Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Vorgestern, am 19. April 2005, hat das Kardinalskol-
legium mit Joseph Kardinal Ratzinger zum ersten Mal
seit fast 482 Jahren einen Deutschen zum Papst gewählt.
Ich habe Papst Benedikt XIV.
– Entschuldigung, dem XVI. – im Namen des Deutschen
Bundestages bereits schriftlich die herzlichen Glück-
wünsche zu seiner Wahl zum Oberhaupt der katholi-
schen Kirche übermittelt.
Für seine große Aufgabe dürfen wir unserem Lands-
mann Benedikt XVI. von dieser Stelle aus alles, alles
Gute wünschen.
Bevor wir zur Tagesordnung übergehen möchte ich
auf der Tribüne die Präsidentin des griechischen Parla-
ments, Frau Professor Anna Benaki, herzlich begrüßen.
Wir hoffen, dass Sie einen aufschlussreichen – wenn
auch kurzen – Eindruck unserer parlamentarischen Ar-
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Redet
beit gewinnen können. Für Ihren Aufenthalt in unserem
Haus und in Deutschland und für Ihr weiteres parlamen-
tarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Die Kollegin Erika Simm feierte am 16. April ihren
65. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich ihr
sehr herzlich und verbinde mit den besten Wünschen
auch unseren Dank für ihre Arbeit als Vorsitzende des
Geschäftsordnungsausschusses.
Sodann müssen die Mitglieder im Stiftungsrat der
Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-
infizierte Personen“ neu gewählt werden, da
zeit am 30. Juli dieses Jahres endet. Gemäß
des HIV-Hilfegesetzes werden zwei Mitglied
Stiftungsrat vom Deutschen Bundestag be
ext
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwendige Inves-
titionen in die deutsche Verkehrsinfrastruktur
bereitstellen
– Drucksache 15/5325 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich
, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Infrastruk-
turinvestitionen erhöhen – Neue Wege bei Finanzierung
und Betrieb der Bundesfernstraßen
– Drucksache 15/5338 –
Überweisungsvorschlag:
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
schuss
für Wirtschaft und Arbeit
für Tourismus
usschuss
ihre Amts-
§ 8 Abs. 1
er für den
nannt. Die
Ausschuss
Finanzaus
Ausschuss
Ausschuss
Haushaltsa
16046 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Präsident Wolfgang Thierse
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Koppelin,
Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Vorfahrt für Arbeit – Der Weg
nach vorne für Deutschland und Europa
– Drucksache 15/5339 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenver-
kehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtli-
cher Vorschriften
– Drucksache 15/5315 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des An-
spruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
– Drucksache 15/5314 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz,
Ulrich Adam, Günter Baumann, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetzes
– Drucksache 15/5319 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-
tung der Bundesregierung zu aktuellen Äußerungen der
SPD-Fraktions- und Parteispitze zu Wirtschaftsinvesti-
tionen in Deutschland
ZP 8 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Arz-
neimittelversorgung bei Kindern und Jugendlichen
– Drucksache 15/5318 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung zu dem Antrag der Abgeordneten
Dagmar Schmidt , Karin Kortmann, Detlef
Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD, der Abgeordneten Christa Reichard ,
Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Undine Kurth , Thilo Hoppe, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN: Biologische Vielfalt schützen
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, Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer
)
)
Goldmann weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP: Leitlinien für die Privatisierung
der Deutschen Flugsicherung – Gesamtkon-
zept zur Neuordnung der Flugsicherung
– Drucksache 15/4670 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Der in der 157. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Verteidigungsausschuss und dem Haushaltsausschuss
zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Norbert Königshofen,
Dirk Fischer , Eduard Oswald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU: Maßnahmen zur Kapitalprivatisierung
der Deutschen Flugsicherung GmbH
– Drucksache 15/4829 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatz-
punkte 2 bis 5 auf:
3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Beckmeyer, Klaus Brandner, Dr. Michael Bürsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Investitionskräfte stärken – Neue Impulse für
Wachstum und Beschäftigung
– Drucksache 15/5340 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss
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)
Jetzt kommt es darauf an, dass etwas getan wird.
– Wenn Sie ein bisschen zuhören würden, dann hätten
Sie vermutlich – wenn Sie ehrlich sind – Freude daran,
zu erfahren, dass wir etwas bewegen können.
In diesem Land stecken nämlich doch beachtliche
Potenziale. Mehr Investitionen, mehr Wachstum und
mehr Beschäftigung sind möglich. Die Bundesregierung
ist entschlossen, die Kräfte, die in Deutschland da sind,
in Bewegung zu setzen. Am 17. März dieses Jahres hat
der Bundeskanzler vor diesem Hause eine wichtige Re-
gierungserklärung abgegeben. In dieser Regierungser-
klärung gab es ein paar zentrale Punkte, die ich heute an-
sprechen möchte.
Ich möchte erstens darüber informieren, dass wir in
der nächsten Woche im Bundeskabinett ein wichtiges In-
vestitionsthema angehen wollen: die Weiterführung des
Gebäudesanierungsprogramms der KfW-Förderbank.
2006 und 2007 werden für die Fortführung dieses Pro-
gramms 720 Millionen Euro zur Zinsverbilligung und
auch für Teilschuldenerlasse zur Verfügung stehen. Das
heißt im Klartext, man wird damit Darlehen in der Grö-
ßenordnung von 3 Milliarden Euro auslösen und Bau-
leistungen in der Größenordnung von 5 Milliarden Euro
bewegen können. Das ist schon allerhand.
In enger Abstimmung mit der KfW-Förderbank soll
diese Förderung dann in Zukunft auf solche Maßnahmen
konzentriert werden, die einen hohen Energie- und CO2-Einspareffekt haben werden. Jede in diesen Bereich in-
vestierte Milliarde schafft 25 000 Arbeitsplätze. Das
macht in den Jahren 2006 und 2007 rund
125 000 Arbeitsplätze aus, die gesichert oder neu ge-
schaffen werden können. Das ist Tatsache; das ist keine
Ankündigung. Das geht sofort in Gang.
Sichere und neue Erwerbschancen erreichen wir auch
mit dem zweiten Investitionsprogramm. Gestern haben
wir im Kabinett Verkehrsinvestitionen in Höhe von
2 Milliarden Euro vorgesehen; ich habe hier im Hause
schon kurz darüber berichten können. Das heißt im Ein-
zelnen: Von 2005 bis 2008 mobilisieren wir jährlich eine
halbe Milliarde zusätzlich für Investitionen in den Ver-
kehr. Das schafft ganz direkt bis zu 60 000 Arbeitsplätze
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Das Entscheidende ist: Dieses Programm wird jetzt
hne Zeitverzug seine Wirkung entfalten können. Wir
önnen handeln. Wir können dafür sorgen, dass Aufträge
n die Bauwirtschaft ausgelöst werden. Die wartet schon
arauf.
lückwunschschreiben habe ich schon bekommen. Ich
offe, auch bei Ihnen wird das angekommen sein. Wir
erden zunächst im Jahr 2005, um schnell handeln zu
önnen, eine Reihe von Einzelmaßnahmen starten, so-
ass ohne Verzug gearbeitet werden kann.
Wir haben Handlungsbedarf in drei Bereichen: in den
ereichen der Schiene, der Wasserstraße und der Straße.
ür die Schiene und die Wasserstraße soll mehr als die
älfte der Mittel eingesetzt werden. Wir brauchen diese
mweltfreundlichen Verkehrsträger als starke Wettbe-
erber, um das Verkehrswachstum – es ist unaufhaltsam
nd für die Mobilität in der Wirtschaft unverzichtbar –
or allem in den Bereichen des Güterverkehrs bewälti-
en zu können. Die Straße ist und bleibt ein Hauptleis-
ungsträger. Deshalb werden wir etwa 900 Millionen
uro zusätzlich für das Bundesfernstraßennetz einset-
en.
Mit dem 2-Milliarden-Programm im Ganzen wird der
erkehrsstandort Deutschland gesichert und verbessert.
nsere Stärken im Wachstumsfeld Mobilität und Logis-
ik bauen wir aus. Das wird Innovationen ermöglichen.
ir verbessern unsere Vernetzung in Europa. Damit be-
chleunigen wir auch den Aufbau Ost.
Wichtig sind dabei Erhaltungsinvestitionen für
traße und Binnenwasserstraße. Dazu gehören die Sa-
ierung von Brücken und Schleusen und die Nachrüs-
ng von Tunnels. Über die Erhaltungsmaßnahmen hi-
aus können wir schon dieses Jahr bei den
undesfernstraßen neue Maßnahmen des vordringlichen
edarfs beginnen und begonnene spürbar beschleuni-
en.
Wir sichern die Leistungskraft des Wirtschaftsstand-
rtes Deutschland und wir sichern dabei ganz besonders
ie Leistungskraft der starken Potenziale, in denen sich
egenwärtig die Hauptentwicklung unseres Landes be-
egt. Das heißt, die Wachstumskräfte, die in Baden-
ürttemberg, in Nordrhein-Westfalen und in Bayern
orhanden sind, werden durch diese Maßnahmen unter-
tützt.
ie maritimen Standorte an Nord- und Ostsee werden
urch bessere Anbindungen auf das künftige Verkehrs-
achstum vorbereitet.
Wir schaffen auch Voraussetzungen für Wachstum
nd Arbeit im Osten Deutschlands.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16049
)
)
Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe
Von unseren sofortigen Investitionsmaßnahmen bei der
Straße profitieren zum Beispiel Mecklenburg-Vorpom-
mern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen.
Meine Damen und Herren, für die Zukunft der
Schiene verstärken wir unsere wichtigen, herausragen-
den Projekte mit zusätzlichen Investitionsmitteln und
werden im Jahr 2005 – als eine Ausnahmeregelung von
der bisherigen Praxis – ein Bahnhofssanierungspro-
gramm in enger Abstimmung mit der Bahn auf den Weg
bringen. Auch das ist eine Maßnahme, die wichtig ist für
Aufträge, wichtig ist für Arbeit und die darüber hinaus
die Attraktivität des Schienenverkehrs erheblich erhöhen
wird.
Wir werden dann für den weiteren Fortgang des Vor-
habens, also für die Jahre 2006 und folgende, in den al-
lernächsten Wochen ein Maßnahmenpaket erarbeiten,
um die nötigen Prioritäten zu entscheiden. Wir werden
das in Abstimmung mit den Verkehrspolitikern dieses
Hauses, aber auch mit den Ländern vornehmen. Dabei
wollen wir von einem modernisierten Planungsrecht
profitieren. Das wird eine Beschleunigung von Baumaß-
nahmen bringen.
Damit komme ich zu meinem dritten Punkt: Be-
schlossene Infrastrukturprojekte müssen zügiger reali-
siert werden können. Daher werden wir noch vor der
Sommerpause den Entwurf eines Infrastruktur- und Pla-
nungsbeschleunigungsgesetzes vorlegen. Es wird eine
deutliche Beschleunigung für ganz Deutschland bringen
und wird die guten Erfahrungen, die wir mit dem
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz im Osten
gemacht haben, für ganz Deutschland umsetzen.
Wir gehen davon aus, dass wir mit einem solchen Gesetz
die Planungsphase für wichtige Infrastrukturvorhaben
um mindestens 30 Prozent verkürzen können.
In der Ressortabstimmung müssen wir noch einige
Fragen klären, so zum Beispiel die Zahl der Klageinstan-
zen. In der Anhörung habe ich jetzt meinen Entwurf vor-
gestellt und dabei auch auf die Erfahrungen des Ostens
zurückgegriffen; das heißt: eine Klageinstanz.
Das wird von allen Bundesländern unterstützt. Darüber
wird es aber sicherlich noch Diskussionen geben.
Wir haben ein Ziel bei dem Ganzen: Es muss schnell
gehen, es muss effektiv durchgeführt werden. Wir müs-
sen dann zuverlässige Bedingungen für Investitionen in
Deutschland haben. Dann kann besser kalkuliert werden,
wann wichtige Verkehrswege, wann städtische Bauvor-
haben und Versorgungsleitungen fertig sein werden. Die
Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort kann
damit noch deutlich erhöht werden. Ich appelliere an das
ganze Haus, dass wir diese Dinge ernsthaft und sachlich
angehen und dann auch zügig zu Lösungen kommen.
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Meine Damen und Herren, wir wollen aber auch zu-
ätzliche private Investitionen für die Verkehrswege
obilisieren. Die A-Modelle – wir haben häufig darüber
esprochen; wir haben die ersten Pilotprojekte in Gang
esetzt – sind dazu ein Weg. Wir brauchen aber weitere
nterstützung und Flankierung. Wir brauchen die An-
erbung zusätzlicher Investitionsmittel.
Deshalb möchte ich hier einen vierten Punkt nennen:
ie Überlegung, ein ÖPP-Beschleunigungsgesetz zu
tarten. Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass öf-
entlich-private Partnerschaften ein wichtiges Instrument
ein können. Dabei kommt es darauf an, das Know-how
on beiden Seiten – von den privaten, aber auch von den
ffentlichen Händen – zu verbinden und damit die Leis-
ngsfähigkeit zu potenzieren. Wir sind dabei in den
tzten Monaten bereits intensiv unterwegs. Es hat gute
bsprachen gegeben, auch mit anderen Ministerien, zum
eispiel mit dem Finanzministerium. Ich gehe davon
us, dass das ganze Haus dieses Projekt unterstützen
ird.
Ziel ist es, bis zur Sommerpause den Entwurf eines
ntsprechenden Gesetzes zu erarbeiten, um die rechtli-
hen Rahmenbedingungen von öffentlich-privater Part-
erschaft in Deutschland zu verbessern und noch beste-
ende Benachteiligungen gegenüber anderen Formen
er Beschaffung abzubauen. Die laufenden Arbeiten be-
iehen sich auf Regelungen im Vergaberecht, im Haus-
alts- und Förderrecht, im Steuerrecht, im Gebühren-
echt sowie auf Fragen im Bereich der Finanzierung.
Meine Damen und Herren, die Maßstäbe unserer Re-
orm- und Investitionspolitik sind eindeutig. Wir wollen
nd wir müssen alle miteinander Deutschland nach
orne bringen. Ich bitte um Ihre Unterstützung. Wir han-
eln jetzt.
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Kauder, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Herr Minister Stolpe, die Dynamik Ihres Vor-
rags hat eindrucksvoll die Dynamik dieser Bundesregie-
ung dargestellt.
ch habe den Eindruck, dass wir nicht nur ein Beschleu-
igungsgesetz zur Umsetzung der Aufgaben brauchen,
ondern vor allem auch ein Regierungsbeschleunigungs-
esetz. Das wäre zwingend notwendig.
16050 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Volker Kauder
Sie haben so schön formuliert: Wir sind auf dem
Weg. – Ja, diese Regierung ist ständig auf dem Weg.
Aber sie kommt nie an. Das ist das Problem in unserem
Land.
Als ich den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion gele-
sen habe, hatte ich zunächst die Hoffnung, Sie würden
darin auch erklären, wie es mit der Umsetzung dessen
vorangeht, was der Bundeskanzler in seiner Regierungs-
erklärung zur Fortführung der Agenda 2010 angekün-
digt hat. Aus dem Antrag geht aber dazu nichts konkret
hervor.
Einen bemerkenswerten Satz habe ich in Ihrem An-
trag allerdings gefunden: „Die Erfolgsgeschichte der
Agenda 2010 wird fortgesetzt.“
Lassen Sie uns gemeinsam einen kurzen Blick auf diese
Erfolgsgeschichte werfen: 5,2 Millionen Arbeitslose in
Deutschland. Auch ohne die erwerbsfähigen Empfänger
des Arbeitslosengeldes II bedeutet das die höchste
Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland.
Auch saisonbereinigt stieg die Arbeitslosigkeit im März
weiter an, und zwar um weitere 92 000 Arbeitslose. Eine
schöne Erfolgsgeschichte, die Sie uns präsentieren!
Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäf-
tigten ging um 156 000 zurück. Tag für Tag gehen rund
1 000 Arbeitsplätze verloren. Eine bemerkenswerte Er-
folgsbilanz, die Sie vorzuweisen haben!
Es bleibt dabei, Herr Müntefering – auch wenn Sie
noch so viel reden –: Rot-Grün ist die Koalition der
Massenarbeitslosigkeit.
Leider ist dies das Ergebnis Ihrer Politik.
Rot-Grün ist aber auch die Schlusslichtkoalition:
Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum, bei der Ent-
wicklung unseres Wohlstandes und in allen anderen we-
sentlichen Punkten. Rot-Grün macht ärmer. Arbeitneh-
mer in Deutschland haben 2005 im Schnitt fast 1 Prozent
weniger in der Tasche als 2004. Eine tolle Erfolgsbilanz,
die Sie hier vorlegen! Es ist Zynismus gegenüber den
Menschen, wenn Sie Ihre Politik und deren Auswirkun-
gen als Erfolgsbilanz bezeichnen.
Rot-Grün ist aber auch die Koalition der Zukunftskil-
ler. Das vierte Mal in Folge wird Deutschland in diesem
Jahr den Stabilitätspakt der Europäischen Union verlet-
zen und mehr Schulden aufnehmen als erlaubt.
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s wäre schön, wenn Sie sich auch daran halten würden,
icht das aufzuessen, wovon die Kinder in Zukunft leben
ollen.
Die Menschen in unserem Land sehen die rot-grüne
rfolglosigkeit und reagieren darauf. Bei den Landtags-
ahlen, in den Meinungsumfragen und auch in Nord-
hein-Westfalen sieht es für die SPD nicht sehr gut aus.
eswegen wird der SPD-Vorsitzende auf einmal er-
taunlich nervös und greift in die Mottenkiste des Klas-
enkampfes. Dass das reines Wahlkampfmanöver ist,
einen auch die Journalisten, die Ihnen gar nicht so fern
tehen.
Wie schlimm muss es um die SPD stehen, wenn ein
orsitzender ideologische Seelenmassage betreiben
uss.
it dem Verständnis ist aber dann Schluss, wenn die
taatssekretärin Ute Vogt die Bevölkerung aufruft, die
eutsche Wirtschaft zu boykottieren.
ass die Bundesregierung – vertreten durch eine Staats-
ekretärin – dazu auffordert, die deutsche Wirtschaft zu
oykottieren, hat es in den letzten Jahren nicht gegeben.
o werden Arbeitsplätze vernichtet und die Menschen in
iesem Land müssen darunter leiden. Das gilt für dieje-
igen, die noch Arbeit haben, aber vor allen Dingen für
ie Arbeitslosen. Das ist eine miserable Politik.
Auch Betriebe, die der SPD gehören, haben Arbeits-
lätze abgebaut, Herr Müntefering. Zum Beispiel die
Frankfurter Rundschau“ wird die Arbeitsplätze um ein
rittel reduzieren.
estellen Sie nun das Abo Ihrer Lieblingszeitung ab?
efolgen Sie also den Auftrag von Frau Vogt oder nicht?
ie absurde Forderung von Frau Vogt zeigt, dass Sie die
eister, die Sie gerufen haben, nicht mehr in den Griff
ekommen.
Es drängt sich ohnehin der Verdacht auf, dass man es
n der SPD von Anfang an mit den Menschen nicht ernst
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16051
)
)
Volker Kauder
gemeint hat. Noch zum Jahreswechsel 2002/03 sagte
Franz Müntefering:
Dennoch, was wir machen, ist richtig: weniger für
den privaten Konsum und dem Staat mehr Geld ge-
ben … Beton ist ein moderner Baustoff, mit dem
man viel Schönes machen kann.
Dann kam die Agendarede von Schröder und
Müntefering sagte:
Ich bekenne mich dazu, dass wir nach der Bundes-
tagswahl noch manches anders gesehen haben als
heute.
Daraufhin stellte ein großes Magazin die Frage:
Herr Müntefering, wann dämmerte Ihnen, dass es
so nicht weitergeht?
Herr Müntefering antwortete:
Mein Damaskus ereignete sich im letzten Quartal
2002. Da wurde mir klar: Das haut alles überhaupt
nicht hin.
Heute, zwei Jahre später, werden wieder genau die
gleichen alten Klassenkampfparolen hervorgeholt. Ich
sage Ihnen, Herr Müntefering: Es gibt Leute, die auf
dem Weg nach Damaskus vom Saulus zum Paulus ge-
worden sind. Es gibt auch Leute, die auf dem Weg von
Damaskus vom Paulus zum Saulus geworden sind. Aber
dass jemand beim Hin- und Rückweg an der gleichen
Stelle
zweimal Erweckungserlebnisse hat, ist ausgesprochen
selten.
Das nährt doch den Verdacht, Herr Müntefering, dass je-
mand in Wirklichkeit gar nicht in Damaskus gewesen ist
und den Menschen von Anfang an nur Geschichten er-
zählt hat.
So ruiniert man auch den Rest an Vertrauen und Glaub-
würdigkeit in der Politik. Das zeigt wieder einmal, dass
das, was man über Ihre Politik sagt, richtig ist: verspro-
chen und gebrochen. Das ist leider das Motto, nach dem
Sie arbeiten.
Wir von der Union meinen allerdings, dass die Men-
schen ein Recht auf ernsthafte Vorschläge haben. Wir
haben mit dem Pakt für Deutschland einen ernsthaften
Vorschlag gemacht. Was Rot-Grün bisher vorgelegt hat,
ist aber mehr als unzureichend. Strukturreformen betref-
fend den Arbeitsmarkt, das Steuersystem und die Sozial-
versicherungen fehlen. Der rot-grüne Vorschlag, Pro-
gramme der Bundesagentur für Arbeit auszuweiten, geht
eigentlich am Kern der Schwierigkeiten vorbei; denn wir
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Schauen wir uns einmal ganz konkret an, was auf dem
o genannten Jobgipfel vereinbart worden ist! Viele
unkte, die wirklich wichtig sind und die Angela Merkel
nd Edmund Stoiber vorgetragen haben, sind von Ihnen
isher noch gar nicht akzeptiert worden. Aber selbst das,
as Sie nach eigenem Bekunden machen wollen, wozu
ie bereit sind, haben Sie bis zum heutigen Tage noch
icht umgesetzt. 35 Tage sind seit dem Jobgipfel vergan-
en und Sie haben noch nichts Konkretes auf den Tisch
es Hauses gelegt.
Wenn Sie den von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
orgelegten Antrag als etwas Konkretes bezeichnen,
ann ist das eine jämmerliche Aussage; denn er ist über-
aupt nichts Konkretes. Wenn das, was Herr Minister
tolpe vorgetragen hat, ein Zukunftsprogramm sein soll,
ann kann ich nur sagen: Sie haben wirklich allen
rund, darüber nachzudenken, ob Sie noch auf der Höhe
er Probleme sind.
Meistens ist es so, dass diejenigen, die wirklich nichts
u bieten haben, am lautesten schreien. Das trifft auch
uf Sie zu.
Wir haben jedenfalls ganz konkrete Vorschläge ge-
acht. Der Bundeskanzler hat von diesem Rednerpult
us gesagt: Eine Senkung der Unternehmensteuern
äre und ist ein richtiges Signal. Aber das muss seriös
inanziert werden. Der Bundeskanzler hat von „einkom-
ensneutraler Finanzierung“ gesprochen.
Steuersenkungen auf der Basis von Neuverschul-
dung ist das Unsolideste, was es je gegeben hat.
err Müntefering, damit haben Sie einmal einen richti-
en Satz gesagt. Da es unsolide ist, Steuersenkungen
urch mehr Schulden zu finanzieren, können wir das,
as Herr Eichel zur Finanzierung einer Steuersenkung
isher vorgelegt hat, nicht akzeptieren. Sämtliche
inanzminister sind der Meinung: Da muss nachgelegt
erden, weil das sonst nicht funktionieren kann. Sie
önnen mit unserer sofortigen Zustimmung rechnen
das kann alles in wenigen Tagen über die Bühne ge-
en; Ihre ständigen Aufforderungen in der Öffentlichkeit
ind deswegen völlig unangebracht –, wenn der von
16052 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Volker Kauder
Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf eine solide Finanzie-
rung der Steuersenkung enthält. Sie müssen aber zu-
nächst einmal Ihre Hausaufgaben machen und nicht
ständig andere ermahnen.
Wir von der Christlich Demokratischen Union und
von der CSU sind bereit, den Weg zu gehen, der es er-
möglicht, dass wir mehr Arbeit in diesem Land bekom-
men. Unsere Vorschläge liegen im Pakt für Deutschland
auf dem Tisch. Sie haben 35 Tage verstreichen lassen,
ohne dass konkret etwas passiert ist. Das, was Sie in Ih-
rem Antrag heute vorlegen, führt nicht einmal in die
richtige Richtung; vielmehr zeigt es: Sie haben kein
Konzept. Also: Haben Sie einmal Mut und legen Sie ein-
mal etwas vor! Das, was Herr Stolpe heute vorgetragen
hat, ist zu wenig. Von Herrn Eichel haben wir noch kei-
nen einzigen Vorschlag gehört, der es möglich macht,
die Agenda 2010 fortzusetzen.
Ich erteile das Wort Kollegen Albert Schmidt, Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kauder, was Sie hier abgeliefert haben, ist der Nie-
dergang nicht nur des sozialen Gewissens, sondern auch
des christlichen Gewissens in der Union. Wenn es noch
eines Beweises dieser Entwicklung bedurft hätte,
dann haben Sie ihn heute erbracht.
Seit dem Abschied von Norbert Blüm, seit der Kalt-
stellung von Horst Seehofer haben das Soziale und das
Christliche in dieser Fraktion offenbar keinen Platz
mehr. Wenn Sie meinen, die Kapitalismuskritik hier
schelten zu müssen, dann kann ich Ihnen, wenn Sie
schon nicht auf uns oder auf den Fraktionsvorsitzenden
der SPD hören wollen, nur empfehlen: Schauen Sie sich
wenigstens die Umfragen an!
Lesen Sie nach: Einer Blitzumfrage zufolge halten
75 Prozent der Anhänger der CDU und der CSU die hier
geäußerte Kapitalismuskritik ausdrücklich für richtig.
Das gilt sogar für eine Mehrheit der FDP-Anhänger. Sie
wissen überhaupt nicht, wovon Sie reden.
Herr Kollege Kauder, dass Sie die Bibel zitiert haben,
macht die Sache nicht besser. Auch ich könnte jetzt aus
der Bibel zitieren.
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ch könnte zum Beispiel sagen: Eher geht ein Kamel
urchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich. Ich
ill mir das ersparen. Ich will nur sagen: Sie haben mit
em Thema der heutigen Debatte offenbar überhaupt
ichts anfangen können. Ich verstehe das auch. Denn
as, was wir Ihnen heute vorstellen, sind konkrete
chritte
uf dem Weg zu mehr Beschäftigung; das sind konkrete
chritte auf dem Weg in die Zukunft. Es geht um mehr
nvestitionen in die Infrastruktur, um Verwaltungsver-
infachungen und um neue Partnerschaften zwischen öf-
entlicher und privater Hand, um das Land nach vorne zu
ringen. Dazu haben Sie keine einzige Silbe gesagt. Das
eigt, dass Sie damit nichts anfangen können. Sie kön-
en nur polemisieren und Sie können sich überhaupt
icht auf die Sache beziehen.
Herr Kauder, ich will gar nicht mit Kritik in eine an-
ere Richtung sparen. Ich habe auch nichts gegen Selbst-
ritik. Ich will hier sogar deutlich sagen: Nach unserer
uffassung war es von Anfang an grundfalsch, sich zum
eispiel an den Investitionen in Verkehrswege zu ver-
reifen. Die Etikettierung, das seien Subventionen, war
rreführend. Das haben nicht wir erfunden.
Ich hätte übrigens nie gedacht, dass ich als Grüner
inmal in die Lage komme, die Investitionen in Schiene
nd Straßennetz gegen leibhaftige Ministerpräsidenten
er SPD und der CDU verteidigen zu müssen. Ich habe
on diesem Pult aus immer wieder eindringlich davor
ewarnt, die Kürzungsvorschläge der Ministerpräsiden-
en Koch und Steinbrück umzusetzen. Diese Kürzungs-
orschläge hatten die Überschrift: Subventionsabbau mit
em Rasenmäher. In Wahrheit ist die Umsetzung dieser
orschläge in Bezug auf Verkehrsinvestitionen wie die
xt im Walde. Dieses Vorgehen war falsch.
Am 15. Dezember 2003 wurde dieser Kardinalfehler
er deutschen Verkehrspolitik dank der Bundesrats-
ehrheit gegen jeden Sachverstand, gegen unseren Wil-
en im Vermittlungsverfahren durchgesetzt. Das war ein
chwarzer Tag. Wir haben den Koch/Steinbrück-Be-
chluss
nd die Folgen in zwei Haushaltsjahren zähneknirschend
ollzogen. Wir haben dabei zugesehen, wie das Rekord-
iveau an Verkehrsinvestitionen, das wir seit der Regie-
ungsübernahme im Jahr 1998 aufgebaut haben, Schritt
ür Schritt, von Jahr zu Jahr dahinschmolz wie Schnee in
er Sonne.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16053
)
)
Albert Schmidt
Gerade deshalb ist es gut, heute sagen zu können: Seit
der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom
17. März dieses Jahres
ist klar: Dieser Irrweg wird nicht länger beschritten;
im Gegenteil: Die Fehler aus dem unsäglichen Koch/
Steinbrück-Papier werden korrigiert, die Verkehrsinves-
titionen werden wieder annähernd auf das Rekordniveau
der Jahre 2002 und 2003 aufgestockt. Und das ist gut so.
Mit den zusätzlichen 2 Milliarden Euro, die die Bun-
desregierung über vier Jahre verteilt für die Verstärkung
der Verkehrsinvestitionen zur Verfügung stellt, werden
nicht nur die Kürzungen nach dem Koch/Steinbrück-Pa-
pier und den Folgebeschlüssen des Vermittlungsaus-
schusses faktisch korrigiert und rückgängig gemacht.
Mittelfristig werden darüber hinaus berechenbare und
solide Grundlagen für die weitere Modernisierung un-
seres Verkehrswegenetzes geschaffen. Das ist wichtig,
nicht nur für ein integriertes Verkehrssystem, sondern
auch für die Bau- und Verkehrswirtschaft, die sich auf
eine mittelfristig bessere Investitionslinie einstellen
kann.
Dies wird nicht nur 60 000 Arbeitsplätze in der Bau-
wirtschaft bringen; in der gesamten Verkehrswirtschaft,
ob im Fahrzeugbau für die Schiene oder im Fahrzeugbau
für die Straße, wird es einen Push geben. Wenn Sie auf-
merksam verfolgt hätten, was die Industrie gestern dazu
gesagt hat, dann hätten Sie heute diese Rede gar nicht
halten können, Herr Kauder. Dann hätten Sie mit Res-
pekt sagen müssen: Jawohl, das ist der Schritt, auf den
wir alle gewartet haben.
Dass wir dabei nicht einseitig und einäugig vorgehen,
zeigt übrigens die Verteilung der Zusatzmittel, wie sie
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der größere Teil geht in die umweltfreundlichen Sys-
teme Schiene und Wasserwege – plus 750 Millionen
Euro für die Schiene und plus 350 Millionen Euro für
die Wasserwege – und der kleinere Teil – plus 900 Mil-
lionen Euro – geht in den Bereich Straße.
Dabei werden die richtigen Schwerpunkte gesetzt.
Natürlich werden vorrangig Ersatzinvestitionen zur Er-
neuerung bestehender Verkehrswege, also im Bestands-
netz, finanziert. Das ist deshalb notwendig, weil dort
– das ist klar – die kürzesten Planungsvorläufe sind, weil
man dort das zusätzliche Geld sehr schnell arbeitsplatz-
wirksam umsetzen kann und weil dort auch dringender
Handlungsbedarf besteht. Ich nenne nur die Erneuerung
von Fahrbahndecken und entsprechende Erneuerungen
in den Bereichen Wasserstraße und Schiene.
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Lassen Sie mich allerdings auch ein kritisches Wort
um Mittelabfluss bei der Deutschen Bahn AG sagen,
ielleicht deutlicher, als manch anderer das sagen kann.
ass im ersten Jahr, in dem diese Zusatzmittel zur Verfü-
ung stehen, der Löwenanteil in Straßenmaßnahmen
eht, ist nicht politischer Willkür geschuldet und auch
eine Strafaktion gegen die Schiene oder dergleichen,
ondern hängt mit der momentanen Investitionsunfähig-
eit oder -unwilligkeit des DB-Vorstandes zusammen.
s ist der Wunsch der DB, den Hauptanteil der zusätzli-
hen Schienenbaumittel nicht jetzt, sondern erst in den
ahren 2006 und folgende zu bekommen. Das wird mit
eiterem Planungsvorlauf begründet. Dabei ist längst
lar, dass es zusätzliches Geld für die Schiene geben
ird: 1 Milliarde Euro zusätzlich aus dem Kabinettsbe-
chluss vom Juli letzten Jahres, 266 Millionen Euro zu-
ätzlich erneut aus den Mitteln, die von der DB im letz-
en Jahr nicht abgerufen wurden, 750 Millionen Euro aus
em Programm, das wir heute vorstellen. Dies alles
ommt nicht überraschend. Von daher verstehe ich nicht,
eshalb die DB sagt, sie sei planerisch darauf nicht vor-
ereitet.
Es gibt eine Reihe anderer Projekte, die längst laufen,
ie man finanziell verstärken könnte.
Kollege Schmidt, Sie müssen bitte zum Ende kom-
en.
16054 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Albert Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident.
Damit drängt sich uns der Eindruck auf, dass für die
Investitionszurückhaltung ad hoc ein ganz anderes Mo-
tiv ausschlaggebend sein könnte, nämlich der Wunsch
der DB, die Kofinanzierungsmittel aus der Unterneh-
menskasse einzusparen, um die Bilanz möglichst rasch
börsenfähig zu trimmen. Wenn dies das Ergebnis der
Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG sein sollte,
wäre das pervers. Dann käme nämlich am Ende nicht
mehr, sondern weniger Geld ins Schienennetz.
Von daher kann ich nur sagen: Jetzt ist das Geld da,
jetzt muss gebaut werden. Das gilt für alle, auch für die
Deutsche Bahn AG.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Pinkwart,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn Herr Schmidt hier von Sozialpolitik
spricht und dies in Deutschland anmahnt,
muss ich ihm deutlich machen: 5,2 Millionen Arbeits-
lose ist das Unsozialste, was es in diesem Land gibt. Da-
für sind Sie verantwortlich.
Sozial ist – im Gegensatz zu Ihrer Politik –, was Ar-
beit schafft. Was aber schafft Arbeit? Arbeit schafft das,
was für ein günstiges Investitionsklima und für günstige
Standortfaktoren sorgt.
Beim Investitionsklima geht es darum, das Vertrauen der
Menschen in einen klaren Kurs einer modernen Wirt-
schaftspolitik zu gewinnen.
Was haben Sie gemacht? Sie sind mit Lafontaine ge-
startet und haben dann das Schröder/Blair-Papier vor-
gelegt. Statt dieses Konzept wie Herr Blair umzusetzen,
haben Sie sich für die ruhige Hand entschieden. Als das
Kind längst in den Brunnen gefallen war, kamen Sie mit
der Agenda 2010. Sie reichte nicht. Jetzt sind Sie mit
dem Notfallkoffer unterwegs. Um davon abzulenken,
kommt Herr Müntefering nun mit seiner Kapitalismus-
kampagne und läuft erneut Lafontaine hinterher.
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as ist genau das Gegenteil dessen, was Sie im so ge-
annten Schröder/Blair-Papier formuliert haben.
Ich zitiere, was in dem Papier steht, Herr
üntefering:
Modernisierung der Politik bedeutet nicht, auf Mei-
nungsumfragen zu reagieren, sondern es bedeutet,
sich an objektiv veränderte Bedingungen anzupas-
sen.
hre Politik hat sich in den letzten Jahren aber immer an
urzfristigen Elementen, an Meinungsumfragen orien-
iert. Ihre Politik „Einen Schritt vor und einen Schritt zu-
ück“ und das Land waren immer in Bewegung, haben
ich aber nicht von der Stelle bewegt.
as ist das Problem, das wir hier vorfinden.
Hinsichtlich der Standortfaktoren sind die Probleme
anz klar, auch die Stellhebel sind hinlänglich bekannt.
ie liegen bei den Lohnnebenkosten, bei den Bürokratie-
asten, bei den Steuern und bei der Verbesserung der öf-
entlichen Infrastruktur. Das Steuer können Sie nur
erumreißen, wenn Sie sich an zwei ganz klaren Grund-
egeln orientieren. Die erste Grundregel muss lauten:
orfahrt für Arbeit.
as heißt, Sie müssen in dieser Situation alles tun, was
rbeit schafft,
nd Sie müssen endlich alles unterlassen, was Arbeit in
iesem Land vernichtet. Das ist die entscheidende Regel,
ie jetzt gelten müsste.
Was aber tun Sie?
ie verabschieden ein Gesetz zur Grünen Gentechnik,
as vom Betriebsratsvorsitzenden der Bayer AG in
ordrhein-Westfalen, der von Ihrer Partei gestellt wird,
ie folgt bewertet wird:
Was Verbraucherministerin Renate Künast mit der
Gentechnik macht …, ist
mit Verlaub, Herr Präsident, ich zitiere nur –
eine Sauerei … Alte Arbeitsplätze werden vernich-
tet und neue andernorts geschaffen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16055
)
)
Dr. Andreas Pinkwart
Das sagt Ihr Betriebsratsvorsitzender zu Ihrer Politik,
meine Damen und Herren.
Ein zweites Beispiel, das zeigt, dass Sie gegen die
Regel „Vorfahrt für Arbeit“ verstoßen, ist das Anti-
diskriminierungsgesetz. Sie wissen ganz genau, dass
die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfes mehr Bürokratie
bringt und unserem Investitionsstandort schadet. Statt
ihn zurückzuziehen und ihn auf dem Niveau, das die EU
vorgibt, wieder vorzulegen, verweisen sie ihn in die
Ausschüsse. Sie wollen Ihren Entwurf über die Wahl ret-
ten, um dann wieder draufzusatteln. Das ist in Wahrheit
Ihre Politik.
Die zweite Grundregel, um das Steuer herumreißen
zu können, lautet, dass kein zentrales Reformfeld aus
ideologischen Gründen von der Modernisierung ausge-
nommen werden darf. Auch hier heißt es im Schröder/
Blair-Papier sehr treffend:
Die Produkt-, Kapital- und Arbeitsmärkte müssen
allesamt flexibel sein: Wir dürfen nicht Rigidität in
einem Teil des Wirtschaftssystems mit Offenheit
und Dynamik in einem anderen verbinden.
Genau hieran scheitert Ihre Politik. Sowohl bei der
Agenda 2010 als auch bei dem so genannten Jobgipfel
haben Sie die zentralen Stellhebel zur Verbesserung un-
serer Wirtschaftspolitik in den Bereichen Arbeitsmarkt-
und Tarifpolitik, Kündigungsschutzregelungen und Mit-
bestimmung mit der Begründung ausgeblendet, das sei
sozialdemokratisches Inventar. Indem Sie aber hier die
Stellhebel nicht richtig bedienen, kommt der Auf-
schwung in diesem Land insgesamt nicht zustande.
Sie verletzen die Grundregeln für eine erfolgreiche
Erneuerung des Landes. Auch deshalb sind Sie für das
Scheitern Ihrer Reformen verantwortlich. Diese Verant-
wortung können Sie nicht auf andere abschieben, auch
nicht mit noch so abwegigen Verschwörungstheorien,
wie sie jetzt von Ihnen propagiert werden. Dies zeigt ein
ganz einfacher Vergleich: Tony Blair hat die Punkte des
Schröder/Blair-Papiers von 1999 Schritt für Schritt um-
gesetzt. Sie haben sich vom Schröder/Blair-Papier seit
1999 Schritt für Schritt abgesetzt.
Konsequenz dieser Politik ist: In Großbritannien ist die
Arbeitslosigkeit deutlich gesunken, bei uns ist die Ar-
beitslosigkeit deutlich angestiegen. Fazit nach sechs Jah-
ren verfehlter Politik: Bei uns liegt die Arbeitslosigkeit
mittlerweile doppelt so hoch wie in Großbritannien. Das
zeigt, wie sich Ihre verfehlte Politik auf die Menschen
auswirkt.
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Wir von der FDP-Fraktion haben deshalb das
chröder/Blair-Papier heute als Antrag erneut in den
undestag eingebracht, nicht, weil wir mit jeder Formu-
erung einverstanden sind,
ber weil wir glauben, dass dies der richtige Kompass
ür Deutschland ist. Sie haben hier Gelegenheit, Farbe zu
ekennen:
urchsetzung des Prinzips „Vorfahrt für Arbeit“, Herr
üntefering, so wie es dieses Schröder/Blair-Papier sei-
erzeit vorgegeben hat, wie es durch unzählige Antrags-
itiativen der FDP-Fraktion Ihnen in den letzten Jahren
ur Abstimmung vorgelegt worden ist
nd wie es auch vom Bundespräsidenten in seiner gro-
en Rede erneut angemahnt worden ist, oder Fortsetzung
es Schlingerkurses, wie Sie ihn seit Jahren fahren. Oder
üssen wir uns nach den Verlautbarungen von Ihnen,
err Müntefering, noch auf ganz andere Initiativen ein-
tellen? Wollen Sie etwa Hartz IV zurückziehen, wie es
afontaine will? Wollen Sie, wie Regierungsmitglieder
orschlagen, die Bürger dazu aufrufen, gewisse Unter-
ehmen in Deutschland zu boykottieren?
Sorgen Sie endlich für Klarheit in diesem Land, um
icht noch mehr Investoren abzuschrecken und um nicht
och mehr Arbeitsplätze zu vernichten! Sie betreiben
ine unsoziale Politik. Kehren Sie endlich im Interesse
er Menschen in unserem Land um!
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
en und Kollegen! Um es ganz deutlich und klar zu sa-
en: Wir, die Sozialdemokraten in diesem Lande, setzen
en Reformprozess konsequent fort. Der Kanzler hat am
7. März die Richtung mit einem 20-Punkte-Programm
orgegeben: Aufbruch und Perspektive insbesondere für
ie Jugend war der Debattenschwerpunkt der letzten
oche; wir wollen der Jugend eine Chance geben. Heute
eden wir über Wachstums-, Innovations- und Investi-
ionsimpulse insbesondere im Bereich der öffentlichen
ände. In der nächsten Sitzungswoche werden wir die
teuerdebatte führen.
16056 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Klaus Brandner
Klar ist, dass wir diesen Reformkurs konsequent fort-
setzen werden, weil er zu Wachstum und Beschäftigung
in diesem Lande führt. Dazu gibt es keine Alternative.
Was macht die CDU/CSU? Sie beklagt, dass die SPD
auf die Verantwortung der Unternehmen hinweist. Für
die CDU/CSU scheint die Frage nach der gesellschaftli-
chen Verantwortung von Unternehmern und Managern
noch nicht einmal eine Frage zu sein.
Der SPD jedenfalls erscheint ein verantwortliches Mit-
einander aller Beteiligten notwendig
und nicht nur der ständige Ruf nach Kostensenkungen
durch den Abbau sozialer Rechte und Sicherungen; denn
wer nur abbaut, kann nichts aufbauen.
Es ist bereits zu Recht darauf hingewiesen worden,
dass die CDU/CSU früher zumindest einen Norbert
Blüm hatte, der gelegentlich auf die ethische Verantwor-
tung der Unternehmen hingewiesen hat.
Seine Position scheint in Ihrer Fraktion aber schon seit
längerem vakant zu sein.
Nun zu Ihrem Antrag. Was bringt er eigentlich
Neues? Er beinhaltet viele Forderungen, über die wir
hier schon mehrfach diskutiert haben. Ihnen ging es
dabei immer nur um den Abbau von Arbeitnehmer-
rechten.
Sie wollen die Schwächung der Tarifautonomie und der
Arbeitnehmermitbestimmung sowie den Abbau des
Kündigungsschutzes – die gleiche Leier tagein, tagaus.
Aber Ihre Vorschläge, die Herr Kauder heute wiederholt
hat, werden auch durch Wiederholung nicht richtiger
und nicht besser. Im Kern bin ich Ihnen allerdings dafür
dankbar, dass Sie die Unterschiede zwischen Ihnen und
uns vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen noch einmal
deutlich gemacht haben.
Sie fordern zum Beispiel eine Senkung des Beitrags-
satzes zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozent. Das
würde zu Einnahmeausfällen in Höhe von 11 Millionen
Euro führen.
Ja, Milliarden. – Zugleich sagen Sie, dass dadurch
50 000 neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen
ürden. Sie wissen doch, dass unser Land insbesondere
nter der hohen Jugendarbeitslosigkeit leidet.
0 Prozent der langzeitarbeitslosen Jugendlichen unter
5 Jahren besitzen keinen Berufsabschluss; ein Drittel
on ihnen hat keinen Schulabschluss. In die Förderung
ieser Jugendlichen zu investieren, um einen Prozess zu
rganisieren, der dazu beiträgt, dass sie überhaupt eine
hance haben, genau das wollen Sie nicht. Man muss es
hnen ganz klar vorwerfen: Sie nehmen ihnen ihre Chan-
en und wollen sie im Dunkeln lassen; das zeigt sich an
hrem Auftreten.
Die SPD will den Erhalt der Arbeitnehmerrechte und
er Mitbestimmung. Dies gehört nach unserer Überzeu-
ung zu den unverzichtbaren Bausteinen der sozialen
arktwirtschaft und der Beteiligung der Arbeitnehmer.
arauf wollen Sie völlig verzichten. Sie wollen zum
eispiel den Kündigungsschutz abbauen. Ihren Vor-
chlägen zufolge sollen 90 Prozent der in Betrieben be-
chäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom
ündigungsschutz überhaupt nicht mehr profitieren kön-
en. Dadurch schaffen Sie Verunsicherung. Die Men-
chen in diesem Land müssen allerdings wissen: Dieser
orderung werden wir nicht das Wort reden.
Zum Thema Weiterbildungschancen will ich Ihnen
agen: Ich finde es heuchlerisch, dass Sie, wenn Sie die
olping-Bildungswerke und die Bildungswerke des
andwerks – insbesondere in NRW – besuchen, dort sa-
en, welch tolle Arbeit sie leisten, ihnen aber die Finan-
ierungsgrundlage entziehen wollen, indem Sie hier im
undestag sagen, diese Mittel seien überflüssig. Das ist
cheinheilig. Das muss Ihnen so deutlich vorgeworfen
erden.
Die Menschen in diesem Land wollen – das ist meine
iefe Überzeugung – keinen Kapitalismus pur mit zwei-
telligen Profitraten. Sie wollen Teilhabe; denn sie sind
ehr als nur ein Kostenfaktor. Wir werden auch hier
eiterhin die Weichen in diesem Land in die richtige
ichtung stellen.
ie Menschen wollen aber auch Sicherheit und Motiva-
ion. Kluge Unternehmer, die gemeinsam mit den
rbeitnehmern für die Zukunft ihres Unternehmens ein-
reten und sie gemeinsam gestalten wollen, begrüßen da-
er ausdrücklich die Mitbestimmungsrechte in Deutsch-
and.
In Ihrem Antrag haben Sie Ihre altbekannten Forde-
ungen noch einmal verdeutlicht. Ich habe nur auf
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16057
)
)
Klaus Brandner
wenige Aspekte hingewiesen, könnte aber einen langen
Vortrag darüber halten, was Sie und was wir wollen, um
deutlich zu machen, wohin die Reise in diesem Land
ginge, wenn Sie die Mehrheit stellen würden, zu der Sie
allerdings Gott sei Dank nicht so schnell kommen wer-
den.
Meine Damen und Herren, ich würde mich freuen,
wenn Sie das 20-Punkte-Programm, das der Bundes-
kanzler vorgeschlagen hat und dessen Inhalt Sie inzwi-
schen in wesentlichen Teilen als Ihre Forderungen dar-
stellen, nicht wie Erstklässler abschreiben und sagen
würden, Ihre Forderungen seien besser, sondern wenn
Sie in diesen Prozess offensiv einstiegen. Dabei denke
ich an das GmbH-Gesetz, die Absenkung des Mindest-
stammkapitals für GmbHs, die Einführung eines elektro-
nischen Handelsregisters, die Beschränkung des Vorbe-
schäftigungsverbots bei befristeten Arbeitsverhältnissen
und insbesondere daran, wie die Investitionskraft in un-
serem Land durch öffentlich-private Partnerschaften ge-
stärkt werden kann.
Wir sind angetreten, insbesondere die Investitions-
kraft der öffentlichen Hände zu stärken; das Thema
greifen wir seit Jahren auf. Wir haben von dieser Stelle
sehr häufig deutlich gemacht, welche Bedeutung die öf-
fentlichen Investitionen für die Beschäftigung in diesem
Land haben. Bei den Gewerbesteuereinnahmen haben
wir in den vergangenen Jahren eine deutliche Verbesse-
rung erfahren: Gegenüber den Rekordjahren 1999/2000
haben wir jetzt bei der Gewerbesteuer eine Größenord-
nung von über 20 Milliarden Euro erzielt; das sind
4 Milliarden Euro mehr als im letzten Jahr. Das ist der
erste Punkt, der deutlich macht, wohin die Reise gehen
muss. Mit den Arbeitsmarktgesetzen haben wir eine Ent-
lastung von 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen er-
reicht und mit dem Ganztagsschulprogramm sind vom
Bund weitere 4 Milliarden Euro für Investitionen zur
Verfügung gestellt worden.
Jetzt geht es darum, deutlich zu machen, dass mit öf-
fentlich-privaten Partnerschaften, auf die mein Kollege
Bürsch noch näher eingehen wird, eine gute Möglichkeit
besteht, die Stärkung der öffentlichen Investitionstätig-
keit zu forcieren.
Sie selbst schreiben in Ihrem Antrag, von Public
Private Partnership dürfe nicht länger nur geredet wer-
den, sondern es müssten konkrete Lösungen für die be-
stehenden Hemmnisse gefunden und umgesetzt werden.
Minister Stolpe hat schon deutlich gemacht, dass wir ein
ÖPP-Beschleunigungsgesetz erarbeiten. Sie sind herz-
lich eingeladen, diesen Prozess aktiv zu unterstützen und
nicht, wie bisher, solche Prozesse im Bundesrat zu blo-
ckieren. Sie sind eingeladen, die Länder aufzurufen, mit-
zuhelfen, die Stärkung der öffentlichen Investitionskraft
noch schneller, als das bisher möglich ist, Wirklichkeit
werden zu lassen. Dann haben Sie viel und Gutes für un-
ser Land getan.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort Kollegen Dietrich Austermann,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die
ebatte der letzten Minuten verfolgt hat, wird erinnert
n das, was Jahr für Jahr von den gleichen Rednern an-
ekündigt, aber nicht vollzogen worden ist.
Herr Kollege Brandner, Sie haben von sozialer Ge-
echtigkeit geredet. Ich war in letzter Zeit gezwungen,
00 Stunden lang über eine Koalitionsvereinbarung zu
erhandeln, um möglichst viel von dem herauszuwerfen,
as die Grünen an Schaden anzurichten versucht haben.
ch habe mir dabei einmal die Überschrift der Koali-
ionsvereinbarung dieser Bundesregierung angeschaut.
ie lautete: „Erneuerung, Gerechtigkeit, Nachhaltig-
eit“. Schauen wir uns die Situation im Land an: Was
urde so erneuert, dass wir es als Fortschritt betrachten
önnen? Wo ist die soziale Gerechtigkeit geblieben und
o ist die Nachhaltigkeit?
Herr Brandner, Sie haben das Thema Jugend ange-
prochen. Wir erinnern uns, dass mit großem Pomp ein
rogramm zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit
ngekündigt wurde: das JUMP-Programm; es gab immer
ieder unterschiedliche Vokabeln für das gleiche
hema. Inzwischen ist dieses Programm zum Spartopf
er Bundesagentur für Arbeit geworden; man hat es
ang- und klanglos eingestellt. Es gab andere Pro-
ramme, mit denen man angekündigt hat, jetzt gehe es
ber los: Das Programm „Kapital für Arbeit“ ist eben-
alls sang- und klanglos eingestellt worden. Sie sind gut
m Setzen von Überschriften, aber Sie sind nicht gut in
er Realität; denn das, was Sie als Überschrift ansetzen,
st meistens untauglich, eine vernünftige Entwicklung in
ang zu bringen. Das ist aber der entscheidende Punkt
ür unser Land.
Gewissermaßen symbolisch für die Situation in unse-
em Land ist, was der Bundesverkehrsminister sagt. Er
st der vierte Minister seit 1998, der für Verkehr und In-
ovation zuständig ist. Das heißt, im Schnitt war jeder
nderthalb Jahre an der Regierung – einer war übrigens
uch Herr Müntefering; die anderen Namen haben wir
nzwischen vergessen –, anderthalb Jahre für langfris-
ige, zukunftsweisende Projekte in Deutschland. Herr
tolpe sagt: Jetzt können wir endlich Brücken sanieren.
as passiert denn, wenn wir es nicht tun? Fallen sie uns
ann auf den Kopf? Ist es ein Fortschritt, dass wir das,
16058 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dietrich Austermann
was wir haben, die Substanz, erhalten können? Oder
liegt der Fortschritt nicht eher darin, eine Entwicklung
zu betreiben, um Deutschland mit Innovationen voran-
zubringen?
Schauen wir uns einmal die finanzielle Situation
Deutschlands an. Nehmen Sie die Ausgaben für Investi-
tionen im Bundeshaushalt: Im letzten Jahr haben wir die
niedrigsten Volumina gehabt. Beim Verkehrsetat das
Gleiche: Es war einmal angekündigt, durch die Maut
3 Milliarden Euro für das Anti-Stau-Programm und für
Verkehrsinvestitionen zusätzlich zur Verfügung zu ha-
ben. Aber auch mit den 500 Millionen Euro, die jetzt
hinzukommen sollen – und die bisher nicht finanziert
sind –, werden wir in diesem Jahr weniger Mittel für die
Verkehrsinfrastruktur haben als im letzten Jahr.
– Das ist die Wahrheit; genau das ist die Situation.
Sie hingegen erzählen den Menschen, es gebe einen ge-
waltigen Aufschwung und eine gewaltige Bewegung
nach vorne.
Das ist aber der entscheidende Punkt. Die Menschen
merken, dass sie von Ihnen immer wieder hinter die
Fichte geführt und mit schönen Vokabeln, die sich in der
Realität nachher als ein Irrweg entpuppen, irritiert wer-
den.
Sie werden das nicht glauben. Deswegen werden sie
nicht investieren und nicht konsumieren. Die eigentliche
Ursache für den Vertrauensverlust gegenüber der der-
zeitigen Regierung ist, dass sie zwar Programme verkün-
det, auch teilweise richtige Programme, sie aber nicht
umsetzt, sondern immer wieder nur neue Vokabeln
bringt.
Herr Schmidt, Sie haben eine Mehdorn-Phobie und
glauben, Sie müssten den Bundesbahnvorstand in jeder
Debatte anmachen. Ich frage mich, warum der Bundes-
kanzler dann den Vertrag von Herrn Mehdorn vorzeitig
verlängert hat. Das war mindestens ein Jahr, bevor die
Entscheidung anstand. Ich frage mich auch, was Sie ei-
gentlich dafür tun, dass die Bahn die Mittel für ihre
Investitionen rechzeitig zur Verfügung hat. Verkehrsver-
einbarungen werden durch den Finanzminister verzö-
gert; so wurde im Dezember die Vereinbarung für die In-
vestitionen des abgelaufenen Jahres unterschrieben.
Dann wundert man sich noch, dass es zu keiner Versteti-
gung der Mittel kommt und dass das Geld nicht rechtzei-
tig ausgegeben wird!
Doch, genau so ist das.
Seit 1988 heißt es ständig, mit Otto Reutter gespro-
hen: Jetzt fangen wir gleich an. – Man hat aber festge-
tellt, dass es eigentlich immer weiter zurückging. Die
ntscheidenden Reformen wurden nicht umgesetzt.
Natürlich wird in Deutschland gebaut. Natürlich wer-
en 8 Milliarden Euro umgesetzt. Aber im letzten Jahr
urden 9 Milliarden Euro umgesetzt. Sehen Sie sich
och die Summen an!
ls wir noch an der Regierung waren, wurden
2 Milliarden für Verkehrsinvestitionen umgesetzt. Das
st der entscheidende Unterschied.
Das, was die Bahn bekommt, reicht dafür aus, die
ubstanz zu erhalten. Es reicht aber nicht dafür, zusätzli-
he Projekte durchzuführen, auch wenn Sie heute das
ine oder andere Projekt, das seit langer, langer Zeit auf
em Programm steht, als neu verkaufen.
Ich bin gestern mit einem Taxi gefahren, dessen Fah-
er nicht so aussah, als ob er die Union wählen würde.
ls ich ihm gesagt habe, wohin ich wollte, sagte er nur
anz kurz: Beim Dicken ging es uns besser als beim
leinen.
ch glaube, jeder kann sich vorstellen, was damit ge-
eint war.
Wenn Sie sich die Situation anschauen, dann erken-
en Sie, dass es in Deutschland bis 1998 besser lief.
chauen Sie sich nur das wirtschaftliche Wachstum an!
ie haben doch den Fehler gemacht, die Reformen und
ll das, was Mitte der 90er-Jahre auf den Weg gebracht
urde, zum 1. Januar 1999 mit einem Federstrich auszu-
adieren.
ie haben dann eine Steuerreform gemacht, die dazu
eführt hat, dass in den letzten Jahren 60 Milliarden
uro weniger an Körperschaftsteuer in die öffentlichen
aushalte geflossen sind. Durch Ihre Steuerreform
urde den Menschen das, was ihnen dadurch in die eine
asche getröpfelt wurde, auf der anderen Seite mit gro-
en Griffen, mit einem richtigen sozialistischen Zugriff,
ieder aus der Tasche gezogen. Das bedeutet doch, dass
nter dem Strich nicht mehr Geld da war.
Als wir 1982 eine vergleichbare Situation hatten,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16059
)
)
Dietrich Austermann
haben wir mit einer angebotsorientierten Wirtschafts-,
Wachstums- und Steuerpolitik die richtigen Entschei-
dungen getroffen. Das Ergebnis war, dass die Beiträge
gesunken sind, dass die Steuereinnahmen gesprudelt ha-
ben und dass wir auch bei der Beschäftigung einen deut-
lichen Zuwachs hatten. Wir müssen zurück zu einer an-
gebotsorientierten Wirtschafts- und Wachstumspolitik.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Schelte der Unterneh-
men. Man muss sich schon einigermaßen wundern: Ihre
Regierung ist seit sechseinhalb Jahren dran. Der Kanzler
umgibt sich gerne mit den Leuten, die heute in den Vor-
ständen an der Stelle sitzen, die er kritisiert.
Die Rogowskis – und wie sie sonst alle heißen – waren
immer gern gesehene Gesprächspartner, Schrempp war
natürlich ganz besonders gern gesehen. Sie alle werden
heute kritisiert. Hat man nicht jahrelang eine Politik ge-
rade zugunsten bestimmter Unternehmen gemacht?
Jetzt wird geschimpft, es werden Schützengräben ausge-
hoben und ein kalter Krieg bricht aus, und das nur, um
für die Wahl in Nordrhein-Westfalen ein paar Leute hin-
ter den roten und grünen Fahnen zu versammeln. Das ist
nicht in Ordnung. Sie werfen damit praktisch der gesam-
ten Wirtschaft – 80 Prozent davon sind Mittelständler –
ein unsoziales Verhalten vor. Das haben die vielen Mil-
lionen Mittelständler und auch die Arbeitnehmer nicht
verdient.
Bei manch einem muss man sich fragen: Wie sieht
das denn mit dem Recht auf Mitbestimmung aus, das
Sie in den großen Unternehmen ausgeweitet haben? Ha-
ben die Arbeitnehmer, die an den Entscheidungen in den
Unternehmen, die Sie jetzt so massiv kritisieren, betei-
ligt waren immer alle geschlafen? Sie sollten sich wirk-
lich überlegen, an welcher Stelle Sie Ihre Kritik anset-
zen. Es geht hier nicht darum, Überschriften zu setzen.
Es geht darum, dass wir eine wirklich wirtschafts- und
wachstumsfreundliche Politik brauchen, wie wir das ab
1982 gemacht haben. Erfolgsrezepte sollte man wieder-
holen.
Die Bundesbank hat Ihnen das ins Stammbuch ge-
schrieben. Die Sachkapitalbildung hierzulande hat im
Vergleich zu Auslandsinvestitionen offensichtlich erheb-
lich an Attraktivität verloren. In den letzten Jahren ist es
in Deutschland zu einem Einbruch der Investitionstätig-
keit auf breiter Front gekommen. Das, was Sie in Ihrem
Programm ankündigen, ist ungeeignet, weil es wieder
den gesamten Bereich von Arbeitsmarkt und Sozialsys-
temen ausblendet. Rot-Grün fehlt offensichtlich ein ord-
nungspolitisch sauberes Konzept.
Liebe Kollegen, nach 23 Jahren im Bundestag und der
Erfahrung mit fünf von mir geschätzten Fraktionsvorsit-
zenden – Kohl, Dregger, Schäuble, Merz und Merkel –
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Herr Kollege Austermann, ich wünsche Ihnen für Ihre
eue Aufgabe alles Gute.
Nun erteile ich das Wort Kollegen Reinhard Loske,
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ieber Kollege Austermann, viel Spaß in Kiel und
chöne Grüße an Peter Harry Carstensen.
Bevor ich zu meinem eigenen Vortrag komme,
öchte ich im Zusammenhang mit der Kapitalismuskri-
ik auf zwei Vorredner eingehen, zunächst auf Herrn
auder, von dem ich nicht weiß, ob er noch anwesend
st. Ich glaube, Sie sollten wirklich nicht unterschätzen,
ie weit das Gefühl in den Mittelstand hineinreicht, dass
m Grunde genommen die soziale Verantwortung und
ie Verantwortung für die Unternehmen sehr stark ver-
achlässigt wird.
An Ihre eigene Adresse möchte ich sagen: Das Kon-
ept der sozialen Marktwirtschaft von Eucken, Röpke
nd Müller-Armack, den Vätern dieser Idee, auf der spä-
er Ludwig Erhard sein Konzept der sozialen Marktwirt-
chaft aufgebaut hat, war doch auch einmal Ihr Konzept.
enn Sie heute von „neuer sozialer Marktwirtschaft“ re-
en, dann hat man immer das Gefühl, Sie wollten einen
achtwächterstaat ohne jede Einflussmöglichkeit schaf-
en. Damit ist nicht die ursprüngliche soziale Marktwirt-
chaft gemeint. Daran sollte man Sie einmal erinnern.
Man sollte Sie vielleicht auch daran erinnern, dass es
inmal Zeiten gab, in denen beispielsweise Klaus
öpfer, Herr Schäuble, der leider nicht mehr anwesend
st, oder auch der Kollege Repnik über die sozial-
kologische Marktwirtschaft geredet haben. Diese
16060 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Reinhard Loske
konstitutionellen Ansätze sind bei Ihnen völlig unterge-
gangen. Sie propagieren den schwachen Staat, der sich
aus der Verantwortung zurückziehen soll. Aber das geht
nicht und das wollen wir auch nicht. Das ist der große
Unterschied zwischen uns. Das wird auch im Wahl-
kampf klar werden.
Zum Kollegen Pinkwart möchte ich Folgendes sagen:
Ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie ein Papier
aus dem letzten Jahrhundert zur Abstimmung stellen.
Besser wäre es, Sie machten sich ein paar eigene Gedan-
ken, zu denen wir uns dann äußern könnten. Ich muss sa-
gen: Hier sehe ich bei Ihnen gewisse konzeptionelle De-
fizite.
Jetzt zum Thema. Wir debattieren heute über das
Thema öffentliche und private Investitionen. In unseren
Infrastrukturen besteht in der Tat ein enormer Investi-
tionsbedarf:
im Bereich der Energie, vor allem bei der Elektrizitäts-
wirtschaft; im Bereich der Wasserwirtschaft, wo vor al-
len Dingen die Renovierung der Netze und die Siche-
rung der Qualität im Vordergrund stehen; im Bereich der
Verkehrsinfrastrukturen, wo es vor allem um die Be-
standserhaltung und die Qualitätssicherung und nicht so
sehr um Neubau geht; im Bereich der Abfallwirtschaft,
wo wir vor großen Umbrüchen stehen, weil sich dieser
Bereich weg von der reinen Entsorgungswirtschaft hin
zu einer Kreislaufwirtschaft entwickeln muss.
Wir stehen bei diesen großen öffentlichen Aufgaben
der Daseinsvorsorge vor Umbrüchen. Das Fenster der
Möglichkeiten ist in den nächsten zehn bis 15 Jahren
sehr weit geöffnet, weil die alten Infrastrukturen in den
Bereichen Energie, Wasser und Abfall an ihr Nutzungs-
ende kommen. Im Verkehr sieht es etwas anders aus.
Hier geht es vor allem um Qualitätssicherung des vor-
handenen Netzes. Aber auch hier bieten sich unheimlich
große Potenziale für Systeminnovationen. Wir sollten
uns bei den Infrastrukturinnovationen, vor denen wir ste-
hen, vom Gedanken der Nachhaltigkeit leiten lassen.
Wir müssen wissen, dass die Kapitalbindungszeiten in
diesem Bereich enorm lang sind. Sie betragen 30 Jahre,
50 Jahre und teilweise noch mehr. Das heißt also, wir
schreiben Strukturen für eine sehr lange Zeit fest. Wir
müssen dieses Fenster der Möglichkeiten nutzen und uns
an bestimmten Prinzipien orientieren, ob das nun Dezen-
tralität ist, intelligente Vernetzung, Ressourcenschonung
oder auch Kosteneffektivität.
Es sollte auch der Hinweis erlaubt sein, dass viele
Entwicklungsländer gerade erst am Anfang der Ent-
wicklung ihrer Infrastrukturen stehen. Wenn wir in unse-
rem Land und in Europa Konzepte entwickeln, die ver-
allgemeinerungsfähig sind, dann erwachsen uns daraus
riesige Exportmöglichkeiten. Auf den Weltmärkten der
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Wir haben im Energiebereich durch das Erneuer-
are-Energien-Gesetz, durch den Emissionshandel und
urch das Energiewirtschaftsgesetz, das demnächst in
raft treten wird, die Rahmenbedingungen gesetzt. Da-
it werden riesige Investitionen ausgelöst, vor allem
eil wir sicherstellen, dass Wettbewerbsfairness gilt.
Im Verkehrsbereich haben wir in den letzten Jahren
ehr wichtige Akzente gesetzt. Wir haben die Gleichbe-
andlung von Straße und Schiene erreicht, wir haben die
onzentration auf das Bestandsnetz hinbekommen und
ir haben vor allen Dingen für mehr Kostenwahrheit im
erkehr gesorgt – Stichwort: Maut. Wir wollen jetzt
uch prüfen, welche Möglichkeiten der Public Private
artnership es gibt. Da gibt es Möglichkeiten, die wir ge-
issenhaft prüfen sollten. Wir sind aber gegen einen
instieg in die generelle Privatisierung der öffentlichen
nfrastruktur. Auch das muss vollkommen klar sein.
Abschließend zum Thema Bürgerbeteiligung: Es
lingt immer wieder durch, als ob die Verfahren in
eutschland viel zu lange dauern würden
nd als ob der Bürger mit seinen Anliegen und Bedürf-
issen nur ein Hemmnis wäre. Wir sind ganz klar der
einung: Bürgerbeteiligung und die Wahrung hoher
mweltstandards vertragen sich sehr gut mit zügigen
lanungsverfahren.
as können wir sehr gut belegen. Das Gegenteil von
ürgerbeteiligung ist nämlich falsch. Wer glaubt, man
üsste Bürgerrechte ausschalten, wie das bei Ihnen of-
enkundig anklingt, irrt; denn das wird im Ergebnis zu
ichts anderem führen als zu verlängerten Planungsver-
ahren, zu geringerer Akzeptanz und zu geringerer In-
estitionssicherheit. Das sollten wir gemeinsam nicht
ollen.
Mein letzter Punkt betrifft die Altbausanierung. Das
t ein riesiges Feld. Wir können beim Gebäudebestand
norme Mengen an Energie einsparen und den Ausstoß
n Kohlendioxid verringern. Das Altbausanierungspro-
ramm gibt es jetzt seit einigen Jahren. Jedes Jahr wer-
en 360 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, wovon
ngefähr die Hälfte aus der Ökosteuer stammt. Das
eld, das dort hineinfließt, ist gut angelegtes Geld. Denn
der Euro, den der Staat ausgibt, löst Investitionen der
ürger in Höhe von fünf bis sechs Euro aus. Dieses
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16061
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)
Dr. Reinhard Loske
Programm wollen wir fortführen und ausbauen, weil
man daran sehr gut zeigen kann, dass sich Klimaschutz,
Energieeinsparung und die Schaffung von Arbeitsplät-
zen sehr gut vereinbaren lassen. Das ist ein zukunftswei-
sendes Konzept.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Eduard Oswald, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Loske, Sie haben hier versucht, ein eigenes grünes
Profil, eine eigene Position darzulegen. Ich sage Ihnen:
Das wird wie bei allen Punkten sein. Sie machen überall
mit. Früher haben Sie die Kröten gesammelt und heute
schlucken Sie alle, Hauptsache, Sie sind immer mit an
der Regierung.
Haben Sie von der Koalition denn geglaubt, dass wir
in Jubelschreie ausbrechen, wenn Sie endlich bei den
Verkehrsinvestitionen nachbessern? Das, was Sie hier
machen, ist doch alles nur geschehen, weil wir perma-
nent Druck auf Sie ausgeübt haben,
weil Ihre Wahlkämpfer draußen unentwegt gesagt haben,
es müsse etwas passieren, und weil die Wirtschaft gesagt
hat: Ihr seid völlig rückschrittlich. – Wenn wir nicht kurz
vor den Wahlen wären, würden Sie immer noch nicht
handeln.
Ihre Sonntagsreden sind bekannt. „Alles klar,
Deutschland braucht Mobilität“, das sagen Sie bei jeder
Gelegenheit.
Sie sagen: „Die Infrastruktur ist das Rückgrat der Mobi-
lität.“ Alles richtig. Aber Sie haben doch bisher mit Ih-
ren Parolen wie „Bildung statt Beton“ Stimmung gegen
die Bau- und die Investitionspolitik gemacht!
So geht es doch nicht. Sie mussten sich sagen lassen,
dass Deutschland inzwischen die zweitniedrigste Inves-
titionsquote der OECD-Länder hat. Das ist doch die
Realität. Der Herr Bundesminister Stolpe kann sich in
diesem Kabinett nicht durchsetzen. Er sagt vieles Not-
wendige, aber entscheidend ist, was hinten rauskommt.
Was jetzt auf den ersten Blick als gewaltige Finanz-
spritze erscheint, entlarvt sich bei genauerem Hinsehen
als eine Mogelpackung.
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ir brauchen eine Infrastruktur, die auch der zu erwar-
enden Verkehrsentwicklung gerecht wird. Wir haben in
eutschland gegenwärtig für rund 4 Milliarden Euro
aureife Projekte bei Autobahnen und Bundes-
traßen, ohne dass die notwendigen Finanzmittel
orhanden wären. Jederzeit könnte nach einer Aus-
chreibung der Bagger, der Schieber anfahren und ent-
prechend arbeiten. Da würden Arbeitsplätze geschaf-
en, nicht durch Ihre Ankündigungen auf dem Papier!
Deutschlands größter Automobilverband hat errech-
et, dass jährlich rund 7 Milliarden Euro benötigt wer-
en, um einen bedarfsgerechten Ausbau und Erhalt der
undesfernstraßen zu gewährleisten. Die Realität kann
er Autofahrer täglich beobachten. – Wenn Sie auf der
egierungsbank bei diesem Thema lachen, dann wissen
ir Bescheid.
Wenn Ihnen das Lachen vergangen ist, ist es auch
echt.
Staus sind auf der Tagesordnung. Auf über
100 Kilometern des Bundesfernstraßennetzes gibt es
nzwischen täglich Engpässe. Die Staus kosten Zeit und
raft, vergeuden Ressourcen und treiben den Kraftstoff-
erbrauch in die Höhe. Was im Stau auf Deutschlands
traßen heute ungenutzt in die Luft geblasen wird, ent-
pricht rund 18 Prozent des Gesamtverbrauchs an Kraft-
toff. Warum regt sich hier eigentlich niemand mehr auf?
