Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns in-
tensive, gute Beratungen.
Vizepräsidentin Dr. Susanne Kastner und der Kollege
Erich Fritz haben vor einigen Tagen jeweils ihren
60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses
gratuliere ich dazu nachträglich herzlich und wünsche
alles Gute.
Die Kollegin Miriam Gruß hat ihr Amt als Schriftfüh-
rerin niedergelegt. Das ist kein Anlass zum Jubeln. Als
Nachfolger schlägt die Fraktion der FDP den Kollegen
Florian Toncar vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Die Fraktion Die Linke teilt mit, dass der Kollege Hü-
seyin-Kenan Aydin aus der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates ausscheidet. An seiner Stelle
soll der Kollege Dr. Hakki Keskin neues ordentliches
Mitglied werden. Sind Sie auch damit einverstanden? –
Das sieht sehr danach aus. Dann ist der Kollege
Dr. Keskin als ordentliches Mitglied in die Parlamentari-
Redet
sche Versammlung des Europarates gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Rechtsstaatliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße
Gesetzgebungsarbeit
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringli-
chen Fragen Nr. 1 und 2 auf Drucksache 16/3790
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning,
Christian Ahrendt, Michael Link , weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Ehrgeiz für die deutsche Ratspräsident
EU der Erfolge für die Bürger
– Drucksache 16/3832 –
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
vom 20. Oktober 2005 über den Schutz und die Förde-
rung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen
– Drucksache 16/3711 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Göring-
Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bundesagen-
tur für Arbeit ermöglichen – Künstlerdienste sichern
– Drucksache 16/3779 –
Überweisungsvorschlag:
ext
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 153 zu Petitionen
– Drucksache 16/3817 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 154 zu Petitionen
– Drucksache 16/3818 –
ng der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
es
elübersicht 155 zu Petitionen
cksache 16/3819 –
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7208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 156 zu Petitionen
– Drucksache 16/3820 –
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 157 zu Petitionen
– Drucksache 16/3821 –
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 158 zu Petitionen
– Drucksache 16/3822 –
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 159 zu Petitionen
– Drucksache 16/3823 –
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 160 zu Petitionen
– Drucksache 16/3824 –
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsaus-
schusses
Sammelübersicht 161 zu Petitionen
– Drucksache 16/3825 –
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Kultur und Medien
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto
, Christoph Waitz, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Rundfunkgebühr für Computer mit Internet-
anschluss – die Gebührenfinanzierung des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks grundlegend reformieren
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der LINKEN
Moratorium für PC-Gebühren – sofortige Neuver-
handlung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages
– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger,
Grietje Bettin und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
PC-Gebühren-Moratorium verlängern
– Drucksachen 16/2970, 16/3002, 16/2793, 16/3792 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Jörg Tauss
Hans-Joachim Otto
Dr. Lukrezia Jochimsen
Grietje Bettin
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister,
Otto Bernhardt, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Reinhard Schultz ,
Bernd Scheelen, Ingrid Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Bezeichnungsschutz für Sparkassen gesichert
– Drucksache 16/3805 –
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein,
Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Chancen und Herausforderungen der Osterweiterung der
Europäischen Union für die Entwicklungszusam-
menarbeit der EU
– Drucksache 16/3807 –
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
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Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Kor-
nelia Möller, Cornelia Hirsch, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der LINKEN
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7209
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ausbildungsplatzlücke schließen – Vorschlag
des DGB aufgreifen
– Drucksache 16/3540 –
überwiesen:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich stelle Einvernehmen fest. Dann ist das so beschlos-
sen.
Wir kommen nun zur Abgabe einer Erklärung durch
die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat in Düssel-
dorf – Entschuldigung, in Brüssel.
– Stellen Sie sich vor, ich hätte dazu Einvernehmen fest-
gestellt. Dann wäre es richtig kompliziert geworden.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c so-
wie den Zusatzpunkt 3 auf:
4 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundeskanzle-
rin
zum Europäischen Rat in Brüssel am
14./15. Dezember 2006 und den bevorstehen-
den deutschen Präsidentschaften im Rat der
Europäischen Union und in der G 8
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Stübgen, Gunther Krichbaum, Thomas Bareiß,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Axel Schäfer,
Dr. Lale Akgün, Doris Barnett, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Die deutsche Präsidentschaft der Europäi-
schen Union zum Erfolg führen
– Drucksache 16/3808 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
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gierung
Präsidentschaftsprogramm 1. Januar bis
30. Juni 2007 – Europa gelingt gemeinsam
– Drucksache 16/3680 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
P 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
der FDP
Mehr Ehrgeiz für die deutsche Ratspräsident-
schaft – eine EU der Erfolge für die Bürger
– Drucksache 16/3832 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Bevor ich dazu der Bundeskanzlerin das Wort erteile,
öchte ich dem Minister Michael Glos zu seinem heuti-
en Geburtstag herzlich gratulieren.
Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
ntrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
ung anderthalb Stunden vorgesehen. – Auch dazu höre
ch keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
ie Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
7210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
rund zwei Wochen beginnt die deutsche Doppelpräsi-
dentschaft: im Rat der Europäischen Union und in der
Gruppe der Acht. In wenigen Stunden beginnt der Euro-
päische Rat – wie gesagt – in Brüssel, noch einmal unter
finnischem Vorsitz.
Weil sich die finnische EU-Präsidentschaft dem Ende
zuneigt, möchte ich ihr an dieser Stelle ein herzliches
Dankeschön sagen. Sie hat unter schwierigen Bedingun-
gen vieles erreicht.
Der morgen stattfindende Rat wird sich vor allen Din-
gen mit dem Thema Erweiterungspolitik befassen.
Wenn man sich an die Anfänge der Europäischen Union
erinnert – damals waren es sechs Mitgliedstaaten –, so
kann man heute sagen: Diese Erweiterungspolitik ist
eine Erfolgsgeschichte Europas. Denn heute umfasst die
Europäische Union fast das gesamte kontinentale Europa
in Demokratie und Freiheit.
Mit Rumänien und Bulgarien werden am 1. Januar
2007 zwei weitere Mitglieder in die Europäische Union
kommen. Beide Staaten haben zusätzliche Verpflichtun-
gen zu weiteren Reformen nach dem Beitritt übernom-
men. Mit Kroatien und mit der Türkei laufen Verhand-
lungen. Auch die Staaten des westlichen Balkans – Sie
wissen das – haben eine Beitrittsperspektive.
Man sieht also: Es ist viel in Bewegung und natürlich
kommen die Fragen auf, wohin das führt und wie, also
nach welchen Prinzipien die Europäische Union wach-
sen will. Genau darüber werden wir auf diesem Rat spre-
chen. Denn der Erfolg der Erweiterungspolitik muss da-
rin liegen, dass die Europäische Union attraktiver und
handlungsfähiger wird, und zwar sowohl nach außen als
auch nach innen.
Wir alle wissen, dass die Perspektive zum Beitritt
noch kein Garantieschein für eine spätere Mitgliedschaft
ist. Es müssen die Kriterien eingehalten werden, auf die
sich der EU-Vertrag gründet, und es müssen die Bei-
trittskriterien eingehalten werden, die durch die Be-
schlüsse der Staats- und Regierungschefs der Europäi-
schen Union festgelegt sind. Dies sage ich nicht als
Drohung, sondern ich sage es eher als Ansporn für die
Länder, die beitreten wollen, und auch als Ansporn für
die Gemeinschaft, die natürlich dafür sorgen muss, dass
sie die notwendige Aufnahmefähigkeit hat.
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Mon-
tenegro und Serbien haben eine solche Beitrittsperspek-
tive. Aber bei aller Richtigkeit dieser Entscheidung wis-
sen wir, dass die Perspektive eine mittlere ist und dass
noch viele Vorbereitungen zu treffen sind, damit aus die-
ser Perspektive eine Aufnahme werden kann. Ich nehme
Kroatien hier ausdrücklich aus. Die EU führt mit diesem
Land bereits erfolgreiche Beitrittsverhandlungen. Aber
auch hier ist es noch zu früh, um ein Datum für die Auf-
nahme nennen zu können.
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Genau dies haben die Außenminister am Montag die-
er Woche als Grundlage für die Beratungen, die heute
nd morgen stattfinden, vereinbart. Ich bin sehr dankbar,
ass es gelungen ist, diese Vereinbarung zu treffen. Die
ußenminister haben damit gezeigt, dass auf Worte Ta-
en folgen. Aber ich sage noch einmal: Die EU hat glei-
hermaßen besonnen und entschlossen reagiert. Das
anze wird dadurch ergänzt und präzisiert, dass die
ommission dem Rat jährlich, also 2007, 2008 und
009, berichten wird, ob und inwieweit die Türkei ihren
erpflichtungen nachgekommen ist. Auch diesen Über-
rüfungsmechanismus begrüße ich sehr. Denn es ist der
at, der immer wieder einstimmig entscheiden muss,
ie es mit den Beitrittsverhandlungen weitergeht.
Meine Damen und Herren, es besteht die Notwendig-
eit – das wird auch während unserer Präsidentschaft
ine Rolle spielen und an Bedeutung gewinnen –, Staa-
en enger an die Europäische Union zu binden, ohne ih-
en bereits die Vollmitgliedschaft oder überhaupt etwas
usagen zu können. Das gilt im Hinblick auf die
kraine, die Schwarzmeerregion und andere Regionen.
eshalb brauchen wir eine attraktive und dauerhafte
achbarschaftspolitik, mit der wir die Länder enger an
ie Europäische Union heranführen, die selbst nicht Mit-
lied werden können. Ich bin sehr dankbar für die Initia-
iven des Auswärtigen Amtes, die sich sehr intensiv mit
er Entwicklung einer solchen Nachbarschaftspolitik be-
chäftigen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7211
)
)
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Wir werden auf dem Rat auch über die Innen- und
Justizpolitik sprechen, vor allen Dingen über das Thema
Migration. Wir alle kennen die Bilder verzweifelter
Menschen und afrikanischer Flüchtlinge auf brüchigen
Booten. Wir können dem nicht einfach zusehen, sondern
wir müssen ein kohärentes und gemeinsames Handeln
der Europäischen Union hinbekommen. Das bedeutet,
dass wir auf der einen Seite mit Entschiedenheit gegen
illegale Migration vorgehen müssen, dass wir aber auf
der anderen Seite auch die Ursachen der illegalen Migra-
tion bekämpfen und uns mit der Situation in den afrika-
nischen Ländern auseinander setzen müssen. Beides ge-
hört zusammen und bei beidem liegt noch sehr viel
Arbeit vor uns.
Wir haben heute nicht nur über den aktuell stattfin-
denden Rat zu sprechen, der heute und morgen zusam-
mentritt, sondern auch darüber, dass Deutschland in gut
zwei Wochen die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.
Wir haben unsere Präsidentschaft unter das Motto „Eu-
ropa gelingt gemeinsam“ gestellt, aber man könnte auch
sagen: Europa gelingt nur gemeinsam. Wir haben es er-
lebt: Ein gespaltenes, ein uneiniges Europa – sei es in
außenpolitischen Fragen, sei es in innenpolitischen Fra-
gen – macht die Stärke der Europäischen Union nicht
deutlich. Deshalb gilt für die Außenpolitik wie für die
innere Politik der Europäischen Union: Europa gelingt
nur gemeinsam.
Das sage ich vor allen Dingen mit Bezug auf das, was
ich das Zukunftsmodell der Europäischen Union nennen
würde: das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell.
Die Bundesregierung fühlt sich der Weiterentwicklung
des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells ver-
pflichtet. Denn wenn wir wirtschaftlich nicht stark sind,
wenn wir den Menschen keine Perspektive geben kön-
nen, dann wird Europa, dann wird die Europäische
Union nach außen hin nicht stark auftreten können.
Wir brauchen eine erfolgreiche Politik in Brüssel. Das
bedeutet aber – das möchte ich an dieser Stelle nur kurz
einschieben –, dass auch die Mitgliedstaaten stark sein
müssen. Die Bundesregierung wird den Weg der Refor-
men während ihrer EU-Ratspräsidentschaft entschieden
weitergehen. Die Dinge gehören zusammen: Einfluss auf
die Entwicklung der Europäischen Union haben wir nur
dann, wenn bei uns die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn wir
auf dem Pfad des Wirtschaftswachstums bleiben und
wenn unsere Unternehmen prosperieren. Innen- und Au-
ßenpolitik gehören an dieser Stelle sehr eng zusammen.
Wenn wir vorausschauend auf unsere Präsidentschaft
blicken, müssen wir uns bewusst sein, dass in dieser Zeit
unerwartete Ereignisse eintreten können. Alle vergange-
nen Präsidentschaften haben das erlebt. Selbstverständ-
lich haben wir für unsere Präsidentschaft dennoch
Schwerpunkte gesetzt. So wollen wir insbesondere die
wirtschafts- und sozialpolitische Zukunft Europas in
den Mittelpunkt unserer Präsidentschaft rücken. Auf
dem Frühjahrsgipfel im März 2007 wollen wir deshalb
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eshalb werden wir den deutschen Kommissar, Herrn
erheugen, bei diesen Dingen unterstützen.
Wir werden auch eine Diskussion über die Frage der
inführung eines Diskontinuitätsprinzips in der Euro-
äischen Union führen. Das hat etwas zu tun mit dem
erhältnis der Institutionen in Europa: Kommission,
arlament und Rat. Für uns, in einem nationalen Parla-
ent, ist es selbstverständlich, dass mit dem Ende einer
egislaturperiode Gesetzentwürfe verfallen. Auf europäi-
cher Ebene gibt es so etwas nicht. Wir sollten darüber
eden, dass es doch nicht sein kann, dass ein neues Parla-
ent gewählt wird, eine neue Kommission bestellt wird,
ber das Einzige, was konstant bleibt, die nicht bearbei-
ete Richtlinie ist. Das wird ein langer Prozess, das wird
icht schnell gehen; ich weiß, welches dicke Brett wir da
ohren. Aber wir sollten darüber sprechen, weil es für
as Selbstverständnis von Parlament, Kommission und
at ganz wichtig ist.
Die Vollendung des Binnenmarktes wird ein weite-
er Schwerpunkt sein. Wir müssen uns noch einmal ver-
egenwärtigen – ich glaube, die Zahlen der Kommission
ind da sehr eindrücklich –, dass der Binnenmarkt seit
nfang der 90er-Jahre ein Mehr von über 2,5 Millionen
rbeitsplätzen gebracht hat. Das muss man den Men-
chen immer und immer wieder sagen: Freiheitliche Re-
eln im einheitlichen Binnenmarkt in der Europäischen
nion und gemeinsame Standards bringen ein Mehr an
eschäftigung und machen uns insgesamt stärker.
Wir werden einen Schwerpunkt setzen bei Forschung
nd Bildung. Das 7. Forschungsrahmenprogramm wird
ährend unserer Präsidentschaft starten. Das, was uns
er Bundespräsident immer wieder gesagt hat – wir müs-
en so viel besser sein, wie wir teurer sind –, müssen wir
adurch umsetzen, dass wir innovativ sind, dass wir for-
chungsstark sind, dass Europa an der Spitze ist. Das
uss das Credo sein, das sich auch sich hinter dem tro-
kenen Ziel des Lissabonprozesses verbirgt.
7212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Ein weiterer Schwerpunkt wird die Energiepolitik
sein. Die Kommission wird hier eine Reihe von Mittei-
lungen machen. Deshalb wollen wir beim Frühjahrsgip-
fel einen Aktionsplan für eine Energiepolitik für Europa
verabschieden. Wir brauchen einen echten Binnenmarkt
für Strom und Gas. Wir wollen natürlich die Klima-
schutzziele erfüllen und müssen deshalb der Energieeffi-
zienz eine besondere Bedeutung beimessen. Wir wollen
die erneuerbaren Energien ausbauen. Wir wollen die En-
ergieforschung entwickeln. Wenn wir als Europa beim
Klimaschutz weiter eine Vorreiterrolle spielen wollen,
müssen wir auch Ziele für die Zeit nach 2012, also nach
dem Auslaufen des Kiotoprotokolls, festlegen. Eine ge-
meinsame Verhandlungslinie der Europäischen Union
wäre sehr gut, gerade mit Blick auf unsere G-8-Präsi-
dentschaft.
Natürlich möchten wir, dass der 50. Jahrestag der Un-
terzeichnung der Römischen Verträge am 25. März zu
einem Höhepunkt unseres Ratsvorsitzes wird. Es ist his-
torisch beachtlich – um es ganz vorsichtig zu sagen –,
dass es 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römi-
schen Verträge möglich ist, in einem wiedervereinigten
Deutschland, in einer nicht mehr geteilten Stadt Berlin
ein Europa zu feiern, das auch die mittel- und osteuro-
päischen Länder umfasst. Dafür kann man gar nicht
dankbar genug sein.
Dieser 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römi-
schen Verträge und die Verabschiedung einer Berliner
Erklärung werden uns noch einmal daran erinnern, dass
wir natürlich ein gemeinsames Selbstverständnis und ein
gemeinsames Werteverständnis brauchen. Europa grün-
det sich auf geschichtliche Erfahrungen, die wir zusam-
men gemacht haben; häufig waren dies sehr leidvolle Er-
fahrungen. Europa gründet sich auf dem Willen, die
Zukunft gemeinsam besser zu gestalten. Europa gründet
sich aber vor allem auf Werten, die wir alle teilen: Frei-
heit und Gerechtigkeit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit
und Achtung der Menschenrechte.
Nur auf der Grundlage dieser Wertegemeinschaft konnte
nach dem Zweiten Weltkrieg ein historisch neues Mit-
einander von größeren und kleineren Mitgliedstaaten
entstehen. Das heißt, europäische Integration muss auch
in Zukunft wertegebunden sein.
Das führt unweigerlich zum Verfassungsvertrag.
Die Verantwortung, die wir haben, ist uns klar. Ich will
aber an dieser Stelle auch deutlich sagen: Das wird ein
Prozess sein, der während unserer Präsidentschaft nicht
beendet werden wird. Wir wissen: Nizza ist nicht genug.
Wir brauchen einen Verfassungsvertrag.
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ber wir haben die Aufgabe, zum Ende unserer Ratsprä-
identschaft hin einen Fahrplan vorzulegen, wie es wei-
ergehen kann. Ich hielte es für ein historisches Ver-
äumnis – das will ich hier ganz klar sagen –, wenn wir
s nicht schaffen würden, bis zur nächsten Europawahl
it der Substanz dieses Verfassungsvertrages so umzu-
ehen, dass wir wirklich ein Ergebnis abliefern können.
ch werde mich während unserer Präsidentschaft jeden-
alls intensiv dafür einsetzen – das gilt auch für die
esamte Bundesregierung –, dass auf Grundlage der
emeinsamkeit unserer Werte ein solcher Verfassungs-
ertrag zustande kommt.
In den Außenbeziehungen der Europäischen Union
ird uns – das spüren wir alle – immer mehr Gemein-
amkeit abverlangt. Wir sind als Mitgliedstaat alleine gar
icht in der Lage, den Bedrohungen durch Massenver-
ichtungswaffen und internationalen Terrorismus zu be-
egnen. Deshalb tun wir das im Verbund mit unseren
artnern in der Europäischen Union und in der NATO.
ir müssen in unserer Präsidentschaft natürlich dafür
orgen, dass in all den aktuellen Fällen mit einer und mit
iner starken Stimme gesprochen wird.
Ich glaube, sagen zu können, dass es in den letzten
ahren große Fortschritte bei der europäischen Außen-
nd Sicherheitspolitik gegeben hat. Die Europäische
nion hat – wenn wir uns das einmal vergegenwärtigen –
rfolgreich dazu beigetragen, die Krise in Mazedonien zu
ntschärfen, in Indonesien einen Friedensprozess einzu-
eiten und im Kongo einer neuen Krise vorzubeugen.
Was haben wir nicht gerade im Zusammenhang mit
em Einsatz im Kongo über hohe Risiken diskutiert. Ich
laube aber, dass es besser ist, über die Risiken vorher
u diskutieren, damit sie einen nicht unerwartet treffen.
ber ich finde, die Europäische Union hat ihren Auftrag
n dieser Stelle großartig erfüllt.
ch bin froh, dass unsere Soldatinnen und Soldaten nach
ause kommen können. Der Prozess im Kongo im Zu-
ammenhang mit der Wahl hat das Land ein Stück weiter
ebracht. Das heißt aber nicht, dass unser Engagement
ür den Kongo jetzt aufhört. Wir werden dort weiterhin
olizisten ausbilden. Die UNO wird sich weiterhin enga-
ieren. Wir haben in Bosnien-Herzegowina Verantwor-
ung übernommen und sind auch im Gazastreifen aktiv
ätig.
Die Europäische Union ist sich ihrer wachsenden Ver-
ntwortung also nicht nur bewusst, sondern sie nimmt
ie auch wahr. Aber sie weiß auch: Sie ist nur Teil der
usammenarbeit mit der NATO und in den Vereinten
ationen. Die Handlungsfähigkeit der Europäer muss
ich in jedem einzelnen Fall, in jeder Krise wieder neu
ewähren. Die Stabilisierung des westlichen Balkans
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7213
)
)
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
wird dabei in den kommenden Monaten mit Sicherheit
ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein. In Serbien wird es
Wahlen geben. Wir werden danach vom Sondergesand-
ten Ahtisaari einen Vorschlag bekommen, wie es mit
dem Kosovo weitergeht. Wir wissen schon heute, dass
dann die größte zivile Mission im Rahmen der Europäi-
schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Ent-
wicklung im Kosovo begleiten muss und dass es dort zu
einer völlig neuen Qualität bei der Zusammenarbeit von
Europäischer Union und NATO kommen muss.
Wir sind parallel zur Stabilisierung des Balkans natür-
lich mit Afghanistan beschäftigt, mit dem Nachbarkonti-
nent Afrika und dessen Konflikten und vor allen Dingen
mit dem Nuklearprogramm des Irans. Wir wissen:
Deutschland und auch die Europäische Union dürfen
und werden sich nicht überheben. Deutschland kennt
seine Möglichkeiten, aber auch seine Grenzen. Wir soll-
ten jedoch nicht übersehen, dass wir durch die Doppel-
präsidentschaft natürlich ein zusätzliches Maß an Ver-
antwortung tragen.
Ich habe in den letzten Tagen mit Präsident Mubarak
und Ministerpräsident Olmert gesprochen; denn wir wis-
sen, dass wir gerade im Nahen Osten vor riesigen Pro-
blemen stehen. Bei der Verabschiedung des Libanon-
mandats waren wir uns alle hier einig: Die militärische
Option, die Präsenz unserer Soldaten vor der libanesi-
schen Küste, ist nur eine Facette des notwendigen politi-
schen Prozesses. So schwierig dies ist, so einig ist sich
die Bundesregierung darin, dass der Weg über eine Bele-
bung des Nahostquartetts führen muss. Dazu gehören
immer wieder auch ungewöhnliche Schritte, wie zum
Beispiel die Reise des Außenministers nach Syrien.
Ich sage ganz deutlich: Diese Reise war ein Risiko –
kein Zweifel. Wir wissen auch, dass durch diese Reise
Widerspruch ausgelöst wurde. Kurzfristig hat sie auch
noch nicht den Erfolg gebracht, den wir uns wünschen.
Ich sage aber auch: Diese Reise steht geradezu symbo-
lisch für das Verständnis der Außenpolitik der gesamten
Bundesregierung.
Dieses Verständnis beinhaltet Dialogbereitschaft auch
dort, wo sie nicht selbstverständlich ist – aber immer auf
der Grundlage klarer Prinzipien und Werte. Dialogbe-
reitschaft und klare Prinzipien und Werte – das gehört
für uns zusammen und das wird auch weiterhin so sein.
Dies werden wir auch im Zusammenhang mit Syrien,
mit dem Iran und mit den Konflikten in allen anderen
Ländern so handhaben.
Meine Damen und Herren, eine sechsmonatige Präsi-
dentschaft beinhaltet immer die Gefahr einer gewissen
Kurzatmigkeit bei der Bewältigung riesiger Aufgaben.
Deshalb finde ich es richtig, dass sich die Europäische
Union zu Dreierpräsidentschaften entschlossen hat.
Das heißt, gemeinsam mit Portugal und Slowenien wer-
den wir auch über die Zeit unserer Präsidentschaft hi-
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Meine Damen und Herren, auch während unserer
-8-Präsidentschaft setzen wir einen Schwerpunkt:
ir wollen zeigen, dass es in unserer Bundesregierung
en unbedingten Willen zur politischen Gestaltung der
lobalisierung gibt. Die Globalisierung muss fairen
egeln verpflichtet sein. Ich sage das ausdrücklich:
azu gehören auch Sozial- und Umweltstandards.
Natürlich – das ist vielleicht unser größtes Problem –
ezweifeln viele Menschen heute, dass das überhaupt
och gelingen kann. Ich glaube aber, wir dürfen diesen
nspruch nie aufgeben. In der Globalisierung bedeutet
as natürlich eine Gemeinsamkeit mit vielen Partnern
uf der Welt und zum Teil auch das Bohren sehr dicker
retter: Wir müssen Barrieren für internationale Investi-
ionen abbauen, wir müssen die Kapitalmärkte transpa-
enter machen, wir wollen das geistige Eigentum effekti-
er schützen, wir wollen die Produktpiraterie bekämpfen
nd wir müssen vor allen Dingen – dazu ist die G-8-Prä-
identschaft auch geeignet – im Klimaschutz weiterkom-
en, nämlich durch eine Verbesserung der Energieeffi-
ienz und durch eine erhöhte Sicherheit hinsichtlich der
nergieversorgung. Schließlich wollen wir während un-
erer G-8-Präsidentschaft auch Afrika eine Perspektive
eben, was wir zu einem besonderen Schwerpunkt ma-
hen werden.
Meine Damen und Herren, die Doppelpräsidentschaft
m Rat der EU und in der G 8 wird uns alle fordern. Des-
alb bitte ich bei der Umsetzung auch um die Unterstüt-
ung aller. Die Regierung alleine kann das nicht
7214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
schaffen. Es kommt deshalb auf die Zusammenarbeit
von Bundesregierung, Bundestag, sowohl mit den Koali-
tionsfraktionen als auch mit den Oppositionsfraktionen,
und auf die Zusammenarbeit mit den Ländern an. Ma-
chen wir diese Präsidentschaften zu einem gemeinsa-
men nationalen Anliegen.
In diesem Jahr war die Welt für einige wunderbare
Wochen im Sommer in unserem Land wahrlich zu Gast
bei Freunden. Nächstes Jahr können wir ganz anders,
aber jeder an seinem Platz dazu beitragen, das Wachstum
und die Verantwortung in der Welt zu fördern und Eu-
ropa gemeinsam gelingen zu lassen. Denn ich glaube, ei-
nes ist gewiss: Europa war und Europa bleibt die Frie-
densidee des 20. Jahrhunderts und Europa bleibt die Zu-
kunftsidee des 21. Jahrhunderts. Dafür lohnt sich die
Mühe, dafür lohnt sich auch die Arbeit an Kompromis-
sen. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken. Dann
können wir etwas schaffen.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Guido Wes-
terwelle für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben um die Unterstüt-
zung für die wichtige EU-Ratspräsidentschaft aus dem
ganzen Hohen Haus gebeten. Sie haben ausdrücklich
nicht nur um die Unterstützung der Koalitionsfraktio-
nen gebeten, sondern sich auch an die Opposition ge-
wandt. Ich kann Ihnen jedenfalls für die liberale Opposi-
tion in diesem Hause sagen: Wir werden Sie bei Ihrem
wichtigen Anliegen, die EU-Ratspräsidentschaft zu ei-
nem Erfolg im Interesse unseres Landes zu führen, mit
Sicherheit unterstützen. Darauf können Sie sich verlas-
sen. Wir werden mit Sicherheit Ihre Arbeit begleiten,
auch kritisch, aber es gibt überhaupt keinen Zweifel da-
ran: Hier geht es um deutsches Interesse und nicht um
Opposition oder Koalition, meine sehr geehrten Damen
und Herren.
Wir haben mit dieser EU-Ratspräsidentschaft eine he-
rausragende Chance für Deutschland. Wir haben eine he-
rausragende Chance für Europa. Ich bin deswegen übri-
gens auch ein wenig verwundert, wie wenig ausgeprägt
das Interesse seitens der Kolleginnen und Kollegen ge-
genüber dieser ersten Regierungserklärung der Bundes-
regierung zur EU-Ratspräsidentschaft ist.
Aber, meine Damen und Herren, wir alle wollen den
Erfolg Ihrer Präsidentschaft. Deswegen will ich zu Be-
ginn erst einmal darauf aufmerksam machen, dass die
bisherige Außen- und Europapolitik Ihrer Regierung in
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Deswegen ist es richtig, dass die europäische Erweite-
ung und die Erweiterung des Integrationsprozesses
dazu zählt auch die Aufnahme von Bulgarien und Ru-
änien – zunächst als Friedenschance gesehen wird.
ann hat es das jemals in unserer Geschichte gegeben,
ass wir Deutschen gewissermaßen von Freunden und
erbündeten umzingelt waren? Das sollten wir uns sehr
enau einprägen. Es ist ohne jeden Zweifel eine wunder-
are Entwicklung.
Andere fürchten sich vor dem Wettbewerb, der mit
em Beitritt der ost- und südosteuropäischen Länder ein-
ergeht. Wer sich vor dem Wettbewerb aus Rumänien
nd Bulgarien fürchtet, den müssen wir realistischer-
eise darauf hinweisen, dass das erst der Anfang ist. Es
st die Ouvertüre. Der eigentliche Wettbewerb kommt
och auf uns zu, und zwar durch China, Indien und den
nterschätzten südamerikanischen Kontinent. Wer
eint, er könne den Wettbewerb schon innerhalb Euro-
as nicht bestehen, der ist augenscheinlich auch mental
icht hinreichend für die Herausforderungen der welt-
eiten Globalisierung gewappnet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7215
)
)
Dr. Guido Westerwelle
In Wahrheit ist die Globalisierung eine sichere Ent-
wicklung. Die beste Antwort auf die Globalisierung ist
die Schaffung eines großen europäischen Binnenmarktes
und eine koordinierte europäische Außen- und Wirt-
schaftspolitik. Europa ist keine weitere Bedrohung für
Deutschland, sondern unsere Antwort auf den weltwei-
ten Wettbewerb. Es ist in erster Linie kein Risiko, son-
dern eine Chance für unser Land.
Deswegen stellt der Binnenmarkt gewissermaßen ein
Fitnessprogramm für diese Herausforderungen dar. Wir
werden uns daran gewöhnen müssen, in Deutschland
mehr über neue Chancen zu reden statt nur über Risiken.
Warum überlassen wir es zum Beispiel Österreich, eine
Investitionsbrücke nach Osteuropa zu bauen?
Das könnte doch auch unser nationales Projekt in
Deutschland sein.
Wenn wir über die Osterweiterung bzw. über die Er-
weiterung insgesamt reden, dann ist neben all dem, was
im Zusammenhang mit Zahlungen und Finanzschlüsseln
im Laufe der nächsten Monaten ohnehin zu beraten und
vielleicht auch kontrovers zu diskutieren sein wird, eine
kritische Anmerkung zu einem von Ihnen bereits ange-
sprochenen Punkt erforderlich. Das Allermindeste, was
der Deutsche Bundestag hinsichtlich der EU-Ratspräsi-
dentschaft von der Bundesregierung erwarten kann, ist,
dass sie sich in wesentlichen Fragen der Europapolitik
– etwa in der Türkeifrage – innerhalb der Regierung ei-
nig ist.
Es bleibt ein einmaliger Vorgang, dass der deutsche
Außenminister die eigene Bundeskanzlerin in der Tür-
keipolitik öffentlich per Interview zur Ordnung ruft und
anschließend der Vorsitzende der Unionsfraktion wie-
derum Herrn Steinmeier kritisiert. So etwas verletzt die
goldene Regel der deutschen Europa- und Außenpolitik.
In Wahrheit sind Sie sich nicht einig. Dabei sollte
man von Ihnen Einigkeit erwarten können. Sie schwä-
chen mit der Uneinigkeit in der Türkeifrage auch die eu-
ropäische Verhandlungsposition gegenüber der Türkei.
Denn es ist völlig klar, dass das Ankaraprotokoll umge-
setzt werden muss. Klar ist auch, dass niemand Mitglied
der Europäischen Union werden kann, der nicht wenigs-
tens alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorher
anerkannt hat. Das kann nicht anders gesehen werden.
Sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass man
Europa nur glaubwürdig führen kann, wenn man selber
führend ist. Ich kann bei all dem, was Sie sich in Europa
– zu Recht – vornehmen, nur an Sie appellieren, Ihre
Hausaufgaben in der Innenpolitik nicht zu vernachlässi-
gen. Die Tatsache, dass wir nun eine konjunkturelle Auf-
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7216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Eichel, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! EU-Ratspräsidentschaft und G-8-Präsident-
schaft im nächsten Jahr sind eine große Herausforde-
rung. Dabei ist die Regierung gerade ein Jahr im Amt.
Ich erinnere mich, dass das bei Rot-Grün noch ein biss-
chen knapper war. Die Regierung war erst ein Vierteljahr
im Amt, als sie diese Doppelpräsidentschaft zu schultern
hatte. Frau Bundeskanzlerin, das geschieht in einer Zeit,
in der die europäische Lage – das kann Vorteile, aber
auch Nachteile haben – durchaus unübersichtlicher ist.
Es ist nicht erkennbar, wer von den großen Staaten von
sich aus eine Führungsrolle in der Europäischen Union
übernehmen könnte. Es ist erfreulich, dass Italien nach
einer Reihe von Jahren unter Berlusconi, als es euro-
päisch eine Nullnummer war, in die Mitte der europäi-
schen Politik zurückgekehrt ist, obwohl Italien noch eine
Reihe innerstaatlicher Probleme zu bewältigen hat.
Herr Westerwelle, es hat nie eine Achse Paris-Berlin-
Moskau gegeben, es war nicht einmal die Rede davon,
vielmehr hat es über längere Zeit – das gilt zurzeit nicht;
das bedauere ich; das liegt nicht an Deutschland – einen
relativ starken französisch-deutschen Motor in der euro-
päischen Integration gegeben.
Ich glaube nach wie vor, dass es gut wäre, nicht um
andere auszuschließen, aber um Einigungen möglich zu
machen – hier kann ich nur auf das hinweisen, was Jean-
Claude Juncker des Öfteren zu diesem Thema gesagt hat –,
wenn es einen Gleichklang zwischen Paris und Berlin in
zentralen Fragen der Europapolitik gäbe.
Deutschland – das ist ein großer Vorteil – ist den Ma-
kel, den Stabilitätspakt nicht einhalten zu können, los.
Das verbessert – hier hat die Bundeskanzlerin Recht –
natürlich unsere Position in dieser Situation.
Anders, Herr Westerwelle, als Sie sagen, ist inzwi-
schen die deutsche Wirtschaft, was das Wachstum be-
trifft, mit an der Spitze in der Eurozone und der Europäi-
schen Union. Das kommt daher, weil anders als andere
in den letzten Jahren die deutsche Wirtschaft, aber auch
die deutsche Politik eine Fülle von Entscheidungen ge-
troffen hat, die es jetzt möglich machen, die weltwirt-
schaftlichen großen Chancen voll zu nutzen und in Eu-
ropa nachhaltig nach vorne zu gehen, wenn uns nicht
externe Probleme, die wir nicht beeinflussen können,
wieder zurückwerfen.
Es war sowohl die Vorgängerregierung als auch die
große Koalition, die im ersten Jahr ihres Bestehens in
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Aber, meine Damen und Herren, alle müssen ihren
eitrag dazu leisten. Damit sind wir bei dem nächsten
chwierigen Thema, nämlich dem Verfassungsprozess.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich ein hohes Ziel
esteckt, nämlich vor der Europawahl 2009 klarzuma-
hen, wie es mit der Verfassung weitergeht, und zwar ge-
einsam, sodass dann die Wähler in Europa wissen, wie
nd unter welchen Bedingungen künftig Europa weiter
estaltet wird, weil es mit den jetzigen Regeln – darüber
ind sich ja im Grunde alle einig – wohl auf Dauer nicht
ehen kann. Das, meine Damen und Herren, bedeutet,
ass alle mitmachen müssen. Bis heute haben 18 Länder
a und zwei Länder Nein gesagt. Offen stehen bislang
och die Voten von sieben Ländern. Ich muss übrigens
arauf hinweisen, dass von den 18 Ländern, die Ja ge-
agt haben, sieben Länder das in Kenntnis der negativen
oten von Frankreich und den Niederlanden getan ha-
en. Es ist also nicht so, dass der Ratifizierungsprozess
anach abgebrochen worden wäre. Alle müssen ihren
eitrag leisten. Deswegen muss man denjenigen, die
ein gesagt haben, auch sagen: Ihr müsst zur Kenntnis
ehmen, dass zwei Drittel der Länder Ja gesagt haben,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7217
)
)
Hans Eichel
und zwar die Hälfte davon in Kenntnis eures negativen
Votums.
Es ist auch wahr, dass es in Irland und Dänemark
zwei Voten gegeben hat. In diesen Ländern ist dieselbe
Frage nach dem ersten, negativen Referendum noch ein-
mal gestellt und dann beim zweiten Referendum positiv
beantwortet worden. Ich sage nicht, dass das die Lösung
sein wird, aber ich denke schon, dass diejenigen, die
Nein gesagt haben – das ist ein kleine Minderheit –, das
in ihre eigenen Erwägungen einbeziehen müssen. Hier
gilt in der Tat: Entweder machen alle mit oder es kommt
nicht zustande. Das ist die Voraussetzung für den Erfolg.
An dem Willen der deutschen Präsidentschaft fehlt es
ganz gewiss nicht. Es darf aber auch nicht an dem Willen
jedes einzelnen anderen fehlen.
Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben in der Regierungs-
erklärung das europäische Wirtschafts- und Sozial-
modell als einen Schwerpunkt der deutschen Präsident-
schaft angesprochen. Zum Sozialmodell wird nachher
mein Kollege Axel Schäfer einiges sagen. Ich will mich
auf die wirtschaftliche Seite konzentrieren. Ja, wir wol-
len ein wettbewerbsfähiges Europa, aber Wettbewerbsfä-
higkeit und sozialer Zusammenhalt gehören für uns und
auch für diejenigen, die die Lissabonstrategie erdacht
haben, untrennbar zusammen.
Wettbewerb treibt uns nicht auseinander, sondern macht
uns gemeinsam stärker und gibt uns die Fähigkeit, auch
die Schwächeren mitzunehmen. Das ist die Zielsetzung.
Nun führen wir in der Tat eine sehr kritische Diskussion
in Europa über die Koordinierung der Wirtschafts- und
Finanzpolitik, insbesondere ausgehend von Frankreich.
Das wird uns im nächsten Halbjahr auch in der deut-
schen Präsidentschaft erreichen. Dazu muss man einige
Takte sagen:
Erstens. Die Lissabonstrategie war am Anfang zu
sehr zerfasert. Sie ist inzwischen auf vier Themen kon-
zentriert. Das ist richtig so. Diese sind: Wachstum und
Beschäftigung, Innovation, bessere Rechtsetzung und
Energiepolitik. Man muss an dieser Stelle klarmachen,
dass die Lissabonstrategie, die Europa zu der wettbe-
werbsfähigsten Region der Welt machen will – ein sehr
hohes Ziel –, fundamental auf der Solidarität der Staaten
aufbaut. Darauf baut Europa überhaupt auf. Das bedeutet
auch, dass die Reicheren für die Ärmeren in Europa ein-
stehen. Dies hat Konsequenzen, die wir klarmachen
müssen. Es geht bei der Lissabonstrategie nicht um den
Wettbewerb der Staaten, sondern es geht um den Wettbe-
werb der Unternehmen. Es geht darum, dass wir alle vo-
rangehen. Dann können wir in der Tat sehen, wer der
Bessere ist, dann können wir beispielsweise sehen, dass
wir die beste Familienpolitik machen, die besten Schu-
len und Hochschulen haben und dass wir die besten For-
schungsergebnisse und die beste Umsetzung dieser Er-
gebnisse in neue Produkte erzielen.
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Wir wollen, dass die Prinzipien der Energiecharta
auch in das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen
aufgenommen werden. Ich denke, es ist vernünftig, eine
Verflechtung zwischen Russland und der Westeuropäi-
schen Union auch bei der Energieversorgung herbeizu-
führen. Wir haben viel an Know-how und Kapital zu bie-
ten, das die Russen für ihre Energiepolitik brauchen. Das
muss auch umgekehrt gelten; eine solche Verflechtung
kann nie einseitig sein, sondern muss in beide Richtun-
gen gelten.
Was Polen betrifft, müssen wir diesem Land garantie-
ren, dass es seine Gaslieferung, wenn nicht vom Osten,
vom Westen bekommt. Das kann überhaupt nicht streitig
sein. Ich hoffe, dass die finnische Präsidentschaft es
noch schafft, das Problem zu lösen. Denn, meine Damen
und Herren, auch das muss man den Polen sagen: Das
Energiethema ist für uns alle zu wichtig, als dass diese
Frage durch das Veto eines einzelnen Landes über län-
gere Zeit verzögert werden könnte. Auch das muss klar
sein.
Zum Schluss: Frau Bundeskanzlerin, Sie und das
ganze Kabinett – und alle anderen wollen sicher gerne
helfen – haben mit der Doppelpräsidentschaft eine rie-
sige Aufgabe vor sich. Ich wünsche Ihnen dazu alles
Gute und sage ganz ausdrücklich: Die Unterstützung
ganz gewiss der SPD-Fraktion, aber nicht nur dieser,
werden Sie bei dieser Aufgabe haben.
Nächster Redner ist der Kollege Oskar Lafontaine für
die Fraktion Die Linke.
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er Forderung nach einem demokratischen und sozialen
uropa wird wahrscheinlich jeder in diesem Hause zu-
timmen. Wenn ich aber sage, ohne ein soziales Europa
ibt es kein demokratisches Europa, dann werden sich
ie Geister in diesem Hause scheiden.
Beginnen wir mit der Demokratie. Es ist öfter über
en so genannten Ratifizierungsprozess gesprochen wor-
en. Aber noch keiner hat die Frage gestellt, wie denn ei-
entlich die Verfassung in Europa verabschiedet werden
oll. Ich sage in aller Klarheit, dass für uns nicht so sehr
ie Frage im Vordergrund steht, wie viele Länder sich
ie entschieden haben, sondern die Frage, ob die Bevöl-
erung an dem Verfassungsprozess beteiligt worden ist.
ch meine, wenn man ein demokratisches Europa will,
ann sollte man zumindest bei der Verfassung eine
olksabstimmung fordern; denn ohne Volksabstimmung
ibt es kein demokratisches Europa.
Das gilt im Übrigen nicht nur für den Verfassungspro-
ess, sondern im Wesentlichen für alle Entscheidungen,
ie in den letzten Jahren getroffen worden sind, ob das
ie Einführung des Euro, der Vertrag von Maastricht
der die Osterweiterung war. Meine Damen und Herren,
ir sind der festen Überzeugung, dass man ein demokra-
isches Europa nicht undemokratisch bauen kann, indem
an ständig über die Köpfe der Bevölkerung hinweg
ntscheidet.
Nun muss der Zusammenhang zwischen einem sozia-
en und einem demokratischen Europa nicht unmittelbar
insichtig sein. In dem Verfassungsentwurf wird die atti-
che Demokratie angesprochen. Ich zitiere Perikles, auf
en im Verfassungsentwurf konkret Bezug genommen
ird:
Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung
bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegen-
heiten nicht im Interesse weniger, sondern der
Mehrheit gehandhabt werden.
enn wir also ein demokratisches Europa bauen wol-
en, dann müssen wir die Verfassung so gestalten, dass
ie Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
erücksichtigt werden und nicht die Interessen der Wirt-
chaft und im Wesentlichen der Großkonzerne, wie das
n den letzten Jahren geschehen ist.
Der eine oder andere wird nun sagen, das sei einfach
ur dahergesagt und nicht begründbar. Ich möchte ganz
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7219
)
)
Oskar Lafontaine
deutlich sagen, dass diese Regierung aufgrund ihrer Po-
litik nicht daran mitwirkt, ein soziales und damit ein de-
mokratisches Europa zu bauen. Darüber muss geredet
werden.
Es gibt in Europa drei Fehlentwicklungen, die dazu
geführt haben, dass immer mehr Menschen diesen Eini-
gungsprozess ablehnen und weiterhin ablehnen werden,
wenn er wie bisher gestaltet wird. Wir sollten darauf ein-
gehen. Diese drei Fehlentwicklungen kann man bezeich-
nen mit Lohndumping, Sozialdumping und Steuerdum-
ping. Wenn man auf diesem Wege weiter voranschreitet,
dann wird man kein soziales und damit kein demokrati-
sches Europa bauen können.
Ich beginne mit dem Lohndumping. Hier spielt
Deutschland eine wirklich verheerende Rolle. Die letz-
ten veröffentlichten Zahlen, die jedem zugänglich sind,
haben gezeigt, dass die Tarifabschlüsse und die Lohn-
entwicklung in Deutschland – das muss man unterschei-
den – im Vergleich mit allen übrigen europäischen
Staaten so nachteilig für die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer sind, dass die Währungsunion wirklich ge-
fährdet ist. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Un-
sere Dumpingpolitik, die durch immer niedrigere
Lohnabschlüsse und durch die fortwährende relative
Senkung der Lohnstückkosten gekennzeichnet ist, führt
in anderen europäischen Hauptstädten zu Diskussionen.
Auf diese Art und Weise baut man kein gemeinsames
Europa, sondern man macht eine Dumpingkonkurrenz
auf, die zulasten der abhängig Beschäftigten geht. Das
kann kein soziales Europa in unserem Sinne sein.
Wenn man die Lohnkonkurrenz, die das Lohndum-
ping letztendlich verursacht, bremsen wollte, dann
brauchte man einen Mindestlohn. Wenn Sie Europa
wirklich gemeinsam bauen wollen, dann müssen Sie sich
der Mehrheit der europäischen Staaten anschließen, die
bereits einen Mindestlohn eingeführt haben. Gerade wir
in Deutschland brauchen diesen Mindestlohn.
Das Sozialdumping ist ebenfalls seit einer ganzen
Reihe von Jahren Mode geworden und insbesondere
durch uns befördert worden, was den luxemburgischen
Ministerpräsidenten veranlasste, mit Blick auf die Dis-
kussion innerhalb der so genannten Christdemokraten zu
sagen: Europa kann man nicht bauen, wenn man einen
Wettbewerb veranstaltet, wer Arbeitnehmerrechte, ins-
besondere den Kündigungsschutz, am schnellsten ab-
baut. – Es wäre gut, wenn sich solche Einsichten auch
einmal in der CDU/CSU-Fraktion durchsetzen würden.
Neben Lohndumping und Sozialdumping haben wir
Steuerdumping. Es ist aber nicht so – der Kollege Ei-
chel hat dies so dargestellt –, dass wir die unschuldigen
Opfer dieser Entwicklung sind. Ich würde das zwar
gerne feststellen, aber die Zahlen sagen etwas anderes:
Unsere Steuerquote wird gerade noch von der eines klei-
nen Staates unterboten. Ansonsten liegen wir hinsicht-
lich der Steuerquote ganz unten in Europa. Wir stoßen
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Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir sind am
rakkrieg beteiligt. Man kann natürlich darüber lachen,
ass man das Völkerrecht bricht und an einem solchen
rieg beteiligt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat
estgestellt, dass wir an diesem Krieg beteiligt sind, weil
ir die Nutzung deutscher Flughäfen ermöglichen, In-
rastruktur bereitstellen, Geleitschiffe entsandt haben
sw. usf.
7220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Oskar Lafontaine
Frau Bundeskanzlerin, wir hätten gerne von Ihnen ge-
hört, ob Sie im Vorderen Orient weiter Außenpolitik in
dieser Tradition betreiben wollen oder ob Sie sich end-
lich von einer verfehlten Außenpolitik lösen wollen, die
auf imperialen Zielen aufbaut und deshalb niemals im
Nahen Osten zu Frieden führen kann.
Man kann die Tatsachen, die Lohnentwicklung, die
Entwicklung der Sozialsysteme, die Entwicklung der
Steuersysteme und die Ergebnisse einer völlig verfehlten
Außenpolitik, ignorieren. Wir stimmen zu, dass Europa
einen besonderen Auftrag hat. Die besondere Aufgabe
besteht darin, ein Europa zu schaffen, das sozial und de-
mokratisch ist und dem Frieden dient.
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Peter Ramsauer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon inte-
ressant, Herr Kollege Lafontaine, Ihnen zuzuhören.
– Ja, es ist interessant; aber gleich werden Sie nicht mehr
klatschen. – Lieber Herr Kollege Lafontaine, Sie sitzen
mit den Nachfolgern von Sozialisten und Kommunisten
in einem Fraktionsboot
und kommen uns mit Belehrungen über Demokratie in
Deutschland und Europa.
Ich möchte Ihnen etwas ins Stammbuch schreiben, was
der Kollege Westerwelle vorhin vollkommen richtig ge-
sagt hat: Sie haben nicht kapiert, dass es hier nicht um
die Koalition oder die Opposition geht, sondern um
deutsche und europäische Interessen und darum, dass
Europa eine gute Zukunft in der Welt hat.
Noch etwas gehört gesagt – wenn ich an Ihre Person,
Herr Lafontaine, anknüpfen darf –: Wenn Leute wie Sie,
Herr Lafontaine, die wie sonst niemand die deutsche
Wiedervereinigung bekämpft haben, in Deutschland die
politische Oberhand behalten hätten, dann wären wir mit
der europäischen Einigung nicht da, wo wir heute Gott
sei Dank sind.
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Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben uns al-
en in einer großartigen Regierungserklärung
ut gemacht in Bezug auf das, was wir im kommenden
albjahr während der deutschen Präsidentschaft für Eu-
opa und Deutschland bewegen wollen.
ie haben gesagt: „Europa gelingt gemeinsam.“ Ich füge
inzu: Es gelingt gemeinsam, wenn wir den Menschen
ertrauen und Verlässlichkeit als Grundlage eines gelin-
enden Europas vermitteln können.
Dass wir daran arbeiten müssen, lehren uns die Erfah-
ungen, die wir mit dem europäischen Verfassungsver-
rag gemacht haben. Die Bürgerinnen und Bürger in
rankreich und Holland haben in den jeweiligen Refe-
enden nicht etwa deshalb Nein zum Verfassungsvertrag
esagt, weil sie den Entwurf von der ersten bis zur letz-
en Seite durchstudiert haben.
ie haben deshalb Nein gesagt, weil sie ein mulmiges
efühl hatten, weil Vertrauen und Verlässlichkeit nicht
ewährleistet waren, weil für sie Europa nicht mit einer
länzenden und guten Zukunft verbunden war, sie kei-
en Nutzen für den einzelnen Bürger sahen, wie Sie es,
rau Bundeskanzlerin, angesprochen haben, und sie die
uropäische Union mit ausufernden Bürokratismen, Un-
bersehbarkeiten und mit der unbeantworteten Frage in
usammenhang gebracht haben, wie weit die Europäi-
che Union eines Tages gehen wird, wo die Grenzen
estgelegt werden. Das sind Fragen, mit denen wir uns
onstruktiv auseinander setzen müssen.
Dazu gehört auch die Frage, was mit der von uns vor
enigen Wochen im Deutschen Bundestag im Zusam-
enhang mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens
estellten Forderung geschieht. Wir als Deutscher Bun-
estag haben Ja zum Beitritt dieser beiden Länder zum
. Januar des kommenden Jahres gesagt. Aber wir haben
uch klare Bedingungen formuliert. Ich möchte einen
ntscheidenden Satz aus der Entschließung vorlesen.
ir haben beschlossen:
Der Deutsche Bundestag … hält vom Beginn des
Beitritts an Schutzmaßnahmen für erforderlich,
sollten die von der Kommission genannten Defizite
nicht bis zum 1. Januar 2007 beseitigt sein.
ch kann nur sagen: Wir meinen das ernst.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7221
)
)
Dr. Peter Ramsauer
Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin,
dass Sie dies gleich danach in einem Brief dem Präsiden-
ten der Europäischen Kommission, Barroso, mitgeteilt
haben. Wir sind alle auf die Antwort gespannt. Ich
möchte mir das ganz genau ansehen. Barroso muss na-
türlich dazu Stellung nehmen, ob die Beitrittskriterien
jetzt erfüllt sind oder nicht. Wenn in dem Antwortbrief
festgestellt wird, dass die Beitrittskriterien erfüllt sind,
dann ist es gut. Wenn aber in ihm steht, dass die Bei-
trittskriterien nicht erfüllt sind, dann müssen nach unse-
rer Auffassung diese Schutzmechanismen aktiviert wer-
den. Wenn Barroso sagen sollte, dass die Kommission
die Schutzmechanismen trotzdem nicht einleitet, dann
riskiert die Kommission ein Vertrauenszerwürfnis zwi-
schen ihr auf der einen Seite und dem Deutschen Bun-
destag auf der anderen Seite.
Wir müssen hier eine klare Sprache sprechen, wenn wir
uns selbst ernst nehmen wollen und wenn wir den Bür-
gern in Europa Vertrauen und Verlässlichkeit vermitteln
wollen.
Etwas Ähnliches gilt für die Türkei. Auch die Türkei
muss wissen, dass wir auf der Grundlage von Vertrauen
und Verlässlichkeit handeln. Die Türkei muss sich auf
das Verhandlungsgebaren der Europäischen Union ver-
lassen können.
– Das, was ich hier sage, haben wir bei allen so gehalten,
die, von den ursprünglichen sechs abgesehen, der EU
beigetreten sind.
Wenn ich Bulgarien und Rumänien hinzunehme, sind
es 21 Länder, die beigetreten sind. Sie alle haben das
Rechtsstatut, den so genannten Acquis communautaire,
immer eingehalten bzw. es gab gewisse festgelegte
Übergangsfristen.
Natürlich muss sich auch die Türkei als verlässlicher
und vertrauenswürdiger Verhandlungspartner erweisen
und die Zusagen einhalten, die sie gegeben hat.
Ich bin deshalb froh, dass die Außenminister am vergan-
genen Montag konsequent Schlussfolgerungen daraus
gezogen haben, dass das Ankaraprotokoll, zu dessen
Einhaltung sich die Türkei verpflichtet hat – das hat die
Frau Bundeskanzlerin ausgeführt –, nicht erfüllt worden
ist. Die Konsequenzen, die die Außenminister beschlos-
sen haben, sind aus unserer Sicht das Mindeste, was als
Antwort erforderlich war.
Noch einmal zur Klarstellung: Die Erfüllung des An-
karaprotokolls allein reicht noch nicht für eine Vollmit-
gliedschaft. Klarer ausgedrückt: Ohne die Einhaltung
des Protokolls ist die Mitgliedschaft nicht möglich. Die
Einhaltung des Ankaraprotokolls war überhaupt die Vor-
bedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlun-
gen. Wenn entgegenkommenderweise – ich verweise
noch einmal auf Verlässlichkeit und Vertrauen – die Bei-
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s wäre aber vollkommen falsch, wenn die Europäische
nion das als Begründung dafür heranziehen würde, in
hrem Verhandlungsgebaren nachgiebiger zu werden.
Dieses Unvermögen der Türkei bzw. das Dilemma, in
em sie steckt, darf nicht zur Forderung nach einer Ver-
andlungsnachgiebigkeit führen. Es muss vielmehr zu
er Frage führen, ob eine Vollmitgliedschaft der Türkei
ngesichts dessen überhaupt – auch für die Türkei – die
däquate Lösung ist, ob eine andere Form der allerengs-
en Anbindung an Europa nicht im ureigenen Interesse
er Türkei liegt. Wir stoßen die Türkei nicht zurück, wir
trecken die Hand zu einer ganz besonders engen Part-
erschaft aus. Ich glaube, die Türkei täte sich im Hin-
lick auf ihren inneren Frieden, auf das Bewahren ihrer
nneren Kohäsion und ihrer kulturellen Traditionen ei-
en Gefallen, wenn sie nicht sofort dem Acquis com-
unautaire beitreten würde; denn eine Vollmitglied-
chaft verlangt einem Staat viel ab.
Wir müssen bei der Erweiterung der EU natürlich da-
auf achten, dass sie auf lange Sicht sinnvoll und sinn-
tiftend ist und das erfüllt, was die Bürger in Europa er-
arten. Dazu gehört auch die Frage, wie es auf dem Bal-
an weitergeht. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen,
ass es jetzt vollkommen klar ist, dass die Beitrittsver-
andlungen mit Kroatien abgekoppelt sind und nicht
ehr, wie es einmal versucht worden ist, im Gleich-
chritt mit den Verhandlungen mit der Türkei laufen.
roatien hat eine exzellente Beitrittsperspektive.
Wir müssen aber klar machen – vielleicht muss das
m Rahmen des Verfassungsvertrages in nicht allzu fer-
er Zeit beschlossen werden –, dass es auf Dauer nicht
ngeht, dass kleine Länder eine x-beliebige staatliche
7222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Peter Ramsauer
Zellteilung betreiben – auf dem Balkan gab es jüngst ein
solches Referendum – und trotzdem die vollen Rechte
eines souveränen Staates in der Europäischen Union in
Anspruch nehmen wollen. Dafür haben die Menschen in
Europa auf Dauer kein Verständnis.
Wenn wir über den Verfassungsvertrag sprechen, ist
es wichtig, Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dafür zu dan-
ken, dass Sie vor wenigen Wochen noch einmal voll-
kommen unmissverständlich klar gemacht haben, dass
wir – ich spreche hier für meine Fraktion – einen Got-
tesbezug in der Präambel des Verfassungsvertrages
wollen. Dazu stehen wir und daran lassen wir uns mes-
sen.
Im kommenden Halbjahr stehen viele wichtige Pro-
jekte auf der Tagesordnung: die Entscheidungsverfahren
verbessern, eine glaubhafte Subsidiaritätsstruktur entwi-
ckeln und vor allen Dingen die Liberalisierung der
Energiemärkte weiterbetreiben. Hier haben wir einen er-
heblichen Nachholbedarf. Ich danke dem Bundeswirt-
schaftsminister an seinem heutigen Geburtstag vielmals
dafür, mit welch unglaublicher Energie er auf die weitere
Liberalisierung der Energiemärkte in Europa, aber auch
in weltweiten Zusammenhängen hinwirkt.
Ich habe gesagt, dass wir auf diesem Gebiet einiges
nachzuholen haben. Ich kann mich gut an die Zeit vor
zehn Jahren erinnern, als wir die Liberalisierung der
Energiemärkte in Europa auf Grundlage der Liberali-
sierungsrichtlinie angegangen sind. Ich habe damals im-
mer gesagt: Wir können nur Ja zur Liberalisierung sagen
– wir Deutsche haben sie übrigens als Allererste konse-
quent durchgeführt, und zwar auf allen Spannungsebe-
nen, energiewirtschaftlich betrachtet – unter der Vorbe-
dingung, dass Frankreich ein Entflechtungskonzept für
die EDF vorlegt. Das ist bis heute nicht geschehen. Es
wäre richtig gewesen, wenn wir das damals wesentlich
konsequenter eingefordert hätten. Jetzt müssen wir die
Hausaufgaben erledigen.
Wir müssen das Problem der Produktpiraterie ange-
hen und Entbürokratisierung durchsetzen. Dies be-
ginnt damit, dass das Entstehen neuer Bürokratie in
Brüssel unterbunden wird.
In dieser Hinsicht verspreche ich mir viel von den neuen
Verzahnungen der Informationsstränge; dadurch wird
uns dies besser gelingen.
– Man kann zumindest Zeichen setzen.
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ls dass sie damit nichts anrichten könnten. – Hier ist
ernunft angesagt. Denen in Brüssel, die an den Normen
rbeiten, möchte ich eines ins Stammbuch schreiben:
eine Damen und Herren in Brüssel, spart euch etwas
on der intellektuellen Kälte! Mit mehr Herz und Ver-
tand gewinnt ihr eher das Vertrauen der Menschen in
uropa als mit bürgerferner intellektueller Kälte.
In wenigen Monaten feiern wir in Deutschland das
ubiläum der Römischen Verträge. Dieses Ereignis im
iedervereinigten Deutschland und gerade hier in Berlin
nterstreicht wie kein anderes Symbol, wie sehr Europa
inig geworden ist. Es zeigt auch, dass wir in diesen
echs Monaten eine ganz exzellente Chance haben – vor
llem durch die Koppelung von EU-Ratspräsidentschaft
nd G-8-Präsidentschaft –, das Vertrauen in uns und un-
ere Verlässlichkeit
n den Augen unserer Bürger wieder zu fördern und zum
eil wiederherzustellen, aber auch das Vertrauen und die
erlässlichkeit zwischen Deutschland, Europa und der
brigen Welt.
Vielen herzlichen Dank.
Bevor ich dem Kollegen Keskin das Wort zu einer
urzintervention erteile, möchte ich dazu ermahnen, bei
wischenrufen, die hier oben nicht immer zweifelsfrei
u identifizieren sind – schon gar nicht, wenn sie alle
leichzeitig erfolgen –, bewährte parlamentarische Um-
angsformen einzuhalten. Gelegentlich, Herr Kollege
afontaine, gibt es Formulierungen, die wir hier eher zu
ermeiden bemüht sind.
Noch vorsichtiger ließ sich das kaum formulieren, als
ch es gerade getan habe.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7223
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Nun hat der Kollege Keskin Gelegenheit zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Dr. Ramsauer,
Sie haben in Bezug auf das Verhalten der Türkei gegen-
über der EU von Verlässlichkeit und Vertrauen gespro-
chen. Hier gebe ich Ihnen Recht. Aber meinen Sie nicht,
dass dies nicht auch für Ihre Verlässlichkeit, für die Hal-
tung Ihrer Partei und die des Vorsitzenden der CSU,
Herrn Stoiber, zu gelten hat, der sich trotz der vertragli-
chen Vereinbarung, dass mit der Türkei Beitrittsverhand-
lungen geführt werden, immer wieder gegen einen EU-
Beitritt der Türkei ausspricht und dieses Vertrauen und
diese Verlässlichkeit somit in hohem Maße verletzt?
Zur Verlässlichkeit gehört auch, dass die EU ihre Zu-
sicherungen gegenüber der Türkei erfüllen muss. Die
Frau Bundeskanzlerin und Herr Westerwelle haben in ih-
ren Reden aber nur den einen Teil der Wahrheit gesagt.
Zum anderen Teil der Wahrheit gehört, dass im Gegen-
zug zur Zusicherung der Türkei, das Ankarazusatzproto-
koll auf Südzypern auszudehnen, die EU direkte Han-
delsbeziehungen mit Nordzypern, dem türkischen Teil
Zyperns, aufnimmt und das Embargo bzw. die Isolation
dieses Teils Zyperns beendet. Hiervon ist aber überhaupt
keine Rede. Die Umsetzung dieser Vereinbarung ist bis-
lang ausgeblieben. Diese Umsetzung aber hat die Türkei
verlangt.
Die linke Fraktion legt sehr großen Wert auf Gerech-
tigkeit.
Dazu gehört nicht nur Gerechtigkeit gegenüber Men-
schen, sondern auch Gerechtigkeit gegenüber anderen
Ländern.
Danke sehr.
Ich sehe mir das gerne im Protokoll an.
Besteht der Wunsch zu einer Erwiderung? – Das ist
nicht der Fall.
Dann erteile ich als nächster Rednerin der Kollegin
Renate Künast für die Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-
eskanzlerin, die Herausforderungen angesichts der EU-
atspräsidentschaft, die Deutschland ab dem 1. Januar
007 innehaben wird, sind groß. Deutschland erwartet
nd wir erwarten von Ihnen, dass Sie konkret sagen, in
elche Richtung Sie gehen wollen, welche Instrumente
ie nutzen wollen, mit wem Sie Bündnisse schließen
ollen und wie Sie Ihre Ziele erreichen wollen. Aber ich
uss Ihnen, Frau Merkel, sagen: Sie haben Ihre Ziele
icht konkret benannt. Ihre Rede war seltsam, blutleer
nd dürftig.
Sie reden immer im Ungefähren. Man kann heute
eststellen, dass Sie im Hinblick auf die deutsche EU-
atspräsidentschaft, die in den nächsten Tagen beginnt,
icht gut aufgestellt sind. Warum? Üblicherweise trägt
eder Mitgliedstaat der Europäischen Union, bevor er die
U-Ratspräsidentschaft übernimmt, dafür Sorge, dass er
elbst in keine Konflikte verwickelt ist, seine eigenen
robleme gelöst hat und seine Hausaufgaben gemacht
at. Sie aber übernehmen die Präsidentschaft vor dem
intergrund eines blauen Briefs aus Brüssel zum Emis-
ionshandel, einer Abmahnung bezüglich der Reduzie-
ung der Treibhausgasemissionen und einer, wie ich
inde, wirklich unnötigen Eskalation bei den Verhand-
ungen mit der Türkei, zu der Sie persönlich beigetragen
aben. Ich meine, Sie haben einen Klotz am Bein und
enau an der Stelle müssen Sie nachbessern.
In Ihrer Rede fehlte es an Konkretisierung. Ich will
hnen einmal sagen, was wir erwarten, und dabei von au-
en nach innen gehen. Frau Merkel, Sie sagen hier mit
roßer Weltsicht: Wir müssen Afrika helfen, sich zu ent-
ickeln in Frieden und Wohlstand. – Wie kann man Af-
ika helfen wollen, ohne heute hier das Wort „Darfur“
uszusprechen? Eine Lösung für diesen Konflikt gehört
och zu einem solchen Konzept dazu.
Wir können – das wissen wir doch – Afrika nur helfen,
enn wir ihm helfen, sich wirtschaftlich zu entwickeln,
ich politisch weiter zusammenzuschließen. Wir können
frika nicht helfen, indem wir einfach zur Kenntnis neh-
en, dass pro Jahr mehr als tausend Menschen an den eu-
opäischen Außengrenzen oder auf hoher See versterben,
rtrinken. Wir können als Antwort nicht die Polizeifes-
ung Europa dagegensetzen, sondern da müssen Sie, Frau
erkel, ein Konzept zur Entwicklung Afrikas vorlegen.
ie müssen aber auch sagen, wie die Migrations- und
lüchtlingspolitik für Europa aussehen soll. Das wäre
ine Antwort und nicht nur das Ungefähre.
7224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Renate Künast
Wir erwarten von Ihnen auch, dass das Gerede über
die Türkei endlich aufhört. Ich muss ehrlich sagen, ich
wundere mich über die Rede von Herrn Ramsauer. Herr
Ramsauer, wie kann man eigentlich bei weit mehr als
zehn Minuten Redezeit der draußen staunenden Öffent-
lichkeit immer nur Bedenken und Kritik im Hinblick auf
einen Beitritt der Türkei vermitteln?
Das ist ein Fehler, das ist populistisch und das ist das Ge-
genteil von dem, was Ihr früherer Bundeskanzler Helmut
Kohl einmal als Perspektive für die Türkei eröffnet hat,
im deutschen Interesse und im europäischen Interesse.
Sie haben sich selber entlarvt – nicht dass wir es nicht
schon vorher gewusst hätten –, indem Sie, nachdem Sie
so breit die Probleme eines Beitritts der Türkei erörtert
haben, bei Kroatien als guter Katholik gleich Ja gesagt
haben.
Ich will gar nicht negieren, dass Kroatien weit entwi-
ckelt ist. Aber, Herr Ramsauer, so kann man Europa, die
Erweiterung der Europäischen Union und eine europäi-
sche Nachbarschaftspolitik nicht entwickeln; damit
kommen Sie den europäischen Interessen nicht nach.
Frau Merkel, Sie haben meines Erachtens ordentlich
auf den Tisch geschlagen – allerdings in einem negati-
vem Sinne –, als es um die Türkei ging. Wir sind, ehrlich
gesagt, froh, dass sich an dieser Stelle nicht Sie in Brüs-
sel durchgesetzt haben, sondern Ihr Außenminister, Herr
Steinmeier.
Wir erwarten von der deutschen Präsidentschaft ein
aktives Engagement hinsichtlich des Nahen Ostens.
Wir erwarten, dass Europa seiner Verpflichtung nach-
kommt, zum Frieden im Nahen Osten beizutragen. Es
darf hier nicht passieren, dass man sich hinter dem inter-
nationalen Desinteresse, zum Beispiel der USA, ver-
steckt. Deutschland muss an dieser Stelle mehr als koor-
dinieren. Deutschland darf nicht einfach sagen, der
Besuch von Herrn Steinmeier in Syrien sei eine unge-
wöhnliche Maßnahme gewesen. Das hört sich an wie
eine Distanzierung Frau Merkels. Wir sagen ganz klar:
Man muss mit diesen Ländern reden, auch mit Syrien,
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enau davon hängt ab, ob Europa seine Klimaziele er-
eicht, ob Europa eine Vorreiterrolle haben kann. Nur
enn Sie endlich aussprechen: „Minus 30 Prozent bei
en Emissionen“, sind Sie überhaupt in der Lage, in
uropa oder auf dem G-8-Gipfel eine Vorreiterrolle ein-
unehmen.
tattdessen stehen Sie hier mit einem blauen Brief und
aben ein Abmahnungsverfahren am Hals. Und da sagen
ie uns, man müsse auch weitere Schritte einleiten! In
er Tat, Frau Merkel, wir brauchen weitere Schritte.
och um diese Schritte überhaupt machen zu können,
üssen wir den Verkehr in den Emissionshandel einbe-
iehen und wir müssen überlegen, ob Europas internes
ontrollsystem in Sachen Klima und Ökologie hinrei-
hend ist.
Nach vielen Jahren gegenteiliger Arbeit durch die
DU/CSU-Fraktion hat Frau Merkel heute hier gesagt
ich freue mich, dass Sie das angesprochen haben –,
uch im internationalen Welthandel müssten soziale und
kologische Kriterien verankert werden.
arauf kann ich nur sagen: Sie sind endlich angekom-
en. Aber wenn Sie das erreichen wollen, dann müssen
ie erst einmal einen großen Schritt in Europa gehen.
anach gehen wir mit Ihnen gerne einen Schritt weiter,
enn es darum geht, dass im WTO-Handel ökologische
nd soziale Kriterien verankert werden. Das fehlt bisher.
ie WTO legitimiert in Wahrheit nur Raubbau.
Wir erwarten von Ihnen, Frau Merkel, dass Sie bei der
eiterentwicklung der Bereiche Justiz und Inneres
arauf achten, dass es auch in Zukunft noch Daten-
chutz- und Verteidigungsrechte gibt. Dazu haben Sie
ein Wort gesagt. Wir reden hier über eine Weiterent-
icklung im Asylbereich, was das Thema Migranten be-
rifft, und über eine Zusammenarbeit in den Bereichen
nneres und Justiz. Aber Sie haben am Ende nur einen
nternationalen Datenaustausch zu bieten, der Zugriff auf
ämtliche nationale Datenbanken innerhalb der Europäi-
chen Union ermöglicht. Dazu kann ich nur sagen: Es ist
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7225
)
)
Renate Künast
nicht unsere Vorstellung von Europa, dass wir den glä-
sernen europäischen Bürger bekommen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Thema
Römische Verträge sagen. Wir werden im März des
kommenden Jahres die Feierlichkeiten zu 50 Jahren Rö-
mische Verträge und Euratom begehen. Wir müssen der
Europäischen Union einen Sinn einhauchen. Die Men-
schen im Lande fragen sich, wozu sie die Europäische
Union brauchen. Keiner glaubt heute mehr, dass diese
Europäische Union dazu da sein soll, der „Subventioni-
tis“ zu frönen. Keiner glaubt heute mehr, dass sie dazu
da ist, dass weiterhin Kohle produziert und verwendet
wird. Keiner glaubt heute mehr – das richte ich beson-
ders an Sie, Herr Westerwelle –, dass unsere Zukunft in
der Atomenergie liegt.
– Bis auf einen Geisterfahrer, sage ich Ihnen.
Frau Merkel, wir brauchen eine gemeinsame Außen-
politik, um die Weltwirtschaft und den Weltmarkt beein-
flussen zu können. Wir brauchen in der EU ein Zusam-
menleben der Religionen. Darüber müssen wir reden
und dürfen niemanden ausgrenzen. Wir brauchen eine
öffentliche Debatte über Europa im Bundestag und in
der Gesellschaft. Frau Merkel, Sie haben in Ihrem letz-
ten Satz gesagt, dass Sie genau das anbieten. Ich sage in
meinem letzten Satz: Wir sind bereit, über ein offenes
Europa zu diskutieren, das seine Aufgaben beim Thema
Klimaschutz und Soziales erledigt. Aber dann dürfen Sie
nicht in einer Art klandestiner Politik eine Berliner Er-
klärung vorbereiten, bei der nicht einmal der Deutsche
Bundestag einbezogen wird. Lassen Sie uns gemeinsam
daran arbeiten! Aber dazu gehört auch eine offene Dis-
kussion.
Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu-
ropa gelingt gemeinsam in der deutschen Ratspräsident-
schaft mit dieser großen Koalition.
Wir werden uns dabei in die Tradition deutscher Rats-
präsidentschaften stellen. Ich möchte kurz die beiden
letzten nennen:
Während der Ratspräsidentschaft 1999 unter Bundes-
kanzler Gerhard Schröder waren wir außergewöhnlich
erfolgreich. Ich denke nur an die Beauftragung eines
Konvents zur Ausarbeitung der Grundrechtecharta, an
die Lösung des Kosovokonflikts, an die Bewältigung der
Kommissionskrise und an die Einigung über die Agenda
2000.
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Dazwischen liegen 13 Jahre. Bis 2007 wird die Zahl
er Mitgliedsländer der EU von zwölf auf 27 wachsen.
ir haben eine gemeinsame Währung und entscheiden
leichberechtigt im Europäischen Parlament. Diese Er-
olge und diese Dimension müssen wir uns deutlich ma-
hen, auch wissend, dass die darauf folgende Ratspräsi-
entschaft – das ist die Dimension – erst wieder in
3 Jahren, nämlich 2020, sein wird.
Was sind nun die besonderen Herausforderungen
ährend unserer Ratspräsidentschaft?
Erstens wird es darum gehen, Wirtschaft, Soziales
nd Ökologie zusammenzuführen. Wir als Sozialdemo-
ratinnen und Sozialdemokraten sagen: Entscheidend
st, dass wir das europäische Sozialmodell weiterentwi-
keln.
ir müssen das noch einmal ins Bewusstsein rücken:
as europäische Sozialmodell basiert auf starken Ge-
erkschaften – Ordnungsfaktor und Gegenmacht –, auf
leichberechtigung – Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf
leicher Augenhöhe –, auf Solidarität und auf staatlicher
itverantwortung. Es ist das Gegenteil von kalter Glo-
alisierung und Ellenbogengesellschaft. Europa funktio-
iert nur als Sozialgemeinschaft.
Deshalb ist das, was sich die Bundesregierung kon-
ret in diesem Bereich vorgenommen hat, gut:
Erstens. Wir fordern die Kommission auf, sicherzu-
tellen, dass die Gesetze auch auf ihre sozialen Auswir-
ungen hin und nicht nur hinsichtlich einer allgemeinen
ealisierung des Binnenmarktes konzipiert werden.
weitens. Wir setzen die Beschäftigungsstrategie fort.
rittens. Wir werden dort weiterhin erfolgreich sein, wo
ir bisher schon am meisten geleistet haben, nämlich im
esundheits- und Arbeitsschutz. Viertens. Mit einem
rogramm für die Jahre 2006 bis 2010 entwickeln wir
eitere Konzepte für die Gleichstellung von Männern
nd Frauen.
ünftens. Wir sind auch mit speziellen Maßnahmen zur
ekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit aktiv.
Das alles sind wichtige und zentrale Bereiche für uns
nd das werden auch die Sozialdemokraten in der Bun-
esregierung, ihre Ministerinnen und Minister tragen.
öglich wurde das erst, weil wir es unter deutscher
7226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Axel Schäfer
Mitwirkung bei der Gestaltung der Finanzvoraus-
schau 2013 im letzten Jahr geschafft haben, dass in die-
sen europäischen Haushalt enorme Mittel eingestellt
wurden, um diese Herausforderungen – soziale Gerech-
tigkeit, Beschäftigungsförderung, Bekämpfung von Be-
nachteiligungen und Förderung von strukturschwachen
Regionen – erfolgreich bewältigen zu können, anstatt,
wie in früheren Zeiten, lediglich den Agrarsektor zu sub-
ventionieren.
Kolleginnen und Kollegen, zweitens werden wir den
Verfassungsprozess voranbringen und einen erfolgrei-
chen Pfeiler setzen, der eine Brücke über die portugiesi-
sche und slowenische bis hin zur französischen Präsi-
dentschaft tragen wird, sodass wir zu neuen Grundlagen
– auch verfassungsrechtlichen – in dieser Europäischen
Union kommen werden.
Liebe Bundesregierung, hier haben wir eine ganz
klare Erwartung. 18 Länder haben den Verfassungsver-
trag ratifiziert. Wir sagen selbstbewusst, dass das ein ge-
meinsamer Erfolg ist. Nicht wir müssen uns bewegen,
sondern die neun Länder, die noch nicht ratifiziert haben
oder in denen die Referenden – in zwei Fällen – negativ
ausgefallen sind. Sie sind jetzt in der Bringschuld. Wir
müssen Brücken bauen und sie mitnehmen, aber diese
Länder müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Mit
der Unterzeichnung des Verfassungsvertrages sind sie
nämlich die Verantwortung eingegangen, den Verfas-
sungsvertrag auch zu ratifizieren. Anstatt dass diese
Länder und Regierungen – teilweise sind die Personen
identisch mit denen, die ihn 2003 unterschrieben haben –
dieses Werk beiseite stellen, sich zurücklehnen und die
Entwicklung von außen betrachten, müssen sie von uns
in die Verantwortung genommen werden. Das werden
wir auch tun.
Ein Drittes. Wir betreiben eine europäische Politik
für die Menschen – Politik, um das Leben der Men-
schen zu verbessern. Deshalb ist es wichtig, auch einmal
die Erwartungen der Menschen an uns in den Blick zu
nehmen. Über 80 Prozent sagen, dass wir eine starke Eu-
ropäische Union im Bereich der wirtschaftlichen Ent-
wicklung und für die äußere und innere Sicherheit brau-
chen. Dieser Erwartung der Menschen, die ein
Stückchen skeptischer als früher geworden sind, ob wir
das tatsächlich gemeinsam schaffen, müssen wir gerecht
werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregie-
rung hierbei nicht nur eine – wenn auch notwendige –
Kommunikationsstrategie fährt, sondern dass sie mit all
ihrem Handeln auch deutlich macht: Deutsche Interessen
werden am besten in Europa vertreten und Erfolge in Eu-
ropa sind Erfolge auch für unser Land. Wir müssen ein
bewusstes Gegenbild zu manchen Regierungen setzen
– ersparen Sie mir, dass ich sie namentlich nenne –, die
nur nach dem Motto verfahren: „Europa ist uns eigent-
lich egal und alles Schlechte kommt aus Brüssel. Es ist
entscheidend, dass wir uns national gegen andere durch-
setzen.“ Nein, das ist ein falsches Europabild. Richtig
ist: Wir können in Europa nur gemeinsam erfolgreich
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa gelingt ge-
einsam. Es gelingt auch aufgrund von Regierungskon-
inuitäten, die in den Personen anzuschauen sind. Schon
n der Ratspräsidentschaft 1994 war die jetzige Kanzle-
in Ministerin. Schon in der Ratspräsidentschaft 1999
ar die jetzige Entwicklungsministerin im Amt und der
etzige Außenminister hatte eine wichtige Verantwor-
ung. Die haben sie wahrgenommen. Oskar Lafontaine
at damals seine Verantwortung nicht wahrgenommen.
eshalb ist es ihm so leicht, hier verantwortungslose Re-
en zu halten.
Ich glaube, wir machen die Präsidentschaft zu einem
rfolg im blochschen Sinne, nämlich getragen von der
offnung, ins Gelingen verliebt. Deshalb wird diese
uropäische Ratspräsidentschaft gemeinsam gelingen.
Ich erteile dem Kollegen Dr. Diether Dehm, Fraktion
ie Linke, das Wort.
Lieber Kollege Ramsauer, am Anfang zwei Tipps:
chauen Sie sich einmal die Protokollstelle an, an der
ie davon sprechen, dass Sie es mit dem Unterbinden
on Demokratie ernst nehmen wollen. Korrigieren Sie
as, damit es nicht so stehen bleibt. Anstatt anderen De-
okratiedefizite vorzuhalten und sie für ungebildet zu
rklären, sollten Sie die Mehrheit der Menschen, die in
rankreich den EU-Verfassungstext abgelehnt haben,
ndlich ernst nehmen.
Wer, wie wir, einen besseren EU-Verfassungsvertrag
ill, darf über die deutsche Verfassung, das Verhältnis
er EU-Verfassung zu unserem Grundgesetz nicht
chweigen. Auch durch eine europäische Verfassungs-
rdnung dürfen Art. 1 und 20 des Grundgesetzes in ih-
em Wesen nicht beeinträchtigt werden. Das lässt Art. 79
bs. 3 nicht zu.
Mit diesen unabänderlichen Bindungen ist eine Ord-
ung unvereinbar, die, dem neoliberalen Zeitgeist fol-
end, die Menschen als Humankapital der Herrschaft
es Profits unterwirft, ihnen also den Eigenwert als
enschen nimmt.
Hierzu ein Zitat, Kollege Schäfer:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7227
)
)
Dr. Diether Dehm
In der vom Gewinn- und Machtstreben bestimmten
Wirtschaft und Gesellschaft sind Demokratie, so-
ziale Sicherheit und freie Persönlichkeit gefährdet.
Der demokratische Sozialismus erstrebt darum eine
neue Wirtschafts- und Sozialordnung.
Kollege Schäfer, das steht so nicht im Manifest von
Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, das steht auch nicht
in Ihrem gültigen SPD-Parteiprogramm, das immer noch
die Unterschrift von Oskar Lafontaine trägt, sondern das
ist ein Zitat aus dem Godesberger Programm.
Wer aber die Würde der Menschen, wer ihre Bedürf-
nisse als Ausgangspunkt allen staatlichen und auch allen
abgeleiteten supranationalen Handelns ernst nimmt, der
kann eine Verengung auf die geltende ungerechte Wirt-
schaftsordnung nicht wollen. Jede Wirtschaftsordnung
muss sich in ihren konkreten Auswirkungen auf die
Würde der Menschen immer wieder von neuem an den
genannten Grundprinzipien messen lassen.
Und sie muss erforderlichenfalls auch abgewählt werden
dürfen. Das meint das Grundgesetz auch mit der Freiheit
der Wähler, und zwar in seinen Vorschriften über die Ei-
gentumsordnung in den Art. 14 und 15. Hier gibt es die
Gewährleistung des Eigentums, aber auch seine verbind-
liche Verpflichtung auf das Gemeinwohl. Es gibt die
Möglichkeit der Enteignung der Deutschen Bank und
anderer Konzerne im Interesse der Allgemeinheit und
auch die Möglichkeit der Vergesellschaftung von Pro-
duktionsmitteln durch ihre Überführung in Gemein-
eigentum.
Damit zielt das Grundgesetz zwar nicht auf eine andere
Wirtschaftsordnung, aber es gibt den Wählerinnen und
Wählern die Freiheit, den Kapitalismus abzuwählen. Das
hat das Bundesverfassungsgericht 1954 in seiner Ent-
scheidung zum Investitionshilfegesetz ausdrücklich dar-
gelegt und das ist bis heute gültig.
Wenn die FDP beispielsweise in einem Antrag for-
dert, ausgerechnet Art. 15 aus dem Grundgesetz zu strei-
chen, so zeigt dies, dass sie den Wählern die Freiheit
nehmen will, den Kapitalismus abzuwählen. Freiheit ist
aber gerade hier auch die Freiheit der Andersdenkenden.
Auch dass die EU-Verfassung diese Freiheit ein-
schränken will, sodass die Abwahl des Kapitalismus
nicht mehr möglich sein soll, ist mit der Würde der Men-
schen und ihrer Unantastbarkeit ebenso wenig vereinbar
wie mit den Prinzipien der Demokratie und der Sozial-
staatlichkeit. In diesem Sinne wiederhole ich –
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Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Andreas
chockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt nach-
rücklich, dass die EU-Außenminister in der Frage der
eitrittsverhandlungen mit der Türkei eine Einigung ge-
unden haben. Jetzt herrscht Klarheit, wie der Prozess
eitergehen soll. Es ist auch zu begrüßen, dass Zypern
icht länger die Freigabe der Finanzmittel für den nördli-
hen Teil der Insel blockieren will. Auch das war über-
ällig und hat die Beziehungen zur Türkei zu lange unnö-
ig belastet.
Ich will in aller Deutlichkeit feststellen: Wir haben
in nachdrückliches Interesse daran, dass die Türkei den
egonnenen Reformprozess fortsetzt. Die Beitrittsver-
andlungen sind dafür ein Katalysator. Niemand will
lso die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbre-
hen.
ir müssen aber – ich denke, auch darin sind wir uns ei-
ig – weiter auf die Erfüllung der politischen Vorausset-
ungen wie die Religionsfreiheit oder die Abschaffung
es Strafrechtsparagrafen 301 drängen, der die Beleidi-
ung des Türkentums unter Strafe stellt. Denn das sind
oraussetzungen – Kollege Ramsauer hat zu Recht da-
auf hingewiesen –, die nach den Kopenhagener Krite-
ien eigentlich vor Beginn der Beitrittsverhandlungen
ätten erfüllt sein müssen.
Dazu gehört auch die Erfüllung des Ankaraprotokolls,
u der sich die Türkei schon im September letzten Jahres
erpflichtet hat. Erfüllung heißt, dass die Häfen und
lughäfen in der Türkei – also nicht nur ein Hafen und
in Flughafen – auch für Schiffe und Flugzeuge Zyperns
ffen sein müssen.
Dass die Türkei bisher nicht bereit ist, alle Mitglieder
er EU gleichermaßen anzuerkennen und die vereinbarten
7228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Andreas Schockenhoff
Regeln einzuhalten, kann nicht ohne Konsequenzen sein.
Deswegen ist die Vereinbarung, acht Verhandlungskapi-
tel einzufrieren und bei keinem der übrigen Kapitel die
Verhandlungen abzuschließen, bis das Ankara-
abkommen erfüllt ist, eine Maßnahme, die Konsequen-
zen hat, die aber auch unserem Interesse an der Fortset-
zung des Reformprozesses in der Türkei Rechnung trägt,
und zwar besonnen und entschlossen, wie es die Bundes-
kanzlerin ausgeführt hat.
Wir halten es auch für erforderlich, dass die EU nicht
nur zur Verhandlungsroutine übergeht und wir abwarten,
wann die Türkei das Ankaraprotokoll erfüllt. Wir wollen
vielmehr, dass diese Frage als politisches Thema auf der
Agenda der Staats- und Regierungschefs steht, dass sie
sich selbst darum kümmern und dies nicht den Beamten
der Kommission überlassen.
Deshalb begrüßen wir nachdrücklich, dass sich die
Staats- und Regierungschefs dementsprechend in den
Jahren 2007, 2008 und 2009 auf der Grundlage eines Be-
richts der Kommission mit dieser Frage befassen und
den weiteren Prozess überprüfen werden. Das ist für die
Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Erweiterungspro-
zesses unverzichtbar. Deshalb war es gut, dass die Initia-
tive der Bundeskanzlerin vereinbart und der Kommis-
sionsvorschlag nachgebessert wurde.
Im Übrigen entspricht dieser Beschluss genau dem,
was sich die Staats- und Regierungschefs zur Frage der
Integrationsfähigkeit der EU auf dem morgigen EU-Gip-
fel vorgenommen haben. Denn beim künftigen Erweite-
rungsprozess soll es keinen Automatismus geben. Es
sollen keine Beitrittsdaten mehr genannt werden und es
soll auf die strikte Erfüllung der Kriterien und der einge-
gangenen Verpflichtungen geachtet werden. Nur wenn
die Bürger der Europäischen Union das Gefühl bekom-
men, dass die Staats- und Regierungschefs auf die strikte
Einhaltung der Beitrittskriterien achten und dass sie vor
einer Erweiterung sorgfältig die Auswirkungen eines
Beitritts auf die EU und ihre Handlungsfähigkeit prüfen,
werden wir die Akzeptanz für künftige Beitritte be-
kommen. Diese Akzeptanz brauchen wir; denn die EU-
Perspektive etwa für die Staaten des westlichen Balkans
liegt in unserem Sicherheitsinteresse.
Wenn diese Staaten ihre inneren und zwischenstaatli-
chen Konflikte überwinden, sodass EU und NATO ihre
Streitkräfte dort vollständig zurückziehen können, und
wenn sie alle Beitrittskriterien, insbesondere bei der
Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung der organisier-
ten Kriminalität, strikt erfüllen, dann werden wir alle,
die derzeitigen Mitglieder der Europäischen Union, ei-
nen erheblichen Sicherheitsgewinn haben. Deshalb ist es
wichtig und richtig, dass die Staats- und Regierungs-
chefs bei ihrem morgigen Gipfel Grundsätze für die Inte-
grationsfähigkeit der EU vereinbaren, damit die EU er-
weiterungsfähig bleibt.
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olen hat unsere Solidarität und Unterstützung bei der
ufhebung des russischen Importverbots für polnisches
leisch, weil wir dieses Verbot für nicht gerechtfertigt
alten. Aber genauso wenig gerechtfertigt ist eine Ver-
nüpfung dieser Frage mit dem Verhandlungsmandat für
in Nachfolgeabkommen mit Russland.
Angesichts der Rückschläge bei Demokratie und
echtsstaatlichkeit in Russland ist es wichtig, dass wir
m Nachfolgeabkommen, vor allem aber auch in der
raktischen Zusammenarbeit immer wieder auf die Re-
pektierung der Werte drängen, zu denen sich Russland
ei seinem Beitritt zum Europarat verpflichtet hat. Ich
age ganz offen: Die innere Entwicklung Russlands
ereitet uns große Sorgen. Die Ermordung von Frau
olitkowskaja stellt einen Verlust für Russland dar. Ihr
nparteiisches Engagement für Menschenrechte und De-
okratie war für die Entwicklung der russischen Gesell-
chaft wichtig.
ieser Mord und vor allem die zunehmenden Ein-
chüchterungen der wenigen noch verbliebenen kriti-
chen Journalisten sind beispielhaft für den Niedergang
er Pressefreiheit in Russland.
Wer immer für den Mord an Litwinenko oder für die
unehmend länger werdende Liste von politisch oder
irtschaftlich motivierten Morden in Russland verant-
ortlich ist: Es drängt sich die Frage nach der Autorität
er russischen Regierung auf. Beunruhigend ist es vor
llem für diejenigen, die sich in Russland selbst engagie-
en. Auch wenn man ein Urteil über die Anwendung des
esetzes über die Nichtregierungsorganisationen erst
ach dem Ende der Registrierungspflicht im April
ächsten Jahres fällen kann, muss man anhand der bishe-
igen Praxis eines schon heute feststellen: Das NGO-Ge-
etz überfordert mit seinem bürokratischen Aufwand
icht nur die Behörden und führt damit zu willkürlichen
uslegungen, sondern es belastet vor allem auch kleine
GOs erheblich. Damit schadet sich Russland selbst;
enn viele dieser kleinen NGOs leisten humanitäre Hilfe
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7229
)
)
Dr. Andreas Schockenhoff
für die Menschen in Russland. Sie brauchen ihre Zeit,
um den Menschen zu helfen, und nicht für das Ausfüllen
nutzloser Berichte.
Haben also nicht diejenigen Recht, die das langfris-
tige Ziel einer Wertepartnerschaft mit Russland aufge-
ben und das Verhältnis nur auf eine an gemeinsamen In-
teressen orientierte Zusammenarbeit reduzieren wollen?
Wir sagen dazu ganz klar Nein. Das wäre ein strategi-
scher Fehler. Wir beraubten uns unserer Einflussmög-
lichkeiten zur Stärkung von Demokratie und Rechts-
staatlichkeit. Wir ließen vor allem die Menschen, die
sich mitunter unter Einsatz ihres Lebens in Russland en-
gagieren, im Stich.
Nein, das Gegenteil muss der Fall sein. Wir müssen jede
Gelegenheit nutzen, um Einfluss zu nehmen und mit
Russland im Rahmen der „vier Räume“ in der G 8 – bald
auch in der WTO – zusammenzuarbeiten.
Das alles sind Möglichkeiten, um die Entwicklung in
Russland zu beeinflussen, weil wir den Anspruch erhe-
ben, dass Russland in Einklang mit den Werten dieser
Institutionen leben muss.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir begrü-
ßen nachdrücklich, dass der EU-Gipfel in Helsinki die
Bitte an die deutsche Präsidentschaft richtet, eine Zen-
tralasienstrategie zu erarbeiten. Die EU muss die He-
rausforderungen, die sich für die Sicherheit und Stabilität
Europas aus dieser Region heraus ergeben, strategisch
angehen.
Das gilt allerdings genauso für die Schwarzmeerre-
gion. Denn mit Beginn der deutschen Präsidentschaft am
1. Januar wird die Europäische Union durch den Beitritt
Rumäniens und Bulgariens eine gemeinsame Außen-
grenze mit den Ländern der Schwarzmeerregion haben.
Damit werden die Probleme dieser Region noch unmit-
telbarer auch zu unseren Problemen werden. Durch diese
Region laufen nicht nur wesentliche Energierouten, son-
dern dort spielen auch organisierte Kriminalität sowie
Menschen- und Drogenhandel eine große Rolle. Mit den
Konfliktherden Transnistrien, Abchasien und Südosse-
tien hat diese Region gleichzeitig ein erhebliches Krisen-
potenzial. Die jüngsten Entwicklungen in Georgien ha-
ben das deutlich sichtbar gemacht. Deshalb liegt es im
Interesse der EU, einen aktiveren Beitrag zur Stabilisie-
rung der Schwarzmeerregion und zur Stärkung von De-
mokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Pros-
perität zu leisten,
auch mit Blick auf die Energiezusammenarbeit und wei-
tere alternative Energieversorgungsrouten. Nicht zuletzt
können durch eine EU-Schwarzmeerpolitik Staaten, die
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Zu einer strategischen Partnerschaft gehört auch die
usammenarbeit bei den Regionalkonflikten in der ge-
einsamen Nachbarschaft. Es ist jedenfalls nicht akzep-
abel, dass Russland hier eine Politik der kontrollierten
nsicherheit verfolgt und sich gemeinsamen Bemühun-
en für eine Konfliktregelung verweigert.
Meine Damen und Herren, den Menschen in Deutsch-
and wird während unserer Präsidentschaft in der Euro-
äischen Union und der G 8 immer wieder bewusst wer-
en, dass wir unseren Platz in der Welt, unsere Werte nur
n einem politisch integrierten Europa behaupten kön-
en. Ich bin mir sicher, dass die deutsche Präsidentschaft
n diesem Sinne ein guter Beitrag zu einer europäischen
dentität wird.
Vielen Dank.
Für das Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Jür-
en Trittin das Wort.
7230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
mit einer Bemerkung zu Ihrem Vorschlag, Frau Bundes-
kanzlerin, anfangen. Wenn Sie sagen, wir müssten in Eu-
ropa das Prinzip der Diskontinuität einführen, dann
muss man sich auch über die Folgen klar werden. Manche
würden sich freuen und sagen: Dann hätten wir letztens
im Parlament nicht REACH verabschiedet. – Denken Sie
an Ihr eigenes Präsidentschaftsprogramm, insbesondere
an die vollständige Liberalisierung der Gas- und Strom-
märkte. Das ist ein Dossier, das mittlerweile ein Parla-
ment und eine Kommission schon in der dritten Amtszeit
beschäftigt.
Zweite Bemerkung. Wenn davon geredet wird, dass
Deutschland versuchen möchte, in Sachen Bürokratie-
abbau weiterzukommen, dann muss doch die Frage er-
laubt sein, ob die Bundesrepublik Deutschland unter die-
ser Koalition und in dieser Verfassung nach der
Föderalismusreform überhaupt in der Lage ist, anderen
Bürokratieabbau beizubringen.
Was ist das eigentlich für ein Bild, das die Bundesregie-
rung abgibt? Einerseits redet sie über Bürokratieabbau,
andererseits aber wird man statt eines Nichtraucherge-
setzes 15 oder 16 Nichtrauchergesetze haben, vielleicht
auch nur zwölf, und man baut im Rahmen der Gesund-
heitsreform völlig neue bürokratische Strukturen auf, die
unsere Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber noch gehörig
quälen werden.
Dritte Bemerkung zu Ihrer Rede. Sie drücken sich vor
der Festlegung Ihres Umweltministers und davor, zu sa-
gen: Wir wollen dafür sorgen, dass sich Europa bis zum
Jahre 2020 verpflichtet, 30 Prozent der Treibhausgase
einzusparen. – Was hindert Sie eigentlich daran, diese
Frage in vernünftiger Art und Weise mit der Minderung
der Energieabhängigkeit zu verknüpfen? Dies hätte
nämlich eines zur Folge: die Umsetzung dieses Ziels. Es
hätte zur Folge, dass die Energieimporte – die Europäi-
sche Union importiert heute noch 74 Prozent der Ener-
gie – auf unter 50 Prozent sinken würden. Auch das ist
übrigens nicht nur ein Argument für Klimaschützer, son-
dern auch und gerade ein ökonomisches Argument. Das
würde dazu führen, die Abhängigkeit der europäischen
Wirtschaft zu reduzieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit
zu stärken.
Letzte Bemerkung: Wenn Sie sagen, Sie wollten die
Akzeptanz für Europa verbessern, dann werden Sie in-
nerhalb Europas dieses Land europakompatibler machen
müssen. Wenn Sie sagen, Europa sei eine Antwort auf
Globalisierung, dann erwarten die Menschen zunächst
eine Antwort, die ihnen mehr Sicherheit, mehr soziale
Sicherheit verspricht. Da hat Deutschland nun einmal ei-
nen Nachholbedarf.
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ir sind eines der wenigen Länder, die es bis heute nicht
ertig gebracht haben, Regelungen einzuführen, damit
emand, der Vollzeit arbeitet, nicht unter die Armuts-
renze sinkt. Wenn Sie Europa akzeptabler machen wol-
en, dann müssen Sie hier anfangen und dafür sorgen,
ass Menschen, die Vollzeit arbeiten, nicht trotz ihrer
rbeit arm bleiben. Deswegen brauchen wir so etwas
ie einen gesetzlichen Mindestlohn, wie wir ihn in
rankreich, in Großbritannien, in Luxemburg, in den
iederlanden und in vielen anderen Ländern haben.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schlusssatz. –
enn Sie Lust auf Europa machen wollen,
enn Sie Begeisterung für Europa wecken wollen, dann
ürfen Sie eines nicht zulassen, nämlich dass hier solche
eden wie die, die vorhin Herr Ramsauer vorgetragen
at, gehalten werden. Das macht nicht Lust auf Europa,
ondern das macht Angst vor Europa. Das ist der Grund,
enn Sie bei Ihrem Ziel, bis 2009 in der Verfassungsver-
ragsfrage voranzukommen, keinen Schritt weiterkom-
en. Wenn Sie das nicht schaffen, dann können Sie sich
ei Herrn Ramsauer und bei Herrn Stoiber für ihre Re-
en bedanken.
Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die
ollegin Lale Akgün.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
anzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Vor-
bend der deutschen Ratspräsidentschaft gibt es eine
ülle von Themen, über die wir hier sprechen könnten.
ch möchte mit einem unserer Lieblingsthemen anfan-
en, nämlich der Entscheidung der EU über den Beitritt
er Türkei.
Die EU hat mit dem Aussetzen von acht Kapiteln die
otwendige Konsequenz aus der Tatsache gezogen, dass
ie Türkei ihrer Verpflichtung zur Unterzeichnung des
nkaraprotokolls und damit der Anerkennung Zyperns
icht nachgekommen ist. Aber sie hat das rechte Maß
ewahrt. Ein Abbruch der Verhandlungen wäre übereilt
ewesen und den ureigensten Interessen der EU zuwi-
ergelaufen.
Die SPD-Fraktion begrüßt die Entscheidung aus-
rücklich.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7231
)
)
Dr. Lale Akgün
Es ist eine Entscheidung mit Augenmaß, die beiden Sei-
ten gerecht wird, der Türkei und der EU.
Die Türkei weiß um ihre Hausaufgaben. Jetzt muss
die EU ihrerseits gegebene Zusagen einhalten. Die Isola-
tion Nordzyperns muss aufgehoben und die durch die
EU versprochenen wirtschaftlichen Hilfen müssen end-
lich geleistet werden.
Ich freue mich, dass die EU sich bewegt, was die Zy-
pernfrage angeht. Ich möchte in diesem Zusammenhang
erwähnen, dass Estland und Schweden Überlegungen
anstellen, in Nordzypern Büros einzurichten. Großbri-
tannien erwägt Berichten zufolge, Direktflüge zum nord-
zypriotischen Flughafen Ercan aufzunehmen. Das sind
wichtige Signale.
Genauso aber muss sich in der Republik Zypern
noch einiges tun. Auch hier sind erste Bewegungen be-
reits zu verzeichnen. Daher gibt es berechtigte Hoff-
nung, dass Zypern bereits beim ersten Außenminister-
treffen im Januar seine Blockade aufgeben wird und die
EU Gelder für den türkischen Norden freigeben kann.
Auch das Veto für den Direkthandel mit Zypern wird
nicht mehr lange aufrechterhalten werden können. Da-
von bin ich überzeugt.
Aus all diesen Gründen ist es richtig, dass die EU
durch das Einfrieren zwar Konsequenzen zieht, dass
aber ansonsten business as usual gilt – keine Fristen,
keine Sanktionen und keine Revisionsklausel für die
Türkei. Eine Entscheidung mit Augenmaß, wie gesagt.
Für dieses Verhandlungsergebnis möchten wir noch
einmal Außenminister Frank-Walter Steinmeier danken,
der diese klare Linie in Brüssel durchsetzen konnte.
Damit haben wir eine unnötige Verschärfung der ohne-
hin sehr angespannten Lage vermieden.
Meine Damen und Herren, entgegen vielen Annah-
men wird diese Entscheidung auch in der Türkei akzep-
tiert. Darauf möchte ich hier noch einmal hinweisen. Es
ist mitnichten so, dass in der Türkei nur Zeter und Mor-
dio geschrien wird. Wichtig für die Türkei und für die
Bevölkerung ist die Tatsache, dass in Brüssel die Ver-
handlungen weitergehen und nach innen die Reformen
fortgesetzt werden können.
Das Massenblatt „Sabah“ schreibt gestern: Es ist gut,
dass der Zug zum EU-Beitritt eben nicht entgleist ist. –
Auch das Massenblatt „Hürriyet“ zählt ganz sachlich
und differenziert positive und negative Aspekte des Ein-
frierens auf. Die türkische Börse reagierte wie ein Seis-
mograf. Die Kurse sind seit vorgestern enorm gestiegen
und die türkische Lira hat gegenüber Euro und Dollar an
Wert gewonnen. Das zeigt einmal mehr, dass die Ent-
scheidung der EU-Außenminister richtig war und auch
in der Türkei akzeptiert wird.
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an sollte diesen Begriff doch einmal wörtlich nehmen.
Meine Redezeit reicht nicht aus, um Ihnen alle
ründe für einen Beitritt der Türkei noch einmal darzu-
egen. Deshalb sei nur so viel gesagt: Wenn die EU auch
m 21. Jahrhundert ihre Rolle als Friedensmacht ausfül-
en will, so muss sie sich den neuen Herausforderungen
tellen: dem Islam, dem Terrorismus, aber auch den
euen Nationalismen. Deshalb sage ich ganz deutlich:
erspektivisch brauchen wir eine EU mit 30 und mehr
itgliedern, wozu auch die Staaten des westlichen Bal-
ans gehören. Auch im Verhältnis zu den Staaten des
estbalkans muss die EU glaubhaft bleiben und ihre
ersprechungen einhalten.
Das gilt natürlich auch für alle anderen anstehenden
hemen der deutschen Ratspräsidentschaft. Wenn
an sich die Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft
nschaut, dann muss man sagen, dass das nicht gerade
enige Themen sind. Es ist keine Frage, dass alles, was
ir uns für die nächsten sechs Monate vorgenommen ha-
en, dabei von großer Bedeutung ist. Energiepolitik,
irtschaftswachstum, Klimaschutz, Verfassungspro-
ess, Nachbarschaftspolitik sowie die Gemeinsame Si-
herheits- und Außenpolitik sind große Themen, mit de-
en wir uns beschäftigen müssen.
Wichtig ist allerdings, dass wir am Ende dieser sechs
onate tatsächlich Erfolge aufweisen können und dass
ir unsere Versprechen gegenüber den Beitrittskandida-
en und Nachbarn, aber auch gegenüber den Bürgerinnen
nd Bürgern der europäischen Mitgliedstaaten eingehal-
en haben. Nur so können wir das größte Problem Euro-
as, nämlich den Verlust an Akzeptanz, wettmachen. Für
euen Schwung, neue Legitimität und neue Begeiste-
ung für die EU zu sorgen, ist die Hauptaufgabe für die
eutsche Ratspräsidentschaft.
Ich wünsche mir von der deutschen Ratspräsident-
chaft echte Antworten auf die Sorgen der Menschen.
7232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Lale Akgün
Erweiterung, vertiefte politische Integration und das so-
ziale Europa sind in diesem Zusammenhang die Stich-
worte. Leitmotiv der deutschen Ratspräsidentschaft
sollte sein: Europa neu denken vor den Herausforderun-
gen des 21. Jahrhunderts.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3808, 16/3680 und 16/3832 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 16/3796
soll an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Druck-
sache 16/3680 zu Tagesordnungspunkt 4 c, jedoch nicht
an den Tourismusausschuss und den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. – Damit sind Sie ganz offensichtlich
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 h auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Verbesserung der Beschäfti-
gungschancen älterer Menschen
– Drucksache 16/3793 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze
an die demografische Entwicklung und zur
Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der
– Drucksache 16/3794 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia
Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Beschäftigungspolitik für Ältere – für ein wirt-
schafts- und arbeitsmarktpolitisches Gesamt-
konzept
– Drucksache 16/3027 –
Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel
Bahr , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Den Rentenversicherungsbericht im Interesse
der Versicherten realistischer gestalten
– Drucksache 16/3676 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider , Klaus Ernst, Karin Bin-
der, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Stichtagsregelung für die Altersteilzeit im RV-
Altersgrenzenanpassungsgesetz
verlängern
– Drucksache 16/3815 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmin-
gard Schewe-Gerigk, Brigitte Pothmer, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Neue Kultur der Altersarbeit – Anpassung der
gesetzlichen Rentenversicherung an längere
Rentenlaufzeiten
– Drucksache 16/3812 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über die gesetzli-
che Rentenversicherung, insbesondere über
die Entwicklung der Einnahmen und Ausga-
ben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des je-
weils erforderlichen Beitragssatzes in den
und
Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversi-
cherungsbericht 2006
– Drucksache 16/3700 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7233
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Lagebericht der Bundesregierung über die
Alterssicherung der Landwirte 2005
– Drucksache 16/907 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
Zwischen den Fraktionen ist eine Aussprache von an-
derthalb Stunden verabredet. – Dazu höre ich keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Herrn Bundesminister Franz Müntefering.
Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und
Soziales:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind uns in diesem Haus fraktionsübergreifend ei-
nig, dass wir ein gemeinsames Ziel haben: Wir wollen in
diesem Land ein Wohlstandsniveau haben. Daran sollen
alle Generationen einen gerechten Anteil haben. Das soll
für heute, für morgen und für übermorgen gelten. Dieses
allgemeine Ziel heißt mit Blick auf das heutige Thema
buchstabiert: Wir wollen eine gute materielle Absiche-
rung der älteren Generation und wir wollen die Möglich-
keit altersgerechter Arbeit für diejenigen, die 50, 55,
60 Jahre und älter sind.
Wir haben in der Koalition ein Konzept entwickelt,
von dem ich sage: Es ist plausibel. Es ist anstrengend.
Aber es hat viele gute Argumente für sich. Wir beraten
heute die Initiative „50 plus“ und das Gesetz zur schritt-
weisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre.
Wir diskutieren aktuell über die Möglichkeiten zusätzli-
cher Altersvorsorge im Betrieb oder mittels der Riester-
rente. Diese drei Punkte gehören ganz eng zusammen.
Wir sind mitten im Prozess dieser Entwicklung. Das
faktische Renteneintrittsalter steigt seit Jahren. Vor we-
nigen Jahren waren es etwa 40 Prozent, die mit 60 Jah-
ren in Rente gingen. Denn wir hatten ja ein Fenster von
60 bis 65 Jahren. Heute sind es noch etwa 25 Prozent.
Wir stehen nicht am Anfang der ganzen Debatte. Das
faktische Renteneintrittsalter steigt und das ist auch gut
so. Die Menschen sind bereit, länger zu arbeiten und in
ihren Berufen zu bleiben.
Es tut sich auf dem Arbeitsmarkt eine ganze Menge.
Es gibt etwa 90 000 bis 100 000 arbeitslose Ältere über
50 weniger als vor einem Jahr. Die allgemeine Entwick-
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s ist eine Bewegung da, die in eine vernünftige Rich-
ung geht.
Das hat natürlich seine Gründe darin, dass wir das
aktische Renteneintrittsalter, also die Chance, aus der
rbeitslosigkeit in Rente zu gehen, von 60 auf 63 Jahre
nheben; wir befinden uns mitten in diesem Prozess.
arüber wird wenig gesprochen; aber es ist so. Auch die
ahldauer des Arbeitslosengeldes haben wir von maxi-
al 32 Monate auf maximal 18 gekürzt. Beides sind
aßnahmen, die mit der Politik der Beschäftigung älte-
er Menschen eng zu tun haben. An einer Stelle diskutie-
en wir gerade wieder mit allem Nachdruck darüber. Ich
age: Das, was wir machen, ist vernünftig. Wir geben
en Menschen, die 50, 55 oder 60 Jahre alt sind, eine
hance, am Erwerbsleben teilzunehmen.
Im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf zur Initia-
ive „50 plus“ will ich zwei zusätzliche Initiativen an-
prechen. Eine erste Initiative in diesem Gesetzentwurf
st – sie ist ganz wichtig und stellt eine Verbesserung im
ergleich zur bisherigen Regelung dar –: Menschen, die
5 und älter sind und in Unternehmen mit bis zu
50 Beschäftigten arbeiten, haben die Chance, sich auf
taatskosten mittels Bildungsgutscheinen qualifizieren
u lassen.
ir müssen bei der Weiterbildung dringend besser wer-
en.
Der VDI bzw. die großen Verbände melden uns, dass
urzeit in Deutschland 22 000 Ingenieure fehlen. Ich
eiß von der BA und anderen Stellen: In Deutschland
ibt es 30 000 bis 40 000 arbeitslose Ingenieure. Es
uss doch in dieser Gesellschaft möglich sein, dass wir
icht aus dem Ausland, also irgendwoher aus der Welt,
0-, 25- und 30-jährige Ingenieure holen, sondern dass
nsere Ingenieure, die 45 und 50 Jahre alt und arbeitslos
ind, in ihren Berufen bleiben können. Dies muss doch
esser zu organisieren sein, als es bisher der Fall ist.
7234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Bundesminister Franz Müntefering
Das gilt für andere Berufe in gleicher Weise.
Eine zweite Initiative ist der Kombilohn. Denjeni-
gen, die 50 und älter sind und die arbeitslos werden, sa-
gen wir: Wenn du eine Chance hast, wieder in Arbeit zu
kommen, dann mache es schnell. Nimm sie schnell an,
auch wenn du weniger Lohn hast als bisher. Wir geben
im ersten Jahr die Hälfte der Differenz, die zwischen
dem alten Nettoeinkommen und dem neuen besteht,
dazu und im zweiten Jahr 30 Prozent. Denn wir wissen
genau: Ältere, die schnell wieder vermittelt werden,
kommen auch gut wieder in den Beruf hinein. Sie dürfen
erst gar nicht in das Arbeitslosengeld II fallen. Auch das
gehört zu dem angesprochenen Gesetzentwurf.
Der Gesetzentwurf zur Rentenversicherung verändert
den Eintrittskorridor von bisher 60 bis 65 Jahre auf 63
bis letztlich 67 Jahre im Jahre 2029. Es wird aber wie
bisher sein: Die meisten Menschen werden vor dem
Höchsteintrittsalter in Rente gehen. Das tun heute die al-
lermeisten; sie gehen weit vor 65 in Rente. Das wird
auch in Zukunft so sein, wenn wir ein Renteneintrittsal-
ter von 67 Jahren erreicht haben.
Die Frage ist dann: Wie viel Geld bekommen sie,
wenn sie mit 63, 64 oder 65 Jahren in Rente gehen? Mit
63 Jahren können sie in Rente gehen, wenn sie
35 Zahljahre erreicht haben, und mit 65 und damit ohne
Abschläge, wenn sie 45 Zahljahre erreicht haben. Ich
will darauf hinweisen, dass die Frage der Alterssiche-
rung entscheidend davon abhängt, wie die Wohl-
standsentwicklung in Deutschland sein wird. Man darf
die Debatte nicht nur an den Jahreszahlen festmachen.
Ich will einige Minuten darauf verwenden, das noch ein-
mal deutlich zu machen. Das Rentenwohlstandsniveau
beträgt zurzeit 52 Prozent. Es wird nach der Rentenpla-
nung – nicht nach dieser, sondern nach der, die schon
längst beschlossen ist – im Jahre 2020 bei mindestens
26 Prozent liegen.
– 46, Pardon. – Es wird im Jahre 2030 mindestens
43 Prozent betragen.
– Ja, das ist richtig, Herr Gysi. Das ist aber nicht neu. Sie
tun immer so, als ob das neu wäre. Wir sind längst in der
Phase, dass die Gesellschaft begriffen hat, dass man das
angesichts veränderter Strukturen in dieser Gesellschaft
nicht mehr wird fortführen können.
Denn 1960 wurden die Renten durchschnittlich zehn
Jahre lang gezahlt; jetzt werden sie 17 Jahre lang ge-
zahlt. Im Jahre 2030 würde die Rente 20 Jahre lang ge-
zahlt werden.
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Walter Riester, den ich hier sehe, hat vor einigen Jah-
en eine wichtige Reform begonnen und hat dieses
hema als Erster gesetzt. Er hat gezeigt, wohin der Weg
ehen kann.
Jetzt aber wieder zurück zu der Frage: Wie hoch ist
ie Rente dann eigentlich? Die 46 Prozent, die sich im
ahre 2020 ergeben, sind ja kein absoluter Wert, in Geld
usgedrückt. Die Frage, die sich anschließt, ist: Wie viel
st dann 100 Prozent? Das hängt davon ab, wie sich die
öhne in diesem Land entwickeln. Wenn wir eine Lohn-
ntwicklung wie in den vergangenen zehn Jahren haben,
ird das natürlich Konsequenzen für die Höhe der Ren-
en haben. Das gilt, ob man nun 46 Prozent oder
3 Prozent hineinschreibt. 43 Prozent von viel ist eben
ehr als 46 Prozent von wenig. Das ist ganz einfach.
m das nachzuvollziehen, muss man kein Mathematiker
ein.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir dafür sorgen, dass
er Wohlstand erhalten bleibt. Entscheidend für die
lterssicherung ist letztlich nicht, ob man von 60 bis
5 oder von 63 bis 67 in Rente gehen kann; vielmehr ist
ntscheidend, wie hoch die 100 Prozent Wohlstand sind.
enn die Normalverdiener in Deutschland im Jahre
030 bzw. 2020 ein gutes Einkommen haben, werden
uch die Rentnerinnen und Rentner ein ordentliches Ein-
ommen haben, ansonsten eben nicht. Deshalb besteht
ie beste Alterssicherung darin, dass wir uns bewusst
ind: Wir müssen in die Köpfe und in die Herzen der
ungen Menschen investieren.
as wir in Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung
nvestieren, bestimmt letztlich die Höhe der Rente.
Das Festhalten an bestimmten Jahreszahlen führt in
ie Irre. Wir müssen das Gesamtbild betrachten. Die Al-
erssicherung hängt von der Wohlstandsentwicklung ins-
esamt ab. Die von mir genannten Prozentsätze müssen
ernünftige Geldbeträge ergeben. Das wird nur gesche-
en, wenn wir eine Politik machen, wie wir sie uns vor-
enommen haben. Wir haben uns in der Koalition vorge-
ommen, im Jahre 2010 etwa 6 Milliarden Euro mehr
ür Forschung und Entwicklung auszugeben, nämlich
Prozent des BIP. Wenn wir diese 6 Milliarden Euro in
ie Rentenkasse gäben, könnten wir uns viele Freunde
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7235
)
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Bundesminister Franz Müntefering
machen und das wäre auch nicht so übel; man hat ja im-
mer gerne Freunde. Ich sage aber: Wenn wir das ma-
chen, wird die nachfolgende Generation dafür büßen
müssen. Denn die 46 bzw. 43 Prozent – heute sind es
52 Prozent – ergeben nur noch etwa drei Viertel des
Wohlstandsbedarfs.
Neben allem, was ich angesprochen habe, braucht
man eine vernünftige zusätzliche Alterssicherung – ob
sie nun Riesterrente oder betriebliche Altersvorsorge
heißt. Daran müssen wir arbeiten. Bei den Debatten um
den Investivlohn müssen wir im Blick behalten: Wir
brauchen vor allen Dingen die Bereitschaft der Betriebe,
der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, dafür zu sorgen,
dass die Menschen rechtzeitig für ihr Alter sparen kön-
nen.
Wenn wir miteinander das alles machen, dann – da
bin ich sicher – haben wir als Koalition der Sicherung
des Alters in der Zukunft eine gute Perspektive gegeben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Heinrich Kolb hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte verbindet mit den Entwürfen von
Gesetzen zur Verbesserung der Beschäftigungschancen
älterer Menschen und zur Anpassung der Regelalters-
grenze zwei, wie ich finde, wichtige soziale Kernfragen
unserer Gesellschaft; denn, Herr Minister Müntefering,
die Anhebung, die Sie vorhaben, macht doch nur Sinn,
wenn die Menschen am Schluss wirklich die Gelegen-
heit haben, länger zu arbeiten. Zu Beginn meiner Aus-
führungen will ich gleich sagen: Die Antworten, die die
große Koalition auf diese Fragen gibt, sind alles andere
als der Situation angemessen. Um es in Schulnoten aus-
zudrücken: Sie sind ungenügend.
– Ja, genau.
Herr Minister, die Anhebung des Regelrentenzu-
gangsalters auf 67 Jahre, auf die sich die Koalition auf
Ihr Betreiben hin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ver-
ständigt hat, ist ein unerwarteter Tabubruch, für den vor
allem die SPD vonseiten der Gewerkschaften erhebli-
chen Gegenwind erfährt. Ich hatte in der vergangenen
Woche auf einer DGB-Podiumsdiskussion in Hanau zu-
letzt Gelegenheit, das zu beobachten. Die Menschen ah-
nen – Herr Minister, ich sage: zu Recht –, dass die Re-
form der Rente aufgrund mangelnder begleitender
Arbeitsmarktreformen für die allermeisten Versicherten
auf eine verkappte Rentenkürzung hinauslaufen wird.
Ich fand es bemerkenswert, wie der SPD-Kollege in Ha-
nau von den anwesenden Betriebsräten attackiert und re-
gelrecht demontiert wurde.
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Die Bereitschaft zum Tabubruch als solches ist der ei-
entliche Grund, warum die Rente mit 67 in der Bilanz
er bisherigen Regierungsarbeit eher auf der Habenseite
ngerechnet wird. Eine echte Entlastungswirkung für
ie Rentenkasse kann sie eigentlich nicht entfalten; denn
ie Entlastung um 0,5 Beitragspunkte – und das erst ab
030 – ist sehr gering. Herr Müntefering, meines Erach-
ens wird das nicht ausreichen, um den Rentenversiche-
ungssatz bis 2020 unter den im Rentenversicherungs-
achhaltigkeitsgesetz vorgesehenen und versprochenen
0 Prozent zu halten. Dass die Entlastungswirkung so
ering ist, hängt mit den zahlreichen Ausnahmen zusam-
en, die Sie im Gesetzentwurf vorgesehen haben, na-
entlich die abschlagsfreie Rente für langjährige und
esonders langjährige Versicherte.
Kerstin Schwenn hat es in der „FAZ“ vom gestrigen
age mit den folgenden Worten, wie ich finde, treffend
ommentiert:
Der politische Versuch, das Unpopuläre populis-
tisch zu verpacken und die Rentenreform damit so-
zialverträglich zu machen, wird einen erheblichen
Teil des Geldes verschlingen, das die Rentenkassen
einsparen sollen. So gesehen, erscheint die renten-
politische Großtat doch wieder recht klein.
echt hat sie.
Die allermeisten Sachverständigen, Tarifpartner und
arteien – außer der Koalition natürlich – sind sich in ih-
er Ablehnung der abschlagsfreien Rente nach 45 Bei-
ragsjahren einig, weil sie systemwidrig und ungerecht
st und schwächere Personengruppen benachteiligt;
eine Kollegin Laurischk wird als zweite Rednerin mei-
er Fraktion darauf näher eingehen. Die Anhebung auf
7 ist für die Angehörigen einzelner Geburtsjahrgänge
esonders ungerecht. Der Sachverständigenrat hat in sei-
em aktuellen Gutachten darauf hingewiesen, dass die
ahrgänge 1959 bis 1974 durch die Art und Weise der
nhebung des Rentenzugangsalters besonders belastet
erden.
Anstatt ein starres Renteneintrittsalter durch ein höhe-
es zu ersetzen, müssen wir, so denke ich, dafür sorgen,
ass der Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ru-
estand von den Menschen flexibler als bisher gestaltet
erden kann.
ir brauchen mehr Beschäftigung im Alter. Unsere Ge-
ellschaft kann es sich nicht länger leisten, dass gerade
inmal 45 Prozent der über 55-Jährigen noch in Beschäf-
igung sind.
Viele Menschen in der Altersgruppe ab 60 Jahren
ollen aber nicht mehr Vollzeit arbeiten. Sie wollen über
en Umfang, in dem sie voll oder teilweise mit entspre-
hender Teilrente tätig sind, selbst bestimmen können.
ie wünschen sich eine flexible Gestaltung des
7236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
Renteneintritts und die Sicherstellung eines ausreichen-
den Auskommens durch eine Kombination aus gesetzli-
cher Rente, privater und betrieblicher Altersvorsorge.
Sie wünschen sich – das ist ganz wichtig –, dass ihre Be-
schäftigungschancen durch Reformen auf dem Arbeits-
markt, zum Beispiel durch Vorteile bei den Sozialversi-
cherungsbeiträgen, endlich wieder verbessert werden.
Warum nicht? Der eigentliche Skandal ist doch, dass äl-
tere Arbeitnehmer in unserer Volkswirtschaft aus dem
Arbeitsleben regelrecht herausgedrängt werden. Ein 60-
Jähriger muss sich heute fast rechtfertigen, wenn er mor-
gens noch zur Arbeit geht. Damit muss Schluss sein.
Für uns ist wichtig, dass die individuelle Gestaltung
des Übergangs in den Ruhestand nicht länger zulasten
der Versichertengemeinschaft gehen darf. In dieser Hin-
sicht unterscheiden wir uns dezidiert von der großen Ko-
alition. Sie hat in der letzten Woche ein teueres Schlupf-
loch für die Altersteilzeit offen gehalten, obwohl wir
heute besser denn je wissen, dass der Weg über die Al-
tersteilzeit falsch war. Es ist besser, ihn heute als morgen
zu schließen.
Ich darf Ihnen ankündigen, dass die FDP-Fraktion in we-
nigen Wochen ein entsprechendes neues Rentenmodell
präsentieren wird, in dem die von mir genannten Kritik-
punkte und Vorschläge berücksichtigt werden.
Zur Arbeitsmarktsituation Älterer und Ihrer Initiative
„50 plus“, Herr Minister, muss ich sagen: Sie ist nicht
ausreichend und nicht geeignet, eine wirkliche Verbesse-
rung der derzeitigen Situation herbeizuführen. Das be-
legt schon die Wirkungsprognose, die Ihr Haus für die-
ses Gesetz selbst gegeben hat. Auf der Homepage des
BMAS heißt es, es sollen 65 000 Arbeitsplätze geschaf-
fen werden. Sie, Herr Müntefering, waren im November
ehrgeiziger und haben in diesem Haus von 100 000 Ar-
beitsplätzen gesprochen. Anscheinend sind Sie ein biss-
chen vorsichtiger geworden. Es ist auf jeden Fall zu we-
nig, wenn man bedenkt, dass die Beschäftigungsquote
der 55- bis 64-Jährigen heute – ich sagte es bereits – ge-
rade einmal bei 45 Prozent liegt. Das sind 2,8 Millionen
Menschen in dieser Altersklasse, die noch arbeiten. Das
bedeutet auch, dass 65 000 Beschäftigungsverhältnisse
mehr eine Steigerung von 45 auf 46 Prozent sind. Damit
liegen wir deutlich hinter Schweden mit 69 Prozent oder
Dänemark mit 60 Prozent. Ich finde, Herr Minister, Sie
sollten hier durchaus ein bisschen mehr Ehrgeiz an den
Tag legen und nicht einfach nur alten Wein in neuen
Schläuchen verkaufen. Genau darauf läuft Ihre Initiative
„50 plus“ am Ende hinaus.
– Ja, vielleicht ist es sogar alter Wein in alten Schläu-
chen. Auch das kann ich nicht ausschließen.
Wir brauchen einen grundsätzlichen Wechsel in der
Herangehensweise an das Problem der mangelnden Be-
schäftigung älterer Menschen. Es geht darum, dass wir
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Ich verweise noch einmal auf den vorliegenden An-
rag der FDP zum Rentenversicherungsbericht. Hier geht
s darum, dass wir den Menschen künftig wirklich die
ahrheit sagen. Denn, Herr Minister, Sie haben gesagt:
ute Politik beginnt damit, dass man den Menschen die
ahrheit sagt.
ie tun das nicht. Sie bringen mit der Rente mit 67 eine
erkappte Rentenkürzung auf den Weg. Sie prognosti-
ieren in Ihrem Rentenversicherungsbericht zu gute
entenwerte, weil Sie im mittleren Szenario mit durch-
chnittlich zweieinhalb Prozent Lohnsteigerung rechnen,
as mehr als optimistisch ist; vielleicht ist es realisti-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7237
)
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Dr. Heinrich L. Kolb
scher als in der Vergangenheit, aber immer noch mehr
als optimistisch.
Herr Kollege!
Deswegen werden Sie den Anforderungen an eine
gute Politik leider nicht gerecht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege
Brauksiepe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Die große Koalition hält Kurs in der Rentenpolitik
und bringt heute die notwendigen Antworten ein, um die
Alterssicherung langfristig und weit über die laufende
Legislaturperiode hinaus zu stabilisieren.
Blicken wir auf die Entwicklungen in der Vergangen-
heit zurück. Die bestehende Altersgrenze von 65 gibt es
seit mittlerweile 90 Jahren: seit 1913 für die Angestell-
ten und seit 1916 für die Arbeiter. Diese Grenze wurde
also in einer Zeit festgelegt, in der die Lebenserwartung
weit darunter lag. Arbeiten praktisch bis in den Tod
– das ist heute unvorstellbar – ist bei der Einführung die-
ser Regelaltersgrenze noch der übliche Fall gewesen. Es
hat im Laufe der Jahrzehnte erheblichen sozialen Fort-
schritt gegeben. So lag die durchschnittliche Rentenbe-
zugsdauer in den 60er-Jahren bei zehn Jahren, heute be-
trägt sie 17 Jahre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir vorle-
gen, bedeutet nach all den Zahlen, die wir kennen, dass
wir sagen: Die Rentenversicherung kann es verkraften,
dass die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bis zum
Jahr 2030 von heute 17 Jahren auf 18 Jahre steigt. Das
ist der Inhalt, um den es erfreulicherweise geht. Wir wis-
sen schon heute, dass die Lebenserwartung der 65-Jähri-
gen im Jahr 2029 knapp drei Jahre höher ist als heute.
Die Lebenserwartung der Rentner steigt also um knapp
drei Jahre. Die Lebensarbeitszeit erhöhen wir um zwei
Jahre. Das heißt, die durchschnittliche Rentenlaufzeit
wird um rund ein Jahr steigen. Das ist eine gute Nach-
richt für die Menschen. Das kann die gesetzliche Ren-
tenversicherung dank der Produktivität der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in unserer Volkswirtschaft
verkraften. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer
auf 20 Jahre zu erhöhen, das wäre allerdings unverant-
wortlich. Deswegen beschließen wir heute die vorliegen-
den Maßnahmen zur Rente mit 67.
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ch wiederhole: in einem Jahr 536 000 Arbeitslose weni-
er.
Herr Kollege Kolb, Ihre Partei hat in der Geschichte
ieses Landes 42 Jahre lang in unterschiedlichen Kon-
tellationen regiert,
ntweder mit uns oder mit den Sozialdemokraten. Ich for-
ere Sie auf – dabei lasse ich Ihnen die freie Auswahl –:
uchen Sie das beste dieser 42 Jahre heraus und sagen Sie
ns, in welchem Umfang in diesem Jahr die Arbeitslosig-
eit reduziert wurde.
enn Sie die Reduzierung der Arbeitslosigkeit um
36 000 Personen als ungenügend bezeichnen,
uss ich Ihnen sagen: Sie haben von der Realität über-
aupt keine Ahnung mehr, Herr Kollege Kolb.
Herr Kollege Kolb, es kommen noch ganz andere Sa-
hen. Bleiben Sie erst einmal sitzen.
uchen Sie lieber in Ruhe das beste Jahr Ihrer Regie-
ungszeit heraus und sagen Sie uns, in welchem Umfang
ie in diesem Jahr die Arbeitslosigkeit gesenkt haben.
Sie wollen die Zwischenfrage also nicht zulassen?
Nein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung der
ltersgrenze auf 67 Jahre tritt nicht heute in Kraft und
uch nicht morgen oder übermorgen, wie von Kritikern
mmer wieder suggeriert wird. In den nächsten fünf
7238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Ralf Brauksiepe
Jahren ändert sich beim Renteneintrittsalter überhaupt
nichts.
Erst ab dem Jahr 2012 beginnen wir sehr behutsam da-
mit, das Renteneintrittsalter um einen Monat pro Jahr zu
erhöhen. Das heißt, im Jahre 2023, also in 17 Jahren, ha-
ben wir ein um ein Jahr höheres Renteneintrittsalter als
heute. Dann wird es bei 66 Jahren liegen. Danach geht es
in größeren Schritten weiter. Das ist ein behutsamer und
kalkulierbarer Weg.
Richtig ist, dass uns die heutige Situation auf dem Ar-
beitsmarkt für die Menschen über 50 Jahre noch nicht
zufrieden stellen kann. Aber auch hier sind wir auf dem
richtigen Weg. Wenn man sich die Quote der Beschäfti-
gung der 55- bis 64-Jährigen, wie sie im EU-Vergleich
gemessen wird, vor Augen führt, stellt man fest: Noch
vor drei Jahren lag sie in Deutschland bei unter 40 Pro-
zent. Heute liegt diese Quote bei uns bei 45,4 Prozent, in
der alten EU 15 bei 44,1 Prozent und in der EU 25 bei
42,5 Prozent. Das heißt, was die Beschäftigung Älterer
angeht, sind wir schon jetzt klar über dem EU-Durch-
schnitt. Dieser Trend ist positiv. Wir haben uns vorge-
nommen, im Jahr 2010 – bis dahin wird sich beim Ren-
teneintrittsalter nichts geändert haben – 50 Prozent zu
erreichen. Auf diesem Weg sind wir.
Im November dieses Jahres waren 97 000 weniger
über 50-Jährige arbeitslos gemeldet als vor einem Jahr.
Wir sind also auf einem positiven Weg, was die Beschäf-
tigung Älterer angeht. Wir werden diesen Weg gemein-
sam weitergehen. Schon im Jahr 2012 wird die Entwick-
lung auf dem Arbeitsmarkt völlig anders verlaufen.
Jeder, der mit diesem Thema seriös umgeht, weiß, dass
der Arbeitsmarkt des Jahres 2029 völlig anders aussehen
wird als der heutige. Deswegen sind diese Maßnahmen
sachgerecht.
Wir haben in vielen wichtigen Detailfragen deutlich
gemacht, dass wir eine Reform durchführen müssen, die
finanzielle Solidität und soziale Gerechtigkeit miteinan-
der verbindet. Beides ist notwendig. Von diesem Prinzip
haben wir uns leiten lassen, als es um die Frage ging:
Wie gehen wir mit dem runden Dutzend verschiedener
Rentenarten um, die es von der Rente für Schwerbehin-
derte über die Rente für langjährig unter Tage beschäf-
tigte Bergleute bis hin zur Witwen- und Witwerrente
gibt? Wir haben uns dabei von dem Grundsatz leiten las-
sen, jeweils parallel zur Regelaltersrente bis zum Jahr
2029 einen Anstieg um zwei Jahre vorzunehmen.
Wir haben in drei Bereichen Ausnahmen gemacht.
Der Erste betrifft die Menschen, die 45 Jahre gearbeitet
haben, also besonders langjährig Versicherte. Wir stel-
len sicher, dass diejenigen, die 45 Beitragsjahre aufzu-
weisen haben, weiterhin mit 65 Jahren ohne Abschläge
in Rente gehen können. Da mag mancher sagen, das sei
unsystematisch. Wahr ist, das ist etwas Neues. Wir sagen
damit klipp und klar: Beitragsleistung ist notwendig, die
Sozialversicherung lebt von den Beiträgen. Eine lang-
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ür die ersten drei Jahre der Erziehung eines Kindes
ird angenommen, der Durchschnittsbeitrag sei einge-
ahlt worden. Durch die Einbeziehung der Kinderbe-
ücksichtigungszeiten werden im Grunde zehn Jahre pro
ind angerechnet, wenn festgestellt wird, wie lange je-
and versichert war. Dies ist nach meiner festen Über-
eugung eine notwendige Ausnahme. Ich bin dankbar,
ass unser Koalitionspartner diesem Wunsch, den wir in
ie Koalitionsverhandlungen eingebracht haben, gefolgt
st, dass wir das gemeinsam verabreden konnten. Das
ar ein langjähriges Ziel der Union und ich darf sagen,
s war auch ein langjähriges Ziel der Christlich-Demo-
ratischen Arbeitnehmerschaft, eine solche Ausnahme
ür besonders langjährig Versicherte zu schaffen. Ich bin
roh, dass wir dies vereinbart haben.
Wir haben eine weitere Ausnahme verabredet für
angjährig Versicherte, die vor dem 67. Lebensjahr in
ente gehen wollen. Das ist bisher schon möglich – mit
ersicherungsmathematisch korrekten Abschlägen –, al-
erdings in einem kürzeren Korridor. Wir werden dafür
orgen, dass es weiterhin möglich ist, mit 63 Jahren in
ente zu gehen; bei der Rente mit 67 dann mit versiche-
ungsmathematisch korrekten Abschlägen für vier Jahre.
amit kommen wir auch einem Wunsch der Tarifpartner
ach mehr Flexibilität nach. Diese Regelung ist für die
entenversicherung langfristig kostenneutral.
Uns ist darüber hinaus klar: Es wird bei allem Fort-
chritt bei der Humanisierung der Arbeitsverhältnisse
mmer Menschen geben, die nicht bis 67 arbeiten kön-
en. Deswegen brauchen wir auf Dauer das Instrument
er Erwerbsminderungsrente; auch dazu bekennen wir
ns ausdrücklich. Heute geht jemand, der nicht mehr
oll arbeiten kann, mit ungefähr 50 Jahren in die Er-
erbsminderungsrente. All diejenigen, die in einem sol-
hen Alter in Erwerbsminderungsrente gehen, bleiben so
estellt, wie sie sind: Sie werden so behandelt, als hätten
ie bis 60 gearbeitet, das heißt, die so genannten Zurech-
ungszeiten bleiben unverändert, für diese Menschen
ndert sich nichts. Auch für all diejenigen, die langjährig
ersichert sind, wird es möglich sein, wenn sie später in
rwerbsminderungsrente gehen, die volle Erwerbsmin-
erungsrente zu beanspruchen. Das heißt, für langjährig
ersicherte wird es im Alter von 63 Jahren weiterhin die
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7239
)
)
Dr. Ralf Brauksiepe
volle Erwerbsminderungsrente geben. Wir bekennen uns
dazu. Auch wenn der Grundsatz der Heraufsetzung um
zwei Jahre auch bei dieser Rentenart gilt, haben wir weit
reichende Ausnahmen geschaffen, um der Lebens- und
Beschäftigungssituation derer gerecht zu werden, die
nicht so lange arbeiten können. Die Starken für die
Schwachen, das ist das Prinzip der solidarischen Renten-
versicherung. Die, die nicht mehr können, werden aufge-
fangen von der Solidargemeinschaft derer, die länger
arbeiten können. Das ist das bewährte Prinzip der Ren-
tenversicherung. Das erhalten wir aufrecht.
Diese Rentenreform auf den Weg zu bringen, war in
der Tat nur gegen massive Widerstände möglich; das ist
wahr. Der Begriff der Jahrhundertreform ist politisch
viel zu häufig strapaziert worden. Deswegen will ich da-
von bewusst nicht sprechen. Aber sicherlich schreiben
wir ein Stück Sozialgeschichte, wenn wir heute die Wei-
chen für einen Übergangszeitraum von 23 Jahren stellen,
um dann die Grundlage für eine durchschnittliche Ren-
tenbezugsdauer von 18 Jahren zu haben.
Das war – das ist schon angesprochen worden – nur
gegen massive Widerstände möglich. Wichtige und
mächtige Menschen haben sich dagegen ausgesprochen.
Ich nenne als Beispiele den DGB-Chef Michael
Sommer, den FDP-Chef Guido Westerwelle, den IG-Me-
tall-Chef Jürgen Peters und den FDP-Generalsekretär
Dirk Niebel. Sie alle haben sich gegen die Rente mit 67
ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund gilt mein beson-
derer Dank der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Vi-
zekanzler und zuständigen Minister Franz Müntefering
sowie den Kolleginnen und Kollegen aus den Koali-
tionsfraktionen, dass wir diesem Druck nicht nachgege-
ben haben, sondern diesen notwendigen Beschluss ge-
meinsam gegen Widerstände auf den Weg gebracht
haben. Wir werden das auch weiterhin gegen Wider-
stände tun.
Widerstand kam leider auch von der FDP. Das wissen
Sie, Herr Kolb, am besten. Sie haben auf Ihrem letzten
Bundesparteitag den Antrag eingebracht, das reguläre
Renteneintrittsalter solle auf 67 Jahre heraufgesetzt wer-
den. Das haben Sie damit begründet, dass die FDP den
Mut haben und sich zu notwendigen Reformschritten be-
kennen solle. Dafür haben Sie leider keine Mehrheit be-
kommen, keine Mehrheit für Mut, keine Mehrheit für
notwendige Reformschritte in der FDP. Das ist schade,
auch für Sie, Herr Kolb. Aber Sie können beruhigt sein:
Wir als große Koalition ergreifen auch gegen Wider-
stände unpopuläre Maßnahmen.
Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Sätze
zum Thema „50 plus“ sagen. Trotz der positiven Ent-
wicklung, die wir haben, sind wir als Gesetzgeber aufge-
fordert, das, was wir tun können, auch in Zukunft zu tun,
um diesen Prozess zu flankieren. Das Programm
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Also: Wir haben wichtige Reformvorhaben vorgelegt,
m die Renten zu konsolidieren und um zu einer gerech-
en Verteilung der Lasten aus der demografischen Ent-
icklung zwischen Rentenempfängern, Beitragszahlern
nd Steuerzahlern zu kommen. Lassen Sie uns gemein-
am konstruktiv diesen Weg weitergehen im Interesse
er arbeitenden Menschen und derer, die als Rentnerin-
en und Rentner den Lohn für ihre Lebensleistung von
ns mit Recht erwarten.
Herzlichen Dank.
7240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Kolb.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich denke, wenn jemand keine Zwischen-
frage zulässt, dann muss er es sich zumindest gefallen
lassen, dass man in Form einer Kurzintervention inhalt-
lich zu dem Stellung nimmt, was hier gesagt wurde. Herr
Kollege Brauksiepe, ich will das zu zwei Punkten tun.
Erstens. Sie sollten sich das, was Herr Minister
Müntefering gesagt hat, wirklich noch einmal vor Augen
führen: Gute Politik fängt damit an, dass man den Men-
schen sagt, was ist.
Sie haben wieder nur die Hälfte der Wahrheit gesagt. Die
Hälfte der Wahrheit ist: Die Arbeitslosenzahl in unserem
Land ist im letzten Jahr im Jahresvergleich um
500 000 zurückgegangen. Die andere Hälfte der Wahr-
heit ist: Im gleichen Zeitraum sind nur etwa
250 000 neue sozialversicherungspflichtige Stellen ge-
schaffen worden.
– Ja, Herr Kollege Brandner, das ist ein ganz entschei-
dender Punkt, weil die Finanzierungskrise in allen Berei-
chen der sozialen Sicherung damit zusammenhängt, dass
wir in den letzten vier Jahren 1,4 Millionen sozialversi-
cherungspflichtige Arbeitsplätze verloren haben. Ich
freue mich, dass wir jetzt wieder 250 000 Stellen gut ge-
macht und etwas Boden gewonnen haben.
Zur Wahrheit gehört aber, den Menschen auch zu sagen,
dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt und dass die
Lage der sozialen Sicherungssysteme weiterhin ange-
spannt bleibt, wenn wir diese Trendumkehr nicht wirk-
lich dauerhaft erreichen und verstetigen.
Herr Brauksiepe, Sie hätten auch sagen sollen, dass
sich die Differenz dadurch begründet, dass demografisch
bedingt viel mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus-
treten, als neue hinzukommen. Manche Menschen ver-
abschieden sich gänzlich aus dem Arbeitsmarkt und
manche gehen einer geförderten selbstständigen Tätig-
keit – Ich-AG – nach. Für uns ist wichtig, dass die An-
zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-
verhältnisse relativ gesehen stagniert. Wenn man sich
den Vierjahresvergleich anschaut, dann erkennt man,
dass wir weiterhin deutlich im negativen Trend liegen.
Das Zweite, auf das ich eingehen möchte, sind Ihre
Aussagen zur Position der FDP in Rostock.
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n Rostock lag ein Antrag mit dem Titel „Rentenpolitik
air und generationengerecht gestalten“ vor, der sieben
unkte enthielt. Davon haben wir sechs beschlossen.
Darauf komme ich noch zurück. – Teilweise waren das
ehr unpopuläre Dinge, nämlich etwa die Abschaffung
es Lebensalters als Kriterium im Kündigungsschutzge-
etz und die sofortige Beendigung von Frühverrentungs-
öglichkeiten. Man muss hier klipp und klar sagen: Das
lles trauen Sie sich ja nicht, obwohl dies wesentliche
eile der Lösung des Problems sind.
Einen Punkt haben wir offen gelassen, aber nicht des-
alb, weil wir uns dem verweigern wollen, sondern weil
ir mit etwas mehr Zeit nach einer besseren Lösung su-
hen wollten. Wenn Sie mir zugehört hätten, dann wüss-
en Sie, dass ich gesagt habe, dass die FDP in wenigen
ochen im Deutschen Bundestag ein Eckpunktepapier
inbringen wird, in dem sehr klar beschrieben ist, wie
an die Erwartungen der Menschen bezüglich des Über-
angs vom Erwerbsleben in den Ruhestand besser erfül-
en kann. Wir kneifen hier nicht, sondern wir werden
arbe bekennen.
Ich sage Ihnen voraus: Sie werden sich mit dem Vor-
chlag, den wir Ihnen präsentieren werden, schwer tun.
ch freue mich schon heute auf diese Situation.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Brauksiepe, bitte.
Herr Kollege Kolb, ich bitte ausdrücklich um Ent-
chuldigung, dass ich Ihnen nicht die Gelegenheit zu ei-
er Zwischenfrage gegeben habe. Ich hatte sie zu einem
päteren Zeitpunkt erwartet, nämlich dann, als ich darauf
ingewiesen habe, dass Sie die Rente mit 67 Jahren ab-
ehnen. Als ich das das letzte Mal gesagt habe, haben Sie
ine Zwischenfrage gestellt. Sie bestreiten jetzt also
icht mehr, dass die FDP die Rente mit 67 Jahren ab-
ehnt.
as haben Sie akzeptiert. Deswegen kam die von mir er-
artete Zwischenfrage an dieser Stelle nicht. Sie hatten
lso keine Gelegenheit, sie zu stellen. Dafür bitte ich
usdrücklich um Entschuldigung. Wir sind sehr gespannt
arauf, was Sie uns ankündigen werden.
Ich habe von 536 000 Arbeitslosen weniger als vor ei-
em Jahr gesprochen. Wir können gerne über die sozial-
ersicherungspflichtige Beschäftigung reden. Wir haben
17 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mehr
ls vor einem Jahr. Ich habe Ihren Beitrag so verstanden,
ass Sie einen solchen Rückgang der Arbeitslosigkeit in
hren 42 Regierungsjahren nicht hinbekommen haben.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7241
)
)
Dr. Ralf Brauksiepe
Ich mache Ihnen ein neues Angebot: Wenn Ihre Kollegin
an der Reihe ist, dann soll sie uns das Jahr der 42 Jahre
Ihrer Regierungszeit in der Bundesrepublik Deutschland
nennen, in dem Sie 317 000 sozialversicherungspflich-
tige Beschäftigungsverhältnisse zusätzlich geschaffen
haben. Das wäre doch ein interessanter Beitrag zur
Wahrheitsfindung.
