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hen, dass insbesondere die Werte, die für Bestandsflug- flugverfahren; Förderung des Einsatzes lärmarmer Flug-
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-
Becker, Ute Granold, Josef Göppel und
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
(alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Verbesserung des
Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von
Flugplätzen (Tagesordnung 7 a)
Das Fluglärmgesetz trifft nach unserer Auffassung
keine sachgerechte Abwägung zwischen dem Interesse
der Flughäfen an gewinnbringendem Betrieb und Pla-
nungssicherheit einerseits und dem Recht der Anlieger
auf körperliche Unversehrtheit andererseits.
Aufgrund der Ergebnisse der neueren Lärmwirkungs-
forschung ist nach unserer Überzeugung davon auszuge-
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Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Bierwirth, Petra SPD 14.12.2006
Binder, Karin DIE LINKE 14.12.2006
Bülow, Marco SPD 14.12.2006
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2006
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 14.12.2006
Gabriel, Sigmar SPD 14.12.2006
Hilsberg, Stephan SPD 14.12.2006
Merten, Ulrike SPD 14.12.2006
Nitzsche, Henry CDU/CSU 14.12.2006
Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 14.12.2006
Rix, Sönke SPD 14.12.2006
Teuchner, Jella SPD 14.12.2006
Dr. Scheer, Hermann SPD 14.12.2006
Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2006
Wolf (Frankfurt),
Margareta
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.12.2006
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
äfen im Sinne des Art. 1 § 2 Abs. 2 Nr. 2 gelten sollen,
ine zu hohe Lärmeinwirkung zulassen, bevor den be-
roffenen Anwohnern zumindest das Recht auf passiven
ärmschutz durch bauliche Maßnahmen eingeräumt
ird. Effektivere Grenzwerte entsprechend den für neue
der wesentlich baulich erweiterte zivile Flugplätze vor-
esehenen Werten hätten nicht zu einer wirtschaftlichen
berforderung der Flughäfen geführt, sondern hätten be-
eits durch einen Preisaufschlag je Flugticket von 1 Euro
inanziert werden können.
Die auf Dauer angelegte Ungleichbehandlung von
estandsflugplätzen im Sinne des Art. 1 § 2 Abs. 2 Nr. 2
inerseits und von neuen oder wesentlich baulich erwei-
erten zivilen Flugplätzen im Sinne des Art. 1 § 2 Abs. 2
r. 1 andererseits halten wir für nicht nachvollziehbar
nd sehen darin einen Verstoß gegen das verfassungs-
echtliche Gleichbehandlungsgebot, Art. 3 GG. Es geht
n beiden Konstellationen um dieselbe Abwägung entge-
enstehender Rechtsgüter; gerechtfertigt wäre allenfalls
ine angemessene Übergangsfrist für Bestandsflughäfen,
icht aber eine Regelung, die die Bestandsflughäfen ge-
en neue Flughäfen mit einem dauerhaften Wettbe-
erbsvorteil und Anlieger von Bestandsflughäfen mit
iner dauerhaft und erheblich höheren Gesundheitsge-
ährdung belegt, als sie den Anliegern neuer Flughäfen
umutbar erscheint.
Aus diesen Gründen werden wir dem Fluglärmgesetz
uf der Drucksache 16/508 nicht zustimmen.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Michael Hartmann
(Wackernheim) (SPD) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung
des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung
von Flugplätzen (Tagesordnungspunkt 7 a)
Die Novellierung des 35 Jahre alten Fluglärmgesetzes
st schon lange überfällig. Es liegt jetzt ein Kompromiss
n den Bereichen passiver Lärmschutz, Siedlungssteue-
ung und Rechts- und Planungssicherheit vor, der sowohl
ür die Anwohner als auch für die Luftverkehrswirtschaft
erbesserungen bringen soll. Ich begrüße es daher außer-
rdentlich, dass dieses Gesetz heute in 2./3. Lesung den
eutschen Bundestag passieren wird. Es bedeutet in Sa-
hen passiver Lärmschutz einen Schritt in die richtige
ichtung. Deshalb werde ich dem Gesetz heute zustim-
en.
Der aktive Lärmschutz bleibt jedoch auch weiterhin
ngeregelt. Ich halte es daher für unbedingt notwendig,
olgende weiter gehende Lösungen für die fluglärmge-
lagten Menschen auf den Weg zu bringen: Reduzierung
es Fluglärms; schärfere Grenzwerte, zum Beispiel
00/100-Regelung; größere Lärmschutzzonen; Betriebs-
eschränkungen, insbesondere Regelungen zu Nacht-
7356 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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zeuge; neue Anflugverfahren, um die
Mindestüberflughöhen den Lärmschutzinteressen der
Bevölkerung, insbesondere bei Start und Landung, anzu-
passen; Festlegung der Flugrouten unter Berücksichti-
gung der Fluglärmbelastung der Bevölkerung.
Auch beim passiven Lärmschutz hätte ich mir mehr
gewünscht. Leider waren weitere Verbesserungen koali-
tionsintern nicht durchsetzbar. Das bedauere ich im Inte-
resse aller fluglärmgeplagten Menschen in Deutschland.
So bleibt diese Fluglärmnovelle ein Entschädigungsge-
setz und kein Fluglärmvermeidungsgesetz. Wir dürfen in
unseren Bemühungen, die Gesundheit der Menschen ak-
tiv vor Fluglärm zu schützen, nicht nachlassen. Der
Schritt im Bereich des aktiven Lärmschutzes muss daher
dringend folgen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Mehr Wettbewerb
im Schornsteinfegerwesen (Tagesordnungs-
punkt 13)
Lena Strothmann (CDU/CSU): „Oh, heiliger Sankt
Florian, verschon mein Haus, zünde andere an.“ Das ist
nicht etwa das Motto der Lobbyisten in der Gesundheits-
debatte. Es ist vielmehr einer der bekanntesten Verse
über den Schutzheiligen der Feuerwehr und eben auch
der Schornsteinfeger. Diese Verbindung zwischen Feuer-
gefahr und Schornsteinfeger ist kein Zufall. Im Jahr
2005 gab es in Deutschland 1,2 Millionen Mängel an be-
stehenden, über 200 000 Mängel an geänderten und fast
190 000 Mängel an neu errichteten Feuerungsanlagen.
Dem stehen 3,5 Millionen Feuerwehreinsätze gegen-
über.
Das Schornsteinfegerhandwerk hat eine lange Tradi-
tion. Auch die rechtlichen Grundlagen reichen weit ins
19. Jahrhundert zurück. Aber seit einigen Jahren ist eine
heftige Diskussion im Gange. Die Vorwürfe reichen von
Gängelung des Bürgers über reine Bürokratie bis hin zu
Doppelzahlungen und reiner Besitzstandswahrung.
Schauen wir einmal genauer hin.
Der Bezirksschornsteinfeger hat einen Rechtsstatus,
der wesentlich durch öffentlich-rechtliche Elemente ge-
kennzeichnet ist. Anders ausgedrückt: Das Schornstein-
fegerwesen ist eine besondere Form der Privatisierung,
bei der der Staat eine öffentliche Aufgabe einem selbst-
ständigen Gewerbetreibenden übertragen hat. Dieses
„Contracting-out“ ist doch eigentlich eindeutige FDP-
Politik. Dass für diese Übertragung nur eine neutrale
Institution infrage kommt, liegt auf der Hand. Die Neu-
tralität darf nicht durch ein Interesse am Verkauf von
neuen Produkten beeinträchtigt werden.
Der hoheitliche Aspekt ist immens wichtig, da er
direkt das Gemeinwohl betrifft, insbesondere in Bezug
auf Feuersicherheit und Emissionsschutz. Anders ge-
sagt: Die neutrale Überprüfung, die Reinigungstätigkeit
und die Beratung dienen der Sicherheit, dem Umwelt-
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chutz und – nicht zu vergessen – der Energieeinspa-
ung.
Eine klare Aufgabenteilung musste also her: Der
nstallateur verkauft, wartet und repariert. Der Schorn-
teinfeger prüft und berät. Da sind zwei verschiedene
ätigkeiten. Das Problem ist, dass die Bürger diese Auf-
abentrennung nicht immer erkennen. Und der feine Un-
erschied ist: Die Wartungsfirma nimmt die Messung
war vor, aber nur zur Kontrolle der durchgeführten Ar-
eiten. Wer misst, darf nicht warten – und wer wartet,
arf nicht messen.
Diejenigen, die das Schornsteinfegermonopol aufhe-
en wollen, müssen sich über die Folgen im Klaren sein.
er Schornsteinfeger hat die Aufgabe, sämtliche
chornsteine oder Feuerstätten zu überprüfen. Ohne
usnahme. Gerade weil es um Sicherheit und Gesund-
eit geht, sollten wir nicht darauf setzen, dass die Bürger
reiwillig eine Schornsteinfeger-Dienstleistung in An-
pruch nehmen. Die hohe Kontrolldichte, das Von-Haus-
u-Haus-Prinzip und die damit einhergehende Sicherheit
ind dann nicht mehr gewährleistet. Im Jahr 2005 kamen
mmer noch 120 Menschen in unserem Land durch einen
äuslichen Unfall mit Kohlenmonoxid-Vergiftung ums
eben; Suizide sind hier ausgeklammert. Diese Zahl
ürde ohne die bewährten gesetzlich vorgeschriebenen
ontrollen ganz sicher steigen. Und mal Hand aufs
erz: Ohne gesetzliche Vorgabe würden auch ganz si-
her nicht alle regelmäßig zum TÜV fahren.
Mehr Wettbewerb heißt nicht, dass es kostengünstiger
ird. In den deutschsprachigen Kantonen der Schweiz
rfolgte 1996 die Freigabe des Monopols und – die
reise stiegen bis zu 20 Prozent. In Deutschland machen
ie Schornsteinfegergebühren derzeit bei den Miet-
ebenkosten nur 0,5 bis 0,8 Prozent aus, hier wären also
ostensteigerungen zu erwarten.
Aber trotz aller Traditionen und vielleicht auch Be-
itzstandswahrung steht fest: Veränderungen sind unaus-
eichlich. Die EU-Kommission hat bereits im Jahr 2003
as Vertragsverletzungsverfahren gegenüber der Bun-
esrepublik Deutschland eingeleitet. Am 18. Oktober
ieses Jahres hat sie als zweiten Verfahrensschritt die so
enannte begründete Stellungnahme übermittelt. Zahl-
eiche Punkte des FDP-Antrages sind übrigens diesen
eiden Schreiben entnommen. In diesen Tagen muss die
undesregierung eine Stellungnahme nach Brüssel ge-
en, um eine Klage der EU-Kommission gegen Deutsch-
and beim EuGH abzuwenden.
Besondere Kritikpunkte der Kommission sind: Be-
chränkung des Zugangs zum Schornsteinfegerberuf;
eschränkung der Ausübung auf nur einen Bezirks-
chornsteinfeger pro Bezirk; Verbot einer Tätigkeit au-
erhalb des Kehrbezirks; Eintragung in eine „Bewerber-
iste“; eine mindestens zweijährige Tätigkeit im Betrieb
ines Bezirksschornsteinfegers im betreffenden Bundes-
and innerhalb der letzten drei Jahre; Pflicht zum Nach-
eis der gesundheitlichen Eignung; Pflicht, den Wohn-
itz im Kehrbezirk zu nehmen.
Die Eckpunkte für eine Reform des Schornsteinfeger-
echts liegen nun vor; alle Fraktionen wurden informiert.
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Eines ist klar: Wir müssen im nächsten Jahr eine Novelle
vorlegen. Diese Novelle muss die Dienstleistungs- und
Niederlassungsfreiheit umsetzen. Die Tätigkeiten der
Schornsteinfeger werden – so die Eckpunkte – auf einen
hoheitlichen Kernbereich – auf eine reine Kontrolle – re-
duziert. Die restlichen Tätigkeiten werden im Wettbe-
werb frei angeboten. Die Residenzpflicht soll genauso
wie das Nebenerwerbsverbot entfallen.
Ich glaube, dass wir mit diesem Rahmen eine gute
Lösung haben, die EU-konform ist und die auch dem
Verbraucher durch mehr Wettbewerb zugute kommt. Das
Ergebnis findet auch die Unterstützung der Schornstein-
fegerverbände.
Der Berufsstand der Schornsteinfeger muss sich die-
sem Wettbewerb stellen. Er muss sich seiner eigenen Zu-
kunft stellen. Denn dann stimmt auch weiterhin der Slo-
gan: „Zum Glück … gibts den Schornsteinfeger“.
Christian Lange (Backnang) (SPD): Den Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP danke ich für die Gele-
genheit, hier das weitere Vorgehen in Sachen Novellie-
rung des Schornsteinfegergesetzes vorzustellen. Sie
konnte es ja bereits in der „Welt“ vom 7. Dezember 2006
nachlesen. Die Bundesregierung hat sich auf Eckpunkte
zur Novellierung geeinigt.
Damit wird sich auch die EU-Kommission einver-
standen erklären können, die eine Änderung des Schorn-
steinfegergesetzes angemahnt hatte, um den Bestimmun-
gen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit und
die Dienstleistungsfreiheit zu genügen. Eine Klage vor
dem EuGH wird damit verhindert. Seit dem 12. Dezem-
ber 2006 hat die EU-Kommission auch Kenntnis über
die Eckpunkte zur Novellierung des Schornsteinfegerge-
setzes, weitere Verfahrensschritte gegen die Bundesre-
gierung sind damit ausgeräumt.
Zur Erinnerung: Die EU-Kommission hat mit Schrei-
ben vom 2. April 2003 wegen des geltenden Schornstein-
fegergesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die
Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Die vorherige
Bundesregierung hatte bereits Anfang 2005 einen Novel-
lierungsvorschlag vorgelegt, der leider aufgrund der Neu-
wahlen nicht mehr zum Zuge gekommen ist.
Der Antrag der FDP unterstützt das Ziel der Bundes-
regierung, mehr Transparenz und Wettbewerb in das
Schornsteinfegerwesen zu bringen. Die ersten Vorstel-
lungen der Bundesregierung werden diesen Anforderun-
gen gerecht werden: Der Aufgabenbereich, in dem ein
Bezirksschornsteinfeger im Bezirk ausschließlich tätig
sein darf, wird im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage
ziemlich eingeschränkt.
Zur Erklärung: Der Bezirksschornsteinfeger ist eine
natürliche Person (keine juristische Person, das heißt zum
Beispiel keine GmbH), die mit der Ausführung der ho-
heitlichen Schornsteinfegeraufgaben in einem Bezirk be-
traut ist. Zu dem Tätigkeitsbereich (hoheitliche Aufga-
ben), in dem der Bezirksschornsteinfeger ausschließlich
tätig ist, gehören künftig nur noch die Kontrolle der den
Eigentümern obliegenden Pflichten, Überprüfungsarbei-
ten in Bezug auf die Betriebssicherheit sowie auf etwaige
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ängel einer Anlage, einschließlich der Befugnis zum Er-
ass einer Mängelbeseitigungs- oder Stilllegungsverfü-
ung, sowie die Feststellung der Betriebssicherheit einer
euerungsanlage. Der Bezirksschornsteinfeger trifft bei
en genannten Tätigkeiten abschließende Entscheidun-
en.
Alle diejenigen Schornsteinfegerarbeiten, die keine
ontrollaufgaben beinhalten – das sind „Kehrarbeiten“
nd andere vorbereitende/technische Aufgaben –, wer-
en aus dem bisherigen Vorbehaltsbereich herausgenom-
en. Sie können bei entsprechender handwerksrechtli-
her Qualifikation frei ausgeführt werden. Die nicht
oheitlichen Aufgaben werden damit für den Wettbe-
erb geöffnet. Außerdem wird damit die Dienstleis-
ungsfreiheit innerhalb der EU uneingeschränkt gewähr-
eistet.
Meine Damen und Herren von der FDP – Sie dürften
it diesen Neuregelungen höchst zufrieden sein. Damit
ntfällt auch das Gebietsmonopol für die nicht hoheitli-
hen Tätigkeiten. Ich denke, wir dürfen uns darüber
reuen, auch wenn selbstverständlich immer auch noch
ehr Wettbewerb denkbar wäre. Allerdings ist die Si-
herheit der Feuerungsanlagen ein wichtiges und schüt-
enswertes Gut, das wir nicht so ohne weiteres aus der
and geben dürfen. Die Einstufung der Sicherstellung
er Betriebssicherheit von Feuerungsanlagen als hoheit-
iche Aufgabe halte ich für angemessen.
Kommt der Eigentümer seiner Verpflichtung, die
ach dem Schornsteinfegergesetz und der Kehrordnung
orgeschriebenen Schornsteinfegerarbeiten ausführen zu
assen, nicht nach, werden diese ersatzweise durch den
ezirksschornsteinfeger ausgeführt.
Es gilt weiterhin die Gebührenordnung, da wir im
reien Preiswettbewerb ein intransparentes System eta-
lieren würden, das den Kunden nicht nutzen dürfte. Die
ebühren werden sowohl für den Bereich der hoheitli-
hen Aufgaben als auch für die ersatzweise Ausführung
er „freien“ Schornsteinfegerarbeiten festgelegt. So ha-
en wir ein offenes und für jeden nachvollziehbares
reissystem.
Die Bezirke werden in Zukunft nicht mehr über Be-
erberliste nach dem Prinzip des längeren Wartens, son-
ern über ein objektives, transparentes und diskriminie-
ungsfreies Ausschreibungsverfahren vergeben. Auch im
oheitlichen Tätigkeitsbereich wird damit mehr Wettbe-
erb sichergestellt. Damit entfällt auch die Pflicht der
orherigen Eintragung in die Bewerberliste. Über die
estellung entscheidet die zuständige Behörde. Die Kri-
erien für die Vergabe werden – für jeden nachvollzieh-
ar – durch das Schornsteinfegergesetz festgelegt. Die
estellung erfolgt für zehn Jahre. Die Niederlassungs-
nd Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU ist für Be-
erber aus dem europäischen Ausland gewährleistet, in-
em diese an der Ausschreibung von Bezirken teilneh-
en können. Es herrscht damit Chancengleichheit für
lle. Alle entsprechenden europäischen Qualifikationen
nd Ausbildungsabschlüsse werden hierbei anerkannt.
Erleichternd für das zukünftige Ausschreibungsver-
ahren wird außerdem sein, dass das Erfordernis der vor-
7358 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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herigen praktischen Tätigkeit bei einem Bezirksschorn-
steinfegermeister zukünftig entfällt. Darüber hinaus wird
die Residenzpflicht, die bisher gilt, aufgehoben. Auch
diese Neuregelung wird den Wettbewerb stärken. Das
Nebentätigkeitsverbot wird ebenfalls aufgehoben. Damit
können Bezirksschornsteinfeger auch in anderen Berei-
chen tätig werden. Das ist wichtig, um die Beschneidung
ihres bisherigen Aufgabenbereiches kompensieren zu
können. Ergänzend soll im Gesetz deswegen festgelegt
werden, dass der Bezirksschornsteinfeger die Vorbe-
haltsaufgaben ordnungsgemäß, gewissenhaft, unabhän-
gig und neutral erfüllen muss.
Insbesondere für die Arbeitnehmervertreter dürfte es
wichtig sein, zu hören, dass die Anzahl der Bezirke wei-
terhin erhalten bleiben soll. Denn es geht nicht nur um
Wettbewerb und Transparenz, sondern auch um den Er-
halt von bestehenden Arbeitsplätzen. Um dies zu ge-
währleisten, wird die Anzahl der Bezirke zu einem be-
stimmten Stichtag festgeschrieben. Die bisherige
obligatorische Neueinteilung der Bezirke entfällt. Frei
werdende Bezirke werden gleich nach In-Kraft-Treten
der Reform ausgeschrieben. Alle Bezirke sollen dann in-
nerhalb von zehn Jahren nach In-Kraft-Treten des neuen
Schornsteinfegergesetzes ausgeschrieben worden sein.
Damit ergibt sich eine faktische Übergangsfrist, die es
den Alt-Bezirksschornsteinfegern ermöglichen soll, in
den neuen Wettbewerb hineinzuwachsen.
Die bisherigen Regelungen zur Altersversorgung blei-
ben bestehen. Es werden lediglich Anpassungen vorge-
nommen, die möglicherweise durch die Reform des
Schornsteinfegerrechts erforderlich werden.
Die Reform soll zum 1. Januar 2008 in Kraft treten.
Meine Damen und Herren von der FDP: Ich denke,
Sie und wir alle werden mit dem noch vorzulegenden
Gesetzentwurf zufrieden sein können! Denn: Sowohl
Arbeitnehmer- als auch Arbeitgebervertreter sind mit
den Vorstellungen der Bundesregierung über eine Novel-
lierung des Schornsteinfegergesetzes einverstanden.
Bleibt zu hoffen, dass auch die EU-Kommission unsere
Vorstellungen mit trägt.
Birgit Homburger (FDP): Kurz vor Ablauf der Frist
hat die Bundesregierung in Brüssel ihre Eckpunkte für
eine Reform des Schornsteinfegerwesens präsentiert.
Man darf gespannt sein, wie diese Positionierung in
Brüssel aufgenommen wird. Denn mehr Wettbewerb
entsteht durch das Modell der Bundesregierung nur be-
dingt. Es ist äußerst fraglich, ob Brüssel den Vorschlag
akzeptieren wird. Offenbar hofft die Bundesregierung
wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf eine
milde gestimmte Kommission. Täuschen Sie sich da mal
nicht. Denn überspitzt formuliert: Sie wollen aus Hand-
werkern Beamte machen.
Sie wollen über die Hälfte der Aufgaben als hoheit-
lich definieren. Sie wollen, dass Schornsteinfeger Ver-
waltungsakte erlassen können. Da kann man etwas ket-
zerisch fragen: Muss der Schornsteinfeger zusätzlich in
Verwaltungspraxis geschult werden? Ich bin mir nicht si-
cher, ob den Schornsteinfegern die möglichen Konse-
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uenzen für ihren Berufsstand überhaupt bewusst sind.
llein beim Kehren wollen Sie einen Wettbewerbs-
arkt. Glauben Sie tatsächlich, Wettbewerb entsteht,
enn Sie rund 60 Prozent der Tätigkeiten im Monopol
elassen?
Glauben Sie tatsächlich, dass Wettbewerb beim Keh-
en entsteht, wenn der Bezirksschornsteinfeger weiterhin
ie ordnungsgemäße Ausführung dieser Tätigkeit auch
ei seinen Wettbewerbern überwacht? Hoffen Sie, dass
rüssel Ihnen auf den Leim geht? Oder wollten Sie ein-
ach nur Zeit gewinnen?
Immerhin wollen Sie an die Bewerberlisten ran. Das
st ein kleiner Fortschritt. Durchschlagend ist der aber
och nicht. Am Monopol der Kehrbezirke halten Sie im
ern fest, auch wenn diese jetzt für zehn Jahre ausge-
chrieben werden sollen. Es gibt also einen gewissen
ettbewerb um den Markt.
Aber nach wie vor gibt es keinen Wettbewerb um die
unden. Aus Verbrauchersicht heißt das: Weiterhin kann
er Dienstleister nicht gewechselt werden. Ob damit ein
ualitätswettbewerb in Gang kommt, ist äußerst frag-
ich. Sie wollen die Gebührenordnung beibehalten.
leichzeitig wollen Sie, wie gesagt, die Kehrbezirke öf-
entlich ausschreiben. Hier stellt sich die Frage: Sollen
er Preis bzw. die Kosten bei der Vergabe keine Rolle
pielen?
Für die FDP-Fraktion bedeuten Ihre Eckpunkte nur
inen ersten Schritt. In unserem Antrag haben wir darge-
egt, dass ein wettbewerbliches Modell durchaus mög-
ich ist. Und in dem einen oder anderen Bundesland wer-
en schon konkrete Wettbewerbsmodelle entwickelt.
abei könnte der Auto-TÜV durchaus als Vorbild die-
en. Auch dort haben wir einen Bereich mit so genannter
efahrenneigung, der durch Institutionen überwacht
ird, die im Wettbewerb stehen. Wir sind der Überzeu-
ung: Wettbewerb ist auch für die Schornsteinfeger
elbst eine Riesenchance. Die FDP-Fraktion will diesen
hrbaren Beruf zukunftsfest machen, denn die Schorn-
teinfeger sind hervorragend qualifiziert und würden von
iner Marktöffnung profitieren. In einem Wettbewerbs-
arkt würde auch der Vorschlag der Bundesregierung
inn machen, das Nebentätigkeitsverbot der Schorn-
teinfeger abzuschaffen. Die Schornsteinfeger könnten
hre exzellenten Kenntnisse breiter einsetzen.
Die nach Brüssel gemeldeten Eckpunkte der Bundes-
egierung reichen für eine wirkliche Marktöffnung nicht
us. Nach einem eklatanten Fehlstart ist Herr Glos aus
er Sommerpause als ordnungspolitischer Paulus ge-
ommen. Offenbar verwandelt er sich zum Beginn der
eihnachtspause zurück zum ordnungspolitischen Sau-
us. Seinen marktwirtschaftlichen Ankündigungen fol-
en in der Realität interventionistische Sündenfälle.
enn der Bundeswirtschaftsminister seinen Wandel
rnst meint, muss er bei der Reform des Schornsteinfe-
erwesens schleunigst nachbessern.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Schornsteinfe-
er, das ist kein Beruf des letzten Jahrhunderts. Auch die
euen Öl- und Gasheizungen müssen verantwortungs-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7359
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voll überprüft werden. Es geht um Fragen der Umwelt,
Energie und Sicherheit. Dinge, die man nicht einfach
dem Wettbewerb freigeben kann, wie es die FDP in ih-
rem Antrag fordert und wie es auch die EU-Kommission
will. Wir sind aber nichts anderes gewöhnt.
Aus guten Gründen legt das Schornsteinfegergesetz
bewusst Kehrbezirke fest, in denen nur ein Bezirks-
schornsteinfegermeister die Kehr- und Überprüfungsauf-
gaben vornimmt. Im Kern ist das eine hoheitliche Auf-
gabe. Hier soll die Einhaltung staatlich festgelegter
Grenzwerte objektiv überprüft werden. Mit staatlich
festgelegten Gebühren. Eigeninteressen von privaten In-
stallationsfirmen bleiben hier zu Recht außen vor.
Schon der Begriff „Schornsteinfegermonopol“ ist ge-
nau genommen völlig fehl am Platz. Es geht um unsere
Sicherheit. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir können
doch unsere Sicherheit nicht dem Wettbewerb opfern!
Was sind die Erfahrungen der Liberalisierungen in
den anderen Ländern? In der Schweiz sind nach der Frei-
gabe des Schornsteinfegerhandwerks in den Markt die
Preise um 20 Prozent gestiegen. Deswegen und im Inte-
resse der Brandverhütung und des Umweltschutzes wird
dort wieder umgedacht und das Kaminfegermonopol als
notwendig erachtet. Ähnlich aus anderen Ländern: 2003
betraute die polnische Regierung das Schornsteinfeger-
handwerk wieder mit der Kehr- und Kontrollpflicht.
Nachdem diese 1989 abgeschafft wurde, kam es zu ver-
mehrten Brandschäden, -unfällen und -toten.
Meine Damen und Herren von der FDP, ich empfehle
Ihnen, sich die Statistiken der EU-Länder über Vergif-
tungen durch Kohlenmonoxid anzuschauen. Deutsch-
land weist hier die niedrigste Rate auf. All dies geht auf
die Arbeit unserer Bezirksschornsteinfeger zurück.
Anstatt diese bewährten Regelungen auf andere Län-
der zu übertragen, hat die EU-Kommission ein Vertrags-
verletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet. Die
Frage ist nun: Wie verhält sich die Bundesregierung?
Die Linke ist der Meinung, Schornsteinfeger erledi-
gen im Kern sicherheitsrelevante und hoheitliche Aufga-
ben. Diese gehören – bei allen Änderungen, die auch
Fachverbände und -innungen anregen – vor dem Wettbe-
werb geschützt. Wenn dies nicht gewährleistet ist, dann
sollte die Bundesregierung vor den Europäischen Ge-
richtshof ziehen.
Wir sehen uns hier im Einklang mit der Bevölkerung,
in der der Schornsteinfeger ein hohes Ansehen genießt.
Nach einer Meinungsumfrage des Forsa-Instituts sind
neun von zehn Bundesbürgern mit ihrem Schornsteinfe-
ger zufrieden. Ähnlich viele halten die Überprüfungen
und Arbeiten des Schornsteinfegerhandwerks für not-
wendig und sinnvoll.
Auch bei beim Schornsteinfegerhandwerk geht es um
die Frage: Wollen wir ein solidarisches Europa oder ein
Europa des Sozial- und Umweltdumpings?
Die Regierung muss sich entscheiden.
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Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Bezirksmonopole der Schornsteinfeger passen nicht
n das europäische Wettbewerbsrecht Die Kommission
at das seit 2003 laufende Vertragsverletzungsverfahren
m Oktober verschärft, weil die Koalition nicht in der
age war, sich auf einen EU-konformen Gesetzentwurf
u verständigen. Die Koalition hatte größte Schwierig-
eiten, sich auf Eckpunkte für eine EU-konforme No-
elle zu einigen. Erst heute hat sie es geschafft.
Dabei versucht die Bundesregierung, die Anforderun-
en des europäischen Rechts zu erfüllen, ohne mehr
ettbewerb als unbedingt notwendig zuzulassen.
Die Bundesregierung hält an dem Prinzip der Mono-
ole der Bezirksschornsteinfeger fest. Die Monopole
erden zeitlich unbefristet vergeben. Verbraucherinnen
nd Verbraucher werden weiterhin keine Möglichkeit
aben, sich einen Schornsteinfeger auszuwählen und
twa einen aus dem benachbarten Kehrbezirk zu beauf-
ragen. Wettbewerb findet nicht statt. Heizungsmonteure
ürfen die notwendigen Überprüfungen und Messungen
icht übernehmen, auch wenn sie zum Beispiel im Rah-
en eines Wartungsvertrages ohnehin regelmäßig die
eizungsanlage überprüfen.
Die Bundesregierung findet auch in diesem Rechtsbe-
eich nicht die Kraft zu umfassendem Bürokratieabbau.
Bündnis 90/Die Grünen treten für mehr Wettbewerb
uch bei den Schornsteinfegern ein. Das System der Ge-
ietsmonopole ist unzeitgemäß. Verbraucherinnen und
erbraucher sollten die Möglichkeit erhalten, zum Bei-
piel besonders in öko-effizienten Heiztechniken qualifi-
ierte Schornsteinfeger zu beauftragen.
Wir halten nichts von Bezirksmonopolen. Der Nach-
eis der Durchführung der notwendigen Messungen
ann gegenüber den Behörden auch auf anderem Wege
okumentiert werden. Zertifizierte Heizungsmonteure
nd Schornsteinfeger können diese Aufgaben erfüllen.
ie Tätigkeitsbereiche können perspektivisch miteinan-
er verschmolzen werden.
Die große Koalition zeigt einmal mehr, dass es ihr
icht um Wettbewerb und Zugangsgerechtigkeit, son-
ern um die Bewahrung des Bestehenden geht. Mono-
ole werden verteidigt, diejenigen, die davon profitieren,
ollen nicht dem Wettbewerb ausgesetzt, sondern ge-
chützt werden.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum
Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur
Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung
(Tagesordnungspunkt 14)
Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Schon in meiner
ede zur ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen,
ass in diesem Gesetzentwurf an sich zwei Materien mit-
inander vermischt werden, die keinen direkten Bezug
ueinander haben. Daher war es nur folgerichtig, auch
7360 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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zwei Anhörungen zu dem Gesetzentwurf durchzuführen,
einmal zum Pfändungsschutz und zum anderen zur In-
solvenzanfechtung.
