wären gefährdet. Ich
glaube, dass es zu entsetzlichen Gräueltaten kommen
würde.
Nach meinem Eindruck führt der Einsatz der Torna-
dos wie befürchtet in der afghanischen Bevölkerung zu
einer Verschärfung der Wahrnehmung Deutschlands als
Aggressor. Andererseits muss ich nach den verfügbaren
Informationen derzeit davon ausgehen, dass durch die
Tornados keine Angriffe von OEF-Truppen auf die Zi-
vilbevölkerung ermöglicht werden. Deshalb stellt der
Tornado-Einsatz aus heutiger Sicht für mich keinen Hin-
derungsgrund zu einer Zustimmung zu ISAF dar. Ich bin
tief besorgt über den Einsatz im Rahmen von OEF. Und
ich bin tief besorgt über die Entwicklung der Regierung
Karzai. Ich verurteile die abscheulichen Hinrichtungen
in den letzten Tagen, verantwortet durch eine von
Deutschland gestützte Regierung. Der Einsatz muss sich
verändern. Deutschland muss – wie die gesamte interna-
tionale Gemeinschaft – sein ziviles Engagement massiv
stärken. Dazu läuft die Zeit ab. Wenn das nicht erreicht
wird, muss der Einsatz scheitern. Dennoch glaube ich,
dass es die konkrete Lebenssituation der Menschen
heute notwendig macht, den Einsatz jetzt weiterzufüh-
ren. Deshalb stimme ich zu.
Wolfgang Spanier (SPD): Die Fortsetzung der Be-
teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein-
satz der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
(ISAF) in Afghanistan unterstütze ich nach wie vor.
Die Aufbauhilfe durch die Bundeswehr im Norden
Afghanistans halte ich aus humanitären und politischen
Gründen für einen wichtigen Einsatz. Das ISAF-Mandat
beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidi-
gung. Militärische Gewalt ist auch dann zulässig, wenn
es darum geht, die Regierung und die Menschen in
Afghanistan zu schützen.
Der Wiederaufbau Afghanistans zeigt Erfolge, aller-
dings bin ich davon überzeugt, dass die zivilen Mittel für
den Wiederaufbau verstärkt werden müssen.
Ein Rückzug der Bundeswehr aus ISAF würde den
Wiederaufbau des Landes zunichte machen, die Men-
schen in Afghanistan im Stich lassen, das Land ins
Chaos stürzen, terroristischen Gruppen wieder freie
Hand geben.
Die bisher getrennten Bundestagsmandate für ISAF
sowie den Tornado-Einsatz werden in einem Mandat zu-
sammengeführt. Nach wie vor kann ich dem Einsatz
deutscher Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan nicht
zustimmen. Die Aufklärungsflugzeuge dienen nicht nur
dem Schutz der Bundeswehr im Norden Afghanistans.
Mit dem geplanten Einsatz von deutschen Tornados der
Bundeswehr engagiert sich die Bundeswehr beim
Kriegseinsatz im Süden Afghanistans im Rahmen der
„Operation Enduring Freedom“. Die Ergebnisse der
Luftaufklärung dienen auch dem Einsatz militärischer
Mittel. Damit werden deutsche Soldaten in Kampfhand-
lungen einbezogen, auf deren Planung und Durchfüh-
rung sie keinerlei Einfluss haben.
Weil beide Mandate im Antrag der Bundesregierung
in einem Mandat zusammengeführt werden, kann ich
dem Antrag nicht zustimmen.
In der Gesamtwürdigung des Antrags der Bundesre-
gierung enthalte ich mich der Stimme.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Der ISAF-
Einsatz hat eindeutig belegt, dass der Aufbau des zivilen
Lebens in Afghanistan möglich ist und weiterhin beson-
derer Unterstützung bedarf. Aus diesem Grund habe ich
diesem Einsatz auch immer zugestimmt.
Zusätzliche Mittel für den gesellschaftlichen und ver-
waltungstechnischen Aufbau sind notwendig. Auch hier
stimme ich mit den Zielen des Einsatzes überein. Frauen
und Mädchen haben weitreichende Rechte erhalten. Dies
gilt es zu erhalten und in jeder Hinsicht zu unterstützen.
Den Tornado-Einsatz halte ich nach wie vor für
falsch, und ich bedauere zutiefst, dass mir mit der Zu-
sammenlegung beider Mandate eine Zustimmung und
Unterstützung des zivilen Aufbaus nicht mehr möglich
ist.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Omid Nouripour,
Alexander Bonde, Kerstin Andreae und
Margareta Wolf (Frankfurt) (alle BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung und den Bericht
zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortset-
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanis-
tan (International Security Assistance Force,
ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage
der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezem-
ber 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444
(2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003)
vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom
17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12429
(A) (C)
(B) (D)
tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September
2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
(Tagesordnungspunkt 27)
Erstens. Parteipolitisches Taktieren ist in Fragen von
Krieg und Frieden völlig unangebracht. Deshalb ist es
für uns nicht akzeptabel, dass die Große Koalition die
Abstimmungen um die Verlängerung der Mandate des
UN-legitimierten Einsatzes der International Security
Assistance Forces, ISAF, und der US-geführten Antiter-
roreinsätze im Rahmen von Operation Enduring Free-
dom, OEF, zeitlich so weit auseinandergelegt hat.
Diese Entscheidung geschieht ausschließlich aus
Rücksicht auf die Parteitagsregie der Sozialdemokratie,
nimmt aber dem Bundestag die Möglichkeit, über ein
geschlossenes, kohärentes Paket an militärischer Unter-
stützung für den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan
abzustimmen. Auch die Zusammenlegung der Mandate
von ISAF und der RECCE-Tornados geschieht – so rich-
tig sie auch im Rahmen der Kommandostruktur ISAFs
sein mag – leider nicht ohne den Hintergedanken einer
Disziplinierung der SPD-Abgeordneten.
Zweitens. Ein „Weiter so“ kann es in Afghanistan
nicht geben. Angesichts sich vermehrender Berichte
über die Verschlechterung der Sicherheitslage, der Erhö-
hung der Zahl ziviler Opfer, der Unterfinanzierung und
Ineffizienz der zivilen Aufbauarbeit, dem Scheitern der
bisherigen Strategie im Kampf gegen den Mohnanbau,
angesichts des fehlenden Willens vieler lokaler Warlords
zur Entwaffnung und der grassierenden Korruption in
der afghanischen Administration bedarf es eines schnel-
len Strategiewechsels. Dabei ist von großer Bedeutung,
dass die Strukturen der internationalen Gemeinschaft auf
eine kontinuierliche „Afghanisierung“ der Sicherheit
und des zivilen Aufbaus hinwirken müssen. Die Assis-
tenz der internationalen Gemeinschaft muss provisorisch
bleiben.
Die Bundesregierung verweigert sich bisher weitge-
hend dieser Einsicht. Die wenigen Ansätze aus dem im
September vorgelegten Strategiepapier Afghanistan der
Bundesregierung reichen mitnichten aus. Die Bundesre-
gierung muss sich dringend in Afghanistan und bei unse-
ren Bündnispartnern für einen Strategiewechsel einset-
zen. Sofortige Maßnahmen müssen mindestens die
Verdopplung der von der Bundesrepublik zur Verfügung
gestellten Mittel für den zivilen Aufbau und die Beendi-
gung des OEF-Kommandos sein. Der OEF-Einsatz ist
kontraproduktiv, weil er durch Doppelstrukturen die Ar-
beit von ISAF erschwert, und vor allem, weil er durch
Kommandoaktionen im Rahmen des „Krieges gegen den
Terrorismus“ das Vertrauen der Bevölkerung in Afgha-
nistan verspielt hat.
Drittens. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
Dies erfordert effektive Kontrollmöglichkeiten ihrer Ak-
tivitäten durch den Bundestag. Dafür bedarf es einer ver-
lässlichen und kontinuierlichen Informationspolitik der
Bundesregierung, allen voran des Bundesverteidigungs-
ministers. Diese war in den letzten Monaten allerdings
mehr als dürftig. Insbesondere zur Evaluierung des Tor-
nado-Einsatzes hätten wir vor der Abstimmung einen
umfassenden Bericht erwartet. So ist eine umfassende
Bewertung der Arbeit der RECCE-Tornados kaum mög-
lich.
Die Bundesregierung wird hier ihrer Verantwortung
gegenüber dem Parlament nicht gerecht und verspielt in
der Öffentlichkeit Vertrauen, das gerade die Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan brauchen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich ihrer
Berichtspflicht nachzukommen und das Parlament um-
fassend über Art und Umfang der Aktivitäten der
RECCE-Tornados in Afghanistan zu informieren.
Viertens. Die Sicherung des Wiederaufbaus in Afgha-
nistan ist eine der großen Herausforderungen deutscher
Außenpolitik. Im Interesse der Menschen in Afghanistan
leisten die Soldaten der Bundeswehr dort seit mehreren
Jahren einen gefährlichen, aber sehr wichtigen Einsatz.
Beiträge für mehr Sicherheit sind unverzichtbar.
Gerade ISAF leistet vor Ort einen wichtigen Dienst
und ist auch auf Grundlage vieler Stimmen aus dem
Land und von Nichtregierungsorganisationen unver-
zichtbar für zivile Aufbauprojekte in Afghanistan. Denn
ohne Sicherheit ist die Aufbauarbeit nicht leistbar. Vor
dem Hintergrund der Bedrohung der Sicherheit Afgha-
nistans durch die Taliban und aufgrund des nicht abge-
schlossenen Aufbaus der afghanischen Polizei und Ar-
mee kann diese Sicherheit derzeit nur UN-mandatiert
und militärisch gewährleistet werden.
Fünftens. Die RECCE-Aufklärungstornados sind Teil
der ISAF-Mission und dürfen nur unter den Auflagen
des ISAF-Mandats eingesetzt werden. Eine kritische
Evaluierung ihres Einsatzes war bislang nicht möglich –
geschuldet der schlechten Informationspolitik der Bun-
desregierung. Aber auch eine sehr kritische Haltung zur
Zweckmäßigkeit des Einsatzes der Tornado-Aufklä-
rungsflugzeuge wiegt nicht schwer genug, um der Betei-
ligung der Bundeswehr an der ISAF-Mission die Zu-
stimmung zu entziehen. ISAF bleibt für den zivilen
Aufbau unerlässlich.
Sechstens. Ein Sonderparteitag von Bündnis 90/Die
Grünen hat im September den Abgeordneten der Grü-
nen-Fraktion empfohlen, dem verbundenen Mandat auf-
grund der ablehnenden Haltung zum Tornado-Einsatz
nicht zuzustimmen. Wir respektieren diese Entscheidung
des Parteitags und die Entscheidung der Mehrheit der
Fraktion, dieses Ergebnis im Abstimmungsverhalten in
dieser Frage widerzuspiegeln.
Wir können dieser Aufforderung allerdings aus Ge-
wissensgründen nicht folgen, da die Bedeutung einer
Fortsetzung der ISAF-Mission für die Menschen und
den Aufbau in Afghanistan deutlich schwerer wiegt, so
dass wir der Bundeswehrbeteiligung daran die Zustim-
mung nicht verweigern können. Dies ist das Ergebnis in-
tensiver Gespräche und Diskussion unter anderem mit
Menschen, die dauerhaft in Afghanistan leben und sol-
chen, die dort Aufbauarbeit leisten.
12430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dirk Manzewski, Christine
Lambrecht, Dr. Peter Danckert und Dr. Margrit
Spielmann (alle SPD) zur namentlichen Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung und den
Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung:
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Internatio-
nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha-
nistan (International Security Assistance Force,
ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage
der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember
2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444
(2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003)
vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. Sep-
tember 2004, 1623 (2005) vom 13. September
2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und
1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen (Tagesord-
nungspunkt 27)
Seit dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft
in Afghanistan 2001 haben sich positive Entwicklungen
für das Land gezeigt. Insbesondere die Bedingungen für
Frauen haben sich durch Diskriminierungsverbote in der
Verfassung und eine Quotierung für weibliche Parla-
mentsangehörige erheblich verbessert. Frauen haben Zu-
gang zu Bildung und können damit den Grundstein für
ein selbstbestimmtes Leben setzen. Der Bereich der Bil-
dung ist auch insgesamt vorangekommen. Seit 2001
wurden landesweit 3 500 neue Schulen gebaut und die
Zahl der Schülerinnen und Schüler hat sich auf 6,5 Mil-
lionen mehr als verfünffacht. Hiervon profitieren insbe-
sondere die jungen Mädchen, da ihnen unter Herrschaft
der Taliban der Zugang zu Bildung verwehrt war. Allein
2005 wurden 500 000 Mädchen zum ersten Mal einge-
schult. Mittlerweile sind 40 000 Studierende, darunter
ein Viertel junge Frauen, heute an den Universitäten des
Landes eingeschrieben. Ein Besuch von afghanischen
Frauen in der SPD-Bundestagsfraktion hat diese Verbes-
serungen nachhaltig dargelegt. Auch sind Fortschritte
bei der medizinischen Versorgung, dem Aufbau der Poli-
zei und dem Wachstum der Wirtschaft zu erkennen.
Trotz dieser durchaus positiven Entwicklungen halten
wir die Vorgehensweise bei diesem Einsatz gleichwohl
weder für nachhaltig noch zielführend. Die Situation vor
Ort scheint vielmehr zu kippen. Gewalt, Armut und
Hoffnungslosigkeit nehmen wieder zu. Vor allem an der
ländlichen Region scheinen die positiven Entwicklungen
vorbeigegangen zu sein. Hier ist ein Wiedererstarken
von Taliban, bewaffneten Kriegsfürsten und Banden zu
beobachten. Soldaten berichteten uns von der zuneh-
menden Korruption im Lande, die auch die Zusammen-
arbeit mit den deutschen Einheiten stark belastet. Das zu
Beginn der deutschen Beteiligung formulierte Ziel, für
Afghanistan Menschenrechte, Demokratie und Wohl-
stand zu ermöglichen, scheint in weite Ferne gerückt.
Damit wird aber auch die Situation unserer Soldaten
in Afghanistan immer komplizierter und unsicherer.
Hierzu hat auch der Einsatz der deutschen Tornados bei-
getragen. Unabhängig von der Frage, ob und wie die
durch diese Einsätze gewonnenen Erkenntnisse nun ver-
wendet bzw. weitergeben werden, verstärkt sich vor al-
lem durch die Häufigkeit der Einsätze bei der afghani-
schen Bevölkerung der Eindruck einer deutschen
„Kriegsbeteiligung“. Soldaten berichteten uns, dass seit-
dem immer weniger zwischen den deutschen Truppen
und zum Beispiel denen der Amerikaner unterschieden
wird, was zu einer weiteren Gefährdung unserer Solda-
ten führt.
In diesem Spannungsfeld findet nunmehr die Ent-
scheidung über die Verlängerung der Beteiligung der
deutschen Streitkräfte an diesem Einsatz statt. Auf der
einen Seite zeigen sich durchaus positive Aspekte für
das Land, auf der anderen Seite scheint das augenblickli-
che Vorgehen nicht geeignet, eine langfristige Verbesse-
rung der Sicherheitslage in Afghanistan zu ermöglichen.
Eine Zustimmung zum ISAF-Einsatz wäre für uns den-
noch grundsätzlich möglich gewesen – auch wenn wir
eine strategische Neuausrichtung des Einsatzes ange-
sichts der derzeitigen Situation in Afghanistan dringend
für erforderlich erachten. Die nunmehr erfolgte Ver-
knüpfung mit dem Tornado-Einsatz macht uns dies hin-
gegen unmöglich. Aus diesem Grund können wir per-
sönlich dem Antrag der Bundesregierung weder
zustimmen noch gegen ihn stimmen und werden uns da-
her enthalten.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Detlef Müller (Chemnitz),
Mechthild Rawert und Christoph Strässer (alle
SPD) zur namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem
Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz der Internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe in Afghanistan (Interna-
tional Security Assistance Force, ISAF) unter
Führung der NATO auf Grundlage der Resolu-
tionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001,
1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom
27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto-
ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004,
1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707
(2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007)
vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
punkt 27)
Wir stimmen mit dem Antrag der Bundesregierung
überein, dass ISAF für die Herstellung von Frieden und
Sicherheit in Afghanistan einen bedeutsamen Beitrag
leistet, und stimmen deshalb der Verlängerung des Ein-
satzes der deutschen ISAF-Kräfte im Ergebnis zu.
Den Einsatz deutscher RECCE-Tornados hatten wir
im März 2007 abgelehnt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12431
(A) (C)
(B) (D)
Die Zusammenfassung des ISAF- und des Tornado-
Mandates im heute vorliegenden Antrag ist der Grund
für unsere heutige persönliche Erklärung.
Wir stimmen dem Antrag zu, weil unsere Bundes-
wehr unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz
arbeitenden NGOs eine sehr gute und für die Stabilisie-
rung Afghanistans unverzichtbare Arbeit leisten. Ein mit
einer Ablehnung verbundenes Ende dieses Engagements
in der jetzigen Situation halten wir für nicht verantwort-
bar.
Wir begrüßen das bisherige Engagement der Bundes-
regierung in diesem Bereich, halten es aber nicht für aus-
reichend. Es muss deutlich ausgeweitet werden, insbe-
sondere was den Mitteleinsatz für den zivilen
Wiederaufbau angeht. Hauptziel muss sein, staatliche
Strukturen weiter aufzubauen und die Armut zu verrin-
gern.
Viele Erfolge – zum Beispiel im Bereich der Mäd-
chenbildung oder der Verbesserung der Infrastruktur, des
Zugangs zu gesunden Wasserressourcen oder zum Ge-
sundheitswesen, so unzureichend sie augenblicklich
auch noch sein mögen – sind durch die Verschlechterung
der Sicherheitslage in den meisten Provinzen Afghanis-
tans gefährdet. Die Regierung Karzai wird zudem in
weiten Teilen des Landes nicht wahrgenommen und
schon gar nicht respektiert. Kaum jemand weiß über
seine verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verab-
schiedung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbei-
tung von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde,
sowie die Verstrickung der Regierung und von Parla-
mentarieren in Drogengeschäfte nehmen beiden Institu-
tionen zusätzlich Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist
die afghanische Bevölkerung zunehmend frustriert über
das Tempo, in dem die Verbesserungen für sie persönlich
greifbar werden.
Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem,
dass immer noch moderne staatliche Institutionen auch
auf den unteren Provinz- und Distriktebenen fehlen oder
nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden
noch eine Demokratisierung oder eine stabile wirtschaft-
liche Entwicklung des Landes möglich.
Dieses fehlende staatliche Gewaltmonopol kann nicht
durch die simple Einrichtung entsprechender Institutio-
nen und auch nicht durch militärische Gewalt hergestellt
werden. Es fehlen demokratische Rechts- und Gerech-
tigkeitskonzeptionen sowie institutionalisierte, als legi-
tim verstandene Konfliktaustragungsmechanismen. In
diesem Punkt mangelt es im gesamten internationalen
Engagement noch.
Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt wer-
den, dass er die Lebenssituation der Afghanen und
Afghaninnen tatsächlich verbessern kann, indem er Si-
cherheit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als
Dienstleistungserbringer (Bildung, Infrastruktur, Ge-
sundheitsversorgung, soziale Absicherung) funktioniert.
Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Antrag auch
in der Absicht zu, die Bundesregierung, die mit den in
ihrem aktualisierten Papier zur Afghanistan-Strategie
geschilderten Vorhaben auch den zivilen Wiederaufbau
stärken will, in der Umsetzung dieses Vorhabens zu un-
terstützen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang
auch auf das Positionspapier des Verbandes Entwick-
lungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen
e. V. vom 8. Oktober 2007.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass insbe-
sondere menschenrechtliche Aspekte künftig noch stär-
ker – zum Beispiel in die Formulierung der die Mandats-
verlängerungen betreffenden Anträge – Eingang finden.