Vielen Dank.
– Da waren wir gut; das ist wahr.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Müntefering, wir haben es zunächst einmal mit ei-
nem praktischen Demokratieproblem zu tun.
Herr Meckelburg hat hier in der vorigen Debatte ge-
sagt, die Mehrheit wolle nicht, dass das Renteneintritts-
alter auf 67 Jahre erhöht werde. Nun will ich gar nicht
bestreiten, dass auch eine Koalition in einer Regierungs-
zeit von vier Jahren einmal als Ausnahmefall gezwungen
sein kann, etwas gegen den Willen der Mehrheit zu
entscheiden. Das Problem ist nur: Bei Ihnen wird das
zum Regelfall.
Ob wir die Mehrwertsteuererhöhung nehmen, ob wir die
Gesundheitsreform nehmen, ob wir die Körperschaft-
steuersenkung für die Deutsche Bank und andere Kapi-
talgesellschaften nehmen, ob wir die Pendlerpauschalen-
reduzierung nehmen, all das geschieht gegen den
Mehrheitswillen der Bevölkerung.
Was die Rente ab 67 betrifft, gibt es hier eine breite
Übereinstimmung. Die Union will sie, die SPD will sie,
die Grünen wollen sie. Die Grünen behaupten sogar, dies
läge im Interesse der jungen Leute. Das verstehe ich nun
gar nicht, denn die jungen Leute müssen ja dann länger
arbeiten. Die FDP will die Erhöhung des Renteneintritts-
alters halb, noch nicht ganz. Wir werden sehen, wie sich
die Sache entwickelt.
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Und dann wollen Sie, dass die Interessen dieser
7 Prozent im Bundestag nicht einmal artikuliert wer-
en! Das wäre das Ende der repräsentativen Demokratie.
Herr Müntefering, Sie haben zu Recht gesagt: Alles
ängt damit an, dass man Tatsachen anerkennt und dass
an sie auch ehrlich vorträgt. Ich darf zwei Zitate brin-
en, ein Zitat aus dem Wahlprogramm der Union aus
em Jahr 2005: „Sobald es die Bedingungen auf dem
rbeitsmarkt erlauben, kommt auch eine schrittweise
nhebung des Renteneintrittsalters infrage.“
Na ja. Ich finde, die Bedingungen erlauben es nicht.
alsch ist es auch, aber immerhin: Sie haben es gesagt.
Jetzt zitiere ich aus dem Wahlprogramm der SPD. Da-
in steht Folgendes: „Unser Ziel ist, das faktische Ren-
eneintrittsalter an das gesetzliche Renteneintrittsalter
on 65 Jahren heranzuführen.“ Da steht nichts von 67.
ie machen dasselbe wie bei der Mehrwertsteuer: Sie
ersprechen im Wahlkampf etwas anderes, als Sie hier
ealisieren.
Damit müssen Sie sich auseinander setzen. Sie kön-
en nicht behaupten, andere erkennen die Tatsachen
icht an, und sich hier hinstellen und sagen, Sie wollen
icht an Ihre Wahlversprechen erinnert werden. So geht
s nicht!
Kommen wir zur demografischen Entwicklung, also
u den Zahlen und Tatsachen. Ich will jetzt nicht so weit
urückgehen, aber als wir noch in Höhlen lebten, wurden
ir 20 bis 30 Jahre alt, glaube ich. Das liegt sehr lange
urück.
Aber ab 1900 gibt es genauere Zahlen. In den
00 Jahren von 1900 bis 2000 sind wir in der Gesell-
chaft in Deutschland um über 30 Jahre älter geworden.
as ist schon interessant.
7242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Gregor Gysi
Herr Bismarck hat 1891 das Rentenalter mit 70 einge-
führt, weil er die Beiträge nicht so hoch ansetzen wollte.
1916 wurde für Arbeiter das Rentenalter auf 65 Jahre re-
duziert, für Angestellte schon früher. Das heißt, 90 Jahre
haben wir dieses Renteneintrittsalter durchgehalten – bei
einer Steigerung der Lebenserwartung von über
30 Jahren. Und jetzt kommen Sie und sagen, bis zum
Jahre 2050 werden wir noch einmal sechs Jahre älter. Im
Vergleich zu über 30 Jahren ist das nichts. Nicht einmal
demografisch lässt sich Ihre Entscheidung vernünftig be-
gründen.
Das Nächste, wenn wir über Tatsachen reden, ist, dass
es auf die Alterszusammensetzung der Bevölkerung gar
nicht ankommt.
– Es ist übrigens interessant, wie sich alle aufregen. Sie
werden alle älter, aber so alt, wie Sie tun, nun auch wie-
der nicht.
Wie viele Menschen über 65 Jahre alt sind, ist gar
nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage
ist die der Produktivität der Menschen.
1900 hat ein Bauer acht Menschen versorgt. Heute ver-
sorgt ein Bauer 80 Menschen. Das sind Tatsachen, die
Sie überhaupt nicht erörtern. Im Schnitt der letzten Jahre
stieg die Produktivität pro Jahr um 3 Prozent. Nehmen
wir nur ein Jahr; nehmen wir nur das Jahr 2005. In die-
sem Jahr stieg die Produktivität um 1,9 Prozent. Darauf
hat Herr Lafontaine zwar schon hingewiesen und Sie
wollen eigentlich keine Wiederholungen hören, aber
weil Sie es offenbar nicht verstanden haben, muss ich es
wiederholen.
Die Produktivität stieg, wie gesagt, um 1,9 Prozent.
Die Wirtschaft wuchs aber nur um 1,4 Prozent. Das
heißt, dass bei unveränderter Arbeitszeit 1,9 Prozent
mehr Waren und Dienstleistungen hergestellt bzw. er-
bracht wurden. Im selben Zeitraum wurden aber nur
1,4 Prozent mehr Produkte und Dienstleistungen ver-
kauft. Das ist das Problem. Kein Unternehmen wird et-
was herstellen, das es nicht verkaufen kann. Es bleibt
eine Differenz von 0,5 Prozentpunkten.
Was ist zu tun? Es gibt zwei Wege: Man kann entwe-
der die Arbeitszeit entsprechend reduzieren oder die Ar-
beitslosigkeit steigt an. Leider ist immer Letzteres ge-
schehen. Aber eine Maßnahme ist völlig unpassend
– darauf sind Sie mit keinem Satz eingegangen –: im
Laufe der nächsten Jahre die Arbeitszeit um zwei Jahre
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Es gibt zwar Löcher in den Rentenkassen – das ist
ichtig –, aber sie haben nichts mit der Bevölkerungszu-
ammensetzung nach ihrem Alter zu tun, sondern mit
em Wachstum des Sozialprodukts bzw. der Produktivi-
ät, der Entwicklung der Reallöhne, der Zahl der sozial-
ersicherungspflichtig Beschäftigten und der Verteilung
es Sozialprodukts. Schuld an Löchern in der Renten-
asse sind die hohe Arbeitslosigkeit – denn Arbeitslose
ahlen keine Beiträge ein –, der Rückgang der Lohn-
uote – denn wenn es weniger Löhne gibt oder die
öhne nicht steigen, dann gehen die Beiträge entspre-
hend zurück – und der wachsende Niedriglohnsektor,
odurch die Einzahlungen in die gesetzliche Rentenver-
icherung noch weiter zurückgehen.
Ich darf daran erinnern, dass wir als einzige Industrie-
esellschaft in den letzten sieben Jahren einen Rück-
ang der Reallöhne um 0,9 Prozent zu verzeichnen hat-
en. In den USA, in Großbritannien und Frankreich
urden Steigerungen von 20 bis 25 Prozent erzielt. Das
st eine völlig andere Entwicklung.
Diese Probleme wirken sich auch in der Rentenver-
icherung aus. Dann kam noch ein weiterer Fehler hinzu,
uf den ich aus Zeitgründen nur kurz eingehen kann.
ieser Fehler bestand darin, die Kosten der deutschen
inheit – insbesondere auch die Renten in Ostdeutsch-
and – dem Rentenversicherungssystem aufzubürden,
tatt sie aus Steuermitteln zu finanzieren, was dringend
rforderlich gewesen wäre.
Jetzt können wir Altersarmut prognostizieren. Sie
agen selbst, Herr Müntefering, dass der Anteil am
urchschnittsverdienst, den man als Rente bekommt, im
aufe der Jahre immer weiter zurückgehen und letztlich
uf unter 46 Prozent sinken wird. Im Osten wird sich das
ramatisch auswirken; denn dort ist die Arbeitslosigkeit
oppelt so hoch wie im Westen. Die geringe Durch-
chnittsrente wird nur nach 45 Jahren Beitragszahlung
usgezahlt. Im Osten wird es aber kaum jemanden ge-
en, der 45 Jahre lang Beiträge zahlen konnte. Das heißt,
ass wir es dort mit einer ernst zu nehmenden Altersar-
ut zu tun bekommen werden.
Das alles lösen Sie doch nicht dadurch, dass Sie eine
irkungslose Initiative „50 plus“ durchführen und das
enteneintrittsalter um zwei Jahre erhöhen. Ich frage
ich, wo Ihre Antworten zu finden sind.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7243
)
)
Dr. Gregor Gysi
– Man muss Reformen durchführen. Das stimmt und das
wissen wir auch. Wir haben viele Eigenschaften, aber
wir sind nicht bescheuert.
Sie müssen 8,7 Prozent der Wählerinnen und Wähler zu-
mindest zutrauen, dass sie keine bescheuerten Leute
wählen. Wenigstens das sollten Sie den über 4 Millionen
Menschen zutrauen, wenn Sie ihnen sonst schon nicht
viel zutrauen.
Ich ärgere mich über etwas anderes mehr. Sie verspre-
chen immer wieder Dinge, die Sie nicht einhalten. Sie
schwindeln im Wahlkampf, werden aber wieder gewählt.
Das ärgert mich zwar, aber ich kann es nicht ändern.
Zurück zur Finanzierung: Zu Bismarcks Zeiten
stammten 90 Prozent der Einkommen aus abhängiger
Beschäftigung und 10 Prozent aus Vermögen, Selbst-
ständigkeit und Unternehmertum. Heute stammen nur
noch 60 Prozent der Einkommen aus abhängiger Be-
schäftigung; 40 Prozent kommen aus Selbstständigkeit,
Unternehmertum und Vermögen. Dadurch reduziert sich
die Zahl der Beitragszahler enorm, nämlich von
90 Prozent auf 60 Prozent derjenigen, die ein Einkom-
men erzielen. Also könnte eine Reform darin bestehen
– das wäre ein mutiger Schritt –, alle Einkommen
schrittweise in die gesetzliche Rentenversicherung mit
einzubeziehen.
– Dass die FDP das nicht will, ist mir klar. Dass ein ar-
mer Apotheker plötzlich in die Rentenversicherung ein-
zahlen soll, halten Sie nervlich nicht aus.
Jetzt werden Sie sagen, dass die Einzahler dann auch
eine Rente beziehen werden.
– Hören Sie zu; ich will auf etwas anderes hinaus. –
Natürlich bekommen auch diejenigen, die zusätzlich
in die Rentenversicherung einzahlen, eine Rente. Wir
müssen daher die Beitragsbemessungsgrenze schritt-
weise aufheben und die Rentensteigerungen abflachen.
Wissen Sie, wie es in der Schweiz ist? In der Schweiz
muss jemand, der Millionen verdient, entsprechend sei-
nem Einkommen Beiträge zahlen. Es gibt aber eine ge-
setzliche Höchstrente von circa 1 800 Schweizer Fran-
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Die Unternehmen haben sich verändert. Zu
ismarcks Zeiten erzielten zwei Unternehmen aus unter-
chiedlichen Branchen mit jeweils 100 Beschäftigten in
twa den gleichen Gewinn, wenn sie gleich gut geleitet
urden. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Je
ach Branche braucht der eine 200 Beschäftigte und der
ndere nur 100 Beschäftigte, um den gleichen Gewinn
u erzielen. Deshalb fordere ich immer: Streichen Sie
ie Lohnnebenkosten! Machen Sie eine Reform und füh-
en Sie eine Wertschöpfungsabgabe ein! Sie ist viel ge-
echter, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedli-
he Leistungsfähigkeit der Unternehmen.
Was ist das Ziel? Sie sagen, es gehe um die Beiträge.
ber das stimmt gar nicht. Sie sagen, dass die Menschen
ehr private Vorsorge betreiben und beispielsweise
iester-Verträge abschließen sollten. Aber dann müssen
ie Menschen 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens zur
ltersvorsorge aufwenden. Tatsächlich geht es Ihnen
icht um die Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Ar-
eitnehmer, sondern nur um den Arbeitgeberanteil. Die-
en wollen Sie festschreiben, damit die Unternehmen
icht mehr zahlen müssen. Hier macht die SPD mit. Das
ntspricht aber nicht ihrer Herkunft und sollte auch nicht
hre Zukunft sein.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Lassen Sie mich als letzten Satz sagen: Das ist meines
rachtens eine Unterordnung der Politik unter die Inte-
essen der Wirtschaft. Da Sie dafür sorgen, dass auch ich
wei Monate später die gesetzliche Rente bekomme
was nicht weiter schlimm ist, weil ich eine Pension des
undestages erhalte –, dachte ich mir, dass Sie eine
leine Strafe verdient haben: Ich bleibe hier einfach eine
egislaturperiode länger, als ich es vorhatte.
Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk,
ündnis 90/Die Grünen.
7244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Renteneintrittsalter zu erhöhen ist keine populäre
Entscheidung, wegen der demografischen Entwicklung
aber richtig. Das sage ich auch als Oppositionspolitike-
rin.
Wir sind nicht als Abgeordnete gewählt worden, um po-
pulistische Entscheidungen zu treffen, sondern wir sind
gewählt worden, um den Menschen die Wahrheit über
die tatsächliche Situation zu sagen und Lösungen anzu-
bieten.
Die Wahrheit ist: Weniger Beschäftigte
müssen für mehr Rentner und Rentnerinnen längere Zeit
Rente zahlen; das sind heute 17 Jahre. Viele Gründe
sprechen für die Rente mit 67. Da ist der Geburtenrück-
gang. Im Jahre 2030 wird es fast 8 Millionen weniger
Menschen im Erwerbsalter geben. Da ist die steigende
Lebenserwartung. Jedes zweite heute geborene Mädchen
wird 100 Jahre alt werden. Da sind die wachsende Ge-
sundheit und Leistungsfähigkeit Älterer sowie der schon
heute sichtbare Fachkräftemangel.
Für uns Grüne ist allerdings die Voraussetzung für die
Rente ab 67 die Integration Älterer in den Arbeits-
markt.
Herr Minister Müntefering, Ihre Initiative „50 plus“
reicht aber nicht aus; darauf wird die Kollegin Pothmer
gleich noch ausführlicher eingehen. Ich frage mich,
welche Wertschätzung die Gesellschaft gegenüber Älte-
ren aufbringt, wenn sie davon ausgeht, dass Ältere nur
dann vermittelt werden können, wenn man den Arbeit-
gebern ein zusätzliches Zückerchen in Form von Kom-
bilohn oder Eingliederungshilfen gibt. Ich kenne viele
ältere Erwerbslose mit hoher Qualifikation und einem
großen Erfahrungswissen, auf das jedes Unternehmen
stolz sein könnte. Wir brauchen endlich einen Mentali-
tätswandel. Es kann nicht sein, dass Menschen unter 30
zu jung und ab 45 zu alt für eine bestimmte Aufgabe
sind.
In den deutschen Betrieben herrscht aber noch immer
– das ist bedauerlich – der Jugendwahn. Wir haben in
Deutschland keine Kultur der Altersarbeit. Das haben
wir insbesondere einem zu verdanken, nämlich dem ehe-
maligen Rentenminister Dr. Norbert Blüm,
der mit seinem Frühverrentungsprogramm die Renten-
kassen zulasten der Allgemeinheit geplündert hat. Ich
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Dazu passt die geplante Einführung einer neuen ab-
chlagsfreien Altersrente für Versicherte mit mindes-
ens 45 Beitragsjahren. Das kostet die Versicherten
ehr als 2 Milliarden Euro und schmälert den Effekt Ih-
er Reform. Das Vorhaben ist aber auch verfassungs-
echtlich bedenklich, weil es Versicherte mit gleichen
nwartschaften unterschiedlich behandelt.
as heißt, jemand, der nach 45 Jahren abschlagsfrei in
ente geht und 1 000 Euro erhält, bezieht 24 000 Euro
ehr als jemand, der den gleichen Anspruch bereits
ach 40 Jahren erfüllt. Da sage ich Ihnen nur: Viel Spaß
eim Bundesverfassungsgericht!
Beim Bundespräsidenten auch.
Wenn Sie dann schon einmal in Karlsruhe sind, dann
önnen Sie ja vielleicht auch gleich erläutern, wie Sie
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7245
)
)
Irmingard Schewe-Gerigk
eine mittelbare Diskriminierung von Frauen legitimie-
ren; denn 2004 konnten lediglich 5 Prozent der Frauen,
aber 41 Prozent der Männer diese 45 Versicherungsjahre
erfüllen. Hinzu kommt, dass diese Sonderregelung de-
nen, die Sie, Herr Minister, besonders schützen wollen,
überhaupt nichts nützt.
– Ich komme gleich zu Ihnen. Lassen Sie mich zunächst
den Gedanken zu Ende führen.
Ich erinnere an die Debatte im Sommer, in der Minis-
terpräsident Beck Ausnahmen von der Rente mit 67 Jah-
ren für bestimmte Berufe forderte. Er sprach von Dach-
deckern und Krankenschwestern. Die Debatte läuft
heute nicht mehr. Sie dürften aber wissen, dass die die
45 Versicherungsjahre kaum erreichen, weil viele von
denen bereits mit 50 Jahren eine Erwerbsminderungs-
rente beziehen. Darum sage ich: Diese Regelung ist Eti-
kettenschwindel. Sie begünstigt die, die schon gute An-
sprüche haben, oder: Wer hat, dem wird gegeben.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß zulassen?
Ja, ich lasse sie gleich zu.
Profitieren wird der gut verdienende Abteilungsleiter
im öffentlichen Dienst, mitfinanzieren muss es die Ver-
käuferin. Das ist eine Umverteilung von unten nach oben
und das nenne ich Murks.
Dann kommt jetzt die Zwischenfrage des Kollegen
Weiß.
Ich muss erst einmal den Minister zu etwas auffor-
dern. Ich fordere Sie, Herr Minister, auf: Nehmen Sie
diese verfassungsrechtlich bedenkliche, Frauen diskri-
minierende und sozial unausgewogene Sonderregelung
zurück! Was Sie betreiben, ist Besitzstandswahrung und
Interessenpolitik. Das lehnen wir Grüne ab. Uns geht es
ums Ganze. Uns geht es um Generationengerechtigkeit.
Herr Weiß, haben Sie eigentlich noch Interesse an ei-
ner Zwischenfrage?
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Ja. Haben Sie das gerade nachgesehen?
in Kind heißt Verena, das andere heißt Sarah Rosa.
Danke schön, jetzt kennen wir auch die Namen.
Wenn Sie nun eines Ihrer Kinder belobigen, weil es
ine besondere Leistung erbracht oder etwas besonders
ut gemacht hat, dann ist das doch keine Benachteili-
ung des anderen Kindes.
Nein, das ist ein praktisches Beispiel aus dem Leben. –
s kann doch keine Benachteiligung anderer Beitrags-
ahlerinnen und Beitragszahler in der gesetzlichen Ren-
enversicherung sein, wenn durch eine wirkliche Innova-
ion im neuen Rentenrecht derjenige, der lange hart
earbeitet hat und 45 Jahre lang regelmäßig Beiträge in
ie Rentenversicherung gezahlt und damit für die Leis-
ungsfähigkeit der deutschen Rentenversicherung ge-
orgt hat, der Rentnerinnen und Rentnern mit seinen
eiträgen eine anständige Rente ermöglicht hat, eine Be-
obigung im Rentensystem erhält, die darin besteht, dass
r mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen kann.
enn ich eine Gratifikation verteile, wenn ich eine Belo-
igung ausspreche, dann ist das doch keine Benachteili-
ung anderer.
Deswegen kann ich Ihre Denkweise – Entschuldi-
ung, Frau Kollegin Schewe-Gerigk – überhaupt nicht
achvollziehen, zumal wir in diese Regelung ausdrück-
ich eine frauenspezifische Bestimmung eingebaut ha-
en, nämlich dass wir nicht nur die drei Jahre Kinder-
rziehungszeiten, hinter denen Beiträge des Staates
tehen, bei den 45 Jahren anerkennen, sondern auch
ehn Jahre Kinderberücksichtigungszeiten einrechnen.
Herr Kollege Weiß, Ihr Rechtsverständnis teile ich
icht. Ihr Beispiel hinkt absolut. Was heißt denn eigent-
ich Belobigung? Wenn jemand die Chance hatte,
5 Jahre durchgehend erwerbstätig zu sein, das heißt,
enn er keine Zeiten der Erwerbslosigkeit hatte, dann
önnen wir froh sein. Dann hat diese Person ein gutes
olster für das Alter aufgebaut und kann sich auf diesem
itzkissen niederlassen.
7246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Irmingard Schewe-Gerigk
Aber was ist mit den Personen, die nur 40 Jahre arbeiten
konnten und zwischendurch fünf Jahre erwerbslos wa-
ren, oder was ist mit denen, die erst später in den Beruf
eingestiegen sind und diese 45 Jahre überhaupt nicht er-
reichen werden?
Die Logik, die Sie verbreiten, stimmt überhaupt nicht.
Es kann doch nicht sein, dass Sie die heutige Arbeits-
marktsituation, die die Menschen daran gehindert hat,
45 Jahre zu arbeiten, diesen vorwerfen.
– Wenn das eine Beitragsleistung ist, Herr Kollege Weiß,
dann müssen Sie demjenigen, der mit 40 die gleiche
Leistung erbracht hat, das gleiche geben wie dem, der
diese Leistung mit 45 Jahren erreicht hat.
Das waren jetzt eine Nachfrage und eine Antwort.
Jetzt haben Sie noch neun Sekunden.
Nein, ich war gerade beim Stichwort Generationenge-
rechtigkeit.
Ein späterer Renteneintritt senkt den Druck auf die
Beiträge und entlastet die nachkommende Generation.
Wir wollen, dass die Menschen individuell flexibler in
Rente gehen können. Das ist auch das, was die Mehrheit
der Bevölkerung will. Sie ist – wie schon so oft – weiter
als die Politik. Eine Mehrheit sagt, sie möchte gerne fle-
xibel zwischen 60 und 67 Jahren mit Abschlägen oder
mit Zuschlägen in Rente gehen. Starre Altersgrenzen in
Tarif- und Arbeitsverträgen müssen aufgehoben werden.
Auch Modelle wie Teilrente und Teilzeitbeschäftigung
sind gefragt.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Neue
Wege sind oft mit Zumutungen verbunden. Das wissen
Sie, Herr Kolb. Wenn aber das Ziel klar ist und alle ent-
sprechend ihrer Leistungsfähigkeit mitgenommen wer-
den – ich sage ganz ausdrücklich: auch die Beamten und
die Politikerinnen und Politiker müssen analog zu diesen
Rentenbeschlüssen behandelt werden –, dann lohnt es
sich, diesen Weg zu gehen.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Der Kollege Kolb sagte gerade: Bitte nicht zu
errn Gysi.
Ich werde zu Herrn Gysi etwas sagen; denn sein Bei-
rag war wieder einmal eine Sternstunde des Parlaments.
r hat uns fast körperlich bedroht, als er sagte, er werde
ür noch eine Wahlperiode kandidieren. Uns wird davor
icht bange, Herr Gysi. Wir akzeptieren Sie so, wie Sie
ind.
Ich habe in Ihrem Beitrag festgestellt, dass Sie in den
etzten 18 Jahren doch einiges gelernt haben. Sie haben
n Ihrem Beitrag unser Demokratieverständnis kritisiert.
ir nehmen das erst einmal so hin. Das deutet darauf
in, dass Sie die Demokratie in den letzten 18 Jahren so
ichtig kennen gelernt haben. Wenn Sie das aber so he-
überbringen, wie Sie es getan haben, dann wirkt das
opulistisch und sehr unglaubwürdig.
Das Zweite ist: Wenn Sie den Vergleich bringen, dass
in Bauer um 1900 acht Menschen ernähren konnte,
ährend es heute 80 sind, und daraus den Schluss zie-
en, dass es nicht notwendig ist, Rentenbeitragserhöhun-
en oder eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit daraus ab-
uleiten, dann sage ich Ihnen: Das ist die Logik eines
enschen, der im Arbeiter- und Bauernstaat groß ge-
orden ist. Für mich ist das nicht logisch. Vielleicht soll-
en Sie auch darüber noch einmal nachdenken.
Ich möchte nun zu einigen sachlichen Begründungen
u der Initiative „50 plus“ kommen. Mit diesem Gesetz-
ntwurf kommen wir den Menschen entgegen, die sehr
ft nur aufgrund ihres Alters aus dem Arbeitsprozess
usgemustert worden sind. Wir bieten den Arbeitgebe-
innen und Arbeitgebern mit diesem Gesetzentwurf ver-
chiedene Förderinstrumente, damit sie sich verstärkt
m die Einstellung älterer Kolleginnen und Kollegen be-
ühen.
Wir meinen, dass es unzulässig ist, wenn sich Arbeit-
eber über Fachkräftemangel beklagen. Wenn gefordert
ird, ausländische Ingenieure auf dem deutschen Ar-
eitsmarkt zuzulassen, obwohl man weiß, dass sich ins-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7247
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)
Wolfgang Grotthaus
besondere ältere Kolleginnen und Kollegen mit den ent-
sprechenden Qualifikationen in der Arbeitslosigkeit
befinden, dann ist dies wenig glaubwürdig.
Lassen Sie mich dazu eine persönliche Bemerkung
machen. Ich habe es in meinem Job erlebt, dass von
1995 an ältere Kolleginnen und Kollegen, insbesondere
Ingenieure, aus den Jobs hinausgekegelt worden sind,
vor allem im Bereich des Maschinenbaus und der Ver-
fahrenstechnologie. Man hat damals jungen Menschen
gesagt, es lohne sich nicht mehr, Ingenieurwissenschaf-
ten zu studieren. Heute beklagen genau diejenigen, die
dies damals jungen Menschen mit auf den beruflichen
Weg gegeben haben, dass es keinen Nachwuchs mehr
gibt.
Diese Arbeitgeber sollten in die Pflicht genommen wer-
den, ältere Arbeitslose, die dieses Studium schon absol-
viert haben, durch Fördermaßnahmen wieder in den Be-
ruf zu integrieren.
Es ist notwendig, ältere Menschen durch gezielte
Maßnahmen nicht arbeitslos werden zu lassen und ältere
Arbeitslose durch Fördermaßnahmen wieder zu integrie-
ren. Genau das ist die Zielsetzung dieses Gesetzentwur-
fes.
Er beinhaltet dazu ein ganzes Bündel von Maßnahmen.
Wer lebenslanges Lernen einfordert, der – wir haben da-
rüber hier oft genug in Übereinstimmung über alle Frak-
tionen hinweg diskutiert – muss die Chance dazu auch
älteren Menschen geben.
Im Gesetzentwurf sehen wir dazu eine deutliche Er-
weiterung und damit eine effektive Verbesserung schon
bestehender Maßnahmen hinsichtlich der Regelung der
Weiterbildungsförderung älterer Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen vor. Künftig können die Beschäftig-
ten bereits ab dem 45. Lebensjahr Förderleistungen er-
halten, wenn der Betrieb weniger als 250 Arbeitnehmer
beschäftigt. Perspektivisch führt das nach unserer Auf-
fassung zu einer Erhöhung von Fördermöglichkeiten, die
früher in Anspruch genommen werden können, wodurch
sich die Gefahr der Arbeitslosigkeit verringert.
Die Übernahme der Weiterbildungskosten stellt gerade
im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen einen
wichtigen Baustein für verstärkte Anstrengungen zur
Weiterbildung von älteren Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern dar.
Ein weiteres Instrument – ich sehe, die Zeit läuft mir
davon; deswegen will ich mich nur auf ein weiteres In-
strument beziehen – sind die finanziellen Anreize für
Eingliederungsmaßnahmen. Wir bieten den Älteren mit
diesem Gesetzentwurf eine Teilentgeltsicherung. Das
bedeutet, dass ältere Menschen, die eine Arbeitsstelle
annehmen, die geringfügiger bezahlt wird als die vorhe-
rige, einen Gehaltszuschuss für bis zu zwei Jahre erhal-
ten können. In der Spitze sind das 50 Prozent, im unteren
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Für die FDP spricht die Kollegin Sibylle Laurischk.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Bei dem Gesetz, über das wir jetzt debattieren,
andelt es sich tatsächlich um ein Rentenkürzungspro-
ramm. Man muss es ganz klar so benennen.
s nennt sich zwar Gesetz zur Verbesserung der Be-
chäftigungschancen älterer Menschen. Aber ich frage
ich schon, wo es die Arbeitsplätze für die über 50-Jäh-
igen gibt. Leere Worte und schöne Plakate wie die für
ie Initiative „50 plus“, Herr Minister, schaffen keine
rbeitsplätze.
Es ist nötig, auch seniorenpolitisch hier klare Worte
u finden. Ich bin der Auffassung, dass sich die Bundes-
egierung mit mehr Mut und Fantasie an den Umbau des
esamten Sozialversicherungssystems machen müsste,
tatt ständig nur an einer Schraube zu drehen.
n 60 Prozent aller Unternehmen in Deutschland gibt es
erzeit keine Arbeitnehmer über 50 Jahre. Obwohl ge-
ade ältere Arbeitnehmer über Erfahrung und Wissen
erfügen, gehören sie neben den Geringqualifizierten zu
en großen Verlierern am Arbeitsmarkt.
7248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Sibylle Laurischk
Bereits für über 40-Jährige wird es immer schwieriger,
eine Anstellung zu finden. Hieran ändert die Erhöhung
des Renteneintrittsalters nichts.
Statistisch gesehen sind Menschen ab 55 Jahre einem
Rückgang der Erwerbsbeteiligung und einem Zu-
wachs an Arbeitslosigkeit ausgesetzt, der sich ab dem
60. Lebensjahr noch einmal verschärft. Grund dafür ist
eine Arbeitsmarktpolitik, die den Trend zur Frühverren-
tung gefördert hat und teilweise noch fördert. Neue Vor-
gehensweisen in der Wirtschaft und in der Personalent-
wicklung sind erforderlich.
Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Es ist Heuche-
lei, den Renteneintritt mit 67 zu begrüßen und gleichzei-
tig ältere Bewerber noch nicht einmal zu Vorstellungsge-
sprächen einzuladen.
Hier muss sich sehr schnell sehr viel ändern.
Aber auch die Einstellung der Arbeitnehmer muss
sich den geänderten Zeiten anpassen. Eine wichtige Vo-
raussetzung für ein längeres Verbleiben im Beruf ist der
Erwerb neuer Qualifikationen und die Sicherung von
Kompetenzen, um mit der technologischen Entwicklung
Schritt halten zu können. Arbeitgeber und Betriebsräte
müssen der Weiterbildung älterer Arbeitnehmer eine
hohe Priorität einräumen.
Ich will aber Ihr Augenmerk auch auf die frauenpoli-
tische Problematik richten.
Dieses Gesetz zur Verbesserung der Beschäftigungschan-
cen älterer Menschen geht an der Arbeitsbiografie von
Frauen geradezu zynisch vorbei.
Wer 45 Erwerbsjahre – gegebenenfalls inklusive drei
Jahre Erziehungszeit pro Kind – nachweisen kann, kann
nach dem vorliegenden Gesetzentwurf schon mit 65 ab-
schlagsfrei in Rente gehen. Davon sind aber kaum
Frauen betroffen. Denn allenfalls 4 Prozent der Frauen
werden nach den vorliegenden Erhebungen zu denjeni-
gen gehören, die tatsächlich schon mit 65 in Rente gehen
können.
Sie müssen also in der Regel bis zum 67. Lebensjahr ar-
beiten.
Das empfinde ich als umso zynischer, als die Aner-
kennung einer langen Arbeitsbiografie eben hier nicht
greift.
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Herr Brauksiepe, an dieser Stelle haben Sie das Prin-
ip „Die Starken für die Schwachen“ falsch verstanden.
ielleicht schauen Sie sich einmal den nächsten Bundes-
arteitag der FDP an
sehr gerne –, um eine andere Sicht der Dinge zu erle-
en, nicht nur die der SPD.
Wenn wir im demografischen Wandel auf dem Ar-
eitsmarkt bestehen wollen, müssen wir akzeptieren,
ass Kompetenz, Kreativität und Innovationskraft auch
enseits der Lebensmitte vorhanden sind und dass Lern-
ähigkeit und persönliche Weiterentwicklung nicht mit
0 enden. Der vorliegende Gesetzentwurf wird den An-
orderungen an eine umfassende Reform der Sozialversi-
herungssysteme nicht gerecht, zumal er Frauen einsei-
ig belastet.
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält jetzt das Wort der
ollege Stefan Müller.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
eit dem Regierungswechsel vor gut zwölf Monaten ist
ie Zahl der Arbeitslosen von über 5 Millionen auf un-
er 4 Millionen gesunken. Ich finde, dieser massive
ückgang ist ein großartiger Erfolg.
ies ist ein Erfolg auch deswegen, weil dadurch klar
ird, dass der wirtschaftliche Aufschwung, der in un-
erem Land stattfindet, sich nicht nur auf die Unterneh-
en und deren Gewinnsituation auswirkt, sondern jetzt
uch bei den Menschen ankommt.
Herr Kollege Dr. Kolb, ich glaube, wir sollten das
icht zu gering schätzen. Versetzen wir uns einmal in die
ituation eines Menschen, der seit langer Zeit von Ar-
eitslosigkeit betroffen ist und in diesen zwölf Monaten
inen neuen Arbeitsplatz gefunden hat.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7249
)
)
Stefan Müller
Für diesen Menschen ist das in der Tat außerordentlich
erfreulich; denn er hat nicht nur eine neue Arbeit gefun-
den, sondern hat dadurch auch neue Perspektiven und
neue Chancen und ganz einfach wieder das Gefühl, ge-
braucht zu werden und für sich und seine Familie etwas
zu erwirtschaften und nicht mehr auf staatliche Fürsorge
angewiesen zu sein. Deswegen sollten wir uns mit die-
sen Menschen freuen und froh darüber sein, dass es wie-
der mehr Menschen in unserem Land gibt, die eine Be-
schäftigung haben.
Es wird aber niemand bestreiten, dass trotz des Auf-
schwungs und des Rückgangs der Arbeitslosigkeit die
Lage gerade für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und ältere Arbeitslose in unserem Land nach wie vor
schwierig ist. Die Zahlen wurden schon genannt: Jeder
vierte Arbeitslose in Deutschland ist älter als 50. Bun-
desweit sind es über 1 Million.
Davon ist die Hälfte im Übrigen schon länger als ein
Jahr arbeitslos. Das Beschäftigungsniveau der Älteren
in Deutschland ist im europäischen Vergleich nach wie
vor deutlich schlechter als in anderen Ländern. Das ist
überhaupt keine Frage und darüber gibt es hier keinen
Dissens.
Was mich persönlich, ehrlich gesagt, sehr bedenklich
stimmt und was ich geradezu für dramatisch halte, ist die
Tatsache, dass die Einstellungschancen Älterer in den
letzten Jahren nicht besser geworden sind. Zumindest im
letzten Jahr waren nur 7 Prozent der neuen Mitarbeiter,
also derjenigen, die neu eingestellt worden sind, älter als
50. Ein Zweites stimmt mich sehr bedenklich, nämlich
die Tatsache, dass fast jedes dritte Unternehmen in
Deutschland ältere Mitarbeiter nur dann einstellt, wenn
es staatliche Beihilfen bekommt oder wenn es keine jün-
geren Bewerber findet. Daher ist hier Handlungsbedarf
unumstritten.
Ich möchte mich außerordentlich dafür bedanken,
dass es jedenfalls darüber keine Diskussionen gibt. Wir
alle wissen, dass wir an dieser Stelle etwas tun sollten.
Dies ist auch in den vorhergehenden Reden deutlich ge-
worden.
Man kann über die Rente ab 67 unterschiedlicher Auf-
fassung sein. Aber die Aufgabe, die Chancen für Ältere
auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, eignet sich aus
meiner Sicht nicht für einen parteipolitischen Streit.
Wir alle wissen, dass sich ein Fachkräftemangel ab-
zeichnet. Wir wissen, dass die niedrige Erwerbsbeteili-
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enau deshalb haben wir die Verbesserung der Beschäf-
igungssituation von Älteren in unserem Land im Koali-
ionsvertrag festgeschrieben.
Wir müssen Einigkeit darüber herstellen, dass diese
nstrengungen auch wirklich von allen Beteiligten zu
eisten sind und nicht nur die Politik gefragt ist. Zunächst
inmal muss die Erkenntnis, dass damit alle Beteiligten
efordert sind, durchgesetzt werden. Dies betrifft nicht
ur die Politik, sondern auch die Unternehmen. Es be-
rifft aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
owie die Tarifvertragsparteien.
Die Politik hat die Aufgabe, dort, wo es möglich ist,
instellungshemmnisse abzubauen.
ir haben vor zwei Wochen in einem ersten Schritt die
ohnzusatzkosten zum 1. Januar 2007 gesenkt. Natür-
ich wird diese Senkung der Sozialabgaben, die in ihrer
öhe ein massives Einstellungshemmnis in unserem
and sind, die Beschäftigungschancen, auch für ältere
itarbeiterinnen und Mitarbeiter, erhöhen.
Mit der Initiative „50 plus“ und dem heute vorlie-
enden Gesetzentwurf tun wir das, was der Arbeits-
arktpolitik möglich ist: Wir setzen Anreize, damit Un-
ernehmen wieder ältere Mitarbeiter einstellen; dem
ient der Eingliederungszuschuss. Wir verstärken auch
en Anreiz dafür, mehr für die Bildung und Weiterbil-
ung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
u tun. Mit der Entgeltsicherung setzen wir Anreize da-
ür, auch niedriger bezahlte Tätigkeiten anzunehmen.
un kann man ja einwenden, dass es diese Instrumente
lle schon gibt. Das ist richtig. Wir verändern die Instru-
ente zwar hinsichtlich einiger Stellschrauben,
ber es gibt sie schon. Das heißt: Es wird auch darum ge-
en, diese Instrumente, die wir jetzt verbessern, wirklich
ekannt zu machen. Herr Bundesminister, ich bin Ihnen
ußerordentlich dankbar dafür, dass Sie mit Ihrer Initia-
ive „Erfahrung ist Zukunft“ versuchen, die Instru-
ente bei den Unternehmen bekannter zu machen.
espräche mit Unternehmen beweisen ja: Es ist das
rößte Problem, dass viele Unternehmen nicht wissen,
elche Maßnahmen sie in Anspruch nehmen können.
7250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Stefan Müller
Wir werden ein Weiteres tun müssen – das ist meine
persönliche Überzeugung –: Wenn wir im kommenden
Jahr die Instrumente der Bundesagentur für die Arbeits-
förderung überprüfen, dann werden wir sie auch darauf-
hin überprüfen, was die Maßnahmen der BA zur Einglie-
derung Älterer zu leisten imstande sind.
Kommen wir zum zweiten Bereich. Nicht nur die Po-
litik ist gefordert, auch die Unternehmen sind gefordert.
Auch die Unternehmen müssen erkennen, dass ältere Ar-
beitnehmer keine Belastung, sondern eine wertvolle
Ressource sind. Mit der schrittweisen Erhöhung des
Renteneintrittsalters verlängert sich die Lebensar-
beitszeit; ich halte das angesichts der demografischen
Entwicklung für einen richtigen und wichtigen Schritt.
Das führt aber zu der Frage, die wir heute auch schon an-
satzweise diskutiert haben: Haben wir gerade für ältere
Menschen in unserem Land genügend Arbeitsplätze zur
Verfügung? In diesem Zusammenhang möchte ich da-
rauf hinweisen, dass der Renteneintritt mit 67, die Erhö-
hung des Renteneintrittsalters, seit Jahren von der Wirt-
schaft immer wieder gefordert wird. Deshalb ist die
Wirtschaft jetzt auch in der Pflicht – wir setzen das ja
nun um –, Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer zur
Verfügung zu stellen. Gerade das Auseinanderklaffen
von Reden und Fordern auf der einen Seite und Realität
auf der anderen Seite, die so aussieht, dass keine älteren
Mitarbeiter eingestellt werden, führt zu Verdrossenheit
in Bezug auf Staat und soziale Marktwirtschaft.
Die Arbeitnehmer sind aufgefordert, länger im Be-
rufsleben aktiv zu sein. Die Tarifvertragsparteien sind
aufgefordert, das Ihre zu tun. Ich will mich dabei gar
nicht in die Tarifautonomie einmischen, aber ich glaube
schon, dass auch die Tarifvertragsparteien dazu einen
deutlichen Beitrag leisten können.
Ich finde: Unsere Wirtschaft, aber auch unsere Gesell-
schaft insgesamt können auf ältere Menschen nicht ver-
zichten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem Ge-
setzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ein
Signal geben, dass auch Ältere wieder Chancen haben,
in der Wirtschaft mitzuwirken.
Das Wort hat jetzt für Bündnis 90/Die Grünen die
Kollegin Brigitte Pothmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Schewe-Gerigk hat es bereits gesagt: Die Grünen tragen
das Projekt „Rente mit 67“ mit. Wir müssen – davor
können auch Sie die Augen nicht verschließen, Herr
Gysi – die Belastung der jüngeren Erwerbsgenerationen
begrenzen.
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Der Sachverständigenrat hat darauf hingewiesen:
enn es nicht gelingt, die Erwerbsbeteiligung der Älte-
en in großem Umfang zu erhöhen, wird das zu einer Al-
ersarmut erheblichen Ausmaßes führen. Wenn die
enschen keine Arbeit mehr haben, beginnt die Alters-
rmut schon in den Jahren, bevor sie in Rente gehen. Sie
etzt sich natürlich fort, wenn die Menschen Rente be-
iehen, weil weniger eingezahlt worden ist. Das Pro-
ramm 50 plus reicht bei weitem nicht aus, um dieses
roblem zu lösen, und zwar weder quantitativ noch qua-
itativ.
Ich will etwas zu den Zahlen sagen. 1,3 Millionen ar-
eitslose Menschen sind älter als 50. Mit den jetzt hier
orgestellten Programmen erreichen Sie, wenn alles su-
ergut läuft,
00 000 von ihnen. Ich habe aber erhebliche Zweifel, ob
ie mit Ihren Programmen 100 000 Menschen erreichen
önnen;
enn mit den Instrumenten Eingliederungszuschuss
nd Entgeltsicherung haben Sie 2006 nur 19 000 Men-
chen erreicht. Sie müssten die Zahl also signifikant stei-
ern. Wir sind gerne bereit, Sie dabei zu unterstützen.
ch will deutlich sagen: Die Prognose ist zwar sehr posi-
iv, aber gemessen an den Problemen, erreichen Sie nach
ie vor viel zu wenig Menschen.
Die Frage ist, ob diese Instrumente die richtigen sind.
ie versuchen nämlich, mit ihnen angebliche Produktivi-
ätsnachteile auszugleichen. Die Instrumente haben da-
it immer einen stigmatisierenden Charakter. Diese
tigmatisierung unterstützen Sie – auch das muss gesagt
erden – mit Fehlanreizen, zum Beispiel mit der so ge-
annten 58er-Regelung.
iese Stigmatisierung gegenüber Ältern unterstützen
ie, wenn Sie Altersteilzeitregelungen treffen. In beson-
erem Maße gilt das, wenn bei Post und Telekom jetzt
5 000 ältere Beschäftigte mit aktiver Unterstützung die-
er Bundesregierung in den Vorruhestand gehen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7251
)
)
Brigitte Pothmer
Sie fordern die Unternehmen auf, Vorurteile gegenüber
Älteren abzulegen, produzieren diese Vorurteile aber
durch Ihr eigenes Handeln immer wieder neu.
Gleichzeitig fehlt Ihnen leider völlig der Ehrgeiz, die
Beschäftigungsfähigkeit der älteren Menschen zu er-
halten, sie zum Beispiel durch mehr und bessere Weiter-
bildungsmöglichkeiten arbeitsfähig zu halten; denn mit
den 5 Millionen Euro, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
für die Weiterbildung von Beschäftigten einsetzen wol-
len,
erreichen Sie rechnerisch – jetzt hören Sie genau zu –
790 Beschäftigte. So viel zur Dimension des Problems
und zur Lösung, die Sie hier vorschlagen.
Das Programm 50 plus ist nicht mehr als ein Tropfen
auf den heißen Stein. Es ist sogar weniger. Herr Grott-
haus, Sie haben die Chance, die Ausweitung des Prinzips
des lebenslangen Lernens auf die Mitarbeiter kleiner und
mittlerer Betriebe grundlegend anzustoßen, vertan, ob-
wohl Sie selbst genau das fordern. Angesichts von
790 geförderten Leuten kann man doch nicht allen Erns-
tes davon sprechen.
Ich komme zum Schluss. In Zeiten der großen Koali-
tion gilt einmal mehr: Älterwerden ist nicht schwer, alt
zu sein dagegen sehr!
Danke schön.
Katja Mast hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“,
und mit 50 ist noch lange nicht Schluss. Was hat uns der
frühe Prophet des demografischen Wandels und der stei-
genden Lebenserwartung, Udo Jürgens, zu sagen?
Wir leben länger, sind länger aktiv und bekommen auch
länger Rente. Das stimmt.
Mir fällt dazu ein Fall aus meiner Bürgersprechstunde
ein. Einem über 50-Jährigen, der einen Job suchte, habe
ich gesagt, welche Firmen in meiner Heimat bevorzugt
Ältere einstellen. Nach wenigen Wochen habe ich ihn
wieder getroffen. Er hatte einen Job.
Wieso?
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Deshalb bringen wir heute die Initiative „50 plus“
uf den Weg. Mit ihr werden wir den Arbeitsmarkt für
ltere verändern. Sie wird nächstes Jahr starten. Mit der
nitiative „50 plus“ fördern wir lebenslanges Lernen,
chaffen finanzielle Anreize zur Beschäftigung Älterer
nd entwickeln neue Methoden zur Verbesserung der
rbeitsplätze, humanisieren also die Arbeitswelt. Denn
ur wer gesund ist, kann bis 65 oder 67 arbeiten.
Wir verbinden die Initiative „50 plus“ mit der Rente
b 67. Die Rente ab 67 ist notwendig, um die Rente zu-
unftsfest zu machen und den Generationenvertrag fort-
uführen. Mit der Initiative „50 plus“ liegen die Instru-
ente auf dem Tisch, mit denen für Ältere der
rbeitsmarkt verbessert werden kann. Hier und heute
ill ich mit einigen Vorurteilen aufräumen.
Erstens. Rentnerinnen und Rentner – ich kann nur
offen, dass mir viele zu Hause vor den Bildschirmen
uhören –
ind von der Rente ab 67 nicht betroffen. Für sie ändert
ich nichts.
Zweitens. Erst ein heute 42-Jähriger ist voll von der
ente ab 67 betroffen. Aber er lebt auch in der festen Si-
herheit, dass er durchschnittlich drei Jahre länger Rente
ezieht als ein heutiger Rentner, und wahrscheinlich hat
r mit seinem Berufsleben später angefangen.
Drittens. Die Rente ab 67 hat mit den heutigen Ar-
eitslosenzahlen – sie sind zum Glück auf unter
Millionen gesunken – nichts zu tun.
7252 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Katja Mast
Denn erst 2012 starten wir mit der schrittweisen Umset-
zung der Rente ab 67, die nach 17 Jahren abgeschlossen
ist, also nachdem die Initiative „50 plus“ ihre Wirkung
entfaltet hat und wir in Deutschland händeringend Fach-
kräfte suchen werden.
Viertens. Es gibt schon heute Betriebe, die Ältere
gerne einstellen, zum Beispiel die Firma Härter aus Kö-
nigsbach-Stein in meiner Heimat.
Denn gerade Ältere sind leistungsbereit und motiviert.
Mehr noch: Ältere bewahren in schwierigen Situationen
einen kühlen Kopf.
Die Firma Härter wurde deshalb letzte Woche von unse-
rem Vizekanzler und Bundesarbeitsminister, Franz
Müntefering, als Unternehmen mit Weitblick ausge-
zeichnet.
Ich bin der festen Überzeugung: Politik kann den Menta-
litätswandel in den Köpfen beeinflussen. Nur wer gute
Beispiele kennt, kann diese nachahmen. Deshalb fordere
ich alle hier im Haus auf, gute Beispiele vor Ort immer
wieder bekannt zu machen.
Fünftens. Gerade ältere Arbeitnehmer haben Angst,
dass sie nach vielen Berufsjahren nicht mehr arbeiten
können, die Rente erst ab 67 bekommen und davor
schauen müssen, wo sie bleiben. In diesem Fall gibt es
schon heute die Erwerbsminderungsrente. Sie müssen
wir noch einmal unter die Lupe nehmen, um denen, die
nicht mehr können, eine echte Perspektive zu bieten.
Aber wir dürfen nicht vergessen: Das ist der nachsor-
gende Sozialstaat. Wir müssen den vorsorgenden Sozial-
staat konsequent stärken. Es kann nicht sein, dass Arbeit
die Menschen krank macht. Deshalb muss die Arbeits-
platzqualität in den Betrieben verbessert werden. Teil-
habe bis 67 ist dabei das Ziel aller. Alle, das sind: Be-
triebsräte, Arbeitgeber, jeder Einzelne und die Politik.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Menschen ar-
beiten wollen. Sie wollen Teilhabe und das geht in der
Arbeitsgesellschaft nur über Arbeit. Deshalb ist unsere
Strategie richtig: zuerst die Initiative „50 plus“, die mehr
Jobs für Ältere fördert, und dann im zweiten Schritt die
langsame Anpassung der Rente an die Bevölkerungsent-
wicklung. Bei steigender Lebenserwartung führen wir
damit den Generationenvertrag fort und verbessern die
Generationengerechtigkeit.
Älter werden wollen wir, Mitmachen fördern wir und
dass wir das können, dafür kämpfen wir.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! Im nächsten Monat, am 21. Januar 2007, feiert die
ynamische Rente in Deutschland ihren 50. Geburtstag.
or genau 50 Jahren ist die dynamische Rente, eine der
rößten sozialpolitischen Leistungen unseres Landes,
eschlossen worden.
ir wollen mit der Rentenreform, die wir heute in den
undestag einbringen, dafür sorgen, dass die Rente in
eutschland nicht lahmt, sondern auch in Zukunft dyna-
isch bleibt. Darum geht es.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor 50 Jahren lag
ie durchschnittliche Lebenserwartung von Männern
ei 66 Jahren, die von Frauen bei 71 Jahren. Im
ahr 2030, wenn die heutige Reform voll greift, liegt die
urchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes bei
ast 81 Jahren, die einer Frau sogar bei 86 Jahren. Das ist
ine erfreuliche Entwicklung.
Dabei muss man aber auch berücksichtigten, dass wir
ns in den kommenden Jahren auf ein Schrumpfen
nserer Bevölkerung einstellen müssen. Jede neue Ge-
eration wird um etwa ein Drittel kleiner sein als ihre El-
erngeneration. Das ist übrigens die entscheidende Zahl,
ie der Kollege Gysi in seinen Rechenbeispielen verges-
en hat, weswegen sie von vorn bis hinten nicht stim-
en.
Auf diese Fakten muss der Gesetzgeber reagieren, da-
it die Rentenversicherung für alle Generationen ein
erlässliches und leistungsstarkes Instrument der Alters-
icherung bleibt. Ich behaupte: Egal wer regiert,
iemand kann der Notwendigkeit zur Anhebung der Re-
elaltersgrenze ausweichen, es sei denn, er will die ge-
etzliche Rente bewusst gegen die Wand fahren.
Die große Koalition handelt rechtzeitig. Wir beschlie-
en jetzt die Anhebung der Regelaltersgrenze. Wie
rau Kollegin Mast gesagt hat, sind die nächsten Rent-
ergenerationen davon aber überhaupt nicht betroffen.
ir starten schrittweise ab dem Jahr 2012 und erreichen
ie neue Regelaltersgrenze für die, die dann in Rente ge-
en, im Jahr 2029.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7253
)
)
Peter Weiß
– Ja, 2029, Herr Tauss.
Wir stellen die Weichen also rechtzeitig und voraus-
schauend. Wer bei der Rente mit 67 nicht mitmachen
will, der steckt den Kopf in den Sand und flieht aus der
rentenpolitischen Verantwortung.
Die Polemik gegen die Rente mit 67 wird mit dem
Argument geführt, dabei handele es sich um eine ver-
kappte Rentenkürzung.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte
es auf ganz drastische Weise formulieren: Diese Behaup-
tung ist schlichtweg eine Lüge.
Fakt ist:
Erstens. Die Anhebung der Regelaltersgrenze um
zwei Jahre bis zum Jahr 2029 entspricht der Steigerung
der Lebenserwartung. Das heißt, die durchschnittliche
Rentenbezugsdauer desjenigen, der im Jahr 2029 in
Rente geht, ist nicht kürzer als die Rentenbezugsdauer
desjenigen, der heute in Rente geht, sondern sie ist eher
länger. Das, was wir beschließen, hat also nichts mit ei-
ner Rentenkürzung zu tun.
Zweitens. Man muss darauf hinweisen, dass durch die
Rente mit 67 das Verhältnis zwischen aktiven Erwerbstä-
tigen einerseits und Rentnerinnen und Rentnern anderer-
seits verbessert wird. Der in der Rentenformel enthaltene
so genannte Nachhaltigkeitsfaktor bewirkt,
dass angesichts einer solch positiven Veränderung wie-
der Rentenerhöhungen ermöglicht werden. Um es klar
und deutlich zu sagen: Wer für die Rente mit 67 stimmt,
der macht Rentenerhöhungen erst wieder möglich.
Wer gegen die Rente mit 67 stimmt, gehört zur Fraktion
der potenziellen Rentenkürzer. Das sind die Fakten.
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ondern eine Belohnung für ein langes und aktives Be-
ufsleben.
aher ist die 45-Jahre-Regelung in meinen Augen ein
chlüssel zur Akzeptanz des neuen Rentenrechts.
Zur Anhebung der Regelaltersgrenze gehört als
weite Seite ein und derselben Medaille – deswegen die
eiden Gesetzentwürfe, die wir heute gemeinsam bera-
en – die Verbesserung der Beschäftigungssituation älte-
er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also die Ini-
iative „50 plus“. Auch wenn viele etwas anderes be-
aupten, haben wir da in den letzten Jahren schon ge-
isse Fortschritte erzielt. Im Jahr 2000 lag die Quote der
5- bis 65-Jährigen, die noch im Erwerbsleben standen,
ei nur 37,5 Prozent.
m Jahr 2005 lag sie immerhin bei 45 Prozent. Das war
enigstens eine kleine Verbesserung. Aber es ist immer
och viel zu wenig. Deswegen wollen wir den positiven
rend durch die Initiative „50 plus“ massiv verstärken.
Was unsere Nachbarländer, vor allen Dingen im Nor-
en Europas, zur Verbesserung der Beschäftigungssitua-
ion älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-
chafft haben, können wir auch in Deutschland schaffen.
ir brauchen dafür einen Aktionsplan aller Akteure für
ie nächsten zehn bis zwanzig Jahre, nicht nur der Poli-
ik – etwa in Form eines Gesetzentwurfes, wie wir ihn
eute beraten –, sondern auch der Tarifpartner, der Wirt-
chaft, der Medien. Wir brauchen eine Veränderung des
ewusstseins dahin gehend, dass die Erfahrung und die
ompetenz Älterer unsere Wirtschaft und unser Land
oranbringen können.
Ich finde, mit den beiden Gesetzesvorhaben zeigt die
undesregierung, dass sie vorausschauend handelt. Es
ehört in der Tat Mut dazu, in der Politik etwas zu tun,
as auf den ersten Blick bei vielen Bürgerinnen und
ürgern nicht besonders beliebt ist. Diese große Koali-
ion hat den Mut, das Notwendige vorausschauend zu
un. Deswegen, behaupte ich, wird sie Erfolg haben.
Vielen Dank.
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Nächster Redner ist nun der Kollege Anton Schaaf für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, die Diskussion über die Zukunft der Rente ist
immer eine verkürzte Diskussion; denn in der Regel
steht dabei die Finanzierbarkeit der Rente im Vorder-
grund. Ich glaube, die Diskussion ist verkürzt, weil die
Alterung der Gesellschaft, der demografische Wandel
auch eine gesellschaftliche und nicht nur eine finanzielle
Herausforderung ist.
Die finanziellen Fragen kann man sicherlich schlicht be-
antworten, indem man die Beiträge erhöht. Das kann
man machen. Oder man erhöht einfach den Steuerzu-
schuss.
Übrigens, Herr Gysi, hat es nicht nur Fehlentwicklun-
gen im Zusammenhang mit der Finanzierung der deut-
schen Einheit gegeben. Wir lassen der Rentenversiche-
rung jedes Jahr einen Zuschuss von 78 Milliarden Euro
für die Aufgaben zukommen, die über die reinen Ren-
tenzahlungen hinaus zu leisten sind. In dieser Hinsicht
wird ja immer von versicherungsfremden Leistungen ge-
sprochen. Ich finde, dass beispielsweise die Anerken-
nung von Erziehungszeiten keine versicherungsfremde
Leistung ist.
Das ist eine sozialpolitische Leistung, die genau da an-
gesiedelt gehört, wo sie es jetzt ist: bei der gesetzlichen
Rentenversicherung. Also: Wir führen eine verkürzte
Diskussion.
Dass wir in unserem Lande mehr ältere Menschen ha-
ben, ist kein Problem; da hat Gysi völlig Recht. Die
Frage ist aber, ob die Bevölkerungsentwicklung insge-
samt mit der Alterung der Gesellschaft Schritt hält, ob
also genügend Junge nachwachsen. Da müssen wir
schlichtweg konstatieren: Die Gesellschaft wird im
Schnitt immer älter, und zwar deshalb, weil immer weni-
ger Junge nachkommen. Das ist die gesellschaftliche
Herausforderung, auf die wir eine Antwort geben müs-
sen.
Eines ist völlig klar: Jemand, der 50 oder 55 Jahre alt
ist, darf in diesem Land nicht als alt gelten und vor die-
sem Hintergrund aus den Erwerbsprozessen gedrängt
werden. Das ist der entscheidende Punkt.
Frau Pothmer hat gesagt, dafür reicht unser Programm
„50 plus“ nicht aus. In der Tat, Frau Pothmer: Es reicht
nicht aus, definitiv nicht. Die Erkenntnis, dass man mit
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as ist eine Grundvoraussetzung, um die Beschäfti-
ungsfähigkeit Älterer zu erhöhen. Übrigens haben wir
afür in den letzten beiden Legislaturperioden im Rah-
en der Betriebsverfassung enorme Möglichkeiten ge-
chaffen, was den Gesundheitsschutz am Arbeitplatz
der was Weiterbildung und Qualifizierung angeht. Die
arifpartner sind aufgefordert, diese Möglichkeiten auch
u nutzen.
Es hieß, wir hätten in der Frage der Erwerbsminde-
ung populäre Ausnahmen gemacht.
„Populistische Ausnahmen“, haben Sie gesagt, Herr
olb, genau. – Als Antwort darauf sage ich sehr deut-
ich: Ich werde mich auf gar keinen Fall damit abfinden,
ass Arbeit dazu führt, dass Menschen wirklich krank
erden.
enn man sich aber die gesellschaftlichen Realitäten an-
chaut, dann muss man feststellen, dass das oftmals lei-
er noch so ist. Deswegen ist es völlig richtig: Solange
rbeit Menschen tatsächlich krank und kaputtmacht,
üssen die bisherigen Regelungen zur Erwerbsminde-
ung beibehalten werden.
ch bin froh, dass unser Koalitionspartner in diesem
unkt mitgemacht hat und wir die Regelungen zur Er-
erbsminderung so belassen konnten, wie sie im Gesetz
ind, und nicht verändern mussten: Zugang mit 60 Jah-
en, abschlagsfrei mit 63 Jahren.
as war unsere Leistung. Wir sprechen über die Men-
chen, die sich kaputt gearbeitet haben und die über die
rwerbsminderung die Möglichkeit haben, zukünftig
it 63 Jahren abschlagsfrei in Rente zu gehen.
Es ist eine sozialpolitische Frage: Wenn sich die ge-
ellschaftlichen Verhältnisse, die Arbeitsbedingungen so
ndern, dass Menschen nicht durch Arbeit krank werden
Herr Kolb, Sie könnten einiges bei Ihrer Klientel, den
nternehmern, dafür tun –, dann bräuchten wir auch
eine Erwerbsminderungsrente mehr.
as ist ganz klar. Dann kommen wir ohne weiteres voll
nd ganz zusammen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7255
)
)
Anton Schaaf
Ich möchte noch etwas zum Änderungsantrag der
FDP sagen. Die FDP schreibt, wir sollten hinsichtlich
der Annahmen – es sind keine Prognosen, sondern An-
nahmen –, die der Rentenversicherungsbericht zur
Entwicklung gibt, zurückhaltender sein. Der Sozialbeirat
hat uns durchaus ein gutes Zeugnis ausgestellt.
Sie sagen, unsere Annahme eines durchschnittlichen
Lohnzuwachses von 2,5 Prozent, den wir erwarten, sei
deutlich zu positiv.
Ich kann Ihnen auch sagen, wieso Sie das sagen: Ihr
Kollege Niebel hat in einer TV-Show auf die Frage, ob
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der guten wirt-
schaftlichen Entwicklung nicht partizipieren sollten, ge-
antwortet: Ja, aber nicht über prozentuale Lohnerhöhun-
gen. Wenn man keine prozentualen Lohnerhöhungen
haben möchte, dann ist auch die Annahme, die Prognose
falsch; das ist doch völlig klar.
Heute sind wir in einer Situation, in der die Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer an dem wirtschaftlichen Erfolg,
den wir aufgrund der Arbeit, die die alte Regierung, aber
auch die neue Regierung gemacht hat, zu konstatieren ha-
ben, partizipieren müssen, und zwar vernünftig. Das ent-
lastet die Sozialkassen, und zwar wirklich nachhaltig.
Zu der Frage, ob die Rente mit 67 nicht eine ver-
kappte Rentenkürzung ist. Populistisch kann man so si-
cherlich argumentieren.
Allerdings müsste man dann gleichermaßen auch Fol-
gendes sagen: In den 60er-Jahren hatten wir eine durch-
schnittliche Rentenbezugszeit von zehn Jahren, heute
sind es 17 Jahre. Das bedeutet im Prinzip eine giganti-
sche Rentenerhöhung. Wir haben den Menschen viel
mehr gegeben, da sie viel länger Rente beziehen. Anders
kann man aus meiner Sicht nicht sauber argumentieren.
Das ist nicht redlich.
Damit macht man den Menschen schlichtweg Angst.
Zum Schluss möchte ich auf die Rede von Herrn Gysi
eingehen. Herr Gysi, in der Tat haben Sie Recht, wenn
Sie sagen, dass viele Menschen die Rente mit 67 ableh-
nen. Aus ihrer persönlichen Situation heraus ist das auch
völlig nachvollziehbar, schließlich ist es eine Belastung.
Das gilt übrigens nicht für die Rentner von morgen, auch
nicht von übermorgen. Wir sollten in unseren Statements
auch nicht so tun, als wäre das so, sondern sagen, was
tatsächlich absehbar ist, damit es planbar und für die
Menschen handhabbar ist. Dass es eine Belastung ist,
werde ich nicht negieren, an keiner Stelle. Dass viele
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Dass das von Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird,
eißt doch nicht, dass wir nicht im Interesse der Men-
chen handeln. Das ist völlig widersinnig. Das sozialde-
okratische Interesse gilt primär den sozialen Siche-
ungssystemen. Ich sage als Bekenntnis eindeutig: Uns
eht es bei den Maßnahmen, die wir nicht nur vor dem
intergrund des Koalitionsvertrages, sondern auch vor
em Hintergrund der Erkenntnisse, die man selber ge-
ammelt hat, ergreifen müssen, darum, die sozialen Si-
herungssysteme auf Dauer als paritätische und solidari-
che Sicherungssysteme zu erhalten.
as bedingt, dass man bereit ist, sich selbst zu verän-
ern. Vor dem Hintergrund der weltweiten, europawei-
en, aber auch nationalen Entwicklung, vor dem Hinter-
rund der Globalisierung haben wir Handlungsbedarf.
ieser Handlungsbedarf, dem wir jetzt Rechnung tragen,
st allemal im Interesse der Menschen. So agieren wir.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf den Drucksachen 16/3793, 16/3794, 16/3027,
6/3676, 16/3815, 16/3812, 16/3700 und 16/907 an die in
er Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
en. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der
all. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 k
owie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:
29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reini-
– Drucksache 16/3654 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines … Strafrechtsände-
rungsgesetzes zur Bekämpfung der Computer-
kriminalität
– Drucksache 16/3656 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
7256 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
über die Bereinigung von Bundesrecht im Zu-
ständigkeitsbereich des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie und des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales
– Drucksache 16/3657 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
elektromagnetische Verträglichkeit von Be-
triebsmitteln
– Drucksache 16/3658 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem In-
ternationalen Übereinkommen vom 19. Okto-
ber 2005 gegen Doping im Sport
– Drucksache 16/3712 –
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
tokoll vom 21. Mai 2003 über Schadstofffrei-
setzungs- und -verbringungsregister
– Drucksache 16/3755 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Innenausschuss
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus-
führung des Protokolls über Schadstofffreiset-
zungs- und -verbringungsregister vom 21. Mai
2003 sowie zur Durchführung der Verordnung
Nr. 166/2006
– Drucksache 16/3756 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Innenausschuss
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Michael Kauch, Angelika Brunk-
horst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
EU-Abfallrahmenrichtlinie ökologisch wirk-
sam, unbürokratisch und marktwirtschaftlich
gestalten
– Drucksache 16/3318 –
Z
Dr. Jürgen Gehb, Norbert Geis, Ute Granold,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Fritz Rudolf
Körper, Joachim Stünker, Dr. Carl-Christian
Dressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Ächtung des Gesetzes zur Verhütung des erb-
kranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
– Drucksache 16/3811 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee
Menzner, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Barbara Höll,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
LINKEN
Börsengang der Bahn stoppen
– Drucksache 16/3801 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee
Menzner, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN
Deutsche Flugsicherung europarechtlichen
Rahmenbedingungen anpassen
– Drucksache 16/3803 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
P 4 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 20. Oktober 2005 über
den Schutz und die Förderung der Vielfalt
kultureller Ausdrucksformen
– Drucksache 16/3711 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Brigitte Pothmer, Kerstin An-
dreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Vermittlung in Selbstständigkeit durch Bun-
desagentur für Arbeit ermöglichen – Künstler-
dienste sichern
– Drucksache 16/3779 –
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7257
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
ebenfalls der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis
30 s sowie den Zusatzpunkten 5 a bis 5 j. Dabei handelt
es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 30 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
11. April 1997 über die Anerkennung von Qua-
lifikationen im Hochschulbereich in der euro-
päischen Region
– Drucksache 16/1291 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
– Drucksache 16/3669 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Uwe Barth
Cornelia Hirsch
Kai Gehring
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 16/3669,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der Ge-
setzentwurf einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Selbstverwaltung der Rechtsanwalt-
schaft
– Drucksache 16/513 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 16/3837 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Christine Lambrecht
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
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KOM 79 endg.; Ratsdok. 6935/06
– Drucksachen 16/1101 Nr. 2.12, 16/3554 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubert Deittert
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Ist jemand dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim-
mig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 j:
Beratung der Dritten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses
zu 44 gegen die Gültigkeit der Wahl zum
16. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahl-
einsprüchen
– Drucksache 16/3600 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Dr. Wolfgang Götzer
Dr. Carl-Christian Dressel
Petra Merkel
Ernst Burgbacher
Ulrich Maurer
Silke Stokar von Neuforn
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ist je-
mand dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 30 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 144 zu Petitionen
– Drucksache 16/3625 –
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 144 ist einstimmig angenom-
men.
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Kaum ein wichtiges Gesetz, das nicht in engsten nächtli-
chen Koalitionszirkeln kurzfristig ausgebrütet worden
wäre!
Kaum ein wichtiges Gesetz, das mit der gebotenen Acht-
samkeit und Sorgfalt hinsichtlich seiner Wirkungen, ver-
fassungsrechtlichen Bezüge und Probleme erarbeitet und
beraten worden wäre!
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Verlässlichkeit – so hat heute Morgen Herr Ramsauer
gesagt – ist der Maßstab für Politik, damit Vertrauen ent-
steht. Halten Sie sich an diese Aufforderung!
Die Liste der gesetzgeberischen Fehlleistungen der
großen Koalition droht länger zu werden. Lassen Sie
mich nur auf ein bevorstehendes Vorhaben hinweisen,
das unter grundrechtlichen Gesichtspunkten unsäglich
ist, nämlich die Anbieter von elektronischen Kommuni-
kationsdiensten zur Speicherung der bei ihnen anfallen-
den Kommunikationsdaten auf Vorrat zu verpflichten.
Mit der Übernahme der europarechtlichen Verpflichtun-
gen, die sich aus der von der Bundesregierung mitgetra-
genen Richtlinie zur Vorratspeicherung ergeben, geht die
Bundesregierung bewusst ein Risiko ein, nämlich das
Risiko eines schweren Verfassungskonflikts zwischen
Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Ge-
richtshof.
Ich kann Sie nur bitten: Lassen Sie im Interesse des
deutschen Parlamentarismus davon ab, die Verfassung,
unser Grundgesetz, als Feind, als Gefängnis zu sehen,
aus dem man nach Möglichkeit ausbrechen sollte. Las-
sen Sie davon ab, über den Bundespräsidenten und des-
sen pflichtgemäße Entscheidungen zu lamentieren und
in einer noch nie da gewesenen Form das Verfassungsor-
gan Bundespräsident zu beschädigen.
Seien Sie froh, dass wegen einer ernsthaften Prüfung
eine nächste Niederlage vor dem Bundesverfassungsge-
richt vermieden wird. Es stünde Ihnen besser an, dafür
Sorge zu tragen, dass das Bundesinnen- und das Bundes-
justizministerium ihren einmal als vornehm angesehenen
Aufgaben als Verfassungsressorts, als Notare der Regie-
rung, wieder gerecht werden können: Gründlichkeit vor
Schnelligkeit, Achtung und Berücksichtigung verfas-
sungsrechtlicher Bedenken vor einer schnell getroffenen
politischen Entscheidung! Fangen Sie damit an, dann ha-
ben Sie unsere Unterstützung.
Der nächste Redner ist der Kollege Andreas Schmidt
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde,
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, die Art und
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uch unserer gemeinsamen Verantwortung in diesem
aus sind Sie nicht gerecht geworden.
Das Thema ist ja nicht neu. Es ist meistens ein Thema
er Opposition. Die Opposition kritisiert, die Koalitions-
raktionen verteidigen, und jeder von uns war ja auch
chon einmal in jeder Rolle. Insofern ist auch die De-
atte nicht neu.
Sie haben schon einmal in einer anderen Rolle hier
esprochen; damals haben Sie mehr verteidigt.
Hören Sie mir doch einmal zu. Wir wollen doch ein
utes Bild in der Öffentlichkeit abgeben. – Wir sollten
ie Debatte grundsätzlich führen. Die Geländegewinne,
ie Sie vielleicht kurzfristig haben werden, werden nicht
ehr nachhaltig sein. Wir sollten zu diesem Thema über
nser Selbstverständnis sehr ausführlich sprechen, und
war nicht nur in einer Aktuellen Stunde, sondern etwas
änger.
Nichts ist so gut, als dass es nicht verbesserungsfähig
st. Natürlich hat es Fehler gegeben. Ich finde, es steht
ns gut an, diese einzugestehen. Wir sollten aber nicht
en Eindruck erwecken, als hätten wir alle rechtsstaatli-
hen Grundsätze über Bord geworfen. Im Rechtsaus-
chuss des Deutschen Bundestages ist Ihr Debattenstil
in anderer. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass
ir gestern im Rechtsausschuss von Ihnen sehr viele lo-
ende Worte über Gesetzesvorhaben gehört haben.
Es ist nämlich so, dass wir im Ausschuss sehr sach-
ich reden, dass wir nicht alles übernehmen, was die Re-
ierung sagt, sondern es wird verbessert, es finden An-
örungen statt, es sind langwierige Verfahren. Das haben
ie gestern ausdrücklich gelobt. Dies hätte heute auch
inmal gesagt werden können.