Außer meiner Fraktion und der FDP natürlich. – Den
urch Stau entstehenden volkswirtschaftlichen Schaden
ann man mit rund 100 Milliarden Euro beziffern. Auch
ie Sicherheit leidet unter dem Mangel an Instand-
altungsmaßnahmen. 23 Prozent der Autobahnen und
0 Prozent der Bundesstraßen sind nicht mehr voll ge-
rauchsfähig. Bei Brücken und Tunneln steigt die Sanie-
ungsbedürftigkeit. Es gibt Arbeit über Arbeit in
eutschland für die ganze Baubranche.
Züge fahren unpünktlich, denn Langsamfahrstellen
ehindern den Verkehrsfluss und mindern die Leistungs-
ähigkeit der Bahn im Bereich des Personen- und
16062 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
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Eduard Oswald
Güterverkehrs. Große Teile des Schienennetzes sind sa-
nierungsbedürftig.
Das, was Sie heute mit Ihrem Antrag hier vorlegen,
ist viel zu wenig. Das ist eine Beruhigungspille, von der
Sie glauben, sie wirkt. Aber sie wirkt nicht. Der Bürger
durchschaut dieses Spiel. Sie müssen Ihre Politik wieder
von Ihren Fachabteilungen machen lassen und nicht von
Ihren Pressestellen und von den für Öffentlichkeitsarbeit
zuständigen Mitarbeitern.
Drei Punkte:
Erstens. Der Staat muss seiner Verantwortung für die
Infrastruktur durch eine auf hohem Niveau bestätigte
Finanzierung nachkommen.
Zweitens. Wenn die Haushaltsmittel nicht ausreichen,
müssen verstärkt private Partner eingebunden werden.
Hier haben Sie den Weg richtig begonnen, sind aber bis-
her viel zu kurz gesprungen und alles geht viel zu lang-
sam.
Drittens. Wir müssen die innerdeutsche Entwicklung
mit der europäischen so verzahnen, dass die Verkehre in
Deutschland als Transitland Nummer eins in Europa
besser bewältigt werden können. Nach 100 Tagen Maut
haben Sie Erfolgslieder gesungen. Die Medien haben es
Ihnen abgenommen. Sie haben aber vergessen, auf
welch dramatische Weise sich die Verkehre in vielen Re-
gionen von der Autobahn auf die nachgelagerten Straßen
verlagert haben.
Dieses Problem gilt es zu lösen. Wir können nicht zulas-
sen, dass die Mautpreller in Deutschland nicht erwischt
werden. Der Ehrliche darf in Deutschland nicht der
Dumme sein.
Unser politisches Ziel muss es sein, die LKW-Verkehre
auf der Autobahn zu halten, denn dieses sind die sichers-
ten Verkehrswege.
Es ist gut, dass wir heute über Mobilität reden. Fast je-
der sechste Arbeitsplatz in Deutschland hängt von der
Verkehrswirtschaft und der Fahrzeugindustrie ab. Bürger
wie Wirtschaft, die für die Nutzung des Verkehrssystems
viel Geld zahlen, wollen eine leistungsfähige Infrastruk-
tur. Nehmen Sie von der Regierungskoalition sich doch
selbst ernst! Schauen Sie sich an, was Sie im Bundesver-
kehrswegeplan 2003 selbst festgeschrieben haben! Dort
haben Sie nämlich ein jährliches Investitionsvolumen
von 10 Milliarden Euro für erforderlich gehalten. Bei Ih-
rer jährlichen Finanzplanung kommen Sie jedoch nur zu
einem durchschnittlichen Mittelansatz von 7,7 Milliar-
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Verstärken Sie die Investitionen in die Verkehrsinfra-
truktur! Ihr heutiger Plan – verteilt auf vier Jahre, nur
bsichtserklärungen, nichts machen zu müssen, nur den
ahltermin im Auge – reicht nicht, um in Deutschland
olide Investitionspolitik und Politik insgesamt zu ma-
hen.
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Spanier,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
isherigen Reden der Opposition zeichnen sich erstens
urch eine beträchtliche, durch eine anerkennenswerte
autstärke
nd zweitens dadurch aus, dass – mit der Ausnahme von
errn Oswald – zu dem Thema, um das es heute geht,
ast nichts gesagt wurde.
Es geht um einen wichtigen Teil des 20-Punkte-Pro-
ramms, das der Bundeskanzler vor knapp fünf Wochen
n diesem Hause vorgestellt hat.
s geht um eine Verstärkung von Investitionen, um kurz-
ristig zusätzliche Wachstumsimpulse zu geben und um
rbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Es geht
m 2 Milliarden Euro zusätzlich für die Verkehrsinfra-
truktur. Es geht um 27 Millionen Euro zur Fortsetzung
es Gebäudesanierungsprogramms. Es geht um die Mo-
ilisierung von privatem Kapital; Stichwort ÖPP. Und es
eht um die Beschleunigung von Planungsverfahren.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16063
)
)
Wolfgang Spanier
Das ist, Herr Kauder, ein ganz konkretes Maßnahmenpa-
ket, das jetzt und sofort umgesetzt wird.
Es sind die richtigen Instrumente. Sie müssten nur le-
sen, was die Industriegewerkschaft BAU, was die Bau-
wirtschaft, was die Wohnungswirtschaft zu diesem Maß-
nahmenpaket veröffentlicht haben: volle Zustimmung.
Dass mehr Geld gefordert wird, ist, denke ich, üblich.
Herr Oswald, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, Sie müssen sich eines einmal überlegen: Heute
werden zusätzliche Milliarden gefordert, und morgen
werden, was den Maastricht-Pakt und die 3-Prozent-
Grenze betrifft, die Brandreden gehalten. Sie müssen
sich langsam einmal überlegen, was Sie wollen. Immer
wenn es Ihnen passt, fordern Sie hier im Hause und in
den Fachbereichen mehr Milliarden ein, werfen uns am
nächsten Tag aber vor, dass wir die Maastricht-Kriterien
nicht einhalten.
Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Weil Sie aus Nordrhein-Westfalen sind, besonders
gern.
Herr Kollege Spanier, dass wir dringend weitere um-
fangreiche Investitionsmittel für unsere Infrastruktur
brauchen, steht ja völlig außer Frage. Meine Frage ist:
Wie, glauben Sie, ist es um Ihre Glaubwürdigkeit be-
stellt, wenn wir feststellen müssen, dass der Investitions-
haushalt im Bund – prozentual gesehen – so niedrig wie
noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist,
wenn wir feststellen müssen, dass überall dort, wo die
SPD und die Grünen regieren, die Investitionsquoten in
den Ländern am schlechtesten sind, und wenn wir fest-
stellen müssen, dass in den Ländern, in denen Public Pri-
vate Partnership schon geübt wird, die Quote dort, wo
Ihre Freunde die Verantwortung tragen, deutlich
schlechter ist als dort, wo CDU und FDP regieren?
Lieber Herr Schauerte, ich möchte Ihnen Folgendes
antworten:
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Zweitens. Ich bin Ihnen als Nordrhein-Westfale sehr
ankbar, dass Sie auf die öffentlich-private Partner-
chaft eingehen. Die Bauwirtschaft bestätigt uns, dass
er Durchbruch im Bereich des öffentlichen Hochbaus
elungen ist. Ich kann Ihnen sagen: Gerade unser Land
ordrhein-Westfalen hat hier eine Vorbildfunktion.
ies ist ebenfalls in allen Verlautbarungen der Bauwirt-
chaft zu lesen.
Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die in die-
em Zusammenhang von der deutschen Bauindustrie
eröffentlicht worden sind: Im Jahre 2003 betrug das
esamtvolumen immerhin 1,3 Milliarden Euro.
a geht es um den Bau von Turnhallen und Schulen. Das
ind wichtige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen
nfrastruktur.
s befinden sich zudem Maßnahmen in Vorbereitung,
ie ein Volumen von 1,5 und 2 Milliarden Euro haben.
ch kann an Sie nur appellieren, dass Sie mithelfen, dafür
u sorgen, dass auch in den unionsgeführten Ländern
ieser Weg endlich verstärkt beschritten und beschleu-
igt wird.
as wäre wichtig. Es reicht nicht aus, die Maßnahmen
ur zu begrüßen.
Die Rede von Frau Merkel am 17. März hier im Deut-
chen Bundestag hat Ihre Haltung zu dieser Frage deut-
ich gemacht. Was hat sie denn zu Wachstumsimpulsen
nd zur Infrastruktur gesagt? Man konnte nur ein paar
agere Sätze von ihr dazu hören. Sie hat das Gebäude-
anierungsprogramm, die Verbesserung der Verkehrs-
nfrastruktur und auch die Beschleunigung von Pla-
ungsverfahren nur nebenbei erwähnt. Sinngemäß hat
ie gesagt, sie habe irgendwo gehört, dass wir jetzt Büro-
ratie abbauen und die Planungsverfahren beschleunigen
ollen. Das ist ja interessant, dass sie das irgendwo ge-
ört hat. Dann hat sie uns aufgefordert: Machen Sie sich
n die Arbeit!
16064 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Wolfgang Spanier
Ich gebe diese Aufforderung gerne an Sie zurück: Ma-
chen Sie sich an die Arbeit!
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die beiden Be-
standteile unseres Pakets eingehen, die für mich als Bau-
und Wohnungspolitiker natürlich besonders interessant
sind.
Zum Gebäudesanierungsprogramm. Von 2001 bis
2004 sind 167 000 Wohnungen energetisch saniert wor-
den. Dazu kamen 2 727 Energiesparhäuser. Das Pro-
gramm läuft Ende 2005 aus. Der Erfolg für den Klima-
schutz ist, dass 1,3 Millionen Tonnen CO2 vermiedenwurden. Ich denke, das ist ein ganz entscheidender
Schritt. Das ist eine Erfolgsgeschichte.
Deswegen ist die Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte
so wichtig. Sie sagen zwar ebenfalls Ja. Aber mehr als
dieses dürftige Ja war von Frau Merkel nicht zu hören.
Dass diese 27 Millionen Euro Investitionen in Höhe von
5 Milliarden Euro auslösen und dass die Arbeitsplätze in
kleinen und mittleren Betrieben des Bauhandwerks, um
die es auch Ihnen geht, gesichert werden, ist sehr wich-
tig.
Ich möchte noch auf die drei neuen Förderpro-
gramme der KfW ab 1. Januar 2005 hinweisen: „Woh-
nungen Modernisieren“, „Solarstrom Erzeugen“ und
„Ökologisch Bauen“. Diese Programme laufen ebenfalls
erfolgreich.
Das Gebäudesanierungsprogramm ist Teil einer Ge-
samtstrategie, die für uns Sozialdemokraten wichtig ist.
Dazu gehören die Förderung der energetischen Moderni-
sierung insgesamt, der Einsatz erneuerbarer Energien
und die Energieeinsparverordnung; denn auf die Wärme-
dämmung im Gebäudebereich müssen wir sicherlich ein
besonderes Augenmerk richten. Wir sind also mit die-
sem Bündel von Maßnahmen auf dem richtigen Weg.
Dazu gehört auch unsere Initiative: kostengünstig,
qualitätsbewusst bauen. Dies ist ebenfalls ein wichtiger
Baustein in der Gesamtstrategie.
In der Beratung befinden sich das Energieeinsparungs-
gesetz und die Verordnung zum Energieausweis.
Ich habe die Reden von Ihrer Seite hier im Bundestag
verfolgt. Ich sehe, dass wir in der Zielsetzung überein-
stimmen. Ich hoffe, dass Sie wirklich mit uns zusammen
diese Gesetze entwickeln und es nicht wie bei Frau
Merkel bei einem schlichten, einfachen Ja bleibt. Es ist
ja nett, dass sie die Vorschläge des Bundeskanzlers ak-
zeptiert. Aber da muss in den kommenden Wochen von
Ihnen schon ein bisschen mehr aktive Mitarbeit und Mit-
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Herr Pinkwart, auch Sie wissen, dass das von ande-
en Faktoren abhängt. Bleiben Sie vorsichtig mit dem
orwurf „Witz“! Wir sollten alles tun, um mit Energie-
parmaßnahmen und Energieeffizienzmaßnahmen die
nergiekosten im Rahmen zu halten. Das ist im Gebäu-
ebereich von entscheidender Bedeutung. Wie sehr Ih-
en die Mieterinnen und Mieter am Herzen liegen, wis-
en wir von den Diskussionen über das Mietrecht.
Das Gebäudesanierungsprogramm ist für Wohnungs-
igentümer bzw. für die Wohnungswirtschaft wichtig,
eil es um die Substanzerhaltung bestehender Ge-
äude geht. Nicht zuletzt nehmen wir hier besonders
rbeitsplatzintensive Investitionen vor. Das, denke
ch, ist von ganz entscheidender Bedeutung.
Wir wissen, dass sich die Bauwirtschaft seit 1995 in
iner Talfahrt befindet.
ie war einmal die Konjunkturlokomotive. Heute geht es
eilweise in die entgegengesetzte Richtung. Wir haben
ier wichtige Aufgaben und wir tun mit unserem Maß-
ahmenpaket, über das wir heute diskutieren, eine ganze
enge, um voranzukommen. Diesen Weg werden wir
ozialdemokraten konsequent weitergehen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Ich bin Abgeordnete der PDS. Dass die SPD und die
rünen heute über Investitionen reden wollen, finde ich
ut. Allerdings möchte ich nicht mit Ihnen gemeinsam
ber die fehlende Investitionsbereitschaft deutscher
nternehmen jammern; denn diese Suppe haben Sie
ich von Rot-Grün selbst eingebrockt. Die Bundesregie-
ung ist mit Steuersenkungen für die Unternehmen in
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16065
)
)
Dr. Gesine Lötzsch
Vorleistung gegangen und hofft nun auf eine Gegenleis-
tung durch die Unternehmen. Doch da haben Sie die
Rechnung ohne den Wirt gemacht. Viele Manager haben
die Steuersenkungen als Geschenk und nicht als Ver-
pflichtung zur Schaffung von Arbeitsplätzen betrachtet.
Lassen Sie uns über öffentliche Investitionen reden.
Die öffentliche Hand ist immer noch der größte Investor
in unserem Land, auch wenn die öffentlichen Investitio-
nen von Jahr zu Jahr sinken. In der Europäischen Union
ist die Bundesrepublik Deutschland das Schlusslicht,
wenn es um öffentliche Investitionen geht. Die öffent-
liche Investitionsquote beträgt im Durchschnitt der Eu-
ropäischen Union 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduk-
tes. In Deutschland liegt sie nur bei 1,4 Prozent. Das ist
deutlich zu niedrig.
Wer sich in der Politik, insbesondere in Krisenzeiten,
nur auf private Investitionen verlässt, ist verlassen. Die
geringen öffentlichen Investitionen sind ein Grund für
die hohe Arbeitslosigkeit in unserem Land. Bundes-
minister Stolpe hat gestern erklärt und heute wiederholt,
dass er bis zum Jahre 2008 2 Milliarden Euro in den
Ausbau der Schienenwege, Fernstraßen und Wasserwege
investieren und damit 60 000 Arbeitsplätze sichern will.
– Ja, zusätzlich. Wunderbar, ich lobe ihn doch gerade.
Das haben Sie noch gar nicht bemerkt. Das kann ich
gerne noch einmal unterstreichen. – Mit Investitionen
von rund 33 000 Euro sichern Sie einen Arbeitsplatz.
Das ist ein sehr gutes Verhältnis, Herr Stolpe, auf das ich
gleich zurückkommen werde.
Der Genosse Müntefering schimpfte in den letzten
Tagen viel über skrupellose Manager, die den Staat und
die Demokratie gefährden. Den Worten könnte man
zwar zustimmen; doch wenn ich mir die konkrete Politik
nur in dieser Woche anschaue, kommen Zweifel an der
Redlichkeit dieser Worte auf. Gestern hat zum Beispiel
der Haushaltsausschuss mit der Mehrheit von SPD und
Grünen sowie mit tätiger Unterstützung der CDU/CSU
ein neues Luftabwehrsystem für die Bundeswehr be-
schlossen, Kostenpunkt circa 2,85 Milliarden Euro. Der
Rechnungshof geht davon aus, dass die Kosten auf mehr
als 6 Milliarden Euro steigen werden. Noch schlimmer
ist, dass dieses Luftabwehrsystem völlig überflüssig ist.
Die Bundeswehr hat den Fall der Mauer offenbar noch
nicht verinnerlicht. Die Generäle wollen in ein System
investieren, das nach dem Zusammenbruch des War-
schauer Paktes nicht mehr gebraucht wird.
Es ist auch klar, dass diese beachtlichen öffentlichen
Investitionen kaum Arbeitsplätze schaffen werden. Mit
diesem Luftabwehrsystem sollen 450 Arbeitsplätze gesi-
chert werden. Die Bundesregierung ist also bereit, knapp
3 Milliarden Euro in ein zweifelhaftes militärisches Pro-
jekt zu stecken, um 450 Arbeitsplätze zu sichern. Das
heißt, Sie geben pro gesicherten Arbeitsplatz rund
7 Millionen Euro aus. Das ist absurd, wenn man die nur
33 000 Euro sieht, die benötigt werden, um einen Ar-
beitsplatz in der Verkehrsinfrastruktur zu sichern. An der
Stelle kann ich nur sagen: mehr Stolpe, weniger Struck!
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Es ist auch belegt, dass diese öffentlichen Investitio-
en in die Rüstung keinen Beitrag zur Entwicklung von
pitzentechnologien leisten werden. Bekanntlich wollen
ich die amerikanischen Partner nicht in die technologi-
chen Karten schauen lassen; der Vertrag wird nach ame-
ikanischem Recht abgeschlossen. Trotzdem wird die
undesregierung viel Geld in ein unsinniges Rüstungs-
rojekt stecken, weil sie sich vom EADS-Konzern hat
nter Druck setzen lassen.
Wir als PDS sind dafür, dass der Anteil der öffent-
chen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt steigt, und
war erstens zur Schaffung von Arbeitsplätzen, insbe-
ondere in strukturschwachen Regionen, und zweitens
ur Entwicklung moderner ziviler Technologien.
Das Beispiel des Luftabwehrsystems MEADS macht
eutlich, dass SPD und Grüne nicht die Kraft aufbrin-
en, sich unsinnigen Projekten zu widersetzen. Sie be-
lagen lieber mit lauten Worten die Macht des Kapitals.
as ist aber zu wenig. Sie können etwas dagegen tun –
ie sollten es auch!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Bürsch,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
nser Thema heute ist, neue Impulse für Wachstum und
eschäftigung zu finden. Offenkundig kann man die De-
atte auf zweierlei Weise führen, entweder mit Schlag-
orten oder mit sachlicher Information. Als Norddeut-
cher neige ich zu der zweiten Methode. Ich möchte die
elegenheit nutzen, über einen Baustein aus dem Ge-
amtpaket, der heute schon mehrfach angesprochen wor-
en ist, etwas genauer zu informieren, nämlich über die
ffentlich-privaten Partnerschaften.
Ich sage an dieser Stelle schon einmal ganz deutlich:
ch werbe sehr für den deutschen Begriff und nicht für
en englischen/amerikanischen Begriff PPP;
enn dieser ist für viele Bürgermeister, Mandatsträger
nd andere, die mit diesem Verfahren adressiert werden,
her abschreckend; manche halten das für Beraterge-
lüngel. Es ist aber ein sehr konkretes und Erfolg ver-
prechendes Verfahren. Deshalb können Sie vielleicht
azu beitragen, dass wir das „öffentlich-private Partner-
chaften“ nennen.
Ich möchte dreierlei vermitteln: erstens die Ausgangs-
age insbesondere bei den kommunalen Investitionen,
weitens, welche Potenziale in diesen öffentlich-privaten
artnerschaften stecken, und drittens – vor allem dies
uss einmal deutlich gemacht werden –, was zu diesem
hema bereits im letzten halben Jahr geschehen ist. Das
16066 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Michael Bürsch
ist auch die Antwort an Herrn Kauder. Die Wahrheit ist
konkret, Herr Kauder: Wir haben ein halbes Jahr lang
verdammt hart gearbeitet, und zwar nach dem Grundsatz
„Gründlichkeit plus Schnelligkeit“. Das ist durchaus vor-
zeigenswert.
Die Ausgangslage bei den kommunalen Investitionen
sieht folgendermaßen aus: Allein der kommunale In-
vestitionsbedarf – wohlgemerkt, das betrifft nicht den
Bundeshaushalt – wird für dieses Jahrzehnt von Exper-
ten wie dem deutschen Institut für Urbanistik auf rund
700 Milliarden Euro geschätzt. Allein im Schulbaube-
reich sprechen wir von rund 70 Milliarden Euro. Trotz
dieses Befundes sind die kommunalen Investitionen im
letzten Jahrzehnt von Jahr zu Jahr zurückgegangen. Die
so genannte Sachinvestitionsquote sank von rund
18 Prozent bzw. 29 Milliarden Euro im Jahr 1995 auf
rund 14 Prozent bzw. 21 Milliarden Euro im Jahr 2004.
Die Folge dieser Entwicklung: Sanierungsbedarf und In-
frastrukturlücke sind in dieser Zeit immer größer gewor-
den, und zwar zum Nachteil von Wirtschaft und Gesell-
schaft.
Andere Länder haben daraus schon Konsequenzen
gezogen, unter anderem England: Als Folge der falschen
Thatcher-Politik, alles zu privatisieren, haben Wirtschaft
und Politik dort gemeinsam einen Weg gefunden, indem
sie die Bedeutung von öffentlich-privaten Partnerschaf-
ten für die öffentliche Investitionstätigkeit und Konjunk-
turpolitik entdeckt haben.
Während in Deutschland, wie bereits dargestellt, die
Sachinvestitionen enorm zurückgingen, nahmen sie in
Großbritannien im selben Zeitraum um 36 Prozent zu.
Erfahrungen aus anderen EU-Ländern, die auch den Weg
öffentlich-privater Partnerschaften eingeschlagen ha-
ben, sind ähnlich eindrucksvoll. In Spanien war ein An-
stieg der Sachinvestitionen um 35 Prozent zu verzeich-
nen, in den Niederlanden um 30 Prozent, in Irland um
41 Prozent, in Italien um 24 Prozent und in Griechen-
land um 19 Prozent.
Auch in Deutschland wurde in Bezug auf öffentlich-
private Partnerschaften im vergangenen Jahr ein erster
Durchbruch erzielt. Projekte mit einem Bauvolumen in
einer Größenordnung von 0,5 Milliarden Euro und ei-
nem Projektvolumen von insgesamt 1,5 Milliarden Euro
wurden schon vertraglich vereinbart.
Worin liegen die Chancen für öffentlich-private Part-
nerschaften? Ich appelliere dringend an Sie, nicht nur an
den Hoch- und Tiefbau, nicht nur an Beton zu denken.
Es ist ein weites Feld: Sanierung von Schulen und Uni-
versitäten, Justizvollzugsanstalten, Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen, Ausbau von Telekommunikation,
Energie- und Wasserversorgung, Abwasseraufberei-
tung – es gibt viele Möglichkeiten!
Insbesondere in Deutschland ist es notwendig, den
Lebenszyklus-Gedanken zu entdecken: Zurzeit denken
wir in diesem Zusammenhang fast ausschließlich daran,
eine Investition mit privatem Kapital zu ermöglichen.
Wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, geht
es aber um viel mehr, nämlich darum, zum Beispiel ein
Gefängnis nicht nur mit privatem Kapital bauen zu las-
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it der damit einhergehenden Flexibilität. Diese Öff-
ung wird von der FDP und der CDU/CSU begrüßt. Ich
chließe mich dem an, was Herr Brandner bereits getan
at: Ich lade Sie herzlich ein, in unser Boot zu kommen.
uch für Sie ist da noch Platz. Wir können das gerne zu-
ammen machen.
Sie können die Ergebnisse bei uns abrufen. Ich nenne
hnen nur wenige Beispiele, um die Richtung zu zeigen.
Zum Vergaberecht: Wir werden das Verhandlungs-
erfahren ausgestalten und den so genannten wettbe-
erblichen Dialog, den uns die EU angedient hat, in
eutscher Weise umsetzen.
Wir werden im Haushaltsrecht dafür werben, dass es
der Bundeshaushaltsordnung zu einer Änderung des
eräußerungsverbots kommt. In der Bundeshaushalts-
rdnung herrscht immer noch der Gedanke vor, dass der
taat Infrastruktureinrichtungen dann am wirtschaft-
chsten nutzt, wenn er selbst Eigentümer ist. Wir halten
as aber nicht mehr für zeitgemäß und wollen es ändern.
ffentlich-private Partnerschaften stellen nämlich einen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16067
)
)
Dr. Michael Bürsch
Weg dar, um zum Beispiel eine Liegenschaft oder Infra-
strukturmaßnahme für den gesamten Lebenszyklus in
private Hand zu geben.
Ich könnte noch viele weitere Beispiele anführen. Ich
lade Sie ein, diese bei mir abzurufen.
Abschließend stelle ich mit Konfuzius fest: Es ist bes-
ser, hier und da ein Licht anzuzünden, als auf die Dun-
kelheit zu schimpfen.
Ich lade Sie ein: Zünden Sie die Lichter mit an!
Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Klaus Lippold,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welches ist der
Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte? Was muss
man berücksichtigen? Kernpunkt ist, dass wir eine ekla-
tant schlechte wirtschaftliche Situation haben. Aus-
gangspunkt ist, dass wir selten eine so schlechte Arbeits-
marktsituation hatten, um nicht zu sagen: So miserabel
war es noch nie. Wir werden an diesen Punkten prüfen,
ob das vorgelegte Progrämmchen den Ansprüchen, die
wir an einen wirklichen Impuls für mehr Wachstum und
Beschäftigung stellen müssen, auch nur annähernd ge-
recht wird.
Der Sachverhalt ist – das gehört zur Analyse –: Wir
haben im Moment ein ausgesprochen negatives Investi-
tionsklima. Auch das Ausland investiert bei uns deut-
lich weniger, als das noch im vergangenen Jahr der Fall
war. Alleine die Investitionen aus den USA sind in ei-
nem Jahr um 4 Milliarden Euro gesunken. Die Konsum-
bereitschaft ist völlig am Boden. Was das Schlimmste
ist: Sie tun eigentlich alles, um die Position, die erforder-
lich wäre, noch zu verschlechtern. Die ausländische
Wirtschaft achtet auf Flexibilität. Aber Sie antworten mit
einem Antidiskriminierungsgesetz. Was das für die Un-
ternehmen bedeutet, überschaut heute noch niemand. Es
trägt auf jeden Fall nicht dazu bei, die Investitionsbereit-
schaft zu heben. Nehmen Sie Abstand von solchen un-
möglichen Positionen!
Nachdem Sie noch kürzlich, am 14. April dieses Jah-
res, im Ausschuss unsere Vorschläge zur Beschleuni-
gung des Planungsrechts abgelehnt haben, habe ich nun
mit großer Freude vernommen, dass Sie sich nun doch
auf den Weg begeben wollen. Aber ich muss angesichts
der heutigen Diskussion feststellen: Der Wein, den Herr
Stolpe hinhält, wird von Herrn Loske gleich kräftig mit
Wasser verdünnt. Denn Herr Loske sagt: So wie Herr
Stolpe das will, geht es nicht. Das heißt, hier wird wie
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err Minister, ich will das mit den Worten Ihres ehema-
Der Vorteil aus dem ostdeutschen Recht für die Re-
alisierung von Straßenbauvorhaben geht zu großen
Teilen verloren.
as heißt also, schon Ihre Umsetzung ist nicht optimal.
as, was ich gerade gesagt habe, setzt noch einen drauf.
ie Situation ist also miserabel.
Vor diesem Hintergrund ist der Antrag von SPD und
ündnis 90/Die Grünen „Investitionskräfte stärken –
eue Impulse für Wachstum und Beschäftigung“ zu be-
erten. Wie sehen die Impulse für Wachstum und Be-
chäftigung aus? Man muss es noch einmal sehr deutlich
agen: Sie haben das Investitionsniveau drastisch ge-
enkt. Wenn Sie hinterher wieder etwas draufsatteln, er-
eichen Sie noch nicht einmal das vorherige Investitions-
iveau. Welche Impulse sollen davon ausgehen, Herr
inister Stolpe?
ie haben sich von Herrn Eichel ohne erkennbaren Wi-
erstand rasieren lassen. Die deutsche Infrastruktur muss
afür büßen; denn zurzeit haben wir noch nicht einmal
estandserhaltung. Von Aus- und Neubau wollen wir
ar nicht reden. Vor dem Hintergrund der EU-Osterwei-
erung kann man nur sagen: Das ist ein glattes Versagen
er Bundesregierung. Das kann man nicht anders bewer-
en.
Sie verfahren nun nach bewährter Manier und legen
in 2-Milliarden-Euro-Programm für Verkehrsinvesti-
ionen auf. Das klingt nach Schröder und das ist auch
chröder; denn tatsächlich werden nur 500 Millionen
uro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Die Bundesdeut-
chen sind aber der Meinung – ich habe etliche gefragt;
inige kannten den Namen des Programms bereits –,
ass nun 2 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung ge-
tellt werden. Das ist der entscheidende Punkt: Zuerst
enken Sie ab und dann heben Sie an.
ußerdem haben Sie das bislang noch nicht einmal im
aushalt verankert, Herr Stolpe. Ich garantiere Ihnen:
err Eichel wird, wenn die geringen Steuereinnahmen
ommen, die wegen des total in den Keller gefahrenen
achstums zu erwarten sind, dafür sorgen, dass noch
inmal zulasten Ihres Haushalts saniert wird. Also: run-
er, hoch, runter!
16068 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Klaus W. Lippold
Vor diesem Hintergrund wird sich natürlich keine In-
vestitionssicherheit in der Bundesrepublik Deutschland
einstellen. Herr Schmidt, hier muss man ausnahmsweise
sogar einmal Herrn Mehdorn Recht geben; denn ange-
sichts der Tatsache, dass hier laufend andere Zahlen ge-
nannt werden, kann es keinen Planungshorizont geben.
Über alle anderen Positionen können wir ruhig streiten.
Aber in diesem Fall ist das sicherlich so.
Wir haben also eine Situation, in der Investitionen
nicht die geringsten Impulse für zusätzliches Wachstum
und zusätzliche Beschäftigung geben. Vor dem Hinter-
grund dessen, was sich in der Bauindustrie abspielt, ist
das ein enormes Manko.
Nebenbei bemerkt, Herr Stolpe: Sie behaupten,
500 Millionen Euro sicherten 60 000 Arbeitsplätze. Das
ist überzogen. Experten sagen, 500 Millionen Euro si-
cherten maximal 10 000 Arbeitsplätze. Das heißt, auch
hier rechnen Sie schön. Angesichts dessen, dass Sie alles
beschönigen und den Ernst der Situation nicht begreifen,
muss das Ganze negativ bewertet werden. Auf diese Art
und Weise kommen wir nicht nach vorne. Das wird nicht
dem gerecht, was wir brauchen.
Was die Gebäudesanierung angeht, werden wir prü-
fen müssen, ob wir über den KfW-Weg hinaus weitere
Förderwege beschreiten müssen. Meine Fraktion berät
darüber gerade abschließend. Ich bin der Meinung, dass
wir weitere Förderwege brauchen, weil die KfW-Finan-
zierung nicht ausreicht, um hier die nötigen Impulse zu
setzen. Wir werden das Nötige auf den Weg bringen. Wir
fordern die Grünen auf, uns dabei zu begleiten. Das Pro-
gramm der Grünen enthält nämlich die entsprechenden
Punkte; in der Regierungsarbeit haben sie sie aber noch
nicht umgesetzt. Auch hier gibt es bislang keine Schub-
kraft.
In Bezug auf die öffentlich-private Partnerschaft
werden wir Sie daran messen, ob Ihre dann vorgelegten
Entwürfe unseren dann vorgelegten Papieren, die wir als
Messlatte nehmen, entsprechen. Ich sichere Ihnen dabei
eine konstruktive Zusammenarbeit zu, und zwar ganz
einfach deswegen, weil wir nicht alles, was von Ihrer
Seite kommt, blindlings ablehnen. Ich wiederhole, was
meine Parteichefin gesagt hat: Wir sind zu konstruktiver
Mitarbeit jederzeit gern bereit;
aber es muss dann auch in eine wirklich konstruktive Ar-
beit einmünden.
Deshalb frage ich mich, ob die Bedenken von Herrn
Loske, das dürfe aber nicht in eine völlige Privatisierung
entarten – sie werden schon jetzt ganz leicht thematisiert –,
ein schlechtes Omen für die Arbeit sind, an die wir he-
rangehen wollen.
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ann muss man sagen: Sie haben das in einer Art und
eise in den Keller gefahren, wie es schlimmer gar nicht
eht.
Das Schlimmste ist, dass Sie den Leuten vorgegaukelt
aben, Sie investierten die Mehreinnahmen aus der Maut
utzerorientiert, also in Straße und Schiene. Sie haben
ich nicht vor einem Gesetzesbruch gescheut und Sie ha-
en sich nicht gescheut, die Bund/Länder-Vereinbarung
u brechen. Die Mauteinnahmen sind im eichelschen
aushaltsloch verschwunden.
Beim Nachdenken über Nutzerfinanzierung werden
ie Leute sehr wohl fragen, Herr Minister: Wohin ver-
chwinden diese Gelder diesmal? Das heißt, Sie haben
laubwürdigkeit verspielt. Das ist in dieser Frage viel
ntscheidender als manches andere. Die Leute werden
hnen nicht mehr glauben, wenn Sie ihnen Ihre neuen
orstellungen präsentieren. An diesem Punkt sollten Sie
etzt wirklich einmal etwas tun, um Glaubwürdigkeit zu-
ückzugewinnen; sonst kommen wir nicht weiter.
Im Übrigen gebe ich meinem Vorredner Recht: Wir
önnen das eine oder andere auch auf der kommunalen
bene bewegen. Ich sage das, weil Sie wie wir kommu-
al engagiert sind. Ich glaube nicht, dass es einen Land-
reis gibt, in dem im Rahmen von öffentlich-privater
artnerschaft mehr als im Landkreis Offenbach mit dem
andrat Walter gemacht wird.
ch lade Sie dorthin gern ein. Sie können sich vor Ort die
raxis anschauen. Außerdem können Sie sich beim
ompetenzzentrum Hessen gern Ratschläge holen, was
ffentlich-private Partnerschaft angeht. Ich bin zu kon-
truktiver Arbeit jederzeit bereit.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Uwe Beckmeyer, SPD-
raktion.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16069
)
)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Wir haben mittlerweile viele Reden der Opposition
gehört. Man fragt sich: Was ist das für eine Opposi-
tion? – Sie ist rückwärts gewandt, krämerisch und sie ar-
beitet mit Methoden, die in ihrer Plumpheit eigentlich
kaum noch zu überbieten sind.
– Wie ich schon sagte, sind diese Methoden in ihrer
Plumpheit eigentlich kaum noch zu überbieten.
Frau Merkel und ihre Gefolgsleute gehen stets nach
folgenden Regeln vor: Erste Regel: Es ist immer zu we-
nig. Zweite Regel: Es geht nicht weit genug.
Dritte Regel: Es geht nicht schnell genug. Vierte Regel:
Es ist zu kurz gesprungen.
Fünfte Regel: Es wird zu wenig Geld ausgegeben – oder
zu viel; je nachdem, wer gerade spricht.
Sechste Regel: Es ist die falsche Richtung; denn es ist
grundsätzlich falsch, was von Rot-Grün kommt.
Wer nach dieser Methode Regierungshandeln kritisieren
will, der taugt für das Regieren überhaupt nicht.
Wir haben ein Programm aufgestellt, das mit über
2 Milliarden Euro nur für die Verkehrsinfrastruktur in
Deutschland bewusst gegensteuert, aktuell gegensteuert.
Ein Programmteil ist das CO2-Gebäudesanierungspro-gramm, das Wolfgang Spanier hier sehr klar erklärt hat.
Das ist als zweiter wichtiger Punkt heute auf der Tages-
ordnung. Wir arbeiten die 20 Vorschläge der Regierung
Punkt für Punkt ab. Und was kommt von Ihnen? Mäke-
lei. Es heißt: Wir machen nicht mit. Das ist uns – wie ge-
sagt – zu wenig. – Das kann doch eigentlich nicht Ihre
Antwort sein. Das kann uns in Deutschland nicht voran-
bringen.
Die Bevölkerung draußen schaut sehr genau hin.
Sie schaut, was da tatsächlich passiert.
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Der Kollege Schmidt hat an diesem Pult vorhin deut-
ich gemacht – ich tue das für die Sozialdemokraten –:
ir haben mit Koch/Steinbrück einen Weg beschritten,
er für die Verkehrspolitik nicht gut war. Wir korrigieren
iesen Weg; Sie nicht.
ie bleiben da sitzen und sagen einfach: Es war so und
s geht so weiter. Sie beklagen, dass für die Verkehrspo-
itik zu wenig ausgegeben wird. Gehen Sie doch mit uns
iesen Weg! Unterstützen Sie uns dabei, wenn wir in den
or uns liegenden Jahren in Deutschland 2 Milliarden
uro zusätzlich ausgeben!
Wie sieht es draußen aus? Die Bauindustrie sagt: Das
st das Richtige. Was sagen Sie? – Die Systemindustrie,
ereich Schiene, sagt: Das ist der richtige Weg. Was sa-
en Sie? – Die Länder und Gemeinden sagen: Jawohl,
as ist die richtige Richtung. Was kommt von Ihnen?
ar nichts.
Was die Verkehrspolitik der Christlich Demokrati-
chen Union angeht – von der FDP, die Programme aus
em letzten Jahrhundert abschreibt, will ich gar nicht re-
en –,
in ich wirklich der Überzeugung: Sie sind nicht in der
age, hier etwas Ordentliches zu artikulieren. Sie agie-
en taktisch und sind im Grunde nicht in der Lage,
eutschland positiv zu orientieren in der Frage, was wir
ür Wachstum und Beschäftigung tatsächlich brauchen.
Wir können Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik am
ffektivsten betreiben, indem wir jetzt wirklich etwas für
nsere Verkehrsinfrastruktur tun. Wir sind, glaube ich,
uf dem richtigen Weg.
)
)
Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass Sie in Ih-
ren Reden in der heutigen Auseinandersetzung nicht ein-
mal sagen würden: Jawohl, Minister Stolpe, was Sie vor-
schlagen, ist vernünftig. – Kein einziges Wort von Ihnen
dazu! Zu keinem der Projekte, weder zum CO2-Gebäu-desanierungsprogramm noch zu den anderen vorgeschla-
genen Maßnahmen, ein positives Wort! Sie sitzen dort
und sagen: zu wenig, zu viel; hin und her. Es ist reine
Mäkelei. Daran erkennt man im Grunde auch Ihre gene-
relle Taktik. Sie haben gar kein Interesse daran, dass es
mit Deutschland vorangeht.
Sie möchten Deutschland eigentlich da lassen, wo es ist.
Die Leute draußen sagen Ihnen ins Gesicht: Ihr von der
CDU/CSU macht eine falsche Politik.
Ich schaue mir das in der Region an. Nachdem ich
gestern bei mir zu Hause gesagt habe: „Liebe Freunde,
der Stolpe macht das Projekt B 74 jetzt mit“,
sagt die CDU vor Ort: Das haben wir schon immer ge-
wollt. – Richtig. Was passiert im Bundestag? Kein einzi-
ges Wort dazu! Sie sagen einfach: zu wenig.
Warum ist das eigentlich so? Gibt es bei Ihnen gar
keinen Menschen mehr, der in der Verkehrspolitik ein-
mal konstruktiv mitwirkt,
der sich einbringt, der sich in dieser Frage an unsere
Seite stellt und sagt: „Jawohl, wir sind bereit, in der Ver-
antwortung für dieses Land mit den Sozialdemokraten
ein solches Infrastrukturprojekt mitzumachen“? Warum
machen Sie das nicht?
Ich habe von Ihnen heute kein Wort hierzu gehört.
Nun habe ich allerdings festgestellt: Herr Kollege
Fischer, Ihr verkehrspolitischer Sprecher, ist gar nicht
hier. Woran liegt das eigentlich? Haben Sie ihn heute zu
Hause gelassen oder durfte er nicht sprechen? Das ist ei-
gentlich schade; ich hätte von ihm gern etwas zu diesem
Thema gehört.
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Was wir von Herrn Kauder gehört haben, war ja auch
icht gerade das Allerbeste.
Es wird immer gesagt, die Investitionen hätten
wangsläufig zurückgehen müssen, weil Koch/
teinbrück uns einiges genommen hat. Ich glaube, die
ahlen während Ihrer Regierungszeit haben Sie aber
öllig ausgeblendet.
enn man sich diese noch einmal angeschaut hätte,
ürde man es gar nicht wagen, solche Reden zu halten;
enn was damals nicht passiert ist, haben wir in der ers-
en Legislaturperiode von Rot-Grün erst einmal nachho-
en müssen, um Deutschland überhaupt in die Lage zu
ersetzen, ausreichend Mobilität zur Verfügung zu stel-
en.
eine sehr geehrten Damen und Herren, ich will zum
chluss kommen. Wenn gestern in der Zeitung stand:
Wir sind Papst“, müsste morgen zumindest in der
eitung stehen: „Stolpe schafft Arbeit“, nämlich
20 000 Arbeitsplätze.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
berweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5340,
5/5322, 15/5325, 15/5338 und 15/5339 an die in der Ta-
esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
uf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble,
Christian Schmidt , weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Die NATO auf die neuen Gefahren ausrichten
– Drucksachen 15/44, 15/324 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Meckel
Dr. Andreas Schockenhoff
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16071
)
)
Präsident Wolfgang Thierse
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble,
Christian Schmidt , weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
50 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft wür-
digen, sich zur NATO bekennen und sie stär-
ken
– Drucksache 15/5323 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Friedbert Pflüger, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Europa verdankt der NATO sehr viel. Aber niemand
verdankt der NATO mehr als wir Deutschen. Mit dem
NATO-Beitritt am 6. Mai 1955 erhielt die Bundesrepu-
blik Deutschland zugleich ihre Freiheit und ihre Souve-
ränität zurück. Nach Weltkrieg und Holocaust waren wir
wieder ein geachtetes Mitglied der Völkerfamilie.
Bündnissolidarität, militärische Abschreckung und
der amerikanische Nuklearschirm, das alles bewahrte
Deutschland und das freie Berlin über Jahrzehnte vor der
Expansion des sowjetischen Kommunismus. Die NATO
verband militärische Stärke mit Dialogbereitschaft und
Entspannungspolitik. Diese politisch-militärische Dop-
pelstrategie trug wesentlich dazu bei, die Teilung Berlins
und Deutschlands zu überwinden.
Und schließlich: Sechs Jahrzehnte haben wir Deutschen
jetzt Frieden mit unseren Nachbarn – für viele selbstver-
ständlich, aber doch einmalig in der deutschen Ge-
schichte. Wir verdanken den Frieden über 60 Jahre in
Europa zu einem großen Teil der atlantischen Allianz.
Eigentlich wäre die 50-jährige Mitgliedschaft ein
Anlass zur Feier und zur Würdigung. Stattdessen gibt es
weder im Auswärtigen Amt noch im Kanzleramt noch in
der Brüsseler NATO-Vertretung irgendeine Art von Ver-
anstaltung, die dieses wichtige Ereignis in unserer Ge-
schichte würdigt. Ich muss sagen, das ist wirklich ver-
wunderlich. Es ist auch verwunderlich, Herr
Bundesminister, dass es niemand aus der Reihe der Bun-
desminister für nötig hält, in dieser Debatte, die CDU
und CSU beantragt und durchgesetzt haben, das Wort zu
ergreifen.
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estbindung und Wiederbewaffnung hat Konrad
denauer gegen die Sozialdemokraten durchgesetzt.
err Adenauer ist dafür von der SPD als Kanzler der
lliierten beschimpft worden. Wir müssen festhalten,
ass die NATO in der Tat gegen große Widerstände
urchgesetzt werden musste. Es hat bis 1960 gedauert,
is Herbert Wehner hier im Deutschen Bundestag ein
ekenntnis zur Wiederbewaffnung und zur NATO abge-
egt hat.
Der NATO-Doppelbeschluss war neben der Ostpoli-
ik von Willy Brandt ganz entscheidend dafür, die Tei-
ung Europas und Deutschlands zu überwinden. Der
ATO-Doppelbeschluss ist ebenfalls gegen den Wider-
tand aus den Reihen von SPD und Grünen sowie großer
eile der Bevölkerung durchgesetzt worden. Ich bin froh
nd dankbar, dass Helmut Kohl das damals mit der
DU/CSU gemacht hat, denn dieser Doppelbeschluss ist
n der Tat das Signal dafür gewesen, dass der War-
chauer Pakt und der Sowjetkommunismus keine
hance mehr hatten, im Kalten Krieg ihre Positionen
urchzusetzen.
Auch die Öffnung des Bündnisses – das ist heute fast
ergessen – nach Osten ist auf erheblichen Widerstand
estoßen. Ich habe vor dieser Debatte eine Bundestags-
ebatte aus dem Februar 1998 nachgelesen, wo der
16072 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Friedbert Pflüger
Kollege Ludger Volmer, der in diesen Stunden heute an
anderer Stelle tätig ist,
gesagt hat, die NATO-Osterweiterung sei die Ostver-
schiebung der Militärmaschinerie der NATO und stelle
eine antirussische Allianz dar. Meine Damen und Her-
ren, auch die Osterweiterung, die Öffnung für die Länder
Mittel- und Osteuropas, ist gegen Ihren Widerstand
durchgesetzt worden. Auch das gehört zur historischen
Wahrheit dazu.
– Es ist in der Tat unrichtig, was Sie angeht, Herr Kol-
lege Meckel. Das ist richtig. Sie waren immer dafür.
Aber Sie wissen auch, was viele Kollegen aus Ihrer
Fraktion und vor allen Dingen große Teile der Grünen
gesagt haben. Deshalb ist mein Vorwurf insgesamt kein
Quatsch, sondern die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, vielleicht ist es auch kein
Zufall, dass die Rede des Bundeskanzlers auf der
Münchner Sicherheitskonferenz, die Herr Struck vorle-
sen musste, weil der Bundeskanzler erkrankt war, ei-
gentlich überall im Ausland den Eindruck vermittelt hat,
die Deutschen nehmen es mit der NATO nicht mehr ganz
so ernst. Die zentrale Bedeutung der Allianz ist jeden-
falls in den letzten Jahren nicht gepflegt worden. Wir ha-
ben erlebt, dass anlässlich des Außenministertreffens in
Vilnius, das derzeit stattfindet, der Generalsekretär der
NATO – ich kann mich an einen vergleichbaren Vorfall
nicht erinnern – in Zeitungsinterviews rundweg erklärt,
die Vorschläge des Bundeskanzlers und des Bundesau-
ßenministers spielten für ihn keine Rolle mehr.
Die „FAZ“ schreibt heute, die Vorschläge des Kanzlers
vom Februar sind fast vergessen. Es ist einfach so, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland unter dieser Bun-
desregierung mit der atlantischen Allianz schwer tut. Ich
glaube, wenn sie jetzt immer wieder erzählt, wir müssten
die Krise überwinden, dann gehört zu dieser Wahrheit
auch, dass sie selbst zu dieser Krise ganz wesentlich bei-
getragen hat, in die das atlantische Bündnis in den letz-
ten Jahren gekommen ist.
Jetzt brauchen wir keine Selbstfindungsgruppen.
Vielmehr muss eine ganz konkrete weltpolitische
Agenda abgearbeitet werden. Unsere Aufgabe ist, nach
vorne zu schauen und uns mit der Frage zu beschäftigen:
Was wird aus diesem Bündnis? Immerhin gibt es hoff-
nungsvolle Ansätze. Ich glaube, dass Frau Merkel in ih-
ren Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten,
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enn die NATO ist ein Bündnis freier Partner. Wenn es
otwendig ist zu widersprechen, dann wird es, wie es
uch in der Vergangenheit der Fall war, getan.
iderspruch wurde bisher allerdings immer in einem
lima der Solidarität und der Freundschaft innerhalb des
ündnisses geäußert. Wir wollen dafür sorgen, dass das
o bleibt.
Genau deswegen passt es nicht in die Landschaft,
ass sich am 18. März dieses Jahres erneut Putin,
chröder und Chirac, diesmal zusammen mit Zapatero,
Paris getroffen haben. Wenn Sie sich anschauen, wie
ieses Treffen kommentiert worden ist, stellen Sie fest,
ass es zum Beispiel in der „Frankfurter Allgemeinen
eitung“ hieß: Mit dem Treffen dieser Vier hat zumin-
est der französische Gastgeber eine europäische Ach-
enpolitik auszubauen versucht, mit der er einen Macht-
ol schaffen will gegen die Vereinigten Staaten von
merika.
Vielleicht haben Sie auch vernommen, wie die Reak-
onen in Polen ausgefallen sind. Herr Rokita, der große
hancen hat, demnächst Ministerpräsident zu werden,
agt dazu: Es genügt, sich die Europakarte anzusehen,
m zu merken, dass zumindest ein Land am Tisch fehlt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16073
)
)
Dr. Friedbert Pflüger
Das Problem eines solchen Gipfels sei nicht, wer einge-
laden wird, sondern, ob derartige Treffen durch einen
europäischen Konsens gedeckt würden.
Es ist unklug, überhaupt eine solche Achse zu bilden
und obendrein dabei zum Beispiel Polen außen vor zu
lassen, weil dadurch in Mittel- und Osteuropa immer
wieder die Angst geschürt wird, Deutschland würde, wie
so oft in der Geschichte, gemeinsam mit Russland eine
Politik über die Köpfe der Mittel- und Osteuropäer hin-
weg und auf ihre Kosten betreiben.
– Herr Kollege Schmidt, es geht doch besser. Im Falle
der Ukraine zum Beispiel hat es relativ gut funktioniert.
Die Ukraine, Polen und Deutschland haben, gemeinsam
mit Herrn Solana und den Amerikanern, an einem Strang
gezogen. Auch auf dem Balkan klappt die Zusammen-
arbeit zwischen Europäern und Amerikanern relativ gut.
Darüber hinaus haben wir uns auf eine Roadmap für den
Nahen Osten geeinigt. Nun besteht erstmals seit langem
eine kleine Chance, den Friedensprozess voranzubrin-
gen.
– Wir alle im Westen, zusammen mit Russland und den
Vereinten Nationen.
Dass das möglich ist, zeigt das Beispiel Iran. Wenn
sich die Europäer einig sind und gemeinsam auftreten
– nicht nur Deutsche und Franzosen, sondern vielmehr
Deutsche, Franzosen, Briten und Herr Solana, der Hohe
Repräsentant der Europäischen Union –, dann haben sie
die Chance, europäische Politik auch in Washington
durchzusetzen. Die Amerikaner haben in den letzten
zwei Monaten eingelenkt, weil wir alle in Europa sie ge-
drängt haben, dem Iran nicht nur zu drohen, sondern
auch diplomatische und politische Anreize auf den Tisch
zu legen und sich an diesem Verhandlungsprozess kon-
struktiv zu beteiligen. Das ist das beste Beispiel dafür,
dass wir Europa bzw. Teile Europas nicht gegen Ame-
rika in Stellung bringen sollten, sondern dass wir den
Versuch unternehmen müssen, das gesamte Gewicht
Europas in Washington in die Waagschale zu werfen, um
eine bessere Politik und eine konstruktivere Zusammen-
arbeit zu erreichen.
Meine Damen und Herren, die Frage ist, wie es jetzt
mit China weitergeht. Denn China war bei allem, was
wir in den letzten Wochen erlebt haben, gegenüber unse-
ren Bündnispartnern und auch gegenüber den Ländern
im Fernen Osten das große Problem. Die Aufhebung des
Waffenembargos, die der Bundeskanzler angesprochen
hat, droht diesen neuen Konsens, dieses zarte Pflänzchen
neuer Zusammenarbeit zu zerstören. Deswegen ist es
ganz wichtig, dass die Europäische Union sagt: Ja, wir
wollen gute Beziehungen zu China – natürlich, wer
wollte das nicht: Wir brauchen China als Partner in der
Weltgemeinschaft –, aber die Aufhebung des Waffenem-
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Die NATO bleibt auch deshalb von zentraler Bedeu-
ung, weil wir eine zentrale neue Herausforderung auf
er Welt haben, nämlich die des global agierenden
slamistischen Terrorismus. Ich glaube, dass viele der
riktionen zwischen Amerika und Europa damit zu tun
aben, dass es völlig unterschiedliche Analysen der Be-
rohungen gibt. Bei uns werden Warnungen wie die, die
ofi Annan vor kurzem ausgesprochen hat, nicht ernst
enommen. Kofi Annan sprach in einem Beitrag im Ber-
iner „Tagesspiegel“ davon, dass der Atomterrorismus
eine Science-Fiction mehr sei, und er warnte vor biolo-
ischem Terrorismus und seinen schrecklichen Folgen.
l-Baradei, der Generaldirektor der Internationalen
tomenergiebehörde, hat im Januar gesagt, die Gefahr
es nuklearen Terrorismus sei real und gegenwärtig; es
ei eine aktuelle Gefahr, dass al-Qaida eine schmutzige
tomwaffe einsetze. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass
ir diese enorme Herausforderung aus der Verbindung
on Terrorismus und Massenvernichtungswaffen zum
ern unserer sicherheitspolitischen Überlegungen ma-
hen – auf beiden Seiten des Atlantiks. Dabei kann
ussland ein wichtiger Partner sein – und muss es sein –,
ber die europäische Einigung und die Freundschaft mit
merika sind für unsere Sicherheit langfristig wichtiger
nd zentraler; sie können jedenfalls durch ein Bündnis
it Russland nicht ersetzt werden.
In diesem Sinne hoffen wir, dass angesichts der enor-
en neuen Herausforderungen für die Stabilität und die
icherheit unserer Bürger dieses entscheidende Gut
icht aus der Hand gegeben wird. Wir sollten uns an das
rinnern, was Willy Brandt an der Harvard-Universität
m Juli 1972 gesagt hat. Willy Brandt sagte wörtlich:
16074 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Friedbert Pflüger
Sie, die Jüngeren, dürfen nicht vergessen, dass die
Interdependenz, die John F. Kennedy für die Staa-
ten diesseits und jenseits des Atlantiks proklamiert
hat, eine moralische, eine kulturelle, eine wirt-
schaftliche und politische Realität bleiben muss.
In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass sich das
Koordinatensystem unserer Außenpolitik etwas verscho-
ben hat: etwas zu viel Russland und zu wenig Amerika.
Das muss korrigiert werden und dafür ist diese Debatte
hoffentlich ein guter Anfang.
Das Wort hat der Kollege Markus Meckel von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist gut, dass wir diese Debatte zum
50. Jahrestag der deutschen Mitgliedschaft in der NATO
führen, weil – das ist ganz klar – die NATO ein zentraler
Eckpfeiler deutscher Außenpolitik in diesen 50 Jahren
war. Das galt damals und das gilt auch heute.
Genauso richtig ist – ich glaube, das ist unbestreit-
bar –: Damals ist die NATO-Mitgliedschaft gegen die
SPD und gegen große Teile der deutschen Gesellschaft
von Bundeskanzler Adenauer durchgesetzt worden. Es
war damals ein schwerer Kampf, eine schwere Aus-
einandersetzung. Der Grund dafür ist hier aber nicht ge-
nannt worden. Das war nämlich die Sorge in der deut-
schen Gesellschaft und bei der Sozialdemokratie, dass
diese militärische Dimension der Westbindung die deut-
sche Einheit verhindern würde bzw. dass man dadurch
diese Perspektive verlieren würde.
Aber genau das war damals die große Sorge sehr vieler
Deutscher. Das war der Hintergrund. Wie sich zeigte,
war das eine Fehleinschätzung. Das weiß man aber oft
erst im Nachhinein.
Daneben gab es eine andere zentrale Entscheidung
der deutschen Außenpolitik, nämlich die Willy Brandts
– und damit sind wir bei Ihrer zentralen Fehlentschei-
dung –: Als es um die Ostpolitik ging, dem anderen we-
sentlichen Pfeiler der deutschen Politik, gab es genauso
scharfe und kämpferische Auseinandersetzungen. Dort
lagen Sie total falsch, wie man heute weiß und wie es
große Teile Ihrer Partei heute auch akzeptieren. Klar ist:
Beides waren strittige Entscheidungen und beides waren
und sind zentrale Grundlagen der deutschen Politik. Dies
sollten wir nicht vergessen.
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Heute ist die NATO weithin anerkannt und nicht um-
tritten. Gleichzeitig muss man aber klar sagen, dass die
rage nach ihrer Bedeutung durchaus umstritten ist.
uch innerhalb der NATO wird ihre Zukunft durchaus
ffen diskutiert. Ich glaube, wir sollten das Gespräch
ber die neuen Herausforderungen für diese Institution,
arüber, wofür wir sie brauchen, stärker als bisher mit-
inander führen. Ich bin der festen Überzeugung, dass
ir die NATO als Instrument weiter brauchen: zum ei-
en als eine zentrale Dimension, als Konsultationsgre-
ium und als politisches Forum im transatlantischen
erhältnis und zum anderen natürlich als eine wirklich
andlungsfähige militärische Organisation.
an muss auch sagen: Neben den USA als Nationalstaat
t die NATO die einzige Institution dieser Welt, die auch
ilitärisch global agieren kann. Wir alle wissen, dass es
hne sie nicht geht, dass wir diese Dimension der Au-
enpolitik brauchen, wie gerade der Kampf gegen den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16075
)
)
Markus Meckel
internationalen Terrorismus und Bemühungen der Frie-
densmissionen und Konfliktbeilegung zeigen.
Wir stehen in der NATO vor vielen offenen Fragen.
Ich begrüße sehr die Initiative des Kanzlers. Lieber Kol-
lege Pflüger, ich muss Ihnen deutlich widersprechen.
Das, was heute in Vilnius passiert, ist die Folge dessen,
was der Kanzler ausgesprochen hat und was im NATO-
Rat deutlich begrüßt worden ist. Ich finde es völlig ver-
ständlich, dass der Generalsekretär sagt: Wir wollen in
dieser Frage keine Expertengruppe bilden, sondern wir
wollen das erst einmal selbst in die Hand nehmen. – Wir
werden sehen, was dabei herauskommt und ob es aus-
reicht! Wenn es ausreicht, dann werden wir alle froh da-
rüber sein, dass wir kein anderes Gremium brauchen. Es
geht hier nicht um Gremien, sondern um klare Ergeb-
nisse und eine handlungsfähige NATO. Das ist unser
Ziel!
Ich glaube aber, dass wir uns mit unseren Polemiken
nur an der Oberfläche befinden. Letztlich stehen wir in
der NATO vor einer sehr grundlegenden Entscheidung
für die Zukunft. Ich bin der festen Überzeugung, dass
wir uns als Europäer Sicherheit ohne die USA nicht vor-
stellen sollten und auch nicht können, weil unsere Kapa-
zitäten nicht ausreichen. Von daher ist es ganz zentral, zu
sagen: Wir wollen die NATO als eine verbindliche Orga-
nisation, in der wir gemeinsam die Situation analysieren,
in der wir in einem offenen Diskurs versuchen wollen,
uns über unsere Handlungsperspektiven klar zu werden,
und in der wir gemeinsam handeln. Diese drei Punkte
beschreiben die NATO, die wir wollen. Wir versuchen,
die NATO so zu verändern, damit sie wieder so wird.
Ich bin leider nicht sicher, dass alle NATO-Mitglieder
– ich nenne hier auch ganz konkret die USA – ein
ebenso starkes Interesse an einer solchen NATO, wie ich
sie eben beschrieben habe, haben. Das ist kein Vorwurf;
vielmehr ist die globale Situation so. Die Weltmacht
USA hat nach dem Kalten Krieg global ganz andere
Schwerpunkte gesetzt, bei denen der euro-atlantische
Raum und die NATO nur eine Teildimension darstellen.
Die USA sagen – das wird manchmal offen ausgespro-
chen –: Für unser globales Handeln suchen wir Verbün-
dete, ohne uns in einen Prozess der Entscheidungsfin-
dung und in gemeinsames Handeln einbinden zu lassen,
wobei eine gemeinsame Analyse und Diskussion viel-
leicht noch denkbar wären.
Diese Frage ist für die Zukunft der NATO zentral.
Hier sollten wir sehr deutlich machen: Wir wollen eine
NATO mit Verbindlichkeiten auf allen drei Ebenen. Wir
sehen die NATO nicht als einen Werkzeugkasten, aus
dem man bestimmte Elemente herausnimmt, wenn man
für einen Einsatz eine „coalition of the willing“, einen
Pool von Partnern, sucht, die man sich, entsprechend
dem jeweiligen Bedarf, zusammenstellt. Diese NATO
wäre eine in unserem europäischen Sinne schlechte
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Klar ist, dass die NATO für uns Europäer eine ganz
esondere Herausforderung darstellt. Dies ist nicht nur
ine Frage der Kapazitäten; es geht weit darüber hinaus.
s ist auch eine Frage der Fähigkeit, gemeinsam poli-
isch zu handeln, das heißt mit einer Stimme zu spre-
hen. Hier bin ich bei einem Problem, von dem ich
laube, dass es für die Zukunft der NATO von zentraler
edeutung ist. Ich meine die Gespaltenheit, die die Eu-
opäer in gewisser Weise zeigen, wenn es um die NATO
nd die Europäische Union geht. Manche hohe Reprä-
entanten unserer Länder in Brüssel berichten immer
ieder von der schwierigen Erfahrung, dass auf der
bene der Europäischen Union in den letzten fünf Jahren
ine ganze Menge getan wurde, um eine gemeinsame si-
herheitspolitische Identität zu entwickeln. Sobald man
ber die Pforte zur NATO betritt, spielt das bzw. darf das
eine Rolle mehr spielen. Es wird so getan, als hätte man
orher über diese Fragen nie miteinander geredet.
Diese Bewusstseinsspaltung stellt zuallererst für uns
elbst ein großes Problem dar. Wir müssen lernen, nicht
ur außerhalb der NATO mit einer Stimme zu sprechen,
ondern wir müssen in der Lage sein, auch im NATO-
at unsere gemeinsame Position, soweit vorhanden, zur
prache zu bringen. Es ist manchmal schon so, dass die
eisungen aus demselben Ministerium kommen und in
er jeweiligen Organisation nicht unbedingt in jeder
rage miteinander kompatibel sind. Das gilt für ver-
chiedene Länder. Das ist immer wieder eine Erfahrung
er Akteure vor Ort.
Ich glaube, dass das auch eine Erfahrung der Parla-
ente ist. Ich habe hier in diesem Raum vor vier Jahren
ine Debatte in der Parlamentarischen Versammlung der
ATO erlebt. Damals wurde eine Resolution verabschie-
et, in der wir als Parlamentarische Versammlung der
ATO die EU kritisiert haben. Ich habe heftig gegen
iese Resolution gekämpft. Sie kam mit den Stimmen
ieler europäischer Parlamentarier zustande – wie
önnte es anders sein; ohne Europa kommt keine Reso-
ution zustande –, die sich selbst kritisiert haben, und das
och in einem Punkt, der falsch war. Das heißt, wir ha-
en diese Bewusstseinsspaltung tief in uns. Wir müssen
n dieser Stelle gerade als Europäer stärker miteinander
nseren Standpunkt bestimmen.
an nennt das den europäischen „caucus“ in der
ATO – ein Schreckgespenst, insbesondere für die
merikaner. Zuallererst ist das eine europäische Heraus-
orderung. Erst dann ist es eine Herausforderung für die
merikaner, zu akzeptieren, dass die Europäer mit ge-
einsamer Stimme sprechen. Ich bin sicher, wenn wir
ähig dazu sind, dann werden sie es auch akzeptieren;
enn wir es nur theoretisch behaupten, dann wohl nicht.
Ich komme zur Frage der Erweiterung. Die große Er-
eiterung haben wir geschafft. Es sind jetzt zehn neue
16076 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Markus Meckel
Staaten Mitglied. Ich sagte schon, dass das ein Riesener-
folg für Europa ist. Es gibt eine Reihe anderer Staaten,
die hinein wollen. Ich glaube, dass wir sehr genau über-
legen sollten, wie wir damit umgehen. Man muss – inso-
fern habe ich selbst ein gespaltenes Herz in meiner
Brust – klar sagen: Je verbindlicher die NATO in Bezug
auf unser europäisches Interesse ist, das ich eben be-
schrieben habe, umso schwerer ist es, neue Mitglieder
aufzunehmen, die noch nicht so weit sind, weil die Krite-
rien dann schärfer sein müssen. Wenn aber die NATO
– ich befürchte, dass der Trend dahin geht; deshalb ist
das eine so große Sorge – nur noch zu einem lockeren
Forum und im Endeffekt zu einem Werkzeugkasten für
militärische Instrumente und Partner wird, dann besteht
die Gefahr, dass sich das Interesse bestimmter Kräfte in
den USA durchsetzt, die sagen, es müssten möglichst
viele in die NATO. Das hat übrigens den guten Neben-
effekt, dass sich das positiv auf die Demokratisierung
und Stabilisierung der betreffenden Länder auswirkt.
Aber wir sollten uns über den Zusammenhang zwischen
der Verbindlichkeit der NATO und neuen Erweiterungen
Gedanken machen und versuchen, abzuwägen, welche
Schritte wir gehen sollten. Auf jeden Fall brauchen wir
klare und starke Partnerschaftsbeziehungen und einen
Ausbau dieser Partnerschaften.
Ich komme zu zwei Punkten, die ich am Schluss noch
ansprechen möchte. Das eine ist der, dass die Zusam-
menarbeit zwischen EU und NATO essenziell ist. Die
ist inzwischen nach manchen Anfangsschwierigkeiten
von allen anerkannt, aber die Praxis – ich sage es ganz
offen – ist eine Katastrophe, weil wir im Augenblick
nicht fähig sind, alles das, was wir uns in beiden Institu-
tionen vorgenommen haben, wirklich umzusetzen. Sie
haben – ich fand das gut – in Ihrem Antrag ausgespro-
chen, dass im Augenblick das wichtigste Hindernis dafür
die Blockade der Türken ist, die nicht bereit sind, zu ak-
zeptieren, dass alle EU-Mitgliedsländer am Tisch sitzen
sollten. Dieses Hindernis muss weg. Dies sollten alle
Partner in deutlichen Gesprächen mit der Türkei auf al-
len Ebenen klarstellen. Anders kommen wir nicht weiter.
Wir dürfen uns nicht blockieren lassen.
Der zweite zentrale Punkt ist, dass wir deutlich ma-
chen müssen, dass die europäische Integration und die
Entwicklung der ESVP nicht gegen die NATO gerichtet
sind, wenn man offen sagt, dass das transatlantische Ver-
hältnis breiter und vielfältiger als das ist, was nur die
NATO abdecken kann. Es gibt die Handelsbeziehungen,
die Finanzströme und eine gemeinsame politische Rolle
in dieser Welt. Deshalb bin ich fest davon überzeugt,
dass wir unabhängig davon, dass wir die NATO als si-
cherheitspolitisches Forum und als militärische Organi-
sation stärken müssen, neben der NATO den Ausbau der
transatlantischen Beziehungen zwischen der EU und den
USA brauchen. Wir sollten gemeinsam dafür arbeiten.
Dies ist kein Widerspruch, sondern das ist komplementär
und in unser aller Interesse.
Ich danke Ihnen.
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Wir Deutschen verdanken dem nordatlantischen
ündnis die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes
ährend des Kalten Krieges, aber auch das Ende des
alten Krieges und die Wiedervereinigung unseres Va-
erlandes. Die NATO ist und bleibt für uns aber auch
eute, anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten
rieges, der wichtigste sicherheitspolitische Hand-
ungs- und Identifikationsrahmen.
ehr als das: Die NATO ist und bleibt eine Werte-
emeinschaft, die die Staaten Nordamerikas und Euro-
as verbindet und der immer mehr Staaten Ost- und Süd-
steuropas beitreten wollen. Wir sollten uns da nicht
rritieren lassen durch Verwerfungen, die es natürlich
ibt, durch Missverständnisse und Fehlentwicklungen,
ie der eine oder andere hier oder da sehen mag. Wenn
as so ist, müssen wir innerhalb dieser Wertegemein-
chaft darüber diskutieren; aber wir dürfen sie selber
icht aufs Spiel setzen.
Die Anziehungskraft dieser nordatlantischen Allianz
st ungebrochen. Der Freiheitswille der Menschen in
steuropa, der sich zunächst in den ehemaligen War-
chauer-Pakt-Staaten vor 15 Jahren und jetzt erneut in
en Revolutionen in Georgien und in der Ukraine mani-
estiert hat, geht doch mit der Sehnsucht der Menschen
ieser Länder einher, zum westlichen Bündnis dazuzu-
ehören. Das erklärt sich natürlich aus ganz deutlich er-
ennbaren Sicherheitsüberlegungen dieser Länder; es
rklärt sich aber eben auch aus dem Wunsch, der westli-
hen Wertegemeinschaft anzugehören. Beides ist ein
ertrauensbeweis in Bezug auf die NATO, dem diese
iederum gerecht werden muss.
Beides ist aber auch eine Chance. Die Aufgaben der
ATO sind nicht erledigt. Sie haben sich verändert. Die
ATO hat eine zentral wichtige Stabilisierungsfunk-
ion auf dem europäischen Kontinent. Sie kann und
uss die ehemaligen Gegner nicht mehr eindämmen
der abschrecken, sondern sie ein- oder zumindest mög-
ichst eng anbinden, um so Stabilität und Sicherheit in
uropa zu gewährleisten. Der NATO-Russland-Rat war
in ganz wichtiges Beispiel dafür, wie aus Gegnern über
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16077
)
)
Dr. Werner Hoyer
eine immer enger werdende Kooperation und Verknüp-
fung Partner werden können.
Die NATO hat auch längst ihren eurozentrischen Cha-
rakter verloren. So wie die Bedrohungen für unsere Si-
cherheit out of area gegangen sind, so ist auch die
NATO schon seit langem out of area zu einem wichtigen
und vor allem erfolgreichen sicherheitspolitischen In-
strument geworden. Die ISAF in Afghanistan ist ein
wichtiges Beispiel dafür. Aber der internationale Terro-
rismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen
oder die destabilisierenden Wirkungen von Failing States
lassen sich eben nicht im Vertragsgebiet bekämpfen.
Die NATO hat gezeigt, dass sie sich diesen Heraus-
forderungen schnell und wirkungsvoll anpassen kann;
das ist gesagt worden. Sie ist auch mehr und mehr in der
Lage, mit anderen internationalen Organisationen zu-
sammenzuwirken. Als ich 1995 oder 1996 bei einem in-
formellen Treffen des Allgemeinen Rates der Europäi-
schen Union erstmals die Anregung gegeben habe, ob
der damals gerade zur NATO gewechselte frühere Rats-
präsident der Europäischen Union, Javier Solana, uns im
Allgemeinen Rat der Europäischen Union nicht einmal
über seine neuen Erfahrungen bei der NATO berichten
könne, da war das ein absoluter Skandal; sowohl in Paris
als auch in Washington haben die Alarmglocken gebim-
melt, weil man sich überhaupt nicht vorstellen konnte,
dass man diese beiden Organisationen und ihre wichtigs-
ten Gremien einmal zusammenführen könnte. Heute ist
das selbstverständlich geworden. Das zeigt, welchen
großen Fortschritt wir auf beiden Seiten gemacht haben.
Klar ist auch, dass die Anforderungen an die NATO in
den nächsten Jahren nicht geringer werden. Da werden
wir sicherlich auch noch in Konflikte geraten. Markus
Meckel hat es eben deutlich gemacht: Die Verbindlich-
keit ist ganz wichtig. Auf der anderen Seite müssen wir
natürlich gerade angesichts der Debatten, die wir führen,
wie morgen die Debatte über den Einsatz im Sudan,
deutlich machen, dass wir unseren Parlamentsvor-
behalt ernst nehmen.
Da ist natürlich ein Konflikt vorprogrammiert; das muss
man sehen.
Wir dürfen nicht in die Situation geraten – ich sage
das einmal ganz persönlich, weil ich persönlich da Sor-
gen habe –, dass Bundeswehreinsätze durch unsere Be-
handlung dieses Themas zunehmend zur Routine wer-
den. Das darf es nicht geben.