So ist die mit der Vollstreckung von 15 Todesurteilen
vollzogene Abkehr Präsident Karzais von dem unter-
zeichneten Moratorium zur Todesstrafe nicht akzeptabel.
Fest steht für uns: Eine Politik gegen die zivile afgha-
nische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen. Die
Strategie der Vermeidung sogenannter Kollateralschäden
muss künftig Teil jedes Mandates sein.
Die Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss
auch für die afghanische Bevölkerung erkennbar sein.
Ihr fällt es zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate
und ihre Aktionen auseinanderzuhalten. Daraus ergibt
sich die ganz klare Schlussfolgerung, dass mit militäri-
schen Mitteln allein die Auseinandersetzung nicht zu ge-
winnen ist. Aber genauso gilt: Ohne militärische Absi-
cherung des von zivilen Organisationen zu betreibenden
Wiederaufbaus wird dieser nicht gelingen. Auch dies ist
Ergebnis der bereits zitierten Erklärung von VENRO
vom 8. Oktober 2007.
Wir sind – insbesondere nach einem Informationsbe-
such in Afghanistan Ende August 2007 und nach sorgfäl-
tiger Auswertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse –
zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorbehalte, die
uns zu einer Ablehnung des Tornado-Einsatzes im März
geführt haben, in einem wesentlichen Punkt nicht mehr
aufrechterhalten werden können: Die technische Aus-
stattung der Tornados schließt nach unserer Überzeu-
gung aus, dass die Tornados aktiv zur Vorbereitung oder
unmittelbaren Beteiligung an Kampfhandlungen und da-
mit auch am Tod unbeteiligter Zivilisten benutzt werden
können. Die Übermittlung sogenannter Echt-Zeit-Infor-
mationen ist mit den RECCE-Tornados aus technischen
Gründen nicht möglich. Bei Kampfhandlungen am Bo-
den ist der Luftraum für Aufklärungstornados, die nur
über Bewaffnung für den Selbstschutz verfügen, ge-
sperrt. Der Zeitraum, der von der getätigten Luftauf-
nahme über den Rückflug zur Basis, die Entwicklung
der Aufnahmen und die Entscheidung über deren Ver-
wertbarkeit vergeht, schließt einen Nutzen für aktuelle
Kampfhandlungen nach unserer Überzeugung definitiv
aus. Auch die Kontrollmechanismen, die ausschließen
sollen, dass eine Weitergabe der gewonnenen Erkennt-
nisse mandatswidrig zum Beispiel auch für Operationen
im Rahmen der Operation OEF erfolgt, haben uns über-
zeugt, wobei wir nicht so naiv sind, zu glauben, dass ein
solches Sicherheitssystem immer zu 100 Prozent funk-
tioniert.
Wir befürchten jedoch nach wie vor, dass aufgrund
dieses Einsatzes deutsche Soldaten mit Kriegsoperatio-
nen in Verbindung gebracht werden könnten, auf deren
Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben.
Mehrere Hundert Tornado-Einsätze, die der Absicherung
12432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
des ISAF-Mandates und des Wiederaufbaus Afghanis-
tans dienen, könnten durch die Bevölkerung Afghanis-
tans fehlgedeutet und mit anderen Einsätzen in Verbin-
dung gebracht werden. In diesem Zusammenhang
könnte die Gefahr bestehen, dass der Tornado-Einsatz
die gute und wichtige Arbeit deutscher Hilfsorganisatio-
nen gefährdet. Wir hoffen, dass wir mit dieser Einschät-
zung nicht recht haben.
In Abwägung beider Sichtweisen stimmen wir heute
dem ISAF-Mandat und damit dem gesamten Antrag zu.
Eine Ablehnung des Tornado-Einsatzes würde im Ergeb-
nis – auch wenn man dies nicht will – zu einem Nein
auch zu ISAF führen. Dies können wir, wie dargelegt,
nicht verantworten, auch nicht als Ausdruck des Protes-
tes gegen die nach Auffassung vieler Kolleginnen und
Kollegen taktisch begründete Zusammenlegung der bei-
den bislang getrennten Mandate. Wir verbinden mit der
nochmaligen Zustimmung zur Mandatsverlängerung al-
lerdings die klare Erwartung und Aufforderung an die
Bundesregierung, innerhalb der nächsten sechs Monate
endlich den Anforderungen aus dem Parlament gerecht
zu werden und Vorschläge für den immer wieder be-
schworenen Strategiewechsel zu unterbreiten und zur
Debatte zu stellen, denn ein entschiedenes „Weiter-so“
kann und darf es nicht geben.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen
Trittin, Kerstin Müller (Köln), Rainder
Steenblock, Irmingard Schewe-Gerigk, Wolfgang
Wieland, Grietje Bettin, Thilo Hoppe, Katrin
Göring-Eckardt, Christine Scheel, Ulrike
Höfken, Dr. Gerhard Schick, Kai Gehring,
Bärbel Höhn und Markus Kurth (alle BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung und
den Bericht zu dem Antrag der Bundesregie-
rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Inter-
nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510
(2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom
17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep-
tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September
2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
(Tagesordnungspunkt 27)
In den zurückliegenden Jahren haben wir nach sorg-
fältiger Prüfung immer dem Antrag der Bundesregierung
zur deutschen Beteiligung an ISAF zugestimmt und die
deutsche zivile und militärische Beteiligung am interna-
tionalen Afghanistan-Engagement intensiv begleitet.
Gerade weil wir eine im Sinne des afghanischen Auf-
baus und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF wollen,
können wir in diesem Jahr dem Antrag der Bundesregie-
rung nicht zustimmen. Wir werden uns enthalten.
Die von den Vereinten Nationen mandatierte ISAF-
Schutztruppe bleibt für die Absicherung des Aufbaus in
Afghanistan weiterhin notwendig und unverzichtbar.
Darauf haben in den letzten Tagen nicht zuletzt auch
deutsche Hilfs- und Entwicklungsorganisationen hinge-
wiesen. Der führende Beitrag der Bundeswehr zur ISAF-
Region Nord ist aufseiten der Verbündeten und insbe-
sondere der Afghanen hoch angesehen. Das zeigte sich
besonders nach dem Anschlag in Kunduz am 19. Mai,
dem drei Bundeswehrsoldaten zum Opfer fielen. In einer
Solidaritätsresolution erklärten die Rechtsgelehrten,
Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schülerinnen und Schü-
ler, Jugendorganisationen und Handwerksgenossen-
schaft der Provinz Kunduz: „Die Anwesenheit des deut-
schen PRTs in der Provinz Kunduz ist so notwendig wie
das Wasser zum Leben. Die leidgeplagten Einwohner
der Provinz Kunduz brauchen weiterhin die Unterstüt-
zung des PRTs.“ Solange afghanische Polizei, Justiz und
Armee nicht selbst die Sicherheit im Land gewährleisten
können, hätte ein Abzug von Bundeswehr und ISAF den
Rückzug der meisten UN-Organisationen, NGOs, Ent-
wicklungshelfer und Polizeiberater zur Folge, die in dem
gewaltträchtigen Umfeld ohne Rückhalt wären. Allein-
gelassen würden die friedensbereiten Kräfte, ermutigt
die verschiedenen Gewaltakteure. Die Tür würde geöff-
net für eine Machtergreifung der Taliban im Süden und
Bürgerkrieg in anderen Landesteilen.
So sehr wir einerseits von der Notwendigkeit der wei-
teren ISAF-Beteiligung überzeugt sind, so sehr sind wir
zugleich besorgt über die halbherzige Politik der Bun-
desregierung und die widersprüchliche und zum Teil
kontraproduktive Politik der Staatengemeinschaft in Af-
ghanistan. Wir wissen um die vielen, oft weniger sicht-
baren Aufbauerfolge und die Notwendigkeit von langem
Atem. Die Leistungen der engagierten und mutigen Sol-
daten, Entwicklungsexperten, Polizeiberater, Diploma-
ten und Friedensfachkräfte verdienen unser aller hohen
Respekt und Anerkennung.
Angestoßen durch Besuche vor Ort und Gespräche
mit Afghanistan-Praktikern weist die Grünen-Fraktion
seit mehr als einem Jahr in Schreiben an die zuständigen
Minister, in Bundestagsdebatten und Anträgen eindring-
lich auf die kritische Lageentwicklung in Afghanistan
hin und fordert einen Strategiewechsel sowie eine For-
cierung der Aufbauanstrengungen. Im November letzten
Jahres verweigerte die Grünen-Fraktion der weiteren
deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Free-
dom erstmalig ihre Zustimmung. Verdichtet hatten sich
Hinweise über kontraproduktive Operationsweisen im
Süden und Osten, durch die Gewalt mehr gefördert als
eingedämmt wurde. Unsere Warnrufe fanden volle Zu-
stimmung bei vielen zivilen und militärischen Afghanis-
tan-Insidern – aber kaum ein Echo aufseiten der Regie-
rung. Deutlich wird das im jüngsten Afghanistan-
Konzept der Bundesregierung und ihrer Antwort auf un-
sere Große Anfrage zur Afghanistan-Politik: Verharm-
lost wird die kritische Entwicklung der politischen und
Sicherheitslage, wo die Enttäuschung und Frustration in
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12433
(A) (C)
(B) (D)
der afghanischen Bevölkerung – mit regionalen Diffe-
renzierungen – gravierend zugenommen haben: über
eine vielfach versagende und korrupte Regierung, über
grassierende Kriminalität, über eine weit hinter ihren
Versprechen zurückbleibende Staatengemeinschaft. Der
richtige Anspruch des Primats des zivilen Aufbaus wird
durch eine Praxis der Bundesregierung konterkariert, in
der der Anteil der Mittel für den Aufbau nur ein Fünftel
beträgt von denen, die für die militärische Absicherung
eingesetzt werden. Beschönigt wird das Ergebnis von
fünf Jahren deutscher Führungsrolle beim Polizeiaufbau:
Ein grundsätzlich richtiger Ansatz wurde mit völlig un-
zureichenden Mitteln verfolgt. Mit der Polizeimission
EUPOL ist da bisher keine Besserung in Sicht, zurzeit
eher im Gegenteil. „Durchgewunken“ wird OEF, wo
ausgeklammert bleibt, wie sehr Operationsweisen ge-
rade von OEF immer wieder das Ansinnen von Regie-
rung, ISAF und Staatengemeinschaft zunichtemachen,
die Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen.
In Afghanistan drängt die Zeit, wird das Zeitfenster
für eine Wende zum Besseren schmaler. Dringend not-
wendig sind eine neue und besser konzertierte Anstren-
gung der Internationalen Gemeinschaft und der Bun-
desrepublik und ein substanzieller Strategiewechsel.
Hundert im Verband Entwicklungspolitik, VENRO, zu-
sammengeschlossene deutsche Hilfs- und Entwicklungs-
organisationen haben dies vor wenigen Tagen noch
einmal nachdrücklich eingefordert. Wenn die Bundes-
regierung die Aufwendungen für Aufbau und Entwick-
lung um 25 Prozent erhöhen will, wo Fachleute mindes-
tens eine Verdoppelung fordern, zeigt das, wie wenig die
Bundesregierung die Dringlichkeit der Lage erkannt hat.
Um in Afghanistan dazu beizutragen, das Vertrauen der
Bevölkerung zurückzugewinnen und den Abwärtstrend
umzukehren, sind ganz andere Anstrengungen erforder-
lich!
Hinzu kommt der Umgang der Bundesregierung mit
dem umstrittenen Einsatz der Tornado-Aufklärer. Der
Nutzen von Luftaufklärung für den ISAF-Stabilisie-
rungseinsatz ist für uns unstrittig. Bisher hat es die Bun-
desregierung aber versäumt, erhebliche Bedenken aus-
zuräumen: Wie kann eine nur restriktive Weitergabe von
Tornado-Bildern an OEF garantiert werden, wenn im
Osten der ISAF-Regionalkommandeur und Komman-
deur OEF Afghanistan identisch sind, wenn im Süden
und Osten Einheiten von ISAF und OEF dicht zusam-
men und zum Teil unter wechselnder Unterstellung ope-
rieren? Auch wenn die Tornados kaum zur „Zielmarkie-
rung“ geeignet sind: Wieweit tragen sie mittelbar zu den
dortigen Kampfeinsätzen bei? Schließlich bleiben die
teuren Tornados Symbol für eine falsche finanzielle
Prioritätensetzung.
Wir wollen eine im Sinne des afghanischen Aufbaus
und Friedensprozesses erfolgreiche ISAF. Die Politik der
Bundesregierung gefährdet die Erfolgschancen von
ISAF, statt sie zu verbessern. Deshalb können wir in die-
sem Jahr dem Antrag der Bundesregierung nicht zustim-
men.
Den Menschen in Afghanistan sagen wir ganz deut-
lich: „Wir lassen euch nicht im Stich! Wir setzen uns zu-
gleich für eine wirksamere deutsche und internationale
Unterstützung ein!“ Das versprachen wir unseren Kolle-
ginnen und Kollegen aus dem afghanischen Parlament
bei jedem Zusammentreffen aus tiefer Überzeugung und
vollem Herzen. Das gilt unverändert weiter. Deshalb
wäre ein Nein zu dem Mandat falsch. Weil wir Verläss-
lichkeit und Erfolg, weil wir effektiven Multilateralis-
mus wollen, werden wir dem Antrag der Bundesregie-
rung in diesem Jahr nicht zustimmen, sondern mit
Enthaltung stimmen.
Wir bitten unsere Freundinnen und Freunde in Afgha-
nistan, wir bitten die von der deutschen Politik nach Af-
ghanistan entsandten Soldaten und Zivilexperten, unser
Abstimmungsverhalten in diesem Sinne zu verstehen:
ganz und gar nicht als Signal zum Rückzug aus Afgha-
nistan, sondern als konstruktiven Warnruf der Grünen,
die sich seit den 80er-Jahren in besonderer Weise den
Menschen und den Menschenrechten in Afghanistan
verpflichtet fühlen und die ihre Kontrollfunktion als Op-
position ernst nehmen.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg,
Dr. Lale Akgün, Reinhold Hemker und Renate
Gradistanac (alle SPD) zur namentlichen Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung und
den Bericht zu dem Antrag der Bundesregie-
rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der In-
ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan (International Security Assis-
tance Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001)
vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom
23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November
2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563
(2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005)
vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom
12. September 2006 und 1776 (2007) vom
19. September 2007 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 27)
Erstens. Wir halten den bisherigen ISAF-Einsatz für
richtig, ein Rückzug würde das Erreichte gefährden und
die Rückkehr der Taliban und des Bürgerkriegs bedeu-
ten.
Zweitens. Wir halten eine deutliche Aufstockung der
Mittel für den zivilen Aufbau und die Schulung der Poli-
zei über das bisher Vorgesehene für notwendig und wer-
den uns im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür einset-
zen.
Drittens. Wir halten den Tornado-Einsatz nach wie
vor für das falsche Signal und im Rahmen des deutschen
Engagements für kontraproduktiv, auch wenn die Torna-
dos nach den uns bekannten Informationen ausschließ-
lich von ISAF eingesetzt werden.
Viertens. Wir protestieren mit unserem Votum gegen
die Zusammenlegung der Entscheidung zum ISAF-Ein-
12434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
satz und zum Tornado-Einsatz. Hierdurch werden die
große Zustimmung zum ISAF-Einsatz und die Akzep-
tanz des deutschen Engagements für die Menschen in
Afghanistan ohne Not belastet.
Wir stimmen deshalb gegen die obige Beschlussvor-
lage.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Renate Schmidt (Nürnberg),
Ortwin Runde, Willi Brase, Ulla Burchardt,
Elvira Drobinski-Weiß, Dagmar Freitag,
Wolfgang Grotthaus, Angelika Krüger-Leißner,
Ute Kumpf , Hilde Mattheis, Petra Merkel (Ber-
lin), Dr. Matthias Miersch, Florian Pronold,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Marlies
Volkmer, Lydia Westrich und Swen Schulz
(Spandau) (alle SPD) zur namentlichen Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung und den
Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung:
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-
tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan (International Security Assistance
Force, ISAF) unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom
20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai
2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510
(2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom
17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. Sep-
tember 2005, 1707 (2006) vom 12. September
2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
(Tagesordnungspunkt 27)
Erstens. Wir haben den ISAF-Einsatz immer für rich-
tig gehalten, ein Rückzug würde das Erreichte gefährden
und die Rückkehr der Taliban und des Bürgerkriegs be-
deuten.
Zweitens. Wir halten eine deutliche Aufstockung der
Mittel für den zivilen Aufbau und die Schulung der Poli-
zei über das bisher Vorgesehene hinaus für notwendig
und werden uns im Rahmen der Haushaltsberatungen
dafür einsetzen.
Drittens. Wir halten den Tornado-Einsatz nach wie
vor für das falsche Signal und nicht für notwendig, auch
wenn die Tornados nach den uns bekannten Informatio-
nen ausschließlich von ISAF eingesetzt wurden.
Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte halten wir
eine Zustimmung zur Verlängerung des oben genannten
Mandats für verantwortbar und richtig.
Anlage 9
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Winfried Hermann, Hans-
Christian Ströbele, Peter Hettlich, Sylvia
Kotting-Uhl, Monika Lazar und Dr. Harald
Terpe (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung und den Bericht zu dem Antrag der
Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein-
satz der Internationalen Sicherheitsunterstüt-
zungstruppe in Afghanistan (International Se-
curity Assistance Force, ISAF) unter Führung
der NATO auf Grundlage der Resolutionen
1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413
(2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom
27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto-
ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004,
1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707
(2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007)
vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
punkt 27)
Nach fast sechs Jahren militärischen Kampfes und
militärischer Präsenz in Afghanistan stellen wir fest: Die
Sicherheitslage im Lande ist nach wie vor prekär. Und
sie wird zunehmend schlechter. Vor allem im letzten Jahr
ist die Zahl der Selbstmordanschläge dramatisch ange-
stiegen und damit auch die Zahl der Opfer. Zugleich
wurde der Kampf gegen bewaffnete Aufständische (Tali-
ban und andere Gruppen) verstärkt militärisch geführt.
Insbesondere im Süden und Osten des Landes wird im
Rahmen der Operation Enduring Freedom – OEF – zu-
nehmend auch unter dem Dach von ISAF mit Raketen
und Bomben ein brutaler Antiterrorkrieg geführt, der im-
mer mehr Zivilisten und Zivilistinnen das Leben kostet.
Ortschaften, in denen Taliban oder Al-Qaida-Kämpfer
vermutet wurden, wurden zerstört. Hunderte von Frauen,
Kindern und älteren Menschen verloren allein in diesem
Jahr bei solchen Einsätzen ihr Leben. Jeder dieser Mili-
tärschläge mit zivilen Opfern schürt den Hass und för-
dert den Widerstand gegen die ausländischen Truppen.
Das Ansehen der fremden Schutztruppen schwindet ra-
pide. Die Beschützer werden zunehmend als Besatzer
wahrgenommen, trotz vielfacher Wiederaufbauhilfe.
Wir sind überzeugt: Der Krieg gegen Terror ist militä-
risch nicht zu gewinnen. Der Erfolg von ISAF wird
durch die militärische Gewaltspirale zunehmend unmög-
lich gemacht.