Ich will einige grundsätzliche Ausführungen machen.
ir als Parlament sind selbstbewusst genug, um zu sa-
en, dass wir eine bestimmte Verantwortung haben und
icht der Gesetzgebungsvollstrecker der Bundesregie-
ung sind. In einer parlamentarischen Demokratie sind
ir, das Parlament, der Chef. Das ist die Normalität. Ich
abe das gerade gesagt. Wie oft werden Gesetzesvor-
chläge der Regierung nach Anhörungen und nach einer
estimmten Zeit – das geht alles sehr rechtsstaatlich und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7263
)
)
Andreas Schmidt
sehr gründlich vor sich – gemeinsam verändert und dann
hier beschlossen? Es gilt auch bei uns der Grundsatz:
Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Jetzt möchte ich etwas zu der Verfassungsmäßigkeit
von Gesetzen sagen. Sie haben schon oft behauptet, ein
Gesetz sei verfassungswidrig, und das Bundesverfas-
sungsgericht war anderer Meinung als Sie. Das Problem
ist, dass wir hier in einem Bereich arbeiten, der nicht zu
den Naturwissenschaften gehört. In den Naturwissen-
schaften können Sie etwas unter ein Mikroskop legen
und sagen: So ist das. – Bei der Frage der Verfassungs-
mäßigkeit ist das etwas schwieriger.
Es hängt oft von der Meinung ab, ob etwas als verfas-
sungswidrig betrachtet wird. Deswegen möchte ich et-
was zum Verfassungsgefüge sagen. Ich beteilige mich
nicht an der Kritik des Bundespräsidenten. Das sollten
wir nicht tun. Dennoch darf man etwas zum Verfas-
sungsgefüge sagen. Wir bilden uns im Parlament eine
Meinung darüber, ob etwas verfassungswidrig oder nicht
verfassungswidrig ist. Sie können anderer Auffassung
sein. Die Mehrheit bildet sich ihre Auffassung und
bringt ein Gesetz mit der Mehrheit durch. Der Bundes-
präsident kann die Unterschrift verweigern. Das ist sein
gutes Recht und das haben wir zu akzeptieren. Damit ist
aber nicht festgestellt, ob das Gesetz verfassungswidrig
ist.
Auch das ist richtig. Dem wird auch der Bundespräsi-
dent nicht widersprechen. Ob etwas verfassungswidrig
ist, kann nur durch das Bundesverfassungsgericht festge-
stellt werden.
Das Problem ist, dass ein Gesetz, das der Bundespräsi-
dent nicht unterschreibt, gar nicht überprüft werden
kann. Das bedingt diese Entscheidung zwangsläufig.
Das darf man bei allem Respekt hier sagen.
Ich glaube, dass wir in Deutschland insgesamt das
Problem haben, dass wir zu viele Gesetze machen. Da-
rüber sollten wir einmal sprechen. Wir glauben, dass wir
alle Lebensbereiche gesetzlich regeln müssen. Darüber
müssen wir einmal grundsätzlich sprechen. Ich will auch
davor warnen, in die Falle zu geraten, dass wir zu einem
Reflexgesetzgeber werden. Immer wenn etwas in
Deutschland passiert, erfolgt sofort der Ruf nach dem
Gesetzgeber. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht
von den Medien instrumentalisieren lassen. Auch das ist
ein wichtiger Punkt, was unser Selbstverständnis angeht.
Ich will die Beispiele nennen: Auch mir hat die Einstel-
lung des Verfahrens im Mannesmann-Prozess nicht ge-
fallen. Sofort kam der Ruf nach dem Gesetzgeber und es
wurde gefordert, die Strafprozessordnung müsse geän-
dert werden. Im Fall des Schiedsrichters Hoyzer, der be-
trogen hat, sagte irgendein Staatsanwalt, dass der Tatbe-
stand des Betrugs nicht erfüllt sei. Schon gibt es
Kollegen, die fordern, den § 263 StGB zu ändern. Wenn
wir immer nur reflexartig handeln, werden wir dem Ho-
hen Haus keinen guten Dienst erweisen.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ass sich der Kollege Schmidt bemühte, ein Stück weit
bzulenken und abzuwiegeln, war zu erwarten. Sie kom-
en aber nicht daran vorbei, dass es noch nie eine so
indrucksvolle Kette von Fehlleistungen gegeben hat
ie die, die hier von der Kollegin Leutheusser-Schnar-
enberger aufgezählt worden ist.
Schauen Sie nach, Herr Kollege, wie oft in der Nach-
riegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland der
undespräsident in vergleichbaren Fällen interveniert
at.
ann merken Sie, was hier eigentlich los ist. Gegen ei-
es, was ich beim Kollegen Schmidt herausgehört habe,
ill ich mich ausdrücklich zur Wehr setzen. Er verfährt
ffenbar nach dem Motto: Wir machen jetzt einmal Ge-
etze und dann wird sich in einem offenen Prozess beim
undesverfassungsgericht oder beim Präsidenten schon
erausstellen, ob sie nun verfassungswidrig sind oder
icht.
o habe ich die Rolle des Parlaments bisher nicht inter-
retiert. Es darf nicht den permanenten Versuch unter-
ehmen herauszufinden, ob die Gesetze, die es be-
chließt, verfassungswidrig sind oder nicht.
Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass neulich in der
ebatte über den Entwurf des Justizmodernisierungsge-
etzes der Sprecher der SPD auf die Feststellung der
ollegin von der FDP, dieser sei gegen die Rechtspre-
hung des Bundesverfassungsgerichts gerichtet, gesagt
at: Die haben auch nicht immer Recht. Der Gesetzgeber
7264 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Ulrich Maurer
muss die Richter veranlassen, ihre Rechtsprechung zu
ändern, indem man ein Gesetz macht, das gegen das,
was die Richter bisher immer beschlossen haben, gerich-
tet ist. – Das ist eine Art von spielerischem Umgang mit
der Verfassungsmäßigkeit, die wir nicht akzeptieren
können. In diesem Bereich darf es keinen spielerischen
Umgang geben.
Man kann ja über die Frage rätseln, wie so etwas zu-
stande kommt. Ich glaube, dass es etwas mit den Gesetz-
mäßigkeiten der großen Koalition zu tun hat. Bei vertief-
tem Nachdenken kommt man darauf.
Erstens haben Sie einen bestimmten Machtrausch; das
ist jedenfalls unser Eindruck. Ihre übergroße Mehrheit
führt offensichtlich dazu, dass Sie zum einen – der Kol-
lege Gysi hat heute Morgen darauf hingewiesen – in
Ruhe permanent gegen die Mehrheit der Bevölkerung
entscheiden können. Das wird uns irgendwann in eine
Krise der repräsentativen Demokratie führen. Zum ande-
ren haben Sie offensichtlich im Hinterkopf, dass Sie sich
bei einer so großen Mehrheit, durch die auch die Opposi-
tionsrechte, etwa beim Thema Normenkontrolle, sehr
eingeschränkt sind, noch mehr leisten können. Das ist
eine Art doppelte Ignoranz.
Zweitens ist es bei Ihnen, glaube ich, so, dass Sie,
wenn Sie sich in der großen Koalition unter großen Mü-
hen, unter Berücksichtigung machtpolitischer Erwägun-
gen, unter wechselseitiger Gesichtswahrung, auf irgend-
etwas geeinigt haben, dann so angestrengt waren, dass
Sie auf das weitere parlamentarische Verfahren keine
große Lust mehr hatten. Sie müssen einmal überprüfen,
ob das bei Ihnen nicht der Fall ist.
Haben Sie so viel Anstrengendes hinter sich? Sie mei-
nen, wenn alles so schwierig war, dann muss das, was
man gefunden hat, die Wahrheit sein – oder jedenfalls
das Einzige, was machbar ist.
Diese ganzen Vorgänge werfen verschiedene Fragen
auf: erstens – das hat die Kollegin zu Recht gesagt –
nach der Rolle der Ministerien, des Justizministeriums
und des Innenministeriums, die den Gesetzgebungsgang
eigentlich überprüfen müssten. Vielleicht sollten Sie das
Justizministerium immer sofort zu Ihren Koalitionsge-
sprächen auf höchster Ebene hinzuziehen,
damit dessen Überlegungen gleich mit einfließen. Das
wäre durchaus erwägenswert.
Zweitens werfen sie die Frage auf, inwieweit das Par-
lament sozusagen durch den Koalitionsausschuss ersetzt
wird. Wie groß ist Ihr Selbstbewusstsein
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Drittens und letztens; das will ich zum Schluss sehr
eutlich sagen. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in
ie Rolle komme, den Bundespräsidenten gegen An-
riffe aus der großen Koalition verteidigen zu müssen.
ch will Ihnen sagen, was ich zu dem Thema gelesen
abe. Namhafte Leute haben sich zu der Aussage ver-
tiegen, der Bundespräsident solle seine Prüfungskom-
etenz zurücknehmen und nur noch das zurückweisen,
as sozusagen Otto Normalverbraucher vor dem Fernse-
er zu dem Satz „Oh, das ist ja verfassungswidrig!“
eranlasst. Die Ermahnungen, die erfolgt sind, sind gera-
ezu dazu geeignet, eine institutionelle Krise heraufzu-
eschwören.
Ja, natürlich! Passen Sie einmal auf: Ich kenne meine
andsleute ganz gut. Sie sind ziemlich nachhaltig, man
önnte auch sagen: stur, wenn man ihnen auf diese Art
nd Weise kommt. Das kann man dem Herrn Bundesprä-
identen nur empfehlen. Wollen Sie ihn im Ernst jetzt je-
es Mal, wenn es Ihnen nicht passt, öffentlich zur Ord-
ung rufen? Was meinen Sie, wie das in der
evölkerung ankommt, in der das Urteil – oder Vorur-
eil; wie Sie wollen –, „die da oben“ machten sowieso,
as sie wollen, verbreitet ist, wenn die Menschen nun
uch noch die Erfahrung machen, dass „die da oben“
uch gegenüber dem Bundespräsidenten machen, was
ie wollen?
as glauben Sie, was das in einer Demokratie auslöst?
Deswegen kann ich Ihnen nur raten: keine lauten
öne mehr! Gehen Sie in diesem Punkt in sich; Sie er-
eisen uns dann allen einen Dienst!
Für die Bundesregierung erteile ich nun dem Parla-
entarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das
ort.
A
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
en! In politischer Hinsicht verstehen wir, dass die FDP
ben, durch Frau Leutheusser-Schnarrenberger sehr ein-
rucksvoll dargestellt, die apokalyptischen Reiter des
emokratischen Antichristen hat galoppieren lassen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7265
)
)
Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
Ich höre den Hufschlag immer noch. Mehr allerdings ha-
ben Sie auch nicht zu bieten. Sie tragen sozusagen die
Schminke Ihrer eigenen Unfähigkeit sehr dick auf.
Lassen Sie mich zwei Bemerkungen vorausschicken.
Erste Bemerkung. Sie haben eben das Verbraucherinfor-
mationsgesetz angeführt. Ich glaube, Frau Leutheusser-
Schnarrenberger, dieses Gesetz ist denkbar ungeeignet,
der Koalition eine Missachtung rechtstaatlicher Regeln
vorzuwerfen.
Denn die Oppositionsparteien haben zwar gegen das Ge-
setz gestimmt. Aber die verfassungsrechtlichen Ein-
wände, die aus dem Bundespräsidialamt gekommen
sind, sind auch von Ihnen, der Opposition, damals bei
den Beratungen des Gesetzentwurfs nicht artikuliert
worden. Wir alle sitzen also in einem Boot. Wenn Sie
uns auf die Nase hauen, dann sollten Sie sich auch an die
eigene Nase fassen.
Zweite Bemerkung. Es ist für uns sicherlich nicht er-
freulich, dass der Bundespräsident in kurzer Zeit zwei
Gesetze nicht ausgefertigt hat. Aber im Gegensatz zu
denjenigen, die den Parlamentarismus erst in den letzten
sechs Jahren oder vielleicht noch gar nicht entdeckt ha-
ben, weiß ich, dass solche Vorkommnisse wie die Nicht-
ausfertigung eines Gesetzes in der Geschichte der Bun-
desrepublik Deutschland schon immer vorgekommen
sind.
Ich darf auch darauf hinweisen, dass in dieser Legis-
laturperiode eine Vielzahl von Gesetzen verabschiedet
worden sind.
– Seien Sie einmal ganz ruhig. Sie sollten lieber an Ihre
eigene Zeit im Justizministerium denken.
– Sie haben Ihre eigene Ministerin damals dazu getrie-
ben, zurückzutreten. Seien Sie also ganz ruhig.
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Ihr pennälerhaftes Gelächter zeigt mir, dass ich mit
einer Einschätzung genau richtig liege.
Die Bundesregierung und hier insbesondere die Ver-
assungsressorts brauchen sich ihrer Arbeit nicht zu
chämen. Sie prüfen alle Entwürfe in rechtsförmlicher
nd verfassungsmäßiger Hinsicht.
ass diese Prüfung nicht selten unter erheblichem Zeit-
ruck erfolgen muss, haben diese Ressorts am wenigsten
u verantworten. Es ist auch nichts wirklich Neues.
Jede Partei, die einmal Regierungsverantwortung ge-
ragen hat, weiß aus eigener Erfahrung, dass die Kom-
romissfindung innerhalb einer Koalition infolge des
rucks von Interessenverbänden und Medien und nicht
uletzt auch der Entscheidungsweg im Parlament selbst
nter erheblichem Zeitdruck stehen.
ass es den Verfassungsressorts trotzdem gelingt, be-
enkliche Passagen fast immer rechtzeitig zu identifizie-
en und auch dann zu entschärfen, wenn dafür politische
ompromisse, für die nicht selten die Opposition verant-
ortlich zeichnet, neu justiert werden müssen, ist eine
eistung, die auch im heutigen Kontext nicht übersehen
erden sollte.
Selbst wenn man von solchen äußerlichen Erschwer-
issen der Prüfung einmal absieht, bleibt eines unbe-
treitbar: Auch Verfassungsfragen sind Rechtsfragen.
ber Rechtsfragen kann man sehr schnell geteilter Mei-
ung sein und trefflich streiten. Selbst vor dem Bundes-
erfassungsgericht gibt es Überraschungen. Denn selten
ibt es dort einstimmige Entscheidungen. Häufig können
ie Verfassungsrichter, die eine abweichende Meinung
ertreten, mit beachtlichen Argumenten aufwarten.
Wer in einer juristischen Auseinandersetzung unter-
iegt, muss sich deshalb nicht automatisch vorwerfen
assen, er habe fehlerhaft gearbeitet. Viele von uns, die
n juristischen Berufen tätig sind oder waren, haben das
m eigenen Leibe erfahren. Man sollte das auch in der
eutigen Diskussion nicht vergessen.
7266 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Schon
immer war der Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ein
beliebtes und gängiges Mittel in der Auseinanderset-
zung. Studenten, die keine schlüssige Antwort auf Pro-
bleme haben, nutzen diesen Begriff oft als Totschlagar-
gument und sonnen sich dann in ihrer Größe. In der
Politik – ich will niemanden besonders ansprechen –
scheint mir das nicht anders zu sein.
Selten führt eine inflationäre Verwendung des Begrif-
fes der Verfassungswidrigkeit zu Gutem. Ganz im Ge-
genteil: Ich könnte mir vorstellen, dass diese inflationäre
Verwendung des Begriffes der Verfassungswidrigkeit
auch diejenigen, die es angeht, desensibilisieren kann.
– Ach wissen Sie, Herr Kollege, ich bin schon dankbar
dafür, dass Sie sich ab und zu einmal zu Wort melden.
Seit Sie wieder im Deutschen Bundestag sind, habe ich
nämlich noch nichts von Ihnen gehört. Das ist heute
richtig erfreulich.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Wenn Sie
ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit in Ihr politisches Den-
ken bringen würden,
könnte diese Aktuelle Stunde vielleicht dazu führen,
dass wir uns, so wie es Herr Schmidt angeboten hat – ich
greife dies dankbar auf –, in aller Ruhe und sehr intensiv
über die Frage unterhalten, wie wir gemeinsam zu noch
besseren Gesetzen kommen können, als wir sie heute
schon haben.
Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Über
das Thema der heutigen Aktuellen Stunde hat das
Deutschlandradio vorgestern früh einen Vorbericht ge-
sendet und dabei das Verhalten der Bundesregierung und
der großen Koalition mit einem Zitat aus einem Western
von Clint Eastwood zusammengefasst. Dieses Zitat will
ich Ihnen nicht vorenthalten. Es lautet: „Ich reite in die
Stadt und der Rest findet sich.“
Diese Haltung ist für die FDP zu Recht Anlass für diese
Aktuelle Stunde; wir kritisieren sie ebenso.
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Ich sage Ihnen: Wenn sich der Kollege Olaf Scholz
eute in der „Westfälischen Rundschau“ zu dem Thema
nserer Aktuellen Stunde mit dem Satz zitieren lässt: „Er
eint, ‚eine etwas lässigere Haltung’ würde dem
echtsstaat helfen“,
ann trifft er das Problem bzw. den Nagel auf den Kopf.
arüber müssen wir uns unterhalten.
Den Beispielen, die von Frau Kollegin Leutheusser-
chnarrenberger umfassend dargestellt worden sind, will
ch keine weiteren hinzufügen; fast alle wichtigen sind
ngesprochen worden. Einige wenige will ich aber auf-
reifen und analysieren. Beim Verbraucherinformations-
esetz hatten wir folgendes Problem: In der Föderalis-
usreform hat die große Koalition das Grundgesetz
eändert; den Kommunen dürfen keine Aufgaben mehr
ugewiesen werden. Sie haben aber im Verbraucherin-
ormationsgesetz den Kommunen Aufgaben zugewie-
en.
Aber selbstverständlich.
ie hätten vom September bis heute die Möglichkeit ge-
abt, den Fehler, der aufgetreten ist, ganz leicht zu korri-
ieren, indem Sie in einem kurzen Änderungsgesetz die
uweisungen an „die Kommunen“ in Zuweisungen an
die zuständigen Stellen“ umgewandelt hätten.
Wir werfen Ihnen vor, dass Sie, so stur und selbstzu-
rieden, wie Sie sind, monatelang im Nichtstun verhar-
en und dann, wenn der Bundespräsident sagt, so gehe es
icht, er stoppe dieses Gesetz, an ihm herummeckern,
tatt in sich zu gehen. Genau dies hat Ihnen der Kollege
iefelspütz ins Stammbuch geschrieben.
Dieser Poltergeist der Innenpolitik hat sich zu dem
hema der heutigen Aktuellen Stunde so geäußert: Es ist
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7267
)
)
Jerzy Montag
Zeit, dass die große Koalition Selbstkritik übt und ein-
mal in sich geht.
Das bezog er auf genau die Themen, die wir jetzt hier
besprechen. Wenn schon der Kollege Wiefelspütz das
sagt, meine Damen und Herren, dann sollten Sie das tat-
sächlich beherzigen.
Beim Gesundheitsschutz, beim Nichtraucherschutz
haben wir das gleiche Problem. Natürlich ist jedem klar:
Gaststättenrecht ist Landesrecht und der Gesundheits-
schutz fällt unter das Bundesrecht. Die Bundesregierung
und die große Koalition insgesamt hätten Monate Zeit
gehabt, in dieser Diskussion, die für Hunderttausende
von Menschen wichtig ist, eine Position zu beziehen.
Aber Sie haben monatelang geschwiegen, die Debatte
laufen lassen und, als die Angelegenheit fast vor dem
Vollzug war, den Karren vor die Wand fahren lassen.
Das ist es, was man Ihnen vorwerfen muss.
Ich könnte auch aus der fachpolitischen Diskussion
des Rechtsausschusses und der Rechtspolitik zu dem
Thema dieser Aktuellen Stunde viele Beispiele anfüh-
ren; ich will aber nur ein einziges bringen. Beim Stal-
king hat es die Bundesregierung geschafft, innerhalb von
wenigen Wochen bestimmte gesetzliche Formulierungen
als verfassungsrechtlich höchst bedenklich zu bezeich-
nen, die auf durchgreifende Bedenken stoßen müssten,
um dann sechs Wochen später zu dem gleichen Sachver-
halt zu sagen: Es gibt null verfassungsrechtliche Beden-
ken; alles ist in Ordnung. Ein solches Hin und Her habe
ich in den vier Jahren, in denen ich im Bundestag bin,
nicht erlebt und niemand, der länger im Bundestag ist,
hat mir berichten können, dass es so etwas schon einmal
gegeben hätte.
Ich komme zum Schluss. Die Dirigentin der Bundes-
regierung hat an Sie die Noten für einen Regierungs-
durchmarsch verteilt. Aber Sie spielen nicht die Musik
der Bundeskanzlerin, sondern völlig dissonante Melo-
dien. Auf der rechten Seite spielen Sie deutsche Weisen;
auf der linken Seite spielen Sie den Blues und das Ganze
gerät zu einer verfassungsrechtlichen Chaos-Combo.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir darüber auch in ei-
ner Aktuellen Stunde diskutieren, damit nämlich klar
wird, dass es mit der Überprüfung von Gesetzen auf ihre
Verfassungsmäßigkeit in der großen Koalition so nicht
weitergeht.
Es ist die letzte Sitzungswoche vor Weihnachten. Sie
bekommen in dieser Frage von der Opposition keine
Weihnachtsgeschenke, sondern ein Jahreszeugnis. Die-
ses lautet ganz eindeutig: Sie können es nicht.
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ir einsehen, dass diese Zahl sehr gering ist und dass
iese Zahl, über die Jahre gesehen, im Wesentlichen
leich geblieben ist. Es stimmt eben nicht, wenn gesagt
ird, dass es in den letzten Monaten oder Jahren einen
ignifikanten Anstieg gegeben hat.
Diese Bilanz spricht – das will ich als Vertreter eines
erfassungsressorts offensiv ansprechen – für die Quali-
ät der Gesetzgebungsarbeit, für die Wirksamkeit der
erfahrensmäßigen Vorkehrungen und auch – das füge
ch ausdrücklich hinzu – für die Professionalität und die
ompetenz der Beamtinnen und Beamten in den betei-
igten Häusern, die oft unter erheblichem Zeitdruck ar-
eiten. Dieser Zeitdruck wird bisweilen auch von uns
olitikern verursacht, sowohl durch die Entscheidungen
er jeweiligen Koalition als auch durch die Opposition,
enn sie sagt, dass eine notwendige Gesetzesmaßnahme
us ihrer Sicht am besten schon vorgestern hätte verab-
chiedet werden sollen. Das müssen wir zur Kenntnis
ehmen, aber auch ansprechen.
Meine Damen und Herren von der FDP, Sie wissen
och selbst, dass die verfassungsrechtliche Prüfung
aufender Gesetzesvorhaben notwendigerweise hoch
7268 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Parl. Staatssekretär Peter Altmaier
komplex ist, häufig von Wertungsfragen abhängig ist
und mit guten Argumenten so oder so entschieden wer-
den kann. Tun Sie doch nicht so, als ob jedes Gesetz, das
vom Bundestag verabschiedet wird, ein Etikett trägt, auf
dem „verfassungsrechtlich unbedenklich“ oder „eindeu-
tig verfassungswidrig“ steht. Das ist eine Unterstellung,
die mit der Praxis nichts zu tun hat.
Sie wissen doch genauso gut wie ich – jedenfalls die
Experten unter Ihnen, die im Rechtsausschuss tätig wa-
ren oder sind –, dass Sie häufig zu ein und demselben
Gesetzgebungsvorhaben genauso viele befürwortende
wie ablehnende Gutachten von herausragenden Verfas-
sungsjuristen beibringen können.
Dass der politische Meinungskampf über die Frage, wel-
ches Gesetz gewollt ist, zunehmend mit juristischen
Fachgutachten ausgetragen wird, ist eine Modeerschei-
nung, die wir einmal gemeinsam hinterfragen sollten.
Ich wundere mich bisweilen über die Bandbreite verfas-
sungsrechtlicher Auffassungen, je nachdem, wer der
Auftraggeber für ein bestimmtes Gutachten im politisch-
parlamentarischen Raum ist.
Die verfassungsrechtliche Prüfung vollzieht sich oft-
mals vor dem Hintergrund politischer Debatten, bei de-
nen der Wünschbarkeit einer bestimmten Regelung Vor-
rang vor ihrer verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit
eingeräumt wird.
Das Thema Nichtraucherschutz ist genannt worden.
Dazu kann man stehen, wie man möchte. Wenn uns aber
das Argument entgegengehalten wird, eine politisch ge-
wollte Regelung dürfe nicht an den Ergebnissen der Fö-
deralismusreform scheitern, dann sind selbstverständlich
die Verfassungsressorts der Bundesregierung gefordert.
Dieser Aufgabe werden sie gerecht, auch wenn das nicht
auf allen Seiten des Hauses ausschließlich zur Freude
gereicht.
Vor diesem Hintergrund ist es die wichtigste Aufgabe
der Verfassungsressorts – Justizministerium und Innen-
ministerium –, anerkannte und nachvollziehbare Maß-
stäbe für die Prüfung der Verfassungskonformität aufzu-
stellen. Diese Maßstäbe dürfen nicht von Gesetz zu
Gesetz neu festgelegt werden, sondern müssen generell
gültig sein. Wir müssen uns in allen Fällen von ihnen lei-
ten lassen, unabhängig von der politischen Wünschbar-
keit eines Vorhabens.
Ich meine, immer dann, wenn eine Gesetzesvorlage
verfassungsrechtlich mit guten Argumenten vertretbar
ist, sollten von der Regierung keine Einwände erhoben
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as war der Grund, warum mich der Stil Ihres Vortrags
u Beginn Ihrer Rede – auch wenn man über einzelne
rgumente diskutieren kann –
erührt hat. Ich glaube, dass wir ausgesprochen vorsich-
ig und zurückhaltend damit sein sollten, uns gegenseitig
ach- und verfassungsfremde Motive oder unsachge-
äße Arbeit zu unterstellen.
Erlauben Sie mir bitte noch folgenden Hinweis: Auch
u Zeiten, als die FDP oder die Grünen an Bundesregie-
ungen beteiligt waren, sollen einzelne Gesetze vor dem
undesverfassungsgericht keinen Bestand gehabt haben.
s ist also keine neue Erscheinung, die Sie hier bekla-
en.
Für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die
unktionsfähigkeit unserer verfassungsmäßigen Ord-
ung ist es wichtig, dass sich alle Verfassungsorgane, die
n diesem oder einem späteren Stadium am Zustande-
ommen von Gesetzen beteiligt sind, gegenseitig mit
espekt begegnen. Dies gilt selbstverständlich auch für
ntscheidungen des Bundespräsidenten. Soweit es im
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7269
)
)
Parl. Staatssekretär Peter Altmaier
Laufe dieses Prozesses unterschiedliche Auffassungen
zwischen den beteiligten Verfassungsorganen gibt, sind
wir aufgerufen, gemeinsam alle Anstrengungen zu un-
ternehmen, um eine Lösung zu finden, die vor dem
Grundgesetz und vor dem Bundesverfassungsgericht Be-
stand hat. In den wenigen Fällen, in denen die unter-
schiedlichen Auffassungen durch eine Entscheidung des
Bundespräsidenten oder durch Entscheidungen in einem
bestimmten Verfahrensstadium deutlich werden, sind
wir aufgerufen, schnellstmöglich, nachvollziehbar und
transparent einen neuen überzeugenden Vorschlag zu
machen. Ich bin davon überzeugt, dass uns dies auch im
vorliegenden Fall gelingen wird.
Vielen herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine
Aktuelle Stunde dient dazu, Themen, die die Bevölke-
rung aktuell bewegen, hier im Disput darzustellen und
Meinungen darüber auszutauschen. Herr Staatssekretär
Hartenbach, Ihr Beitrag diente nicht diesem Zweck und
war dieses Hauses nicht würdig.
Herr Staatssekretär Hartenbach, es ist für mich nicht
nachvollziehbar, wie Sie sich hier hinstellen und so tun
können, als sei überhaupt nichts gewesen. Sie vertreten
ein Verfassungsministerium. Sie haben Gesetze auf Ver-
fassungskonformität zu prüfen. Sie aber stellen sich hier-
her, sagen, es sei überhaupt nichts gewesen, und lesen
vor, was man Ihnen aufgeschrieben hat. Dieser Stil ist
dieses Hauses nicht würdig.
Ich darf, damit die Kritik nicht nur von uns kommt,
eine kurze Zeitungspassage vorlesen. Ich könnte viele
Zeitungen dafür nehmen. In der heutigen Ausgabe der
„Stuttgarter Zeitung“ steht:
Die beiden Volksparteien haben im ersten schwarz-
roten Jahr viel Pfusch produziert. Sie schaffen bei
der Gesetzesarbeit nicht weniger schlampig als die
darob zu Recht gescholtene Vorgängerregierung.
Das ist der Stand. Darauf haben Sie hier einzugehen.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben in Ihrer Rede ge-
sagt, dass in der parlamentarischen Demokratie das Par-
lament der Chef ist; das ist richtig. Aber ein Betrieb läuft
nur dann, wenn der Chef seine Arbeit verantwortungs-
voll ausführt und darauf achtet, was er zu tun hat. Mein
Vorwurf an Sie lautet: Das haben Sie nicht getan.
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enn man sich anschaut, welche Themen im Mittel-
unkt der Diskussion stehen, wird deutlich, dass Sie of-
enbar noch nicht verinnerlicht haben, in welchen Berei-
hen Sie Kompetenzen haben und in welchen nicht.
Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, dass
um Beispiel mein Kollege Goldmann in seiner Rede
um Verbraucherinformationsgesetz auf das Problem
ingewiesen hat.
ber daraus wurden Sie nicht schlau. Das zeigt sich jetzt
ei der Gesundheitsreform. Kollege Lanfermann hat des
fteren darauf aufmerksam gemacht, dass auch sie Ver-
assungsbrüche beinhaltet.
ber Sie hören nicht auf uns. Das verstehen wir nicht.
Lassen Sie mich nun auf das SGB XII zu sprechen
ommen. Sie haben den Gemeinden gesagt, dass sie eine
eihnachtsgratifikation zu zahlen haben, zum Beispiel
n die Heimbewohner. Die Gemeinden hingegen weisen
arauf hin, dass Sie das nicht dürfen. In der Neufassung
on Art. 84 des Grundgesetzes heißt es – so haben Sie es
örtlich formuliert –:
7270 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Ernst Burgbacher
Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Ge-
meindeverbänden Aufgaben nicht übertragen wer-
den.
Wir hatten immer angemahnt – das war übrigens ein
wesentlicher Grund, warum wir die Föderalismusreform
abgelehnt haben –, dass das Problem dadurch nicht ge-
löst wird. In genau dieser Situation befinden wir uns
jetzt. Hätten wir das Konnexitätsprinzip in das Grundge-
setz aufgenommen,
könnten Sie diese Aufgaben übertragen; man müsste nur
das Geld zur Verfügung stellen.
Das aber haben Sie nicht gewollt. Die Verfassungskon-
flikte werden jetzt auf dem Rükken derer ausgetragen,
die gehofft haben, die 35 Euro zu bekommen. Nach dem
aktuellen Stand der Diskussion können sie sich dessen
aber nicht mehr sicher sein. Das ist keine solide Politik.
Dagegen wehren wir uns.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einer
Bitte aus dem Gebet eines Pfarrers aus dem Jahre 1864
schließen, das heute allerdings mindestens genauso ak-
tuell ist wie damals – ich zitiere nur zwei Zeilen –:
Lieber Gott und Herr! Gib den Regierenden ein
besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere
Regierung.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Michael Bürsch für
die SPD-Fraktion.
Ich vertrete die bessere Regierung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im An-
schluss an die Ausführungen des Kollegen Schmidt be-
tone ich für die heutige Debatte und für alle künftigen
Debatten dieser Art: Gesetzgebung ist keine Naturwis-
senschaft. Sie folgt nicht den Prinzipien der Mathematik,
liebe FDP.
Gerne trage ich zur Wahrheitsfindung bei – dazu hat
die FDP aufgerufen – und sage etwas zu den rechtsstaat-
lichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Gesetz-
gebungsarbeit. Diese Anforderungen lassen sich sehr
schnell aufzählen. Von Bedeutung sind die folgenden
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Wenn wir jetzt, nach einem Jahr großer Koalition,
ine erste Bilanz ziehen, dann stellen wir fest:
7,8 Prozent der Gesetze, die wir erlassen haben, erfül-
en diese Voraussetzungen. Das Glas ist nicht etwa halb
oll, es ist bis oben voll.
Reden wir also über die 2,2 Prozent, die bleiben. Es
ibt einen übergeordneten Gesichtspunkt, der bei allem
ine Rolle spielt, die Verfassungsmäßigkeit. Ich folge
em Gewohnheitsrecht: Niemand darf diesen Bundes-
räsidenten kritisieren;
arin gibt es Übereinstimmung in diesem Saal. Aber
uch dieser Bundespräsident hat ein Recht auf Irrtum. Es
st ihm wie allen Bundespräsidenten unbenommen, sich
uch einmal zu irren, wie uns als Gesetzgeber auch.
Wer Jura studiert hat, hat schon vor dreißig, vierzig
ahren den Streit darüber mitbekommen – Frau Leut-
eusser-Schnarrenberger, wir haben das während unserer
uristischen Ausbildung erlebt –, welches Prüfungsrecht
er Bundespräsident nach Art. 82 Grundgesetz hat. Wir
aben aus dem Maunz/Dürig und wie sie alle heißen
ber all die Jahre unverändert erfahren: Er hat ein for-
elles Prüfungsrecht; das heißt, er muss nach Art. 82
rüfen, ob ein Gesetz formell ordnungsgemäß zustande
ekommen ist.
ußerdem hat er – das ist Meinung der überwältigenden
ehrheit derer, die sich dazu geäußert haben – ein ein-
eschränktes Recht sowie die Pflicht zu prüfen, ob ein
esetz evident verfassungswidrig ist. Es gibt nach unse-
em Prinzip der Gewaltenteilung, liebe FDP, nur eine In-
tanz, die aufgerufen ist, die Verfassungsmäßigkeit oder
ie Verfassungswidrigkeit festzustellen: das Bundesver-
assungsgericht.
Dieser Bundespräsident ist zu dem Ergebnis gekom-
en, das Verbraucherinformationsgesetz entspreche
icht Art. 84 Grundgesetz. Dieses Gesetz ist aber nach-
eisbar in allen Regierungsinstanzen, die dazu aufgeru-
en waren, im Bundestag und im Bundesrat, geprüft wor-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7271
)
)
Dr. Michael Bürsch
den und man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es
sich nicht um neue Aufgaben handelt.
Man mag diese Auffassung nicht teilen. Wenn es aber
über etwas Streit gibt, ist dieses Gesetz noch lange nicht
evident, auf der Stirn tragend, verfassungswidrig.
Der Bundespräsident hat an dieser Stelle das Recht
auf Irrtum. Er muss aber nicht unbedingt die Unterzeich-
nung eines Gesetzes verweigern, wenn er der Meinung
ist, es sei nicht der Verfassung gemäß. Er kann das auch
wie Johannes Rau elegant machen und sagen: Ich unter-
zeichne es, aber ich gebe euch den zarten Hinweis, das
Verfassungsgericht möge es noch einmal überprüfen.
Ich will aus diesem Anlass einen weiteren Hinweis
geben – das ist aus meiner Sicht in der Kommentierung
etwas zu kurz gekommen –: Das Gesetz zur Privatisie-
rung der Flugsicherung hat der Bundespräsident eben-
falls zurückgewiesen. Ich will mich nicht darüber auslas-
sen, ob zu Recht oder zu Unrecht. Ich sehe den
Bundespräsidenten in der Funktion eines Staatsnotars,
der darauf hinweist, ob ein Gesetz ordnungsgemäß zu-
stande gekommen ist oder so evident verfassungswidrig
ist, dass es zurückgenommen werden muss. Das ist bei
diesem Gesetz meiner Ansicht nach auch nicht der Fall.
Dieser Fall wirft aber höchst interessante Fragen für
das Parlament auf, die ich hier gern einmal diskutieren
würde, Herr Schmidt: Welche Aufgaben gehören zu den
Kernaufgaben des Staates? Wie viel von seiner Hoheit
darf der Staat abgeben? Welche Aufgaben soll der Staat
in Zukunft noch übernehmen? Wenn er Aufgaben ab-
gibt: mit welcher Gewährleistung? – Ich bin bekanntlich
ein großer Anhänger der öffentlich-privaten Partner-
schaften. Für mich ist ein Gefängnis eine Einheit, in der
der Staat die Verantwortung für die Sicherheit trägt.
Aber dass diese Dienste von Privaten erbracht werden,
ist kein Verstoß gegen das Gebot, dass der Staat diese
Aufgabe innehat. Diese Fragen sollten wir einmal durch-
diskutieren.
Zum Schluss komme ich zu den Jahreszeugnissen,
Kollege Montag. Ich habe immer gehört: Die Opposition
ist die Regierung von morgen. – Mit platter Polemik, mit
künstlicher Aufgeregtheit und Diffamierung des Gesetz-
gebers ist dieses Ziel noch weit entfernt von euch.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Götzer
für die CDU/CSU-Fraktion.
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Aber ich denke, wir sollten auf dem Boden bleiben.
as sage ich vor allem zu Ihnen, Frau Kollegin Leut-
eusser-Schnarrenberger. Ihre maßlos überzogene Pole-
ik wird diesem Thema ganz gewiss nicht gerecht.
ie haben so getan, als wären die beiden Ausnahmefälle
n dieser Wahlperiode, in denen der Bundespräsident ein
esetz nicht ausgefertigt hat, die Regel. Damit stellen
ie die Dinge auf den Kopf.
iese Koalition hat bei allen Gesetzesvorhaben die Ver-
assung im Blick und nimmt verfassungsrechtliche Be-
enken selbstverständlich immer ernst. Treten verfas-
ungsrechtliche Zweifel auf, dann werden diese geprüft.
ass dabei auch einmal Fehleinschätzungen vorkommen
önnen, bestreitet niemand.
Dass es in der Beurteilung von verfassungsrechtli-
hen Fragen unterschiedliche Meinungen gibt und man
u unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, ist für
uristen, insbesondere für Verfassungsjuristen, weiß Gott
ichts Neues oder gar Ungewöhnliches. Wer das Verfas-
ungsrecht kennt, der weiß, dass es nahezu nichts gibt,
ozu es unter Verfassungsrechtlern nicht unterschiedli-
he Auffassungen gibt und was unstrittig ist.
as gilt übrigens auch für die Frage, ob dem Bundesprä-
identen ein materielles Prüfungsrecht zusteht, was aber
ach herrschender Meinung der Fall ist und von der
taatspraxis anerkannt wird. Aber es gibt, wie gesagt,
ast nichts, was unstrittig ist.
Dass der Bundespräsident in dieser Wahlperiode nun-
ehr bereits zum zweiten Mal ein Gesetz wegen verfas-
ungsrechtlicher Bedenken nicht unterzeichnet hat, ist
edauerlich. Gleichwohl respektieren wir diese Ent-
cheidung. Wir tun dies, obwohl man mit guten Argu-
enten durchaus darüber streiten könnte, ob gerade
eim Verbraucherinformationsgesetz ein Verfassungs-
erstoß seitens des Gesetzgebers vorliegt.
Die betreffende Verfassungsnorm ist erst kürzlich im
ahmen der Föderalismusreform umgestaltet worden.
rt. 84 des Grundgesetzes in seiner neuen Fassung be-
timmt, dass Gemeinden durch Bundesgesetz Aufgaben
icht mehr übertragen werden dürfen. Man kann sehr
7272 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Wolfgang Götzer
wohl der Auffassung sein, dass es sich im vorliegenden
Fall nicht um die Übertragung einer Aufgabe im Sinne
des Art. 84 Grundgesetz handelt.
Es geht nämlich um die Schaffung eines Rechts der Bür-
ger auf Zugang zu einschlägigen Daten von Behörden,
eben auch zu solchen von Gemeinden.
Ob hier also ein Verfassungsverstoß vorliegt, noch dazu
ein so evidenter, der die Ablehnung der Ausfertigung un-
umgänglich macht, daran kann man gut begründete
Zweifel haben.
Bundesregierung und Parlament haben die Rechtslage
geprüft und sind zu einem anderen Ergebnis gekommen
als das Bundespräsidialamt.
– Ja, auch der Bundesrat. Vielen Dank für den Hinweis,
Herr Kollege Stünker. – Wer sagt denn, dass die Rechts-
auffassung des Bundespräsidialamtes die einzig richtige
ist?
Dass wir immer in besonderem Maße die Verfas-
sungsmäßigkeit von Gesetzen im Auge haben, zeigen
die aktuellen Beratungen über ein Nichtraucherschutzge-
setz. Die Unionsfraktion hat die Probleme hinsichtlich
der Zuständigkeit des Bundes für eine umfassende
Nichtraucherschutzregelung klar gesehen und angespro-
chen. Deshalb ist der Vorschlag der damit befassten Ar-
beitsgruppe gestoppt worden, und zwar in einem sehr
frühen Stadium, lange vor den parlamentarischen Bera-
tungen. Was wollen Sie eigentlich mehr? Ich kann Ihnen
versichern: Es wird eine Regelung geben, die mit der
Verfassung im Einklang steht. Dieselbe Vorgabe gilt üb-
rigens auch für die Gesundheitsreform.
Lassen Sie mich abschließend zwei Punkte festhalten:
Erstens. Die Koalitionsfraktionen werden ihre legislative
Arbeit auch in Zukunft sehr ernst nehmen. Zweitens. Für
die verbindliche Klärung der Frage, ob ein Gesetz ver-
fassungswidrig ist, ist einzig das Bundesverfassungsge-
richt zuständig.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion.
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ür diejenigen, die einer Partei angehören, die dort Re-
ierungsverantwortung hat, geboten wäre, eine solche
ritik hier gemäßigter vorzutragen.
Liebe Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger,
chauen wir uns einmal die Entscheidung des Verfas-
ungsgerichts zur Möglichkeit der Telefonüberwachung
n. Es ist nicht so, dass sich nur ein Organ geweigert hat,
twas auszufertigen bzw. zu unterschreiben. Vielmehr
aben Sie verfassungsgerichtlich verbrieft bekommen,
ass das, was Sie getan haben, als Sie mit an der Regie-
ung waren, in einem sehr zentralen Punkt verfassungs-
idrig gewesen ist.
eder, der den Rechtsstaat verkörpern will, muss hier
ufheulen. Ich denke, deswegen steht es uns allen gut an,
ehr vorsichtig Kritik zu üben, die Dinge sehr behutsam
iteinander zu besprechen und nicht polemisch aufei-
ander einzuhauen.
Heute ist in der „Hannoverschen Allgemeinen Zei-
ung“ nachzulesen, dass der Gesetzgebungs- und Bera-
ungsdienst des Niedersächsischen Landtags das geplante
esetz zur Privatisierung der Landeskrankenhäuser in ei-
er Art und Weise verrissen hat, wie es das jedenfalls für
iele Landespolitiker zuvor noch nie gegeben hat.
uch das ist ein Beispiel dafür, dass man sehr ruhig sein
ollte, wenn man woanders Verantwortung übernommen
at und hier sagt, man bewahre die Verfassungsmäßig-
eit bzw. man habe die Weisheit mit Löffeln gefressen.
ch glaube, so geht das nicht.
Herr Kollege Maurer, es hat mich schon erstaunt, dass
er Kollege Nešković neulich im Rahmen der Debatte
ber § 153 a StPO, bei dem es um die Einstellung bei
rfüllung von Auflagen und Weisungen geht, als Bun-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7273
)
)
Dr. Matthias Miersch
desrichter vorgeschlagen hat, bei einer gerichtlichen Ent-
scheidung unter Umständen noch eine Prüfungskompe-
tenz einzuführen, die der Legislative zugerechnet
werden soll. Das halte ich wirklich für Verfassungsunfug
und einen Vorschlag, durch den alles auf den Kopf ge-
stellt würde.
Ich glaube also, dass wir gut beraten sind, zu akzep-
tieren, dass es immer unterschiedliche Auffassungen ge-
ben wird, dass auch die Verfassungsorgane unterschied-
liche Meinungen vertreten. Die Vorredner haben schon
darauf verwiesen, dass man bezüglich der Verfassungs-
mäßigkeit bzw. der Verfassungswidrigkeit unterschiedli-
cher Meinung ist. Ich glaube auch, dass wir es aushalten
müssen, dass ein Bundespräsident so agiert, wie er
agiert.
Das, was der Kollege Schmidt hier vorgetragen hat,
war aus meiner Sicht ein sehr guter Vorschlag.
Wir sollten daran anknüpfen. Als Mitglied der AG Recht
meiner Fraktion kann ich nur sagen: Wir nehmen das
dankend an.
Wir werden uns auch die Frage stellen müssen, wie
wir künftig eine noch bessere Arbeit machen können. An
zwei Punkten will ich ganz konkret werden.
Erstens. Ich glaube, wir müssen uns überlegen – die-
ses Problem ist hier an vielen Stellen vorgetragen wor-
den –, wie wir dem Zeitdruck begegnen. Das bezieht
sich vor allem auf die Umsetzung europäischen Rechts.
Wie oft sind wir in den letzten Monaten aufgrund anhän-
giger Verletzungsverfahren unter enormen Zeitdruck ge-
raten? Ich glaube, wir brauchen hier ein Frühwarnsystem
zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag, so-
dass der Bundestag nicht mehr unter einen solchen Zeit-
druck gerät. Wir müssen überlegen, wie wir das hinbe-
kommen.
Zweitens. Ich glaube, wir sollten uns die Geschäfts-
ordnung einmal sehr aufmerksam anschauen. Als je-
mand, der jetzt seit einem Jahr Mitglied des Bundestages
ist, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass wir in den
Ausschussberatungen oft unter großen Zeitdruck geraten
und federführende und mitberatende Ausschüsse zum
großen Teil parallel beraten. Deshalb sollten wir uns
überlegen, ob wir die Geschäftsordnung nicht dergestalt
ändern, dass der federführende Ausschuss stets mindes-
tens eine Sitzungswoche nach den mitberatenden Aus-
schüssen tagt. Ich glaube, es ist wichtig, dass ein feder-
führender Ausschuss die Voten richtig beraten kann.
Daran haperte es an der einen oder anderen Stelle.
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ber dann fragt man sich, meine Damen und Herren,
arum ausgerechnet dieser Bundesfinanzminister so
iele Menschen dieser beklemmenden Erfahrung aus-
etzt.
Die SPD hatte es in ihren Wahlprospekten ja schön
ufgelistet: 21,8 Millionen Rentner, 1,4 Millionen Pen-
ionäre und Versorgungsempfänger, 1,8 Millionen Be-
mte, 4,7 Millionen Arbeitslose,
Millionen Studenten, 3,8 Millionen Selbstständige –
ie alle zahlen ab Januar nicht nur 2, sondern dank
7274 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Volker Wissing
effektiver Unterstützung durch die SPD sogar 3 Prozent-
punkte mehr beim Einkaufen.
Dabei weiß es die SPD genau: Die Erhöhung der
Mehrwertsteuer ist sozial ungerecht, weil sie vor allem
Familien sowie kleine und mittlere Einkommen massiv
belastet.
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Niebel zu?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Kollege Wissing. – Wir debattie-
ren hier ja über die zu erwartende Mehrwertsteuererhö-
hung im nächsten Jahr, die nicht nur politisch, sondern
vor allem in der Bevölkerung zu vielen Ängsten führt.
Finden Sie es vor diesem Hintergrund angemessen, dass
das Finanzministerium bei dieser Debatte nicht zugegen
ist?
Ich finde das äußerst unangemessen. Es zeigt, dass
sich der sozialdemokratische Finanzminister für die Inte-
ressen der Menschen, denen er in die Tasche greift,
längst nicht mehr interessiert.
So sagt Peer Steinbrück auch: „Wir treten vielen auf
die Füße, aber wir tun dies gleichmäßig.“ Aber wenn ich
bei der SPD bleibe und dies nach ihrer eigenen Darstel-
lung weiterspinne, dann muss man sagen: Mit der Mehr-
wertsteuererhöhung treten Sie Beziehern größerer Ein-
kommen mit der flachen Sohle und denen mit geringen
Einkommen mit der Hacke auf die Füße.
Auch das Deutsche Institut für Wirtschaft gelangt zu
dem Ergebnis, dass die geplante Mehrwertsteuererhö-
hung Nichterwerbstätige wie Arbeitslose und Rentner
besonders belastet. Während Ihre Politik die Bevölke-
rung insgesamt um 0,8 Prozent ihres verfügbaren Ein-
kommens bringt, ist das obere Zehntel mit 0,6, das un-
tere mit knapp 1,4 Prozent dabei.
– Ich hatte es gerade gesagt. Wenn Sie zugehört hätten,
wüssten Sie es. Es ist das Deutsche Institut für Wirt-
schaft.
Wo SPD draufsteht, ist eines jedenfalls nicht mehr
drin, und das ist soziale Gerechtigkeit, meine Damen
und Herren.
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Ich muss Ihnen auch sagen: Was die SPD heute für
anz konkret falsch hält, hält sie morgen für ganz kon-
ret richtig. Ich will Ihnen noch einmal Franz Müntefe-
ing zitieren, weil Sie das ja schon langsam verdrängen:
Wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer erhöhen, also
Produkte und Dienstleistungen spürbar teurer ma-
chen, würde das die Binnennachfrage noch weiter
abwürgen. Das kann niemand ernsthaft wollen.
Deswegen sind wir fest entschlossen, das zu verhin-
dern.
So sieht es also aus, wenn Sie fest entschlossen sind,
twas zu verhindern: Dann zahlen die Bürger nicht
Prozentpunkte mehr, sondern gleich 3 Prozentpunkte.
Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Mehr-
ertsteuer schwächt die Konjunktur. Daran ändert auch
ie Einschätzung von Herrn Finanzminister Steinbrück
ichts, dass es sich nur um eine „leichte Delle“ handeln
ird. Man kann nicht bestreiten, dass das Ganze unter
em Strich Arbeitsplätze kostet und nur eines fördert,
ämlich die Schwarzarbeit.
Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen: Was
st denn eigentlich eine leichte Delle? Sind das 100, sind
s 1 000 oder 100 000 verloren gegangene Arbeits-
lätze? Wir wissen es heute nicht. Fest steht aber: Sie
chwächen unser Land mit einer Steuererhöhung nach
er anderen. Und es wird keinen trösten, der seinen Ar-
eitsplatz verliert, wenn er vom Bundesfinanzminister
rklärt bekommt, dies geschehe nur aufgrund einer klei-
en Delle.
iese leichte Delle wird für viele Menschen einen her-
en und bitteren Einschnitt bedeuten. Finanzpolitik fin-
et nicht im leeren Raum statt. Was wir hier beschließen,
at für die Menschen konkrete Auswirkungen. Das soll-
en wir nicht vergessen.
Es wirkt geradezu grotesk, wenn sich die Bundesre-
ierung im Hinblick auf die größte Steuererhöhung in
er Geschichte unseres Landes mit einer sensationell
iedrigen Nettokreditaufnahme rühmt. Sie greifen den
ürgerinnen und Bürgern schamlos in nicht gekanntem
usmaß in die Taschen und wollen dann auch noch ein
ob für Ihre geringe Nettokreditaufnahme haben. Das
renzt an Lächerlichkeit.
Wenn man bedenkt, dass durch die Mehrwertsteuer-
rhöhung um 3 Prozentpunkte die Ausgaben entspre-
hend steigen, dann ist die Grenze zum Grotesken weit
berschritten. Hätten Sie die im Haushalt verfolgten
iele durch Sparanstrengungen erreicht, dann wäre Ih-
en der Respekt in unserem Land und – davon bin ich
berzeugt – auch des gesamten Hauses sicher gewesen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7275
)
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Dr. Volker Wissing
Aber den Menschen das Geld wegzunehmen und sich
dann dafür zu loben, dass die Kreditaufnahme niedriger
ausfällt, ist ein starkes Stück.
Aber wie der Bundesfinanzminister so schön festgestellt
hat: Man kann sich auch totsparen. Das Finanzministe-
rium ist ja auf der Regierungsbank im Augenblick nicht
vertreten.
Ich sehe aber auch sonst niemanden, der kurz davor
wäre, sich totzusparen. Wenn Sie endlich erkennen wür-
den, dass Sparen für den Staat keine Bedrohung dar-
stellt, sondern dass Einsparungen – das heißt, nicht mehr
Ausgaben, sondern weniger – eine Chance für unser
Land sind, dann würden Sie vielleicht statt von Totspa-
ren von Gesundsparen sprechen und endlich damit an-
fangen.
Die FDP hat die Mehrwertsteuererhöhung von An-
fang an abgelehnt und wir fordern Sie heute auf, diese
Maßnahme auszusetzen. Sie schadet der Konjunktur und
gefährdet Betriebe und Arbeitsplätze in Deutschland.
Genau das haben auch Sie vor den Wahlen verkündet.
Jetzt wollen Sie aber nicht mehr daran erinnert werden.
Ich bin im Übrigen schon gespannt, was Sie den Men-
schen vor der nächsten Bundestagswahl erzählen wer-
den.
Fest steht nur, dass Sie sich nach der nächsten Wahl frei
fühlen werden, das krasse Gegenteil zu tun.
Geld mag vielleicht glücklich machen oder nicht, aber
wenn der Finanzminister unter dem beklemmenden Ge-
fühl leidet, zu wenig zu haben,
dann sollte er ernsthaft sparen, sparen und nochmals spa-
ren, bevor er sich am Geld der Bürgerinnen und Bürger
bedient.
Wir wissen genauso gut wie Sie, dass bei Steuermehr-
einnahmen in Höhe von 19,4 Milliarden Euro in diesem
Jahr und 20,1 Milliarden Euro im nächsten Jahr die
Mehrwertsteuererhöhung nicht notwendig ist.
Sie können auf diese Erhöhung verzichten, ohne sich tot-
zusparen. Sie können vor allen Dingen unserem Land ei-
nes ersparen, nämlich dass das kleine Pflänzchen des
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Sie mit Ihren klugen Zwischenrufen! Ich gehe davon
us, dass sich die SPD weigern wird, das zu tun, wofür
ie gewählt worden sind. Sie haben den Menschen ge-
agt, Sie seien gegen die Mehrwertsteuererhöhung.
ie werden sich heute aller Voraussicht nach weigern,
as zu tun, wofür Sie gewählt wurden. Aber wundern Sie
ich nicht, wenn sich die Menschen in Deutschland dann
eim nächsten Mal weigern, Sie zu wählen.
Nun hat das Wort der Kollege Otto Bernhardt für die
raktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wis-
en, dass die Finanzpolitik der großen Koalition
wei Ziele gleichzeitig anstrebt: erstens die Stärkung der
achstumskräfte der Wirtschaft und zweitens die nach-
altige Sanierung der öffentlichen Finanzen. Wenn man
wei Ziele gleichzeitig anstrebt, weil beide sehr wichtig
ind, dann kann man leider nicht maximieren, sondern
ur optimieren.
Mit einem Drittel der Einnahmen aus der geplanten
ehrwertsteuererhöhung leisten wir einen Beitrag zur
tärkung der Beschäftigung; denn 7 Milliarden Euro
das entspricht etwa den Einnahmen aus einem Mehr-
ertsteuerpunkt – sind für uns ein durchlaufender Pos-
en. Diesen Betrag nehmen wir den Mehrwertsteuerzah-
ern und geben ihn den sozialversicherungspflichtig
eschäftigten. Hier wird netto gegen netto ausgetauscht.
onjunkturpolitisch können Sie diese 7 Milliarden ver-
achlässigen. Aber mit diesem Betrag leisten wir wie ge-
agt einen Beitrag zur Stärkung der Beschäftigung.
as ist eines unserer Ziele.
Die 14 Milliarden Euro aus dem Aufkommen der bei-
en anderen Mehrwertsteuerpunkte sind hälftig für die
anierung der Finanzen der Bundesländer und des Bun-
eshaushalts bestimmt. Dies wird dazu führen, dass die
7276 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Otto Bernhardt
öffentliche Hand im nächsten Jahr 14 Milliarden Euro
weniger Schulden aufnehmen muss. Das bedeutet selbst
bei günstigen Zinssätzen langfristig eine Ersparnis in
Höhe von 500 Millionen Euro im Jahr. Wir machen also
endlich mit dem Schuldenabbau ernst und handeln da-
mit im Interesse zukünftiger Generationen.
Nun gibt es die beiden berühmten Argumente, die Sie
heute wieder gegen eine Mehrwertsteuererhöhung vor-
getragen haben. Diese werden durch Wiederholung nicht
glaubwürdiger. Das eine Argument lautet: Ihr könntet
doch mehr sparen. – Meine Damen und Herren, was hat
diese große Koalition nicht bereits alles an unpopulären
Entscheidungen zum Subventionsabbau durchgesetzt!
Ich erinnere nur an die Abschaffung der Eigenheimzu-
lage und die Kürzung der Pendlerpauschale. Beim Spa-
ren haben wir mehr gemacht als fast alle vorangegange-
nen Regierungen, und das in sehr unpopulären
Bereichen. Das hat die große Koalition durchgestanden.
Wenn Sie 7 Milliarden Euro im Bundeshaushalt einspa-
ren wollen, dann müssen Sie an Positionen wie die
Rente, das Kindergeld oder die Infrastruktur herangehen.
Ich sage sehr deutlich: Dazu sind wir nicht bereit. Mit
uns, der großen Koalition, wird das mit Sicherheit nicht
geschehen.
Das zweite Argument gegen eine Mehrwertsteuerer-
höhung lautet: Die Steuereinnahmen sprudeln. Wir ma-
chen offenbar eine gute Politik und deshalb steigen die
Steuereinnahmen; darauf sind wir stolz. Aber wer die
Zahlen kennt, der wird mir zustimmen, wenn ich sage:
Wir stehen bei der Sanierung der Staatsfinanzen leider
noch ganz am Anfang. Wir werden den ohnehin viel zu
hohen Schuldenberg trotz der sprudelnden Steuereinnah-
men in diesem Jahr um 30 Milliarden Euro und trotz der
Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Jahr um 20 Mil-
liarden Euro neue Schulden erhöhen. Das eigentliche
Ziel der Finanzpolitik muss aber sein – nur so darf man
den Maastrichtvertrag und Art. 115 des Grundgesetzes
interpretieren –, dass man in wirtschaftlich „normalen“
Jahren gar keine neuen Schulden macht, dass die Netto-
neuverschuldung in schlechten Jahren maximal 3 Pro-
zent beträgt und dass man in guten Jahren beginnt
– wenn man die momentane wirtschaftliche Entwick-
lung sieht, dann kommt man zu dem Schluss, dass wir
uns in wirtschaftlich guten Jahren befinden –, Schulden
zurückzuzahlen. Wer vor diesem Hintergrund die spru-
delnden Steuereinnahmen als Argument gegen die ge-
plante Mehrwertsteuererhöhung anführt, der ist entwe-
der nicht bereit – das ist bei vielen so – oder nicht
willens, die Zahlen zu verarbeiten.
Auf dem Weg zur Sanierung der Staatsfinanzen sind
zwei Bundesländer schon deutlich weiter als wir im
Bund. Ich kann den Bayern nur wieder Lob zollen. Sie
haben in diesem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt. Es
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s gibt einige, die weniger haben, aber die Mehrzahl der
änder innerhalb der EU hat eine höhere Mehrwert-
teuer, sodass Sie auch unter diesem Gesichtspunkt nicht
avon reden können, dass wir mit überzogenen Positio-
en arbeiten.
Ich sage sehr deutlich: Wem die Sanierung der öffent-
ichen Haushalte ein ernstes Anliegen ist – der großen
oalition ist es ein ernstes Anliegen; deshalb haben wir
a die vielen unpopulären Entscheidungen getroffen –,
er kommt nicht um die Mehrwertsteuererhöhung he-
um.
Interessant ist, dass die Einstellung von Wissenschaft,
irtschaft und inzwischen auch von weiten Teilen der
evölkerung zur Mehrwertsteuererhöhung eine andere
eworden ist. Es ist richtig, dass zu Beginn manches
issenschaftliche Institut gesagt hat, es bestehe die Ge-
ahr, dass die Konjunktur erschlagen werde. Solche Mel-
ungen gab es vor einem Jahr. Lesen Sie heute einmal
ach! Das Ifo-Institut schreibt schon in der Überschrift:
er Aufschwung ist inzwischen so robust, dass sich die
achfrageseite von der Mehrwertsteuererhöhung nicht
ehr ablenken lässt. – Gott sei Dank! Das ist Ergebnis
nserer Politik.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7277
)
)
Otto Bernhardt
Der Antrag der FDP ist nicht mehr aktuell. Sie müs-
sen sich andere Themen einfallen lassen. Das Thema
Mehrwertsteuererhöhung ist abgehakt.
Wir haben ganz andere Probleme. Ich bin froh, dass die
Bevölkerung und insbesondere die wissenschaftlichen
Institute und die Wirtschaft erkannt haben, dass die Sa-
nierung der Staatsfinanzen etwas ganz Wichtiges ist. Vor
diesem Hintergrund – das wird Sie von der FDP nicht
überraschen – werden wir natürlich Ihren Antrag ableh-
nen. Wir freuen uns, dass die Zustimmung zur Mehr-
wertsteuererhöhung immer größer wird. Sie sollten sich
aktuellere Themen einfallen lassen.
Danke.
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Her-
bert Schui das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Zweck der höheren Mehrwertsteuer soll sein, zu ausge-
glichenen Haushalten zu kommen. Gegen eine Haus-
haltskonsolidierung ist an sich ja gar nichts einzuwen-
den, nur das Mittel taugt nichts.
Die Defizite und die zu niedrigen Steuereinnahmen
sind im Wesentlichen eine Folge der anhaltenden Sen-
kung der Besteuerung von Gewinn- und Vermögens-
einkommen. Als grober Anhaltspunkt kann gelten: Im
Jahre 1960 hat die Steuerbelastung dieser Einkommen in
Westdeutschland 20 Prozent betragen. Bis 1980 ist diese
auf 15 Prozent abgefallen. Im darauf folgenden Jahr-
zehnt, bis zur deutschen Vereinigung, ist sie auf rund
8 Prozent gesunken, und gegenwärtig haben wir gerade
einmal 6 Prozent.
Wie Sie wissen, hat sich das Wachstum des Brutto-
inlandprodukts in derselben Periode verringert. An die-
sem Trend ändert auch das gegenwärtige Wachstum von
2,4 Prozent nichts. Die Investitionskonjunktur wird im
kommenden Jahr abflachen; ebenfalls wird sich das
Wachstum der Exporte verlangsamen. Wen wollen Sie
vor diesem Hintergrund noch davon überzeugen, dass
weniger Gewinnsteuern zu mehr Wachstum und zu mehr
Beschäftigung führen?
Reden Sie sich nicht mit der Globalisierung heraus,
die wie eine biblische Plage über uns gekommen sei.
Vielmehr ist diese Form der Globalisierung das Ergebnis
von Politik.
Gerechtfertigt haben Sie diese Politik mit dem Ver-
sprechen von mehr Wohlstand. Den aber haben wir
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Darauf kommen wir gleich. – Im Jahr 2005 beträgt das
nternehmens- und Vermögenseinkommen vor Steuern
55 Milliarden Euro, 2002 waren es 452 Milliarden
uro; in kurzer Zeit eine Steigerung um 100 Milliarden
uro. Jeder Prozentpunkt mehr Steuern auf dieses Ein-
ommen bringt 5,5 Milliarden Euro. Das ist das Alpha-
et, nach dem soziale Gerechtigkeit und Steuergerech-
igkeit buchstabiert wird.
Glauben Sie denn wirklich, dass Unternehmen mas-
enhaft aus Deutschland flüchten, wenn das Unterneh-
ens- und Vermögenseinkommen um zusätzliche 4 Pro-
entpunkte – das wären 22 Milliarden Euro – besteuert
ürde? Beachten Sie das Beispiel Schweden, das gerne
uch von Ihnen zitiert wird. Dort beträgt die Staatsquote
7,1 Prozent, in Deutschland dagegen sind es 45,7 Pro-
ent. Die schwedische Wirtschaft wächst heuer um real
Prozent, die deutsche um 2,4 Prozent. Im Globalisie-
7278 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Herbert Schui
rungsindex, den „Foreign Policy“ in seiner Dezember-
ausgabe erneut ausgewiesen hat, belegt Schweden den
Rang 19, Deutschland dagegen nur den Rang 41. Schwe-
den ist also international viel mehr eingebunden als
Deutschland. Sein höheres Wachstum und seine niedri-
gere Arbeitslosigkeit stammen nicht von niedrigeren
Löhnen und Gewinnsteuern und nicht von einer geringe-
ren Staatsquote. Wenn aber Schweden noch auf der
Landkarte ist und trotz seiner hohen Einbindung in die
Globalisierung ökonomisch die besseren Erfolge hat,
warum sollen wir in Deutschland nicht dasselbe wagen?
Wandern die Unternehmen einfach ab, wenn sie wie-
der höhere Steuern zahlen müssen? Finanzminister
Steinbrück behauptet das in einem „Spiegel“-Interview.
Ich will mich gerne auf Ihre Überlegungen einlassen.
Die höhere Mehrwertsteuer kostet ein Wachstum von
0,7 bis 1 Prozent. Welcher Wachstumsverlust wäre denn
tatsächlich durch Abwanderung von Unternehmen
eingetreten, wenn Ihr theoretischer Ansatz überhaupt
richtig wäre? Mehr oder weniger als bei einer höheren
Mehrwertsteuer? Haben Sie das je durchgerechnet, be-
vor Sie darangegangen sind, die Mehrwertsteuer zu er-
höhen?
Selbst wenn der Verlust an Wachstum und Arbeitsplät-
zen genauso groß wäre – wenigstens wäre das verfüg-
bare Realeinkommen der Lohnbezieher nicht um die Be-
lastung durch die Mehrwertsteuer gesenkt worden.
Dies ist umso fataler, als beispielsweise die Einkom-
men der Arbeitnehmerhaushalte von 1991 bis 2005 real
um 10 Prozent gesunken sind. Müssen eigentlich immer
die Arbeitnehmer zahlen, wenn die Staatshaushalte kon-
solidiert werden?
Oder haben Sie sich schon einmal durch den Kopf gehen
lassen, dass das vielleicht auch die Aufgabe von
Gewinn- und Vermögenseinkommensbeziehern sein
müsste?
Es bleibt nur ein vernünftiger Weg: Die Mehrwert-
steuererhöhung ist zurückzunehmen. In diesem Punkt
hat die FDP Recht. Allerdings darf der Arbeitsmarkt
nicht weiter dereguliert und der Unternehmeranteil an
der Finanzierung der sozialen Sicherheit nicht weiter ab-
gesenkt werden. Dieser Vorschlag der FDP ist abzuleh-
nen.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ja, ich bin sofort so weit. – Stattdessen sind die Unter-
nehmens- und Vermögenseinkommen wieder höher zu
besteuern, um den Staatshaushalt auszugleichen.
Vielen Dank.
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Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Lydia We-
trich, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
bwohl Sie von der FDP die derzeitige Wirtschaftslage
n Ihrem Antrag so positiv geschildert haben, Herr Wis-
ing, und mit Ihrem Eingeständnis natürlich auch die Po-
itik unserer Koalition loben,
ürfen wir uns keinen Illusionen hingeben. Herr Bern-
ardt hat das schon ausgeführt. Die Finanzpolitik in un-
erem Land steht immer noch vor den größten Heraus-
orderungen der letzten Jahrzehnte.
Wir als Volksvertreter müssen angesichts des sich
ollziehenden demografischen Wandels die Leistungs-
ähigkeit des Staates und der Volkswirtschaft sichern.
as ist unsere Pflicht. Immer mehr alte Menschen wer-
en immer weniger jungen Menschen gegenüberstehen.
as bedeutet, dass wir gemeinsam – das ist eine viel
pannendere Aufgabe, als einen solchen Antrag zu
chreiben – entscheiden müssen, wie und in welchem
mfang wir uns staatliche Tätigkeit in Zukunft noch
eisten können und wollen. Das ist eine ganz wichtige
rage für unser Volk.
Das Ziel der damaligen rot-grünen Bundesregierung
ie auch der jetzigen großen Koalition ist es, auch für
ie künftigen Generationen einigermaßen Wohlstand
nd einen finanziell leistungsfähigen Staat zu sichern,
er auch ihren Kindern und ihren Enkeln gute Lebens-
rundlagen bescheren wird.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Dr. Wissing? – Bitte.
Frau Kollegin Westrich, sind Sie bereit, zur Kenntnis
u nehmen, dass Sie das Ziel, das diese Regierung mit
er Mehrwertsteuererhöhung verfolgt hat, nämlich etwa
9,4 Milliarden Euro mehr einzunehmen, durch den
onjunkturellen Aufschwung bereits ohne Mehrwert-
teuererhöhung erreicht haben und damit die Mehrwert-
teuererhöhung nach Ihrer eigenen Logik überflüssig ist?
ind Sie ebenfalls bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7279
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)
Dr. Volker Wissing
ich in meinen Ausführungen vorhin gesagt habe, dass
die leichte konjunkturelle Belebung in Deutschland
Folge eines weltweiten konjunkturellen Aufschwungs
ist? Sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
Deutschland von diesem weltweiten konjunkturellen
Aufschwung unterdurchschnittlich profitiert und es in-
folgedessen nicht logisch ist, die Belebung den Erfolgen
und der Arbeit der Bundesregierung zuzuschreiben?
Das ist ganz einfach: Unsere Reformen haben mit
dazu beigetragen, dass die Wirtschaft in Deutschland
zurzeit so floriert
und dass die Zuversicht überall wächst. Ich denke, dass
unsere Arbeit die richtigen Grundlagen dafür schaffen
wird, dass wir in Deutschland an der prosperierenden
Wirtschaft in Europa und der Welt teilhaben können. –
Jetzt habe ich Ihre letzte Frage vergessen; wahrschein-
lich waren es zu viele.
– Herr Kollege, wenn Sie mir weiter zuhören, werden
Sie das, was Sie wissen wollen, noch erfahren. Sie müs-
sen nur jeden Tag die Zeitung aufschlagen, um etwas
ganz anderes zu lesen als das, was Sie hier dargestellt
haben. Wahrscheinlich sind die Verfasser dieser Zei-
tungsartikel mindestens genauso schlau, wie die FDP
meint, beim Schreiben ihres Antrags gewesen zu sein.
Sie haben in Ihrem Antrag die Frage nicht beantwor-
tet, wie Sie die Lebensgrundlagen für unsere Kinder und
Enkel sichern wollen.
Um diese Lebensgrundlagen zu sichern, haben wir in
den letzten Jahren eine Reihe von Reformen eingeleitet
und durchgeführt, die jetzt ihre Wirkung zeigen. An
diese Reformen, die Sie in Ihrem Antrag beschrieben ha-
ben, haben Sie sich in Ihrer langen Regierungszeit nicht
ansatzweise herangetraut. Das muss man einmal ganz
deutlich sagen.
Das Ergebnis unserer Reformen ist: Die Bundesagen-
tur für Arbeit zahlt Geld zurück, anstatt abzukassieren.
Die Kommunen können wieder durchatmen. Für uns So-
zialdemokraten – für die FDP vielleicht weniger – ist
ganz wichtig, dass die Zahl der sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt. Die Steu-
erquote wird selbst mit der Mehrwertsteuererhöhung un-
ter dem Durchschnitt der europäischen Staaten liegen.
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Entweder ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt ein
ichtiges Instrument für die kontinuierliche Weiterent-
icklung unseres Landes, für eine harte Währung und
ür eine prosperierende Wirtschaft – dann müssen wir al-
es dafür tun, die Einhaltung der in ihm festgelegten Be-
ingungen nachhaltig zu sichern, wie wir das jetzt mit
er Erhöhung der Mehrwertsteuer tun – oder wir hängen
ie Sie in Ihrem Antrag unser Fähnchen nach dem
ind, egal von welcher Seite er auch weht.
as ich von dem Verantwortungsbewusstsein solcher
olitiker halte, brauche ich wirklich nicht auszuführen.
Ihr Antrag ist – das hat Herr Bernhardt schon gesagt –
ollkommen unnötig; er geht von falschen Prämissen
us. Hätten Sie schon im Mai die Prognosen des Ifo-In-
tituts und die Aussagen der EU-Kommission aufmerk-
am gelesen, dann hätten Sie sich nicht eine solche
ühe mit diesem Antrag machen müssen. Denn die EU-
ommission hat schon im Mai gesagt, dass diese Steuer-
rhöhung dazu beitragen wird, dass Deutschland den
tabilitäts- und Wachstumspakt einhalten kann, ohne die
onjunktur abzuwürgen.
Der Generaldirektor für Wirtschaft und Währung,
laus Regling, hat das damit begründet, dass die Haus-
altskonsolidierung – entgegen Ihren Aussagen – aus-
chließlich auf sinkende Staatsausgaben zurückginge,
ährend die Staatseinnahmen – die Mehrwertsteuererhö-
ung schon eingerechnet – praktisch konstant blieben.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Ulrich zulassen?
Ja.
Bitte schön.