Jeder einzelne Einsatz bedarf einer ganz präzisen Durch-
leuchtung. Ein humanitäres Argument mag noch so stark
sein, wir haben trotzdem eine ganz genaue Abwägung
hier vorzunehmen. Dann ist es auch legitim, zu fragen,
welche Interessen wir in einer konkreten Situation ha-
ben, wie die Interessen der anderen aussehen und wie
man diese Interessen zusammenführen kann. Wir dürfen
uns hier nicht auf eine schiefe Ebene begeben. Ich be-
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as muss angefordert werden können. Das ist kein Defä-
ismus, sondern eine konsequente Anwendung der Ideen
on von Clausewitz. Es ist doch die Frage zu stellen: Wo
st das politische Ziel, das wir mit einer Mission errei-
hen wollen? Welches militärische Ziel müssen wir er-
eichen, um dem politischen Ziel näher zu kommen?
ann holen wir unsere Leute wieder heraus?
ch denke, das wird bisweilen übersehen.
Meine Damen und Herren, man sollte nichts schönre-
en. Wir haben große Probleme. Das haben wir in den
etzten Wochen und Monaten gemerkt. Bei dem Sicher-
eitstreffen in München wurde das ganz evident. Wir
üssen wieder von der Fehlentwicklung wegkommen,
ie dazu führte, dass wir in Konzepten von Gegenge-
ichten zwischen EU und NATO, also zwischen den
eiden Seiten des Atlantiks, gedacht haben. Das ist eine
ehlentwicklung gewesen. Europa fehlt es nicht an Ge-
engewicht zu den USA. Europa fehlt es an Gewicht.
aran müssen wir arbeiten, konzeptionell, aber dann
uch materiell. Deswegen ist die Frage der materiellen
usstattung unserer Bundeswehr nicht ausdiskutiert.
ir werden nicht darum herumkommen nachzulegen.
Wir müssen nicht alles können, was die Amerikaner
önnen, aber wir müssen mit ihnen kooperieren können
nd wir müssen fähig sein, mit ihnen in einer Verteidi-
ungsinstitution zusammenzuwirken, die tiefer integriert
st, als das vorher in irgendeiner Organisation der Fall
ar. Neben der politischen Bedeutung der NATO ist das
a der große Vorzug: Es gab auf der Welt noch nie ein
ilitärbündnis, das militärisch so tief integriert ist wie
ie nordatlantische Allianz. Markus Meckel, die Kolle-
innen und Kollegen aus der früheren DDR konnten sich
nfang der 90er-Jahre ja gar nicht vorstellen, welche
orm, welchen Charakter die Zusammenarbeit innerhalb
er NATO angenommen hatte. Das hat es im Warschauer
akt nicht einmal im Ansatz gegeben. Das gilt es zu be-
ahren.
Es ist natürlich richtig, dass die Bundesregierung,
ass Deutschland Wert drauf legt, dass die NATO politi-
cher wird. Es gab neulich – einige Kollegen waren
16078 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
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Dr. Werner Hoyer
dabei – eine bedenkliche Zusammenkunft in Brüssel.
Eine Gruppe von Kollegen aus dem Bundestag und ame-
rikanische Kollegen haben NATO-Gespräche geführt.
Ich habe mir erlaubt, die Frage zu stellen, in welcher
Weise man sich im NATO-Rat mit der Frage des
Waffenembargos gegen China befasst hat. Da wurde
man direkt ganz nervös und sagte: Gar nicht. Das sei ers-
tens sehr politisch, und zweitens mache das die Europäi-
sche Union im Rat; man mache keine Doppelarbeit.
Aber, meine Damen und Herren, das sind doch entschei-
dende Fragen der Zusammenarbeit im Bündnis, bei de-
nen die Wertegemeinschaft, in der diese sicherheitspoli-
tischen Interessen zusammenfließen, politischer werden
muss.
Ich habe mir allerdings dann noch die Frage gestellt,
welche Weisung denn die Bundesregierung dem NATO-
Botschafter in der Frage des Waffenembargos gegeben
hätte. Ich frage mich – nachdem der Bundesaußenminis-
ter gesagt hat, das werde auf die lange Bank geschoben
und das werde sich schon im Rahmen der Europäischen
Union im Rat regeln – übrigens noch immer: Welche
Weisung hat eigentlich der deutsche Botschafter bei der
Europäischen Union, wie er sich in der Frage verhält?
Soll er nun dafür sorgen, dass das in absehbarer Zeit
vom Tisch kommt? Oder hat er die Weisung, den Willen
des Bundeskanzlers durchzusetzen, möglichst bald zu ei-
nem Ergebnis zu kommen? Was ist denn die Position der
Bundesregierung, die sie den dort für uns verantwortlich
Handelnden, nämlich in erster Linie dem Botschafter,
mit auf den Weg gibt?
Wir werden die NATO auch in Zukunft dringend
brauchen. Sie muss politischer werden. Es ist in Mün-
chen einiges falsch kommuniziert worden. Aber die
Grundfrage ist schon richtig: Ist die NATO noch der zen-
trale Ort der sicherheitspolitischen Debatte? Wenn man
diese Frage aufwirft und vorab schon durch Zeitungen
kommuniziert, darf man aber nicht die Unsicherheit be-
züglich der eigenen Position, ob man denn selber will,
dass sie der zentrale Ort der sicherheitspolitischen De-
batte ist, aufkommen lassen. Ich bin der Meinung, die
NATO sollte stärker dieser Ort der strategischen Debatte
werden.
Wir brauchen die NATO auch in den nächsten Jahren.
Wir sollten sie nicht kaputtmachen und nicht kaputtre-
den, sondern weiter gestalten und an die neuen Heraus-
forderungen anpassen. Wir brauchen die Fähigkeit
Deutschlands, in dieser einzigartig tief integrierten Orga-
nisation mitzuwirken. Das ist einer der wesentlichen Im-
perative deutscher Außenpolitik nach 1945. Bündnisfä-
higkeit ist und bleibt für Deutschland Staatsraison.
Herzlichen Dank.
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Es entstand ein historisch neuartiges Militärbündnis.
asierend auf gemeinsamen Interessen, aber auch auf
emeinsamen demokratischen Werten war der Auftrag
n die Armeen tatsächlich neu: Kämpfen können, um
icht kämpfen zu müssen. Diese Art der Kriegsverhü-
ung war bis dahin im militärischen Bereich kaum be-
annt.
Diese insgesamt positive Entwicklung ist aber kein
rund, die alte NATO rundum heilig zu sprechen. Sie
ar trotz alledem über die Jahrzehnte ein aktiver Teil ei-
es gigantischen Wettrüstens. Die Nuklearstrategie
olgte der Logik, dass gegebenenfalls das vernichtet
orden wäre – vor allem mit taktischen Atomwaffen –,
as verteidigt, also doch eigentlich erhalten werden
ollte. Dagegen richtete sich der völlig legitime und wei-
erhin richtige Protest des blockunabhängigen Teils der
riedensbewegung in den 80er-Jahren, dem sich die
rünen verpflichtet fühlten und zu dem gerade auch die
riedensbewegung der DDR unter der Losung „Schwer-
er zu Pflugscharen“ gehörte.
Wenn im Unionsantrag behauptet wird, der NATO-
oppelbeschluss habe das Ende des Warschauer Paktes
nd der Sowjetunion eingeleitet, dann muss ich sagen,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16079
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Winfried Nachtwei
dass das typisch Siegergeschichte ist. Diese Haltung
ignoriert die historischen Verdienste gerade der Frie-
dens- und der Bürgerbewegung in der DDR.
Mit Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer
Paktes verlor die NATO ihren Gegner und damit ihren
großen Auftrag und ihre Klammer. In der Umbruch-
phase war sie angesichts der damals auftretenden zentri-
fugalen Kräfte aber keineswegs sinnlos. Im Kernbereich
der Nationalstaaten, der militärischen Sicherheitspolitik
wirkte sie tatsächlich enorm integrierend und stabilisie-
rend. Sie wirkte faktisch einer drohenden Renationalisie-
rung der Sicherheitspolitik entgegen. Dialog und Koope-
rationsprozesse ab 1994, Programme wie Partnership for
Peace, Öffnung und Erweiterung waren nach meiner
Meinung die stille Hauptleistung der NATO.
Inzwischen bewährte sich die NATO bei Krisen- und
Stabilisierungseinsätzen auf dem Balkan und in Afgha-
nistan. Zusammengefasst bin ich tatsächlich froh, dass
sich viele unserer Warnungen nicht erfüllt haben. Aller-
dings besteht auch hier kein Grund zur Selbstzufrieden-
heit. Noch im März letzten Jahres zeigte sich im Kosovo,
dass auch die starke NATO-KFOR größte Mühen hatte,
ihren Auftrag zu erfüllen, und dass ihr viel zu lange ko-
sovo-albanische Gewalttäter auf der Nase herumtanzten.
Die gute Leistung der NATO im Rahmen von ISAF in
Afghanistan wird von der mangelhaften Bereitschaft vie-
ler Mitgliedstaaten überschattet, ihren großen Worten
zur PRT-Ausweitung entsprechende Taten folgen zu las-
sen. – So weit dieser Rückblick.
Nun zur NATO-Krise. Während und nach dem Irak-
krieg wurde offenkundig: Die Mitgliedstaaten der NATO
waren in der Kernfrage von Krieg und Frieden tief ge-
spalten und die NATO war damit tatsächlich in einer
massiven Krise. Im Unionsantrag vom April dieses Jah-
res wird dafür maßgeblich die Bundesregierung verant-
wortlich gemacht. Wie absurd dieser Vorwurf ist, zeigt
der Blick in den Unionsantrag vom 12. November 2002,
der im Vorfeld des Irakkrieges an die Bundesregierung
adressiert wurde und der heute auch abschließend zur
Abstimmung steht. Dort steht nämlich:
Der Vorwurf einer kriegerischen Abenteuerpolitik
… entbehrt … jeder Grundlage.
Aha, kann ich dazu nur sagen.
War der Irakkrieg etwa – so muss ich daraus schließen –
ein Musterbeispiel für Friedenspolitik und Abrüstungs-
politik?
Herr Kollege Nachtwei, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Nolting?
Nein, vom Kollegen Nolting nicht.
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Sie von der Union wissen selbst, dass der Irakkrieg
as Musterbeispiel eines illegitimen Krieges war. Da Sie
ies wissen, sollten Sie dies auch einmal sagen, damit
an dann in der Tat zu den jetzigen und künftigen He-
ausforderungen übergehen kann.
Die tatsächlichen Gründe der NATO-Krise liegen tie-
er. Ein erster Grund: Die NATO ist seit Jahren zugleich
nter- und überfordert. Sie ist unterfordert, weil es jetzt
icht mehr die große existenzielle und sichtbare Bedro-
ung gibt. Sie ist zugleich überfordert, weil der Großteil
er Risiken und Bedrohungen aus dem nichtmilitäri-
chen Bereich kommt.
Ein zweiter Grund: Seit dem Kosovokrieg stand im
ordergrund der NATO-Diskussionen und -Überlegun-
en die Diskussion über Fähigkeiten. Deutlich vernach-
ässigt wurde der strategische Dialog, die strategische
lärung – und das besonders auffällig nach dem 11. Sep-
ember, als zwar der Bündnisfall ausgerufen wurde, aber
ie NATO bei der Umsetzung von ISAF dann de facto
usgesperrt war, obwohl sie dazu sicherlich besonders
eeignet gewesen wäre.
Ein dritter Aspekt: Der amerikanische Verteidigungs-
inister vertrat ganz deutlich und knallhart die Devise:
ie Mission bestimmt die Koalition. Beim Irakkrieg
am es schließlich – man muss dies so nüchtern sagen –
u einem Bruch der transatlantischen Wertegemein-
chaft, nämlich zu einem Bruch im Hinblick auf die
chriftlich niedergelegte Achtung vor der UN-Charta. Es
am gerade bei der Bekämpfung des internationalen Ter-
orismus zu einem Bruch der Interessengemeinschaft
nd der Partnerschaft, weil in diesem Zusammenhang
chlichtweg mit Lüge und unerträglichem Druck gear-
eitet wurde.
Was sind die Perspektiven für die NATO in der
rise? Im Mittelpunkt der Diskussion der letzten Jahre
tand immer wieder der Aufbau der NATO-Response-
orce. Diese neue Fähigkeit ist unzweifelhaft wichtig.
ber Vorsicht vor einer Überbewertung! Denn eine
ATO-Response-Force kann einerseits schlichtes Pla-
ebo sein, indem dadurch die Illusion von eigener Kraft
nd Stärke gefördert wird. Andererseits aber könnten
onkrete Einsätze der NATO-Response-Force Knack-
unkt einer nächsten NATO-Krise werden. Deshalb sind
hier schließe ich an das an, was die meisten Vorredner
chon sagten; man kann es nicht deutlich genug beto-
en – der strategische Dialog und die strategische Ver-
tändigung im Bündnis wie auch transatlantisch drin-
end geboten und vordringlich.
Wenn der NATO-Generalsekretär in diesen Tagen
eststellt: „Wir müssen einfach anfangen, miteinander zu
eden“, dann ist das ein kollektives Armutszeugnis, dann
st das zu wenig. Im Hinblick auf die Normen des Bünd-
isses müssen Dialog und neuer Konsens notwendiger-
eise hergestellt werden. Unzweifelhaft muss sein, dass
16080 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
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Winfried Nachtwei
das Bündnis nur im Rahmen des Völkerrechts, der UN-
Charta, agiert. Die hochrangige Gruppe zur UN-Reform
hat in ihrem Bericht sehr gute Präzisierungsvorschläge
gemacht, die zum Verständnis der UN-Charta beitragen
sollen. Sie hat auch Vorschläge zu Kriterien für den Ein-
satz militärischer Gewalt gemacht.
Dieser Bericht ist auch auf einer zweiten Ebene sehr
hilfreich, nämlich auf der Ebene – sie wurde auch immer
wieder angesprochen – einer deutlichen, klaren Bedro-
hungsanalyse. Diese Bedrohungsanalyse des Bündnisses
darf nicht bei den Bedrohungen für die reichen Länder
des Nordens stehen bleiben; vielmehr muss sie die Be-
drohungen für internationale Sicherheit und Weltfrieden
insgesamt in den Blick nehmen.
Eine weitere Ebene sind der Auftrag und die Aufga-
ben der NATO. Es ist unverkennbar, dass der NATO-
Zuständigkeitsbereich inzwischen weit über den euro-
atlantischen Raum hinausreicht. Kann das jetzt im Um-
kehrschluss heißen: Wenn die NATO über diesen Raum
hinaus zuständig ist, dann ist sie auch weltweit zustän-
dig? Ich glaube, da ist Vorsicht geboten; denn eine
schlichtweg weltweite Rollenzuschreibung würde mei-
ner Meinung nach sehr schnell zu Überforderungen, zu
Überdehnungen führen.
Zu den Fähigkeiten der NATO. Die NATO-
Response-Force ist schon angesprochen worden. Es
reicht nicht, nur ihre Fähigkeiten und ihre Aufgaben zu
beschreiben. Hier ist vielmehr etwas notwendig, was im
Unionsantrag richtigerweise benannt ist, nämlich die ge-
nauere Beschreibung von Einsatzszenarien. Klar sein
muss aber auch: Die Masse der künftigen NATO-Ein-
sätze wird höchstwahrscheinlich im Bereich der Stabili-
sierung und Friedensunterstützung stattfinden. Hier
müssen wir feststellen, dass die Vorstellungen und die
Einsatzkonzepte vieler Mitgliedstaaten zurzeit noch sehr
weit auseinander gehen. Ich nenne als Beispiel die Pro-
vincial Reconstruction Teams in Afghanistan. Hier ist
angesichts der Hauptaufgabe der Stabilisierung zweierlei
notwendig: erstens die Förderung der inneren Kohärenz
in der NATO bei diesen Aufgaben und zweitens die zu-
nehmende Öffnung und das Einüben des Zusammenwir-
kens mit politischen, polizeilichen und wirtschaftlichen
Instrumenten von staatlichen und nichtstaatlichen Ak-
teuren.
Schließlich nenne ich noch die Ebene des Zusam-
menwirkens der NATO mit anderen internationalen
Zusammenschlüssen. Im Zusammenwirken mit der
Europäischen Union ist der Weg insgesamt richtig. Er
bewährt sich unter anderem schon in Bosnien-Herzego-
wina. Sie werden aber verstehen, dass ich hier nicht dem
Außenminister vorgreifen kann, der dazu gestern Abend
an anderer Stelle gesprochen hat.
– Er ist in Vilnius.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
olting das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-
ege Nachtwei, ich habe den Zuruf gemacht: Wo ist der
ußenminister? Er ist in Berlin und hat angeblich in-
erne Termine, welche auch immer.
ir sprechen heute aber über 50 Jahre deutscher NATO-
itgliedschaft. Ich denke, dass dieses Thema auch dem
errn Außenminister wichtig sein sollte. Denn die
ATO hat immerhin dazu beigetragen, dass wir 50 Jahre
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16081
)
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Günther Friedrich Nolting
des Friedens und – westlich der Elbe – auch der Freiheit
erleben durften. Ich denke, das ist Anlass genug, dass
der Außenminister an dieser Debatte teilnimmt.
Die NATO hat ehemalige Staaten des Warschauer
Paktes und der Sowjetunion aufgenommen. Es ist eine
Friedensregion der Zukunft entstanden, wie wir sie
ebenfalls noch nie erlebt haben. Ich denke, auch das ist
Anlass genug für die Anwesenheit des Außenministers.
Herr Kollege Nachtwei, Sie haben lang und breit vor-
getragen,
wie Sie sich einige Punkte, auch die Zukunft betreffend,
vorstellen. Ich würde mir wünschen, dass Sie dies auch
auf einem grünen Parteitag vortragen, damit Ihre Partei
auch in diesen Fragen zu einer Änderung ihrer Position
kommt.
Zur Erwiderung Kollege Nachtwei.
Kollege Nolting, erstens bin ich, wie Sie wissen, kein
Sprecher der Regierung. Ich bin ein loyales Mitglied der
Koalition. Da ich kein Regierungssprecher bin, kann ich
auch nicht zur derzeitigen Abwesenheit des Ministers
Stellung nehmen.
Zweitens. Was Ihre Unterstellung angeht, ich würde
hier – in diesem offensichtlich sehr privaten Raum –
positiv über NATO-Leistungen reden, aber im Zusam-
menhang mit den Grünen nicht, täuschen Sie sich. Ge-
nau das, was ich hier ausführe, stelle ich selbstverständ-
lich auch gegenüber den Grünen fest. Ich glaube, es
macht unsere Stärke aus, dass wir auch mit unserer eige-
nen Geschichte so umgehen, dass wir sie nicht um-
schminken, dass wir zu dem, was wir für richtig halten,
auch weiterhin stehen und dass wir auch das benennen,
mit dem wir – ich habe das selbst gesagt – glücklicher-
weise mit unseren Warnungen nicht Recht behalten ha-
ben. Gibt es etwas Besseres?
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von
der CDU/CSU-Fraktion.
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Was die Rede des Kollegen Nachtwei, die, wie ich an
en Gesichtern der Abgeordneten der Koalition gesehen
abe, bestenfalls für eine neue Nachdenklichkeit – hof-
entlich für keine neue Schläfrigkeit – gesorgt hat, be-
rifft, muss ich sagen: In der Tat kann man mit Winfried
achtwei über manches trefflich streiten. Seine Rede
nthielt manche Punkte, über die man diskutieren kann.
ber sie entsprach nicht dem, was grüne Politik aus-
acht.
Wer macht denn eigentlich Außenpolitik bei den Grü-
en in Abwesenheit von Joschka? Das scheint die nord-
hein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn über-
ommen zu haben.
enn sie äußert sich nun – das ist überliefert – zu Rüs-
ungsfragen und zu der Notwendigkeit der Entwicklung
es Luftabwehrsystems MEADS. Sie versucht, die Ent-
icklung dieses Systems zu verhindern, obwohl nach-
eislich keine Feldhamster davon betroffen sind. Dieses
ngagement soll wohl die Niederlage der Grünen vertu-
chen, die sie bei dem Versuch erlitten haben, mit der
erhinderung eines notwendigen militärischen Systems
ine Niederlage bei der kommenden Landtagswahl in
ordrhein-Westfalen zu verhindern.
enn der von Frau Höhn ausgehende geistige Tiefflug
eitergeht, dann werden wir nie zu einer Debatte mit
en verantwortlichen Persönlichkeiten der Bundesregie-
ung über die Außen- und Sicherheitspolitik sowie
0 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft kommen.
Schwerer als die Feldhamsterei von Frau Höhn wiegt
llerdings die lange Liste sicherheitspolitischer Ver-
äumnisse. Eine Linie der Verständnislosigkeit für die
ATO und die Bundeswehr zieht sich von der SPD der
0er-Jahre über die NATO-Austrittsfantasien eines
skar Lafontaine bis hin zu den „Seitensprüngen und
asardeurspielen“ der Bundesregierung Gerhard
chröder – wie am vergangenen Samstag die „Neue Zür-
her Zeitung“ dessen Außen- und Sicherheitspolitik be-
chrieben hat –, die sie gleichwohl vor dem Hintergrund
16082 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Christian Schmidt
innen- und wirtschaftspolitischen Versagens – so die
„Neue Zürcher Zeitung“ – als „strategische Neuausrüs-
tung“ und „deutschen Weg“ zu vermarkten versucht.
Tatsächlich hat die Bundesregierung bis heute die
NATO in keinen politischen Bezugsrahmen gestellt. Es
bleibt im Dunkeln, welche Rolle Gerhard Schröder und
Joschka Fischer der NATO als politisches und militäri-
sches Bündnis in der Wahrnehmung der Interessen der
Sicherheit unseres Landes eigentlich geben wollen. Seit
dem furiosen Einstieg des frühen Fischer 1998, als er zur
Verblüffung seiner damaligen Kollegen im NATO-Rat
gegen die Doktrin der flexiblen Antwort im Bedrohungs-
falle kämpfte und in einer Zweitauflage des Nachrüs-
tungsstreits der 80er-Jahre die Nuklearoption, die zu die-
sem Zeitpunkt schon deutlich an Bedeutung verloren
hatte, angriff, ist das Interesse an der NATO abhanden
gekommen.
Irgendwie hat man den Eindruck, dass im politischen
Kanon der Bundesregierung die NATO noch heute als
ideologische Kopfgeburt des Kalten Krieges angesehen
wird und dass die Chancen, die dieses Bündnis auch und
gerade unter den veränderten Bedingungen der Welt
nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes bietet, völlig
ignoriert werden.
Hinzu kommen müsste die Erkenntnis, dass Verläss-
lichkeit nicht Untertanentum bedeutet, sondern das Ge-
genteil von Sprunghaftigkeit ist.
Deswegen kann man nicht so einfach nebenbei ein eige-
nes europäisches militärisches Hauptquartier von vier
besonders befreundeten Ländern planen, wie dies
Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg vor
zwei Jahren auf dem zu trauriger Berühmtheit gelangten
„Pralinengipfel“ von Tervuren taten. Dieser Gipfel ist in-
zwischen in das Lehrbuch der Fehlschläge deutscher Di-
plomatie aufgenommen worden. Dieses Buch muss stän-
dig fortgeschrieben und neu aufgelegt werden, weil es
dauernd neue Kapitel gibt.
Bestehende europäische Strukturen wie das Eurokorps
spielten übrigens in der damaligen Diskussion überhaupt
keine Rolle. Man kann auch nicht im gleichen Jahr die so
genannten Berlin-Plus-Vereinbarungen, die das Zusam-
menspiel von NATO und EU im militärischen Bereich
gut regeln, aus europäischer Abgrenzungssucht faktisch
aushebeln wollen. Man kann nicht der NATO auf der Si-
cherheitskonferenz in München vorwerfen, sie sei nicht
mehr das primäre Feld politischer Entscheidungsfin-
dung, es aber gleichzeitig den Militärs überlassen, in ih-
rer Verantwortung eine letztendlich gemeinsame
NATO-Strategie für die Zeit nach dem 11. Septem-
ber 2001 zu suchen. Sie haben politisch nichts dazu bei-
getragen, diese beiden Strategien, also die der USA und
die der Europäer – Stichwort Solana-Papier –, zu ver-
knüpfen. Diese Verknüpfung ist die Arbeit, die geleistet
werden muss. Herr Schröder kann sie an keine Experten-
kommission delegieren.
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Das bekommt man nicht allein an Verhandlungstischen;
das muss auch durch militärische Fähigkeiten umgesetzt
werden können.
Wir wollen dazu keine europäische Gegenmacht, son-
dern eine gemeinsame strategische Ausrichtung Europas
und Amerikas im Rahmen der NATO. Nur dann kann
man ohne Schaden für das Bündnis für die eigenen Inte-
ressen politischen Spielraum gewinnen und dort, wo sich
amerikanische und europäische Interessen nicht treffen,
Entscheidungsfreiheit behalten.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zu den US-Truppen
in Europa. Ich bedauere, dass die Amerikaner zwei Di-
visionen aus Deutschland abziehen.
Ich kann nachvollziehen, dass die Kollegen im amerika-
nischen Kongress um den Erhalt ihrer Armeestandorte in
den USA kämpfen – das tun wir entsprechend bei uns –,
aber wir müssen schon eines sagen: NATO heißt, US-
Streitkräfte auch in Europa zu wollen und ihre Präsenz
für politisch und strategisch richtig zu halten.
Ein notwendiges Element gemeinsamer Verteidigungs-
und Aktionsfähigkeit ist gerade die Präsenz amerikani-
scher Kräfte in Europa. Deswegen appellieren wir an die
amerikanischen Entscheidungsträger, auch dies zu be-
rücksichtigen. Die Bundesregierung ist in der Pflicht,
diese Position nachhaltig darzustellen.
Wie viele Telefonverbindungen da zur Verfügung ste-
hen, weiß ich nicht. Angeblich hat der Bundeskanzler
nun wieder Kontakt mit Washington. Er sollte ihn nut-
zen.
Europa muss erhebliche Anstrengungen unterneh-
men, um seine militärischen Fähigkeiten, von denen ich
geredet habe, signifikant zu steigern und vor allem die
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Den Bundesregierungen von Konrad Adenauer bis
Helmut Schmidt gebührt in der Tat Dank und Anerken-
nung für strategische Weitsicht.
Dass 1989 die Mauer fiel, war auch ein Verdienst der
transatlantischen Partnerschaft, aber zugleich der Tatsa-
che geschuldet, dass mutige Politik die Spielräume zu
nutzen wagte, die dank militärischer Sicherheit durch die
NATO außenpolitisch erwuchsen. Die Ostpolitik Willy
Brandts hat zur Annäherung der gegnerischen Blöcke
und der beiden deutschen Staaten entscheidend beigetra-
gen und damit das Fundament für die spätere Wiederver-
einigung gelegt, die wir den Menschen in Polen, Ungarn
und Tschechien und vor allem in der damaligen DDR
verdanken.
Die Rolle der NATO hat sich mit dem Ende des Ost-
West-Konfliktes fundamental gewandelt. Ihre Bedeu-
tung ist jedoch nicht geringer geworden. Denn die
NATO ist mehr als ein Militärbündnis und mehr als eine
Verteidigungsallianz. Sie ist eine Gemeinschaft, die für
Freiheit und Demokratie einsteht, getragen von gemein-
samen Werten und weitgehend übereinstimmenden Inte-
ressen.
Deutschland und Europa haben von der nordatlanti-
schen Partnerschaft in besonderer Weise profitiert und
wir engagieren uns in besonderem Maße für die und in
der NATO und der Europäischen Union.
Die Entscheidung im Herbst 1998 war eine Zäsur in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum
ersten Mal zogen wir aus unserer leidvollen Geschichte
nicht die Konsequenz besonderer militärischer Zurück-
haltung, sondern die Konsequenz besonderer Verantwor-
tung für die Sicherung von Menschen- und Minderhei-
tenrechten auch mit militärischen Mitteln, wo andere
Mittel nicht ausreichen oder nicht zur Verfügung stehen.
Was Europa nicht schaffte, gelang mithilfe der
NATO: das Morden auf dem Balkan zu stoppen und die
Bedingungen für die Entwicklung von Freiheit und De-
mokratie zu schaffen.
Heute ist es die Annäherung an NATO und EU, die
der Entwicklung der Länder des westlichen Balkans Ziel
und Perspektive und damit den Menschen Hoffnung
gibt. In den mittel- und osteuropäischen Staaten war
die Kombination aus der Softpower der Europäischen
Union und dem Schutzversprechen der NATO so stark
und so attraktiv, dass sich Zivilgesellschaften und Staa-
ten auf den Weg der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
begeben haben. Das Maß an Vertrauen und der Grad der
Zusammenarbeit, die heute zwischen Staaten erreicht
wurden, die sich noch vor wenigen Jahren bis an die
Zähne bewaffnet feindlich und ängstlich gegenüberstan-
den, ist unglaublich. Die Europäische Union ist das
größte und erfolgreichste Friedensprojekt aller Zeiten.
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So bedrohlich die Blockkonfrontation des Kalten
rieges war, das „Gleichgewicht des Schreckens“ war in
ewissem Maße berechenbar. Heute sind wir mit ganz
euen, oft asymmetrischen Bedrohungen konfrontiert.
n der Peripherie Europas und in weiter entfernten Re-
ionen führen der zunehmende Verfall von staatlichen
trukturen, Bürgerkriege und das Auseinanderbrechen
on Staaten dazu, dass bewaffnete Gruppen und nicht-
taatliche Akteure immer weiter an Einfluss gewinnen.
ie Folgen sind Terrorismus, organisierte Kriminalität,
orruption sowie Menschen- und Drogenhandel.
In unserer globalisierten Welt sind dies nicht mehr re-
ional begrenzte Phänomene; sie gefährden in vielfälti-
er Weise auch die Sicherheit der internationalen Ge-
einschaft. Die Antwort darauf kann wie in Afghanistan
um Teil in militärischen Mitteln bestehen. Sie kann sich
edoch darauf in keinem Fall beschränken und sie muss
icht nur weit umfassender, sondern auch viel früher an-
etzen. Wir haben eine moralische Verpflichtung, Men-
chen in Not zu helfen. Gleichzeitig tragen wir damit zur
icherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bei.
Sicherheitspolitik muss nachhaltig sein und sie muss
mfassend sein. Nur so können wir gewaltsame Kon-
likte verhindern oder eindämmen und gesellschaftliche
trukturen nach einer Krise nachhaltig stabilisieren.
eutschland engagiert sich in diesem Sinne in vielfälti-
er Weise und weit über das Bündnisgebiet hinaus. Wir
nterstützen weltweit Demokratie und Rechtsstaatlich-
eit, die Achtung von Menschenrechten, sozialen Aus-
leich und den Schutz der natürlichen Lebensgrundla-
en.
Eine Energiepolitik, die erneuerbare Energien fördert
nd die Energieeffizienz steigert und damit die Abhän-
igkeit von Öl und Kernbrennstoffen verringert, ist zu-
leich ein Beitrag zum Frieden in der Welt. Der Kampf
egen Hunger und Armut, gegen Rechtlosigkeit und
usgrenzung ist auch ein Beitrag, der Entstehung von
ass und Gewalt den Boden zu entziehen. Ich möchte in
iesem Zusammenhang ausdrücklich die große Anteil-
ahme und Solidarität der Menschen in Deutschland her-
orheben. Sie haben etwa der verheerenden Flutkatastro-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16085
)
)
Staatsminister Hans Martin Bury
phe eine Woge der Solidarität entgegengesetzt. Wir
können stolz sein auf eine Gesellschaft, die in vielfälti-
gen Beiträgen, Projekten und Aktionen Tag für Tag be-
weist, dass Verantwortung keine nationalen Grenzen
kennt.
Deutsche Soldaten leisten auf dem Balkan oder in Af-
ghanistan in vorbildlicher Weise ihren Beitrag zum Auf-
bau und zur Entstehung aktiver Zivilgesellschaften. Kein
Land ist bei NATO-, aber auch bei EU-Operationen in
diesem Maße international mit Truppen präsent wie
Deutschland.
All diese Facetten, die heute Bestandteil einer sicher-
heitspolitischen Debatte sind und sein müssen, unter-
streichen die Notwendigkeit einer Intensivierung und
Verbreiterung des transatlantischen Dialogs. Es ist
bedauerlich, aber wahr, dass die NATO heute nicht im-
mer in ausreichendem Maße der Ort für die notwendigen
politischen Verständigungen ist. Es ist erfreulich, aber
nicht ohne Konsequenz, dass die EU ihrerseits den Weg
der Zusammenarbeit auch und gerade im Bereich der
Außen- und Sicherheitspolitik nach den Schwierigkeiten
der vergangenen Jahre mit umso größerer Entschlossen-
heit begeht.
Die gleichen Kritiker, die eine Debatte über eine Re-
form der NATO für falsch oder gar gefährlich hielten,
spotteten 2003 über die von Frankreich, Belgien, Lu-
xemburg und Deutschland entwickelte Idee einer ver-
stärkten Zusammenarbeit in der Europäischen Sicher-
heits- und Verteidigungspolitik. Der Kollege Schmidt
hat wieder das Wort vom „Pralinengipfel“ gebraucht.
Ausgerechnet diejenigen, die sonst stets eine Abstim-
mung mit großen und kleineren Partnern in der EU for-
dern, machen diese nun zum Ansatzpunkt für billige Kri-
tik – eine Kritik allerdings, um die es insgesamt recht
still geworden ist, denn die EU hat unsere Idee aufge-
griffen
und die Grundlagen für eine Europäische Sicherheits-
und Verteidigungspolitik geschaffen, die es uns ermögli-
chen soll, auch selbstständig militärische Verantwortung
wahrzunehmen, wenn andere Partner sich nicht beteili-
gen wollen oder können. Diese Option ist auch und ge-
rade dann von Bedeutung, wenn man bereit und in der
Lage ist, eine Beteiligung abzulehnen, weil man im Ein-
zelfall von der Richtigkeit militärischen Vorgehens nicht
überzeugt ist.
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik ist jedoch keine Alternative zur NATO, erst recht
kein Ersatz. Wir stärken damit den europäischen Pfeiler
der Brücke über den Atlantik, militärisch und politisch.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre NATO
ind für uns Anlass zu Dankbarkeit und Selbstbewusst-
ein und Auftrag, die Zukunft in einer handlungsfähigen
uropäischen Union und einer vertrauensvollen transat-
antischen Partnerschaft aktiv zu gestalten.
Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach die-
er engagierten Festrede vonseiten der Bundesregierung,
err Staatsminister,
öchte ich an einen Ausspruch erinnern, der nach dem
nde des Kalten Krieges oft zu hören war: Wir seien
etzt nur noch von Freunden umzingelt,
16086 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Ruprecht Polenz
wozu dann noch die NATO? Diese Kurzschlussformel
war nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in
Mittel- und Osteuropa und dem Ende des Kalten Krieges
oft zu hören.
Als damals der Warschauer Pakt aufgelöst wurde,
wurde auch von Ihrer Seite die Frage gestellt, warum
man nicht auch die NATO auflöst.
Das hat zu Beginn der 90er-Jahre nicht nur die PDS ge-
fordert, sondern auch mancher aus den Reihen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen.
– So ist es; Herr Ströbele erinnert sich. – Aber die Polen,
Ungarn, Tschechen und Slowaken wollten partout Mit-
glied in dem von vielen von Ihnen für überflüssig gehal-
tenen Verteidigungsbündnis werden. Damit hatten Sie
nicht gerechnet.
Im Grunde hat Sie erst der dringende Wunsch der Po-
len, Ungarn, Tschechen und Slowaken nach einer Mit-
gliedschaft in der NATO dazu gebracht, deutsche und
europäische Sicherheit künftig nicht, wie Sie es zunächst
vorhatten, der OSZE zu überantworten. Heute wissen
auch Sie, wie gut es ist, dass wir die NATO haben und
dass wir sie auch im 21. Jahrhundert als Garanten unse-
rer äußeren Sicherheit brauchen.
Wenn man von den Verrenkungen, die Winfried
Nachtwei im Hinblick auf die Zeit der Demonstrationen
gegen den NATO-Doppelbeschluss pflichtgemäß ma-
chen musste
– denn er möchte sich auf dem nächsten Parteitag von
Bündnis 90/Die Grünen Gehör verschaffen –, absieht,
hat seine Rede gezeigt: Im Grunde weiß heute jeder in
diesem Hause, dass wir die NATO als Garanten unserer
äußeren Sicherheit brauchen.
Deshalb muss sich die NATO den neuen Bedrohungen
unserer Sicherheit und den sich daraus ergebenden Her-
ausforderungen stellen.
Die Region des Persischen Golfs, Herr Kollege
Weisskirchen, wird für die euroatlantische Sicherheit im-
mer wichtiger. Die wahrscheinlichsten Bedrohungen
durch Terrorismus und die Weiterverbreitung von Mas-
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Die Istanbuler Kooperationsinitiative bietet ein breit
efächertes Instrumentarium an, um interessierten Län-
ern dabei zu helfen, ihren Sicherheitsbedürfnissen auf
ine Weise zu entsprechen, die weiteres Wettrüsten in
er Region verhindert. Deshalb ist zu überlegen, die
stanbuler Initiative durch eine Klausel ähnlich der in
em Programm „Partnerschaft für den Frieden“ zu er-
änzen, nach der Konsultationen mit der NATO für den
all vorgesehen werden, dass sich ein ICI-Partner in sei-
er Sicherheit bedroht fühlt. Das würde zusätzliche Si-
herheit gewährleisten.
Mittel- und längerfristig sollte die NATO den Staaten
er Golfregion dabei helfen, neue Mechanismen kollek-
iver Sicherheit zu etablieren. Solche vertrauensbilden-
en Maßnahmen können zu neuen Sicherheitsstrukturen
n der Region des Persischen Golfs führen, in die dann
uch andere Staaten der Region einbezogen werden
önnten. Diese politischen Anstrengungen der NATO
ollten eine Politik der EU flankieren, mit der wir innere
eformprozesse und wirtschaftlichen und demokrati-
chen Wandel in den Ländern der Region behutsam und
eharrlich unterstützen. Auch wenn Übereinkommen
ollektiver Sicherheit nur schrittweise und nur über ei-
en längeren Zeitraum hin erreicht werden können, ist es
rotzdem notwendig, alles daranzusetzen, in dieser span-
ungsgeladenen Region, die für Europa, für die USA
nd für die ganze Welt so wichtig ist, dorthin zu kom-
en. Übrigens haben Staaten der Region auch umge-
ehrt bereits zur euroatlantischen Sicherheit beigetragen,
twa im gemeinsamen Kampf gegen den internationalen
errorismus.
Meine Damen und Herren, es muss die NATO auch
ümmern, was im Iran geschieht; ich kann dieser Fest-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16087
)
)
Ruprecht Polenz
stellung des NATO-Generalsekretärs, zu lesen in einem
Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“, nur zustim-
men.
Der NATO-Rat sollte Iran auf seine Tagesordnung set-
zen. Die NATO könnte die Plattform abgeben, auf der
eine in erster Linie diplomatische Strategie abgestimmt
wird: Erstens. Wie kann man Iran überzeugen, Kern-
energie nur zu friedlichen Zwecken zu nutzen? Wie kann
dies objektiv, dauerhaft und kontrolliert garantiert wer-
den? Zweitens. Wie kann man die politische Isolation
Irans beenden? Drittens. Wie kann man das Land in ei-
nen regionalen Sicherheitsdialog einbeziehen? Diese
Punkte gehören auf die Tagesordnung des NATO-Rates.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass es gelingen
wird, Iran dauerhaft zur Befolgung der Verpflichtungen
aus dem Atomwaffensperrvertrag anzuhalten, wenn die
Europäer und die USA dieses Ziel im Rahmen einer ge-
meinsamen Strategie verfolgen. Und wo sollten Euro-
päer und Amerikaner über solche für unsere transatlanti-
sche Sicherheit so entscheidenden Fragen sprechen,
wenn nicht in der NATO?
Die NATO ist und bleibt das Verteidigungsbündnis,
dem wir aus guten Gründen auch im 21. Jahrhundert un-
sere Sicherheit, den Frieden und die Freiheit anvertrauen
können. Weil die NATO ein Bündnis auf Gegenseitigkeit
ist, muss Deutschland auch zum Bündnis beitragen –
nach seiner Größe und Leistungsfähigkeit und nach der
Bedeutung, die wir wahrnehmen wollen. Dafür braucht
die Politik nicht zuletzt angesichts knapper Kassen auch
die Unterstützung der Öffentlichkeit. Dafür arbeitet, mit
tatkräftiger Unterstützung aus allen Fraktionen sowie der
Bundesregierung, auch die Deutsche Atlantische
Gesellschaft. Ich möchte diese Debatte zu 50 Jahren
deutscher NATO-Mitgliedschaft deshalb auch zum An-
lass nehmen, mich dafür bei der Bundesregierung, bei
meinen Kolleginnen und Kollegen und vor allem bei den
über 3500 Mitgliedern der Deutschen Atlantischen Ge-
sellschaft zu bedanken, die in 29 Arbeitskreisen überall
in Deutschland vertreten sind, die sich beständig und im-
mer wieder an der sicherheitspolitischen Debatte in
Deutschland beteiligen und für die Aufgaben und Ziele
der NATO im 21. Jahrhundert einsetzen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Arnold von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen!
Die Bundeswehr war und ist fest integriert in die militä-
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0 Jahre NATO-Mitgliedschaft haben die deutsche Au-
en- und Sicherheitspolitik geprägt, ebenso das innere
efüge der Bundeswehr: Sie war und ist von vornherein
ur darauf ausgerichtet, zusammen mit anderen Bünd-
ispartnern – und nicht alleine – die äußere Sicherheit
nseres Landes zu wahren. Natürlich sind die 50 Jahre
uch Anlass zum Feiern.
Der Antrag der Union ist eine Gelegenheit zur De-
atte. Wenn Sie dann allerdings statt Festreden Reden
alten, die eher rückwärts gerichtet sind,
abe ich meine Bedenken. Das Zweite – die Kollegen des
erteidigungsausschusses wissen das –: Es wird auch ei-
en offiziellen Anlass zum Feiern geben: Das 50-jährige
ubiläum der Bundeswehr wird im Herbst mit vielen
eranstaltungen – unter anderem einer großen hier – be-
angen. Auch durch die Personen, die dort auftreten,
ird sehr deutlich sichtbar werden, dass das Jubiläum
er Bundeswehr und das Jubiläum der NATO nicht ge-
rennt voneinander gefeiert werden, sondern unmittelbar
iteinander verknüpft sind. Hier besteht also kein An-
ass zu Kritik.
In all diesen 50 Jahren hat sich die NATO als fähig er-
iesen, den sicherheitspolitischen Herausforderungen
ährend des Kalten Krieges wirkungsvoll zu begegnen.
ie hat sich nach 1989 dieser veränderten Welt ange-
asst. Die NATO befindet sich mitten in ihrer eigenen
ransformation. Sie ist dabei, sich auch politisch neu
u justieren. Das zeigt, dass sich manche, die Zweifel
aran hatten, dass die NATO diesen Wandel schafft, ir-
en. Die NATO bleibt ein sehr lebendiges Bündnis. Eines
and ich immer ganz spannend: Bei allem Dissens mit
en Vereinigten Staaten in der Frage des Irakkrieges
Sie haben das heute wieder angesprochen; es war nicht
nders zu erwarten – hatte der politische Streit nie Aus-
irkungen auf das innere, funktionale Gefüge der
ATO. Operativ hat alles nach wie vor ohne Probleme
ehr gut zusammengearbeitet und gepasst.
Wer sich Ihren Antrag anschaut, dem wird sehr
chnell klar, dass es Ihnen letztlich nicht um die Würdi-
ung der NATO, sondern sicherlich ein Stück weit vor-
ergründig darum geht, mit dem Finger auf diese Koali-
ion zu zeigen. Ihre Argumente sind allerdings sehr
ünn.
assen Sie mich das deshalb noch einmal in Erinnerung
ufen.
16088 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Rainer Arnold
Deutschland gehört bei NATO-Missionen zu den
größten Truppenstellern innerhalb des Bündnisses. Das
betrifft den Balkan, Afghanistan und auch manche an-
dere kleine Aufgaben, die die NATO in ihrer Geschichte
erfüllt hat. Sie vergessen dabei auch: Der Wandel der
NATO, den wir mit der Bundeswehr in einem parallelen
Prozess mitmachen, wird von einem sozialdemokrati-
schen Minister mitgestaltet. Dieser Wandel bedeutet
gleichzeitig ein Stück weit die Auflösung eines Re-
formstaus, den wir 1998 vorgefunden haben. Wir haben
damit begonnen, die Bundeswehr diesen neuen Aufga-
ben anzupassen. Wann werden Sie endlich verstehen,
dass sich die Bundeswehr und die Bundesregierung bei
ihren NATO-Engagements nicht verstecken müssen?
Gestern war eine ganze Reihe Kolleginnen und Kolle-
gen Verteidigungspolitiker bei den großen Manövern,
die an verschiedenen Stellen in Deutschland stattgefun-
den haben. 25 Partner waren daran beteiligt. Jeder
konnte dort sehen, dass die Bundeswehr von der Ausbil-
dung der Soldaten über die Motivation der Soldaten bis
hin zum Gerät, das dort in aller Breite vorgeführt wurde,
hervorragend auf diese zukünftigen Aufgaben vorberei-
tet ist. Jeder von Ihnen, der in den Einsatzgebieten mit
Soldaten und Politikern der NATO-Partner redet, merkt
doch auch, dass die deutschen Soldaten dort einen außer-
ordentlich großen Respekt für ihren Einsatz erhalten. Ich
sage ausdrücklich: Unsere ganze Gesellschaft und auch
wir Parlamentarier können stolz auf die Arbeit der deut-
schen Soldaten in den Einsatzgebieten sein.
Nein, in Ihrem Antrag fehlt wirklich eine kontinuierli-
che, konsistente Linie. Sie schreiben zum Beispiel:
Die Mitgliedschaft beruht auf der Freiwilligkeit und
der Unabhängigkeit ihrer Mitglieder.
Ein paar Zeilen später, wo Sie über den Irakkrieg reden,
hört sich das bei Ihnen bereits ganz anders an. Mit Ihrer
Eingangsformulierung haben Sie aber in der Tat Recht.
Vielleicht haben Ihre Arbeitsgruppen, die den Antrag
formuliert haben, nicht ausreichend kooperiert. Diesen
Eindruck gewinnt man an verschiedenen Stellen in Ih-
rem Papier.
Es ist in der Tat so: In der NATO herrschen nicht Be-
fehl und Gehorsam. Gerade als politisches Bündnis hat
die NATO ihre Entscheidungen im Konsens zu treffen.
Die Mitgliedstaaten bringen ihre Interessen und ihre Po-
sitionen selbstständig ein. Vielleicht musste der eine
oder andere NATO-Partner hier auch ein wenig dazuler-
nen, dass Deutschland, das in vielen Jahren NATO-Part-
nerschaft aufgrund seiner besonderen historischen Ver-
antwortung und seiner Position als Nahtstelle während
des Kalten Krieges – die Grenze ging quer durch
Deutschland – eine ein Stück weit besondere Rolle hatte,
jetzt plötzlich begonnen hat, seine Pflichten in der
NATO wie alle anderen NATO-Partner auch entspre-
chend seinem ökonomischen Gewicht und seiner Größe
zu erfüllen. Der eine oder andere NATO-Partner musste
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In Ihrem Antrag gehen Sie in einem anderen Zusam-
enhang auf die Rede des Bundeskanzlers in Mün-
hen ein. Es ist interessant, sich das genauer anzusehen.
n der einen Stelle heißt es, dass man sich mit dem Be-
icht des Rates Hoher Experten zur Reform der Verein-
en Nationen vom Dezember 2004 eingehend auseinan-
er setzen sollte und daraus Konsequenzen für das
andeln der NATO gezogen werden sollten. Gleichzei-
ig kritisieren Sie den Bundeskanzler, der genau das tut,
as Sie in Ihrem Antrag formulieren. Ich denke, er hat
it seiner Rede in München, in der er ausführte, dass
ieser politische Prozess und dieser Diskurs in der
ATO geführt werden muss und dass es hier Defizite
ibt, ins Schwarze getroffen.
Wir sollten selbstkritisch sagen: Wenn in der NATO
ur über Fähigkeiten, Fähigkeiten und noch einmal Fä-
igkeiten – wie der alte Sekretär sagte – geredet wird,
icht aber die politischen Veränderungen und die Neu-
ustierung der NATO berücksichtigt werden, und wenn
ir Europäer nicht in der Lage sind, dieses inhaltliche
efizit mit einer gemeinsamen europäischen Position
usreichend zu füllen, dann gehöre ich nicht zu denen,
ie sich darüber beklagen, dass die Vereinigten Staaten
ieses Defizit ausfüllen. Deshalb hatte der Bundeskanz-
er in vielerlei Hinsicht Recht: Wir müssen diese politi-
che, inhaltliche und strukturelle Debatte über die Zu-
unft, die Aufgaben und Fähigkeiten der NATO
iteinander führen.
Lassen Sie mich noch etwas zu den von Herrn
chmidt angesprochenen Fähigkeiten sagen. Herr
chmidt, alle europäischen Partner in der NATO haben
rkannt – es gibt dazu auch eine Reihe von Beschlüs-
en –, dass wir mehr tun müssen, um unsere Lücken auf-
ufüllen. Aber alle Staaten leiden unter knappen Haus-
alten. Deshalb kann es nur eine Antwort geben – eine
rhöhung der Etats ist nicht realistisch –: Den Europäern
uss es gelingen, die knappen Mittel einfach besser zu
ündeln. Das knappe Geld muss intelligenter ausgege-
en werden. Es darf nicht sein, dass jedes Land selbst
ntwicklungsarbeit leistet, obwohl es nicht ausreichend
orschungsgelder bereitstellen kann, und später nur
leine Stückzahlen beschafft. Auch hier ist der Transfor-
ationsprozess der NATO und, daraus resultierend, der
uropäischen Union mit der Einrichtung der Agentur
ür Fähigkeiten – die Deutschen waren an der Aus-
rbeitung dieser Idee maßgeblich beteiligt – auf einem
ichtigen Weg. Das ist notwendig; denn es wird die ein-
ige Chance sein, technologisch so zu arbeiten, dass die
uropäer den Beitrag, den sie leisten wollen und müs-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16089
)
)
Rainer Arnold
sen, auch tatsächlich leisten. Das wird nur gemeinsam
gehen.
Ich möchte am Schluss noch einen Gedanken von
Herrn Polenz aufnehmen, weil ich finde, dass er im Ge-
gensatz zu den Vorrednern aus der Union ein Stück weit
nach vorne gedacht hat. Die Überlegung, welche Verant-
wortung die NATO am Golf, also im Nahen und Mittle-
ren Osten, hat, ist sehr spannend. Eines müssen wir aber
ehrlicherweise hinzufügen: Die NATO kann hier nur
wirksam werden, wenn sie gegenüber neuen Partnern of-
fen ist. Letztlich wird ihr Erfolg davon abhängen, ob sie
in dieser Region bei den schwierigen Konflikten als fai-
rer Mittler wahrgenommen wird.
Dieser faire Mittler zu sein wird möglicherweise durch
die Position des NATO-Partners Vereinigte Staaten nicht
unbedingt ganz einfach sein. Diesen Konflikt müssen
wir miteinander auflösen und diesen Diskurs mit den
Vereinigten Staaten führen. Nur dann wird dies ein er-
folgreiches Projekt werden können.
Alles in allem war die NATO für unsere Gesellschaft
und unser Land wirklich der Garant dafür, dass meine
Generation – das war für meinen Vater und meinen
Großvater eben nicht selbstverständlich – in Frieden auf-
wachsen konnte. Deutschland wird auch in Zukunft mit
der gewachsenen Verantwortung seinen Beitrag für Si-
cherheit, Stabilität und Frieden in vielen Teilen der Welt,
in denen Menschen nicht das Glück haben, so groß zu
werden, wie dies heute hier möglich ist, leisten.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 15/324 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Die NATO auf die neuen Gefahren aus-
richten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/44 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei Stimmenthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/5323 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 g sowie
die Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf:
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes
zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
– Drucksache 15/5316 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kon-
trolle hochradioaktiver Strahlenquellen
– Drucksache 15/5284 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich , Eberhard Otto (Godern),
Joachim Günther , weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Weitere Monopolisierung im Schienengüter-
verkehr stoppen
– Drucksache 15/4947 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich , Birgit Homburger, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Ausbau der Schienenmagistrale Paris–Karls-
ruhe–Stuttgart–München–Budapest
– Drucksache 15/5041 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich , Eberhard Otto (Godern),
Joachim Günther , weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Logistikstandort Deutschland stärken
– Drucksache 15/5044 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Einwilligung gemäß § 12 Abs. 3 des Hochschul-
bauförderungsgesetzes in die Verwendung von
Bundesmitteln für die Gemeinschaftsaufgabe
Hochschulbau für die gemeinsame
16090 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Forschungsförderung nach Art. 91 b des
Grundgesetzes
– Drucksache 15/5170 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
g) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsi-
cherung abschließen
– Drucksache 15/5342 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 6 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes und anderer stra-
ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 15/5315 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Anspruchs- und Anwartschafts-
überführungsgesetzes
– Drucksache 15/5314 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Arnold
Vaatz, Ulrich Adam, Günter Baumann, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Strafrechtlichen Rehabilitierungs-
gesetzes
– Drucksache 15/5319 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 j auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
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1)
Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
mpfehlung auf Drucksache 15/5365, den Gesetzent-
urf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
iejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
m das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
en? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
en Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/
SU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und
er Kollegin Pau angenommen.
Dritte Beratung
nd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
esetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
egenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
st mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Anlage 2
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16091
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
zur Änderung des Finanz- und Personalstatis-
tikgesetzes sowie des Hochschulstatistikgeset-
zes
– Drucksache 15/5215 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 15/5366 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jörg-Otto Spiller
Elke Wülfing
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 15/5366, den Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU, der
FDP und der Kollegin Pau angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Jochen Borchert, Dr. Ralf
Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesre-
gierung
Zukunft sichern – Globale Armut bekämpfen
– Drucksachen 15/923, 15/1190 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Kortmann
Dr. Christian Ruck
Thilo Hoppe
Markus Löning
Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag
auf Drucksache 15/923 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen
der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Frak-
tion angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung
zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß
, Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf
c
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– Drucksache 15/5245 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Dieter Wiefelspütz
Peter Altmaier
Volker Beck
Jörg van Essen
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
enstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
ng ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegen-
timme der Kollegin Pau angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
tionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 25 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 197 zu Petitionen
– Drucksache 15/5260 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
ält sich? – Sammelübersicht 197 ist einstimmig ange-
ommen.
Tagesordnungspunkt 25 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 198 zu Petitionen
– Drucksache 15/5261 –
Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? –
ammelübersicht 198 ist einstimmig angenommen.
16092 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt 25 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 199 zu Petitionen
– Drucksache 15/5262 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 199 ist einstimmig ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 25 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 200 zu Petitionen
– Drucksache 15/5263 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 200 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/
CSU- und FDP-Fraktion angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Ver-
mittlungsausschusses. Nach einer interfraktionellen
Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Be-
ratung von drei Beschlussempfehlungen des Vermitt-
lungsausschusses erweitert werden. Diese Punkte sollen
jetzt gleich als Zusatzpunkte 13 a bis 13 c aufgerufen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist so beschlossen.
Zusatzpunkt 13 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
Änderung des Seemannsgesetzes und anderer
Gesetze
– Drucksachen 15/4638, 15/4744, 15/4923, 15/5344 –
Berichterstatter im Bundestag:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Berichterstatter im Bundesrat:
Minister Jochen Dieckmann
Mir ist mitgeteilt worden, dass das Wort zur Bericht-
erstattung und zur Erklärung nicht gewünscht wird. Der
Herr Kollege Stiegler hat allerdings eine Erklärung zu
Protokoll gegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Dies
gilt auch für die nachfolgende Beschlussempfehlung.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 15/5344? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen.
Zusatzpunkt 13 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
(C
rung des Apothekengesetzes
– Drucksachen 15/4293, 15/4643, 15/4749,
15/4916, 15/4920, 15/5345 –
Berichterstatter im Bundestag:
Abgeordneter Wolfgang Meckelburg
Berichterstatter im Bundesrat:
Minister Rudolf Köberle
Wir kommen gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für
ie Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
uf Drucksache 15/5345? – Gegenstimmen? – Enthal-
ungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-
enommen.
Zusatzpunkt 13 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
bestimmter Altforderungen (Altforderungsre-
gelungsgesetz – AFRG)
– Drucksachen 15/4640, 15/4963, 15/5177,
15/5346 –
Berichterstatter im Bundestag:
Abgeordneter Werner Kuhn
Berichterstatter im Bundesrat:
Staatsminister Geert Mackenroth
Wir kommen wiederum gleich zur Abstimmung. Wer
timmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
usschusses auf Drucksache 15/5346? – Wer stimmt da-
egen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
st mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
DU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion
ngenommen.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zu aktuellen
Äußerungen der SPD-Fraktions- und -Partei-
spitze zu Wirtschaftsinvestitionen in Deutsch-
land
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
edner für die antragstellende Fraktion dem Kollegen
r. Guido Westerwelle von der FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
en! Diese Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag ist
otwendig, damit von uns, vom Deutschen Bundestag,
as Signal an die Investoren im In- und Ausland ausgeht:
er Deutsche Bundestag begrüßt Investitionen in
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16093
)
Dr. Guido Westerwelle
Deutschland, er will Investoren in Deutschland und er
beschimpft sie nicht so, wie Sie, Herr Kollege
Müntefering, das getan haben.
Die Freien Demokraten haben diese Aktuelle Stunde
beantragt, weil sie aus unserer Sicht vor allen Dingen
auch einen Strategiewechsel in der Politik – nicht nur der
Sozialdemokraten, sondern auch der Bundesregierung –
betrifft. Das Bemerkenswerte ist, dass Ihr Heuschre-
ckenvergleich, Herr Müntefering, mittlerweile auch den
Beifall des Bundeskanzlers und des nordrhein-westfäli-
schen Ministerpräsidenten gefunden hat. Auch der Wirt-
schaftsminister stößt inzwischen in das gleiche Horn.
Ein Wirtschaftsminister, der Investoren vor einer solchen
pauschalen Kritik nicht in Schutz nimmt, sondern zu-
lässt, dass sie beschimpft werden, und sie dadurch ab-
schreckt, erfüllt nicht sein Amt.
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Wir
wollen Arbeitsplätze schaffen. Wer Arbeitsplätze schaf-
fen will, weiß, dass das nur über Investitionen geht. In-
vestitionen werden aber nicht in Deutschland getätigt,
wenn man die Investoren mit Heuschreckenvergleichen
überzieht und sie als biblische Plage bezeichnet. Investo-
ren kommen nur nach Deutschland, wenn es ein ver-
nünftiges, wirtschaftsfreundliches Klima gibt.
Unsere Politik schafft Arbeitsplätze, Ihre Politik soll
Stimmungen schaffen, und zwar auf Kosten von Arbeits-
plätzen. Das ist der feine Unterschied.
Herr Müntefering, der Vergleich mit den Heuschre-
cken ist übrigens bemerkenswert. Zunächst einmal: Heu-
schrecken sind grün, Herr Müntefering.
Das wollen wir einmal festhalten; das ist eine wichtige
Erkenntnis. Auch ideologisch passt ja Ihr Bild überhaupt
nicht.
Die einzige Heuschreckenplage, die über Deutschland
herzieht, sind die Grünen, die mit ihrer investitionsfeind-
lichen Politik Arbeitsplätze vernichten.
Wir haben im letzten Jahr 40 000 Insolvenzen erlebt;
wir haben eine Staatsquote von rund 50 Prozent. Das ist
die Lage in Deutschland. Wenn man in einem Land, das
eine Staatsquote von 50 Prozent hat, allen Ernstes
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ir haben 5,2 Millionen Arbeitslose. Das ist das Ergeb-
is Ihrer Politik. Das ist das Ergebnis von schlechten
ahmenbedingungen für Investoren und Investitionen in
iesem Land. Deutschland hat nur dann eine Chance,
enn wir dafür sorgen, dass in Deutschland investiert
ird.
Das reiht sich in eine Serie ein: Sie sagen, die Investo-
en seien eine Art Heuschreckenplage. Es ist übrigens
nteressant, dass der Bundeskanzler bei jeder Auslands-
eise gar nicht genug von diesen Heuschrecken in der
egierungsmaschine mitnehmen kann.
ber Frau Kollegin Vogt setzt noch eins drauf: Sie ruft
ls Mitglied der Bundesregierung und stellvertretende
hefin der SPD zu einem Boykott gegen entsprechende
nternehmen auf. In einer Zeit, in der wir ohnehin einen
roßen Nachfragestau haben und in der wir ohnehin zu
enig Konsum in Deutschland haben, zu einem Boykott
on Unternehmen aufzurufen vergrößert die Arbeitslo-
igkeit.
Keiner Ihrer Sätze schafft auch nur einen Arbeits-
latz. Arbeitsplätze werden nicht von Ihnen geschaffen,
ondern von Investoren und Menschen, die bereit sind,
in persönliches Risiko zu übernehmen. Diese Risikobe-
eitschaft gehört in Deutschland belohnt und nicht be-
chimpft.
Sie sind der Überzeugung, Sie hätten alles getan. Sie
ind der Meinung, jetzt sei es Aufgabe der Wirtschaft, zu
andeln, weil Sie Ihre Hausaufgaben gemacht hätten.
atsache ist aber, dass Sie Ihre Hausaufgaben nicht ge-
acht haben. Die Steuern sind eben nicht gesenkt,
ondern durch die Einführung der Ökosteuer noch erhöht
orden. Die Steuer- und Abgabenlast ist in diesem
)
16094 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Guido Westerwelle
Lande gestiegen. Die Staatsquote bekommen Sie nicht in
den Griff und die Bürokratie wird weiter ausgebaut.
Wenn Sie weiterhin so schlechte Rahmenbedingun-
gen für Investitionen in Deutschland schaffen und zulas-
sen, dann tragen Sie die Verantwortung dafür, dass in
Deutschland die Arbeitslosigkeit nicht richtig bekämpft
werden kann. Herr Müntefering, Sie mögen mit dieser
Rede Stimmungen schaffen wollen; Sie mögen mit die-
ser Rede den Arbeitsplatz von Herrn Steinbrück retten
wollen.
Aber Sie riskieren mit einer solchen Geisteshaltung den
Arbeitsplatz von vielen Tausend Menschen.
Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD,
Franz Müntefering.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich lasse alle absichtlichen Missverständnisse und klein-
karierten Unterstellungen beiseite und spreche zur Sa-
che.
Kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland ha-
ben erhebliche Probleme, von ihren Banken und Spar-
kassen Kredite für ihre Investitionen zu bekommen.
Deshalb expandieren sie nicht, deshalb schrumpfen sie.
Arbeitnehmer werden entlassen und durch ausländische
Scheinselbstständige ersetzt, die für den halben Lohn ar-
beiten müssen. Unternehmen siedeln wegen weniger
Prozente mehr Gewinn ins Ausland um und lassen ihre
Arbeitnehmer mit ihren Familien im Stich. Rund 15 Pro-
zent unseres Bruttoinlandsprodukts werden illegal und in
Schwarzarbeit erwirtschaftet. Das sind 250 bis 350 Mil-
liarden Euro pro Jahr.
Die ehrlichen Unternehmen sind die Dummen.
Kleinen Unternehmen werden ihre Innovationen abge-
rungen und zur Produktion ins Ausland verkauft.
Eine große deutsche Bank hat eine Eigenkapitalren-
dite von 16,7 Prozent vor Steuern. Sie verkündet exorbi-
tante Gewinne, fordert 25 Prozent Kapitalrendite und
kündigt an, dass 6 000 Menschen entlassen werden. Ma-
nagergehälter steigen ins Unermessliche und werden ge-
heim gehalten. Großes Geld mit kurzfristigem Profitinte-
resse kauft sich hier ein und beutet Unternehmen in
knappen Zyklen aus. Siemens-Nixdorf, Klöckner und
Duales System darf man wohl nennen. Das alles hat mit
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a geht es um den Vorteil weniger und um Lasten für
iele. Das ist marktradikal und asozial.
Das lässt uns Sozialdemokraten nicht kalt. Darüber
abe ich gesprochen und festgestellt: Die meisten Unter-
ehmen in Deutschland wissen, sie sind ihrem Unterneh-
en, ihren Arbeitnehmern und dem Standort verpflich-
et.
ie haben unsere Unterstützung. Kein Unternehmer, der
o denkt und handelt, stößt mit seinen Sorgen bei uns auf
aube Ohren.
Aber die oben beschriebenen Wahrheiten gibt es
uch. Diese Missstände nehmen zu, bei uns und interna-
ional. Das darf man nicht verschweigen und das darf
an nicht billigend in Kauf nehmen – im Interesse der
rbeitnehmer, des sozialen Friedens und der Demokra-
ie. Wir wollen soziale Marktwirtschaft in Deutschland.
Soziale Marktwirtschaft – das ist wichtig – ist voll
ettbewerbsfähig in der Konkurrenz zum Marktradika-
ismus. Der Wohlstand in Deutschland in den vergange-
en Jahrzehnten hat sich auf der Grundlage von sozialer
arktwirtschaft entwickelt und nicht durch Marktradi-
alismus und nicht durch Kapitalismus pur.
m Gegenteil: Wo totale Ökonomisierung das Handeln
estimmt, hat der soziale Auftrag der Politik keine
hancen mehr. Wirtschaft ist aber für die Menschen da
nd nicht umgekehrt.
Das leitet sich im Übrigen nicht nur aus unserem Pro-
ramm, sondern auch aus unserem Grundgesetz ab.
rt. 20, ein Artikel, der nicht – auch nicht mit Zweidrit-
lmehrheit – verändert werden kann, lautet:
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokrati-
scher und sozialer Bundesstaat.
rt. 14 bestimmt:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
o wie Deutschland wollen wir auch Europa: demokra-
sch und sozial.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16095
)
)
Franz Müntefering
Wenn die Menschen das Vertrauen in die Politik, in den
Staat und darin verlieren, dass diese Maximen des
Grundgesetzes Messlatte für das Handeln bleiben, sieht
es für die Reputation der Demokratie schlecht aus.
Die Staatsquote ist auf 47,5 Prozent gesunken. – Sie
sollten sich das noch einmal ansehen; denn so gehen Sie
mit Zahlen um –: Nicht 50 Prozent, sondern 47,5 Pro-
zent ist richtig. Das ist ein kleiner, aber feiner Unter-
schied. – Wir haben die Körperschaftsteuer von 40 auf
25 Prozent gesenkt.
Wir senken diesen Satz weiter auf 19 Prozent. Wir haben
die Einkommensteuer in der Spitze von 53 auf 42 Pro-
zent gesenkt.
Wir haben die Dynamik der Lohnnebenkosten gebrochen
und die Lohnnebenkosten leicht gesenkt.
Das alles war richtig. Dazu stehen wir; denn wir wol-
len, dass deutsche Unternehmen wettbewerbsfähig sind.
Aber es muss nun auch gut sein mit dem Lamento be-
stimmter Wirtschaftsfunktionäre,
die die Politik für alles verantwortlich machen und selbst
mit der Macht des Geldes winken, wenn sie die Qualität
des Wirtschaftsstandortes herunterreden. Es reicht.
Ich sage den anständigen Unternehmen in Deutsch-
land – das sind die meisten –: Wir sind unverändert zu
zielführender Zusammenarbeit
zum Nutzen der Unternehmen und zum Nutzen der Men-
schen in unserem Land bereit. Den anderen sage ich: Wir
lassen den Sozialstaat nicht schleifen und die soziale
Marktwirtschaft nicht amputieren. Wir lassen das Ver-
trauen in die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie
nicht ramponieren.
Diese Debatte ist fällig. Bei dieser Debatte darf es
nicht bleiben. Wer dieses Land erneuern und zusammen-
halten will, wer Wohlstand und soziale Gerechtigkeit
dauerhaft will – wir wollen das –, wird diese Baustelle
nicht liegen lassen dürfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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ie sind doch für die Politik in diesem Land verantwort-
ich. Sie haben doch alle Möglichkeiten, die soziale
arktwirtschaft so zu gestalten, wie Sie sie hier vorge-
tellt haben. Anstelle dessen bringen Sie Jahrhunderte
ach Marx
lassenkampfparolen. Das ist ein plumpes, durchschau-
ares Wahlkampfmanöver, um in Nordrhein-Westfalen
ieder an die Regierung zu kommen.
Sie versuchen, mit pauschalen, ideologischen An-
chlägen auf die Wirtschaft von der Realität in diesem
and abzulenken.
ir haben in diesem Land über 5 Millionen Menschen
hne Arbeit, davon mehr als 1 Million allein in Nord-
hein-Westfalen.
ch glaube, diese Realität spricht für sich und zeigt ganz
enau, auf welcher Seite in diesem Hause das Versagen
iegt.
Die Menschen haben Sorgen. Die Menschen haben
ngst um ihren Arbeitsplatz. Die Menschen haben
ngst, keinen Arbeitsplatz mehr zu bekommen. Sie er-
arten zu Recht unseren Beistand und nicht irgendeine
llusion oder Propaganda, hinter der außer leeren Wort-
ülsen nichts steckt, hinter der keine politische Alterna-
ive steht, die aufzeigt, wie ihnen geholfen werden soll.
Wir alle wissen: Deutschland ist nun einmal Teil eines
rößer gewordenen Wirtschaftsraums geworden. Wir
issen: Der Wettbewerb ist stärker geworden. Wir wis-
en aber auch, dass Deutschland beim Wachstum unter
en 25 Mitgliedstaaten der EU an 25. Stelle steht, dass
ir Letzter sind. Die Ursache dafür ist nicht irgendein
arktversagen, wie Sie es den Menschen glauben ma-
hen wollen. Die Ursache ist ein Staatsversagen. Wer re-
iert denn in diesem Land? Das sind Rot und Grün und
icht wir von der Union.
16096 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dagmar Wöhrl
Ich wundere mich schon, warum andere Staaten, die un-
sere Mitbewerber sind, im internationalen Vergleich vor
uns sind, obwohl sie die gleichen weltwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen haben wie wir. Das ist doch keine
Laune des Schicksals. Das ist doch reine hausgemachte
Politik, die Sie in diesem Hause vertreten und praktizie-
ren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kapital ist
mobiler geworden, das wissen wir. Mit solchen Propa-
gandaallüren, wie Sie sie hier anbringen, wird das Kapi-
tal Deutschland meiden. Es werden keine Investitionen
hier getätigt werden. Vertrauen ist ein ganz, ganz wichti-
ger Wachstumsfaktor. Das heißt, wenn die Menschen
kein Vertrauen mehr haben, werden sie nicht mehr kon-
sumieren. Wenn die Unternehmer kein Vertrauen mehr
haben, werden sie nicht mehr investieren. Bei 5 Millio-
nen Menschen ohne Arbeit brauchen wir drei Dinge: ers-
tens Jobs, zweitens Jobs und drittens Jobs. Wir brauchen
nicht irgendwelche Klassenkampfparolen, die ökonomi-
scher Unfug hoch drei sind.
Wir brauchen Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen.
Es sind immer noch die Unternehmer, die hier die Ar-
beitsplätze schaffen. Sie wissen ganz genau, dass nur
rentable Unternehmen, die Gewinn oder eine Hoffnung
auf Gewinn haben, Arbeitsplätze schaffen. Deswegen ist
eine pauschale Gewinnverteufelung der vollkommen fal-
sche Weg.
Ich gebe ja zu, es darf auch bei Unternehmern keine
Immunität gegen Kritik geben. Ich gebe auch zu, dass
nicht alle Unternehmensentscheidungen richtig sind.
Ich gebe auch zu, dass viele Managerentscheidungen,
gerade in der letzten Zeit, auch Arbeitsplätze gekostet
haben.
Man muss aber auch ganz ehrlich sagen, dass viele Tau-
sende kleine und mittlere Betriebe eine ganz große so-
ziale Verantwortung ihren Mitarbeitern gegenüber ha-
ben. Gott sei Dank wissen das deren Mitarbeiter auch
und lassen sich nicht von solchen Parolen, wie Sie sie
hier von sich geben, ins Bockshorn jagen.
Sie zeigen hier eine unwahrscheinliche Orientie-
rungslosigkeit, Sie zeigen hier eine unwahrscheinliche
Unglaubwürdigkeit. Man weiß überhaupt nicht mehr, wo
Ihre Wirtschaftspolitik überhaupt hingeht. Welchen Weg
haben Sie überhaupt eingeschlagen? Auf der einen Seite
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ie, lieber Herr Müntefering, haben den anderen Part der
rbeitsteilung. Sie sind der Genosse der Genossen, Sie
eschimpfen auf der anderen Seite das internationale
apital, das den Kanzler wiederum lobt.