Der Einsatz von Tornados und die Einbindung in die-
ses ISAF-Mandat sind der falsche Weg. Sie tragen zur
Eskalation der Konflikte bei. Die deutschen Aufklä-
rungsflugzeuge entlasten britische Kampfflugzeuge, die
sich jetzt ganz auf den Kampf aus der Luft konzentrieren
können. Diese Arbeitsteilung wird so auch in der afgha-
nischen Bevölkerung gesehen. Dass die deutschen Auf-
klärungsbilder nur zur Sicherung und zum Schutz und
nicht für zielgenaue Angriffe gegen (vermeintliche) Auf-
ständische oder Terroristen benutzt werden, halten wir
für naiv. Die Kommandostruktur der US-Streitkräfte von
OEF und ISAF sind beispielsweise nicht getrennt, die
Tornados werden als NATO-Flugzeuge von einer ge-
meinsamen Leitzentrale geführt und koordiniert, sie sind
informationstechnisch in die NATO integriert.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12435
(A) (C)
(B) (D)
Ein weiterer Einsatz von deutschen ISAF-Soldaten
wäre nur dann verantwortbar, wenn er in Richtung poli-
zeiähnlicher Sicherheitsmission entwickelt würde und
wenn ein klar erkennbarer Kurs- und Strategiewechsel
der Bundesregierung und der NATO eingeleitet würde.
Hierzu gehören auch Friedensverhandlungen mit allen
wichtigen Akteuren im Lande und ein Konzept zur Ent-
wicklung von Sicherheit und Frieden durch die Men-
schen in Afghanistan selbst. Ein solcher grundlegender
Strategiewechsel, weg von militärischer Eskalation, hin
zur Deeskalation und zu verstärktem zivilen Aufbau ist
leider nicht in Sicht. Die Ausgaben für Militär – rund
500 Millionen pro Jahr alleine von Deutschland – betra-
gen nach wie vor ein Vielfaches dessen, was für zivilen
Aufbau – rund 120 Millionen Euro – ausgeben wird. Die
Aufbauhilfe für Justiz und Polizei ist dagegen viel zu ge-
ring, ebenso die Förderung von Zivilgesellschaft. Wirt-
schaft und Infrastruktur sowie Alternativen zum Dro-
genanbau müssten systematisch aus- und aufgebaut,
Korruption müsste verstärkt bekämpft werden, damit die
Menschen erfahren, dass es für alle aufwärts geht. Die
einfache Gleichung, nur wenn militärisch Sicherheit her-
gestellt ist, kann der zivile Aufbau gelingen, halten wir
für falsch. Immer mehr NGOs und Entwicklungshelfer
sagen, dass die derzeitige Form des „militärischen
Schutzes“ ihre Projekte eher gefährdet.
Wenn wir dieses ISAF-Mandat ablehnen, so tun wir
dies im Bewusstsein, dass ein „Weiter-so“ für viele Men-
schen in Afghanistan, aber auch für die deutschen Solda-
ten lebensgefährlich wäre. Mit der Ablehnung dieses
Mandates lehnen wir nicht eine internationale Verant-
wortung für friedlichen Aufbau und Entwicklung in Af-
ghanistan ab. Vielmehr ist unsere Absage an diesen mili-
tärischen Einsatz verbunden mit einen Bekenntnis zu
einer zivilen Friedens- und Entwicklungsstrategie. Dafür
wollen wir uns einsetzen.
Anlage 10
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim),
Christel Humme, Lothar Binding (Heidelberg),
Wolfgang Gunkel, Volker Blumentritt, Ulla
Burchardt, Gabriele Hiller-Ohm, Frank
Hofmann (Volkach), Dr. Herta Däubler-Gmelin
und Waltraud Lehn (alle SPD) zur namentli-
chen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung und den Bericht zu dem Antrag der Bun-
desregierung: Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein-
satz der Internationalen Sicherheitsunterstüt-
zungstruppe in Afghanistan (International
Security Assistance Force, ISAF) unter Füh-
rung der NATO auf Grundlage der Resolutio-
nen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413
(2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom
27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Okto-
ber 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004,
1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707
(2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007)
vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungs-
punkt 27)
Wir stimmen mit dem Antrag der Bundesregierung
überein, dass ISAF für die Herstellung von Frieden und
Sicherheit in Afghanistan einen essenziellen Beitrag
leistet, und stimmen deshalb der Verlängerung des Ein-
satzes der deutschen ISAF-Kräfte zu.
Den Einsatz deutscher RECCE-Tornados hatten wir
bereits im März 2007 abgelehnt, weil wir – wie noch
heute – darin eine Gefährdung des ISAF-Einsatzes und
der Arbeit der NGOs sehen.
Die Zusammenfassung des ISAF- und des Tornado-
Mandates im heute vorliegenden Antrag ist der Grund
für unsere heutige persönliche Erklärung.
Wir stimmen dem Antrag zu, weil unsere Bundes-
wehr unter ISAF und die teilweise unter ihrem Schutz
arbeitenden NGOs eine sehr gute und für die Stabilisie-
rung Afghanistans unverzichtbare Arbeit leisten.
Wir begrüßen das bisherige Engagement der Bundes-
regierung in diesem Bereich, aber es muss deutlich aus-
geweitet werden. Das Hauptziel muss es sein, staatliche
Strukturen weiter aufzubauen und die Armut zu verrin-
gern.
Viele Erfolge, zum Beispiel im Bereich der Mädchen-
bildung oder die Verbesserung der Infrastruktur, sind
durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in den
meisten Provinzen Afghanistans gefährdet. Die Regie-
rung Karzai wird zudem in weiten Teilen des Landes
nicht wahrgenommen. Kaum jemand weiß über seine
verfassungsmäßigen Rechte Bescheid. Die Verabschie-
dung des Amnestiegesetzes, mit dem die Aufarbeitung
von Kriegsverbrechen endgültig verhindert wurde, und
die Verstrickung der Regierung und des Parlamentes in
Drogengeschäfte nehmen beiden Institutionen zusätzlich
Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus ist die afghanische Be-
völkerung zunehmend frustriert über das Tempo, in dem
die Verbesserungen für sie persönlich greifbar werden.
Das ist verständlich, dennoch ist das Grundproblem,
dass moderne staatliche Institutionen auch auf den unte-
ren Provinz- und Distriktebenen immer noch fehlen oder
nicht voll funktionieren. Ohne sie ist aber weder Frieden
noch eine Demokratisierung noch eine stabile wirt-
schaftliche Entwicklung des Landes möglich.
Dieses fehlende staatliche Gewaltmonopol kann nicht
durch die simple Einrichtung entsprechender Institutio-
nen und auch nicht durch militärische Gewalt hergestellt
werden. Es fehlen demokratische Rechts- und Gerech-
tigkeitskonzeptionen sowie institutionalisierte, als legi-
tim verstandene Konfliktaustragungsmechanismen. In
diesem Punkt mangelt es im gesamten internationalen
Engagement noch.
Der afghanische Staat muss in die Lage versetzt wer-
den, dass er die Lebenssituation der Afghanen und Af-
ghaninnen tatsächlich verbessern kann, indem er Sicher-
heit herstellt, Rechtsgleichheit gewährleistet und als
Dienstleistungserbringer für Bildung, Infrastruktur, Ge-
sundheitsversorgung und soziale Absicherung funktio-
niert.
12436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Deshalb stimmen wir dem vorliegenden Antrag auch
in der Absicht zu, die Bundesregierung, die neben den in
ihrem aktualisierten Papier zur Afghanistan-Strategie
geschilderten Vorhaben auch den zivilen Wiederaufbau
stärken will, in der Umsetzung dieses Papiers zu unter-
stützen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch
auf das Positionspapier des Verbandes Entwicklungs-
politik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e. V.
vom 8. Oktober 2007.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass insbe-
sondere menschenrechtliche Aspekte künftig noch stär-
ker, zum Beispiel in die Formulierung der Mandatsver-
längerungen betreffende Anträge, Eingang finden. Die
mit der Vollstreckung von 15 Todesurteilen vollzogene
Abkehr Präsident Karzais von dem unterzeichneten Mo-
ratorium zur Todesstrafe ist nicht hinnehmbar.
Fest steht für uns: Eine Politik gegen die zivile afgha-
nische Bevölkerung wird nicht zum Erfolg führen. Die
Strategie der Vermeidung sogenannter Kollateralschäden
muss künftig Teil jedes Mandates sein.
Die Sinnhaftigkeit militärischer Operationen muss
auch für die afghanische Bevölkerung erkennbar sein.
Ihr fällt es zunehmend schwerer, die einzelnen Mandate
und ihre Aktionen auseinanderzuhalten.
Wir bleiben bei unserer Einschätzung des Tornado-
Mandates vom 5. März 2007: Wir bezweifeln nach wie
vor, dass die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsicht-
lich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – de-
tailliert geregelt werden können. Wir befürchten nach
wie vor, dass aufgrund dieses Einsatzes deutsche Solda-
ten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht wer-
den könnten, auf deren Planung und Durchführung sie
keinerlei Einfluss haben. Wir sehen die Gefahr, dass der
Tornado-Einsatz die Lage in Afghanistan eher destabili-
siert als stabilisiert und damit die gute Arbeit deutscher
Hilfsorganisationen gefährdet. Wir hoffen, dass wir mit
dieser Einschätzung nicht recht haben.
In Abwägung beider Sichtweisen stimmen wir heute
jedoch dem ISAF-Mandat und damit dem gesamten An-
trag zu.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Deutsche Personal-
präsenz in internationalen Organisationen im
nationalen Interesse konsequent stärken (Tages-
ordnungspunkt 30)
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/
CSU): Eingangs möchte ich gerne auf zwei Entwicklun-
gen verweisen, die meines Erachtens das heute behan-
delte Thema wesentlich prägen:
Erstens die wachsende Rolle Deutschlands auf dem
internationalen Parkett und zweitens die sich wandelnde
wie auch wachsende Bedeutung internationaler Organi-
sationen für eine globale Politik.
Das Ende des Kalten Krieges hat vor knapp 20 Jahren
die politischen Verhältnisse Europas grundlegend verän-
dert. Einerseits hat die Auflösung des ehemaligen kom-
munistischen Machtblockes ein vielfältiges und ausdif-
ferenziertes Staatengefüge in Europa wiederentstehen
lassen, andererseits ist mit dem wiedervereinigten
Deutschland in der Mitte eben dieses Kontinents ein
Staat entstanden, dem zumindest regional wieder fak-
tisch eine Spitzenrolle zugefallen ist. Auch im breiteren
internationalen Kontext ist Deutschland in eine stärker
beachtete Position gerückt, wie beispielsweise in den
Verhandlungen der Gruppe EU 3 + 3 über das iranische
Atomprogramm oder auch in den Kosovo-Statusver-
handlungen deutlich wird. Deutschland demonstriert
seine gestiegene Verantwortung auf internationalem Par-
kett zudem mittels einer durchaus ehrgeizigen Agenda,
die nicht nur durch diverse politische Initiativen, diplo-
matische Aktivitäten in internationalen Verhandlungen
und Vermittlerdiensten zum Ausdruck kommt, sondern
als Fernziel mehrfach einen ständigen Sitz im VN-Si-
cherheitsrat ins Auge gefasst hat – freilich mit bislang
überschaubarem Erfolg.
Für Deutschland bedeutet dies ein verstärktes Maß an
Verantwortung und Erwartungshaltung gegenüber Ber-
lin. Wir sind nun Ansprechpartner für viele internatio-
nale Probleme geworden. Im Gegenzug ermöglicht dies
unserem Land allerdings auch in deutlicherer Weise prä-
gend Einfluss auf globale politische Themen und Anlie-
gen zu nehmen. Anfangs aus dem Ausland durchaus
auch kritisch beäugt, hat sich Deutschlands internationa-
les Engagement in der internationalen Politik inzwischen
an vielen Stellen bewährt und die Dienste deutscher
Diplomaten und Außenpolitiker als Vermittler, Partner
und auch als Freunde werden an vielen Stellen des Glo-
bus aufgrund von Verantwortungsbewusstsein, Verständ-
nis und gesundem und lebensnahem Augenmaß sehr ge-
schätzt. Ihnen allen sei an dieser Stelle ausdrücklich
gedankt.
Die zweite Entwicklung, die ich hier skizzieren
möchte, betrifft das Recht internationaler Organisatio-
nen, insbesondere das Völkerrecht: War Letzeres in sei-
ner Anfangszeit eine Rechtsordnung, in der ausschließ-
lich Staaten als Rechtssubjekte angesehen wurden, und
die diese als alleinige wesentliche Akteure betrachtete,
so hat sich diese Rechtsordnung durch die sukzessive
und sich beschleunigende Entwicklung internationaler
Organisationen deutlich erweitert. Die Dynamik zur
Schaffung und zum Ausbau der Kompetenzen im Be-
reich internationaler Organisationen hält ungebrochen an
und wird wohl auch in naher Zukunft nicht stagnieren
oder Rückschritte machen. Auf anderer Ebene ist mit der
EG/EU bereits heute ein Maß an internationaler Integra-
tion erreicht worden, das noch vor wenigen Jahren und
Jahrzehnten zwischen Nationalstaaten als undenkbar
galt.
Die VN haben trotz mancher Kritik – nicht nur gegen-
über ihrem Vorgänger, dem Völkerbund – Beachtliches
geleistet, insbesondere wenn man die vielen kleinen Er-
folge betrachtet, die nicht immer die Schlagzeilen be-
herrschen, und die vielfach schon fast als selbstverständ-
lich angesehen werden. Doch nicht nur internationale
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12437
(A) (C)
(B) (D)
Organisationen alleine sind heute verstärkt Völker-
rechtssubjekte. Zunehmend wird auch das Individuum
partiell völkerrechtsfähig. Verträge wie die EMRK stat-
ten das Individuum über das Maß von schlichten Rechts-
reflexen mit persönlichen – und sogar auf überstaatlicher
Ebene einklagbaren – Rechten aus. Entsprechende inter-
nationale Organisationen, wie der EGMR in Straßburg
haben sich als glaubhafte Garanten auch dieser neuen
Dynamik des Völkerrechts einen Namen gemacht.
Zusammenfassend kann man somit konstatieren, dass
sowohl der Einfluss internationaler Organisationen als
Akteure der internationalen Politik gewachsen ist, als
auch, dass Deutschland in diesem Politikfeld ein zuneh-
mender Stellenwert erwachsen ist. Dieser Stellenwert
wird nicht zuletzt durch unsere beträchtlichen Beitrags-
zahlungen an internationale Organisationen verdeutlicht.
Dies alles wird bisher allerdings – trotz genannter Er-
folge – durch weiterhin nur unzureichende Bemühungen
flankiert, auch in Führungs- und Entscheidungsstruktu-
ren internationaler Organisationen entsprechend des ge-
wachsenen Einflusses vertreten zu sein. Diese Situation
erfordert eine entsprechende konsequente und zielstre-
bige Personalpolitik der Bundesrepublik im Hinblick auf
internationale Organisationen und rechtfertigt eine sol-
che auch.
Zwar scheint ein erster statistischer Überblick über
die Aufteilung der Bediensteten in internationalen Orga-
nisationen einen angemessenen Anteil deutscher Staats-
bürger widerzuspiegeln. Jedoch stellt eine differenzier-
tere Betrachtung der personellen Struktur durchaus einen
Anlass dar, über mögliche weitergehende und systemati-
schere Ansätze nachzudenken. Dies erscheint allein da-
her notwendig, da gerade im Bereich von Führungs- und
Entscheidungspositionen eine deutliche Unterrepräsen-
tation Deutschlands erkennbar ist.
Jüngste Blicke auf die Personalpolitik unserer Nach-
barn in Frankreich könnten hier als Impulsgeber dienen:
In den Schaltzentralen verschiedener internationaler Or-
ganisationen wie EZB, WTO, EBRD und IWF befinden
sich derzeit französische Staatsbürger in Führungsposi-
tionen. Auch eine Betrachtung der Vergangenheit dieser
Institutionen lässt ein überdurchschnittliches französi-
sches Personalengagement erkennen.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Frankreich verfügt
zum einen über ein Hochschulsystem, in dem bereits
Studenten gezielt auf Tätigkeiten in internationalen Or-
ganisationen ausgebildet werden: Studiengänge, die in
Modulen ein breites Wissen in den Bereichen Rechts-,
Wirtschafts- und Politikwissenschaften, sowie tiefere
Kenntnisse ausländischer Kulturen und Sprachen ver-
mitteln, fallen in Deutschland – so sie hierzulande über-
haupt existiert haben – zunehmend Einsparungsplänen
an Universitäten zum Opfer, während man in Frankreich
Studiengänge mit interdisziplinärer und regionalwissen-
schaftlicher Ausrichtung fördert und unterstützt. Diesbe-
züglich redet man in unserem Lande wie die Brandung
an unbewegliche Steine.
Auch darf nicht unterschlagen werden, dass der fran-
zösische Staatsdienst – aus welchen Gründen auch im-
mer – trotz mancher Beschwerden für viele Hochschul-
absolventen einen attraktiven Arbeitgeber darstellt,
während Ministerien und Behörden in Deutschland im
Wettbewerb um Spitzenkräfte bisher oftmals das Nach-
sehen haben.
Als weiterer wesentlicher Grund bleibt festzustellen,
dass die französische Politik versucht, eigene Staatsbür-
ger über Parteigrenzen hinweg gezielt in Führungs- und
Entscheidungspositionen zu bringen. Französische
Staatsbürger in internationalen Organisationen werden
– zumindest in der Außenwirkung – nicht in erster Linie
als „Brückenköpfe“ und/oder „Ausführungsorgane“
französischer Interessen angesehen. Dies macht die Un-
terstützung der besagten Kandidaten für eine große Zahl
anderer Staaten attraktiv. Dieser Punkt erscheint mir we-
sentlich und ich bitte den hier vorliegenden Antrag so zu
verstehen, dass deutsche Kandidaten für hochrangige
Ämter und Amtsträger in internationalen Organisationen
auch als Repräsentanten des ganzen Landes und nicht als
politische Weisungsempfänger verstanden und angese-
hen werden. In meinen Augen stellt die erhöhte Präsenz
Deutscher in internationalen Positionen einen Eigenwert
dar. In diesem Sinne sollen sich entsprechende Förder-
maßnahmen mittelfristig nicht nur auf zu fördernde Per-
sonalwechsel von deutschen Ministerien und Behörden
in internationale Organisationen beziehen, sondern auch
die dauerhaftere Präsenz deutscher Staatsbürger in inter-
nationalen Organisationen gefördert werden. Zudem
lohnt es sich, über Quereinstiege von Personen aus Wirt-
schaft und Wissenschaft ebenso nachzudenken wie über
die Förderung von direkten Berufseinstiegen und lebens-
langen Laufbahnen in den internationalen Organisatio-
nen.
Über die wichtigen, in diesem Antrag genannten
Maßnahmen hinaus muss der Ansatz, sich verstärkt auch
personell in internationalen Organisationen zu engagie-
ren, jedoch umfassend gedacht und angegangen werden.
Der vorliegende Antrag wird einen ersten Schritt in diese
Richtung markieren, jedoch sei klar verdeutlicht, dass
wir uns mit ihm – trotz der Umsetzungen der letzten
Jahre – erst am Anfang einer Entwicklung befinden, die
zeitlich und inhaltlich zügig und konsequent durch wei-
tere Maßnahmen flankiert und konkretisiert werden
muss, wie sie im vorliegenden Antrag teilweise erst an-
gedeutet werden.
Als geeignetes Instrument zur Beförderung der im
Antrag formulierten Ziele müssen verstärkt Ausbil-
dungsstrukturen geschaffen werden, die es ermöglichen,
überhaupt geeignete Bewerber für entsprechende Posten
anbieten zu können. Gerade das im Antrag angespro-
chene Spiralsystem und auch die vom AA durchgeführ-
ten Schulungen sind ein probates Mittel, derzeitig bereits
vorhandenes Humankapital im Sinne verstärkter deut-
scher Präsenz in internationalen Organisationen bereit-
stellen zu können, jedoch muss deutlich sein, dass auch
ein weiterer Blick in die Zukunft erforderlich wird.