7280 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Liebe Kollegin Westrich, entweder ich oder Sie sind
im falschen Film. Denn Sie sagen heute das Gegenteil
von dem, was Sie noch vor 14 Monaten gesagt haben.
Ich möchte Sie daher fragen: Nehmen Sie zur Kennt-
nis, dass Sie noch im Wahlkampf gegen die Merkel-
Steuer zu Felde gezogen sind? Nehmen Sie zur Kenntnis,
dass Sie persönlich damals genau die Gründe angeführt
haben, die heute die Opposition anbringt? Nehmen Sie
zur Kenntnis, dass wir zwar Exportweltmeister sind, dass
aber unsere Wirtschaft aufgrund der schwachen Binnen-
nachfrage Probleme hat? Glauben Sie nicht auch, dass
die Mehrwertsteuererhöhung kontraproduktiv ist?
Glauben Sie nicht auch, dass Sie ein bisschen Wahlbe-
trug machen, wenn Sie jetzt sagen, dass die Mehrwert-
steuererhöhung richtig ist?
Herr Kollege Ulrich, obwohl wir benachbarte Wahl-
kreise haben, haben wir keinen gemeinsamen Wahl-
kampf gemacht. Für keinen von uns ist also erkennbar,
was der jeweils andere im Wahlkampf gemacht hat.
Ich gebe zu, dass ich mich im Wahlkampf gegen die
Erhöhung der Mehrwertsteuer eingesetzt habe. Ich
bin aber der Meinung, dass die Stabilität unserer Finan-
zen Vorrang haben muss und dass die Mehrwertsteuerer-
höhung keineswegs bedeutet, dass es eine Delle bei der
Konjunktur geben wird. Vielmehr besagen alle Progno-
sen, dass unsere Konjunktur auch im nächsten Jahr gut
laufen wird und dass es eine Steigerung bei den Löhnen
gibt. Damit wird die Mehrwertsteuererhöhung, zumal
der ermäßigte Steuersatz auf Lebensmittel erhalten
bleibt, erträglich sein.
– Ja, dies gilt auch für Rentner und Familien.
Wichtig ist – das muss auch die Linke lernen –, dass
man irgendwann einmal damit beginnt, Schulden, die
man in Zeiten aufgehäuft hat, in denen dies notwendig
war, zurückzuzahlen. Die EU-Kommission hat ausge-
rechnet, dass wir die Staatsausgaben zurückgeführt ha-
ben und dass die Staatseinnahmen im europäischen Ver-
gleich auf einem niedrigen Niveau bleiben werden. Die
Steuer- und Abgabenquote sei in den letzten fünf Jahren,
das heißt während der rot-grünen Regierung und der gro-
ßen Koalition, bezogen auf das BIP, um 3,5 Prozent ge-
sunken und werde 2007 trotz Mehrwertsteuererhöhung
nicht höher sein, während die Ausgabenquote weiterhin
sinken werde. Vor diesem Hintergrund – so sagt die EU-
Kommission – sei die Mehrwertsteuererhöhung ökono-
misch vertretbar.
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ie Bürger wollen einen starken Staat, der jetzt und in
ukunft den Anspruch hat, gleichmäßige Lebensbedin-
ungen für seine Einwohner zu schaffen und zu sichern.
as ist eine Aufgabe, der sich die große Koalition voll
tellt. Ihr Vertrauen, dass das der freie Markt allein durch
och tiefer greifende Deregulierung besser schafft, wird
on den Bürgern kaum geteilt, zumal unsere Manager
urzeit nicht gerade durch ihre Vorbildfunktion glänzen.
Wir, die große Koalition, haben gerade heute wieder
ine der für die Zukunft notwendigen Reformen auf den
eg gebracht. Auch die Unternehmensteuerreform ist
uf einem sehr guten Weg. Das heißt, Sie fordern und
ir tun es bzw. haben es schon lange getan. Sie machen
s sich sehr leicht und betrachten bei Ihrer jetzigen Art,
olitik zu machen, nur den Tag.
as gilt auch für die Linke.
Die große Koalition kann die 1 500 Milliarden Euro
chulden nicht verdrängen, an deren Anhäufung Sie in
ußerordentlichem Maße mitgewirkt haben. Den Glau-
en, dass sich Schulden in Luft auflösen, teilen wohl nur
eltfremde Illusionisten. Das sind Sie, denke ich, nicht.
ch frage Sie, wann Sie den Zeitpunkt für gekommen
alten, die Konsolidierung der Staatsfinanzen endlich
n Angriff zu nehmen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7281
)
)
Lydia Westrich
In einem ungebrochenen Aufwärtstrend, in einer robus-
ten Konjunkturlage oder dann, wenn die nächsten Risi-
ken auf uns zu kommen und wir Schuldenaufbau statt
Schuldenabbau betreiben müssen? Sie müssten doch
wissen, wie es Ihnen ergangen ist.
Daraus schließe ich – ich wiederhole es –, dass Ihr In-
teresse an den Zukunftschancen unserer Kinder traurig
unterentwickelt ist.
Ich weiß, dass Sie eigene Sparvorschläge unterbreitet
haben.
Die Vorschläge der Damen und Herren von der Linken
hinsichtlich anderer Steuererhöhungen haben wir jetzt
wieder gehört. Sie machen sich erfolglose Illusionen,
was Sie damit alles finanzieren können. Sie müssten
vielleicht einfach einmal mit Ihrem Finanzbeamten da-
rüber sprechen, wie das im Endeffekt ausgeht.
Aber wenn Sie von der FDP glauben, dass der sofor-
tige Wegfall der Steinkohlesubvention die Zukunft der
Kinder in den betroffenen Regionen nachhaltig verbes-
sern wird,
dann sind Sie wirklich auf dem Holzweg. Dazu kommt
noch: Ein verschuldeter Staat – weil Sie es uns nicht er-
lauben, Schulden abzubauen – kann bei der Umstruktu-
rierung nicht helfen. Die Forderung nach Wegfall der
Steinkohlesubvention ist einfach ein Mantra, das Sie
ständig vortragen, das Sie aber meiner Ansicht nach ei-
gentlich kaum ernsthaft meinen.
Ich verstehe nicht, wie Sie in Ihrem Antrag behaupten
können, dass Sie mit dem Verzicht auf die Mehrwert-
steuererhöhung zu einer Lösung der Lohnkostenproble-
matik beitragen können. Arbeit gibt es in Deutschland ja
sicher genug. Die Menschen wollen aber, unbescheiden
wie sie sind, von ihrer Arbeit leben können.
Frau Westrich, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja. – Lohnkosten sind die Summe aller Löhne, die Ar-
beitgeber an Arbeitnehmer zahlen. Was bedeutet das
Wort „Problematik“ im Zusammenhang mit Lohnkos-
ten? Die Löhne haben sich die Arbeitnehmer doch ver-
dient. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie meinen,
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iehen Sie diesen Antrag lieber zurück, –
Frau Westrich!
–, damit Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz in den
ugen der Öffentlichkeit nicht weiter leidet.
Jetzt hat das Wort Christine Scheel für Bündnis 90/
ie Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
err Dr. Wissing, ich kann es Ihnen nicht ersparen:
enn Sie ehrlich und nicht so scheinheilig wären, wie
as in Ihrem Redebeitrag wieder zum Ausdruck kam,
üssten Sie zugeben, dass die Länder – darauf hat Herr
ernhardt zu Recht hingewiesen – von dieser Mehrwert-
teuererhöhung mit 7 Milliarden Euro profitieren, dass
ie Regierungen, an denen die FDP beteiligt ist, bereits
m Frühjahr dieses Jahres die Einnahmen aus dieser
ehrwertsteuererhöhung in ihren Haushaltsberatungen
erücksichtigt und im Bundesrat zugestimmt haben.
Sie können diese Forderung nach Verzicht auf die
ehrwertsteuererhöhung von Ihrer Homepage nehmen.
enn das Jahr ist ja fast vorbei.
Wenn man das realistisch betrachtet, glaube ich, dass
ie Bürgerinnen und Bürger weder daran glauben noch
s erwarten, dass die große Koalition diese Mehrwert-
teuererhöhung zurücknimmt oder kurzfristig aufgibt.
ie Bürger verhalten sich in dieser Beziehung sehr re-
listisch. Sie ziehen Anschaffungen teilweise einfach
or; wir sehen, dass das Weihnachtsgeschäft brummt.
7282 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Christine Scheel
Die Konjunktur läuft. Es ist richtig, dass man im
Frühjahr mit Blick auf diese Mehrwertsteuererhöhung
größere Befürchtungen vonseiten der Wirtschaftsver-
bände und der Institute gehabt hat, dass man aber jetzt
sagt, dass die Mehrwertsteuererhöhung keinen erheb-
lichen Konjunktureinbruch bewirken wird. Es werde
zwar eine Delle geben; danach setze aber eine Versteti-
gung ein.
Dennoch ist es natürlich so – da gebe ich Ihnen wie-
der Recht –, dass die Mehrwertsteuererhöhung für die
Bezieher kleinerer Einkommen und viele Konsumenten
ein Problem darstellt. Denn die Leute haben ja ab dem
nächsten Jahr nicht nur die Mehrwertsteuererhöhung mit
3 Prozentpunkten zu tragen; vielmehr steigt auch die
Versicherungsteuer – sie ist damit gekoppelt – um
3 Prozentpunkte. Dazu kommt, dass bis zum
20. Kilometer die Pendlerpauschale entfällt, der Sparer-
freibetrag halbiert wird und das Benzin wohl teurer wird,
weil der durch die Mehrwertsteuererhöhung und andere
steuerliche Veränderungen erhöhte Mineralölsteueranteil
zu einer Anhebung von ungefähr 5 Cent führt. Dies wird
das Problem des Tanktourismus, das wir beispielsweise
in Bayern sehr stark haben, verschärfen. Diese Probleme
darf man nicht unter den Tisch kehren; vielmehr muss
man sie benennen.
Es ist schade – das muss ich wirklich sagen –, dass
die große Koalition, wenn sie schon eine Mehrwertsteu-
ererhöhung macht, die Chance nicht genutzt hat, die
Sozialversicherungsbeiträge nachhaltig unter 40 Pro-
zent zu senken.
Wir haben Vorschläge dazu unterbreitet. Es ist schade,
dass Sie das nicht gemacht haben; denn das hätte die Be-
schäftigungschancen arbeitsloser Menschen in diesem
Land um einiges verbessert. Wir hätten es richtig gefun-
den, wenn man strukturell zielgenauer vorgegangen
wäre.
Die Kollegin Thea Dückert hat in diesem Zusammen-
hang das so genannte Progressivmodell entwickelt. Man
hätte dieses Modell mit der Erhöhung finanzieren kön-
nen. Gerade für Menschen mit einem Einkommen bis
2 000 Euro hätte man die Sozialversicherungsbeiträge
auf hervorragende Art und Weise senken und damit
gleichzeitig für die Arbeitgeber Anreize setzen können,
insbesondere im unteren Lohnbereich mehr Menschen
einzustellen.
Das wäre der richtige Weg gewesen. Sie sind ihn leider
nicht gegangen. Vielleicht kommt in diesem Jahr ja noch
etwas Positives, was in diese Richtung zielt.
Die Konjunktur brummt
–
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Wir sehen die Notwendigkeit für weitere Struktur-
eformen in den sozialen Sicherungssystemen. Wir ha-
en jetzt zwar einen Konjunkturaufschwung. Wenn man
onseiten des Staates jetzt aber nicht vernünftige Rah-
enbedingungen setzt, besteht die Gefahr, dass es sehr
eicht wieder zu einem Abschwung kommt. In diesem
usammenhang sehen wir deswegen die Notwendigkeit,
ernünftige Reformen durchzuführen.
Diese Reform ist aber nicht vernünftig. Sie ist ein
orso und wird Chaos verursachen. Die Pflegeversiche-
ungsreform ist nicht in Sicht und die Arbeitsmarkt-
eform ist strittig. Die Umstellung auf eine stärkere Steu-
rfinanzierung ist in den Bereichen, wo sie dringend
otwendig wäre, in weiter Ferne.
Frau Kollegin Scheel, der Kollege Schui würde gerne
ine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Bitte.
Sind Sie bereit, die folgende, sehr aktuelle Informa-
ion zur Kenntnis zu nehmen: Um die drohende Infla-
ionsgefahr zu bändigen, steigert die US-Zentralbank
en Zins. Der Zweck ist, das Wachstum etwas zu dros-
eln, damit man den Inflationsgefahren entgeht. Das
ird zur Folge haben, dass das Volumen der deutschen
xporte absinkt, weil die Konjunkturlokomotive USA
benfalls ihre Fahrt verlangsamen wird. Sind Sie bereit,
as zu würdigen und daraus den Schluss zu ziehen, dass
ns eine Verbesserung der Terms of Trade zugunsten von
eutschland nicht weiterhelfen wird, wenn das Wachs-
um unserer Handelspartner nachlässt?
Ich bin bereit, das zu würdigen. Sie haben mich nach
er Weltmarktsituation gefragt und Vergleiche mit dem
ollar angestellt. Dazu will ich sagen: Die Bedeutung
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7283
)
)
Christine Scheel
des Dollars für unseren Wirtschaftsraum ist bei weitem
nicht mehr so groß, wie es beispielsweise vor zehn oder
20 Jahren der Fall war, weil sich unsere Wirtschaftsbe-
ziehungen zu anderen Ländern verändert haben. Die da-
mit verbundenen Risiken wirken sich auf uns, was den
Handel anbelangt, bei weitem nicht mehr so stark aus,
wie es vor vielen Jahren der Fall war.
Da Sie so schön stehen, gebe ich Ihnen noch eine an-
dere Antwort. Sie haben vorhin die konjunkturelle Situa-
tion in Schweden angesprochen.
Dazu möchte ich Ihnen klar sagen: In Schweden finan-
zieren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das
hohe Steueraufkommen. Die Kapitaleinkünfte werden
aufgrund der Tatsache, dass Kapital sehr flüchtig ist, was
die Schweden zu Recht erkannt haben, mit einer sehr ge-
ringen Abgeltungsteuer bedacht.
Ich finde, man kann nicht immer bei bestimmten Län-
dern das herausziehen, was einem gefällt, und alles an-
dere, was dort vonstatten geht, nicht zur Kenntnis neh-
men.
Sie müssen, wenn Sie schon einen Vergleich mit dem
skandinavischen Raum anstellen, auch die andere Seite
der Medaille sehen und nicht immer nur das, was Ihnen
passt.
– Ja, das kann ich mir vorstellen.
Ich wollte noch einmal kurz auf das Stimmenchaos in
der großen Koalition eingehen. Wir sehen: Wenn es um
Steuererhöhungen geht, ist sich die große Koalition sehr
schnell einig. Wenn es darum geht, strukturelle Verände-
rungen vorzunehmen, kommen Sie nur millimeterweise
voran, wenn Sie nicht sogar ein Stück zurückfallen.
Wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung an-
sieht, erkennt man, dass sie nicht wegen, sondern trotz
der großen Koalition so gut ist.
Das muss man in diesem Kontext deutlich sagen. Trotz
Ihrer verkorksten Politik haben Sie der Wirtschaft zum
Glück nicht geschadet. Diese Perspektive sollte man zur
Kenntnis nehmen.
Ich finde, dass die Diskussion, die über die Beteili-
gung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen
am Produktivkapital geführt wird, bei den Tarifpar-
teien anzusiedeln ist.
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ir hätten auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten
önnen. Aber wenn man sie schon macht, dann sollte
an die Mittel sinnvoll verwenden und nicht so, dass sie
ersacken.
ir befürchten, dass das der Fall sein wird.
Danke schön.
Georg Fahrenschon hat als nächster das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Lieber Kollege Wissing, Sie erleben
erade das Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn man
n der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten noch
chnell einen Schaufensterantrag stellt. Im Ergebnis
pringt Ihnen nur noch Die Linke bei, allerdings garniert
it der für Sie mit Sicherheit zielführenden Forderung
ur Erhöhung der Erbschaftsteuer und zur Wiedereinfüh-
ung der Vermögensteuer. Ich gratuliere Ihnen zu diesem
trategischen Zug.
Man kann sich die Mühe machen, nach besonderen
ronzeugen zu suchen. Ich habe einen gefunden. Ich bin
tolz darauf, das Konzept eines ehemaligen Mitbürgers
eines Wahlkreises, des Landkreises München, anzu-
ühren; er ist aktiver Politiker. Er schreibt, dass sich die
aushalte von Bund und Ländern in einem desolaten
ustand befinden:
Die Haushalte sind zu konsolidieren und die Schul-
denberge abzubauen.
r schreibt weiter:
7284 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Georg Fahrenschon
Um diese Ziele zu erreichen, kann unter folgenden
restriktiven Bedingungen eine Mehrwertsteuererhö-
hung herangezogen werden: …
Ich fasse die Bedingungen wie folgt zusammen: Ers-
tens muss es eine Unternehmensteuerreform geben.
Zweitens muss es Subventionskürzungen und Sparmaß-
nahmen geben. Drittens müssen Steuerbegünstigungen
reduziert werden.
All diese Punkte hat die große Koalition abgearbei-
tet. Die Eckpunkte einer Unternehmensteuerreform, die
auf die Bedürfnisse eines internationalen Wettbewerbs
der Steuersysteme eingehen, liegen vor und werden bis
Mitte 2007 in ein Gesetz gegossen.
Wir haben konsequent den Abbau von Subventionen
und Steuervergünstigungen betrieben, sowohl im Bun-
deshaushalt 2006 als auch im Bundeshaushalt 2007. Be-
reits zum 1. Januar 2006 trat das Gesetz zur Abschaffung
der Eigenheimzulage in Kraft. Ebenfalls zum 1. Januar
2006 trat darüber hinaus das Gesetz zur Beschränkung
der Verlustverrechnung im Zusammenhang mit Steuer-
stundungsmodellen in Kraft.
Außerdem trat zum 1. Januar 2006 das Gesetz zum
Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm in Kraft,
mit dem eine ganze Reihe weiterer Ausnahmetatbe-
stände abgeschafft wurde. Dies umfasst die Beseitigung
der Möglichkeit, Mietwohnungen degressiv abzuschrei-
ben für Neufälle, die Streichung der Steuerfreiheit für
Heirats- und Geburtshilfen, die Abschaffung der begrenz-
ten Steuerbefreiung für Abfindungen sowie für Über-
gangsgelder und Übergangsbeihilfen und die Abschaffung
des Sonderausgabenabzugs von Steuerberatungskosten.
Im Übrigen wird ebenfalls mit Wirkung für das Jahr 2006
im Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuerge-
staltungen darauf abgezielt, dass Gestaltungsmissbrauch
und der nicht gerechtfertigten Ausnutzung von Gesetzes-
lücken im Steuerrecht entgegengewirkt wird.
Schlussendlich wurden im Rahmen des Steuerände-
rungsgesetzes 2007 eine Reihe von Abzugspositionen
und weiterer Sonderregelungen mit Wirkung ab dem
1. Januar 2007 eingeschränkt.
Dabei handelt es sich um eine ganze Reihe von Maßnah-
men, durch die wir direkte Steuersubventionen und an-
derweitige steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten abge-
schafft haben.
Letztlich kommen wir, um die öffentlichen Haushalte
zu sanieren und den Schuldenberg abzubauen, allerdings
nicht an einer Mehrwertsteuererhöhung vorbei, die wir
jedoch mit einer gleichzeitigen Senkung des Beitrags zur
Arbeitslosenversicherung um mehr als 2 Prozentpunkte
verbinden. All das ist also ganz im Sinne des soeben von
mir zitierten, in Grünwald, also im Landkreis München,
geborenen Mitglieds des Berliner Abgeordnetenhauses,
Dr. Martin Lindner, seines Zeichens Vorsitzender der
FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
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Der Kollege Lindner hat in seinem Papier mit dem Ti-
el „Steuerpolitische Vorschläge der FDP-Fraktion im
bgeordnetenhaus“ vom 16. Juni 2005, wahrscheinlich
or allem in Kenntnis der dramatischen Lage des Berli-
er Haushalts, das Problem wie folgt auf den Punkt ge-
racht:
Um langfristig die Staatsfinanzen nachhaltig zu
konsolidieren, kommen wir trotz aller Sparanstren-
gungen und Subventionskürzungen
nicht um eine Mehrwertsteuererhöhung herum.
iese Tatsache scheint Ihnen, meine Damen und Herren
er FDP-Bundestagsfraktion, allerdings nicht bewusst
u sein. Daran, dass nur noch drei aufrechte Liberale an-
esend sind,
ird deutlich, wie intensiv Sie diesen Antrag in Wahr-
eit verfolgen.
Sie bleiben unter Ihren Möglichkeiten, wenn Sie eine
iskussion, die wir erst in der letzten Sitzungswoche im
ahmen der Beratungen des Haushalts 2007 sehr aus-
ührlich geführt haben, jetzt aufwärmen. Gulasch wird
eim Aufwärmen besser, eine Debatte, die wir bereits
ehr intensiv durchgekaut haben, aber mit Sicherheit
icht.
brigens geben mittlerweile, nach angemessener Ver-
auungszeit, auch die meisten Wirtschaftsforschungsin-
titute zuversichtlichere Prognosen ab.
Heute Vormittag um 10 Uhr – diese Meldung ist also
ehr aktuell – hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft
eine Wachstumsprognose für das kommende Jahr um
ehr als das Doppelte nach oben korrigiert: Statt
Prozent Wachstum erwartet das IfW für das Jahr 2007
inen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,1 Pro-
ent. Zugegebenermaßen ist die Kieler Prognose damit
m optimistischsten. Andere Institute sind zurückhalten-
er. Allerdings sagt uns der Sachverständigenrat bzw. sa-
en uns die fünf Wirtschaftsweisen ein Wachstum in
öhe von 1,8 Prozent voraus
nd das Ifo-Institut prognostiziert – übrigens auch am
eutigen Tag – immerhin ein Wachstum von 1,9 Prozent.
m Übrigen sind sich alle Konjunkturexperten in einem
unkt einig: Der Wirtschaftsaufschwung ist robust und
eständig und er wird im kommenden Jahr trotz der
ehrwertsteuererhöhung nicht zum Stillstand kommen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7285
)
)
Georg Fahrenschon
Das können Sie nicht vom Tisch wischen.
Ihr Antrag ist daher nicht nur fantasielos, sondern er geht
schlicht und einfach an der Realität vorbei.
Im Interesse der Sache sollte man sich aber auch da-
mit auseinander setzen, was die Damen und Herren von
der FDP-Fraktion unternehmen würden,
wenn sie selbst Verantwortung hätten. Dazu sagen Sie
zweierlei: Erstens würden Sie ein neues Steuersystem
auf den Weg bringen, das sich durch niedrige Steuersätze
auszeichnet und einfach und gerecht ist.
Zweitens sagen Sie, Sie würden sparen.
Niedrige Steuersätze schlagen Sie zwar vor,
zur Gegenfinanzierung äußern Sie sich aber nicht. Auf
den ersten Blick erscheint Ihr Vorschlag, das Steuersys-
tem zu vereinfachen, spannend. Das ist bei unserem
Steuersystem allerdings keine große Schwierigkeit. Ihr
Steuerkonzept ist schlicht und einfach weder gerechter
noch realistischer.
Erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern bitte ein-
mal, wie, wenn man Ihr Steuerkonzept umsetzen würde,
die Entlastung in Höhe von 15 bis 19 Milliarden Euro
gegenfinanziert werden soll. Ich kann nur festhalten: Im
Rahmen des „Liberalen Sparbuchs“, das Sie heute schon
gar nicht mehr dabei haben, haben Sie Einspar- und Um-
schichtungsvorschläge von rund 8,3 Milliarden Euro ge-
macht. Das bedeutet, dass Sie die Hälfte der Gegenfinan-
zierung nicht aufbringen. Daher besteht nicht die
Möglichkeit, Ihre Steuerpolitik umzusetzen.
Abschließend möchte ich gerne noch einmal den Kol-
legen Lindner aus dem Berliner Abgeordnetenhaus zitie-
ren.
Er sagte:
Wenn es nach den drei Bedingungen
– Sie erinnern sich: Unternehmensteuerreform, Subven-
tionskürzungen und Abbau von Steuervergünstigungen –
höheren Finanzbedarf wegen der enormen Haus-
haltsnotlage bei Bund und Ländern sowie des not-
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Er war bei der Rede von Herrn Dr. Wissing anwesend,
ber dann nicht mehr. Ich wollte Sie nur bitten, das aus-
urichten.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wis-
ing zulassen?
Von Herrn Dr. Wissing immer gerne. Sagt er mir jetzt,
o sich der Herr Kollege Niebel aufhält? Das möchte
ch gar nicht wissen.
Frau Kollegin, Sie haben gerade betont, dass die
taatssekretärin des Finanzministeriums seit dem Ende
er Eröffnungsrede der Opposition an der Debatte teil-
immt. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass es, gerade
n Zeiten einer großen Koalition, sinnvoll wäre, dass
chon zu Beginn der Debatte Regierungsvertreter da
ind, um die Meinung der Opposition zur Kenntnis zu
ehmen?
Herr Dr. Wissing, ich denke, dass sich die Frau
taatssekretärin sicherlich in voller Absicht, dieser De-
atte beizuwohnen, aus dem Finanzministerium hierher
egeben hat, völlig unerheblich, ob hier Sie sprechen
der ob hier die Kollegin Scheel von den Grünen oder
er Herr Kollege Schui von der Linken spricht. Da gibt
s keine Wertung, Herr Dr. Wissing. Frau Dr. Hendricks
st da und das sollten Sie bitte Herrn Niebel ausrichten.
Zu Ihrem Antrag fällt mir ein Zitat von Wilhelm
usch ein:
7286 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Gabriele Frechen
Wofür sie besonders schwärmt,
Wenn er wieder aufgewärmt.
Die Witwe Bolte meinte damit den Sauerkohl – was ich
nachvollziehen kann –, Sie meinen damit die Mehrwert-
steuererhöhung. In so ziemlich jeder Debatte, die hier
geführt wird, bringen Sie dieses Thema unter, heute so-
gar mit einem eigenen Antrag. Das erinnert mich auch
ein bisschen an Cato den Älteren, der jede Rede im Se-
nat beendete mit: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass
Karthago zerstört werden muss. – So ungefähr machen
Sie das mit der Mehrwertsteuererhöhung. Hier befinden
Sie sich in guter Gesellschaft mit Ihren – und unseren –
Kollegen von der Linken, über deren Antrag wir vor kur-
zem in diesem Haus beraten haben. Unabhängig davon,
wer von wem abschreibt, bleibt es purer Populismus.
– Sie werden es gleich hören, Herr Dr. Wissing. Ein biss-
chen Geduld oder eine Zwischenfrage, so viel Fairness
muss sein: wegen meiner Redezeit.
Ich nehme das Thema sehr ernst. Ich weiß, dass die
Menschen unsicher sind, dass überall Kassandras und
Unken alles tun, damit diese Verunsicherung bleibt.
Es stimmt – darüber können, dürfen und sollen wir uns
freuen –: Die Konjunktur brummt, Deutschland gilt wie-
der als Wachstumsmotor, und die Steuereinnahmen spru-
deln. Aber reicht das? Während die einen glauben, auf
die Mehrwertsteuererhöhung verzichten zu können, und
der Vermögensteuer neues Leben einhauchen wollen,
versuchen es die anderen auf dem Rücken der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer.
Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ist ein un-
realistischer Wunsch; das wissen Sie selber. Sie können
das zwei, drei Mal fordern und bekommen vielleicht
auch Applaus dafür. Doch Sie werden sich beim dritten
Mal eingestehen müssen, dass es wieder gescheitert ist.
Dann mag auch der Letzte merken, dass es sich bei die-
sem durchsichtigen Manöver um Populismus handelt.
Die FDP fordert in ihrem Antrag, stattdessen den Ar-
beitsmarkt zu deregulieren und beschäftigungsfeindliche
Regelungen abzubauen. Das hört sich gar nicht so wild
an, so verklausuliert, wie das geschrieben ist. Aber man
muss dahintersehen: Sie wollen einen Abbau des Kündi-
gungsschutzes, eine Einschränkung der Tarifautonomie,
die Versteuerung von Sonn-, Feiertags- und Nachtzu-
schlägen und eine Aufkündigung der Flächentarifver-
träge. Herr Westerwelle bezeichnet ja gerne die Gewerk-
schafter als die wahre Plage Deutschlands. Das heißt, Sie
wollen im Sog Ihres Antrags Ihr eigentliches Anliegen
umsetzen, nämlich die Rechte der Arbeitnehmer zu
schleifen. Sie haben dazu kein Wort gesagt. Ich ver-
schweige diese beiden Punkte in Ihrem Antrag nicht. Ihr
dritter Punkt bedeutet, dass Sie die Sozialsysteme nach
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lso: Diejenigen mit weniger Geld müssen mehr bezah-
en, damit diejenigen mit mehr Geld weniger bezahlen
üssen. Man muss sich schon sehr konzentrieren, um
as richtig auszusprechen. Wenn man darüber nach-
enkt, wird es ganz absurd.
ei Ihnen heißt Reform: Wenn jeder an sich denkt, ist an
lle gedacht. Das lassen wir so nicht stehen.
Im Haushalt des Landes NRW, dem ja immerhin rund
0 Prozent von einem Mehrwertsteuerpunkt zustehen,
urde die Einnahme wie selbstverständlich verfrüh-
tückt. Falls es jemand verdrängt haben sollte: Dort ist
ie FDP mit am Ruder. Trotz der Mehreinnahmen wur-
en Zuschüsse in fast allen sozialen Bereichen extrem
ekürzt oder gänzlich gestrichen. Allein in meiner Ge-
einde waren dies rund 50 000 Euro bei der Kindergar-
enfinanzierung.
ch muss schon sagen, das ist die komfortabelste Situa-
ion überhaupt: Aus Populismus im Bundesrat dagegen
ein, das Geld natürlich einsacken und am Ende auch
och die Kommunen und die Eltern schröpfen. Dieses
erhalten ist nicht schlüssig.
Dr. Hermann Otto Solms hat in seiner Haushaltsrede
esagt:
Denn die Steuereinnahmen, die aufgrund der kon-
junkturellen Entwicklungen in diesem Jahr stärker
sprudeln, kompensieren das erwartete Mehrauf-
kommen bereits.
ei aller Wertschätzung für den Herrn Kollegen
r. Solms: Das nenne ich Politik von der Hand in den
und. Wir haben ein strukturelles Defizit von rund
0 Milliarden Euro und Sie meinen, wir könnten das mit
Milliarden Euro durch sprudelnde Mehreinnahmen än-
ern? Was ist das für eine schwache Rechnung?
Die Mehreinnahmen aus der Erhöhung gehen zu glei-
hen Teilen an den Bund, an die Länder und an die Ar-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7287
)
)
Gabriele Frechen
beitslosenversicherung, deren Beitrag 2007 insgesamt
um 2,3 Prozentpunkte gesenkt wird. Die Belastung
durch die Mehrwertsteuererhöhung liegt bei rund
0,8 Prozent. Somit wird trotz einer Erhöhung der ande-
ren Beiträge eine weitgehende Entlastung der Arbeit-
nehmerhaushalte stattfinden; da kann mir niemand et-
was anderes sagen. Keine Entlastung – auch das weiß
ich – erhalten Rentnerhaushalte, Studenten und Men-
schen, die Arbeit suchen. Das ist mir wohl bewusst.
Aber alle profitieren mittelfristig von höheren Ausgaben
in Bildung und von mehr Arbeitsplätzen.
Ich verschweige auch nicht, dass es zu einer Konjunk-
turdelle kommen kann. Aber die führenden Wirtschafts-
institute, die sich im Frühjahr noch eher skeptisch ge-
zeigt haben, sagen voraus, dass es eben nicht zu einem
Konjunktureinbruch kommen wird.
Auch ich habe mich mit dieser Erhöhung schwer ge-
tan. Aber wir haben zuvor ein Konjunkturprogramm
mit Entlastungen und Impulsen in Höhe von 25 Milliar-
den Euro bis 2009 verabschiedet, das Wirkung auch auf
dem Arbeitsmarkt zeigt. Wer zu diesem auf Vorschuss,
auf Pump finanzierten Programm Ja gesagt hat, der
musste auch zur Mehrwertsteuererhöhung Ja sagen. Al-
les andere wäre feige und unehrlich gewesen.
Dieses Programm umfasst: Investitionen in For-
schung und Entwicklung; verbesserte Abschreibungsbe-
dingungen; ein Programm zur energetischen Gebäude-
sanierung, was bisher zu Investitionen in Höhe von
20 Milliarden Euro geführt hat; die Fortsetzung der Zah-
lung der Investitionszulage in den neuen Bundesländern;
die Aufstockung der Verkehrsinvestitionen; die steuerli-
che Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen,
von Kinderbetreuungskosten und von Kosten für die
Modernisierung der eigenen Wohnung. Durch die Ein-
führung des Elterngeldes stehen den Familien
3 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Betreuung
von Kindern unter drei Jahren, 100-prozentige Bedarfs-
deckung bei Kindertageseinrichtungen, offene Ganztags-
schulen und staatliche finanziellen Hilfen sind der rich-
tige Weg, sowohl Eltern als auch Kinder optimal zu
fördern. Ich denke, dieses Konzept ist schlüssig. Fami-
lien, Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunterneh-
men bekommen mehr Geld in die Hand, um die zuneh-
mende Binnennachfrage weiter zu stärken.
Das Anziehen der Konjunktur bewirkt die Schaffung
neuer Arbeitsplätze, was gleichzeitig zu weniger Ausga-
ben aus den sozialen Sicherungssystemen und mehr Ein-
nahmen in die sozialen Sicherungssysteme führt. Es gibt
gute Chancen dafür, dass sich der eingeschlagene Kurs
so positiv auswirkt, dass wir die Konjunkturbremse ver-
kraften können. Das Mehr an Arbeitsplätzen kommt
dann den Menschen zugute, die heute keine Arbeit ha-
ben. Ich denke, das muss unser vorrangiges Ziel sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich wird ein
Teil auch in den Schuldenabbau bzw. – besser gesagt –
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Aber selbstverständlich.
Ich möchte mit einer Beurteilung der Schweizer Kon-
unkturexperten von BAK Basel Economics schließen.
n der „NZZ Online“ steht dazu: „Schweizer Wirtschaft
oll nächstes Jahr um 2,1 Prozent wachsen“. Jetzt wer-
en Sie fragen, warum ich ausgerechnet die Schweizer
eranziehe. Ich sage es Ihnen. Es heißt nämlich weiter:
Den grösseren Optimismus für 2007 erklärt BAK
mit höheren Wachstumserwartungen für die deut-
sche Wirtschaft, dem wichtigsten Schweizer Han-
delspartner. Die Konjunkturindikatoren seien dort
also hier bei uns –
„unerwartet gut“, und die Zeichen für einen „selbst
tragenden Aufschwung“ verdichteten sich.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Wir sollten uns dem Schweizer Optimismus anschlie-
en; denn Wirtschaft hat ja bekanntlich auch etwas mit
utrauen und mit Gefühl zu tun.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist vereinbart worden, die
orlage auf Drucksache 16/2520 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Damit
ind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist die Über-
eisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm
in der Umgebung von Flugplätzen
– Drucksache 16/508 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit
– Drucksache 16/3813 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Marko Mühlstein
Michael Kauch
7288 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Eva Bulling-Schröter
Winfried Hermann
– Drucksache 16/3814 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Hinz
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
– zu dem Antrag der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Friedrich , Birgit
Homburger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Das Fluglärmgesetz unverzüglich und sach-
gerecht modernisieren
– zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Cornelia Behm, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Schutz der Anwohner vor Fluglärm
wirksam verbessern
– Drucksachen 16/263, 16/551, 16/3813 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Petzold
Marko Mühlstein
Michael Kauch
Eva Bulling-Schröter
Winfried Hermann
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie je ein
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP, der Fraktion
Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen vor. Es ist verabredet, hierzu eine Stunde zu debat-
tieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Marko Mühlstein, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Gäste auf den Besuchertribünen! Ich
freue mich, dass wir in dieser letzten Sitzungswoche vor
Weihnachten die Beratung der Gesetzesnovelle zum
Fluglärmschutz mit der zweiten und dritten Lesung end-
lich abschließen werden.
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Ich meine, mit den intensiven Beratungen der letzten
ochen sind wir der Bitte unseres Bundesumweltminis-
ers Sigmar Gabriel um Sorgfalt und Kompromissbereit-
chaft, die er bei der Einbringung der Novelle vor beinahe
enau zehn Monaten hinsichtlich der Ausschussberatung
estellt hat, vorbildlich nachgekommen.
benso vorbildlich war dabei die Unterstützung durch
ie Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums. Mei-
en herzlichen Dank dafür.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, beim Lärm
seiner Entstehung, seiner Wahrnehmung und seinen
uswirkungen – haben wir es mit einer ausgesprochen
omplexen Materie zu tun.
Dennoch werden wir auf Schritt und Tritt damit kon-
rontiert. Sind wir in einem Moment noch Erzeuger von
ärm, sind wir im nächsten Moment schon wieder selbst
avon betroffen.
Zweifellos ist in unserer modernen, auf Mobilität und
irtschaftliche Flexibilität existenziell angewiesenen
esellschaft Lärm nicht immer und überall vermeidbar.
enn wir davon ausgehen, dass Schall erst in dem Au-
enblick zu Lärm wird, wenn er unangenehm, störend
nd gesundheitsschädigend wirkt, dann haben wir es
icht mit einem physikalischen, sondern vielmehr mit ei-
em psychologisch-medizinischen Phänomen zu tun.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7289
)
)
Marko Mühlstein
Obwohl die Wahrnehmung von Lärm daher stark vom
subjektiven Empfinden abhängt, ist dennoch objektiv
nachgewiesen, dass Lärm krank macht. Darüber hinaus
lassen sich auch im psychischen, ökonomischen und so-
zialen Bereich negative Auswirkungen belegen.
Was bedeutet das nun alles ganz konkret für den Flug-
lärm? Die dynamische Entwicklung des Flugverkehrs
hat zu einer immens gestiegenen Anzahl der Flugbewe-
gungen geführt. Die Dauerschallpegel konnten bis heute
nur konstant gehalten werden, weil die technischen Ver-
besserungen an den Flugzeugen den Pegelanstieg im
Durchschnitt noch kompensierten. Die ermittelten Pe-
gelwerte geben allerdings keine Auskunft über die emp-
fundenen Lärmbelastungen und erheblichen materiellen
Verluste infolge des Wertverlustes von Grundstücken.
Dies tun aber die vielen Eingaben, Petitionen und Pro-
teste gegen Fluglärm, die uns regelmäßig erreichen. Die
Berichte der von Fluglärm betroffenen Menschen und ei-
gene Erfahrungen machen deutlich, dass das Leben unter
Fluglärm zu gravierenden Verschlechterungen der Le-
bensqualität führt.
Wie ich bereits vorhin angedeutet habe, bewegen wir
uns mit der Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes in-
nerhalb eines Spannungsfeldes unterschiedlicher Interes-
sen. So sind wir uns selbstverständlich darüber im Kla-
ren, dass wir den wirtschaftlichen Aufschwung unseres
Landes unter anderem auch dem hervorragend aufge-
stellten Luftverkehrsstandort Deutschland verdanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Exportweltmeister
wird man nicht zu Fuß. Von Flughäfen und deren Infra-
struktur hängen zudem viele tausend Arbeitsplätze direkt
und indirekt ab. Ein wohlüberlegter Ausgleich zwischen
den Bedürfnissen lärmgeplagter Menschen auf der einen
Seite und einer der dynamischsten Wachstumsbranchen
unseres Landes auf der anderen Seite ist eine große He-
rausforderung. Deren Bewältigung ist nichtsdestotrotz
unsere Pflicht.
Vor diesem Hintergrund lassen Sie mich, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, darauf eingehen, was das Flug-
lärmschutzgesetz denn nun künftig leisten wird, und vor
allem, wo die Verbesserungen gegenüber dem ursprüng-
lichen Gesetzentwurf, ganz zu schweigen von dem bis-
her noch gültigen Gesetz von 1972, liegen.
Grundsätzlich ermöglicht das neue Gesetz mehr pas-
siven Schallschutz für Anwohner durch eine Auswei-
tung der Schutzzonen. Erstmals wird auch eine Nacht-
schutzzone eingeführt und damit dem Schutz des
Schlafes besonders Rechnung getragen. Konkret heißt
das: Mit der Neufassung des Fluglärmschutzgesetzes
werden künftig wesentlich mehr Menschen in der Umge-
bung der Flughäfen Ansprüche auf Schallschutz haben.
Definiert werden die beiden Tagschutzzonen 1 und 2
und die Nachtschutzzone durch die Lärmgrenzwerte.
Erfreulicherweise ist uns die Absenkung der bisherigen
Grenzwerte um 10 bis 15 dB(A) – ich wiederhole: 10 bis
15 dB(A) – gelungen.
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es Lärms um die Hälfte reduziert, ist dies, denke ich,
in großer Schritt in die richtige Richtung.
Die neuen Grenzwerte gelten künftig für alle Ver-
ehrsflughäfen mit regelmäßigem Fluglinien- und Pau-
chalreiseverkehr. Grundlage des Berechnungsverfah-
ens ist die so genannte Drei-Sigma-Regelung. Das
edeutet: Drei Sigma am Tag, drei Sigma in der Nacht.
Ich habe vorhin von der subjektiven Schallwahrneh-
ung gesprochen. Die Aufgabe war, einen subjektiven
indruck, der nicht zuletzt von psychologischen Fakto-
en abhängt, mittels eines physikalischen Berechnungs-
erfahrens abzubilden.
Wir haben uns die Diskussion um die Berechnungs-
rundlage wahrlich nicht einfach gemacht, hängt doch
avon die Gesundheit vieler Menschen ab. Im Übrigen
uss die Berechnungsgrundlage auch für Flughafenbe-
reiber wirtschaftlich darstellbar sein.
Im Zusammenhang mit der Festsetzung der Grenz-
erte gilt es zu berücksichtigen, dass zwischen den
euen bzw. wesentlich baulich erweiterten zivilen sowie
ilitärischen Flugplätzen unterschieden wird. Dies ist
em bereits beschriebenen Unterschied in der Wahrneh-
ung von Schallereignissen unterschiedlichen Charak-
ers geschuldet. Die Lärmsituation eines Militärflugha-
ens unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der
ines zivilen Flughafens. So findet beispielsweise an ei-
em Militärflughafen in den lärmsensiblen Zeiten wie
orgens oder abends, in der Nacht und am Wochenende
ein Flugverkehr statt.
Ich freue mich ganz besonders, dass es gelungen ist,
m Interesse der Anwohner eine wesentliche bauliche
rweiterung eines Flugplatzes so zu definieren, dass
ine Erweiterung dann gegeben ist, wenn diese zur Erhö-
ung des äquivalenten Dauerschallpegels an der Grenze
ur Tagschutzzone 1 oder des LAeq Nacht an der Grenze
er Nachtschutzzone um mindestens 2 dB(A) führt.
urch das Instrument der vorausschauenden Siedlungs-
lanung wird überdies von vornherein Konflikten vorge-
eugt. In einem Lärmschutzbereich dürfen keine Kran-
enhäuser, Altenheime, Erholungsheime und ähnliche
inrichtungen gebaut werden. In den Tagschutzzonen
es Lärmschutzbereiches gilt das beispielsweise auch für
chulen und Kindergärten. Ich denke, das ist besonders
ichtig.
Die Bedenken, dass Einrichtungen wie Alten- und
flegeheime in Lärmschutzbereichen künftig keine bau-
ichen Erweiterungen vornehmen dürfen und damit von
er Schließung bedroht wären, sehe ich nicht, Herr
auch. Denn im Bedarfsfall können Ausnahmen durch
ie zuständige Landesbehörde genehmigt werden. Ände-
ungen ohne Kapazitätserweiterungen fallen zudem
icht unter das Bauverbot. Des Weiteren werden An-
prüche auf passiven Schallschutz für Wohngebäude in
ochgradig fluglärmbelasteten Gebieten festgesetzt.
7290 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Marko Mühlstein
Um Missverständnissen von vornherein vorzubeugen,
möchte ich nochmals ausdrücklich darauf hinweisen,
dass im Fluglärmschutzgesetz Fragen zum aktiven
Lärmschutz nicht geregelt werden sollten.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ver-
kehrslärm entsteht von selbst. Ruhe und damit der
Schutz lärmgeplagter Menschen müssen hingegen ge-
wollt und bewusst herbeigeführt werden. Ich habe den
Eindruck, dass wir unsere Handlungsfähigkeit in dieser
Angelegenheit erfolgreich unter Beweis gestellt und bei
dieser schwierigen Ausgangssituation ein belastbares
Etappenziel erreicht haben.
Herr Kollege.
Dennoch meine ich: Aktiven Lärmschutz auch im
Flugbetrieb umzusetzen, bleibt eine wichtige Forderung,
der die Politik zukünftig gerecht werden muss.
Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Michael Kauch hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr
lange – man könnte auch sagen: zu lange – haben die
Anwohnerinnen und Anwohner auf ein neues Fluglärm-
gesetz gewartet.
Seit der ersten Ankündigung durch das BMU hat es
sechs Jahre gebraucht, um den Gesetzentwurf heute zur
Abstimmung im Deutschen Bundestag vorzulegen. Es
ist aber zu begrüßen, dass es endlich so weit ist. Denn
das alte Gesetz verdiente den Titel „Fluglärmschutzge-
setz“ schon lange nicht mehr; die Anforderungen, die an
den Lärmschutz gestellt wurden, gehen in der Regel
nicht mehr auf dieses Gesetz, sondern auf Betriebsge-
nehmigungen und Richterrecht zurück.
Insofern möchte ich vor den Erwartungen warnen, die
auch durch die Rede von Herrn Mühlstein geweckt wer-
den. Dass die Grenzwerte um 15 dB(A) gesenkt werden,
ist nach dem Gesetzentwurf theoretisch zwar richtig;
aber an den Flughäfen wird sich kaum etwas ändern. An
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s ist ein ausgewogener Kompromiss zum Lärmschutz
n zivilen Flughäfen. Auch wir haben uns – das sage ich
n die Adresse der anderen Oppositionsfraktionen – an
er einen oder anderen Stelle sicherlich mehr ge-
ünscht. Aber im Ergebnis stellt das Gesetz eine deutli-
he Verbesserung im Vergleich zur jetzigen Rechtslage
ar. Deshalb stimmen wir – Sie hätten sich also Ihren
uruf sparen können – dem Gesetzentwurf in der Konse-
uenz zu.
Neue niedrige Schutzzonengrenzwerte werden ein-
eführt. Insbesondere erhalten Anwohner neuer oder
uszubauender Flughäfen – das ist interessant, auch mit
lick auf die Rechtssicherheit – ein besseres Schutzni-
eau. Für die Anwohner von Flughäfen mit Nachtbetrieb
ird es eine Regelung geben, die sehr stark auf Einzeler-
ignisse abstellt. Das sind in der Tat diejenigen, die für
as Aufwachen in der Nacht verantwortlich sind. Auch
ier ist man im parlamentarischen Verfahren zu einem
ernünftigen Kompromiss gekommen. Ich sage aus-
rücklich: Wir, die Liberalen, haben immer ein klares
auverbot – gerade für Wohnungen – in den Schutzzo-
en gefordert. Dieses Verbot war bislang sehr löchrig. Es
ibt zwar noch immer ein paar Hintertüren. Aber das hat
ich im Vergleich zum bisherigen Fluglärmschutzgesetz
eutlich verbessert.
Wir sind dafür, dass schutzwürdige Einrichtungen
n diesen Zonen nicht gebaut werden. Nun komme ich
uf den Fall zu sprechen, der hier schon angesprochen
urde. Um es gleich vorweg zu sagen: In meinem Wahl-
reis ist das Problem gelöst. Dort liegt eine Baugeneh-
igung bereits vor. Uns geht es darum, dass die Alten-
eime, die vor der Entscheidung stehen, ausgebaut oder
eschlossen zu werden, aufgrund pflegerechtlicher Vo-
aussetzungen, die der Gesetzgeber geschaffen hat, auch
ach dem In-Kraft-Treten des novellierten Fluglärm-
chutzgesetzes die Möglichkeit haben, ihren Bestand zu
ichern. Hier reicht es nicht aus, das in das Ermessen der
ehörden zu legen. Vielmehr muss man an dieser Stelle
in Rechtsanspruch auf eine Baugenehmigung vorsehen.
as haben wir im parlamentarischen Verfahren gefor-
ert. Das wurde von der Koalition aber leider abgelehnt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7291
)
)
Michael Kauch
Ich denke, an dieser Stelle ist das Gesetz noch nachbes-
serungsbedürftig.
Das Gesetz muss noch in einem anderen Punkt ver-
bessert werden, und zwar im Bereich der Militärflughä-
fen. Ich finde, das hier gewählte Verfahren ist ausgespro-
chen ärgerlich. Sie von der Koalition setzen für zivile
Flughäfen bestimmte Grenzwerte an, weil von da an eine
Gesundheitsschädigung nicht auszuschließen ist. Aber
Sie sind nicht bereit, die Anwohner von Militärflughä-
fen, also dort, wo nicht die Bundesländer, die Kommu-
nen oder Private zahlen müssen, sondern Sie selber, mit
dem gleichen Schutz auszustatten. Vielmehr wollen Sie
diesen Bürgern ein deutlich höheres Lärmniveau zumu-
ten, bevor Sie die Kosten für den Schallschutz erstatten.
Das finde ich ehrlich gesagt unanständig.
Hier kann man nicht argumentieren, die Lärmbilder an
den Militärflughäfen seien anders. Das stimmt zwar. Ihre
Zahl ist geringer. Dafür ist es aber lauter. Deshalb muss
der Schutz aus meiner Sicht eher höher sein als niedri-
ger. Die Argumentation der Koalition ist daher völlig ab-
strus.
In dem von uns in den Bundestag eingebrachten Ent-
schließungsantrag weisen wir darauf hin, an welchen
Stellen der vorliegende Gesetzentwurf nicht optimal ist
und wo wir noch einmal darüber nachdenken müssen, ob
das, was hier entschieden wurde, richtig ist.
Dennoch stimmen wir heute zu, denn wir müssen
endlich Rechtssicherheit für die Anwohner, für die Flug-
häfen und für die Menschen, die den Flugverkehr nut-
zen, schaffen. Wir dürfen nicht weiterhin über Jahre eine
unendliche Diskussion führen, sondern wir müssen zu
einer Entscheidung kommen, die zumindest für die An-
wohner an den Verkehrsflughäfen ein Fortschritt ist.
Vielen Dank.
Als Nächster hat das Wort der Kollege Ulrich Petzold,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Kollege Kauch, Sie müssen uns
zugestehen, dass wir die Möglichkeit für Ihr Alten- und
Pflegeheimprojekt eröffnet haben. Aber wir wollen eben
nicht die Scheunentore öffnen.
Zu den Militärflughäfen bzw. Bestandsflughäfen
komme ich später. Es ist allerdings anders, als Sie ausge-
führt haben.
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Wir waren nun einmal zwischendurch sieben Jahre
ang leider nicht an der Regierung.
Wir haben einen Konsens zum Schutz vor Fluglärm
icht nur zwischen den Regierungsfraktionen und den
inisterien, sondern auch mit den Bundesländern und
en kommunalen Spitzenverbänden hinbekommen, so-
ass sich die Ministerpräsidenten, die sich noch vor we-
igen Wochen gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen
aben, heute mit Vehemenz für die Verabschiedung die-
es Gesetzentwurfes einsetzen.
Sie wissen, das war nicht von vornherein so. Noch in
er ersten Lesung musste ich davor warnen, dass das Ge-
etz am Bundesrat scheitern könnte; denn leider fühlte
ich eine ganze Reihe von Landesregierungen bei der ur-
prünglichen Formulierung des Gesetzentwurfes mit ih-
en Bedenken etwas außen vor gelassen. Nun könnte
an davon ausgehen, dass der Kompromiss dadurch er-
ielt wurde, dass wir an dem eingebrachten Gesetzent-
urf Abstriche gemacht haben. Mitnichten, das Gegen-
eil ist der Fall. In jedem der neun Punkte des CDU/
SU-SPD-Antrages, der mit dem heutigen Tag Teil des
esetzes wird, ist eine Ausweitung des Lärmschutzes
zw. der Rechte der Lärmbetroffenen formuliert, wie ich
m Rahmen der Berichterstattung Punkt für Punkt nach-
ewiesen habe. Ich möchte jetzt nur kurz einige Bei-
piele nennen.
Es wurde das Wesentlichkeitskriterium für den
usbaufall am Rande der Nachtschutz- und Lärmschutz-
one 1 auf 2 Dezibel herabgesetzt. Der Geltungsbereich
es Fluglärmgesetzes wurde auf alle Flughäfen mit
inien- und Pauschalreiseverkehr ausgeweitet. Die Sied-
ungsentwicklung in den Lärmschutzzonen wurde auf
in vernünftiges Maß begrenzt. Die Erstattungsverfahren
ür Lärmschutzaufwendungen der Lärmbetroffenen wer-
en wesentlich vereinfacht und verkürzt. Der Bestand
on freiwilligen Vereinbarungen zum Lärmschutz ist ge-
ichert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist mir
edoch besonders wichtig: Lärmmedizinische Gutach-
en zur Feststellung von zulässigen Lärmpegeln im Rah-
en von luftrechtlichen Zulassungsverfahren stellten
isher immer eine große Unwägbarkeit für alle Seiten
ar. Durch unser Fluglärmgesetz werden die Pegelwerte
es Gesetzes als echte Grenzwerte eingeführt, sodass
iese zeit- und nervenaufreibenden Gutachten nicht mehr
rforderlich sind. Allerdings werden lärmmedizinische
7292 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
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Ulrich Petzold
Gutachten, die sich speziellen Problemen im Rahmen
von lufttechnischen Zulassungsverfahren widmen, auch
weiterhin gesondert in diese Verfahren eingeführt wer-
den können.
Unter der Maßgabe der großen Vorbehalte, die es zu
Verhandlungsbeginn gegenüber den höheren Anforde-
rungen des Gesetzentwurfes an die Flugplatzbetreiber
gab, muss das in langen Verhandlungen erzielte Ergebnis
in jedem Fall als Erfolg für den Lärmschutz gewertet
werden.
Erlauben Sie mir noch einige grundsätzliche Anmer-
kungen aufgrund der Diskussionen in den letzten Tagen
und Wochen. Da ist zum einen die Frage: Ist auf Dauer
die Unterscheidung zwischen Bestandsflughäfen auf
der einen Seite und neuen und ausgebauten Flughäfen
auf der anderen Seite bei der zugemuteten Lärmbelas-
tung haltbar? Dazu muss man rechtssystematisch bemer-
ken, dass bei allen Verkehrsträgern bei der zulässigen
Lärmbelastung der Anwohner eine Unterscheidung zwi-
schen Neu- und Ausbau auf der einen Seite und Bestand
auf der anderen Seite gemacht wird.
Auch die unterschiedliche Behandlung von zivilen
und militärischen Flugplätzen bei den zulässigen Schall-
pegelwerten kann nur mit den sich wesentlich unter-
scheidenden Bewegungszahlen in den einzelnen Tages-
abschnitten und Wochenabschnitten gerechtfertigt
werden.
Auf militärischen Flugplätzen sind die Flugbewe-
gungen stark an Dienstzeiten gebunden, die eher eine
Abend-, Nacht- und Wochenendruhe gewährleisten. Au-
ßerdem kann ich hier auf ein Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts Nordrhein-Westfalen verweisen, welches
diese unsere Auffassung bestätigt.
Dem Gesetzgeber ist es im Jahr 2015 unbenommen,
diese Fragen erneut aufzugreifen; denn dann muss er un-
ser Gesetz auf seine Wirksamkeit überprüfen. Meine
Fraktion erwartet jedoch, dass auch in Zukunft Flug-
platzbetreiber im Sinne des nachbarschaftlichen Frie-
dens weiterhin freiwillige Leistungen des aktiven und
passiven Lärmschutzes erbringen. Ganz besonders er-
warten wir dieses bei der Erstattung von Aufwendungen
für bauliche Schallschutzmaßnahmen und bei der Ent-
schädigung für die Beeinträchtigung des Außenwohnbe-
reichs im Hinblick auf die so genannten Bestandsflug-
plätze.
Grundsätzlich ist zu dem Gesetz anzumerken, dass es
gegenüber dem bisher geltenden Gesetz aus dem Jahr
1971 zu einer deutlichen Reduzierung der zulässigen
Schallpegelwerte kommt, wie es mein Kollege
Mühlstein schon ausgeführt hat. Zusätzlich werden flug-
lärmbedingte Maximalpegel mit einem Häufigkeitsfak-
tor gesetzlich eingeführt, mit denen der Tatsache Rech-
nung getragen wird, dass insbesondere die
Maximalpegel als besonders belästigend empfunden
werden.
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Den Vorwurf – der in einigen Medien gegen das Mi-
isterium erhoben worden ist –, dass die Luftverkehrs-
irtschaft einen unzulässigen Einfluss auf dieses Gesetz
enommen habe, weise ich nachdrücklich zurück. Was
ehauptet wurde, zeugt von Unwissenheit, Ignoranz;
an könnte fast sagen: von Böswilligkeit. Deswegen
laube ich, dass wir hier durchaus einmal hinter diesem
inisterium stehen können.
Herzlichen Dank.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7293
)
)
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Lutz
Heilmann für Die Linke das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Wir beraten heute in zweiter und dritter Le-
sung die Novellierung des Fluglärmgesetzes. Herr Kol-
lege Mühlstein, Sie sprachen davon, dass wir uns in der
letzten Sitzungswoche vor Weihnachten befinden. Ich
habe Ihren Ausführungen entnommen, dass Sie der Mei-
nung sind, dass dieses Fluglärmgesetz für die Anwohne-
rinnen und Anwohner sozusagen ein Weihnachtsge-
schenk sei. Wenn wir jetzt vor Ostern stünden, würde ich
eher sagen, es ist ein komisches Osterei, das Sie den
Leuten ins Osternest legen wollen.
Als Weihnachtsgeschenk würde ich das wahrlich
nicht bezeichnen; denn ein effektiver Schutz der Anwoh-
nerinnen und Anwohner vor Fluglärm ist mit diesem Ge-
setz nicht möglich.
Kein Flughafen – das haben Sie selbst gesagt – wird
leise. Aktiver Lärmschutz – Fehlanzeige.
Da muss ich auch an die FDP einmal ein paar Worte
richten. Herr Kauch, bei der Bahn sind Sie nicht so zö-
gerlich, für aktiven Lärmschutz zu sorgen. Warum tun
Sie das nicht auch beim Flugverkehr?
– Das ist ein anderes Gesetz. Dann haben Sie ja die
Möglichkeit, dem Änderungsantrag unserer Fraktion,
der ebenfalls vorliegt, zuzustimmen. Dann können wir
aktiven Lärmschutz in dieses Gesetz integrieren.
Fluglärm wird ebenso wie der Flugverkehr zunehmen
und somit einen noch größeren Beitrag zum weltweiten
Klimawandel leisten. Wir debattieren in diesem Hause
momentan ja auch viel über den Klimawandel. Beim
Thema Fluglärm können wir aktiv etwas gegen den Kli-
mawandel tun; zumindest können wir versuchen, ihn zu
meistern.
Dieses Gesetz bietet allenfalls den Flughäfen Schutz
vor den Anwohnerinnen und Anwohnern; denn diese
werden mit Peanuts abgespeist.
Erlauben Sie mir einen kurzen Exkurs. Wir reden in
diesem Hause viel davon, mehr für unsere Kinder tun zu
müssen. Aber wenn unsere Kinder, nachdem sie bis zum
Mittag in geschlossenen Räumen gesessen haben, am
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Als zweiten wichtigen Punkt möchte ich noch einmal
die Frist ansprechen. Wir fordern, dass die Frist für Er-
stattungs- und Entschädigungsansprüche auf zwei Jahre
verkürzt wird.
Kollege Kauch, Sie haben richtigerweise die Privile-
gierung der Militärflughäfen angesprochen, die wir
genauso wie Sie für absurd und für nicht gerechtfertigt
halten. Deswegen ist dieser Punkt in unserem Ände-
rungsantrag enthalten. Neben der Aufnahme des aktiven
Lärmschutzes wäre die Ablehnung der Privilegierung
der Militärflughäfen der zweite Grund für Sie, unserem
Änderungsantrag zuzustimmen. Wir kommen uns also
relativ nahe.
Des Weiteren fordern wir, die Grenzwerte zu senken.
Denn die Grenzwerte, die Sie in dieses Gesetz hineinge-
schrieben haben, richten sich beileibe nicht an den aktu-
ellen Ergebnissen der Lärmwirkungsforschung aus. Sie
müssen gesenkt werden; so können sie nicht bleiben.
Der letzte Punkt, den ich nennen will, ist die Berichts-
pflicht der Bundesregierung. Da die Forschung schnell
voranschreitet, fordern wir, dass die Bundesregierung
alle fünf Jahre und nicht alle zehn Jahre Bericht erstatten
muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, unse-
rem Änderungsantrag zuzustimmen. Denn nur so kön-
nen wir den Anwohnerinnen und Anwohnern einen ef-
fektiven Lärmschutz gewährleisten. Ansonsten könnten
wir das alte Fluglärmgesetz beibehalten, frei nach dem
shakespeareschen Motto: Viel Lärm um nichts.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche ein
frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch.
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege
Winfried Hermann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Auch wir Grüne begrüßen es, dass es nach
35 Jahren heute wohl gelingen wird, das Fluglärmgesetz
zu novellieren.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, will ich sagen,
dass dieses Gesetz schon 1998, als es 27 Jahre alt war,
veraltet war. Wir haben damals unter Rot-Grün eine Alt-
last übernehmen müssen. Es ist mir leider nicht vergönnt
gewesen – das bedaure ich; ich habe es schon einmal öf-
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Ich muss aber auch sagen, dass ich immer wieder von
er Leistung der großen Koalition überrascht bin. Insbe-
ondere überraschen mich die Genossinnen und Genos-
en, weil sie nämlich erst die CDU/CSU brauchen, um
as zu machen, was sie schon sieben Jahre vorher mit
ns hätten machen können.
Im Wesentlichen, was die Grundzüge betrifft, stammt
ieser Gesetzentwurf aus der Zeit der rot-grünen Regie-
ung und insbesondere aus dem Hause Trittin. Damit ist
r nicht per se gut. Ich will aber deutlich sagen: Ich bin
roh, dass Sie nicht hinter dieses Projekt zurückgefallen
ind. Ich will Ihnen durchaus zugestehen, dass Sie das
esetz im parlamentarischen Verfahren nicht schlechter
emacht haben, sondern an verschiedenen Stellen sogar
och nachgebessert haben. Dafür mein Kompliment.
Zu Recht weisen Sie darauf hin, dass es eine deutliche
bsenkung der Grenzwerte um 10 Dezibel gibt. Aber
s ist natürlich keine Kunst – an dieser Stelle fängt die
ritische Betrachtung an –, nach 35 Jahren einen Grenz-
ert um 10 Dezibel abzusenken, wenn die Technologie
n derselben Zeit die Verringerung der Lärmemissionen
ei Verkehrsflugzeugen um 20 Dezibel möglich gemacht
at. Das heißt, im Grunde genommen hinken auch dieser
esetzentwurf und damit seine Grenzwerte der techni-
chen Entwicklung hinterher. Er ist auf keinen Fall sehr
mbitioniert. Sie tun aber Folgendes: Sie retten sozusa-
en die Ehre des deutschen Parlaments, damit wieder
esetzesrecht des Parlaments und nicht Richterrecht
ilt, wie es in den vergangenen Jahren geschehen ist.
Aus Sicht der Grünen ist der Gesetzentwurf nicht op-
imal und an einzelnen Stellen nicht wirklich ausgewo-
en. Ich will dies an drei Punkten aufzeigen. Erster
unkt: die Grenzwerte. Ich halte es für nicht gut, dass
ie der Besonderheit der Nachtschutzzonen und der
chlafbedrohung durch Fluglärm nicht angemessen
echnung tragen. Alle Experten sagen, dass aus gesund-
eitlichen Gründen in der Nacht ein Grenzwert von
5 Dezibel festgelegt werden muss. Sie sind deutlich
arüber geblieben. Sie hatten nicht den Mut, so weit zu
ehen.
Sie haben meines Erachtens unnötigerweise eine Lex
raport beschlossen. Sie führen zwar neue Grenzwerte
in, lassen aber genügend Zeit, damit die geplanten Aus-
aumaßnahmen noch im Rahmen der alten Grenzwerte
rfolgen können. Das ist nicht ausgewogen. Da haben
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7295
)
)
Winfried Hermann
Sie die Interessen eines bestimmten Flughafens einseitig
berücksichtigt.
Zweiter Punkt: der Charakter von Grenzwertfestset-
zungen. Wir können anhand der Geschichte dieses Ge-
setzes erkennen, dass es kein modernes Umweltrecht ist,
wenn man Grenzwerte auf ewig festsetzt. Man muss sich
einmal übertragen vorstellen, was wäre, wenn heute für
Autos die gleichen Emissionsgrenzwerte wie vor
35 Jahren gelten würden. Da gibt es selbstverständlich
eine dynamische Fortschreibung der Grenzwerte, also
alle fünf Jahre eine neue Euronorm mit deutlich abge-
senkten Werten. In diesen Zeiträumen geht es nicht um
eine Senkung um 10 Dezibel, sondern um die Absen-
kung der Werte um 80 bis 90 Prozent.
Wir müssen also auch im Lärmbereich zu einer regel-
mäßigen kritischen Überprüfung und Anpassung der
Grenzwerte kommen. In Ihrem Gesetzentwurf wird nur
die Überprüfung festgelegt, aber keine sichere Konse-
quenz formuliert. Wir fordern, dass es eine regelmäßige
Anpassung im Sinne der Lärmwirkungsforschung gibt.
Dritter Punkt: Auch wir schätzen es so ein – dies
wurde von meinen Kollegen von der Opposition schon
angesprochen –, dass die besondere Privilegierung des
militärischen Fluglärms und damit die Benachteiligung
der Anwohner von Militärflughäfen nicht zu rechtferti-
gen ist.
Sie brauchen mir da nichts vorzumachen; denn schon zu
unserer Regierungszeit hat sich sofort der Verteidigungs-
minister gemeldet und gesagt, das koste zu viel Geld.
Das war auch jetzt wieder ein Argument. Weil man die
Kasse des Verteidigungsministers nicht quälen und dem
Ministerium nichts zumuten wollte, obwohl es sich, ge-
messen an diesem großen Etat, um eine kleine Summe
handelt, müssen die Anwohner von Militärflughäfen auf
Schallschutzmaßnahmen verzichten. Das ist nicht fair;
das ist nicht gerecht. Das finden wir nicht gut und das ist
korrekturwürdig.
Ich will zum Ende meiner Rede deutlich machen, dass
das Fluglärmgesetz natürlich nicht das Ende des Lärm-
schutzes an Flughäfen sein kann. Kollege Heilmann, das
ist ein Konzept des passiven Lärmschutzes; das ganze
Gesetz ist so konzipiert. Man soll es nicht überfordern,
sondern klar sehen, dass es andere Gesetzesfelder gibt,
wo man den aktiven Lärmschutz angehen muss, etwa bei
der europäischen Richtlinie zur lärmbedingten Betriebs-
beschränkung, die nicht ambitioniert in deutsches Recht
umgesetzt wird. Hier gibt es Spielräume, aktiv einzu-
grenzen und zu sagen: Wenn zu viel Lärm entsteht, dann
können Flughäfen anders als bisher eingreifen und Ein-
schränkungen vornehmen.
Ein weiteres Feld ist schon eröffnet. Wir werden dem-
nächst europaweit Daten darüber sammeln, wie sich
Lärm in Ballungsräumen ausbreitet, und sie kartieren.
Dabei müssen natürlich die Zonen um Flughäfen in be-
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Weil ich selber nicht zu den Berichterstattern gehöre,
öchte ich an der Stelle – wie es viele Vorredner auch
etan haben – den Berichterstattern nicht nur für die
iele Arbeit, sondern auch ganz entscheidend dafür
anken, dass sie diese Arbeit in großer Unabhängigkeit
7296 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Georg Nüßlein
und in der Abwägung verschiedener Interessen getan ha-
ben.
Wir sind mit der zweiten und dritten Lesung dieses
Gesetzentwurfs heute auf dem Boden der Tatsachen ge-
landet. Tatsache ist: Der Verkehrslärm nimmt zu. Die
Belastung, die die Bevölkerung trägt, muss man beach-
ten und man muss als Gesetzgeber etwas dagegen tun.
Als Umweltpolitiker sage ich Ihnen auch auf die Gefahr
hin, missverstanden zu werden, ganz klar: Umweltschutz
ist in erster Linie auch Menschenschutz.
Tatsache ist: Es wollen viele fliegen; die wenigsten
wollen aber einen Flughafen vor der Haustür. Auch da-
für habe ich Verständnis. Aber wir müssen auch Folgen-
des sehen: Wir sind eine Exportnation. Güter und Men-
schen müssen wir wettbewerbsfähig transportieren
können.
Ich möchte auch noch hinzufügen: Dieses Gesetz bür-
det – je nachdem, wie man es berechnet – den zivilen
Flughäfen, den Kommunen und den Ländern Kosten bis
zu einer Höhe von 738 Millionen Euro auf. Das sage ich
nur, damit wir wissen, um welche Größenordnung es
sich hier handelt. Ich möchte noch eine weitere Zahl
nennen: Es sind 400 Millionen Euro in diesen Bereich
als Vorleistungen auf Basis des alten Gesetzes und auf
freiwilliger Basis geflossen. Auch das sollte man einmal
anerkennen.
Tatsache ist natürlich: Es handelt sich um einen Kom-
promiss, um keine Punktlandung. Das ist aber sehr viel
besser, als dieses Thema permanent in der Luft zu hal-
ten, wie wir es über Jahre und Jahrzehnte getan haben.
Ich möchte jetzt etwas zum Thema Richterrecht sa-
gen. Wir haben im Unterschied zum anglofonen Bereich
kein „case law“, es also nicht mit der Situation zu tun,
dass mithilfe von Präzedenzfällen für Rechtssicherheit
gesorgt wird. Deshalb sind wir als Gesetzgeber aufgeru-
fen, diesen Sachverhalt nicht schleifen zu lassen und
Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen. Das tun wir
mit diesem Gesetz.
Eines ist aus meiner Sicht ganz klar: Wir schaffen
Mindeststandards – ich möchte das noch einmal aus-
drücklich betonen, weil viele ja sagen, das sei alles kri-
tisch zu sehen –, über die man hinausgehen kann. Denje-
nigen, die Bau- bzw. Ausbaumaßnahmen durchführen,
sei geraten, über diese Mindeststandards hinauszugehen.
Das verbessert die Akzeptanz. Es gibt ja auch nicht nur
den passiven Lärmschutz, sondern auch den aktiven
Lärmschutz. Das sollte man entsprechend berücksichti-
gen.
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ir akzeptieren hier Unterschiede von 5 dB(A), und
war über die im Gesetz vorhandene Schwelle des
ahres 2011 hinaus. Das ist bedauerlich. Wir haben aber
ür das Jahr 2015 eine Überprüfung geregelt. Es ist im
brigen eine gute Idee, das in einem Gesetz festzu-
chreiben. Solche Regelungen sollten wir immer wieder
reffen. In diesem Rahmen haben wir die Chance, diese
ifferenzierung zu korrigieren. Aus der Sicht der CSU
äre das wünschenswert.
Vielen herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollegen Christian
arstensen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Wir haben es schon gemerkt:
as Thema Fluglärm und die damit verbundene Diskus-
ion über den notwendigen Schutz der Anwohnerinnen
nd Anwohner bewegt die Gemüter heute ebenso wie
rüher.
Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden verzeich-
ete für das damals geteilte Deutschland im Jahr 1970
und 8,8 Millionen Fluggäste bei rund 630 000 Flugbe-
egungen. Der Umweltschutz war in dieser Zeit gerade
rst auf der bundespolitischen Tagesordnung aufge-
aucht.
er damals zuständige Bundesinnenminister Genscher
ein eigenes Umweltressort war damals noch gar nicht
enkbar – brachte eine Grundgesetzänderung auf den
eg, die dem Bund erstmals volle Gesetzgebungskom-
etenz für den Umweltbereich bringen sollte.
Mit Recht natürlich und mit einem sozialdemokrati-
chen Koalitionspartner. – Gleichzeitig wurde ein Ge-
etzentwurf zum Schutz vor Fluglärm in der Umgebung
on Flughäfen eingebracht. Der Bundestag brauchte
wei Legislaturperioden, um das Gesetz um 16. Dezem-
er 1970 endlich in dritter Lesung beschließen zu kön-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7297
)
)
Christian Carstensen
Heute, in der letzten Sitzungswoche des Jahres 2006,
also bis auf zwei Tage genau 36 Jahre später, kommt es
endlich zu einer umfassenden Erneuerung des Gesetzes.