So unterschiedlich, wie die Themen sind, verliefen
auch die beiden Anhörungen. Während bei der Anhö-
rung zum Pfändungsschutz die Sachverständigen fast
durch die Bank von einer guten und wichtigen Sache
sprachen und nur noch im Detail Änderungsvorschläge
hatten, sah dies für den Punkt Insolvenzanfechtung deut-
lich anders aus. Hier gibt es daher noch erheblichen Ge-
sprächsbedarf. Folgerichtig ist es daher auch, dass wir
heute in zweiten und dritten Lesung wieder trennen, was
nicht zusammengehört.
Lassen Sie mich zunächst zu dem heute inhaltlich zu
verabschiedenden Gesetzentwurf zum Pfändungsschutz
kommen. Heute ist ein guter Tag für den Mittelstand in
Deutschland. Mit der Verabschiedung des Gesetzent-
wurfs sichern wir den Selbstständigen in Deutschland
eine Versorgung im Alter. Damit ersparen wir es zukünf-
tig beispielsweise dem Handwerksmeister, der nach
30 Jahren Geschäftstätigkeit und Einzahlung zum Bei-
spiel in eine private Rentenversicherung unverschuldet
in die Insolvenz gerät, den Gang zum Sozialamt. Bald
werden seine Beiträge in dem Umfang – aber auch nur in
dem Umfang – geschützt, wie sie auch für abhängig Be-
schäftigte pfändungssicher sind.
Wenn wir die Menschen in unserem Land dazu bewe-
gen wollen, mehr eigene Vorsorge für das Alter zu be-
treiben, können wir ihnen auf der anderen Seite nicht
einen Schutz der eingezahlten Gelder gänzlich vorent-
halten. Menschen, die den Weg in die Selbstständigkeit
gehen, nehmen ein hohes Risiko auf sich. Gleichzeitig
sind sie es, die neue Arbeitsplätze schaffen. Wollen wir
die Menschen in ihrer Risikobereitschaft unterstützen,
dann sollten wir ihnen für ihre Altersrente nicht jegliche
Sicherheit nehmen.
Die Altersvorsorge in Deutschland steht auf drei Pfei-
lern. Neben der gesetzlichen Rente stehen die Betriebs-
rente und die Privatrente. Bei der privaten Rente erleben
wir zurzeit eine kurios anmutende Ungleichbehandlung.
Während der sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
auch seine selbstständig abgeschlossene private Alters-
vorsorge vor den Zugriff der Gläubiger bis zu einem ge-
wissen Grad schützen kann, hat der Selbstständige die-
ses Recht nicht. Dass gerade einem Selbstständigen der
Schutz seiner Altersvorsorge vorenthalten wird, wollen
wir als Koalitionsfraktion nicht länger hinnehmen.
Nach der Formulierung des Gesetzentwurfs der Bun-
desregierung war zu befürchten, dass sich der Pfän-
dungsschutz auf Kapitallebensversicherungen und pri-
vate Rentenversicherungen beschränken würde. Der
Gesetzgeber macht aber dem Selbstständigen bei der
Wahl seiner Produkte für die Absicherung im Alter zu
Recht keine Vorschriften. Wir wollen und dürfen über
den Pfändungsschutz der Altersvorsorge nicht be-
stimmte Vorsorgeprodukte zulasten anderer privilegie-
ren, die die gleiche Sicherheit bieten. Letztendlich gibt
es keinen sachlichen Grund, einen engen Rentenbegriff
zu wählen. Das hat der Gesetzgeber auf einem anderen
Feld bereits erkannt. Bei der Riesterrente kennt man eine
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erartige Einschränkung nämlich nicht. Hier kann auch
uf Bank- und Fondssparpläne zurückgegriffen werden.
Die Herausnahme des Begriffs „Rente“ aus dem Ge-
etzentwurf dient daher der Klarstellung, dass der
elbstständige nicht in der Wahlfreiheit seiner Altersvor-
orge eingeschränkt wird, sofern der abgeschlossene
ertrag die Auflage erfüllt, zu einer lebenslangen Aus-
ahlung zu führen.
Ein weiterer Punkt, der von fast allen Sachverständi-
en vorgeschlagen wurde, war die Einbeziehung der
interbliebenenversorgung in den Pfändungsschutz.
iese war im ursprünglichen Regierungsentwurf nicht
orgesehen. Hier herrscht in der Tat Handlungsbedarf.
nsbesondere in kleineren Betrieben ist es oft so, dass
um Beispiel die Ehefrau im Unternehmen des Mannes
itarbeitet. Eine eigene Altervorsorge für sie wird in der
egel aber nicht abgeschlossen. Stattdessen wird in die
ebensversicherung des Unternehmers ein Passus aufge-
ommen, der die Alterabsicherung des Ehepartners si-
herstellt. Daher war es richtig und wichtig, an dieser
telle nachzubessern, um die betroffenen Ehepartner
benfalls abzusichern. Wer im Familienunternehmen
itarbeitet, soll auch im Alter mit abgesichert sein.
In der gestrigen Rechtsausschusssitzung wurde von
er Opposition die Einfügung einer Definition des Hin-
erbliebenenbegriffs gefordert und inhaltlich verlangt,
leichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften in diese
efinition aufzunehmen. Auch wenn es sich hierbei um
ine Einzelfrage mit nur sehr geringer praktischer Be-
eutung handelt, hierzu noch gerne ein paar Worte: Die
inbeziehung des Lebenspartners findet sich im Renten-
echt bislang nur bei der gesetzlichen Rente wieder. Mit
em Pfändungsschutz für die private Altersvorsorge be-
egen wir uns als Gesetzgeber hier und heute aber ge-
ade nicht im Bereich der gesetzlichen Rentenversiche-
ung. In der Säule der privaten Rentenversicherung
indet sich bei der Riesterrente, die staatlich durch das
esetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträ-
en bestimmt ist, ein Hinterbliebenenbegriff ohne Le-
enspartner. Das gilt ebenso für das Einkommensteuer-
esetz und ist wichtig wiederum für die Rüruprenten. Es
äre sicher keine gute Idee für den Gesetzgeber, inner-
alb einer Säule mit verschiedenen Hinterbliebenenbe-
riffen zu operieren.
Die unterschiedlichen Säulen der Altersvorsorge kann
er Gesetzgeber allerdings durchaus unterschiedlich re-
eln. Nur innerhalb einer Säule muss der Staat auf eine
leichbehandlung achten, sodass der Hinterbliebenen-
egriff des Zertifizierungsgesetzes aus meiner Sicht
aßgeblich bleibt.
Ich habe aber durchaus Verständnis dafür, wenn man
ie Frage der Einbeziehung von Lebenspartnerschaften
n den Schutzkreis der Altersvorsorge schon im Gesetz-
ebungsverfahren noch deutlicher klären will. Zu die-
em Zweck haben Grüne und FDP Änderungsanträge
um Gesetzentwurf gestellt. Die Grünen haben ferner ei-
en Änderungsvorschlag als Formulierungshilfe für die
undesregierung gemacht. Diese Anträge wurden im
echtsausschuss des Bundestages mit der Mehrheit der
oalitionsfraktionen abgelehnt. Insofern dürfte auf Be-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7361
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treiben der Opposition hin eine gewisse Klarstellung er-
reicht sein, wenn auch nicht in Ihrem Sinne.
Ein Erfolg ist bei diesem Gesetz aber nicht nur der
Teil, den wir heute beschließen, sondern auch der Teil,
den wir herausstreichen werden. Wir haben gut daran ge-
tan, heute nur Änderungen zum Pfändungsschutz zu ver-
abschieden. Der Teil „Insolvenzanfechtung“ bedarf noch
eingehender Beratungen. Die Sachverständigen erteilten
in der Anhörung des Rechtsausschusses den vorgeschla-
genen Änderungen, die de facto Finanzämter und Sozial-
versicherungsträger begünstigen, eine klare Absage. Bei
den anstehenden Gesprächen mit den Kollegen aus dem
Sozial- und Finanzausschuss werden wir darauf Acht ge-
ben, dass die öffentlichen Gläubiger keine unangemes-
sene Vorrangstellung gegenüber den anderen Gläubigern
erhalten werden. Aber es darf natürlich auch nicht zu ei-
nem Missbrauch von Insolvenzregelungen zulasten der
öffentlichen Gläubiger kommen.
Hier gibt es im neuen Jahr noch einiges zu tun. Ich
freue mich dabei auf einen konstruktiven Dialog mit den
Berichterstattern der Fraktionen dieses Hauses.
Dirk Manzewski (SPD): Wir debattieren hier heute
in abschließender Lesung über den Gesetzentwurf der
Bundesregierung zum Pfändungsschutz der Altersvor-
sorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzan-
fechtung. Das Negative an diesem Gesetzesentwurf war,
dass er zwei Rechtsbereiche umfasste, die inhaltlich gar
nichts miteinander zu tun haben und die – jeder für sich
genommen – bereits genug Probleme beinhalteten. Das
Positive ist, dass sich an diesem Gesetzentwurf gezeigt
hat, das unser Parlamentarismus funktioniert.
Wir haben zu den beiden Rechtsbereichen des Gesetz-
entwurfs jeweils eine Anhörung durchgeführt und die
Resultate hieraus mit in unser Ergebnis einfließen las-
sen. Soweit es die Anpassung des Rechts der Insolven-
zanfechtung betrifft, hat die Anhörung unsere Bedenken
bestätigt. Hierdurch wäre nicht nur die so genannte
Gläubigergleichbehandlung nicht mehr gewährleistet ge-
wesen; die beabsichtigten Regularien hätten auch dazu
geführt, dass es in viel weniger Fällen als bisher über-
haupt noch zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens
gekommen wäre. Um es noch deutlicher zu sagen: Viel
mehr Firmen als heute hätten eine Insolvenz nicht mehr
überlebt.
Die angedachten Vorschriften zur Insolvenzordnung
haben wir deshalb zunächst entfallen lassen. Aus den
gleichen Gründen konnte auch der im Jahressteuergesetz
angedachte § 251 AO vermieden werden. Gemeinsam
mit unseren Finanz- und Sozialpolitikern werden wir je-
doch gemeinsam nach Lösungen suchen, um Verluste
der Sozialkassen durch das Insolvenzrecht zumindest zu
minimieren.
Soweit es den Pfändungsschutz der Altersvorsorge
betrifft, hat die Anhörung deutlich gemacht, dass es sich
insoweit um einen guten Gesetzentwurf handelt, der
– nach sich aus der Anhörung ergebenden Korrekturen –
als sehr guter Gesetzentwurf heute hoffentlich verab-
schiedet wird. Es ist nicht gerecht, dass der Staat einem
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elbstständigen im Falle einer extensiven Pfändung mit
teuermitteln aushelfen muss, obwohl dieser eigentlich
ürs Alter privat vorgesorgt hatte. Ich teile daher die
uffassung der Bundesregierung, dass hier ein wirksa-
er Pfändungsschutz notwendig ist, um Sozialbedürftig-
eit aufgrund von Zwangsvollstreckungen zu verhin-
ern.
Zudem wird hierdurch dem Gesichtspunkt der
leichbehandlung entsprochen, da die öffentlich-rechtli-
hen Rentenleistungen dem Pfändungszugriff so nicht
nterliegen. Hinzu kommt, dass hierdurch ein weiterer
nreiz für eine private Altersvorsorge geschaffen wird,
nd zwar nicht nur für Selbstständige, sondern auch für
ie Bezieher gesetzlicher Renten als weitere Säule. Die
olitische Forderung nach privater Vorsorge wird dieses
esetz damit tatkräftig unterstützen.
Damit der neu eingeführte Pfändungsschutz nun nicht
azu ausgenutzt wird, Vermögenswerte rechtsmiss-
räuchlich dem Gläubigerzugriff zu entziehen, macht
er Gesetzentwurf völlig zu Recht deutlich, dass der
fändungsschutz selbstverständlich nur auf das Vorsor-
ekapital beschränkt wird, das unwiderruflich der Al-
ersvorsorge gewidmet ist.
Nur folgerichtig ist es deshalb, den Pfändungsschutz
uf einen Bedarf zu begrenzen, der für die Existenzsi-
herung im Alter notwendig ist. Es geht um Existenzsi-
herung und nicht um Vermögensaufbau.
Richtig ist deshalb auch, dass durch das Gesetz ge-
ährleistet wird, dass die Leistung erst mit Eintritt des
entenfalls bzw. nicht vor Vollendung des 60. Lebens-
ahrs oder bei Berufsunfähigkeit erbracht wird und nicht
en Bestimmungen eines Dritten, außer für den Todes-
all, unterliegen darf. Anders als im ursprünglichen Ge-
etzentwurf vorgesehen, gilt Letzteres jedoch nicht für
ie Hinterbliebenen des Schuldners. Auch diese werden
ukünftig von der neuen Regelung profitieren können.
Soweit hier heute Streit über den Begriff „Hinterblie-
ene“ entbrannt ist, stelle ich für meine Fraktion klar,
ass wir diesen Begriff so interpretieren, wie er von der
öchstrichterlichen Rechtsprechung in zahlreichen Ent-
cheidungen definiert worden ist. Gut finde ich zudem,
ass sich der Pfändungsschutz nunmehr nicht nur auf
ebens- oder private Rentenversicherungen beschränken
oll. Die Altersvorsorge soll geschützt werden, nicht das
rodukt, und es ist nun einmal nicht von der Hand zu
eisen, dass es für die Betroffenen interessantere Vor-
orgemöglichkeiten gibt. Zu Recht wurde dann auch der
atsächliche Kapitalbedarf der unpfändbaren Beträge
ochmals überprüft und der heutigen Zeit angepasst.
Ich möchte mich bei Ihnen und dem BMJ für die kon-
truktive Zusammenarbeit bedanken und bitte um Zu-
timmung für das Gesetz.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
erne hätten wir dem Gesetz zugestimmt, nachdem es
elungen war, ihm die Giftzähne zu ziehen. Diese Gift-
ähne betrafen das Insolvenzrecht.
7362 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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In einer für die Bundesregierung vernichtenden An-
hörung kamen die Selbstständigen aus Wissenschaft und
Wirtschaft, aus Justiz und Anwaltschaft unisono zu dem
Ergebnis, dass die geplante Privilegierung des Fiskus
und der Sozialkassen abzulehnen sei. Von, so wörtlich,
der Zerstörung einer 120-jährigen Rechtskultur, vom
Rückfall in das 19. Jahrhundert und von mittelstands-
feindlicher Gesinnung war die Rede.
Ich danke ausdrücklich den Rechtspolitikern der großen
Koalition, dass Sie sich dieser Einsicht nicht verschlos-
sen haben und dass Sie gegen Ihre eigene Bundesregie-
rung und gegen Ihre eigenen Sozial- und Finanzpolitiker
Ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass dieses Vorhaben
nicht weiter verfolgt worden ist.
Beim zweiten Teil des Gesetzentwurfs, beim Pfän-
dungsschutz der Altersvorsorgen war die Vorlage ein-
deutig besser. Hier sind Sie den Empfehlungen der Sach-
verständigen gefolgt, die Hinterbliebenen in den
Pfändungsschutz einzubeziehen. Für eine Gleichstellung
der Lebenspartner mit Ehegatten fehlte Ihnen dann aber
die Kraft. Dass Sie sich damit wieder einmal selbst im
Wege gestanden haben, ist umso bedauerlicher, weil das
Gesetz eben durchaus Gutes enthält. Die Richtung
stimmt. Gläubiger- und Schuldnerinteressen werden zu
einem gerechten Ausgleich gebracht, die Kultur der
Selbstständigkeit wird gefördert und Selbstständige wer-
den davor bewahrt, am Ende ihres Berufslebens auf steu-
erfinanzierte Transferleistungen angewiesen zu sein. Das
liegt auch im Interesse der steuerzahlenden Allgemein-
heit.
Auch die Änderungen, die sich aus der Sachverständi-
genanhörung ergeben haben, gehen in Ordnung. Die Er-
weiterung des Anlagespektrums über Lebensversiche-
rungen und private Rentenversicherungen hinaus wird
von der FDP ebenso mitgetragen wie die Erhöhung des
unpfändbaren Betrages.
Leider können wir dem Gesetzentwurf dennoch nicht
zustimmen, da Sie sich wider besseres Wissen der Ein-
sicht verschließen, dass eine Gleichstellung nach dem
Gleichbehandlungsgrundsatz zwingend erforderlich ge-
wesen wäre. Dies hat auch das Bundesjustizministerium
in seiner Formulierungshilfe vom 27. November 2006
ausdrücklich so festgestellt. Dort heißt es – ich zitiere
wörtlich –: Als Ergebnis der Anhörung des Rechtsaus-
schusses wird der Lebenspartner aus verfassungsrecht-
lichen Gründen – Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – dem Ehe-
gatten gleichgestellt. – Davon ist jetzt keine Rede mehr.
Stattdessen heißt es jetzt in der Begründung geheimnis-
voll: Hinterbliebene sind zumindest der Ehegatte, die
Kinder und die Pflegekinder des Schuldners.
Wer so formuliert, formuliert unklar. Sagen Sie es
doch offen heraus: Sie wollen keine Einbeziehung von
Lebenspartnern. Sie verhalten sich widersprüchlich zu
dem von Ihnen beschlossenen AGG.
Zu diesem Punkt hat die FDP noch einen Änderungs-
antrag eingebracht. Wenn dieser heute keine Mehrheit
findet, müssen wir uns bei der Abstimmung über den
Gesetzentwurf leider enthalten.
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Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Meine Fraktion
ird sich zum vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zum
fändungsschutz der Altersvorsorge in der Fassung der
ktuellen Formulierungshilfe enthalten. Das hätte sehr
eicht anders kommen können und es sah bis vorgestern
orgen auch noch völlig anders aus. Beinahe nämlich
äre dieses Gesetzgebungsverfahren zu einem lehrrei-
hen Vorbild für einen echten parlamentarischen Diskurs
eraten.
Wir waren an einem Punkt, wo wir einem Gesetz, das
urchaus noch Wünschenswertes offen ließ, dennoch un-
ere Zustimmung gegeben hätten. Denn ganz entgegen
en üblichen Gepflogenheiten gab es zu diesem Gesetz-
ntwurf im Verfahren des Rechtsausschusses echte in-
altliche Beratungen. Es gab echte inhaltliche Auseinan-
ersetzungen mit den Argumenten der Opposition und
it den Einwänden und Vorschlägen der geladenen
achverständigen.
Für eine ganz kleine Weile gewannen wir den Ein-
ruck, dass selbst die Abgeordneten der Koalition nicht
ehr gewillt waren, die Gesetzgebungsvorschläge der
egierung kritiklos zu übernehmen, sondern zum Wohle
er Bürgerinnen und Bürger lieber ihre eigenen frei ge-
ählten Köpfe anstrengten.
Wie fruchtbar dieser Ansatz sein kann, möchte ich Ih-
en in der Kürze der Zeit an vier Beispielen illustrieren.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah eine Neufas-
ung des § 131 Insolvenzordnung vor, in deren Folge
ich der Fiskus unanfechtbar mit seinen Ansprüchen an
er Insolvenzmasse eines angeschlagenen Unterneh-
ens hätte schadlos halten können. Genau diese Selbst-
rivilegierung der öffentlichen Hand hatte der Deutsche
undestag – gemeinsam mit der veralteten Konkursord-
ung – im Jahre 1993 aus guten Gründen und unter Bei-
all der Fachwelt abgeschafft. Sachverständige und Op-
osition hatten deshalb frühzeitig darauf hingewiesen,
ass die „Wiederanschaffung“ des Fiskusprivilegs das
igentliche Kernanliegen des Regelinsolvenzverfahrens
abotiere.
Kernanliegen des Regelinsolvenzverfahres ist es, die
ngeschlagenen Unternehmen nach aller Möglichkeit
ieder auf die Füße zu bringen, damit deren Beschäf-
igte auch weiterhin in Lohn und Brot verbleiben. Davon
rofitiert im Übrigen auch die Liquidität der öffentlichen
assen am dauerhaftesten. Diese Argumente griffen.
er Neufassungsvorschlag des Ministeriums wurde er-
atzlos gestrichen.
Im Ausschuss wurde weiter eingewendet, dass die im
ntwurf vorgesehene Höhe des pfändungsgeschützten
etrages für die Altersvorsorge auf veralteten Berech-
ungen fußte. Auch dieser Einwand stieß auf Gehör. Die
öchstbeträge wurden heraufgesetzt. Im Ausschuss
urde darüber diskutiert, den Pfändungsschutz auch auf
ie Hinterbliebenen des Gläubigers ausdrücklich auszu-
ehnen. Auch diese Überlegungen sind heute Teil des
ntwurfstextes.
Wir erzielten schließlich eine Einigung darüber, dass
er Pfändungsschutz zugunsten von Ehepartnern selbst-
erständlich auch auf Lebenspartner Anwendung findet.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7363
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Gerade diese Klarstellung war der Linksfraktion eine
echte Herzensangelegenheit. In der Entwurfsbegründung
wurde auch ganz richtig festgehalten, dass Art. 3 des
Grundgesetzes die Gleichstellung von Lebenspartnern
zwingend erforderlich macht. Umso ärgerlicher stimmen
die vorgestrigen – überstürzten – Änderungen am Ent-
wurf, nach denen die ausdrückliche Gleichstellung von
Lebenspartnern nun wieder aus dem Entwurf ver-
schwunden ist. Es findet sich im Übrigen kein Wort
mehr von Art. 3 des Grundgesetzes.
Ganz offenbar ist es der CDU/CSU-Fraktion in letzter
Sekunde doch noch gelungen, ihren Koalitionspartner
vom Steuer zu schubsen und das Staatsschiff in Richtung
moralische Vergangenheit zurückzusteuern. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der CDU/CSU, welche Veran-
lassung hatten Sie eigentlich, ein ansonsten gelungenes
Gesetzesvorhaben in letzter Sekunde mit angestaubten,
altkonservativen Dogmen zu belasten?
An der Verfassung kann es jedenfalls nicht gelegen
haben. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen bestä-
tigt, dass die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen
Lebensgemeinschaften im Einklang mit dem Schutzauf-
trag des Art. 6 des Grundgesetzes steht.
Ich hoffe daher sehr, dass die Gerichte bei der An-
wendung dieses Gesetzes – angesichts seines nun unkla-
ren Wortlautes – trotzdem weiterhin von einer umfassen-
den Gleichstellung der Lebenspartnerschaften ausgehen.
Ich sagte eingangs: Dieses Gesetzesvorhaben hätte
Testcharakter für den parlamentarischen Wettstreit um
die besten Ideen haben können. Der Test verlief in wei-
ten Teilen glücklich und scheiterte am Ende doch an ei-
nem Spielverderber: der CDU/CSU-Fraktion.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Der Pfändungsschutz der Altersvorsorge für
Freiberufler und Selbstständige soll nun ausgeweitet
werden. Ähnlich wie bei der gesetzlichen Rentenversi-
cherung soll die Alters- und Hinterbliebenenrente unter
bestimmten Voraussetzungen vor Vollstreckung ge-
schützt werden. Das ist ein vernünftiger Schritt, der
längst fällig ist.
Der erste Entwurf der Bundesregierung hatte jedoch
erhebliche Mängel: Beispielsweise blieben die Hinter-
bliebenen vollständig unberücksichtigt. Bestimmte Al-
tersprodukte wie die Lebensversicherung wurden einsei-
tig bevorzugt. Die Berufsunfähigkeit war von der
Altersvorsorge ausgenommen.
Nach einhelliger Kritik von uns und nahezu allen
Sachverständigen wurde eine vollständig neu überarbei-
tete Fassung vorgelegt. Dies betrifft auch das Insolvenz-
recht. Wir Grünen hatten die geplanten Regelungen von
Anfang an deutlich kritisiert. Unterstützung erhielten wir
von nahezu allen Sachverständigen in der Anhörung des
Rechtsausschusses. Wir begrüßen es, dass die Große Ko-
alition die Gläubigergleichbehandlung fortsetzen will.
Denn sie hat sich seit der großen Insolvenzrechtsreform
bewährt. So weit, so gut.
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Beim Pfändungsschutz hatten wir den Geltungsbe-
eich auch für die Hinterbliebenen gefordert, für Kinder,
ebenspartner und Ehegatten. Ohne diesen Pfändungs-
chutz droht die Existenzsicherung der Hinterbliebenen
u zerbrechen. Diese Kritik hatten wir bei der Anhörung
eäußert. Es war eine gute Erfahrung, dass die Formulie-
ung des Justizministeriums in dem Entwurf zugunsten
er Hinterbliebenen geändert wurde, nachdem Kritik
on allen Seiten geäußert wurde.
Danach bekam die Union kalte Füße. CDU und CSU
rinnern sich an ihre ideologischen Vorbehalte gegen-
ber Homosexuellen. Nach tagelangem Hin und Her
olgte der Rückzieher: Pfändungsschutz für hinterblie-
ene Ehegatten ja, für hinterbliebene Lebenspartner erst
inmal nein. – Schließlich gibt es doch Gerichte, die sich
amit beschäftigen können.
Damit will die Union den Pfändungsschutz von der
exuellen Orientierung abhängig machen! Ist die Witwe
etero, schützt der Staat vor dem Zugriff der Gläubiger.
st die Witwe lesbisch, hat sie Pech gehabt und die Gläu-
iger dürfen sich bei ihrer Hinterbliebenenrente bedie-
en.
Der Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehand-
ungsgebot in Art. 3 GG ist offensichtlich. Auch mit dem
euen Allgemeinen Gleichstellungsgesetz ist es kaum zu
ereinbaren, in der Zivilprozessordnung nach der sexu-
llen Orientierung zu unterscheiden. So sah es im Übri-
en auch das Justizministerium.
Und wie reagiert die SPD? Bereits bei der Diskussion
m die Beihilfe und das Personenstandsrecht und die
tandesamtzuständigkeiten hat sie gezeigt, dass ihr nicht
ehr viel an den Rechten von Lesben und Schwulen zu
iegen scheint. Es gibt also ein bisschen Streit in der Ko-
lition, am Ende knickt die SPD ein und verzichtet auf
ine Definition der geschützten Hinterbliebenen.
Damit drücken sich die Koaltionsfraktionen vor ihrer
erantwortung als Gesetzgeber und schieben die Be-
timmung der geschützten Hinterbliebenen an die Ge-
ichte ab. Jetzt muss jede und jeder Betroffene seine
echte einzeln bei Gericht durchsetzen.
Der Streit in der Koalition macht deutlich, dass die
nion mit ihrem veralteten Familienbild Schwule und
esben diskriminieren will.
Daher mein eindringlicher Appell an die Kolleginnen
nd Kollegen von der SPD: Lassen Sie es nicht zu, dass
ie Union ihre ideologische Verbohrtheit auf dem Rü-
ken der Hinterbliebenen austrägt! Denn es gibt keinen
achlichen Grund, Schwule und Lesben vom Pfändungs-
chutz auszuklammern!
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
undesministerin der Justiz: Wir wollen, dass Selbst-
tändige, die für ihre Altersvorsorge gearbeitet haben, im
lter nicht von Sozialleistungen abhängig sind – auch
ann nicht, wenn sie mit ihrem Unternehmen gescheitert
ind. Die weiteren Änderungen der Insolvenzordnung
us dem Regierungsentwurf sollen nach der Beschluss-
mpfehlung des Rechtsausschusses nicht weiter verfolgt
7364 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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werden. Das ist die richtige Entscheidung, weil wir so
ohne Zeitdruck ausloten können, ob wir etwas tun müs-
sen und wenn ja, was wir tun müssen, um bestimmten
öffentlich-rechtlichen Gläubigern zu helfen, ihre Aus-
fälle im Insolvenzverfahren zu minimieren. Der Kollege
Manzewski ist bereits initiativ geworden und hat mit
Fachleuten erste Gespräche geführt.
Der Pfändungsschutz der Altersvorsorge wird na-
hezu einhellig begrüßt. Dies gilt auch für die Änderun-
gen am Regierungsentwurf: etwa die Anhebung des ge-
schützten Kapitals von 194 000 auf 238 000 Euro und
die Einbeziehung anderer Versorgungsmöglichkeiten
neben der Lebensversicherung oder der privaten Ren-
tenversicherung. Für richtig halte ich die Entscheidung,
auch Hinterbliebene in den Pfändungsschutz einzube-
ziehen. Es wäre unzureichend, wenn man lediglich den
Schuldner selbst vor Pfändung schützt, nicht jedoch
seine Hinterbliebenen. Allerdings bedauere ich es, und
ich sage das ganz offen, dass im Gesetzestext kein ganz
klares Signal für die Einbeziehung der Lebenspartner in
den Schutzbereich zustande gekommen ist. Ich bin in-
sofern jedoch zuversichtlich: Die Rechtsprechung wird
den Hinterbliebenenbegriff zeitgemäß in diesem Sinne
ausfüllen.
Dieses Gesetz ist auch ein wirtschaftspolitisches Si-
gnal. Wir wollen Menschen Mut machen, den Schritt in
die Selbstständigkeit zu wagen. Dazu muss man ihnen
auch die Gewissheit geben, dass im Fall eines wirt-
schaftlichen Scheiterns nicht ihre gesamte Altersvor-
sorge durch Pfändung verloren geht und sie im Alter
nicht auf öffentliche Unterstützungsleistungen angewie-
sen sind.
Darüber hinaus wird das Gesetz einen weiteren An-
reiz dafür schaffen, die private Altersvorsorge auszu-
bauen. Dies ist nicht nur für Selbstständige von erhebli-
chem Gewicht, sondern hat als dritte Säule der
Alterssicherung auch für die Bezieher von gesetzlichen
Renten eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Der
neu eingeführte § 851 d ZPO, der einen Pfändungsschutz
bei steuerlich geförderten Altersvorsorgevermögen vor-
sieht, wird in der Auszahlungsphase somit die so ge-
nannte Riesterrente und die Rüruprente absichern.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf die
Kritik eingehen, der im Gesetzentwurf vorgesehene
Pfändungsschutz sei zu eng, da nicht alle Möglichkeiten
der Alterssicherung erfasst seien. Ich gestehe diese Kri-
tik gerne zu. Sicher war es wünschenswert, bereits in ei-
ner ersten Regelung den großen Wurf zu realisieren und
alle denkbaren Altersvorsorgeprodukte zu erfassen, etwa
auch die Immobilie. Allerdings habe ich Zweifel, ob wir
dann bereits heute die abschließende Lesung eines sol-
chen Vorhabens abschließen könnten. Insofern bin ich
dankbar, dass die Mehrheit im Rechtsausschuss der Auf-
fassung war, lieber in einem ersten Schritt die wichtigs-
ten Formen der Alterssicherung abzudecken, um dann in
Ruhe auszuloten, wie andere Anlageformen, also etwa
die Immobilie, abgesichert werden können.