Da frage ich mich schon, was sich Ihre Kollegin Ute
ogt dabei gedacht hat, hier zum Boykott aufzurufen.
as könnte für viele kleine Betriebe, die wirklich ums
ackte Überleben kämpfen, in der Zukunft den Todes-
toß bedeuten, sodass sie dann in Insolvenz gehen und
uch die letzten Arbeitsplätze hier vernichtet werden.
Ich wundere mich auch, wie Sie mit der „Frankfurter
undschau“, an der Sie beteiligt sind, hier umgehen.
underte von Arbeitsplätzen sollen bei dieser Zeitung
bgebaut werden. Sie machen momentan einen Aufruf
n Ihre Mitglieder, die „Frankfurter Rundschau“ zu abo-
ieren. Da frage ich mich schon: Abonieren oder boy-
ottieren? Sie müssen sich in Zukunft schon entschei-
en, was Sie wollen.
Frau Kollegin, in der Aktuellen Stunde haben Sie fünf
inuten Redezeit; diese haben Sie überschritten.
Wenn der Minister sagt, man dürfe die Welt nicht dem
eld überlassen, dann, glaube ich, kann man nur eines
agen: Man darf Nordrhein-Westfalen nicht der SPD
berlassen. Das wäre wirklich der Königsweg in das ver-
angene Jahrhundert.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/
ie Grünen.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
öhrl, Herr Westerwelle, Sie machen es sich zu leicht,
enn Sie die Kapitalismuskritik von Franz Müntefering
ier als Propaganda, als Wahlkampf, als Klassenkampf
btun. Ich finde, diese Kritik ist berechtigt und sie ist
berfällig.
öglicherweise – das sieht man daran – bedarf es herz-
after und drastischer Worte, um einen nötigen Diskurs
om Zaum zu brechen. Übrigens ist Franz Müntefering
icht gerade der erste und einzige Kapitalismuskritiker
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16097
)
)
Werner Schulz
im 21. Jahrhundert. Ich erinnere Sie nur an Ihre Lobprei-
sungen für den verstorbenen, hoch verehrten Papst
Johannes Paul II.
Er hat sich sehr wohl für den Ordnungsrahmen der Frei-
heit eingesetzt. Er hat, wie wir wissen, auch einiges da-
für getan. Er hat die Chancen der Globalisierung ge-
schätzt, er hat die freie Marktwirtschaft und den freien
Welthandel geschätzt, aber er hat in seiner Enzyklika
Centesimus Annus beispielsweise auch darauf verwie-
sen, dass der Profit nicht das einzige Kriterium für den
wirtschaftlichen Erfolg sein kann, sondern dass es im-
merhin um die Menschen in den Unternehmen geht,
ohne die nichts läuft.
Wenn man die nicht anständig behandelt, dann werden
die Leistungsfähigkeit und der wirtschaftliche Erfolg in-
frage gestellt.
Oder lesen Sie die Philippika von Heiner Geisler im
November vergangenen Jahres in der „Zeit“,
in der er sich darüber beklagt, dass die Globalisierung
nicht human gestaltet wird,
und darauf hinweist, dass anonyme Finanzmärkte in ih-
rer endlosen Gier nach Geld ihre eigenen Hirne zerfres-
sen.
Sinngemäß hat er geschrieben, dass nur Dummköpfe
und Besserwisser den Leuten einreden könnten, dass
man Solidarität und Partnerschaft aufgeben könne, ohne
dafür in der Demokratie einen politischen Preis zahlen
zu müssen. Nichts anderes hat Franz Müntefering ge-
sagt.
Daniela Dahn zum Beispiel – Mitbegründerin des De-
mokratischen Aufbruchs, dem auch Frau Merkel ent-
stammt und in dem sie ihre ersten politischen Schritte
gemacht hat – schreibt, sie wollte immer in der Demo-
kratie leben, aber nie im Kapitalismus. Es ist doch inte-
ressant, dass viele in Ostdeutschland den Begriff Man-
chester-Kapitalismus aus den verstaubten Annalen eines
Trierer Bürgersohns erst in den 90er-Jahren wiederent-
deckt haben. Bis dahin haben sie diesen Lektionen in
Marxismus gar nicht geglaubt. Sie haben erst in den
90er-Jahren wieder Akzeptanz gefunden.
Wenn Sie schon danach fragen: Es ist vielleicht nicht
mit biblischen Landplagen zu vergleichen, aber Sie fin-
den im Osten ganze Landstriche, die deindustrialisiert
worden sind, und Sie können dort erleben, wie die Kara-
wane der Schnäppchenjäger jetzt gen Osten weiterzieht,
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Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts mehr zu
n, Herr Gerhardt. Ich weiß, dass Ihr Neoliberalismus
hnehin nur darauf hinausläuft, sich von der Sozialbin-
ung zu lösen, die die soziale Marktwirtschaft eigentlich
at.
as ist der Neoliberalismus, den Sie predigen.
Die großartigen Debattenredner zum Thema Patriotis-
us hätten in den 90er-Jahren die Chance gehabt, ihren
atriotismus zu beweisen. Was aber haben Sie gemacht?
ie haben die deutsche Einheit über Schulden und Lohn-
ebenkosten finanziert.
uch das sind doch belastende Faktoren, wegen denen
ir nicht weiterkommen.
Damals hätten Sie dem nationalen Kapital an den pa-
iotischen Kragen gehen können. Der Erfinder der so-
ialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhardt, hat das mit ei-
er Investitionsanleihe gemacht. Das ist insofern nichts
eues. Sie aber haben das versäumt. Sie haben uns
chulden und unendliche Lohnnebenkosten hinterlassen.
In diesem Zusammenhang sind einige Fragen erlaubt.
as ist das für eine Wirtschaft, die schon seit Jahren
icht in der Lage ist, genügend Ausbildungsplätze für ih-
en eigenen Nachwuchs zur Verfügung zu stellen?
as ist das für eine Wirtschaft, die uns seit Jahren Mil-
onen Arbeitslose überlässt und die Kosten auf die Ge-
ellschaft abwälzt?
as ist das für eine Wirtschaft, die sich gegen Mindest-
öhne sträubt, aber grenzenlose Einkommen im Manage-
ent zulässt?
as ist das für eine Wirtschaft, die sämtliche Insolven-
en, Schwächen, Fehler und selbst das schwache Wachs-
um der Politik anlastet, ohne die Fehler auch bei sich
elbst zu suchen?
Ich will es mir aber nicht zu einfach machen. Denn
hre Kritik, Kollege Müntefering, richtet auch einige
ragen an uns, die wir in der Regierungsverantwortung
nd – wie ich hoffe – auch an der Macht sind.
16098 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Werner Schulz
– Sie sehen, dass meine Rede sehr ausgewogen ist; das
sollte Sie freuen.
Ich meine, wir müssen die Frage stellen, warum wir
das Prinzip „Fördern und Fordern“ bisher nur auf die Ar-
beitnehmerseite bezogen haben, statt auch die Arbeitge-
berseite mit einzubeziehen.
Wir müssen auch fragen, warum die Arbeitgeber nicht
am Jobgipfel beteiligt waren, obwohl sie eigentlich die
wichtigsten Partner sind, die das erreichen könnten, was
notwendig ist.
Wir müssen des Weiteren fragen, ob die Senkung der
Unternehmensteuer wirklich etwas bringt, wenn die bis-
herigen Steuersenkungen nichts gebracht haben –
Herr Kollege, auch Sie muss ich mahnen, zum Ende
zu kommen.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
– und viele die doppelte Buchführung beherrschen,
indem sie die Gewinne gegenüber den Aktionären und
die Verluste gegenüber dem Finanzamt und damit dem
Staat ausweisen. Auch diese Fragen müssen wir klären.
Ich halte insofern die Diskussion für überfällig. Wir
sollten es uns nicht so leicht machen, wie Sie das Thema
abtun.
Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bei jeder Fragestellung ist wichtig, zu berück-
sichtigen, zu welchem Zeitpunkt oder aufgrund welcher
Motivation sie ins Licht gerückt wird.
Das ist hier der entscheidende Punkt. Wir haben seit
sechseinhalb Jahren eine rot-grüne Regierung. Es gibt
5,2 Millionen Arbeitslose und 40 000 Pleiten. Ihr Politik-
ansatz greift offenkundig nicht, wenn es um neue Per-
spektiven, mehr Wachstum und die Befriedung unserer
Verhältnisse geht. Außerdem gibt es bald Wahlen in Ih-
rer Hochburg, Herr Müntefering, besser: in Ihrer gewe-
senen Hochburg.
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nd das zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der Bundes-
anzler noch immer als Genosse der Bosse feiern lässt.
as ist Ihre Zweipoligkeit: Müntefering für das sozialis-
ische Herz und das Träumen, Gerhard Schröder für die
roßen Unternehmen in diesem Land. Entschuldigung,
ber war die Telekom unter Herrn Sommer elegant ge-
ührt? Damals hatte der Staat allen Einfluss. War Herr
ichel der Heuschreckenvertreter oder wer sonst ist für
ie dortige Fehlentwicklung verantwortlich? Wer hat
0 000 Leute in die Arbeitslosigkeit geschickt: eine
euschrecke oder der Finanzminister dieses Landes? Sie
ollten sich einmal vergewissern, was Sie selber ange-
ichtet haben.
Herr Kollege Müntefering, der Bund selber entlässt
edes Jahr – wir halten das für richtig – 4 500 Bediens-
ete in die Arbeitslosigkeit oder baut sie ab. Ist dafür eine
euschrecke verantwortlich oder ist das notwendig?
it Ihren einfachen Thesen können Sie die Menschen
war zunächst verwirren und einen Vorteil daraus zie-
en.
ber Sie verschärfen damit das Problem. Die Antwort
uf die Fragen, die Sie stellen, ist eine Modernisierung,
ine Reform unserer sozialen Marktwirtschaft. Es gibt
einen anderen intelligenten Weg. Aber Sie erwecken
en Eindruck, dass es eine Alternative gibt. Natürlich
reifen wir – zumindest genauso ernsthaft wie Sie – an,
enn Unternehmer verantwortungslos handeln. Hier las-
en wir uns von Ihnen schon lange nicht mehr überbie-
en.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16099
)
)
Hartmut Schauerte
Aber wir müssen schauen, was wir in der Politik tun
können, welches unsere Aufgabe ist.
Da Sie Ihren eigenen Politikladen nicht in Ordnung
bringen können, lenken Sie nun die Scheinwerfer auf
Felder, auf denen einiges verändert und kritisiert werden
kann und muss, was sich nicht gehört.
Aber hier sind Sie genauso dabei wie der Rest der Repu-
blik. Sie haben es bisher zugelassen. Mit wem verreist
der Bundeskanzler eigentlich permanent nach Indien,
China und Abu Dhabi? Sie haben einen ersten Ballon
steigen lassen, als Sie von „vaterlandslosen Gesellen“
sprachen. Das hat nun eine zweite Stufe erfahren. Sind
das eigentlich Reisegruppen von vaterlandslosen Gesel-
len, an deren Spitze der Bundeskanzler als Reiseleiter
steht? Nein, es ist komplizierter. Man muss schon genau
hinschauen.
Man muss das eine tun und darf das andere nicht las-
sen. Man muss die Wirtschaft und die Globalisierung
fördern sowie die daraus resultierenden Chancen nutzen
und die Risiken minimieren. Das ist aber mit Ihren plat-
ten Antworten, die Sie in der Hoffnung geben, dass sie
im Wahlkampf wirken, nicht möglich. Sie richten Scha-
den am Standort Deutschland an, indem Sie erstens die
Reformprozesse in der sozialen Marktwirtschaft nicht
erfolgreich auf den Punkt bringen und zweitens solche
Nebenkriegsschauplätze wie die geschilderten aufma-
chen und damit einige Gutwillige zusätzlich verunsi-
chern, die bisher ihre Pflichten am Standort Deutschland
getan haben. Das gilt insbesondere für den Mittelstand,
für den ich hier politisch einstehe. Den Mittelstand ha-
ben Sie doch im Prinzip allein gelassen.
Die Großen sind doch deutlich mehr als die Kleinen ent-
lastet worden. Das eigentliche Herz der Wirtschaft in
Deutschland, den Mittelstand, lassen Sie allein. Jetzt hel-
fen Sie dieser Abteilung unserer Volkswirtschaft wieder
nicht, sondern beschimpfen sie. Das ist keine Zielfüh-
rung, sondern die panische Reaktion einer großen Partei,
die dabei ist, ihre letzte Bastion zu verlieren.
Das ist eine Notmaßnahme. Diese Maßnahme schafft
aber kein Vertrauen in die Zukunft. Es ist schade, dass
sich die große SPD zu diesen einfachen Antworten hin-
reißen lässt.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Dieser Weg wird wohl in die Irre führen.
Herr Müntefering, Sie haben sich heute –
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– sehr provinziell verhalten. Ich hätte das nicht für
öglich gehalten.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
erd Andres.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren!
Deutschland braucht Wachstum. Das ist der erste
Leitsatz, wenn wir über Wohlstand für alle sprechen
wollen. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
Deutschlands muss erstklassig sein, im Lande
selbst und im internationalen Vergleich. Das erfor-
dert Wettbewerbsfähigkeit, hohe Produkt- und
Dienstleistungsqualität, exzellentes Wissen zu kon-
kurrenzfähigen Kosten. Wir stehen dabei in einem
harten und mit der Globalisierung weltweiten Wett-
bewerb, das gilt für die innerbetrieblichen und für
die gesellschaftlichen und staatlichen Rahmenbe-
dingungen der Unternehmen. Die Bedingungen von
Wirtschaftspolitik haben sich seit der deutschen
Einheit radikal verändert. Der globale Druck hat
zugenommen. Gleichzeitig haben sich weitere Fak-
toren wie die demographische Entwicklung unserer
Gesellschaft verändert.
Ich nehme an, das alles sind Sätze, die Sie unter-
chreiben können und die Sie für richtig halten. Das sind
ätze von Franz Müntefering aus einer Grundsatzrede
om 21. Februar dieses Jahres in der Programmdebatte.
In der gleichen Rede kommt folgende Formulierung
or:
Die SPD will, dass Unternehmen erfolgreich sind
und Gewinne machen, denn das ist die Vorausset-
zung für Arbeit und Wohlstand. Und dass sie wach-
sen. Deutschland braucht Wachstum, wenn Wohl-
stand bleiben soll. Wachstumsskeptizismus ist
schädlich, Wachstumsgestaltung ist möglich und
sinnvoll.
In seiner Rede in der vergangenen Woche sagte er:
Wir wollen soziale Marktwirtschaft und nicht
Marktwirtschaft pur.
16100 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Worüber reden wir hier eigentlich? Worüber regen Sie
sich so auf? Franz Müntefering hat einen wichtigen An-
stoß gegeben, um sich mit grundlegenden Fragestellun-
gen, die das Zusammenspiel von Staat und Markt sowie
von Demokratie und Wettbewerb betreffen, auseinander
zu setzen.
Dieser Anstoß ist wichtig, um unsere Aufmerksamkeit
auf mögliche Fehlentwicklungen, auf Ansätze zu not-
wendigem politischem Handeln zu richten.
Um die Dinge auf den Punkt zu bringen – damit sie
jeder versteht –: In einer Demokratie ist es wichtig, auf
Gefahren und Probleme für unser Miteinander deutlich
und nachhaltig hinzuweisen, damit darüber diskutiert
werden kann. Damit klar ist, worüber wir reden, sage ich
Ihnen, auch im Namen der Bundesregierung, ganz deut-
lich: Alle von Franz Müntefering aufgezählten Punkte
kann ich nur unterstützen.
Sie können das doch wahrscheinlich auch tun.
Ich weiß nicht, ob Sie Folgendes verstehen können
– ich verstehe es nicht und viele Menschen in der Bevöl-
kerung verstehen es auch nicht –: Manche Unternehmen
und manche Banken – ich weise ausdrücklich darauf hin,
dass Franz Müntefering von „manchen“ gesprochen hat –
machen hohe Gewinne. Arbeitnehmer dieser Unterneh-
men machen auf breiter Front Lohnzugeständnisse.
Gleichzeitig werden Arbeitsplätze dort abgebaut. Trotz-
dem verlagern diese Unternehmen ihren Sitz ins Ausland
und die Standorte werden platt gemacht. Es wäre interes-
sant, wenn Herr Westerwelle dazu etwas sagte.
Ich nenne als Beispiel die Firma Otis in Stadthagen in
Niedersachsen.
Otis ist ein Fahrstuhlproduzent, ein hochmodernes und
wettbewerbsfähiges Unternehmen, das Gewinne erzielt.
Die Firma wurde von einem amerikanischen Konzern
übernommen, der gesagt hat: Die Gewinnmarge reicht
uns nicht. Wir machen zu.
Dann passierte Folgendes: Der niedersächsische Mi-
nisterpräsident pilgerte dahin und redete mit denen. Der
konnte so viel reden, wie er wollte; das hat die gar nicht
beeindruckt. Der Oppositionsführer ist dahin gefahren.
Auch das hat die überhaupt nicht beeindruckt. Die haben
den Standort zugemacht. 360 Arbeitsplätze wurden ver-
nichtet. Man hat den Standort in Tschechien errichtet. In
der Zwischenzeit hört man aus dem Unternehmen, dass
es offensichtlich eine Fehlentscheidung war, dahin zu
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a hilft nicht das, was Sie erzählen. Wir müssen darüber
eden, welche ethische Verantwortung es eigentlich für
nternehmerisches Handeln und für Wirtschaften insge-
amt gibt. Herr Westerwelle, es tut mir sehr Leid, sagen
u müssen: Sie haben Ihre ethische Verantwortung für
as Wirtschaften seit den Zeiten von Karl-Hermann
lach abgegeben.
ie treten für einen nackten Kapitalismus, für einen Ka-
italismus pur und nichts anderes ein.
Heute Morgen ist hier über die Koalitionsvereinba-
ung diskutiert worden. Ein großes Problem ist Nachhal-
gkeit. Wir sind damit konfrontiert, dass der Return on
nvestment in immer schnelleren Zyklen mit immer hö-
eren Margen bedingungslos durchgesetzt wird, dass
achhaltigkeit überhaupt keine Rolle mehr spielt und
ass auch soziales Handeln gegenüber den Menschen
eine Rolle mehr spielt. Solche Tatbestände müssen an-
eprangert werden. Verantwortliches politisches Han-
eln muss dafür sorgen, dass denen, die so agieren, das
andwerk gelegt wird.
Es ist die Auffassung der Bundesregierung – das ist
chon gesagt worden –, dass Franz Müntefering eine
ichtige Diskussion angestoßen hat. Es lohnt sich sehr,
iese Diskussion weiterzuführen. Ich stimme ihm in Fol-
endem zu: Wir brauchen Arbeitsplätze, die auch unter
ettbewerbsbedingungen bestehen können.
er würde das leugnen? Das leugnet auch er nicht; er ist
ehr dafür. Die Frage ist aber – dazu würde ich gern et-
as von Ihnen hören, insbesondere von Herrn
esterwelle –: Wo ist da eigentlich die Grenze? Wohin
üssen wir? Müssen wir hin zu Löhnen, die bei 1, 2,
,5 oder 3 Euro liegen? Was sind die Bedingungen, die
ür ethische Verantwortung beim Wirtschaften gesetzt
erden?
Völlig klar ist: Unternehmen müssen Gewinne ma-
hen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16101
)
)
Parl. Staatssekretär Gerd Andres
Das bestreitet niemand; das ist auch Position der Bun-
desregierung. Aber wo sind die Grenzen? Womit hat
man sich gesellschaftlich auseinander zu setzen?
Ich bin in dem Zusammenhang inhaltlich sehr bei
Franz Müntefering
und dem Diskussionsanstoß, den er geliefert hat. Ich will
auf Folgendes hinweisen: In internationalen Zusammen-
hängen – ich nenne einmal die ILO – gibt es längst eine
Diskussion darüber, ob man Decent Work durchsetzen
muss. Es geht darum, dass es für Arbeit auch einen men-
schenwürdigen Lohn geben muss. Ich kenne einige, auch
in Ihren Reihen, die für eine solche Position stehen. Alle
diese Fragen sind in einem solchen Zusammenhang zu
thematisieren. Man muss von einer anständigen Arbeit
auch anständig leben können.
Es muss eine gesellschaftliche Verantwortung geben.
Die Politik der hemmungslosen Individualisierung und
des Marktradikalismus
führt dazu – das noch an Herrn Westerwelle –, dass der
Angriffspunkt sozusagen der Staat insgesamt ist.
Da diskutiert man letztlich über die Beseitigung des
Staates. Da geht es um eine grenzenlose Entstaatlichung.
Das werden wir nicht mitmachen.
Eine Diskussion über all das ist in diesem Land längst
überfällig. Wir fürchten sie nicht.
Wir fürchten auch nicht manch dumme Schlagzeile und
manch dumme Position, die da vertreten wird. Wir ver-
suchen, diesen Staat, diese Gesellschaft mit der
Agenda 2010, mit dem 20-Punkte-Programm zu moder-
nisieren. Sie können tatkräftig mithelfen. Geben Sie Ihre
Verweigerungsposition und -politik auf! Helfen Sie mit,
dieses Land zu modernisieren! Helfen Sie mit, hier Ar-
beitsplätze zu schaffen!
Das ist vernünftiger, als eine solche Scheindebatte zu
führen, wie sie von der FDP beantragt wurde.
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Wer ist denn eigentlich gemeint?
Der Bundeskanzler hat erst vor wenigen Tagen einen
nnovationsgipfel veranstaltet. Daran haben die größten
eutschen Unternehmen teilgenommen: IBM, Thyssen,
ertelsmann und Lufthansa, auch ein Unternehmen, das
ie eben genannt haben, Herr Müntefering, nämlich die
irma Siemens. Auf Nachfragen von Journalisten, ob
iese Firmen von Herrn Müntefering gemeint sein könn-
en, hat der Bundeskanzler geantwortet, diese seien auf
einen Fall gemeint.
ennoch legte Herr Steinbrück gestern nach und sagte,
n der Wirtschaft gebe es viele, die kurzfristig handelten
nd mit Patriotismus nichts am Hut hätten. Ich frage Sie:
ind etwa die Mittelständler in Deutschland die, die Sie
einen, die diese Mächte entfalten?
enn sie waren zum Innovationsgipfel des Bundeskanz-
ers erst gar nicht eingeladen worden, obwohl sie die
eisten Arbeits- und Ausbildungsplätze in diesem Land
tellen.
Wenn es die Mächte gäbe, gegen die sich eine funk-
ionierende soziale Marktwirtschaft nicht wehren kann,
ie Herr Müntefering es vorgibt, müssten auch in den
nderen europäischen Ländern wirtschaftlicher Nieder-
ang und Massenarbeitslosigkeit vorherrschen. Das Ge-
enteil ist der Fall: Die Weltwirtschaft – das weiß auch
taatssekretär Andres – ist im vergangenen Jahr so stark
ewachsen wie seit 30 Jahren nicht mehr.
eutschland aber ist bei Wachstum und Beschäftigung
as Schlusslicht in Europa.
Wie sieht es nun innerhalb Deutschlands aus? Wie
ieht es mit der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland
16102 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Andreas Pinkwart
aus? Schauen Sie sich einmal die Bundesländer an! Da
haben wir auf der einen Seite das seit Jahren von der
FDP gemeinsam mit der CDU regierte Baden-Württem-
berg
und auf der anderen Seite das seit 39 Jahren von der SPD
– zehn Jahre davon gemeinsam mit den Grünen – re-
gierte Nordrhein-Westfalen. Wenn wir einmal diese bei-
den Bundesländer,
die die gleichen bundes- und europapolitischen Rahmen-
bedingungen haben und die es mit ähnlichen Unterneh-
men zu tun haben, gegenüberstellen, stellen wir fest: In
Nordrhein-Westfalen ist die Arbeitslosigkeit um
70 Prozent höher als in Baden-Württemberg und die In-
solvenzquote ist in Nordrhein-Westfalen doppelt so
hoch.
Damit wird deutlich: Die für die Krise in unserem Land
Verantwortlichen bleiben nicht anonym.
Sie haben ein Gesicht. Sie haben auch eine Farbe: Die
für die Krise und für die Arbeitslosigkeit Verantwortli-
chen haben sowohl im Bund wie auch in Nordrhein-
Westfalen die Farbe Rot-Grün.
Bei Ihrer Kapitalismuskampagne geht es um nichts
weiter
als um eine Verschwörungstheorie, die den einzigen
Zweck hat, über die wahre Verantwortung, die bei Ihnen
liegt, hinwegzutäuschen.
Das ist zynisch, das ist populistisch und das ist verant-
wortungslos.
Statt den Menschen durch eine moderne Wirtschafts-
politik, durch beste Bildung und Innovation den Rücken
zu stärken, ihnen Mut zu machen und ihre Chancen auf
den globalisierten Märkten zu erhöhen, fördern Sie mit
Ihrer Kampagne Ängste, die erst durch Ihre verfehlte Po-
litik ausgelöst worden sind. Das ist die Wahrheit über Ihr
Vorgehen.
Da der Herr Staatssekretär eben über niedrig bezahlte
Berufe gesprochen hat, möchte ich auf einen bemerkens-
werten Zusammenhang hinweisen. Auf entsprechende
Nachfrage der FDP-Landtagsfraktion in Düsseldorf gab
die Landesregierung zur Antwort: Es gibt kein Bundes-
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eswegen sagen wir ganz klar: Dort, wo Sie Verantwor-
ung hatten, hätten Sie durch eine bessere Bildungspoli-
ik die Voraussetzung dafür schaffen können, dass die
enschen nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen wer-
en, sondern auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen be-
ommen. Diese Verantwortung haben Sie nicht wahrge-
ommen.
eswegen sagen wir den Menschen im Lande: Wir brau-
hen eine bessere Bildungspolitik,
ir brauchen eine bessere Wirtschaftspolitik. Denn nur
ine gute Wirtschaftspolitik und eine gute Bildungspoli-
ik bilden die Grundlage für eine Sozialpolitik, die den
enschen in unserem Land eine Perspektive bietet. Das
st unsere Alternative zu Ihrer Krisenpolitik.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel,
ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
s ist schon eigenartig: Da wirft die FDP Herrn
üntefering vor, Wahlkampfrhetorik zu betreiben, Sie
ber, Herr Pinkwart – bei Herrn Westerwelle war es ge-
auso –, stellen sich hin
nd machen nichts anderes, als NRW-Wahlkampfreden
u halten.
Es ist richtig: Franz Müntefering hat mit seiner Wort-
ahl sicherlich provoziert. Aber die Debatte ist wichtig
nd auch richtig. Äußerungen, die heute vonseiten der
DU/CSU gemacht worden sind, haben ja gezeigt, dass
s viele Schwierigkeiten gibt, über die wir miteinander
eden müssen. Es muss deutlich werden, welche Verant-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16103
)
)
Christine Scheel
wortlichkeiten es aufseiten der Wirtschaft und welche
aufseiten der Bürger und Bürgerinnen in einer komple-
xen Welt gibt. Natürlich sollen Unternehmer und Unter-
nehmerinnen Geld verdienen. Natürlich dient das den
Arbeitsplätzen. Es ist doch klar, dass wir uns freuen,
wenn ausländische Investoren ihr Geld nach Deutsch-
land bringen. Selbstverständlich brauchen wir in einer
global ausgerichteten Wirtschaft auch vernünftige Rah-
menbedingungen, die sowohl für kleine und mittlere Un-
ternehmen als auch für große Konzerne gelten, damit
Arbeitsplätze erhalten und auch geschaffen werden kön-
nen. Man muss ganz klar sagen, dass die allermeisten
Betriebe, die wir in Deutschland haben, ihrer Verantwor-
tung gerecht werden. Sie können ruhig Gewinnabsichten
haben und gute Renditen erzielen. Wenn sie aber Ge-
winne erzielen, müssen sie auch ihrer sozialen Verant-
wortung gerecht werden. Die allermeisten tun das; darü-
ber sind wir sehr froh.
Es ist auch richtig, dass wir ein wirtschaftsfreundli-
ches Klima brauchen, aber es muss erlaubt sein, auf
Missstände und auf Fehlentwicklungen hinzuweisen; das
ist ja der Punkt, über den wir reden.
Wir alle wissen, Herr Schauerte, dass falsche Manage-
mententscheidungen in der Vergangenheit zu Entlassun-
gen geführt haben. Auch das ist leider Realität in der
Bundesrepublik Deutschland.
Die Forderung, dass die Wirtschaft im Dienste des Men-
schen zu stehen hat, stammt nicht von Franz
Müntefering, sondern – ich bemühe ihn leider auch ein-
mal an dieser Stelle –
von Papst Johannes Paul II. Er hat immer vor der Vergöt-
zung des Marktes gewarnt. Auch Sie haben diese Äuße-
rungen mit Beifall aufgenommen. Es ist richtig, dass
man Warnungen ausstößt, wenn es manchen Menschen
nur um Gewinnmaximierung geht, ohne an die Mitmen-
schen zu denken. Darüber muss man sprechen; das muss
man auch anprangern können.
Es gibt in Deutschland viele Menschen, die Angst ha-
ben bzw. befürchten, dass die soziale Marktwirtschaft
zerstört wird. Diese Sorgen werden noch verstärkt, wenn
Manager, wie geschehen, die Profitmaximierung mit
noch höheren Renditeansprüchen in den Vordergrund
stellen und gleichzeitig Massenentlassungen verkünden;
Herr Müntefering hat darauf hingewiesen. Es muss mög-
lich sein, berechtigte Kritik am reinen Shareholder-
Value-Prinzip zu üben. Diese Kritik wird übrigens von
vielen Mittelständlern und Mittelständlerinnen geteilt,
insbesondere von vielen Familienunternehmen. Auch
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s gibt unbestritten Schwierigkeiten; das haben wir hier
chon oft gesagt und darauf haben wir immer wieder
ingewiesen. Aber dieses permanente Schlechtreden,
as übertriebene Schüren von Krisenstimmungen – das
aben Sie heute wieder getan – ist unverantwortlich und
chadet unserem Standort, der Wirtschaft und auch den
enschen.
eswegen kann ich von dieser Stelle nur an Sie appellie-
en: Hören Sie endlich mit der übertriebenen Schlechtre-
erei des Standortes Deutschland auf!
ir haben wirtschaftliche Schwierigkeiten, aber wir sind
nsgesamt gut aufgestellt. Es gibt viel zu tun; das wissen
ir.
Aber hören Sie auf, Deutschland aus rein parteitakti-
chem Kalkül klein zu machen!
Für uns Grüne möchte ich sagen: Wir halten die De-
atte über Wirtschaftsethik und Verantwortung für die
enschen für enorm wichtig; denn insbesondere in Zei-
en eines Paradigmenwechsels kann man den Menschen
icht nur etwas abverlangen. Es müssen auch Anforde-
ungen an die Global Player gestellt werden. In einer zi-
ilisierten, demokratischen Gesellschaft kann es nicht
ur um Aktienkurse und Rendite gehen. Der Mensch
uss im Mittelpunkt stehen. Das sollten wir immer wie-
er sagen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Pures Verlangen
ach schnellem Geld hat nichts mit ökonomischer Ver-
unft zu tun.
Danke schön.
16104 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr
Müntefering hat es völlig richtig gemacht, als er seine
Rede mit der Nennung von Fakten begonnen hat. Das
möchte ich ebenfalls tun.
Die Fakten Ihrer Politik, Herr Müntefering, sind
5,2 Millionen Arbeitslose. In Ihrem Kernland sind
1 Million Menschen arbeitslos. All das hat es noch nie
gegeben. Wir haben die höchste Pleitewelle zu verzeich-
nen, die es in Deutschland jemals gegeben hat.
Pro Jahr gehen 40 000 Unternehmen kaputt. Wir haben
den niedrigsten Stand sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse zu verzeichnen, den es in
Deutschland jemals gegeben hat;
es gibt nur noch 26,3 Millionen sozialversicherungs-
pflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir haben, wie
uns gerade bestätigt wurde, das niedrigste Wachstum al-
ler Länder in Europa. Wir sind also das Schlusslicht. Da-
für tragen Sie die Verantwortung. Niemand anderes als
Sie hat das zu verantworten. Darüber sollten wir uns im
Klaren sein.
Jetzt glauben Sie, auch das letzte noch vorhandene
Kapital aus Deutschland vertreiben zu müssen.
Mit Ihrem Gesetz zur Steueramnestie haben Sie nichts
erreicht: Von den geplanten 5 Milliarden Euro an zusätz-
lichen Steuereinnahmen haben Sie gerade einmal
1,4 Milliarden Euro erzielt. Ihre gesamte Haushaltspla-
nung ist ein einziges Chaos.
Im „Handelsblatt“ kann man heute folgende Über-
schrift lesen: „US-Volkswirte schütteln Kopf über SPD“.
Amerikanische Experten befürchten negative Folgen für
den Standort Deutschland. Meine Damen und Herren,
was macht denn das Kapital aus Übersee? Während die
Investitionen in Deutschland im Jahr 2003 noch 4,8 Mil-
liarden Euro betrugen, erreichten sie im Jahre 2004 – hö-
ren Sie genau zu, Herr Müntefering – einen Stand von
0,3 Milliarden Euro. Das sind die Folgen Ihrer Politik.
Wenn kein Kapital nach Deutschland fließt, gibt es keine
Investitionen. Das Kapital hat die Wahl. Es sucht sich
den Standort aus, an dem Investitionen am günstigsten
sind.
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as in der gegenwärtigen Phase zu tun, ist Kapitalismus
ur. Erklären Sie mir bitte, wie das mit Ihren Worten zu
ereinbaren ist! Ihr Verhalten ist überaus widersprüch-
ich.
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang
as Sündenregister der SPD. Herr Müntefering, Ende
es Jahres 2002 haben Sie gefordert, weniger Geld für
en privaten Konsum auszugeben und mehr Geld für den
taat bereitzustellen, damit Bund, Länder und Gemein-
en ihre Aufgaben erfüllen können.
as ist Ihre Einstellung. Frau Vogt, die junge Dame aus
aden-Württemberg, wurde von ihrem Kollegen Rezzo
chlauch heute als „Standortrisiko“ bezeichnet;
enn dieses „Standortrisiko“ Ute Vogt – das können Sie
n der „Stuttgarter Zeitung“ nachlesen – hat gesagt:
Ein schlanker Staat, der dünn ist und keine Kraft
hat, ist nicht das, was wir uns wünschen.
Frau Vogt ist ja noch nie so wirklich durch größere
enntnis von Ökonomie aufgefallen. Aber gestern hat
ie dann den allergrößten Klops gebracht, indem sie zum
oykott deutscher Unternehmen aufgerufen hat. Das
uss man sich vorstellen: Ein Mitglied der Bundesregie-
ung ruft zum Boykott deutscher Unternehmen auf
nd will damit Arbeitsplätze in Deutschland vernichten.
ahrscheinlich sollen dann Produkte von ausländischen
nternehmen gekauft werden, damit in Deutschland
eine Arbeitsplätze entstehen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16105
)
)
Dr. Michael Fuchs
Herr Westerwelle hat völlig Recht: Die Staatsquote
liegt in der Nähe von 50 Prozent. Herr Müntefering, das
können Sie nicht wegdiskutieren.
Wir haben immer noch 42 Prozent Lohnzusatzkosten;
auch die können Sie nicht wegdiskutieren. Das sind die
Gründe, weswegen bei uns keine neuen Arbeitsplätze
entstehen. Sie haben nicht den Mut, dies den Markt ma-
chen zu lassen.
Wenn Sie so weitermachen, wenn Sie sich nicht endlich
auf diesem Sektor bewegen, werden in Deutschland
keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Dafür tragen Sie al-
leine die Verantwortung, Herr Müntefering, Sie allen
voran!
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Müller,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Zwischenrufe von Herrn Gerhardt belegen in aller Deut-
lichkeit, dass Sie nicht in der Lage sind, in einer wirklich
schwierigen, komplexen Frage eine rationale Diskussion
zu führen.
Wir haben es hier nämlich mit einer Herausforderung zu
tun, die in fast allen Ländern sehr viel differenzierter dis-
kutiert wird als von Ihnen. Im Gegenteil, Ihre Art der
Reaktion auf die Diskussion zeigt, dass Sie eigentlich
gar nicht wissen, wie Sie mit einer notwendigen Kapita-
lismuskritik umgehen sollen.
Sie wissen nicht, wie Sie mit einem Sachthema umgehen
sollen. Sie reagieren darauf taktisch und machtpolitisch,
aber nicht inhaltlich. Das ist das Fazit der bisherigen
Diskussion.
Lassen Sie uns deshalb sagen, worum es uns geht. Es
geht uns um einen sehr wichtigen Klärungsprozess auf
der Basis von zwei wesentlichen Erkenntnissen: Erstens.
In den letzten 30 Jahren, also seit dem Zusammenbruch
des Weltwährungssystems, seit den Beschlüssen von
Rambouillet, hat sich weltwirtschaftlich eine Struktur er-
geben, die die soziale Marktwirtschaft immer mehr an
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Nein, nein. Seien Sie doch nicht immer so platt, wenn
s um ein wichtiges Thema geht!
Zweitens. Die Entwicklung der Weltwirtschaft, die
lobalisierung muss im Wesentlichen gleichgesetzt wer-
en mit der Durchsetzung des amerikanischen Wirt-
chaftsmodells.
as hat viel mit der Entwicklung der Weltwirtschaft zu
un. Da muss man sich die Frage stellen, ob unter diesen
edingungen sozialökologische Politik überhaupt mög-
ich ist oder nicht.
ie meinen, die Politik muss sich anpassen.
ir sagen dagegen: Die Politik ist zur Gestaltung gefor-
ert. Wir reden darüber, was „Gestaltung“ unter diesen
edingungen heißt. Das ist ein zentraler Unterschied.
Im Gegensatz zu der liberalistischen Wirtschaftsord-
ung muss die soziale Marktwirtschaft immer die breite
erteilung des Gewinns und des Fortschritts in der Ge-
ellschaft bewirken; das ist der entscheidende Punkt. Die
erwirklichung von Verteilungsgerechtigkeit ist die Vo-
aussetzung für eine soziale und demokratische Ord-
ung. Das ist nicht von mir, sondern von Ludwig Erhard;
en sollten Sie wieder einmal lesen. Im Kern ist es genau
as, was Franz Müntefering gesagt hat:
s geht um die Verantwortung der Politik für die Gestal-
ung einer wirtschaftlichen Ordnung.
as ist die Erfahrung der letzten 50 Jahre, übrigens eine
rdnung, die wirtschaftlich viel produktiver war als das,
as wir in den letzten Jahren in Europa erlebt haben. Die
oziale Marktwirtschaft war gerade auch wegen ihrer
estaltung viel besser für Beschäftigung, für Vertei-
ungspolitik, für soziale Gerechtigkeit.
)
)
Deshalb wollen wir an diesen Gedanken anknüpfen.
Sie müssen sich auch einmal die Frage stellen, dass
unsere Produktivitätsentwicklung mit der technologisch
bedingten Arbeitslosigkeit zu tun hat, gerade als Export-
land.
Haben Sie sich eine solche Frage überhaupt einmal ge-
stellt?
Nein, Sie stellen sich solche inhaltlichen Fragen gar
nicht, weil es Ihnen nur um Polemik und Machtausei-
nandersetzung geht, aber nicht um die Klärung inhalt-
licher Fragen. Das ist der Kern der ganzen Debatte.
Die Sozialenzyklika der katholischen Kirche ist hier
schon mehrfach zitiert worden. Wir können übrigens
auch einen anderen Punkt gegen Ihre liberalistische
Position nennen. Herr Ratzinger hat sehr klar gesagt,
dass diesem liberalistischen Modell ein heilsames Ge-
gengewicht fehlt.
Sie haben kein Gegengewicht. Sie kennen nur die An-
passung und laufen dem liberalistischen Modell nach.
Wir wollen ein Gegengewicht herstellen, weil das
Gleichgewicht der Kern jeder guten Ökonomie ist.
Das muss man gerade Herrn Westerwelle sagen, weil er
kein Ökonom ist.
Er sollte aber wenigstens einmal mehr lesen; das bildet.
Meine Damen und Herren, ich kann für die FDP auch
einmal Herrn Dahrendorf zitieren, immerhin ein langjäh-
riges FDP-Mitglied.
– Das hat er übrigens korrigiert, was Sie aber wieder
nicht zur Kenntnis genommen haben. – Im Gegensatz zu
Ihnen hat er gesagt: Wenn es der Politik nicht gelingt,
die Prozesse, die mit der Globalisierung verbunden sind,
im weitesten Sinne politisch und sozial zu regeln, droht
ein Jahrhundert der Gewalt.
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as sagt Dahrendorf. Sie wollen die Regelung nicht, wir
ollen die Regelung. Hier ist der entscheidende Unter-
chied.
Wir bleiben dabei: Erstens. Uns geht es bei der De-
atte nicht um eine plumpe Beschimpfung der Unterneh-
en. Ganz im Gegenteil: Wir fordern jeden Unterneh-
er, der ein Interesse an Innovationen, Investitionen und
roduktivität hat, auf, diese Debatte mit uns zu führen.
ir brauchen sie; denn wir wollen ja gerade eine pro-
uktive und keine spekulative Wirtschaft.
Zweitens. Wir führen keine „Debatte nach hinten“.
anz im Gegenteil: Die Klärung der ordnungsrechtli-
hen Fragen ist eine wesentliche Voraussetzung dafür,
ie auf uns zukommenden Probleme – Stichwörter: Wis-
ensgesellschaft und Rohstoffknappheit – zu lösen,
as ohne einen handlungs- und gestaltungsfähigen Staat
icht möglich ist. Auch das ist eine Wahrheit, die wir aus
er Geschichte kennen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich schließe ab. – Lassen Sie mich einen dritten Punkt
ennen.
Nein, Sie können keinen dritten Punkt mehr nennen.
Es geht uns nicht um die Abkehr von der
genda 2010, sondern um ihre Weiterentwicklung.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß, CDU/CSU-
raktion.
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Der Kollege von der SPD, Müller, hat eben ge-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16107
)
)
Gerald Weiß
sagt: Die Politik ist zur Gestaltung gefordert. Wie wahr!
Die soziale Markwirtschaft ist an den Rand gedrängt.
Das stellt er im siebten Jahr Schröder und seiner rot-grü-
nen Regierung fest. An den Ergebnissen dieser Regie-
rungsarbeit müssen Sie gemessen werden.
Sie können die sozialökonomische Wirklichkeit, für die
Sie verantwortlich sind, doch nicht anprangern.
Sie müssen in diesem Haus dafür einstehen und können
sich nicht in verbalistischer Kritik üben.
Im Jahr sieben Schröder haben die Menschen Sorgen
und Ängste wie nie zuvor. Sie sind verunsichert wie nie
zuvor. Angesichts einer anhaltend hohen Arbeitslosig-
keit, die unter Ihrer Regierung ungebremst gestiegen ist,
und ständig neuer Massenentlassungen bei gleichzeiti-
gen Meldungen über teilweise hohe Gewinne und noch
höhere Renditeziele sind sie berechtigterweise wütend
und verbittert. Wir führen die ewige Diskussion mit Ih-
nen gern.
Wo Gier grenzenlos und die kurzfristige Rendite zum
goldenen Kalb wird, muss dies angeprangert werden;
das ist doch selbstverständlich. Diese Auswüchse – von
uns wie von Ihnen beklagt – sind aber doch tatsächlich
unrühmliche Ausnahmen. Die 40 000 Selbstständigen,
die im vorletzten Jahr, die 40 000 Firmeninhaber, die im
vergangenen Jahr, und die 10 000 Selbstständigen, die
bereits in den ersten vier Monaten dieses Jahres Insol-
venz anmelden mussten, sind doch nicht durch Gewinn-
sucht in diese Bredouille geraten, sondern durch Ge-
winnschwund und anhaltend hohe Verluste, weil die
Rahmenbedingungen in Deutschland miserabel sind.
Der Chef der Arbeitnehmergruppe der Union sagt:
Man sollte mittelständische Eigentümerunternehmer
nicht mit irgendwelchen kalten Ellenbogenmanagern in
diesem Land gleichsetzen.
Sie sollten keine einfachen Lösungen vorgaukeln.
Herr Müntefering, Sie sollten die teilweise durchaus be-
rechtigte Kritik an den Vorgängen in der Wirtschaft nicht
instrumentalisieren, um vom eigenen Versagen abzulen-
ken. 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland, 1 Million
Arbeitslose in Nordrhein-Westfalen sind nicht das Er-
gebnis der Profitgier von Kapitalisten und auch nicht das
Ergebnis mangelnden guten Willens von Arbeitgebern,
Menschen einzustellen. Sie sind das Ergebnis einer fal-
schen Politik. Das klagen wir anlässlich dieser Debatte
ein.
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Wenn Sie den Primat der Ökonomie beklagen, Herr
üntefering, dann muss ich Sie allerdings fragen: Wie
teht es beispielsweise um die Chinapolitik des Bundes-
anzlers?
ie Menschenrechtssituation ist kein bisschen besser ge-
orden. Um der ökonomischen Vorteile willen setzt sich
er Bundeskanzler dennoch darüber hinweg.
ie schrödersche Chinapolitik kann nachgerade nur aus
em Primat des Ökonomischen erklärt werden. Was Sie
nd der Bundeskanzler uns vorführen, ist doch organi-
ierte Zwiespältigkeit und Doppelzüngigkeit. Das lehnen
ir ab.
Geben Sie konkrete Antworten. Übrigens will es der
ufall, dass Sie heute dazu die Chance haben. Nachher
teht der Antrag zur sozialen Kapitalpartnerschaft auf
er Tagesordnung. Wenn Sie bei der Realisierung dieses
orhabens mitmachen, können wir viel zur Bekämpfung
er Probleme, die Sie und wir beklagen, tun.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Nina Hauer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Sie
ollen keine kritischen Anmerkungen zu unserem
irtschaftssystem. Sie wollen auch keine kritischen
nmerkungen zu dem, was in unserem Land eigentlich
os ist.
16108 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Nina Hauer
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Mich wundert, dass es in
den Parteien von Angela Merkel und Guido Westerwelle
keinen mehr gibt, der ein Gespür dafür hat, was in die-
sem Land jeden Tag passiert.
Mit Hedgefonds wird versucht, die Kontrolle über die
Deutsche Börse zu übernehmen, übrigens ein erfolgrei-
ches Unternehmen nicht nur mit vielen Arbeitsplätzen,
sondern auch mit einem öffentlichen Auftrag. Die Unter-
nehmen scheuen sich nicht davor, öffentlich zuzugeben,
dass sie das angesparte Geld der Deutschen Börse im
Blick haben, um damit in London zu investieren. Vertre-
ten werden diese Unternehmen übrigens von Ihrem
CDU-Kollegen, dem Anwalt Friedrich Merz.
Herr Westerwelle, welches Tier fällt Ihnen ein, wenn Sie
von einem solchen Wirtschaftsgebaren hören?
Das hat nichts mehr damit zu tun, dass man investie-
ren will, um so zu Wachstum und Beschäftigung beizu-
tragen. Hier herrscht nur das Interesse vor, ein Unterneh-
men auszubluten und ins Leere laufen zu lassen, um das
Geld woanders zu investieren. Als Folge haben wir dann
wieder eines der größten Unternehmen in unserem Land
verloren.
Natürlich wissen wir, dass ein bestimmtes Maß an
wirtschaftlicher Freiheit Voraussetzung für Wohlstand
ist; das brauchen Sie uns Sozialdemokraten nicht extra
zu sagen. Aber in dieser Debatte geht es doch nicht nur
darum, wie Wohlstand entsteht und wie viel Freiheit die
Wirtschaft benötigt.
In dieser Debatte geht es auch darum, wie frei eigent-
lich der Mensch sein darf und wo die Grenze dessen ist,
was die Ökonomie darf und was sie nicht darf. Ihr Ge-
sellschaftsbild ist von der Ökonomisierung aller Lebens-
bereiche geprägt. Es gibt keine Grenze mehr, an der Sie
sich schützend vor die Menschen stellen. Das sieht man
an allem, was Sie beschlossen haben, ob das Beschlüsse
zum Kündigungsschutz sind, Ihre alberne „Bierdeckel-
steuerreform“ oder die Kopfpauschale. Bei Letzterer ist
allein schon der Begriff interessant. Das ist die Politik,
die Sie vertreten. Da gibt es keine Barriere mehr. Es gibt
keinen Schutz mehr.
Das ist der Kern der Debatte. Es geht nicht um die
Wirtschaftsfreiheit in Deutschland, sondern es geht im
Kern um die eigentliche Bedeutung des Menschen in un-
serer Gesellschaft und darum, nach welcher Melodie
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ass eine große Volkspartei mit ihrem Vorsitzenden an
er Spitze eine Debatte über ihr Grundsatzprogramm
ührt, dass die Menschen aufhorchen und sagen: Die
issen noch, wohin sie wollen,
ie stellen Fragen und haben auch Antworten. Die wis-
en noch, dass wir auch noch da sind, jenseits aller Öko-
omie. – Davor haben Sie Angst. Denn dann stehen Sie
lank da. Sie haben keine Ideen.
as hört man an den Reden, die Sie heute hier gehalten
aben. Das sieht man an den Beschlüssen, die Sie fassen,
nd das sieht man auch an der realen Politik, die Sie ma-
hen. In unserer Programmdebatte geht es darum. Sie
ühlen sich dabei ertappt. Sie können sich nicht vorstel-
en, dass es in Deutschland auch noch darauf ankommt,
u fragen, welche Rolle die Menschen in unserem sozia-
n System haben und was eigentlich passiert, wenn man
schwierige Situationen gerät. Das können Sie sich
icht vorstellen.
Vorhin hat einer gesagt, wir müssten uns mehr um die
ildung kümmern. Wer hat denn das Konzept für bes-
ere Spitzenforschung an den Universitäten kaputtge-
acht, wenn nicht die Union?
ie blockieren doch überall da, wo es um diese Themen
eht. Sie werden von Ihren Freunden, den Funktionären
er Wirtschaft, unterstützt. Es waren doch nicht die Un-
rnehmer, die sich in den letzten Tagen zu Wort gemel-
et haben. Das waren Funktionäre, die ihre Textbau-
teine zusammengestellt und von einer Gefährdung
urch eine ideologische Debatte gesprochen haben. Sie
eteiligen sich daran, weil Sie in Deutschland nicht mehr
ber Werte reden wollen.
Ich möchte gerne zum Schluss, wenn Sie, Frau Präsi-
entin, erlauben, ein Zitat vorlesen, das gut in diese De-
atte passt:
Eine rein wirtschaftliche Entwicklung vermag den
Menschen nicht zu befreien; im Gegenteil, sie ver-
sklavt ihn schließlich nur noch mehr.
as stammt nicht von Franz Müntefering, sondern von
inem anderen prominenten Katholiken, von Papst
ohannes Paul II.
ch habe dem in dieser Debatte nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16109
)
)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Kues,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
werde ausnahmsweise nichts zum Papst sagen. Ich habe
die Debatte heute Morgen sehr aufmerksam verfolgt.
Vieles von dem, was hier von Herrn Müntefering, aber
auch von anderen Kollegen der SPD gesagt worden ist,
unterstütze ich ausdrücklich.
Ich unterstütze ausdrücklich die Aussage, dass es auch
eine ethische Verantwortung der Unternehmen gibt, ich
unterstütze ausdrücklich die Aussage, dass wir keine
freie, sondern eine soziale Marktwirtschaft haben, und
ich unterstütze ausdrücklich die Aussage, dass die Wirt-
schaft den Menschen zu dienen hat. Das oberste Ziel ist
letztlich der Mensch und die Wirtschaft ist Mittel zum
Zweck.
Ich sage ausdrücklich, dass wir allen Grund haben,
uns damit zu beschäftigen. Denn ich erlebe auch in mei-
ner eigenen Region, dass viele Menschen nicht mehr
verstehen, was in der Wirtschaft abgeht. Sie haben Angst
um ihren Arbeitsplatz und sie sind misstrauisch. Sie hö-
ren von steigenden Gewinnen, von höheren Renditezie-
len und zugleich von Massenentlassungen. Ich denke an
den Schlachter, der 20 oder 30 Jahre in seinem Betrieb
tätig war,
der durch seine Tätigkeit Tag für Tag, Woche für Woche
und Monat für Monat seine Familie ernährt hat und jetzt
feststellt, dass sein Arbeitsplatz weg ist und ein anderer
diesen zu Bedingungen übernommen hat, unter denen er
hier überhaupt nicht leben kann.
Deswegen ist es auch ausdrücklich richtig, in dieser Si-
tuation an die Wirtschaft zu appellieren, ihre soziale Ver-
antwortung wahrzunehmen.
Aber ich sage auch ganz deutlich: Man muss die Kir-
che im Dorf lassen und man muss redlich und fair sein.
Wenn die Politik den Eindruck erweckt, die Schaffung
von Arbeitsplätzen in Unternehmen sei lediglich eine
Frage des guten Willens der Unternehmer und nicht auch
eine Frage der Rahmenbedingungen, dann handelt sie
unverantwortlich gegenüber Arbeitslosen und Arbeit-
nehmern.
Wer einen solchen Eindruck erweckt, der gaukelt den
Menschen etwas vor, denn dafür fehlt jede reale Grund-
lage.
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Viele haben darüber spekuliert, welche Strategie da-
intersteckt. Es wird darüber spekuliert, ob sie erfolg-
eich sei oder nicht. Wenn ich das richtig gelesen habe
nd richtig einschätze, wird sie nicht erfolgreich sein;
enn Sie widersprechen sich im Grunde genommen. Im
rinzip brauchen Sie einen Sündenbock
ür Ihr Versagen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
as ist der Kern des Ganzen. Ich nenne ausdrücklich
uch die Sozialpolitik; denn Sie haben es nicht geschafft,
nsere sozialen Sicherungssysteme auch nur einen Milli-
eter weit von den Arbeitskosten abzurücken. Dabei
issen wir ganz genau: Das ist der Dreh- und Angel-
unkt, wenn wir es schaffen wollen, hier in Deutschland
afür zu sorgen, dass die Unternehmen mit ihren Ar-
eitsplätzen hier bleiben und nicht abwandern, sodass
ie Menschen im Lande Beschäftigungsmöglichkeiten
aben.
Ich erinnere an die Gesundheitsreform. Was kommt
ür die Menschen dabei heraus? Sie müssen kräftig zu-
ahlen, die Beiträge sind aber nicht verringert worden.
ch erinnere an die Arbeitsmarktreform. Der Herr Staats-
ekretär hat etwas dazu gesagt. Die Arbeitslosenzahl ist
icht vermindert worden, die Zahl der sozialversiche-
ungspflichtig Beschäftigten hat sich reduziert. Das, was
ich dort abspielt, hat die gleiche Funktion wie ein Laza-
ettwagen. In Wirklichkeit müssen die Strukturen verän-
ert werden, damit Menschen in die normalen Wirt-
chafts- und Arbeitsabläufe hineinkommen und dort den
ebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen
önnen.
Ich kann auch an die Rentenreform erinnern. Das Ni-
eau der Renten wird abgesenkt; die Renten werden
icht mehr erhöht, die Beiträge aber werden nicht ver-
indert. Milliardensummen aus allgemeinen Steuermit-
ln fließen in den Rententopf.
Ich zitiere aus „sueddeutsche.de“ vom 18. April. Dort
teht:
So kritikwürdig …
hier werden einige Punkte aufgelistet –
16110 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Hermann Kues
auch sind – die Hauptursache der deutschen Wirt-
schaftskrise stellen diese Vorgänge nicht dar.
Ich zitiere weiter:
Ein viel gravierenderes Problem manifestiert sich
hingegen in der übergroßen Belastung des Faktors
Arbeit, dem in Deutschland so gut wie alle Kosten
des Sozialstaates aufgebürdet werden.
– Jetzt geht es weiter; hören Sie doch einmal zu!
Statt hilflos über unwesentliche Probleme zu
schwadronieren,
– so „sueddeutsche.de“ –
täte der SPD-Chef gut daran, wirklich etwas für
seine Zielgruppe der Arbeitnehmer zu tun.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wir haben auch in dem Antrag, den wir heute Morgen
hier diskutiert haben, gesagt, wo es nach unserer Auffas-
sung hingehen soll, wobei ich ausdrücklich feststelle: In
erster Linie ist die Regierung gefordert. Sie haben dafür
den Apparat, Sie können beobachten, was sich auf euro-
päischer Ebene tut. Wir haben Hinweise gegeben, wie
man die Rahmenbedingungen für Arbeit verbessern
kann. Sie sollten zumindest das eine oder andere umset-
zen, damit wir in Deutschland vorankommen; denn wir
können es uns nicht leisten, dass weiter Stillstand
herrscht. Deshalb bitten wir Sie, etwas für Deutschland
zu tun.
Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Wend, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Deutschland kann stolz sein auf seine Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch auf die aller-
meisten Unternehmen und Unternehmer, auf den Mittel-
stand, erst recht da, wo er eigentümergeführt ist, sowie
auf viele große Unternehmen.
Diese Unternehmen verbindet, dass sie alle mindes-
tens drei Ziele haben.
Ziel Nummer eins ist, Gewinne zu machen. Das muss
so sein. Jede Gesellschaft, die etwas anderes meinte, ist
gescheitert.
Ein zweites Ziel haben sie: Sie kümmern sich um und
fühlen sich verantwortlich für ihre Beschäftigten und de-
ren Familien und überlegen es sich zehnmal, bevor sie
eine Kündigung aussprechen.
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Unternehmen in diesem Sinne sind die Unternehmen,
ie Art. 14 des Grundgesetzes ernst nehmen: Eigentum
erpflichtet.
iesen Unternehmen gegenüber sind wir verantwortlich
afür, dass sich die Standortbedingungen im globalen
ettbewerb verbessern. Das ist das, was sich hinter der
genda 2010 verbirgt.
Frau Wöhrl, Sie werfen uns Staatsversagen vor. Da
uss ich Ihnen doch einfach einmal vorhalten: Wir ha-
en das Land mit einem Spitzensteuersatz von
3 Prozent übernommen und diesen auf 42 Prozent ge-
enkt.
ir haben das Land mit einem Körperschaftsteuersatz
on 45 Prozent übernommen und diesen auf 25 Prozent
esenkt. Wir haben das Land mit einer Gewerbesteuer
bernommen und haben diese für die Personengesell-
chaften faktisch abgeschafft.
ir haben das Land von Ihnen mit einem verkrusteten
rbeitsmarkt übernommen und uns unter großen
chmerzen mit den Hartz-Reformen auf einen anderen
eg gemacht. Dass da gerade Sie von Staatsversagen
prechen, Frau Wöhrl, ist geradezu absurd. Das können
ir überhaupt nicht akzeptieren.
Es gibt in unserem Land aber auch andere Unterneh-
en. Das muss man genauso deutlich machen. Die wer-
en inzwischen im Wesentlichen von Fondsgesellschaf-
en als anonymen Eigentümern beherrscht. Bei denen
ibt es eben nicht mehr die drei Ziele, von denen ich ge-
prochen habe.
ie haben ein einziges Ziel: kurzfristig bis zur nächsten
ktionärsversammlung den maximalen Profit herauszu-
olen. Das tun sie, indem sie erstens die Personalkosten
urch Entlassungen reduzieren und indem sie zweitens
was fast noch schlimmer ist – auf Investitionen ver-
ichten, die sich nicht schon innerhalb weniger Monate,
ondern vielleicht erst in einigen Jahren rechnen. Das ist
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16111
)
)
Dr. Rainer Wend
schädlich für den Standort Deutschland und das muss
genauso deutlich benannt werden.
Das Problem, vor dem wir stehen – das ist doch et-
was, das auch Sie, mindestens die Union, beschäftigen
muss –, ist, zu erkennen, wie eine demokratische Gesell-
schaft in Zeiten der Globalisierung überhaupt noch
handlungsfähig ist.
Uns allen muss doch klar sein, dass die Ökonomie von
erheblicher Bedeutung ist, dass aber für die Werte in ei-
ner Gesellschaft jenseits der Fragen der Ökonomie auch
soziale, kulturelle und Umweltbelange eine entschei-
dende Rolle spielen, die wir in politische Entscheidun-
gen einbeziehen müssen.
Wenn wir uns diese Frage stellen, kommen wir nicht
darum herum zu sagen, dass sich die Welt seit Karl
Schiller und Strauß erheblich verändert hat. Als die in
den 60er-Jahren Minister waren, hatten sie die Chance,
eine nationalstaatliche Wirtschaftspolitik zu gestalten.
Die Spielräume dafür sind inzwischen mehr als eng. Wir
müssen uns eingestehen: Wenn wir in unseren Gesell-
schaften demokratisch steuern wollen, müssen wir über
den Nationalstaat hinaus europäisch denken. Die euro-
päische Dimension ist wichtig, wenn wir uns vorneh-
men, unsere Gesellschaft steuern zu wollen.
Glauben Sie mir eines: Wenn wir es in den nächsten
Monaten und Jahren nicht schaffen, den Menschen in
unserer Gesellschaft deutlich zu machen, dass es nicht
nur das Diktat der Ökonomie gibt, sondern dass die Ge-
sellschaft zusammenstehen muss, dass einer für den an-
deren einstehen muss und dass niemand ausgegrenzt
werden darf, dann werden wir den sozialen Frieden in
unserer Gesellschaft, auf den wir angewiesen sind,
meine Damen und Herren, nicht erhalten.
Zum Abschluss. Ich danke der FDP ausdrücklich für
diese Aktuelle Stunde.
Sie war gut, weil sie Gelegenheit gegeben hat, diese Po-
sitionen auszutauschen. Die FDP hat sich entschieden.
Die Sozialdemokratie ist am Anfang eines schwierigen
Weges, hat aber einiges bewältigt. Die Union – das ha-
ben die Reden deutlich gemacht – weiß nicht, wohin sie
will. Herr Kues hat mit vielem, was er gesagt hat, Recht
gehabt. Frau Wöhrl hat die Position von Herrn
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 d auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Nationaler Aktionsplan für ein kindergerech-
tes Deutschland 2005 bis 2010
– Drucksache 15/4970 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene
Rupprecht , Kerstin Griese, Rita
Streb-Hesse, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Jutta Dümpe-Krüger, Irmingard Schewe-
Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Zukunft unseres Landes sichern – Ein kin-
dergerechtes Deutschland schaffen
– Drucksache 15/5341 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marlene
Rupprecht , Angelika Graf (Rosen-
heim), Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Ekin Deligöz, Jutta Dümpe-Krüger, Volker Beck
16112 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Kinderrechte in Deutschland stärken – Erklä-
rung zur UN-Kinderrechtskonvention zurück-
nehmen
– Drucksache 15/4724 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Klaus Haupt, Dr. Werner Hoyer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Rücknahme der Vorbehaltserklärung
Deutschlands zur Kinderrechtskonvention der
Vereinten Nationen
– Drucksache 15/2419 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Bundesministerin Renate Schmidt.
Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeord-
nete! Unser aller Ziel muss es sein, Deutschland fami-
lien- und kinderfreundlicher zu machen. Wir wollen,
dass Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts eines der
kinderfreundlichsten Länder Europas wird. Denn Kinder
– das wissen wir alle – sind nicht nur eine Quelle priva-
ten Lebensglücks, sondern sie sichern auch unseren ge-
sellschaftlichen Wohlstand. Zukunft, das bedeutet nicht
an erster Stelle neue Technologien, sondern Menschen,
die Erfindungen machen können. Das sind unsere Kin-
der und Enkelkinder.
Wir brauchen eine starke, eine talentierte und gut ausge-
bildete junge Generation. Das bedeutet: Kinder müssen
wieder Vorrang in unserem Land haben.
Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft
müssen dafür sorgen, dass Mädchen und Jungen unter
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Mit dem nationalen Aktionsplan „Für ein kinderge-
echtes Deutschland“ haben wir die Ampeln für Kinder
achhaltig auf Grün gestellt. Mit dem Tagesbetreuungs-
usbaugesetz haben wir die rechtliche und finanzielle
rundlage für den Ausbau der öffentlichen Tagesbetreu-
ng und Tagespflege insbesondere für Kinder unter drei
ahren geschaffen. Bis 2010 werden mit Unterstützung
es Bundes 230 000 zusätzliche Betreuungsplätze ent-
tehen. Daneben engagiert sich der Bund auch für bes-
ere Bildung und Betreuung der Schulkinder. Insgesamt
is zu 7 Milliarden Euro stehen in dieser Legislatur für
eide Projekte zur Verfügung.
uf Bundesebene werden wir außerdem mit der von mir
ns Leben gerufenen „Allianz für die Familie“ konkrete
orschläge für eine familienfreundliche Unternehmens-
ultur und Personalpolitik entwickeln.
Hier, meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen
on der Union, nur eine kurze Anmerkung, weil dies
eute wohl nicht das Thema sein kann, zur Kritik im
nionsantrag an meiner Idee eines Elterngeldes. Ich
reue mich ausdrücklich über die jüngste mehrmalige
nterstützung der bayerischen Sozialministerin
tewens. Es ist im Übrigen ein Konzept für die nächste
egislatur, wenn der Ausbau der Betreuung vorange-
ommen sein wird. Wir werden noch ausreichend Zeit
aben, gemeinsam darüber zu diskutieren.
Auch meine Initiative „Lokale Bündnisse für Familie“
ird weiter ausgebaut. In ihr haben sich Kommunen,
irtschaft und Gewerkschaften, freie Träger, Verbände,
irchen und Initiativen für mehr Familienfreundlichkeit
n unserem Land zusammengeschlossen. Bisher gibt es
38 solcher Bündnisse in Kommunen, in denen rund
9 Millionen Menschen leben. Weitere 140 Bündnisse
ind in Planung.
Sobald sich solche interessierten Gruppen in Kommu-
en gemeinsam für Kinder engagieren, erhalten der Aus-
au der Kinderbetreuung und die pädagogische Qualität
den Einrichtungen einen Schub. Diese guten Beispiele
ilt es nunmehr flächendeckend zu verbreiten. Auch dies
erden wir mit unserer Kampagne zum Ausbau der
agesbetreuung unterstützen. Darüber hinaus werden
amilienzentren und Häuser des Kindes als niedrig-
chwellige Anbieter sozialer und familiennaher Dienste
ortentwickelt und weiter gefördert.
Ich verstehe alle diese Bemühungen als Beiträge zur
hancengerechtigkeit für Kinder. Denn die größte
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16113
)
)
Bundesministerin Renate Schmidt
Ungerechtigkeit ist die Tatsache, dass nirgendwo so sehr
wie bei uns die Herkunft eines Kindes über seine Bil-
dungschancen entscheidet.
Hier müssen wir an erster Stelle ansetzen, wenn wir
Kinder- und Familienarmut wirksam bekämpfen wol-
len. Denn die Hauptursache von Armut ist der Mangel
an Bildung.
Sie, meine Herren und Damen von der Union, bekla-
gen in Ihrem Antrag zu Recht die viel zu hohe Zahl der
Jugendlichen ohne Schulabschluss. Verantwortlich hier-
für sind ausschließlich die Länder. Dazu ein paar wenige
Zahlen: Nach den Aussagen des Statistischen Bundes-
amtes waren im Jahr 2003 6,8 Prozent der Schüler und
Schülerinnen in Nordrhein-Westfalen ohne Schulab-
schluss, in Bayern 8,7 Prozent und in Hessen 9,2 Pro-
zent.
Natürlich muss uns Kinder- und Familienarmut alar-
mieren. Sie hat ihre Hauptursache in der hohen Arbeits-
losigkeit – das wissen wir –, aber natürlich nicht nur. Sie
hat ihre Ursache auch in mangelnder Unterstützung der
Familien. Auch hier sind die Länder besonders gefor-
dert.
Dass die Schuldnerberatung eingestellt, die Familien-
und Erziehungsberatung reduziert und die Kinderbetreu-
ung eine teure Mangelware wird, trägt alles zur Verfesti-
gung von Kinder- und Familienarmut bei.
Chancengerechtigkeit bedeutet daher vor allem mehr
Qualität in der öffentlichen Kindertagesbetreuung.
Um die Qualität der Einrichtungen allgemein zu verbes-
sern, setzen wir mit einer Reihe von Initiativen wichtige
Zeichen, wie zum Beispiel mit der nationalen Qualitäts-
initiative, mit dem Modellprojekt „Bildungs- und Lern-
geschichten“ und dem Zwölften Kinder- und Jugendbe-
richt mit dem Thema „Bildung und Erziehung außerhalb
der Schule“.
Der Nationale Aktionsplan für ein kindergerechtes
Deutschland 2005 bis 2010 schreibt die erfolgreiche Po-
litik für Kinder und Familien fort. Um Deutschland kin-
derfreundlicher zu machen, bedarf es jedoch der An-
strengung aller gesellschaftlichen Akteure. Daher war es
uns schon bei der Entwicklung des Aktionsplans wich-
tig, alle Beteiligten, einschließlich der Kinderkommis-
sion des Deutschen Bundestages, und natürlich vor allen
Dingen die Kinder selbst mit einzubeziehen. Der Plan
trägt die Handschrift dieser produktiven Zusammenar-
beit und zeigt sechs Handlungsfelder auf:
Zum Ersten werden im Bereich der frühen Förderung
und Bildung unter anderem Maßnahmen angekündigt,
die darauf zielen, jedem jungen Menschen unabhängig
von seiner sozialen oder ethnischen Herkunft eine faire
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Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Mittwoch letz-
r Woche in einer Grundsatzrede zur Familienpolitik
uf die ökonomische Notwendigkeit kinder- und fami-
enfreundlicher Rahmenbedingungen hingewiesen. Eine
inderfreundliche Politik ist ein wesentlicher Standort-
orteil im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb. Ich bin
uversichtlich, dass diese Botschaft angekommen ist und
eshalb der Prozess der Umsetzung des Nationalen Ak-
onsplans genauso produktiv verlaufen wird wie seine
rstellung.
Zu diesem Zweck werden wir ein Monitoringverfah-
en installieren, das alle politischen und gesellschaftli-
hen Partner einbezieht. Eine kinderfreundliche Gesell-
chaft kann Wirklichkeit werden, wenn die Länder,
ommunen, Verbände, die Wirtschaft und die jungen
enschen selbst zusammen mit dem Bund den Nationa-
n Aktionsplan als gemeinsame Leitlinie begreifen und
msetzen.
Gleiches gilt im Übrigen für die Rücknahme des Vor-
ehalts der UN-Kinderrechtskonvention. Auch hier
üssen alle Akteure zusammenwirken; ansonsten kann
ies nicht gelingen.
s hat sich gezeigt, dass es aus heutiger Sicht nicht not-
endig gewesen wäre, dazu überhaupt eine Erklärung
bzugeben. Unsere gemeinsame Auslegung der Kinder-
echtskonvention würde auch ohne diese Erklärung in
leichem Maße gelten. Dies spricht aus der Sicht der
undesregierung, die sich seit Jahren dafür einsetzt und
ihrer Haltung durch den Ausschuss der Vereinten Na-
onen für die Rechte des Kindes bestärkt wird, für eine
ollständige, ersatzlose Rücknahme dieser Erklärung.
16114 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Bundesministerin Renate Schmidt
Dies bedarf jedoch der Zustimmung der Länder. Sie ist
bisher an dem Standpunkt der unionsregierten Länder
gescheitert.
„Der Schutz von Kindern geht uns alle etwas an“,
sagte Ihre Partei- und Fraktionsvorsitzende, meine sehr
geehrten Herren und Damen von der Union, auf einem
UNICEF-Kongress im Januar dieses Jahres. Da ging es
ausdrücklich auch um diese Frage. Diesem Satz können
wir alle zustimmen. Ich möchte ihn ergänzen: Der
Schutz von Kindern nimmt uns alle gleichermaßen in die
Pflicht.
Deshalb appelliere ich an Sie: Setzen Sie sich bei den
unionsregierten Ländern für eine Rücknahme dieser Er-
klärung ein und helfen Sie mit, diesem international un-
erträglichen Zustand nach Jahren der Diskussion endlich
ein Ende zu bereiten!
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-
men, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, zum Schluss
möchte ich dafür werben, dass wir, wenn es um Kinder
geht, auch unsere Sprache und damit schrittweise auch
die Mentalität in unserem Land ändern. Natürlich sind
Kinder manchmal Last, natürlich sind sie manchmal
mühsam, natürlich sind sie manchmal Plage und natür-
lich können sie die materielle Leistungsfähigkeit ihrer
Eltern überfordern und auch zum Armutsrisiko werden.