Um in Zukunft gut ausgebildete und qualifizierte
Fachkräfte für internationale Organisationen zur Verfü-
gung stellen zu können, muss Deutschland zusätzlich
entsprechend tiefer greifende universitäre Ausbildungs-
möglichkeiten zur Verfügung stellen: In der Ausbildung
12438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
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künftiger Führungskräfte für internationale Organisatio-
nen bedarf es eines eigenständiges Systems von interdis-
ziplinären, internationalen und regionalwissenschaftli-
chen Studiengängen, wie sie ausgesprochen erfolgreich
in den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich
und in Frankreich angeboten werden. Modulartige Stu-
diengänge, die die Felder Recht, Politik, Wirtschaft,
fremde Kultur und Sprachen in eine kohärente Ausbil-
dung integrieren, existieren hierzulande derzeit nur rudi-
mentär. Zaghafte, bestehende Strukturen sind in der
Hochschulpolitik oftmals dem Rotstift zum Opfer gefal-
len. Hier gilt es Abhilfe zu schaffen. Ahnliches gilt für
regionalwissenschaftliche Institute und Forschungsein-
richtungen. Übrigens gerade auch in Bayern.
Da das Hochschulsystem bekanntermaßen in der Ho-
heit der Bundesländer liegt, muss der Bund künftig ver-
stärkte Kooperation suchen und sich gezielt mit den zu-
ständigen Instanzen abstimmen. Für eine ideelle
Förderung könnte man beispielsweise die Initiative aus
dem Bundesbildungsministerium aufgreifen, die 2007
zum Jahr der Geisteswissenschaften erklärt hat, und hier
konkrete Perspektiven für ein späteres Arbeitsfeld bei-
spielweise von Geistes- und Sozialwissenschaftlern er-
öffnen.
Allerdings sollte man auch eine finanzielle Förderung
einer entsprechenden akademischen Ausbildung als un-
abdingbar verstehen. Die Ergebnisse der jüngsten Exzel-
lenzinitiative der Vorgängerregierung wirken für geistes-
und sozialwissenschaftliche Zweige allerdings eher de-
motivierend und haben die bereits vorhandenen Ausbil-
dungspotenziale teilweise sogar in Gefahr gebracht.
Neben den im Antrag geforderten personellen Res-
sourcen für die Ausbildung und Unterstützung geeigne-
ter Kandiaten für die Tätigkeit in internationalen Organi-
sationen gilt es jedoch dringend auch den Blick über den
Tellerrand der unmittelbaren Fördermaßnahmen zu rich-
ten.
Um eine erhöhte deutsche Personalpräsenz bei inter-
nationalen Organisationen gewährleisten zu können,
muss auch unsere politische wie diplomatische Aus-
landsarbeit entsprechend unterstützt werden. Dies nicht
nur um wichtige Strukturen für erfolgreiche Personalent-
wicklung und -unterstützung bieten zu können, denn
deutsche Auslandsvertretungen bieten nicht nur breite
Möglichkeiten der Qualifizierung und Unterstützung
deutscher Funktionsträger. In ihnen können zudem Netz-
werke gebildet werden, Beziehungen und Kontakte ge-
pflegt und Rückkoppelungen ermöglicht werden.
Für die Vertretung eines glaubhaften Anspruches auf
stärkere Vertretung in internationalen Organisationen ist
auch eine gewisse Präsenz in der Fläche vonnöten. Dies
gilt insbesondere für die Besetzung von Spitzenpositio-
nen, für die es auch um die Unterstützung einer mög-
lichst großen Zahl von Ländern zu werben gilt, die sich
wiederum vertreten und verstanden wissen wollen. Mit-
tels unserer Auslandsvertretungen können wir uns als
verlässlicher und präsenter Partner für eine Vielzahl von
Staaten anbieten, was wiederum dazu führt, dass unsere
internationalen Partner bescheiden animiert werden, die
Besetzung von Führungspositionen in internationalen
Organisationen mit deutschen Staatsbürgern zu unter-
stützen.
Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewie-
sen werden, dass im Netz der deutschen Auslandsvertre-
tungen über den Verlauf der vergangenen Jahre große
Lücken entstanden sind, die mittelfristig geschlossen
werden müssen, um unser gestiegenes Maß an interna-
tionaler Verantwortung zu füllen und dies auch in die
Besetzung von Führungspositionen internationaler Orga-
nisationen zu übertragen. Bereits jetzt ist Deutschland in
gewissen Gegenden nur noch schwach vertreten, bei
gleichzeitig steigender Präsenz anderer Nationen.
Eine weitere Ausdünnung unseres Netzes an diploma-
tischen und konsularischen Auslandsvertretungen, Schu-
len und auch Goethe-Instituten hat einen Mangel an Prä-
senz in ganzen Weltregionen zufolge. Hierdurch wurde
es zumindest schwieriger, sich einer Vielzahl von Staa-
ten als attraktiver Partner anzubieten. Um aber einen
Führungsanspruch in internationalen Organisationen
vertreten zu können, ist es von hohem Wert, einer größt-
möglichen Zahl von Staaten glaubhaft Verständnis und
Engagement für deren Interessen und Anliegen vermit-
teln zu können. Dies wird nur durch ein engmaschiges
Netz von Vertretungen in der Fläche zu bewerkstelligen
sein.
Ohne eine entsprechende personelle und finanzielle
Ausstattung auch der deutschen Auslandsvertretungen
wird Deutschland einen glaubhaften Anspruch auf Ver-
tretung in Führungs- und Entscheidungsstrukturen inter-
nationaler Organisationen nur schwer durchsetzen oder
auch nur befördern können. Letztlich wird in den nächs-
ten Jahren daher wenig an einer deutlichen Anhebung
der finanziellen Ausstattung der Auslandsarbeit des AA
vorbeiführen.
Es wurde in den letzten Jahren vieles geleistet und an-
gestoßen – hierfür danken wir. Gleichwohl gilt es, die
begonnene Dynamik kreativ fortzusetzen.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU:) Nach den bitteren
Erfahrungen des 20. Jahrhunderts haben die Weltge-
meinschaft und Europa neue internationale und multila-
terale Mechanismen zur Lösung globaler und regionaler
Probleme geschaffen. Trotz aller Unzulänglichkeiten
gibt es für die internationalen Bemühungen keine sinn-
volle Alternative, umso mehr als durch das Ende des
Ost-West-Konflikts die Ordnung in der Welt nicht größer
geworden ist und die Globalisierung von Chancen und
Risiken sowie neuen Herausforderungen wie der Klima-
wandel die Notwendigkeit strategischer Lösungen noch
dringender machen.
Deutschland ist Mitglied in mehr als 200 internationa-
len Institutionen. Wegen des zunehmenden Einflusses
dieser Institutionen und der Wichtigkeit von ihnen be-
gleiteter Prozesse für Deutschland ist es von zentraler
Bedeutung, die Politik dieser Institutionen genau zu ver-
folgen und mitzugestalten. „Wir können – so der Bun-
despräsident in seiner Berliner Rede – erheblich zur ge-
meinwohlverträglichen Gestaltung der Globalisierung
beitragen – vorausgesetzt wir sind auch mit ausreichend
viel kompetentem Personal zur Stelle, und wir wissen
was wir wollen.“
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12439
(A) (C)
(B) (D)
Um Deutschlands Interessen aktiv zu vertreten, ist die
Mitwirkung in den institutionellen Lenkungsgremien un-
zureichend. So zahlte Deutschland bei dem Einsatz der
MONUC mit rund 90 Millionen US-Dollar wie üblich
rund 9 Prozent der Kosten, hatte aber zunächst auf die
Operation wenig Einfluss.
Deutschland ist heute in einer ganz anderen Weise ge-
fordert, internationale Verantwortung zu tragen, aber
auch seine nationalen Interessen im Wettstreit internatio-
naler Prozesse mit Nachdruck zu vertreten. Dazu sind
wir auf kompetente Beratung und frühzeitige Informa-
tionen angewiesen.
Während sich unsere Wettbewerber wie Franzosen
und Briten schon seit Jahren in ihrem nationalen Perso-
nalmanagement darauf eingestellt haben, hinkt Deutsch-
land – trotz aller positiven Veränderungen – leider noch
immer hinterher. Wenn wir besser werden wollen – und
das müssen wir im nationalen Interesse – ist es erforder-
lich, stärker zu agieren und weniger zu reagieren. Das
erfordert nicht nur den Willen, sondern auch die Kapazi-
täten, in bestimmten Politikfeldern die Meinungsführer-
schaft zu übernehmen.
Seit meiner letzten Initiative zur Stärkung der interna-
tional ausgerichteten Personalpolitik der Bundesregie-
rung vor rund zehn Jahren hat sich vieles zum Positiven
gewendet. AA und Kanzleramt haben mit den beteiligten
Ressorts straffere Strukturen geschaffen. Es wurden
zahlreiche Instrumente, wie Datenbanken für Stellen-
pools, Vorbereitungskurse für internationale Ausschrei-
bungen und Bewerbungscoachings entwickelt, Kampa-
gnen und eine Jobmesse durchgeführt. Damit konnte der
deutsche Personalanteil seit 1998 von 3 400 auf 5 400
Personen gesteigert werden. Ich möchte den beteiligten
Akteuren dafür meinen herzlichen Dank aussprechen.
Die Pflege von Kontakten der Bundesregierung mit
den deutschen Mitarbeitern in internationalen Organisa-
tionen wurde über eine intensivierte Netzwerkarbeit
deutlich verbessert.
Das in dieser Woche vom Kabinett verabschiedete
Personalrahmenkonzept wird den positiven Trend noch
beschleunigen und die Voraussetzungen schaffen, ver-
stärkt auch internationale Führungspositionen besetzen
zu können.
Bei aller Freude über die Verbesserungen: Wenn wir
eine unserem Gewicht entsprechende Rolle spielen wol-
len, dann müssen wir noch einige „Schippen“ draufle-
gen. Wesentliche Ansatzpunkte haben wir in unserem
Antrag deutlich formuliert:
Erstens. Von zentraler Bedeutung ist das Spiralmodell –
die Rotation von Personal der Bundesregierung zwi-
schen Ministerien und internationalen Organisationen.
Dies wird von anderen seit Jahren mit Erfolg praktiziert.
Der Bedarf und das Interesse ist groß, durch die jährliche
lineare Stellenkürzung die dafür erforderliche Personal-
reserve zu schaffen. Da müssen wir etwas tun und dafür
sorgen, den Ressorts auf Grundlage seriöser Bedarfspla-
nungen entsprechende zusätzliche Stellen zur Verfügung
zu stellen.
Zweitens. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel.
Die Flexibilität unserer Spitzenkräfte, geordnete natio-
nale Bahnen für ein internationales Engagement zu ver-
lassen, muss sich auch für deren nationale Karriere loh-
nen. Wir müssen weg von der Situation, das wer
Karriere machen will, am besten zu Hause bleibt. Die
Tätigkeit im Ausland oder für eine internationale Orga-
nisation muss zu einem festen Bestandteil der Personal-
und der Karriereentwicklung werden.
Drittens. Wir müssen auch für eine größere Flexibili-
tät im öffentlichen Dienst sorgen. Zumindest der zeitlich
beschränkte Einsatz von Deutschen mit internationaler
Erfahrung im deutschen öffentlichen Dienst sollte stär-
ker ermöglicht werden.
Viertens. Die Eifersüchteleien der Ressorts müssen
abgebaut werden. Wir können nur erfolgreich sein, wenn
alle an einem Strang ziehen. Der Erfolg für Deutschland
muss Handlungsmaxime sein.
Fünftens. Die Netzwerkarbeit der ehemaligen deut-
schen Beschäftigten bei internationalen Organisationen
muss intensiviert werden.
Wenn wir zumindest zu den wichtigsten Mitbewer-
bern aufschließen wollen, gibt es noch viele dicke Bret-
ter zu bohren. Lassen Sie uns gemeinsam den notwendi-
gen Mentalitätswechsel angehen.
Detlef Dzembritzki (SPD): Der vorliegende Antrag
schließt an einen Beschluss des Deutschen Bundestages
von 1998 an und entwickelt ihn weiter. Ferner knüpft er
an einen entsprechenden Antragsentwurf aus der 15. Le-
gislaturperiode an, der aufgrund des vorzeitigen Endes
der Legislatur nicht mehr zur Verabschiedung kam. Wir
greifen hier also ein Thema auf – die deutsche Personal-
präsenz in internationalen Organisationen –, das für den
Deutschen Bundestag nicht neu ist, das aber in den ver-
gangenen Jahren nichts an Aktualität verloren hat, son-
dern eher noch wichtiger geworden ist.
Ich möchte zunächst die Leitgedanken des Antrags in
aller Kürze skizzieren: Der Einfluss internationaler Or-
ganisationen hat in der Vergangenheit kontinuierlich zu-
genommen und wird weiter zunehmen. Es ist deshalb
wichtig, die Politik dieser Institutionen im Auge zu be-
halten und sie nach Kräften mit zu gestalten. Hierzu ist
man auf Ansprechpartner innerhalb dieser Institutionen,
auf Kontaktpersonen, angewiesen. Ein Netzwerk deut-
scher Mitarbeiter und eine umfassende Personalstrategie
der Bundesregierung sind hierzu erforderlich, so wie sie
auch von anderen Ländern mit großer Selbstverständ-
lichkeit angestrebt und betrieben werden. Dem wider-
spricht, dass Deutschland in vielen internationalen Orga-
nisationen qualitativ und quantitativ nicht angemessen
repräsentiert ist.
Hier ist sicher auch ein Wort der Selbstkritik nicht un-
angebracht. Trotz der Bedeutung des Themas ist etwa
eine systematische Personalpolitik der Bundesregierung
gegenüber internationalen Organisationen nicht immer
erkennbar. Vernünftige Reformansätze, die es gab – ich
nenne hier beispielhaft die verstärkte Anwendung des
sogenannten Spiralmodells, das den wiederholten Wech-
12440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
sel von Tätigkeiten in nationalen und internationalen
Institutionen erleichtern soll –, sind in der Praxis leider
oft genug stecken geblieben. Umso erfreulicher ist das
jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Personalrah-
menkonzept zu Fragen der internationalen Personalpoli-
tik. Auch müssen die in internationalen Organisationen
tätigen Deutschen besser mit der deutschen Politik ver-
traut gemacht werden, gleichzeitig sollte aber auch die
deutsche Politik ihr Know-how besser nutzen.
Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages von
1998 wurden aber messbare Verbesserungen erreicht.
Ich nenne hier – wiederum beispielhaft – die Staatsse-
kretärsrunde, den Koordinator im Auswärtigen Amt, den
Ressortkreis, den Internationaler Stellenpool und das
Carlo-Schmid-Programm für Praktikanten. Nun kommt
es darauf an, an das Erreichte anzuknüpfen und ein Sys-
tem der Personal- und Nachwuchsförderung zu entwi-
ckeln. Dieses System muss zu einer angemessenen deut-
schen Präsenz in internationalen Organisationen und zur
systematischen Nutzung des dort erworbenen Wissens
führen.
Der Antrag nennt die Schritte, die unseres Erachtens
erforderlich sind, um hier zu einer deutlichen Verbesse-
rung der Situation zu gelangen. Einige aus meiner Sicht
besonders wichtige Punkte möchte ich hier nennen.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine langfris-
tig angelegte Personalstrategie auszuarbeiten und umzu-
setzen – sowohl für den öffentlichen als auch für den
nichtöffentlichen Bereich. Die Koordinierung der inter-
nationalen Personalpolitik soll weiter ausgebaut werden.
Die Aufnahme auch von befristeter Arbeit in interna-
tionalen Organisationen soll attraktiver gemacht und die
Reintegration nach der Rückkehr in die deutschen Insti-
tutionen verbessert werden. Ich habe das Spiralmodell
bereits erwähnt. Dieses Modell muss konsequent ange-
wandt und weiterentwickelt werden. Die Bundesregie-
rung wird aufgefordert, aufzuzeigen, welche Maßnah-
men sie in diesem Zusammenhang zu ergreifen
beabsichtigt, und welche Voraussetzungen für die Wei-
terentwicklung des Modells erfüllt sein müssen.
Ferner müssen wir – und das ist ebenfalls ein wichti-
ger Punkt – zu einer verbesserten Durchlässigkeit zwi-
schen öffentlichem Dienst und privater Wirtschaft gelan-
gen. Es sind nicht nur die öffentlich Bediensteten aus der
Bundesrepublik, die einen wichtigen Beitrag in interna-
tionalen Organisationen leisten, auch in der Privatwirt-
schaft, das wird manchmal übersehen, gibt es hier sehr
große Potenziale, deren Erfahrungen wir in internatio-
nale Organisationen einbringen können und einbringen
sollten. Ferner brauchen wir ein Konzept zur systemati-
scheren Nutzung der Erfahrung von Rückkehrern bei der
Besetzung wichtiger Inlandspositionen mit internationa-
lem Bezug, und wir dürfen auch die sozialen Belange
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht übersehen.
Eine wichtige Frage ist auch die der fortgesetzten
Kommunikation mit denjenigen, die ihre Arbeit vorüber-
gehend oder für längere Zeit in internationalen Organisa-
tionen ausüben. Diese Kommunikation sollte durch ein
internetgestütztes Netzwerk verbessert werden, über das
zum Beispiel der künftige Personalbedarf einer Organi-
sation abgefragt werden kann.
Die Hochschulen sollten ihr Angebot stärker auf eine
Tätigkeit in internationalen Organisationen ausrichten.
Weitere Forderungen des Antrags zielen auf eine Er-
leichterung des Einstiegs bei internationalen Organisa-
tionen, eine Erhöhung des deutschen Personalanteils bei
NATO und OECD und eine stärker inhaltlich ausgerich-
tete Schwerpunktsetzung deutscher Politik in internatio-
nalen Organisationen.
Ich bin überzeugt, dass unsere Initiative aus dem Par-
lament die gute Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen
Amt und der Interessenvertretung der deutschen Be-
schäftigten in internationalen Organisationen uns bei der
weiteren Arbeit zum Erfolg führen wird.
Marina Schuster (FDP): Heute treffen sich im Aus-
wärtigen Amt die, über die wir gerade sprechen: nämlich
die deutschen Vertreter bei internationalen Organisatio-
nen. Und erst gestern konnten wir diese Spitzenvertreter
zu einem Gespräch treffen. Gleichwohl: Das Thema der
deutschen Präsenz in internationalen Organisationen ist
nicht neu. Wir führen in jeder Legislaturperiode mindes-
tens eine Debatte dazu. Und der vorliegende Antrag un-
terscheidet sich denn auch kaum von jenen aus den Vor-
jahren. Und das liegt eben daran, dass die Situation
weiterhin unbefriedigend ist. Ich zitiere aus dem Antrag
der Koalitionsfraktionen: „Deutschland ist im Vergleich
zu anderen Ländern in vielen Organisationen quantitativ
und qualitativ nicht angemessen repräsentiert.“
Nun kann man verschiedene Vergleichsmaßstäbe an-
legen, um Deutschlands Erfolg oder Misserfolg bei der
Platzierung des eigenen Personals in internationalen Or-
ganisationen zu messen. Ein paar Beispiele werde ich
nachher noch nennen.
Entscheidend ist für uns aber vor allen Zahlenwerken
unser eigener Anspruch. Deutschland setzt auf einen ak-
tiven Multilateralismus. Der Grad unserer internationa-
len Vernetzung ist wirtschaftlich und politisch immens.
Und diese internationale Vernetzung ist auch ein Garant
für unseren Wohlstand und unser Ansehen bei unseren
Partnern. Wir sehen uns als einen Motor der Europäi-
schen Union. Und die Bundeskanzlerin hat bei ihrer
Rede bei den Vereinten Nationen ja verdeutlicht:
Deutschland strebt in den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen.
Zu diesen eigenen politischen Ansprüchen steht die
Präsenz deutschen Personals in internationalen Organi-
sationen in einem krassen Missverhältnis. Gemessen an
den finanziellen Beiträgen zu internationalen Organisa-
tionen, an den Bewerberzahlen oder auch an den finan-
ziellen Bemühungen der Bundesregierung gibt es nur ein
klares Urteil: wir könnten besser dastehen.