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nlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Integriertes Küstenzonenmanagement
kontinuierlich fortentwickeln (Tagesordnungs-
punkt 16)
Dirk Becker (SPD): Mit der nationalen Strategie im
ahmen des Integrierten Küstenzonenmanagements,
elche von der Bundesregierung am 22. März 2006 be-
chlossen wurde, folgt die Bundesregierung einer Emp-
ehlung des Europäischen Parlamentes und Rates vom
0. Mai 2002.
Vorab darf ich der Bundesregierung, und hier im Be-
onderen dem federführenden Bundesumweltministerium,
ür die erarbeitete Bestandsanalyse sowie die angestellten
trategischen Überlegungen herzlich danken. Ich werde
uf diesen Bereich später noch kurz eingehen, möchte
ber bereits jetzt zusammenfassend feststellen, dass ich
hnen eine umfassende und gute Arbeit vonseiten der
PD-Fraktion attestieren darf.
Damit zum Integrierten Küstenzonenmanagement,
it dem wohl zunächst kaum ein Normalbürger etwas
nfangen kann. Zum besseren Verständnis möchte ich
aher zunächst die Ziele, die mit dem IKZM verfolgt
erden, verdeutlichen, da so das Buchstabenmonster
erständlicher wird.
Beim IKZM geht es um die Gesamtbetrachtung der
ielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Küstenbereiche
nd ihre ökologischen Belange. Im Mittelpunkt des
KZM steht jedoch der Mensch – und dies gleich dreifach.
So geht es um den Schutz menschlicher Lebensgrund-
agen und Lebensräume jeweils im Einklang mit der
eeresumwelt und um den Schutz des Menschen vor
ich selbst als Verursacher von Störungen im Gleichge-
icht der Küsten- und Meeresumwelt.
Vor diesem Hintergrund will das IKZM den Küsten-
ereich als ökologisch intakten und wirtschaftlich pros-
erierenden Lebensraum für den Menschen erhalten und
ntwickeln. Ich betone für meine Fraktion ausdrücklich
ie gewählte Reihenfolge: ökologisch intakt vor wirt-
chaftlich prosperierend.
Hierzu bietet das IKZM einen neuen, integrativen An-
atz, der alle gesellschaftlichen Bereiche mit ihren unter-
chiedlichen Interessen sowie den ökologischen Belangen
inbezieht.
Dementsprechend wurden vonseiten des Umweltmi-
isteriums die betroffenen kommunalen Gebietskörper-
chaften, Bundesländer sowie Verbände, Vereine und
ersonen im Rahmen der Aufstellung der Bestandsana-
yse und den strategischen Überlegungen beteiligt.
Im Ergebnis halten wir heute daher eine nationale
trategie in den Händen, die alle relevanten Bereiche,
ie für eine Diskussion über den Erhalt und die Entwick-
ung der Küsten von Bedeutung sind, berücksichtigt.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7365
(A) )
(B) )
Künftige politische Entscheidungen werden die auf-
gezeigten Herausforderungen und Konfliktbereiche im
gegenseitigen Ausgleich zu lösen haben. Ich möchte hier
nur drei Bereiche ansprechen: zum einen die unter-
schiedlichen Nutzerinteressen, wie beispielsweise die
wirtschaftlichen Interessen der Schifffahrt, der Fischerei,
der Energie- und Rohstoffgewinnung oder touristische
Nutzungen, auf der anderen Seite die Interessen des
Küstenschutzes, des Schutzes unseres Kulturerbes oder
ökologischer Belange.
Als zweiten Punkt möchte ich die gemeinsame Be-
drohung aller Nutzergruppen durch die Auswirkungen
des Klimawandels, wie die Übersäuerung der Meere und
den Anstieg der Meeresspiegel, hervorheben.
Als Drittes ist der Konfliktbereich des Wettbewerbs
der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich zu
nennen.
Insbesondere vor dem Hintergrund der beiden letzt-
genannten Punkte „Klimawandel“ und „internationaler
Wettbewerb“ wird deutlich, dass nationale IKZM-Strate-
gien zwar einen wichtigen Grundbaustein darstellen.
Entscheidend gerade für diese internationalen Heraus-
forderungen ist jedoch, aus den vielfältigen nationalen
Grundsteinen die Plattform für einen internationalen
Schutz der Küstenbereiche zu schaffen.
Die von der Bundesregierung vorgelegte IKZM-
Strategie ist ein guter nationaler Beitrag der Bundesrepu-
blik Deutschland und kann auch eine Vorbildfunktion für
andere Staaten entfalten.
Wir fordern mit dem gemeinsamen Antrag von CDU/
CSU- und SPD-Fraktion die Bundesregierung auf, nicht
nur die nationale Strategie kontinuierlich weiter zu entwi-
ckeln, sondern im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft
2007 die Zusammenführung eines europäischen IKZM-
Prozesses voranzutreiben und auf die Vorlage aller natio-
nalen IKZM-Berichte zu drängen.
Nur gemeinsam lassen sich die Bedrohungen der Küs-
ten, zum Beispiel durch die Folgen des Klimawandels,
meistern. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung
zu unserem Antrag.
Angelika Brunkhorst (FDP): Mit der EU-Ratsprä-
sidentschaft im nächsten Jahr steht die Bundesregierung
auch als Impulsgeber für die europäische Umweltpolitik
in der Verantwortung. Wenn auch das Programm der um-
weltpolitischen Schwerpunkte aus dem Bundesumwelt-
ministerium dem Bereich Meere und Küsten keinen ei-
genen Schwerpunkt widmet, so ist die europäische
Meerespolitik doch ein wichtiges Querschnittsthema.
Meerespolitik ist Klimapolitik, Energiepolitik, Wachs-
tumspolitik, Verkehrspolitik und Naturschutzpolitik.
Meere und Küste sind dabei nicht voneinander zu tren-
nen, sie beeinflussen sich nicht nur gegenseitig, sondern
sind direkt voneinander abhängig.
Die FDP sieht in einer nachhaltigen Nutzung der
Meere und Küsten, dem Schutz der Meeresumwelt und
der verantwortungsvollen Entwicklung der maritimen
Wirtschaft und des Lebens an der Küste eine besondere
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erausforderung, Aufgabe und Zukunftschance für
eutschland und Europa. Die Entwicklung einer einheit-
ichen Meerespolitik verlangt eine sektorübergreifende
oordination der betroffenen Bereiche. Nur ein integra-
iver Politikansatz kann die diversen Nutzungs- und
chutzinteressen zusammenführen und die Bedeutung
er Meere und Küsten hervorheben. Eine stärkere Ver-
nüpfung der verschiedenen maritimen Sektoren und
kteure dient dabei auch einer Verfahrens- und Pla-
ungsbeschleunigung.
Politisch eine Trennung zwischen Meer und Küste
orzunehmen entbehrt jeder Grundlage. Im Gegenteil
üssen wir weiterhin sogar noch die Wasser- und
rundwasserrahmenrichtlinie anschließen. Eine effek-
ive europäische Meerespolitik ist eine strategische
uerschnittsaufgabe der Europäischen Union, der Mit-
liedstaaten und der nationalen Regionen. Dabei geht es
nsbesondere um die passgenaue Umsetzung und das Zu-
ammenspiel der verschiedenen Schutzstandards wie
um Beispiel der FFH- und Vogelschutz-Richtlinie, der
asserrahmenrichtlinie oder auch der Fischerei- und
grarpolitik. Es ist notwendig, die Maßnahmen im Be-
eich der Meere und Küsten auf eine gemeinsame
rundlage zu stellen.
Wir können den Forderungen in diesem Antrag fol-
en, wenn auf europäischer Ebene von einer Verbindung
der Verzahnung des integrierten Küstenzonenmanage-
ents und der EU-Meerespolitik zu einer gemeinsamen
eeresschutzstrategie die Rede ist. Dabei könnten die
orderungen allerdings noch deutlicher formuliert sein.
Die Entwicklung einer Meeresschutzstrategie soll auf
iner umfassenden Bestandsaufnahme der wirtschaftli-
hen, sozialen und ökologischen Situation beruhen. Des-
leichen sind die rechtlichen, politischen und adminis-
rativen Strukturen in Europa zu berücksichtigen. Die
trategie des IKZM könnte als Bestandteil der europäi-
chen Meerespolitik ein Baustein dieser Bestandsauf-
ahme in den Küstenräumen darstellen.
Die Strategie des Integrierten Küstenzonenmanage-
ents setzt auf eine gute Zusammenarbeit der betroffe-
en Sektoren. Eine solche Vernetzung muss dann auch
ür die verschiedenen politischen Prozesse und Zuständi-
en selbst gelten.
Die FDP begrüßt die aktuellen Anstrengungen der EU
nd der Bundesregierung zum Schutz der Meere und
üsten. Deutschland profitiert als Küstenland von einer
esunden Meeresumwelt. Meere und Küstenregionen
esitzen ein beträchtliches Potenzial für wirtschaftliches
achstum.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Leider haben auch die
usschussberatungen meine schon in der ersten Lesung
eäußerten Bedenken bestätigt, dass es diesem Antrag
n Substanz fehlt. Ich honoriere zwar ihre gute Absicht,
as Integrierte Küstenzonenmanagement weiter voran-
utreiben. In diesem Punkt sind wir uns wohl alle einig.
s handelt sich hierbei um einen guten Ansatz, der ent-
prechend weiter verfolgt, aber vor allem umgesetzt
erden muss.
7366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
(A) )
(B) )
Gerade dies werden Sie mit ihrem Antrag aber nicht
erreichen; insbesondere, weil Sie die Freiwilligkeit des
Ansatzes so hervorheben. Wenn alles nur auf freiwilliger
Basis laufen soll, ja, wie wollen Sie denn da Erfolge
erreichen? Da müsste der Ansatz ja extrem überzeugend
sein, dass sich alle Beteiligten darauf einlassen. Das Pro-
blem ist aber doch – und da beißt sich die Katze in den
Schwanz –, dass die vom BMU angekündigte Informa-
tionsoffensive weiter auf sich warten lässt. Wenn niemand
IKZM kennt, dann wird das aber doch wohl auch keiner
freiwillig machen.
Immerhin will das BMU ja jetzt eine zentrale Anlauf-
stelle einrichten. Das aber kann doch nur ein erster
Schritt sein, dem noch viele weitere folgen mögen. Denn
die nationale IKZM-Strategie ist ja vor allem eine
– durchaus gelungene – Bestandsaufnahme. Eine echte
Strategie aber im Sinne von Lösungsansätzen ist sie
höchstens in Ansätzen. Dass trifft im Übrigen auch auf
die IKZM-Strategie des Landes Schleswig-Holstein zu,
die das Thema zwar theoretisch gut abhandelt, aber
keine praktischen Handlungsvorschläge enthält. Vor
diesem Hintergrund bringt Ihr Antrag das Integrierte
Küstenzonenmanagement nicht weiter. Sie nennen keine
konkreten Schritte, alles bleibt im Vagen.
Ich habe schon in der ersten Lesung darauf hingewie-
sen, dass wir vor allem Lösungen für die vielen Konflikte
im Naturschutz finden müssen. Wir müssen endlich damit
aufhören, die Natur immer und immer wieder wirtschaftli-
chen Interessen zu opfern. Notwendig ist vor allem – und
ich freue mich, dass das auch die SPD so sieht, auch
wenn es im Antrag leider gerade nicht so formuliert ist –,
dass die Ökologie insbesondere in Bezug auf den Küs-
tenschutz Vorrang vor der wirtschaftlichen Entwicklung
hat. Abgesehen davon, dass Sie die sozialen Aspekte in
Ihrem Antrag leider völlig ausgeblendet haben, besteht
hierbei doch kein Widerspruch zwischen Ökonomie und
Ökologie. Es ist doch wohl unstrittig, dass die Küsten
der sensibelste Raum Deutschlands sind, insbesondere
wenn wir den Klimawandel und einen möglichen Meeres-
spiegelanstieg um einen Meter bis zum Ende dieses Jahr-
hunderts berücksichtigen. Hier ist nicht einfach die
Natur bedroht, hier sind konkret die Lebensräume vieler
Menschen und damit auch die Wirtschaft akut bedroht.
Deshalb halte ich es für unverantwortlich, dass die
Regierenden im Bund und in den Küstenländern weiter
so tun, als würde alles beim Alten bleiben. Da sich die
Länder untereinander nicht einig werden, sollen Elbe
und Weser vertieft werden, damit Hamburg und Bremer-
haven in der wirtschaftlich ungesunden Hafenkonkurrenz
weiter bestehen können. Davon, dass der Jade-Weser-
Port ursprünglich dafür gedacht war, dass es eben keine
weiteren Vertiefungen mehr geben muss, davon redet
heute kaum noch jemand. So haben wir dann bald drei
Tiefwasserhäfen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen
können; mit mehr als 7 Milliarden Euro Folgekosten, die
für die Hinterlandanbindungen der drei Häfen – natür-
lich vom Bund – ausgegeben werden sollen, und einem
extrem steigenden Hochwasserrisiko für Hamburg und
Bremen. Denn je tiefer die Flüsse, desto schneller fließt
das Wasser nicht nur ab, sondern desto schneller, leichter
und höher vom Meer in die Flüsse hinein. Ich möchte
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ir nicht ausmalen, was Sturmfluten bei einem um einen
eter höheren Meeresspiegel in Hamburg und Bremen
nrichten werden. Deshalb halte ich die weitere Vertie-
ung von Elbe und Weser für unverantwortlich – und für
nnötig, wenn wir den Jade-Weser-Port entsprechend
usbauen.
Auch Deutschland muss sich endlich den Herausfor-
erungen des Klimawandels stellen, der nun einmal
icht mehr abgewendet, sondern nur noch abgemildert
erden kann. Wenn ich an die Inseln und besonders an die
alligen denke, sollte die Politik langsam anfangen, den
enschen zu sagen, wie diese Lebensräume bei einem
nstieg des Meeresspiegels um einen Meter geschützt
erden können. Gerade als Abgeordneter des Landes
it den längsten Küsten Deutschlands und außerdem
ersönlich Betroffener, ich wohne selber nur ein paar
ilometer von der Ostsee entfernt, appelliere ich an Sie,
lles gegen den Klimawandel zu unternehmen und die
enschen an den Küsten nicht allein zu lassen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Erst einmal möchte ich ausdrücklich hervorhe-
en, dass die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen die
nitiative von CDU/CSU und SPD für ein Integriertes
üstenzonenmanagement unterstützt. Der Ansatz ist
ichtig. Das haben wir auch in unserem rot-grünen An-
rag zur Fischereipolitik im Jahr 2005 zum Ausdruck ge-
racht.
Kern des Integrierten Küstenzonenmanagements ist
ie Integration der wirtschaftlichen und ökologischen
ntwicklung im Küstenraum. Sie nehmen in Ihrem An-
rag Bezug auf die Lissabonstrategie. Ich möchte aber
avor warnen, die Lissabonstrategie auf ihre wirtschaft-
iche Dimension zu reduzieren. Es geht darum, sämtliche
nteressen in Übereinstimmung zu bringen: Naturschutz,
üsten- und Meeresschutz. So können wir wirtschaftlich
gile und lebenswerte Küstenräume schaffen bzw. erhal-
en. Wenn man sich beispielsweise die Tourismusbran-
he anschaut, dann wird deutlich, dass das eine das an-
ere bedingt. Ohne intakte Natur funktioniert der
ourismus an der Küste nicht. Die Touristen werden ein-
ach wegbleiben. Naturschutz ist kein Luxus, sondern
in harter Faktor wie auch die Förderung der wirtschaft-
ichen Entwicklung. Das eine ist ohne das andere nicht
u haben.
Beim IKZM geht es vor allem darum, die Interessen-
ruppen an einen Tisch zu bringen, um Probleme in ei-
er frühen Phase zu erkennen und Konflikte zu lösen,
evor sich die Fronten verhärten. Ansonsten wird man
icht erfassen können, welche Bedeutung das IKZM für
ie Küstenregionen entfalten kann.
Das IKZM soll kein neues Planungsinstrument sein,
o Ihr Antrag. Grundsätzlich sehen wir das auch so. Es
ibt bereits hinreichend viele Planungsprozesse wie zum
eispiel die Raumordnung. Allerdings wollen wir Bünd-
isgrüne schon, dass der Ansatz des IKZM formalisiert
n diese Planungsprozesse integriert wird. Es ist etwas
nderes, ob eine Behörde von allen Interessengruppen
tellungnahmen einholt und diese dann im stillen Käm-
erlein auswertet, oder ob sie verpflichtet ist, alle Inte-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7367
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ressengruppen zusammenzubringen, um offen über die
Planungsvorhaben zu reden und gemeinsam Lösungen
und Alternativen zu entwickeln.
Das IKZM muss breit angelegt sein. Es müssen alle
Wirtschaftsbranchen, Planungsaufgaben und Schutzinte-
ressen im Küstenraum einbezogen werden. Wir begrü-
ßen daher das nationale Strategiepapier zum IKZM, den
das BMU im Auftrag der Bundesregierung vorgelegt
hat. Der Bericht wird der Anforderung gerecht, ökologi-
sche und ökonomische Entwicklung gemeinsam zu be-
trachten.
Wir begrüßen auch, dass sich die große Koalition in
den ersten beiden Teilen ihres Antrages positiv zum
IKZM-Prozess äußert. Es reicht jedoch nicht, dass Sie
die Regierung bei der Fortsetzung des IKZM-Prozesses
unterstützen wollen. Der Bundestag muss die Regierung
damit beauftragen, den IKZM-Prozess tatsächlich fort-
zusetzen. Da die EU die Fortsetzung nur empfohlen hat,
aber nicht vorschreibt, sind eine klare Positionierung
und ein klarer Arbeitsauftrag des Bundestages an die Re-
gierung geboten.
Ohne diesen Handlungsauftrag bleibt Ihr Antrag an
der entscheidenden Stelle wirkungslos. Was machen Sie
denn, wenn die Bundesregierung entscheiden sollte, den
IKZM-Prozess abzubrechen? Ihr Antrag hindert die Re-
gierung jedenfalls nicht daran. Enttäuschend ist außer-
dem, dass der Forderungsteil Ihres Antrags nicht hält,
was die anfänglichen Ausführungen versprechen. Sie be-
harren auf der Freiwilligkeit des IKZM-Verfahrens. Sie
wollen nicht, dass die EU ihre Mitgliedstaaten verpflich-
tet, IKZM-Prozesse anzustoßen und durchzuführen. Sie
setzen auf Freiwilligkeit und Entbürokratisierung, wo
Verbindlichkeit und Überprüfbarkeit angebracht wären.
Wenn Sie Ihre Ausführungen über die Bedeutung des
IKZM in den ersten Abschnitten Ihres Antrags ernst
meinen, dann kann der IKZM-Prozess in den einzelnen
Mitgliedstaaten der EU nicht freiwillig organisiert sein.
Wir brauchen verpflichtende und überprüfbare Regelun-
gen auf EU-Ebene. Alles andere ist unglaubwürdig.
Jetzt wäre der Zeitpunkt, die Initiative für ein EU-
weites Integriertes Küstenzonenmanagement zu ergrei-
fen. Die Europäische Kommission hat im vergangenen
Juni das Grünbuch zur Meerespolitik vorgelegt. Regie-
rungen, Nichtregierungsorganisationen, Verbände und
Private sind eingeladen, sich in den Konsultationspro-
zess einzubringen. Mit einem ambitionierteren Vor-
schlag hätten Sie eine Vorreiterrolle für ein IKZM in der
Europäischen Union einnehmen können. So wachs-
weich, wie der Forderungsteil in Ihrem Antrag formu-
liert ist, haben Sie diese Gelegenheit verstreichen lassen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Guter Plan, aber
am Ende hat Sie der Mut verlassen, ein verbindliches
und durchsetzbares Integriertes Küstenzonenmanage-
ment zu fordern. Über einen Appell geht Ihr Antrag
nicht hinaus. Weil der Antrag mutlos und unverbindlich
ist, bleiben wir bei unserem Votum und werden uns ent-
halten. Ich hätte mir etwas mehr Mut gewünscht, die
Bundesregierung in die Pflicht zu nehmen. Sollten Sie
dazu einen neuen Anlauf machen wollen, haben Sie un-
sere Fraktion an Ihrer Seite.
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Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Den kostenfreien
Empfang von Rundfunk via Satellit sicherstel-
len (Tagesordnungspunkt 17)
Dorothee Bär (CDU/CSU): Ich denke Sie stimmen
ir zu, Ihr Antrag hat sich spätestens letzte Woche erle-
igt. Letzte Woche gab das Bundeskartellamt bekannt,
ass ProSiebenSat.1 seine Pläne aufgibt, digitales Fern-
ehen durch SES ASTRA zu verschlüsseln.
Sie schreiben selbst in ihrem Antrag, dass die Ver-
räge zwischen den Programmveranstaltern und den Sa-
ellitenbetreibern geprüft werden. Das ist nun geschehen,
as Kartellamt hat eine verbotene Kartellabsprache gese-
en, ProSiebenSat.1 hat seine Pläne aufgegeben. Der
ettbewerb um Endgeräte ist damit weiterhin gesichert.
Die Gefahr einer Markt- und Meinungskonzentration
wie Sie es nennen – ist nicht mehr gegeben, dafür leis-
et unser Kartellamt zu gute Arbeit. Schon in Ihrer Be-
ründung für den Punkt vier Ihres Antrages zur Markt-
onzentration lässt sich dabei ablesen, dass Sie auch
iesen Antrag lediglich mit Ihrer Ideologie aufgebläht
aben. Ich zitiere: „Die Entscheidung über Vielfalt liegt
n der Hand dieser mächtigen Anbieter.“ Noch dramati-
cher hätte man es nicht formulieren können, um einem
ntrag das Gewicht zu geben, das ihm inhaltlich fehlt.
Sie beschwören die Gefahr herauf, dass ein einziger
nbieter den Zugang dominiert. Diese Annahme hat
ich mit letzter Woche nicht bestätigt.
Interessant finde ich aber die Tatsache, dass Sie offen-
ichtlich eine Informationsgesellschaft für alle – wie Sie
s nennen – einzig über das Fernsehen definieren. Sie
chreiben in Ihrem Antrag:
Teile der Bevölkerung, die weniger zahlungskräftig
sind, werden sich die verschlüsselten Vollpro-
gramme finanziell nicht leisten können. Die Folge
wäre eine Spaltung der Zuschauer in diejenigen mit
einem breiten Zugang zu Informationen und die an-
deren mit verringertem Zugang zu Informationen.
Sie gehen also davon aus, dass unsere Bürger ihre In-
ormationen einzig aus dem Fernsehen beziehen.
Das ist für mich nicht nur eine dreiste Unterstellung
nseren Bürgern gegenüber, sondern auch eine Herab-
ürdigung der Arbeit aller Medienschaffenden außer-
alb des Fernsehens. Das Radio wird – was ich sehr be-
auere – ohnehin von den meisten – Kollegen – viel zu
enig wahrgenommen. Dass Sie aber mit diesem Antrag
uch die Printmedien und das Internet völlig außen vor
assen, ist für mich unbegreiflich.
Legen wir diesen Antrag und vor allem die darin ent-
altenen Unterstellungen ad acta.
Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Der Wettbewerb in
eutschland funktioniert und mit ihm auch die Wettbe-
erbsaufsicht durch das Kartellamt. Das haben die Er-
ignisse der letzten Woche deutlich gezeigt. Deshalb
7368 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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können wir die Bedenken in Ihrem Antrag nicht teilen,
dass in der Zukunft riesige Medienkonzerne die Qualität
des deutschen Fernsehens einschränken und sogar die
Meinungsvielfalt in Gefahr ist.
Da sind Sie wieder einmal über das Ziel hinausge-
schossen! Ein Beispiel: Gerade die USA weisen eine
vorbildliche und erstaunliche Meinungsvielfalt auf, ob-
wohl dort ganz andere Strukturen des Fernsehens vor-
herrschen und sehr viel verschlüsselt ausgestrahlt wird.
Wir sollten also nicht immer den Untergang des Abend-
landes heraufbeschwören, wenn neue technische – und
um nichts anderes handelt es sich zunächst – Instrumente
wie die Grundverschlüsselung von Fernsehprogrammen
eingeführt werden sollen. Die Grundverschlüsselung
von Signalen bedeutet nämlich gerade nicht, dass alle
diese Angebote zu Pay-TV werden. In Österreich bei-
spielsweise, das den öffentlich-rechtlichen ORF ver-
schlüsselt, ist dies auch nicht passiert!
Der Rückzug der Sendergruppe ProSiebenSat.1 von
seiner ursprünglichen Absicht, digitales verschlüsseltes
Fernsehen einzuführen, zeigt uns vielmehr, wie gut in
Deutschland Markt und Marktaufsicht funktionieren:
Das Bundeskartellamt hatte den Verdacht, dass es Kar-
tellabsprachen zwischen den Sendergruppen ProSieben-
Sat.1 und RTL gegeben hat und eine Abmahnung des
Geschäftsmodells „Grundverschlüsselung“ angedroht.
Daraufhin hat sich ProSiebenSat.1 am 5. Dezember 2006
aus diesem Geschäftsmodell zurückgezogen. Das ist ein
normaler Vorgang in einer gut funktionierenden Markt-
wirtschaft und muss vonseiten der Politik gar nicht kom-
mentiert werden.
Wer sagt denn, dass die Verbraucher überhaupt bereit
sein werden, Geld für verschlüsselte Programme zu zah-
len? Vielleicht verspekulieren sich ja die Sender und das
ganze Modell der gebührenpflichtigen Entschlüsselung
digital ausgestrahlter Programme rechnet sich gar nicht.
Nach den Erfahrungen der letzten Jahre in Deutsch-
land mit Pay-TV kann man zumindest ein bisschen skep-
tisch sein, ob deutsche Zuschauer zusätzliches Geld für
den Empfang von Fernsehprogrammen ausgeben wol-
len. Der deutsche Fernsehmarkt funktioniert nämlich an-
ders als in den USA oder Großbritannien. Das mag daran
liegen, dass der deutsche Fernsehzuschauer ein Stück
weit durch das vergleichsweise hohe Niveau der privaten
Fernsehanbieter verwöhnt ist. Wer das Privatfernsehen
in anderen Ländern kennt, weiß, wovon hier die Rede
ist.
Bei einem einzigen Punkt müssen wir jedoch aufpas-
sen: Es muss für den Zuschauer ein diskriminierungs-
freier Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Programmen
sichergestellt sein, da diese durch Gebühren finanziert
werden. Eine zusätzliche Freischaltgebühr wäre hier
höchst problematisch.
Wenn der freie Zugang zu den öffentlich-rechtlichen
Programmen jedoch gewährleistet ist, dann steht es je-
dem frei, seinen Lieblingsspartenkanal zu abbonieren.
Dass er sich hierfür registrieren lassen muss, ist völlig
normal. Das passiert bei jedem Zeitungsabonnement.
Hier gleich wieder den gläsernen Kunden an die Wand
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u malen, wie dies in Ihrem Antrag geschieht, ist deshalb
berzogen.
Ein Fazit möchte ich aus unserer Sicht dazu ziehen:
eder Rundfunkveranstalter muss es selbst in der Hand
aben, ob er sich verschlüsseln lassen will oder nicht.
as Kartellamt hat hier jedoch die Aufgabe, Transparenz
ei den Gebühren und den technischen Zugangsmöglich-
eiten herzustellen. Das funktioniert, wie der Rückzug
on ProSiebenSat.1 gezeigt hat. Deshalb ist Ihr Antrag
berflüssig. Und deshalb lehnen wir ihn ab.
Christoph Pries (SPD): Dem Rundfunk kommt
icht nur als Mittel der Unterhaltung und Bildung, son-
ern auch im Hinblick auf eine potenzielle Meinungsbe-
influssung große Relevanz zu. Auf Grundlage der Er-
ahrungen aus dem Dritten Reich, das auch eine
ommunikationsdiktatur war, hat der Gesetzgeber bei
er Konzeption der Mediengesetzgebung daher insbe-
ondere dem Rundfunk eine besondere Bedeutung zuge-
iesen.
Das duale System, das sich auf dieser Grundlage in
eutschland etabliert hat, ist ein Erfolgsmodell. Umso
ichtiger ist es daher, dieses System unter den sich än-
ernden Bedingungen einer digitalisierten Welt zu be-
ahren. Die Medienwelt und damit einhergehend auch
ie zugrunde liegenden Rechtsnormen befinden sich der-
eit in einem tief greifenden Wandel. Dieser Wandel
ollzieht sich mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Das Tempo ist so groß, dass Anträge die sich mit der
hematik befassen, teilweise bereits bei ihrer ersten Le-
ung im Bundestag irrelevant geworden sind. Auch bei
em heute zur Debatte stehenden Antrag von Bünd-
is 90/Die Grünen wurde das parlamentarische Proce-
ere durch die Entwicklung in der Realität überholt.
icht nur, dass viele der Forderungen der Antragsteller
n die Zuständigkeit der Länder fallen, diese Thematik
omit auch in die Länderparlamente gehört. Auch die
rimäre Stoßrichtung der Initiatoren, nämlich die kos-
enfreie Rundfunknutzung via Satellit sicherzustellen, ist
urch die Entscheidung des Bundeskartellamtes vom
. Dezember 2006 hinfällig geworden.
Wie Sie wissen, hat das Bundeskartellamt die hier zur
iskussion stehende Satellitengebühr vergangene Wo-
he untersagt. Als Begründung wurde angeführt, dass
ine verbotene Kartellabsprache zu vermuten sei und
ass beide Senderfamilien sich über die Verschlüsselung
hrer Satellitenprogramme eine zusätzliche Erlösquelle
m Wettbewerb vorbei erschlossen hätten. ProSieben-
at.1 hat mittlerweile den Rückzug von den ursprüngli-
hen Plänen verkündet. RTL wird vermutlich bald fol-
en; denn das alleinige Festhalten an den Plänen würde
it deutlichen Werbeeinbrüchen einhergehen. Auch
enn damit die Etablierung einer weiteren Pay-TV-
lattform in Deutschland vorerst gescheitert ist, so
laube ich, dass dies nicht der letzte Versuch war, zu-
ätzliche Formen des Bezahlfernsehens in Deutschland
u etablieren.
Fakt ist, dass sich die so genannten Free-to-Air-Pro-
ramme im digitalen Zeitalter immer schwerer finanzie-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7369
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ren lassen, die klassische Spot-Werbung für die Rund-
funkanbieter mehr oder weniger ausgereizt ist. Die
Sender können und dürfen momentan nicht mehr Wer-
bung zeigen. Gleichzeitig zersplittert der Rundfunk-
markt und damit der „Werbekuchen“ immer stärker.
Wir müssen daher zur Kenntnis nehmen, dass Rund-
funkanbieter auf Basis der bisherigen Finanzierung in
Form von Gebühren und Werbeeinnahmen sich nur
schwerlich neue Märkte werden erschließen können.
Das Anbieten neuer Inhalte gegen Bezahlung ist daher
für die Anbieter – und möglicherweise auch für die Kun-
den – eine interessante Option. Grundsätzlich ist auch
nichts dagegen einzuwenden, solange dabei nicht tele-
kommunikations- und kartellrechtliche Anforderungen
auf der Strecke bleiben.
Der zu beobachtende Trend hin zum Bezahlfernsehen
charakterisiert die privaten Programme zudem als das,
was sie sind: nicht nur Medienunternehmen, sondern an
der Börse notierte, global aufgestellte Wirtschaftsunter-
nehmen. Genau aus diesem Grund brauchen wir aber
auch weiterhin eine vorrangig über Gebühren finanzierte
und somit von kommerziellen Einflüssen weitgehend
unabhängige Sendervielfalt. Nur so ist gewährleistet,
dass in einer sich zunehmend kommerzialisierenden
Welt zu erkennen bleibt, wer Sprachrohr finanzieller In-
teressen ist und wer nicht. Verschlüsselung – so sie denn
kommt – sollte daher auch nur einen Teil des Rundfunk-
spektrums abdecken und dieses nicht komplett beherr-
schen.