Das alles weiß ich. Ich möchte um Himmels willen
nichts beschönigen oder verharmlosen. Aber an erster
Stelle – darüber sollten vor allen Dingen wir, die wir
Kinder haben, reden – stehen Kinderglück, Freude, Le-
benserfüllung und die Zukunftshoffnung, dass von uns
etwas bleibt. Meine Bitte ist deshalb: Reden wir über
Kinder als das, was sie sind! Meine zweite Bitte ist: Ma-
chen Sie mit beim Nationalen Aktionsplan und helfen
Sie mit bei der Erreichung unseres Ziels, Deutschland zu
einem der kinderfreundlichsten Länder Europas zu ma-
chen!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr geehr-
ten Kolleginnen und Kollegen! Das war, wie schon so
oft in letzter Zeit, Frau Ministerin, eine wortgewaltige
Rede. Sie haben viele Dinge, die Sie zu tun gedenken,
angekündigt und zu Papier gebracht. Ich muss Ihnen ein
Kompliment machen: In dieser Rubrik sind Sie kaum zu
schlagen, das machen Sie sehr gut.
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enn – jetzt müssen wir ehrlich sein – welche Etappen
aben Sie denn erfolgreich zurückgelegt?
Bleiben wir einmal bei dem wichtigsten Themenbe-
eich des Plans, der eigentlich alle anderen unterordnet:
as ist die Entwicklung eines angemessenen Lebens-
tandards für alle Kinder. Sie sagen: „Die materiellen
edingungen, unter denen Kinder aufwachsen, haben
influss auf deren weitere Lebenswege. Sie entscheiden
uch über die Chancen auf ein gutes Leben und die ge-
ellschaftliche Integration als Erwachsene.“ Und was tun
ie, Frau Ministerin? Sie loben Ihre Arbeit und stellen
est – jetzt zitiere ich –:
Trotz der schwierigen haushaltspolitischen … Si-
tuation hat die Bundesregierung in der vergangenen
und laufenden Legislaturperiode durch steuer- und
familienpolitische Maßnahmen die Einkommens-
situation von Familien insgesamt verbessert und fi-
nanzielle Leistungen … ausgebaut …
ann frage ich mich: Warum jubeln die Familien in die-
em Land eigentlich gar nicht? Sie müssten doch zufrie-
en sein!
Die aktuellen Zahlen des 2. Armuts- und Reichtums-
ericht, Frau Ministerin, der erst vor wenigen Wochen
eröffentlicht wurde, belegen aber sehr deutlich, dass die
ituation keineswegs besser, sondern sehr viel schlechter
eworden ist. Verschließen Sie doch nicht die Augen vor
er Realität, sondern schauen Sie hin! In über sechs Jah-
en Ihrer Amtszeit ist keine Trendwende eingetreten. Sie
aben es nicht geschafft, die Entwicklung zu bremsen
nd in eine andere Richtung zu führen. Sie wollten – mit
iesem Anspruch sind Sie angetreten – durch eine
rundlegend andere Sozial-, Wirtschafts- und Bildungs-
olitik in Deutschland für mehr Beschäftigung, weniger
oziale Ausgrenzung und weniger Armut sorgen. Und
as ist geschehen? Nichts. Viele Versprechungen, fal-
che politische Entscheidungen – Sie haben den Teufels-
reis nicht durchbrochen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16115
)
)
Ingrid Fischbach
Im Nationalen Aktionsplan ist zu lesen:
Als wichtigste internationale Verpflichtung betrach-
tet die Bundesregierung die signifikante Reduzie-
rung von Armut.
Sie haben sie gesteigert.
Ihr Handeln orientiert sie ganz wesentlich an der
Millenniumserklärung, die … im September 2000
beschlossen wurde.
Ihre bisherige Bilanz, Frau Ministerin, ist erschreckend.
Kinder und Jugendliche haben das höchste Armuts-
risiko.
Deshalb sage ich auch an dieser Stelle wieder: NAP
heißt hier „Nichts außer Perspektivlosigkeit“.
Arbeitslosigkeit ist die Hauptursache von Armut und
sozialer Ausgrenzung. Sie betrachten zwar die Arbeits-
vermittlung als besten Weg, um die Arbeitslosigkeit zu
bekämpfen – darin stimmen wir Ihnen zu; das gilt beson-
ders für Alleinerziehende –, aber Sie haben trotzdem die
Arbeitslosigkeit nicht reduzieren können. Die Zahl der
Arbeitslosen ist mit 5,2 Millionen dramatisch hoch.
Besonders besorgniserregend ist die Situation junger
Leute. Die Zahl der Jugendlichen ohne Arbeit liegt zur-
zeit bei 665 000. Das entspricht einer Steigerung um
200 000 junge Menschen.
Wenn man Statistiken heranzieht, Frau Ministerin,
dann muss man alle berücksichtigen. Sie haben ausge-
führt – darin sind wir einer Meinung –, dass auch die
Bildung etwas damit zu tun hat, ob man arbeitslos wird.
Sie haben in diesem Zusammenhang zwei Vergleichs-
zahlen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen genannt.
Sie haben festgestellt, dass der Bildungsstand in Bayern
niedriger ist als in Nordrhein-Westfalen.
– Ja, es gibt mehr Schulabbrecher als in Nordrhein-West-
falen. Aber nichtsdestotrotz sind in Bayern weniger
Jugendliche arbeitslos als in Nordrhein-Westfalen. In
Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der arbeitslosen Ju-
gendlichen um fast 30 Prozent gestiegen. Diese Zahl
sollte man sich zu Gemüte führen, wenn man die Bun-
desländer miteinander vergleicht.
Wir meinen, dass es nicht nur darum geht, Kinder frü-
her und besser zu fördern; vielmehr spielen auch die
Schulsysteme eine große Rolle. Gerade in den von der
CDU oder der CSU regierten Ländern werden bedeutend
bessere Ergebnisse erzielt als in den von Ihnen regierten
Ländern.
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eshalb sollten Sie sich die Zahl noch einmal zu Gemüte
ühren: In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der arbeits-
osen Jugendlichen um 29,8 Prozent gestiegen. Diese
uote müssen Sie erst einmal reduzieren; dann können
ir weiter diskutieren.
Frau Ministerin, Sie haben im Zusammenhang mit
em NAP das Elterngeld und den Kinderzuschlag ange-
prochen. Dazu möchte ich einige Anmerkungen ma-
hen.
Das von Ihnen angekündigte Elterngeld – auch hier-
ei handelt es sich wieder um eine Ankündigung; Kon-
retes findet sich dazu nicht – widerspricht unserem
rinzip einer bedarfsgerechten Förderung und verletzt
nserer Meinung nach auch den Grundsatz der Wahlfrei-
eit.
ie wollen die Zahlung von Elterngeld an die Verpflich-
ung beider Elternteile knüpfen, zumindest teilweise El-
ernzeit in Anspruch zu nehmen. Dies greift eindeutig in
ie Entscheidungsfreiheit der Eltern ein und das wollen
ir nicht.
as bisherige Erziehungsgeld ist eine Anerkennung der
rziehungsleistung der Eltern. Als solche wird es allen
ltern in gleicher Höhe gewährt, sofern sie die gesetz-
ich festgelegten Einkommensgrenzen nicht überschrei-
en. Das Elterngeld hingegen begünstigt Eltern mit höhe-
en Einkommen.
Was Sie nun vorhaben, ist wieder einmal typisch: Sie
ollen ein Elterngeld für die Besserverdienenden ein-
ühren; aber damit diejenigen, die weniger haben, nicht
leich laut protestieren, kündigen Sie den Kinder-
uschlag an. Nun könnten wir meinen – der Begriff
Kinderzuschlag“ hört sich zunächst positiv an –, dass
amit die Familien gefördert werden sollen, die gerin-
ere Einkünfte haben. Ich denke, dass Sie das mit dem
inderzuschlag tatsächlich erreichen wollten. Im Natio-
alen Aktionsplan schreiben Sie, die Politik ziele
… darauf ab, die finanzielle Förderung für Familien
zielgerichteter zu gestalten. Ein Beispiel dafür ist
die Einführung eines einkommensabhängigen Kin-
derzuschlags … Der Kinderzuschlag richtet sich an
gering verdienende Eltern … Mit dem Kinderzu-
schlag wird Kinderarmut konkret verringert.
as hört sich zwar gut an, aber wir glauben es nicht.
Hören Sie zu, dann bekommen Sie die Belege! Ich
ebe sie Ihnen gleich schriftlich, Frau Kressl. Dann kön-
en Sie das zu Hause nachlesen.
Ich würde nicht darüber lachen, Frau Kressl!
16116 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Ingrid Fischbach
Denn wie sieht die Realität aus, Frau Ministerin? Sie
haben wieder einmal große Ankündigungen in große
Worte gefasst, aber nicht erwähnt – das aber ist für die
Menschen wichtig, vor allem für Alleinerziehende –,
dass die Auszahlung des Kinderzuschlags an vielfältige
Kriterien gebunden ist. In Nordrhein-Westfalen zum
Beispiel – hierbei beziehe ich mich auf eine Sendung des
WDR vom 24. März – werden 90 Prozent der Anträge
auf Gewährung eines Kinderzuschlages abgelehnt. Man
könnte vielleicht denken, dass die Antragsteller in Nord-
rhein-Westfalen zu viel verdienen. Aber das ist nicht der
Fall. Aufgrund der Einführung der Mindesteinkommens-
grenzen werden viele Anträge deshalb abgelehnt, weil
die Eltern zu wenig verdienen.
Das muss man sich einmal vorstellen: Sie wollen zwar
mit dem Kinderzuschlag den einkommensschwachen
Familien helfen, wenn aber die Eltern zu wenig verdie-
nen, dann erhalten die Familien den Zuschlag nicht!
Ich will ein Beispiel nennen. Eine allein erziehende
Mutter, die zwei Kinder zu versorgen hat und halbtags
arbeiten geht, verdient 113 Euro zu wenig – ich bitte Sie,
jetzt zuzuhören, Frau Kressl, weil Sie an dieser Stelle et-
was ändern können – und erhält deshalb keinen Kinder-
zuschlag. Sie müsste nun ihre Arbeit aufgeben. Dann
hätte sie die Möglichkeit, andere Hilfen und das
Arbeitslosengeld II in Anspruch zu nehmen. Sie stünde
sich also besser, wenn sie nicht arbeiten ginge. Wo bleibt
denn hier das Prinzip der Stärkung der Eigenverantwor-
tung? Frau Ministerin, das geht doch an den Menschen
absolut vorbei.
Die Dinge, die Sie ansprechen, klingen zwar gut.
Aber sie greifen in der Realität leider gar nicht. Das
zeichnet leider alles aus, was Sie als erfolgreichen Weg
beschrieben haben, Frau Ministerin. Dabei sind viele
Ideen gar nicht schlecht, zum Beispiel das Tagesbetreu-
ungsausbaugesetz, die Stärkung der privaten Tages-
pflege. Das ist richtig und wichtig. Aber dann müsste
zum Beispiel der Schritt kommen, die Betreuungskosten,
also die Kosten, die Eltern entstehen, steuerlich absetz-
bar zu machen. Das haben wir vorgeschlagen. Das hätten
Sie doch machen können. Aber das haben Sie noch nicht
einmal aufgenommen.
– Frau Griese, wenn Sie einen entsprechenden Antrag
vorlegen, dann haben Sie uns sofort auf Ihrer Seite. Das
haben Sie aber nicht getan.
Ich habe im KICK gelesen – das hat mich wieder
erstaunt –, da Sie die Förderung und Unterstützung pri-
vater Tagespflege, das heißt privater Tagesmütterver-
bände propagieren, dass alle privaten Betreuungsverhält-
nisse der Genehmigung des Jugendamtes bedürfen. Sie
bauen schon wieder ein Bürokratiemonstrum auf. So
werden die betroffenen Frauen ihre Entscheidung für
eine Tagespflege wieder zurücknehmen. Das, was Sie
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ie können hier doch nicht Dinge verkünden und so tun,
ls ob Sie für Verbesserungen für Familien sorgten, und
n Wirklichkeit nichts tun. Ich bitte Sie, hierüber noch
inmal nachzudenken und etwas zu verändern.
Ich könnte noch fortfahren und auf die Beteiligung
on Kindern und Jugendlichen zu sprechen kommen.
Das können Sie leider nicht, weil die Zeit das nicht
ulässt.
Herr Präsident, ich habe gesehen, dass die Uhr tickt.
eswegen komme ich nun zum Schluss.
Frau Ministerin, ich bitte Sie um Folgendes: Unsere
ugend ist unsere Zukunft. Deshalb ist es notwendig und
ichtig, ihr Zukunftsperspektiven aufzuzeigen, Perspek-
iven, die ihr Mut machen, die sie motivieren. Keine
euen Ankündigungspläne mehr! Es reicht. Hören Sie
uf, anzukündigen! Handeln Sie! Dann haben Sie uns an
hrer Seite.
Das Wort erhält nun die Kollegin Ekin Deligöz. Be-
or Sie das Wort erhalten, möchte ich Ihnen zu Ihrem
eutigen Geburtstag gratulieren,
erbunden mit allen guten Wünschen nicht nur für diese
ebatte, sondern auch für das kommende Jahr.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen
nd Kollegen! Der Nationale Aktionsplan, den wir heute
ehandeln, enthält zweierlei: Einerseits ist er für uns die
estätigung unserer Politik. Andererseits ist er eine He-
ausforderung für die Zukunft. In dem Nationalen Ak-
onsplan wird bestätigt, dass das, was wir bisher gemacht
aben, um dieses Land kinder- und familienfreundlicher
u machen, der richtige Weg ist.
Wir haben eine ganze Menge in Sachen Kinderrechte,
amilienförderung und Zusammenleben von Alt und
ung in diesem Land erreicht. Es ist wichtig gewesen,
ass wir die Weichen in diesem Land neu gestellt haben.
enn ich über Weichenstellungen rede, dann rede ich
uch über Kinderrechte, darüber, dass es in diesem Land
in Recht auf gewaltfreie Erziehung gibt – Kinder sind
icht mehr Rechtsobjekte, sondern Rechtssubjekte mit
igenständigen Ansprüchen –, über Ganztagsschulpro-
ramme, die dem Ausbau von Bildung dienen, und über
as Tagesbetreuungsausbaugesetz, das den Ausbau von
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16117
)
)
Ekin Deligöz
Betreuung bezweckt. Damit haben wir mehr getan, als es
eigentlich unsere Aufgabe auf Bundesebene ist. Wir sind
darüber hinausgegangen. Wir haben gesagt: Wir nehmen
unsere Verantwortung ernst und tun alles, was wir tun
können, um auch in diesem Bereich voranzukommen.
Mit dem, was wir gemacht haben, haben wir die
Signale in der Gesellschaft gesetzt. Wenn wir heute über
die Qualität von Einrichtungen reden, wenn die Bundes-
länder über eine Neuqualifizierung von Mitarbeiterinnen
in Kindergärten und Kitas reden, um die Betreuung zu
verbessern, wenn wir über Erziehungs- und Bildungs-
pläne sowie über mehr Qualität bei den Tagesmüttern re-
den, dann darf man nicht vergessen, dass das unsere De-
batte ist. Wir haben diese Debatte gestartet, wir haben
sie geführt und gewonnen. Nun reden wir darüber. Das
ist viel mehr als das, was wir in diesem Land übernom-
men haben, als wir als Regierung angetreten sind.
Wenn Sie nun kritisieren, dass wir zwar einerseits
mehr wollen, dass wir andererseits für mehr Bürokratie
sorgen, dann frage ich Sie – hier sind ja viele Mütter
anwesend –: Wer haftet denn, wenn einem Kind in der
Obhut einer Tagesmutter etwas zustößt? Wer muss die
Verantwortung übernehmen? Wer qualifiziert die Tages-
mütter? Natürlich müssen wir diese Verantwortung über-
nehmen. Natürlich müssen wir die Ängste und Sorgen
der Eltern ernst nehmen und die richtigen Antworten fin-
den.
Sie signalisieren die Sorge, das sei zu bürokratisch.
Meine Botschaft lautet: Es geht um die Kinder; es geht
um die Rechte der Kinder; es geht darum, den Kindern
das Beste zu geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Fischbach?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin Deligöz, ich glaube, Sie haben mir
nicht richtig zugehört. Ich habe nicht gesagt, durch die
Tagespflege werde ein bürokratisches Monster geschaf-
fen; es ging mir lediglich um die neue Regelung im
KICK, nach der jedes private Betreuungsverhältnis vom
Jugendamt genehmigt und überprüft werden muss. Dies
schafft neue Bürokratie.
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iese Arbeit wird bisher von vielen Menschen ohne eine
ntsprechende Qualifikation geleistet.
Hören Sie mir doch einfach einmal zu, Herr
ossmanith! – Ich weiß, dass so der typische Tagesmut-
erarbeitsplatz in diesem Land aussieht. Gerade deshalb
üssen wir etwas tun: weil es nicht mehr reicht, dass die
inder in der frühesten Kindheit satt, sauber und aufge-
oben sind. Wir sagen: Es geht darum, die Kinder so
rüh wie möglich zu fördern. Das, was bei den Kindern
alsch gemacht wird, kann im Erwachsenenalter nicht
ehr rückgängig gemacht werden.
Mit Bildung und Erziehung muss in der frühesten
indheit und nicht erst in der Schulzeit angefangen wer-
en. Unser Ziel ist, die Qualität der frühkindlichen Er-
iehung zu steigern. Wir wollen für unsere Kinder den
esten Rahmen organisieren. – Das ist unsere Antwort
uf die Frage, warum das so wichtig ist, und der Grund
afür, dass wir das alles machen.
Nein.
Nein? – Na gut. Ich hätte sie zugelassen.
Das glaube ich sofort. Die Fantasie zur Erweiterung
er zugemessenen Redezeit ist in diesem Haus uner-
chöpflich. Aber wenn wir in der Nähe der vereinbarten
16118 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Gesamtdebattenstruktur bleiben wollen, dann muss es
möglich sein, zu unterbinden, dass sich Redner durch die
Beantwortung mehrerer Zwischenfragen zusätzliche Re-
dezeit ergaunern.
Aber das ziehen Sie jetzt von meiner Redezeit ab.
Das ziehe ich sofort ab, Frau Kollegin. Sie haben we-
gen Ihres Geburtstags heute ohnehin einen Zuschlag.
Bitte schön.
Den Begriff „Zuschlag“ greife ich gerne auf: Das Ziel
des vorhin in der Debatte erwähnten Kinderzuschlags
ist es, Menschen, die zwar arbeiten und ein Erwerbsein-
kommen haben, damit aber nicht den Unterhalt ihrer
Kinder finanzieren können, dazu zu verhelfen, aus der
Armutsfalle herauszukommen. Durch diesen Zuschlag
brauchen sie nicht zum Sozialamt oder zum Jobcenter zu
gehen und Bittsteller zu werden. Dafür wollen wir sor-
gen.
Natürlich muss dieser Zuschlag begrenzt sein. Wir
kennen in unserem Sozialsystem das Günstigkeitsprin-
zip: Jeder hat einen Anspruch auf die für ihn beste Leis-
tung. Mit anderen Worten: Das Sozialrecht sieht solche
Grenzen vor.
Ich gebe zu: Ich sähe es gern, wenn viel mehr Kinder
und viel mehr Familien leistungsberechtigt wären. Wir
Grünen haben dazu Vorschläge gemacht, wie man das
Ganze weiterentwickelt kann. Wir arbeiten darauf hin,
diese Vorschläge umzusetzen. Falsch ist aber, das ge-
samte Instrument zu verurteilen, wie Sie es tun. Der An-
satz, Menschen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt zu ak-
tivieren, Armut ernst zu nehmen und auf die damit
verbundenen Fragen Antworten zu geben, ist richtig.
Das ist das richtige Instrument. An diesem Instrument
arbeiten wir. Insofern setzen wir auch die richtigen Si-
gnale.
Wir setzen ein weiteres Signal: Politik, Gesetzgeber,
wir im Parlament, Regierung und auch die verschiede-
nen staatlichen Ebenen sind für Familienpolitik verant-
wortlich, aber nicht allein. Wir brauchen Bündnispartner,
um kinder- und familienfreundliche Verhältnisse zu
schaffen. Wir brauchen verschiedene Akteure als Bünd-
nispartner: Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen, Ver-
bände, Organisationen, Verwaltungen. Genau das ist die
Grundlage einer familienfreundlichen Politik. Ich kann
nur jeden und jede dazu aufrufen, seinen bzw. ihren Teil
dazu beizutragen, dieses Land kinderfreundlicher zu ma-
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An diesem Nationalen Aktionsplan waren Kinder und
ugendliche beteiligt. Bei dieser Regierungsvorlage, die
ir hier gemeinsam diskutieren, ist es uns zum ersten
al gelungen, Kinder und Jugendliche tatsächlich zu be-
eiligen. Sie ernst zu nehmen und partizipieren zu lassen,
st gelebte Demokratie.
Da auch die Kinderkommission daran mitgearbeitet
at und ich als Vorsitzende der Kinderkommission daran
eteiligt war, möchte ich mich ausdrücklich bedanken
nd auch die Bereitschaft dazu erklären, bei den Aufga-
en, die Kinder und Jugendliche an uns herangetragen
aben, weiterhin konstruktiv mitzuarbeiten.
In der Unterrichtung sind auch die Herausforderun-
en für die kommenden Jahre beschrieben. Diese He-
ausforderungen werden mit den folgenden Begriffen
eutlich gemacht: Chancengerechtigkeit, Bildung, Ge-
undheit und Ernährung, soziale Sicherung, Lebensstan-
ards – für alle gleichwertig in diesem Land –, aber auch
echte von Kindern. Das heißt für uns Politikerinnen
nd Politiker: Ärmel hochkrempeln und gute Arbeit tat-
räftig fortsetzen.
Wenn ich schon von Signalwirkung spreche, dann ge-
ört natürlich dazu, die Rücknahme der Vorbehalte ge-
en die UN-Kinderrechtskonvention zu erwähnen. Da-
ei geht es um Signale, die wir in diesem Land nach
ußen senden müssen, die wir im Sinne der Kinderrechte
ber auch in dieses Land hinein senden müssen. Dafür
üssen wir uns gemeinsam einsetzen. Für uns sind alle
inder gleich, egal woher sie kommen, egal warum sie
erkamen. Sie sind minderjährig.
Da reicht es nicht, dass sich Bund und Länder gegen-
eitig Bälle zuwerfen. Es ist an der Zeit, finde ich, dass
an sich endlich einmal gemeinsam hinsetzt, über diese
benen hinweg, und sagt: Wir tun etwas für unsere Kin-
er und nehmen die Vorbehalte zurück. Den Vorwurf,
it der Rücknahme der Vorbehalte würde sich auslän-
errechtlich etwas ändern, teile ich übrigens nicht. Ganz
Gegenteil glaube ich, dass das ein wichtiger Schritt
Sinn einer kinderfreundlichen Gesellschaft sein wird.
n diesem Punkt werden wir auch vom Ausland beo-
achtet. Deshalb sind wir geradezu gezwungen, diesen
chritt zu gehen. Ich fordere Sie von der CDU/CSU auf,
as zu unterstützen, damit uns gemeinsam eine kinder-
reundliche Welt, ein kinderfreundliches Land gelingt.
as ist unser Ziel. Das ist unsere Verantwortung. Lassen
ie uns diese Verantwortung gemeinsam übernehmen!
Danke schön.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16119
)
)
Das Wort hat nun der Kollege Klaus Haupt für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehr-
ten Kolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage des Na-
tionalen Aktionsplans für ein kindergerechtes Deutsch-
land kommt die Bundesregierung einer Verpflichtung
aus den Vereinbarungen des Weltkindergipfels von 2002
in New York nach.
Wir sind uns alle einig, über Parteigrenzen hinweg,
glaube ich, dass ein kindergerechtes Deutschland ein
Ziel ist, für das man sich gemeinsam einsetzen sollte.
Wir sollten der Kinder- und Jugendpolitik in unserer Ar-
beit einen noch viel höheren Stellenwert geben; denn
dieses Politikfeld nimmt die größte gesellschaftliche He-
rausforderung für unser Land ins Visier: die Fehlwahr-
nehmung von Kindern als Last, als Mühsal, als Stolper-
stein bei der Karriere, als Kostentreiber.
Ich freue mich ganz besonders darüber, dass der NAP
auch unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
erarbeitet wurde; meine Vorrednerin hat schon darauf
aufmerksam gemacht. Junge Menschen wollen Verant-
wortung tragen und ihre Welt mitgestalten. Sie erheben
zu Recht Anspruch auf Beteiligung.
Ich freue mich darüber, dass das „Projekt P“ auf die
Gestaltung durch Kinder und Jugendliche selbst setzt.
Deshalb, Frau Ministerin, hat die FDP erst letzte Woche
ihre Unterstützung für die geplanten Aktionen, zum Bei-
spiel das Festival Berlin 2005 im Sommer, betont.
Eine aktive Beteiligung von Kindern und Jugendli-
chen darf sich aber nicht in einzelnen Aktionen erschöp-
fen. Sie muss kontinuierlich erfolgen und ernsthafte Ge-
staltungs- und Mitentscheidungschancen für die jungen
Generationen bieten. Wenn wir Beteiligung ernst neh-
men, müssen wir die Rechte von Kindern und Jugendli-
chen stärken. Ich begrüße es, meine seit Jahren wieder-
holte Forderung im NAP wiederzufinden: Wir müssen
Kinder und Jugendliche besser über ihre Rechte infor-
mieren und Kinderrechte auch im Bewusstsein der Er-
wachsenenbevölkerung verankern.
Es ist noch viel zu tun, damit in Kindergärten, Schu-
len, Freizeiteinrichtungen, in der Jugendhilfe, in der Jus-
tiz und in den Familien, nicht zuletzt aber auch bei den
Politikern klar ist, welche Rechte Kindern beispiels-
weise nach der UN-Kinderrechtskonvention zustehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als leider schier un-
endliche Geschichte zieht sich die Debatte über die
Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder-
rechtskonvention durch die letzten Jahre; Frau Bundes-
ministerin, Sie haben darauf verwiesen. Dazu sagt die
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Sie wirkt wie ein Vorbehalt gegen Fortschritte in der
inderrechtsdiskussion. Das belastet den Dialog mit den
inderrechtsorganisationen erheblich. Eine Rücknahme
er Vorbehalte ist sachlich möglich und politisch gebo-
en. Der Vorbehalt schadet dem deutschen Ansehen im
usland. Deutschland darf anderen Staaten keinen Vor-
and liefern, selbst Vorbehalte gegen Kinderrechte auf-
ubauen.
Frau Ministerin, die Rücksichtnahme auf die Bundes-
änder darf nicht zu einer weiteren Verschleppung der
ntscheidung führen. Die Aufhebung der Vorbehaltser-
lärung ist ein dringend notwendiges und längst überfäl-
iges Signal für ein kinderfreundliches Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts des
AP, dem die FDP grundsätzlich positiv gegenübersteht,
uss ich aber auch deutlich erhebliche Probleme anspre-
hen. Es ist, Frau Ministerin, Augenwischerei, wenn Sie
ehaupten, Sie hätten den Ausbau der Betreuungsange-
ote für Kleinkinder sichergestellt. Sie wissen, dass die
inanzierung für die Maßnahmen des TAG auf töner-
en Füßen steht. Städte und Gemeinden bezweifeln
ehr denn je, dass ihnen 1,5 Milliarden Euro jährlich für
en Ausbau der Betreuungsangebote zur Verfügung ste-
en. So sehr sich die FDP diesen Ausbau auch wünscht,
o ungewiss ist er derzeit leider.
Wenn sich die Bundesregierung einen angemessenen
ebensstandard der Kinder zum Ziel setzt, sollte sie
uch zugeben, wie weit wir davon entfernt sind – Frau
ollegin Fischbach hat darauf verwiesen –, nicht zuletzt
eil die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik von Rot-
rün versagt hat. Dies ist ja zuletzt durch den Armutsbe-
icht dokumentiert worden.
Kinder leiden erheblich unter der Arbeits- und Per-
pektivlosigkeit ihrer Eltern. Für Jugendliche sind Aus-
ildung und Arbeit mehr als nur die Grundlage für ein
irtschaftlich unabhängiges Leben. Sie haben auch zen-
rale Bedeutung für die Identitätsfindung, die Selbstver-
irklichung und die Selbstbestimmung. Armutsbekämp-
ung darf aus unserer Sicht nicht mehr allein über
inkommenstransfers und Umverteilung angestrebt wer-
en. Vielmehr ist die Wiederherstellung von wirtschaftli-
her und sozialer Handlungsfähigkeit der Betroffenen
ötig. Diese Sichtweise rückt die Hilfe zur Selbsthilfe in
en Mittelpunkt.
Die Kindertagesbetreuung ist dabei ein wichtiges
nstrument zur besseren Vereinbarkeit von Kindern und
eruf. Die Verklärung der Kindertagesbetreuung zum
16120 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Klaus Haupt
Allheilmittel unserer kinderarmen Gesellschaft ist je-
doch schlicht lebensfremd.
Der Kampf gegen Kinderlosigkeit erfordert vor allem
ein gesellschaftliches Umdenken. Kinderfreundlichkeit
beginnt in den Köpfen und beginnt im Alltag. Mit Geld
allein lässt sich das nicht regeln. Kinderfreundlichkeit ist
auch nicht von Staats wegen zu verordnen. Entscheidend
sind die individuellen Einstellungen der Menschen: der
Arbeitgeber und der Personalchefs, die Schwangerschaf-
ten und Elternzeiten als etwas Selbstverständliches be-
greifen; der Nachbarn, die sich bei Kinderlärm nicht
nach Friedhofsruhe sehnen;
der Eltern, die die Erfahrung machen, dass Kindererzie-
hung die anspruchsvollste, aber auch spannendste He-
rausforderung darstellt, die das menschliche Leben zu
bieten hat.
Einen gesellschaftlichen Wandel zu solchen Einstel-
lungen herbeizuführen ist eine schwierige Aufgabe, die
die Politik wirklich nicht allein leisten kann, an der sie
aber mitwirken muss. Denn schon Martin Luther stellte
fest: Bei den Kindern muss angefangen werden, wenn es
im Staate besser werden soll.
Danke.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marlene Rupprecht,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen! Kollegen! Ich gehörte
dem Kreis an, der diesen Nationalen Aktionsplan erar-
beitet hat. Es war eine Gruppe von Menschen aus Minis-
terien und Regierungsorganisationen, aber vor allem aus
Nichtregierungsorganisationen und von Kindern. Was
Sie im Nationalen Aktionsplan finden, sind also Vor-
schläge und Feststellungen genau dieser Menschen. So
sollte man ihn auch lesen. Das Schöne daran ist, dass
Vorschläge gemacht wurden, ohne dass dabei darauf ge-
achtet wurde, ob der Bund, die Gemeinden, die Länder
oder eine andere Institution zuständig sind. Vielmehr ha-
ben die Kinder Vorschläge gemacht, wie sie sich das
Land vorstellen und was sie am liebsten hätten. Dabei
war es ihnen ziemlich egal, ob Schulpolitik in der Hand
des Bundes oder der Länder liegt. Die Schulpolitik näm-
lich, die sie brauchen, ist eine kindgerechte. So viel
dazu, wie der Nationale Aktionsplan entstanden ist.
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Wir sehen nämlich Kinder als eigenständige Persön-
ichkeiten, als Subjekte, und nicht, wie in Ihrem Antrag
u lesen ist, nur als „Objekte von“. Ich kann mich noch
n die Debatte in der letzten Wahlperiode erinnern, wo
s hauptsächlich um folgenden Satz ging, der ins BGB
ingefügt werden sollte: Kinder haben ein Recht auf ge-
altfreie Erziehung.
ls es darum ging, ist hier fast das Schwert gezogen
orden. Sie wollten, dass es heißt: Kinder sind gewalt-
rei zu erziehen. Damit wären sie zum Objekt von Erzie-
ung geworden. Wir haben gesagt, Kinder haben ein
echt, das ihnen zu Eigen ist und das ihnen kein Mensch
ehmen kann. Diesen Paradigmenwechsel im Denken
ollen wir hinaustragen und verankern.
azu müssen wir erkennen, dass Kinder eigene Rechte
aben, egal woher sie kommen.
Deshalb richte ich auch einen Appell an alle unionsre-
ierten Länder, dass sie ihren Widerstand gegenüber der
N-Kinderrechtskonvention aufgeben; denn sie sind
s, die dafür verantwortlich sind, dass wir die Konven-
ion nur mit Vorbehalten anerkennen. Damit würden wir
ermeiden, das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt
u beschädigen, und kämen endlich dazu, dass Kinder
rnst genommen werden und ihnen kein Schaden zuge-
ügt werden darf.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Fischbach?
Aber gerne, Frau Fischbach. Da wir zusammen in der
inderkommission sitzen, denke ich, ist das mehr als
echt und billig. Bitte schön.
Das hält mich jetzt trotzdem nicht von meiner Frage
b. – Ich kann mich sehr gut an die Diskussion in der
etzten Legislaturperiode über das Recht auf gewalt-
reie Erziehung erinnern. Ich hatte in diesem Zusam-
enhang insbesondere den von Ihnen genannten Punkt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16121
)
)
Ingrid Fischbach
kritisiert, aber vielleicht haben Sie da ja neuere Erfah-
rungen. Sie haben gerade gesagt, Kinder hätten ein
Recht auf gewaltfreie Erziehung. Ich möchte Sie nun
fragen: Welche Möglichkeiten hat das Kind, dieses
Recht auf gewaltfreie Erziehung einzufordern bzw. ein-
zuklagen?
Frau Fischbach, Sie wissen, dass bei der Diskussion
darüber damals schon ganz deutlich wurde, dass dieser
Satz ähnlich wie in Schweden einen Appell an die Ge-
sellschaft darstellen soll. Denn Gewalt in der Erziehung
steht jetzt schon unter Strafe. Diese muss man nicht
strafbewehren. Etwas anderes ist es – das fällt nicht un-
ter die Bestimmungen des Strafgesetzbuches –, wenn
wir sagen: Wir bieten euch Hilfe an. Deshalb haben wir
im Kinder- und Jugendhilfegesetz die Beratung ausge-
baut. Nur dann macht das Sinn. Deshalb war es sehr
wichtig, diesen Satz zu ergänzen.
Wir werden das Anliegen, die Kinderrechte im
Grundgesetz zu verankern, sehr ernsthaft überprüfen.
Als Kinderbeauftragte hoffe ich, dass dem auch alle üb-
rigen Kinderbeauftragten, die in der Kinderkommission
vertreten sind, zustimmen werden; denn für uns gilt das
Einstimmigkeitsprinzip. Wenn es nach mir geht, dann
werden wir die Kinderrechte im Grundgesetz verankern,
damit dieser Bereich mit den Familienrechten gleichran-
gig ist. Es wäre wunderschön, wenn wir dieses Signal
nach außen geben könnten.
Ausdruck des Paradigmenwechsels ist auch, dass wir
die Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kin-
dern verändert haben, nicht nur, was die Gewaltfreiheit
betrifft, sondern auch, was die gesundheitlichen Bedin-
gungen angeht. Wir haben verschiedene Kampagnen ge-
startet – zum Beispiel zur Förderung von Bewegung und
gesunder Ernährung sowie zur Schaffung einer freundli-
chen Umwelt –, um zur Gesundheit der Kinder beizutra-
gen.
Auch im Bereich behinderter Kinder haben wir Ver-
änderungen durchgeführt. Als Beispiel nenne ich die
Verankerung des Rechts auf die Komplexleistung „Früh-
förderung“ im Sozialgesetzbuch IX. Dass seine Umset-
zung vor Ort nicht funktioniert, liegt nicht am Bundesge-
setzgeber, sondern daran, dass die Verantwortlichen in
den Gemeinden, Krankenkassen und Ländern sagen: Wir
nicht. Meiner Ansicht nach müssen wir hier dringend
Druck machen und mehr als bisher an die Öffentlichkeit
bringen, wie wichtig es ist, dass, wenn es um Kinder
geht, behinderte Kinder, deren Eltern dringend Unter-
stützung brauchen, eingeschlossen sind.
Wir haben die finanziellen Rahmenbedingungen für
Familien verbessert. Es ist natürlich kontraproduktiv,
wenn wir zwar auf der einen Seite Geld zur Verfügung
stellen, die Länder aber auf der anderen Seite ihre Betei-
ligung an der Tagesbetreuung von Kindern bzw. ihre Zu-
schüsse zu den Kindergartenbeiträgen fast auf null sen-
ken und damit Geld aus der Tasche der Eltern ziehen.
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Herr Haupt, Sie haben schon geredet.
In dieser Beziehung gibt es in den Ländern noch sehr
iel Nachholbedarf. Die Idee, dass Kinder keine Objekte
ind, die man verschiebt, verschachert oder irgendwo ab-
tellt, sondern dass sie Rechte haben, muss man in den
ändern noch vernünftig implementieren. Ich darf nur
n das bayerische Tagesbetreuungsausbaugesetz erin-
ern. Derselbe Geldbetrag, der vorher für die Kinder von
rei bis sechs Jahren vorgesehen war, steht jetzt für Kin-
er von null bis 14 Jahren zur Verfügung. Mich würde
irklich interessieren, welch eine Mathematik dahinter
teckt, dass auf einmal das Geld für alle Kinder reichen
oll, ohne dass der Gesamtbetrag einfach nur gestreckt
urde.
Die Anzahl der heilpädagogischen Tagesstätten für
ehinderte Kinder wurde reduziert. Dadurch spart man
ittel für die Betreuung und außerdem Fahrtkosten ein.
aran kann man ermessen, welche Art von Kinder-
reundlichkeit Sie propagieren. Ihrem kommunalen Ent-
astungsgesetz zufolge erfolgen Leistungen nur noch
ann, wenn die Finanzlage es erlaubt. Ansonsten wird
ichts für die Kinder getan.
Deshalb brauchen wir in Deutschland ein Zusammen-
piel aller Kräfte, von Bund, Ländern, Gemeinden und
er Zivilgesellschaft. Bei der Umsetzung dieses nationa-
en Aktionsplans müssen wir die Kinder auf Augenhöhe
eteiligen, damit das zutrifft, was sie in New York gefor-
ert haben: Nicht die Zukunft sind wir, sondern die Ge-
enwart. Wir wollen für die Gegenwart arbeiten. Deshalb
aben wir diesen Nationalen Aktionsplan vorgestellt.
Frau Kollegin.
Damit er nicht ins Leere läuft, haben wir ein Monito-
ing-Verfahren, also eine Überwachung, eingebaut. Das
st richtige Politik und das sind nicht nur, wie es bei Ih-
en der Fall ist, Ankündigungen.
Danke.
16122 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Mantel, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland
hat ein sehr ausdifferenziertes Familienrecht. Das Wohl
des Kindes steht dabei im Vordergrund; ich glaube, das
ist unstrittig. Aber zunächst möchte ich auf die UN-Kin-
derrechtskonvention eingehen, da Sie, Frau Ministerin,
und auch der Kollege Haupt von der FDP sowie die Kol-
legin Rupprecht die Problematik falsch dargestellt ha-
ben.
Aus guten Gründen und nach heftigen Debatten ha-
ben das Familienrecht und das Ausländerrecht in
Deutschland die differenzierte Ausgestaltung, die sie
heute haben. Vielfach wird jedoch die falsche Auffas-
sung vertreten, dass ausländische Kinder unabhängig
von allen rechtlichen Voraussetzungen Anspruch auf
Einreise und Aufenthalt haben. Die Vorbehaltserklärung
– man sollte besser sagen: die Interpretationserklärung –
stellt klar: Nichts in der Konvention kann so ausgelegt
werden, dass die widerrechtliche Einreise nach Deutsch-
land erlaubt würde. Nichts in der Konvention kann so
ausgelegt werden, dass bestehendes Recht der Bundesre-
publik beschränkt würde. Und nichts kann so ausgelegt
werden, dass Unterschiede zwischen Inländern und Aus-
ländern gemacht würden. Dieser Auffassung ist auch die
Bundesregierung.
Die heutige Debatte hat mit dem Familienrecht oder
mit dem Schutz von Kindern nichts zu tun. Im Kern geht
es heute um etwas ganz anderes als die Kinderrechtskon-
vention: Es geht für die Bundesregierung leider wieder
einmal darum, eine Scheindebatte zu entfachen, um sich
selbst als handelnd und die CDU/CSU als blockierend
darzustellen.
Leider muss das Thema Kinderrechte hierfür herhalten.
Liebe Kollegen, ich werde das gerne darlegen, und
zwar so, dass es auch für die verständlich ist, die hier lie-
ber herumschreien als aufpassen. Festzuhalten ist zum
einen, dass die Bundesregierung früher wohl noch eine
andere Sicht der Dinge hatte: 1998 wurde die Position
der Regierung Kohl nahtlos übernommen. Auch bei spä-
teren Gesetzgebungsvorhaben war nicht zu erkennen,
dass die Bundesregierung angebliche Schutzdefizite be-
seitigen wollte. Es hat bei Rot-Grün also keinen wirkli-
chen Willen zur Änderung der Rechtslage gegeben, ge-
rade und vor allem nicht bei den Verhandlungen über das
Zuwanderungsgesetz, bei denen Sie, meine Damen und
Herren von der Koalition, jederzeit die Gelegenheit dazu
gehabt hätten.
Hier drängt sich doch ziemlich klar der Eindruck auf:
Für eine Scheindebatte ist das Thema offensichtlich alle-
mal gut. Denn tatsächlich ist der Fall doch so gelagert:
Rot-Grün hatte die Rücknahme der Vorbehalte in die ei-
gene Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Zu einer
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Zum Zweiten – und da wird es erst richtig interes-
ant – ist die Bundesregierung angeblich der Auffas-
ung, dass sich durch eine Rücknahme gar nichts an der
echtslage ändern würde. Der Unterschied wäre freilich
ine größere Rechtsunsicherheit – aber die hält mit die-
er Bundesregierung ja sowieso in allen Bereichen Ein-
ug. Die Bundesregierung sagt, dass man bei einer Aus-
egung der Konvention sowieso zur jetzt bestehenden
echtslage kommt; das ist ihre Begründung für die
ücknahme der Vorbehaltserklärung. Man könnte also
agen, die Bundesregierung will die Rücknahme nur,
eil sich – wie sie behauptet – daraus überhaupt keine
irkungen ergeben. Sie wissen aber ganz genau, dass
ies nicht stimmt und nur eine Beruhigungspille sein
oll, meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
ion. Denn natürlich würde es nach einer Rücknahme
ruck zu Änderungen des Aufenthaltsrechts geben. Sie
issen doch selbst, dass es die Kernforderung ist, aus-
ändische Kinder unter 18 Jahren von den ausländer-
echtlichen Vorschriften der Einreise und des Aufent-
alts auszunehmen. Also darf man nicht ernsthaft
lauben, dass sich durch eine Rücknahme der Vorbe-
altserklärung nichts ändern würde.
Wenn die Bundesregierung wirklich der Meinung
äre, dass man sich um die Kinder kümmern müsse,
ann sollte sie damit anfangen. Eine Debatte über die
inderrechtskonvention reicht hier nicht aus. Sie haben
n der gesamten Regierungszeit der Familienpolitik nicht
en Stellenwert eingeräumt, den sie bis 1998 unter unse-
er Regierung hatte.
unktuelle und auf Öffentlichkeitswirkung ausgerichtete
aßnahmen waren Ihnen wichtiger als die umfassende
erbesserung der Situation der Familien und der Kinder.
Das größte Armutsrisiko für Familien in Deutschland
st nach wie vor die Arbeitslosigkeit. An der Lösung die-
es Problems wollten Sie sich messen lassen. Heute wol-
en Sie nichts mehr davon wissen. Es hat schon den Cha-
akter eines Rituals, dass Sie Monat für Monat eine
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16123
)
)
Dorothee Mantel
Trendwende voraussagen, die freilich nicht kommen
wird, solange diese Bundesregierung im Amt ist.
Ich würde mich freuen, wenn auch Sie die Familien-
politik in Deutschland als ganzheitliche Aufgabe mit Be-
teiligung aller Ressorts – eben auch des Innenressorts –
sehen würden und wenn dieses wichtige Thema nicht
nur in Scheindiskussionen behandelt werden würde. Das
hilft den Kindern, die unsere Hilfe am dringendsten
brauchen, nämlich nicht.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In mehreren Anträgen geht es heute um die Rechte von
Kindern. Diese sollen verbessert werden. Dafür ist die
PDS seit langem – im Bundestag wie auch im Bundesrat.
Deshalb unterstützen wir auch die heute vorgeschlage-
nen Maßnahmen. Der Vorbehalt der Bundesrepublik zur
UNO-Kinderrechtskonvention soll aufgehoben, ein Na-
tionaler Aktionsplan soll angenommen und die Rechte
von Kindern in Deutschland sollen gestärkt werden.
Dem stimmt die PDS im Bundestag zu.
1992 hatte die Kohl-Regierung die UN-Kinder-
rechtskonvention nur unter Vorbehalt ratifiziert. Die da-
mals beabsichtigte Folge war: Kindern von nichtdeut-
schen Eltern, vor allem Flüchtlingskindern, wurden
wesentliche Rechte, die ihnen eigentlich zustehen, vor-
enthalten. – Frau Kollegin Mantel hat eben in bemer-
kenswerter Deutlichkeit ausgeführt, dass die Union wei-
ter will, dass diesen Kindern, die eigentlich einen
besonderen Schutz benötigen, diese Rechte immer noch
vorenthalten werden sollen. Die PDS hat das immer ab-
gelehnt und deshalb schon seit langem gefordert, diesen
ungerechten Vorbehalt endlich zu tilgen.
Es sei daran erinnert: Rot-Grün hat das seit 1998 ver-
sprochen.
Wir erwarten allerdings, dass auch alle einschlägigen
Gesetze geändert werden, sodass dann allen Kindern tat-
sächlich dieselben Rechte zustehen und – mehr noch –
Flüchtlingskinder einen besonderen Schutz genießen.
Nun zum Aktionsplan: Die PDS wird ihm zustimmen.
Er reicht uns aber nicht – schon gar nicht angesichts ak-
tueller Entwicklungen. Verschiedene Studien belegen
– das ist im Alltag erlebbar –: Die Kinderarmut in
Deutschland ist hoch und sie nimmt immer noch zu.
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Zweitens. Bezieherinnen und Bezieher von
rbeitslosengeld II sind von Kita-Gebühren zu befreien.
uch das wäre sozial, gerecht und klug im Sinne der
inder.
Drittens. Empfänger von Arbeitslosengeld II sind von
uzahlungen für Medikamente zu befreien, die ihre 13- bis
7-jährigen Kinder brauchen.
Alle drei Vorschläge lösen das komplexe Problem der
inderarmut nicht, aber sie sind hilfreich und wichtig.
ußerdem könnte die SPD mit ihrer Zustimmung zei-
en, wie ernst ihre aktuelle Kapitalismuskritik ist.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese,
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir begrüßen den „Nationalen Aktionsplan für ein kin-
ergerechtes Deutschland 2005 – 2010“ ganz deutlich;
enn er zeigt, dass wir die Verantwortung für die nach-
olgende Generation übernehmen. Gleichzeitig machen
ir klar: Kinder brauchen für ihr Aufwachsen die best-
öglichen Bedingungen.
Wir begrüßen auch die Erklärung der Bundesregie-
ung, dass sie ihre Anstrengungen zur Erreichung dieses
iels in den nächsten Jahren verstärken wird. Sie, Frau
inisterin, haben das hehre Ziel ausgegeben, dass
eutschland eines der kinderfreundlichsten Länder Eu-
opas werden soll. Wir als SPD-Fraktion teilen dieses
iel und werden aktiv daran mitarbeiten.
16124 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Deligöz?
Ja, besonders weil sie heute Geburtstag hat.
– Das meine ich persönlich.
Liebe Frau Kollegin, nachdem ich während der Rede
der Kollegin Mantel keine Frage stellen durfte, möchte
ich jetzt gerne die Gelegenheit dazu ergreifen. Frau
Mantel hat in ihrer Rede behauptet, die Bundesregierung
habe die Position der Regierung Kohl aus dem Jahre
1998 übernommen und nichts in Bezug auf die Vorbe-
halte geändert. Wie ist Ihre Position dazu?
Stimmen Sie mir zu, dass der Bund nach dem so ge-
nannten Lindauer Abkommen zwischen dem Bund und
den Ländern die Vorbehaltserklärung – es ist eine Vorbe-
haltserklärung und keine Interpretation – nicht im Al-
leingang zurücknehmen kann und dass dieses Verfahren
in dieser Form noch nicht stattgefunden hat? Unser
Wunsch und Wille ist – darauf werden wir auch im Sinne
der weiteren Kooperation beharren –, dass die Länder
hier mit uns an einem Strang ziehen.
Vielen Dank. – Wir haben in den letzten Jahren im
Deutschen Bundestag drei- oder viermal gemeinsam be-
schlossen, dass wir die Vorbehalte gegen die UN-Kin-
derrechtskonvention zurücknehmen wollen. Das ist
also der Wille des Parlaments. Ich bin Bundesministerin
Renate Schmidt sehr dankbar, dass sie noch einmal die
Initiative ergriffen und alle Bundesländer angeschrieben
hat, weil in dem Lindauer Abkommen, das Sie schon er-
wähnt haben, festgelegt ist, dass für solche Entscheidun-
gen die Zustimmung der Länder nötig ist.
Interessant waren die Reaktionen auf dieses Schrei-
ben. Beispielsweise haben sich die Länder Berlin, Nord-
rhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Schles-
wig-Holstein sehr positiv dahin gehend geäußert, die
Vorbehalte zurückzunehmen, die unionsregierten Länder
aber nicht. Es geht hier um fünf Punkte. Vier von diesen
fünf Punkten haben wir durch bundesgesetzliche Rege-
lungen bereits zurückgenommen – diejenigen, die sich
damit beschäftigen, werden das wissen –: Das bezieht
sich auf Änderungen im Kindschaftsrecht, eine kinder-
und jugendgerechte Auslegung des Jugendstrafrechts,
das Fakultativprotokoll, in dem es um die Beteiligung
von Kindern an bewaffneten Konflikten geht. Sie sehen,
das, was wir von Bundesseite aus tun können, haben wir
getan, um diese Vorbehalte zurückzunehmen. Meine
Aufforderung richtet sich an die Länder, unserem Vor-
schlag zuzustimmen, diese Vorbehalte insgesamt zurück-
zunehmen. Das wäre auch kinderfreundlich.
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Im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsplan
öchte ich mich auch bei den Nichtregierungsorganisa-
ionen sehr herzlich bedanken, besonders bei der Natio-
al Coalition, bei den Kindern und Jugendlichen, die
itgearbeitet haben, und auch bei der Kinderkommis-
ion des Deutschen Bundestages. Ich bedanke mich auch
eim Deutschen Bundesjugendring, der heute diesen Na-
ionalen Aktionsplan ausdrücklich begrüßt hat und wei-
er intensiv an der Umsetzung mitarbeiten will.
Unser gemeinsames Ziel ist es, dass Deutschland kin-
erfreundlicher wird. Wir haben eine neue Qualität der
ebatte: Immer mehr Kommunen, Wirtschaftsunterneh-
en und auch die Kirchen lassen sich in die Verantwor-
ung nehmen. Ich will ein positives Beispiel aus dem
chönen Bundesland Nordrhein-Westfalen, aus dem ich
omme, anführen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat
nter dem Motto „Kinder fördern – Zukunft sichern“
ehr viel getan, um die Zukunftschancen für Kinder und
ugendliche zu verbessern.
99,6 Prozent der Kinder haben einen Kindergarten-
latz. 100 000 Kinder mit Migrationshintergrund besu-
hen derzeit einen Kindergarten. Das sind doppelt so
iele wie noch vor zehn Jahren. Laufende Sprachförder-
aßnahmen setzen schon vor der Einschulung ein, um
inder mit sprachlichen Defiziten zu fördern. Es geht
arum, Chancengerechtigkeit zu verwirklichen. Dieser
ationale Aktionsplan zielt darauf ab, dass Länder und
ommunen mitarbeiten. NRW hat bereits eine Bildungs-
ereinbarung abgeschlossen, in der die wichtigsten Bil-
ungsziele für die Kindertageseinrichtungen beschrieben
ind.
NRW geht auch mit einem anderen Beispiel positiv
oran, nämlich bei den Ganztagsgrundschulen. 785 of-
ene Ganztagsgrundschulen gibt es bereits in NRW, 600
eue sind für 2005 und 2006 geplant. Damit liegt NRW
n der Spitze. Der internationale Vergleich zeigt uns,
ass Kinder, die ganztags miteinander lernen und geför-
ert werden, ganz vorne mit dabei sind.
Interessant ist, wie dieses Programm entstanden ist. In
RW hat sich die CDU geradezu fanatisch gegen das
anztagsschulprogramm gestellt, bis sie von ihren eige-
en kommunalen Vertreterinnen und Vertretern, Bürger-
eistern und Stadträten überholt wurde, die wie auch die
ürgerinnen und Bürger diese offenen Ganztagsgrund-
chulen natürlich wollen. Sie sind die zeitgemäße Ant-
ort auf die Frage, was wir tun können, um Kindern
ehr Chancen zu bieten.
Auch im Bereich der Betreuung der unter Dreijähri-
en geht Nordrhein-Westfalen voran. Bis zum Jahr 2010
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16125
)
)
Kerstin Griese
sollen mindestens 90 000 Plätze für unter Dreijährige
geschaffen werden. Schon in diesem Jahr beteiligt sich
das Land an der Finanzierung von 12 000 Plätzen.
Mit dem Programm „Zweijährige in den Kindergarten“
werden die jetzt frei werdenden Plätze umgewandelt, da-
mit auch Kinder unter drei Jahren in Kindergärten kom-
men können.
Nordrhein-Westfalen hat ein sehr interessantes Pro-
gramm gestartet, das wir uns anschauen sollten. Es wird
ja manchmal vergessen, dass wir Hartz IV gemeinsam
beschlossen haben. Im Rahmen der Umsetzung von
Hartz IV und im Sinne einer kinderfreundlichen Politik
hat Nordrhein-Westfalen beschlossen, erstmals aus Mit-
teln der Arbeitsmarktpolitik Betreuungsplätze für die
Kinder von Langzeitarbeitslosen zu fördern. Das trifft
genau das, was Sie, liebe Frau Kollegin Fischbach, ange-
sprochen haben, nämlich dass wir alle gemeinsam etwas
dafür tun müssen, um Kinderarmut zu bekämpfen und
Kindern mehr Chancen zu geben. Das können wir nur,
wenn die Eltern – häufig sind es auch Alleinerziehende –
aus der Arbeitslosigkeit und der Armut herausgebracht
werden. Deshalb halte ich das, was Nordrhein-Westfalen
vorgeschlagen hat, für so wichtig.
Es geht – das zeigt auch der Armuts- und Reichtums-
bericht – bei Armut nicht nur um materielle Not, sondern
besonders um Bildung, Chancen und Infrastruktur. Da-
ran fehlt es gerade für die Kleinsten in unserer Gesell-
schaft.
Da wollen wir ansetzen, um das Armutsrisiko von Fami-
lien zu senken. Das tun wir mit vielen Transferleistun-
gen, die diese Bundesregierung verbessert hat; wir tun es
aber auch mit Maßnahmen für Alleinerziehende sowie
für Eltern, damit diese endlich wieder in Arbeit kom-
men; denn das ist die beste Armutsprävention.
Ich will noch auf das wichtige Themenfeld der Betei-
ligung von Kindern und Jugendlichen eingehen. Kin-
der haben Rechte. Diese Rechte zu stärken und Kinder
und Jugendliche stärker an politischen und gesellschaft-
lichen Prozessen zu beteiligen ist unser Ziel. Das hat der
NAP, der Nationale Aktionsplan, schon in der Phase sei-
ner Erarbeitung gezeigt. Das wird jetzt auch das Monito-
ring über die Umsetzung zeigen.
Im Rahmen der Initiative „Projekt P – misch dich ein“
hat die Bundesebene zusammen mit dem Deutschen
Bundesjugendring viele Projekte gestartet. Dazu gibt es
ein gutes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Dort wurde
schon im letzten Jahr der Pakt für Kinder geschlossen,
ein Pakt, der die Rechte der Kinder und Jugendlichen
stärkt und ihre Beteiligung unterstützt. Er ist gemeinsam
mit Kirchen, den kommunalen Spitzenverbänden, dem
Landesjugendring, dem Deutschen Kinderschutzbund
und vielen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe ge-
schlossen worden. Ich wünsche mir von vielen Bundes-
ländern, dass dort ebenfalls ein solcher Pakt für Kinder
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Das Wort hat die Kollegin Angela Schmid, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
egen! Der Nationale Aktionsplan „Für ein kinderge-
echtes Deutschland“ soll ein Fahrplan für eine kinder-
reundliche Politik in Deutschland sein, ein Fahrplan für
inen Weg, auf dem – Zitat – „viele Etappen schon er-
olgreich zurückgelegt wurden“.
Doch fast zeitgleich belegen die aktuellen Zahlen des
weiten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesre-
ierung sehr deutlich, dass die Bundesregierung von der
rfüllung dieser Verpflichtung noch sehr weit entfernt
st. In fast sieben Jahren Regierungszeit ist es nicht ge-
ungen, zu verhindern, dass die Schere zwischen Arm
nd Reich immer weiter aufgeht.
edes achte Kind lebt heute von der Sozialhilfe. Viele
on ihnen leben bei Alleinerziehenden. Seit dem Regie-
ungsantritt von Rot-Grün liegt die Armutsquote bei Al-
einerziehenden unverändert hoch bei 35 Prozent. Statt
ie Eltern finanziell zu unterstützen, hat Rot-Grün den
on der Union eingeführten Haushaltsfreibetrag abge-
chafft. Auch der Kinderzuschlag ist eine familienpoliti-
che Seifenblase. Dazu möchte ich den DGB zitieren:
Insgesamt ist festzustellen, dass eine Sozialleistung,
die – so die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregie-
rung – die Situation von Familien mit niedrigem
Einkommen verbessern soll, de facto in vielen Fäl-
len das Gegenteil bewirkt.
Der Kinderzuschlag ist bürokratisch …, seine Ef-
fekte … sind nicht zielgerichtet und verwirrend. Es
ist kaum nachzuvollziehen, wie eine derart schlam-
pig konstruierte Sozialleistung zum Gesetz werden
konnte.
Gerade für die Personengruppe der Alleinerziehenden
st die verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik der
16126 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Angela Schmid
Bundesregierung mit immer weniger Arbeitsplätzen be-
sonders belastend. Wir alle wissen, dass Arbeitslosigkeit
die Hauptursache von Armut und sozialer Ausgrenzung
ist. Rot-Grün wollte mit einer grundlegend anderen So-
zial-, Wirtschafts- und Bildungspolitik vieles verändern.
Hier hat die Bundesregierung versagt. Die Zahl der
Arbeitslosen hat sich dramatisch erhöht. Allein bei den
unter 25-Jährigen sind jetzt 200 000 junge Menschen
mehr arbeitslos.
Ihr eigener Sozialexperte, Rürup, sagte vor zwei Ta-
gen in einem Interview, dass die Arbeitslosigkeit bei
Jugendlichen weiter dramatisch steigen werde, und
zwar nicht, Frau Rupprecht, wegen der Jugendlichen, die
durch Hartz IV statt Sozialhilfe nun Arbeitslosengeld II
bekommen, sondern andere, die noch von keinem Sys-
tem erfasst sind, werden von Arbeitslosigkeit betroffen
sein. Das ist meiner Meinung nach ein Riesenproblem,
dem sich alle stellen müssen,
Sie in ganz besonderer Weise.
– Ich sage Ihnen gleich etwas dazu.
Die Bundesagentur für Arbeit gibt pro Jahr
1 Milliarde Euro aus, um diese Jugendlichen zu qualifi-
zieren. Gerade deswegen besteht die Notwendigkeit
einer umfassenden Reform im deutschen Bildungs-
system. Auch die zahlreichen Vergleichsuntersuchungen
haben gezeigt, dass unsere Schülerinnen und Schüler be-
züglich der Leistung hinterherhinken. Unsere Kinder
müssen deshalb früher und intensiver gefördert und ge-
fordert werden.
Das gilt sowohl für die Erziehung und Bildung vor dem
Eintritt in die Schule als auch für die Schulzeit selbst.
Entsprechende Vorschläge hierfür haben wir bereits mit
unserem Antrag „Elternhaus, Bildung und Betreuung
verzahnen“ eingebracht. Es gilt, im gegliederten Schul-
system zu fördern und zu fordern. Die Einheitsschule,
wie von Rot-Grün vorgeschlagen, ist für uns keine Lö-
sung.
Dies belegt auch die neueste Untersuchung der
9. Klasse verschiedener Schularten in NRW, Frau
Griese. Danach hat die Gesamtschule nur äußerst schwa-
che Ergebnisse erreicht. Bei der Lernerhebung lagen die
Gesamtschüler deutlich unter dem Durchschnitt. Der
Landeselternrat spricht hier von „Großversuchen mit
Schutzbefohlenen“. CDU und CSU werden diesen Irr-
weg keinesfalls mitgehen.
Kernpunkt unserer Familienpolitik ist die Wahl-
freiheit für Eltern. Aufgabe des Staates ist es, den El-
tern möglichst viele Handlungsoptionen zu geben, um
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ie soziale Herkunft darf nicht über die Lebens- und
ntwicklungschancen der Jugendlichen entscheiden.
Schauen Sie sich die PISA-Studie an; da wird deutlich,
ass die Lebenschancen für die sozial Benachteiligten in
RW die schlechtesten in der ganzen Bundesrepublik
ind.
ie Migrantenkinder zum Beispiel in Baden-Württem-
erg und Bayern haben wesentlich bessere Chancen.
esen Sie das in der PISA-Studie nach! Wir brauchen
ns über das, was schwarz auf weiß geschrieben steht,
och nicht zu streiten.
Dies gilt nicht nur im Bereich der Bildung, sondern
uch im Bereich der Gesundheitspolitik. Wir wissen,
ass immer mehr Kinder chronische, psychosomatische
nd umweltbedingte Krankheiten haben. Hinzu kommen
n zunehmendem Maße Sprach- und Verhaltensstörun-
en. Auch krankhaftes Essverhalten, welches zu Überge-
icht, aber auch zu Untergewicht führen kann, findet
eine Ursache in vielen Faktoren. Bei Kindern und Ju-
endlichen spielt auch das Verhalten der Eltern eine
ichtige Rolle. Allerdings sollte ergänzende Ernäh-
ungserziehung bereits im Kindergarten beginnen und
ich in der Schule fortsetzen.
Kinder- und Jugendärzte haben in einer öffentlichen
nhörung zum GKV-Modernisierungsgesetz im März
argelegt, dass bei Allergien und Neurodermitis die Be-
andlung mit nicht verschreibungspflichtigen Arznei-
itteln Standard ist. Da diese Arzneimittel bei Jugendli-
hen ab dem 12. Lebensjahr nicht mehr von der
esetzlichen Krankenkasse gezahlt werden, sehen aber
iele Eltern von einer Behandlung ihrer Kinder ab. Ins-
esondere bei Jugendlichen aus einkommensschwachen
amilien, die ohnehin zu einer erhöhten Gefährdung nei-
en, werden diese zu hohen Kosten oftmals nicht
ezahlt. Wir haben im Bundestag einen Antrag zur He-
aufsetzung der Altersgrenze von 12 auf 18 Jahre einge-
racht. Sie sollten sich dem anschließen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende Ihrer Rede kom-
en.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16127
)
)
Ja.
Das Ergebnis nach fast sieben Jahren rot-grüner Poli-
tik ist erschreckend. Damit junge Menschen wieder Ver-
trauen in die Zukunft haben, brauchen wir eine andere
Politik. Soll die Umsetzung des nationalen Aktionsplans
erfolgreich sein, beginnen wir es gemeinsam! Aber Sie,
meine Damen und Herren der Opposition, tragen dabei
eine ganz besondere Verantwortung.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/4970, 15/5341, 15/4724 und
15/2419 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Bei der Vorlage auf Druck-
sache 15/4724 zu Tagesordnungspunkt 5 c soll die
Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend und bei der Vorlage auf Druck-
sache 15/2419 zu Tagesordnungspunkt 5 d beim Rechts-
ausschuss liegen. Der Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/5348 soll an dieselben
Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 15/4970,
hiervon abweichend jedoch nicht an den Innenaus-
schuss, überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christoph Bergner, Dr. Friedbert Pflüger,
Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gedenken anlässlich des 90. Jahrestages des
Auftakts zu Vertreibungen und Massakern an
den Armeniern am 24. April 1915 – Deutsch-
land muss zur Versöhnung zwischen Türken
und Armeniern beitragen
– Drucksache 15/4933 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Christoph Bergner, CDU/CSU-Fraktion.
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Mit dem Eingeständnis dieser unserer Schuld wird
auch unsere heutige Verantwortung deutlich. Wir Deut-
sche stehen in einer besonderen Zeugenschaft für die
Vorgänge der Jahre 1915/16. Die Dokumente im politi-
schen Archiv des Auswärtigen Amts über die Ereig-
nisse im Osmanischen Reich können von niemandem
– auch nicht von der türkischen Regierung – in Zweifel
gezogen werden. Als Zeugen und ehemalige Kriegsver-
bündete des Osmanischen Reiches haben wir Deutsche
eine besondere Verantwortung, auf der Basis der histori-
schen Wahrheit zur Verständigung und Versöhnung zwi-
schen Türken und Armeniern beizutragen.
Dieser Zeugenpflicht dürfen wir uns nicht entziehen,
wenn wir uns nicht erneut schuldig machen wollen.
Ich verweise auf einen intensiven Briefwechsel und
viele Diskussionen mit türkischen Freunden und Part-
nern, die nach Vorlage unseres Antrages stattgefunden
haben. Die Stellungnahmen offizieller türkischer Vertre-
ter und nicht zuletzt die Erklärung der Großen National-
versammlung vom 13. April dieses Jahres haben ver-
deutlicht, wie schwierig es ist, den Inhalt unseres
Antrages und die Redlichkeit unseres Anliegens der tür-
kischen Seite zu vermitteln. Auch heute habe ich einen
Brief vom Verband Türkischer Unternehmer und Indus-
trieller in Europa bekommen, in dem uns vorgeworfen
wird, hinter unserem Antrag stehe eine gezielte Diskri-
minierungskampagne gegen die Türkei. Er sei ein klarer
Beweis unserer türkeifeindlichen Grundhaltung und eine
vorsätzliche Diskriminierung der Türkei und der Türken.
Dies ist falsch. Das Gegenteil ist vielmehr richtig.
Wir wollen diese Diskussion fortsetzen, weil wir glau-
ben, dass eine Öffnung des türkischen Staates im Hin-
blick auf den Umgang mit der türkisch-armenischen Ver-
gangenheit im wohlverstandenen Interesse der Türkei
selbst sein kann.
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ur so konnten frühere Kriegsgegner, ja Erbfeinde in der
U vereint werden. Auf dieser Grundlage konnten Staa-
n zusammengeführt werden, die sich in den Zeiten des
alten Krieges und der Blockkonfrontation jahrzehnte-
ng angriffsbereit gegenüberstanden. So ist die Europäi-
che Union in ihrem Kern ein Aussöhnungsprojekt, das
uf gemeinsamer Geschichtsbewältigung beruht.
Unser Antrag soll eine Einladung an unsere türki-
chen Partner und Freunde sein, sich diesem Prozess zu
tellen. Dies ist im Interesse der Türkei selber. Wir
öchten herzlich dazu einladen.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Meckel,
PD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Wir erinnern und gedenken heute der Opfer
es Völkermords an den Armeniern vor 90 Jahren. Wir
ollen das allzu lange Schweigen, von dem eben schon
ie Rede war, brechen und einen Beitrag dazu leisten,
en Toten ihre Ehre und ihre Würde wiederzugeben.
leichzeitig denken wir aber an alle Opfer dieser Jahre:
n die Christen der verschiedenen ethnischen Gruppen
m Osmanischen Reich, an Tataren, Türken und Kurden,
ie ebenfalls zu Hunderttausenden umgekommen sind.
s kann und es darf kein Aufrechnen der verschiedenen
pfer geben.
Ich bin dem Kollegen Bergner für seine Initiative zu
er heutigen wichtigen Debatte dankbar. Meine Fraktion
st überzeugt, dass wir in den Gesprächen und Beratun-
en, die wir im Ausschuss miteinander führen werden,
u einem gemeinsamen Antrag kommen werden.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16129
)
)
Markus Meckel
Wir alle wissen: In der Türkei sind die damaligen Er-
eignisse noch heute heftig umstritten. Offiziell und mit
Leidenschaft wird geleugnet, dass es sich bei den Depor-
tationen und Massakern um eine gezielte staatliche Poli-
tik zur Vernichtung der armenischen Bevölkerung han-
delte. Wir halten es als deutsche Parlamentarier für
wichtig, uns mit dieser Frage auseinander zu setzen,
nicht zuletzt deshalb, weil sie Teil unserer eigenen Ge-
schichte ist. Deutsche Regierungen haben nach dem Ers-
ten Weltkrieg nie – das wurde schon angesprochen – aus
eigenem Antrieb der armenischen Opfer gedacht und
sich zu ihrer Mitverantwortung bekannt.
Dieses Schweigen in Deutschland und international
in vielen Bereichen hat ein Mann wie Adolf Hitler genau
beobachtet. Am 22. August 1939, wenige Tage vor dem
Kriegsbeginn, hat er auf dem Obersalzberg der deut-
schen Militärführung die gnadenlose Vernichtung der
polnischen Bevölkerung angekündigt und aufgetragen.
Die noch vorhandenen Skrupel der Militärs versuchte er
mit dem Satz zu beseitigen: „Wer redet heute noch von
der Vernichtung der Armenier?“
Glücklicherweise gab es auch andere Stimmen in
Deutschland, die sich ehrlich und intensiv bemühten.
Der evangelische Theologe Johannes Lepsius wurde
schon erwähnt mit seinen vielfältigen Bemühungen und
seiner Rede im Presseklub, aber eben auch mit seiner
Dokumentation nach den furchtbaren Ereignissen. Es
wurde schon berichtet von der Zensur der öffentlichen
Stellen damals – die deutschen Reichstagsabgeordneten
bekamen seine Dokumentation erst Jahre später zuge-
stellt – und auch von der Aussage des Reichskanzlers,
die auch ich in meinem Manuskript stehen habe, weil es
so eklatant ist, dass wir, dass die kaiserliche deutsche
Politik im Ersten Weltkrieg dies einfach hingenommen
hat. Darauf beruht auch unsere besondere deutsche Ver-
antwortung, uns dieser Geschichte zu stellen.
Die Archive des Auswärtigen Amts sind seit langem
offen, auch für die internationale Forschung, die die Er-
eignisse anhand der Akten bereits deutlich rekonstruiert
hat. Kopien sämtlicher relevanter Akten des Auswärti-
gen Amts wurden der Türkei und Armenien vor einigen
Jahren übergeben. Es wäre gut, wenn sie auch in der
Türkei für alle öffentlich zugänglich wären, vielleicht in
wichtigen Teilen übersetzt.
Allein aus den deutschen Akten geht klar hervor, dass
das damals die Macht habende Komitee für Einheit und
Fortschritt die Vernichtung der Armenier systematisch
betrieb, mithilfe staatlicher Behörden und paramilitäri-
scher Organisationen. Dass dies eine gezielte Politik
war, gehört zur Definition des Begriffs „Völkermord“,
wie sie später in der UN-Konvention von 1948 verankert
wurde. Dabei ist bemerkenswert, dass Raphael Lemkin,
der diesen Begriff neu schuf und wesentlich zur Durch-
setzung dieses neuartigen völkerrechtlichen Instruments
beigetragen hat, von sich bekannte, dass er dabei sowohl
das Schicksal der Armenier als auch das der europäi-
schen Juden im Blick hatte.
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Aus der Zivilgesellschaft heraus gab es übrigens deut-
ichen Widerstand gegenüber einem in meinen Augen
elativ absurden Aufsatzwettbewerb, der sich vom
hema her gezielt gegen den Vorwurf des Genozids rich-
ete. Viele haben es abgelehnt, sich daran zu beteiligen.
ch glaube, das ist ein gutes Zeichen.
Ich halte es auch für gut, dass sich das türkische Par-
ament in der vergangenen Woche erstmals in einer
lenardebatte mit diesem Thema befasst hat. Betrachtet
an allerdings den Verlauf dieser Debatte, so stimmt ei-
en dies eher betrübt,
eil darin alte Geschichtsbilder zementiert und erneut
ropagiert wurden.
Wenn einerseits die Ansicht vertreten wird, dass Ge-
chichte nicht Thema der Politik sein darf, sondern den
16130 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Markus Meckel
Historikern überlassen werden sollte, und andererseits
beschlossen wird, das britische Parlament aufzufordern,
das „Blaue Buch“, eine Dokumentensammlung, zu Pro-
paganda zu erklären, dann ist das ein Widerspruch und
entspricht in keiner Weise dem, was heute notwendig ist.