Selbst wenn man die teilweise festgelegten nationalen
Quoten berücksichtigt: Deutschland muss hier besser
werden. Ein Beispiel: Allein bei der Weltbank steht un-
ser Personalanteil im vergleichbaren höheren Dienst mit
6 Prozent einem französischen Anteil von mehr 13 Pro-
zent und einem britischen von mehr als 10 Prozent ge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12441
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(B) (D)
genüber, obwohl wir zweitgrößter Beitragszahler sind.
Das gleiche Bild bei Organisationen ohne nationale
Quoten.
Nun liegt mir keine Aufstellung vor, die unsere Perso-
nalpräsenz in internationalen Organisationen nach
Dienststufen aufschlüsselt; vielleicht könnte man das
von der Bundesregierung ja mal bekommen. Aber wenn
mich mein Eindruck nicht täuscht, dann sind wir insbe-
sondere auf der Ebene der Referatsleiter und ihrer Stell-
vertreter besonders schlecht vertreten – sprich dort, wo
Entscheidungen intensiv vorbereitet werden. Hier be-
steht mit Sicherheit Verbesserungsbedarf. Eine Konzen-
tration auf Leitungsposten ist aber bei Weitem nicht aus-
reichend.
Und noch etwas ist mir wichtig: Es macht nur dann
Sinn, nationale Experten zeitweise oder längerfristig in
internationale Organisationen zu entsenden, wenn man
diese dann nicht aus den Augen verliert und aufs Ab-
stellgleis stellt. Sie brauchen nach der Rückkehr auch
entsprechende Alternativen, damit man ihr Potenzial
nützt, statt sie auf der Karriereleiter ganz hintenanzustel-
len.
Es geht auch um Berufsperspektiven für junge Men-
schen in Deutschland. Unsere internationale Vernetzung
werden wir dauerhaft nämlich nur dann aufrechterhalten
können, wenn diese beruflich wie privat von möglichst
vielen Menschen gelebt und geteilt wird. Wir haben sehr
gut ausgebildete junge Menschen, viele von ihnen be-
reits mit ersten Auslandserfahrungen. Das ist ein Kapi-
tal, das wir international investieren müssen, um unsere
Interessen bestmöglich zu vertreten. Ich bin der Mei-
nung: Weder die Bewerber noch wir sollten da falsche
Bescheidenheit oder Zurückhaltung an den Tag legen.
Wir erkennen ausdrücklich an, dass vonseiten der In-
formationspolitik für interessierte Bewerber bereits eini-
ges getan wurde. Aber wenn ich mir die Zahlen zur Per-
sonalentwicklung anschaue, dann stelle ich noch keinen
Durchbruch fest. Das heißt, wir brauchen mehr Anstren-
gungen, die sich nicht nur auf die Platzierung von Spit-
zenbeamten konzentrieren, und zwar sowohl finanziell
als auch organisatorisch.
Schaut man in den Haushaltsentwurf für das Jahr
2008 dann ist von solchen verstärkten Bemühungen lei-
der nicht viel zu sehen. Für die „Auswahl und Vorberei-
tung von Bewerberinnen und Bewerbern für internatio-
nale Aufgaben“ stehen im AA-Haushalt gerade einmal
133 000 Euro zur Verfügung. Absolut und auch vergli-
chen mit den durchaus sinnvoll ausgegebenen 700 000
Euro für die Ausbildung junger Diplomaten aus anderen
Ländern ist dies eindeutig zu wenig. Ob wir mit diesen
bescheidenen Mitteln wirklich einen Bewerberpool ge-
nerieren können, der dann auch international wettbe-
werbsfähig ist, wage ich zu bezweifeln.
Auf die Möglichkeiten einer besseren politischen
Flankierung von Bewerbungen aus unserem eigenen
Land kann ich jetzt nicht eingehen. Das sollten wir in
den Ausschüssen tun. Nur so viel: Bei langfristig ange-
legter Personalpolitik kommt es auch auf Kontinuität
seitens der Planung an. Das ist mit dem im Auswärtigen
Amt bestehenden Rotationsprinzip nur bedingt verein-
bar. Wie hier mehr Kontinuität in die Personalentwick-
lung gebracht werden kann, gehört zu den zu lösenden
Aufgaben.
Einen Satz aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen
möchte ich zum Abschluss noch zitieren: „Eine systema-
tische Personalpolitik der Bundesregierung gegenüber
internationalen Organisationen ist nicht immer erkenn-
bar.“ Das ist sehr wohl richtig. Ich erwarte mir von den
Beratungen in den Ausschüssen dann auch, dass man
hier Farbe bekennt – sprich: Geld in die Hand zu neh-
men –, dass nicht das Gleiche passiert wie mit unserem
Antrag zum Auswärtigen Dienst, den alle Fraktionen im
Auswärtigen Ausschuss eigentlich befürworteten, aber
dann gegenüber Steinbrück nicht durchgebracht haben.
Das hätten wir uns für die Mitarbeiter im AA wirklich
gewünscht und dafür kämpfen wir weiter.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Haben die keine
anderen Probleme, habe ich spontan gedacht, als ich die-
sen Punkt auf der Tagesordnung sah. Ich könnte Ihnen
eine Menge außenpolitischer Themen nennen, die end-
lich im Plenum des Bundestages diskutiert gehörten: Der
nach wie vor drohende Krieg gegen den Iran, die zuge-
spitzte Lage im Südkaukasus, die Kosovo-Problematik,
UNO-Reform; um nur einige zu nennen. Aber sei’s
drum. Nur, mein Ärger ist nach Lektüre des Antrages der
Koalitionsparteien beträchtlich gewachsen.
In Ordnung geht, dass Diplomaten besser betreut,
besser ausgebildet und – ich füge hinzu – besser bezahlt
werden müssen. Die Koordination soll verbessert wer-
den, auch das trifft nicht meinen Widerspruch. Ich kriti-
siere die politische Linie und nicht die Arbeit der deut-
schen Diplomaten. Die arbeiten gut – im Gegensatz dazu
ist die Politik der Bundesregierung falsch. Ich ärgere
mich, dass mehr Einfluss für Deutschland auch damit
begründet wird, dass Deutschland erheblich zahlt. Ich
dachte immer, wir zahlen, damit die internationalen Or-
ganisationen gut arbeiten, und nicht, weil wir daraus ab-
leiten wollen, auch dort bestimmend zu sein. Das ist
überheblich – ebenso überheblich wie die deutsche For-
derung nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat.
In der Überschrift wird vom „nationalen Interesse“
Deutschlands geschrieben. Im Text findet sich nichts,
wie das „nationale Interesse“ Deutschlands definiert
wird. Definiert wurde das nationale Interesse im Weiß-
buch zur Bundeswehrreform. Und genau diese politische
Linie, der deutsche Zugriff auf Naturressourcen, auf
Handelswege, die Auslandseinsätze der Bundeswehr,
das lehnen wir, die Linke, ab.
Zu Beginn ihrer Amtszeit hat die Bundeskanzlerin im
Auswärtigen Ausschuss die Philosophie ihrer Außen-
politik als „selbstbewusste Bescheidenheit“ beschrieben.
Das hat mir gefallen. Nur, die tatsächliche Außenpolitik
der Bundesregierung ist anders: Deutschland betreibt
wieder Großmachtpolitik, nicht national, sondern über
den deutschen Einfluss in internationalen Organisatio-
nen.
12442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
In diese Richtung geht auch der vorliegende Antrag
der Koalitionsparteien. Mehr Einfluss für Deutschland –
das ist seine Botschaft. Damit schließt sich der Kreis zur
Forderung nach einem ständigen Sitz im Weltsicher-
heitsrat. Selbstbewusste Bescheidenheit sähe anders aus.
Wer Deutschland am Hindukusch verteidigen will, ge-
hört nicht in den Weltsicherheitsrat. Deutsche Diploma-
ten arbeiten in internationalen Organisationen um diese
zu stärken, und nicht, um nationale Interessen zu vertre-
ten. In diesem Geist sollten wir Diplomaten ausbilden,
betreuen und koordinieren – und nicht nach dem Gestus:
Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird.
Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit
vielen Jahren wird zu Recht immer wieder darüber ge-
klagt, dass Deutschland in internationalen Organisatio-
nen zu wenig vertreten ist – sei es bei den Vereinten Na-
tionen, ihren Unterorganisationen wie UNDP, UNICEF,
WHO, FAO oder in internationalen Finanzorganisatio-
nen wie Weltbank und IWF oder den Regionalen Ent-
wicklungsbanken, um nur einige zu nennen. Die Gründe
dafür sind vielfältig, und ihre Beseitigung dauert lange.
Eine oder auch zwei Legislaturperioden genügen offen-
bar dafür nicht.
Ich sage dies, weil es schon im Juni 1998 einen Bun-
destagsbeschluss gab, der in die gleiche Richtung ging
wie der jetzt vorgelegte Koalitionsantrag. Seitdem ist
– auch unter Rot-Grün – immerhin einiges geschehen,
zum Beispiel wurden hemmende Regelungen verändert
und Informationsmöglichkeiten verbessert. Die einzel-
nen Ressorts haben für ihre Zuständigkeitsbereiche per-
sonalwirtschaftliche Gesamtkonzepte vorgelegt, die
inzwischen in einer ressortübergreifenden Zusammenar-
beit zu einem Rahmenkonzept weiterentwickelt wurden.
Konzepte allerdings müssen auch umgesetzt werden.
Und bisher sind immer noch zu viele gut gemeinte Be-
mühungen im bürokratischen Räderwerk steckengeblie-
ben.
Die Schlüssel für eine Eignung für Aufgaben in inter-
nationalen Organisationen sind Qualifikation und Moti-
vation.
Woran es ganz sicher nicht fehlt, sind geeignete Men-
schen in Deutschland. Allerdings genügt die fachliche
und sprachliche Ausbildung an Hochschulen und Uni-
versitäten allein nicht für die Übernahme von Aufgaben
in internationalen Organisationen. Um die Voraussetzun-
gen dafür zu verbessern, müssen zum Beispiel Auslands-
praktika absolviert werden. Obwohl es eine ganze Reihe
von geeigneten Einrichtungen dafür gibt, werden Prak-
tika in internationalen Organisationen und in EU-Institu-
tionen staatlicherseits noch immer viel zu wenig geför-
dert. In den internationalen Finanzinstitutionen ist
mangelnde deutsche Präsenz besonders auffällig, ein Zu-
stand der schleunigst durch geeignete Fördermaßnahmen
zu beenden ist.
Außerhalb von Auswärtigem Amt und BMZ wird die
Eignung für internationale Aufgaben noch zu wenig als
Kriterium bei der Einstellung und Beförderung ange-
wandt. Darüber hinaus braucht der Nachwuchs spezielle
Vorbereitungskurse auf internationale Aufgaben. Auch
davon gibt es eine Reihe nationaler wie internationaler
Programme, die noch zu wenig genutzt werden.
Mindestens so wichtig wie die Eignung ist jedoch der
Anreiz, sich auf offene Stellen in internationalen Organi-
sationen zu bewerben. Wenn das – wie es der Fall ist –
zu wenige Menschen tun, muss nach den Gründen ge-
fragt werden. Ohne motivierte Bewerberinnen und Be-
werber nützen auch perfekte Qualifikationen nicht viel.
Woran liegt die Zurückhaltung? Die Rückkehrer ma-
chen die Erfahrung, dass ihr Einsatz im Ausland wenig
oder gar nicht honoriert wird. Schlimmer noch: Die zeit-
weilige Abwesenheit führt oft genug zu einem Karriere-
knick. Dieser unhaltbare Zustand schadet nicht nur den
Betroffenen. Wegen seiner negativen Auswirkungen auf
die Bewerberzahlen beeinträchtigt er auch die Präsenz
Deutschlands auf dem internationalen Parkett. Wo es
keine deutschen Mitarbeiter, Kollegen oder Vorgesetze
gibt, kann man Deutsche auch nicht wahrnehmen oder
kennenlernen.
Um diesen Missstand zu beheben, sind bereits eine
Reihe von Maßnahmen ergriffen worden oder geplant.
Die Förderung von zeitweiligen Auslandseinsätzen muss
zu einer Selbstverständlichkeit werden. Für viele Berei-
che sollte sie geradezu notwendige Voraussetzung für
Beförderungen werden. Bisher ist jedoch oft das Gegen-
teil der Fall: Auslandserfahrungen werden personalpoli-
tisch vielerorts als Komplikation für die Planung und als
überflüssig angesehen. Dies deutet auf einen Grad an
Provinzialität hin, der in einer international vernetzten
Welt einfach kontraproduktiv ist.
Es ist eine Banalität, muss aber gesagt werden: Reisen
bildet, und Auslandserfahrungen erweitern den Hori-
zont. Ein Land wie Deutschland, vielfach verflochten
mit der Welt, kann sich keine Personalpolitik leisten, die
nicht ausreichend auf internationale Strukturen ausge-
richtet ist. Und last but not least: Deutschland hat Kom-
petenzen. Deutsches Personal kann Fähigkeiten und
Fachwissen einbringen, sei es im Umwelt-, Gesundheits-,
Agrar- oder Friedens- und Sicherheitsbereich. Diese
Kompetenzen müssen international besser eingesetzt
und genutzt werden. Das zu tun, dient uns allen.
Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Der von
den Koalitionsfraktionen eingebrachte Beschlussantrag
wird zur rechten Zeit im Plenum behandelt. Die dem An-
trag zugrunde liegende These von der zunehmenden
Globalisierung und Multilateralisierung unserer Außen-
politik hätte nicht nachdrücklicher unterstrichen werden
können, als dies durch unsere Präsidentschaften in EU
und G 8 geschehen ist.
Multilaterale Foren werden in einer globalisierten
Welt immer maßgeblicher. Die Bundesregierung teilt un-
eingeschränkt die Analyse des Antrags, dass nachhaltige
deutsche Mitgestaltung in diesen Institutionen natürlich
eine interessenorientierte, nachdrückliche und vor allem
mittelfristig angelegte internationale Personalpolitik zur
Voraussetzung hat.
Politisches Ziel der Bundesregierung war und ist es,
dass Deutschland entsprechend seinem politischen, wirt-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12443
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schaftlichen und kulturellen Gewicht, aber auch gemäß
dem hohen deutschen Finanzierungsanteil in internatio-
nalen Organisationen auf allen Funktionsebenen ange-
messen vertreten ist.
Insbesondere seit 1998 hat die Bundesregierung ihre
Bemühungen bereits deutlich intensiviert, um eine Erhö-
hung der deutschen Präsenz zu verwirklichen. Diese Be-
mühungen haben inzwischen zu konkreten Fortschritten
geführt. Der Antrag erwähnt einige dieser Fortschritte,
manch andere könnten noch ergänzt werden.
Was jetzt im nächsten Schritt nottut – und auch da
stimme ich mit dem Antrag überein –, ist eine weitere
Systematisierung und strategischere Ausrichtung der
deutschen internationalen Personalpolitik. Auch inso-
weit ist die Bundesregierung bereits initiativ geworden:
Vor zwei Tagen, am 10. Oktober, hat das Kabinett ein
„Personalrahmenkonzept der Bundesregierung zu zen-
tralen Fragen der internationalen Personalpolitik“ be-
schlossen.
Dieses Konzept ist unter Federführung des Auswärti-
gen Amtes in den vergangenen 18 Monaten im Ressort-
kreis gemeinsam erarbeitet und verhandelt worden. Es
definiert einen anzustrebenden gemeinsamen Mindest-
standard aller Ressorts – im Rahmen ihrer personalwirt-
schaftlichen Möglichkeiten und spezifischen dienstli-
chen Erfordernisse – zu den zentralen, den öffentlichen
Dienst betreffenden Fragestellungen der internationalen
Personalpolitik.
Regelungsgegenstand dieses Konzepts sind unter an-
derem die folgenden Bereiche: Umsetzung des Spiral-
modells, systematische Erfassung strategischer Zielposi-
tionen und Bewerberzielgruppen, Systematisierung der
Aus- und Fortbildung, Ausdehnung der Nachwuchsför-
derung und Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedin-
gungen für deutsche internationale Bedienstete.
Mit der Billigung des Konzepts ist die Bundesregie-
rung der Forderung des aktuellen Beschlussantrags
nachgekommen, eine langfristig angelegte Personalstra-
tegie für eine verbesserte Positionierung deutschen Per-
sonals in internationalen Organisationen auszuarbeiten.
Eines ist jedoch klar: Der Lackmustest für die Umset-
zung sowohl des Konzepts als auch der entsprechenden
Forderungen dieses Hauses wird die Bereitstellung dafür
erforderlicher finanzieller Ressourcen sein, sofern die
Maßnahmen sich nicht aus dem bestehenden Personal-
und Mittelbestand der Ressorts erwirtschaften lassen
sollten. Eine Bestandsaufnahme der Kostenfrage wird
von der Bundesregierung zu gegebener Zeit vorgenom-
men.
Die Seriosität gebietet es zu sagen: Auch hier im Bun-
destag müssen wir uns darüber klar sein, dass wir nur
dann eine Umsetzung der Forderungen des vorliegenden
Beschlussantrags im öffentlichen Dienst einfordern kön-
nen, wenn wir umgekehrt den Ressorts eine Stellenaus-
stattung zubilligen, die eine erforderliche Vorbereitung,
flexible und zügige Präsentation von Kandidaturen in in-
ternationalen Organisationen erlaubt. Mit anderen Wor-
ten: Wenn wir uns strategisch in internationalen Organi-
sationen positionieren wollen, müssen wir auch bereit
sein, den dafür im öffentlichen Dienst anfallenden Preis
zu bezahlen. Ansonsten bleiben diese Beschlüsse samt
ihrer Forderungskataloge weitgehend bedeutungslos.
Parallel zu den Bemühungen im Bereich des öffentli-
chen Dienstes finden derzeit im Ressortkreis Sondierun-
gen statt, wie die personalpolitische Zusammenarbeit
mit nichtstaatlichen Sektoren für internationale Organi-
sationen intensiviert werden kann. Dies betrifft die Ver-
besserung der Durchlässigkeit zwischen internationalen
Organisationen und öffentlichem Dienst, Privatwirt-
schaft und wissenschaftlichen Institutionen. Ob in die-
sem Zusammenhang eine stärkere Öffnung des ministe-
riellen Bereichs für Rückkehrer aus internationalen
Organisationen – wie es der Beschlussantrag fordert –
tatsächlich einen gangbaren Weg darstellt, wage ich per-
sönlich angesichts unseres den hoheitlichen Bereich be-
herrschenden Beamtenrechts zu bezweifeln. Alternativ
käme nur eine dramatische Erhöhung von Mitteln für ta-
rifliche und außertarifliche Zeitvertragsstellen im minis-
teriellen Bereich in Betracht. Beide Optionen scheinen
mir wenig wahrscheinlich zu sein.
Ungeachtet des Dissenses in einzelnen Aspekten de-
cken sich die Analyse und Schlussfolgerungen des Be-
schlussantrags mit der grundsätzlichen Einschätzung
und den konkreten Projektplänen der Bundesregierung.
Eine regelmäßige Berichtspflicht über die weitere Ent-
wicklung wird Bundesregierung wie Bundestag dazu an-
halten, sich wechselseitig darüber zu unterrichten, inwie-
weit die Forderungen dieses Antrags umgesetzt bzw. ob
die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaf-
fen worden sind.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu dem Antrag: Verzicht der Bundes-
regierung auf Einnahmen aus Sponsoring (Ta-
gesordnungspunkt 31)
Norbert Barthle (CDU/CSU): Es ist Freitagnachmit-
tag, viele Kollegen sind auf dem Weg in die Wahlkreise,
um dort ihre politische Arbeit fortzusetzen. Wir nicht.