Ich denke, nach der Entscheidung des Kartellamtes
haben die Mitglieder der mehr als 16 Millionen poten-
ziell betroffenen Satellitenhaushalte tief aufgeatmet.
Hätten diese doch plötzlich festgestellt, dass ihre bisheri-
gen Empfangsgeräte nur noch Elektroschrott sind. Sie
wären gezwungen gewesen, sich neue Decoder zu kau-
fen, egal ob sie Pay-TV oder Free-TV nutzen.
Sicherlich ist es nicht verwerflich, wenn Rundfunk-
sender Bedürfnisse befriedigen wollen, von denen die
Zuschauer noch gar nicht wissen, dass diese Bedürfnisse
bei ihnen existieren. Solange der Zuschauer selbst ent-
scheiden kann, wofür er zahlt, und solange er auch einen
entsprechenden Gegenwert bekommt, spricht nichts ge-
gen diese Form von Mehrwertschaffung.
Abzulehnen ist dies jedoch aus meiner Sicht, wenn
die Etablierung eines solchen Systems die Nutzer unter
Zugzwang setzt. Wenn sich der Mehrwert nicht er-
schließt, wenn die Gefahr besteht, dass öffentlich-recht-
liche Anbieter diskriminiert werden und wenn – wie in
diesem Fall – die Gefahr von kartellrechtlich relevanten
Absprachen besteht. Nicht zu vergessen: Der Verlust an
Freiheit, da sich zukünftig den Betreibern mein Fernseh-
verhalten im Detail erschließt.
Noch ein anderer Aspekt ist wichtig: Wir müssen auf-
passen, dass sich beim Fernsehen die digitale Spaltung,
die wir bei der Internetversorgung schon seit langem an-
prangern, nicht wiederholt. Diese Gefahr ist gegeben,
wenn die Kosten der Systemumstellung zu hoch sind
und wenn bei der Verschlüsselung von digitalen Ange-
boten kein offener Gerätestandard gewährleistet ist, der
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uch anderen Vermarktungsplattformen – und damit
onkurrenten – den Zugang zu den Haushalten ermög-
icht. Ich bin nicht traurig darüber, dass die Pläne von
roSiebenSat.1 und vermutlich auch RTL durch das
eto des Kartellamtes zunächst auf Eis gelegt wurden.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die Sender
ich durch eine Systemumstellung langfristige Vorteile
ichern und neue Geschäftsfelder erschließen wollen.
enn aber die Zuschauer die Umstellung von Free-TV
uf Pay-TV, von der sich in erster Linie die Anbieter ei-
en Zugewinn versprechen, langfristig finanzieren sol-
en, ohne einen konkreten Mehrwert dadurch zu erhal-
en, sind Bedenken angebracht.
Ich glaube, dass die jetzt gescheiterten Pläne von SES
stra, RTL und ProSiebenSat.1 den Grundstock für den
ufbau einer flächendeckenden Infrastruktur für Pay-
V darstellen.
Die TV-Unternehmen haben ein großes Interesse da-
an, dass Bezahlfernsehen Normalfernsehen wird und
erden in absehbarer Zeit sicherlich neue Wege be-
chreiten, dieses Ziel zu erreichen.
Jörg Tauss (SPD): Wir beraten heute in erster Le-
ung den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/
ie Grünen „Den kostenfreien Empfang von Rundfunk
ia Satellit sicherstellen“. Auch wenn sich die Dringlich-
eit eines solchen Antrages zum Glück ein Stück weit
rledigt hat, so begrüße ich das Anliegen des Antrages
m Grundsatz. Dies um so mehr, weil es bei den Vorha-
en hinsichtlich der Einführung einer Digitalpauschale
icht nur um ein angeblich neues Geschäftsmodell der
nfrastrukturanbieter und der privaten Fernsehanbieter
andelt, sondern letztlich um eine grundsätzliche Frage
m Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem und pri-
aten Rundfunk.
Die Fernsehsendergruppen ProSiebenSat.1 und RTL
lanten gemeinsam mit dem Satellitenbetreiber SES AS-
RA über die digitale Satellitenvertriebsplattform Enta-
io die bisher frei empfangbaren Fernsehprogramme
eider Senderprogrammen nunmehr digital und ver-
chlüsselt anzubieten. Damit sollte eine zukunftsfähige
ösung für das digitale Fernsehen entstehen. Eine solche
ukunftsfähige Lösung sei aber natürlich auch mit
rheblichen Kosten verbunden, wofür die so genannte
igitalpauschale eingeführt werden müsste. Der TV-Zu-
chauer hätte daher das digitale Angebot nur dann nutzen
önnen, wenn er über ein entsprechendes digitales Satel-
itenempfangsgerät verfügt und eine monatliche Grund-
ebühr zur Entschlüsselung – eben die so genannte Digi-
alpauschale – hierfür entrichtet. Im Gespräch waren
ierfür 3,50 Euro. Mit dem technischen Vorgang der Ent-
chlüsselung ginge die Möglichkeit der spezifischen
dressierbarkeit des Endkunden einher, dessen Nut-
ungsverhalten jederzeit analysiert, registriert und zu
ermarktungszwecken verwendet werden könnte – aus
atenschutzrechtlicher wie auch aus verbraucherschutz-
echtlicher Sicht hätten hier noch zahlreiche Fragen be-
ntwortet werden müssen.
7370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
(A) )
(B) )
Unklar war zunächst, ob und in welcher Höhe die
Programmveranstalter an der monatlichen Zugangsge-
bühr beteiligt werden. Presseberichten war jedoch zu
entnehmen, dass die Programmveranstalter an den Ein-
nahmen teilhaben sollen.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fordert
mit ihrem Antrag die Bundesregierung auf, das Entste-
hen des gläsernen Kunden zu verhindern, indem im Falle
einer Grundverschlüsselung Regelungen zur Sicherung
des Datenschutzes getroffen werden, die den Missbrauch
verhindern; einen offenen Standard der Entavio-Platt-
form sicherzustellen, der verhindert, dass ein einziger In-
frastrukturanbieter über den Zugang dominiert; sich ge-
genüber den Bundesländern dahin gehend einzusetzen,
dass Regelungen getroffen werden, die den freien Emp-
fang von Vollprogrammen des Rundfunks garantieren,
und auch zukünftig die Kommunikationsfreiheit der
Bürgerinnen und Bürger geschützt und der Zugang zu
Sendern und Signalen gewährleistet bleiben, und dass
klare Regelungen formuliert werden, die sicherstellen,
dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme von
einer Gebühr für die Satellitenübertragung ausgespart
bleiben. Zugleich setzt sich die Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen dafür ein, dass der Rundfunkempfang
über die dritte Infrastruktur – nämlich über DVB-T – un-
verschlüsselt bestehen bleibt und dass geprüft werden
müsse, ob sich aus dem Zusammengehen von Inhaltean-
bietern und Infrastrukturanbietern neue Bewertungsnot-
wendigkeiten in Bezug auf die Marktmacht und die Mei-
nungsvielfalt ergeben könnten.
Das Bundeskartellamt hatte nach Bekanntwerden des
Vorhabens ein Verfahren zur Missbrauchskontrolle ein-
geleitet, um – aufgrund der starken Marktstellung der
Satellitenbetreiber wie auch der privaten Fernsehsender,
das heißt der mit der Verschlüsselung verbundenen Vor-
gabe proprietärer Verschlüsselungstechniken und der
daraus folgenden Abhängigkeit der Endgerätehersteller
sowie der Chancennachteile anderer Mitbewerber – zu
überprüfen, ob und inwieweit die neuen Plattformen den
Tatbestand des Missbrauches einer marktbeherrschenden
Stellung erfüllen. Am 6. Dezember 2006 hat das Bun-
deskartellamt das Ergebnis dieser Prüfung bekannt gege-
ben und die geplante Satellitengebühr mit der Begrün-
dung untersagt, dass eine verbotene Kartellabsprache zur
Begünstigung dieses Geschäftsmodells möglich sei.
Diese Entscheidung des Bundeskartellamtes ist richtig
und wichtig und wird seitens der SPD-Bundestagsfrak-
tion ausdrücklich begrüßt.
Unabhängig von den Forderungen des Antrages, die
aufgrund der Entscheidung des Bundeskartellamtes und
der von ProSiebenSat.1 angekündigten Aufgabe der Ver-
schlüsselungspläne zu einem großen Teil hinfällig ge-
worden sind, wird in den Beratungen des Ausschusses
für Kultur und Medien und des Unterausschusses „Neue
Medien“ zu prüfen sein, ob – seitens der Länder im
Rundfunkstaatsvertrag oder auch seitens des Bundes –
darüber hinaus gesetzgeberisches Handeln notwendig
ist, um auch in Zukunft innerhalb des verfassungsrecht-
lich gebotenen Rahmens die Vielfalt und die freie Emp-
fangbarkeit des Fernsehen bzw. auch Rundfunks – auch
in digitaler Form zu sichern. Die starke Marktstellung
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er Beteiligten hätte bei dem besagten Vorhaben den
erbrauchern jedenfalls kaum eine Chance gelassen,
ich gegen das geplante Vorhaben zu wehren. Schon aus
iesem Grund muss daher ein Missbrauch im Interesse
ller Zuschauer verhindert werden. Darüber hinaus stellt
ich die grundsätzliche Frage nach der Balance der dua-
en Rundfunkordnung, wenn die Verschlüsselung der
rivaten Programme auf allen Übertragungswegen und
egen Gebührt durchgesetzt werden solle. Diese Frage
ird sich vermutlich in gar nicht langer Zeit erneut stel-
en, sei es bei der Übertragung über Kabel, Satellit oder
uch über das Internet, hier gilt es entsprechende Ant-
orten seitens des Gesetzgebers zu finden.
Christoph Waitz (FDP): Ich erinnere mich an eine
er ersten Werbungen zur Einführung des Kabelfernse-
ens in Deutschland. Mitte der 80er-Jahre saß ein älterer
err auf einer Bank und erzählte, was er am Abend zuvor
m Kabelfernsehen gesehen hatte. Dies war nicht nur der
tartschuss des Kabelfernsehens; durch die Vielzahl der
mpfangbaren Programme war dies auch der Durch-
ruch für das private Fernsehen. Allen, die damals über
abelfernsehen verfügen wollten, war klar: Für diese
eistung muss man eine Gebühr zahlen. Und so ist es bis
eute geblieben. Kabelfernsehen ist nicht kostenlos
mpfangbar.
Heute diskutieren wir über die Verschlüsselung von
rogrammen, die in digitalisierter Form über Satelliten
mpfangbar sind. Und wir diskutieren heute über die
rage, ob man für den Empfang satellitengestützter Pro-
ramme eine Gebühr fordern darf, sei es für den Ersatz
on Infrastrukturkosten oder als Gegenleistung für die
ereitstellung von Programminhalten durch private
undfunkanbieter.
Ich weiß, wie emotional diese Diskussion unter ande-
em in den Medien geführt worden ist. Man konnte gar
en Eindruck gewinnen, die beabsichtigten Pläne zur
inführung einer Satellitengebühr brächten das Abend-
and an den Rand des Zusammenbruchs. Und es wurde
er Eindruck vermittelt, hier versuche jemand, sich zu
nrecht zu bereichern. Darum will ich an dieser Stelle
ines klarstellen: Ich kann nicht nachvollziehen, mit
elchem Recht Satellitenbetreiber angeprangert werden,
enn sie planen, nur das einzuführen, was in der Kabel-
ndustrie schon seit Jahrzehnten gang und gäbe ist.
Wir Liberale haben schon immer betont: Es ist aus
nserer Sicht nur natürlich, dass man für Dienstleistun-
en oder Waren ein Entgelt zu zahlen hat. Dies gilt für
nfrastrukturelle Dienstleistungen, zu denen das Kabel-
ernsehen, aber auch ein Internet- oder Telefonanschluss
ehören, und dies gilt auch für Programminhalte, die uns
äglich angeboten werden. Im öffentlich-rechtlichen
ernsehen zahlen wir alle für diese Leistung durch Ent-
ichtung der gerätebezogenen GEZ-Gebühr, aus Sicht
er Liberalen ein Anachronismus. Auch für privates
ernsehen muss gezahlt werden. Eine Gebühr für privates
ernsehen blieb uns in Deutschland bislang nur deshalb
rspart, weil das frei empfangbare private Programm
erbefinanziert ist.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7371
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(B) )
Aber wenn wir über Werbung reden, dann müssen wir
auch beachten, dass der Werbemarkt starken Schwan-
kungen unterworfen ist. Damit ist der private Rundfunk
zum einen von diesen Werbeschwankungen, die auch
Einnahmeverluste bedeuten, abhängig. Zum anderen
wächst der Werbemarkt nicht unendlich, sodass das
Wachstum und damit auch die Angebotsverbesserung
bei den privaten Anbietern begrenzt wird, während die
Gebühreneinnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender
seit Jahren stabil sind und sogar noch mit Maßgabe der
Entscheidungen der Kommission zur Ermittlung des
Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, KEF, steigen
können. Dies alles muss man wissen, wenn man über
die Kritik an den Verschlüsselungsplänen redet, die
dem Antrag der Grünen zugrunde liegt.
Wir Liberalen können nichts Falsches darin sehen, dass
mithilfe der Verschlüsselung versucht werden soll, den
Kunden, wie in so vielen anderen Geschäftsbeziehungen
auch, adressierbar zu machen. So können dem Konsu-
menten bei Wunsch andere, das Fernsehen begleitende,
interaktive Angebote gemacht werden. So lassen sich in
einem gesättigten Markt neue Geschäftsmodelle entwi-
ckeln, die den privaten Rundfunk fit für das Zeitalter der
Digitalisierung machen. So verbessert sich der Service
für jeden einzelnen Zuschauer. Vergessen wir nicht:
Telekommunikationsanbieter und Internetdienstleister
sind schon in den Startlöchern und könnten zu ernst-
zunehmenden Konkurrenten für öffentlich-rechtliche
und private Rundfunkanbieter werden. Wir Liberale ver-
folgen das Thema Vertikale Integration aufmerksam.
Sollte es hier zu einer Verschiebung der Kräfte kommen,
werden wir die Situation, so wie die Kartellbehörden
auch, sehr genau prüfen. Verwehren wir dem Rundfunk
nicht, sich für diese Herausforderung zu wappnen.
Es ist für mich nachvollziehbar, wenn man versucht,
die Einnahmeseite zum Teil berechenbarer zu gestalten,
indem man den Werbeeinnahmen eine Gebühr zur Seite
stellt. Dieses Modell praktizieren ARD und ZDF seit
Jahren. Warum soll der private Rundfunk nicht auch eine
Art Gebühr erheben können, die neben der Werbung Ein-
nahmen generiert? Letzten Endes, da bin ich mir sicher,
wird der mündige Verbraucher selbst entscheiden, in
welchem Umfang er für Angebote zahlen möchte. Daher
sollten wir dem Verbraucher die Entscheidung überlas-
sen und ihn nicht bevormunden.
Auch urheberrechtlich hat die Verschlüsselung Vor-
teile: Der Rechteerwerb von Programminhalten wird
durch die Verschlüsselung und die damit einhergehende
Adressierbarkeit künftig einfacher und kostengünstiger.
Überreichweiten mussten bislang mit einem prozentualen
Aufschlag auf die Lizenzgebühren entlohnt werden. Die
Adressierbarkeit macht es jetzt möglich, das Empfangs-
gebiet genau einzugrenzen. Der Aufschlag entfällt. Die
Eingrenzbarkeit ist auch beim Erwerb von Sportübertra-
gungsrechten nicht unwesentlich und könnte in Zukunft
zur Voraussetzung für den Erwerb dieser Rechte werden.
Ohne Verschlüsselung keine WM-Spiele für den deut-
schen Rundfunk. Ich denke, dass bei dieser Sachlage
auch ARD und ZDF in Sachen Verschlüsselung umdenken
würden. In Österreich funktioniert die Verschlüsselung
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es öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Warum also nicht
uch in Deutschland?
In einem sind wir uns, so glaube ich, alle einig: Die
erschlüsselung darf nicht zu einer Bottleneck-Situation
ühren. Es muss sichergestellt werden, dass jeder Nutzer
n alle Programme und jedes Programm an alle Nutzer
elangen kann. Daher begrüße ich das Bekenntnis von
erdinand Kayser, dem Präsidenten und Vorstandsvorsit-
enden von SES ASTRA, anlässlich des Expertenge-
prächs im Unterausschuss Neue Medien, dass alle Ge-
ätehersteller unter Beachtung von Mindeststandards
eceiver herstellen und anbieten können sollen und dass
llen Programmanbietern die Plattform von SES
STRA zur Nutzung zur Verfügung stehen soll.
Bei aller Verschlüsselung muss natürlich der Schutz
er Verbraucherdaten, wie in anderen Bereichen auch,
ewährleistet sein. Sprechen aus datenschutzrechtlichen
ründen keine Argumente gegen die Verschlüsselung,
o kann man sie den Infrastruktur- und den Programm-
nbietern auch nicht verweigern. Solange die Pläne von
ES ASTRA nicht gegen Wettbewerbs- und Kartellrecht
erstoßen, gibt es keinen Grund, dagegen vorzugehen.
ielmehr muss der Ausbau von DVB-T unser Ziel sein.
amit hat der Verbraucher einen Übertragungsweg, der
nverschlüsselt bleibt. Wichtig ist, dass das Senderangebot
ber DVB-T weiter verstärkt wird.
Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): Auch wenn die Sen-
ergruppe ProSiebenSat.1 soeben ihren Plan fallen ließ,
en Satellitenempfang ihrer Programme mit Gebühren
u belegen, bleiben die Forderungen Ihres Antrages den-
och aktuell. Wir von der LINKEN unterstützen Ihren
ntrag!
Im vorliegenden Fall erfolgte der Rückzug ja nicht im
nteresse der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern
egen eines schwebenden Verfahrens des Bundeskartell-
mtes. Das witterte nämlich verbotene Absprachen mit
TL. Es müssen aber die Verbraucherinteressen im Vor-
ergrund stehen!
Der Privatsenderverband verteidigt die Verschlüsse-
ung in der digitalen Welt als eine unverzichtbare Vo-
aussetzung zum Schutz vor unberechtigten Zugriffen.
as sehen Verbraucherschützer und die öffentlich-recht-
ichen Sender anders. Warum?
Nun, die Verbraucherzentralen warnen schon länger
or der Ausweitung von Bezahlfernseh-Konzepten im
usammenhang mit den Verschlüsselungsplänen. Sie
ordern von den Ländern das Verbot der Verschlüsselung
on frei empfangbaren Vollprogrammen im Rundfunk-
taatsvertrag. Außerdem sollen die Landesmedienanstal-
en den Sendern Auflagen zur unverschlüsselten Aus-
trahlung bestimmter Programme machen. Anderenfalls
rohe dem Rundfunk die totale Kommerzialisierung.
nd genau so ist es, denn zur Kasse gebeten würde auf
eden Fall der Kunde. Der Austausch von Decodern und
ie ursprünglich geplante Monatspauschale von
,50 Euro hätten nach Berechnungen der Verbraucher-
entralen fast eine halbe Milliarde Euro pro Jahr zusätz-
ich in die Kassen des Satellitenbetreibers SES ASTRA
7372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
(A) )
(B) )
gespült. Gut für das Unternehmen, schlecht für die Zu-
schauerinnen und Zuschauer und darum muss dem Ein-
halt geboten werden.
Einen zweiten Punkt im Antrag der Grünen unterstüt-
zen wir ausdrücklich: Auch die LINKE will die Entste-
hung des „gläsernen Kunden“ verhindern! Wenn Rund-
funk und Fernsehen als ausschließlich kommerzielles
Geschäftsmodell gehandhabt werden, wird der Wettbe-
werb um den genau adressierbaren und kontinuierlich
zahlenden Endkunden zum beherrschenden Thema wer-
den.
Der publizistische Auftrag und die gesellschaftliche
Funktion der Medien bleiben dann auf der Strecke und
das darf nicht sein.
Aber damit nicht genug: Auf diese Weise wird die
Wahl des Angebots für den „User“ oder „Kunden“ zur
Preisfrage.
Die digitale Spaltung der Gesellschaft wird neue Di-
mensionen annehmen. Dies gilt es zu verhindern.
Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass die Politik
sich mit den neuen Entwicklungen in der Medienbranche
beschäftigt, Regulierungsnotwendigkeiten identifiziert
und Instrumente dafür schafft, oder wie es der ZDF-In-
tendant Markus Schächter in seiner Eröffnungsrede bei
der Medienwoche Berlin-Brandenburg ausdrückte:
Die Weiterentwicklung von Vielfalt und Qualität ist
die bessere Alternative gegenüber kleinkarierten
und zu kurz gedachten betriebswirtschaftlichen
Überlegungen der Pay-Euphorie. Prüfen wir kri-
tisch, wie Fehlentwicklungen verhindert werden
können. Entwerfen wir Modelle, die beides möglich
machen: die technologische und inhaltliche Weiter-
entwicklung der elektronischen Medien und die
Vielfalt und Qualität unserer Rundfunklandschaft.
Recht hat er!
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
wage zu behaupten, dass die bestehende Medienland-
schaft in Deutschland trotz so mancher zu kritisierenden
Punkte in ihrer Vielfalt noch immer einzigartig ist, und
ich behaupte, dass auch das Fernsehangebot in Deutsch-
land außergewöhnlich breit ist – auch wenn leider Quan-
tität nicht immer mit Qualität einhergeht.
Für uns Grüne ist wichtig: Fernsehen ist nicht allein
als Wirtschaftsgut zu sehen; für uns ist es vor allem ein
Kulturgut. Das bedeutet aber auch, dass wir die Rahmen-
bedingungen so setzen müssen, dass nicht nur die Wer-
beindustrie und die Wirtschaftsunternehmen von unserer
Medienlandschaft profitieren. Die Bürgerinnen und Bür-
ger müssen im Mittelpunkt stehen.
Wir alle wissen: Die Vielfalt der Medien bildet die
Grundlage der Meinungsbildung – und ist somit eines
der wichtigsten Güter einer Demokratie. Bürgerinnen
und Bürger – egal ob arm oder reich – müssen die Mög-
lichkeit haben, sich umfassend und aus verschiedenen
Quellen zu informieren. Aus diesen Gründen sind wir
überzeugt: Wenn wir eine demokratische Teilhabe si-
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herstellen wollen, brauchen wir einen freien und ge-
echten Zugang zur Information. Die Verschlüsselung
es Fernsehprogramms via Satellit, das der Zuschauer
ur gegen Bezahlung wieder entschlüsseln kann, geht
eshalb in die falsche Richtung. Die Entscheidung eini-
er Sender, ihr Programm entgeltlich zu verschlüsseln,
tellt eine Verknappung von Informationen dar. Das ist
erade bei Vollprogrammen ein fatales Signal. Das duale
undfunksystem in Deutschland hat sich bewährt. Wir
üssen alles daran setzen, dieses aufrecht zu erhalten
nd die Tendenz zum Bezahlfernsehen zu stoppen.
Der vor kurzem erklärte Verzicht von ProSiebenSat.1,
ür den digitalen Empfang via Satellit ein Entgelt zu ver-
angen, ist ein gutes Signal. Wenn wir die Zuschauer von
en Vorteilen der Digitalisierung überzeugen wollen,
arf diese nicht gleichzeitig mit neuen Gebühren verbun-
en sein. Die Kosten für Informationsquellen im digita-
en Zeitalter dürfen nicht ins Unendliche steigen. Gerade
n der digitalen Welt müssen wir eine Grundversorgung
icherstellen. Der Informationsbezug darf nicht nur
rivileg wohlhabender Leute sein. Deshalb muss insbe-
ondere das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm über
lle Kanäle – ob Kabel, Satellit oder IPTV – frei emp-
angbar sein. Der Blick in andere Länder zeigt uns: Pay-
V verbessert das Programmangebot keineswegs, son-
ern macht Qualitätsfernsehen teuer. Selbst für den
urchschnittsbürger kann es mittelfristig unbezahlbar
erden. In den USA ist Vielfalt nur mit hohen Kosten
erbunden möglich und wird deshalb nur einer kleinen
chicht zuteil. Wir wollen keine amerikanischen Zu-
tände im deutschen Fernsehen.
Immer wieder tauchen Verschlüsselungspläne auf.
rgumente dafür sind meist die wegbrechenden Werbe-
ärkte. Auch der Satellitenbetreiber Astra will im kom-
enden Jahr mit der Verschlüsselung der digitalen Pro-
rammübertragung beginnen. Nach dem Rückzug von
roSiebenSat.1 haben sich RTL und Astra leider keines-
egs ebenfalls von ihren Plänen verabschiedet
Die Verschlüsselung bisher frei empfangbarer Fern-
ehprogramme wäre ein Wendepunkt im deutschen Fern-
ehen. Die Absichten, Fernsehprogramme gegen Entgelt
u verschlüsseln, sind erste Schritte zum Bezahlfernse-
en. Sie sind außerdem ein deutliches Anzeichen dafür,
ass sich die Machtstrukturen hierzulande verschieben.
agegen brauchen wir effektive Regelungen. Früher war
ntscheidend, wer die Inhalte produziert. Um die Gefahr
orherrschender Meinungsmacht zu verhindern, wurde
en Sendern eine Beschränkung anhand eines maximalen
einungsanteils auferlegt. Dieser Ansatz ist zunehmend
ückenhaft. Die Orte der Medienmacht verlagern sich.
icht mehr die Sender sind die zentralen Player. Im Ge-
enzug werden die Konzerne viel mächtiger, die Infra-
truktur anbieten und eigene Netze bereithalten, seien es
abelnetzbetreiber, die Telecoms oder die Satellitenbe-
reiber. Sie kaufen Inhalte ein, die sie in ihre Netze oder
ber Satelliten einspeisen. Als Infrastrukturanbieter un-
erliegen sie aber ganz anderen Regulierungskriterien als
lassische Medien. Hier dürfen nicht länger verschiedene
aßstäbe angesetzt werden.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7373
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Unserer Regierung scheint dieses zukunftsweisende
Thema jedoch egal zu sein. Hier richte ich mich vor al-
lem an meine lieben Kollegen und Kolleginnen von der
CDU: In einer Ihrer Reden zur Fernsehrichtlinie haben
Sie gefordert, die medienpolitische Richtschnur so zu
gestalten, dass „es einen Rundfunk für alle gibt, bei dem
Menschen nicht zum Objekt des Fernsehmachers herab-
gewürdigt werden“. Das sind schöne Worte. Setzen sie
diese doch mal beim Thema Verschlüsselung in konkrete
Taten um. Auch scheint es der großen Koalition egal zu
sein, dass durch diese neuen Verschlüsselungssysteme
der „gläserne Zuschauer“ immer mehr zur Realität wird.
Hier wird erneut deutlich, dass unsere Regierung – ins-
besondere die Union – Medienpolitik als Wirtschafts-
politik begreift. Es wird nicht auf die Bedürfnisse der
Gesellschaft, sondern in erster Linie auf die der Medien-
industrie eingegangen.
Bei verschlüsselten Programmen muss sich zukünftig
registrieren lassen, wer eine Freischaltung will. Mit der
Verschlüsselung geht also die individuelle Adressierung
der Empfangsgeräte einher. So können die Satellitenan-
bieter erkennen, welche Zuschauerin, welcher Zuschauer
wann was im Fernsehen sieht. Das ermöglicht nicht nur
den gezielten Einsatz von Werbung, sondern führt vor al-
lem zu einer unzulässigen Datensammlung. Dagegen
treten wir entschieden ein.
Vielfalt und eine partizipative Mediengesellschaft bil-
den sich nicht von allein. Ich möchte die große Koalition
daher dringend auffordern, unsere Bedenken ernst zu
nehmen und sich endlich dafür einzusetzen, dass wir
auch in 20 Jahren noch eine vielfältige Medienlandschaft
in Deutschland haben. Wer hier allein auf Unternehmer-
freundlichkeit achtet, gefährdet die gewachsene Medien-
landschaft in Deutschland. Ich hoffe auf Einigkeit und
Unterstützung unseres Antrags; denn hier müssen wir als
Medien- und Kulturpolitiker gemeinsam handeln.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Chancen und
Herausforderungen der Osterweiterung der
Europäischen Union (EU) für die Entwick-
lungszusammenarbeit der EU (Zusatztagesord-
nungspunkt 8)
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wir beschäftigen
uns heute mit einem zentralen Thema der Entwicklungs-
zusammenarbeit der Europäischen Union, und zwar mit
der Frage: Wie sieht die Entwicklungszusammenarbeit
nach der EU-Osterweiterung aus?
Im Mai 2004 sind die Länder Polen, die Tschechische
Republik, die Slowakische Republik, Ungarn, Slowe-
nien, Estland, Lettland, Litauen, Malta und Zypern der
EU beigetreten. Die CSU hat sich dabei immer für das
„Regattaprinzip“ statt des „Big Bang“ ausgesprochen,
sich aber nicht durchgesetzt. Jetzt geht es einerseits um
die Frage: Wie schaffen wir den Integrationsprozess in-
tern? Andererseits müssen wir uns um die wirtschaft-
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iche wie soziale Anbindung der neuen Nachbarn küm-
ern.
Vorab eine Anmerkung zur Integrationsfähigkeit der
U: Mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien
raucht die EU eine Verschnaufpause. Die Integration
on zwölf neuen, wirtschaftlich schwachen Ländern, die
ich teils von Jahrzehnten sozialistischer Misswirtschaft
och nicht erholt haben, braucht Zeit. Gleichzeitig muss
ich die EU klar machen, dass sie nur gelingen wird,
enn auf immer neue Kompetenzen und Eingriffe in die
ationalstaatliche Souveränität verzichtet und das Subsi-
iaritätsprinzip endlich ernst genommen wird.
Die EU hat fortan neue Nachbarn: Russland, Weiß-
ussland, die Ukraine, Serbien, Kroatien sowie 2007
ach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens die Türkei,
azedonien und die Republik Moldau.
Apropos Nachbarn: Bei der Türkei muss dieser Status
o bleiben. Eine Aufnahme der Türkei kommt für mich
ersönlich, aber auch für viele Kollegen gerade aus der
SU nicht infrage. Dabei geht es nicht um die Erfüllung
er wirtschaftlichen Voraussetzungen. Dabei geht es
uch nicht um die Haltung der Türkei in der Zypern-
rage, wenngleich ich mich schon über die Dreistigkeit
undere, mit der die Türkei hier auftritt.
Nein, es geht darum, dass die Türkei weder geogra-
isch noch kulturell zu Europa gehört. Deshalb setzen
ir uns ein für die privilegierte Partnerschaft, bei der das
reundschaftliche Miteinander flexibel und in Ausrich-
ung auf beide Seiten gestaltet werden kann. Das Thema
ypern zeigt doch einmal mehr, dass die Türkei gerade
iese Flexibilität braucht und sich mit einer Vollintegra-
ion schwer tun würde.
Wenn wir jetzt das richtige Maß halten und die EU
eder mit Beitritten noch inhaltlich überfordern, gilt:
ie Osterweiterung der EU ist die größte Chance für
rieden und Zusammenarbeit in diesem Jahrhundert. Mit
hr wurde die historische Spaltung des europäischen
ontinents überwunden.