Problematisch sind die diplomatischen Bemühungen
auf europäischer, aber auch auf internationaler Ebene,
die Behandlung mit dem Thema beiseite zu drängen oder
mithilfe konkreter Kontakte zu verhindern. Dies wird
dem Ansehen der Türkei nicht gerecht.
Für konstruktiv halte ich dagegen die bereits ange-
sprochene Historikerkommission. Meiner Ansicht nach
sollte sie aber nicht bilateral, sondern international zu-
sammengesetzt sein. Dabei muss klar sein, dass Ge-
schichte nicht verhandelbar ist. Es geht vielmehr darum,
Geschichte öffentlich zu machen und einen öffentlichen
Diskurs über die verschiedenen Akten und Perspektiven
zu eröffnen, der für die Gesellschaften aller Länder not-
wendig ist. Es wäre sicherlich gut, wenn Armenien be-
reit wäre, sich an einem solchen Diskurs und einer sol-
chen Kommission zu beteiligen.
Schlimm ist – damit möchte ich schließen –, dass in
der Türkei die Behandlung dieses Themas leider bis
heute unter Strafandrohung steht. Ich denke, dass das in
keiner Weise akzeptabel ist, und das müssen wir sehr
deutlich machen. Dass der türkische Schriftsteller Orhan
Pamuk unter Strafandrohung steht, weil er dieses Thema
aufgeworfen hat, und zurzeit aus Angst vor Todesdro-
hungen im Untergrund lebt, ist ein Skandal für die Tür-
kei. Ich denke, wir müssen die Türkei bzw. die türkische
Regierung aufrufen, sich vor ihn zu stellen und deutlich
zu machen: Wir wollen ihn schützen; wir wollen diesen
Diskurs.
Gerade angesichts der Vorgänge in meinem Heimat-
land Brandenburg vor einigen Wochen muss ich geste-
hen, dass das ein Problem war. Man hat aber übersehen,
dass das Problem nicht nur Brandenburg betrifft. Es war
das erste Bundesland, in dem diese Themen im Unter-
richt behandelt wurden. Wir sollten uns insofern in allen
Bundesländern dafür einsetzen, dass das Thema Be-
standteil des öffentlichen Diskurses in Deutschland wird
und dass in allen Schulen und Schulklassen offen mit
dieser Geschichte umgegangen wird.
Ich hoffe, dass uns dies gelingt und dass wir gemein-
sam dafür eintreten, uns zunächst einmal mit unserer ei-
genen Geschichte, zu der auch die türkische Geschichte
gehört – denn wir alle leben in Europa und haben eine
gemeinsame Geschichte –, so zu befassen, dass daraus
eine gute gemeinsame Zukunft erwächst.
Ich danke Ihnen.
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Wenn man sich die Debatte in den letzten Wochen in
eutschland, natürlich auch in der Türkei und in Arme-
ien genau anschaut, dann hat man das Gefühl: Letzt-
ndlich scheint es nur noch um die Frage zu gehen, ob
an von Völkermord spricht oder nicht. Ich halte diese
uspitzung für falsch und unklug. Ich will diese Gele-
enheit gern nutzen, um zu erklären, warum. Wenn ich
ir die Berichte etwa der deutschen Konsuln und Bot-
chafter nach Berlin anschaue, wenn ich mir auch die
erichte über die Sonderkriegsgerichte ab 1919 – es
urden von türkischen Richtern Urteile gesprochen –
nschaue, dann komme ich persönlich zu der Auffas-
ung, dass es keine irgendwie unglückliche Vertreibung
ab, die zu negativen Ereignissen geführt hat, sondern
ine kalkulierte Vertreibung mit dem Ziel, das armeni-
che Volk zu vernichten. Deswegen erkläre ich für mich
viele Kollegen in meiner Fraktion stimmen dem zu –:
s handelte sich um einen Genozid, also um Völker-
ord.
as ist die eine Seite.
Wir müssen aber auch eine andere Seite berücksichti-
en. Dabei geht es um die Frage: Welche Diskussion lö-
en wir mit Beschlüssen des Bundestages in der Türkei
us? Wenn wir hier einen Antrag verabschiedeten, in
em steht, der Deutsche Bundestag stellt fest: es war
ölkermord; wir fordern die Türken auf, dies endlich
uzugeben – ich finde es richtig, dass die Union den Be-
riff Völkermord nicht verwendet hat –, dann würden
ir nach meiner festen Überzeugung das Gegenteil von
em erreichen, was wir tatsächlich wollen.
16132 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Fritz Kuhn
Bei unserer Verantwortung für die Opfer geht es nicht
nur um das Gedenken – darum geht es auch –, sondern
auch darum, dass wir – unabhängig davon, dass wir im
Sinne historischer Wahrheit Recht haben – Recht be-
kommen in Bezug auf das, was in der Türkei und in Ar-
menien und zwischen diesen beiden Ländern heute tat-
sächlich stattfinden kann.
Wir sollten deswegen nicht mit der Geste von Rich-
tern auftreten; vielmehr sollten wir uns subjektiv um Er-
kenntnisse und um die historische Wahrheit bemühen.
Aber wir sollten den Diskussionsprozess in der Türkei
– er hat positiv begonnen; ich verweise auf die zarten
Pflanzen einer Erinnerungskultur – wirklich aktiv und
offensiv unterstützen.
Deshalb gilt an diesem Tag unser Respekt denen, die
in der Türkei jetzt darüber offen diskutieren, Menschen,
die mit einer offenen Diskussion viel riskieren, aber
auch denen, die in der türkischen Regierung und im tür-
kischen Parlament erkennen, dass man sich in diesem
Land der historischen Verantwortung annähern muss,
wenn auch nur schrittweise. Wir haben also nicht auf die
Türkei zu zeigen mit der Absicht, irgendjemanden zu
entlarven oder vorzuführen, sondern wir haben eine Dis-
kussion zu führen, in der wir den europäischen Standard
vertreten, dass man nämlich in Europa reflexiv über die
eigene Geschichte, auch über die Schattenseiten der ei-
genen Geschichte, diskutiert. Wir müssen alle in der
Türkei einladen, diese auch schmerzhafte Diskussion eu-
ropäisch miteinander zu führen.
Ein Kernelement der europäischen Wertekultur ist,
dass es freie Diskussionen über strittige Fragen geben
kann. Zur Aufklärung gehört, nicht immer nur die Ver-
nunft zu betonen, sondern auch die Schattenseiten und
ihren Missbrauch zu sehen.
Ich will für meine Fraktion noch einmal Folgendes
sagen: Wir hoffen und wünschen, dass der Weg des tür-
kischen Volkes und der Türkei zur europäischen Werte-
gemeinschaft und zur Europäischen Union eines Tages
erfolgreich abgeschlossen werden kann.
Dass die Diskussion zwischen den Türken und den
Armeniern schmerzhaft und schwierig ist, ist angesichts
dieser Geschichte klar. Es ist schwer, historische Tabus
aufzubrechen. Das ist mit Schmerzen verbunden. Ich bin
der Überzeugung, dass man die Bewältigung geschicht-
licher Probleme manchmal erleichtern kann, indem man
in der Gegenwart anfängt. Deswegen möchte ich beto-
nen, dass es der Versöhnung zwischen dem armenischen
Volk und der Türkei sehr viel helfen würde, wenn jetzt
endlich die Grenzen geöffnet und normale diplomatische
Beziehungen aufgenommen würden, und zwar jeweils
ohne Vorbedingungen. Dies kann kein Prozess sein, in
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Ich möchte zum Schluss kommen und der CDU/CSU
afür danken, dass sie den Antrag eingebracht hat. Der
ntrag hat eine rege Diskussion ausgelöst, auch wenn
ir im Einzelnen noch Veränderungen erreichen wollen.
ir werden im Ausschuss und in Vorgesprächen zwi-
chen allen Fraktionen diskutieren. Die Diskussion ist,
laube ich, durch die öffentliche Berichterstattung in den
etzten Wochen und Monaten sensibler geworden. Wir
ollen auch einen offenen Diskurs mit den Abgeordne-
en und mit der Bevölkerung in der Türkei. Wenn dies
it der Debatte heute angestoßen wird, dann haben wir
in gutes Stück Arbeit geleistet für eine positive europäi-
che Erinnerungskultur, die keine Opfer tabuisieren
ann.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Friedbert Pflüger,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Ich möchte mich bei Ihnen, Kollege Kuhn, und
uch bei allen anderen Kollegen, die geredet haben, be-
anken, und zwar für die große Übereinstimmung, für
ie große Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit, die in einem
roßen Gegensatz zu den aufgeregten und diffamieren-
en Anklagen mancher in der Türkei in diesen Tagen
teht.
Ich möchte der Debatte einige Anmerkungen hinzufü-
en:
Erstens. Wir als Deutsche haben keinen Grund, auf
ndere herabzublicken; niemand hat das hier im Parla-
ent getan. Wir sind uns unserer deutschen Verantwor-
ung für den einzigartigen industriellen Massenmord in
nserer Geschichte, den Holocaust, und auch der Mitver-
ntwortung des Deutschen Reiches für die Massaker an
en Armeniern bewusst.
Zweitens. Viele bei uns sagen, dass wir Deutsche uns
nserer Vergangenheit gestellt hätten und der Vergan-
enheit ins Auge schauen würden, während die Türken
erdrängen und beschönigen würden. Das ist wohl wahr.
ber das liegt nicht daran, dass wir Deutschen bessere
enschen als die Türken sind.
Es ist nämlich, wenn man nach dem Grund spürt, für
ie Türken auch schwerer, sich ihrer Vergangenheit zu
tellen. Denn Deutschland hatte mit dem 8. Mai die to-
le Niederlage und Kapitulation, den totalen Zusam-
enbruch, und die Bundesrepublik Deutschland wurde
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16133
)
)
Dr. Friedbert Pflüger
in Diskontinuität, ja als Gegenbild zum nationalsozialis-
tischen Deutschland gegründet. Es war von Anfang an
Teil dieses Gegenbildes, sich mit Auschwitz offen aus-
einander zu setzen, so schwer die Einsicht in die Wahr-
heit uns Deutschen auch gefallen ist und vielen bis heute
fällt.
Anders in der Türkei. Ein Schuldbekenntnis greift in
den Augen der meisten Türken auch die moderne Türkei
an, zumindest den Gründungsmythos der Türkei. Denn
dieser Gründungsmythos porträtiert diese Phase der tür-
kischen Geschichte als den nationalen Kampf gegen den
europäischen Imperialismus. Die Zwangsdeportationen
der Armenier erscheinen seit den Jungtürken in der Tür-
kei als Verteidigungsmaßnahme zur Rettung des Vater-
landes gegen den inneren armenischen Feind.
So haben es Generationen von Türken in der Schule
gelernt. Sie haben ebenso gelernt, dass die erdrückende
Dokumentenlage in europäischen und amerikanischen
Archiven nichts ist als Kriegspropaganda mit dem Ziel,
die Türkei klein zu halten.
Drittens. Es führt deshalb nicht weiter, mit Druck auf
die Türkei endlich die Anerkennung des Völkermordbe-
griffes durchzusetzen. Es wird die Türken wenig beein-
drucken, wenn wir hier, wie das andere Parlamente getan
haben, die Entscheidung treffen, dass auch wir der Mei-
nung sind: Das ist Völkermord.
Wir wollen eben nicht anklagen. Wir wollen nicht be-
schönigen, aber wir wollen die Türkei auch nicht in die
Ecke stellen. Wir wollen nicht mit dem Knüppel kom-
men. Es geht uns um Klärung und nicht um Angriff. Es
geht uns um Warnung und nicht um Bloßstellen. Wir
wollen diejenigen in der Türkei ermutigen, die sich den
Schrecken von 1915 und 1916 stellen.
Viertens. Es ist mir wichtig festzustellen, dass keiner
bei uns Gebietsansprüche der Armenier an die Türkei
unterstützt, allerdings auch nicht die Grenzblockade und
Isolierung Armeniens.
Fünftens. Es geht auch nicht um eine Kollektiv-
schuld der Türken. Schuld ist wie Unschuld immer
persönlich und nie kollektiv. Heutige Generationen sind
sowieso nicht schuldig. Aber auch die damaligen Türken
waren keinesfalls alle der Meinung, dass das, was dort
geschah, richtig und menschlich ist.
Übrigens beschreibt das Franz Werfel in seinem wun-
derbaren Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ sehr
eindrucksvoll. Er beschreibt nämlich Situationen, wo
Türken und Armenier zusammen weinten, als armeni-
sche Familien aufgefordert wurden, auf die Todesmär-
sche zu gehen, und wie sie vor dem Mudir auf die Knie
gingen und flehten: „Lasst sie bei uns! Sie haben nicht
den richtigen Glauben, aber sie sind gut. Sie sind unsere
Brüder. Lasst sie hier bei uns!“ Es geht also nicht um die
Verdammung der Türken oder der Türkei, genauso we-
nig wie es richtig wäre, alle Deutschen für die Untaten
der Hitler-Zeit in die Schuld zu nehmen.
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Siebtens. Wer redet heute noch von der Vernichtung
er Armenier? Kollege Meckel hat diesen Satz von
dolf Hitler, der in den Akten des Auswärtigen Amtes
okumentiert ist, zitiert. Wenn wir uns nicht erinnern,
ann wird die Gefahr der Wiederholung größer. Wenn
ir uns nicht erinnern, wenn sich die Türken nicht erin-
ern, wenn es möglich ist, solches Grauen in Europa und
en angrenzenden Gebieten zu begehen, ohne dass daran
eute erinnert wird, dann besteht die Gefahr von Nach-
olgeaktionen.
Achtens. Mit der Debatte zu unserem Antrag wollen
ir die Annäherung der Türkei an Europa – das be-
one ich ausdrücklich – nicht mit einem neuen Hindernis
elegen.
ir haben unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie
ieser Annäherungsprozess vollzogen werden sollte;
ber wir alle haben das Interesse, mit der Türkei enger
nd freundschaftlich zusammenzuarbeiten. Es ist eher
mgekehrt: Wir wollen die Annäherung der Türkei an
uropa durch eine gemeinsame Erinnerungskultur ver-
tärken.
Jorge Semprún hat in Weimar am 10. April eine große
ede gehalten. Mit Blick auf die Länder Mittel- und Ost-
uropas sagte er:
Eine der wirksamsten Möglichkeiten, die Zukunft
eines vereinten Europas … zu bahnen, besteht da-
rin, unsere Vergangenheit miteinander zu teilen, un-
ser Gedächtnis, unsere bislang getrennten Erinne-
rungen zu einen. Der kürzlich erfolgte Beitritt von
zehn neuen Ländern aus Mittel- und Osteuropa …
kann kulturell und existenziell erst dann wirksam
erfolgen, wenn wir unsere Erinnerungen miteinan-
der geteilt und vereinigt haben werden.
as gilt auch – in einem anderen Zusammenhang – für
ie Türkei.
Neuntens. Die bisherigen offiziellen Reaktionen sei-
ens der Türkei, vom Botschafter und vom Parlament,
uf unsere Debattenbeiträge sind nicht ermutigend. Man
16134 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Friedbert Pflüger
hat die Bemühungen um Differenzierung in der Türkei
bisher nicht gewürdigt. Das ist bedauerlich.
Zehntens und letztens. Es gibt aber auch großartige,
ermutigende Signale aus der Türkei. Orhan Pamuk ist zi-
tiert worden. Er hat ganz offen den Mut gehabt, von Ge-
nozid zu sprechen. Professor Berktay spricht von „ethni-
schen Säuberungen“ und von 1 Million Toten und
fordert, dass man darum trauern muss. In der Tageszei-
tung „Radikal“ schreibt Ismet Berkan:
Jedoch wissen wir alle, dass in jenen Jahren Dinge
geschehen sind, und selbst nach 90 Jahren seit die-
sen Vorkommnissen können wir heute noch immer
nicht offen darüber reden, was damals genau ge-
schah.
Es gibt inzwischen in der Türkei eine Initiative „Ge-
schichte für Frieden“: Juristen, Historiker, Pädagogen
und Elternvereinigungen verwahren sich gegen die ge-
zielte Geschichtsverfälschung in Schulbüchern und wol-
len ihre Kinder zu Achtung und Toleranz erziehen.
Vorgestern habe ich einen Brief von dem „Menschen-
rechtsverein Türkei – Deutschland“ erhalten. In diesem
Brief heißt es:
Es muss deutlich gemacht werden, dass der türki-
sche Staat als Nachfolger des Osmanischen Reiches
sich der historischen und moralischen Verantwor-
tung zu stellen hat. Wir tragen dafür die Verantwor-
tung. Wir Türken verneigen uns voller Achtung und
Trauer vor den Opfern des Völkermordes an den
Armeniern.
Ich glaube, dass das ein eindrucksvolles Dokument ist.
Vielleicht gelingt es uns mit den differenzierten Tö-
nen, die wir im Rahmen unserer heutigen Debatte aus al-
len Parteien gehört haben, ja doch, dazu beizutragen,
dass man sich in der Türkei diesen Fragen etwas mehr
öffnet. Dann kämen wir gemeinsam, auch auf dem Weg
zum vereinten Europa, ein Stückchen voran.
Das Wort hat der Kollege Dietmar Nietan, SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zu Beginn sagen, dass nur diejenigen,
die nicht am Dialog interessiert sind, und nur diejenigen,
die etwas zu vertuschen haben, die heutige Debatte als
Hetze gegen oder Beleidigung der Türkei bezeichnen
können.
Dafür, dass alle Kolleginnen und Kollegen, die vor
mir gesprochen haben, dazu beigetragen haben, dass wir
in dieser verantwortungsvollen Weise mit diesem sehr
schwierigen Thema umgehen, möchte ich mich ganz
herzlich bei Ihnen allen bedanken.
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„Wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Op-
er zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal.“ Diese
indringliche Mahnung richtete Elie Wiesel am
7. Januar des Jahres 2000 von diesem Rednerpult aus
n alle Menschen. Das ist eine Mahnung, die auch für
ns Abgeordnete des Deutschen Bundestages wichtig ist
nd die uns daran erinnern sollte, unseren Beitrag zur
ersöhnung zu leisten, indem wir dem Vergessen das Er-
nnern als Grundlage von Versöhnung und verantwortli-
hem Handeln entgegenhalten.
Ich finde, dass es für uns – auch für mich als Vertreter
er jungen Generation – eine große Verpflichtung ist,
ort, wo es möglich und sinnvoll ist, zur Versöhnung
eizutragen. Dies resultiert aus der Verantwortung, die
ir alle für die unvorstellbaren, präzedenzlosen Verbre-
hen haben, die in deutschem Namen gegen die Mensch-
ichkeit begangen wurden.
In diesem Sinne gibt es gute Gründe für den vorlie-
enden Antrag der Kolleginnen und Kollegen der CDU/
SU-Fraktion. Aber ich sage auch: Das gilt ausdrücklich
ur dann, wenn die Verstärkung der deutschen Bemü-
ungen für eine Versöhnung zwischen Türken und Ar-
eniern bei der weiteren Beratung dieses Antrags wirk-
ich unser Hauptanliegen ist.
eshalb sollten wir auf der Grundlage des vorliegenden
ntrags mit der notwendigen Geradlinigkeit und mit
em Mut zur Ehrlichkeit einen gemeinsamen Antrag al-
er Fraktionen dieses Hauses erarbeiten. Ich will noch
inmal unterstreichen, was bereits manche Kolleginnen
nd Kollegen gesagt haben: Uns allen wird es dabei um
ersöhnung, nicht um Anklage gehen.
Die Gründung der Europäischen Union und der Er-
olg der großartigen Idee der Europäischen Union beru-
en auf dem Willen zur Versöhnung. Wer könnte das
esser behaupten als wir Deutsche? Denn unsere
chnelle Wiederaufnahme in die europäische Gemein-
chaft demokratischer Staaten ist für uns wegweisend.
ie zeigte den Mut unserer Nachbarstaaten, uns zu ver-
eben, obwohl wir ihnen großes Leid angetan hatten.
erade deshalb muss es für uns alle ein entscheidender
unkt, eigentlich der Ausgangspunkt all unserer Bemü-
ungen sein, dass das Gedenken an das Schicksal von
ehr als 1 Million Armeniern, die Opfer von staatlicher
ertreibung und Vernichtung wurden, immer im Vorder-
rund unserer Beratungen steht.
Wir können die Opfer zwar nicht mehr lebendig ma-
hen, aber wir sollten immer wieder und unverzagt dafür
orge tragen, dass sie niemals, wirklich niemals verges-
en werden.
Das Buch über die europäische Geschichte wäre nicht
omplett, wenn es darin nicht auch Seiten gäbe, auf
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16135
)
)
Dietmar Nietan
denen diesen Opfern, den Armeniern, ein ehrendes Ge-
denken bereitgestellt würde.
Ich will noch einmal unterstützen, was manche Kol-
leginnen und Kollegen bereits gesagt haben: Der Bun-
destag ist nicht der Ort, an dem historische Urteile ge-
fällt werden sollten. Das hat bereits die überwiegende
Zahl seriöser Historiker getan, die die Verbrechen an den
Armeniern eindeutig als Völkermord bezeichnet haben.
Unsere Aufgabe ist in der Tat, einen Beitrag zu einem
aufrichtigen Umgang mit unserer europäischen Ge-
schichte zu leisten. Deshalb sollten bei der weiteren Ar-
beit an diesem Antrag aus Sicht der SPD-Bundestags-
fraktion drei Punkte im Vordergrund stehen. Erstens. Der
Deutsche Bundestag erkennt an, dass es im Ersten Welt-
krieg – teilweise durch Vertuschung, teilweise durch
Verwicklung, klammheimliche Billigung und Unterlas-
sung von wirksamen Gegenmaßnahmen – eine deutsche
Mitverantwortung für den Völkermord an den Ar-
meniern gab.
Deshalb will ich unterstreichen, was der Kollege Kuhn
gesagt hat. Ich finde, in den überarbeiteten Antrag gehört
auch eine Entschuldigung beim armenischen Volk.
Zweitens. Wir sollten alles tun, damit deutlich wird,
dass wir nicht anklagen wollen, sondern dass wir mithel-
fen wollen, dass unsere Freunde in der Türkei, die das
Ganze bisher überwiegend noch verdrängen, diese Ver-
drängung beenden, sich der historischen Verantwortung
für das, was das jungtürkische Regime getan hat, stellen
und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten.
Drittens – auch das ist hier schon gesagt worden –:
Wir sollten alles dafür tun, dass die Zusammenarbeit und
die Freundschaft zwischen Armenien und der Türkei
weiter gefördert werden, dass die Beziehungen normali-
siert werden. Denn die Isolierung, die von Armenien be-
trieben wird, ist eine gefährliche, die nicht im europäi-
schen Sinne sein kann und die nicht dem europäischen
Gedanken entspricht.
Ich will abschließend noch einmal unterstreichen
– und ich glaube, das hat die heutige Debatte gezeigt –:
Es geht nicht darum, der Türkei auf dem Weg in ein ver-
einigtes Europa Stolpersteine in den Weg zu legen. Ich
gehöre zu denjenigen, die immer mit Überzeugung dafür
eingetreten sind und das auch heute tun, Beitrittsver-
handlungen mit der Türkei aufzunehmen. Ich habe
große Hochachtung vor den Leistungen des türkischen
Volkes, vor den Menschen in der Türkei, aber auch den
türkischstämmigen Menschen, die hier leben.
Aber diese Hochachtung und Freundschaft gebietet es,
ehrlich miteinander umzugehen. Ich glaube, dass es am
Ende für keine Seite länger tragbar gewesen wäre, wenn
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Wenn Sie mir das noch erlauben, will ich hier einen
etzten Punkt anfügen: Unser langjähriger, ehemaliger
ollege Dietrich Sperling hat sich, wie viele von Ihnen
ielleicht noch wissen, immer für die Versöhnung im
aukasus eingesetzt. Es gibt ein Schreiben von ihm, aus
em ich zitieren will: Er schlägt vor, darüber nachzuden-
en, was wir als Deutsche tun können, um die Konflikte
ort zu mindern und zur Versöhnung beizutragen. Er
agt, wir sollten um eine unverfälschte Darstellung des
amaligen Geschehens und der Motivierung seiner Ak-
eure bemüht sein. Das würde eine internationale Zu-
ammenarbeit, nicht ein Gegeneinander erfordern. Zu
er sollten wir als Deutsche einladen und uns daran be-
eiligen, und zwar nicht unter dem Aspekt der Anklage
nderer, sondern um uns mit unserem Anteil am damali-
en Geschehen vertrauter zu machen. Wir sollten uns die
ewissheit verschaffen, dass wir uns über uns selbst
icht mehr belügen sollten. – Ich glaube, Dietrich
perling hat Recht und seine abschließende Forderung,
ass wir als Bundestag bzw. als Bundesregierung uns da-
ür einsetzen sollten, ein Forschungsvorhaben zu starten,
as Deutschlands Rolle in der armenischen Frage klärt,
st wegweisend und unterstreicht noch einmal: Hier geht
s auch um uns selbst und nicht um den Fingerzeig auf
ndere.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Ende einer Debatte, bei der schon
ie Tonlage aller Beiträge deutlich gemacht hat, dass
ies für dieses Haus nicht einer von vielen Dutzend Ta-
esordnungspunkten gewesen ist, mit denen wir uns in
eder Sitzungswoche auseinander zu setzen haben.
Angesichts manch verständlicher Besorgnisse, aber
uch manch unverständlicher Verdächtigungen, denen
ieser Antrag und diese Beratungen im Deutschen
16136 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Bundestag in den letzten Wochen ausgesetzt gewesen
sind, verdient es sicher festgehalten zu werden, dass der
Deutsche Bundestag mit dieser Debatte und den sich an-
schließenden weiteren Beratungen in den zuständigen
Ausschüssen seiner Aufgabe als Vertretung des deut-
schen Volkes und als politisches Forum der Nation in be-
sonderer Weise gerecht geworden ist.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4933 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
gierung
Bericht der Bundesregierung zur Zusammen-
arbeit zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und den Vereinten Nationen in den Jah-
ren 2002 und 2003
– Drucksachen 15/4481, 15/4903 Nr. 1, 15/5144 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen
Dr. Klaus Rose
Fritz Kuhn
Harald Leibrecht
Nach der Vereinbarung unter den Fraktionen soll die
Aussprache 45 Minuten dauern. – Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Dr. Christoph Zöpel für die SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der Bundestag befasst sich heute mit dem
zweiten Bericht der Bundesregierung über das Verhältnis
Deutschlands zu den Vereinten Nationen. Diese Berichte
gehen auf einen Beschluss des Bundestages aus der letz-
ten Legislaturperiode zurück. Sie sind ein wesentlicher
Beitrag zur Beteiligung des Parlaments an der UNO-Po-
litik auf unserer staatlichen Ebene.
Jede Debatte ist kritisch. Auch über die UNO, wie
sollte es anders sein, wird kritisch und mit dem Blick auf
eine Krise diskutiert. Manches ist sehr banal, weshalb
man es klarstellen sollte. Es wird über die Effizienz der
UNO diskutiert. Dass in dieser internationalen Institu-
tion Civil Servants aus über 190 Ländern arbeiten, die
nicht alle in der Verwaltungstradition des Freiherrn vom
Stein oder des Grafen Montgelas ausgebildet wurden, ist
fast selbstredend und sollte nachgesehen werden.
Es ist unstreitig: Die Vereinten Nationen kosten Geld.
Der ordentliche Haushalt beträgt 1,5 Milliarden Dollar.
Jeder Vergleich hinkt. Der Vergleich mit den 800 Mil-
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Dass all diese Gedanken mit deutscher und internatio-
aler Theorie sowie mit Ereignissen in Deutschland ver-
unden sind, könnte eine Verpflichtung sein. Ich finde es
mmer schön, wenn man durch Gutes verpflichtet ist.
ie Westfälische Ordnung heißt schon so. Westfalen ist
ls ein dröge geltender Teil deutscher Lande bekannt,
rotzdem ist es in die Weltgeschichte eingegangen. Die
estfälische Ordnung sollte den Krieg domestizieren.
eute müssen wir feststellen: In Ruanda ist sie nicht
irklichkeit geworden. Das Urteil ist aber sehr überheb-
ich, wenn man die Entzivilisierung des Krieges vergisst.
ann immer mag sie begonnen haben? Hat sie mit Na-
oleons Wüten in Spanien, mit den Kolonialkriegen, an
enen viele, auch Deutsche, beteiligt waren, mit der Ver-
ichtung von Armeniern, mit den Gräueltaten des Zwei-
en Weltkrieges oder mit dem Flächenbombardements
on Coventry bis Dresden begonnen? All das war vor
uanda. Deshalb sollten wir in unserem Urteil über das
cheitern maßvoll sein. Ich glaube, es ist ganz unstreitig,
ass dadurch, dass wir nicht nur sehr große Mächte, son-
ern auch die UNO haben, mancher Krieg vermieden
nd mancher eher beendet wird als ohne die UNO. Das
st sehr viel.
Peacekeeping- und Peaceenforcing-Operationen gibt
s viel mehr, als wir in Deutschland wahrhaben wollen.
assen Sie mich ein bisschen im Vorgriff auf unsere
orgige Entscheidung zum Sudan eine Bemerkung ma-
hen. Wer nicht informiert ist, dem sei es verziehen, aber
ie Frage „Was sollen deutsche Soldaten in Afrika?“ ist
chon ziemlich provinziell-unanständig,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16137
)
)
Dr. Christoph Zöpel
wenn man weiß, dass der Frieden in Afrika derzeit von
Bangladeschern, Pakistanern, Indern und vielen Afrika-
nern selbst herbeigeführt werden soll. Was sollen Bang-
ladescher in Afrika? Es ist also einiges an Aufklärung
angesagt.
Unstreitig ist: Die Vereinten Nationen sind aufgrund
ihrer Charta weiterhin zu sehr auf die traditionellen und,
wie manche sagen, harten Sicherheitsaufgaben konzen-
triert. Das Befassen mit den Entwicklungsfragen in all
ihren Dimensionen erledigen zum Teil Nebenorganisa-
tionen und manchmal von ihr formal unabhängige Orga-
nisationen, in denen die Dominanz der Reichen viel-
leicht zu groß ist, weil auch die Reichen in dieser Welt
zu dominant sind. In dieser Diskussion haben es auch
schon die Bundesregierung und der UNO-Generalsekre-
tär angesprochen: Hin und wieder können wir kleine
Beiträge leisten. So freue ich mich, dass wir in dieser
Legislaturperiode beschlossen haben, dass wir nicht nur
über die harten Aufgaben der UNO in einem Bericht in-
formiert werden, sondern bald auch über alle anderen in-
ternationalen Institutionen, in denen die Bundesregie-
rung mitwirkt. Wir warten darauf, das noch in dieser
Legislaturperiode erfüllt zu sehen.
Ganz unstreitig ist: Die Machtstrukturen innerhalb
der Vereinten Nationen entsprechen nicht der Wirk-
lichkeit. Sie sind 1945 gesetzt worden. Fangen wir mit
den eklatantesten Dingen an. Wenn wir sie nicht richtig
sehen, wird es wieder als ein Zeichen provinzieller euro-
päischer Überheblichkeit gesehen, mit ihnen falsch um-
zugehen. Die Vereinten Nationen ohne Indien im Sicher-
heitsrat sind nun wirklich eine Groteske.
Indien mit 1 Milliarde Menschen ist – auch das soll-
ten Europäer einsehen – in seiner Leistung, ein integrati-
ves, föderatives Staatswesen zu schaffen, der Europäi-
schen Union um Lichtjahre voraus.
Man kann also von Indien lernen. Eine Demokratie ist es
auch. Wenn die eine Richtung zu sehr dominiert, verliert
sie überraschend. Das erlebte die indische Demokratie
neulich. Darüber brauchen wir nicht lange zu sprechen.
Dass Lateinamerika und Afrika im Sicherheitsrat nicht
vertreten sind, ist ähnlich fragwürdig. Deshalb gibt es
jetzt diese Diskussion über die Erweiterung des Sicher-
heitsrates.
Verständlich und sicherlich auch gar nicht zu verurtei-
len ist die Konzentration auf die Frage: Soll nun
Deutschland im Sicherheitsrat vertreten sein? Ich male
einmal folgendes Bild. Wenn das bei der Beurteilung im
Vordergrund stehen würde, würden alle sagen: Mein
Gott, was ist das für ein Idealismus! Jawohl, ich bin der
Auffassung, der Sicherheitsrat sollte nur noch durch die
staatlich integrierten Weltregionen repräsentiert werden.
Dem Sicherheitsrat sollten die Afrikanische Union, die
Lateinamerikanische Union, die Indische Union – sie ist
schon vertreten –, China – es ist zwar nicht so ganz de-
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Damit komme ich zu dem letzen Punkt. Wenn nicht
ur einzelne Staaten, sondern auch die Welt demokra-
isch sein soll, dann müssen wir weiter danach streben,
ine demokratische globale Ordnung zu erreichen. Nun
eiß ich, dass die Konzeption eines Weltparlaments
chon allein wegen der Frage, ob China als nicht demo-
ratischer Staat in einem demokratischen Weltparlament
ertreten sein darf, völlig irreal ist. Trotzdem kann man
ich der Sache nähern. Die Gewaltenteilung auf Welt-
bene ist ausgeprägter, als man glaubt. Das Ausmaß der
echtsetzung ist erheblich. Das Binnensystem völker-
echtlicher Verträge ist ebenfalls erheblich. Wieso soll-
en diese Verträge nicht auch von Delegierten aus Parla-
enten mitberaten werden? Das kann nicht schaden und
as ist praktisch.
Dass der Sicherheitsrat derzeit im Bereich der Terror-
ekämpfung mit bindender Gewalt gültiges Völkerrecht
etzen kann, ist gut. Würde es schaden, wenn er das hin
nd wieder mit Vertretern von Parlamenten beraten
ürde? Ich glaube, der Punkt ist erreicht, an dem es Sinn
acht, in realistischer Einschätzung der Realität des
ölkerrechts danach zu fragen, ob das Prinzip der Ge-
altenteilung nicht auch auf dieser Ebene, nämlich der
lobalen, abgebildet werden kann. Der Deutsche Bun-
estag befasst sich damit. Wir werden es demnächst dis-
utieren können. Vielleicht können wir dann feststellen,
ass zwei Ideen, an denen Europäer hängen, der Welt
utes geben. Ich meine die Idee Kants, dass eine Föde-
ation von Republiken das Chaos der Mächte überwin-
en könnte. Deshalb bin ich aus außenpolitischen Grün-
en dafür, in Deutschland mit dem Föderalismus
fleglich umzugehen und ihn nicht taktisch zu gebrau-
hen.
ie zweite Idee ist die Idee der Franzosen, die Gewal-
enteilung einzuführen. Wenn es auf Weltebene gelänge,
16138 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Christoph Zöpel
die Föderation der Republiken in Verbindung mit dem
Gewaltenteilungsprinzip von Montesquieu zu organisie-
ren, dann könnten wir Europäer stolz sein.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Klaus Rose, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich möchte zuerst auf das eingehen, was der Kol-
lege Zöpel geäußert hat, und feststellen, dass wir doch
eine sehr große Gemeinsamkeit in all diesen Fragen ha-
ben. Ich bin vor allem deshalb dankbar, weil das Parla-
ment einen kleinen Sieg errungen hat, weil es diese Be-
richte gibt, weil wir uns intensiv um die Politik der
Vereinten Nationen kümmern und wir die zunehmende
Bedeutung der Vereinten Nationen für die gesamte Welt,
aber auch für uns Deutsche diskutieren. Damit kommen
wir einen großen Schritt nach vorne. Wir werden in die-
ser Angelegenheit von der Bundesregierung verhältnis-
mäßig gut unterstützt.
Wir haben – auch das freut mich – einen eigenen Un-
terausschuss, dessen Vorsitzender der Kollege Dr. Zöpel
ist. Der Unterausschuss Vereinte Nationen kümmert
sich intensiv um diese Angelegenheiten und kann durch
Hearings und andere Veranstaltungen sehr viel bewegen,
um in diesen Fragen voranzukommen. Ich stehe auch
nicht an, der Bundesregierung ein kleines Kompliment
dafür zu machen,
dass sie die Zeit, über die der Bericht geht, nämlich von
2002 bis 2003, genutzt hat und versucht hat, sich interna-
tional einzubringen. Sie hat in diesen schwierigen Jahren
2002 und 2003 – das war die Zeit nach dem
11. September und die Zeit des Irakkriegs – die Politik
mit beeinflusst und im Hinblick auf die Reform der Ver-
einten Nationen einen Schritt nach vorne gemacht. Wir
haben – mit „wir“ meine ich Deutschland; ich erinnere in
diesem Zusammenhang an die Schlagzeile der „Bild“-
Zeitung anlässlich der Papstwahl – den Anspruch auf ei-
nen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat angemeldet.
Aus dieser Sicht kann ich nur sagen: Das war passabel
gemacht. Aber es gibt noch viel mehr zu tun. Wir konn-
ten bei der Abstimmung über den Bericht unsere Zustim-
mung nicht geben, weil wir in Nuancen eine andere
Sicht haben.
Ich selber möchte mich jetzt auf einige besondere
Aussagen konzentrieren. Ich weiß, dass meine beiden
Kolleginnen, Frau Nolte und Conny Mayer, Schwer-
punkte setzen werden, wobei die eine unter anderem das
Thema des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen und
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– In diesem Zusammenhang bemühe ich noch einmal
den Satz: „Wir sind Papst!“ Keiner ist dagegen, wenn
man ihn haben könnte. Aber ihn so krampfhaft anzustre-
ben und am Schluss eine Bauchlandung zu machen, wo-
für aber viele Vorleistungen erbracht werden müssten,
und möglicherweise – deshalb habe ich die Reise von
Schröder erwähnt – das Verhältnis zu den USA zu zer-
stören, weil man in Peking um Zustimmung wirbt, das
halte ich für falsch.
Wegen der parlamentarischen Zusammenhänge noch
ein Letztes.
Wir haben in den Hearings auch die Parlamentari-
sierung der Vereinten Nationen stark beraten. Wir wer-
den morgen zu einem Vorschlag kommen. Wir sollten in
diesem Feld all unsere Kräfte aufbieten, um möglichst
viele Parlamentsberatungen zu erreichen. Wir in
Deutschland sind ja schon einen Schritt weiter, weil wir
den Unterausschuss haben. Viele Länder der Welt haben
das aber nicht. Ob wir unser Ziel mit der IPU erreichen
oder ob wir sogar den sehr visionären Schritt eines Welt-
parlaments – wir haben ja einmal etwas von
600 Mitgliedern gehört – gehen, ist eine zweite Frage.
Ich selbst bin in diesem Punkt mehr Realist. Aber ich
möchte gewisse Dinge anstreben, und dazu gehört die
starke parlamentarische Begleitung all dieser UNO-Fra-
gen. Wenn wir das gemeinsam anstreben und zu einem
guten Ziel kommen, haben wir viel Gutes für Deutsch-
land und natürlich auch für den Parlamentarismus getan.
Danke.
Für die Bundesregierung erhält nun die Staatsministe-
rin Kerstin Müller das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ehr geehrter Herr Rose, auch ich bedanke mich erst ein-
al für die Blumen.
Blümchen waren es aber immerhin. – Ich möchte mich
ür die Bundesregierung zunächst bei den Abgeordneten
ller Fraktionen für die wirklich gute Zusammenarbeit
nd für die guten Diskussionen zum Thema Vereinte Na-
ionen bedanken.
Sie haben es angesprochen: Die Vereinten Nationen
tehen – darauf hat Kofi Annan in seiner wirklich rich-
ungsweisenden Rede zu Beginn der vorigen General-
ersammlung der Vereinten Nationen eindringlich hin-
ewiesen – an einem Scheideweg. Sie stehen es gerade
n diesem Jahr; denn die neuen Herausforderungen, mit
enen wir international konfrontiert sind, die Folgen des
1. Septembers, der internationale Terrorismus, die Be-
rohung durch Massenvernichtungswaffen und die Ge-
ahren, die von zerfallenden Staaten ausgehen –, haben
ns, glaube ich, vor Augen geführt: Die Vereinten Natio-
en müssen sich auf diese veränderte Situation einstel-
en, um weiter handlungsfähig zu bleiben.
Dazu gehört nicht nur eine institutionelle Reform
er Vereinten Nationen, also eine Reform des Sicher-
eitsrates, des ECOSOC, der Menschenrechtskommis-
ion und anderer Institutionen. Diese Reformen sind
ein Selbstzweck, sondern dienen dazu, die Vereinten
ationen in die Lage zu versetzen, effektiv auf die neuen
erausforderungen und Gefahren zu antworten. Das
eißt, wir brauchen Vereinte Nationen im Sinne eines ef-
ektiven Multilateralismus und wir brauchen Vereinte
ationen, die die notwendige Legitimität für internatio-
ales Handeln vermitteln. Das war die Lehre, die wir aus
en Diskussionen während der Irakkrise gezogen haben.
amit wir in Zukunft Krisen wie zum Beispiel in Afgha-
istan und Afrika besser handhaben können, brauchen
ir – ich greife wieder auf Kofi Annan auf der Sicher-
eitskonferenz im Februar dieses Jahres zurück – ein in-
egriertes Konzept für Krisenmanagement und lang-
ristige Friedenskonsolidierung. Wenn wir die dazu
otwendigen Reformen nicht durchsetzen können, dann
ird – ich möchte noch einmal Kofi Annan zitieren –
as Ausmaß unserer derzeitigen kollektiven Handlungs-
chwäche in Menschenleben gemessen werden. Ich kann
ofi Annan in diesem Punkt nur voll unterstützen. Das
acht noch einmal deutlich, vor welchen wichtigen Ent-
cheidungen wir in diesem Jahr stehen.
Deutschland ist schon heute eine der Hauptstützen der
ereinten Nationen. Dies wurde zum Beispiel während
16140 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Staatsministerin Kerstin Müller
unserer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat 2003/2004
deutlich. Unsere konstruktive Mitarbeit hat uns internati-
onal Ansehen eingetragen. Zum Beispiel haben wir den
nicht ständigen Mitgliedern stärker als bisher Gehör ver-
schafft. Wir haben während unserer Mitgliedschaft eine
der schwersten humanitären Krisen und Menschen-
rechtskatastrophen weltweit – ich spreche von Darfur –
erst auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates gebracht.
Das Thema Darfur ist heute dort fest verankert; das zei-
gen gerade die letzten Resolutionen. Ich glaube, es hat
sich gelohnt, in dieser Frage eine der treibenden Kräfte
auf internationaler Ebene zu sein und nicht nachzulas-
sen, in den Vereinten Nationen, im Sicherheitsrat auf
klare Beschlüsse hinzuarbeiten.
Wir haben ganz konkret gezeigt, dass wir bereit sind,
unsere Verantwortung wahrzunehmen, zum Beispiel
durch Teilnahme an internationalen Friedensmissionen.
An diesen Missionen beteiligen wir uns nicht nur mit
Soldaten der Bundeswehr, sondern auch mit Zivilpolizis-
ten und zivilem Personal. Wenn der Bundestag morgen
einer deutschen Beteiligung an der neuen Friedensmis-
sion UNMIS im Südsudan zustimmt – wie es ausschaut,
wird das der Fall sein –, dann wird dies die
17. Friedensmission der Vereinten Nationen sein, an der
wir teilnehmen.
Ein wesentliches Element ist auch unser Einsatz für
rechtstaatliche Strukturen und Menschenrechte weltweit.
In jüngster Zeit wurde dies durch unsere Beiträge zur Er-
richtung und Finanzierung des Internationalen Strafge-
richtshofs in Den Haag deutlich. Oder denken Sie an un-
ser Engagement für eine wirksame Zusammenarbeit der
Europäischen Union in den Vereinten Nationen. Wir ha-
ben entscheidend dazu beigetragen, dass die EU heute in
den Vereinten Nationen weitestgehend einheitlich auf-
tritt und auf dieser Grundlage einer der wichtigsten
Akteure im Rahmen der Vereinten Nationen geworden
ist.
Dieses erfolgreiche Engagement war innerhalb des
bestehenden Systems der VN möglich. Aber wir müssen
in diesem Jahr wichtige Schritte weitergehen. Deshalb
ist es gut, dass die Reformdebatte allein im letzten Jahr
durch einige zentrale Dokumente neue Impulse erhalten
hat. Nach Lage der Dinge werden wir es entweder in die-
sem Jahr schaffen, uns auf substanzielle Reformen zu
verständigen, oder wir werden erst einmal für viele Jahre
zurückgeworfen werden. Ich sage deshalb sehr deutlich:
Wir unterstützen den größten Teil der Vorschläge in dem
Bericht, den Kofi Annan vorgelegt hat.
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Dies hat der Bundeskanzler Anfang dieses Jahres auf
dem Weltwirtschaftsforum in Davos noch einmal bekräf-
tigt, indem er versicherte, dass dieses Ziel in einem Stu-
fenplan erreicht werden müsse. Dabei werden sicher
auch innovative Finanzierungsinstrumente eine Rolle
spielen.
Denken Sie bitte an die Zeit!
Ke
Zunächst wird es jedenfalls gelingen, die in Barcelona
vereinbarten 0,33 Prozent bis 2006 zu erreichen. Das ist
ein erster wichtiger Schritt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Alle Mit-
glieder der Vereinten Nationen stehen in diesem Jahr vor
zentralen Entscheidungen. Es geht um die Zukunft der
Vereinten Nationen. Ich kann Ihnen versichern: Die
Bundesregierung wird alles tun, dass dieses Jahr ein Er-
folgsjahr für die Vereinten Nationen wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Harald Leibrecht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Die Vereinten Nationen stehen vor großen Verände-
rungen. Im Herbst soll eines der wichtigsten Reformpa-
kete in der Geschichte der UNO beschlossen und auf den
Weg gebracht werden. Anderthalb Jahrzehnte nach dem
Ende des Kalten Krieges muss die UNO auch angesichts
neuer Herausforderungen in die Lage versetzt werden,
ihre Kernaufgaben, also die Förderung von Entwicklung,
den Schutz der Menschenrechte und die Sicherung des
Weltfriedens, zu erfüllen. Darum muss die UNO hand-
lungsfähiger werden. Kofi Annan hat mit seinem von
ihm vorgeschlagenen Reformpaket einen wichtigen
Schritt in die richtige Richtung getan.
Deutschland ist einer der großen Verfechter der Ver-
einten Nationen. Die UNO braucht auch die deutsche
Unterstützung – und dies nicht nur deswegen, weil wir
ein wichtiges Geberland sind. Ich finde es allerdings be-
dauerlich, dass sich die Diskussion über die UN-Reform
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war unterstützen auch wir diese Forderung; doch wir
ind der Meinung, ein europäischer Sitz sei die bessere
ösung. Die EU ist heute aber leider noch nicht in der
age, einen solchen Sitz einzunehmen. Deshalb sollte
eutschland, falls wir einen solchen Sitz bekommen,
iesen in einer Art Treuhänderschaft europäisch wahr-
ehmen.
Wichtig bleibt jedoch, dass die Bundesregierung die
N-Reformen unterstützt, und zwar nicht nur unter der
edingung, einen Sitz im Sicherheitsrat zu bekommen.
ieses Gieren nach solch einem ständigen Sitz treibt im-
er seltsamere Blüten und ist in der Tat kontraproduktiv.
ch denke hierbei zum Beispiel an die – wie man fast sa-
en könnte – Komplizenschaft mit Brasilien und Indien.
as muss doch andere konkurrierende Länder gegen uns
ufbringen. Ich denke auch an die unsägliche Forderung
es Bundeskanzlers, das EU-Waffenembargo gegenüber
hina aufzuheben. Auch die unabgestimmte Zusage des
eutschen UN-Botschafters, die ODA-Quote unbedingt
rfüllen zu wollen, ist ziemlich durchsichtig. Man
önnte fast schon meinen, Deutschland möchte sich den
itz im Sicherheitsrat erkaufen.
Die Bundesregierung misst ihren Erfolg bzw. Miss-
rfolg am deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Wir
iberale tun das nicht.
Wir meinen, Generalsekretär Annan braucht unsere
nterstützung dabei, die Menschenrechtskommission in
inen ständigen, verkleinerten und damit auch effektive-
en, dem Sicherheitsrat gleichberechtigten Menschen-
echtsrat umzuwandeln. Wir begrüßen diese Umwand-
ung; denn Menschenrechte sind nun einmal die Basis
ür Frieden und Freiheit.
ir unterstützen Kofi Annan auch darin, den ECOSOC
ufzuwerten und wieder zu einem handlungsfähigen In-
trument in der Entwicklungspolitik zu machen. Ein
tärkeres Engagement der reichen Staaten bei der Ent-
icklung der ärmeren Länder ist ein Muss. Kofi Annan
at ein mutiges und wichtiges Reformpaket angestoßen.
r braucht und verdient dabei unsere Unterstützung, und
war für das gesamte Paket und nicht nur für Teile.
Der UN-Generalsekretär ist ja leider – wir haben das
orhin schon gehört – ausgerechnet jetzt, in dieser wich-
igen Reformphase, mit schwerwiegenden Vorwürfen
onfrontiert. Das wird von seinen Kritikern leider als
illkommener Anlass gesehen, ihn zu schwächen und zu
eschädigen. Natürlich stehen diese Vorwürfe des
16142 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Harald Leibrecht
Missmanagements innerhalb der UNO im Raum und
müssen lückenlos aufgeklärt werden.
Jetzt ist es umso wichtiger, dass gerade auch die star-
ken UN-Mitgliedstaaten diese Reformen unterstützen
und so die UNO voranbringen. Es geht in den kommen-
den Monaten um die Zukunft der Vereinten Nationen,
um Entwicklung, Frieden und Menschenrechte auf der
ganzen Welt, und eben nicht nur um Sicherheitsratsam-
bitionen dieser Bundesregierung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef
Dzembritzki.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es ist ein wohltuender Nachmittag, wenn
man ihn einmal unter dem Gesichtspunkt „wenig Kon-
flikte und viel Harmonie“ betrachtet. Ich denke, dass
auch die kritischsten Beiträge der Opposition letztend-
lich den breiten Konsens erkennen lassen. Damit wird
unterstrichen, dass wir alle, die wir hier im Parlament
zusammensitzen, in den Vereinten Nationen doch den
Garanten sehen, der für die Zusammenarbeit weltweit
der wichtigste Partner, die wichtigste Institution ist.
Deswegen ist es auch selbstverständlich, dass wir ein
großes Interesse daran haben, dass der Reformbericht
und die Reformideen von Kofi Annan eingebracht und
nach Möglichkeit auch umgesetzt werden.
Man muss dabei allerdings auch immer Realist blei-
ben. Wir haben 191 Partner, die letztendlich diesen
Reformprozess in der Generalversammlung mit uns zu
bestreiten haben. Wir müssen auch erkennen, dass zwar
mit dem Einbringen ein Hauptteil der Arbeit gemacht ist,
wir aber dennoch mehr am Anfang als am Ende des Pro-
zesses stehen. Ich stimme den Kollegen Dr. Rose und
Leibrecht zu, dass es dabei nicht nur um den Sicherheits-
rat gehen kann. Ich denke – wir haben das ja auch im
Unterausschuss behandelt –, dass Fragen, die zur Wirt-
schaftspolitik anstehen – Stichwort ECOSOC –, Fragen,
die im Arbeitsbereich anstehen und Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer betreffen, sowie Fragen, die mit der
Vielfalt der Kulturen weltweit zusammenhängen,
Schwerpunktaufgaben sind, die mit zur UN gehören.
Wenn wir die Globalisierung ein Stückchen humaner ge-
stalten wollen, dann setzen wir auch dabei die Hoffnun-
gen auf die Vereinten Nationen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es dabei
nicht hilfreich und im Grunde auch nicht fair – aber es
gehört vielleicht zur Debatte, dass sie dann doch nicht so
ganz harmonisch ist –, wenn etwa unterstellt wird, die
Bundesrepublik würde sich krampfhaft um einen Sitz im
Sicherheitsrat bewerben. Ich denke – das ist hier in der
Diskussion auch schon deutlich geworden –, bei der
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ch würde das nicht nur auf die Frage des Sicherheitsra-
s beschränken, sondern grundsätzlich so sehen. Es ist
– ich sage das einmal so salopp – das große Pfund der
ereinten Nationen, dass sie eine Institution sind, in der
ndustrieländer und Entwicklungsländer, in der Nord
nd Süd auf gleicher Augenhöhe sprechen können
wenn es denn alle wollen – und in der die Wertschät-
ung aller miteinander in einer Gleichberechtigung statt-
indet. Wir wollen doch auf jeden Fall, dass dies mit der
eform der UN noch einmal unterstrichen wird. Deswe-
en finde ich solche Vorhalte nicht hilfreich.
Di
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben uns der ver-
nderten Situation nach dem 11. September zu stellen.
abei drängt sich uns, wenn wir die Intensität der zuneh-
enden Brutalität zur Kenntnis nehmen, die entschei-
ende Frage auf, wer unter welchen Bedingungen die
egitimation hat, von außen in die inneren Belange eines
taates einzugreifen. Kann die Souveränität eines Staa-
s heute immer noch höher bewertet werden als massive
enschenrechtsverletzungen? Darüber haben wir be-
eits diskutiert. Solche Fragen erfordern neue Normen,
ie Orientierung bieten und zur internationalen Sicher-
eit beitragen, um in Situationen, in denen ein Eingrei-
en im Sinne der Menschenrechte dringend notwendig
t, willkürliches Handeln zu verhindern.
ch glaube, dass nur die Vereinten Nationen hierfür einen
aßstab, ein Gerüst und Orientierung bieten können.
Sie haben die Friedensmissionen angesprochen. Ich
enke, wir werden es uns immer wieder schwer machen
üssen, über Friedensmissionen zu entscheiden. Der
ollege Zöpel hat bereits deutlich gemacht, wer sich
urzeit um Friedensmissionen kümmert. Die Ansprüche
nd Verpflichtungen sind hoch. Wenn Sie, lieber Kollege
r. Rose, die Beteiligung an Friedensmissionen mit dem
iel in Zusammenhang bringen, 0,7 Prozent des Brutto-
landsprodukts gemäß der ODA-Quote aufzuwenden,
ann kann ich das nicht nachvollziehen. Denn der mate-
ielle Anteil, der von der Bundesrepublik zu leisten ist,
ann nicht unmittelbar mit den moralischen Verpflich-
ngen korrespondieren, die wir zu erfüllen haben. Bei
ller Notwendigkeit, uns um die Steigerung unseres An-
ils an Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit zu
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16143
)
)
Detlef Dzembritzki
bemühen, warne ich immer wieder davor, die materielle
Ausstattung zum alleinigen Grundsatz der Entwick-
lungszusammenarbeit zu machen.
Ich denke besonders an das Beispiel der Friedensmissio-
nen. Wenn es einmal gelänge, durch Friedensmissionen
und internationale Zusammenarbeit zum Beispiel im
Kongo eine Befriedung herbeizuführen, dann würden
wir es schaffen, dass eines der – an seinen Bodenschät-
zen und verfügbaren natürlichen Ressourcen gemessen –
reichsten Länder der Welt zur Prosperität des afrikani-
schen Kontinents beitragen könnte. Das wäre ein Traum,
den Sie auch auf Angola und viele andere Staaten über-
tragen können.
Insofern kommt mir der Bericht von Jeffrey Sachs
in der Regel ein bisschen zu kurz, liebe Frau Staatsmi-
nisterin. In dem Bericht werden zu Recht erweiterte An-
strengungen der Industrienationen gefordert. Er greift
aber zu kurz, wenn es darum geht, die Länder des Sü-
dens daran zu erinnern, dass auch sie Verpflichtungen
haben und dass die nationalen Ressourcen nicht bei so
genannten politischen Eliten landen dürfen, sondern der
Bevölkerung zur Verfügung stehen müssen.
Je mehr wir erreichen, dass diese Ressourcen dem Wohl-
stand der Menschen zugute kommen, desto weniger Be-
deutung wird eines Tages die Frage haben, wie hoch der
jeweilige Anteil an Mitteln für die Entwicklungszusam-
menarbeit sein muss.
Ich denke, dass beide gefordert sind: der Süden wie
der Norden. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, über eine
reformierte UN noch stärker dazu beizutragen, als es bis-
her möglich war.
Vielen Dank.
Jetzt hat die Abgeordnete Claudia Nolte das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Erlauben Sie mir, noch einmal kurz auf den
Beratungsgegenstand, nämlich den Bericht der Bundes-
regierung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesre-
publik Deutschland und den Vereinten Nationen in den
Jahren 2002 und 2003, einzugehen. Ich meine nämlich,
dass auch der Bericht selber einer Würdigung bedarf. Er
ist eine ausgesprochene Fleißarbeit, für die den zuständi-
gen Mitarbeitern Dank gebührt.
Der Bericht bietet sehr viele Informationen und macht
einige erfreuliche Entwicklungen deutlich.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Conny Mayer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
en! Wir haben in der bisherigen Debatte viel von den
omentanen Herausforderungen für die Vereinten Na-
ionen gehört. Wer jetzt glaubt, es sei alles gesagt und
ir könnten nach Hause gehen,
en bitte ich trotzdem, mir zuzuhören. Ich möchte näm-
ich noch ein wichtiges Thema ansprechen, das bisher
ur angerissen wurde. So hat es Herr Dzembritzki leider
ur zum Schluss seiner Rede behandelt, ebenso Frau
taatsministerin Müller.
Unsere zentrale Herausforderung im Rahmen der Ar-
utsbekämpfung ist es, die Millenium Development
oals, die MDGs, bis zum Jahre 2015 noch zu errei-
hen. Ich warne vor der verkürzten Sicht, nur das UNDP
nd nicht auch andere Bereiche der VN seien zuständig.
s gibt im großen System der VN nämlich eine ganze
eihe von Sonderorganisationen, Fonds und Program-
en, durch die dieses Ziel erreicht werden soll.
Für uns und die Bundesregierung muss es in dieser
ebatte um die zentrale Frage gehen: Wie kann es gelin-
en, die Entwicklungszusammenarbeit der VN als
ystem leistungsfähiger zu machen? Bisher können wir
icht – Frau Staatsministerin Müller, Sie haben darauf
ingewiesen – optimistisch sein. Der Anteil der Men-
chen, die in extremer Armut leben, ist nicht zurückge-
angen. In manchen Teilen der Erde nimmt der Anteil
ieser Menschen sogar zu. Wir sind von dem Ziel, die
rankheit Aids weltweit wirklich in den Griff zu bekom-
en, noch weit entfernt.
Wenn sich unsere Entwicklungsarbeit und die Ent-
icklungsarbeit der VN nicht ändern, dann hungern
uch 2015, also in zehn Jahren, viele Millionen, ja Mil-
iarden Menschen auf der Erde. Wenn sich nichts ändert,
ann wird der Anteil derer, die sich täglich mit HIV infi-
ieren, nicht geringer werden. Wenn sich nichts ändert,
ann werden wir es nicht schaffen, die MDGs zu errei-
hen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16145
)
)
Dr. Conny Mayer
Liebe Frau Müller, Sie haben zu diesem Thema vor-
hin gesagt: Da müssen wir noch nachlegen. Ich habe das
so verstanden, als wollten Sie sehr selbstkritisch sagen:
Da muss auch die Bundesregierung noch nachlegen.
Dazu kann ich nur sagen: Recht haben Sie; beim Thema
Entwicklungszusammenarbeit kann und muss die Bun-
desregierung noch nachlegen.
Trotz aller Schwierigkeiten leisten die VN einen ganz
wichtigen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit, zur
Erreichung der MDGs. Kofi Annan hat in den vergange-
nen Jahren eine Reihe von wichtigen Reformen angesto-
ßen. Ich möchte noch ein paar Reformen im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit ansprechen, die noch
nicht abgeschlossen sind:
Die Koordinationsfunktion des UNDP ist noch
nicht optimal. Wir brauchen klarere Profile und Be-
schreibungen der einzelnen Aufgaben.
Die Koordination in den Partnerländern, in den Ländern
des Südens, muss deutlich besser werden.
Auch die Koordination der Arbeit der einzelnen
VN-Töchter, also der Unterorganisationen, Fonds und
Programme, und die Koordination mit den anderen Ge-
berländern müssen besser werden.
Das Gleiche gilt für die Qualität der Arbeit und die
Kontrolle. Auch hier gibt es Verbesserungspotenzial.
Deshalb ist es schade, dass in dem Bericht der Bun-
desregierung – hier will ich Claudia Nolte unterstützen –
die MDGs so gut wie gar nicht besprochen werden. Das
ist nur eine reine Aufzählung dessen, was es an Unteror-
ganisationen im Bereich der Entwicklungszusammenar-
beit gibt.
Ich will einen weiteren Punkt ergänzen. Wir müssen
uns darüber im Klaren sein, dass die VN immer nur so
gut arbeiten, wie die Mitgliedstaaten dies zulassen. Das
gilt natürlich auch in der Frage der Erreichung der
MDGs. Wenn wir alle miteinander der Meinung sind,
dass die Vereinten Nationen effizienter werden sollten,
dann sollten wir hier alles tun, um unseren deutschen
Beitrag dazu gemeinsam zu leisten. Die CDU/CSU-
Fraktion jedenfalls ist der Meinung, dass es bei der ent-
wicklungspolitischen Arbeit der Vereinten Nationen
noch Verbesserungspotenzial gibt. Wir haben uns auch
mit einer Großen Anfrage an die Bundesregierung ge-
wandt, um zu erfahren, was die Bundesregierung tut, um
Einfluss darauf auszuüben, dass die Entwicklungszu-
sammenarbeit der Vereinten Nationen besser wird.
Ich will einen allerletzten Punkt ansprechen. Wir kön-
nen nicht davon ausgehen, dass die Vereinten Nationen
alle Entwicklungsprobleme weltweit lösen können. Es
wird immer eine zentrale Frage sein, eine entwicklungs-
politische, aber ein Stück weit natürlich auch eine au-
ßenpolitische, wie viel unserer Entwicklungsgelder wir
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Danke schön. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
en Ausschusses auf Drucksache 15/5144 zu dem Be-
icht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwi-
chen der Bundesrepublik Deutschland und den
ereinten Nationen in den Jahren 2002 und 2003. Der
usschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung auf
rucksache 15/4481 eine Entschließung anzunehmen.
er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
timmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
st damit einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald
Weiß , Uwe Schummer,
Dr. Michael Meister, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Mehr Gerechtigkeit durch soziale Kapital-
partnerschaft – Rahmenbedingungen für Ver-
mögensbildung, Investivlöhne und Mitarbei-
terbeteiligung verbessern
– Drucksache 15/5104 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider-
pruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
er Abgeordnete Gerald Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Es zahlt sich aus, wenn aus Mitarbeitern Mitun-
ernehmer werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und
erufsforschung in Nürnberg hat uns die Zahlen gelie-
ert: Betriebe mit Mitarbeiterbeteiligung sind produkti-
er als Betriebe ohne Mitarbeiterbeteiligung.
16146 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Gerald Weiß
Neben ihren unbestrittenen wirtschaftlichen Vorteilen
hat die Mitarbeiterbeteiligung aber auch noch eine ge-
sellschaftspolitische, ja eine sozialethische Dimension.
Der Berliner Moraltheologe Professor Andreas Lob-
Hüdepohl hat bei einem Gespräch mit der Arbeitnehmer-
gruppe unserer Fraktion kürzlich gesagt, was aus seiner
Sicht die entscheidenden Ressourcen sind, die die Frei-
heit und die Autonomie des Einzelnen sichern
– ein bisschen müssen Sie den mit uns teilen –: Familie,
Erwerbsarbeit und Eigentum.
Der vor einigen Wochen vorgelegte 2. Armuts- und
Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt, dass Sie,
meine verehrten Damen und Herren der Koalition, auf
diesen drei zentralen Feldern – Familie, Arbeit, Eigen-
tum – versagt haben: Kinder sind ein Armutsrisiko. Die
Armutsquote bei Familien ist zwischen 1998 und 2003
von 12,6 auf 13,9 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosig-
keit ist auf Rekordniveau; sie liegt bei über 5 Millionen.
Arbeitslosigkeit ist ein Armutsrisiko. Die Verteilung der
Vermögen ist nicht gleichmäßiger, sondern ungleichmä-
ßiger geworden. 10 Prozent der Haushalte verfügten
2003 über 47 Prozent des Vermögens; fünf Jahre zuvor
waren es 45 Prozent. Es fällt nicht schwer, daraus einen
Schluss zu ziehen: Rot-Grün hat vermögenspolitisch und
eigentumspolitisch völlig versagt. Das ist das Resümee.
Anstatt klassenkämpferische Sprechblasen abzuson-
dern, um von Ihrem Versagen abzulenken, sollten Sie
den vorliegenden Antrag der Union unterstützen. Er hat
den Vorzug, auf einem entscheidenden Feld ganz kon-
kret zu sein. Aber wir sind skeptisch, ob Sie sich an
Maßnahmen der Eigentumsförderung beteiligen, ob Sie
mitmachen, wenn es darum geht, Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer stärker am Produktivkapital zu betei-
ligen. Denn wir wissen ja, dass Sie die Eigenheimzu-
lage, die ja auch ein Eigentumsförderungsinstrument ist
– dies vor allem, kein Wohnbauprogramm –, abschaffen
wollen.
Wenn wir dafür eintreten, breiteren Schichten die Bil-
dung von Eigentum zu ermöglichen, sind das keine Um-
verteilungsträume, sondern es geht um die Förderung ei-
genverantwortlicher Eigentumsbildung.
Auch wenn der Begriff „Vermögensbildung in Arbeit-
nehmerhand“ mittlerweile etwas angestaubt klingen
mag, ist die Idee, die dahinter steckt, hochaktuell. Sie ist
allemal aktuell vor dem Hintergrund der Globalisierung.
Wir erleben, dass das Kapital mobil ist, die Arbeitneh-
mer im Wesentlichen aber auf ihren Standort angewiesen
sind. Wir erleben einen steigenden Kostendruck und
zum Teil einen ganz dramatischen Druck auf die Löhne,
eine Dumpinglohn-Problematik. Zugleich erleben wir
aber auch bei einigen Unternehmen – beileibe nicht bei
allen – steigende Gewinne. Wir erleben ein Sinken der
Lohnquote und steigende Kapitaleinkommen. Darauf
gibt es eine einzige folgerichtige Antwort: Wir müssen
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Für diese Politik gibt es prominente Fürsprecher. Bei-
pielsweise hat Professor Sinn vor kurzem gesagt: Die
rbeitnehmer brauchen ein zweites Standbein; zu dem
ohneinkommen muss ein Kapitaleinkommen als Ein-
ommensquelle hinzutreten. Dies spricht für eine Politik
er Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand und für
ine Mitbeteiligung an den Unternehmen; dafür ist es
och nicht zu spät. Das macht Sinn, und weil es Sinn
acht, bitten wir Sie mitzutun.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Schild.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Der Antrag, den die CDU/CSU-Fraktion
orgelegt hat,
teht unter dem Motto „Persönliche Freiheit wird durch
igentum erst schön“. Nun haben wir nichts gegen Ei-
entum. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang aber an
ie Debatte, die wir heute Morgen geführt haben, erin-
ern: Zu dem persönlichen Eigentum gehört auch die so-
iale Verpflichtung.
Zweitens. Herr Kollege Weiß, Sie und Ihre Fraktion
aben vor fast vier Jahren den Antrag „Kapitalteilhabe
tärken – Vermögensbildungsförderung altersvorsorge-
erecht ausbauen“ vorgelegt.
n dem heute vorgelegten Antrag sagen Sie, es sei nichts
assiert. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen – eini-
en in Ihrer Fraktion mag es möglicherweise entgangen
ein –: Mit dem Altersvermögensgesetz, das wir 2001 im
eutschen Bundestag verabschiedet haben, und dem Al-
erseinkünftegesetz, das wir vor einem Jahr beschlossen
aben, haben Bundesregierung und Koalitionsfraktionen
ine umfassende Förderung der Vermögensbildung für
rbeitnehmer auf den Weg gebracht.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16147
)
)
Horst Schild
– Das macht niemand? Dazu werde ich noch etwas sa-
gen, Kollege Müller.
Diese Förderung ist konsequent mit der Altersvor-
sorge verbunden. Das Fördervolumen wächst in den
nächsten Jahren auf zweistellige Milliardenbeträge. Die-
ses Vermögensbildungsprogramm greift. Wir haben ei-
nen nie da gewesenen Zuwachs im Bereich der kapital-
gedeckten betrieblichen und privaten Altersvorsorge.
Das ist Vermögensbildung.
Kollege Müller, Sie sagten gerade, das greife nicht.
Alle Mitglieder des Finanzausschusses des Deutschen
Bundestages haben vor wenigen Tagen ein Schreiben
und eine Broschüre des Gesamtverbands der Deutschen
Versicherungswirtschaft erhalten. Darin können Sie, so-
weit Sie es noch nicht getan haben, nachlesen, dass in
den letzten drei Jahren insgesamt über 15 Millionen
Altersvorsorgeverträge abgeschlossen wurden. Diese
Gesetze haben – meine Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU-Fraktion, Sie wissen, dass Sie beiden Ge-
setzen nicht zugestimmt haben – Wirkung entfaltet. Das
sollten Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen.
Nun möchten Sie auch einmal wieder etwas für die
Vermögensbildung tun. Viel fällt Ihnen dazu nicht ein.
Der vorgelegte Antrag ist sozusagen ein zweiter Aufguss
dessen, was Sie 2001, in der letzten Wahlperiode, vorge-
legt haben.
Bereits im Jahre 2001 wollten Sie den Freibetrag nach
§ 19 a des Einkommensteuergesetzes und die Einkom-
mensgrenzen nach dem Fünften Vermögensbildungsge-
setz erhöhen. Wir haben das einmal durchgerechnet:
Würde man diesen Vorschlag folgen, kostete das alleine
600 Millionen Euro. Hinsichtlich der Frage, wie Sie das
finanzieren wollen, bleibt Ihr Antrag völlig im Nebulö-
sen. Ich darf daran erinnern, dass gegenwärtig allein
mindestens vier der unionsgeführten Länder keinen ver-
fassungsgemäßen Haushalt vorlegen. Im Zusammen-
hang mit der Absenkung der Körperschaftsteuer fordern
Sie eine hundertprozentige Refinanzierung. In diesem
Zusammenhang sehe ich keine Deckungsvorschläge. Sie
sind wieder sehr spendabel. Vielleicht hören wir im
Laufe des weiteren Beratungsverfahrens etwas darüber,
wie Sie sich die Gegenfinanzierung vorstellen.
Neu ist in Ihrem Antrag, dass Sie – ich zitiere – „die
Rahmenbedingungen für Betriebsübernahmen durch
Belegschaften“ verbessern wollen. Es bleibt im Dun-
keln, wie das geschehen soll, wahrscheinlich nicht durch
feindliche Übernahme. Vielleicht können Sie im weite-
ren Verfahren auch dazu etwas sagen. Das wäre revoluti-
onär, Herr Kollege. Leider bleibt völlig offen, wer das
machen soll. Sollen das die Tarifparteien vereinbaren,
deren Gestaltungsfreiheit Sie bei jeder sich bietenden
Gelegenheit stärker einschränken wollen? Soll es der
Gesetzgeber tun?
Ich kann Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, nicht ersparen, auf viele Widersprüch-
lichkeiten Ihres Antrages zu verweisen. Sie fordern, dass
der Staat in einer sozialen Marktwirtschaft nur die wirk-
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Ja, das ist unbestritten. Aber hier geht es um die Konti-
uität der Vorschläge der Union. – Herr Uldall hat da-
als gesagt: Wir wollen durch die Streichung der Ver-
ögensbeteiligung erreichen, dass wir 2 Milliarden DM
ehr für die Finanzierung der Steuervereinfachung zur
erfügung stellen können. In Ihren Petersberger Be-
chlüssen war vorgesehen, § 19 a Einkommensteuerge-
etz zu streichen.
ollen Sie diese Regelung nun ausweiten, um sie bei
ächster Gelegenheit wieder streichen zu können? Ich
ehe in der Politik der Union zur Vermögensbildung der
rbeitnehmer keine Kontinuität.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zum Thema
ltersvorsorge sagen – auch hier haben Sie nichts dazu-
elernt –:
n Ihrem Antrag fordern Sie, Mitarbeiterbeteiligung und
ltersvorsorge gleichzusetzen und beides in gleichem
mfang zu fördern. Das ist unverantwortbar. Schauen
ie sich einmal an, was Wissenschaftler dazu sagen und
as selbst der Bundesverband der Arbeitgeberverbände
azu sagt. Sie weisen immer wieder darauf hin, dass die
irekte Beteiligung an einem Unternehmen nicht zum
wecke der Altersvorsorge geeignet ist. Wenn es um
ltersvorsorge geht, braucht man Risikostreuung.