Warum nicht? Weil uns die PDS wieder einmal mit ei-
nem Schaufensterantrag quält. Statt sich einmal um die
wirklich wichtigen Themen in unserer Republik zu küm-
mern, wie wir zum Beispiel unser Gemeinwesen weiter
reformieren und modernisieren, um damit die Grundla-
gen für unseren Wohlstand zu sichern, stürzt sich die
Linke zum x-ten Mal mit Verve auf einen kaum relevan-
ten Nebenschauplatz. Aber so funktioniert das bei Popu-
listen: Such dir ein Thema – schlag laut Alarm – und
hoppel zum nächsten!
Nun also das Sponsoring. Die Bundesregierung wird
aufgefordert, auf Einnahmen aus Sponsoring zu verzich-
ten. Die Begründung lautet:
Durch Sponsern der Bundesverwaltung können sich
Unternehmen Vorteile verschaffen, und es entsteht
der Eindruck, dass die Bundesregierung käuflich
ist.
12444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
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Ich habe einmal angerufen, zum Beispiel beim Berli-
ner Senat: Lasst ihr euch sponsern? Ja sicher, das kommt
vor, lautete die Antwort. Da ist doch nichts dabei, wir
sind ja nicht nur sexy, sondern vor allem arm, und Spon-
soring erspart uns Kosten, ist ja auch immer für einen
guten Zweck. – Nun frage ich einmal hier in die Runde,
ob jemand weiß, welche andere Partei neben der SPD
den Berliner Senat bildet? Die PDS, richtig.
Mit Ihrem Antrag sagen Sie indirekt, das auch der
Berliner Senat im Verdacht der Käuflichkeit steht. Dass
Sie mit Ihrer rechten Hand die Bundesregierung abwat-
schen wollen, kann ich ja noch verstehen. Aber dass Sie
sich mit Ihrer linken Berliner Hand selbst eine runter-
hauen, finde ich schon amüsant.
Wenn der Antrag im Jahr 2000 gestellt worden wäre,
hätte ich ja unter Umständen noch ein wenig Verständnis
dafür gehabt. Damals hatte der Bundesrechnungshof
festgestellt, dass die notwendige Transparenz beim
Sponsoring nicht immer gegeben gewesen sei. Die rot-
grüne Bundesregierung hat reagiert, das Innenministe-
rium erließ 2003 eine „Allgemeine Verwaltungsvor-
schrift zur Förderung von Tätigkeiten des Bundes durch
Leistungen Privater“; gemeint sind damit Sponsoring,
Spenden und sonstige Schenkungen. Dort sind die
Grundsätze klar genannt, denen sich die Verwaltung un-
terwirft, um dem von Ihnen pauschal geäußerten Vor-
wurf zu begegnen.
Es heißt dort richtigerweise:
Sponsoring trägt in geeigneten Fällen dazu bei, Ver-
waltungsziele zu erreichen. Gleichwohl muss die
öffentliche Verwaltung schon jeden Anschein frem-
der Einflussnahme vermeiden, um die Integrität
und die Neutralität des Staates zu wahren.
An diese Verwaltungsvorschrift hat sich die öffentli-
che Verwaltung zu halten; und ich habe überhaupt kei-
nen Zweifel daran, dass sie dies auch sorgfältig und ver-
antwortungsbewusst tut.
In Ihrem Antrag nennen Sie selbst die Summe von
55 Millionen Euro, die im ersten Zweijahresbericht Au-
gust 2003 bis Dezember 2004 angenommen wurde. Was
Sie – selbstverständlich – verschweigen, ist die Tatsache,
daß hiervon allein 41 Millionen Euro für eine Gesund-
heitskampagne zur Aidsaufklärung aufgewendet wur-
den. Ich bin Berichterstatter für den Haushalt des Bun-
desgesundheitsministeriums und damit auch für die
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zustän-
dig. Wir sind, wie alle in diesem Haus wissen, von einem
ausgeglichenen Haushalt noch entfernt, auch wenn die
Richtung dank der entschlossenen Politik der Großen
Koalition endlich wieder stimmt. Endlich sinkt die Neu-
verschuldung, das Ziel einer schwarzen Null im Jahr
2011 ist erreichbar. Doch in diesen Zeiten leerer Kassen
wäre zum Beispiel ein Großteil der wichtigen Aufklä-
rungsarbeit dieser Bundeszentrale schlicht nicht möglich
gewesen. Erst durch Sponsoring wurde die flächende-
ckende Aidskampagne der Bundesregierung durchführ-
bar.
Wie die Reaktion der PDS darauf lauten würde, kann
ich mir lebhaft vorstellen: Der Staat soll das bezahlen.
Unser verehrter Kollege Peter Struck hat ja einmal aus-
gerechnet, wie viele Milliarden Euro die Ideen und Vor-
schläge der PDS kosten würden und kam auf die erstaun-
liche Zahl von knapp 155 Milliarden Euro – jährlich,
wohlgemerkt. Wer so jenseits von Gut und Böse argu-
mentiert, kann natürlich auch auf die paar Millionen
Euro aus Sponsoring großzügig verzichten.
Wer jedoch, wie der Rest des Hauses, seine Verant-
wortung gegenüber kommenden Generationen ernst
nimmt, die Haushaltslage wirklich nachhaltig verbessern
möchte, wird zu dem Ergebnis kommen, dass Einnah-
men aus Sponsoring nicht so grundsätzlich zu kritisieren
sind, wie die Linke das mit ihrem Antrag tut. Werden die
Prinzipien der Verwaltungsvorschrift eingehalten, wird
die notwendige Transparenz gewahrt, sieht die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion im Sponsoring keinerlei Pro-
bleme.
Nicht nur wir sehen das so, der Bundesrechnungshof
übrigens genauso. Als er im Jahr 2006 auf Wunsch des
Rechnungsprüfungsausschusses den ersten Sponsoring-
Bericht der Bundesregierung überprüfte, kam er zu dem
Ergebnis, dass die Verwaltungsvorschrift geeignet ist,
die Transparenz über die von Privaten empfangenen
Leistungen herzustellen und damit die Integrität und
Neutralität des Staates zu wahren. Die Verbesserungs-
vorschläge des Rechnungshofes wurden und werden
selbstverständlich ernst genommen und umgesetzt: Be-
reits im zweiten Jahresbericht für die Jahre 2005 und
2006 wurden die Namen der Sponsoren für Leistungen
über 5 000 Euro offengelegt.
Dieser zweite Bericht weist Leistungen von insge-
samt 80,3 Millionen Euro aus. Auch hier bilden die In-
formationskampagnen zur Aidsprävention und -aufklä-
rung sowie zum Nichtrauchen mit 49,7 Millionen Euro
die Schwerpunkte.
Der Haushaltsausschuss hat in seiner Beschlussemp-
fehlung vom 8. Juni 2007 mit den Stimmen der Union,
der SPD, der FDP und der Grünen diesen Schaufenster-
antrag abgelehnt. Ich fordere alle hier im Plenum auf,
heute das Gleiche zu tun. Schicken wir den Antrag da-
hin, wohin er gehört: in den Papierkorb!
Petra Merkel (Berlin) (SPD): Wir haben im Frühjahr
bereits über diesen Antrag der Fraktion Die Linke ge-
sprochen – damals wurden unsere Reden zu Protokoll
gegeben. Nach Überweisung an die zuständigen Aus-
schüsse liegen die Voten nun vor, und wir beraten den
Antrag erneut im Plenum. In allen Ausschüssen ist die-
ser Antrag abgelehnt worden.
Zwischenzeitlich – diesen Sommer – wurde der
zweite Sponsoring-Bericht vom Bundesministerium des
Innern vorgelegt. In diesem wurden unsere Anregungen,
die Anregungen des Rechnungsprüfungsausschusses,
aufgegriffen und umgesetzt. Ein Punkt, der uns sehr
wichtig war, ist, dass die Sponsoren genannt werden –
dies tut der Bericht nun auch, und ein hohes Maß an
Transparenz ist damit gewährleistet.
Schon im März habe ich auf darauf hingewiesen, dass
die entscheidende Frage ist: Wollen wir Sponsoring zu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12445
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lassen und so etwas Zusätzliches ermöglichen, für das
uns sonst die Mittel fehlen? Oder wollen wir generell
keinerlei Sponsoring zulassen, weil es die Möglichkeit
geben könnte – eine Eventualität –, dass jemand den
Eindruck gewinnen könnte, hier könnte versucht wer-
den, eine Gegenleistung zu erkaufen. Ich beantworte
diese Frage, wie schon vor sieben Monaten – Sponsoring
ja, aber transparent und korrekt! So, wie wir es machen!
Und selbstverständlich ist auch: Mit Sponsoring werden
keine Pflichtaufgaben, keine Kernaufgaben finanziert.
Natürlich ist Sponsoring ein Thema, auf das sich die
Presse gerne stürzt, und gerne werden dann Beträge ge-
nannt, die den Eindruck erwecken, in unserem Land
blühe die Pflanze Korruption. Aber – meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen von der Linken – Sie sind doch
nicht ernsthaft davon überzeugt, dass sich die Bundesre-
gierung kaufen lässt, weil ein Unternehmen ein Fest mit
50 000 Euro oder weniger sponsert! Sie stellen in der
Begründung Ihres Antrages ja gerade auf den Bereich
des Ministeriums für Verteidigung ab: Ich habe mir im
zweiten Sponsoring-Bericht die Firmen und die Sponso-
ring-Summen des Bundesministeriums für Verteidigung
besonders noch einmal angesehen – ich gestehe: Die
treiben mir nicht die Tränen in die Augen –, aber ich
habe jetzt auch den Namen des Gebers, die Summe und
den Verwendungszweck als Grundinformation.
Selbstverständlich müssen wir dieses heikle Thema
sehr sensibl und korrekt handhaben. Ich finde, das tun
wir! Das tun wir im Parlament mit kritischem Blick und
mit aller notwendigen Verantwortung. Wir sind uns
eventueller Gefahren bewusst und nutzen auch unsere
Möglichkeiten zur parlamentarischen Kontrolle. Wir ha-
ben uns im Rechnungsprüfungsausschuss – dessen Mit-
glied ich bin und in dem ich für den Bereich des Bundes-
innenministeriums zuständig bin – viele Jahre mit dem
Thema Sponsoring beschäftigt – und wir werden das
Thema auch weiter verfolgen. Wir haben die Entstehung
des Sponsoring-Berichts unterstützt, der erscheint nun
alle zwei Jahre, und wir beraten ihn intensiv. Wir haben
dafür Sorge getragen, dass Sponsoring in geregelten
Bahnen verläuft. Wir haben ebenfalls dafür gesorgt, dass
Sponsoring transparent und nachvollziehbar ist, sodass
nicht der Eindruck entstehen könnte, irgendwer wäre ir-
gendwie käuflich oder jemand würde wegen Sponsoring
begünstigt.
Im zweiten Sponsoring-Bericht, der seit Juli vorliegt,
finden sich Beträge, die in unterschiedlicher Höhe eini-
ges ermöglichen. Was können wir dem zweiten Sponso-
ring-Bericht denn jetzt entnehmen? Auch aus diesem
Bericht wird erneut ersichtlich, dass mit dem Sponsoring
Projekte verwirklicht werden konnten, die ohne dieses
Sponsoring nicht oder nur in geringerem Umfang mög-
lich gewesen wären. Im Vergleich zum Gesamthaushalt
haben diese Leistungen nur ein sehr geringes Volumen.
Die Gesamtsumme für alle Ressorts betrug laut zwei-
tem Sponsoring-Bericht (für die Jahre 2005 und 2006)
rund 80 Millionen Euro – davon entfielen rund 75,8 Mil-
lionen Euro auf 716 Leistungen, deren Wert über
5 000 Euro lag. Schwerpunkt waren erneut – wie schon
im ersten Bericht – die Sachleistungen.
Und wenn jetzt für alle ersichtlich ist, dass das THW
Schenkungen, Spenden und Sponsoring für viele Orts-
verbände erhält – da können wir uns doch nur bei den
Sponsoren bedanken! Von der Teilfinanzierung einer
Kfz-Halle bis zur Verpflegung für Jugendarbeit, von der
Sachleistung einer Anhänger-Wechselbrücke bis zur
Schenkung von zwei Pkw und der Übernahme der Kos-
ten für Live-Musik – da ist Sinnvolles für den THW mit
privatem finanziellen Engagement unterstützt und er-
möglicht worden.
Ich möchte gerne ein weiteres Beispiel geben – das
verdeutlicht, dass es wahrlich nicht anrüchig ist, wenn
ein Ministerium oder ein Amt Sponsorleistungen an-
nimmt –: Das Bundespräsidialamt hat zum Beispiel
insgesamt Leistungen von fast 1 Millionen Euro
(935 737 Euro) angenommen – diese dienten ausschließ-
lich zur Unterstützung des Sommerfestes 2006.
Und jetzt frage ich Fraktionsmitglieder der Linken:
Gehen Sie jetzt nicht zum Sommerfest des Bundespräsi-
denten? Verweigern Sie das gesponserte Essen und die
Getränke?
Ich möchte gerne von Ihnen wissen, was Sie von dem
Sponsoring-Bericht halten. Reichen Ihnen die Informa-
tionen nicht? Was finden Sie verwerflich an den dort
aufgeführten Leistungen?
Schon im März habe ich auf die Leistungen, die das
Bundesministerium für Gesundheit erhielt, hingewiesen.
Fast 50 Millionen Euro hat dieses Ministerium an Spon-
sorleistungen erhalten – und zwar für Maßnahmen zur
Gesundheitsprävention – nämlich kostenlose Plakatflä-
chen für Anzeigen zur Aidsprävention. Nochmals an die
Fraktion Die Linke – Warum wollen Sie das nicht zulas-
sen?
Ich habe mir noch mal Ihre Rede vom März dieses
Jahres durchgelesen – Sie konstruieren zwischen Aufträ-
gen an große Firmen, politischen Entscheidungen, Spen-
den und Sponsoring eines: Korruption. In dem zweiten
Bericht wird unseren Forderungen im Rechnungsprü-
fungsausschuss nach mehr Transparenz Rechnung getra-
gen. Nun gibt es ein Gegenmittel gegen den Vorwurf von
Begünstigung und Korruption – und das heißt Transpa-
renz. Und die haben wir geschaffen: Ab 5 000 Euro wer-
den die Namen der Geber genannt. Für das Mäzenaten-
tum im Kulturbereich gibt es eine besondere Regelung,
sie werden nicht genannt. Derzeit arbeitet das Ministe-
rium darüber hinaus an einer Vorgabe, die den Bedürf-
nissen der Mäzene und der Öffentlichkeit Rechnung tra-
gen soll. Ob sich die Grenze von 5 000 Euro bewährt,
werden wir wiederum überprüfen. Ich bin sicher, dass
die große Mehrheit im Rechnungsprüfungsausschuss,
auch mit den Oppositionsfraktionen – vielleicht nicht
mit der Linken –, auch die folgenden Sponsoring-Be-
richte kritisch bearbeiten wird und mithilfe des Rech-
nungshofs und der Ministerien die Gratwanderung zwi-
schen Transparenz und Bürokratie wahren wird.
Sie werden sich nach meiner Rede nicht wundern,
dass meine Fraktion Ihren Antrag ablehnen wird.
12446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Dr. Claudia Winterstein (FDP): Die Linksfraktion
fordert in ihrem Antrag, die Bundesregierung solle auf
Einnahmen durch private Spenden verzichten.
Wissen Sie eigentlich, wovon Sie sprechen? Beim
Thema „Spenden“ zeigen Sie lieber mit dem Finger auf
andere, während es Ihre Partei mit den Spenden offenbar
nicht ganz so genau nimmt. Es ist schon eine bemerkens-
werte Ironie, dass der Ältestenrat Ihren Antrag gerade
dann auf die Tagesordnung setzt, wenn gleichzeitig ge-
gen die Linkspartei in Sachen Spenden ermittelt wird.
Doch nun zur Sache: Abgesehen von dem scheinheili-
gen Getue halte ich die Bedenken der Linksfraktion zum
Sponsoring in der Bundesverwaltung auch sachlich für
falsch. Sie sagen: Das Ansehen des Staates steht auf dem
Spiel; Kollegin Lötzsch spricht in einer Pressemitteilung
sogar von „der gekauften Republik“. Da sollte man doch
die Kirche im Dorf lassen. Sie unterstellen, dass Unter-
nehmen sich Vorteile verschafft hätten, ohne diese Vor-
würfe belegen zu können. An der Stelle sollten Sie vor-
sichtiger argumentieren.
Rund 82 Millionen Euro in Geld- und Sachspenden
haben Ministerien und Behörden des Bundes in den Jah-
ren 2005 und 2006 von privater Seite erhalten, Geld, mit
dem überwiegend Projekte finanziert wurden, für die an-
sonsten keine Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Es
wäre äußerst bedauerlich, wenn der Staat auf diese Mit-
tel verzichten müsste.
Der mit Abstand größte Teil der Sponsoren-Gelder ist
in die Aidsaufklärung geflossen: über 44 Millionen
Euro. Wir sind uns doch wohl hier alle einig, wie wichtig
dieses Thema ist, insbesondere vor dem Hintergrund
steigender Infektionszahlen in Deutschland. Ich kann
beim besten Willen nicht erkennen, was falsch daran
sein soll, wenn der Staat die Unterstützung privater Ge-
ber in Anspruch nimmt, um gute, sinnvolle Projekte
durchzuführen. Wollen Sie wirklich ohne Not eine gute
Sache beenden?
Ganz im Gegenteil: Das Engagement der Spender
verdient unsere volle Unterstützung. Immer weniger
Bürger identifizieren sich mit dem Staat. Eine Kultur des
Spendens fördert den Austausch zwischen Bürger und
Staat. Wer spendet, setzt sich aktiv für die Gesellschaft
ein! Wir brauchen mehr privates Engagement und nicht
weniger!
Selbstverständlich brauchen wir klare Regeln für das
Sponsoring. Das heißt: Offenlegen, was gesponsert, wie
viel gesponsert wurde und vor allem: von wem gespon-
sert wurde!
Der gesponserte Zweck muss eine eindeutige Außen-
wirkung haben. Es kann zum Beispiel nicht angehen,
dass sich Ministerien interne Betriebsfeiern bezahlen
lassen. Firmen dürfen sich nicht zu Dauersponsoren ei-
ner bestimmten Behörde entwickeln, das gefährdet die
Chancen- und Wettbewerbsgleichheit unter den poten-
ziellen Sponsoren.
Und das Wichtigste ist: Wir brauchen Transparenz.
Dazu gehört die Veröffentlichung der Sponsorennamen
im Interesse der Bürger und Steuerzahler. Transparenz
ist das wirksamste Mittel, damit gar nicht erst der Ver-
dacht von Korruption oder Interessenüberschneidungen
aufkommen kann. Hier hat die Bundesregierung in der
Vergangenheit Fehler begangen. Durch die fehlende Na-
mensnennung im ersten Sponsoring-Bericht konnte der
Eindruck entstehen: Der Bund hat etwas zu verbergen.
Der Bundesrechungshof hat dies zu Recht kritisiert. Wir
haben im Rechungsprüfungsausschuss diese Kritik auf-
genommen, und das Innenministerium hat im zweiten
Sponsoring-Bericht die Namen der Unternehmen und
Verbände genannt.
Regeln für das Sponsoring sind wichtig, sie dürfen
aber nicht dazu führen, dass sich potenzielle Spender ab-
geschreckt fühlen und vom Sponsoring zurückziehen.