Aus der entwicklungspolitischen Perspektive bietet
ie Erweiterung eine Chance, Konfliktprävention nicht
ur in angrenzenden Krisenregionen, sondern weltweit
u verbessern. Wesentliche Fortschritte sind auf diese
eise bei der Lösung von Grenzdisputen, Nationalitäten-
onflikten und Minderheitenproblemen bereits erreicht
orden.
Ich begrüße ausdrücklich eine stärkere Beteiligung der
U am Krisenmanagement als Reaktion auf spezifische
egionale Bedrohungen. Damit stellt die EU ihre Bereit-
chaft unter Beweis, einen größeren Teil der Last der
onfliktbeilegung in den Nachbarstaaten und anderen
egionen zu übernehmen.
Die Osterweiterung der EU beinhaltet jedoch auch
erausforderungen für die EU-Entwicklungszusammen-
rbeit. Am 22. November 2005 wurde die gemeinsame
rklärung „Europäischer Konsens über die Entwick-
ungspolitik“ des Rates verabschiedet. Die europäische
erfassung hätte die Entwicklungszusammenarbeit der EU
eregelt. Sie ist allerdings nicht ratifiziert. Und jeder, der
7374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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noch immer einer Ratifizierung des bisherigen Konvent-
entwurfs nachhängt, missachtet die demokratische
Entscheidung vieler Bürgerinnen und Bürger mehrerer
Staaten. Europa darf aber nicht mit Demokratieverzicht
gleichgesetzt werden.
Die neuen EU-Länder haben jedenfalls den Acquis com-
munautaire der EU übernommen und treten ferner in die
zahlreichen Kooperations- und Partnerschaftsabkommen
mit den Entwicklungsländern ein. Insbesondere ist hier
das Abkommen von Cotonou zu nennen. Des Weiteren
werden die neuen Mitgliedstaaten zu dem Europäischen
Entwicklungsfonds finanziell beitragen.
EU-Beitritt heißt also nicht nur Strukturbeihilfen zum
Aufbau des eigenen Landes. EU-Beitritt heißt auch: ent-
wicklungspolitische Verantwortung für ärmere Länder und
Regionen und die Mitgestaltung der globalen Ordnungs-
politik. Konsequenz: Insgesamt wurden 290 Millionen
Euro an öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit für das
Jahr 2004 von den neuen Mitgliedstaaten bereitgestellt.
Allerdings: Die ODA-Quoten variieren von Land zu
Land zwischen 0,01 Prozent und 0,1 Prozent. Die neuen
Mitgliedsländer werden somit aller Voraussicht nach in
absehbarer Zukunft den Monterrey-Konsens, sprich das
0,39-Prozent- bzw. 0,33-Prozent-Ziel, nicht erreichen
können.
Der „Europäische Konsens über die Entwicklungs-
politik“ legt dazu fest: Die neuen Mitgliedstaaten der EU
werden sich bemühen, ihre ODA-Quote bis 2010 im
Rahmen ihrer jeweiligen Haushaltsaufstellungsverfahren
auf den Wert 0,17 Prozent anzuheben, sie werden sich be-
mühen, ihre Quote bis 2015 auf 0,33 Prozent zu erhöhen.
Die großen Anstrengungen der neuen Mitgliedstaaten,
ihrer Geberrolle gerecht zu werden, müssen wir anerken-
nen.
Die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit der
neuen Mitgliedstaaten wird sich voraussichtlich weiterhin
auf die Nachbarregionen der Staaten konzentrieren. Aus
thematischer Sicht konzentrierten sich die entwicklungs-
politischen Bemühungen vor allem auf die Weitergabe
eigener Transformationserfahrungen sowie die Armuts-
bekämpfung. Das ist richtig und in unserem Interesse. Ich
sage das gerade im Hinblick auf den Transformations-
prozess. Auch wir in Deutschland haben unterschätzt,
welch verheerende Wirkungen 40 Jahre Sozialismus nach
sich ziehen und wie schwierig es ist, den wirtschaft-
lichen, technischen aber auch gesellschaftlich-sozialen
Totalschaden, den die Sozialisten hinterlassen haben, zu
beseitigen. Die hier schmerzlich und teuer gemachten
Erfahrungen muss man weitergeben und in der Zusam-
menarbeit mit den neuen Nachbarn gezielt nutzen. Unser
Interesse ist es darum, die Integration der EU-Beitritts-
länder in die Entwicklungszusammenarbeit der EU zu
fördern. Die Ansatzpunkte dazu sind vielfältig und im
hier zu debattierenden Antrag genannt.
Dr. Bärbel Kofler (SPD): Die Europäische Kommis-
sion hat im November 2006 in ihrer Mitteilung an das
Europäische Parlament eine positive Bilanz der EU-Er-
weiterung gezogen. Die zehn neuen Mitgliedstaaten ha-
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en innerstaatlich den Integrationsprozess ausgezeichnet
mgesetzt und haben im Zusammenspiel mit allen Mit-
liedstaaten der EU einen positiven Beitrag zu mehr
rieden, Stabilität und Demokratie geleistet. Diese Bi-
anz ist erfreulich und zeigt, dass seit 2004 ein erfolgrei-
her Integrationsprozess begonnen hat. Um so entschei-
ender ist es nun, die Chancen und Herausforderungen
er Erweiterung der EU für die europäische Entwick-
ungszusammenarbeit zu beleuchten und zu befördern.
Der Europäische Entwicklungskonsens, von Kom-
ission und Europäischem Rat im November 2005
ngenommen, fasst die Ziele einer europäischen Ent-
icklungspolitik nochmals zusammen. Das alles über-
ölbende Ziel ist die weltweite Armutsminderung.
abei stehen die Erreichung der Millenniumsentwick-
ungsziele und die Förderung nachhaltiger Entwick-
ungsprozesse im Vordergrund. Es gibt viele Wege, auf
enen diese Ziele angestrebt werden.
Zu den Schwerpunkten einer europäischen Entwick-
ungspolitik gehören daher: Handel und regionale Inte-
ration; Umwelt und nachhaltige Nutzung natürlicher
essourcen, Wasser und Energie; Infrastruktur, Trans-
ort, Kommunikation und Ländliche Entwicklung;
andwirtschaft und Nahrungssicherheit; Good Gover-
ance, Demokratie und Menschenrechte; Konfliktprä-
ention und fragile Staaten; Sozialer Zusammenhalt und
eschäftigung. Um diese konkreten Ziele zu erreichen,
st die Steigerung des Volumens der öffentlichen Ent-
icklungsbeiträge sowie der Effizienz der Hilfen eine
erpflichtung aller Mitgliedstaaten der EU. So bringt der
U-Beitritt für die neuen Mitgliedstaaten die entwick-
ungspolitische Verantwortung für ärmere Regionen und
änder mit sich. Sie bringt aber auch neue finanzielle
erpflichtungen mit sich und macht auch in diesem Be-
eich eine effiziente Geberkoordination erforderlich. Der
uropäische Konsens über die Entwicklungspolitik sieht
or, dass die neuen Mitgliedstaaten sich bemühen wer-
en, bis 2015 die ODA-Quote auf 0,33 Prozent ihres
ruttonationaleinkommens zu heben.
Um die neuen Mitgliedstaaten mit ihrer neuen Geber-
olle und entwicklungspolitischen Verantwortung nicht
llein zu lassen, bedarf es auch eines Einsatzes vonseiten
er deutschen Politik. Die Opposition hat sich in diesem
usammenhang lange ausgeschwiegen und keine Initia-
ive gezeigt. Um so wichtiger ist der heute vorliegende
ntrag, der dazu ein Konzept vorträgt.
Der Erfolg einer fortschreitenden europäischen Inte-
ration hängt von einer guten innereuropäischen Koope-
ation unter den Mitgliedstaaten ab. Nur so wird es uns
ür die Zukunft gelingen, eine Verfassung für Europa zu
rreichen, mit der die EU ein Fundament bekommt, auf
elchem zukünftig auch eine gemeinsame Sicherheits-
nd Außenpolitik und eine gemeinsame Entwicklungs-
olitik glaubhaft und stark umgesetzt wird. Denn gerade
en neuen Mitgliedstaaten kommt eine besondere Ver-
ntwortung zu, regionale Stabilität in Osteuropa zu be-
ördern und zwischenstaatliche Unsicherheiten abzu-
auen.
Auch der Erfolg einer gemeinsamen EU-Entwick-
ungspolitik ist nur zu erreichen, wenn alle Mitgliedstaa-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7375
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ten gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir deutschen
Entwicklungspolitiker haben uns die weltweite Armuts-
bekämpfung auf die Fahnen geschrieben. Dazu gehört
aber auch eine Beförderung der europäischen Entwick-
lungspolitik, indem wir im Verbund mit den neuen Mit-
gliedstaaten dieses Ziel angehen.
Konkret heißt das für uns, dass wir den neuen Mit-
gliedern beim Aufbau und Ausbau von entwicklungs-
politischen Institutionen durch Beratung und Fortbil-
dung zur Seite stehen. Bei dieser Unterstützung dürfen
wir aber nicht nur in eine Richtung denken. Vielmehr
müssen wir uns auch fragen, was wir von den neuen Mit-
gliedstaaten lernen können. Als Nationen, die in den ver-
gangenen zehn Jahren immense Transformationen
durchlaufen haben, sind die neuen EU-Mitglieder gerade
vor dem Hintergrund ihrer Transformationserfahrung für
die europäische Entwicklungspolitik von großem Wert.
Unser Antrag ebnet den Weg für eine effizientere eu-
ropäische Entwicklungspolitik zur Bekämpfung der
weltweiten Armut und macht zugleich eine entwick-
lungspolitisch sinnvolle Begleitung der eingeleiteten Re-
formprozesse der EU möglich. Diesem Antrag nicht zu-
zustimmen, heißt, sich diesen Aufgaben nicht zu stellen.
Hellmut Königshaus (FDP): Trotz der großen Eile,
mit der dieser Antrag hier durch das Plenum gejagt und
beschlossen werden soll, habe ich mich zunächst über
den Antrag gefreut. Er entspricht nämlich – fast schon
wortgleich – im ersten Teil unserem eigenen Antrag auf
Drucksache 16/2833. Wir fordern dort, dass die Trans-
formationserfahrungen der neuen Beitrittskandidaten in
die entwicklungspolitischen Erfahrungen der EU einbe-
zogen werden müssen. Schön, dass Sie diese Anregung
gleich aufgenommen und umgesetzt haben.
Nur: Leider haben Sie es bei dieser Feststellung be-
wenden lassen. Danach kommt nur heiße Luft. Konkrete
Überlegungen zur Integration der neuen Mitgliedstaaten
in den Bereich der europäischen Entwicklungszusam-
menarbeit bleiben aus. Weder gehen Sie darauf ein, wie
die Interessen und Erfahrungen der neuen Mitgliedstaaten
integriert werden können, noch haben Sie ein Konzept,
wie die europäische Entwicklungszusammenarbeit mit so
vielen neuen Partnern, alles ehemalige Nehmerländer,
gestaltet werden soll. Obwohl die Erweiterung in dieser
Hinsicht viele Chancen, aber eben auch Risiken mit sich
bringt, beschränken sich Ihre Ausführungen auf Feststel-
lungen und einen Lobgesang auf das BMZ. Warum
eigentlich? Es ist ja schlimm genug, dass die Kolleginnen
und Kollegen der Koalition bei uns Liberalen Anleihen
aufnehmen müssen, nur um überhaupt noch vor dem
Beitrittstag einen eigenen Antrag hinzubekommen. Viel
schlimmer ist es, dass es das BMZ für die Bundesregie-
rung nicht geschafft hat, hierzu ein schlüssiges Konzept
zu entwickeln.
Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum Sie
mit Ihrer Mehrheitsmacht durchgesetzt haben, den An-
trag so schnell ohne jede Beratung in den Ausschüssen
zu beschließen: Weil nämlich nichts Wesentliches darin-
steht, was nicht schon vor Wochen von uns in unserem
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ntrag gefordert wurde. Das mag Ihnen hier genügen,
ürftig bleibt es trotzdem.
Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
üssen Sie aber ehrgeiziger sein. Die Bundesrepublik
eutschland hat traditionell, jedenfalls solange Liberale
en Kurs in der Bundesregierung mitbestimmt haben,
mmer zwischen Groß und Klein und Nord und Süd aus-
leichend gewirkt. Dieser Rolle sollte die Bundesregie-
ung auch jetzt gerecht werden und mit konstruktiven
orschlägen zur überfälligen Reform der europäischen
ntwicklungszusammenarbeit aufwarten. Der vorliegende
ntrag ist jedoch nur ein dürftiges Lippenbekenntnis.
onkrete Maßnahmen, die im Rahmen der EU-Ratsprä-
identschaft eingeleitet werden könnten, fehlen völlig.
Dabei fällt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in eine
eit, in der die begonnenen Reformen der europäischen
ntwicklungszusammenarbeit dringend fortgesetzt und
eiterentwickelt werden müssen. Deutschland als einer
er größten Geber – und ab 2008 sogar absolut größter
eber – zum 10. Europäischen Entwicklungsfonds steht
a in einer besonderen Verantwortung, aber es muss auch
as größte Interesse haben, dass mit dem Geld seiner
teuerzahler verantwortungsvoll umgegangen wird.
Da Sie ja offenbar erst vor wenigen Tagen Zeit fanden,
ich mit dem Thema zu befassen, wollen wir Ihnen nach-
ehen, dass Ihnen wohl auch die Zeit nicht reichte, sich
ie geografische Lage der neuen Mitgliedstaaten anzu-
ehen. Entgegen Ihrer Vermutung sind die Türkei und
azedonien keine neuen Nachbarn der EU. Zu beiden
aben wir bereits durch Griechenland eine gemeinsame
U-Außengrenze. Vielleicht studieren Sie da nochmals
ie Europakarte.
Da Sie so offenkundig aus dem Mustopf steigen, wollen
ir Ihnen gerne behilflich sein und noch einmal auf-
eigen, welche Reformen jetzt anstehen, genauer: noch
usstehen. Das erste Ziel einer Reform muss eine klare
ufgabenverteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten
nd der Europäischen Union sein. Wenn nämlich selbst
ie alten Mitgliedstaaten nicht mehr überblicken, wofür
ie EU in der Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist
nd wo die Mitgliedstaaten selbst, wie sollen dann die
euen EU-Mitgliedstaaten Durchblick haben? Die EU-
ommission muss sich endlich wieder auf ihre Kernauf-
aben konzentrieren. Die seit Jahren zu beobachtende
ontinuierliche Ausdehnung der EU-Aktivitäten der
ommission auf diesem Feld muss beendet werden.
enn die Beschlusslage im Rat ist unverändert. Die Mit-
liedstaaten haben sich mit Blick auf den Subsidiaritäts-
rundsatz ausdrücklich gegen eine Ausweitung der ge-
einschaftlichen Entwicklungspolitik entschieden, und
abei sollte es auch bleiben.
„Europäische“ Entwicklungszusammenarbeit macht nur
inn, wenn die EU nicht als weiterer Geber, der im Wett-
ewerb zu den einzelnen Mitgliedstaaten steht, auftritt.
m Mittelpunkt der Arbeit der EU-Kommission muss die
eberkoordination stehen. Sie soll koordinieren, wenn
ehrere Mitgliedstaaten gemeinsam ein Projekt durch-
ühren wollen. Die Entwicklungspolitik der Europäi-
chen Union muss sich auf solche Länder und Themen
7376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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beschränken, die von den nationalen entwicklungspoliti-
schen Aktivitäten nicht abgedeckt werden.
Es ist richtig, dass der Beitritt neuer Mitgliedstaaten
eine besondere Herausforderung an den entwicklungspo-
litischen Acquis darstellt, sei es in finanzieller Hinsicht,
sei es in Bezug auf die inhaltliche Ausgestaltung der
europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Die neuen
Mitglieder haben sich durch ihren Beitritt verpflichtet,
die Entwicklungspolitik der Union mit zu tragen. 1980
verwendeten beispielsweise die osteuropäischen Länder
lediglich 0,06 Prozent des BNE für Entwicklungszusam-
menarbeit. Die finanzielle Eingliederung dieser Staaten
in die europäische Entwicklungspolitik mit dem Ziel der
0,7-Prozent-ODA-Quote kann daher nur schrittweise
erfolgen. Wir müssen da rücksichtsvoll mit unseren
neuen Partnern umgehen.
Aber wir müssen auch anerkennen, dass die Beitritts-
länder andere Schwerpunkte in der Entwicklungszusam-
menarbeit setzen. Eine wichtige Rolle spielt beispielsweise
die Weitergabe von Transformationserfahrungen. Eine fair
angelegte Integration der neuen Beitrittskandidaten be-
rücksichtigt diese entwicklungspolitischen Erfahrungen.
Dazu zählt auch, dass diese neuen Mitglieder keine
Sonderbeziehungen zu den ehemaligen Kolonien unter-
halten. Es wird kaum gelingen, ihnen begreiflich zu ma-
chen, warum wir manchmal gar nicht so arme AKP-Staa-
ten besser behandeln als die häufig sehr viel ärmeren
Nicht-AKP-Staaten. Schließlich ist diese unterschiedliche
Behandlung heute in der Tat nicht mehr zu rechtfertigen.
Entweder sind diese Staaten und Gebiete bedürftig, dann
sollten sie nach den allgemeinen Kriterien im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden. Sind sie
es nicht – oder nicht mehr –, dann sollten auch keine Steu-
ermittel zur Verfügung gestellt werden.
Aufgabe der Bundesregierung muss es sein, während
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Fahrplan
für die Umsetzung dieser Ziele aufzustellen. In einem
ersten Schritt muss die längst überfällige Integration des
Europäischen Entwicklungsfonds in den EU-Haushalt
und damit die Gewährleistung einer – derzeit noch
fehlenden – parlamentarischen Kontrolle umgesetzt
werden. Die Europäische Kommission hat selbst die
vollständige Einbeziehung der Zusammenarbeit mit den
AKP-Staaten in den EU-Haushalt gefordert und als
„Veränderung in Richtung Normalität“ bezeichnet. Dem
können wir Liberalen nur nachdrücklich zustimmen.
Die Integration des EEF in den EU-Haushalt sorgt
zudem für Budgetklarheit. Die damit gewährleisteten
Kontrollrechte des Europäischen Parlaments führen zu
Transparenz und mehr Legitimität der europäischen Ent-
wicklungszusammenarbeit. Als der größte Beitragszah-
ler muss die Bundesregierung ihre starke Position nut-
zen, um die Eingliederung des EEF in den EU-Haushalt
voranzutreiben.
Diese Punkte hätten Sie in Ihrem Antrag erwähnen
müssen. Ein Antrag, der offenbar nur als Lobgesang auf
das BMZ gemeint war, wird der Sache und den Heraus-
forderungen nicht gerecht. Unsere europäischen Partner,
allen voran unsere neuen Mitgliedstaaten, verbinden
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esondere Erwartungen mit der deutschen Ratspräsi-
entschaft. Sie erwarten nicht nur eine Lösung der Ver-
assungskrise, sondern auch mutige politische Impulse
n vielen anderen politischen Bereichen.
Mit diesem Antrag werden alle ohnehin äußerst
escheidenen Erwartungen an ein konstruktives Heran-
ehen der deutschen Ratspräsidentschaft allerdings bitter
nttäuscht. Wir hätten, trotz aller negativen Erfahrungen
it Ihnen im ersten Jahr dieser angeblich großen Koali-
ion, mehr erwartet. Hoffentlich hat die Bundesregierung
elbst dort mehr auf der Pfanne! Unser schon lange vor-
iegender Antrag mag ihr den Weg weisen.
Heike Hänsel (DIE LINKE): Die Bundesregierung
ieht die Schwerpunkte der Entwicklungszusammenar-
eit im Rahmen der Osterweiterung in den Bereichen
onfliktmanagement in Krisenregionen, im Monterrey-
onsens, in der Paris-Agenda und in den Wirtschafts-
artnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten. So um-
angreich die Agenda, so banal ist letztendlich die
chlussfolgerung in Ihrem Antrag, nämlich: Weiter so!
ie Linke fordert dagegen einen grundlegenden Politik-
echsel in der jetzigen Außen- und Wirtschaftspolitik
er Europäischen Union, um Entwicklung für die Länder
es Südens nicht länger zu blockieren. Wir fordern zu-
em eine parlamentarische Kontrolle des Europäischen
ntwicklungsfonds und lehnen es strikt ab, aus diesem
onds Militäreinsätze in Afrika zu finanzieren, wie es
ie Afrika-Fazilität vorsieht.
In dem Antrag der Bundesregierung kritisieren wir
onkret folgende Punkte: Erstens. Dem positiven Bezug
m Antrag auf das europäische Krisenmanagement in be-
achbarten und anderen Konfliktregionen können wir
ns nicht anschließen, gerade dann nicht, wenn wir das
U-Krisenmanagement in Osteuropa betrachten. Die
olle der EU in der jugoslawischen Krise haben wir oft
ritisiert. Diese an den eigenen Interessen orientierte
olitik setzt sich fort mit der anhaltenden militärischen
räsenz auf dem Balkan, einer einseitigen, weitere Sepa-
ation begünstigenden Haltung im Konflikt um den Ko-
ovo und mit einer hermetischen Abriegelung der „Fes-
ung Europa“ gegenüber migrationswilligen Menschen
us osteuropäischen Ländern. Entwicklungshilfe darf
icht in den Kontext von Flüchtlingsabwehr gestellt wer-
en, wie sich das heute unter dem Motto „Regionale
chutzprogramme“ vollzieht.
Wir haben bereits zu Beginn der Legislaturperiode
en Rückzug der Bundeswehr aus Bosnien-Herzegowina
nd die Beendigung der ALTHEA-Operation gefordert.
ort müssen zivile und soziale Aufbauprozesse verstärkt
erden, denn bis heute ist die Lebenssituation für die
enschen in dieser Region nicht einfach, viele junge
enschen verlassen Bosnien-Herzegovina wegen feh-
ender Perspektiven. Die weiter andauernde Militärprä-
enz bindet die finanziellen Ressourcen falsch. Für den
osovo fordern wir eine neutrale Vermittlung durch
eutschland und die übrigen EU-Staaten in der Kontakt-
ruppe.
Die EU setzt in ihrer gemeinsamen Außen- und Si-
herheitspolitik zunehmend auf militärische Instru-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7377
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mente. Das wird besonders in dem von Ihnen mehrmals
angeführten Verfassungsvertrag deutlich. Die Linke ist
entschieden gegen die Militarisierung europäischer Poli-
tik und fordert stattdessen einen europäischen zivilen
Friedensdienst. Das wäre ein kohärentes Instrument für
die Entwicklungszusammenarbeit, nicht das Militär!
Zweitens: Die ständig wiederholte Betonung der Ko-
härenz im Entwicklungskonsens ist zur reinen Phrase
verkommen. Schauen Sie sich doch das Verhältnis von
Handels- und Entwicklungspolitik der EU an! Handelsli-
beralisierungen in vielen sensiblen Bereichen werden
den AKP-Staaten im Rahmen der Verhandlungen zu den
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) aufgezwun-
gen. Der Europäische Entwicklungsfonds wird dann
dazu missbraucht, die schwerwiegenden Folgen der
Marktöffnungen für die Menschen in den AKP-Staaten
abzumildern. Entwicklungszusammenarbeit verkommt
zum Anhängsel neoliberaler Wirtschaftspolitik. Wir for-
dern ein Moratorium für die EPA-Verhandlungen, das
jetzige Verhandlungsmandat muss entzogen und gänz-
lich neu formuliert werden.
Schließlich: Leider wiederholt sich auch in diesem
Antrag das Festhalten am EU-Verfassungsvertrag. Die-
ser Verfassungsvertrag ist eindeutig gescheitert, und das
zu Recht. Die Menschen in Frankreich und den Nieder-
landen haben erkannt, dass dieser Vertrag einen An-
schlag auf die sozialen Rechte bedeuten würde. Wir wol-
len ein anderes Europa entwickeln, das sozial,
ökologisch und friedlich nach innen und außen ist. Das
wäre auch der beste Beitrag für Entwicklungsmöglich-
keiten der Länder des Südens.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die EU-
Entwicklungspolitik hat uns in diesem Jahr wiederholt be-
schäftigt und wird dies auch zukünftig tun. Ich erinnere an
den „Europäischen Konsens“, die Erklärung zur EU-Ent-
wicklungspolitik. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind
der weltweit größte Geber von Entwicklungsgeldern. Und
um mehr Einheitlichkeit zu erreichen, hat die Europäische
Union mit der europäischen Entwicklungsstrategie sich
erstmals nicht nur einen Rahmen für die Politik der Ge-
meinschaft, sondern auch für die ihrer 25 Mitgliedstaaten
gesetzt. In diesem Kontext bewegen sich nun auch die
neuen Mitgliedstaaten, deren historische Erfahrungen im
Transformationsprozess – vermutlich in besonderem
Maße in den benachbarten Regionen – hilfreich sein kön-
nen bei der Gestaltung entwicklungspolitischer Koopera-
tion.
Eine vertiefte Entwicklungskooperation in den Bei-
trittsländern wird aber auch im umfassenderen Sinne von
Bedeutung sein, zum Beispiel bei der gerade stockenden
Welthandelsrunde. Ohne die gesamteuropäische Bereit-
schaft, zu einer „Entwicklungsrunde“ beizutragen, wer-
den keine entsprechenden Kompromisse zu finden sein.
Dies betrifft durchaus Felder wie die Agrarpolitik, wo
Interessen der Beitrittsstaaten auf die von Entwicklungs-
ländern treffen. Die Höhe und Ausgestaltung der Agrar-
subventionen und Agrarexportsubventionen sei hier er-
wähnt.
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Mit dem Beitritt von zehn neuen Mitgliedstaaten stellt
ich die Aufgabe, sie in das System der gemeinschaftli-
hen Entwicklungspolitik zu integrieren. Potenziell be-
teht hierbei die Möglichkeit, das Profil und die Beson-
erheit der europäischen Entwicklungszusammenarbeit
nsgesamt zu stärken. Bisher, so muss man nüchtern fest-
tellen, ist nicht hinreichend klar, wo, mit welchen Mit-
eln und in welcher Abstimmung mit den Mitgliedstaa-
en die EU ihre Entwicklungspolitik umsetzen will. Die
hemenvielfalt der europäischen EZ lässt so gut wie alle
ormen der Kooperation zu. Die Arbeitsteilung mit den
itgliedstaaten ist offenbar bestenfalls in Ansätzen ge-
eben. Bessere Ergebnisse in der europäischen EZ set-
en aus unserer Sicht jedoch zukünftig eine gezielte Ar-
eitsteilung voraus.
Die regionalen Prioritäten der Beitrittsländer in der
ntwicklungskooperation liegen im Kaukasus, Zentral-
sien und in Südosteuropa. Die Erfolge und Fehler beim
euaufbau staatlicher Institutionen, die Erfahrungen mit
adikalen gesellschaftlichen Umbrüchen der Beitrittslän-
er sind geeignet, um in vergleichbaren Umbruchsitua-
ionen beratend tätig zu werden. Im besten Fall kann die
rfahrung der Demokratisierung auf staatlicher Ebene,
ber auch durch das Wirken der zahlreichen Nichtregie-
ungsorganisationen aus den osteuropäischen Ländern
efördert werden.
Der Antrag beschreibt im Wesentlichen, was ohnehin
chon von der Bundesregierung angestoßen worden ist.
r greift keinen qualitativ neuen Aspekt auf. Deshalb
ann man eigentlich nicht widersprechen und ich wun-
ere mich nur über einen solch wenig fortschrittlichen
ntrag. Natürlich ist es sinnvoll, wenn die Bundesregie-
ung auch personell die Diskurse über die Ausgestaltung
er Entwicklungszusammenarbeit und die Einbindung
er Beitrittsstaaten unterstützt. Fortbildung von Exper-
en und Praktika in deutschen Institutionen der Entwick-
ungszusammenarbeit sind unterstützenswert. Und wer
äre schon gegen die Fortsetzung eingeleiteter Reform-
rozesse in der EU? Der Antrag versäumt allerdings zu
enennen, wo die Blockaden einer stärkeren Abstim-
ung zwischen bilateraler und europäischer Entwick-
ungszusammenarbeit bestehen. Er schlägt keinen Bogen
u anderen Politikfeldern – wie der Handelspolitik –, auf
enen eine entwicklungsfreundliche Haltung der Bei-
rittsstaaten angezeigt wäre. Dass die Koalitionsfraktio-
en dem Thema die rechte Brisanz nicht zutrauen, zeigt
ich daran, dass wir zu später Zeit und ohne Überwei-
ung in die Ausschüsse darüber befinden. Meine Frak-
ion wird sich bei dem Antrag enthalten.
nlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Dem Beruf des Ret-
tungsassistenten eine Zukunftsperspektive ge-
ben – Das Rettungsassistentengesetz novellieren
(Tagesordnungspunkt 18)
Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Das 1989 in Kraft
etretene Gesetz über den Beruf der Rettungsassistentin
nd des Rettungsassistenten, RettAssG, regelt sowohl die
usbildung als auch die Aufgaben der Rettungs-
7378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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assistenten: die Notfallversorgung von (Schwer-)Verletz-
ten am Ort des Unfallgeschehens bis zum Eintreffen des
Notarztes und die Assistenz bei Maßnahmen des Arztes
sowie die qualifizierte Betreuung von Schwerkranken
beim Transport in eine Klinik. Es ist unbestritten, dass die
Aufgaben der Rettungsassistenten im Zuge des medizini-
schen Fortschritts, insbesondere des technischen Fort-
schritts in der Gerätemedizin, zunehmend anspruchsvol-
ler und verantwortungsvoller wurden.
Der Beruf des Rettungsassistenten ist ein reglemen-
tierter Heilberuf, der nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG in
die Zuständigkeit des Bundes fällt. Das Rettungsassis-
tentengesetz ist damit von dem derzeit laufenden Verfah-
ren zur Umsetzung der EU-Berufsanerkennungsrichtli-
nie betroffen und wird zurzeit ebenso wie andere
Gesetze, die unter diese Richtlinie fallen, zunächst bis
zum 20. Oktober 2007 im Hinblick auf die Anforderun-
gen der EU geändert. Hierzu wird das BMG ein Gesamt-
paket vorlegen, in dem alle reglementierten Heilberufe
des Bundes enthalten sind.
Das Rettungsassistentengesetz wurde von 1989 bis
heute insgesamt 13-mal geändert. Seitens der CDU/
CSU-Fraktion sehen wir ebenso wie die Bundesregie-
rung die Notwendigkeit, dass das Rettungsassistentenge-
setz nach der Vielzahl von Änderungen und Anpassun-
gen jetzt zeitnah in dieser Legislaturperiode novelliert
wird. Dies teilte die Bundesregierung im Juli dieses Jah-
res auch bereits auf eine entsprechende Anfrage der
FDP-Fraktion mit. Im Vorfeld der Novellierung hat die
Bundesregierung bei den Bundesländern Daten zur Or-
ganisation ihrer jeweiligen Rettungsdienste und zur Fi-
nanzierung der Rettungsassistentenausbildung erhoben.