Viel hat sich seitdem verändert. Auf manchen Feldern
gibt es aber überraschende Parallelen. Die Zahl der
Fluggäste und -bewegungen im zum Glück längst ver-
einten Deutschland hat sich dramatisch verändert. 2005
wurden nicht mehr wie damals 8,8 Millionen, sondern
rund 146 Millionen Fluggäste gezählt. Die Zahl der
Flugbewegungen erhöhte sich von den genannten
630 000 auf über 2 Millionen. Es wird also wirklich Zeit,
die gesetzlichen Regelungen für den Schutz vor Flug-
lärm auf eine neue Grundlage zu stellen.
Aber auch diesmal hat der Bundestag – das ist ange-
sprochen worden – lange dafür gebraucht. Da die nach-
folgende Generation ja immer steigerungsfähig ist, ha-
ben wir nicht zwei, sondern drei Wahlperioden
gebraucht. Umso besser ist es, dass wir uns dieses Mal
darauf verständigt haben, die Bundesregierung schon
jetzt auf eine Überprüfung nach zehn Jahren zu ver-
pflichten. Damit legen wir bereits heute die Grundlage
dafür, dass nicht erst wieder dreieinhalb Jahrzehnte ins
Land gehen müssen, ehe das Gesetz den aktuellen Gege-
benheiten angepasst wird. Kollege Hermann, aus dieser
Regelung folgt, dass, wenn Bedarf besteht, nach zehn
Jahren entsprechend gehandelt wird.
Herr Kollege Nüßlein, das ist im Übrigen ein Grund,
warum wir heute noch keine Vereinbarung für das
Jahr 2020 – Sie und einige andere haben das angespro-
chen bzw. gefordert – in das Gesetz hineinschreiben
müssen. Für Versprechungen gegenüber den Anwohne-
rinnen und Anwohnern, die sich bei einer Überprüfung
in zehn Jahren möglicherweise als unerfüllbar heraus-
stellen werden, sind jedenfalls wir Sozialdemokraten
nicht zu haben; das sollte aber für uns alle gelten.
Nach den Diskussionen der letzten Wochen liegt uns
ein Gesetzentwurf vor, der sich sehen lassen kann. Das
Gesetz wird den notwendigen und wichtigen Schutz der
Anwohnerinnen und Anwohner verbessern und den
Flughäfen Planungs- und Rechtssicherheit bieten.
An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten herzlich
danken. Dieser Dank richtet sich natürlich an die Kolle-
ginnen und Kollegen von der Koalition für die gute und
vertrauensvolle Zusammenarbeit, aber eben auch an die
Vertreter der Opposition für kritische Anmerkungen und
Fragen, die dann koalitionsintern für konstruktive Dis-
kussionen gesorgt haben. Kollege Hermann hat das ge-
rade von dieser Stelle aus noch einmal ausdrücklich ge-
würdigt.
Nicht nur deswegen geht bei dem Dank an die Oppo-
sition ein besonderer Dank an die Grünen, weil – Sie er-
wähnten das schon – wichtige Vorarbeit in der letzten
Wahlperiode für den letztendlich rot-grünen Gesetzent-
wurf geleistet wurde. Daher wussten Sie – das haben Sie
im Februar bei der Debatte zur ersten Lesung erwähnt –
um die vorhandenen Schwächen. Aber ich hoffe, dass
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Sie haben noch ungefähr zehn Minuten Zeit zum
achdenken.
Der Dank geht – das Umweltministerium wurde ganz
ft angesprochen – an den Umweltminister, aber auch an
en Bundesverkehrsminister und die entsprechenden
äuser für die Begleitung der parlamentarischen Arbeit
nd nicht zuletzt an die Vertreter der Anwohnerinnen
nd Anwohner und auch der Luftverkehrswirtschaft für
hre – es war nicht anders zu erwarten – höchst unter-
chiedlichen Hinweise. Natürlich konnten wir nicht alle
ufgreifen; denn es galt, einen fairen Interessenaus-
leich herzustellen. Aber alle Hinweise wurden sehr
rnst genommen und ausführlich beraten. Mein Kollege
ühlstein hat schon auf zahlreiche Verbesserungen im
nteresse der Anwohnerinnen und Anwohner hingewie-
en.
Nun werden Sie sicherlich Verständnis dafür haben,
ass ich als Verkehrspolitiker mich auf die Situation und
edeutung der Luftverkehrswirtschaft konzentrieren
öchte. Das tue ich, nicht obwohl, sondern gerade weil
ch selbst vom Lärm betroffener Anwohner – in diesem
all des Flughafens Hamburg – bin. Ich weiß nicht, ob
ier noch der eine oder andere Flughafenanwohner an-
esend ist.
Wir Flughafenanlieger kennen nicht nur den Lärm,
ondern wir kennen fast alle auch Freunde, Nachbarn
der Verwandte, die am Flughafen oder im unmittelba-
en Umfeld arbeiten. Zurzeit sind das rund 770 000
enschen. Glücklicherweise gehen die Erwartungen da-
in, dass diese Zahl noch steigt. Das geschieht aber nicht
utomatisch. Die neuen Arbeitsplätze entstehen nur,
enn unsere Luftverkehrswirtschaft im internationalen
ettbewerb bestehen kann. Einen wichtigen Schritt zur
erbesserung der Wettbewerbssituation gehen wir heute
it der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzent-
urfs.
Denn wir schaffen damit die seit langem von allen
eiten geforderte Rechts- und Planungssicherheit. Es
ar einfach ein unhaltbarer Zustand, ein so altes Gesetz
u haben, dass Richterrecht das geschriebene Recht
ängst korrigierte. Gleichzeitig sichern wir letztlich im
nteresse aller durch abgestufte Bauverbote und -be-
chränkungen den Flughäfen notwendige Freiräume und
ermeiden zukünftige Nachbarschaftskonflikte.
Natürlich reicht das nicht aus. Gerade im Bereich der
uftfahrt sind weitere Anstrengungen notwendig, um die
ukunft dieser Wachstumsbranche zu sichern. Die not-
endigen Ausbauvorhaben in München und Frankfurt
eigen, wie wichtig die Verkürzung der Planungszeit-
äume in unserem Land ist. Zahlreiche EU-Vorhaben und
ie allgemeine Entwicklung in der Branche – nicht zu-
etzt mit neuen Konkurrenten im Nahen Osten – bedürfen
7298 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Christian Carstensen
der Begleitung. Auch im industriellen Bereich ist zum
Beispiel bei der Ingenieurausbildung regelmäßige Unter-
stützung wichtig.
Ein neuer Luft- und Raumfahrtkoordinator könnte da-
bei ausgesprochen hilfreich sein. Ich hoffe sehr, dass,
nachdem wir die Einführung der neuen maritimen Koor-
dinatorin erleben konnten, hier nun bald ein entspre-
chender Ansprechpartner für die Luft- und Raumfahrt
zugegen sein wird.
Sicherlich ist nicht jeder mit diesem Gesetz rund-
herum zufrieden. Es bleibt die Frage, ob es nicht auf der
einen oder anderen Seite etwas weniger und auf der ei-
nen oder anderen Seite etwas mehr hätte sein können.
Tatsächlich – das haben wir gerade schon wieder erlebt –
versuchen einige, einen derartigen Wettbewerb zu star-
ten. Sie fordern die Überprüfung schon nach fünf statt
nach zehn Jahren, hier ein paar Dezibel weniger und dort
ein paar Ausnahmen bei den Siedlungsbeschränkungen
mehr.
Wir werden uns – das sage ich Ihnen ganz deutlich – an
diesem Spiel nicht beteiligen. Zur Begründung möchte
ich Sie noch einmal kurz zu den Anfängen des Fluglärm-
schutzgesetzes entführen.
Vor 36 Jahren fasste der SPD-Abgeordnete Konrad die
Beratungen laut Protokoll wie folgt zusammen:
Das Fluglärmgesetz berücksichtigt in seiner heuti-
gen Form die Gesichtspunkte, die ein solches Ge-
setz nun einmal berücksichtigen muß. Die gesund-
heitspolitischen und die wirtschaftspolitischen
Interessen sind vernünftig koordiniert, was poli-
tisch durchsetzbar und finanziell möglich ist, haben
wir beschlossen.
Vieles hat sich geändert, aber diese Zusammenfassung
galt damals und gilt heute. Deswegen bitte ich Sie alle:
Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zum Abschluss dieser Debatte erteile ich das Wort
dem Kollegen Norbert Königshofen, CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man
könnte sagen: Was lange währt, wird endlich gut. Wir
haben lange, 35 Jahre lang, praktisch seit der letzten ge-
setzlichen Regelung, immer wieder über dieses Thema
diskutiert und in den letzten Monaten hart miteinander
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Drei zentrale Ziele werden wir mit dieser Gesetzesno-
elle erreichen: Das 35 Jahre alte Fluglärmgesetz – zu-
etzt Richterrecht – wird grundlegend modernisiert, der
chutz der Menschen vor Fluglärm wird erheblich ver-
essert und es wird Rechts- und Planungssicherheit für
ukünftige Neu- und Ausbaumaßnahmen geschaffen.
ie Kollegen Dr. Nüßlein und Carstensen haben bereits
arauf hingewiesen, dass wir weg vom Richterrecht
ollten.
Ich will nicht all das wiederholen, was bereits vorge-
ragen worden ist, sondern zwei Aspekte ansprechen, die
n dieser Diskussion, wie ich glaube, von besonderer Be-
eutung sind. Zum einen geht es um die vielfach kriti-
ierte Ungleichbehandlung von bestehenden und neu ge-
auten bzw. wesentlich ausgebauten Flughäfen.
ier gelten unterschiedliche Lärmgrenzwerte.
Richtig ist – das muss man sehen –: Die Lärmbelas-
ung der Menschen ist in beiden Fällen gleich groß.
enn dennoch unterschiedliche Werte gelten, dann muss
an berücksichtigen, dass Flughäfen, die neu gebaut
der wesentlich erweitert werden, die Möglichkeit ha-
en, sich auf die damit verbundenen Kosten einzustellen
nd diese Gelder zu erwirtschaften. Für bestehende
lughäfen ist das aufgrund der Kapazitätsgrenze, die es
un einmal gibt, so schnell nicht möglich.
iese unterschiedliche Ausgangslage rechtfertigt eine
nterschiedliche Behandlung.
Bei Straßen und Schienen herrschen – auch das ist
chon gesagt worden – ähnliche Unterschiede: Der Neu-
au von Autobahnen und Schienenwegen erfolgt mit
ärmschutz, an bestehenden Straßen und Schienen ha-
en die Bürger darauf keinen Anspruch. Wir haben dazu
in freiwilliges Programm aufgelegt. Im Übrigen sind
ie Grenzwerte bei Schienenwegen und Straßen erheb-
ich höher als die, die demnächst für bestehende Flughä-
en gelten werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7299
)
)
Norbert Königshofen
– Herr Kollege, ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie wie ich
neben einem alten Schienenweg wohnen würden, auf
dem nachts ein Güterzug fährt, dann hätten auch Sie
Spaß.
Der zweite Gesichtspunkt, den ich erwähnen möchte,
wurde in der letzten Zeit schon häufig angesprochen: Es
geht um die Frage, ob die Verlängerung einer bereits be-
stehenden Nachtfluggenehmigung als neues Kriterium
für eine weitere Verschärfung der Lärmgrenzwerte ein-
geführt werden sollte.
Man muss in der Tat sagen: Der entsprechende Vor-
schlag ist bedenkenswert. Denn Nachtflugverkehr
bringt, was ja niemand leugnen kann, zusätzliche Belas-
tungen. Wenn man das durch schärfere Grenzwerte
mildern könnte, wäre das mehr als einen Gedanken wert.
Nur, wir haben auch zu sehen, dass diese Verschärfung
wegen der notwendigen Maßnahmen zu erheblichen
Mehrkosten führen würde. In Hannover-Langenhagen
werden diese Kosten auf 50 Millionen Euro geschätzt. In
Köln wäre der Betrag mit Sicherheit gleich hoch. Die
Folge wären höhere Gebühren und wegen der Kosten-
steigerungen bestünde die Gefahr einer Abwanderung
von Logistik- und anderen Unternehmen. Wir haben hier
eine schwierige Abwägung zu treffen. Nachtflugverbote
und -erlaubnisse sind Ländersache. Wir haben die Minis-
terpräsidenten gefragt. Ihr Votum war, sich für die
Arbeitsplätze zu entscheiden, gegen eine zusätzliche
Verschärfung der Grenzwerte. Das haben wir dann auf-
gegriffen und berücksichtigt. Aber ich gebe gerne zu,
das ist ein Thema, das auf der Tagesordnung bleibt.
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
Ich kann es ganz kurz machen, Frau Präsidentin: Ich
bin mir sicher, dass wir dieses Thema weiter verfolgen
und spätestens in zehn Jahren erneut eine Diskussion ha-
ben werden. Wir werden in diesem Hause mit Sicherheit
noch viel über Lärm sprechen, vielleicht demnächst über
den Lärm an bestehenden Schienensträngen, der die
Bürger ähnlich quält. Ich hoffe, dass wir genauso koope-
rativ und konstruktiv zusammenarbeiten, und möchte
meine Rede beschließen mit einem Dank an alle, die
mitgearbeitet haben in der großen Koalition: Herr
Mühlstein und Herr Carstensen natürlich, bei uns Frau
Dött und Herr Dr. Lippold.
Herr Kollege!
Auch ein Dank an das Ministerium! Mein letzter
Dank geht an die Präsidentin, dass sie mit mir so viel
Geduld gehabt hat.
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Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
er Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
eichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die-
em Gesetzentwurf zugestimmt haben die Abgeordneten
er SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und die überwie-
ende Mehrheit der Abgeordneten der CDU/CSU-Frak-
ion. Abgelehnt haben den Gesetzentwurf die Fraktionen
ie Linke und Bündnis 90/Die Grünen und einige Abge-
rdnete der CDU/CSU-Fraktion. Damit ist der Gesetz-
ntwurf in zweiter Beratung angenommen.
Bei Enthaltung eines Abgeordneten der CDU/CSU-
raktion.
Wir kommen zur
dritten Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. – Wer
timmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge-
etzentwurf mit dem gleichen Abstimmungsverhältnis
ngenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ungsanträge.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
ion der FDP auf Drucksache 16/3862? – Gegenstim-
en? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag der
DP-Fraktion ist bei Zustimmung der FDP-Fraktion und
nthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
it den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
ion Die Linke abgelehnt.
Anlagen 2 und 3
7300 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/3860? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke ist bei Zustimmung der Fraktion Die
Linke und Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
16/3861. Wer stimmt dafür? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Damit ist dieser Entschließungsantrag bei Zu-
stimmung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
und Enthaltung der Linksfraktion mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 7 b. Wir set-
zen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit auf Drucksache 16/3813 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. II seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/263 mit dem Titel „Das
Fluglärmgesetz unverzüglich und sachgerecht moderni-
sieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Diese Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion
und bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Linksfraktion angenommen.
Unter Nr. III empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/551 mit dem Titel „Den Schutz der
Anwohner vor Fluglärm wirksam verbessern“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Diese Beschlussempfehlung ist
bei Gegenstimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die
Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion
angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
auftragten
Jahresbericht 2005
– Drucksachen 16/850, 16/3561 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer
Hedi Wegener
Elke Hoff
Paul Schäfer
Winfried Nachtwei
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu
höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbe-
auftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe.
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Meine Damen und Herren, sehen Sie es mir bitte
ach, wenn ich an dieser Stelle nicht auf aktuelle The-
en eingehen möchte, die sich in jüngster Zeit oder im
aufe dieses Jahres ereignet haben. Damit werden wir
ns im Rahmen des Jahresberichts 2006 naturgemäß zu
eschäftigen haben. Trotzdem mache ich keinen Hehl
us meiner Freude über die Tatsache, dass alle Soldatin-
en und Soldaten der jüngsten Kongomission bis zum
eihnachtsfest wieder bei ihren Familien sein werden.
Die Soldatinnen und Soldaten dürfen wirklich stolz
uf ihren geleisteten Beitrag zur Friedenssicherung im
usammenhang mit den durchgeführten Wahlen im
ongo sein. Das darf aber aus meiner Sicht nicht da-
über hinwegtäuschen, dass es mit Blick auf die Planung,
rrichtung und auch auf den Betrieb der Feldlager
owohl in Kinshasa wie auch in Libreville in Gabun er-
ebliche Probleme gab, die es jetzt aufzuarbeiten gilt.
eshalb bin ich außerordentlich froh, dass der Verteidi-
ungsausschuss des Hohen Hauses sich gleich am An-
ang des kommenden Jahres mit diesem Thema ausführ-
ich beschäftigen wird.
Meine Besuche in den Einsatzgebieten haben aber
uch etwas anderes noch einmal sehr deutlich gemacht:
ie notwendige Debatte über den Sinn und Zweck der
insätze und die Transformation der Streitkräfte darf uns
icht den Blick für die Sorgen und Nöte des einzelnen
oldaten verstellen. Jede Entscheidung, die die Bundes-
egierung und das deutsche Parlament im Hinblick auf
ie Streitkräfte treffen, hat am Ende ganz konkrete Aus-
irkungen auf den Auftrag und den Einsatz eines jeden
inzelnen Soldaten. Diese Auswirkungen ständig im
lick zu behalten, ist Pflicht von uns allen. Wer hätte
ehr Grund, immer wieder darauf hinzuweisen, als der
ehrbeauftragte, der nun einmal zum Schutz der Rechte
er Soldatinnen und Soldaten berufen ist.
Ganz ausdrücklich bedanken will ich mich an dieser
telle bei allen Mitgliedern des Verteidigungsausschus-
es für die ausgezeichnete Kooperation, beim Bundes-
agspräsidenten für seine persönliche Unterstützung und
igentlich beim gesamten Parlament, bei Ihnen allen,
eine Damen und Herren, für die zumindest aus meiner
icht beispielhaft gute Zusammenarbeit und das ausge-
eichnete Zusammenwirken. Mein Dank geht natürlich
uch an den Bundesminister der Verteidigung, Dr. Jung.
er Dank geht ebenso an die politische und militärische
ührung seines Hauses und an alle nachgeordneten
7302 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Wehrbeauftragter Reinhold Robbe
Dienststellen des BMVg. Nicht zuletzt danke ich allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Amtes für die
hervorragende Unterstützung, ohne die ich meine Arbeit
überhaupt nicht tun könnte.
In wenigen Tagen können wir das Weihnachtsfest fei-
ern. Etwa 9 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten wer-
den das Fest nicht bei ihren Lieben zu Hause, sondern ir-
gendwo in der Welt, im Einsatz am Horn von Afrika, in
Afghanistan oder sonst wo, verbringen müssen. Lassen
Sie mich deshalb abschließend die Gelegenheit nutzen,
allen unseren Soldatinnen und Soldaten, die in allen Tei-
len der Welt und auch an den Heimatstandorten für unser
Vaterland ihren wichtigen und oftmals auch gefährlichen
Dienst leisten, an dieser Stelle ganz herzlich Dank sagen.
Ich wünsche ihnen und ihren Angehörigen in der Heimat
ein friedvolles und gesegnetes Weihnachtsfest und für
das vor uns liegende Jahr das notwendige Soldatenglück
und stets eine gesunde Rückkehr in die Heimat. Ich bin
davon überzeugt, dass ich dies auch in Ihrer aller Namen
tun darf.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegin Anita Schäfer, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Wehrbeauftragter, im Namen meiner Fraktion danke ich
Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre wichtige Arbeit,
die Sie im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten
leisten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Medien-
berichten der vergangenen Wochen musste die Bundes-
wehr viel Kritik über sich ergehen lassen. Es wäre je-
doch falsch und verhängnisvoll, die Bundeswehr unter
Generalverdacht zu stellen. Die Vorgänge sind konse-
quent aufzuklären und nach individueller Verantwortung
zu beurteilen. Das Fehlverhalten Einzelner darf nicht
dazu führen, dass die überwiegende Zahl von Bundes-
wehrsoldaten, die höchst beachtliche Leistungen erbrin-
gen, diskreditiert wird.
Trotzdem zeigen uns die bedauerlichen Vorfälle in
Afghanistan, wie wichtig der Wehrbeauftragte als Früh-
warnsystem ist. Seine Aufgabe gewinnt im Zeichen von
Transformation und Auslandseinsätzen erheblich an Be-
deutung. Sie verlangt deswegen – auch und gerade in der
Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Deutschen
Bundestages – Fingerspitzengefühl.
Bedenken und Anregungen des Wehrbeauftragten
sollten zuerst in die parlamentarischen Gremien einge-
bracht werden, bevor es zu öffentlichen Stellungnahmen
kommt. Diese Reihenfolge sollte künftig wieder einge-
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Herr Wehrbeauftragter, Ihr Jahresbericht 2005 zeigt
indringlich auf, unter welchem enormen Druck die Sol-
aten durch den Transformationsprozess und die wach-
ende Zahl an Einsätzen stehen. Maßstäbe für menschli-
hes Verhalten, wie sie die innere Führung setzt,
üssen für eine Armee im Einsatz Leitprinzip bleiben.
ie innere Führung ist unerlässlich, um den Soldaten ein
thisches Rüstzeug zu vermitteln und sie für Fehlverhal-
en zu sensibilisieren. Sie ist ein dynamisches Konzept,
as den Soldaten unter sich wandelnden Bedingungen
rientierung für menschliches Verhalten gibt. Ich be-
rüße deshalb ausdrücklich die Ankündigung von Minis-
er Dr. Jung, dass die bundeswehrinterne Dienstvor-
chrift zur inneren Führung an die Herausforderungen
nserer Zeit angepasst werden soll.
Gerade im Auslandseinsatz brauchen wir mitden-
ende und verantwortungsbewusst handelnde Soldaten.
eswegen müssen den Soldaten rechtzeitig und gezielt
ie politischen Hintergründe eines Einsatzes vermittelt
erden. Vor allem müssen sie mit den kulturellen, sozia-
en und religiösen Besonderheiten des jeweiligen Ein-
atzlandes vertraut gemacht werden.
Wir haben aber auch dafür Sorge zu tragen, dass die
nnere Führung im multinationalen Einsatzverbund
andlungsmaxime für die Bundeswehr bleibt. Sie darf
icht auf Druck verbündeter Staaten ausgehöhlt werden.
uf diese Verantwortung hat insbesondere die Deutsche
ischofskonferenz in ihrer Denkschrift „Soldaten als
iener des Friedens“ eindringlich hingewiesen.
Der EUFOR-Einsatz der Bundeswehrsoldaten im
ongo geht fristgerecht zu Ende. Die ersten Soldaten
ind bereits heimgekehrt. Die Zielsetzung der Kongo-
ission konnte bislang erreicht und ein neuer Bürger-
rieg verhindert werden. Für diese Leistung sind wir un-
eren Soldaten zu Dank verpflichtet.
In Afghanistan, auf dem Balkan, am Horn von Afrika
nd an den Küsten des Libanon stehen deutsche Einhei-
en weiterhin in schwierigen Einsätzen. Gerade in
fghanistan ist die sicherheitspolitische Situation ge-
ährlich und unkalkulierbar. Das gilt auch für den Nord-
ektor und die Hauptstadt Kabul. Die Bundeswehr erfüllt
ort ihren Auftrag professionell und engagiert. Deswe-
en brauchen wir uns in Sachen Leistungsfähigkeit vor
einem Verbündeten zu verstecken.
Der Bericht des Wehrbeauftragten macht allerdings
eutlich, dass der Sinn von Auslandseinsätzen den Sol-
aten besser vermittelt werden muss. Nur wenn die Sol-
aten von einem Einsatz überzeugt sind, bringen sie das
ntsprechende Engagement mit. Wir müssen deswegen
or jeder Entsendung transparent machen, für welche
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7303
)
Anita Schäfer
Werte, Ziele und Interessen unsere Soldaten notfalls
Leib und Leben zu riskieren haben. Dies haben Sie, Herr
Verteidigungsminister, in Ihrer Rede vor dem Zentrum
Innere Führung noch einmal klar herausgestellt:
Wir müssen die politischen Begründungen für Aus-
landseinsätze für den Staatsbürger mit und ohne
Uniform so einleuchtend wie möglich formulieren.
Denn die Überzeugungskraft der Begründung hat
unmittelbare Auswirkungen auf die Auftragserfül-
lung.
Wir sollten alles dafür tun, dass die Kommunikation mit
unseren Soldaten, aber auch mit der Bevölkerung diesem
Anspruch künftig gerecht wird.
Wenn die Entsendung in einen Einsatz beschlossene
Sache ist, müssen Ausrüstung, Versorgung und Schutz-
niveau der Soldaten stimmen. Das sollte an sich selbst-
verständlich sein.
Trotzdem sind in dem Bericht des Wehrbeauftragten
Beispiele für Ausstattungsmängel im Einsatz aufgelistet.
Darauf habe ich schon in meiner letzten Plenarrede deut-
lich hingewiesen. Die Stellungnahme des BMVg zu die-
sen Punkten wird dem Problem allerdings nicht immer
gerecht. Ich nenne exemplarisch die Verschleißerschei-
nungen am viel genutzten Einsatzfahrzeug Wolf und die
Klagen über die unzureichende Materialausstattung von
Kräften der NATO Response Force. Dieser Zustand ist
bedenklich. Ich hoffe, dass sowohl die politische als
auch die militärische Führung hier konsequenter Verbes-
serungsmaßnahmen treffen.
Auch mit Blick auf die EUFOR-Mission im Kongo
müssen wir die Kritik von Soldaten bezogen auf Unter-
bringungs-, Versorgungs- und Ausrüstungsmängel ernst
nehmen. Deshalb begrüße ich sehr, dass nach Beendi-
gung dieses Einsatzes ein umfassender Evaluierungsbe-
richt für den Verteidigungsausschuss erstellt wird. Nur
wenn wir die Schwachpunkte klar erkennen und die be-
rechtigte Kritik unserer Soldaten aufgreifen, sind wir für
künftige Einsätze dieser Art gewappnet. So können wir
auch einem Vertrauensverlust bei den Soldaten entge-
genwirken.
Der Bericht des Wehrbeauftragten lässt es an warnen-
den Hinweisen auf die Kluft zwischen Auftrags- und
Mittellage der Bundeswehr nicht fehlen. Ja, er sieht so-
gar die Bundeswehr an den Grenzen ihrer Leistungsfä-
higkeit angelangt. Der Bericht liegt damit leider in Tra-
ditionslinie zu den Vorgängerberichten in den letzten
Jahren. Selbst im aktuellen Weißbuch ist von einem
„Spannungsverhältnis zwischen den verteidigungspoliti-
schen Erfordernissen und dem finanziellem Bedarf für
andere staatliche Aufgaben“ die Rede. Dieses Span-
nungsverhältnis droht zu einem strukturellen Problem zu
werden. Wir sind, was die Haushaltslage angeht, keine
Illusionisten. Doch eines müssen wir klar herausstellen:
Es wäre fatal, wenn die deutsche Sicherheitspolitik ihre
Prioritäten nicht nach der Bedrohungslage, sondern nach
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ie mittelfristige Finanzlinie ist sicherlich ein erster
ichtiger Schritt hin zur Stabilisierung des Einzel-
lans 14. Sie wird aber den vielfältigen Anforderungen
iner modernen Einsatzarmee nicht gerecht. Hier sind
eben dem Verteidigungsminister die Verteidigungspoli-
iker aller Fraktionen gefordert, konstruktive Vorschläge
inzubringen und gemeinsam mit den Haushaltspoliti-
ern umzusetzen.
Die Einsatzrealität der Bundeswehr ist auch für die
achwuchssituation der Streitkräfte von zentraler Be-
eutung. Im Bericht des Wehrbeauftragten wird ein-
ringlich festgestellt:
Insbesondere der Mangel an personellen Ressour-
cen erweist sich in zunehmendem Maße als Pro-
blem. Es betrifft den Bereich des Sanitätswesens
ebenso wie den der Operativen Information, der
Heeresfliegertruppe, der Feldjäger, Fernmelder oder
Pioniere.
Betroffen sind also gerade die Spezialisten, die das
ückgrat bei Stabilisierungsoperationen bilden und ge-
enwärtige wie künftige Einsätze der Bundeswehr maß-
eblich prägen.
Dies ist auch dem Weißbuch zu entnehmen. Dort wird
ine Zielgröße von maximal 14 000 Soldaten angegeben,
ie gleichzeitig für Stabilisierungsoperationen einsetzbar
ein sollen. Angesichts der knappen Personalressourcen
ei Spezialisten wird diese Vorgabe nicht leicht zu errei-
hen sein. Fest steht: Das BMVg ist in der Personalfrage
ensibilisiert und leistet im Bereich der Nachwuchsarbeit
ereits Erhebliches.
Im Übrigen zeigt sich hier, meine Damen und Herren
on der Opposition, wie töricht Ihre Forderung nach Ab-
chaffung der Wehrpflicht ist; denn ohne Wehrpflicht
üssten wir erhebliche Einbußen bei dem Gewinnen
on qualitativ hochwertigem Personal hinnehmen. Al-
ein ein Drittel des länger dienenden Personals wird über
ehrpflichtige gewonnen. Für die Qualitätsbasis der
treitkräfte ist die Wehrpflicht also unverzichtbar. In die-
em wichtigen Punkt schafft das neue Weißbuch endlich
lanungssicherheit für unsere Soldatinnen und Soldaten.
Dabei ist allerdings für mich klar: Wir müssen noch
ehr in die Nachwuchswerbung und Möglichkeiten der
eiterbildung bei den Streitkräften investieren. Sonst
ann die Bundeswehr in Konkurrenz zum zivilen Ar-
eitsmarkt nicht mithalten. Es wäre keine gute Entwick-
ung, wenn künftig die Truppe Abstriche bei ihrem Per-
onal machen müsste, weil sie für Bewerber zu wenig
ttraktiv ist. Gerade eine professionelle Einsatzarmee er-
ordert mehr denn je einen intelligenten, belastungs- und
eistungsfähigen Soldatentypus.
)
7304 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Anita Schäfer
Aus diesen Gründen ist es absolut inakzeptabel, dass
zwei Drittel der Soldatinnen und Soldaten zu den unte-
ren Lohn- oder Einkommensgruppen gehören. Für ein
attraktives und konkurrenzfähiges Berufsbild Bundes-
wehr ist eine moderne Besoldungsordnung unverzicht-
bar. Am Ende der Debatte muss eine materielle Verbes-
serung der Soldaten stehen. Darüber hinaus müssen wir
die soziale Absicherung der Realität einer Einsatzarmee
anpassen. Dazu gehört insbesondere, im Einsatz ver-
sehrte Soldaten beruflich weiterzubeschäftigen. Selbst-
verständlich müssen wir auch eine Familienbetreuung
auf hohem Niveau gewährleisten. Herr Verteidigungsmi-
nister Dr. Jung, ich danke Ihnen im Namen unserer Frak-
tion ausdrücklich dafür, dass Sie in diesen wichtigen
Punkten beharrlich voranschreiten.
Soldat sein ist eben nicht irgendein Job. Wer für die
Sicherheit unseres Landes in gefährlichen Missionen den
Kopf hinhält, der verdient mindestens ein hohes Maß an
materieller und sozialer Absicherung. Er verdient da-
rüber hinaus die besondere Anerkennung von Politik und
Gesellschaft.
Gerade wir Parlamentarier stehen hier in der Pflicht, uns
für ein neues Ethos des Soldatenberufes stark zu ma-
chen.
Meine Damen und Herren, all unseren Soldatinnen
und Soldaten wünsche ich an dieser Stelle ein gesegnetes
und vor allem ein friedvolles und friedliches Weih-
nachtsfest und ein gesundes, gutes neues Jahr 2007.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Frak-
tion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Jah-
resbericht 2005 des Wehrbeauftragten abschließend im
Plenum. Deswegen, Herr Wehrbeauftragter Robbe, darf
ich Ihnen und besonders Ihren Mitarbeitern sehr herzlich
für die hervorragende Arbeit danken, die weit über die
Vorlage dieses Jahresberichts hinausgeht.
Ihr Amtsverständnis als ein öffentlich agierender Hü-
ter der Interessen unserer Soldatinnen und Soldaten tut
zwar manchem in der Koalition hin und wieder weh,
aber bleiben Sie unbeirrt. Denn Ihr Kontrollauftrag und
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Herr Robbe, Sie haben einen Brief an den Verteidi-
ungsausschuss geschrieben, in dem Sie erneut auf
chwere Ausrüstungsmängel im Rahmen des Kongoein-
atzes aufmerksam gemacht haben. Die Bundesregie-
ung müsste daraus Konsequenzen ziehen. Das Problem
cheint aber zu sein, dass sich der Verteidigungsminister
insichtlich der Ausbildungs- und Ausrüstungssitua-
ion in einer anderen Realität wähnt. Herr Jung, Sie ha-
en mir gegenüber am 22. November behauptet, dass
ir unseren Soldatinnen und Soldaten, die sich in riskan-
en Auslandseinsätzen befinden, eine optimale Ausbil-
ung gewähren und eine optimale Ausrüstung mitgeben.
lauben Sie das wirklich? Es müsste doch inzwischen
ekannt sein, dass gerade Personenschäden bei Anschlä-
en auf deutsche Soldaten hätten verhindert werden kön-
en, wenn Ihr Ministerium beispielsweise die am Markt
orhandenen Jammer gegen Sprengfallen rechtzeitig be-
chafft hätte. Insofern waren die Ausrüstungsdefizite im
ongo zwar ärgerlich, anderswo aber hatten sie unmit-
elbare Auswirkungen auf die Gesundheit unserer Solda-
en. Auch der nun endlich in Gang gesetzte beschleu-
igte Zulauf von 100 Dingo 2 im nächsten Jahr ist hier
ur ein nächster Schritt.
Sie schützen immer wieder fehlende Haushaltsmittel
or. Aber wer A sagt, muss auch B sagen. Die Bundesre-
ierung muss endlich deutlich machen, was ihr die zahl-
eichen Einsätze der Bundeswehr als Instrument der Au-
enpolitik wert sind. Die große Koalition hat im
oalitionsvertrag vereinbart, dass sichergestellt werden
üsse, künftige Auslandseinsätze aus dem Einzel-
lan 60 zu finanzieren. Was haben Sie davon bisher um-
esetzt? Nichts. Ähnlich inkonsequent zeigt sich die
undeskanzlerin: Ja, man brauche mehr Geld für die
undeswehr. Nein, 2007 gebe es noch keines. Wann
enn, bitte schön? Wie viel und wofür?
Besonders groß ist der Unmut derzeit im zentralen
anitätsdienst. Hier ist die Personalsituation derart an-
espannt, dass sich die Betroffenen auch öffentlich deut-
iches Gehör verschaffen. Die Bundesregierung verkauft
s schon als einen Erfolg, wenn die Beschaffung einer
rundbefähigung geschützter Sanitätsfahrzeuge bis
010 geplant ist. Andere Projekte muss sie sogar über
ehn Jahre hinweg strecken. Ich darf daran erinnern,
ass die Grundbefähigung lediglich die materielle Min-
estanforderung für den Einsatz darstellt. Nach den eige-
en Kriterien der Bundeswehr wäre der zentrale Sani-
ätsdienst nur bedingt einsatzfähig. Auch die personelle
esetzung lässt bestenfalls diese Einschätzung zu: Le-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7305
)
)
Elke Hoff
diglich 55 Prozent der Truppenärzte stehen der truppen-
ärztlichen Versorgung tatsächlich zur Verfügung. Statt
jedoch einzuräumen, dass es Probleme gibt und diese
ausgeräumt werden müssen, werden diejenigen, die den
Betrieb aus jahrelanger eigener Erfahrung gut kennen
und die Probleme artikulieren, als Einzelfälle gebrand-
markt, bei denen – wie es dann heißt – Inhalt und Ziel
der Transformation noch nicht in allen Köpfen ange-
kommen sind.
Es muss beim Umgang mit der Bundeswehr bald zu
einem Paradigmenwechsel kommen; denn sonst verliert
sie als Arbeitgeber immer mehr an Attraktivität. Schon
heute müssen die Kriterien für diejenigen freiwillig län-
ger Wehrdienst Leistenden herabgesetzt werden, die
nicht im Auslandseinsatz verwendet werden. Ich bin
froh, dass zumindest mit dem Weiterverwendungsge-
setz nun hoffentlich der Anspruch auf Weiterbeschäfti-
gung für im Einsatz zu Schaden gekommene Soldaten
geschaffen wird.
Ich hoffe, dass sich das Verteidigungsministerium hier
gegenüber dem Justizministerium durchsetzen wird. Der
aus diesem Bereich vorgebrachte Einwand, das Gesetz
verstoße gegen das Leistungsprinzip, ist aus meiner
Sicht unerträglich.
Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, es bleibt für Sie
und uns alle im nächsten Jahr viel zu tun, um die Bun-
deswehr auf ihrem schwierigen Weg durch die Transfor-
mation zu begleiten. Dafür wünsche ich Ihnen und auch
uns weiterhin eine gute Hand. Bei allen Kollegen, insbe-
sondere bei den Kolleginnen und Kollegen des Verteidi-
gungsausschusses, darf ich mich für die gute Zusam-
menarbeit sehr herzlich bedanken.
Ich wünsche Ihnen ein frohes, ein glückliches, ein be-
sinnliches Weihnachtsfest, einen guten Rutsch ins neue
Jahr und viel Gesundheit. Ich freue mich auf die weitere
Zusammenarbeit im nächsten Jahr.
Ich erteile das Wort Kollegin Hedi Wegener, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Herr Wehrbeauftragter! Herr Minis-
ter! Meine Herren und Damen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Soldaten auf der Tribüne! Herr Wehrbe-
auftragter, recht herzlichen Dank Ihnen und Ihren Mitar-
beitern für den Bericht und für die Arbeit. Aus der Fülle
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Der Wehrbeauftragte hat eine Bundesstiftung zur Ent-
schädigung von Strahlenopfern angeregt. Das unterstüt-
zen wir.
Das Verteidigungsministerium hingegen hält dies für
nicht vertretbar. Warum nicht? Das werden wir noch ein-
mal auf die Tagesordnung setzen.
Ich meine, dass die im Bericht immer wieder aufge-
zeigten Mängel ein Beleg dafür sind, dass nicht ernsthaft
an der Beseitigung der Mängel gearbeitet und so manche
Beschwerde bagatellisiert wird.
Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der gerade
in der heutigen Zeit für uns sehr wichtig ist. Nach Ein-
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Die im Bericht des Wehrbeauftragten aufgelisteten
ängel stehen auch im Zusammenhang mit Auslands-
insätzen. Das wiederholte Versagen der Verantwortli-
hen in der Bundeswehr im Rahmen der Ausbildung und
er Vorbereitung auf Auslandseinsätze sowie der psychi-
che Stress für die Soldatinnen und Soldaten bei Aus-
andseinsätzen bestärken die Fraktion Die Linke in ihrer
orderung, den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus
fghanistan einzuleiten.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
raktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ieber Kollege Reinhold Robbe! Kollegin Kunert, eine
larstellung, was das weitere Tagen des Unteraus-
chusses „Innere Führung“ angeht: Schon vor Einset-
ung des Verteidigungsausschusses als Untersuchungs-
usschuss hatten wir vereinbart, dass der Unterausschuss
n sein Beratungsende gekommen ist. Wir stellen ihn
lso nicht zugunsten des Untersuchungsausschusses ein,
ondern haben intensiv genug beraten und kommen jetzt
u einem Ergebnis.
In diesem Jahr wird das Amt des Wehrbeauftragten
0 Jahre alt. Da trifft es sich sehr gut, dass vor wenigen
agen hierzu ein etwas weniger trockener Bericht, als es
ine Bundestagsdrucksache ist, vorgestellt wurde. Es ist
in wirklich ansehnliches Büchlein über das Amt des
ehrbeauftragten und nicht so voluminös wie manch
7308 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Winfried Nachtwei
andere Bände aus diesem Hause, die möglicherweise
waffenscheinpflichtig sind. Es ist sehr zu empfehlen.
Ihm ist einiges über die Entstehung des Amts des
Wehrbeauftragten zu entnehmen. Die Idee ist von dem
SPD-Abgeordneten Ernst Paul in den Bundestag einge-
bracht worden. Man hat sich damals das entsprechende
Amt in Schweden als Vorbild genommen. Dort heißt es:
„Militie-Ombudsman“. Der damalige Bundeskanzler
Adenauer war massiv dagegen. Der Bundestag hat es
hinbekommen, diese Einrichtung zu installieren. Offen-
sichtlich waren die meisten Fraktionen dafür.
Es wird in diesem Buch auch richtig festgestellt, dass
dieses Amt in der deutschen Verfassungs- und Militärge-
schichte ohne Beispiel ist. Inzwischen ist es längst
selbstverständlich und unverzichtbar. Es ist also gut,
dass es dieses Amt gibt, und sehr gut, dass es so gut aus-
gefüllt wird. Danke schön Ihnen, Herr Robbe, sowie Ih-
ren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern!
Seit der Vorlage des letzten Berichtes im März haben
sich einige Grundprobleme verschärft. Dieser Bericht ist
ja überwiegend ein Mängelbericht. Es wird unter dem
Kapitel „soldatisches Fehlverhalten“ vermerkt, dass
es in diesem Bereich eine nicht unerhebliche Dunkelzif-
fer gebe. Diese Aussage hat sich dann ja in unerwarteter
Weise mit den berühmt-berüchtigten Skandalfotos und
ihrer Veröffentlichung bestätigt. Die dort gezeigten ma-
kaber-obszönen „Spiele“ wurden vor sieben Wochen
einhellig verurteilt; ihnen wurde sehr genau nachgegan-
gen und in der Sache wurde entschieden ermittelt. Die
befürchteten gefährlichen Reaktionen in Afghanistan
blieben glücklicherweise aus. Zugleich wurde aber auch
Folgendes deutlich, nämlich dass es in der Tat offen-
sichtlich einzelne Fälle waren, dass es sich dabei also
nicht um die Spitze eines Eisbergs handelte.
Auch etwas anderes wurde hoffentlich noch etwas
deutlicher, dass nämlich die Anforderungen, die heutzu-
tage an Soldaten in solchen Einsätzen gestellt werden,
enorm groß sind. So genannte Robustheit wird erwar-
tet, auch Sensibilität und Verhaltenssicherheit – und das
alles von jungen Soldaten. Das sind Anforderungen, die
hierzulande so in normalen Berufen nicht gestellt wer-
den. Eine enorme Herauforderung besteht darin, in der
Ausbildung darauf vorzubereiten und durch Menschen-
führung dazu anzuhalten. Ich habe den Eindruck – er
wird von den verteidigungspolitischen Kollegen bzw.
Kolleginnen weitestgehend geteilt –: Diese Herausforde-
rung wird von der Bundeswehr insgesamt bemerkens-
wert gut gemeistert.
Verschärft haben sich in diesem Jahr die Zweifel am
Sinn von Einsätzen. In diesem Zusammenhang sind zu
nennen: die krisenhafte Entwicklung in Afghanistan, der
neue, zuerst sehr umstrittene Dauereinsatz vor der Küste
des Libanon und schließlich der EU-Einsatz im Kongo,
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Umso dringlicher ist es vor diesem Hintergrund, dass
ndlich eine Gesamtbilanzierung und Auswertung von
uslandseinsätzen geleistet werden. Es ist gut, aber
icht ausreichend, wenn die grüne Partei auf ihrem Par-
eitag beschlossen hat, das selbst vorzunehmen. Wir tun
as gern. Aber das sollte auch vom Parlament insgesamt
nd von der Regierung geleistet werden.
Dass der Wahlprozess im Kongo so gut vonstatten
ing – manche sprechen hier sogar von einem irdischen
under –, ist ein Gemeinschaftswerk von vielen. Es
äre angemessen, öffentlich den Deutschen zu danken,
ie dazu beigetragen haben, den Wahlbeobachterinnen
nd Wahlbeobachtern, den Soldaten, Diplomaten, den
eutschen MONUC-Mitarbeitern. Das sollte, so meine
ch, im nächsten Jahr mit einer gemeinsamen öffentli-
hen Veranstaltung von Bundesregierung und Parlament
eschehen.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der
ericht des Wehrbeauftragten veranlasst mich, zunächst
inige grundsätzliche Anmerkungen zur Außen- und Si-
herheitspolitik Deutschlands zu machen, die von der
ehrheit dieses Hauses gebilligt wird. Es ist eine Poli-
ik, die seit 1990 zunehmend auf die Bundeswehr als
nstrument zur Gestaltung der Außenpolitik setzt.
abei gerät total in Vergessenheit, dass die außenpoliti-
chen Erfolge vor der Wende mit diplomatischen Mitteln
rrungen wurden: nach Westen durch die europäische In-
egration, nach Osten durch die Politik Willy Brandts
nd den KSZE-Prozess.
eides basierte übrigens auf einem klaren Konzept.
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Wie ihre
orgängerregierungen schwankt auch die große Koali-
ion zwischen Großmannssucht und Vasallentreue zur
SA. Altkanzler Helmut Schmidt sieht das anscheinend
hnlich – ich zitiere –:
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7309
)
)
Gert Winkelmeier
Die NATO ist ein militärisches Verteidigungsbünd-
nis,
– hören Sie gut zu –
dem der potenzielle Feind abhanden gekommen ist.
Und jetzt suchen die militärischen und diplomati-
schen Bürokraten des Bündnisses neue Aufgaben
… Die Aufgabe der Verteidigung im Notfall muss
bestehen bleiben. Aber deswegen muss ich mich
nicht verpflichtet fühlen, im Irak oder Syrien die
Demokratie zu verwirklichen …
Da würde ich zurückhaltend sein, auch bei den so
genannten friedenserhaltenden militärischen Missio-
nen … Ich habe mich nie als politischer Zwerg ge-
fühlt, aber auch keinen Sitz im UN-Sicherheitsrat
angestrebt.
Zitiert nach „Focus“-Interview, 24. Kalenderwoche 2005.
– Ja, das ist eine Schande. Herr Tauss, wir müssen uns
aber auf ihn berufen, weil Sie sich von seiner Politik
vollkommen abgekehrt haben.
Diese Haltung stünde auch der Bundesregierung gut
zu Gesicht; stattdessen erklärt sich die Merkel-Regie-
rung zum Hilfsweltpolizisten, wie man dem jüngsten
Weißbuch entnehmen muss. Hat diese Regierung aus
dem sich abzeichnenden Desaster in Afghanistan nichts
gelernt? Offensichtlich nicht. Sonst würde der Verteidi-
gungsminister nicht öffentlich über einen Einsatz im Su-
dan nachdenken.
Die Soldaten unseres Landes müssen in nicht weni-
gen Auslandseinsätzen ihr Leben riskieren. Ihnen dafür
auch noch das Weihnachtsgeld um 70 Prozent zu kürzen,
halte ich für unverschämt. Das zeigt die Wertschätzung,
die diese Regierung ihren Soldaten entgegenbringt, am
deutlichsten.
Was ich im Jahresbericht 2005 vermisse, sind klare
Aussagen zum Prinzip der inneren Führung und zum
Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Ich sage das,
weil ich mit Sorge sehe, dass im Kopf des einen oder an-
deren Spitzenmilitärs seit Jahren ganz andere Leitbilder
herumspuken. Immerhin wünscht sich der Inspekteur
des Heeres den „archaischen Kämpfer“ und den High-
techkrieger. Offensichtlich soll das Leitbild des Staats-
bürgers in Uniform entsorgt werden, weil es einigen in
einer Einsatzarmee lästig geworden ist.
Ich fordere den Wehrbeauftragten auf, diesen gefährli-
chen Tendenzen in der Bundeswehrführung mit größt-
möglicher Schärfe entgegenzutreten; andernfalls könn-
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Weitere Probleme bei Besoldung und Laufbahn müs-
sen im Rahmen der Novellierung des Öffentlichen
Dienstrechts unter Federführung des BMI gelöst werden.
Hier gilt es, sich rechtzeitig in die Diskussion einzu-
schalten, damit den besonderen Bedürfnissen der Solda-
tinnen und Soldaten Rechnung getragen wird. Wir haben
es vorhin schon gehört: Zwei Drittel von ihnen sind im
unteren und mittleren Dienst. Auch dem muss Rechnung
getragen werden.
Neben diesen und vielen anderen Problemen, die nur
zu lösen sein werden, wenn mit den Aufgaben auch die
finanzielle Ausstattung wächst, zeigt der Bericht auch
andere Missstände in der Truppe auf. Probleme der Ge-
sellschaft machen auch vor der Bundeswehr nicht Halt.
Die Bundeswehr ist ein Spiegel der Gesellschaft und
hat ähnliche Probleme wie die Zivilgesellschaft.
Der Bericht zeigt Beispiele von respektlosem Verhal-
ten bis hin zu Körperverletzungen und Misshandlungen.
Missbrauch von legalen und illegalen Drogen wird
ebenso geschildert wie rechtsextremistische Vorkomm-
nisse. Zwar ist die Zahl der Taten im Verhältnis zur Ge-
samtzahl der Bundeswehrangehörigen gering und in den
vergangenen Jahren fast gleich geblieben, doch jede ein-
zelne rechtsextremistisch oder fremdenfeindlich moti-
vierte Tat – sei es auch nur ein Propagandadelikt – ist
eine zu viel. Rechtsextremismus und Fremdenfeind-
lichkeit dürfen weder in der Bundeswehr noch in der
Gesellschaft Platz haben.
Hier gilt es, weiterhin wachsam zu bleiben und präven-
tive und erzieherische Maßnahmen zu ergreifen. Wo es
nötig ist, muss auch mit disziplinarrechtlichen Maßnah-
men bis hin zum Ausschluss aus der Truppe reagiert
werden.
Bei Übergriffen und Fehlverhalten haben die Solda-
tinnen und Soldaten das Recht, sich an den Wehrbeauf-
tragten zu wenden. Sie nutzen es auch. Ich will sie auch
dazu ermutigen, Vorkommnisse direkt an den Vorgesetz-
ten zu melden.
Der Bericht des Wehrbeauftragten ist eine Auflistung
von Problemen und Mängeln in der Truppe. Ich möchte
Ihnen, Herr Robbe, dafür danken, dass Sie auch Positi-
ves in den Bericht aufgenommen haben. Kamerad-
schaft und Solidarität sind vor allem in den Auslands-
einsätzen unverzichtbar. Sie haben diese Eigenschaften
der Soldatinnen und Soldaten an anschaulichen Beispie-
len in Ihrem Bericht eindrucksvoll beschrieben.
Ich möchte zum Schluss allen Soldatinnen und Solda-
ten für ihren Einsatz danken. Mein Dank gilt auch dem
Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern, die immer ein offenes Ohr für die Sorgen und
Nöte der Truppeangehörigen haben.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Vertei-
igungsausschusses zum Jahresbericht 2005 des Wehr-
eauftragten, Drucksachen 16/850 und 16/3561. Wer
timmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
agegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
st einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Oskar Lafon-
taine und der Fraktion der LINKEN
Aufhebung der Steuerfreiheit von Veräuße-
rungsgewinnen
– Drucksache 16/2523 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
raktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
xel Troost, Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über Nacht
us dem Nichts zu Geld zu kommen, das ist – ich sage es
anz vorsichtig – eine angenehme Vorstellung. Für die
eisten Menschen bleibt das ein unerreichbarer Wunsch,
ei einigen klappt es aber sehr gut, zum Beispiel beim Fa-
ilienunternehmen Merck, das um 400 Millionen Euro
eicher geworden ist, als im Sommer dieses Jahres die
bernahmeschlacht um die Schering AG tobte.
Was war passiert? Der Vorstand der Schering AG
atte sich für eine Übernahme durch die Bayer AG aus-
esprochen. Diese Situation nutzte das Familienunter-
ehmen Merck aus und kaufte, ganz im Stile eines
edge-Fonds, massiv Schering-Aktien an der Börse. Um
ie Übernahme wie geplant durchführen zu können,
usste die Bayer AG diese Aktien dann von Merck zu-
ückkaufen, freilich zu einem deutlich höheren Preis.
as Ergebnis dieses Spekulationsgeschäfts war ein Er-
rag in Höhe von rund 400 Millionen Euro – über Nacht,
us dem Nichts und vor allem steuerfrei.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7311
)
)
Dr. Axel Troost
Diese 400 Millionen Euro wurden, steuertechnisch
gesprochen, als Veräußerungsgewinn verbucht. Veräuße-
rungsgewinne sind seit der rot-grünen Unternehmensteu-
erreform aus dem Jahre 2000 steuerfrei. Das, meine Da-
men und Herren, ist eine der größten steuerpolitischen
Ungerechtigkeiten, die den Bürgerinnen und Bürgern in
den letzten Jahren zugemutet wurde.
Dazu sagt die Fraktion Die Linke: Das muss geändert
werden und das kann auch geändert werden.
Wir müssen Veräußerungsgewinne wieder besteuern,
wie es auch in den meisten anderen westeuropäischen
Staaten üblich ist. Dadurch würde nicht nur mehr Steu-
ergerechtigkeit geschaffen, sondern dadurch könnten
wir auch noch zwei weitere Ziele erreichen:
Erstens würden wir dafür sorgen, dass wir wieder mehr
Geld in die öffentlichen Kassen bekommen, nämlich rund
2 Milliarden Euro pro Jahr. Ich will daran erinnern: Die-
ser Betrag entspricht in etwa der Größenordnung, die
durch die Abschaffung der Entfernungspauschale ab dem
Jahr 2007 für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
als Belastung bzw. für die öffentlichen Kassen als Mehr-
einnahmen entsteht.
Die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen zeigt:
Leere öffentliche Kassen sind kein Naturgesetz. Leere
öffentliche Kassen sind das Ergebnis einer Steuerpolitik,
durch die an Unternehmen und Besserverdienende Steu-
ergeschenke verteilt wurden.
Die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen zeigt aber
auch: Diese Steuerpolitik kann geändert werden. Dafür
bräuchte man aber den politischen Mut, Entscheidungen
zu treffen, die die Besserverdienenden und die Unterneh-
men Geld kosten.
Würden wir Veräußerungsgewinne besteuern, könn-
ten wir – das ist das zweite Ziel unseres Antrags – auch
den Einfluss von Hedge-Fonds und Private-Equity-
Firmen zurückdrängen. Eine Strategie dieser Finanz-
marktakteure besteht darin, Firmen billig aufzukaufen,
sie anschließend zu „sanieren“ – so wird Arbeitsplatz-
vernichtung in den Chefetagen genannt – und dann teuer
zu verkaufen. Genau diese Strategie wird durch den
Steuerzahler bezuschusst, und zwar dadurch, dass die
entstehenden Gewinne steuerfrei sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, man
kann nicht immer wieder – auch auf sehr populistische
Weise –, fordern, dass das Problem der Heuschrecken
gelöst werden muss, und gleichzeitig darauf verzichten,
Steuern auf Veräußerungsgewinne zu erheben.
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Natürlich besteht in Einzelfällen, zum Beispiel bei
mstrukturierungen und bei Entflechtungen von Unter-
ehmen, die Notwendigkeit dazu; das stelle ich nicht in-
rage. Aber ich sage: Die Steuerbefreiung von Veräuße-
ungsgewinnen ist ein untaugliches Instrument, um dieses
iel zu erreichen.
Denn es wird eben nicht im Einzelfall geprüft, was
efördert werden sollte und was nicht. Stattdessen wird
ach dem Gießkannenprinzip verfahren: Jeder Veräuße-
ungsgewinn wird subventioniert, auch wenn dahinter
ein sinnvolles Umstrukturierungsinstrument steht.
Dies heißt, in der Regel sind die Verlierer die Be-
chäftigten. Deswegen sind wir der Ansicht: Hier muss
ine Veränderung durchgeführt werden. Eine Steuerpoli-
ik, die solche Praktiken auch noch subventioniert, ist
icht nur sozial ungerecht, sondern auch wirtschaftspoli-
isch falsch und finanzpolitisch abenteuerlich. Wir bitten
ie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Wir brauchen
ie Aufhebung der Steuerbefreiung von Veräußerungs-
ewinnen.
Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Ulrich Krüger,
PD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Die rot-grüne Bundesregierung hat im
ahre 2000 mit dem Steuersenkungsgesetz ein moder-
es und international wettbewerbsfähiges Unternehmen-
teuerrecht für Deutschland auf den Weg gebracht, wel-
hes heute, unter der großen Koalition, fortbesteht und
en Bürgern und den Unternehmen in unserem Lande
iele finanzielle Erleichterungen verschaffen konnte.
ieses Steuersenkungsgesetz hat einen wichtigen Bei-
rag zum heutigen Aufschwung geleistet und hat – daran
esteht für mich kein Zweifel – auch zu den jetzt spürba-
en Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt beigetragen.
7312 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Mit diesem in der Geschichte der Bundesrepublik bis
dahin größten Steuerreformpaket mit einer Absenkung
der Steuerbelastung in Höhe von sage und schreibe
75 Milliarden DM ist der Grundstein für eine dringend
benötigte Finanzreform gelegt worden. Der Mittelstand
wurde mit 14 Milliarden DM entlastet. Die wichtigste
und für jeden Einzelnen spürbare Auswirkung dieses
Gesetzes war die Senkung der Steuersätze. So wurden
der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent, der Körperschaft-
steuersatz auf 25 Prozent und der Eingangssteuersatz, in
mehreren Stufen, von 26 Prozent auf gerade noch
15 Prozent abgesenkt, mithin um ein Drittel reduziert;
dieses Beispiel ist schon mehrfach angeführt worden.
Wenn wir heute sagen können, dass ein Familienvater,
verheiratet, mit zwei Kindern, bis zu einem Jahresein-
kommen von 37 500 Euro bei Einbeziehung des Kinder-
geldes keine Steuern zahlt, dann ist das nach wie vor er-
wähnens- und bemerkenswert.
Das waren aber keine irrationalen Steuergeschenke;
das war vielmehr der notwendige Beitrag, die Steuern
bei Unternehmen und die Steuern bei Privaten gleich-
wertig zu senken. Dazu gehörten allerdings auch der
Wechsel zum so genannten Halbeinkünfteverfahren und,
logisch konsequent, die Steuerfreiheit von Dividenden
innerhalb der Unternehmensebene und von Gewinnen
aus der Veräußerung von Anteilen bei Kapitalgesell-
schaften. Diesen Zusammenhang bitte ich zur Kenntnis
zu nehmen; davon steht nämlich nichts in Ihrem Antrag.
Das Halbeinkünfteverfahren trat notwendigerweise
an die Stelle des eben nicht europatauglichen Vollan-
rechnungsverfahrens. Es bewirkt, dass nach Vorbelas-
tung auf der Unternehmensebene auf der Ebene des An-
teilseigners Einnahmen aus Beteiligungen nur zur Hälfte
in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer
eingestellt werden. Insgesamt ergab sich bzw. ergibt sich
durch diese Maßnahme eine Belastung der ausgeschütte-
ten Gewinne, die der steuerlichen Belastung bei anderen
Einkunftsarten angenähert ist. Anders ausgedrückt: Die
Gleichbehandlung von Dividenden mit anderen Einkünf-
ten lässt sich nur erreichen, wenn Ausschüttungen zwi-
schen Körperschaften nicht besteuert werden.
Für den vollzogenen Systemwechsel zum Halbein-
künfteverfahren sprachen und sprechen diverse Vorteile:
Das Halbeinkünfteverfahren ist klar und transparent,
weil die Ebene der Kapitalgesellschaft klar von der
Ebene der Anteilseigner getrennt wird. Das Halbein-
künfteverfahren ist wettbewerbsneutral und europataug-
lich. Demgegenüber war das Vollanrechnungsverfahren
nur ein nationales Mittel; es beseitigte lediglich die steu-
erliche Doppelbelastung bei einem Anteilseigner und
seiner Gesellschaft innerhalb Deutschlands. Last not
least: Das Halbeinkünfteverfahren hat gezeigt, dass es
konsequent kumulative Mehrfachbelastungen innerhalb
von Konzernen und Beteiligungsstrukturen vermeidet.
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ass die Positionierung dieser Unternehmen im interna-
ionalen Wettbewerb optimiert wurde und dass das Steu-
raufkommen in Deutschland gesichert wurde. Wenn im
ahre 2006, nach dem Systemwechsel, Kapitalertrag-
teuer in Höhe von 11 Milliarden Euro anfallen wird,
enn wir nach der Senkung des Körperschaftsteuersat-
es von 40 Prozent auf 25 Prozent heuer Einnahmen in
öhe von 23 Milliarden Euro, also in gleicher Höhe wie
einerzeit bei dem höheren Steuersatz haben werden, ist
ies ein Beweis dafür, dass der Ansatz, der beim Steuer-
enkungsgesetz 2000 gewählt wurde, in die richtige
ichtung ging und geht.
Ich danke für den Zwischenruf, Frau Kollegin. Dies
ird leider vielfach vergessen, auch in diesem Antrag.
tattdessen wird ausgeführt, es gäbe Fälle, in denen rein
pekulative Faktoren den Beteiligungswert bestimmten
nd nach erfolgreicher Spekulation unversteuerte Ge-
inne gemacht würden. Dem ist entgegenzuhalten:
benso wie ein erhöhter Börsenkurs eine Entsprechung
n den stillen Reserven des Firmenwerts haben kann und
ben nicht in einer Spekulation, ist es möglich, dass eine
ntsprechende Spekulation nicht mit einem Veräuße-
ungsgewinn, sondern mit einem Veräußerungsverlust
ndet. Das heißt: Die rein spekulativ erhöhten Kurse sin-
en; die Beteiligung kann nur mit Verlust veräußert wer-
en. Selbst wenn man dem Antrag der Linken folgen
nd alle Schwierigkeiten des Einzelfalles hintanstellen
ollte, müsste man folgerichtig die Einnahmesituation
es Staates auch mit Veräußerungsverlusten behaften.
amit wäre jedoch der Zockerei auf Unternehmens-
bene und auf Kosten des Staates Tür und Tor geöffnet,
lso der berühmte „Schuss nach hinten“ vollzogen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7313
)
)
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Gleiches gilt für die Idee, eine Mindestbeteiligungs-
grenze oder Mindesthaltedauer bzw. ein umfassendes
Verbot des Betriebsausgabenabzugs für Aufwendungen
für Beteiligungen einzuführen. All diese Dinge sind ge-
staltungsanfällig und damit unpraktikabel. Sie würden
zu einem Nebeneinander von steuerfreien und steuer-
pflichtigen Beteiligungsveräußerungen führen und Un-
ternehmen dazu ermuntern, Verluste in den steuerpflich-
tigen und Gewinne in den steuerfreien Bereich zu
verlagern. Im Übrigen gilt seit 1999 respektive seit 2004
die 5-Prozent-Klausel, sprich: ein pauschales Be-
triebsausgabenabzugsverbot.
Gerade im Zuge der Überlegungen zur Unterneh-
mensteuerreform 2008 müssen wir uns auf die Fahne
schreiben, dass alles, was wir entwerfen, nicht miss-
brauchsanfällig und nicht gestaltungsanfällig ist. Wir
sollten gemeinsam nach Lösungen suchen – ich lade
auch Sie von der Linken dazu ein –, wie wir das Steuer-
substrat des Staates sichern können. Wir sollten aber
nicht ein Verfahren diskreditieren, das in die richtige
Richtung gewiesen hat. Ich lade Sie daher herzlich ein,
die Umsetzung der Steuerreform konstruktiv zu beglei-
ten.
Hierzu gehört auch die weitere Senkung der Körper-
schaftsteuer auf 15 Prozent und die Senkung der Gewer-
besteuermesszahl von 5 Prozent auf 3,5 Prozent. Wir
alle wollen, dass zukünftig mehr von den Gewinnen, die
in diesem Staate erwirtschaftet werden, der Besteuerung
in diesem Staate zugeführt werden. Es geht darum, dies
ohne eine Komplizierung des ohnehin schon hinreichend
differenzierten Steuerrechtes zu schaffen.
Die Ansätze, die wir hierbei gefunden haben, sind er-
mutigend. Daher appelliere ich an Sie: Lassen wir uns
nicht von scheinbaren Argumenten der Steuergerechtig-
keit verführen, vorschnell den Kopf auszuschalten, son-
dern überlegen wir, wie wir unser Steuerrecht auf
Grundlage des Steuersenkungsgesetzes 2000 vernünftig
fortentwickeln können. Dabei spielt sicherlich auch die
Abgeltungsteuer gelegentlich eine Rolle.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile Kollegen Hermann Otto Solms, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es war schon eine große Überraschung für uns
Oppositionspolitiker – dazu gehörte damals auch die
CDU/CSU –, als wir im Jahre 2000 die Vorschläge der
damaligen rot-grünen Regierung zur Steuerfreiheit von
Veräußerungsgewinnen bei Beteiligungsverkäufen zur
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n den Diskussionen, die wir vorher in unserer Koalition
eführt hatten, hatten wir als FDP eine völlige Steuer-
reiheit immer ausgeschlossen, weil das steuersystema-
isch nicht gerechtfertig war und auch bis heute nicht ge-
echtfertigt ist.
n diesem Punkt stimme ich dem Antrag der Linken zu.
llerdings gilt das nicht für die Begründung, die Sie vor-
ebracht haben.
er reine Appell an den Neidkomplex führt uns nicht
eiter. Die Frage lautet, was steuersystematisch richtig
st.
Ich habe die Diskussion damals hier im Deutschen
undestag, bei der ich sogar die Ehre hatte, einen Bei-
rag zu leisten, noch einmal nachgelesen. Ich habe da-
als gesagt:
Das … führt zu einer einseitigen Begünstigung der
Kapitalgesellschaften gegenüber den Personenge-
sellschaften und den Einzelkaufleuten.
enau das ist der steuersystematisch entscheidende Ge-
enangriff. Es war nicht in Ordnung, dies nur für Kapi-
algesellschaften einzuführen und die Personengesell-
chaften davon auszuschließen. Im Übrigen hat die
teuerfreiheit natürlich dazu beigetragen, dass die so ge-
annte Deutschland AG stärker entflochten worden ist.
nsofern hatte das volkswirtschaftlich auch einen positi-
en Effekt. Steuersystematisch aber war es nicht richtig,
ie Kapitalgesellschaften auf diese einseitige Weise zu
egünstigen.
Deswegen haben wir als FDP hinsichtlich einer Re-
orm der Einkommen- und Körperschaftsteuer einen
teuersystematisch einwandfreien Vorschlag gemacht.
ach unserem Entwurf sind Veräußerungsgewinne bei
eteiligungsverkäufen grundsätzlich steuerpflichtig. Der
teuertarif ist dabei natürlich deutlich abgesenkt. Diese
ewinne können aber in eine steuerfreie Reinvestitions-
ücklage eingestellt werden, die für entsprechende In-
estitionen innerhalb von vier Jahren aufgelöst werden
uss. Wenn das nicht geschieht, dann muss die Besteue-
ung endgültig nachvollzogen werden. – Das ist ein steu-
rsystematisch richtiger Ansatz.
7314 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Hermann Otto Solms
Ein anderer richtiger Ansatz ist der, der in anderen
Ländern gefunden worden ist, beispielsweise in den Ver-
einigten Staaten, wo Veräußerungsgewinne mit einem ei-
genen Steuertarif belastet werden, der sehr viel niedriger
ist. Er lag einmal bei 12 Prozent und 15 Prozent; ich
weiß nicht, wie hoch er im Moment ist. Mir geht es aber
auch nur um das System.
Es stellt sich die Frage, was die Bundesregierung jetzt
tut.
Sie hat ja angekündigt, eine Unternehmensteuerreform
einzubringen. Noch im Januar wird sie einen Regie-
rungsentwurf vorlegen.
Herr Krüger, ich habe mich etwas darüber gewundert,
dass Sie das Halbeinkünfteverfahren so gerühmt ha-
ben, obwohl Sie gerade dabei sind, es wieder abzuschaf-
fen. Das macht ja wenig Sinn.
Nach dem, was bis jetzt von Ihren Vorschlägen und
Überlegungen bekannt ist, bleibt § 8 b Körperschaftsteu-
ergesetz – also diese Ausnahme – erhalten.
Dadurch würden Sie den steuersystematischen Fehler
fortschreiben. Das wäre bedauerlich.
Sie haben aber noch Zeit, diese Frage zu überdenken und
einen steuersystematisch einwandfreien Vorschlag zu
machen.
Wenn es Ihnen hilft, stelle ich Ihnen unseren Entwurf zur
Verfügung. Sie müssen ihn nur abschreiben. Sie können
sich darauf verlassen, dass das sauber durchdacht, steu-
ersystematisch konsequent und einwandfrei ist.
Sie brauchen sich also nicht mehr den Kopf darüber zu
zerbrechen und auch über das Halbeinkünfteverfahren
nicht mehr nachzudenken.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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nd zwar in der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die
as Thema des heute vorliegenden Antrages zum Inhalt
atte. Deshalb habe ich die Vermutung, dass unsere Kol-
egen von der Linksfraktion nicht verstehen wollen oder
icht verstehen können. Ich denke, beides ist gleich
chlimm. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es letzt-
ich nur darum geht, die Komplexität des Unternehmen-
teuerrechts durch unzulässige Vereinfachung zu einem
opulistischen Antrag zu nutzen.
Falsches, Herr Kollege Troost, wird nicht dadurch
ichtig, dass es wiederholt wird.
as gilt für die Ausführungen der Linken zur Unterneh-
ensbesteuerung im Allgemeinen und zur Körperschaft-
teuerbefreiung von Gewinnen aus Beteiligungsverkäu-
en im Besonderen.
Im so genannten Halbeinkünfteverfahren, das hier
chon angesprochen worden ist und das seit dem
. Januar 2001 gilt, werden Gewinne von Körperschaf-
en mit einem einheitlichen Steuersatz definitiv besteu-
rt, unabhängig davon, ob sie ausgeschüttet oder einbe-
alten werden. Solange die Gewinne im Unternehmen
erbleiben, bleibt es bei diesem Steuersatz. Im Fall der
usschüttung an natürliche Personen als Anteilseigner
ommt es zur Nachbelastung. Dabei werden die Divi-
enden beim Anteilseigner nur zur Hälfte in die Bemes-
ungsgrundlage seiner Einkommensteuer einbezogen.
ies geschieht, um eine übermäßige Belastung ausge-
chütteter Gewinne im Vergleich zu anderen Einkünften
u vermeiden.
Diesem gleichen Ziel dient die Steuerfreiheit bei Aus-
chüttungen von Körperschaften an andere Körperschaf-
en. Die gewollte steuerliche Gesamtbelastung wird da-
urch hergestellt, dass die Gewinne einmal bei der
örperschaft, die sie erzielt, und zum anderen bei der
eiterausschüttung an natürliche Personen als Anteils-
igner besteuert werden. Eine zusätzliche Besteuerung
er Dividenden innerhalb einer Beteiligungskette würde
u einer mehrfachen Besteuerung des gleichen Gewinns
ühren und kann deshalb nicht ernstlich gefordert wer-
en.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7315
)
)
Peter Rzepka
Der Gewinn, den eine Körperschaft durch Veräuße-
rung einer Beteiligung an einer anderen Körperschaft er-
zielt, wird wie eine Gewinnausschüttung in der Beteili-
gungskette steuerfrei gestellt. Das gilt sowohl für
Beteiligungen an inländischen als auch für solche an
ausländischen Gesellschaften. Diese Freistellung be-
rücksichtigt, dass der Veräußerungsgewinn auf offenen
und stillen Reserven sowie auf zukünftigen Gewinnaus-
schüttungen und Gewinnaussichten der Beteiligungsge-
sellschaft beruhen kann. ^
Offene Reserven sind bei der Beteiligungsgesellschaft
bereits versteuert. Stille Reserven sind bei ihr steuerlich
verhaftet und müssen bei Aufdeckung besteuert werden.
Gewinnaussichten unterliegen bei ihrer Realisierung na-
turgemäß auch in der Gesellschaft der Besteuerung.
Trotz der Freistellung der Gewinne aus Beteiligungsver-
käufen ist also gesichert, dass alle Gewinne in vollem
Umfang im Halbeinkünfteverfahren besteuert werden,
einmal in der Gesellschaft, die sie erzielt, zum anderen
bei Weiterausschüttungen an natürliche Personen als An-
teilseigner.
Die Steuerfreiheit dieser Veräußerungsgewinne korre-
spondiert mit der Steuerfreiheit von Dividenden in Kapi-
talgesellschaftskonzernen – das ist hier angesprochen
worden –; denn man kann die Veräußerung einer Beteili-
gungsgesellschaft mit Gewinn auch als Vollausschüttung
aller Gewinne betrachten.
Bei einer weiteren zusätzlichen Steuerpflicht des Ver-
äußerungsgewinns käme es zu einer Doppelbesteue-
rung; da unterscheiden wir uns auch, Herr Kollege
Dr. Solms. Wer das will – Sie von der Linksfraktion wol-
len es ausweislich Ihres Antrages –,
legt die Axt an die Besteuerung nach der Leistungsfähig-
keit – ein Grundsatz, der sich wie ein roter Faden durch
unsere Steuersystematik zieht und dessen Nichtbeach-
tung regelmäßig vom Bundesfinanzhof und vom Bun-
desverfassungsgericht gestoppt wird.