16148 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Horst Schild
Andernfalls – das haben wir aufgrund diverser Beispiele
aus dem angelsächsischen Raum zur Kenntnis nehmen
müssen – kann es dazu kommen, dass Pensionäre, wenn
das Unternehmen, in dem sie gearbeitet haben, Pleite ge-
gangen ist, keinerlei Ansprüche mehr haben.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu unserem
Altersvermögensgesetz machen; denn es ist erneut be-
stritten worden, dass es greift. Ich sage Ihnen voraus:
Die so genannte Riester-Rente wird ein Erfolg werden.
– Sie können sich gerne zu Wort melden, Kollege
Seiffert. – Lassen Sie mich aus der „Süddeutschen Zei-
tung“ vom 15. April dieses Jahres zitieren:
Die lange Zeit geschmähte Riester-Rente entwi-
ckelt sich allmählich zu einem Erfolgsprodukt.
Der Frankfurter Finanzvertrieb Deutsche Vermö-
gensberatung ... hat allein im ersten Quartal dieses
Jahres fast drei Mal so viele Riester-Policen ... ver-
mittelt wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
– Also, bitte. Ich lese nur vor, was uns der Gesamtver-
band der Versicherungswirtschaft mitgeteilt hat.
– Das sind abgeschlossene Verträge, nicht irgendwelche
Optionen.
Lassen Sie mich nun zu Ende ausführen: Herr Pohl
hat gesagt, er gehe davon aus, dass das Jahr 2005 ein
Riester-Jahr wird.
In Ihrem Antrag fordern Sie die steuerliche Entlas-
tung von Arbeitnehmern. Meine sehr verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen, ist Ihnen völlig entgangen, dass
wir mit unserer Steuerreform 2005 in fünf Stufen den
Eingangssteuersatz auf 15 Prozent und den Höchststeu-
ersatz auf 42 Prozent gesenkt haben und dass wir durch
unsere Steuersenkungen insbesondere Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer sowie ihre Familien, aber auch
mittelständische Unternehmen entlasten? Alle Steuer-
zahler werden durch die seit dem Regierungswechsel in
Kraft gesetzten steuerlichen Maßnahmen bis zum Jahr
2009 jährlich in einem Volumen von über 59 Milliarden
Euro entlastet. Wollen Sie noch mehr? Dann müssen Sie
aber auch erklären, wie Sie das finanzieren wollen. Sie
sagen zwar immer, die Steuersätze müssten noch weiter
gesenkt werden, aber dann, wenn ein konkreter Vor-
schlag gemacht wird, haben Sie nichts in der Hand, ge-
ben nur fromme Sprüche von sich und fordern, dass
Steuersenkungen 100-prozentig kompensiert werden
müssen.
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Ja, das wissen sie auch. – Dadurch, dass allein die Ar-
eitnehmer in einer Größenordnung von 47 Milliarden
uro entlastet werden, ergeben sich für sie größere
pielräume zur Vermögensbildung. Das ist unser Beitrag
ur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.
ach unserer Einschätzung geht Ihr Antrag weitgehend
n der Realität vorbei.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Die Ausführungen des Kollegen Schild zeigen,
ass die Federführung bei diesem Antrag eigentlich
alsch gewählt ist; herausgekommen ist eine technokrati-
che Beurteilung von echten Chancen. Eigentlich müsste
ie Federführung hierfür beim Wirtschaftsausschuss lie-
en; denn Investivlöhne – die Möglichkeit von Mitarbei-
erbeteiligungen, die Möglichkeit von Vermögensbil-
ung im eigenen Betrieb – sind durchaus auch
irtschaftspolitisch zu betrachten. Dies hat nicht nur
ine kleinkrämerisch-finanzpolitische Dimension.
ch glaube sogar, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund,
er einen massiven Mitgliederschwund zu beklagen hat,
enn er die Möglichkeiten erkennen würde, die sich in
ieser Diskussion zeigen, die wir heute führen, eventuell
och Zukunftschancen in Deutschland hätte.
Ich glaube, dass wir, wenn wir die Menschen in den
etrieben mit Investivlöhnen ausstatten, mehrere posi-
ive Effekte bewirken können. Zum Ersten gibt es die
öglichkeit, Gehaltsgewinne für die Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer zu realisieren, nicht als Barzahlung
uf das Gehaltskonto, sondern als Beteiligung am eige-
en Unternehmen.
Zum Zweiten wird dadurch den Betrieben die Chance
röffnet, gerade in schwierigen Situationen – 40 000 In-
olvenzen im letzten Jahr –
ie Liquidität des Betriebes zu erhalten und damit die
ahrscheinlichkeit, weiter am Markt existieren zu kön-
en, zu erhöhen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16149
)
)
Dirk Niebel
Zum Dritten wird eine weit größere Identifikation der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit dem Betrieb
ermöglicht;
denn wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Miteigentümer des Unternehmens, in dem sie arbeiten,
sind, werden sie die wirtschaftlichen Rahmenbedingun-
gen – die Notwendigkeiten ihres Unternehmens, wirt-
schaftlich zu handeln – ganz anders bewerten,
als wenn sie „schlichte Gehaltsempfänger“ bleiben.
Es geht darum, ein Volk von Eigentümern zu entwi-
ckeln – nicht Volkseigentum im Sinne der ehemaligen
DDR; ich bitte, mich bloß nicht misszuverstehen –, mit
möglichst viel Eigentum an Produktivität, an Produk-
tionsstätten, an Betrieben, an Dienstleistungsunterneh-
men, ein Volk von Eigentümern, deren ureigenes Inte-
resse es ist, erfolgreich zu sein, weil der eigene
Arbeitsplatz daran hängt. Hier wäre es möglich, ein bes-
seres Verständnis zwischen Betriebsleitung und Unter-
nehmen, zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern und Betriebsrat auf der einen Seite und
Eigentümern – meinetwegen auch Managern – auf der
anderen Seite zu erreichen. Ich glaube, dass manch eine
Diskussion, die in Deutschland durchaus nicht zu Un-
recht geführt wird – über prosperierende Unternehmen
und die Art und Weise, wie das Erwirtschaftete verant-
wortungsvoll eingesetzt wird –, anders verliefe, wenn
wir diese Chancen nutzen würden.
Geben Sie sich deswegen einen Ruck und schaffen Sie
die Rahmenbedingungen dafür. Die Ausgestaltung
sollte den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben.
Aber Rot und Grün müssen endlich die Rahmenbedin-
gungen dafür gewährleisten,
dass es sich lohnt, Investivlöhne zu zahlen und Mitarbei-
terbeteiligung zu erleichtern.
Ich sage Ihnen: Die hier vorgeschlagene Form ist die
zukunftsfähige Form von Mitbestimmung; denn so kön-
nen Miteigentümer in ihren Betrieben mitbestimmen und
sind nicht auf Gewerkschaftsvertreter angewiesen.
Vielen Dank.
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enn Sie fordern in Ihrem Antrag nun selbst die Integra-
on von Mitarbeiterbeteiligungen.
Ich halte grundsätzlich eine weitere Öffnung der pri-
aten, geförderten Altersvorsorge für neue Anlagefor-
en für richtig.
er Bürger und die Bürgerin sollen möglichst große
ahlfreiheit haben, mit welchen Produkten sie vorsor-
en. Es ist kein Geheimnis, dass wir Grünen mit durch-
esetzt haben, dass mit den geförderten Altersvorsorge-
rodukten auch der Bau eines Eigenheims
wischenfinanziert werden kann.
In Deutschland ist die betriebliche Mitarbeiterbe-
eiligung nicht weit verbreitet; das ist richtig
nd das wird auch vom Institut für Arbeitsmarkt- und
erufsforschung so gesehen. Es schreibt: Von den rund
Millionen Firmen beteiligen nur 8,7 Prozent ihre Mit-
rbeiter am Gewinn und nur 2,5 Prozent am Kapital.
ehr Mitarbeiterbeteiligung bedeutet für die Arbeitneh-
er und Arbeitnehmerinnen letztendlich mehr Mitbe-
timmung und mehr Teilhabe. Herr Niebel, Sie haben
echt: Auch für die Unternehmen bedeutet das neue Ei-
enkapitalquellen.
s hat selbstverständlich auch eine wirtschaftspolitische
imension. Gerade vor dem Hintergrund von Basel II
issen wir, dass die Eigenkapitalausstattung stark an Be-
eutung gewinnt und dass Mitarbeiterbeteiligungen auch
ie Bonität der Unternehmen verbessern können.
as alles ist richtig.
16150 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
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Christine Scheel
Das sind positive Überlegungen. Aus diesem Grund
werden wir sehr ernsthaft weiter mit Ihnen über diesen
Vorschlag diskutieren.
Es gibt aber auch sehr viele offene Fragen, die noch be-
antwortet werden müssen.
Wichtig ist, dass Mitarbeiterbeteiligungen eine not-
wendige Sicherheit bieten, die für eine Altersvorsorge
angemessen ist. Sie müssen außerdem so flexibel und
transparent sein, wie es der Verbraucherschutz für einen
20 bis 30 Jahre laufenden Vertrag erfordert.
Im Rahmen der Debatte über die Riester-Rente haben
wir uns schon des Öfteren über die Frage der Mitarbei-
terbeteiligung unterhalten.
Wir haben das damals nicht in die Riester-Förderung
aufgenommen, weil uns das aufgrund der fehlenden Ri-
sikostreuung und des fehlenden Verbraucherschutzes
zum damaligen Zeitpunkt als nicht sehr geeignet für die
Altersvorsorge erschien.
Wir wollten nicht, dass der Arbeitsplatz und die Alters-
vorsorge der Arbeitnehmer vom Erfolg nur eines Unter-
nehmens abhängen. Das war der ursächliche Grund,
weshalb wir diese Überlegung damals nicht integriert
haben.
In der heutigen Situation wird mehr Flexibilität auf
dem Arbeitsmarkt gefordert. Die Mitnahme der priva-
ten Altersvorsorge muss dabei natürlich gewährleistet
sein. Ich glaube, es ist unbestritten, dass wir uns darin ei-
nig sind. Deswegen müssen wir an diesem Punkt genau
überlegen, ob das Problem der Mitnahme durch eine ver-
nünftige Gesetzgebung überhaupt gelöst werden kann.
Sie machen es sich relativ leicht; denn Sie sagen: Na ja,
macht doch die Rahmenbedingungen, die Tarifparteien
werden das dann irgendwie lösen.
Wenn es Probleme gibt – wir kennen diese Probleme;
denn wir haben uns schon sehr intensiv damit auseinan-
der gesetzt –, dann müssen wir gemeinsam dafür sorgen,
Sie haben den Antrag ja eingebracht, dass es Antworten
darauf gibt.
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Ich vermisse auch Vorschläge, wie eine bessere steu-
rliche Förderung finanziert werden kann. Auf der einen
eite stellen Sie immer wieder Forderungen auf und
ringen Anträge ein, die Geld kosten, ohne zu sagen, wie
ir das gegenfinanzieren können, auf der anderen Seite
erfen Sie Rot-Grün vor, wir bekämen den Haushalt
icht in den Griff.
n der Sache können wir miteinander diskutieren; wir
ind hier sehr aufgeschlossen. Ich bitte Sie aber, die
aushaltslage von Bund und Ländern zu berücksichti-
en. Ich erwarte daher von der Union ernsthafte Vor-
chläge dafür, wie wir das finanzieren können.
Danke schön.
Jetzt hat der Abgeordnete Stefan Müller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen!
rau Scheel, ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihre kon-
truktive Rede. Das Problem ist nur: Sie reden hier im-
er anders, als Sie dann tatsächlich abstimmen.
eswegen sind wir sehr gespannt, wie konstruktiv die
usschussberatungen, die wir noch durchführen werden,
atsächlich sein werden.
Gut, wir werden sehen, wie Sie sich verhalten werden.
Um etwas Konstruktives zu sagen: Die Förderung der
ermögensbildung – so habe ich auch den Kollegen
child verstanden – liegt im Interesse aller politisch Ver-
ntwortlichen. Das gilt nicht erst seit dieser Legislatur-
eriode, sondern schon sehr viel länger. Ich glaube, es
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16151
)
)
Stefan Müller
herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass dies auch
zukünftig das Anliegen aller Fraktionen sein wird.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben sich eine
Reihe von Wegen und Möglichkeiten entwickelt, wie
Arbeitnehmer Vermögen bilden können und wie wie-
derum der Staat diese Vermögensbildung unterstützen
kann. Ich nenne das Vermögensbildungsgesetz, mit dem
vermögenswirksame Leistungen durch die Arbeitneh-
mersparzulage gefördert werden, das Wohnungsbau-Prä-
miengesetz – Sie wollten es zwar zwischenzeitlich ab-
schaffen, gleichwohl existiert es noch und dient
natürlich auch ein Stück weit der Vermögensbildung –,
die Riester-Rente und auch die so genannte Rürup-
Rente.
Herr Schild, ich möchte doch etwas zur Riester-
Rente sagen. Ich weiß nicht, wie Sie auf die Zahl von
15 Millionen kommen. Ich habe große Zweifel, dass es
sich um 15 Millionen Verträge zur Riester-Rente han-
delt.
Ich glaube vielmehr, dass es sich dabei um Kapitalle-
bensversicherungen handelt, die in diesem Zusammen-
hang abgeschlossen worden sind. Aber ich will diese
Zahl nicht infrage stellen. Im Übrigen will ich auch nicht
infrage stellen, dass die Grundidee der Riester-Rente
richtig ist. Ganz im Gegenteil: Ich sage ganz klar, dass
die Riester-Rente ein vernünftiges Instrument ist, um die
private Altersvorsorge zu fördern; das ist keine Frage.
Was wir auch im Zusammenhang mit dem Altersein-
künftegesetz kritisiert haben, war, dass die Riester-Rente
nach wie vor – daran ist auch durch das Alterseinkünfte-
gesetz nicht sehr viel geändert worden – in ihrer Durch-
führung viel zu bürokratisch ist.
Genau das ist der Grund, warum die Riester-Rente nicht
wirklich in Anspruch genommen wird und nicht die Zahl
von Verträgen abgeschlossen worden sind, die seinerzeit
angekündigt worden sind.
Es geht vielmehr um die Frage, inwieweit alle bisheri-
gen Anstrengungen ausreichen, um den Veränderungen
in der Wirtschafts- und Arbeitswelt auch in Zukunft zu
genügen. Diese Frage müssen wir uns stellen, wenn wir
ein Konzept für die Zukunft erarbeiten wollen. Wir müs-
sen doch einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir in den
nächsten Jahren sowohl in der Wirtschaft als auch im
Arbeitsleben vor drei wesentlichen Herausforderungen
stehen werden: erstens dem wachsenden globalen Wett-
bewerb mit all seinen Chancen und Risiken – wir können
das kritisieren, aber wir werden das nicht ändern
können –, zweitens dem Wandel zur wissensbasierten
Gesellschaft und drittens dem demographischen Wandel
in der Gesellschaft mit all seinen Auswirkungen auf die
sozialen Sicherungssysteme. Der letzte Punkt scheint
mir wirklich entscheidend zu sein, weil die Notwendig-
keit, private Vorsorge zu treffen, eher zu- als abnehmen
wird.
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ir müssen eben ein bisschen mehr machen als das, was
ir in der Vergangenheit gemacht haben. Genau darum
eht es uns.
Ein gutes und wirkungsvolles Instrument kann in die-
em Zusammenhang die Mitarbeiterbeteiligung sein.
err Schild, zu diesem Thema haben Sie gar nichts ge-
agt. Dieser Punkt ist auch insofern von Interesse, als
ich Arbeitgeber, Gewerkschaften und auch die Politik
Frau Scheel, auch Sie haben es gerade angesprochen –
n der Vergangenheit immer wieder für eine stärkere Be-
eiligung der Beschäftigten am Unternehmenserfolg
tark gemacht haben. Wir müssen einfach zur Kenntnis
ehmen, dass diese Mitarbeiterbeteiligung noch immer
in Stiefkind ist, weil sie zu wenig in Anspruch genom-
en wird. Wir müssen uns überlegen, wie wir da zu an-
eren Ländern aufschließen können. In Frankreich ist
as Instrument der Mitarbeiterbeteiligung sehr viel stär-
er ausgeprägt.
Gut, das ist eine andere Tradition. Aber das hindert uns
icht daran, darüber nachzudenken, was wir in unserem
and für die Mitarbeiterbeteiligung tun können.
Ich stelle fest, dass wir bei der Mitarbeiterbeteiligung
och sehr viel Nachholbedarf haben und dass sie in
eutschland ein wenig genutzter Weg ist. Sie ist es auch
eswegen, Frau Scheel, weil die Durchführungswege,
ie heute schon existieren, einfach zu bürokratisch sind.
uch darüber können und müssen wir sicherlich reden.
Es ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitge-
er durchaus von großem Interesse, eine innovative
inkommenspolitik zu machen. Für den Arbeitgeber
esteht der Vorteil darin, dass er seine Eigenkapitalbasis
erbessern kann, dass er qualifizierte Mitarbeiter gewin-
en und die Mitarbeiter an seinen Betrieb binden kann.
s gibt Studien, die belegen, dass die Produktivität in
en Unternehmen größer ist, in denen es Mitarbeiterbe-
eiligungsprogramme gibt. Das wird niemand bestreiten
ollen.
Die Vorteile für die Arbeitnehmer liegen gleicherma-
en auf der Hand: die Erschließung von zusätzlichen
inkommensquellen, die Erhöhung der Arbeitszufrie-
enheit, der Arbeitsplatzsicherheit und nicht zuletzt
das ist für mich das Entscheidende – bessere Chancen
ür den Aufbau der privaten Altersvorsorge.
16152 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Stefan Müller
Deshalb müssen wir darüber diskutieren, wie wir die
Mitarbeiterbeteiligung stärker in die Altersvorsorge inte-
grieren können. Dass das nicht einfach ist, wissen wir,
aber das hindert uns nicht daran, darüber noch einmal zu
diskutieren. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir
alle bestehenden Förderungsinstrumente sinnvoll mitei-
nander verzahnen können, also wie wir die Förderung
der Vermögensbildung noch mehr in die private Alters-
vorsorge integrieren können.
Wir freuen uns auf einen konstruktiven Dialog zu die-
sem bedeutsamen Thema. Es bleibt festzustellen, dass
die Beteiligung von möglichst vielen Menschen an Ei-
gentum mehr Verantwortung und mehr Erfolg bringt und
letztendlich eines der besten Mittel ist, die Vorteile unse-
rer Gesellschaftsordnung auch in Zukunft noch zu erhal-
ten.
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/5104 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Johannes Pflug, Detlef Dzembritzki, Monika
Heubaum, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Marianne Tritz, Volker Beck , wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN
Für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in
Kambodscha
– Drucksache 15/5256 –
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Dr. Werner Hoyer, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Demokratie in Kambodscha wiederher-
stellen
– Drucksache 15/5071 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. – Widerspruch gibt es
nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Johannes Pflug.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am 3. Februar dieses Jahres hob die National-
versammlung Kambodschas, also das kambodschani-
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Jedoch muss vorher klar sein, wie dieses Tribunal be-
setzt wird,
welche Kompetenzen es hat, welche Qualifikation die
Richter haben, dass sie weisungsunabhängig sind und
welche Konsequenzen ihre Urteile haben werden. Prinz
Sirivudh hat mir gegenüber in diesem Gespräch eben-
falls zu erkennen gegeben, dass er sich auch für die Frei-
lassung Cheam Channys einsetzen wolle, ähnlich wie
dies bereits Exkönig Sihanouk getan habe.
Viertens. Es ist zu beachten, dass Deutschland seit
1992 mit der erstmaligen Auslandsbeteiligung von deut-
schen Soldaten an einem UNO-Peacekeeping-Einsatz
und der Bestimmung Kambodschas zum Schwerpunkt-
land für die Entwicklungshilfe dort natürlich in beson-
derem Maße engagiert ist.
Fünftens darf man nicht übersehen, dass trotz wirt-
schaftlicher Erfolge Kambodschas seit 1997 und ver-
stärkt seit der Regierungsneubildung im Juli letzten Jah-
res im Rahmen einer Koalition der CPP, des
Ministerpräsidenten Hun Sen und der dem Königshaus
nahe stehenden FUNCINPEC die Regierung Hun Sen
zunehmend autoritärer und undemokratischer agiert und
versucht, die Opposition zu behindern und teilweise
mundtot zu machen.
Sechstens bleibt festzustellen, dass Indochina eine
wichtige, stabilisierende Rolle in Südostasien spielt und
spielen muss, insbesondere vor dem Hintergrund gefähr-
licher Entwicklungen in Nepal, Bangladesch und Burma.
In den beiden letzten Jahren gibt es auch in Thailand zu-
nehmend autoritäre Formen. Aus Bangladesch gibt es
mehr und mehr Berichte, dass dort terroristische Grup-
pen um al-Qaida tätig sind, und Kambodscha wird zu-
nehmend als Rückzugsraum solcher Gruppierungen ge-
nannt. Gerade das Klima der Rechtsfreiheit bis
Rechtlosigkeit und die extreme Korruption in Kambod-
scha begünstigen solche terroristischen Gruppen und
die immer stärkere Bandenkriminalität insbesondere im
Bereich des Menschenhandels und der Sexsklaverei.
Am 17. April gedachten buddhistische Mönche und
Mitglieder der Sam-Rainsy-Party der ermordeten Opfer
auf den Killing Fields.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und
Herren, dies alles sollte uns genügend Anlass sein, uns
über diese Plenardebatte hinaus mit Kambodscha und
Südostasien zu beschäftigen. Die Tatsache, dass wir
heute im Deutschen Bundestag um 18 Uhr über dieses
Thema debattieren und nicht um 23 Uhr, ist vielleicht
ein positives Signal an die Fachpolitiker. Die Tatsache,
dass zwei gleich lautende Anträge vorliegen, wirft natür-
lich die Frage auf, wo eigentlich die essenziellen Unter-
schiede liegen. Ich sehe diese nicht. Aber Parlamentaris-
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Prima, die SPD signalisiert Zustimmung, die Grünen
owieso. Also sind wir uns insofern schon einig.
Die Anträge beschreiben den Tatbestand sehr sachge-
echt. Der Antrag der Koalition greift das Problem des
ribunals zur Aufarbeitung der Pol-Pot-Verbrechen noch
inmal auf; auch das halte ich für in Ordnung. Dass wir
ls Union hier heute keinen eigenen Antrag eingebracht
aben, liegt schlicht und ergreifend daran, dass wir ge-
enwärtig einen Menschenrechtsantrag für den gesamten
SEAN-Raum vorbereiten, den wir voraussichtlich im
ai im Plenum einbringen wollen.
Ich glaube, man sollte zuerst noch einmal feststellen
vielleicht sind wir sogar in der Lage, liebe Kolleginnen
nd Kollegen, das durch einen besonderen Beschluss
um Ausdruck zu bringen –, dass es für ein frei gewähl-
es, demokratisches Parlament wie den Bundestag völlig
nakzeptabel ist, wenn in anderen Ländern Parlamenta-
ier wider Gesetz und Recht inhaftiert und verfolgt wer-
en.
uch wenn man weiß, dass die Wahlen, die in Kambod-
cha stattgefunden haben, nicht den höchsten Maßstäben
iner freien und demokratischen Wahl entsprochen ha-
en, so verdienen die Parlamentarier – wenn es sie denn
chon gibt und wenn es denn schon Regierung und Op-
osition gibt – unsere Sympathie und unsere Unterstüt-
ung.
Es wurde schon zu Recht darauf hingewiesen, dass
er Vizepremierminister von Kambodscha letzte Woche
16154 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Klaus-Jürgen Hedrich
in Berlin war. Die ASEAN-Parlamentariergruppe, der
vorzustehen ich das Vergnügen habe, hat sich mit ihm
unterhalten. In diesem Zusammenhang hat übrigens ge-
rade die Aufarbeitung der Pol-Pot-Problematik eine
Rolle gespielt. Wenn wir uns jetzt die Debatte, die vor
zwei Stunden gelaufen ist, nämlich die zum Genozid ge-
gen die Armenier, ins Gedächtnis rufen, so werden wir
erkennen, dass auch dies mit Sicherheit eine Frage ist,
bei der wir den Kambodschanern keine großen Lehren
erteilen, ihnen aber sagen wollen: Liebe Freunde in die-
sem südostasiatischen Land, ihr werdet nicht zur Ruhe
kommen, wenn ihr euch nicht der eigenen Vergangenheit
stellt, insbesondere dann nicht, wenn ihr nicht bereit
seid, diejenigen, die hauptverantwortlich an dem Geno-
zid an der eigenen Bevölkerung beteiligt waren, heute
aber zum Teil noch frei im Lande herumlaufen, zur Re-
chenschaft zu ziehen.
Wir haben, glaube ich, auch deshalb eine besondere
Verantwortung, weil die internationale Gemeinschaft
von Anfang an den Befriedungsprozess in Kambodscha
mit verfolgt hat. Übrigens sei an dieser Stelle – auch das
ist ja in den Anträgen aufgeführt – daran erinnert, dass
der erste größere internationale Friedenseinsatz der Bun-
deswehr in Kambodscha stattgefunden hat. Auch das
macht unsere besondere Verantwortung, aber auch un-
sere besondere Neigung zu diesem Land und zu seinen
Menschen erkennbar.
Im Rückblick sollten wir uns aber noch einmal ins
Gedächtnis rufen, dass wir in unserer Politik – auch in
Bezug auf Kambodscha – nicht immer konsistent und
nicht immer glaubwürdig waren. Das gilt übrigens für
mehrere Bundesregierungen unterschiedlicher parteipo-
litischer Führung. Wir haben nämlich jahrelang das Pol-
Pot-Regime in der Vertretung Kambodschas bei den Ver-
einten Nationen anerkannt, obwohl es bereits im Busch
saß und obwohl wir wussten, dass dieses Regime für den
Genozid verantwortlich war. Ich habe aus meiner Auf-
fassung nie einen Hehl gemacht und will sie auch an die-
ser Stelle wiederholen: Natürlich kann man sich – ich
will keine anderen Diskussionen aufwerfen – immer da-
rüber unterhalten, dass die Invasion der Vietnamesen
im Jahre 1978, die den Terror und den unmittelbaren
Völkermord in Kambodscha beendet hat, nicht unbe-
dingt durch internationale Beschlüsse der Vereinten Na-
tionen gedeckt war. Aber ich mache keinen Hehl aus
meiner Meinung, dass dieser Einsatz der Vietnamesen
wahrscheinlich Millionen, zumindest aber Hunderttau-
senden von Menschen das Leben gerettet hat.
Das sollte man an dieser Stelle erwähnen, auch wenn
man keine Sympathien für das kommunistische Regime
in Hanoi hegt. Zur historischen Wahrheit gehört auch,
dass 1978 der Vietnamkrieg erst drei Jahre beendet war
und es deshalb schwer ist, diesen Vorgang im Jahre 2005
korrekt zu bewerten.
Wir sollten diesen Vorgang aber zum Anlass nehmen,
in Zukunft bei anderen sich abzeichnenden oder schon
stattfindenden Verbrechen rechtzeitig zu intervenieren.
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Ich möchte mich sowohl bei den Kolleginnen und
ollegen der FDP wie auch bei den Kolleginnen und
ollegen der Koalition für die beiden Anträge bedanken.
amit wird deutlich, dass sich das deutsche Parlament
icht einfach zurücklehnt, wenn irgendwo in der Ferne
ie Völker aufeinander einschlagen. Wir wissen durch-
us, dass wahrscheinlich – ich werde jetzt einmal pathe-
isch – für die Menschheit die Zeiten, in denen man sich
elassen zurücklehnen konnte, wenn Verbrechen began-
en wurden, ein für allemal vorbei sind.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege
oppelin das Wort.
Frau Präsidentin! Ich möchte nach diesem Redebei-
rag sagen, dass ich die große Übereinstimmung in die-
er Frage, die zwischen allen Fraktionen besteht, be-
rüße. Ich selber bin seit längerer Zeit in Kambodscha
ehr engagiert.
Was mir bei beiden Anträgen zu kurz kommt – das
age ich ganz offen, auch wenn ich beiden Anträgen zu-
timmen werde –, ist, dass wir die Notwendigkeit, un-
ere politischen Stiftungen, die in Kambodscha arbei-
en, mehr zu unterstützen, nicht deutlich machen. Sie
aben einfach zu wenig Geld, um dort die Demokratie-
ewegung zu unterstützen.
ein Wunsch an alle Fraktionen ist es, dass wir uns da-
um bemühen.
Ein anderer Punkt ist – diesen haben wir schon im
aushaltsausschuss angesprochen; ich will dies aber mit
lick auf die Rede des Kollegen Hedrich, von dem ich
eiß, dass er mich darin unterstützen wird, noch einmal
agen –, dass die Asiatische Entwicklungsbank Geld in
rheblichem Umfang aus Deutschland bekommt. 50 Pro-
ent des Etats von Kambodscha stammen von der Asiati-
chen Entwicklungsbank. Deshalb sollten wir uns als
eutsche viel stärker darum bemühen, dass, wenn dieses
and schon von uns Geld bekommt, die Demokratie dort
ine stärkere Stellung hat. Es kann nicht sein, dass die
inzige Oppositionspartei, die Sam-Rainsy-Partei, so
tark unterdrückt wird, wie es zurzeit der Fall ist. Das
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16155
)
)
Jürgen Koppelin
sage ich auch mit Blick auf Sam Rainsy, mit dem ich seit
zwölf Jahren eng befreundet bin.
Vielen Dank. Diese Kurzintervention erfordert keine
unmittelbare Antwort, weil sie sich auf die Debatte ins-
gesamt bezieht.
Dann hat jetzt die Abgeordnete Marianne Tritz das
Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Starke Reden und große Übereinstimmung: Das ist sehr
zu begrüßen und macht uns sehr froh. Ich möchte in An-
betracht der Armeniendebatte, die wir vor einigen Stun-
den geführt haben, kurz erläutern, was damals in Kam-
bodscha passiert ist. Ich sehe viele junge Menschen auf
der Zuschauertribüne, die diesen Konflikt, den man im-
mer in Erinnerung haben muss, wahrscheinlich nicht
kennen.
Als Pol Pots Steinzeitkommunisten vor circa 30 Jah-
ren die Macht in Kambodscha übernahmen, errichteten
sie eine Schreckensherrschaft. In knapp vier Jahren vie-
len ihnen circa 2 Millionen Menschen zum Opfer. Das
entspricht jedem vierten Bürger.
Noch am Tag der Machtübernahme hatten die Roten
Khmer mit der Umsetzung ihrer menschenverachtenden
Ideologie begonnen. Die Menschen der Hauptstadt
Phnom Penh wurden vertrieben. Die gesamte Stadtbe-
völkerung wurde zur Landarbeit gezwungen. Die Men-
schen wurden ermordet, gefoltert, arbeiteten sich zu
Tode oder verhungerten auf den Killing Fields. Ärzte
und Krankenhäuser zur Behandlung von Kranken gab es
nicht mehr. Die Schulen wurden geschlossen, Bücher
verbrannt, Geld und Handel abgeschafft, die Religions-
ausübung verboten. Wer schreiben konnte oder nur eine
Brille trug, wurde hingerichtet.
Der Albtraum fand erst sein Ende, als die kommunis-
tischen Vietnamesen in Kambodscha einmarschierten
und das Regime der Roten Khmer beendeten. Aber der
Bürgerkrieg der unterschiedlichen Parteien wie der
Roten Khmer, der Royalisten und der bürgerlichen
Gruppen gegen die vietnamesischen Besatzer dauerte
noch lange an. Erst in den späten 90er-Jahren und mit-
hilfe der internationalen Gemeinschaft – der deutsche
Beitrag wurde erwähnt – kam Kambodscha langsam zur
Ruhe.
Kambodscha ist ein Land, in dem die Geschichte der
Roten Khmer zu den traurigsten Kapiteln des 20. Jahr-
hunderts gehört. Phnom Penh ist eine Stadt mit ausra-
diertem Gedächtnis. Kambodscha fehlt ein großer Teil
seiner Geschichte. Dieser Teil der Geschichte, der bis in
die heutige Gegenwart hineinreicht, hat noch immer
Auswirkungen auf die politische Entwicklung im Land.
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Lieber Kollege Hedrich, ich kann mir leider an dieser
Stelle die Bemerkung nicht verkneifen, dass es zwar sehr
schön ist, wenn die CDU/CSU nun beiden Anträgen zu-
stimmt, ich es aber noch viel schöner gefunden hätte,
wenn sich die CDU/CSU der überfraktionellen Initiative
angeschlossen hätte und wir jetzt einen gemeinsamen
Antrag zu dem Thema auf den Weg bringen könnten.
Ich glaube, das hätte noch etwas mehr Eindruck ge-
macht. Ich sage das gerade vor dem Hintergrund der Ar-
meniendebatte. Wir haben hier viele Redner mit einer
Menge Pathos gehört, gerade auch den außenpolitischen
Sprecher der Unionsfraktion; da ging es in bewegenden
Worten um Wichtiges. Ich frage mich: Warum sind wir
dann nicht in der Lage, in solch einer vergleichsweise
einfachen Frage, in der wir uns wirklich einig sind, einen
gemeinsamen Antrag auf den Weg zu bringen, sondern
verfallen in parteipolitischen Hickhack? Das finde ich
schade und enttäuschend.
Ich freue mich, dass die Unionsfraktion den Anträgen
zustimmt. Ich hätte mir aber gewünscht, dass es eine ge-
meinsame Initiative gibt; denn es ist wichtig, dass wir
uns für unsere Kollegen, die Parlamentarier, einsetzen.
Wir reden viel über Entwicklungszusammenarbeit und
über Außenpolitik. Es kommt aber oft zu kurz, dass wir
uns für Kollegen einsetzen, dass wir uns für die Durch-
setzung von Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit ein-
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer
ppelmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
rotz der kritischen Töne des letzten Redners, die ich
erstehen kann, habe ich den Eindruck, dass die Debatte,
n der ich als Letzter rede, inhaltlich – zumindest auf
ambodscha bezogen – nicht von Differenzen geprägt
ewesen ist. Darum – da reizt es mich, an das anzu-
chließen, was Sie gesagt haben – würde ich gerne ein
isschen mehr über uns reden.
Auch ich stelle wie alle anderen fest, dass die beiden
nträge, die wir heute beraten, große Ähnlichkeiten auf-
eisen. Lassen Sie mich darum kurz ausführen, wie es
us meiner Kenntnis zu diesen fast gleich lautenden An-
rägen gekommen ist.
Ursprünglich wurde im Auswärtigen Ausschuss auf
orschlag der FDP ein gemeinsamer Antrag aller Frak-
ionen vorgesehen und beraten. Den Außenpolitikern
einer Fraktion war die Thematik des Antrages aber
etztlich zu speziell, sodass mit unserer weiteren Unter-
tützung nicht mehr zu rechnen war. Die SPD und Bünd-
is 90/Die Grünen zogen es daraufhin vor, einen eigenen
ntrag einzubringen, der allerdings, wie wir feststellen
önnen, zum Teil wortwörtlich den FDP-Antrag über-
immt.
Inhaltlich kann und werde ich – wie offensichtlich er-
reulicherweise alle anderen auch – beiden Anträgen zu-
timmen. Eben tauchte hier noch die Frage auf, ob das
remiere ist. Das müsste man vielleicht einmal feststel-
en; aber auch wenn es denn so wäre, wäre es gut. Da-
um bin ich gespannt, ob wir alle diesen beiden Anträgen
olgen werden.
In beiden Anträgen vermisse ich aber drei wichtige
spekte, die meines Erachtens unbedingt hineingehören.
rstens wird die kambodschanische Regierung nicht auf-
efordert, gegen die allgegenwärtige Korruption im
ande – speziell in der Justiz – vorzugehen und schlüs-
ige Konzepte zu ihrer Bekämpfung vorzulegen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16157
)
)
Rainer Eppelmann
Zweitens findet der problematische Umgang der kam-
bodschanischen Regierung mit Flüchtlingen keine ange-
messene Berücksichtigung. Menschen vietnamesischer
Abstammung sind in Kambodscha weiterhin gefährdet
und vietnamesische Flüchtlinge sind von Verhaftung und
Abschiebung bedroht. Kambodschaner, die ihnen helfen
wollen, werden ebenfalls bedroht. Kambodscha hat zwar
die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ratifiziert,
verstößt aber seit Jahren gegen die daraus hervorgehen-
den Verpflichtungen.
Drittens vermisse ich die Erwähnung der sich aus
Art. 1 des Kooperationsabkommens der EU mit Kam-
bodscha ergebenden Verpflichtungen für die kambod-
schanische Regierung. Darin verpflichtet sich diese zur
Wahrung der Grundsätze der Demokratie und zur Ach-
tung der Menschenrechte. Man muss die kambodschani-
sche Regierung häufiger, intensiver und deutlicher auf-
fordern, ihren Verpflichtungen aus diesem Abkommen
nachzukommen, auch was die Rechte der Parlamentarier
– besonders der Opposition – im eigenen Land angeht.
Ich bin froh, dass wir in unserem Bemühen an dieser
Stelle versucht haben, auch im Hinblick auf Kambod-
scha ein Zeichen dafür zu setzen, dass sich Parlamenta-
rier der Bundesrepublik Deutschland für Parlamentarier
in anderen Ländern einsetzen, die – auch wegen ihres
Engagements – in ihren Menschenrechten beeinträchtigt
oder verfolgt werden.
Ich habe durch die Art und Weise, wie die beiden An-
träge entstanden sind und inhaltlich ausgestattet wurden,
den Eindruck gewonnen, dass die Achtung der Men-
schenrechte in Kambodscha nicht zu den Themen ge-
hört, die von uns als besonders dringend betrachtet wer-
den. Ich habe die Vermutung, dass wir zum Jahrestag des
Einmarschs der Roten Khmer in Phnom Penh, der sich
am 17. April zum 30. Mal jährte, das Gefühl hatten, et-
was tun zu müssen. Das Ergebnis dieser Überlegungen
– zwei unvollständige Anträge statt eines vollständigen
Antrags – stellt meines Erachtens keine besondere Leis-
tung des Deutschen Bundestages im Allgemeinen und
der deutschen Menschenrechtspolitik im Besonderen
dar.
Wir alle müssen uns fragen, ob es nicht besser wäre,
uns in Zukunft noch ernsthafter darum zu bemühen, zu-
mindest in Menschenrechtsfragen mit einer Stimme
zu sprechen. Es ist nicht überzeugend, sich aus den ge-
meinsamen Beratungen mit dem Argument zurückzuzie-
hen, die Einbringung eines Antrags zu einem einzigen
Land sei zu speziell.
– Ja, warum nicht? – Meine Hoffnung ist, dass es uns
von der Union rasch gelingt, den von Klaus-Jürgen
Hedrich bereits angedeuteten gemeinsamen Antrag für
den ganzen ASEAN-Raum gut und deutlich zu formulie-
ren.
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Das ist doch schön.
Müssen wir uns nicht fragen, ob dieses Verhalten des
arlaments eines Landes, das Ambitionen auf einen
tändigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat, angemessen
t? Zu einem allgemeinen schlüssigen deutschen Kon-
ept, sich für Demokratie und Menschenrechte aus-
ahmslos in der ganzen Welt stark zu machen, fehlt uns
och einiges an Glaubwürdigkeit und kraftvollem Han-
eln. Vielleicht bringen uns aber die heutige Debatte und
ie Zustimmung zu zwei von unterschiedlichen Parteien
ormulierten Anträgen einen guten Schritt voran.
Herzlichen Dank.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
er Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-
en auf Drucksache 15/5256 mit dem Titel „Für Demo-
ratie und Rechtsstaatlichkeit in Kambodscha“. Wer
timmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-
ungen? – Der Antrag ist damit einstimmig angenommen
orden.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP
uf Drucksache 15/5071 mit dem Titel „Die Demokratie
n Kambodscha wieder herstellen“. Wer stimmt für die-
en Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch
ieser Antrag ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Ernst Burgbacher, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund-
gesetzes zur Einführung eines Volks-
entscheids über eine europäische Verfassung
– Drucksache 15/2998 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 15/4796 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rüdiger Veit
16158 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Kristina Köhler
Josef Philip Winkler
Ernst Burgbacher
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Die Kollegin Petra Pau bittet, ihre Rede zu Protokoll
geben zu dürfen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann verfahren wir so.1)
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Abgeordneten Dr. Michael Bürsch das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Manchmal fragt man sich, warum die FDP be-
stimmte Anträge stellt und welche Ziele sie damit ver-
folgt. Wenn man sich mit dem vorliegenden FDP-Antrag
auf Einführung eines Volksentscheides über eine
europäische Verfassung beschäftigt, dann hat man den
Verdacht, dass das etwas mit dem Kalender zu tun hat.
Als der Deutsche Bundestag den vorliegenden Antrag
der FDP-Fraktion das erste Mal beraten hat, standen wir
kurz vor der Europawahl. Der Verdacht lag nahe – das
gilt nicht nur für meine Fraktion –, dass die FDP ein Re-
ferendum über die europäische Verfassung nur fordert,
um bei der Europawahl Punkte zu machen, und dass sie
insofern kein wirkliches Interesse an mehr direkter De-
mokratie hat.
Nun lag es nahe, den Lackmustest zu machen und zu
schauen, wie sich die FDP bei dem eigentlichen Thema
– mehr direkte Demokratie, Einführung von plebiszitä-
ren Elementen wie Volksinitiative, Volksbegehren und
Volksentscheid – im Deutschen Bundestag verhalten hat.
Dabei ist ein interessantes Ergebnis herausgekommen,
das vielleicht ein bisschen erhellen kann, wie die Ge-
müts- und Verfassungslage der FDP aussieht. Am 7. Juni
2002 ist die entsprechende Entscheidung gefallen. Es
gab 348 Jastimmen. Mit Nein haben 199 gestimmt. Da-
mals hat es zu einer Zweidrittelmehrheit nicht ganz ge-
reicht.
Ein Blick auf das Abstimmungsverhalten einzelner
Abgeordneter ist noch erhellender. 14 Abgeordnete der
FDP-Fraktion haben mit Ja gestimmt, darunter führende
FDP-Vertreter wie Ulrike Flach, Dr. Wolfgang Gerhardt,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann
Otto Solms und Dr. Guido Westerwelle. Schauen wir
einmal auf die Neinstimmen! Oha! Es kommen 18 Nein-
stimmen zusammen. Mit Nein haben zum Beispiel Herr
Ernst Burgbacher, Dirk Niebel und Hans-Joachim Otto
gestimmt. Diese Liste könnte ich fortsetzen.
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o1) Anlage 4
)
)
– Herzlichen Dank, Herr Kollege.
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Ich werte diese Aufmerksamkeit als Ermunterung fort-
ufahren.
Wir müssen diesen Antrag noch aus einem anderen
rund ablehnen.
err Burgbacher, es gibt auch eine Verantwortung für
eutschland und für diesen europäischen Prozess. Die-
en Prozess und diese Verantwortung nehmen wir ernst.
s ist nämlich auch ein Zeitplan vereinbart. Dieser Zeit-
lan sieht vor, dass darüber jetzt entschieden wird. Des-
alb halte ich es für richtig, dass wir im Mai bei der
ächsten Sitzung über die europäische Verfassung ent-
cheiden.
Wenn der FDP-Entwurf Gesetz werden sollte, wäre
icht abzusehen, wann ein solches Referendum über-
aupt durchgeführt werden könnte.
as können wir anderen Mitgliedstaaten nicht zumuten.
elbst wenn wir es ihnen zumuten sollten: Wir wollen
och in dem Punkt das Ansehen Deutschlands sicherlich
icht gefährden. Deswegen finde ich es gut, dass sich
undestag und Bundesrat im Mai mit der europäischen
erfassung abschließend beschäftigen werden.
Ich weise noch auf etwas hin, was der FDP peinlich
ein müsste, wenn es um Verfassungsänderungen geht.
ieser Entwurf, werte Kolleginnen und Kollegen von
er FDP, hat deutliche handwerkliche Fehler. Satz 1 der
on Ihnen vorgeschlagenen Fassung des neuen Abs. 1 a
es Art. 23 Grundgesetz lautet:
Die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland
zu einem Vertrag, mit dem eine europäische Verfas-
sung eingeführt wird, bedarf der Zustimmung durch
einen Volksentscheid.
edeutet das verfassungsrechtlich, dass die Politik das
olk so lange abstimmen lassen darf, bis die notwendige
ehrheit steht? Was passiert, wenn Bundestag und Bun-
esrat zustimmen, aber das Volk nicht? Wo sind die ver-
assungsrechtlichen Bestimmungen, die eine solche Kol-
sion regeln?
Auf ein weiteres juristisches Eigentor hat der Kollege
öttgen schon in der ersten Lesung hingewiesen: Das
emeinschaftliche Primärrecht stellt bereits die Ver-
assung Europas dar. Die europäischen Verträge besitzen
16160 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Michael Bürsch
Verfassungsqualität. Wenn Sie also in Ihrem Änderungs-
vorschlag von „einem Vertrag, mit dem eine europäische
Verfassung eingeführt wird“, sprechen, dann frage ich
mich, welchen Vertrag oder welche Verfassung Sie ei-
gentlich meinen.
Die Verfassung ändert man jedenfalls nicht im
Schnellverfahren. Die Verfassung ändert man nicht ein-
fach so, vielleicht weil Europawahlen anstehen und Um-
frageergebnisse, die nicht ganz so gut sind, verbessert
werden sollen.
Erst recht reicht man einen solchen Entwurf nicht ein,
wenn man nicht bis ins letzte Komma geprüft hat, ob al-
les das, was man hingeschrieben hat, auch verfassungs-
mäßig ist. Also: handwerklich fehlerhaft. Einen solchen
Entwurf vorzulegen entspricht wirklich nicht dem Ernst,
mit dem man an eine Verfassungsänderung herangehen
sollte.
Ich sage noch ein paar Worte zu einem Thema, das
uns als Sozialdemokraten besonders bewegt, nämlich die
allgemeine Einführung von mehr direkter Demokratie
und entsprechende Änderung des Grundgesetzes, Mitbe-
stimmung von Bürgerinnen und Bürgern in wichtigen
politischen Fragen, in denen sie dies wünschen. Wir
meinen, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Tat
mündig sind. Nach 50 Jahren Republik können wir es
uns erlauben,
solche für uns manchmal vielleicht auch unbequemen
Änderungen vorzunehmen. Wir fordern Sie auf – den
Ball spiele ich gern an die FDP zurück – mitzumachen.
Lassen Sie uns eine neue Initiative starten
mit dem Ziel, Möglichkeiten dafür zu eröffnen, dass die
Menschen in der Bundesrepublik selbst entscheiden dür-
fen, was zu einer solchen Abstimmung gestellt wird!
Wir werden unsere Initiative, Volksinitiative, Volks-
begehren und Volksentscheid in die Verfassung einzu-
führen, wieder aufnehmen, weil das für uns weiterhin ein
Herzensanliegen ist.
– Warten Sie auf unsere Initiative!
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enn der Pulverrauch verdampft ist und wir über diesen
ntwurf heute entschieden haben, werden Sie die
ächste Initiative von uns sehr schnell auf dem Tisch ha-
en. Ich bin darauf gespannt, ob die Abstimmung wieder
ieses wunderbare Bild von Kraut und Rüben ergeben
ird, wenn wir unsere Initiative erneuern. 14 dafür und
8 dagegen, das ist kein Abstimmungsbild, mit dem man
lar machen kann, dass man wirklich eine direkte Demo-
ratie will.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristina Köhler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
as Grundargument der FDP, über das wir heute disku-
ieren, ist an sich bestechend. Ganz im Geist John
ockes will die FDP, dass der Souverän, das Volk, seine
acht in einem ersten Akt an ein Institutionengefüge ab-
ibt.
Danke schön für das Kompliment. Das Gefühl hatte
ch auch. – Die FDP möchte also, dass bei einer Verfas-
ung eine Primärdelegation der Macht durch das Volk
tattfindet. Allein: Dieses Argument trägt im konkreten
all leider nicht. Denn worüber reden wir heute? Wir re-
en über ein Regelwerk, das vor allem die Existenz und
en Aufgabenbereich einzelner EU-Organe festlegt. Die-
es Regelwerk nennen wir Verfassung – aus gutem
rund; damit tragen wir seiner Bedeutung Rechnung.
ber handelt es sich hier wirklich um eine Verfassung
m Rechtssinne? Ich zitiere:
In einer Verfassung verständigen sich die Bürger
über Inhalt, Grenzen, Organisation, Ausgestaltung
und Verteilung politischer Macht.
Das stellt die FDP in ihrem Gesetzentwurf richtig
est. Aber wird all dies wirklich erst in dem Verfassungs-
ertrag, über den wir heute abstimmen sollen, geregelt?
ein.
iese Inhalte sind doch längst in den einzelnen Verträ-
en der Europäischen Union geregelt. Die Macht ist
och längst delegiert, und zwar in einem Prozess, der
eit der Gründung der Montanunion über den EWG-Ver-
rag schließlich in der EU geendet hat. Selbst der Euro-
äische Gerichtshof und das Verfassungsgericht sagen,
ass der EWG-Vertrag die Verfassung der EU ist, wenn
an denn einen solchen Terminus gebrauchen möchte.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16161
)
)
Kristina Köhler
Die Europäische Union ist doch schon längst bei den
Bürgern zu Hause angekommen. Unzählige Gesetze wie
das Haustürwiderrufsgesetz oder das Verbraucherkredit-
gesetz sind doch alle schon Ausfluss europäischen
Rechts. Europäisches Recht wirkt schon längst. Die
Macht ist schon delegiert. Deswegen handelt es sich bei
diesem Regelwerk nicht um eine Verfassung im Rechts-
sinne. Deswegen sollten wir dem Bürger auch nicht vor-
gaukeln, er könne hier über eine Verfassung abstimmen.
Wir haben heute in diesem Hause eine wirklich inte-
ressante Konstellation. Da ist die FDP. Die FDP ist gene-
rell gegen Volksabstimmungen,
in diesem Fall aber dafür. Dann haben wir Rot-Grün.
Rot-Grün ist generell für Volksabstimmungen, in diesem
Fall aber dagegen.
Bei dieser Gelegenheit, Herr Kollege Bürsch: Sie ha-
ben eben mit so freundlichen Worten angekündigt, dass
man ja eine neue Initiative zum Thema Volksabstim-
mung starten wolle.
Bereits 2002, in seiner Regierungserklärung zum An-
fang der Legislaturperiode, hat der Bundeskanzler dies
weihevoll angekündigt. Die Koalition gibt sich ja gern
plebiszitär. Allein: Sie haben in dieser Wahlperiode noch
keinen einzigen dementsprechenden Antrag eingebracht.
Ich habe noch kein einziges Wort von Ihnen hier in die-
sem Plenum dazu hören können und das finde ich nicht
ganz konsequent.
Die einzig konsequente Fraktion in diesem Hause ist
die Union.
– Wollen Sie meinen Argumenten nicht einmal zuhören? –
Denn die CDU/CSU ist der Auffassung, dass es von den
Vätern des Grundgesetzes klug war, Deutschland als re-
präsentative Demokratie auszugestalten. Daher ist es un-
klug, ständig nach Punkten zu suchen, bei denen man
von dieser grundlegenden Weichenstellung unseres
Grundgesetzes abweicht.
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enn dann kann man schon die Frage stellen, ob denn
echtsakte ohne direkte Legitimation durch das Volk
eniger legitimiert sind. Ich weiß nicht, ob Sie dieser
uffassung sind. Darunter fallen immerhin solche Klei-
igkeiten wie das Grundgesetz, die deutsche Einheit
der die europäischen Verträge, Frau Kollegin. Ich
laube daher nicht, dass es ernsthaft in Ihrem Sinne ist,
iese Rechtsinstitute oder diese konstituierenden Akte
nfrage zu stellen.
Und: Wenn Sie meinen, das Volk solle über die Ver-
assung abstimmen, warum denn dann nicht auch zum
eispiel über die Mitgliedschaft weiterer Länder in der
U?
arum wollen Sie denn über ein wichtiges Regelwerk
bstimmen lassen, aber zum Beispiel nicht über den Tür-
eibeitritt?
enn schließlich würde die EU-Verfassung doch am tat-
ächlichen Charakter der Europäischen Union wesent-
ich weniger ändern als ein Beitritt der Türkei, der den
harakter der EU entscheidend prägen würde.
Deswegen hielten wir es für konsequent, dann auch
ier einen Volksentscheid zuzulassen. Aber das ist der
unkt: Bei eher formellen Fragen wollen Sie das Volk
bstimmen lassen, bei folgenreichen, die EU verändern-
en Fragen aber nicht. Auch das erscheint uns nicht ganz
onsequent.
Damit komme ich zum Schluss, zum vielleicht sogar
ichtigsten Punkt, und zwar zur Frage der Verantwort-
ichkeit. In einer repräsentativen Demokratie sind Parla-
ent und Regierung verantwortlich vor den Bürgern. Sie
üssen für Entscheidungen geradestehen. Wenn sie aus
icht des Volkes Fehler gemacht haben, können sie auch
bgewählt werden.
Wer wäre denn bei einer Volksabstimmung verant-
ortlich? Wer würde da zur Rechenschaft gezogen wer-
en? Soll sich das Volk selbst zur Rechenschaft ziehen?
Sie sagen Ja und ich hätte ein eigenartiges Demokratie-
erständnis. Sie finden vermutlich, dass das total basis-
emokratisch klingt. Sagen Sie mir aber einmal, was das
onkret heißt. Wer handelt? Wer steht für die Folgen ge-
ade?
16162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Kristina Köhler
Wer nimmt denn dann eine eventuelle Rücknahme der
Entscheidungen vor?
Ich glaube, dass diese Punkte zeigen, dass die Idee ei-
ner einmaligen Volksabstimmung unausgereift ist, weil
sie unserer repräsentativen Demokratie wesensfremd ist.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Josef Winkler.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zunächst eine kurze Richtigstellung: Frau Kol-
legin Köhler, Sie haben die Väter des Grundgesetzes zi-
tiert. Es gab auch drei Mütter. Sie haben sinngemäß ge-
sagt, die Beschlussfassung im Parlamentarischen Rat
habe dazu geführt, dass direkt demokratische Elemente
ausgeschlossen wären. Das solle man befolgen. Ich will
aus Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes zitieren:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird
vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der
vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung aus-
geübt.
Also: Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmun-
gen ausgeübt.
Wenn Sie das, was die Väter und Mütter damals be-
schlossen haben, durchlesen,
dann können Sie nachvollziehen, dass es bei der Debatte
damals sehr hoch herging. Am Ende hat man sich darauf
geeinigt, in das Grundgesetz hineinzuschreiben, dass in
Zukunft auch Abstimmungen zu den Rechten des Volkes
gehören. Man konnte sich aber nicht auf ein Verfahren
einigen. Das ist eine noch immer nicht eingelöste Ver-
pflichtung des Deutschen Bundestages. Dieser müssen
wir noch nachkommen. Das werden wir, wie der Kollege
Bürsch richtig ausgeführt hat, so schnell wir es ermögli-
chen können, tun.
Richtig ist natürlich auch, dass wir im letzten Herbst
an die Fraktionsvorsitzenden der Oppositionsfraktionen
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ir überlegen. Zusammen mit der FDP werden wir
erne den Druck auf die Union vergrößern. Diese Ver-
flichtung, die dem Deutschen Bundestag aufgegeben
st, werden wir umsetzen.
Herr Löning, warum regen Sie sich eigentlich so auf?
aben Sie schlecht geschlafen? Die ganze Zeit plustern
ie sich schon auf. Ich kann ja verstehen, dass sich die
DP ein bisschen aufregt; denn die Beschlussfassung zur
irekten Demokratie ist wirklich etwas verwirrend.
as wird der Kollege Burgbacher sicherlich gleich auf-
lären.
Kommen wir zu dem, was sich in der Union abspielt.
iner Ihrer Kollegen, der Kollege Kolbe, der heute durch
bwesenheit glänzt, hat jetzt, obwohl wir zwei Jahre
ber nichts anderes reden als darüber, wie wir mit dem
uropäischen Verfassungsgebungsprozess umgehen, ge-
agt, ein Volksentscheid müsse her. Das ist genauso billi-
er Populismus wie der Antrag der FDP. Er ist noch
icht einmal anwesend.
as kennen wir seit Jahren. Wir sagen seit Jahren, dass
ir das Volk zu jedem denkbaren Thema entscheiden
assen wollen. Wir wollen keine Rosinenpickerei betrei-
en. Das ist eine klare Ansage. Das, was Sie machen, ist
ischiwaschi. Das machen wir nicht mit.
Im Übrigen sind mir standhafte Kollegen wie der
ollege Dr. Gauweiler lieber, die kontinuierlich, über
iele Jahre hinweg, in aller Deutlichkeit sagen, was sie
avon halten, nämlich dass sie für Volksentscheide sind.
it einer etwas irrigen Rechtsauffassung hat er heute da-
ür gesorgt, dass sich die Tickermeldungen überschlagen
aben. Ich finde es natürlich auch nicht korrekt, wenn
er Kollege Gauweiler sagt, das Verfassungsgericht solle
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16163
)
)
Josef Philip Winkler
dem Bundestag vorschreiben, womit er sich zu befassen
habe. Mich würde wirklich interessieren, ob Sie das gut
durchdacht haben. Ich halte das nämlich für etwas abwe-
gig.
– Herr Kollege Löning, ich kann Sie nur sehr schlecht
verstehen. Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen oder
mich in Ruhe reden lassen? Für eines müssen Sie sich
entscheiden.
Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht nur sinnvoll,
sondern auch erforderlich, die Mitspracherechte der na-
tionalen Parlamente auszubauen – darüber wurde in den
letzten Tagen diskutiert –, und zwar nicht nur, was die
Mitwirkung bei der Gesetzgebung auf europäischer
Ebene angeht, sondern auch, wenn es um die UNO geht.
Der Unterausschuss Vereinte Nationen des Auswärti-
gen Ausschusses hat sich damit in letzter Zeit im Rah-
men verschiedener Anhörungen befasst. Sowohl die eu-
ropäische als auch die parlamentarische Dimension der
Vereinten Nationen spielen hier eine Rolle. Meiner Mei-
nung nach sind nationale Volksentscheide nur ein erster
Schritt auf dem Weg zu europaweiten Volksentscheiden.
Das wäre eine klare Ansage. Ich sage Ihnen: Wir müssen
die Chance nutzen, die europäische Verfassung so
schnell wie möglich zu ratifizieren. Jede Verzögerung
wäre sträflich.
Wir werden Ihren Antrag ablehnen und die europäische
Verfassung hoffentlich am 12. Mai dieses Jahres ratifi-
zieren.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Peter
Gauweiler das Wort.
Herr Kollege Winkler, es geht mir nicht darum, dass
das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag Vor-
schriften macht, sondern darum, dass mithilfe des Bun-
desverfassungsgerichts die Wiederholung einer Situation
vermieden wird, wie wir sie im Zusammenhang mit dem
Europäischen Haftbefehl gerade erleben durften. Um
den europäischen Verfassungsvertrag überhaupt zustim-
mungsfähig zu machen, gibt es aus meiner Sicht in der
Tat nur die Möglichkeit der Zustimmung zu einem Refe-
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Herr Kollege Ströbele, Sie dürfen leider nicht antwor-
en, aber Ihr Kollege Winkler darf das tun. – Bitte.
Das Wort „leider“ nehme ich zur Kenntnis.
Das war nur ein geschäftsleitendes „leider“.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
auweiler, ich sehe mich nicht in der Lage, Ihren juristi-
chen Sachverstand in irgendeiner Weise ausreichend
16164 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Josef Philip Winkler
konterkarieren zu können. Trotzdem halte ich Ihre Auf-
fassung für falsch.
Zum Ersten. Der Deutsche Bundestag ist sehr wohl
berechtigt, die Verfassung zu ändern. Ich gehe fest davon
aus, dass jeder Bürger, wenn er bei einer Bundestags-
wahl – in Unkenntnis des Art. 146 des Grundgesetzes –
seine Entscheidung trifft, davon ausgeht, dass der Bun-
destag diese Rechte hat und dass er in seine Wahlüberle-
gung einbezieht, dass wir auch über Fragen wie die Rati-
fizierung der europäischen Verfassung abstimmen
können.
Was mich mehr interessiert, ist, wieso Sie für diese
Auffassung eigentlich nicht in Ihrer eigenen Fraktion ge-
worben haben; das ist ja ein Misstrauensvotum gegen-
über dem Kollegen Altmaier, der gleich noch sprechen
wird, und auch gegenüber dem Vertreter des Bundesrats,
der auch Ihrer Parteienfamilie entstammt, dem ehemali-
gen Ministerpräsidenten Teufel. Ich finde es freundlich,
dass Sie mit Ihrer Pressemitteilung immerhin gewartet
haben, bis er gestern seinen Rücktritt erklärt hat. Nichts-
destotrotz finde ich, Sie hätten genügend Gelegenheit
gehabt, diese Dinge in Ihrer Fraktion zu thematisieren.
Dass Sie das jetzt wenige Wochen vor der Ratifizierung
der EU-Verfassung in dieser etwas populistischen Weise
machen, halte ich für falsch; ich rechne auch nicht damit,
dass sich das Bundesverfassungsgericht in irgendeiner
Weise dem anschließt, was Sie da vorgetragen haben.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Bürsch, lieber Herr Winkler, wenn man
selbst eiert, fängt man an, auf andere zu schießen. Mit
dieser Munition werden Sie allerdings nichts gewinnen.
Es war ja teilweise geradezu lächerlich, was da von Ih-
nen kam.
Herr Bürsch, Sie haben den 7. Juni 2002 noch einmal an-
gesprochen. Es ist richtig: Damals haben viele von uns
dagegen gestimmt, manche dafür. Sie wissen aber genau,
was der tiefere Grund dafür war: Wir wollten die Situa-
tion retten und haben einen eigenen Gesetzentwurf zur
Volksinitiative eingebracht, weil wir dachten, damit ist
eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen.
Das ist damals gescheitert. Ich sage Ihnen ganz persön-
lich, Herr Bürsch: Ich habe meine Meinung in der Zwi-
schenzeit auch geändert, weil ich einige Erfahrungen ge-
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Herr Gauweiler, was Sie getan haben, kann ich in ei-
em Punkt vielleicht noch mittragen, aber ich muss Ih-
en eines sagen: Das heute zu bringen, halte ich für
chieren Populismus.
ie haben über ein Jahr Zeit gehabt, in Ihrer Fraktion um
ustimmung zu unserem Gesetzentwurf zu werben; hät-
en Sie das getan, dann hätten wir heute vielleicht eine
ndere Situation.
Meine Damen und Herren, worum geht es? Wir woll-
en mit unserem Gesetzentwurf einen Volksentscheid
ber die europäische Verfassung ermöglichen. Es war
ns klar, dass es nicht möglich sein wird, in dieser kur-
en Zeit ein umfassendes Konzept für mehr direkte De-
okratie zu verabschieden. Deshalb haben wir den Ge-
etzentwurf über einen Volksentscheid über die
uropäische Verfassung eingebracht. Viele von Ihnen
atten das eigentlich unterstützt; es steht in Ihrer Koali-
ionsvereinbarung. Wir wissen, dass auch viele von der
nion durchaus große Sympathien dafür haben. Aber
as sich heute abspielt, halte ich wirklich für ein Trauer-
piel: Viele, die dafür sind, lehnen es deshalb ab, weil es
on der FDP kommt –
o kann Demokratie in unserem Land doch wirklich
icht funktionieren.
Um es klar zu sagen: Die FDP will ein Ja zur Verfas-
ung und wir hätten uns darüber gefreut, wenn ein
olksentscheid eine breite Kampagne in unserem Land
usgelöst hätte.
ir hätten uns darüber gefreut, wenn wir das Volk infor-
iert hätten, wenn wir alle auf der Straße mit den Leuten
iskutiert
nd die Bevölkerung auf dem Weg nach Europa endlich
itgenommen hätten.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16165
)
)
Ernst Burgbacher
Ihr Nein hat das verhindert; das müssen Sie auf Ihre Fah-
nen schreiben.
Sie breiten hier Scheinargumente aus. Lieber Herr
Winkler, ich lese Ihnen einmal vor, was ich vor drei Mo-
naten auf der Homepage der Grünen gefunden habe; ich
dachte, es wäre inzwischen geändert, aber es steht dort
immer noch. Da heißt es wörtlich:
Um auch einen Volksentscheid über die EU-Verfas-
sung zu ermöglichen, hat sich die Koalition darauf
verständigt, dass auch der Bundestag in bestimmten
Fällen Volksentscheide initiieren kann.
Sie sagen nach außen, Sie sind für den Volksentscheid –
hier stimmen Sie dagegen. Nach außen sagen Sie, Sie
sind gegen MEADS, morgen stimmen Sie dafür.
Das ist doch das Spiel der Grünen: Sie lügen die Leute
an.
Sie behaupten draußen Dinge und im Parlament machen
Sie genau das Gegenteil. Wir haben genug von diesem
Spiel.
Herr Kollege, achten Sie bitte trotz Ihrer großen Laut-
stärke darauf, dass Ihre Redezeit vorbei ist.
Es ist schwierig, in drei Minuten die einzige Gegen-
position zu begründen.
Aber das sind nun einmal die Regeln hier.
Sie treiben hier ein doppelbödiges Spiel. Das muss
ich wirklich noch einmal an die Adresse der Grünen sa-
gen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen:
Nein, Herr Kollege.
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enn wir in der nächsten Sitzungswoche wahrscheinlich
ber 90 Prozent – –
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Altmaier.
Herr Kollege, Sie wissen, dass die Sitzungsleitung
ährend der Sitzung nicht von Ihnen kritisiert werden
ann. Ich rufe Sie zur Ordnung. – Bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ver-
assung, die wir am 12. Mai 2005 verabschieden wer-
en, ist zweifellos ein großer Fortschritt. Sie bringt viele
eränderungen mit sich; sie hat auch manche Defizite
nd Probleme.
Sehr geehrter Herr Gauweiler, Sie wissen, dass ich
hre Argumentationen durchaus schätze und genieße. In
inem irren Sie allerdings profund: Durch diese Verfas-
ung wird das deutsche Grundgesetz weder ausgehöhlt
och außer Kraft gesetzt.
ie Europäische Union ist kein Staat und sie wird durch
iese Verfassung auch nicht zu einem Staat. Im Gegen-
eil: Wir haben im Verfassungsvertrag eine Reihe von
orkehrungen getroffen, durch die die Eigenstaatlich-
eit der Mitgliedstaaten gestärkt und ausgebaut wird:
Wir haben die Rolle der Mitgliedstaaten als Herren
er Verträge erstmals ausdrücklich in der Verfassung er-
ähnt. Wir haben das Prinzip der begrenzten Einzeler-
ächtigung erstmals erwähnt und durch unsere Klarstel-
ung gestärkt, dass allgemeine Zielbestimmungen keine
ompetenznormen für die Gemeinschaft begründen.
ir haben in dieser Verfassung zum ersten Mal ein Sys-
em der Kompetenzabgrenzung verankert, so unvoll-
ommen es auch sein mag. Wir haben das Austrittsrecht
er Mitgliedstaaten normiert. Auch das gab es bisher
icht. Wir haben in Art. I-5 festgelegt, dass diese Verfas-
ung die nationale Identität der Mitgliedstaaten, in denen
uch die politische und verfassungsrechtliche Struktur
um Ausdruck kommt – das war ein ausdrückliches
itat –, zu achten hat. Zum ersten Mal sind die grundle-
enden politischen und verfassungsrechtlichen Struktu-
en der Staaten ausdrücklich geschützt.
Das alles zeigt: Es gab noch kein Dokument auf euro-
äischer Ebene, das die Eigenständigkeiten der
16166 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Peter Altmaier
Mitgliedstaaten für die Zukunft so positiv und auch deut-
lich unterstreicht.
Sehr verehrter Herr Kollege Gauweiler, Sie sagen, der
Umstand, dass wir das Prinzip des Vorrangs des Ge-
meinschaftsrechts in der Verfassung ausdrücklich er-
wähnt haben, sei eine neue Qualität. Auch in dieser Hin-
sicht irren Sie. Dieses Prinzip hat der Europäische
Gerichtshof vor über 40 Jahren in seiner Rechtsprechung
entwickelt. Wir haben es seit vielen Jahrzehnten ge-
wusst. Wir hätten auf Regierungskonferenzen – Vertrag
von Maastricht, Vertrag von Amsterdam, Vertrag von
Nizza – die Möglichkeit gehabt, dieses Prinzip zu korri-
gieren. Wir haben es nicht getan. Jetzt haben wir es so-
gar ausdrücklich in die Verfassung hineingeschrieben
und wir haben in einer Erklärung der Regierungskonfe-
renz darauf hingewiesen, dass wir uns damit auf die
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bezie-
hen – nicht mehr und nicht weniger. Es gibt in diesem
Bereich keine Veränderung.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag
wird dem Verfassungsvertrag mit großer Mehrheit zu-
stimmen. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der
FDP werden diesem Verfassungsvertrag mit großer
Mehrheit zustimmen. Weil das so ist und weil wir die
Ausarbeitung der Verfassung von Anfang an mit einem
Höchstmaß an Transparenz und Bürgerbeteiligung aus-
gestattet haben – das wird die Kollegin Leutheusser-
Schnarrenberger aus dem Europaausschuss bestätigen
können –, ist für die Ratifizierung dieses Vertrages eine
Volksabstimmung, ein Referendum, weder erforderlich
noch sinnvoll.
Wir haben in den letzten 50 Jahren gute Erfahrungen
mit unserem System der repräsentativen Demokratie ge-
macht. Ich will die direkte Demokratie gar nicht grund-
legend ablehnen, aber wir haben auf Bundesebene eben
keine Erfahrungen mit Referenden und Volksabstim-
mungen.
Ich bin strikt dagegen, sehr geehrter Herr Kollege
Ströbele, dass wir ausgerechnet die europäische Verfas-
sung, die für die Zukunft unserer Bürger ein wichtiger
Fortschritt und ein wichtiges Dokument ist, zum Ver-
suchskaninchen für ein Verfahren machen,
das wir bislang in keinem anderen Bereich der bundes-
deutschen Gesetzgebung erprobt haben.
Schauen wir einen Augenblick nach Frankreich.
Dort wird es ein Referendum über die Verfassung geben.
Aber die Debatte in Frankreich vermengt die Frage der
Verfassung mit der Frage des Beitritts der Türkei, der
Dienstleistungsrichtlinie, der Osterweiterung und vielen
anderen Fragen, die mit diesem Verfassungsdokument
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Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
urf der Fraktion der FDP zur Änderung des Art. 23
es Grundgesetzes zur Einführung eines Volksent-
cheids über eine europäische Verfassung auf Druck-
ache 15/2998. Der Innenausschuss empfiehlt auf
rucksache 15/4796, den Gesetzentwurf abzulehnen.
ch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
ollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
nthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
eratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16167
)
)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Grünen, der CDU/CSU – bis auf zwei Stimmen – gegen
die Stimmen der FDP und der Abgeordneten Gauweiler
und Girisch abgelehnt worden. Enthaltungen gab es
keine. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
4. November 2003 betreffend den Prospekt,
der beim öffentlichen Angebot von Wertpapie-
ren oder bei deren Zulassung zum Handel zu
veröffentlichen ist, und zur Änderung der
– Drucksachen 15/4999, 15/5219 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses
– Drucksache 15/5373. –
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Patricia Lips
Jutta Krüger-Jacob
Dr. Volker Wissing
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Nun ha-
ben aber die Abgeordneten Lips, Krüger-Jacob, Wissing,
Hauer und die Parlamentarische Staatssekretärin
Hendricks gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu
können. Sind Sie damit einverstanden? – Dann verfahren
wir so.1)
Damit kommen wir zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf, den
ich eben genannt habe. Der Finanzausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/5373,
den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. –
Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung einstim-
mig angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zu-
satzpunkt 8 auf:
12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Gesundheit und So-
ziale Sicherung zu dem Antrag
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1) Anlage 5
ann hätte es realistischere Prognosen zur Beitragsent-
icklung gegeben. Dass wir nun eine andere Situation
aben und die Beiträge nicht wie erwartet sinken, hat das
esetz bei den Menschen viel Akzeptanz gekostet. Es
cheint im Übrigen ein Grundproblem dieser Bundesre-
ierung zu sein, ständig falsche und viel zu optimistische
rognosen über die finanzielle Lage der Sozialversiche-
ungen abzugeben.