Diese Angaben sind eine wichtige Grundlage für die
konkrete Ausgestaltung praxistauglicher neuer Regelun-
gen. Die Neuformulierung und Aktualisierung des Ge-
setzes bedarf dieser umfangreichen Vorarbeiten, die un-
ter anderem sowohl die Strukturen der Rettungsdienste
als auch die zu veranschlagenden Kosten betreffen. Die
unterschiedlichen Strukturen der Rettungsdienste in den
einzelnen Bundesländern müssen zum Beispiel bei der
Entscheidung berücksichtigt werden, inwieweit die Aus-
bildung stärker intensivmedizinisch oder praxisorientiert
auszurichten ist.
Wir sind uns darin einig, dass die Vielfalt unterschied-
lichster Notfälle ebenso wie die mitunter sehr hohe psy-
chische Belastung im Einsatz von den Rettungs-
assistenten eine umfassende und qualifizierte Ausbildung
verlangen. Sie müssen in der Lage sein, am Unfallort bis
zum Eintreffen des Notarztes eigenständige und eigen-
verantwortliche Entscheidungen zu treffen und selbst-
ständig zu handeln. Wir werden im Rahmen der Novellie-
rung des RettAssG durch eine diesen Anforderungen
angemessene, solide Ausbildungs- und Prüfungsordnung
dafür sorgen, dass die Rettungsassistenten auch künftig
über ein fundiertes Fach- und Sachwissen verfügen, das
sie dazu befähigt, selbst unter dem oft erheblichen Zeit-
druck am Unfallort kompetente und verantwortungsvolle
Entscheidungen zu treffen.
Wir wissen, dass die Rettungsassistenten zunehmend
Anfahrtszeiten der Notärzte überbrücken müssen. Die
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nhaltliche Ausbildung muss sie optimal auf diese Situa-
ionen vorbereiten. Deshalb werden ärztliche Experten
ie auch Rettungsassistenten, die über eine entspre-
hende Praxiserfahrung verfügen, bei der Erstellung des
esetzentwurfs gehört und einbezogen. Nach jetziger
enntnis spricht fachlich und inhaltlich vieles dafür, die
usbildungszeit für den Beruf des Rettungsassistenten
u verlängern – auch wenn dies erhebliche Mehrkosten
edeutet. Es geht bei der Novellierung aber nicht allein
m die Ausbildungszeit und -inhalte, sondern auch ganz
esentlich darum, die Kompetenzen und Aufgaben des
ettungsassistenten sowie die von ihm zu erfüllenden
nforderungen zu konkretisieren. Nicht zuletzt muss das
eue Gesetz den Rettungsassistenten wesentlich mehr
echtsklarheit bieten. Als diejenigen, die als Erste am
nfallort eintreffen, müssen sie klar und eindeutig wis-
en, was in schwierigen Situationen für sie zu tun und zu
erantworten ist. Nach derzeitiger Rechtslage läuft die
usübung von heilkundlichen Tätigkeiten am Einsatzort
nter dem Aspekt „rechtfertigender Notstand“ und es
ird oft unter der so genannten Notkompetenz gehan-
elt, die rechtlich nicht eindeutig geregelt und unter Ex-
erten umstritten ist. Dies bedeutet, dass sich die Ret-
ungsassistenten oft juristisch in einer nicht eindeutig
eregelten „Grauzone“ befinden, indem sie vor die
rage gestellt sind: Helfe ich jetzt – und überschreite ich
amit möglicherweise meine Kompetenzen – oder warte
ch noch auf den Arzt? Dies hat beispielsweise die Bun-
esärztekammer bereits vor einigen Jahren veranlasst,
ine Liste von Maßnahmen vorzulegen und zu empfeh-
en, die nach ihrer Überzeugung von Rettungssanitätern
or Ort ergriffen werden sollten.
Die Ständige Konferenz für den Rettungsdienst hat
nter dem Vorsitz von Professor Karl-Heinz Altemeyer,
linikum Saarbrücken, Anfang 2005 ein Eckpunktepa-
ier zur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes
orgelegt, an dem auch die Bundesländer, Berufsvereini-
ungen und andere Betroffene mitgewirkt haben. Darin
urden für die Ausbildung Strukturen und Vorschläge
rarbeitet, die sehr sinnvoll und sicherlich auch gut ge-
ignet dafür sind, als eine maßgebliche Grundlage für
ie anstehende Novellierung des RettAssG zu dienen.
benfalls in diesen Eckpunkten findet sich der Vor-
chlag, mit der Novellierung auch eine neue Berufsbe-
eichnung einzuführen. Insbesondere vor dem Hinter-
rund, dass sich die Bezeichnung „Rettungsassistent“
icht recht eingebürgert hat, ist es sinnvoll, eine neue
erufsbezeichnung einzuführen, die den neuen Kompe-
enzen und Qualifikationen des Berufs entspricht und
ine stärkere Signalwirkung hat.
Die Bundesregierung erledigt die erforderlichen Vor-
rbeiten zur Novellierung des Rettungsassistentengeset-
es, die insbesondere deshalb notwendig sind, weil die
rganisation der Rettungsdienste den Bundesländern
bliegt, sehr sorgfältig und wird das neue Gesetz in die-
er Legislaturperiode dem Bundestag zur Beratung und
ntscheidung vorlegen. Wir lassen uns auch durch den
eute von der FDP-Fraktion eingebrachten Antrag nicht
nter Zeitdruck setzen; denn es geht darum, bundesweit
inheitliche Grundlagen zu sichern, die bundesweit eine
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7379
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hohe Qualität und Wirksamkeit der medizinischen Erst-
versorgung am Unfallort gewährleisten.
Dr. Margrit Spielmann (SPD): Mit dem vorliegenden
Antrag der FDP werden Missstände im Bereich des Ret-
tungsdienstes, die sich aus der derzeitigen Regelung der
Ausbildung zum Rettungsassistenten ergeben, dargestellt.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, durch Novellie-
rung der Ausbildung Abhilfe zu schaffen.
Von der Arbeit der Rettungsassistenten und -assisten-
tinnen hängen oft Menschenleben ab. Sie sind rund um
die Uhr im Einsatz, leisten Hilfe und spenden Trost. Wer
sich für diesen Beruf entscheidet, muss mit Schmerz,
Krankheit und Tod umgehen können und bereit sein,
Verantwortung zu übernehmen.
Nach Angaben von Verdi befinden sich zurzeit
3 600 Rettungsassistenten und -assistentinnen in der
Ausbildung; vor fünf Jahren waren es nur 2 200. Nach
ihrer Ausbildung arbeiten sie bei Hilfsorganisationen
wie dem Arbeiter-Samariter-Bund und dem DRK, bei
Feuerwehren, Rettungsflugdiensten, an Flughäfen und
bei privaten Krankentransportunternehmen. In vielen
Bundesländern muss in jedem Rettungswagen oder -hub-
schrauber mindestens ein Rettungsassistent bzw. eine Ret-
tungsassistentin an Bord sein.
Wenn sie gerade nicht im Notfalleinsatz sind, beför-
dern sie Kranke und Hilfsbedürftige. Sie arbeiten in
Schichten und müssen Bereitschaftsdienste leisten. Im
Einsatz versorgen sie Notfallpatienten bis zum Eintreffen
des Notarztes. Sie assistieren dem Notarzt und sind
gleichzeitig Vorgesetzte von Rettungssanitätern und
Rettungshelfern. Rettungsassistenten sind zunehmend
gefordert, längere Anfahrtszeiten für Notärzte zu über-
brücken, und müssen deshalb mit besser definierten
Kompetenzen ausgestattet werden, zu denen sie entspre-
chend ausgebildet sind. Das derzeitige Berufsbild wird
den tatsächlichen Anforderungen an die Arbeit im
Rettungsdienst nicht gerecht.
Die Aussage der FDP, dass das Berufsbild des Rettungs-
assistenten schlecht definiert und die Berufsbezeichnung
missverständlich sei, ist hingegen zurückzuweisen. Das
Rettungsassistentengesetz regelt eine Ausbildung und
definiert nicht einen Beruf. Die Berufsdefinition erfolgt
im Rettungsdienst vielmehr durch die Länder, die hier die
alleinige Zuständigkeit haben und in ihren Rettungsdienst-
gesetzen dem Personal im Rettungswesen die entsprechen-
den Aufgaben zuweisen. Auch ist die Berufsbezeichnung
„Rettungsassistent“ nicht missverständlich. Sie hat sich
allerdings in der Öffentlichkeit nicht gegen die gängigere
Bezeichnung „Rettungssanitäter“ durchgesetzt, was im
Ergebnis zu Missverständnissen führt. Diese haben ihre
Ursache jedoch nicht in den gesetzlichen Regelungen.
Die Tatsache, dass die Schüler und Schülerinnen die
Kosten des Lehrgangs tragen, ist in den Berufsgesetzen,
die die Ausbildungen zu den Heilberufen regeln, üblich.
Bei dem Beruf des Rettungsassistenten handelt es sich
im Übrigen schon jetzt um einen Heilberuf im Sinne von
Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Grundgesetz.
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Das BMG hat bereits wiederholt deutlich gemacht,
ass das Eckpunktepapier der Ständigen Konferenz für
en Rettungsdienst als geeignetes Material für die Novel-
erung der Ausbildung der Rettungsassistenten angesehen
ird. Bevor es jedoch zu einem Entwurf eines Gesetzes
ur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes kommt,
ie Sie von der FDP es in Ihrem Antrag fordern, müssen
ie offenen Fragen geklärt werden.
So hängt die Struktur der Ausbildung, also das Verhält-
is von Unterricht und praktischer Ausbildung, ganz we-
entlich von der Ausgestaltung der Kompetenzen ab. Eine
usbildung, die zum Beispiel die eigenständige Notfall-
ersorgung am Einsatzort ermöglichen soll, bedarf eines
ergleichsweise umfangreichen Ausbildungsanteils in den
tensivmedizinischen Bereichen des Krankenhauses, um
ie erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sicher zu
rlernen.
Für den Fall der Zahlung einer Ausbildungsvergütung
t die Finanzierung zu klären. Da sich der Rettungsdienst
us Gebühren, Beiträgen und Entgelten finanziert, die
wischen den Trägern des Rettungsdienstes und den
rankenkassen verhandelt werden, gibt es keine Möglich-
eit der Finanzierung über die GKV. Um zur Klärung
ieser Fragen beizutragen, wurde eine Umfrage bei den
ändern initiiert.
Unabhängig von der Ausbildungsvergütung entstehen
uch sonstige Kosten durch eine Verlängerung der Ausbil-
ung auf drei Jahre, zum Beispiel durch steigende Anfor-
erungen an die Qualifikation der Lehrer. Die Erfahrungen
it dem neuen Krankenpflegegesetz zeigen, dass eine
orgfältige Befassung mit der Kostenfrage unabdingbar ist.
Neben den im Antrag angesprochenen Punkten ist aus
icht des BMG außerdem die Frage der Übergangsvor-
chriften klärungsbedürftig, weil die angestrebte Ausbil-
ung eine Überleitung der bisherigen Rettungsassistenten
hne zusätzliche Nachqualifikation nicht zulassen dürfte.
ngeklärt ist außerdem die Einbindung der Feuerwehren,
ie insbesondere in den Städten in nicht unerheblichem
mfang am Rettungsdienst beteiligt sind. Außerdem stellt
ich die Frage der Anrechnung der bisherigen Ausbildun-
en auf die neu geregelte Ausbildung.
Wir lehnen den Antrag deshalb ab. Nach Klärung die-
er Fragen soll die Novellierung des Gesetzes noch in
ieser Legislaturperiode erfolgen.
Jens Ackermann (FDP): Die Rettungskräfte in
eutschland leisten eine hervorragende Arbeit, eine Ar-
eit, die angesichts der Bedeutung der schnellstmögli-
hen Erstversorgung bei Notfällen nicht ausgiebig genug
ewürdigt werden kann. Für die FDP-Fraktion möchte
ch allen Rettungskräften den ihnen gebührenden Dank
ür ihre Arbeit aussprechen. Weil die Arbeit der Rettungs-
ssistenten so wichtig ist, haben sie auch Recht auf ein
esetz, welches ihren Leistungen und Möglichkeiten
ntspricht, ein Gesetz, das ihnen einen verbindlichen
ahmen gibt.
Der Antrag, den meine Fraktion eingebracht hat, ist
ringend notwendig, die Umsetzung noch viel dringli-
her. Bei all der guten Arbeit und dem Einsatz der Ret-
7380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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tungskräfte ist es unsere Pflicht, diesen Rettungsassis-
tenten durch zeitgemäße Rahmenbedingungen ihre
Arbeit auf höchstem technischen und praktischen Ni-
veau zu ermöglichen, im Interesse der Rettungsassisten-
ten, aber vor allem auch im Interesse der Patienten.
Das Rettungsassistentengesetz stammt aus dem Jahr
1989. Seit dieser Zeit hat sich viel geändert, was Dia-
gnose- und Therapiemöglichkeiten in der Notfallmedizin
angeht. Wir brauchen ein Gesetz auf Höhe der Zeit, wel-
ches den Rettungsassistenten zur Ausübung ihres Beru-
fes genügend rechtliche Handhabe auf den Weg gibt.
Wir brauchen ein Gesetz, das den Beruf des Rettungsas-
sistenten zeitgemäß definiert. Unseren Antrag zusam-
mengefasst bedarf es folgender gesetzgeberischer Ände-
rungen, um die Situation von Rettungsassistenten zu
verbessern: Erstens. Der Beruf des Rettungsassistenten
muss als Heilberuf anerkannt werden. Zweitens. Die
Ausbildung muss der Aufgabe entsprechend in eine klas-
sische Berufsausbildung umgewandelt werden. Dabei
sollen ständige Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen die
Flexibilität der Rettungsassistenten im Beruf ermögli-
chen und die Qualität sichern. Drittens. Die Rettungs-
assistenten brauchen eine klar definierte Handlungskom-
petenz.
Lassen Sie mich dies näher erläutern: Die übermäßige
Belastung eines Rettungsassistenten geht über das für je-
den von uns Vorstellbare hinaus. Es sind nicht nur die
schrecklichen Bilder am Einsatzort oder der Lauf gegen
die Zeit, die Stress auslösen. Es sind auch Gewissensfra-
gen, mit welchen der Rettungsassistent während des Ein-
satzes vom Gesetzgeber allein gelassen wird. Er oder sie
ist der oder die Erste am Ort und soll die ersten Maßnah-
men bis zum Eintreffen des Notarztes einleiten, darf aber
nicht alles tun, was in den praktischen und technischen
Möglichkeiten stünde – ein Gewissenskonflikt, der völ-
lig unnötig ist.
Die geltende Rechtslage ist unkomplett. Es fehlt den
Rettungsassistenten die Handlungskompetenz, auch Re-
gelkompetenz genannt. Den Rettungsassistenten wird
zugemutet, vor der Durchführung einer medizinischen
Maßnahme zu prüfen, ob die Voraussetzung für die
Durchführung einer Notkompetenzmaßnahme, letztlich
also die Voraussetzungen des gerechtfertigten Notstands
gemäß § 34 StGB, vorliegen. Lediglich eine Stellung-
nahme der Bundesärztekammer zur Notkompetenz des
Rettungsassistenten gibt dem Rettungsfachpersonal vor
Ort Vorgaben, selbst wenn diese zu eng gefasst und nicht
in jeder Notsituation anwendbar sind. Dies bleibt nicht
allein eine Forderung der Rettungsassistenten, sondern
wird auch von Notärzten unterstützt; denn es geht nicht
um Amtsanmaßung, es geht um die notwendige Grund-
versorgung bis zum Eintreffen des Notarztes. Die Erfah-
rungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Rettungs-
assistenten die Erweiterung dieser Kompetenz sehr
dezidiert und gewissenhaft umsetzen können.
Grundvoraussetzung ist natürlich, dass der Beruf des
Rettungsassistenten endlich als Heilberuf anerkannt
wird. Zwar ist das Rettungswesen Ländersache, aber der
Bund muss die Vorgaben machen und den Beruf für ganz
Deutschland definieren. Mir soll einer erklären, welchen
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nterschied es bei der Theorie der Krankenpfleger und
er der Rettungsassistenten gibt. Ich bin in beidem aus-
ebildet und ich versichere Ihnen: Es gibt keinen. Wa-
um erhalten Krankenpfleger eine klassische Berufsaus-
ildung und Rettungsassistenten nicht? Das Recht auf
ine ordentliche Ausbildung sollen beide haben, wenn
ns wenigstens etwas an diesen Berufen liegt. Eine klas-
ische Berufsausbildung würde endlich die peinliche Si-
uation beheben, dass die Auszubildenden im Rettungs-
ienst ihre Ausbildung selbst zahlen müssen. Es würde
uch dazu führen, dass die Leistungserbringer wieder
usbilden, was sie zurzeit dank übereifriger, kurzsichti-
er Gewerkschaftsfunktionäre nicht mehr können. Nur
eil die Gewerkschaft Verdi die Einklagbarkeit von
raktikumsgehältern gerichtlich durchgesetzt hat, geht
ie Zahl der freien Ausbildungsstellen zurück. Ein klei-
es Rettungsdienstunternehmen oder eine Hilfsorganisa-
ion kann diese Kosten nicht tragen. Diesen Notstand
ann nur eine geregelte klassische Berufsausbildung in-
erhalb eines novellierten Rettungsassistentengesetzes
eheben.
Mit einer Anerkennung des Berufes des Rettungsas-
istenten als Heilberuf und der Umwandlung in eine
lassische Berufsausbildung gibt es die Chance, eine
urchlässigkeit und Flexibilität der Medizinalfachberufe
u erreichen, die allen nutzt: Kosten können durch ge-
einsame Ausbildungselemente gespart werden. Die
uszubildenden und Angehörige aus den Medizinal-
achberufen können wechseln, sich Ausbildungs- und
eschäftigungsdauer anrechnen lassen – ihr Berufsleben
reier gestalten. Fort- und Weiterbildungen sichern da-
über die lebensnotwendige Qualität und geben den
achkräften die Möglichkeit, den technischen Anforde-
ungen in ihrem Beruf standzuhalten, daran zu wachsen.
Rettungsassistent muss ein Heilberuf sein. In diesem
usammenhang möchte ich nur kurz auf die Berufsbe-
eichnung verweisen, die in der Bevölkerung oft miss-
erstanden wird, weil sie unklar ist. Ein neues Gesetz
önnte diesen Missstand beheben.
Unser Antrag stellt ganz besonders die Verständigun-
en der Ständigen Konferenz für den Rettungsdienst he-
aus, weil sie zeigen, dass es Konsens auf diesem Gebiet
eben kann und es diesen Konsens geben muss. Dem
önnen wir uns in diesem Hohen Haus nicht verschlie-
en.
Mir liegt eine Novellierung des Rettungsassistenten-
esetzes zum Wohle aller sehr am Herzen; denn sie ist
ringlich. Deswegen erwähne ich die ungerechten Kür-
ungen der Fahrtkosten um drei Prozent in der so ge-
annten Gesundheitsreform nur am Rande. Ich kann es
ber nicht verschweigen, denn es geht an die Substanz
er Hilfsorganisationen und der privaten Rettungsunter-
ehmen. Es kann nicht sein, dass der Eindruck erweckt
ird, die Rettungsdienste verlängern unnötigerweise die
ettungs- und Krankentransporte, obwohl sie nur das
msetzen, was zunächst vom Arzt angeordnet und von
er Krankenkasse abgesegnet worden ist. Anderes zu be-
aupten ist unfair und macht Stimmung gegen diejeni-
en, die mehr als nur Dienst nach Vorschrift schieben.
ie Fahrten werden oftmals länger, weil Krankenhäuser
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7381
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geschlossen werden. Das ist ein Resultat der Gesund-
heitspolitik.
Bei der ganzen verfehlten Gesundheitspolitik, die
kein Mensch versteht und keinem nützt, appelliere ich an
Sie, wenigstens einmal zum Wohle der Patienten zu ent-
scheiden und diejenigen, die letztendlich für deren Über-
leben nach Notfällen verantwortlich sind, mit Hand-
lungskompetenz, verbesserten Bildungsangeboten und
nachhaltiger Qualität auszustatten. Ich appelliere an Sie,
den Antrag zu unterstützen und gemeinsam ein neues,
modernes Gesetz zu schaffen, das dem Beruf des Ret-
tungsassistenten eine wirkliche Zukunftsperspektive
gibt. Es geht um eine ganze, engagierte Berufsgruppe, es
geht aber in letzter Linie um die Notfallpatienten. Um
deren Willen sollten wir gerade hier die höchste Qualität
anstreben und die kann es nur mit einem neuen, novel-
lierten Rettungsassistentengesetz geben. Lassen Sie es
uns gemeinsam angehen! Unser Angebot steht.
Frank Spieth (DIE LINKE): Der Antrag der FDP
„Dem Beruf des Rettungsassistenten eine Zukunftsper-
spektive geben – das Rettungsassistentengesetz novellie-
ren“ wird von meiner Fraktion nicht nur begrüßt, sondern
in wesentlichen Teilen unterstützt.
Der Rettungsdienst hat, wie andere Berufe im Gesund-
heitswesen, mit erheblichen Nachwuchsproblemen zu
kämpfen. Die Attraktivität eines Berufes hängt wesentlich
von seinen Qualifikationsmerkmalen ab, die von der Aus-
bildung und den Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
bestimmt werden und schließlich auch die Einkommens-
bedingungen beeinflussen.
Die Ausbildung zum Rettungsassistenten/-assistentin
in der Bundesrepublik weist aufgrund der anachronisti-
schen Sonderstellung im Berufbildungssystem gravierende
Unzulänglichkeiten auf. Das Rettungsassistentengesetz
von 1989 schreibt eine zweijährige Ausbildung an Ret-
tungsassistentenschulen vor. Innerhalb der zweijährigen
Ausbildung ist dann ein einjähriges Praktikum abzuleisten.
Diese Ausbildung weist diverse Schwächen auf, die mit
einer Novellierung des Rettungsassistentengesetzes
behoben werden sollten. Eine Verzahnung von Theorie
und Praxis findet nach Angaben der Betroffenen nicht
im notwendigen Maß statt. Die Voraussetzungen und
Anforderungen an die Lehrassistenten sind nicht geregelt,
sodass an vielen Schulen der Unterricht von pädagogisch
unqualifizierten Lehrassistenten erteilt wird.
Ein Teil der Nachwuchssorgen im Rettungsdienst hat
seinen Grund in dem Schulgeld, das von den Schulen er-
hoben wird. Das Schulgeld in Höhe von 2 500 bis
3 000 Euro muss von den Schülerinnen und Schülern aus
eigener Tasche bezahlt werden. Darüber hinaus kommt
eine Ausbildungsvergütung für die Auszubildenden in
diesem System nicht vor.
Deshalb ist die von der ständigen Konferenz für den
Rettungsdienst geforderte Novellierung des Rettungsassis-
tentengesetzes dringend erforderlich.
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich
meine Fraktion über die von der ständigen Konferenz auf-
gestellten Eckpunkte hinaus für eine Ausbildungsordnung
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ach dem Berufsbildungsgesetz ausspricht. Wir möchten
amit wesentliche Elemente einer betrieblichen dualen
erufsausbildung herstellen.
Außerdem empfehlen wir, die Berufsbezeichnung
ettungssanitäter/Rettungssanitäterin zu wählen, da die
isherige Berufsbezeichnung den Assistenzcharakter zu
tark betont. Mit der von uns gewünschten Berufsbezeich-
ung wird die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung
ieses Fachberufes im Rettungsdienst hervorgehoben.
Ich gehe davon aus, dass wir in den weiteren Beratun-
en in den Ausschüssen bezüglich unserer Vorschläge
och zu eindeutigen Regelungen kommen können.
leichzeitig hoffe ich, dass die Koalition das Anliegen,
inen Beruf mit Zukunft zu schaffen, unterstützt.
Es ist bedauerlich, dass die dem Bundesgesundheitsmi-
isterium seit dem Frühjahr 2005 vorliegenden Vor-
chläge bisher nicht zu einer Novellierung des Rettungs-
ssistentengesetzes geführt haben. Deshalb ist ein
eschluss des Bundestages erforderlich.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ie Güte und Zielschärfe eines Gesetzes muss sich idea-
erweise immer wieder in der gesellschaftlichen Wirk-
ichkeit beweisen. So gesehen, wird das Rettungsassis-
entengesetz aus dem Jahre 1989 den heutigen
nforderungen an eine qualitativ hochwertige Ausbil-
ung von Rettungssanitäterinnen und Rettungssanitätern
ängst nicht mehr gerecht. Es mag verwundern und viel-
eicht mangelnder Kommunikation zwischen Protago-
isten und politischen Entscheidungsträgern geschuldet
ein, dass trotz des Reisensburger Memorandums, das
m Ergebnis eines interdisziplinären Workshops bereits
996 auf erhebliche Defizite hinwies, und trotz einer
eihe von Eckpunkte- und Positionspapieren aus der
achwelt in den letzten Jahren, einschließlich der Vor-
chläge der ständigen Konferenz für den Rettungsdienst,
as Problem erst jetzt die Legislative erreichte. Dies
ann sich die FDP mit ihrer diesbezüglichen Kleinen
nfrage und dem vorliegenden Antrag zu Recht als Ver-
ienst zurechnen.
Wer eine effektive Hilfe im Falle eines lebensbedroh-
ichen Notfalls erwartet, der wird sich schnell darüber im
laren sein, dass dafür nur gut ausgebildete Rettungsas-
istentinnen und Rettungsassistenten in Mitverantwor-
ung genommen werden können, denen auch entspre-
hende Handlungskompetenzen eingeräumt werden.
oderner Rettungsdienst lässt sich nicht mehr nach dem
otto „Warte bis der Arzt kommt“ erfolgreich gestalten.
eshalb sollte das Ausbildungsniveau dem Ausbil-
ungsniveau einer examinierten Krankenschwester an-
epasst werden, zumal eine dreijährige Ausbildung auch
U-konform ist. Neben der Frage der Ausbildungsquali-
ät, die unseres Erachtens nur ausgerichtet an verbindli-
hen bundeseinheitlichen Standards, beispielsweise auf
asis von Richtlinien medizinischer Fachgesellschaf-
en, erfolgen sollte und der Frage eines definierten Be-
ufsbildes mit klar zugewiesenen Kompetenzen, gilt es,
ie Fragen der Zugangsvoraussetzungen, Ausbildungs-
ertifizierung und Zugangsgerechtigkeit zu klären. Zu-
angsgerechtigkeit und die gesellschaftliche Anerken-
7382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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nung eines Berufes sind untrennbar auch mit einer
gesicherten Finanzierung verbunden, einschließlich ei-
ner kostenfreien Ausbildung und angemessener Ausbil-
dungsvergütung. Bei diesen letztgenannten Fragen wür-
den wir im Rahmen einer parlamentarischen Diskussion
den Antrag der FDP gern verbessern helfen, den wir an-
sonsten als Auftakt für die nunmehr auch von der Regie-
rung als Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP in
Aussicht gestellte Gesetzesnovellierung positiv bewer-
ten.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Kein Bau einer festen Fehmarnbelt-Que-
rung – Fährkonzept verbessern
– Statt fester Fehmarnbelt-Querung – Für ein
ökologisch und finanziell nachhaltiges Ver-
kehrskonzept
(Tagesordnungspunkt 19 und Zusatztagesord-
nungspunkt 9)
Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir diskutieren
heute einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
und der Linksfraktion zum Bau der festen Fehmarnbelt-
Querung. In diesen Anträgen sprechen sich beide Frak-
tionen gegen den Bau dieser kombinierten Straßen-Ei-
senbahn-Verbindung zwischen der Insel Fehmarn in
Deutschland und der Insel Lolland in Dänemark sowie
den damit notwendigen Hinterlandanbindungen aus. Be-
gründet wird die Ablehnung in beiden Anträgen unter
anderem mit dem Ergebnis einer Studie zum Nutzen-
Kosten-Verhältnis dieses Verkehrsprojekts, welches weit
unter demjenigen für ein optimiertes Fährkonzept liege,
weswegen letzterem aus volkswirtschaftlichen Gründen
der Vorzug zu geben sei. Des Weiteren wird in dem An-
trag ausgeführt, dass sich die Kosten für die Brücke an-
gesichts der sehr geringen prognostizierten Verkehrs-
mengen nicht über eine Nutzerfinanzierung durch
Trassengebühren für die Schienennutzung und Mautge-
bühren für Kraftfahrzeuge refinanzieren ließen. Deswe-
gen sei ein rein privatwirtschaftlicher Bau und Betrieb
der festen Fehmarnbelt-Querung ausgeschlossen und
eine finanzielle Beteiligung des Bundes nicht zu recht-
fertigen. Dies hätten auch die negativen Erfahrungen mit
anderen Public-Private-Partnership-Projekten gezeigt,
wie etwa die Tunnelprojekte in Lübeck und Rostock. Die
Linksfraktion behauptet darüber hinaus, dass dieses Ver-
kehrsprojekt keinen Beitrag zur wirtschaftlichen Ent-
wicklung der Region leiste. So weit die Anträge.
Lassen Sie mich zunächst einmal festhalten: Es ist er-
klärter politischer Wille des Königreiches Dänemark
und der Bundesrepublik Deutschland, die feste Feh-
marnbelt-Querung zu realisieren. Im Koalitionsvertrag
vom 11. November 2005 haben sich CDU, CSU und
SPD dafür ausgesprochen, sich für die Realisierung der
festen Fehmarnbelt-Querung als internationales PPP-Re-
ferenzvorhaben einzusetzen. Im Koalitionsvertrag zwi-
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chen der CDU und SPD in Schleswig-Holstein vom
6. April 2005 ist dieses Verkehrsprojekt als vorrangig
u realisierendes Projekt festgeschrieben. Auch CDU
nd SPD in Mecklenburg-Vorpommern sprechen sich in
hrem Koalitionsvertrag vom 6. November 2006 nicht
rundsätzlich gegen den Bau der festen Fehmarnbelt-
uerung aus, lehnen jedoch den Einsatz öffentlicher Fi-
anzmittel und die Abgabe von Staatsgarantien hierfür
b. Die Freie und Hansestadt Hamburg spricht sich
benfalls für den Bau der Brücke zwischen Fehmarn und
olland aus. Dänemark hat ein großes Interesse an einer
aschen Anbindung nicht nur des Königreiches, sondern
es gesamten skandinavischen Raumes an Deutschland
nd Mitteleuropa und will die feste Fehmarnbelt-Que-
ung deshalb schnell realisiert wissen.
Am 21. April 2006 verständigten sich daher Bundes-
inister Tiefensee, der dänische Verkehrsminister,
lemming Hansen, sowie der Minister für Wissenschaft,
irtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein,
ietrich Austermann, auf einen Zeitplan. Dabei ist für
ie Entscheidung über das Projekt feste Fehmarnbelt-
uerung eine erneute Bewertung verschiedener Finan-
ierungsmodelle vorgesehen. Die Vorbereitung der
eiteren Schritte obliegt einem deutsch-dänischen Len-
ungsausschuss. In den Leitlinien für den Aufbau eines
ranseuropäischen Verkehrsnetzes – TEN – sind die feste
erbindung über den Fehmarnbelt sowie die Eisenbahn-
trecken für die Anbindung in Deutschland und Däne-
ark in der Liste der vorrangigen Projekte enthalten.
ährend Minister und Parlamentarier der großen Koali-
ion das Projekt vorantreiben, reiben sich Linksfraktion
nd die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen einmal
ehr an der Stärkung der Infrastruktur in der gesamten
stseeregion. Dazu ist beiden Fraktionen nahezu jedes
rgument recht.