Dies gilt vor allem für den Kunst- und Kulturbereich. Es
ist nicht ungewöhnlich, dass Kunstmäzene ihre Unter-
stützung nur anonym leisten wollen. Dieser Wunsch ist
absolut respektabel. Eine zwingende Nennung der
Namen von Kunstmäzenen würde deren Spendenbereit-
schaft bremsen und negative Auswirkungen auf den
Kulturbereich haben. Deswegen haben wir uns im Rech-
nungsprüfungsausschuss für eine Ausnahme im Sponso-
ring-Bericht eingesetzt, die das Ministerium auch so um-
gesetzt hat. Somit haben wir nun eine zufriedenstellende
Regelung erreicht.
Denn eines ist klar: Das Sponsoring braucht klare Re-
geln und Transparenz. Der Staat muss aber auch die
Chance haben, privates Engagement für sinnvolle Dinge
zu nutzen, und ausgerechnet das wollen Sie verhindern.
Kehren Sie also lieber vor der eigenen Haustür, anstatt
uns mit scheinheiligen und überflüssigen Anträgen zu
nerven.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): In dieser Woche
wurde viel über Gerechtigkeit im Bundestag gesprochen,
das ist ein gutes Zeichen. Wir sollten alle Politikfelder
unter dem Gerechtigkeitsaspekt unter die Lupe nehmen.
Nehmen wir die demokratische Mitbestimmung der
Bürgerinnen und Bürger bei politischen Entscheidungen.
Haben alle den gleichen Zugang zu den Entscheidungs-
trägern, oder gibt es hier Abstufungen und Privilegien,
die zu einem demokratischen System im Widerspruch
stehen? Ich weiß nicht, ob schon mal eine Arbeitslosen-
vereinigung Empfänge, Bälle oder Essen in einem Bun-
desministerium ausgerichtet hat, um in einer gemütli-
chen, völlig ungezwungenen Atmosphäre bei einem
Glas Wein und einer Frühlingsrolle über das Leben mit
Hartz IV mit einem Minister ins Gespräch zu kommen.
Ich weiß, dass der Rüstungskonzern EADS seit 2003
insgesamt 20 Empfänge, Bälle und Essen für das Bun-
desministerium der Verteidigung, die Bundeswehr und
ihre Gäste ausgerichtet hat. Ich weiß auch, dass der Rüs-
tungskonzern EADS in der Zeit von 1999 bis 2007 Rüs-
tungsaufträge im Wert von 10,5 Milliarden Euro von der
Bundesregierung erhalten hat. Natürlich werden Ver-
träge nicht auf Empfängen oder Bällen geschlossen,
doch wer behauptet, dass es keinen Zusammenhang zwi-
schen dem Sponsoring durch EADS und den üppigen
Rüstungsaufträgen gibt, der irrt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12447
(A) (C)
(B) (D)
Die Bundesregierung tut ja so, als ob Korruption ein
merkwürdiges Phänomen wäre, das es nur in Afrika gibt.
In unserem Land gibt es eine lange Geschichte von Be-
stechung und Korruption. Denken wir nur an Herrn
Schäuble, der eine illegale Spende von 100 000 DM vom
Waffenhändler Schreiber angenommen hatte und als
CDU-Parteivorsitzender zurücktreten musste.
Der Journalist Hans Leyendecker hat in seinem neuen
Buch Die große Gier die Korruption unter anderem bei
Siemens aufgearbeitet. Bemerkenswert ist, dass es im-
mer um Korruption im Ausland geht.
In Norwegen hat Siemens dem Militär zu hohe Rech-
nungen gestellt. Die Sache flog auf, weil ein ehrlicher
norwegischer Siemens-Mitarbeiter den Betrug meldete.
Allerdings wurde er daraufhin von Siemens entlassen.
Wenn Siemens dem norwegischen Militär überhöhte
Rechnungen ausstellt, wäre nicht einmal zu überprüfen,
ob der Konzern mit der Bundeswehr ähnlich verfährt?
Ich habe die Bundesregierung gefragt, welche Konse-
quenzen sie aus den massiven Korruptionsvorwürfen ge-
genüber Siemens bezüglich der Verträge, die die Bun-
desregierung mit dem Konzern geschlossen hat, zieht
und ob sie beabsichtigt, die entsprechenden Verträge auf
Korruption hin zu überprüfen? Die Bundesregierung ant-
wortete: „Anlass zu einer Überprüfung von Verträgen
mit Siemens besteht erst dann, wenn der Verdacht vor-
liegt, dass Mitarbeiter von Siemens Bedienstete der Bun-
desregierung bestochen haben.“
Jeder Bürger, der hört, dass sein Nachbar von einem
üblen Versicherungsvertreter über den Tisch gezogen
wurde, würde seinen Vertrag, den er mit dem gleichen
üblen Versicherungsvertreter abgeschlossen hat, über-
prüfen. Doch die Bundesregierung ist da völlig sorgen-
frei. Es ist ja auch nicht ihr Geld, sondern das Geld der
Steuerzahler.
Das Sponsoring der Bundesregierung ist eine Ein-
stiegsdroge für Bestechung und Korruption, deshalb for-
dert die Linke, die Finanzierung von Empfängen und
Bällen in den Bundesministerien durch Unternehmen
und Lobbyisten endlich zu beenden. Es geht darum, die
Integrität und die Neutralität des Staates zu wahren, aber
auch mehr Gerechtigkeit beim Zugang der Bürgerinnen
und Bürger zu politischen Entscheidungen zu erlangen.
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir können es klar benennen: Sponsoring von Bundes-
behörden ist und bleibt ein heikles Thema. Denn allzu
leicht kann in der Öffentlichkeit der Anschein entstehen,
dass sich einzelne Interessengruppen mittels gezielter
Sponsorleistungen versuchen die Gunst der Bundesver-
waltung zu verschaffen. Aber ist es ratsam, das Kind
leichtfertig mit dem Bade auszuschütten, wie von der
Linken mit einem kompletten Sponsoring-Verbot hier
gefordert? Um es vorweg zu nehmen: Nein, ist es nicht!
Denn im Einzelfall kann Sponsoring durchaus von Be-
deutung sein: In finanzieller, wie aber auch in ideeller
Hinsicht.
Lassen Sie uns das Thema doch einmal veranschauli-
chen. Der zweite Sponsoring-Bericht für den Zeitraum
von 2005 bis 2006 benennt entsprechende Leistungen in
einer Gesamthöhe von 80 Millionen Euro. Darunter fal-
len Geldleistungen aber auch Sachleistungen. Diese rei-
chen von der Umlackierung eines Lkws für das Techni-
sche Hilfswerk in Mannheim für knapp 5 000 Euro bis
hin zur Bereitstellung von Plakatflächen für die Aids-
Präventionskampagne der Bundeszentrale für gesund-
heitliche Aufklärung in einem Gegenwert von 11,1 Mil-
lionen Euro. Um einmal die Verhältnisse zurechtzu-
rücken. Aus den derzeit laufenden Haushaltsberatungen
können sie entnehmen, dass der Bundeszentrale für ge-
sundheitliche Aufklärung ein jährliches Gesamtbudget
von lediglich 7 Millionen Euro zur Verfügung steht. Da-
ran lässt sich unschwer erkennen, welche enorme Be-
deutung Sponsoring gerade in diesem Bereich hat.
Aber es gibt selbstverständlich auch Sponsorleistun-
gen, die wir kritisch beäugen. Insbesondere dann, wenn
es wie zum Beispiel im Verteidigungsbereich zwischen
Sponsoren und der entsprechenden Bundesverwaltung
anderweitige vertragliche Beziehungen bestehen. Doch
in diesen Fällen ist Transparenz und Offenheit die beste
Methode, um möglichen Einflussnahmen zu begegnen.
Wer in diesen Bereichen mit unlauteren Mitteln Einfluss
nehmen will, wird auf jeden Fall versuchen seine Ano-
nymität zu wahren. Deswegen haben wir uns von Bünd-
nis 90/Die Grünen dafür eingesetzt, dass das Sponsoring
aus dem Schattenbereich ins Licht kommt. Wir haben
uns im Rechnungsprüfungsausschuss mehrmals mit der
Thematik beschäftigt und glücklicherweise über die Mo-
nate hinweg beim zuständigen Bundesinnenministerium
einen Sinneswandel bewirken können. Die fehlende na-
mentliche Nennung der Sponsoren im ersten Sponso-
ring-Bericht wurde anfangs mit abwechselnd skurrilen
Begründungen erklärt. In einem Ablehnungsbescheid
auf Einsicht in die Namensliste erklärte das Bundesin-
nenministerium in einem Schreiben beispielsweise ei-
nem Antragsteller: Auf die Namensnennung werde auch
deshalb verzichtet, „damit Sponsoren oder Spender
durch die Veröffentlichung nicht befürchten müssen,
künftig auch von anderer Seite gebeten zu werden, Maß-
nahmen, Projekte, etc. zu unterstützen.“ Diese Begrün-
dung ist nicht nur völlig abwegig, sondern lässt erst recht
Vermutungen ins Kraut schießen, dass es hier wohl et-
was zu verheimlichen gibt. Der Verdacht von Parteilich-
keit und Beeinflussung ist dann nicht von der Hand zu
weisen.
Gerade deswegen ist es ungemein wichtig, dass für
die Öffentlichkeit in diesem sensiblen Bereich Transpa-
renz hergestellt wird. Ein Vertuschen und Tuscheln
beschädigt dagegen die eigentlich gute Idee, dass die
Bundesverwaltung einzelne Projekte durch eigens bei
Unternehmen und Verbänden akquirierte Mittel mitfi-
nanziert. Dadurch wird der Bundesverwaltung die Mög-
lichkeit eröffnet, neben den regulären Budgetmitteln
durch eigene Anstrengungen zusätzliche Maßnahmen
durchführen zu können. Dies stärkt meiner Meinung
nach im ausgesprochen positiven Sinne die Eigenverant-
wortung und den Gestaltungsspielraum der Verwaltung.
12448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Das Bundesinnenministerium hat letztlich unsere Kri-
tik aus dem Rechnungsprüfungsausschuss aufgenom-
men. Als schmaler Grat zwischen der Gefahr von über-
bordender Bürokratie auf der einen Seite und möglichst
großer Transparenz auf der anderen Seite soll in Zukunft
eine Namensnennung ab einer Wertgrenze von
5 000 Euro vorgesehen werden. Diese Wertgrenze ist ein
Kompromiss. Die Mehrzahl der Sponsorleistungen liegt
nämlich unterhalb dieser Grenze. Es muss in Zukunft
überprüft werden, ob sich diese Grenze als praktikabel
erweist. Im Zweifelsfall muss sie dementsprechend an-
gepasst werden.
Der schmale Grat besteht aber auch darin, dass mit ei-
ner neuen Transparenzregelung nicht das Mäzenatentum
in der Kulturförderung behindert werden soll. Deswegen
braucht es eine scharfe begriffliche Differenzierung zwi-
schen Sponsoring, Spende und sonstiger Schenkung.
Beim privaten Mäzenatentum sollte dem Wunsch nach
Anonymität Rechnung getragen werden können, gerade
weil hier im Gegensatz zum Sponsoring eben beispiels-
weise keine Gegenleistung in Form von Werbung erwar-
tet wird. Die Kulturförderung zeigt exemplarisch, wie
kontraproduktiv ein völliger Verzicht auf Sponsoring,
Spenden und Schenkungen wäre.
Wir brauchen vielmehr eine Regelung die den schma-
len Grat meistert. Dies bedeutet: Sponsoring braucht
größtmögliche Transparenz.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:
– Große Anfrage: Auswärtige Kulturpolitik
– Antrag: Neujustierung der Auswärtigen Kul-
turpolitik
(Tagesordnungspunkt 33)
Harald Leibrecht (FDP): Wenn wir heute über eine
Neujustierung der deutschen auswärtigen Kulturpolitik
debattieren, müssen wir zunächst einmal den Istzustand
analysieren.
Wir haben hier vor einem knappen Jahr über die
Haushaltssituation in der auswärtigen Kulturpolitik de-
battiert. Ich habe damals erklärt – und dazu stehe ich
auch heute –, dass ich den erhöhten Haushalt für dieses
Ressort natürlich begrüße, dass es aber notwendig ist,
Umstrukturierungen in der auswärtigen Kulturpolitik
vorzunehmen.
Für die FDP ist es dabei von großer Wichtigkeit, dass
es zu einer breit gefächerten Vermittlung deutscher Kul-
tur kommt, um einer facettenreichen auswärtigen Kul-
turpolitik gerecht zu werden. Das heißt, so wichtig natür-
lich das Goethe-Institut als Mittler deutscher Kultur ist
und so sehr ich die Reformbestrebungen des Goethe-
Instituts begrüße, dass wir die zahlreichen anderen Mitt-
lerorganisationen mit ihren wichtigen Beiträgen für die
deutsche auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht
vernachlässigen dürfen.
Für ihren mehr als umfangreichen Antrag zur Neujus-
tierung auswärtiger Kulturpolitik möchte ich Frau
Dr. Eid ganz herzlich danken. Sie sprechen darin viele
wichtige Punkte an, auch wenn dieser Antrag wahr-
scheinlich vor den Haushaltsberatungen noch besser auf-
gehoben gewesen wäre.
Ich persönlich bin sehr an einer Revitalisierung der
transatlantischen Beziehungen interessiert, die in den
letzten Jahren ja arg strapaziert worden sind. Doch
denke ich, dass wir uns hier nicht allein auf die Vermitt-
lung eines realistischen Deutschlandbildes in den USA
konzentrieren sollten. Gleichen Stellenwert muss für uns
auch haben, dass wir es schaffen, auch wieder ein realis-
tisches Bild der USA hier in Deutschland zu zeichnen.
Wenn wir langfristig innovative internationale Ko-
operationen auf zivilgesellschaftlicher Ebene vorantrei-
ben, sei es im transatlantischen Dialog, bei der noch im-
mer zäh verlaufenden europäischen Integration oder in
anderen Regionen, zahlt sich das auch für uns aus und ist
somit eine sinnvolle Investition in die Zukunft.
Erklärtes Ziel der liberalen auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik sind die Darstellung der kulturellen
Vielfalt Deutschlands und die aktive Förderung der Ver-
breitung der deutschen Sprache. Wir möchten das Inte-
resse an Deutschland, seiner Geschichte, Kultur und
Politik im Ausland wecken und damit die Voraussetzun-
gen für enge und vertrauensvolle Beziehungen zwischen
Deutschland und seinen Partnern schaffen. Auswärtige
Kulturpolitik sollte dabei Deutschland nicht nur in sei-
nen vielfältigen Teilen, sondern auch als Ganzes wider-
spiegeln. Andererseits ist auswärtige Kulturpolitik keine
Einbahnstraße. Sie dient ebenso dazu, unsere Aufmerk-
samkeit den Kulturen anderer Länder zu schenken und
von deren Eigenarten und Vielfalt zu lernen.
Das ist, denke ich, ein ganz besonders wichtiger
Punkt, wenn wir darüber reden, was auswärtige Kultur-
politik zur Krisenprävention beitragen kann. Hier geht es
nämlich unter anderem darum, in Zukunft schneller poli-
tische Entwicklungen in der Welt zu erkennen und da-
rauf reagieren zu können.
Daher meine ich, dass wir uns mit unserer Auslands-
kulturarbeit frühzeitig in Regionen engagieren müssen,
die bislang von unserem Tellerrand gefallen sind. Ich
denke zum Beispiel an Zentralasien, wo zum Teil er-
schreckende Diktaturen entstanden sind. Aktive Kultur-
und Bildungspolitik sollte hier zum Ziel haben, die mit
einem aufgeklärten, freiheitlichen, demokratischen Staat
verbundenen Werte zu vermitteln.
Gerade in der heutigen globalisierten Welt müssen
wir lernen, unterschiedliche Kulturen zu verstehen, und
uns darum bemühen, von anderen Kulturen besser ver-
standen zu werden. Eine effektiv gestaltete auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik kann einen sehr wichtigen
Beitrag dazu leisten.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12449
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 14
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 836. Sitzung am 21. Sep-
tember 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77
Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Drittes Gesetz zur Änderung des Rindfleischeti-
kettierungsgesetzes
– Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Verbrau-
cherinformation
– Gesetz über die Aufhebung des Freihafens Bremen
– Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftli-
chen Engagements
– Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des
Dopings im Sport
– Gesetz zur Reform des Versicherungsvertrags-
rechts
– Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen
der Vereinten Nationen vom 13. April 2005 zur
Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen
– Gesetz zur Umsetzung des VN-Übereinkommens
vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearter-
roristischer Handlungen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwi-
schen der Europäischen Union und den Vereinig-
ten Staaten von Amerika über Auslieferung, zu
dem Abkommen vom 25. Juni 2003 zwischen der
Europäischen Union und den Vereinigten Staaten
von Amerika über Rechtshilfe, zu dem Vertrag
vom 14. Oktober 2003 zwischen der Bundesrepu-
blik Deutschland und den Vereinigten Staaten von
Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen, zu
dem Zweiten Zusatzvertrag vom 18. April 2006
zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundes-
republik Deutschland und den Vereinigten Staa-
ten von Amerika sowie zu dem Zusatzvertrag
vom 18. April 2006 zum Vertrag zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in
Strafsachen
– Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen
vom 26. Mai 2000 über die internationale Beför-
derung von gefährlichen Gütern auf Binnenwas-
serstraßen (ADN)
– Gesetz zu dem Protokoll vom 22. April 2005 zur
Änderung des Übereinkommens vom 11. Oktober
1973 zur Errichtung des Europäischen Zentrums
für mittelfristige Wettervorhersage
– Viertes Gesetz zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch – Verbesserung der Qualifizie-
rung und Beschäftigungschancen von jüngeren
Menschen mit Vermittlungshemmnissen
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die mit dem Ge-
setzentwurf intendierte Zielsetzung, mit dem erweiterten
Förderangebot zur nachhaltigen beruflichen Integration
junger Menschen insbesondere leistungsschwächeren
Jugendlichen beim Übergang zwischen Schule und Be-
ruf eine zusätzliche Chance zur Aufnahme einer Berufs-
ausbildung und zu einem beruflichen Abschluss zu ge-
ben.
Angesichts der demografischen Entwicklung und der
nach wie vor überdurchschnittlich hohen Arbeitslosig-
keit auch Jüngerer ohne Berufsabschluss ist die berufli-
che Erstausbildung die entscheidende Voraussetzung für
den Einstieg ins Erwerbsleben und dauerhafte Beruf-
schancen. Nach Auffassung des Bundesrates muss des-
halb sichergestellt werden, dass die neuen Qualifizie-
rungsinstrumente die Aufnahme und den Abschluss
einer Berufsausbildung tatsächlich unterstützen.
In Anbetracht dessen hält er den Ansatz des Qualifi-
zierungszuschusses, leistungsschwache Jugendliche be-
trieblich zu qualifizieren und zu einer Berufsausbildung
zu motivieren, grundsätzlich für richtig, aber nicht für
hinreichend ausgestaltet. Die betriebliche Qualifizierung
im Rahmen einer regulären Beschäftigung verbessert
zwar die individuellen Integrationschancen. Entschei-
dend für eine nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit ist
aber, dass mit den Qualifizierungszuschüssen nach dem
SGB III
– ein systematischer Kompetenzzuwachs für die Ju-
gendlichen erreicht wird,
– an bereits in der Einstiegsqualifizierung, in Berufsvor-
bereitungsmaßnahmen oder einer abgebrochenen Be-
rufsausbildung vermittelte Ausbildungsbestandteile
angeschlossen wird,
– ein Beitrag zur Vervollständigung einer Berufsaus-
bildung geleistet wird und
– Maßnahmen gefördert werden, die auf einen Ab-
schluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf aus-
gerichtet sind.
Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung,
darauf hinzuwirken, dass Qualifizierungselemente in
Maßnahmen nach dem SGB III und dem SGB II an-
schlussfähig ausgestaltet werden und sich vorrangig an
dem Ziel eines Ausbildungsabschlusses orientieren.