Aus der Steuerbefreiung der Veräußerungsgewinne
folgt, dass auch Veräußerungsverluste und Teilwertab-
schreibungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Das ist
sozusagen die andere Seite der Medaille. Wer die Steuer-
befreiung wieder abschaffen will, muss auch Veräuße-
rungsverluste und Teilwertabschreibungen wieder aner-
kennen.
Nicht so die Linksfraktion: Sie will nur die süßen
Trauben der Gewinnsteuern für den Fiskus, vergisst da-
bei aber die sauren Trauben der Verluste. Führende Ver-
treter der PDS/Die Linke haben denn auch die Kehrseite
der Medaille bekämpft, das heißt die vor dem System-
wechsel im Körperschaftsteuerrecht bestehende Mög-
lichkeit zu Teilwertabschreibungen. Sie ging Hand in
Hand mit der damaligen Besteuerung der Veräußerungs-
gewinne.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die Rede der
Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch in diesem Hause an-
lässlich der Debatte über den Bundeshaushalt 2005 erin-
nern. Sie sagte damals:
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amit ist genau das geändert worden, was die Kollegin
ötzsch damals angeprangert hat. Systemgerecht wur-
en dann allerdings auch die entsprechenden Veräuße-
ungsgewinne freigestellt.
Noch einmal: Man kann nicht zugleich für die Be-
teuerung von Veräußerungsgewinnen und gegen die
eltendmachung von Veräußerungsverlusten sowie die
öglichkeit zu Teilwertabschreibungen sein. Das ver-
etzt nach meiner Auffassung wichtige steuersystemati-
che Grundsätze und widerspricht dem gesunden Men-
chenverstand.
er Standort Deutschland würde unattraktiver für große
apitalgesellschaften. Gewinner wären die Länder, die
em geltenden deutschen Körperschaftsteuerrecht ver-
leichbare Regelungen hinsichtlich der Veräußerungsge-
inne haben. Ich darf in diesem Zusammenhang Schwe-
en, Irland, Belgien, die Niederlande und Luxemburg
ennen. Frankreich übrigens will 2007 diese in unserem
örperschaftsteuerrecht geltende Regelung bei sich ein-
ühren. So falsch kann sie dann wohl nicht sein, Herr
ollege.
Zu Beginn meiner Rede bin ich auf die Dividenden-
reistellung eingegangen und habe erklärt, warum Divi-
endenzahlungen von einer Körperschaft an eine andere
teuerfrei sind. Wenn die Fraktion Die Linke in ihrem
ntrag behauptet, Beteiligungsaufwendungen dürften
ystemwidrig von der Steuerschuld abgezogen werden,
ann irrt sie erneut oder – was noch schlimmer ist – un-
erschlägt einen Teil der Wahrheit, Herr Troost.
7316 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Peter Rzepka
Denn zum einen sind die Dividenden, die eine Körper-
schaft erhält, zwar nicht bei der empfangenden, aber bei
der ausschüttenden Gesellschaft besteuert worden, und
zwar entweder mit inländischer oder – bei Auslandsbe-
teiligungen – mit ausländischer Steuer. Zum anderen
werden die Aufwendungen, die mit diesen Dividenden
in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang ste-
hen, in pauschalierter Form nicht zum Abzug zugelas-
sen.
Ursache für diese Regelung der Pauschalierung waren
die in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten, Aufwen-
dungen im Zusammenhang mit Beteiligungen diesen zu-
zuordnen. Wer die Praxis kennt, weiß, dass die Probleme
in diesem Zusammenhang unlösbar erschienen.
Deshalb ist es zu der Pauschalierungsregelung ge-
kommen, die im Übrigen auch der Mutter-Tocher-Richt-
linie der Europäischen Union entspricht. – Übrigens stel-
len viele Länder Dividenden gänzlich frei, Herr Troost,
ohne Betriebsausgabenabzugsverbote vorzusehen.
Nach all dem wird es Sie nicht überraschen, dass die
Unionsfraktion den Antrag der Linken ablehnen wird. Er
ist unsystematisch, führt zur Übermaßbesteuerung, schä-
digt den Standort Deutschland – insbesondere den Hol-
dingstandort, den es dann nämlich nicht mehr gäbe – und
gefährdet das Vertrauen in die Beständigkeit und Bere-
chenbarkeit des deutschen Steuergesetzgebers. Letztlich
ist er ein Programm zur Vernichtung von Arbeitsplätzen
und zur Verhinderung von Investitionen in Deutschland.
Wir werden den Antrag ablehnen.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort nun Kollegin Christine Scheel,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß, dass das Thema „Steuerfreiheit von Veräuße-
rungsgewinnen“ sehr sensibel ist. Es ist vor allem dazu
geeignet, bei Veranstaltungen Neiddebatten zu führen
und mit einem gewissen Populismus so zu tun, als ob die
Unternehmen gänzlich steuerfrei wären, Arbeitsplätze in
Deutschland abbauten und auch sonst nur Unfug treiben
würden.
– Ich sage jetzt, was seit 2001 passiert ist.
Banken und Versicherungen zum Beispiel nehmen die
Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen bei ihren
Handelsbeständen gar nicht in Anspruch. Das heißt, sie
versteuern ihre Veräußerungsgewinne, und zwar deswe-
gen, weil sie – sie haben damals die Option bekommen,
sich nach altem Recht steuerlich behandeln zu lassen –
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Ein Blick zurück zeigt, welche gravierenden fiskali-
chen Auswirkungen Beteiligungsverluste haben kön-
en. Ich erinnere an den Börsencrash 2001 und die da-
it einhergehenden hohen Beteiligungsverluste. Das
ar der Hauptgrund, warum das Körperschaftsteuerauf-
ommen völlig zusammengebrochen ist. Wir haben
eute noch Altfälle – und zwar aus der Zeit, bevor wir
as Gesetz geändert haben –, die vor Gericht ausgetra-
en werden. Vodafone zum Beispiel macht – das wurde
ereits angesprochen – 50 Milliarden Euro Buchverluste
us dem Jahr 2001 steuerlich geltend. 50 Milliarden
uro Buchverluste! Das wären umgerechnet circa
0 Milliarden Euro, die der Fiskus diesem Unternehmen
achzahlen müsste, wenn sich Vodafone vor Gericht
urchsetzt. Solche Probleme gibt es heute nicht mehr,
eil es nicht mehr zulässig ist, solche Verluste steuerlich
eltend zu machen.
Ich bin gottfroh, dass wir damals die Entscheidung so
etroffen haben. Wenn ich an die Börsensituation im
ahr 2001 und daran denke, wie die internationalen Fir-
en damals am Steuerstandort Deutschland aufgestellt
aren, und mir vorstelle, welche Verlustvorträge wir
eute noch hätten, wenn wir die Verlustverrechnung
icht abgeschafft hätten, dann wird mir schlecht.
Es ist daher richtig, Vor- und Nachteile sehr sorgsam
egeneinander abzuwägen. Herr Dr. Solms, man kann si-
herlich über die Steuersystematik reden; das halte ich
ür eine richtige und wichtige Debatte. Aber man darf es
icht so platt, wie vorgeschlagen, machen und sagen:
enn die Veräußerungsgewinne besteuert werden, dann
aben wir 2 Milliarden Euro Mehreinnahmen und die
elt wird schön. – So einfach ist es leider nicht. Ich bitte
aher darum, im Ausschuss eine differenzierte Debatte
arüber zu führen, was Sinn macht.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/2523 an die in der Tagesordnung aufge-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7317
)
)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Wohnungseigentumsgeset-
zes und anderer Gesetze
– Drucksache 16/887–
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 16/3843 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Hans-Christian Ströbele
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-
tarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach das Wort.
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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! In Deutschland gibt es rund 5 Millionen Wohnungs-
eigentümer. Für sie alle ist heute ein guter Tag. Mit dem
vorliegenden Gesetz verbessern wir ihre Handlungs- und
Entscheidungsfähigkeit und wir vereinfachen das ge-
richtliche Verfahren, wenn es einmal zu Streitigkeiten
kommen sollte.
Das geltende Wohnungseigentumsgesetz aus dem
Jahre 1951 zeigte an einigen Punkten Reformbedarf. Wir
haben deshalb wesentliche Änderungen vorgenommen.
Die drei wichtigsten Ergebnisse will ich kurz aufzeigen:
Erstens. Wir verbessern die Willensbildung in der
Eigentümergemeinschaft. Wenn es um die Verteilung
von Betriebs- und Verwaltungskosten geht oder um
Maßnahmen der Modernisierung des gemeinschaftlichen
Eigentums, dann ersetzen wir das bisherige Einstimmig-
keitsprinzip durch das Mehrheitsprinzip. Wir kommen
damit einer alten Forderung aus der Praxis nach. Denn es
kam immer wieder vor, dass objektiv notwendige Bau-
maßnahmen von einzelnen Eigentümern blockiert wor-
den sind. Allerdings stellen wir sicher, dass auch in Zu-
kunft nicht unsachgemäß über den Kopf Einzelner
hinweg entschieden wird. Im Interesse des Minderhei-
tenschutzes bleibt es dabei, dass Beschlüsse bei Gericht
angefochten werden können, und zwar insbesondere
dann, wenn sie einer ordnungsgemäßen Verwaltung des
Gemeinschaftseigentums widersprechen.
Die zweite wesentliche Änderung betrifft das gericht-
liche Verfahren. Künftig gilt die Zivilprozessordnung
auch für die Wohnungseigentumssachen. Damit kom-
men wir wiederum einem Wunsch vieler Praktiker nach,
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Ich muss so schnell sein, weil Dirk Manzewski sonst
eine Zeit mehr hat.
Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung sorgen
ir für eine praktikable Modernisierung des Gesetzes.
ir stellen sicher, dass es den Bedürfnissen der Praxis
esser gerecht wird, und wir stärken zugleich die Attrak-
ivität des Wohnungseigentums in Deutschland. Wenn
ir jetzt alle gemeinsam dem Gesetzentwurf zustimmen,
ann können wir sagen: Fröhliche Weihnachten!
Schönen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Mechthild Dyck-
ans, FDP-Fraktion.
7318 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Geschichte des Wohnungseigentumsgesetzes
ist eine Erfolgsgeschichte. Wir wollen, dass es dabei
bleibt. Das sind wir allen jetzigen und allen künftigen
Wohnungseigentümern schuldig. Ich bin optimistisch,
dass das Gesetz, das wir heute verabschieden werden,
diesem Anspruch gerecht wird. Die Änderungen werden
das Wohnungseigentum praktikabler und vielleicht auch
ein Stück gerechter machen. Sie werden helfen, die At-
traktivität des Wohnungseigentums auch für die Zukunft
zu sichern. Das ist gerade in Anbetracht der Tatsache,
dass Wohnungseigentum immer mehr zur Alterssiche-
rung dient, sehr wichtig.
Zu den entscheidenden Verbesserungen gehört – das
hat der Herr Staatssekretär schon gesagt – die Erleichte-
rung der Willensbildung. Hier bestand spätestens seit der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum so genannten
Zitterbeschluss dringender Handlungsbedarf; denn die
durch diese Rechtsprechung erzwungene Rückkehr zum
starren Einstimmigkeitsprinzip ging an den Bedürfnissen
der Praxis vollkommen vorbei. Die Folge war, dass ein
einziger Wohnungseigentümer eine Maßnahme verhin-
dern konnte, die alle anderen für gut und richtig hielten.
Die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, die wir
heute beschließen – wir machen das meines Erachtens
vorsichtig und sinnvoll –, wird dazu beitragen, solche
Blockaden aufzubrechen. Sie wird in vielen Fällen den
Weg für Modernisierungs- und Energieeinsparungsmaß-
nahmen freimachen. Hiervon profitieren nicht nur die
Wohnungseigentümer, sondern das ist auch gut für das
Handwerk und für die Umwelt.
Als juristisch anspruchsvoll erweist sich der Versuch,
die rechtlichen Verhältnisse zwischen Eigentümerge-
meinschaft, Wohnungseigentümern und Gläubigern kla-
rer zu fassen. Auch hier bestand Handlungsbedarf. Die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Teilrechtsfä-
higkeit hatte in der Praxis zu einer Reihe von Folgefra-
gen geführt. Der Gesetzentwurf versucht, hierauf eine
Antwort zu geben. Ob dies in allen Punkten überzeugend
gelungen ist, kann heute noch niemand mit Gewissheit
sagen. Hier wird die Rechtsprechung noch einiges zu tun
haben. Gegebenenfalls wird auch der Gesetzgeber, wer-
den wir nachsteuern müssen. Es wäre aber auch keine
Lösung gewesen, zum jetzigen Zeitpunkt vollständig auf
eine Regelung zu verzichten, wie dies von einigen Ver-
tretern aus der Wissenschaft empfohlen wurde. Der Zu-
stand der Rechtsunsicherheit hätte so möglicherweise
noch Jahre angedauert und die Eigentumswohnung als
besondere Rechtsform des Wohnens hätte Schaden ge-
nommen. Das wollten wir nicht.
Hingegen war es richtig, die Wohnungseigentümerge-
meinschaft für nicht insolvenzfähig zu erklären. Das
wäre die falsche Schlussfolgerung aus der Teilrechtsfä-
higkeit gewesen.
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Ich erteile das Wort Kollegen Norbert Geis, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Die Weihnachtsstimmung breitet sich aus. Ich
offe, dass die Grünen nachher ebenfalls feststellen, dass
ie dem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen sollten,
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7319
)
)
Norbert Geis
zumal er bereits in der letzten Legislaturperiode grund-
gelegt
und die Fachwelt schon einbezogen worden ist. Nur ist
es so gewesen, dass durch die Entscheidung des Bundes-
gerichtshofs vom 2. Juni 2005 ein nochmaliges Über-
denken dieses Gesetzentwurfes notwendig geworden ist,
und zwar vor allem aufgrund der Teilrechtsfähigkeit der
Wohnungseigentümergemeinschaft, die der BGH festge-
stellt hat.
Diese Teilrechtsfähigkeit ist juristisch gesehen ein
nicht ganz einfaches Feld. Schon der Name ist schwie-
rig: Man meint, dass es sich hier nur um ein Teilrecht,
also nicht um eine Vollrechtsfähigkeit handelt. In Wirk-
lichkeit ist dies aber nicht der Fall. Wir haben die Rege-
lung so getroffen, dass – das wollte auch der BGH – die
Wohnungseigentümergemeinschaft da, wo sie verwal-
tend tätig wird, vollrechtsfähig ist, sich also voll ver-
pflichten und Forderungen stellen kann. Der Verwalter
kann zum Beispiel selbstständig Öl kaufen, ohne vorher
alle Miteigentümer zu fragen. Er kann am Gesamteigen-
tum Reparaturen vornehmen lassen, die dringend not-
wendig sind. Für das Wohnungseigentum des Einzelnen
bleibt der Eigentümer selbst zuständig. Aber für das Ge-
meinschaftseigentum kann die Wohnungseigentümerge-
meinschaft, weil sie vollrechtsfähig ist, selbst handeln,
durch den Verwalter. Dieser ist insoweit gesetzlicher
Vertreter.
Das ist zweifellos ein großer Vorteil; denn dadurch
wird die Verwaltung insgesamt leichter werden. Letzt-
endlich, nach einer gewissen Zeit, wird Wohnungseigen-
tum dadurch attraktiver. Das haben auch Sie gesagt, Frau
Dyckmans, und das war auch unser Wunsch, der
Wunsch der Koalition. Das Wohnungseigentum soll für
den einfachen Bürger eine Möglichkeit der Vermögens-
bildung darstellen. Darüber, dass es auch zur Altersvor-
sorge dienen kann, sind wir uns ebenfalls einig.
Dieses Gesetz will nun einen Beitrag dazu leisten. Ich
meine, das ist, soweit uns das im juristischen Bereich
möglich ist, auch gelungen.
Aber zurück zur Teilrechtsfähigkeit. Dieser Punkt ist
nicht ganz einfach. Es gibt und gab Stimmen, die dage-
gen sind, Stimmen aus der Wissenschaft und vor allen
Dingen von der Anwaltschaft, die davor gewarnt haben,
die Teilrechtsfähigkeit einzuführen. In der Tat ist es nicht
ganz einfach, eine Unterscheidung zwischen dem Ver-
waltungsbereich und dem übrigen Rechtsbereich, in dem
die Eigentümergemeinschaft immer noch als Bruchteils-
gemeinschaft auftritt, zu treffen. Diese Unterscheidung,
die ja getroffen werden musste, ist nach meiner Auffas-
sung in dem Regierungsentwurf nach den Beratungen in
der Koalition und mit allen Berichterstatterinnen und
Berichterstattern gut gelungen. Nun ist, so meine ich je-
denfalls, klar geworden, was zum Verwaltungsbereich
und was zum übrigen Bereich gehört.
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Ja, das habe ich schweren Herzens getan. Aber in die-
em Fall macht das Sinn; denn so gelingt es, wenigstens
n einem Oberlandesgerichtsbezirk eine gemeinsame
echtsprechung herauszukristallisieren. Das war ein
ichtiger Punkt.
Eine weitere Neuerung ist die Stellung des Verwal-
ers. Der Verwalter wurde eine Zeit lang als Zwitterfigur
argestellt, als Mann mit einer Doppelfunktion. Er bleibt
ach wie vor der Verwalter der gesamten Wohnungsei-
entümergemeinschaft; das heißt, er ist bezogen auf das
echtssubjekt im Bereich der Verwaltungstätigkeit ge-
etzlicher Vertreter. Im übrigen Bereich ist er geschäfts-
ührend tätig, bleibt aber für die gesamte Gemeinschaft
uständig. Ich meine daher, dass es ebenfalls gelungen
st, diese Zwitterstellung des Verwalters aus dem Zwie-
icht zu holen, seine Stellung gesetzlich eindeutig zu re-
eln und seine Kompetenzen klar abzugrenzen.
Ein weiterer Punkt, der nach meiner Meinung gere-
elt werden musste, betrifft die Insolvenzfähigkeit.
rau Dyckmans hat es schon angesprochen. Wir haben
arüber lang beraten, auch koalitionsintern und zusam-
en mit der Regierung. Ich möchte an dieser Stelle die
ute Zusammenarbeit mit dem Staatssekretär und seinen
itarbeitern ausdrücklich loben.
ie hat dazu beigetragen, dass wir gemeinsam zu ver-
ünftigen Ergebnissen gekommen sind.
Die Insolvenzfähigkeit war ursprünglich im Gesetz-
ntwurf vorgesehen. Wir haben sie aber aus den Grün-
en, die Frau Dyckmans schon erwähnt hat, wieder
erausgenommen. Letztendlich soll die Insolvenz zur
uflösung eines Rechtssubjektes führen. Das ist aber in
iesem Fall nicht vorgesehen und wird vom Gesetz ver-
indert. Schon deshalb kann man hier keine Insolvenz
orsehen.
Im Übrigen ist es ohne weiteres möglich, dass die
ohnungseigentümer selbst so lange Geld zuschießen,
is die Ansprüche der Gläubiger befriedigt sind. Weil
as Insolvenzverfahren eine anteilsmäßige Befriedigung
er Ansprüche der Gläubiger vorsieht, es hier aber eine
ollständige Befriedigung der Ansprüche der Gläubiger
ibt, passt nach unserer Auffassung das Instrument der
nsolvenzfähigkeit an dieser Stelle nicht. Deswegen ha-
en wir es gestrichen.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Umstellung der
erfahrensregeln von der Freiwilligen Gerichtsbarkeit
7320 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Norbert Geis
auf die ZPO. Dieser Punkt war ebenfalls nicht unumstrit-
ten. Es gab durchaus Stimmen, die die Meinung äußer-
ten, dass hier der einzelne Wohnungseigentümer in das
etwas stringentere Verfahren der ZPO gezwungen wird.
Aber ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor. Denn schon
jetzt ist in einem Verfahren nach der Zivilprozessord-
nung ein Richter in der ersten Instanz gehalten, die Par-
teien aufzufordern, ihren Vortrag zu bringen. Eine Be-
nachteiligung eines Wohnungseigentümers, der sich
nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt, kann ich
also nicht erkennen.
Ein wichtiges Argument betraf noch die Frage der
Kosten. Denn beim FGG-Verfahren, also bei einem Ver-
fahren nach der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, ist es mög-
lich, die Kosten variabel zu gewichten und nicht nach
dem Alles-oder-nichts-Prinzip der ZPO festzulegen.
Auch aufgrund der Beratungen im Rechtsausschuss ha-
ben wir hier eine wichtige Sperre eingezogen. Wir sehen
nämlich eine Sperre bei den Gerichtskosten und bei der
Errechnung des Streitwertes vor. Zum Schluss haben wir
noch die Regelung eingeführt, dass von einem Woh-
nungseigentümer, der gegen die anderen Wohnungsei-
gentümer klagt, nur ein Rechtsanwalt bezahlt werden
muss, sodass die Gerichts- und Anwaltskosten nicht zu
hoch ausfallen.
Der letzte Punkt betrifft den Mehrheitsbeschluss bei
der Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen. Es
stellte sich die Frage, ob nicht derjenige Wohnungsei-
gentümer, der nicht das Geld hat, um große Modernisie-
rungsmaßnahmen bezahlen zu können, benachteiligt
wird. Unser Anliegen war es, dass der Wohnungseigen-
tümer, der für sein Wohneigentum sozusagen seinen
letzten Pfennig ausgegeben hat, bei einer Modernisie-
rungsmaßnahme nicht allzu sehr ins Hintertreffen gerät.
Dieses ist gelungen. Wir haben die Unbilligkeit einer
solchen Forderung eingeführt; außerdem haben wir die
Dreiviertelmehrheit vorgesehen.
Ich glaube, man kann diesem Gesetz alles in allem
wohl zustimmen.
Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegin Heidrun Bluhm, Frak-
tion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! 1951 dankte der belgische König ab
und die USA und die UdSSR sondierten Möglichkeiten
für einen Waffenstillstand in Korea. In diesem Jahr,
1951, verabschiedete der Deutsche Bundestag auch das
Wohnungseigentumsgesetz, ein Gesetz, das dieses Haus
seitdem nur ganz unwesentlich geändert hat.
Der heutige Entwurf bezweckt dafür nun umso grö-
ßere Änderungen. In all den langen Jahren seit 1951 wa-
ren es die Richterinnen und Richter, die das gute, alte
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ur weil Sie den Landeshaushalten deutlich höhere Ein-
ahmen bescheren wollen.
ie nehmen den Wohnungseigentümern eine Gerichts-
arkeit weg und erschweren ihnen damit den Weg, ihr
echt unbürokratisch durchzusetzen.
Vor allem schwächen Sie damit solche Menschen, die
hr Wohnungseigentum unter großer Anstrengung zur
rleichterung der Altersvorsorge erworben haben und
un im Streitfall vor allen finanziellen Hürden des or-
entlichen Rechtsweges stehen. Wieder einmal, meine
ehr verehrten Damen und Herren insbesondere von der
PD, vergessen Sie Ihre Wurzeln.
ie haben es so weit gebracht, dass ein konservativer
GH-Senat Ihnen die Vernachlässigung des Schutzes
er Schwachen vorwirft. Ich zitiere aus der erwähnten
tellungnahme des BGH-Richters Dr. Schmidt-Räntsch:
Dieser Schutz Schwacher ist gerade bei größeren
Wohnungseigentümergemeinschaften unbedingt er-
forderlich und gerade deshalb auch [ursprünglich]
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7321
)
)
Heidrun Bluhm
vorgesehen worden. Wohnungseigentum ist für die
„kleinen Leute“ gedacht.
Das Wohnungseigentum wird nach Ihrem Willen aber
zunehmend zu einer Privilegierung der gehobenen
Schichten werden.
Sie werden heute festlegen, dass Beschlüsse der Ei-
gentümergemeinschaft in einem Beschlussbuch zu füh-
ren sind. Das macht ja sogar ein wenig Sinn angesichts
der durch den Entwurf zusätzlich eingeräumten Mög-
lichkeiten der Eigentümergemeinschaft, den konkreten
Inhalt des Eigentums außerhalb des Grundbuches ändern
zu wollen. Ein wenig Sinn sorgt allerdings stets auch für
wenig Sinnvolles.
Richtig wäre es gewesen, die Wirksamkeit der Be-
schlüsse von der Aufnahme in das Beschlussbuch ab-
hängig zu machen. Dann erst könnte sich die Gemein-
schaft darauf verlassen, dass nur solche Beschlüsse
gelten, die auch dokumentiert sind. Da haben Sie also
das Richtige gemeint und doch das Falsche geschrieben.
Warum Ihnen dieses Missgeschick passierte, können Sie
nur selbst verstehen; denn Dr. Schmidt-Räntsch hat Ih-
nen in seiner Stellungnahme einen Formulierungsvor-
schlag geschenkt. Den hätten Sie nur abzuschreiben
brauchen.
Ich erinnere zum Abschluss daran, dass das ursprüng-
liche WEG im Jahre 1951 als echter Fraktionsentwurf in
die Beratungen gelangte und man viel Abgeordnetenver-
stand auf die Ausgestaltung des Wohnungseigentums
und dessen soziale Funktion verwandte. Das war seiner-
zeit ein zeitgemäßer und sehr moderner Entwurf.
Auch der aktuelle Entwurf ist zeitgemäß. Denn es ent-
spricht leider den heutigen Gepflogenheiten der parla-
mentarischen Mehrheit, Entwürfe der Ministerien ohne
eigenen Gestaltungsanspruch gedankenlos durchzuwin-
ken, selbst wenn der größte Unsinn dabei herauskommt.
Ist das aber auch modern? Ich sagte es schon: Es ist sehr
viel Zeit vergangen seit 1951.
Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Hettlich, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe schon in meiner Rede zur ersten Le-
sung dieses Gesetzentwurfes darauf hingewiesen: Der
deutsche Wohnimmobilienmarkt steht in den nächsten
Jahren vor sehr großen Herausforderungen. Zwar scheint
zumindest die Frage der Einbeziehung von Wohnimmo-
bilien in REITs – übrigens auch in meinem Sinne – ge-
löst zu sein; aber trotzdem gibt es eine ganze Menge
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat-
tieren hier heute abschließend über den Entwurf der
Bundesregierung zur Änderung des Wohnungseigen-
tumsgesetzes.
So sehr sich das WEG in der Vergangenheit grund-
sätzlich bewährt hat, so hat sich im Laufe der Zeit doch
ein zunehmender Bedarf nach praktikableren Regeln ge-
zeigt. Insbesondere die bereits angesprochene Entschei-
dung des Bundesgerichtshofs vom Juni 2005, mit der
der BGH zum ersten Mal klargestellt hat, dass die Woh-
nungseigentümergemeinschaft im Rahmen der Verwal-
tung des gemeinschaftlichen Eigentums selbst rechtsfä-
hig ist, hat uns veranlasst, dies auch so ins Gesetz zu
schreiben.
Frau Kollegin Bluhm, es ist natürlich ärgerlich, wenn
man ins kalte Wasser geworfen wird, ohne vorher bei
den Debatten, insbesondere den Anhörungen, dabei ge-
wesen zu sein.
Trotzdem, es ist schon ein bisschen traurig, wenn man
dann im Grunde genommen nur das abliest, was einem
vorgefertigt wird, und sich keine eigenen Gedanken
macht;
denn das, was Sie gesagt haben, war in den wesentlichen
Punkten falsch.
Wenn nämlich verlangt wird, dies nicht gesetzlich zu
verankern, Frau Kollegin Bluhm, dann bedeutet das
nichts anderes – das habe ich schon beim Kollegen
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Insbesondere waren in diesem Zusammenhang auch
ie Rechte und Pflichten sowie das Verwaltungsvermö-
en der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ebenso
ie die Stellung ihres Verwalters völlig neu zu definie-
en. Ich meine, dass das in diesem Gesetzentwurf gut ge-
öst wurde.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass wir zumindest in
inem Bereich die Stringenz verlassen haben, und zwar
n dem Punkt der Insolvenzfähigkeit der Wohnungs-
igentümergemeinschaft; denn eigentlich beinhaltet
echtsfähigkeit auch Insolvenzfähigkeit. Nur, liebe Kol-
eginnen und Kollegen, dies hätte einfach keinen Sinn
emacht; denn das Insolvenzrecht passt hier einfach
icht. Das gilt insbesondere für das Ende eines Insol-
enzverfahrens; denn eine Wohnungseigentümergemein-
chaft kann zum Beispiel nicht aufgelöst werden.
Problematisch wären aber auch die Regelungen hin-
ichtlich des Anfangs eines Insolvenzverfahrens gewe-
en. Eigentlich hätte man nämlich den Verwalter ver-
flichten müssen, den Insolvenzeröffnungsantrag zu
tellen. Der Zeitpunkt hierfür ist bei einer Wohnungsei-
entümergemeinschaft aber relativ unklar. Die Bundes-
egierung hatte laut ihrer Gegenäußerung vor, den Ver-
alter deswegen von dieser Pflicht zu entbinden. Im
esamtkontext wäre das aber nicht schlüssig gewesen.
us all diesen Gründen ist es deshalb meiner Auffassung
ach richtig gewesen, von einer Insolvenzfähigkeit der
ohnungseigentümergemeinschaft Abstand zu nehmen.
Ich persönlich halte es im Grundsatz für richtig und
ringend notwendig, dass in Teilbereichen eine Be-
chlusskompetenz und damit das Mehrheitsprinzip statt
er bisher erforderlichen Einstimmigkeit für Entschei-
ungen der Wohnungseigentümergemeinschaft einge-
ührt werden soll. Denn, Frau Kollegin Bluhm, das bis-
ang geltende Einstimmigkeitsprinzip hat in der Praxis
ehr häufig wichtige, gebotene Entscheidungen zulasten
er anderen verhindert und Wohnungseigentum damit
nattraktiv gemacht. Der Einzelne ist im Übrigen – das
st eine Kritik an Ihnen, Frau Bluhm – dadurch aber
icht rechtlos gestellt. Es wurde nämlich ein Korrektiv
ingebaut, und zwar dergestalt, dass die einzelnen Mehr-
eitsentscheidungen für den Einzelnen nicht unbillig er-
cheinen dürfen. Ich meine, das ist ausreichend.
Die Einführung einer aktuellen Beschlusssammlung
u einer umfassenden Information potenzieller Erwerber
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7323
)
)
Dirk Manzewski
wird weiterhelfen, weil diese sich über die von der Ge-
meinschaft gefassten Beschlüsse informieren können.
Begrüßt wird von mir auch, dass wir eine kürzere Frist
für die Berufung des Erstverwalters eingeführt haben.
Aufgrund der Entscheidung des BGH halte ich es für
folgerichtig, die Wohnungseigentümer nun nicht mehr
für die Verbindlichkeiten der Gemeinschaft gesamt-
schuldnerisch haften zu lassen. Zwar soll auch weiterhin
die Möglichkeit bestehen, nicht nur gegen die Gemein-
schaft, sondern auch unmittelbar gegen den einzelnen
Wohnungseigentümer vorzugehen. Dessen Haftung soll
sich aber nunmehr – ich glaube, das ist ziemlich ver-
nünftig – auf seinen Anteil am Gemeinschaftseigentum
beschränken.
Ich erachte es für gut, dass wir eine Verlagerung der
Verfahren vom FGG zur ZPO vornehmen. Abgesehen
davon, dass bereits bisher Grundsätze der ZPO im Woh-
nungseigentumsverfahren gegolten haben, bietet die
ZPO meiner Ansicht nach die effizientere und stringen-
tere Verfahrensführung. Kollegin Bluhm, da ich Richter
bin, kann ich sagen: Da Gerichte stets auf Ausgleich be-
dacht sind, erwarte ich kein Nachlassen bei der Suche
nach einvernehmlichen Lösungen.
Dem Interesse des Einzelnen, sein Recht zu suchen
– auch das ist von Ihnen im Zusammenhang mit dem
Kostenrisiko kritisiert worden; ZPO-Verfahren sind tat-
sächlich in der Regel etwas teurer als FGG-Verfahren –,
wird aber durch die Beschränkung von Streitwert und
Kostenerstattung Rechnung getragen. Diese Verände-
rung ist an Ihnen offensichtlich vorbeigegangen.
Ich komme zum Schluss. Ich bin mir natürlich durch-
aus bewusst, dass wir in absehbarer Zeit vermutlich noch
einige Justierungen am WEG vornehmen werden; der
Kollege Geis hat das angesprochen. Nun aber alles auf
die lange Bank zu schieben und die weitere Rechtspre-
chung abzuwarten, halte ich aber wie die große Mehr-
zahl der Sachverständigen nicht für richtig.
Ich finde, dass uns ein guter Vorschlag zur Änderung des
WEG vorliegt. Ich bitte Sie hierfür um Ihre Zustim-
mung.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Wohneigentumsgesetzes und anderer Gesetze,
Drucksache 16/887. Der Rechtsausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3843,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzei-
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Dreiviertel der Ärmsten leben auf dem Land. Deswegen
hat ein Antrag, der sich auf den ländlichen Raum be-
zieht, große Bedeutung.
Aber trotzdem ist es so, dass der Antrag der Grünen
neben der guten Zielrichtung ein Verständnis von ländli-
cher Entwicklung hat, das unserer Auffassung nach zu
eng gefasst ist. Denn wir in der SPD-Bundestagsfrak-
tion, aber auch unser Ministerium verstehen mehr darun-
ter, als nur Traktoren zu kaufen und technische Hilfe für
die Landwirtschaft anzubieten. Wir haben einen umfas-
senderen Ansatz, der deutlich macht, dass wir Entwick-
lungszusammenarbeit und die Entwicklung ländlicher
Räume in Entwicklungsländern unter anderem als glo-
bale Strukturpolitik verstehen. Denn was nützt der
Kauf von Traktoren, wenn der Landwirt seine Ware
nicht verkaufen kann?
Der Grund dafür, warum viele Geberländer sich mit
ihren Investitionen zurückgezogen haben, liegt eher da-
rin, dass es sich oft nicht lohnt, in Regionen zu investie-
ren, in denen die Bauern ihre Produkte nicht mehr auf
den Märkten verkaufen können, weil sie mit agrarsub-
ventionierten Dumpingprodukten der Industrieländer
konkurrieren müssen. Deswegen richten wir den Fokus
auf die globale Handelspolitik. Wir sind der Auffassung,
dass im Antrag der Grünen zu wenig darauf eingegangen
wird.
Die Punkte zum Ökolandbau im Antrag der Grünen
haben sicherlich ihre Berechtigung. Auch wir wollen,
dass Landwirtschaft nachhaltig betrieben wird. Sie muss
nachhaltig und standortgerecht betrieben werden. Es ist
der falsche Weg, eine Nischenproduktion in Entwick-
lungsländern besonders fördern zu wollen. Denn hier
geht es erst einmal darum, Menschen mit Nahrung zu
versorgen. Dabei kann es auch notwendig sein, die Men-
schen mithilfe von konventioneller Agrarwirtschaft – so
wie wir es tun – zu versorgen.
Der Antrag der Grünen fordert uns auf, den Entwick-
lungsländern keinerlei Hilfestellungen im Bereich der
Gentechnologie zu geben, zum Beispiel wie sie verant-
wortungsvoll damit umgehen können, sodass sich Saat-
gut nicht unkontrolliert verbreitet und Menschen in Ent-
wicklungsländern nicht abhängig von Saatgut werden,
das von den Agrarmultis und den Chemiemultis der In-
dustrieländer angeboten wird. Ich glaube, es ist wichtig,
dass mit der Gentechnologie in Entwicklungsländern
verantwortlich umgegangen wird und wir den Entwick-
lungsländern Hilfestellung geben und uns nicht zurück-
ziehen, wie es der Antrag der Grünen fordert. Man muss
den Willen der Länder respektieren, auch wenn wir in
Deutschland dieses Thema anders handhaben. Jeder
kann seine eigene Meinung dazu haben. Aber man muss
respektieren, was die Entwicklungsländer wollen.
Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass gute
Regierungsführung in den Entwicklungsländern wich-
tig ist. Wir unterstützen in einem Umfang von 350 Mil-
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Gute Regierungsführung ist eine Aufgabe, der sich
ie Entwicklungsländer selbst stellen müssen. Nur dann,
enn sie das tun, können wir auch im ländlichen Raum
en Hunger überwinden.
Als Industrienation müssen wir auch unsere eigenen
ausaufgaben machen. Wie ich bereits vorhin sagte,
eht es dabei auch um die globalen Rahmenbedingungen
m Handelsbereich. In dieser Woche jährt sich das Schei-
ern der WTO-Konferenz in Hongkong. Damals ging es
ei der festgefahrenen Doha-Entwicklungsrunde da-
um – das steht nach wie vor im Mittelpunkt –, den Ent-
icklungsländern für ihre Produkte, auch für ihre Agrar-
rodukte, einen fairen Marktzugang zu ermöglichen.
ir dürfen nicht weiterhin mit enormen Subventionen
xportdumping betreiben, sodass die Bauern ihre Waren
icht verkaufen können, weil zum Beispiel tiefgefrore-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7325
)
)
Dr. Sascha Raabe
nes Geflügelfleisch aus der EU in afrikanischen Regalen
liegt. Man kann die Hühnerfarm eines Bauern noch so
sehr unterstützen, auch mit Mitteln der Entwicklungszu-
sammenarbeit. Aber wenn man diese Situation nicht än-
dert, hat er davon nichts.
Das Europaparlament hat heute den Haushalt für
das Jahr 2007 beschlossen. Den größten Haushaltsposten
– er beträgt fast 50 Prozent; das entspricht knapp 55 Mil-
liarden Euro – bilden die Subventionen für die Landwirt-
schaft. Ich begrüße ausdrücklich, dass sich in der De-
batte, die wir heute Morgen geführt haben, nicht nur
unsere Entwicklungsministerin, sondern auch die Bun-
deskanzlerin für gerechte Handelsbedingungen stark ge-
macht hat. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat die
enormen Agrarsubventionen der EU und der USA vehe-
ment kritisiert. Er hat darauf aufmerksam gemacht, dass
die Länder des Südens keine fairen Handelsbedingungen
vorfinden, und betont, dass er das ändern will. Ich denke,
hier hat er Recht.
– Ja. Wo er Recht hat, hat er Recht. Das müssen auch wir
unterstützen.
Ich glaube, wir müssen auch bei den Verhandlungen
im Rahmen der Economic Partnership Agreements, also
der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den afrika-
nischen und karibischen Staaten, einfordern, dass den
Entwicklungsländern wirklich faire Handelschancen
eingeräumt werden.
Letztlich hilft die ländliche Entwicklung nicht nur
den Menschen in den Entwicklungsländern. Wie die Ver-
leihung des Friedensnobelpreises am Sonntag letzter
Woche an Herrn Yunus gezeigt hat, besteht auch ein sehr
starker Zusammenhang zwischen Frieden und Entwick-
lung. Das eine bedingt das andere. Meiner Meinung nach
gibt es aber nicht nur einen Zusammenhang zwischen
Entwicklung und Frieden, sondern auch einen Zusam-
menhang zwischen Entwicklung und Freiheit. Daher
möchte ich mit einem Zitat von Willy Brandt schließen.
Er hat gesagt:
Satte Menschen sind nicht notwendigerweise frei,
hungernde Menschen sind es in jedem Fall nicht.
Lassen Sie uns in diesem Sinne für die Freiheit kämpfen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Addicks von
der FDP-Fraktion.
Danke. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da
wir alle das Ziel verfolgen, den Hunger wirksam zu be-
kämpfen und die ländliche Entwicklung zu fördern, hät-
ten wir wirklich einen interfraktionellen Antrag formu-
lieren können.
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– Auch eine Form der Landwirtschaft; es gibt viele For-
men.
Aber ich will darauf jetzt nicht näher eingehen. Haben
Sie schon einmal längere Zeit in Afrika gelebt, Herr Trit-
tin?
Ich war jahrelang da, ich weiß genau, wovon ich rede.
Kommen Sie mir bitte nicht mit solch trivialen Zwi-
schenrufen!
Die Forderung der Grünen, mit westlichem Bürokra-
tismus die Dinge zu regulieren, mit Labels und Stan-
dards, das passt überhaupt nicht; so etwas können wir
irgendwann später einführen. Das brauchen die Entwick-
lungsländer jetzt nicht.
Sie brauchen eine Liberalisierung, einen Abbau von
Handelshemmnissen und Zöllen; Herr Raabe hat das ge-
rade schon gesagt.
– Herr Trittin, also bitte! – Nur so erreicht man die Wert-
schöpfung in den Entwicklungsländern, die – –
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So können wir etwas erreichen.
In anderen Ländern, beispielsweise in Lateinamerika,
haben wir ein Problem mit der Kaufkraft. Dort müssen
wir der Bevölkerung eine ganz andere Form der Hilfe
zukommen lassen. Sozialprogramme wie „Fome Zero“
in Brasilien sind dabei sicherlich ein guter Ansatzpunkt.
Oftmals scheitert eine ausreichende Versorgung mit
Nahrungsmitteln am fehlenden Zugang von Bauern zu
Land und an mangelhaft durchgeführten Landreformen.
Eine umverteilende Landreform allein ist in den meisten
Fällen aber nicht ausreichend, um eine nachhaltige länd-
liche Entwicklung zu erreichen. Auch hier müssen wir
individuelle Lösungen finden.
Die Implementierung von Agrarreformen führt nicht
nur zu einer Umverteilung von Land, sondern auch dazu,
dass Bauern und Landlose in die Lage versetzt werden,
nachhaltig zu produzieren. Sie müssen am Markt und da-
mit am Wettbewerb teilhaben können. Natürlich müssen
sie entsprechende Ressourcen wie auch Kapital zur Ver-
fügung haben. Hierbei sind Aus- und Fortbildung mit Si-
cherheit ganz wichtige Punkte; beides müssen wir wei-
terhin fördern.
Die Bundesregierung – das muss man anerkennen –
unterstützt Agrar- und Bodenreformen, indem sie im
politischen Dialog mit den Regierungen der Partnerlän-
der hierfür eintritt. Hierbei spielen die finanzielle Förde-
rung des Aufkaufs von Land im Zuge von Landreformen,
das Angebot zur Beratung bei Landverfassungsrefor-
men, die Hilfe bei Fragen sozialverträglicher Landver-
teilung, aber auch der Zugang von Frauen zu Ressourcen
neben vielen anderen Dingen eine wichtige Rolle.
In dem vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen „Den Hunger in Entwicklungsländern wirksam
bekämpfen – das Recht auf Nahrung umsetzen und länd-
liche Entwicklung fördern“ wird kritisiert, dass sich die
internationale Agrarforschung zu sehr auf die Gebiete
konzentriert, die ertragsstark sind bzw. bewässert wer-
den können. Ich kann das so nicht sehen und ich meine,
die Kritik ist nicht angebracht, weil dadurch auch wich-
tige Impulse und Beiträge geliefert werden, um gerade
dieses Problem bewältigen zu können.
Auch durch die in dem Antrag geforderte Ausrich-
tung auf die ökologische Landwirtschaft allein – das
haben wir eben schon gehört – kann nicht entscheidend
zur Linderung des Hungers beigetragen werden. Hier
müssen wir ebenfalls alle Möglichkeiten ausschöpfen,
die sinnvoll sind und uns weiterhelfen.
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abei dürfen wir nicht vergessen, dass wir den Entwick-
ungsländern – sozusagen unseren Partnerländern – nicht
orschreiben können und wollen, was sie zu tun und was
ie zu lassen haben. Wir können nur gemeinsam und auf
leicher Augenhöhe mit ihnen vernünftige Lösungen
inden, Programme entwickeln und die sozialen, politi-
chen, wirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen
or Ort mit einbauen. Nur dadurch werden wir eine sinn-
olle Arbeit leisten können.
Es ist auch schon angeklungen, dass die Partnerlän-
er selbst natürlich ebenfalls in der Verantwortung sind.
ch bin froh darüber – Sie von den Grünen verweisen in
hrem Antrag ja auch darauf –, dass es die freiwilligen
eitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung gibt.
ie sind ein großer und wichtiger Beitrag zur Bekämp-
ung des Hungers. Die jeweiligen nationalen Regierun-
en werden durch sie in die Pflicht genommen, dafür
orge zu tragen, dass die Bevölkerung einen ausreichen-
en Zugang zu Nahrung hat. Von dieser Verantwortung
erden wir die Regierungen auch nicht entbinden. Un-
ere Entwicklungszusammenarbeit kann nur subsidiär
ein. Daran müssen wir entsprechend arbeiten und das
üssen wir unterstützen.
Wir sollten dabei allerdings auch überlegen, wie wir
as bereits angesprochene Instrument der freiwilligen
eitlinien weiterentwickeln können, damit dadurch noch
esser zur Bekämpfung des Hungers beigetragen werden
ann. Vorstellbar wäre ein effektives Monitoring-Instru-
ent, um die Erfolge und auch Probleme der nationalen
egierungen bei der Bekämpfung des Hungers zu doku-
entieren und zu analysieren. Dazu liegt ja bereits eine
ntsprechende Studie vor, die als Grundlage für die Be-
atung dienen kann.
Darüber hinaus ist die Erweiterung des Pakts für wirt-
chaftliche, soziale und kulturelle Rechte um die Mög-
ichkeit eines Individualbeschwerdeverfahrens zu dis-
utieren. Derzeit arbeitet bereits eine Arbeitsgruppe des
N-Menschenrechtsrates daran. Vielleicht gelingt es uns
a, die Möglichkeit einer Individualbeschwerde hinsicht-
ich des Rechts auf Zugang zu Nahrung auf internationa-
er Ebene vor dem entsprechend zuständigen UN-Aus-
chuss zu schaffen.
o könnten die Regierungen besser in die Verantwortung
enommen werden, die Verpflichtungen aus den jeweili-
en freiwilligen Leitlinien einzuhalten und umzusetzen.
Dass wir all dies nicht im Alleingang bewältigen
önnen, liegt auf der Hand. Die Notwendigkeit einer
7328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Wolf Bauer
besseren internationalen Absprache und Arbeitstei-
lung wird von niemandem bestritten.
Ich befürchte aber, dass die FAO allein mit dieser Auf-
gabe möglicherweise überfordert ist. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass in dem Antrag auch auf andere wichtige
internationale Gremien, wie beispielsweise die Global
Donor Platform for Rural Development, verwiesen wor-
den wäre.
Des Weiteren ist in dem vorgelegten Antrag zu lesen,
dass wir die marktverzerrenden Agrarsubventionen
senken sollen. Ich glaube, dass wir hier mutiger sein
müssen und auch wollen. Daher ist es unser Ziel, die
Agrarexportsubventionen nicht nur zu senken, sondern
langfristig ganz abzuschaffen.
Meine Damen, meine Herren, bei all diesen kritischen
Anmerkungen zu dem Antrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen, die ich jetzt gemacht habe, möchte
ich ausdrücklich festhalten, dass er in vielen wichtigen
Teilen richtige Vorschläge enthält und dass wir seitens
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wesentliche Teile
auch unterstützen. Trotzdem ist uns der Antrag an vielen
Stellen – dies ist bereits kritisiert worden – zu pauschal
und zu tendenziös. Aus diesem Grunde müssen wir ihn
leider ablehnen.
Ich hoffe nur, dass wir bald zu einem gemeinsamen
Antrag kommen – das ist ja auch bereits mehrmals ange-
sprochen worden – und dass wir hier einen vernünftigen
und guten Antrag verabschieden, mit dem wir alle un-
sere Ziele verwirklicht sehen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Aydin von der
Fraktion Die Linke.
– Kollege Aydin. Entschuldigung.
So sieht eine Kollegin aus. – Meine Damen und Her-
ren! Herr Präsident! 1996 gab es das Versprechen der
Regierenden, den Hunger auf der Welt bis zum
Jahr 2015 zu halbieren. Die Bilanz ist erschütternd.
Nach Angaben der FAO hat sich die Zahl der Hungern-
den von 840 auf 854 Millionen erhöht. Ein Antrag, der
die Hungerbekämpfung ins Zentrum der Politik stellt,
findet selbstverständlich unsere Zustimmung.
Als zentrale Maßnahme zur Umsetzung des Rechts
auf Nahrung definieren die Antragsteller den Zugang zu
produktiven Ressourcen und Einkommensmöglichkei-
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Dies muss welthandelspolitisch flankiert werden
urch die Senkung der Zinslast durch Streichung illegiti-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7329
)
)
Hüseyin-Kenan Aydin
mer Schulden, die Stärkung von Zollschutzmechanismen
für die Landwirtschaft der Entwicklungsländer, um sie
vor der ruinösen Konkurrenz durch die großen Nah-
rungsmittelkonzerne der Industrieländer abzuschirmen.
Wenn Sie ernsthaft daran interessiert sind, den Hun-
ger zu bekämpfen, müssen Sie diese Vorschläge anneh-
men. Ihre Argumentation, Sie könnten 80 Prozent des
Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen folgen,
aber da 20 Prozent nicht Ihre Zustimmung finde, müss-
ten Sie ihn ablehnen, ist heuchlerisch.
Das Wort hat jetzt der Kollege Thilo Hoppe von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wird schwierig, in vier Minuten auf all die Argumente
und Unterstellungen einzugehen. Ich möchte am Ende
dieser Debatte noch einige Zahlen und klare Fakten all-
gemeinverständlich darlegen.
Es gibt acht Millenniumsziele. Bei sieben Millen-
niumszielen gibt es – wenn auch bescheidene – Fort-
schritte. Bei dem wichtigsten Ziel – die Halbierung der
Zahl der Hungernden bis 2015 – gibt es aber keinerlei
Fortschritte, die Kurve verläuft vielmehr in die falsche
Richtung – das haben schon einige Redner festgestellt –:
Die Zahl der Hungernden steigt.
Das müsste doch zu einem Aufschrei und einer kriti-
schen Selbstreflexion führen. Woran liegt das?
Zur kritischen Reflexion müssten die Regierungen der
vom Hunger betroffenen Staaten, aber auch die Akteure
der Entwicklungszusammenarbeit eigentlich einen Son-
derkrisengipfel durchführen.
Es gibt noch eine zweite Kurve. Das hat heute noch
niemand deutlich gesagt. Herr Addicks, Sie haben fest-
gestellt, dass die Mittel für die Entwicklungshilfe und
die Zahl der Hungernden zunehmen. Daraus haben Sie
geschlossen, dass die Entwicklungshilfe womöglich so-
gar eine Ursache dafür ist oder zumindest das Problem
nicht verbessert.
Erlauben Sie mir eine genauere Betrachtung. Nach
den neuesten Zahlen von UNDP – dem Entwicklungs-
programm der Vereinten Nationen – ist der Anteil der
Entwicklungshilfemittel, die für den ländlichen Raum
bzw. den Agrarbereich gedacht sind, von 1990 bis 2005
von 12 Prozent auf etwas mehr als 3 Prozent zurückge-
gangen.
Wir haben in der letzten Wahlperiode und in dieser
Wahlperiode im Entwicklungsausschuss zwei Anhörun-
gen durchgeführt. Alle Sachverständigen aus den wis-
senschaftlichen Instituten haben übereinstimmend fest-
gestellt, dass der Bereich ländliche Entwicklung
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uf diesen Missstand – um nicht zu sagen: Skandal –
achen wir mit unserem Antrag aufmerksam.
Es reicht nicht aus, als Reaktion eine Träne darüber
u vergießen, dass 30 000 Menschen pro Tag verhun-
ern. Ich gebe zu, dass auch ich viele Reden mit Betrof-
enheitspädagogik oder mit aufrüttelnden Einzelschick-
alen begonnen habe, die ich in den Notaufnahmelagern
n Niger selber kennen gelernt habe. Das allein reicht
ber nicht.
Es ist jetzt notwendig, auf den Missstand zu reagie-
en. Dazu fordern alle kirchlichen Hilfswerke und NGOs
ie Brot für die Welt, Misereor oder FIAN mehr Geld
nd neue Konzepte für die ländliche Entwicklung,
nd zwar besonders für die Landwirtschaft.
ch begreife nicht, dass zwar in den Anhörungen viele
achpolitiker dieser Forderung zustimmen, dass aber im
tat dieser Bereich nach wie vor in zunehmendem Maße
ernachlässigt wird.
iesen Skandal prangern wir an. Ich bitte Sie, das end-
ich anzugehen.
Es gab einen Beitrag – und zwar von Herrn Dr. Bauer –
it sehr viel Substanz auch zum Thema Recht auf Nah-
ung. Dafür möchte ich mich bedanken.
Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt. Was
as Recht auf Nahrung angeht, müssen drei Vorausset-
ungen geschaffen werden. Erstens sind mehr Geld und
eue Konzepte für den ländlichen Raum in der Ent-
icklungszusammenarbeit notwendig. Aber das Gegen-
eil ist der Fall, und zwar nicht nur in Deutschland, son-
ern international. Das muss zu einem Aufschrei führen.
Zweitens muss das Recht auf Nahrung einen sehr gro-
en Stellenwert bekommen. Das stößt manchmal an die
renzen einer überstrapazierten Ownership. Wenn unser
inisterium beispielsweise in Verhandlungen mit der
egierung von Niger darauf hinweist, dass die Entwick-
ungszusammenarbeit auf drei Bereiche beschränkt wer-
en muss, um sich nicht zu verzetteln, und der Regie-
ung die Auswahl dieser Bereiche überlässt, darf es
inem Land mit extrem vielen Hungertoten nicht mög-
ich sein, dass die Regierung in diesem Fall der ländli-
hen Entwicklung eine geringere Bedeutung beimisst
nd sich für andere Sektoren entscheidet.
n einem Land, in dem Menschen verhungern, dürfen
icht andere Sektoren den ländlichen Bereich verdrän-
en.
7330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Thilo Hoppe
Drittens. Wie der Kollege Sascha Raabe zu Recht
festgestellt hat, reicht eine Senkung der Agrarexport-
subventionen nicht aus. Wir sind gerne bereit, den An-
trag in diesem Punkt noch radikaler zu formulieren. Wir
fordern die Abschaffung aller marktverzerrenden Agrar-
subventionen. Das ist völlig klar.
Wir brauchen gerechte Strukturen im Welthandel. Das
hat auch Herr Bauer festgestellt. Aber in einem Punkt
möchte ich ihm deutlich widersprechen. Es wurde das
Bild gemalt, dass mit einem freien Welthandel, mit Han-
delsliberalisierung und einem verbesserten Marktzugang
für die Entwicklungsländer das Problem des Hungers
überall gelöst werden kann.
Es gibt zwei weitere Kurven, die eigentlich kaum zu-
sammenpassen. Es gibt Länder, die auf dem Papier Wirt-
schaftswachstum durch die Ausweitung der Plantagen-
exportwirtschaft haben. Trotzdem steigt dort die Zahl
der Hungernden. Warum? Wenn es keine flankierende
Sozialpolitik, kein progressiv gestaffeltes Steuersystem
und keine Umweltgesetzgebung in den betreffenden
Ländern gibt, dann führt eine Ausweitung der Planta-
genwirtschaft zur Verdrängung von Kleinbauern, Fami-
lienbetrieben und Indigenen. Das kann man in vielen
Ländern mit einer starken Weltmarktintegration sehen.
Diese kann unter anderen Voraussetzungen sehr segens-
reich sein. Wir vertreten keine Abschottungstheorie.
Wenn es aber keine flankierende Gesetzgebung gibt,
dann führt die Weltmarktintegration zu noch mehr Hun-
gernden, als wir heute bereits haben.
Herr Kollege Hoppe, kommen Sie bitte zum Schluss.
Auf die genannten drei Säulen gehen wir in unserem
Antrag ein. Es war in der alten Regierung mit der SPD
leichter, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Unser heutiger Antrag ist zu 80 bis 90 Prozent identisch
mit alten Anträgen betreffend die Bekämpfung des Hun-
gers. Ich finde es schade, dass wir nun damit alleine ste-
hen.
Herr Kollege Hoppe, Sie haben Ihre Redezeit weit
überschritten.
Vielleicht wird die Anregung aufgegriffen und wir
unternehmen den Versuch eines fraktionsübergreifenden
Antrags.
Danke sehr.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
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Richtig, in dieser Reihenfolge, lieber Kollege Tauss.
as verbindet uns in der großen Koalition.
Ich sage es einmal zugespitzt: Ziel des Fernsehens
ann es nicht sein, dass alle Zuschauer zu einer Infoelite
erden. Sie dürfen aber auch nicht in einem Unterhal-
ungsprekariat versinken – um es einmal so zu formulie-
en.
emzufolge müssen wir mit der Umsetzung der EU-
ernsehrichtlinie beide Säulen unseres dualen Rund-
unksystems stärken. Die große Koalition will so viel
lexibilisierung wie möglich und so viel Regulierung
ie nötig. Beispiel Werbezeiten: So wie in unserem frak-
ionsübergreifenden Antrag grundsätzlich gefordert, hat
un das Europäische Parlament eine Ausweitung der
erbeunterbrechungen auf alle 30 Minuten beschlossen.
leichzeitig werden Einzelspots bei Sportsendungen zu-
elassen. Das ist ein sachgerechter Kompromiss. Dabei
eise ich darauf hin, dass sich die europäischen Libera-
en, lieber Herr Kollege Otto, gerade gegen die Aufhe-
ung des Blockwerbegebots ausgesprochen haben. Das
age ich nur für den Fall, dass die FDP im Bundestag auf
ieses Thema näher eingehen sollte.
Zur Produktplatzierung wird unser Kollege Krum-
acher einiges sagen. Anders als von der EU-Kommis-
ion gewollt, beschränkt das EU-Parlament die Produkt-
latzierung auf Fernsehfilme und Serien. Das ist gut. Gut
st vor allem, dass Dokumentationen, Ratgebersendun-
en und Kinderprogramme von Produktplatzierung frei
leiben sollen
nd dass es hier alle 20 Minuten zu einem Warnsignal
ommen soll, um die Zuschauer aufzuklären und zu in-
ormieren. Das geht in die richtige Richtung. Trotzdem,
err Staatsminister, haben Sie im Ministerrat unsere Un-
erstützung, wenn es darum geht, ganz auf Produktplat-
ierungen zu verzichten und damit auf eine klare Tren-
ung von Werbung und Programm hinzuwirken.
Im Europaparlament haben die Versuche, das Fernse-
en in Zukunft als reines elektronisches Wirtschafts-
ut einzuordnen, keine Mehrheit gefunden, weil Infor-
ationsfreiheit und Meinungsvielfalt nicht allein durch
as Wirtschaftsrecht geändert werden können.
Das Bekenntnis zu den zwei starken Säulen des dua-
en Rundfunksystems erfordert aber auch, dem – ich
age es zugespitzt – Populismus zum Thema PC-Ge-
ühren entgegenzutreten.
7332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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Reinhard Grindel
Das ist ja das zweite Thema dieser Debatte; deswegen
auch einige Anmerkungen dazu. Es geht mitnichten da-
rum, für zusätzliche Gebühren oder für eine Belastung
der Wirtschaft in dreistelliger Millionenhöhe zu sorgen.
Es geht darum, dass nach dem Rundfunkrecht in
Deutschland für jedes Gerät, mit dem man Rundfunk
empfangen kann, eine Gebühr zu entrichten ist. Mit ei-
nem internetfähigen PC kann man Radio empfangen,
und rund 15 Prozent der Hörer machen das auch schon,
vor allem jüngere Leute. Nun ist aber nicht zu bestreiten
– das ist der entscheidende Punkt –, dass selbstverständ-
lich die PCs nicht zum Radiohören angeschafft wurden.
Aber das hat die Rundfunkkommission der Länder auch
gesehen. Entscheidend ist deshalb – das ist seitens man-
ches Wirtschaftsvertreters verschwiegen worden –, dass
für die neuartigen Geräte gerade im gewerblichen Be-
reich eine umfassende Zweitgerätefreiheit gilt, wie wir
sie für normale Radios und Fernseher aus dem privaten
Bereich kennen. Wenn also irgendwo – das muss man
verdeutlichen – in der Werkstatt, im Auto des Betriebs-
leiters oder im Ladengeschäft bereits ein Radio existiert,
dann braucht sich niemand über eine Gebühr für den PC
Gedanken zu machen, vorausgesetzt natürlich, dass das
Gerät angemeldet ist. Das bedeutet auch, wenn im ge-
werblichen Bereich mehrere Radios angemeldet waren,
dann können diese jetzt getrost abgeschafft und dann
kann Hörfunk über PCs gehört werden, und zwar für nur
noch eine Gebühr.
Herr Kollege Grindel, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Otto?
Ja.
Lieber Herr Kollege Grindel, verstehe ich Sie richtig,
Sie halten die PC-Gebühr trotz aller Proteste für richtig
und widersprechen damit Ihrem in dieser Sache sehr viel
weiteren Kulturstaatsminister und dem Bundeswirt-
schaftsminister, der sich kritisch mit dieser Gebühr be-
schäftigt hat?
Das Entscheidende bei der Diskussion, lieber Kollege
Otto – ich will Ihnen das erklären –, war die Frage, ob es
angesichts der öffentlichen Debatte und des Umstands,
dass es hier um Gebühreneinnahmen von etwa
5 Millionen Euro geht – das ist ja keine große Summe –,
notwendig war, mehr oder weniger aus strategischen
Gründen jetzt diese Entscheidung in der Ministerpräsi-
dentenkonferenz zu fällen. Da kann man unterschiedli-
cher Meinung sein. Mit einem Stimmenverhältnis von
15 : 1 hat man sich in der Ministerpräsidentenkonferenz
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Ich halte das für richtig und habe die Anmerkungen
es Sta
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn man mit einem Gerät
adio oder später einmal Fernsehen empfangen kann
nd kein anderes Gerät angemeldet hat, dann muss man
ine Gebühr dafür zahlen. Um nicht mehr und nicht we-
iger ging es. Da sind der Kulturstaatsminister und un-
ere Fraktion völlig einer Meinung.
Herr Kollege Grindel, der Herr Kollege Börnsen
öchte auch eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie
uch diese?
Ja, aber mit Bedenken.
Bitte schön, Herr Börnsen.
Herr Kollege Grindel, trifft es nicht zu, dass die Frage
m die Fernseh- und Rundfunkgebühr einen bestimmten
rozesscharakter gehabt hat, nämlich dass erst am
4. Oktober 2006 die Ministerpräsidenten eine Entschei-
ung gefällt haben, die dazu geführt hat, dass man in der
weitgerätebesteuerung einen ganz neuen Weg beschrit-
en hat und am Ende der Diskussion der Wirtschaftsse-
ator von Hamburg, Gunnar Uldall, gesagt hat: Diese
weitgerätelösung ist ein Vorteil für alle Beteiligten, be-
onders für Mittelstand, Handwerk und Gewerbe?
Herr Kollege Börnsen, überraschenderweise kann ich
hnen das bestätigen.
ch will auf einen Punkt hinweisen, weil das, was Sie ge-
agt haben, völlig richtig ist und meines Erachtens auch
en vielen besorgten Unternehmern im Land gesagt wer-
en muss. Um das noch einmal ganz klar zu machen:
er herkömmliche Fernseher und Radios in größerer
ahl hatte, musste jedes einzelne Gerät anmelden und
afür eine Gebühr zahlen. Das wird jetzt anders sein.
egen der Regelung über die Zweitgerätefreiheit wird
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7333
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Reinhard Grindel
es so sein, dass man für ein Gerät zahlt und alle anderen
Geräte von der Gebühr befreit sind.
Was der Kollege Uldall meint, ist, dass dann, wenn man
zehn oder 15 Radios oder Fernsehgeräte in seinem Be-
trieb hat – in manchen Betrieben werden das noch mehr
sein –, man all diese Geräte getrost abschaffen und dann
über Internet jetzt schon Radio und, wenn es in Zukunft
technisch möglich ist, Fernsehen empfangen kann.
Insofern wird es in diesem Bereich eine gewisse Entlas-
tung für die Wirtschaft geben. Da haben der Kollege
Uldall und auch Sie völlig Recht.
Wir sollten jetzt die Empfehlung der Rundfunkkom-
mission der Länder abwarten. Deshalb werden wir den
Anträgen, die es dazu gegeben hat, nicht zustimmen.
Ich will aber eines deutlich sagen. Wir sollten den jetzt
eingeschlagenen Weg noch präzisieren und zu der Lö-
sung kommen: GEZ-Gebühr plus umfassende Zweitge-
rätebefreiung. Denn die manchmal sehr schneidig vorge-
tragenen Alternativen haben ihre Probleme. Denken Sie
an die personenbezogene Medienabgabe, die von Ih-
nen, Herr Kollege Otto, empfohlen wird. Die ist verfas-
sungs- und abgabenrechtlich ausgesprochen problema-
tisch und die Familien zahlen die Zeche. Auch das ist
wahr.
Eine haushaltsbezogene Abgabe ist in einer mobilen
Gesellschaft schwer zu kontrollieren. Eine Rundfunk-
steuer verstößt gegen das Gebot der Staatsferne.
Eines wird völlig übersehen. Das sage ich mit Hin-
weis auf die Diskussion, die wir gerade in diesen Tagen
über ARD und ZDF und die EU-Wettbewerbshüter ha-
ben. Jede Alternative zur herkömmlichen Rundfunkge-
bühr würde EU-rechtlich zu erheblichen Problemen füh-
ren. Die Rundfunkgebühr gibt es seit 1953. Das war vor
unserem EG-Beitritt. Sie ist eine Altbeihilfe. Würden
wir jetzt etwas ändern, würde es sich bei einer neuen Ab-
gabe um eine Neubeihilfe handeln. Jede Gebührenerhö-
hung müsste in Brüssel notifiziert werden. Da kann ich
angesichts der Debatten, die wir in diesen Tagen haben,
Neugierige nur warnen. Eine Regelung auf der Basis ei-
ner großzügigen Zweitgerätefreiheit – das ist mein per-
sönlicher Vorschlag – wäre dagegen europafest und rela-
tiv einfach zu machen. Dabei könnten – das will ich
betonen – Ungerechtigkeiten im Bereich des Hotelge-
werbes oder bei Filialbetrieben angepackt werden.
Schlussgedanke: Ich habe ein Bekenntnis zum dualen
System und zur Qualität auch und besonders des öffent-
lich-rechtlichen Fernsehens abgelegt. Gerade die ARD
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ir können auf die Qualität unseres dualen Rundfunk-
ystems in Deutschland stolz sein und wir sollten für
ahmenbedingungen sorgen, damit das so bleibt. Mit ih-
em Antrag zur EU-Fernsehrechtlinie leistet die große
oalition, so glaube ich, einen überzeugenden Beitrag.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Waitz von
er FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Mit der gestrigen Entscheidung zur Fernseh-
ichtlinie im Europaparlament wird die Produktplatzie-
ung aus der Schmuddelecke der Schleichwerbung he-
ausgeholt. Eine geregelte Produktplatzierung ist für den
erbraucher transparent und beseitigt Zweifel, wie Film-
roduktionen zusätzlich finanziert werden können. Der
nrüchige Umweg über Produktbeistellung kann künftig
rspart bleiben. Außerdem ist in der letzten Minute er-
eicht worden, dass der Abstand für Werbeunterbrechun-
en auf 30 Minuten gesenkt werden konnte, wie es im
rsprünglichen Berichtsentwurf vorgesehen war.
Die im Kulturausschuss des Europaparlamentes ge-
ünschte 45-Minuten-Regelung war zum Glück nicht
urchsetzbar.
ieser Ansatz wäre ein fatales Signal
n die Wirtschaft und die Rundfunkanbieter gewesen.
nstatt die Werberegelungen zeitgemäß zu liberalisie-
en, hätte die Richtlinie zu einer Verschärfung der Wer-
eabstandsregelungen geführt und die wirtschaftliche Si-
uation der Rundfunkveranstalter unnötig verschlechtert.
Insgesamt müssen wir allerdings feststellen, dass die
etzt im Europäischen Parlament verabschiedete
7334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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Christoph Waitz
Fernsehrichtlinie leider ein ziemliches Flickwerk gewor-
den ist. Das Parlament in Straßburg hat die Chance ver-
tan, die Regelung der Werbezeit noch weiter zu liberali-
sieren und den Gegebenheiten eines veränderten
Werbemarktes anzupassen.
Die Bundesregierung muss jetzt die Ratpräsident-
schaft nutzen, um hier noch Änderungen zu erreichen.
Denn starre Werberegelungen im audiovisuellen Bereich
benachteiligen die Rundfunkanbieter gegenüber den üb-
rigen Medien, die im Wettbewerb um Werbekunden ste-
hen. Ganz zwangläufig wird sich die Werbewirtschaft
immer stärker anderen Medien zuwenden. Damit wird
die finanzielle Basis der Rundfunkanbieter geschwächt
und die Qualität werbefinanzierter Programminhalte ge-
fährdet.
Heute stehen zusätzlich drei Anträge zur Rundfunk-
gebühr für internetfähige Computer auf der Tagesord-
nung. Neben der absurden Rundfunkgebührenpflicht für
Universitäten ist die Computerrundfunkgebühr das deut-
lichste Anzeichen dafür, dass die Finanzierung des öf-
fentlich-rechtlichen Rundfunks auf eine neue Grundlage
gestellt werden muss. Wir Liberale treten für einen Para-
digmenwechsel bei der Finanzierung des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks ein.
Die personenbezogene Medienabgabe ist das Modell,
das wir seit langem favorisieren.
Herr Grindel, natürlich kann man da über vieles dis-
kutieren. Aber wir können nicht, wie es in der Vergan-
genheit der Fall war, dieses Problem ausblenden und so
tun, als ob nichts wäre. Wir müssen uns schon um die
Dinge kümmern. Das war im Zusammenhang mit dem
Moratorium über internetfähige PCs eigentlich auch an-
gedacht. Das war der Grund für das Moratorium; das
wissen Sie. Deswegen finde ich es nicht in Ordnung, was
Sie hier von sich geben.
Wir dürfen bei der Diskussion um die Rundfunkge-
bühren jedoch nicht Halt machen. Wir müssen im Inte-
resse qualitativ hochwertiger Angebote im Fernsehen
und Hörfunk die eigentlichen Probleme anpacken. Dazu
müssen wir neu bestimmen, wie der Rundfunkbegriff in
einer digitalisierten Medienwelt bestimmt und die Aus-
gestaltung des Grundversorgungsauftrages des öffent-
lich-rechtlichen Rundfunks geregelt werden kann.
In einschlägigen Aufsätzen ist von einer „Revolution
in der Medienwelt“ die Rede. Selbst wenn der Begriff
„Revolution“ zu drastisch sein mag, so glauben wir
doch, dass sich das System des deutschen Rundfunks an
einem Scheideweg befindet, an einer Stelle, die uns
zwingt, Stellung zu der Frage zu beziehen, wie der
Rundfunk in Deutschland zukünftig ausgestaltet werden
soll. Welche Aufgaben soll der öffentlich-rechtliche
Rundfunk zukünftig tatsächlich noch wahrnehmen?
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Wir Liberale meinen, Grundversorgung in der
euen Medienwelt muss nicht bedeuten, dass der öffent-
ich-rechtliche Rundfunk sämtliche Aufgaben erfüllen,
ämtliche Geschmacksrichtungen abdecken und auf
ämtlichen Verbreitungswegen präsent sein muss.
Herr Tauss, Sie kommen auch noch dran. – Wir den-
en, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk insbe-
ondere unter Verzicht auf Werbeeinnahmen und den
amit notwendig verbundenen Blick auf werberelevante
ielgruppen darauf konzentrieren sollte,
ine erhebliche Qualitätsverbesserung des Programms
u erzielen.
Meine Damen und Herren, lieber Herr Grindel, die
berlegungen sollten noch weiter gehen. Wir dürfen
icht hinnehmen, dass wichtige kulturelle Inhalte und
ildungsangebote aus dem öffentlich-rechtlichen Fern-
ehen in so genannte Spartenkanäle abwandern
nd nur noch mit zusätzlichem Kostenaufwand für den
uschauer zu beziehen sind.
Es sollte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
icht selbstverständlich sein, dass in einer beträchtlichen
nzahl von Formaten das Niveau eines Boulevardjour-
alismus gepflegt wird. Damit wird der Unterhaltungs-
uftrag, für den auch ein Qualitätsmaßstab gilt, in mise-
abler und verantwortungsloser Weise erfüllt. Damit
age ich nichts gegen Sendungen wie „Wetten, dass …“
m Samstagabend. Aber es wäre an der Zeit, dass sich
ie Verantwortlichen in den Sendeanstalten und Rund-
unkräten einer Aufgabenkritik sowie einer externen und
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7335
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Christoph Waitz
staatsfernen Qualitätskontrolle ihrer Sendungen stellen
würden.
Ich lade Sie und auch die Medienpolitiker in den Län-
dern ein, mit uns über diese Fragen zu diskutieren. Es
wird dafür höchste Zeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Griefahn von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich finde es immer wieder erschreckend
– das muss ich ganz ehrlich sagen –, wie viel Unver-
ständnis nicht nur auf europäischer Ebene, sondern
selbst bei uns in Deutschland herrscht, wenn es um die
Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht.