Beginnen wir mit dem von Bündnis 90/Die Grünen
nd Linksfraktion aufgestellten Argument, die feste Feh-
arnbelt-Querung werde genauso unwirtschaftlich sein
ie der Herrentunnel in Lübeck und der Warnowtunnel
n Rostock. Hier ist festzuhalten: Die feste Fehmarnbelt-
uerung ist mit diesen Projekten überhaupt nicht ver-
leichbar. Wenn man um den Fehmarnbelt herumfahren
ill, dann muss man einen großen Umweg über Jütland
nd Fünen in Kauf nehmen. Dieser nimmt nicht nur
ehr Zeit in Anspruch, er ist durch die Brückenmaut am
roßen Belt zwischen den Inseln Fünen und Seeland
uch teuer. Zweite Alternative der Umfahrung des Belts
äre das Ausweichen über die Fährverbindung
ostock–Gedser, was ebenfalls erheblich Zeit in An-
pruch nehmen würde. Diese Sachlage gibt es beim Her-
entunnel und beim Warnowtunnel eben nicht: Wie in
übeck besteht das Hauptproblem des Warnowtunnels in
ostock darin, dass es kostenlose Alternativen gibt. So-
ohl Herrentunnel als auch Warnowtunnel können von
en Verkehrsteilnehmern unter Inkaufnahme eines kur-
en Umweges umfahren werden, was viele Autofahrer
uch tatsächlich tun. Beim Fehmarnbelt ist die Sachlage
ingegen eine völlig andere. Ein weiterer wichtiger As-
ekt in diesem Zusammenhang ist, dass die Gebühr für
ie Fahrt über die Brücke die Kosten für die Fähre nicht
bersteigen wird. Es kann also ohne längere Wartezeit
er Fehmarnbelt schneller und zum gleichen Preis über-
uert werden.
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Es ist bedauerlich, dass insbesondere die Bundestags-
fraktion von Bündnis 90/Die Grünen dies anscheinend
nicht zur Kenntnis nehmen will. In der von Ihnen in Ih-
rem Antrag zitierten Antwort auf die Große Anfrage Ih-
rer Parteifreunde in Schleswig-Holstein wird ausgeführt,
dass die Gesamtreisezeit zwischen Puttgarden und
Rödby per Schiff einschließlich Einchecken und Aus-
checken derzeit durchschnittlich 59 Minuten beträgt.
Nach der Verkehrsprognose „Fehmarn Belt Forecast
2002, Fehmarnbelt Traffic Consortium, April 2003“
würde bei einem umgesetzten optimierten Fährkonzept
mit sechs Doppelend-Ro/Ro-Fähren, die eine höhere
Reisegeschwindigkeit haben, eine verringerte Liegezeit
in Rödbyhavn und Puttgarden vorweisen sowie bei einer
Erweiterung der zum Meer führenden Fahrrinnen auf
zwei Spuren im Ergebnis die Gesamtreisezeit auf 52 Mi-
nuten reduziert werden – also sieben Minuten weniger
als jetzt. Mit einer festen Fehmarnbelt-Querung würde
die Überfahrt für einen PKW hingegen nur circa 12 Mi-
nuten beziehungsweise für einen Lkw circa 18 Minuten
dauern. Für den Bahnverkehr ist hier mit einer noch ge-
ringeren Fahrzeit zu rechnen, weil die Züge im Gegen-
satz zum Kraftfahrzeugverkehr keine Mautstelle zu pas-
sieren haben, da die Kosten für die Brückenpassage
schon im Fahrpreis enthalten wären. Dies würde die At-
traktivität der Bahn zwischen der Region Hamburg/Lü-
beck und der Öresundregion beträchtlich erhöhen und
somit ein Plus für den Umweltschutz bedeuten. Nicht
umsonst sind somit in den Leitlinien für den Aufbau des
transeuropäischen Verkehrsnetzes – TEN – neben dem
Projekt als solchem auch die Schienenhinterlandanbin-
dungen in der Liste der vorrangig zu realisierenden Vor-
haben enthalten. Der Ausbau des gesamten Schienenwe-
ges über den Fehmarnbelt kann daher als
grenzüberschreitendes Projekt von den TEN-Mitteln
profitieren.
In ihrem Antrag behauptet die Linksfraktion ferner,
eine feste Fehmarnbelt-Querung würde keinen Beitrag
zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region leisten; po-
sitive wirtschaftliche Effekte würden allenfalls überwie-
gend in der Bauphase erwartet. Eine vom Bundesminis-
terium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem
dänischen Transport- und Energieministerium in Auftrag
gegebene Studie vom Februar 2006 zeichnet hier ein
vollkommen anderes Bild. Diese Studie hat die dynami-
schen und strategischen Effekte einer festen Verbindung
über den Fehmarnbelt für den Kreis Ostholstein und
Storströms Amt auf Lolland untersucht. Diese beiden
Regionen sind heutzutage im jeweiligen Land etwa an-
derthalb Stunden von einer dynamischen Metropole
– Kopenhagen beziehungsweise Hamburg – entfernt.
Eine feste Fehmarnbelt-Querung werde zukünftig die Si-
tuation dahin gehend verändern, dass die beiden Regio-
nen in der Mitte von zwei Metropolen liegen. Dadurch,
so die Studie, entstünden neue Herausforderungen für
die ökonomische Entwicklung beider Regionen. Der ein-
fachere Marktzugang und die Möglichkeiten einer ver-
besserten Kooperation seien dabei besonders hervorzu-
heben. Die Studie von „Copenhagen Economics &
Prognos“ kommt dabei zu folgenden Ergebnissen: Ers-
tens. Das Baugewerbe werde in der Bauphase der Feh-
marnbelt-Verbindung einen Aufschwung erleben. Zwei-
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ens. Im Tourismus, in dem schon heute beide Regionen
esondere Stärken hätten, werde die feste Verbindung
owohl das Marktpotential als auch die Wettbewerbsfä-
igkeit gegenüber konkurrierenden Standorten verbes-
ern. Drittens. Im Exportbereich sei insbesondere ein
achstum für kleine und mittelständische Unternehmen
owie für herkömmliche Waren und Güter sowohl in be-
tehenden als auch in neuen Märkten zu erwarten, wenn
ie verbesserte Infrastruktur zu einer Reduzierung der
xportkosten führe. Viertens. Im Cluster Gesundheits-
irtschaft/ Medizintechnik ermögliche die feste Verbin-
ung Storströms Amt und Kreis Ostholstein, sich gegen-
eitig zu ergänzen und so die Wettbewerbsfähigkeit in
eiden Regionen zu steigern.
Dies alles zeigt: Die feste Fehmarnbelt-Querung
ringt erhebliche Vorteile. Wir dürfen und wir werden
ns der Zukunft daher nicht verschließen, wie es die
inksfraktion und die Fraktion von Bündnis 90/Die Grü-
en mit ihren Anträgen heute zum Ausdruck bringen. In
en Ausschussberatungen werden wir hierüber noch zu
prechen haben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
ehnt die Vorstellungen der Linksfraktion und der Frak-
ion von Bündnis 90/Die Grünen zur festen Fehmarn-
elt-Querung, wie sie in den uns jetzt vorliegenden An-
rägen zum Ausdruck kommen, ab.
Hans-Joachim Hacker (SPD): Seit Jahren wird
as Projekt einer festen Fehmarnbelt-Querung disku-
iert. In diese Erörterung haben sich Wirtschafts-
erbände, Umweltschutzorganisationen, Vertreter der
etroffenen Gebietskörperschaften und andere interes-
ierte Kreise eingeschaltet. Bei der Bewertung der beiden
orliegenden Anträge der PDS-Fraktion und der Frak-
ion von Bündnis 90/Die Grünen sind zu allererst die be-
tehenden Absprachen zwischen den beteiligten Staaten
eranzuziehen.
Wie ist der Stand der Dinge? Nach Unterzeichnung
es Staatsvertrages zwischen Dänemark und Schweden
ber eine feste Verbindung über den Öresund im Jahr
991 verabredeten die Bundesregierung und die dänische
egierung, die Errichtung einer festen Fehmarnbelt-
uerung zwischen Deutschland und Dänemark zu unter-
uchen. Seit 1995 sind umfangreiche Machbarkeitsstu-
ien erarbeitet worden, die der Schaffung einer gemein-
amen Entscheidungsgrundlage dienen sollen. Im Juni
004 haben der deutsche und der dänische Verkehrsmi-
ister eine Gemeinsame Erklärung über die Zusammen-
rbeit bei der Weiterentwicklung einer festen Fehmarn-
elt-Querung unterzeichnet. Bei einem erneuten Treffen
m Juni 2005 stimmten der damalige Bundesverkehrs-
inister Dr. Manfred Stolpe und sein dänischer Amts-
ollege Flemming Hansen überein, die Arbeiten an der
msetzung der Gemeinsamen Erklärung wie vereinbart
uszuführen.
Im Mittelpunkt und als wichtige Grundlage für eine
ntscheidungsfindung über die Vorbereitung eines Staats-
ertrages auf Regierungsebene stand die Prüfung folgen-
er Fragen: die Suche nach einem sicheren Finanzierungs-
odell, die Auswahl einer optimalen technischen Lösung
nd komplexe Fragen aus dem Bereich des Umwelt-
chutzes.
7384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
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Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieses Pro-
jekt einschließlich der Schienenhinterlandanbindungen in
die Liste der vorrangig zu realisierenden Vorhaben der
Leitlinien für den Ausbau des transeuropäischen Ver-
kehrsnetzes – TEN – enthalten ist, sind die Erfordernisse
für optimale Hinterlandanbindungen für Schiene und
Straße dazugekommen. Diese komplexen Fragestellun-
gen befinden sich derzeit in einer umfassenden fach-
lichen Untersuchung und Prüfung. Für mich erschließt
sich die Logik der beiden Anträge nicht, in dieser Phase
der umfangreichen Prüfungen aller maßgeblichen Frage-
stellungen die Arbeiten an der Projektstudie einzustellen.
Würde man den Anträgen folgen, würden die bisherigen
Arbeiten ohne die Ermittlung eines belastbaren Prüf-
ergebnisses eingestellt. Das wäre nicht sachgerecht und
im Übrigen muss es als Illusion angesehen werden, dass
sich die dänische Regierung auf eine solche Option ein-
lässt.
Ich halte wenig von der Spekulation im politischen
Bereich, ob denn nun wirklich noch in diesem Jahr eine
Entscheidung über die feste Fehmarnbelt-Querung durch
die Bundesregierung vorbereitet wird, oder ob dieses zu
Beginn des Jahres 2007 erfolgt. Bei der Größe des zu un-
tersuchenden Vorhabens und der damit in Verbindung
stehenden Fragestellungen aus den Bereichen Infrastruk-
turpolitik und Umweltschutz sowie der damit verbunde-
nen finanziellen Konsequenzen halte ich das Prinzip
Qualität vor Zeitdruck für überzeugender. Und natürlich
muss im Prüfungsverfahren eine Abwägung der Interessen
aller direkt oder indirekt betroffenen norddeutschen Län-
der erfolgen. Die Prüfung der Idee der Schaffung einer fes-
ten Fehmarnbelt-Querung muss mögliche Auswirkungen
auf den Tourismus und die regionale Wirtschaftsstruktur
auf Fehmarn und im Kreis Ostholstein einschließen.
Im Koalitionsvertrag vom November 2005 ist die
Prüfung der Fehmarnbelt-Querung als internationales
PPP-Referenzvorhaben festgeschrieben. Mir ist schon
klar, dass die beiden Oppositionsfraktionen, die nach
den heute zu beratenden Anträgen die Projektunter-
suchungen beenden wollen, nicht die Umsetzung des
Koalitionsvertrages als ihre Sache ansehen. Einsichtig
müsste den Antragstellern aber sein, dass kurz vor Ende
der umfangreichen Prüfphase ein Beschluss des Bundes-
tages mit dem geforderten Inhalt unlogisch ist. Deshalb
kann die SPD-Bundestagsfraktion zu den beiden Anträ-
gen nur eine klare Ablehnung erklären.
Man könnte an dieser Stelle eigentlich die Ausführun-
gen zum Thema beenden. Wegen der Bedeutung, der mit
dem Projekt verbundenen komplexen Fragestellungen
will ich aber noch auf folgende Fakten hinweisen: Zu
den Umweltaspekten einer festen Fehmarnbelt-Querung
und den Erfordernissen für leistungsfähige Hinterland-
anbindungen hat ein informelles Konsultationsverfahren
stattgefunden, dessen Ergebnisse im Oktober 2006 veröf-
fentlicht worden sind. Die Öffentlichkeit, Verbände und
Behörden hatten während eines sechswöchigen Zeitraumes
die Möglichkeit, ihre Bewertungen zu den umweltrele-
vanten Fragen in den Prüfungsprozess einzubringen.
Dieses Umweltkonsultationsverfahren ersetzt nicht die
Umweltverträglichkeitsprüfungen und Öffentlichkeits-
beteiligungen, die nach den nationalen Genehmigungs-
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erfahren durchzuführen wären, wenn für das Projekt
rünes Licht gegeben wird. Das Umweltkonsultations-
erfahren hat neben zustimmenden Bewertungen auch
edenken gegen die Projektrealisierung zum Ausdruck
ebracht. Diese Bedenken und weitere Stellungnahmen
ollen in die weiteren Untersuchungen einbezogen werden.
utachten sind sicherlich zu jenen Fragen erforderlich,
ei denen kein ausreichender Wissensstand dokumen-
iert werden kann. Diese Untersuchungen können aber
rst dann erfolgen, wenn die Grundsatzentscheidung ge-
ällt ist.
In den Diskussionen der letzten Monate ist die Frage
er Ausgestaltung der Finanzierung immer wieder the-
atisiert worden. Es ist richtig und das sage ich für die
PD-Bundestagsfraktion nachdrücklich: Aus einer festen
ehmarnbelt-Querung als PPP-Projekt dürfen keine
nkalkulierbaren Risiken für den Bundeshaushalt entste-
en. In die laufenden Prüfungen ist daher diese Fragestel-
ng ernsthaft zu untersuchen. Ein tragfähiges Finanzie-
ungskonzept muss zwingend die Frage beantworten, wie
in mögliches Staatsgarantiemodell und Investitionen aus
em Bereich des Privatsektors am besten miteinander
ombiniert werden können.
Die aus heutiger Sicht maßgeblichen Fragestellungen
ind im April dieses Jahres von Bundesverkehrsminister
olfgang Tiefensee mit seinem dänischen Amtskollegen
lemming Hansen und dem Verkehrsminister Schles-
ig-Holsteins, Dietrich Austermann, erörtert worden.
ie Schrittfolge in der Untersuchung und Beantwortung
er sich stellenden Fragen ist der Pressemitteilung des
undesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
ung vom 21. April 2006 zu entnehmen. Ich fasse die
entralen Aussagen dieser Pressemitteilung zusammen:
unächst abschließende Überprüfung der dem Projekt
ugrunde liegenden teilweise neuen Annahmen – wie
eispielsweise die Verkehrsprognose, die Bau- und
etriebskosten und die Höhe des Mittelzuschusses aus
em Programm der transeuropäischen Netze, darauf auf-
auend eine erneute Bewertung verschiedener Finanzie-
ungsmodelle, Prüfung der Finanzierungserfordernisse
um Ausbau der Hinterlandanbindungen im Rahmen der
riorisierung der Verkehrsinfrastruktur sowie Auswer-
ung der im Umweltkonsultationsverfahren aufgeworfe-
en Fragen.
Dieser Fragenkomplex muss jetzt zeitnah beantwortet
erden. Erst die Beantwortung dieser Fragen schafft die
olide Grundlage für Entscheidungen, die in der Bundes-
egierung und im Deutschen Bundestag zu treffen sind.
ie beiden vorliegenden Anträge gehen gerade den um-
ekehrten Weg. Sie greifen ein Ergebnis voraus, ohne
ie erforderlichen Prüfergebnisse abzuwarten. Das ist
ein solides Verfahren und deswegen lehnt die SPD-
undestagsfraktion die Anträge ab.
Patrick Döring (FDP): Mit den vorliegenden Anträ-
en machen die Kollegen der beiden kleineren Opposi-
ionsfraktionen sich die Sache zu einfach. Es ist zwar
weifellos richtig, dass bei der Frage nach dem Für und
ider einer festen Fehmarnbelt-Querung erhebliche Un-
icherheiten bestehen. Die Kolleginnen und Kollegen
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7385
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scheinen jedoch davon auszugehen, dass positive Pro-
gnosen sich nie und nimmer bewahrheiten können. Sie
scheinen im Gegenteil zu glauben, dass nur diejenigen
Recht behalten können, die erst einmal den schlimmsten
anzunehmenden Ausgang unterstellen.
Diesen dogmatischen Pessimismus kennen wir ja leider
schon zur Genüge auch aus anderen politischen Debatten.
Ich gebe indes die Hoffnung nicht auf – man glaubt
schließlich an die menschliche Vernunftbegabung –, dass
Sie noch lernen werden, Investitionen und Baumaßnah-
men nicht nur als ach so schändlichen Eingriff in die Natur
zu sehen, sondern auch die möglichen positiven Effekte zu
erkennen und zu würdigen. Eine rationale Politik verlangt
hier nach einer nüchternen Abwägung. Und da kann und
muss im Zweifelsfall zum Beispiel der Eingriff in ein öko-
logisches System geduldet werden, wenn auf der anderen
Seite deutliche Effizienzsteigerungen zu erwarten sind,
die schließlich besonders auch unserer Umwelt in ihrer
Gesamtheit zugute kommen können. Zum Beispiel durch
die Verkürzung von Transportwegen und die damit ver-
bundene Emissionsreduzierung. Kosten und Nutzen eines
Projektes können und dürfen nicht nur lokal isoliert, son-
dern müssen in größeren Zusammenhängen betrachtet
werden. Kurz und gut – das möchte ich an dieser Stelle
einigen Nachhaltigkeitsaposteln einmal gerne ins Stamm-
buch schreiben –: Es ist keine nachhaltige Politik, ein
Biotop zu retten und dafür auf die deutliche Reduzierung
großer Umweltbelastungen an anderer Stelle zu verzich-
ten. Andersherum wird ein Schuh daraus.
Die kategorische Ablehnung einer festen Fehmarn-
belt-Querung durch die hier vorliegenden Anträge kann
ich daher nicht teilen. Es ist nicht seriös, wenn Sie zum
Beispiel die Steigerung des prognostizierten Verkehrs-
aufkommens infolge einer festen Querung pauschal und
unbegründet in Abrede stellen – und auf der anderen
Seite mögliche soziale und ökologische Risiken über-
spitzen und als unabwendbares Faktum hinstellen. Mit
dieser Haltung wäre ein erfolgreiches Projekt wie die
Öresundbrücke – deren positive Entwicklung ja selbst
der Antrag der Linken nicht infrage zu stellen wagt –
niemals Wirklichkeit geworden. Auch andere positive
Effekte werden von Ihnen schlicht negiert – etwa mögli-
che regionale und überregionale Beschäftigungsauswir-
kungen sowie zig Millionen eingesparte Tonnen- und
Personenkilometer pro Jahr.
Sie argumentieren zum Beispiel, dass diese Querung
eine intensivere Verflechtung der Regionen Ostholstein
und Storstroms Amt nicht erwarten lasse. Einmal abge-
sehen davon, dass es bezeichnend ist, in welch kleinräu-
migen Achsen Sie denken und dabei die bedeutenden
Verkehrsströme über Hamburg und Südschweden voll-
kommen ausblenden, denken Sie auch noch statisch und
leugnen das Potenzial der Menschen, diese neue Verbin-
dung zu ihrem Vorteil zu nutzen. Mit ihrer Haltung wäre
die A 1 von Bremen in das Ruhrgebiet in den 60er-Jah-
ren wahrscheinlich nie gebaut worden. Eine intensivere
Verflechtung der überwiegend ländlich geprägten Kreise
in dieser Region – Vechta und Cloppenburg – wäre ja
„nicht zu erwarten“ gewesen. Die Lastkraftwagen von
Hamburg ins Ruhrgebiet würden sich also noch heute
über langsame Strecken oder große Umwege quälen,
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nd die erstaunliche Entwicklung der ländlichen Regio-
en zwischen Bremen und Dortmund, die heute ihre Pro-
ukte nach Hamburg, ins Ruhrgebiet und weit darüber
inaus liefern, hätten wir nie erlebt.
Vor dem Hintergrund auch dieser Erfahrung aus mei-
er niedersächsischen Heimat muss ich daher feststellen,
ass eine feste Fehmarnbelt-Querung grundsätzlich gro-
es Potenzial hat. Das Projekt ist nicht von ungefähr Teil
er Transeuropäischen Netze – Teil also eines euro-
äisch gedachten Infrastrukturnetzes, dessen Zielsetzung
ber den lokalen, regionalen und selbst nationalen Rah-
en hinausweist.
Den vorliegenden Anträgen – mit ihrer kleinteiligen
erspektive, ohne jeden Blick für größere Zusammen-
änge und sozioökonomische Dynamik – kann die FDP-
raktion daher nicht folgen. Mit dieser dogmatisch pes-
imistischen Haltung werden wir keine vernünftigen
ntworten auf die Fragen finden, die sich uns im Zu-
ammenhang mit der Fehmarnbelt-Querung doch tat-
ächlich stellen. Denn natürlich kann die Ablehnung ei-
es in der Sache schlicht auf falschen Annahmen und
ogmatischen Überzeugungen basierenden Antrages
icht heißen, dass die FDP im Umkehrschluss diesem
rojekt bedingungslos zustimmt. Aber es muss eben da-
um gehen, die richtigen Fragen zu stellen und zu versu-
hen, diese ohne ideologische Vorbehalte zu beantwor-
en.
Die in diesem Zusammenhang vielleicht wichtigste
rage ist, in diesen Zeiten klammer Kassen, die nach der
riorität dieses Projektes. Die über 4 Milliarden Euro für
ieses Projekt, selbst wenn sie privat finanziert und von
er EU bezuschusst werden, und die weiteren 1,25 Milli-
rden Euro für die Hinterlandanbindung in Deutschland,
erden an anderer Stelle fehlen. Angesichts der drama-
isch schlechten Entwicklung der Investitionen in die
eutschen Fernstraßen, die unter Rot-Grün begann und
urch die große Koalition nahtlos fortgesetzt wird, muss
ber jeder investierte Euro wenigstens dreimal umge-
reht werden, bevor man ihn ausgibt. Die bisher vorlie-
enden Studien geben hierüber jedoch nur unzureichend
ufschluss. Auch hier gilt also: Das Projekt darf nicht
ür sich alleine betrachtet, sondern muss in einem größe-
en Zusammenhang beurteilt werden, der da lautet: Ist
ies die beste Anlage, die unser Staat und unsere Volks-
irtschaft für 6 Milliarden Euro wählen können. Ich
eurteile dies zugegebenermaßen – in Kenntnis der zahl-
eichen, sich infolge eines täglich wachsenden Investiti-
nsrückstandes verschlimmernden Defizite der deut-
chen Verkehrsinfrastruktur – etwas skeptisch.
Hier müssen wir ehrlich und europäisch kalkulieren.
ie bisher vorliegenden Studien sind in meinen Augen
edoch noch zu sehr auf die herkömmliche volkswirt-
chaftliche oder, sagen wir treffender: nationalökonomi-
che Perspektive konzentriert. Um die tatsächliche Be-
eutung und Auswirkung einer Fehmarnbelt-Querung
atsächlich einschätzen zu können, muss dieses Projekt
n seinem europäischen, übernationalen Rahmen unter-
ucht und bewertet werden. Dabei müssen wir auch in
echnung stellen, welche Auswirkungen zum Beispiel
er demografische Wandel und im Zuge dessen die
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Schrumpfung und Alterung der ländlichen Regionen,
vor allem aber auch das Wachstum zum Beispiel des
Großraumes Hamburg haben wird. Nur eine solche Stu-
die, die dynamische und europäische Faktoren in Rech-
nung stellt, wird uns bei dieser Entscheidung wirklich
weiterhelfen.
Über diese grundsätzlichen Fragen dürfen auch die
Detailprobleme nicht vergessen werden. Wie etwa soll
im Rahmen der festen Querung mit der denkmalge-
schützten Fehmarnsundbrücke umgegangen werden?
Vor allem aber: Wie erreichen wir gegebenenfalls eine
optimale Hinterlandanbindung der Fehmarnbelt-Que-
rung? Ohne die Fertigstellung der A 22 und eine feste
Elbquerung nördlich von Hamburg würde das Projekt
förmlich in der Luft hängen. Auch hier gilt es, Zusam-
menhänge und Wechselwirkungen zu beachten.
Einer der wirksamsten Indikatoren für die Zukunfts-
trächtigkeit eines solchen Projektes ist und bleibt aber
der Markt. Wenn sich private Investoren finden, die die
Fehmarnbelt-Querung realisieren wollen, dann sollte der
Staat dies im Rahmen einer öffentlich-privaten Partner-
schaft auch nachdrücklich, zum Beispiel durch die Be-
reitstellung angemessener Anbindungen, unterstützen.
Wobei jedoch an dieser Stelle dazu auch klar gesagt sein
muss: Das muss dann auch eine ehrliche Partnerschaft
sein. Es darf nicht so enden, dass der Staat mit einer
Bürgschaft die Risiken und Verluste trägt, während der
private Anbieter die Gewinne einstreicht. Eine solche
Konstruktion zerstört die Funktion des Marktes als Ent-
deckungsverfahren; denn wo eine Investition ohne Ri-
siko ist, da findet keine ehrliche Bewertung statt.
Die vorliegenden Anträge können so immerhin im
Ausschuss eine mit Ruhe und Maß geführte Diskussion
um die feste Fehmarnbelt-Querung bewirken. Wir müs-
sen die Potenziale ehrlich benennen und die Investition
in ihrer Priorität gegenüber anderen dringlichen Maß-
nahmen ergebnisoffen prüfen und gewichten. Wenn wir
im Ausschuss dabei weiterkommen, hätten diese An-
träge wenigstens Nutzen.
Lutz Heilmann (DIE LINKE): Meine Fraktion hat
diesen Antrag heute eingebracht, weil die Bundesregie-
rung noch dieses Jahr über den Bau der gut 5 Milliarden
Euro teuren Brücke über den Fehmarnbelt entscheiden
wollte. Anfang der Woche nun konnte ich der Presse ent-
nehmen, dass diese Entscheidung erst im Januar fallen
wird. Ich freue mich, dass wir mit unserem Antrag einen
ersten Erfolg verbuchen konnten.
Lassen Sie sich von den Hochglanzprospekten nicht
täuschen. Dieses Projekt birgt nicht nur große Risiken
für die Umwelt, es macht auch volkswirtschaftlich kei-
nen Sinn. Seien Sie ehrlich, ein Projekt mit einem Nut-
zen-Kosten-Verhältnis von 1,2 hätte es niemals in den
Bundesverkehrswegeplan geschafft. Und selbst mit die-
ser Zahl muss man vorsichtig sein, da die Annahmen
über den Verkehrszuwachs auf schwachen Füßen stehen.
In diesem Zusammenhang ein Hinweis: Diese Zahl
habe ich wie viele andere Angaben in diesem Antrag der
Antwort der Landesregierung Schleswig-Holsteins auf
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ine Große Anfrage entnommen. Wenn Sie also mit den
ngaben nicht einverstanden sind, wenden Sie sich bitte
irekt an Minister Austermann.
Wobei ich wirklich nicht verstehe, wie er angesichts
ieser Fakten den Brückenbau trotzdem so vehement be-
ürwortet. Das müsste sich eigentlich auch die Bundes-
egierung fragen, die mir auf eine schriftliche Frage zur
ehmarnsundbrücke geantwortet hat, dass sie keinen Be-
arf für einen Ausbau dieser zweispurigen Brücke und
es eingleisigen Schienenabschnitts sieht. Wenn man
ber nicht einmal auf der viel mehr befahrenen Verbin-
ung vom Festland nach Fehmarn vier Autospuren benö-
igt, dann kann eine 4,2 Milliarden Euro teure Brücke
ach Dänemark mit vier Spuren nun wirklich keinen
inn machen.
Ich weiß, Sie werden in Ihren Reden gleich darauf
inweisen, dass das Projekt ja gar nicht vom Bund ge-
aut werden soll, sondern dass dieses Bauwerk als öf-
entlich-private Partnerschaft, mit der neuen Zauberfor-
el ÖPP oder PPP, realisiert werden soll. Aber auch für
inen privaten Investor rechnet sich das Projekt nicht.
eil es eben keinen echten Verkehrsbedarf gibt, kann
er geringe Verkehr die extrem hohen Investitionskosten
iemals erwirtschaften.
Deshalb kann das Projekt nur funktionieren, wenn
eutschland und Dänemark massive finanzielle Unter-
tützung leisten. Das wird dann verharmlosend Anschub-
inanzierung genannt, wobei Sie verschweigen, dass es
abei um etwa 1 Milliarde Euro geht – plus 1,2 Milliarden
ür den Ausbau der Hinterlandanbindungen, die in jedem
all anfallen.
Auch die EU soll mal eben 20 Prozent der Baukosten
bernehmen, wobei Sie so tun, als ob das Geld vom
immel fällt. Die gleichen, die hier massiv eine EU-
inanzierung einfordern, beschweren sich doch bei jeder
U-Haushaltsberatung über die hohen Zahlungen
eutschlands an die EU.
Das andere Modell, das von Dänemark bevorzugt
ird, heißt Staatsgarantiemodell. Vorbild ist dabei die
erbindung über den Öresund zwischen Kopenhagen
nd Malmö. Ich warne Sie aber davor, sich von den an-
eblichen Erfolgsmeldungen blenden zu lassen. Die ab-
oluten Verkehrszahlen dort liegen nicht höher, als sie
ür den Fehmarnbelt vorhergesagt werden. Und die in
er letzten Zeit verzeichneten Verkehrszuwächse beru-
en auf einem Anstieg bei den täglichen Pendlern, die
iederum durch erhebliche Preisnachlässe begünstigt
urden. Mit großen Pendlerströmen sollten Sie beim
ehmarnbelt aber besser nicht rechnen; denn Sie verbin-
en nicht zwei wirtschaftlich prosperierende Zentren,
ondern zwei landwirtschaftlich und touristisch geprägte
egionen. Kopenhagen und Hamburg werden drei Stun-
en voneinander entfernt bleiben; da wird niemand pen-
eln.
Außerdem sollten Sie sich einmal die Bilanzen anse-
en. Der Betreiber der Öresundbrücke hat allein im Jahr
005 etwa 100 Millionen Euro Verlust gemacht, davon
onnten aber 65 Millionen Euro durch interne Verrech-
ung wieder hereingeholt werden – zulasten des däni-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7387
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schen Steuerzahlers. Durch die Hintertür holt man sich
also auch beim Staatsgarantiemodell eine staatliche Fi-
nanzierung ins Haus. Daneben erhält der private Betrei-
ber wegen der Staatsbürgschaft günstige Kredite. Der
Staat bürgt aber auch für die Rendite der Investoren, die
möglicherweise sogar 12 Prozent betragen soll. Ja, sol-
che Geschäfte möchte wohl jede und jeder gerne ma-
chen. Wenn Millionen Menschen staatlich verordnet un-
ter dem Existenzminimum leben müssen, sind solche
Geschäfte, oder besser Geschenke, aber nicht ange-
bracht.