Des Weiteren hält der Bundesrat eine zeitlich befris-
tete Öffnung der Berufsausbildung in außerbetrieblichen
Einrichtungen für marktbenachteiligte Altbewerberinnen
und Altbewerber für erforderlich und bittet, diese Rege-
lung bis zum 31. Dezember 2009 zu verlängern. Dabei
sollen auch diese Maßnahmen an bereits absolvierte
Ausbildungsbestandteile in der Einstiegsqualifizierung,
in berufsvorbereitenden Maßnahmen und in einer abge-
brochenen Berufsausbildung anschließen.
– Zweites Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch – Perspektiven für Langzeitar-
beitslose mit besonderen Vermittlungshemmnis-
sen – JobPerspektive
12450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich, dass mit dem
„Zweiten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozial-
gesetzbuch – Verbesserung der Beschäftigungschancen
von Menschen mit Vermittlungshemmnissen – Jobpers-
pektive“ die Integration von arbeitsmarktfernen Menschen
mit besonderen Vermittlungshemmnissen in sozialversi-
cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf dem
ersten Arbeitsmarkt gefördert werden soll.
Mit dem Beschäftigungszuschuss soll eine neue Ar-
beitgeberleistung für die Einstellung von Arbeitneh-
mern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, eingeführt
werden. Die Förderdauer soll zunächst bis zu 24 Monate
betragen und anschließend ohne zeitliche Unterbrechung
unbefristet erbracht werden, wenn eine Erwerbstätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt voraussichtlich in-
nerhalb der nächsten 24 Monate nicht möglich ist.
Der Bundesrat hat Bedenken, ob die Möglichkeit der
Gewährung eines Beschäftigungszuschusses bei Einstel-
lung junger Erwachsener unter 25 Jahren nicht die Ver-
wirklichung des vorrangigen Ziels der Ausbildung jun-
ger Erwachsener gefährden könnte. Außerdem sieht der
Bundesrat die Gefahr, dass die Zielsetzung des SGB II,
Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Erwerbstätig-
keit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu überwinden,
durch die Möglichkeit einer unbefristeten Gewährung
des Beschäftigungszuschusses unterlaufen werden
könnte.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb
auf, die Wirkungen des neuen Instrumentes des Beschäf-
tigungszuschusses auf die Ausbildung von jungen Er-
wachsenen unter 25 Jahren sowie im Hinblick auf die
Zielsetzung des SGB II, Hilfebedürftigkeit dauerhaft zu
überwinden, nach Ablauf eines Erprobungszeitraumes
von drei Jahren zu untersuchen und Bundestag und Bun-
desrat über das Ergebnis zu berichten.
– Gesetz zur Änderung des Mikrozensusgesetzes
2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Mit dem vorliegenden Gesetz wird in § 4 Abs. 5 Nr. 2
des Mikrozensusgesetzes 2005 für Frauen im Alter von
15 bis 75 Jahren die Frage nach der „Zahl der lebend ge-
boren Kinder“ eingefügt, die alle vier Jahre erhoben
wird.
Im Gesetzgebungsverfahren zum Mikrozensusgesetz
2005 waren sich fast alle Beteiligten darin einig, dass
eine weitere Aufblähung des Fragebogens eine Gefahr
für die Qualität der gesamten Mikrozensuserhebung dar-
stellt. Deshalb konnte im Vermittlungsverfahren zum
Mikrozensusgesetz 2005 der Fragenkatalog einge-
schränkt werden.
Beim Mikrozensus 2007 umfasst das Frageprogramm
für den „Grundbogen“ 158 Fragen. Unter Einbeziehung
des Zusatzbogens zum sogen. Ad-hoc-Modul der EU-
Arbeitskräftestichprobe erhöht sich der Frageumfang auf
174 Fragen. Der Fragebogen (rd. 40 Seiten), die dazuge-
hörigen Erläuterungen und die weiteren Informationen
für die Befragten über den Mikrozensus umfassen
über 50 DIN-A-4-Seiten. Die beim Gesetzgebungsver-
fahren zum Mikrozensusgesetz 2005 befürchtete Über-
frachtung des Mikrozensus ist trotz der im Vermittlungs-
verfahren erreichten Begrenzung der zusätzlichen
Fragen eingetreten.
Auch der Gesetzgeber hat die Problematik der Über-
frachtung des Mikrozensus gesehen. Deshalb ist in der
Verordnungsermächtigung in § 13 Nr. 2 Mikrozensusge-
setz 2005 zur Vermeidung einer Erweiterung des Erhe-
bungsumfangs die Einführung neuer Erhebungsmerk-
male zur Deckung eines geänderten Bedarfs an die
gleichzeitige Aussetzung anderer Merkmale gekoppelt.
Im aktuellen Gesetzgebungsverfahren wurde diese Kop-
pelung mit dem Hinweis auf keine zu erwartenden prak-
tikablen Lösungsvorschläge umgangen. Dies ist nicht
sachgerecht und im Hinblick auf die Erhaltung der Qua-
lität der gesamten Mikrozensuserhebung künftig nicht
mehr hinnehmbar.
Merkmalsstreichungen führen selbstverständlich im-
mer zu Informationsverlusten. Aber nach dem Koaliti-
onsvertrag von CDU, CSU und SPD ist auch Bürokratie-
abbau ein Ziel der Koalition. Die Erweiterung des
Erhebungsumfangs beim Mikrozensus ist mit der „Neu-
entlastung von Bürgern, Wirtschaft und Behörden von
einem Übermaß an Vorschriften und der damit einherge-
henden Belastung durch bürokratische Pflichten“ nicht
vereinbar.
Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesrat, dass
jede künftige Erweiterung des Fragenkatalogs beim Mi-
krozensus – und mag sie für sich betrachtet auch noch so
berechtigt sein – nicht zu einer Erweiterung des Erhe-
bungsumfangs führen darf.
– Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts
in der Informationsgesellschaft
Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Die Bundesregierung wird gebeten, die Auswirkun-
gen der neu eingeführten Bereichsausnahme für Schul-
bücher bei der Schrankenregelung des § 53 Abs. 3 UrhG
sorgfältig zu beobachten und im Fall einer unangemesse-
nen Verschlechterung der Bedingungen für den Kultus-
bereich der Länder kurzfristig eine Anpassung des Ge-
setzes vorzuschlagen.
Der Bundesrat spricht sich darüber hinaus dafür aus,
nach der Verabschiedung des „Zweiten Korbes“ mög-
lichst rasch die Arbeiten an einem „Dritten Korb“ für die
Belange von Bildung, Wissenschaft und Forschung in
der Wissens- und Informationsgesellschaft aufzuneh-
men. Im Rahmen dieses „Dritten Korbes“ gilt es insbe-
sondere
– zu prüfen, wie den Besonderheiten von Open Ac-
cess- und Open Source-Verwertungsmodellen Rech-
nung getragen werden kann;
– auf Basis der Ergebnisse eines internationalen Ver-
gleichs einen klaren Rechtsrahmen für ein Zweitver-
öffentlichungsrecht für Urheber von wissenschaftli-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12451
(A) (C)
(B) (D)
chen Beiträgen, die überwiegend im Rahmen einer
mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und For-
schungstätigkeit entstanden sind, zu schaffen;
– über die bisherige Fassung des § 52b UrhG hinaus
die Wiedergabe von Werken an elektronischen Lese-
plätzen neben öffentlichen Bibliotheken, Museen
und Archiven auch in Bildungseinrichtungen zu er-
möglichen.
Darüber hinaus setzt sich der Bundesrat weiter dafür
ein, dass
– die bestehende Regelung hinsichtlich der öffentli-
chen Zugänglichmachung für Unterricht und For-
schung (§ 52a UrhG) hinsichtlich bestehender
Rechtsunsicherheiten, geltender Bereichsausnahmen
sowie ihrer Befristung überprüft wird;
– die elektronische Versendung von Fachartikeln durch
Bibliotheken nicht mehr begrenzt wird. Die bisheri-
gen Regelungen sind nicht ausreichend. Der offene
Zugang zu Informationen muss gewahrt bleiben. Die
Kernaufgaben der Bibliotheken als Orte der Informa-
tionsversorgung sollten nicht zu Gunsten des Mark-
tes beschränkt werden.
Begründung:
Auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestages (Bundestagsdrucksache 16/5939) wer-
den mit einer Ergänzung von § 53 Abs. 3 UrhG
Schulbücher von der gesetzlichen Schranke, die die
Vervielfältigung zum Gebrauch im Schulunterricht
und für Prüfungen erlaubt, ausgenommen. Eine der-
artige Vervielfältigung ist damit nur noch mit Einwil-
ligung des Berechtigten zulässig. Durch diese soge-
nannte Bereichsausnahme sollen Eingriffe in den
Primärmarkt der Schulbuchverlage vermieden wer-
den.
Im Hinblick auf die Vorgaben des Dreistufentests,
wonach durch eine Schrankenregelung die normale
Verwertung eines Werks nicht beeinträchtigt werden
darf, steht die Berücksichtigung der berechtigten In-
teressen der Schulbuchverlage bei der Ausgestaltung
der Schranke außer Frage. Das klassensatzweise Ko-
pieren ganzer Schulbücher oder großer Teile davon
ist allerdings bereits nach geltendem Recht nicht zu-
lässig. Andererseits ist die Fertigung einzelner Ko-
pien in Klassenstärke für Unterricht und Prüfungen
notwendig und nicht mehr wegzudenken. So verwen-
den die Lehrkräfte für Prüfungen, aber auch zur Er-
gänzung oder Vertiefung des Stoffs Aufgaben, Übun-
gen und Darstellungen aus Schulbüchern, die nur sie
selbst zur Verfügung haben, und die von der Klasse
nicht als Lehrmittel verwendet werden. Auch bieten
die Verlage spezielle Lehrerhefte an, die ergänzend
zu dem Schulbuch für die Schüler unter anderem
auch Kopiervorlagen enthalten. Für diese bisher zu-
lässigen und im Unterricht unabdingbaren Kopien er-
halten die Urheber eine Vergütung gemäß § 54a UrhG.
Derartige, für einen modernen, effektiven Unter-
richtsablauf auch im Interesse der Schüler weiterhin
notwendige Kopien sind künftig nur mit Zustim-
mung der Rechteinhaber zulässig. Der Bundesrat
geht davon aus, dass seitens der Rechteinhaber nicht
beabsichtigt ist, die Kopien grundsätzlich zu verbie-
ten. Dies wäre nicht nur aus Sicht der Schulen, son-
dern auch aus Sicht der Urheber problematisch, weil
die bisherige Vergütung entfallen würde, ohne dass
das Verbot wirksam kontrolliert werden könnte. Es
ist daher von entscheidender Bedeutung, unter wel-
chen Bedingungen eine Zustimmung erteilt wird.
Dies gilt sowohl für das Verfahren als auch für die
Frage einer Lizenzzahlung. Zunächst sind daher die
Beteiligten (Kultusverwaltung, Schulbuchverlage,
Urheber und ZFS – Zentralstelle Fotokopieren an
Schulen) aufgefordert, sinnvolle und praktikable Re-
gelungen zu treffen, die den Primärmarkt der Schul-
buchverlage ausreichend schützen, aber im Schulbe-
trieb notwendige Kopien zu angemessenen
Bedingungen und ohne Verwaltungsaufwand auf ver-
traglicher Basis weiter ermöglichen.
Sollte sich aber diese Erwartung nicht erfüllen und
die Neuregelung zu Unzuträglichkeiten im Schulbe-
trieb oder zu unangemessenen Kosten für die Schu-
len, Schulaufwandsträger und Kultushaushalte füh-
ren, die durch den notwendigen Schutz des
Primärmarkts der Schulbuchverlage nicht gerechtfer-
tigt sind, ist eine Änderung des Gesetzes erforder-
lich. Die Prüfung sollte zusammen mit der im Jahr
2008 auf jeden Fall erforderlichen Überprüfung zu
den §§ 52a und 137k UrhG erfolgen.
Darüber hinaus bleibt die Schaffung eines bildungs-
und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts für die
sich herausbildende globale Wissens- und Informa-
tionsgesellschaft ein zentrales bildungs- und for-
schungspolitisches Ziel. Dafür hat sich der Bundesrat
in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der
Bundesregierung, dem "Zweiten Korb", vom 19. Mai
2006 – Bundesratsdrucksache 257/06 (Beschluss) –
mit Nachdruck eingesetzt. Auf den Entschließungs-
antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD im
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung des Deutschen Bundestages vom
4. Juli 2007 wird ebenfalls verwiesen (Bundestags-
drucksache 16/5939, S. 26). Mit der Umsetzung des
„Zweiten Korbes“ zur Änderung des Urheberrechts
wurde zwar ein Schritt auf dem Weg zu einem sol-
chen bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urhe-
berrecht unternommen. Diesem müssen jedoch wei-
tere Schritte folgen. Notwendig ist ein „Dritter Korb“
zur Novellierung des Urheberrechts, der die spezifi-
schen Anforderungen von Bildung, Wissenschaft
und Forschung in der Wissens- und Informationsge-
sellschaft sowie der zunehmend wissensbasierten
Wirtschaft stärker in den Mittelpunkt rückt und den
rasanten technologischen Entwicklungen im IuK-Be-
reich sowie den Rahmenbedingungen für die neuen
Lehr- und Lernplattformen (beispielsweise e-Lear-
ning, Distance Teaching, Online Instructioning usw.)
Rechnung trägt.
Auf der Grundlage des Open-Access-Prinzips könnte
die Chance für innovative, attraktive und elektroni-
schen Umgebungen angemessene Organisations- und
12452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
(A) (C)
(B) (D)
Geschäftsmodelle für Publikation und Distribution
von Wissen eröffnet werden, die auch Verlagen und
der gesamten Informationswirtschaft neue Möglich-
keiten zur Erschließung von Publikations- und Dis-
tributionsmärkten bieten.
In den USA („government purpose license“) und
Großbritannien („crown copy-right“) können Urhe-
ber, die bei aus Steuermitteln finanzierten Einrich-
tungen beschäftigt sind, Nutzungsrechte an Verlage
nur eingeschränkt übertragen. Auf Grund eines inter-
nationalen Vergleichs muss ein verlässlicher rechtli-
cher Rahmen für ein Zweitveröffentlichungsrecht bei
Wissenschaftspublikationen geschaffen werden, wie
dies in AGB großer internationaler Wissenschafts-
verlage teilweise bereits, aber auch in wenig transpa-
renter Differenzierung, möglich ist.
Um Bildungseinrichtungen, deren Bildungsauftrag
unzweifelhaft ist, nicht un-verhältnismäßig von der
dynamischen technologischen Entwicklung abzu-
koppeln und deren Nutzerinnen und Nutzern nicht
moderne Nutzungsmöglichkeiten zu verwehren, sind
eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des im
"Zweiten Korb" eingeführten § 52b UrhG, wozu die
Urheberrechtsrichtlinie die Möglichkeit eröffnet, und
eine Präzisierung des Anwendungsbereichs von §
52a UrhG sowie dessen vollständige Entfristung er-
forderlich.
– Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes
Er hat beschlossen:
1. festzustellen, dass das Gesetz nicht seiner Zustim-
mung bedarf
und
2. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundge-
setzes nicht zu stellen.
Begründung zu Ziffer 1:
Das Gesetz bedarf nach der Föderalismusreform
nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates.
– Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsver-
fahren
Er hat beschlossen:
– festzustellen, dass das Gesetz seiner Zustimmung be-
darf
und
– dem Gesetz zuzustimmen.
Begründung zur Zustimmungsbedürftigkeit:
Entgegen der Eingangsformel im Gesetzesbeschluss
des Deutschen Bundestages vom 21. Juni 2007 bedarf
das Gesetz der Zustimmung des Bundesrates gemäß
Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 des Grundgesetzes.
Dies folgt aus § 73 BImSchG in der Fassung von Ar-
tikel 2 Nr. 6 des Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetzes
vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2819). Danach
kann von dem in diesem (Bundes-Immissionsschutz-)
Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes getroffenen
Regelungen des Verwaltungsverfahrens durch Lan-
desrecht nicht abgewichen werden. Mit dieser erst in
den damaligen Beratungen des Bundestages einge-
fügten Regelung sollen Abweichungsbefugnisse der
Länder nach Artikel 84 Abs. 1 Satz 2 GG und Artikel
125b Abs. 2 GG ausgeschlossen werden. In der
hierzu gehörenden Beschlussempfehlung (Bundestags-
drucksache 16/3311, S. 16) wird das besondere Be-
dürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung i.S.d. Ar-
tikels 84 Abs. 1 Satz 5 GG ausführlich begründet.
Das Gesetz wurde (u.a. durch diese Regelung) zu-
stimmungsbedürftig i.S.d. Artikels 84 Abs. 1 Satz 6
GG und mit Zustimmung des Bundesrates beschlos-
sen.
Da § 73 BImSchG i.d.F. des Öffentlichkeitsbeteili-
gungsgesetzes die Abweichungsbefugnis des Lan-
desgesetzgebers generell für alle Regelungen des
Verwaltungsverfahrens nach dem Bundes-Immis-
sionsschutzgesetz (in seiner jeweils geltenden Fas-
sung) ausschließt, bedürfen auch spätere Gesetzesän-
derungen zum Verfahrensrecht der Zustimmung des
Bundesrates. Eine solche Änderung sieht aber Arti-
kel 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Reduzierung und Be-
schleunigung von immissionsschutzrechtlichen Ge-
nehmigungsverfahren mit der als § 12 Abs. 1 Satz 3
in die 9. BImSchV einzufügenden verfahrensrechtli-
chen Neuregelung vor. Nach Artikel 84 Abs. 1 Satz 5
und 6 GG ist dieses Gesetz daher zustimmungsbe-
dürftig.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die künftige Gestal-
tung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – Rahmen-
pläne 2006 bis 2009 und 2007 bis 2010
– Drucksachen 16/310, 16/413 Nr. 1.6 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sondergutachten des Sachverständigenrates für Um-
weltfragen
Umweltverwaltungen unter Reformdruck – Herausfor-
derungen, Strategien, Perspektiven
– Drucksachen 16/4690, 16/5327 Nr. 1 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 119. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007 12453
(A) (C)
(B) (D)
Innenausschuss
Drucksache 16/4258 Nr. 2.22
Finanzausschuss
Drucksache 16/6041 Nr. 1.10
Drucksache 16/6041 Nr. 2.5
Drucksache 16/6041 Nr. 2.6
Drucksache 16/6041 Nr. 2.7
Drucksache 16/6041 Nr. 2.21
Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie
Drucksache 16/5505 Nr. 2.26
Drucksache 16/5681 Nr. 1.4
Drucksache 16/5806 Nr. 1.3
Drucksache 16/6041 Nr. 1.4
Drucksache 16/6041 Nr. 2.3
Drucksache 16/6041 Nr. 2.4
Drucksache 16/6041 Nr. 2.19
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 16/3196 Nr. 1.52
Drucksache 16/3573 Nr. 2.6
Drucksache 16/5199 Nr. 2.3
Drucksache 16/5806 Nr. 1.5
Ausschuss für Gesundheit
Drucksache 16/4939 Nr. 1.3
Drucksache 16/6041 Nr. 2.15
Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
Drucksache 16/6041 Nr. 1.1
Drucksache 16/6041 Nr. 1.2
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Drucksache 16/2555 Nr. 2.116
Drucksache 16/5199 Nr. 1.3
Drucksache 16/6041 Nr. 1.3
Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe
Drucksache 16/6041 Nr. 1.11
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Drucksache 16/4939 Nr. 2.9
Ausschuss für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
Drucksache 16/3382 Nr. 2.34
Drucksache 16/3897 Nr. 1.10
Drucksache 16/4105 Nr. 2.47
Drucksache 16/4501 Nr. 2.10
Drucksache 16/4939 Nr. 2.16
119. Sitzung
Berlin, Freitag, den 12. Oktober 2007
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13
Anlage 14