Dabei wird sein Wert spätestens dann deutlich, wenn wir
uns andere Länder wie Italien, Polen und Russland an-
schauen, in denen es keine oder nur eine stark einge-
schränkte Unabhängigkeit des Rundfunks gibt.
Aus den Gründen unserer eigenen Geschichte wurde
der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem Krieg in
Deutschland zu einem Garanten für unabhängigen Jour-
nalismus gemacht. Damit ist er zu einem Grundpfeiler
unserer demokratischen Ordnung geworden, den wir
schützen müssen – auch vor übermäßigen Liberalisie-
rungsbestrebungen in Europa.
Mit unserem heute vorliegenden Antrag unterstützen
wir grundsätzlich den gestern vorgelegten Vorschlag der
EU-Kommission für eine Neufassung der Richtlinie
„Fernsehen ohne Grenzen“. Ich will hier nur einige
Punkte herausgreifen; Herr Grindel hat schon viele an-
dere erwähnt.
Wir begrüßen, dass die Kommission plattformunab-
hängige Regelungen formuliert hat und das mit einer
Unterscheidung von linearen und nicht linearen Medien-
diensten verknüpft. Es sollen eben Inhalte und nicht die
Übertragungswege im Vordergrund stehen. Wir unter-
stützen ebenso das geplante europaweite Gegendarstel-
lungsrecht und die Harmonisierung der Jugendschutz-
vorschriften, allerdings ohne dass die Standards gesenkt
werden. Darauf werden wir bestehen müssen.
Ganz grundlegend bleibt uns aber wichtig, dass die
Vorschriften zur Werbung möglichst stark formuliert
werden. Das bedeutet: Zumindest für den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk wollen wir keine Produkt- und
Themenplatzierung. Schleichwerbung muss hier ausge-
schlossen werden, damit sich die Programmgestaltung
allein an publizistischen Kriterien orientiert und die Pro-
grammfreiheit gewährleistet bleibt. Kollege Otto, ich
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Weil Sie davon gesprochen haben, dass Sie mehr Frei-
eit haben wollen.
Überhaupt scheint das der Knackpunkt der langen
ontroverse mit der EU-Kommission zu sein. Immer
ieder wird die Unabhängigkeit der Sender angegriffen.
er öffentlich-rechtliche Rundfunk muss eigenständig
ein und muss selbst entscheiden, und zwar unabhängig
on Wirtschaft und Staat. Dieser Knackpunkt wird an
em laufenden Beihilfeverfahren deutlich. Mit der Art
nd Weise, wie hier mit unserem Rundfunksystem als
entralem Bestandteil unserer Demokratie umgegangen
ird, überschreitet die Kommission meiner Ansicht
ach ihre Kompetenz.
Außerdem halte ich das für einen äußerst schlechten
mgang. Denn es gab über zwei Jahre einen langen Pro-
ess und sehr konstruktive Gespräche zwischen Bundes-
egierung, den Ländern und der Kommission. Wie ich
ehört habe, wurde am Montag nach achteinhalb Stun-
en Verhandlungen ein Konsens erreicht. Was aber ist
un? Ärgerlicherweise stellt die Kommission am nächs-
en Tag in der Person von Frau Kroes neue Nachforde-
ungen, was wirklich unerträglich ist.
Im Kern wird von der Kommission in diesem Fall
eispielsweise die unabhängige digitale Weiterentwick-
ung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisiert.
as heißt, alle bestehenden und zukünftigen digitalen
ngebote sollen genehmigungspflichtig werden. Das
önnen wir doch nicht zulassen.
enn die Kommission in diesem Punkt mit ihrer Forde-
ung durchkäme, hätten wir faktisch einen Staatsrund-
unk. Das ist genau das, was wir eben nicht wollen.
Zudem ist es nicht nur eine Frage nach dem, was wir
ollen; wir dürfen es auch gar nicht. Das Bundesverfas-
ungsgericht hat seit 45 Jahren in seinen Urteilen immer
ieder deutlich gemacht, dass der öffentlich-rechtliche
undfunk einen Grundversorgungsauftrag hat und für
iesen Programmautonomie genießt. Es ist spätestens
eit dem Rundfunkurteil aus dem Jahr 1991 klar, dass
7336 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
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Monika Griefahn
dieses auch für die Übertragungswege gilt. Wir brauchen
die neuen digitalen Übertragungswege, wenn wir junge
Leute ansprechen wollen. Ansonsten gibt es für die äl-
tere Generation das analoge Fernsehen und für die jun-
gen Leute gibt es die privaten Sender. So kann es nicht
sein.
Ich bin der Meinung, im Notfall müssen wir für die Ver-
teidigung der Rundfunkautonomie, und zwar auch für
die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, bis zum Euro-
päischen Gerichtshof gehen.
Dass unsere Ministerpräsidenten beim Abschluss des
letzten Rundfunkstaatsvertrags einerseits die autonome
Entscheidung der Kommission zur Ermittlung des Fi-
nanzbedarfs, der KEF, unterlaufen haben und anderer-
seits festlegten, dass für den Bereich des Internets maxi-
mal 0,75 Prozent des Etats ausgegeben werden dürfen,
ist natürlich ein Problem. Damit spielen sie der Kommis-
sion in die Hand. Ich denke, wir müssen von den Minis-
terpräsidenten eine eindeutig übereinstimmende Position
verlangen. Einzelne Ministerpräsidenten dürfen nicht
ausscheren. Dies wäre ein Problem im Hinblick auf die
Glaubwürdigkeit gegenüber der EU-Kommission.
Ich stimme Herrn Grindel unbedingt zu, wenn er sagt:
Wir dürfen bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht Konver-
genz in Bezug auf die private Konkurrenz und die Quote
anstreben. Darin stimme ich mit ihm vollkommen über-
ein. Wir alle müssen bei den Programmräten und den
Ministerpräsidenten anmahnen, dass Programmautono-
mie und Programmvielfalt das sind, was den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk auszeichnet.
Wir müssen die bestehende Vielfalt erhalten – das haben
wir in unserem Antrag deutlich gemacht –, zum Beispiel
in Form des Rechts auf Kurzberichterstattung.
Es ist uns wichtig, dass im öffentlich-rechtlichen Rund-
funk weiterhin über alle Ereignisse, an denen ein öffent-
liches Interesse besteht, berichtet werden kann. Wir wol-
len keine Einschränkungen. Ich glaube, das ist etwas,
wofür wir gemeinsam streiten sollten. Dies ist schon in
unserem Antrag formuliert worden.
Wie gesagt, die Rundfunkanstalten müssen sich sel-
ber in die Pflicht nehmen. Sie müssen sich auf ihren
Auftrag besinnen. Da denke ich an einen weiteren Be-
reich, den wir hier vor fast exakt zwei Jahren besprochen
haben. Am 17. Dezember 2004 haben wir nämlich im
Bundestag beschlossen, dass im Rahmen der Veröffentli-
chung von populärer Musik im Rundfunk Fördermaß-
nahmen für deutsche Produkte,
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lso für deutsche Sänger und deutsche Produktionen,
orgesehen werden. Auch das haben die öffentlich-
echtlichen Sender zugesagt. Aktuelle Zahlen zeigen
ber, dass die ersten Anstrengungen nicht von langer
auer waren und sich strukturell nichts geändert hat. Da
üssen die Öffentlich-Rechtlichen nachlegen, wenn sie
eigen wollen, dass sie Wert darauf legen, von uns vehe-
ent verteidigt zu werden. Denn das ist für uns in
eutschland auch ein Wirtschaftsfaktor.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Lothar Bisky von
er Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Koa-
itionsantrag zur EU-Fernsehrichtlinie tragen wir Linken
us inhaltlichen Gründen weitgehend mit. Maßgeblich
ür unsere Zustimmung ist, dass Sie bei aller Notwendig-
eit, die neuen Entwicklungen im Medienbereich auf
U-Ebene zu revidieren, anerkennen, dass die Mitglied-
taaten weiterhin ihren Rundfunk in den für sie zentralen
ereichen selbstbestimmt regulieren können. Das ist uns
usgesprochen wichtig.
Lassen Sie mich das anhand von zwei Punkten er-
äutern. Erstens. Die Fernsehrichtlinie harmonisiert
uallererst Geschäftsbeziehungen. Sie dereguliert Wer-
ebeschränkungen und definiert Bedingungen der kom-
erziellen Kommunikation, also auch der Werbung, für
ie Anbieter von audiovisuellen Dienstleistungen auf
em europäischen Binnenmarkt.
In einem dürften wir uns alle einig sein: Den Anbie-
ern geht es primär ums Geldverdienen und um Rendite
nd zuvörderst nicht um den Jugendschutz, nicht um
erbraucherrechte,
icht um ein vielfältiges kulturelles Programmangebot
nd schon gar nicht darum, die Autonomie journalis-
isch-redaktioneller Arbeit abzusichern.
Das aber sind für uns als Linke Kernpunkte einer gu-
en Medienpolitik.
Deshalb gehören insbesondere der Jugend- und Ver-
raucherschutz, aber auch das Gebot der Trennung von
erbung und Programm in den Verantwortungsbereich
er Politik. Diese sollten nicht nach dem Herkunfts-
andprinzip bewertet werden, sondern nach den jeweils
ationalen Schutzbestimmungen der Mitgliedstaaten.
as Herkunftslandprinzip wird nämlich in den Ansied-
ungsbemühungen um Medienunternehmen schnell zu
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7337
)
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Dr. Lothar Bisky
einem medienrechtlichen Unterbietungswettbewerb füh-
ren. Den lehnen wir eindeutig ab.
Die Verbraucherzentrale und andere Interessenver-
bände – darunter übrigens auch das Zentralkomitee der
deutschen Katholiken – befürchten zu Recht, dass Ju-
gend- und Verbraucherschutz in Europa mit der Fernseh-
richtlinie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner redu-
ziert würden. Darum unterstützen wir ihre Forderung,
die etablierten Qualitätsstandards zu erhalten und das
Herkunftslandprinzip aus dem Richtlinienentwurf he-
rauszunehmen. Dazu haben Sie sich leider nicht durch-
ringen können.
Zweitens. Wir sind für den Erhalt eines öffentlich-
rechtlichen Medienangebots. Sicherlich müssen wir uns
die zentrale Frage stellen, wie dieses Angebot organi-
siert und finanziert werden soll, ohne beständig Gegen-
stand von Beihilfeverfahren der Europäischen Kommis-
sion zu sein und ohne sich den Privaten in Inhalt und
Form immer mehr anzunähern.
Was die Finanzierung betrifft, so sind wir gegen das
einfallslose „Weiter so“ der Ministerpräsidenten. Die be-
schlossene Ausweitung der Gebührenpflicht auf inter-
netfähige PCs und Handys wird daher von uns abge-
lehnt. Für eine trag- und zukunftsfähige Grundlage ist
eine grundsätzliche Revision des Gebührensystems er-
forderlich.
Davon unbestritten bedarf es Regulierungen, die auf
der Ebene der Mitgliedstaaten angesiedelt sind und die
unterschiedliche nationale Verfassungen, kulturelle Tra-
ditionen und medienpolitische Konzepte nicht missach-
ten. Gleiches gilt für die Deregulierungsbemühungen,
die die Bedingungen weiter zugunsten des privaten
Rundfunks und der kommerziellen Medienanbieter ver-
schieben. Unsere Auffassung ist: Product Placement
soll die Ausnahme sein und nicht zur Regel werden. In
bestimmten Programmformaten, in denen es die Zu-
schauer und Zuschauerinnen erkennen können, wie etwa
bei Fernsehfilmen und -serien, sollte es maßvoll erlaubt
sein, als Themenplacement allerdings nicht. Themenbei-
träge als bezahlte Marketingmaßnahmen lehnen wir
prinzipiell ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Wir brauchen ein vielfältiges und kulturelles öf-
fentlich-rechtliches Medienangebot, das durch Werbung
angemessen begleitet sein kann. Darüber, wie dies kon-
kret ausgestaltet werden muss, haben wir in diesem
Hause unterschiedliche Auffassungen. Darüber, dass wir
es erhalten sollten, hoffentlich nicht.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin vom
Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle-
en! Die meisten von Ihnen kennen wahrscheinlich die
eschichte von Robinson Crusoe,
inem Seemann, der einige Jahre auf einer Insel als
chiffbrüchiger verbringt. Vielleicht haben einige von
hnen aber auch den Film „Cast Away“ mit Tom Hanks
n der Hauptrolle gesehen.
r spielt darin Robinson Crusoe, allerdings nicht im
8. Jahrhundert, sondern im Heute. Sein Freund Freitag
st in diesem Film kein Mensch, sondern ein Ball. Der
all hat den Namen Wilson, nicht Freitag. Warum ist das
o? Weil der Ball von einer Firma ist, die den Namen
ilson trägt.
Ich bin mir sicher, dass einige Menschen diesen Film
ber alles lieben, vor allem die Vorstände des amerikani-
chen Paketdienstes Fed-Ex; denn der Film „Cast Away“
ebt vor allem die Pakete dieser Firma hervor. Ich weiß
icht, wer von Ihnen sich daran erinnert, aber mir ist das
ehr eindeutig vor Augen geblieben: Er ernährt sich vom
nhalt dieser Pakete.
Dieser Kinofilm macht nur zu deutlich, was auf uns
ukommt, wenn wir Produktplatzierungen oder auch
roduktionsbeihilfen ganz offiziell zulassen:
as Fed-Ex-Logo zog sich durch den ganzen Film. Das
ann nicht das sein, was wir uns wünschen.
Ein anderes lustiges Beispiel ergab sich in einem
achgespräch zu dem Thema. Da sagte ein Produzent,
in Schauspieler wollte bei einer Nacktszene seine Uhr
icht abnehmen. Er hat sich die ganze Zeit gewundert,
arum der Schauspieler seine Uhr nicht abnimmt.
ieser Schauspieler hatte – das stellte sich am Ende he-
aus – einen Werbevertrag mit der Uhrenfirma. Das war
n der Sache nicht besonders dramatisch,
ber man kann sich natürlich andere Beispiele vorstel-
en, wo das ein bisschen mehr Einfluss auf die Inhalte
es Programms nehmen kann.
Wir Grünen wollen die Rahmenbedingungen so ge-
talten, dass auch in Zukunft ein qualitativ hochwertiges
nd unabhängiges Programm sichergestellt werden
ann. Deshalb wollen wir, dass die gezielte Platzierung
on Produkten, gleich welcher Art, nicht erlaubt wird.
7338 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
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Grietje Bettin
Unserer Meinung nach ist die große Koalition auf halber
Strecke stehen geblieben: Sie will zwar Produktplatzie-
rungen verbieten, Produktionsbeihilfen aber nicht.
Der Film „Cast Away“ zeigt ganz eindeutig, dass auch
Produktionsbeihilfen das Bild und die Handlung domi-
nieren können.
Eine besondere Gefahr sehen wir bei journalistischen
Formaten – zumindest hierbei sind wir uns, glaube ich,
alle einig –; denn die Unabhängigkeit der Redaktion
kann durchaus gefährdet sein. Die unzähligen Schleich-
werbeaffären der letzten Monate zeigen, dass Produkt-
platzierung durchaus attraktiv ist und definitiv Einfluss
auf Drehbücher nehmen kann.
Wir müssen an der klaren Trennung von Werbung
und Programm festhalten. Deshalb bedauern wir, dass
im EU-Parlament gestern in erster Lesung für die Zulas-
sung von Produktplatzierungen gestimmt wurde. Wir
können die Vorteile der Zuschauer durch Produktplatzie-
rungen überhaupt nicht sehen.
Wir gehen davon aus, dass sich der Werbekuchen insge-
samt nicht ausweiten würde, sondern die Stücke des
Werbeetats insgesamt nur anders verteilt würden, dass
die Verbraucher vom Fernsehen nur noch genervter wä-
ren und das Programm inhaltlich nicht besser würde, es
zum Beispiel nicht – was wir uns alle wünschen
würden – mehr investigativen Journalismus oder mehr
bessere Filme geben würde. Wir sehen da keinen direk-
ten Zusammenhang und keine Verbesserung für die Ver-
braucherinnen und Verbraucher.
Für uns ist klar – das hat auch der Kollege Grindel
schon angesprochen –, dass Medien nicht nur ein Wirt-
schaftsgut, sondern auch Kulturgut sind.
– Für uns sind sie sicherlich in erster Linie Kulturgut.
Wir akzeptieren aber, dass es sich dabei natürlich auch
um ein Wirtschaftsgut handelt.
Bei der Fernsehrichtlinie gibt es viele Punkte, die
wir durchaus positiv finden. Im Zeitalter der Digitalisie-
rung ist es natürlich notwendig, die Fernsehrichtlinie an-
zupassen. Wir brauchen europaweit einheitliche Rege-
lungen für Fernsehen und Internet. Wir unterstützen das
abgestufte Regulierungsverfahren und die Regulierung
im Jugendschutzbereich. All das sehen wir sehr positiv.
Wir hoffen, dass die Bemühungen des Kollegen Neu-
mann Erfolg haben und es im Rahmen der EU-Ratspräsi-
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ischiwaschikompromisse werden wir in diesem Be-
eich nicht unterstützen.
Leider habe ich nicht mehr viel Zeit. Deshalb zur PC-
ebühr nur so viel: Wir, die Grünen, haben hierzu ein
igenes zukunftsfähiges Modell auf den Tisch gelegt,
eil wir die Einführung einer PC-Gebühr zum
. Januar 2007 für nicht zukunftsfähig halten. Wir brau-
hen endlich eine geräteunabhängige, haushaltsbezo-
ene Mediengebühr.
ür weitere Details reicht die Zeit hier und heute nicht
us. In die Debatte, die im nächsten Jahr mit den Län-
ern geführt werden wird, werden wir uns natürlich kon-
truktiv und kritisch einbringen.
Im Parlament werden wir in einigen zentralen Fragen
er Medienpolitik, nämlich bei der Vielfaltsicherung,
em Verbraucherschutz und der Qualitätssicherung, zu-
ammenhalten müssen; sonst überrollt uns die EU-Kom-
ission mit Verschlechterungen. Das können wir alle
icht wollen. Deshalb hoffe ich, dass wir zu verschiede-
en Punkten Diskussionen führen und zu positiven Lö-
ungen kommen werden.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Johann-Henrich Krum-
acher von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
estehende Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ ist
egenwärtig die Grundlage der EU-Politik im audiovisu-
llen Bereich. Sie stammt aus dem Jahr 1989. Nicht nur
ie politische, auch die technologisch-mediale Situation
ar damals eine völlig andere. Auch der Nutzungs- und
erbreitungsgrad dieses Mediums ist gestiegen. In vie-
en Haushalten läuft der Fernseher im Schnitt drei bis
ier Stunden am Tag. Das mag man bewerten, wie man
ill. Es zeigt aber, dass wir hier über einen gesellschaft-
ich höchst relevanten Lebensbereich sprechen.
Durch den bislang erreichten Stand der Diskussion
arüber, wie die notwendige Neufassung der Richtlinie
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7339
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)
Johann-Henrich Krummacher
Gestalt annehmen könnte, ist – lassen Sie den Stuttgarter
Abgeordneten das so sagen – ein viel versprechendes
Pflänzle entstanden. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass
dies nun in die richtige Richtung wächst.
Ich darf nochmals unterstreichen: Fernsehen – egal
in welcher Form – ist in erster Linie – das haben wir
heute gewissermaßen zu einer gemeinsamen Überzeu-
gung gemacht – ein Kulturgut.
Man kann und muss mit Kulturgütern gut wirtschaften.
Aber diese deswegen zu reinen Wirtschaftsgütern umzu-
deuten oder sie so zu behandeln, wäre im wahrsten Sinne
des Wortes kurzsichtig.
Das zu verstehen ist wichtig, weil sich bereits hier
entscheidet, ob das Vorhaben richtig eingefädelt wird.
Das hat Folgen für das, was letztlich entscheidend sein
wird, nämlich das Kleingedruckte. Zum Wesenskern öf-
fentlicher Leistungserbringung im so genannten Infor-
mationszeitalter gehört, auch medial niemanden zurück-
zulassen. Wie Lesen und Schreiben werden auch
Medienkompetenzen immer mehr zur Res publica, zur
öffentlichen Angelegenheit: je größer diese Kompeten-
zen, desto besser für den Menschen selbst und desto bes-
ser für unser Gemeinwesen.
Um es etwas salopp, aber mit durchaus ernstem Kern
zu formulieren: Von der „Sendung mit der Maus“ oder
der ZDF-Produktion „Löwenzahn“ können auch viele
Erwachsene noch etwas lernen, während durch zu viele
andere Angebote aus Kindern eher lethargische, nicht
unbedingt lernbegierige Erwachsene werden.
Dies zeigt abermals die Notwendigkeit einer guten
Balance zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten
Anbietern. Wenn der freie Informationsfluss sozusagen
das Öl im Getriebe unserer Demokratie ist, dann leisten
beide – öffentlich-rechtliche wie private Anbieter – ei-
nen wichtigen Beitrag.
Aber durch die Privaten allein ist dieser Fluss nicht hin-
reichend gewährleistet.
Das heißt schlicht und einfach: ARD, ZDF und die drit-
ten Programme der ARD-Familie senden auf sehr hohem
Niveau, wenn nicht sogar höchstem Niveau. Dafür sind
wir dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen
dankbar.
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Ein weiterer wichtiger Punkt – er wurde bereits ange-
eutet – ist das Thema Werbung. Es ist nicht überzeu-
end, Art und Umfang der Werbemöglichkeiten lockern
u wollen, aber den eigentlichen Kern, das heißt die
uantitative Werberegulierung, an sich beizubehalten.
Noch weniger überzeugend ist es vor diesem Hinter-
rund, bei einer anderen Art der Werbung die Schleusen
u öffnen, nämlich bei der Produktplatzierung. Einen
ositiven Weg weisen beispielsweise die Transparenz-
ichtlinien des Zweiten Deutschen Fernsehens auf, bei
enen die Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen wie
rivaten Kooperationspartnern ein Controllingverfahren
urchläuft.
Das ist sehr wirksam und wird bereits jedes Jahr abge-
ragt, dem Fernsehrat vorgetragen und von dort kontrol-
iert.
Der Vorschlag der Kommission hingegen würde eine
enerelle Öffnung für Produktplatzierung ermöglichen.
ass für bestimmte Sendungen wie Nachrichten oder
inderprogramme Ausnahmen gelten sollen, kann den
irkungsradius dieser fast schon als perfide zu bezeich-
enden Form der Werbung nicht seriös eingrenzen. Da-
um sind Produktplatzierungen schlicht und ergreifend
bzulehnen. Sonst müsste es nach jeder Sendung heißen:
u Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Dreh-
uchautor oder Produzenten.
Gute Zeichen gibt es hingegen beim Jugendmedien-
chutz. Die Ausdehnung des Jugendmedienschutzes auf
icht lineare, das heißt individuell abrufbare Dienste, ist
benso richtig wie wichtig. Jugendschutz hat viele Fa-
etten. Eine solche Ausweitung des medialen Jugend-
chutzes ist ein wichtiger Teil des Ganzen.
Es macht wenig Sinn, Verrohungen und Orientie-
ungslosigkeit bis hin zur Gefahr gewaltverherrlichender
omputerspiele zu beklagen und dann diese mediale
lanke zu öffnen.
ochmals: Wir begrüßen die Ausweitung des medialen
ugendschutzes auf die nicht linearen Medien.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Insgesamt
ibt es mit Blick auf den bisherigen Diskussionsstand
owohl Licht als auch Schatten. Um dazu beizutragen,
ass das Licht mehr wird und die Schatten weniger wer-
en, sollte die Debatte über audiovisuelle Dienste zu
7340 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Johann-Henrich Krummacher
einem Schwerpunkt der deutschen Medien- und Kom-
munikationspolitik auf europäischer Ebene werden. So-
wohl die Landesregierungen als auch Kulturstaatsminis-
ter Neumann tragen dazu auf erfreuliche Weise bei.
Wenn dies dazu führt, dass ein kohärenter europäi-
scher Rechtsrahmen geschaffen wird, dann ist das gut:
für die Medienlandschaft, für die Medienkultur und für
den Medienstandort, und zwar in Europa und in
Deutschland gleichermaßen.
Danke schön.
Herr Kollege Krummacher, ich gratuliere Ihnen im
Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist nicht wahr, Kollege Otto. Ich wurde heute so-
gar schon gefragt, warum ich so still bin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Abend wur-
den schon einige wichtige Punkte der vorliegenden An-
träge angesprochen. Kollege Grindel hat auf die aktuel-
len Entwicklungen im Beihilfeverfahren hingewiesen.
Ich denke, es lohnt sich in der Tat, am Ende dieser De-
batte noch auf einzelne Aspekte einzugehen und die eine
oder andere Aussage aufzugreifen, die in dieser Diskus-
sion gemacht worden ist.
Lieber Kollege Waitz, mit Ihnen möchte ich begin-
nen. Sie haben gesagt, Sie wollen nicht, dass sich öffent-
lich-rechtliche Sender jedes Verbreitungsweges bedie-
nen können. Über diese Position kann man diskutieren.
Aber Sie sollten in Ihrer Argumentation ehrlicher sein.
Denn wenn man genau hinsieht, stellt man fest, dass das,
was Sie eigentlich meinen, etwas anderes ist. Ihre Auf-
fassung in dieser Frage entspricht übrigens nicht der Po-
litik der Liberalen im Europaparlament,
die an dieser Stelle vernünftiger als die Liberalen in die-
sem Hause
und vernünftiger als die eine oder andere Landesregie-
rung sind, wie das Abstimmungsverhalten im Bundesrat
gezeigt hat.
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enn genau diese Entwicklung würde auf eine Austrock-
ung durch Nichtweiterentwicklung hinauslaufen.
Wir waren uns bereits in der Enquete-Kommission,
ie in der Legislaturperiode von 1994 bis 1998 einge-
etzt worden ist, darüber einig, dass es auch in Deutsch-
and die Möglichkeit zur Weiterentwicklung des öffent-
ich-rechtlichen Rundfunks geben muss. Das gehört zur
airness und zur Grundversorgung.
Zum zweiten Punkt, Kollege Waitz. Auch ich kenne
endungen im öffentlich-rechtlichen Bereich, die mir
eine große Freude bereiten. Die Zahl der Minuten, die
an mit Volksmusik gefoltert wird, nimmt auch im öf-
entlich-rechtlichen Bereich in erschreckendem Umfang
u. Aber auch dadurch wird versucht, auf das Bedürfnis
ines Teils der Bevölkerung einzugehen. Es darf nicht
ur „Intellektuellenfernsehen“ geben, sondern es müs-
en auch solche Angebote gemacht werden, von denen
in Teil der Bevölkerung sagt: Dabei kann ich mich ent-
pannen. Ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Form
erechtfertigt wäre, diese Menschen zu bevormunden.
em eine Sendung nicht gefällt, der kann auf ein ande-
es Programm, zum Beispiel auf Arte – übrigens auch
in öffentlich-rechtlicher Sender – umschalten.
Sie haben den Rückgang der Zahl solcher Sendungen
eklagt, die sich mit Themen aus dem Bereich Wissen-
chaft und Bildung beschäftigen. Ja, auch ich beklage,
ass es den einen oder anderen Programmbeitrag, der
rüher gesendet wurde, nicht mehr gibt. Das gilt vor al-
em für den Rundfunk.
ir sollten darüber nachdenken, ob wir in diesem Be-
eich mehr tun können; das ist völlig klar.
Was Sendungen mit wissenschaftlichem Hintergrund
etrifft, erinnere ich mich an eine Sendung von Ranga
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7341
)
)
Jörg Tauss
Yogeshwar, der damals in einer Nische des Dritten Pro-
gramms begonnen hat.
Man hat gesagt: Das hat kaum eine Chance. – Es
wurde ein Renner im WDR, ist in die Primetime geho-
ben worden. Dem Yogeshwar gehört ein Bundesver-
dienstkreuz verliehen: zum einen für seine Verdienste
um Wissenschaft und Forschung und Bildung in diesem
Land und zum anderen für den Beweis dafür, dass die
Leute gar nicht so platte Sendungen sehen wollen, wie es
der eine oder andere öffentlich-rechtliche Intendant gele-
gentlich seinem Publikum unterstellt. Das sind erfolgrei-
che Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich
finde das gut.
Sie haben die Grundversorgung angesprochen. Da-
rüber muss man immer wieder reden, völlig klar. Die
Grundversorgung ist die Voraussetzung dafür, dass wir
überhaupt Gebühren erheben können – so das Bundes-
verfassungsgericht. Deswegen muss man sich sicherlich
Gedanken machen, wie die Grundversorgung in einer
Zeit, in der sich Entwicklungen gesellschaftlicher Art er-
geben, möglicherweise neu zu definieren ist. Ich hätte
überhaupt kein Problem damit, eine solche Debatte zu
führen, auch mit den verschiedenen gesellschaftlichen
Kräften. Nur, eines ist auch klar – das ist Ihr Denkfehler,
Kollege Waitz –: Die Privaten haben deutlich erklärt,
dass sie eine Grundversorgung nicht anbieten wollen
und aus wirtschaftlichen Gründen auch nicht anbieten
können. Ich sage dies nicht als Vorwurf, nur als Feststel-
lung. Die Privaten haben für sich einen anderen Auftrag
definiert, und zu diesem gehört nicht die Sicherstellung
der Grundversorgung. Wenn aber der private, kommerzi-
elle, werbefinanzierte Bereich die Grundversorgung
nicht leisten kann, dann brauchen wir zur Sicherung der
Qualität von Hörfunk und Fernsehen in Deutschland pa-
rallel zu den Privaten einen gebührenfinanzierten Grund-
versorgungsauftrag.
Zur Richtlinie, zur Trennung in lineare und nicht linea-
re Dienste, ist das eine oder andere gesagt worden. Ich
will hier noch einmal unterstreichen, dass ich es für sehr
wichtig halte, dass unabhängig von Verbreitungsweg, un-
abhängig davon, wie das Programm abgerufen wird – sei
es programmorientiert oder individuell –, Mindeststan-
dards im Jugendschutz, im Verbraucherschutz und im
Hinblick auf das Respektieren der Menschenwürde ein-
gehalten werden. Das ist ein wichtiges Signal dieser
Richtlinie; das sollten wir bei aller sonstigen Kritik wür-
digen.
Ein Problem bleibt zweifellos die Schleichwerbung,
bleibt das Productplacement. Kollegin Bettin, ich habe
hier ein paar Ausführungen dazu gemacht. Aber Ihr
„nackter Schauspieler“ ist für mich nicht mehr zu top-
pen.
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ch finde, schon eine Unterbrechung alle 45 Minuten ist
umutung genug. Aber alle 30 Minuten, das ist proble-
atisch.
Das Kurzberichterstattungsrecht ist gewährleistet.
ch habe mich an dieser Stelle übrigens sehr gewundert
ber die eine oder andere Einlassung von großen Sport-
erbänden in Deutschland, die sich dagegen gewandt ha-
en, die erklärt haben: Das wollen wir nicht. – Ich
laube, der Fußball tut sich keinen Gefallen damit. Der
ußball lebt davon, dass freie Information über Fußball-
piele möglich ist. Ich bin froh, dass die Richtlinie ent-
egen dem, was der DFB will, an dieser Stelle ebenfalls
lare Signale aussendet.
Zu den PC-Gebühren.
ie gesagt, die Forderung nach der Abschaffung der
ebühren, die demnächst auf PCs erhoben werden, ist
chon ein bisschen populistisch. Liebe Kollegin Bettin,
ch habe heute Abend gelesen, der Kollege Berninger
eht zu Mars. So weit dazu.
ußerdem stimmt nicht, was in eurem Antrag steht: dass
ie Selbstständigen und die Hochschulen belastet wer-
en. Denn Hochschulen, die schon bisher Gebühren zah-
en, sind überhaupt nicht betroffen. Betroffen ist die eine
der andere Hochschule, wo in der Vergangenheit
chwarzgesehen worden ist. Nur, die zu unterstützen,
iebe Kolleginnen und Kollegen, kann unser Anliegen
uch nicht sein; das wäre unfair gegenüber denen, die
ebühren gezahlt haben. Insofern gibt es kein riesengro-
es Problem.
s heißt, die Wirtschaft, die Selbstständigen würden be-
onders belastet. Dazu sage ich: Nein. Der Kollege
rindel hat darauf hingewiesen, aber man muss es noch
inmal deutlich sagen: Es ist nicht die Wirtschaft, die
ier mehr bezahlen muss. Sie zahlt, weil PCs anders
ehandelt werden als Fernsehgeräte, die in Firmen
übrigens auch in Büros des Deutschen Bundestages –
7342 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Jörg Tauss
aufgestellt worden sind, im Grunde genommen weni-
ger als zuvor.
Der Präsident weist mich auf das Ende meiner Rede-
zeit hin. Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir
haben, bei aller Kritik, das beste Rundfunk- und Fern-
sehprogramm der Welt, und zwar weil es gebührenfinan-
ziert ist. Kollege Waitz, Kollege Otto, ich würde Sie
gerne gelegentlich zu 24 Stunden amerikanischem Fern-
sehen verurteilen. Ich glaube, dann kommen Sie zu einer
anderen Position als der, die Sie heute Abend vorgetra-
gen haben.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/3791.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/3297 mit dem
Titel „Die Schaffung eines kohärenten europäischen
Rechtsrahmens für audiovisuelle Dienste zu einem
Schwerpunkt deutscher Medien- und Kommunikations-
politik in Europa machen“ in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Frak-
tion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen an-
genommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/2675 mit dem Titel „Für einen zukunftsfähigen euro-
päischen Rechtsrahmen audiovisueller Mediendienste –
den Beratungsprozess der EU-Fernsehrichtlinie aktiv
begleiten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den
Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache
16/2977 mit dem Titel „Für eine verbraucherfreundliche
und Qualität sichernde EU-Richtlinie für audiovisuelle
Mediendienste“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und
Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/3792.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
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Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/3344 an den Ausschuss für Wirtschaft
nd Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
tanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und
zur Anpassung des Rechts der Insolvenzan-
fechtung
– Drucksache 16/886 –
Anlage 4
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7343
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses
– Drucksache 16/3844 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Dirk Manzewski
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Es liegt je ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
sowie der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor.
Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen wer-
den. Es handelt sich um die Beiträge der Kolleginnen
und Kollegen Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion,
Dirk Manzewski, SPD-Fraktion, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, FDP-Fraktion, Wolfgang Nešković,
Fraktion Die Linke, und Irmingard Schewe-Gerigk,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, sowie des Par-
lamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Pfän-
dungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des
Rechts der Insolvenzanfechtung, Drucksache 16/886.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/3844, den Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegen zwei
Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/3865? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der
FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3864? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag
ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Zustimmung der FDP-Fraktion, der Fraktion Die
Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung aller anderen
Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Bera-
tung mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 sowie Zusatzpunkt 7
auf:
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E1) Anlage 5
as die Bundesregierung der EU-Kommission als Preis
ür diesen Erfolg im Gegenzug zugesagt hat, weiß nie-
and so richtig. Fakt ist, dass die EU-Kommission in ih-
er Presseerklärung zum Kompromiss schreiben kann:
40 Kreditwesengesetz wird stets so angewendet, dass
U-Recht nicht verletzt wird.
Das macht mich stutzig. Wir alle wissen doch: Für die
U-Kommission heißt dieser Satz genau, dass auch pri-
aten Banken erlaubt werden muss, sich Sparkasse zu
ennen. Stutzig werde ich auch, wenn ich in der „Finan-
ial Times Deutschland“ die Überschrift „Sparkassen –
ieg für Brüssel“ oder im „Handelsblatt“ lese, dass die
U-Kommission in der Auseinandersetzung im Grund-
atz gewonnen hat. Mit Verlaub: Erfolgsmeldungen se-
en anders aus.
Die entscheidende Frage ist: Hat die Bundesregierung
er EU zugesagt, § 40 KWG so anzuwenden, dass die
U sagen kann, EU-Recht wird nicht verletzt? Hat die
7344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Dr. Axel Troost
Bundesregierung also zugesagt, § 40 KWG so anzuwen-
den, dass sich auch eine private Bank Sparkasse nennen
darf? Das ist die entscheidende Frage. Da müssen wir als
Parlamentarier sagen: Wir wissen es nicht. Wir kennen
nur die knappe gemeinsame Erklärung von Finanzminis-
terium und EU-Kommission. Die entscheidenden Proto-
kollnotizen und Interpretationshilfen haben wir schlicht
und einfach nicht.
Während der gesamten Verhandlungen fuhr die Bun-
desregierung einen undurchsichtigen Zickzackkurs. Am
Ende erfahren wir als Bundestag nicht einmal, was im
Detail vereinbart wurde. Das können wir uns doch nicht
gefallen lassen. Das ist eine Missachtung des Parla-
ments, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Bei allem, was wir nicht wissen und was die Öffent-
lichkeit auch nicht weiß, ist aber eines sicher: Eine dau-
erhafte und eindeutige Sicherung des Bezeichnungs-
schutzes ist das nicht. Ganz offensichtlich lässt die
Vereinbarung wichtige Fragen offen. Ganz offensichtlich
bedarf die Vereinbarung weiterer juristischer Interpreta-
tionen.
Weil das so ist, kann die Vereinbarung ein Einfallstor
für eine faktische Aufgabe des Sparkassen-Bezeich-
nungsschutzes sein. Es ist doch unehrlich, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, davor die
Augen zu verschließen und in Ihrem Antrag heile Welt
zu spielen. Denn wir haben draußen auf den Finanz-
märkten keine heile Welt. Draußen häufen sich die
Angriffe auf öffentlich-rechtliche Sparkassen. Die kom-
merziellen Großbanken haben sich doch gerade zum
Ziel gesetzt, den Sparkassensektor zu knacken.
Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und
viele andere stört es natürlich, wenn Sparkassen im
Markt sind, die nicht Renditeforderungen von 25 Pro-
zent anstreben und damit die Gewinnmargen kleiner hal-
ten. Genau diesen kommerziellen Großbanken haben
Sie, hat die Bundesregierung mit dem weichen Kompro-
miss mit offenen Formulierungen potenziell ein riesiges
Geschenk gemacht. Die kommerziellen Großbanken
sind mit ihrer Interpretation des Kompromisses doch
schon vorgeprescht. Die ist eindeutig. So wird gesagt:
Berlin ist kein Sonderfall. Dass sich auch Private künftig
Sparkasse nennen dürfen, gelte – ich zitiere den Haupt-
geschäftsführer des Bankenverbandes – „auch in jedem
anderen Fall, wenn eine Kommune ihre Sparkasse priva-
tisieren will“.
Vor alledem dürfen wir doch nicht die Augen ver-
schließen. Wir müssen Sparkassen durch klare Rahmen-
bedingungen vor dem Zugriff kommerzieller Großban-
ken schützen und nicht Steilvorlagen für weitere
Angriffe liefern.
Deswegen sage ich auch: Mit diesem Kompromiss
hat die Bundesregierung den Parlamentswillen nicht eins
zu eins umgesetzt, wie wir ihn gemeinsam im September
formuliert haben. Das heißt ganz klar: Wir müssen uns
gemeinsam dafür einsetzen, hier keine faulen Kompro-
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Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
olleginnen und Kollegen! Die letzten Tage eines Jahres
ind die Zeit der Rückblicke und Resümees. Ein Thema
eim Rückblick auf die Finanzmarkt- und Bankenthe-
en dieses Jahres ist sicherlich die Auseinandersetzung
wischen der Bundesregierung und der Europäischen
ommission über den Bezeichnungsschutz der Sparkas-
en.
Seit einigen Tagen kennen wir das Resümee dieser
hematik: Der Sparkassen-Namensstreit mit Brüssel,
lso der Streit über den Bezeichnungsschutz, kann mit
echt als ein Kapitel des Jahres 2006 bezeichnet wer-
en, das sehr turbulent verlief, aber trotzdem letztendlich
ositiv ausging. Diesen positiven Ausgang verdanken
ir der Bundesregierung. In der letzten Woche hat sie
ach einem wochenlangen Verhandlungsmarathon eine
rfreuliche Einigung mit der EU-Kommission über den
ezeichnungsschutz der Sparkassen erzielt.
Entgegen Ihrer Auffassung, Kollege Troost und
eine Damen und Herren der Fraktion Die Linke, sind
ir in der Union davon überzeugt, dass die Bundesregie-
ung damit sehr wohl den Bundestagsbeschluss vom
eptember dieses Jahres umgesetzt hat.
ie hat in ihren Verhandlungen den Parlamentswillen
icht nur respektiert, sondern sie ist ihm sogar ausdrück-
ich gefolgt.
Gerne erläutere ich Ihnen unsere Überzeugung kurz
nhand von drei Kernforderungen, die wir vor drei Mo-
aten gemeinsam – Sie hatten sich daran beteiligt – im
lenum formuliert haben.
rstens sollte – so steht es im Antrag – der Bezeich-
ungsschutz der Sparkassen im Sinne des § 40 des Kre-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7345
)
)
Leo Dautzenberg
ditwesengesetzes grundsätzlich erhalten bleiben. Zwei-
tens sollte in diesem Zusammenhang der Verkauf der
Bankgesellschaft Berlin als Sonderfall behandelt wer-
den. Das ist die so genannte Insellösung. Drittens sollte
das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
eingestellt werden.
Alle drei Forderungen sind aufgrund der Verhandlun-
gen erfolgreich umgesetzt worden.
– Lieber Kollege Troost, wenn Sie nicht im Senat mitbe-
teiligt gewesen wären, als wir uns den Berliner Fall ein-
gehandelt haben, dann wäre es gar nicht zum Vertrags-
verletzungsverfahren gekommen.
– Nein, Sie waren mit anderen in Berlin zusammen, die
ich als Koalitionspartner natürlich nicht ausdrücklich er-
wähnen möchte.
Allen drei Forderungen entspricht die Einigung mit
der EU-Kommission eindeutig. Ich sage daher sehr deut-
lich, dass die Vereinbarung ein Erfolg ist. Sie ist ein Er-
folg für die deutschen Verhandlungsführer und – das ist
noch viel wichtiger – für den Sparkassensektor.
Ich kann daher nicht verstehen, warum diese Ver-
handlungen nicht anerkannt werden und sich schon wie-
der Nörgler und Kritiker aus der Deckung wagen.
Sie haben festgestellt, die Verhandlungslösung sei nicht
wasserdicht, und fragen, was passiert, wenn sich der
Berliner Fall an anderer Stelle wiederholt. Dürfen dann
wieder private Investoren den Namen Sparkasse fortfüh-
ren? Wäre das nicht der Dammbruch für den öffentlich-
rechtlichen Sparkassensektor?
Diese Argumentation enthält mir zu viel Wenn und
Aber.
Zu der Frage, was dann passiert, Herr Kollege Troost:
Ehe private Investoren übernehmen können, muss zu-
nächst einmal jemand bereit sein, zu verkaufen. So ist
das in unserem Rechtsstaat, der noch dem Eigentum ver-
pflichtet ist. Das steht am Anfang der Gesamtsituation.
In den meisten Fällen gelten politische Entscheidun-
gen nur unter bestimmten Rahmenbedingungen. Ändern
sich diese, dann muss auch die Politik reagieren. Sollte
sich – dies sei nur am Rande bemerkt – der Berliner Fall
an anderer Stelle wiederholen, dann stehen wir in der
Politik und auch der Bankensektor – insbesondere diese
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amit haben wir der Bundesregierung für die Brüsseler
erhandlungen letztlich den Rücken gestärkt. Mit Unter-
tützung durch eine große Parlamentsmehrheit konnten
ich die deutschen Verhandlungsführer hartnäckig für
en Erhalt des § 40 KWG in seiner heutigen Fassung
insetzen, und zwar mit Erfolg, wie wir seit der letzten
oche wissen.
Der Fraktion Die Linke reicht diese Lösung aber noch
mmer nicht aus. Sie fordert eine Nachverhandlung mit
em Ziel der dauerhaften Sicherstellung des Bezeich-
ungsschutzes. Das heißt, sie will eine Garantie für die
wigkeit. Aus der Historie betrachtet man die Ewigkeit
eistens von unten. Das ist im Grunde kein progressiver
nsatz für die Zukunft.
7346 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Leo Dautzenberg
Wir müssen vielmehr die Entwicklungen in der Kredit-
wirtschaft, der Landesgesetzgebung und der Europäi-
schen Union weiterhin beachten. Wie absurd diese For-
derung grundsätzlich ist und wie wenig sie mit
Realpolitik zu tun hat, brauche ich hier wohl nicht näher
zu erläutern.
Meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke,
wie bei so vielen Themen erliegen Sie auch beim Thema
Sparkassen wieder einmal dem Irrglauben, dass wir auf
einer Insel der Glückseligen leben. Das tun wir aber
nicht. Wir sind in die Europäische Union eingebunden,
ob wir das wollen oder nicht.
– Richtig, wir wollen das. – Die EU wird weiterhin – das
muss uns bewusst sein – ein Auge auf die Drei-Säulen-
Struktur der deutschen Kreditwirtschaft werfen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir von der
Union wollen den Bezeichnungsschutz für öffentlich-
rechtliche Sparkassen nicht nur kurzfristig retten. Wir
sind vielmehr von ihrer Bedeutung gerade mit Blick auf
die Gemeinwohlorientierung sehr wohl überzeugt und
haben ein langfristiges Interesse daran.
Aber wir sind als Realpolitiker vernünftig genug, um zu
wissen, dass die jetzt erreichte Vereinbarung mit der Eu-
ropäischen Union das bestmögliche Ergebnis ist, das zu
erreichen war.
Deshalb lautet meine abschließende Bitte: Lassen Sie
uns gemeinsam das Ergebnis der Verhandlungen der
Bundesregierung mit der Europäischen Union über den
Bezeichnungsschutz der Sparkassen würdigen!
Lassen Sie uns auch in Zukunft die Entwicklung der
deutschen Kreditwirtschaft aufmerksam verfolgen und
politisch-konstruktiv begleiten! Richtschnur unseres
Handelns sollte dabei immer die qualitativ gute und flä-
chendeckende Versorgung der Unternehmen und der Be-
völkerung mit Bankdienstleistungen sein.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von
der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn ein Wort
an den Antragsteller richten. Herr Kollege Troost, Sie
müssen sich schon entscheiden, was Sie von der Links-
fraktion wollen. Ihre Partei ist in Berlin – eigentlich sind
es hier noch zwei Parteien – in der Landesregierung.
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ie brüllen in der Opposition, verkriechen sich aber in
er Berliner Landesregierung in den Regierungsdienst-
agen. Das ist zutiefst verantwortungslos.
Wir als FDP können mit der Einigung im Sparkas-
enstreit sehr gut leben. Anders als jedoch von der Bun-
esregierung kurz nach der Einigung öffentlich verkün-
et, hat sich die Bundesregierung in Brüssel nicht
urchgesetzt, weder im Fall des Beihilfestreites um die
erliner Sparkasse noch in der Auslegung des
40 KWG. Insofern hat die Regierung tagelang die Öf-
entlichkeit über den wahren Inhalt der Einigung ge-
äuscht:
Erstens. Das Land Berlin darf seine Landesbank Ber-
in Holding AG und damit seine Sparkasse auch an einen
rivaten Investor verkaufen und dieser darf den Namen
Sparkasse“ im Rahmen des Berliner Sparkassengeset-
es weiter uneingeschränkt nutzen.
Das ist ja Teil des Sparkassengesetzes in Berlin. – Die
aFin musste sogar ihre bisherige Untersagung auf Wei-
ung des Finanzministeriums zurücknehmen.
Zweitens. § 40 KWG wird in der Europäischen Union
n einer Weise angewandt, die nicht gegen die Niederlas-
ungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr verstößt.
em Schutz der Bezeichnung „Sparkasse“ gemäß
40 KWG geht das höherrangige, direkt anwendbare
emeinschaftsrecht vor und dies nicht nur im Beihilfe-
treit um die Berliner Sparkasse. Damit hat die Bundes-
egierung es nicht geschafft, die Auseinandersetzung auf
as Beihilfeverfahren zu reduzieren und Berlin als Son-
erfall zu behandeln. Das war aber das eigentliche Ziel,
uch das Ziel des Entschließungsantrages der Koalition
nde September.
Im Gegenteil: Nur weil die Bundesregierung akzep-
ierte, dass das höherrangige Gemeinschaftsrecht bei der
nwendung des § 40 KWG generell gilt, konnte die EU-
ommission der Einstellung des Vertragsverletzungs-
erfahrens zustimmen.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7347
)
)
Frank Schäffler
§ 40 KWG ist nur noch eine formale Hülle, die in der
Praxis nicht mehr angewandt wird. Der Antrag von der
Union und der SPD mogelt sich um den Inhalt der Eini-
gung herum. Sie schreiben im Antrag: „Es besteht kein
Erfordernis zur Änderung des § 40 KWG“ und suggerie-
ren damit, dass sich nichts verändert hat. Tatsache ist
aber, die Bundesregierung hat klein beigegeben. Sie ist
als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Es
bedarf keiner Änderung des § 40 KWG, weil er künftig
keine Rolle mehr spielen wird.
Herr Schäffler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Ja.
Bitte schön, Herr Hinsken.
Herr Kollege Schäffler, sind Sie bereit, dem Herrn
Kollegen Troost von der Linken zu sagen, dass die Ver-
antwortlichen der Sparkassen in der Bundesrepublik
Deutschland mit dem gefundenen Kompromiss zufrie-
den sind, weil sichergestellt ist, dass dort, wo Sparkasse
draufsteht, auch Sparkasse drin ist?
Es mag sein, dass die Verbände das so interpretieren.
Die können das so interpretieren, wie sie wollen. Sie
werden die Einigung im Sparkassenstreit aber nicht ver-
ändern können. Die ist zwischen Bundesregierung und
Europäischer Kommission so verabredet, wie ich es ge-
rade dargestellt habe. Das ist ja auch im Internet öffent-
lich einzusehen.
Natürlich können verschiedene Verbände unterschiedli-
cher Meinung sein, aber tatsächlich zählt, was in dieser
Einigung steht.
Damit sind die Länder in Deutschland künftig frei,
ihre Sparkassengesetze nach ihren Vorstellungen zu än-
dern, ohne dass der Bund über § 40 KWG dies verhin-
dern kann. Aber auch die Kommunen können sich künf-
tig auf europäisches Recht beziehen, ohne dass die
Länder ihnen die Veräußerung ihrer Sparkasse untersa-
gen können. Von Bedeutung ist, dass in der Einigung
nichts mehr von einer vollständigen gemeinnützigen
Gewinnverwendung steht. Die Länder können den
Sparkassen lediglich bestimmte gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen auferlegen. Eine Veräußerung durch
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Das Verhältnis zur EU ist nicht nur im Fall der Spar-
assen, sondern auch auf anderen Gebieten, wie wir in
iesen Tagen merken konnten, außerordentlich schwie-
ig. Die EU-Kommissare und die zuständigen Generaldi-
ektionen wandeln häufig stark am Rande des eigentlich
eltenden Europarechts und versuchen, es durch prakti-
ches Handeln, durch Faktensetzen in eine andere Rich-
ung zu verschieben.
agegen muss man sich wehren, weil das Prinzip der
echtsstaatlichkeit für die EU-Kommission genauso wie
ür unsere Bundesregierung und unser gesamtes politi-
ches Handeln gilt.
7348 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Reinhard Schultz
Darum ging es ausdrücklich bei der Findung eines
Sparkassenkompromisses. Es ist Einigung darüber er-
zielt worden, dass der historische Verstrickungen auf-
weisende Fall der Berliner Sparkasse isoliert behandelt
wird. Das war anders nicht möglich, weil eine beihilfe-
rechtliche Entscheidung der EU vorlag. Es sind öffentli-
che Subventionen geflossen, die an die Bedingung ge-
knüpft gewesen sind, dass das Institut danach
diskriminierungsfrei verkauft werden kann.
Damit ist die Geschichte natürlich noch nicht zu
Ende. Ich bin einmal gespannt, wer die Berliner Spar-
kasse kauft. Ich kann sagen, wem ich die Daumen drü-
cke. Die öffentlich-rechtliche Sparkassenfamilie ist ge-
meinsam auf dem besten Wege, das Geld in die Hand zu
nehmen, um das Problem elegant zu lösen,
sodass sich der Kreis wieder schließt. Ich fände gut,
wenn das dabei herauskäme. Das sage ich ganz offen.
Natürlich brauchen wir einen diskriminierungsfreien
Verkaufsvorgang, aber auch die öffentlich-rechtlichen
Institute haben das Recht und die Chance, dort mitzubie-
ten. Vielleicht geht das auch gut.
– Wenn sie sich einig sind. Man kann nur an sie appellie-
ren, dass sie sich einigen.
Der zweite Punkt betrifft § 40 KWG. Die EU hat ver-
sucht, der Bundesregierung Kriterien hinsichtlich des
Gemeinwohls und hinsichtlich der Frage, wann eine pri-
vatisierte Sparkasse eigentlich noch Sparkasse heißen
darf, aufs Auge zu drücken. Darüber hat man sich aus-
drücklich nicht geeinigt. Die Tatsache, dass man sich
nicht geeinigt hat und trotzdem das Vertragsverletzungs-
verfahren eingestellt wird, bedeutet, dass § 40 KWG in
Deutschland uneingeschränkt weiter gilt.
– Nur nicht in Berlin; das ist nun einmal so. – Der Bun-
desfinanzminister hat dem Sparkassen- und Giroverband
ausdrücklich mitgeteilt, dass die Bundesregierung auch
künftig für den Fall, dass jemand versuchen sollte, eine
Sparkasse zu privatisieren und den Namen mitzugeben,
über die BaFin eingreifen und die Weiterführung des Na-
mens Sparkasse untersagen wird. Das ist eine definitive
Zusage.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, unter welchen Be-
dingungen sich ein Fall wie der der Berliner Sparkasse
wiederholen könnte. Natürlich ist in der fernen Zukunft
alles möglich, aber nach den Ereignissen um die Berliner
Sparkasse haben die Sparkassen einen solch starken
Sicherungsverbund geschlossen, dass sie Insolvenzen
oder Schieflagen problemlos innerhalb der Sparkassen-
familie auffangen können und auch auffangen werden.
Nicht zuletzt – auch darauf möchte ich verweisen – ist
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ind die beiden Grundlagen, die feststehen. Sie geben
enau das wieder, was wir in unserer Entschließung am
9. September dieses Jahres gesagt haben: Berlin isolie-
en und dafür den gesamten Rest retten.
Insofern kann ich nur sagen: Die Bundesregierung hat
eines Erachtens punktgenau – im Rahmen der Mög-
ichkeiten – unseren Entschließungsantrag umgesetzt.
afür möchte ich mich beim Bundesfinanzminister und
ei der Verhandlungsgruppe ausdrücklich noch einmal
edanken. Ich bin davon überzeugt, dass auch die EU-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7349
)
)
Reinhard Schultz
Kommission sich davon hat beeindrucken lassen, dass
sich der deutsche Gesetzgeber nicht durch eine EU-Be-
hörde in seine Gesetzgebungskompetenz hineinpfu-
schen lässt. Denn das war das Begehr: dass ein deutsches
Parlament, der Vertreter des deutschen Volkes, durch
eine Behördenentscheidung gezwungen wird, ein Gesetz
zu verändern. Das hatte die EU-Kommission vor; es ist
aber abgewehrt worden und wird auch nicht geschehen.
Ich denke, es war gut, dass es in diesem Zusammenhang
einen engen Schulterschluss zwischen Parlament und
Bundesregierung gegeben hat.
Herr Kollege Schultz, erlauben Sie noch eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Schäffler?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Schäffler.
Herr Schultz, wenn es so ist, wie Sie das gerade be-
schrieben haben, wieso ist der Berliner Fall dann nicht
auf den Beihilfestreit reduziert worden, wieso hat man
dann in diesem Zusammenhang das Vertragsverletzungs-
verfahren mit abgeräumt?
Das war doch gerade die Kunst, lieber Herr Schäffler.
Die EU-Kommission hat einen Zweifrontenkrieg gegen
das deutsche Sparkassenrecht geführt und versucht, das
Beihilfeverfahren in Berlin als Hebel zu benutzen, um
die gesamte Veranstaltung auszubremsen. Gleichzeitig
hat sie ein lange ruhendes Vertragsverletzungsverfah-
ren wieder aufleben lassen. Dass dieses Vertragsverlet-
zungsverfahren jetzt eingestellt worden ist und gleich-
zeitig das Problem Berlin gelöst werden konnte, war
sozusagen der Hattrick, der uns alle gerettet hat. Es gab
von Anfang an einen politischen Zusammenhang und
das Problem ist auch im Zusammenhang gelöst worden.
Gab es noch eine Frage? – Nein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten in enger
Zusammenarbeit mit den Sparkassen die Interpretations-
hoheit über diesen Kompromiss behalten. Ich bedanke
mich für die gute interfraktionelle Zusammenarbeit im
Vorfeld und bis zum heutigen Tage. Trotzdem wird das
Holzauge selbstverständlich für den Fall wachsam blei-
ben, dass die EU-Kommission in der nächsten Zeit auf
dumme Gedanken kommen sollte.
Vielen Dank.
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Wir wollen der Koalition an dieser Stelle ein Lob aus-
prechen; denn wir finden das vorliegende Ergebnis
ichtig. Wir haben tatsächlich den Eindruck, dass es sich
m eine Umsetzung derjenigen Punkte handelt, die wir
m 29. September in größerer Runde verabredet haben.
Wie gesagt, § 40 des Kreditwesengesetzes bleibt er-
alten. Der Erhalt der öffentlich-rechtlichen Sparkassen
st vorerst gesichert. Außerdem gibt es kein Vertragsver-
etzungsverfahren. Wir wären damals Ihrem Antrag bei-
etreten; die Vorgeschichte kennen Sie. Aber diesmal
onnten wir Ihrem Antrag nicht beitreten. Der Grund ist,
ass wir Sorgen haben, was die Argumentation der EU-
ommission im bisherigen Verfahren betrifft. Denn es
st schon so, dass die EU-Kommission weiterhin be-
auptet, dass der Grundversorgungsauftrag einer
parkasse unabhängig von ihrer Rechtsform erbracht
erden kann. Die EU-Kommission ignoriert auch wei-
erhin diesen unvermeidlichen Zielkonflikt zwischen der
emeinwohlverpflichtung der öffentlich-rechtlichen
parkassen und den Gewinninteressen privater Unter-
ehmen. Sie stellt außerdem das Regionalprinzip in-
rage.
Brüssel insistiert auch weiterhin darauf, dass für zu-
ünftige Fälle ein möglicher Verkauf einer Sparkasse in
bereinstimmung mit dem EU-Recht erfolgen muss.
araus schließen wir, dass Brüssel seine Vorbehalte ge-
en § 40 des Kreditwesengesetzes nur zurückgestellt,
ber noch nicht aufgegeben hat.
iesen Punkt sehen wir kritisch. Auch Sie sollten das
un.
Herr Dautzenberg, ich würde mir wünschen, dass Ih-
en klar ist, was hier passiert ist. Es ist vielleicht mit ei-
em spielentscheidenden Tor zu vergleichen. Aber es ist
och lange nicht so, dass das Spiel insgesamt gewonnen
st.
Was bedeutet das für den Fall, dass ein Bundesland
ein Sparkassengesetz ändern und seine Sparkasse ver-
aufen will? Was bedeutet es, wenn Volksbanken und
parkassen regional fusionieren wollen oder wenn es gar
7350 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Kerstin Andreae
Fusionen von regionalen Sparkassen zu Großsparkassen
gibt?
Es könnte durchaus sein, dass die Kommission solche
Fälle als willkommenen Anlass sieht, den Rechtsstreit
über § 40 des Kreditwesengesetzes wieder aufzuneh-
men.
Wir wollen das Verhandlungsergebnis nicht kleinre-
den. Ich meine tatsächlich – mir ist es damit wirklich
ernst –, dass es angesichts der Tatsache, was in den Ver-
handlungen möglich war, ein gutes Ergebnis ist. Deswe-
gen stimmen wir diesem Antrag und nicht dem Antrag
der Linken zu.
Wir wünschen uns, dass wir nicht nur heute Abend,
sondern auch in Zukunft von der Union, die bei diesem
Thema unterschiedliche Interessen verfolgt, hören:
Die Zukunft der Sparkassen ist noch nicht entschieden.
Wir erwarten schon, dass sich die Bundesregierung
weiterhin mit Umsicht und erhöhter Aufmerksamkeit für
eine dauerhafte Lösung im Sinne des Erhalts der Spar-
kassen und vor allem ihres Gemeinwohlauftrages ein-
setzt. Wir können sie dabei im Rahmen unserer Möglich-
keiten unterstützen.
Dieser Teilschritt war gut und richtig. Aber es ist weiter-
hin dringend notwendig, bei diesem Thema umsichtig
und aufmerksam zu sein.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3797 mit dem Ti-
tel „Für einen starken öffentlich-rechtlichen Sparkassen-
sektor – Keine Kompromisse beim Sparkassen-Bezeich-
nungsschutz – Parlamentswillen respektieren“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller Fraktio-
nen bei Zustimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Zusatzpunkt 7. Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Drucksache 16/3805 mit dem Titel „Bezeichnungsschutz
für Sparkassen gesichert“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des
Bündnisses 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Frak-
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s handelt sich um den ehrenwerten Kollegen Ingbert
iebing von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
eute zum zweiten Mal in diesem Jahr über das Thema
KZM, über das Integrierte Küstenzonenmanagement.
as ist wahrlich ein Wortungetüm, das erschrecken mag.
ber das Thema ist wichtig. Es ist wichtig, dieses
hema aus der Ecke der Fachexperten herauszuholen
nd es viel mehr als bisher ins öffentliche Bewusstsein
u rücken.
as Thema ist wichtig, weil es um die Entwicklung un-
erer Küstenregionen geht. In kaum einer anderen Re-
ion prallen unterschiedlichste Nutzungsansprüche so
ehr aufeinander wie an unseren Küsten – und das in ei-
em ökologisch besonders wertvollen Gebiet.
Deshalb ist es so wichtig, dass gerade hier Strategien
ntwickelt werden, um die Küstenregionen als ökolo-
isch intakten und wirtschaftlich erfolgreichen Lebens-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7351
)
)
Ingbert Liebing
raum für die hier lebenden Menschen dauerhaft zu erhal-
ten und nachhaltig zu entwickeln. Das ist die Aufgabe
des IKZM.
Es geht um Interessenausgleich und um Konfliktver-
meidung. Da geht es um ökologische und ökonomische
Belange, um Küstenschutz, um Naturschutz, um Touris-
mus, um Schifffahrt, um Energiegewinnung, um Hafen-
wirtschaft, Landwirtschaft oder Fischerei. Es geht um
vernünftige Verkehrsanbindungen für die im Regelfall
nicht gerade zentral gelegenen Küstenregionen.
Immer wieder geht es dabei darum, diesen Interessen-
ausgleich zu organisieren.
Das kann man nicht mit viel Theorie machen. Ent-
scheidend ist die Praxis in den Küstenregionen.
Integriertes Küstenzonenmanagement muss mit Leben
gefüllt werden. Dafür ist es allemal sinnvoll, vorhandene
Strukturen zu nutzen.
Wir fangen ja nicht erst bei null an.
Ich selbst habe einmal als Vorsitzender der Euregio „Die
Watten“, eines Zusammenschlusses aller Gemeinden
und Städte auf den Inseln und Halligen im Wattenmeer
von Holland bis Dänemark, im Wattenmeerforum mit-
arbeiten dürfen.
Hier treffen sich bereits seit vielen Jahren Entschei-
dungsträger verschiedener staatlicher und regionaler
Ebenen mit nicht staatlichen Interessenorganisationen
von Holland bis Dänemark und arbeiten gemeinsam an
einer nachhaltigen Entwicklung der Wattenmeerregion.
Sie haben eine gemeinsame Strategie für eine nachhal-
tige Entwicklung der Region erarbeitet. Das ist ein Bei-
spiel für praktiziertes integriertes Küstenzonenmanage-
ment. Solche Potenziale müssen auch in Zukunft genutzt
werden.
Die Bundesregierung hat im März der EU die natio-
nale IKZM-Strategie vorgelegt. Gern möchte ich bei
dieser Gelegenheit den beteiligten Ministerien und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Dank der CDU/
CSU-Fraktion für die geleistete Arbeit aussprechen.
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ir haben einen schönen Bericht und eine ambitionierte
trategie vorliegen.
Aber es muss jetzt auch weitergehen.
ir begrüßen die Absicht der Bundesregierung, eine na-
ionale Koordinierungsstelle für Integriertes Küstenzo-
enmanagement einzurichten.
abei ist es wichtig, dass sie auch mit Praktikern besetzt
ird.
Zentraler Punkt des IKZM ist eine frühzeitige Kon-
likterkennung und -lösung. Dafür ist ein umfassendes
erständnis für die wechselseitigen Verflechtungen ma-
itimer Wirtschaft, mariner Ökologie sowie der Wechsel-
irkungen in den Küstenregionen wichtig. Geht man
ies nur mit einem fachspezifischen Tunnelblick an, lan-
et man zwangsläufig in der Sackgasse.
Genau, das ist viel zu eng, Herr Kollege Thiele.
Damit das nicht passiert, brauchen die Regionen um-
ichtige „Kümmerer“, die den Überblick bewahren und
ich auf höherer Ebene koordinieren. Dafür brauchen
ir auch die Unterstützung der staatlichen Ebene; denn
iele Rahmenbedingungen werden eben nicht in der Re-
ion selber, sondern von anderen außerhalb bestimmt.
Beim integrativen Ansatz von IKZM spielt auch der
irtschaftsraum Küste eine zentrale Rolle.
KZM darf eben nicht, wie manchmal falsch verstanden
der befürchtet, als rein ökologisches Planungsinstru-
ent betrachtet werden. Es geht um eine ausgewogene
egionalentwicklung – Küstenregionen sind auch Re-
ionen, in denen Menschen leben und arbeiten – und es
eht um eine ökonomisch erfolgreiche und nachhaltige
ntwicklung,
ie einen Beitrag zur Lissabonstrategie der EU leistet.
Integrativer Ansatz von IKZM bedeutet, dass wir be-
achbarte Politikbereiche einbeziehen. Das gilt insbe-
ondere für die Verzahnung zwischen Küstenthemen und
eerespolitik. Maritime Themen erfahren zurzeit eine
öllig neue Aufmerksamkeit. Wir diskutieren über das
U-Grünbuch zur integrativen Meerespolitik, wir disku-
ieren über die EU-Meeresschutzstrategie, die in weni-
en Tagen beim EU-Ministerrat zur politischen Einigung
nsteht. Es geht auch um die Zielsetzung, ein weltweites
etz von Meeresschutzgebieten auszuweisen. Ich nenne
7352 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
)
)
Ingbert Liebing
auch die boomende maritime Wirtschaft. Die Meeresfor-
schung beschäftigt sich mit der Gewinnung von Energie-
ressourcen aus dem Meer und neue marine Wirkstoffe
unterstützen den medizinischen Fortschritt. Es geht um
die Sicherung von Nahrungsquellen aus dem Meer, ge-
rade für die Entwicklungs- und Schwellenländer. Es geht
auch um die Wechselwirkungen zwischen den Meeren
und dem Weltklima. Die Meere nehmen mehr als die
Hälfte des weltweiten CO2-Ausstoßes auf und tragen da-
mit eine wesentliche Last der globalen Klimaverände-
rung.
Alle diese Themen finden direkt vor unseren Küsten
statt und beeinflussen unsere Küstenregionen. Der Kli-
mawandel ist längst angekommen. Das Ausmaß von
Katastrophen und Extremsituationen, die in den letzten
Jahren weltweit über Küstenregionen und deren Bevöl-
kerung hereingebrochen sind, häufen sich auffällig. Wir
haben bis jetzt Glück gehabt, dass die deutschen Küsten
hiervon weitgehend weniger betroffen waren. Aber ge-
rade in den Küstenregionen geht es jetzt auch um Anpas-
sungsstrategien und nicht um die Vermeidung des Un-
vermeidlichen.
All diese Themen waren auch Gegenstand der
5. Nationalen Maritimen Konferenz in der vergange-
nen Woche in Hamburg, einer, wie ich finde, ausgespro-
chen erfolgreichen Veranstaltung, nicht zuletzt auch
dank der umsichtigen und kompetenten Leitung durch
die neue maritime Koordinatorin der Bundesregierung,
Staatssekretärin Dagmar Wöhrl.
Wie geht es jetzt weiter? Die Europäische Kommis-
sion hat wieder zu Expertengesprächen eingeladen, die
im März stattfinden sollen. Wir müssen wachsam sein,
dass bei der EU kein neues Bürokratiemonster geschaf-
fen wird. Mir ist wichtig – das sagt auch der Antrag der
Koalitionsfraktionen –, dass sich die Bundesregierung
im Rahmen der zukünftigen Weiterentwicklung von In-
tegriertem Küstenzonenmanagement dafür einsetzt, den
unbürokratischen Charakter dieser Kooperation beizube-
halten. Das ist auch wichtig, um die Menschen an den
Küsten mitzunehmen, die IKZM umsetzen und nutzen
sollen.
Wir gehen davon aus, dass auf dieser Basis eine weitere
EU-Richtlinie zu diesem Thema nicht kommt.
Die Bundesregierung hat mit der Vorlage der nationa-
len IKZM-Strategie einen wichtigen ersten Schritt getan.
Meine Fraktion begrüßt diesen Strategiebericht aus-
drücklich. Jetzt stehen die Umsetzung und der Prozess
einer kontinuierlichen Fortentwicklung an. Dazu wollen
wir mit unserem Antrag der Koalitionsfraktionen einen
Beitrag leisten. Ich bin sicher, er wird bei den Beteiligten
seine Wirkung nicht verfehlen.
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1)
2)
Die Reden der Kollegen Dirk Becker, SPD, Angelika
runkhorst, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, Rainder
teenblock, Bündnis 90/Die Grünen, nehmen wir zu
rotokoll.1)
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
chusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
eit auf Drucksache 16/3143 zu dem Antrag der Frakti-
nen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel
Integriertes Küstenzonenmanagement kontinuierlich
ortentwickeln“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag
uf Drucksache 16/2502 anzunehmen. Wer stimmt für
iese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
ngen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
en der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
egenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
er Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenom-
en.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje
Bettin, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Den kostenfreien Empfang von Rundfunk via
Satellit sicherstellen
– Drucksache 16/3545 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Die Reden sollen insgesamt zu Protokoll genommen
erden. Deswegen brauche ich die Aussprache nicht zu
röffnen. Es handelt sich um die Reden der Kollegen
orothee Bär und Philipp Mißfelder, CDU/CSU, Jörg
auss und Christoph Pries, SPD, Christoph Waitz, FDP,
r. Lothar Bisky, Die Linke, und Grietje Bettin,
ündnis 90/Die Grünen.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 16/3545 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Georg Nüßlein, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Anlage 6
Anlage 7
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7353
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Bärbel Kofler, Dr. Sascha Raabe, Gabriele
Groneberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Chancen und Herausforderungen der Ost-
erweiterung der Europäischen Union für
die Entwicklungszusammenarbeit der EU
– Drucksache 16/3807 –
Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen
werden. Es handelt sich um die Beiträge der Kollegen
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Dr. Bärbel Kofler, SPD,
Hellmut Königshaus, FDP, Heike Hänsel, Die Linke, Ute
Koczy, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Druck-
sache 16/3807. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen
der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke sowie Ent-
haltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen an-
genommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jens
Ackermann, Hartfrid Wolff , Daniel
Bahr , weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Dem Beruf des Rettungsassistenten eine
Zukunftsperspektive geben – Das Rettungs-
assistentengesetz novellieren
– Drucksache 16/3343 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Auch diese Reden werden zu Protokoll genommen.
Es handelt sich um die Beiträge der Kollegen Dr. Rolf
Koschorrek, CDU/CSU, Dr. Margrit Spielmann, SPD,
Jens Ackermann, FDP, Frank Spieth, Die Linke,
Dr. Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3343 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 sowie Zusatz-
punkt 9 auf:
19 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lutz
Heilmann, Dorothée Menzner, Heidrun Bluhm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LIN-
KEN
Kein Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung –
Fährkonzept verbessern
– Drucksache 16/3668 –
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1) Anlage 8
2) Anlage 9
3)
4)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 16/3668 und 16/3798 an die in der Ta-
esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 sowie Zusatz-
unkt 10 auf:
20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Volker Beck , Jerzy
Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einrichtung einer Polizeireformkommission
– Drucksache 16/3704 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
P 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max
Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Notwendigkeit einer Defizitanalyse des beste-
henden Sicherheitssystems
– Drucksache 16/3809 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Diese Reden werden ebenfalls zu Protokoll genom-
en. Es sind die Beiträge der Kollegen Günter
aumann, CDU/CSU, Wolfgang Gunkel, SPD, Dr. Max
tadler, FDP, Petra Pau, Die Linke, und Silke Stokar von
euforn, Bündnis 90/Die Grünen.4)
Anlage 10
Anlage 11
7354 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/3704 und 16/3809 an den Innenaus-
schuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destag auf morgen, Freitag, den 15. Dezember 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.