Angesichts der mageren Verkehrsprognosen muss
auch ein Scheitern des Projektes mit einer möglichen In-
solvenz des Betreibers in Betracht gezogen werden.
Wenn man sich die beiden Tunnel in Rostock und Lü-
beck ansieht, ist das gar nicht so unwahrscheinlich; denn
beide konnten nur mit weit reichenden finanziellen Zu-
geständnissen am Leben gehalten werden. Wenn das
Projekt scheitern sollte, dann würden Deutschland und
Dänemark allein auf der Brücke – und den Schulden –
sitzen bleiben.
Lassen Sie die Finger von diesem finanziellen Wag-
nis, das für den Verkehr von und nach Skandinavien
nicht gebraucht wird. Es gibt eine Verbindung auf dem
Landweg über Jütland. Und es gibt eine funktionierende
Fährverbindung, die problemlos verbessert werden
könnte – zu einem Bruchteil der Kosten und wesentlich
schneller, als die Brücke fertig gestellt sein könnte. Da-
für gibt es wegen der geringen Verkehrsmengen derzeit
aber keinen Bedarf und deswegen für die Brücke auch
nicht. Gehen Sie verantwortlich mit den Steuergeldern
um und lassen Sie die Finger von dieser Brücke.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Pläne zum Bau einer festen Verbindung über den Feh-
marnbelt sind ein ökologisches Abenteuer, finanziell un-
vertretbar und kosten Arbeitsplätze. Zudem würde die
feste Fehmarnbelt-Querung das Aus für die Fährlinie
Scandlines bedeuten, die Puttgarden und Rodby verbin-
det. Eine zukunftsfähige Infrastrukturplanung sieht an-
ders aus.
Punkt eins: Das Projekt Fehmarnbelt-Querung ist ein
ökologisches Abenteuer. Naturschutzorganisationen wie
der BUND warnen vor den erheblichen ökologischen
Konsequenzen für den Vogelzug. Gefährdet sind auch
die Bestände an Robben, Schweinswalen und Fischen.
Zu befürchten sind auch die Folgen für den Wasseraus-
tausch in der Ostsee durch gestörte Strömungsverhält-
nisse.
Eine feste Querung bedeutet, dass ein Teil des Güter-
transports auf die Straße verlagert würde. Dabei wollte
das Bundesverkehrsministerium doch den „Modal Shift“
fördern und den Güterverkehr von der Straße auf Schiff
und Schiene verlagern.
Punkt zwei: Die Finanzierung ist nicht sichergestellt.
Wer soll für die Gesamtkosten in Höhe von geschätzten
6,7 Milliarden Euro aufkommen? Die schleswig-holstei-
nische Landesregierung plant mit Geld, das gar nicht da
ist. Die Bundeskanzlerin hat einen Rückzug gemacht.
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ie Fördergelder der Europäischen Union für die trans-
uropäischen Verkehrsnetze, kurz TEN, fließen spärlich.
ie europäischen Staats- und Regierungschefs haben die
inanziellen Mittel für die vorrangigen Projekte von den
eranschlagten 20 Milliarden Euro auf 6,7 Milliarden
uro gekürzt. Die Finanzierung ist außerdem an die Be-
ingungen Beginn der Konstruktionsphase im Jahr 2007
nd Sicherstellung der Hinterlandanbindung geknüpft.
llein die Hinterlandanbindung wird um die 1,2 Milliar-
en Euro kosten, die nicht im Bundesverkehrswegeplan
ingestellt sind. Dass sie im zweiten Investitionsrahmen-
lan 2011 bis 2015 bereitgestellt werden, ist daher nicht
u erwarten.
Den Ausweg sollte eine öffentlich-private Partner-
chaft weisen. Doch die potenziellen Investoren sind
om Projekt nicht überzeugt. Auf der Investorenkonfe-
enz am 22. September kamen Zweifel auf, ob das Ver-
ehrsaufkommen tatsächlich so hoch sein wird, dass sich
ie Investitionen über Mauteinnahmen rentieren. Daran
weifelt auch die Bundesregierung: Sie lässt das zu er-
artende Verkehrsaufkommen noch einmal prüfen und
ill die Finanzierungsmodelle neu bewerten.
Potenzielle Investoren verlangen eine staatliche Be-
eiligung in Form von Staatsgarantien. Die Bundesregie-
ung würde das Risiko für Investitionen in Höhe von
und 5,5 Milliarden Euro für den Bau der Querung und
usätzliche 1,2 Milliarden Euro für die Anbindung auf
eutschem Gebiet allein tragen. Staatsgarantien sind öf-
entliche Gelder. Wenn es der geplanten festen Fehmarn-
elt-Querung so ergeht, wie den Projekten Herrentunnel
übeck, Rostocker Warnowtunnel, Öresund-Querung
nd Eurotunnel muss am Ende der Steuerzahler die Ze-
he zahlen.
Punkt drei: Das Mammutprojekt gefährdet Arbeits-
lätze. Auf deutscher Seite arbeiten 600 Menschen für
ie Reederei Scandlines an den Standorten Rostock,
uttgarden und Mukran auf Rügen, auf dänischer Seite
ind 500 Menschen direkt für Scandlines tätig. 1 100 Ar-
eitsplätze stehen infrage. Derzeit leben auf der Insel
ehmarn 2 340 Menschen direkt vom Tourismus. Auch
ür eine der Haupteinnahmequellen der Region sind Ein-
ußen zu erwarten.
Eine feste Fehmarnbelt-Querung wäre das Ende für
ie Fährverbindung. Das räumt das schleswig-holsteini-
che Wirtschaftsministerium in seiner Antwort auf eine
roße Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im Septem-
er ein. Darin heißt es: „Die völlige Einstellung des
ährverkehrs ist nicht unwahrscheinlich“. Die dänische
egierung, Anteilseigner der Scandlines, denkt offenbar
arüber nach, die feste Querung mit Erlösen aus dem
erkauf der Scandlines zu finanzieren. Auch die Deut-
che Bahn AG hat ihren 50-prozentigen Anteil an der
eederei Scandlines zum Verkauf angeboten. Der briti-
che Kapitalfonds 3i-Group-PLC und die Baltic Ferry
evelopment Group, hinter der sich die Deutsche See-
eederei in Rostock und ein Tochterunternehmen der
llianz-Versicherung verbergen, haben bereits Interesse
ngemeldet.
Was wir brauchen, ist ein ökologisch und ökonomisch
achhaltiges Verkehrskonzept. Wir sollten mit den knap-
7388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
(A) )
(B) )
pen öffentlichen Geldern die Fährverbindung erhalten,
das Fährkonzept optimieren und in zukunftsfähige Infra-
strukturen investieren. Ein Baustein ist die Wasserstra-
ßenverbindung zwischen den deutschen Seehäfen und
den Ostseeanrainern. Der Nord-Ostsee-Kanal ist die ent-
scheidende Route für Tourismus und Güterverkehr im
Ostseeraum. Daher machen wir uns dafür stark, den
Ausbau prioritär zu behandeln und das Planfeststellungs-
verfahren zügig noch im Jahr 2008 abzuschließen. Dabei
sind der Erhalt der am Kanal gelegenen Biotope sowie
die naturschutzgerechte Entsorgung bzw. Weiterverwen-
dung des Baggergutes zu berücksichtigen.
Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung
auf, auf die Anteilseigner dänische Regierung und Deut-
sche Bahn AG einzuwirken, die Vogelfluglinie zu erhal-
ten und das Fährkonzept der Scandlines zu optimieren,
auch wenn die Anteilseigner ihre Anteile an Scandlines
verkaufen sollten.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Einrichtung einer Polizeireformkommission
– Notwendigkeit einer Defizitanalyse des be-
stehenden Sicherheitssystems
(Tagesordnungspunkt 20 und Zusatztagesord-
nungspunkt 10)
Günter Baumann (CDU/CSU): Bevor ich zu den
Anträgen seitens des Bündnisses 90/Die Grünen und der
FDP komme, möchte ich ein paar Worte zu der hervorra-
genden Arbeit der Bundespolizei verlieren. Die rund
40 000 Beschäftigten der Bundespolizei haben aufgrund
ihres Auftrages, übertragen durch das deutsche Grund-
gesetz und durch Bundesgesetze, eine wichtige Schlüs-
selposition zum Schutz der nationalen Sicherheit inne.
Die Aufgaben der Bundespolizei erstrecken sich nicht
nur auf die Sicherung unserer Außengrenzen; die Bun-
despolizei nimmt auch Aufgaben bei der Bahn und bei
der Luftsicherheit wahr. Darüber hinaus unterstützt die
Bundespolizei Einsätze, etwa bei der Sicherung von
Fanmeilen und Stadien während der Fußball-WM. Die-
ses komplexe Aufgabengebiet spiegelt den Stellenwert
der Bundespolizei im Sicherheitssystem Deutschlands
wider. Auch ihre vielfältigen Erfahrungen in der interna-
tionalen Zusammenarbeit gewinnen für die innere Si-
cherheit Deutschlands und der Europäischen Union im-
mer mehr an Bedeutung. Genau aus diesem Grunde sind
die Veränderungen in der Organisationsstruktur so wich-
tig, damit die Bundespolizei zukunftsfähig bleibt.
Ich komme nun zum Antrag des Bündnisses 90/Die
Grünen zur „Einrichtung einer Polizeireformkommission“,
der – wie schon vorangegangene Anträge in dieser Wahl-
periode zuvor – fehlerhafte Basisinformationen enthält.
Dies kann man gleich im ersten Absatz des vorliegenden
Antrags feststellen. Hierin behaupten Bündnis 90/Die
Grünen, dass „die Bediensteten der Bundespolizei über
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ie Medien von dem umfassenden Reformvorhaben
nformiert wurden“. Dies trifft nicht zu, denn ein Brief
n alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespoli-
ei wurde am 16. November 2006 zugestellt; zeitgleich
urden die Innenminister der Länder über das Reform-
orhaben informiert. Wenn die Abgeordneten der Grü-
en dies nicht mehr ganz parat haben, sollten sie den
rtikel „Schäuble plant Umbau der Bundespolizei“ der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Freitag, den
7. November 2006 lesen. Darin heißt es explizit, dass
b Donnerstag, 16. November 2006, die „Führungsstäbe
nd Mitarbeiter der Bundespolizei von den bevorstehen-
en Veränderungen unterrichtet“ wurden, „ebenso die
nnenminister der Länder“.
Ich denke, die Abgeordneten sind sich einig, dass eine
eform der Bundespolizei zwingend notwenig ist.
eutschland steht vor neuen Herausforderungen, die
uch in der Organisationsstruktur der Bundespolizei ver-
nkert werden müssen. Eines der wichtigsten Themen in
en nächsten Jahren ist die Verlagerung der östlichen
ußengrenzen der Europäischen Union nach dem
chengenbeitritt Tschechiens und Polens. Damit werden
tationäre Grenzkontrollen nach den Schengenrichtlinien
icht mehr benötigt. Jedoch bedeutet das im Um-
ehrschluss mitnichten, dass die Zahl der Bundespolizei-
räfte in diesen Regionen reduziert werden darf und
ann. Zur Abwehr der vermehrten illegalen Einwande-
ungen, auch im Hinblick auf Schleusertätigkeiten, und
um Schutz gegen terroristische Bedrohungen brauchen
ir mehr mobile Einsatzkräfte. Evaluationen haben be-
eits ergeben, dass mobile und operative Polizeiarbeit ef-
izienter gegen Schleuser- und organisierte Kriminalität
irken können als stationäre Grenzkontrollen. Deshalb
st es das erklärte Ziel, die operative Arbeit und die poli-
eiliche Präsenz zu stärken. Ferner will man auch eine
ffizienzsteigerung durch die Reduzierung der institu-
ionellen Stellen erreichen. Jedoch ist eines ganz klar zu
agen: Es ist sicher, dass niemand seine Beschäftigung
erlieren wird.
Die Bediensteten der Bundespolizei wurden über die
roben Umrisse des Reformvorhabens informiert und
einesweges, wie die Grünen behaupten, vor vollendete
atsachen gestellt. In der Zwischenzeit ist eine Projekt-
ruppe eingerichtet worden, die das Reformkonzept
etailliert ausarbeiten wird. In diesen Prozess sind die
undespolizei und die Personalvertretung umfangreich
ingebunden. Somit wird im Zusammenhang mit den ge-
lanten Veränderungen über alle Einzelheiten ausgiebig
eraten. Schon allein deshalb ist der Antrag der Grünen
uf Einsetzung einer Polizeireformkommission abzuleh-
en. Dies würde nämlich nur doppelten Aufwand und im
ndeffekt doppelte Bürokratie bedeuten.
Sowohl der Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen als
uch der FDP fordern eine umfassende Betrachtung der
chnittstellen zu den Aufgabenbereichen der anderen
icherheitsbehörden in Deutschland, also des Bundes-
riminalamtes, der Länderpolizeien und der Nachrich-
endienste. Beide Anträge gehen davon aus, dass es im
eutschen Sicherheitssystem in den letzten Jahrzehnten
u erheblichen Doppelstrukturen und ungenauer Auf-
abenverteilung gekommen sei; dies solle durch Evalu-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7389
(A) )
(B) )
ierungen und Umsetzung der entsprechenden Ergebnisse
aufgehoben werden. Hierzu ist zu bemerken, dass die
Organisationsreform der Bundespolizei keine Verände-
rung der Aufgabenverteilung unter den einzelnen Sicher-
heitsbehörden mit sich bringen wird. Es wird bei den
bestehenden gesetzlich geregelten Zuständigkeiten der
Bundespolizei, der Länderpolizeien und der anderen
Sicherheitsbehörden bleiben. Dies gilt im Besonderen
auch für den Bereich der kriminalpolizeilichen Ermitt-
lungen. Hierbei nimmt die Bundespolizei auch in Zu-
kunft nur die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben
wahr. Es ist Unsinn, Schnittstellen zu den Aufgaben-
bereichen der Länderpolizeien und den weiteren Sicher-
heitsbehörden in Deutschland zu definieren, wenn sie
bereits gesetzlich klar definiert sind. Dies ist der Fall.
Darüber hinaus fordert die FDP in ihrem Antrag, dass
die behördliche Zusammenarbeit verbessert und effektiver
gestaltet werden soll. Dies ist doch schon allein durch
das Gemeinsame-Dateien-Gesetz auf den Weg gebracht
worden. Durch diese neuartige Vernetzung können sich
die 38 Sicherheitsbehörden in Deutschland besser aus-
tauschen. Somit ist auch diese Forderung hinfällig.
Als Fazit ist festzuhalten, dass beide Anträge abzulehnen
sind, da sie einerseits einen erhöhten Bürokratieaufwand
zur Folge hätten und andererseits bereits vollzogene
Maßnahmen, etwa eine Verbesserung der Zusammenarbeit
der Sicherheitsbehörden oder eine Polizeireformkom-
mission, fordern.
Wolfgang Gunkel (SPD): Der Antrag der Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen kritisiert das Vorgehen
des Bundesministeriums des Innern bei der Reform der
Bundespolizei. Der Umbau der Polizei sei im Geheimen
als „Reform von oben“ entwickelt worden. Die Bediens-
teten der Bundespolizei wurden lediglich über die Me-
dien darüber informiert.
Wenn man weiß, welche Tätigkeit der für diesen Ent-
wurf der Neuorganisation mitverantwortliche Staats-
sekretär Dr. August Hanning vor seinem Wechsel in das
Innenministerium ausübte, wird man diese „Geheimniskrä-
merei“ vielleicht verstehen – immerhin war Dr. Hanning
vorher Chef des Bundesnachrichtendienstes.
Ich stimme den Antragstellern darin zu, dass die man-
gelnde Information nicht positiv zu bewerten ist. Dass die
Angehörigen der Bundespolizei und die Personalräte/Ge-
werkschaften bei der Entwicklung des Eckpunktepapiers
nicht „mitgenommen“ wurden, ist für den weiteren Ab-
lauf des Verfahrens nicht förderlich. Man muss abwarten,
ob es gelingt, dieses Defizit auszugleichen.
Es gibt allerdings auch keinerlei Anhaltspunkte dafür,
dass eine Beteiligung in Zukunft nicht stattfinden wird.
Ist es doch gesetzlich vorgeschrieben, die Personal-
vertretungen zu beteiligen. § 78 Abs. l Nr. 2 des Bundes-
personalvertretungsgesetzes räumt dem Personalrat ein
Mitwirkungsrecht bei der Auflösung, Einschränkung,
Verlegung oder Zusammenlegung von Dienststellen ein.
Von einer schweren Vertrauenskrise zu sprechen halte
ich deshalb für etwas übertrieben. Außerdem bin ich der
Meinung, dass das BMI allein dafür verantwortlich ist,
welche externen Sachverständigen im Prozess der Orga-
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isationsänderung zu beteiligen sind und wie und wann
ie Öffentlichkeit unterrichtet wird. Eine breit angelegte
iskussion im Internet erscheint deshalb nicht sehr sinn-
oll zu sein.
Weiterhin wird eine umfassende Aufgabenkritik, ver-
unden mit der Überprüfung von Doppelfunktionen und
er Schnittstellenproblematik zu den Länderpolizeien
nd anderen Sicherheitsbehörden angemahnt. Ich gehe
avon aus, dass das BMI mit seinen Arbeitsgruppen
elbstverständlich diese Umstände bei der Aufstellung der
und 30 000 Beamten beachten wird, weil im Hinblick auf
ünftige Aufgaben im Rahmen der EU-Erweiterung spä-
estens 2008 die Einbettung in ein europäisches Sicher-
eitssystem zu berücksichtigen sein wird. Das erfordert
inen effektiven Kräfteeinsatz im Rahmen der Gewähr-
eistung der inneren Sicherheit.
Inzwischen hat übrigens das BMI eine Projektgruppe
nter Einbeziehung führender Beamter der Dienststellen
nd des Ministeriums sowie der Personalräte einberufen,
ie die vorliegenden Eckpunkte nunmehr in ein Feinkon-
ept überführen sollen.
Abschließend bleibt festzustellen, dass Bundesminister
r. Schäuble zugesagt hat, meine Fraktion als Koalitions-
artner an dem Fortgang des Verfahrens zu beteiligen. Ich
in mir sicher, dass auch die Fraktion des Bündnisses 90/
ie Grünen ebenfalls daran teilhaben kann, nämlich bei
en Beratungen im Innenausschuss. Der vorliegende An-
ag auf Bundestagsdrucksache 16/3704 ist deshalb abzu-
hnen.
Zum Antrag der FDP-Fraktion ist zu bemerken, dass
ie Reform der Bundespolizei, besser Organisations-
trukturveränderung, dazu herhalten soll, die Notwen-
igkeit einer Defizitanalyse der bestehenden Sicherheits-
ysteme zu konstruieren. Sicherlich ist es grundsätzlich
icht falsch, eine verbesserte Koordinierung und Zusam-
enarbeit polizeilicher und nachrichtendienstlicher Stel-
en im Zuge der Terrorismusbekämpfung anzustreben,
edoch verfehlt dieses Ansinnen bei dem Thema Bundes-
olizeineuorganisation das Ziel.
Die Aufgaben der Bundespolizei sind in erster Linie
icherungsaufgaben gegen illegale Einwanderung bzw.
llegale Einreise in die Bundesrepublik Deutschland
urch den polizeilichen Einzeldienst sowie in zweiter
inie Unterstützung der Länderpolizeien bei Großereig-
issen, Veranstaltungen und demonstrativen Aktionen
urch die vorgehaltenen geschlossenen Einheiten und in
ritter Linie auch Kriminalitätsbekämpfung in spezifi-
chen Aufgabenbereichen.
Indirekt dient dieses Spektrum der Vollzugstätigkei-
en auch der Terrorismusbekämpfung, ist jedoch nicht
peziell darauf abgestellt. Insofern ist das angestrebte
eformziel, die Bundespolizei auf den Wegfall der
ersonenkontrollen durch den Eintritt der neuen EU-
itgliedstaaten in das Schengener Informationssystem
m Dezember 2007 vorzubereiten und aktionsfähig zu
achen, vorrangig.
Wie schon im Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/
ie Grünen – Internetforum – wird auch hier gefordert,
n einem „offenen“ Verfahren diese Strukturveränderung
7390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
(A) )
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darzulegen. Dieses ist mit Verlaub gesagt untunlich, weil
auch die Organisation einer Sicherheitsbehörde mögli-
chen Straftätern Aufschluss darüber gibt, mit welchen
Mitteln sie gegebenenfalls Kriminalitätsbekämpfung
und die ihr obliegenden Aufgaben zu erfüllen gedenkt.
Eine „parlamentarische“ Offenlegung ist dagegen
eine Selbstverständlichkeit.
Abschließend bleibt festzustellen, dass auch der An-
trag der FDP-Fraktion abzulehnen ist.
Dr. Max Stadler (FDP): Das Bundesinnenministe-
rium hat in den letzten Wochen erhebliche Unruhe bei
der Bundespolizei und beim Bundesamt für Verfassungs-
schutz verursacht. Offenbar über die Köpfe der Betroffe-
nen hinweg sind Organisationsreformen angekündigt
worden. Dies war kein guter Stil. Es wäre Zeichen einer
modernen Personalführung, solche Reformen mit den
Betroffenen und nicht gegen sie zu beginnen.
Die Art und Weise des Vorgehens, die vom Bundesin-
nenministerium zu verantworten ist, ist leider dazu ge-
eignet, die betroffenen Sicherheitsbehörden von ihren
eigentlichen Kernaufgaben abzulenken, denn verständli-
cherweise wollen Mitarbeiter Klarheit darüber haben,
wie es mit ihnen beruflich weitergeht.
Unabhängig davon ist die FDP-Fraktion der Meinung,
dass eine Analyse über Organisationsmängel des beste-
henden Sicherheitssystems durchaus erforderlich ist.
Bundespolizei, Bundeskriminalamt, Zollfahndung und
Länderpolizeien arbeiten häufig nebeneinander her. Eine
Sicherheitsarchitektur, die Reibungsverluste und Dop-
pelarbeit vermeiden würde, existiert nicht.
Gerade deshalb ist aber eine isolierte Reform der
Bundespolizei, wie sie jetzt offenbar vom Bundesinnen-
ministerium angestrebt wird, der falsche Weg. Notwen-
dig wäre zunächst eine Bestandsaufnahme vor allem
dazu, welche Kompetenzüberschreitungen es zwischen
den verschiedenen Sicherheitsbehörden gibt. Kompe-
tenzüberschreitungen führen notwendigerweise zu unnö-
tiger Doppelarbeit. Ein zielgerichteter und sparsamer
Einsatz der finanziellen und personellen Ressourcen der
Sicherheitsbehörden wäre aber äußerst wünschenswert.
Die Reform darf auch nicht am Parlament vorbeilau-
fen. Es war ebenfalls kein guter Stil des Bundesinnen-
ministeriums, vage Pläne in der Presse anzukündigen
und erst auf Aufforderung des zuständigen Innenaus-
schusses sich dort zu einer Berichterstattung bereit zu er-
klären.
Da noch unklar ist, welche Inhalte die vom Bundesin-
nenministerium gebildete Arbeitsgruppe im Einzelnen
vorschlagen wird, kann dazu jetzt auch nicht Stellung
genommen werden. Aus Sicht der FDP ist allerdings
vorsorglich anzumerken, dass wir einer Ausweitung der
Auslandseinsätze der Bundespolizei skeptisch gegen-
überstehen. Zumindest müsste endlich ein Parlaments-
vorbehalt für die Verwendung von Bundespolizeibeam-
ten im Ausland eingeführt werden, wie er bei der
Bundeswehr vom Deutschen Bundestag durchgesetzt
worden ist.
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Insgesamt kommt die FDP-Fraktion zu dem Ergebnis,
ass nach der Veränderung der Aufgabenstellung der
undespolizei Organisationsänderungen nicht von vorne-
erein ausgeschlossen werden können, dass der Weg
ierzu aber nur über ein offenes und transparentes Ver-
ahren gehen kann, welches sowohl die betroffenen Mit-
rbeiter als auch das Parlament angemessen einbezieht.
Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Bundesinnen-
inister Wolfgang Schäuble hat eine Reform der Bun-
espolizei angekündigt. Er tat dies über die Medien. Das
ritisieren die Betroffenen, das kritisieren die Gewerk-
chaften, das kritisieren die Grünen und das kritisiere
uch ich. Diese Ankündigungspolitik via Medien ist ein-
ach schlechter Stil.
Dieser schlechte Stil ist auch in der Sache überflüssig.
n meinen Gesprächen, die ich jüngst beim Bundespoli-
eipräsidium Ost hatte, wurde ziemlich deutlich: Auch
ort geht man von einem umfangreichen Reformbedarf
us und es gibt auch die Bereitschaft, umfangreiche Re-
ormen umzusetzen.
Nun hat die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
hre Kritik in einen Antrag gegossen. Darin fordert sie
ie Einsetzung einer Polizeireformkommission. Das
inde ich nun wieder übertrieben, zumal man den
chlechten Stil eines Ministers nicht einfach zum Besse-
en kommissionieren kann.
Zweitens. Die Grünen argumentieren, die Polizeire-
orm muss über eine Organisationsreform hinausgehen.
ie müsse sich auch neuen inhaltlichen Aufgaben stel-
en. Genannt werden zum Beispiel „die zahlreichen Poli-
eimissionen im Ausland“ und „Aufgabenverlagerun-
en“, die sich aus dem Schengenabkommen ergeben.
as alles und mehr, so Bündnis 90/Die Grünen, müsse
auf solide gesetzliche Grundlagen gestellt werden“. Ge-
au hier will ich einhaken und auf Innenminister
chäuble zurückkommen. Der will nämlich auch mehr
ls eine Organisationsreform. Er sieht die Bundespolizei
ls Teil einer neuen Sicherheitsarchitektur.
Wir wissen, dass die Unionsparteien weiterhin die
undeswehr im Innern einsetzen wollen. Und wir wis-
en, dass die Polizei zunehmend im Ausland eingesetzt
ird, übrigens ohne jeden Parlamentsvorbehalt. Hier
ibt es in der Tat eine Gesetzeslücke. Wir brauchen also
uch für die Polizei ein Parlamentsbeteiligungsgesetz.
Drittens. Aber wenn ich den Bundesinnenminister auf
er Berliner Sicherheitskonferenz am 8. Dezember 2006
ichtig verstanden habe, dann schwebt ihm neben der
undeswehr und neben der Bundespolizei etwas Drittes
or: halb Polizei, halb Armee in einem, also eine Art
eltweit agierende universelle Eingreiftruppe für alle
älle.
Das wiederum wäre mehr als eine Reform, die mit
chlechtem Stil angekündigt wird. Und das wäre auch
ehr, als Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag be-
chreiben und mit einer Kommission nebst Internetportal
ewerkstelligen wollen. Wir hätten es mit einer neuen
ualität militärischer Innen- und Außenpolitik zu tun.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 73. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006 7391
(A) (C)
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Dies wäre ein weiterer Schritt auf einem Weg, den
Die Linke ohnehin kritisiert. Ich habe unlängst aufge-
zeigt, wie die neue Sicherheitsarchitektur mit dem
Grundgesetz kollidiert und damit mit der Gesell-
schaftsarchitektur. Dem demokratischen Rechtsstaat
wird Boden entzogen. Darum geht es, nicht nur um
schlechten Stil.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Bundesinnenminister Schäuble will die
Bundespolizei, den früheren Bundesgrenzschutz, refor-
mieren. Das ist ein gutes Vorhaben. Doch er legt gleich
zu Beginn einen Fehlstart hin. Er beginnt diesen Prozess
nicht mit einem Dialog, sondern mit einem geheimen
Eckpunktepapier aus dem eigenen Haus. Die Reform
wird so zu einem Werk von ganz oben.
Richtig wäre es gewesen, Beschäftigte und Gewerk-
schaften, also Praktiker und ihre Erfahrungen, in die Ent-
wicklung des Konzepts einzubeziehen. Das Ergebnis ist
nun eine schwere Vertrauenskrise zwischen dem Innen-
Präsidien erreichen will. Mittelbehörden in diesem Be-
reich müssen in der Tat zur Disposition gestellt werden.
Die Zusammenfassung der Polizeiämter in Polizeidirek-
tionen mit Kompetenzen aus den bisherigen Präsidien
kann durchaus am Ende der Diskussion stehen.
Mir greifen aber diese rein organisatorischen Ver-
schiebungen zu kurz. Die Frage, was ist die Aufgabe
einer Bundespolizei im föderalen Gefüge der Bundes-
republik, lässt sich nicht durch eine Konzentration der
Behörden allein lösen. In Deutschland ist man allzu
schnell dazu übergegangen, alten Behörden neue Aufga-
ben zu geben um ihr Überleben zu sichern. Kaum sind
die Schlagbäume verschwunden, kontrolliert der Zoll die
Schwarzarbeit. Der Bundesgrenzschutz wird umgetauft.
Er nennt sich jetzt Bundespolizei. Aber was wird aktuell
wirklich gebraucht, worin liegt ihr genauer Auftrag?
Wir haben daher die Einrichtung einer Reformkom-
mission beantragt (Drucksache 16/3704). Dieses Gre-
mium mit Fachleuten aus Verwaltung, Politik und Wis-
minister und den Bediensteten der Bundespolizei. Das
war vermeidbar. Dieses schwere Versäumnis bei der
Kommunikation kann sogar den Erfolg der Reform
selbst beeinträchtigen.
In der Sache sehen auch wir die Notwendigkeit einer
grundlegenden Reform. Ich habe auch die Gewerkschaf-
ten in diesem Sinne verstanden, dass sie sich nicht zur
Lobby überholter Strukturen machen.
Wir Grüne haben eine Umgestaltung schon seit lan-
gem gefordert. Die Entwicklung des Schengenraums
macht eine Verwaltungsstruktur überflüssig, die noch
auf die Kontrolle der nationalen Außengrenzen ausge-
richtet war. Es reicht aber auch nicht aus, nur Behörden
hin- und herzuschieben. Wir brauchen darüber hinaus
auch eine grundsätzliche Neubestimmung der Aufgaben
einer Bundespolizei. Dazu gehört auch der Bereich von
Aus- und Fortbildung.
Der Bundesinnenminister hat Recht, wenn er für die
eigentliche Polizeiarbeit mehr personelle Kapazitäten
durch die Straffung der Strukturen von gegenwärtig fünf
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enschaft soll gemeinsam mit den Betroffenen und ihren
ewerkschaften über grundlegende Reformen beraten
nd durchdachte Vorschläge ausarbeiten. Es geht nicht
ur um Strukturen und Organisation. Es muss auch die
ufgabenstellung neu besprochen werden.
Zu klären ist auch, wie Auslandseinsätze aussehen
nd wie deren parlamentarische Kontrolle sichergestellt
ird. Es kann nicht sein, das Polizeibeamte des Bundes
der der Länder weniger parlamentarische Aufmerksam-
eit bekommen als die Soldaten. Auch Polizeibeamte
eisten einen gefährlichen Dienst, dessen Erforderlich-
eit immer wieder überprüft werden muss.
Dieser grundlegende Prozess einer Reform der Bun-
espolizei muss transparent gestaltet werden. Er darf
icht länger als geheime Chefsache am Parlament und an
en Beschäftigten vorbeigehen.
Ich freue mich auf die Beratungen im Innenausschuss
es Bundestages zu diesem Thema. Wir sollten uns auch
uf eine Anhörung verständigen, um den Diskussions-
rozess voranzubringen.
73. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 14. Dezember 2006
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11