16168 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Wolfgang Zöller
Das verunsichert die Menschen und beschädigt auch das
Vertrauen in die Solidität der Regierung. Das schadet
aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Lan-
des, weil verlässliche Perspektiven ein wichtiges Ele-
ment der Standortentscheidung von Unternehmen sind.
Unter den vielen Punkten, die im Rahmen der Anhö-
rung angesprochen wurden, gibt es einen, bei dem wir
dringenden Handlungsbedarf sehen. Deshalb haben wir
einen Gesetzentwurf eingebracht. Es geht um die Arz-
neimittelversorgung von Kindern und Jugendlichen.
Im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes haben
wir gemeinsam beschlossen, dass Kinder und Jugendli-
che von allen Zuzahlungen in der Arztpraxis und bei
Medikamenten befreit bleiben. Dies ist eine wichtige
und richtige Entscheidung zugunsten von Familien.
Familien sind ohnehin finanziell mehr belastet als
kinderlose Paare und wir sollten alle zusätzlichen Belas-
tungen vermeiden, die die wirtschaftliche Situation der
Familien mit Kindern verschlechtern.
Wir wollen eine kinderfreundliche Gesellschaft, in der
die Tatsache, Kinder zu haben, nicht zu Benachteiligun-
gen führt. Dies ist eine grundsätzliche Werteentschei-
dung, an der wir uns bei all unserem politischen Handeln
orientieren müssen.
Wir als Union haben uns deshalb sehr schwer getan,
bei den Konsensverhandlungen auf die Forderungen der
Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen einzuge-
hen, Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr grundsätzlich
aus der Erstattungsfähigkeit für nicht verschreibungs-
pflichtige Arzneimittel herauszunehmen. Wir haben
auch damals davor gewarnt, konnten uns aber, wie es bei
Konsensen üblich ist, in diesem Punkt nicht durchsetzen.
– Wenn Sie sagen, dass Sie das anders in Erinnerung ha-
ben, muss ich feststellen, dass Sie bei diesen Verhand-
lungen überhaupt nicht dabei waren.
Um größere Versorgungsprobleme zu vermeiden, hat
der Gesetzgeber der Selbstverwaltung von Ärzten und
Krankenkassen die Aufgabe übertragen, für schwerwie-
gende Erkrankungen eine Ausnahmeliste für solche
Arzneimittel zu erstellen, die weiterhin von der gesetzli-
chen Krankenversicherung erstattet werden sollen. Der
Gemeinsame Bundesausschuss hat damit eine Verant-
wortung übernommen, der er meines Erachtens nicht in
dem von uns erwarteten Maße gerecht geworden ist.
Dies trifft im Übrigen auch auf andere Fragen wie zum
Beispiel die Richtlinie zur Verordnung künstlicher Er-
nährung oder die Positronen-Emissions-Tomographie
zu. Man hat den Eindruck, dass bei einigen Entscheidun-
gen des Gemeinsamen Bundesausschusses ökonomische
Argumente zulasten von medizinischen Aspekten im
Vordergrund stehen.
Ich hätte mir bei der Zusammenstellung der Ausnah-
meliste vom Bundesausschuss erwartet, dass die beson-
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Jetzt stellen Sie sich hin, erklären, Sie müssten die Welt
retten, und machen der Bundesregierung Vorwürfe dafür,
dass die Krankenkassen sie belogen haben. Auch Ihre
Landesaufsicht bei der AOK in Bayern hat ja vermutlich
versagt und erlaubt, dass über Jahre Schulden aufgebaut
wurden, die hervorragend vertuscht werden konnten.
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as ist aber letztlich das, was Ihr Gesetzentwurf fordert.
Sie haben es gut beschrieben: Wir haben gemeinsam
esagt, dass wir in dieses Gesundheitssystem mehr Qua-
ität, mehr Effizienz und damit am Ende auch mehr Wirt-
chaftlichkeit bringen wollen. Nun sind wir an einem
unkt, an dem es zugegebenermaßen schwierig wird: Es
st den Menschen oftmals sehr schwer zu erklären, dass
s auch ein Mehr an Qualität sein kann, wenn es das eine
der andere nicht mehr gibt. Wir haben uns auf diesen
eg gemacht und haben den Auftrag dem Gemeinsa-
en Bundesausschuss gegeben. Ich finde, er hat bis
etzt besser als in den vorherigen Jahren, als er noch an-
ere Strukturen hatte, gearbeitet.
ir haben deutlich angemahnt – das ist unsere Ver-
flichtung –, dass wir in diesen drei Bereichen von ihm
ösungen erwarten.
ch sage Ihnen ganz klar: Wir sind sehr zuversichtlich.
ch bin sicher, wir werden diese Lösungen bekommen.
ann werden wir bei den Hauterkrankungen und bei den
llergien das haben, was uns jetzt fehlt. Es wird die In-
ikation geben. Außerdem werden die Kosten auch für
icht verschreibungspflichtige Arzneimittel erstattet
erden, wenn sie zur Indikation gehören und notwendig
ind.
Generell.
16170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Gudrun Schaich-Walch
Ich nehme das Beispiel eines an Neurodermitis Er-
krankten. Weil seine Erkrankung als chronisch anerkannt
ist, bekommt er nach Ihren Vorstellungen die Behand-
lung nicht mehr bis zu einem Alter von Zwölf Jahren,
sondern bis zu einem Alter von 18 Jahren bezahlt. Wie
aber erklärt man diesem jungen Menschen, der vielleicht
noch zur Schule geht oder sich in der Ausbildung befin-
det, dass dies an seinem 19. Geburtstag aufhört, obwohl
seine Krankheit fortbesteht? Die Konsequenz kann doch
nur sein, zu der Auffassung zu gelangen, dass die Be-
handlung einer schwerwiegenden Erkrankung sowohl
mit 19 als auch mit 90 Jahren notwendig ist.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Widmann-Mauz?
Ich möchte erst einmal zu Ende ausführen.
– Doch, aber ich möchte diese Ausführungen zunächst
beenden.
Wir haben uns gemeinsam auf diesen Weg begeben.
Aber Sie wollen jetzt einfach eine qualitätsorientierte
Politik durch eine sozialorientierte Politik ablösen. Wenn
es in diesem Land so ist, wie Sie sagen, nämlich dass die
Familien Probleme haben, dann bin ich der Meinung,
dass wir diese Probleme familienpolitisch lösen müssen.
Wir können sie aber nicht gesundheitspolitisch lösen, in-
dem die Menschen abhängig vom Alter eine medizinisch
notwendige Versorgung bekommen. Dieser Lösungsweg
ist mit uns schlicht und einfach nicht zu beschreiten.
Frau Kollegin, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage
der Kollegin Widmann-Mauz?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin Schaich-Walch, können Sie mir sagen,
ob Heuschnupfen eine schwerwiegende Erkrankung
ist? Wenn Heuschnupfen, wie der Gemeinsame Bundes-
ausschuss festgelegt hat, keine schwerwiegende Erkran-
kung ist, dann gilt diese Entscheidung für über 18-Jäh-
rige wie auch für unter 18-Jährige. Bis jetzt konnten die
Kinder nicht mit entsprechenden Medikamenten ver-
sorgt werden. Damit bestand die Gefahr einer chroni-
schen Asthmaerkrankung.
Sie werden schlechterdings nicht sagen können, dass
bei einem Erwachsenen Heuschnupfen eine schwerwie-
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st eine schwerwiegende Beeinträchtigung, egal ob der
atient 16 oder 17 Jahre bzw. 75 oder 80 Jahre alt ist.
eshalb ist der Weg, den Sie gehen wollen, indem Sie
lauben, ein gesundheitliches Problem dadurch lösen zu
önnen, dass Sie die Altersgrenzen verschieben, ein
rugschluss. Der Gemeinsame Bundesausschuss muss
ich noch einmal mit diesen Problemen, zum Beispiel
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16171
)
)
Gudrun Schaich-Walch
mit dem Problem der Sondennahrung, beschäftigen.
Wenn gesagt wird: „Wir haben den Eindruck, das eine
oder andere, was im Verfahren hätte berücksichtigt wer-
den müssen, ist nicht berücksichtigt worden“, dann muss
er sich damit beschäftigen und eine Lösung dafür finden.
Ich bin zum Beispiel der festen Überzeugung, dass
man die Psoriasis in dem Bereich der chronischen Er-
krankungen, so wie sie heute definiert werden, ansiedeln
kann. Es muss möglich sein, dass eine solche Erkran-
kung auf die eine oder andere Weise behandelt werden
kann. Mit Ihrer Öffnungslösung sehen Sie nur vor, dass
die Altersgrenze von zwölf auf 18 Jahre verschoben
wird. Auf diese Weise bezahlen die Krankenkassen allen
möglichen Schrott, wobei wir immer wollten, dass sie
dies nicht tun. Sie wollen für diese Gruppe, die nun hin-
zukommen und plötzlich wieder jedes Medikament be-
kommen soll, eine halbe Milliarde Euro ausgeben. Diese
halbe Milliarde kann man zielgerichtet zur Qualitätssi-
cherung in der Versorgung einsetzen. Das werden wir
auch tun.
Herr Kollege Kirschner, ich konnte Ihre Zwischen-
frage nicht mehr zulassen, weil die Redezeit bereits
überschritten war.
Das Wort hat der Kollege Dieter Thomae, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich stelle fest: Der Konsens zwischen SPD und
CDU/CSU scheint zu Ende zu sein.
Denn es wurden in dem vorliegenden Antrag Fragen ge-
stellt, die mich schon erstaunen. Wer sich mit der The-
matik intensiv beschäftigt hat, wusste, dass die Verschul-
dung der gesetzlichen Krankenkassen erheblich höher
war als 4 Milliarden Euro. Das war eindeutig feststell-
bar. Man wusste auch, dass Krankenversicherungsbei-
träge auf Betriebsrenten nur bei gleichzeitiger Einfüh-
rung von Übergangsfristen und nicht spontan von heute
auf morgen erhoben werden können, weil das meiner
Ansicht nach verfassungsrechtlich größte Bedenken her-
vorruft. Für Versicherte, die eine Betriebsrente erhalten,
ist es ein inhumaner Akt, diese von heute auf morgen zu
kappen.
Über die Thematik „Beitragsrückgewähr und Selbst-
behalt“ ist in den letzten Jahren so intensiv diskutiert
worden und so viele Gutachten sind dazu erstellt wor-
den, dass man wusste, wie man sich hier zu entscheiden
hat.
Wir wussten auch, zu welchen Konsequenzen es füh-
ren würde, wenn man die nicht verschreibungspflichti-
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Sie haben der jetzigen Konstruktion des Bundesaus-
chusses zugestimmt. Wer sich damit beschäftigt hat,
usste, dass die Politik im Grunde genommen einen
roßen Teil der Verantwortung auf den Bundesausschuss
erlagert, weil Sie nicht bereit sind, die Entscheidungen,
ie dort getroffen werden sollen, selber zu tragen.
as muss man eindeutig sehen. Jeder, der einer solchen
onstruktion des Bundesausschusses zugestimmt hat
Sie alle wollten eine solche Konstruktion –,
usste, dass dabei Konflikte entstehen. Jetzt permanent
uf den Bundesausschuss zu schimpfen halte ich für kei-
en sinnvollen Weg. Es muss eine vernünftige Auseinan-
ersetzung stattfinden, damit eine vernünftige Entschei-
ung getroffen wird, –
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kirschner?
– um die Problematik der künstlichen Ernährung zu
ösen. Aber man sollte nicht so vorgehen, wie Sie es ma-
hen: Sie hauen nur drauf und sagen: Die sind alle
chuld. Mit diesem Verhalten werden Sie nicht weiter-
ommen.
Bitte schön.
Nein, Herr Kollege, jetzt kann ich das leider nicht
ehr zulassen, weil Ihre Redezeit deutlich überschritten
t.
16172 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Es tut mir leid.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Wir haben hier einen Antrag und
einen Gesetzentwurf der Union vor uns liegen. Mit dem
Antrag „Wirkungen und Nebenwirkungen des GKV-Mo-
dernisierungsgesetzes“ soll die Bundesregierung dazu
aufgefordert werden, eine Einjahresbilanz zu den finan-
ziellen und strukturellen Wirkungen unseres gemeinsam
beschlossenen Gesetzes vorzulegen und zu prüfen, ob
bei bestimmten Details im Versorgungsgeschehen ge-
setzliche Änderungen vonnöten sind, und für Vergü-
tungsfragen in der integrierten Versorgung Sorge zu tra-
gen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, grundsätzlich halte ich einen solchen An-
trag, sofern er von den richtigen Annahmen ausgeht,
durchaus für legitim; denn für so unfehlbar sollte sich
kein Gesetzgeber halten, dass er die Implementierung ei-
nes Gesetzes nicht im Auge behält, schon gar nicht bei
einer Reform wie dieser. Aber bei dem Begriff „Gesetz-
geber“ schließe ich Sie bei der Gesundheitsreform ein-
fach mit ein. Im Übrigen, Herr Zöller, ist es auch voll-
kommen richtig: Wir hatten in den Konsensgesprächen
vereinbart, eine Bilanzierung vorzunehmen.
Nicht legitim allerdings wäre es, wenn die Antragstel-
ler einen solchen Antrag stellen, um sich im Nachhinein
aus der Verantwortung für einen gefundenen Kompro-
miss herauszustehlen. Dieser Kompromiss wurde stark
von Ihnen geprägt.
Aber derlei Fluchtversuche möchte ich der Opposition
überhaupt nicht unterstellen. Ich gehe davon aus, dass
auch Sie natürlich die Interessen der Patienten, der Ver-
sicherten, der Leistungserbringer und der Krankenkas-
sen im Auge haben. Ich möchte Ihnen aber trotzdem sa-
gen, warum ich Bauchschmerzen habe.
Zum Aspekt der Berichtspflicht. Zum einen halte ich
sie hinsichtlich der integrierten Versorgung für gar nicht
aussagekräftig. So etwas braucht Zeit. Tun Sie bitte nicht
so, als würden Sie seit der Verabschiedung des Gesetzes
ständig im Dunkeln tappen. Das stimmt schon deshalb
nicht, weil Sie im Gesundheitsausschuss ständig Anträge
stellen. Dort beraten wir im Übrigen regelmäßig und
dort informiert das BMGS regelmäßig über Kosten-,
Einnahmen- und Ausgabenentwicklung in der gesetzli-
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Noch etwas zur Entwicklung der Beitragssätze. Na-
ürlich ist es richtig, wenn Sie sagen, wir hätten die Bei-
ragssätze nicht richtig gesenkt, weil die Kassen ver-
chuldet sind. Ich möchte Ihnen aber auch sagen: Ihr
orwurf an uns ist falsch. Erst im Juli 2004 haben auch
ir die korrekten Zahlen erhalten und waren somit auf
em gleichen Informationsstand wie Sie.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer
ollegin Widmann-Mauz?
Ja.
Frau Kollegin Selg, Sie haben gerade das Thema Ta-
aksteuer angesprochen und waren der Meinung, dass
iemand die dritte Stufe der Steuerreform infrage stellen
ürde. Ist Ihnen ein Schreiben der Parlamentarischen
taatssekretärin Caspers-Merk bekannt, das sie an Kolle-
innen und Kollegen der SPD-Fraktion gerichtet hat, in
em sie noch einmal nachdrücklich die Wirkungsweise
er Stufen darstellt, um insbesondere auf die Mitglieder
es Haushaltsausschusses einzuwirken und sie von der
otwendigkeit der Stufen zu überzeugen?
Das ist mir durchaus bekannt, Frau Widmann-Mauz.
ennoch haben die Einnahmen aus der Tabaksteuer
ichts damit zu tun, ob die versicherungsfremden Leis-
ungen finanziert werden können oder nicht.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16173
)
)
Petra Selg
Ich möchte aber nicht die Redezeit überschreiten und
komme deshalb bezüglich der nicht verschreibungs-
pflichtigen Medikamente für Kinder und Jugendliche
wieder auf Ihren Gesetzentwurf zurück. Sie wollen die
Altersgrenze von zwölf auf 18 Jahre anheben. Es ist si-
cherlich vor allem in Bezug auf Allergien und Neuroder-
mitis ein gemeinsames Ziel, Kinder und Familien vor
hohen Belastungen zu schützen. Es soll auch vermieden
werden, dass chronische Gesundheitsschäden entstehen.
Wir sind durchaus gesprächsbereit. Aber sollten wir
nicht erst einmal prüfen, ob nicht auch die derzeitige ge-
setzliche Regelung die angestrebten Ausnahmen bei Al-
lergien und Neurodermitis ermöglicht?
Wie Sie wissen, werden hierzu bereits intensive Gesprä-
che mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss geführt.
Eines muss klar sein: Ich erwarte von Ihnen, dass Sie
gegenüber der Öffentlichkeit mit diesem Thema ehrlich
umgehen. Es kann nicht angehen, dass Sie sich als so-
ziale Wohltäter und als familienfreundlich präsentieren
und so tun, als hätten Sie die jetzige Regelung schon im-
mer für Unfug gehalten.
Über diese Regelung bestand in den GMG-Beratungen
Konsens. Es mag sein, dass sie von Ihnen nicht vollstän-
dig mitgetragen wurde. Wir müssen aber bei allen Ände-
rungen auch die finanziellen Auswirkungen im Blick be-
halten. Im Übrigen hätten auch wir von der Koalition
viele Wünsche, die wir gerne mit einbringen würden.
Ich möchte Sie aber auch daran erinnern, dass es die
Union war, die auf der Schaffung der OTC-Regelung be-
standen hat. Wenn Sie, wie wir es wollten, einer Positiv-
liste zugestimmt hätten, dann müssten wir die von Ihnen
losgetretene Diskussion um Altersgrenzen nicht führen.
Kurzum: Wir können gerne über Ihren Vorschlag re-
den. Aber neben der fachlichen Klarheit vermisse ich da-
bei gegenwärtig noch Klarheit darüber, was wirklich
hinter Ihrem Antrag steckt. Korrigieren Sie gerade Ihre
Gesundheitspolitik oder wollen Sie lediglich ein paar
billige Punkte ergattern?
Wir sind gerne zu Gesprächen bereit, um zu einer Lö-
sung im Sinne der Betroffenen zu kommen. Aber wir
sollten gerade in so sensiblen Bereichen wie der künstli-
chen Ernährung keine Debatten im „Bild“-Zeitungsstil
führen.
Vielen Dank.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, un-
ere Einschätzung der Wirkungen des Gesundheitsmo-
ernisierungsgesetzes unterscheidet sich von Ihrer. Wir
ewerten die Wirkungen der Gesundheitsreform ins-
esamt als positiv.
Ich nenne Ihnen einige Punkte, die wir positiv bewer-
en: Die von Ihnen angesprochenen Schulden der Kran-
enkassen sind deutlich gesunken. Die Krankenkassen
atten 2004 ausgezeichnete Einnahmen zu verzeichnen
nd die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung
urden gesenkt. Das ist zwar nicht in dem von uns ge-
ünschten Maße geschehen – das gestehen wir zu –,
ber wir sollten uns auch klar machen, dass die Beiträge
hne das Gesundheitsmodernisierungsgesetz heute bei
ber 15 Prozent liegen würden.
ie Praxisgebühr hat ihre steuernde Wirkung entfaltet.
aneben wurden strukturelle Änderungen im Gesund-
eitssystem wie Hausarztmodelle, Disease-Manage-
ent-Programme oder die integrierte Versorgung eta-
liert. Diese Systeme finden zunehmend Anwendung.
In dieser Phase der beginnenden Strukturänderung
ollen Sie das Gesundheitsmodernisierungsgesetz wie-
er öffnen. Sie berühren in Ihrem Antrag nahezu jeden
unkt dieses Gesetzes, dem Sie noch vor kurzem zuge-
timmt haben.
Sie haben uns heute darüber hinaus einen Gesetzent-
urf zur Erhöhung der Altersgrenze für die Erstattung
on Arzneimitteln vorgelegt, von dem schon mehrfach
ie Rede war. Meine Kollegin Frau Schaich-Walch
auch Frau Selg hat es angesprochen – hat betont, dass
n Ihrem Gesetzentwurf die Anhebung der Altersgrenze
on zwölf auf 18 Jahre als Lösung innerhalb dieses Sys-
ems angesehen wird.
16174 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Erika Ober
Wir sollten aber den Blick auch darauf richten, was
nach Ihrem Vorschlag von der Versichertengemeinschaft
bezahlt werden soll. Hierzu beziehe ich mich auf eine
Liste der meistverordneten Medikamente des Jahres
2003. Damals waren Arzneimittel gegen Erkältungs-
krankheiten und andere geringfügige Gesundheitsstörun-
gen aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen; davon
ausgenommen waren Versicherte unter 18 Jahren.
Wenn ich mir diese Liste anschaue, dann finde ich un-
ter den 40 am häufigsten verordneten Medikamenten
zehn Arzneimittel gegen geringfügige Gesundheitsstö-
rungen, zum Beispiel Nasentropfen bzw. Nasenspray bei
Erkältungskrankheiten, hustendämpfende und -lösende
Mittel sowie Abführmittel. Unter den meistverordneten
Medikamenten des Jahres 2003 findet man – bis zu
Platz 80 – kein Mittel, das der Behandlung schwerwie-
gender chronischer Erkrankungen dient. Die Verschrei-
bungspraxis vor der Gesundheitsreform zeigt ein großes
Potenzial an Mitnahmeeffekten. So viel Nasenspray, wie
hier verordnet wurde, verträgt keine Kindernase. Auch
die Wirkung von Schleimlösern entspricht nicht zwin-
gend den Maßgaben evidenzbasierter Medizin. Das
heißt, viele dieser auf Kosten der Solidargemeinschaft
verordneten Bagatellarzneimittel haben wenig bis gar
keinen Nutzen. Das hat meine Kollegin schon betont.
Wir setzen uns für eine qualitätsgesicherte Versor-
gung ein, die selbstverständlich von der Solidargemein-
schaft getragen werden muss, und das unabhängig von
einer bestimmten Altersgrenze. Aber wir wollen keine
Öffnung der getroffenen OTC-Regelung. Was würde die
Umsetzung Ihres Vorschlags kosten, nicht verschrei-
bungspflichtige Arzneimittel bis zum 18. Lebensjahr auf
Kosten der Kassen zu verordnen? Herr Zöller, Sie erwe-
cken den Eindruck, dass man die Erfüllung Ihrer gefor-
derten Änderungswünsche im OTC-Bereich bezahlen
könnte, weil wir Einsparungen in Höhe von
1,4 Milliarden Euro erreicht hätten. Das ist aber falsch;
denn die Zahl 1,4 Milliarden Euro bezieht sich auf den
Rückgang des OTC-Umsatzes zu Apothekenverkaufs-
preisen. Das effektive Einsparpotenzial liegt aber nicht
bei 1,4 Milliarden Euro, weil man noch die Zuzahlungen
abziehen muss. Wenn man das tut, kommt man auf
1 Milliarde Euro. Das ist genau das Einsparziel, das wir
errechnet haben.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu Ihren Aussa-
gen über die enterale Ernährung sagen. Sie haben vor-
geschlagen, dass wir das beurteilen sollten. Das finde ich
sehr schwierig; denn es gibt bereits einen Gemeinsamen
Bundesausschuss, der diese Aufgabe zu erfüllen hat.
Dieser Ausschuss ist besser ausgestattet als jemals zu-
vor. Ihm steht ein Institut für Qualitätssicherung zur
Seite, das zuarbeitet. Ich denke, das Bundesministerium
hat zwar die Rechtsaufsicht, kann aber keine Fachauf-
sicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss haben.
Das möchte ich noch einmal herausstellen.
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Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 12: Wir kommen zur Abstim-
ung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
ür Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache
5/5364 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit
em Titel „Wirkungen und Nebenwirkungen des GKV-
odernisierungsgesetzes – Kritische Bestandsauf-
ahme“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
rucksache 15/4135 abzulehnen. Wer stimmt für diese
eschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
en? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
er Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Ent-
altung der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 8: Interfraktionell wird Überweisung des
esetzentwurfs auf Drucksache 15/5318 an die in der
agesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
er Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten
Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
– Drucksache 15/4977 –
a)Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen
– Drucksache 15/5309 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Gero Storjohann
– Drucksache 15/5310 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16175
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Uwe Göllner
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Andreas Pinkwart
Die Redner Wolfgang Spanier, Gero Storjohann,
Renate Blank, Franziska Eichstädt-Bohlig, Joachim
Günther und die Parlamentarische Staatssekre-
tärin Iris Gleicke haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Wohngeldgesetzes, Drucksache 15/4977. Der
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/5309, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und FDP bei Gegenstimmen der CDU/CSU
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit demselben Abstimmungsergebnis wie
in der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a bis 14 d auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Dietrich
Austermann, Steffen Kampeter, Ilse Aigner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Konversionsregionen stärken – Verbilligte Ab-
gabe von zu Verteidigungszwecken nicht mehr
benötigten Liegenschaften ermöglichen
– Drucksachen 15/4531, 15/4767 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Brinkmann
Anja Hajduk
Jürgen Koppelin
Dietrich Austermann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Dagmar Wöhrl, Anita Schäfer , Karl-
Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Konversionsregionen stärken – Sechs-Punkte-
Plan zur Strukturpolitik
– Drucksachen 15/4029, 15/4789 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Fuchs
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1) Anlage 6 2)
richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Bernhard
Brinkmann , Ernst Bahr (Neurup-
pin), Lothar Binding , weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Anja Hajduk, Volker Beck ,
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Bewältigung der Konversionslasten durch ge-
meinsame Anstrengungen von Bund, Ländern
und Kommunen
– Drucksachen 15/4520, 15/4766 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin
Bernhard Brinkmann
Anja Hajduk
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses
zu dem Antrag der Abgeordneten Helga Daub,
Angelika Brunkhorst, Günther Friedrich Nolting,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung
und Schließung betroffenen Bundeswehr-
standorte ist unverzichtbar
– Drucksachen 15/1022, 15/4768 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Brinkmann
Dietrich Austermann
Anja Hajduk
Jürgen Koppelin
Die Redner Bernhard Brinkmann , Anita
chäfer , Alexander Dobrindt, Winfried
achtwei und Gudrun Kopp haben ihre Reden zu Proto-
oll gegeben.2)
Tagesordnungspunkt 14 a: Beschlussempfehlung des
aushaltsausschusses auf Drucksache 15/4767 zu dem
ntrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kon-
ersionsregionen stärken – Verbilligte Abgabe von zu
erteidigungszwecken nicht mehr benötigten Liegen-
chaften ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt, den
ntrag auf Drucksache 15/4531 abzulehnen. Wer stimmt
ür diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent-
altungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
en der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU
nd der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 b: Beschlussempfehlung des
usschusses für Wirtschaft und Arbeit auf
rucksache 15/4789 zu dem Antrag der Fraktion der
DU/CSU mit dem Titel „Konversionsregionen stär-
en – Sechs-Punkte-Plan zur Strukturpolitik“. Der Aus-
chuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4029
bzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Anlage 7
16176 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der CDU/CSU und Enthaltung der FDP angenom-
men.
Tagesordnungspunkt 14 c: Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses auf Drucksache 15/4766 zu dem
Antrag der Fraktion der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen mit dem Titel „Bewältigung der Konver-
sionslasten durch gemeinsame Anstrengungen von
Bund, Ländern und Kommunen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4520 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 d: Beschlussempfehlung des
Haushaltsausschusses auf Drucksache 15/4768 zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Hilfe durch
den Bund für die von Reduzierung und Schließung betrof-
fenen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1022
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegen-
stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Rolf Bietmann,
Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Keine weitere Verzögerung in der Frage der
Entsorgung nuklearer Abfälle
– Drucksachen 15/3492, 15/4889 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Dr. Rolf Bietmann
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Martina Eickhoff, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum
wiederholten Mal über die Entsorgung bzw. Endlage-
rung nuklearer Abfälle. Sie werden mir zustimmen
– oder auch nicht –, dass wir hier ein schweres Erbe der
früheren Regierungskoalition zu tragen haben,
vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass die Frage
der Entsorgung während der Anfänge der Kernenergie-
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Sie werfen der Bundesregierung in Ihrem Antrag vor,
ie Verantwortung in dieser Frage auf kommende Gene-
ationen zu verschieben.
as ist, wie Sie sehr wohl wissen, nicht der Fall.
Ein gutes Beispiel für das Verantwortungsbewusst-
ein dieser Regierungskoalition ist meiner Meinung
ach der eingeleitete Ausstieg aus der Atomenergienut-
ung.
Ich möchte zum Thema Verantwortungsbewusstsein
us der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und
en Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000
itieren. In Anlage 4 heißt es:
Gemäß § 9 a Abs. 3 des Atomgesetzes hat der Bund
die gesetzliche Aufgabe, Anlagen zur Endlagerung
radioaktiver Stoffe einzurichten. Die Bundesregie-
rung bekennt sich zu dieser Aufgabe und erklärt,
dass sie die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um
unbeschadet des Ausstiegs aus der Kernenergie die
benötigten Endlagerkapazitäten für radioaktive Ab-
fälle rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.
ei dieser Erklärung handelt es sich nicht um ein bloßes
ippenbekenntnis.
Der durch die Bundesregierung initiierte „Arbeits-
reis Auswahlverfahren Endlagerung“ ist ein weiterer
eweis für die engagierte Arbeit der Bundesregierung
erade in der Endlagerungsfrage,
nd das unter dem für die heutige Generation wichtigen
spekt der Sicherheit.
ass die Einsetzung und die Arbeit des so genannten Ak
nd als Verzögerungsstrategie bezeichnet wird, kann ich
icht nachvollziehen.
Gern weise ich daraufhin, dass für uns als SPD-Frak-
ion grundsätzlich das Verursacherprinzip an vorderster
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16177
)
)
Martina Eickhoff
Stelle steht. Wir haben die unausweichliche Pflicht, die
national verursachten Nuklearabfälle in Deutschland und
nirgendwo sonst zu entsorgen. Das ist unser erklärtes
Ziel. Wir können und wollen diese Verantwortung nicht
an Dritte abgeben. Dafür müssen wir gemeinsam auf
eine sicherheitspolitisch sinnvolle und wissenschaftlich
fundierte Lösung der Endlagerung hinarbeiten. Schnell-
schüsse helfen uns in Anbetracht der bisher nicht ausge-
räumten Zweifel bezüglich der Endlagerung nuklearer
Abfälle nicht weiter.
Insofern ist die Eile, die in Ihrem Antragstitel vorge-
täuscht wird, nicht nachzuvollziehen. Die Realisierung
eines Endlagers muss auf der Basis aller zur Verfügung
stehenden Erkenntnisse der Wissenschaft bis zum Jahr
2030 erfolgen. Ein dringendes, weil Mensch und Um-
welt betreffendes Problem liegt – darüber sind wir uns
sicherlich einig – in jedem Fall vor.
Meine Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion,
Sie schreiben im Feststellungsteil Ihres Antrags:
Die dezentralen Zwischenlager … drohen infolge
der Politik der Bundesregierung zu „Quasi-Endla-
gern“ zu werden.
Diese Behauptung ist nicht haltbar. Sie entspricht nicht
dem politisch vereinbarten Kurs der Regierungskoali-
tion.
Ich zitiere aus der Koalitionsvereinbarung vom
20. Oktober 1998:
Die Zwischenlager werden nicht zum Zweck der
Endlagerung genutzt.
An diesem Grundsatz halten wir fest.
Wie Sie wissen ist die Genehmigung von Zwischenla-
gern befristet. Weiter sieht der Zeitplan vor, dass bis zum
Jahr 2030 ein Endlager für nukleare Abfälle bereitge-
stellt wird.
Ich möchte jetzt noch auf einzelne Antragspunkte ein-
gehen. Eine Forderung des zu beratenden Antrags lautet,
Schacht Konrad ohne weitere Verzögerung auszubauen
und „schnellstmöglich“ in Betrieb zu nehmen. Der Be-
griff schnellstmöglich ist meiner Meinung nach eher re-
lativ. Hierzu heißt es in der Antwort der Bundesregie-
rung vom 26. Januar 2005 auf die Kleine Anfrage der
Fraktion der FDP mit dem Titel „Vorstellungen der Bun-
desregierung zur Suche nach einem Endlager für radio-
aktive Abfälle“ – das ist die Drucksache 15/4729 –:
Eine Inbetriebnahme von Schacht Konrad als End-
lager ist kurzfristig nicht möglich. Derzeit ist der
Planfeststellungsbeschluss nicht vollziehbar.
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der welche Öffentlichkeit sprechen Sie in diesem Fall
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Grundsätzliche Erfahrungen zeigen doch, dass die
enschen die Nähe zu Atomkraftwerken eher meiden,
etreu dem Prinzip: Aber nicht in meiner Nachbarschaft!
as trifft in erhöhtem Maße für Endlager zu. Ich meine
uch, dass die wiederkehrenden Demonstrationen gegen
tommülltransporte zeigen, was die Menschen in
eutschland über Atomenergie und ihre Folgen denken.
ie halten sie für äußerst gefährlich und lehnen sie des-
alb ab.
enauso lehnen wir Ihren Antrag ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Kollegin Eickhoff, Sie sind in den Deutschen
undestag nachgerückt und hielten heute Ihre erste
ede. Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hohen Hauses
echt herzlich und wünsche Ihnen persönlich alles Gute.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Rolf
ietmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
rau Eickhoff, Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. Ich
abe sie mit Interesse gehört, aber ich muss Ihnen
leichwohl direkt am Anfang widersprechen.
16178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Dr. Rolf Bietmann
Dass Sie beklagen, dass die Frage der Entsorgung ver-
schleppt worden ist, ist geradezu ein Witz. Denn in der
Tat: Seit es die rot-grüne Bundesregierung gibt, also mit-
hin seit 1998, tut sich in der Frage der Entsorgung des
atomaren Mülls in Deutschland überhaupt nichts mehr.
Dass Sie das dann noch beklagen, ist schon recht interes-
sant. Aber sei es drum.
Jedenfalls ist die Diskussion um die weitere friedli-
che Nutzung der Kernenergie in Deutschland unverän-
dert bedeutsam. Dabei geht es immer auch um die Frage,
wie atomarer Müll in Verantwortung für zukünftige Ge-
nerationen sinnvoll entsorgt werden kann. Dieses Thema
stellt sich unabhängig davon, ob man nun für eine wei-
tere Nutzung der Kernenergie eintritt oder nicht. Das
Thema eignet sich von daher nicht für ideologisch moti-
vierte Auseinandersetzungen. Es geht vielmehr um die
Frage, wie wir die Entsorgung gegenüber heutigen und
künftigen Generationen lösen können.
Dabei können wir nicht übersehen, dass sich in den
Landessammelstellen, in den zentralen und in den de-
zentralen Zwischenlagern heute oberirdisch große Men-
gen nuklearen Abfalls sammeln. Allein in Karlsruhe
lagern etwa 60 Prozent der anfallenden leicht- und mit-
telradioaktiven Stoffe oberirdisch. Die baden-württem-
bergische Landesregierung hat wiederholt darauf hinge-
wiesen, dass eine Regelung der Entsorgung unabdingbar
notwendig ist, da die dort vorhandenen atomaren Abfälle
aufgrund ihrer Verpackung lediglich bis etwa 2010 im
derzeitigen Zustand belassen werden können.
Es handelt sich hierbei um nukleare Abfälle, die im
Wesentlichen nicht aus Kernkraftwerken stammen. Es
geht vielmehr um Abfälle aus Forschung und Wissen-
schaft und insbesondere aus der Medizin.
Niemand wird bestreiten wollen, dass die Nutzung von
Kernenergie im Bereich der wissenschaftlichen For-
schung für den Fortschritt der medizinischen Versorgung
für uns alle von allerhöchster Bedeutung ist. Wir alle ha-
ben heute den Nutzen vom Einsatz radioaktiver Stoffe.
Darum sind wir alle selbstredend verpflichtet, die Ent-
sorgung der Abfälle sicherzustellen.
Darum brauchen wir dringend ein stimmiges Konzept
zur Lösung der Entsorgung. Ein solches Konzept gibt es.
Jedenfalls ist es bis 1998 konsequent verfolgt worden.
Getragen von einem breiten politischen Konsens, über
Parteigrenzen hinweg, wurde seit den 70er-Jahren an der
Lösung dieses Themas gearbeitet. Der von Deutschland
bis dahin beschrittene Weg galt international als vorbild-
lich. Ergebnis dieser Planungen war das so genannte
Zwei-Endlager-Konzept.
Für den Schacht Konrad wurde ein Planfeststellungs-
verfahren als Endlager für schwach- und mittelradioak-
tive Abfälle auf den Weg gebracht. Dieses ist seit 2002
abgeschlossen. In Gorleben fanden mit finanziellem
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Jetzt komme ich zu dem eigentlich politischen Punkt.
leichzeitig versucht man, die Bürger mit der Behaup-
ung zu verunsichern, die Endlagerung atomarer Stoffe
ei nicht lösbar. So haben auch Sie es formuliert, Frau
ollegin. Damit rechtfertige sich der Atomausstieg.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16179
)
)
Dr. Rolf Bietmann
Hier wird zielgerichtet an einem Argument für den
Atomausstieg festgehalten, obwohl man dieses Argu-
ment durch eine konsequente Fortsetzung der bislang be-
schlossenen Endlagerpolitik selbst entkräften könnte.
Genau das will man aber nicht. Es passt nicht in das rot-
grüne Weltbild vom Ausstieg aus der Nutzung der Kern-
energie. Ein solches, rein politisch-ideologisch gefärbtes
Verhalten ist mit Blick auf die Interessen der Bürgerin-
nen und Bürger unverantwortbar.
Wenn selbst der BUND in der „Süddeutschen Zei-
tung“ vom 15. April 2005 rügt, dass die Bundesregie-
rung die dringend erforderliche Endlagersuche ver-
schleppe, dann spricht dies für sich. Die These, man
werde bis 2030 ein Endlager haben, wird durch noch so
häufiges Wiederholen nicht richtiger. Wissenschaftlich
ist längst nachgewiesen, dass unter Berücksichtigung der
Auswahlkriterien ein Endlager frühestens um 2050 zur
Verfügung stehen könnte.
Die Endlagerpolitik dieser Bundesregierung führt in
eine gefährliche Sackgasse. Steht nämlich kein Endlager
zur Verfügung, müssen die Abfälle zwangsläufig, wei-
terhin in oberirdischen Zwischenlagern verteilt, im Bun-
desgebiet bleiben. Die daraus entstehenden Sicherheits-
risiken potenzieren sich zum Nachteil der Bürgerinnen
und Bürger.
Die Bundesregierung schafft damit sehenden Auges ein
Gefahrenpotenzial für diese und künftige Generationen,
nur weil ihr an der Lösung der Endlagerfrage nicht gele-
gen ist.
CDU und CSU stehen zu ihrer Verantwortung. Das wird
durch unsere Initiative dokumentiert.
Unsere wichtigsten Forderungen an die Bundesre-
gierung lauten: Erstens. Kehren Sie zur erprobten Zwei-
Endlager-Strategie zurück, die international anerkannt
ist und akzeptiert wird!
Zweitens. Nehmen Sie den Schacht Konrad in Be-
trieb! Das ist unabdingbar notwendig, um die oberir-
disch lagernden mittel- und leichtradioaktiven Abfälle
sicher verschließen zu können. Wer zulässt, dass diese
Abfälle weiterhin oberirdisch gelagert und nach dem
Jahr 2010 nochmals verpackt werden, der potenziert die
möglichen Gefahren, nur weil er aus politisch-ideologi-
schen Erwägungen nicht bereit ist, endlich die notwendi-
gen Entscheidungen zu treffen. Das werden sich die Bür-
ger merken.
Drittens. Heben Sie das Gorleben-Moratorium auf.
Das seit fünf Jahren ohne sachlichen Grund bestehende
Moratorium für den Salzstock Gorleben kann so nicht
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ann könnten wir dieser Generation und den folgenden
enerationen ein schlüssiges Konzept anbieten.
Meine Damen und Herren, wir können es uns wahr-
aft nicht länger erlauben, die Endlagerfrage aus poli-
isch-ideologischen Gründen auszublenden. Die Bundes-
egierung und die sie tragenden Parteien müssen ihrer
erantwortung gerecht werden. Eine Verzögerungspoli-
ik verlagert die bestehenden Probleme in die Zukunft
nd schafft zusätzlich beträchtliche Gefährdungspoten-
iale, gegen die sich die Menschen mit Recht zur Wehr
etzen.
Die Bundesregierung bzw. Minister Trittin ist aufge-
ordert zu handeln. Wenn er dieser Verantwortung nicht
erecht wird, werden wir ihn im Deutschen Bundestag
nd gegenüber der deutschen Öffentlichkeit fortlaufend
tellen. So entlassen wir ihn nicht aus seiner Verantwor-
ung. Er kann nicht auf der einen Seite mit dem Argu-
ent, wir könnten die Endlagerfrage nicht lösen, für den
usstieg aus der Kernenergie eintreten, auf der anderen
eite aber alle Anstrengungen, die unternommen werden
önnten, verhindern, um die Endlagerfrage zu lösen. Das
st eine Politik, die in sich widersprüchlich ist. Das wer-
en wir für die Bürgerinnen und Bürger fortlaufend do-
umentieren.
Nächster Redner ist der Kollege Horst Kubatschka,
PD-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren!
iebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bietmann, Sie
aben gerade so getan, als könnte Gorleben sofort in
etrieb genommen werden.
ie haben gesagt: „Nehmen Sie … in Betrieb.“ Auch Sie
issen, dass wir noch Hunderte von Millionen Euro in-
estieren müssen, um dieses Vorhaben zu beenden.
as dauert noch Jahre. Aus einer sofortigen Inbetrieb-
ahme wird also nichts.
16180 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Horst Kubatschka
Was ist mit Gorleben, Herr Kollege?
Falls Gorleben nicht geeignet ist, dann sind wir auf dem
gleichen Stand wie jetzt.
– Ja, natürlich. –
In diesem Fall hätten wir Millionen Euro in den Sand
bzw. in Salz gesetzt, also sinnlos Geld aus dem Fenster
geworfen. Auch wissen Sie, dass darüber nachgedacht
wird, ob außer Salz noch andere Würzgesteine infrage
kommen. Darüber wird von internationalen Wissen-
schaftlern nach wie vor diskutiert. Nehmen Sie das bitte
zur Kenntnis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie werden sicherlich nicht darüber erstaunt sein, dass
wir Ihren Antrag ablehnen; mit diesem Antrag wollen
Sie ja auch keine andere Mehrheit erreichen.
Schon der Inhalt Ihrer ersten Forderung, die Bundesre-
gierung solle sich endlich ihrer Verantwortung für die
Endlagerung nuklearer Abfälle stellen und diese nicht
auf kommende Generationen verschieben, ist falsch. In
den 16 Jahren Ihrer Regierungsverantwortung ist auf
diesem Gebiet nichts Entscheidendes geschehen.
Jahrzehntelang wurden die Probleme der Endlagerung
auf die zukünftigen Generationen geschoben. Für diese
Probleme gibt es nicht nur in Deutschland, sondern welt-
weit keine Lösung. Dies war einer der Gründe, warum
die rot-grüne Koalition die Nutzung der Atomkraft nicht
mehr für verantwortbar hielt und den Atomausstieg ein-
geleitet hat.
Vor knapp zwei Wochen veröffentlichte das Bundes-
amt für Strahlenschutz die Daten über die im Jahre 2004
in deutschen Kernkraftwerken erzeugte Strommenge
und stellte fest, dass bereits fast ein Drittel des Atomaus-
stiegs geschafft ist. Vom 1. Januar 2000 bis zum
31. Dezember 2004 sind knapp 31 Prozent der im Atom-
konsens festgelegten Gesamtstrommenge produziert
worden; wahrlich eine schöne Nachricht. Weiter meldet
das Bundesamt für Strahlenschutz, dass das Kernkraft-
werk Obrigheim vermutlich im Mai dieses Jahres
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brigheim ist derzeit das älteste von insgesamt 18 noch
etriebenen Kernkraftwerken; es ging 1968 in Betrieb.
ach dem Kernkraftwerk Stade, das im November letz-
en Jahres vom Netz ging, ist es das zweite Kernkraft-
erk, das im Rahmen des vereinbarten Atomausstieges
om Netz gehen wird.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
ollen eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke.
ie wollen damit das Problem des hochradioaktiven
ülls noch weiter vergrößern. In Ihrem Antrag schrei-
en Sie:
Die dezentralen Zwischenlager … drohen … zu
„Quasi-Endlagern“ zu werden.
as ist Panikmache. Deswegen können wir Ihrem An-
ag nicht zustimmen. Die Nutzungsdauer der Zwischen-
ager an den Kernkraftwerksstandorten wurde zeitlich
uf maximal 40 Jahre begrenzt.
amit wurde die Voraussetzung dafür geschaffen, dass
us den Zwischenlagern keine faktischen Endlager wer-
en.
nd Sie wissen ganz genau: Mit den Zwischenlagern
ntfallen die umstrittenen und auch gefährlichen inner-
eutschen Castortransporte nach Gorleben und nach
rhus.
it unserem Ausstiegsgesetz wurde auch die Entsor-
ung radioaktiver Abfälle ab 1. Juli dieses Jahres auf die
irekte Endlagerung beschränkt. Transporte zur Wieder-
ufbereitung nach La Hague in Frankreich und nach
ellafield in Großbritannien sind also nur noch bis zum
0. Juni zulässig; wiederum eine schöne Meldung.
Die Opposition will allerdings weiterhin allen Ernstes
en strahlenden Müll durch Deutschland fahren und ihn,
ie es früher üblich war, im Ausland zwischenlagern.
eine Damen und Herren von der Opposition, erzählen
ie uns nichts von Verantwortung gegenüber den kom-
enden Generationen!
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16181
)
)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir reden hier zum wieder-
holten Male über die Endlagerung radioaktiver Abfälle.
– Herr Kubatschka, dass wir hier immer noch darüber re-
den müssen – Jahre nachdem Sie den Ausstieg aus der
Atomenergie vereinbart haben –, ist ein Armutszeugnis
für die Bundesregierung; sie hätte längst einen Gesetz-
entwurf vorlegen müssen, um ein Endlager festzulegen.
Bezüglich der Frage, ob wir ein oder zwei Endlager
brauchen, sagen Sie immer, man müsste sich darüber
einmal unterhalten. Dabei haben Sie dem AK End – aus
ideologischen Gründen – klar ein Ein-Endlager-Kon-
zept vorgegeben. Bis 1998 haben wir in Deutschland da-
gegen ein Zwei-Endlager-Konzept verfolgt: zum einen
für hochradioaktive Abfälle – damals mit Blickrichtung
Gorleben –, zum anderen für schwach- und mittelradio-
aktive Abfälle – mit dem Schacht Konrad. Es gibt keinen
anderen Staat, der nur ein Endlager vorsieht. Alle Exper-
ten sagen uns eindeutig, dass wir die beiden Abfallarten
unterschiedlich behandeln müssen und die hochradioak-
tiven von den schwach- und mittelradioaktiven trennen
müssen. Genau daran wollen wir anknüpfen und genau
hier fordern wir die Bundesregierung auf, das, was schon
an Erkundung vorgenommen wurde, fortzusetzen, um
endlich zu einem Endlager, um endlich zu einer Lösung
zu kommen.
Seit dem Koalitionsvertrag aus dem Jahre 1998 hat
sich im Prinzip sieben Jahre lang nichts getan. Damals
haben Sie apodiktisch erklärt, dass ein einziges Endlager
ausreicht und dass das bis etwa 2030 einsatzbereit sein
soll. Der vom Umweltminister eingesetzte AK End hat
selbst gesagt, dass allerspätestens im letzten Jahr ein Ge-
setzentwurf im Deutschen Bundestag hätte verabschie-
det werden müssen, wenn man diesen Zeitplan auch nur
annähernd hätte erreichen wollen. Sie haben hier im
Deutschen Bundestag nichts vorgelegt. Sie haben das
nicht deshalb versäumt, weil Sie es nicht hinbekommen
haben, sondern weil Sie es bewusst verzögern und ver-
schleppen. Sie müssen sich gefallen lassen, dass wir Ih-
nen das vorhalten. Es ist Tatsache, dass Sie keinerlei In-
teresse daran haben, in Deutschland wirklich ein
Endlager zu errichten,
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Es ist ganz klar und eindeutig: Sie spielen auf Zeit
nd verschieben das Problem der Endlager auf zukünf-
ige Generationen. Ich sage Ihnen klar und eindeutig:
as, was Sie hier tun, ist verantwortungslos, liebe Kolle-
innen und Kollegen von Rot-Grün.
Wir haben natürlich nicht nur die Frage nach der La-
erung der hochradioaktiven Abfälle, sondern auch die
er schwach- oder mittelradioaktiven Abfälle zu beant-
orten. Hier ist die Situation so: Zwei Drittel dieser Ab-
älle – das betrifft jetzt den Schacht Konrad – kommen
us dem Verantwortungsbereich des Bundes, sprich: aus
orschungseinrichtungen des Bundes. Nicht umsonst hat
hre Bundesbildungs- und -forschungsministerin, Frau
ulmahn, klar und eindeutig darauf hingewiesen, welche
efahren dadurch drohen, dass dieses Lager, der
16182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Birgit Homburger
Schacht Konrad, nicht zur Verfügung steht und dass zwi-
schengelagert und umkonditioniert werden muss, wo-
durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer zusätz-
lichen Strahlenbelastung ausgesetzt werden. Auf der
einen Seite werden Sie dadurch Ihrer Verantwortung ge-
genüber diesen Mitarbeitern nicht gerecht und auf der
anderen Seite produzieren Sie hohe Kosten. Das hat Ih-
nen der Bundesrechnungshof nicht ohne Grund gesagt.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Die
Endlagerpolitik unter Federführung von Bundesumwelt-
minister Jürgen Trittin ist nicht zielgerichtet. Sie ist in-
transparent und mit erheblichen Kostenrisiken behaftet.
Mit anderen Worten: Sie ist eine glatte Katastrophe und
geht zulasten zukünftiger Generationen. Wir wollen das
ändern. Deswegen werden wir dem Antrag der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion zustimmen.
Vielen Dank.
Die Kollegin Marianne Tritz, Bündnis 90/Die
Grünen, und der Kollege Wilhelm Schmidt, SPD-Frak-
tion, haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Deswe-
gen rufe ich als letzten Redner in dieser Debatte den
Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion, auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der
Rede der Kollegin Homburger sind mir ein paar Stich-
punkte durch den Kopf gegangen: Die Politik der Bun-
desregierung in Sachen Entsorgung ist teuer, sinnlos,
falsch und verlagert die Verantwortung auf kommende
Generationen.
Verehrte Kollegin Eickhoff, ich lade Sie als Bergbau-
ingenieurin herzlich ein, mit mir in den Salzstock einzu-
fahren, und zwar nicht an einem Sonntag – darüber ha-
ben wir nie geredet –, sondern – die nächsten Termine,
die Herr König genannt hat, sind der 22./23. Juni dieses
Jahres – an einem Wochentag.
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E1) Anlage 8
azu kann ich Ihnen nur sagen: Ihnen als junger Kolle-
in, die sich mit der Geschichte nicht beschäftigt hat,
ehe ich es nach, dass sie hier eine solche Rede halten.
Ich habe das an ihrer Rede gemerkt, Frau Mehl. Wer
er Union die Formulierung „schnellstmöglich in Be-
rieb zu nehmen“ zum Schacht Konrad vorwirft, weiß
icht, dass im Jahre 1990 auf Wunsch des ehemaligen
ordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau mit
ustimmung des jetzigen Bundeskanzlers und damali-
en Ministerpräsidenten in Niedersachsen ein Beschluss
ustande gekommen ist, in dem steht: Der Bund wird
ufgefordert, für nichtwärmeentwickelnde Abfälle
chnellstmöglich ein Endlager, Konrad, zur Verfügung
u stellen. – Diese Formulierung hat im Oktober 1990
err Rau zusammen mit Herrn Clement eines Abends
m Kamin zur schriftlichen Abstimmung vorab gewählt,
amit keiner mehr diskutieren muss.
Sie haben von der Geschichte der SPD in Sachen
ernenergienutzung in Deutschland und der Frage der
ntsorgung auch nicht den Hauch einer Ahnung. Die Si-
uation im Zwischenlager Gorleben, im Schacht Konrad
nd im Zwischenlager Ahaus ist die Folge der Politik ei-
er SPD-geführten Bundesregierung vom Ende der 60er-
ahre bis zum Ende der 70er-Jahre. Nichts anderes ist die
ahrheit.
Ja, auch darüber reden wir, Frau Mehl. Der Punkt ist,
ass wir 1979, 1981 und 1990 im Konsens mit den Mi-
isterpräsidenten von SPD, CDU und CSU genau diese
olitik, die sich an diesen Standorten manifestiert, ein-
timmig beschlossen haben. Wir haben diese Beschlüsse
mgesetzt. Es ist doch nicht so, dass wir uns dieser Ver-
ntwortung nicht gestellt haben. Das wissen Sie doch
anz genau. Genauso müssen Sie wissen, dass die Mär,
ass am Anfang der Kernenergienutzung niemand über
ntsorgung nachgedacht hat, schlicht und einfach falsch
st.
In den 60er-Jahren sind in Deutschland 225 Standorte
issenschaftlich miteinander verglichen worden. Das
rgebnis waren die fünf Salzstöcke in Gorleben. Ich
ollte es heute eigentlich nicht sagen, aber ich will es
un doch aussprechen: Nach dem Regierungswechsel in
iedersachsen sind Ihre Bundesminister im November
976 bei Ernst Albrecht von der Minderheitsregierung
ewesen und haben erklärt: Wir wollen in 14 Tagen die
inlösung der Zusage von Herrn Kubel, SPD, für den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16183
)
)
Kurt-Dieter Grill
Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum. – Das
bezog sich nicht nur auf ein Endlager, sondern auf
1 400 Tonnen Nuklearabfall für die Wiederaufarbeitung
und 55 000 Megawatt geplante Kernenergie der Regie-
rung Schmidt in Deutschland. Das ist Ihre und nicht un-
sere Politik gewesen.
– Entschuldigung, Sie reden doch dauernd darüber – die-
ses Spiel haben Sie auch heute Abend gespielt –, hier sei
etwas verschleppt worden. Nein, wir haben Ihre Politik
mitgetragen. Dessen schämen wir uns auch nicht.
Sie haben das, was in der Republik Konsens war, 1998
aufgekündigt, ohne eine Alternative zur Verfügung zu
stellen. Das ist der entscheidende Punkt.
Was Sie mit Ihrer Vergangenheit machen, mag mir
egal sein. Aber Sie haben uns in Lüchow-Dannenberg
eine Verantwortung aufgebürdet, über die der Kanzler
Schmidt gesagt hat: Die knorrigen Eichen aus dem
Wendland tragen die Last der Entsorgung in Deutsch-
land. – Das war das Lob der SPD für die Kommunalpoli-
tiker in Lüchow-Dannenberg.
Ihre Bilanz nach sieben Jahren ist –
– Herr Tauss ist da!
Ich hatte irgendetwas vermisst,
wahrscheinlich Zwischenrufe. Ich habe aber nichts über
die Qualität der Zwischenrufe gesagt.
Vergegenwärtigen wir uns doch einmal, was vor dem
Regierungswechsel und auch noch kurz danach gesagt
worden ist: kriminelle Abfallschieberei – Originalton
von Trittin im Bundestag. Sie machen es. Früher waren
es Merkels Transporte. Heute sind Sie so klein mit Hut
vor Ort. Heute sprechen Sie nicht mehr von Trittin-
Transporten, aber es sind Trittin-Transporte. Sie nutzen
die Entsorgungsstruktur, die in 30 Jahren aufgebaut wor-
den ist und die Sie kritisiert haben, ohne jede Scham
weiter. Wenn die Regierung rot und grün ist, dann ist al-
les sicher, wenn die Regierung aber schwarz ist, dann ist
das gleiche Bauwerk eine unsichere Angelegenheit. So
verlogen ist Ihre Argumentation.
– Sie, Herr Kubatschka, bauen ein anderes Problem auf.
Das haben Ihnen Frau Homburger und der Kollege
Bietmann nachgewiesen.
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Ach was, das hat doch mit der Wiederaufbereitung
ichts zu tun. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich als je-
and, der davon betroffen ist, bin durchaus froh, dass es
ezentrale Zwischenlager gibt. Das sage ich auch zum
rger mancher Freunde. Die dezentralen Zwischenlager
ind ein gesellschaftspolitischer Beitrag zur Entkramp-
ung der Transportsituation.
ber die Sicherheitsfrage hat sich damit überhaupt nicht
erändert.
ie müssen mir die Antwort auf die Frage geben, warum
nter Ihrer Regierung ein Endlager frühestens 2050 zur
erfügung steht.
Sie schaffen es nicht. Herr Kubatschka, der Kollegin
ickhoff sehe ich manches nach, weil ihr die Historie
icht bekannt ist.
ie als jemand, der lange genug in der sozialdemokrati-
chen Partei Verantwortung trägt, wissen ganz genau,
ass das, was Sie hier im Deutschen Bundestag vortra-
en, nicht der Wahrheit entspricht.
Glauben Sie eigentlich, dass Ihre sozialdemokrati-
chen Freunde im Samtgemeinderat in Gorleben alle
pinner sind, leichtsinnige Menschen?
ie haben zusammen mit meinen christdemokratischen
reunden in Gartow die Forderung gestellt, den Salz-
tock so schnell wie möglich zu untersuchen, damit die
enschen in Lüchow-Dannenberg wissen, woran sie
ind. Zu Ihrer Regierung kann ich nur sagen: Sie haben
lf Zweifel aufgeschrieben. Nach sieben Jahren Regie-
ung haben Sie nicht einen wissenschaftlichen Beleg für
ie Nichteignung von Gorleben vorgelegt.
as ist der Kern Ihrer Politik. Sie jagen den Leuten
ngst ein, haben aber keine Lösung; Sie machen sich
om Acker und nehmen Ihre Verantwortung für die Ent-
orgung der nuklearen Abfälle, die Sie selber mitverur-
acht haben, nicht wahr. Das ist der Vorwurf, den wir Ih-
en machen.
16184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 15/4889 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Keine weitere Verzögerung in
der Frage der Entsorgung nuklearer Abfälle“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3492
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Ge-
genstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Hans Büttner
, Reinhold Hemker, Lothar Binding
, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Volker Beck ,
Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN
Sportförderung in den auswärtigen Kultur-
beziehungen ausbauen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Riegert, Peter Letzgus, Günter Nooke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Sportförderung des Bundes im Ausland
stärken und als Teil der auswärtigen Kultur-
politik begreifen
– Drucksachen 15/1879, 15/2575, 15/4691 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dagmar Freitag
Klaus Riegert
Winfried Hermann
Detlef Parr
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Reinhold Hemker, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Ich habe mir seit Dienstag, seit der Veranstaltung
im Auswärtigen Amt „Global Players – Fußball, Globa-
lisierung und Außenpolitik“, Motto des 11. Forums Glo-
bale Fragen, wo ich Reiner Calmund, den früheren Ma-
nager von Leverkusen getroffen habe
– ja, und einiges mehr, wie du weißt, lieber Detlef –,
überlegt, dass wir, wenn wir zur Umsetzung unseres An-
liegens, das wir als SPD-Fraktion mit den Grünen vor
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16185
)
)
Reinhold Hemker
– Das ist mir klar. Deshalb sage ich auch, lieber Detlef
Parr: Wenn wir dafür werben, dann können wir auch
weltweit und verstärkt im Rahmen der Kulturarbeit da-
für werben – ich stehe ja auch dafür, dass wir das neu in
die Entwicklungszusammenarbeit einbringen – und vor
allen Dingen auch definieren, dass der Sport nicht nur et-
was mit Sportveranstaltungen zu tun hat, sondern einen
Beitrag zur Volksgesundheit in Deutschland leistet, aber
vor allen Dingen in den Ländern der Dritten Welt Krimi-
nalitätsprävention, Aidsprävention und vieles mehr be-
deutet.
Nicht von ungefähr heißt ja eine Werbekampagne:
„Kick Aids“. Darunter steht: Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit. Das ist die Ausführungsor-
ganisation für die Maßnahmen und Projekte der Ent-
wicklungszusammenarbeit Deutschlands. Da geht das
plötzlich, weil hier eine Verbindung zum deutschen Inte-
resse hergestellt wird: Werbung mit Fußball, Werbung
mit Weltmeisterschaft. Ich bin einmal gespannt, wie sich
das in den Jahren danach in vernünftigen Projekten nie-
derschlägt, die von Sportlern geleitet werden und die
dann auch Kinder, gerade jüngere Kinder, Mädchen und
Jungen, aus Ländern der so genannten Dritten Welt ein-
bezieht. Ich denke, dass es für uns wichtig ist, das im
Kontext beider Anträge – das sage ich ganz bewusst – zu
sehen. Es ist ganz klar: Wenn zwei solche Anträge vor-
liegen und in dem einen, lieber Klaus Riegert, lieber
Eberhard Gienger und lieber Detlef Parr, die Bundesre-
gierung meiner Meinung nach unberechtigterweise kriti-
siert wird, dann können wir, die Fraktionen von Grün
und Rot, diesem Antrag nicht zustimmen, sondern wer-
den mit unserem deutlich machen, dass wir Kontinuität
in diesem Denk- und damit letztlich Handlungsansatz
wollen. Wir wollen dieses Thema wieder in den Gesamt-
kontext von Außen- und Entwicklungspolitik einbrin-
gen.
Im Übrigen sage ich an dieser Stelle, dass wir gerade
jetzt nach den positiven Erfahrungen der ersten Monate
des UNO-Jahres für „Sport and Physical Education“,
also des UNO-Jahres für Sport und – jetzt wird es wieder
schwierig, weil wir leider noch nicht das richtige deut-
sche Wort dafür gefunden haben – Körperertüchtigung,
Leibeserziehung oder wie auch immer, und nach den
vielen guten Projektvorschlägen von Landessportbün-
den, von Fachorganisationen, von entwicklungspoliti-
schen Aktionsgruppen heute schon absehen können,
dass wir am Ende des Jahres wahrscheinlich sagen kön-
nen, dass Deutschland, ausgehend von den Aktivitäten
von Nichtregierungsorganisationen unter Einbeziehung
des Sports, einen guten Beitrag leisten wird. Dann sind
die 700 000 Euro aus dem Etat des Innenministers gut
ausgegeben worden.
Vor dem Hintergrund unserer beiden vorliegenden
Anträge sage ich aber auch, dass ich befürchte, dass es
dann dabei bleibt. Das war dann eine einmalige Aktion,
eine Beteiligung an diesem UNO-Jahr. Danach erfolgt
dann nichts Weiteres; man zieht sich auf das zurück, was
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Danke, lieber Winfried, nicht nur im Kuratorium Natur
nd Sport, sondern auch in dieser Frage sind wir uns ja
eistens einig. Ich bedanke mich für diesen Einzelbei-
all, der, wie ich gesehen habe, aus seinem Herzen kam.
Ich hoffe, dass diese fantasievollen Ansätze in einem
reiten, partei- und fraktionsübergreifenden Bündnis in
ie Politik eingebracht werden. Vor einiger Zeit habe ich
er Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
ntwicklung und auch der zuständigen Staatssekretärin
inmal deutlich gemacht, an welchen Stellen heute
chon Methoden aus dem Bereich des Sportes einen her-
orragenden Beitrag bei der Grundbildung und bei der
rziehung von Kindern auch und gerade in der Armuts-
ituation leisten. In Südafrika gibt es Programme wie
Sport Against Crime“, die überall kommuniziert wer-
en. Das zum Beispiel ist Kriminalitätsprävention; es
ibt aber auch – ich sehe meine liebe Kollegin Gabi ge-
ade lächeln – Programme zur Gesundheitsprävention.
as gibt es also nicht nur bei uns, die wir uns jetzt auf
en Weg machen, Gesundheitsprävention wieder weiter
ach vorn zu bringen und mit Maßnahmen zu unterstüt-
en, sondern gerade auch in der Projektarbeit der Ent-
icklungsländer.
Die Experten der Gesellschaft für Technische Zusam-
enarbeit, unsere Entwicklungshelfer, die über den
eutschen Entwicklungsdienst ins Ausland gehen, und
ll diejenigen, die in den Entwicklungsprozessen in den
ändern mithelfen und die aus dem Bereich der Kirchen
der aus Nichtregierungsorganisationen kommen, sagen:
eist bitte die körperliche Ertüchtigung, die Körperer-
iehung und damit die Gesundheitserziehung wieder
ehr als elementaren Bestandteil nicht nur der Kulturar-
eit, sondern auch der Entwicklungszusammenarbeit
us.
Wir haben das in den Diskussionen im Fachausschuss
mmer wieder gesagt. Wenn es in Deutschland zu he-
ausragenden Veranstaltungen kommt, dann wird aber
mmer auf die einzelnen Maßnahmen gezeigt: „Kick
ids“, fair gehandelte Fußbälle, Streetfootball und was
a noch an schönen Bildern gekommen ist. Ich erinnere
n das schöne Bild von Bundestrainer Jürgen Klinsmann,
16186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
)
)
Reinhold Hemker
der einem jungen Burschen die Schuhe schnürt. Das sind
dann jedoch nur Werbemaßnahmen für dieses Jahr; aber
es gibt noch keine Nachhaltigkeit.
Ein letzter Punkt. Mein Wunsch ist, dass ich mich im
nächsten Jahr an einem Fußballprojekt in dem afrika-
nischen Land Sambia beteiligen kann, das von einem
jungen Burschen mit Vornamen Clement initiiert wird,
den ich auf der großen internationalen Konferenz in Bad
Boll kennen gelernt habe. Er verteilt überall da, wohin er
eingeladen wird, einen kleinen Ball, ein zusammenge-
schnürtes Plastikbündel, schwarz mit weißen Fäden.
Darauf steht „Football – a work for peace“. Er lädt ein,
im nächsten Jahr in Sambia – nicht in Deutschland – Ba-
sisfußballtuniere zu organisieren und diese Turniere
gleichzeitig mit Programmen gegen den Hunger zu ver-
binden. Wenn das funktioniert und davon sogar noch ein
Signal für unsere weitere Arbeit ausgeht, dann hat es
sich gelohnt, dass wir die vorliegenden Anträge einge-
bracht haben. Dann wird es sich auch lohnen, daran noch
ein bisschen weiter zu arbeiten.
Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gerlinde Kaupa,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Eigentlich könnte man das, worüber wir
heute Abend diskutieren, auf einen Nenner bringen:
Sportpolitik ist auswärtige Kulturpolitik und damit inte-
graler Bestandteil deutscher Außenpolitik – wenn da
nicht die Finanzen wären.
Integraler Bestandteil Ihrer auswärtigen Kulturpolitik
sind nicht kontinuierliche und in jedem Haushalt wieder-
kehrende Fördermittel, sondern ein Zusammenstreichen
der sowieso schon knapp bemessenen finanziellen Mit-
tel. So kann man unsere Kultur und – damit verbunden –
unsere Wirtschaftskraft nicht ins Ausland tragen. Sport-
ler sind positive Multiplikatoren, die auch Ihre Anerken-
nung brauchen.
Meine Damen und Herren von der Regierung – es ist
leider niemand von der Regierung anwesend; die sind
wohl alle zu Hause oder im Untersuchungsausschuss –,
ich will Ihnen sagen: Von nichts kommt nichts. Auch
Ihre Träume, Herr Kollege, die Sie in Bezug auf Sport
haben, müssen finanziert werden. Die deutsche Sportför-
derung ist das beste Beispiel dafür, dass mit geringem
Finanzaufwand stets eine große Wirkung erzielt wer-
den kann. Nehmen Sie unseren Rat an und schöpfen Sie
endlich wieder das Potenzial des Sports aus! Haben Sie
endlich wieder Vertrauen in die deutsche Sportförderung
im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik und nehmen
Sie Abstand von den permanenten Finanzstreichungen!
Es reicht!
2,7 Millionen Euro weniger haben Sie von 1998 bis
zum vergangenen Jahr, ausgehend von der Summe im
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Wir von der Union bitten Sie inständig: Lassen Sie
ie Sportförderung nicht in der Versenkung verschwin-
en! Das wollen Sie, liebe Sportkolleginnen und -kolle-
en von Rot-Grün, doch auch nicht. Aber da Ihr Außen-
inister schon genug Schlamassel am Hut hat,
rauchen Sie ihm mit der auswärtigen Sportförderung
icht auch noch zu kommen und Forderungen zu stellen.
war müssen Sie nun schon bei Ihrem Minister bleiben,
ber mal sehen, wie lange noch. Dann reden wir noch
inmal darüber. Vielleicht stimmen Sie dann einer Mit-
elaufstockung zu.
Lassen Sie mich kurz aus eigener Erfahrung sprechen.
ber Ostern war ich in Südafrika und habe mit Leuten
esprochen, die an Projekten im Sportbereich mitwirken.
ie Bundesländer bieten dort Projekte an – das gilt we-
iger für den Bund –, bei denen die Menschen angeleitet
erden, wie man beispielsweise Sportplätze baut. Das
st eine nachhaltige Sportpolitik, die wir unbedingt
achmachen müssen.
Zur gleichen Zeit war eine Jugendgruppe aus meinen
portkreis dort. Ich muss sagen, dass ich mehr Dialog
nd mehr Verständnis füreinander vorher noch nicht er-
ebt habe. Die Sportjugend war von der Gastfreundschaft
nd der Herzlichkeit der Südafrikaner so angetan, dass
er Abschied so manchem sehr schwer fiel. Bereits im
etzten Jahr waren die Südafrikaner bei uns in Nieder-
ayern zu Gast. Das Wiedersehen nach einem Jahr war
ombastisch.
Von diesen Erlebnissen und Erfahrungen werden die
ungen Sportler mit Sicherheit ein Leben lang erzählen.
as Fazit der Reise für alle Jugendlichen war: Es fand
as statt, was viele Politiker oft vergeblich versuchen,
ämlich die Verständigung zwischen den Kulturen
nd Rassen.
Bei uns daheim findet dieser Austausch bei allen An-
lang und positive Unterstützung. Familien, Kommunen
nd Sponsoren unterstützen diesen Austausch. Warum?
ie haben den Wert, die Werbung, die Wichtigkeit und
en Stellenwert des Sports erkannt. In Südafrika wird
ns gesagt, dass die deutsche Sportförderung viele posi-
ive Aspekte mit sich brachte und die Kinder und Ju-
endlichen sehr dankbar für dieses deutsche Engage-
ent sind.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16187
)
)
Gerlinde Kaupa
Denn die internationale deutsche Sportförderung holt
die Kinder von der Straße. Die Kinder blühen auf, wenn
sie in ihrem sportlichen Eifer gefördert werden und ihnen
eine Zukunftsperspektive gegeben wird. Sie profitieren
von dem geregelten Leben und verbessern ihre Lebenssi-
tuation. Das gilt übrigens auch für die Familienangehöri-
gen. Der sportliche Jugendaustausch trägt goldene
Früchte. Es gibt keine friedvollere Völkerverständigung
als den Jugendaustausch besonders im sportlichen Be-
reich. Die Sprache des Sports verstehen alle.
Doch das alles hilft nichts, wenn es keine langfristi-
gen Perspektiven ohne Unterbrechung gibt. Nur nach-
haltige Projekte zeigen wirklich in die Zukunft und hel-
fen. Kurzfristige Geldgaben bringen gar nichts. Für die
betroffenen Entwicklungsländer ist die Verlässlichkeit
und die Nachhaltigkeit der Sportförderung eine Ga-
rantie für den Auf- und Ausbau ihrer sportlichen Infra-
struktur und für die Aus- und Weiterbildung ihrer Sport-
ler. Andauernde Garantie bedeutet für die dortigen
Kinder und Jugendlichen, nach vorne blicken zu können
und einem Idol aus ihrem Land nachzueifern. Wichtig ist
hierbei auch die Sportförderung der Mädchen. Wenn wir
natürlich in erster Linie Fußball und Boxen anbieten,
können wir nicht damit rechnen, bei den Mädchen einen
großen Zulauf zu finden.
– Ich weiß, dass auch Mädchen Fußball spielen. Aber
schauen Sie sich einmal die Zahlen an! Der Deutsche
Turner-Bund hat viel eher Angebote für Mädchen. Wenn
man verschiedene Zielgruppen ansprechen will, muss
man auch verschiedenste Angebote machen.
Zum Schluss möchte ich an Sie appellieren: Hören
Sie endlich auf mit der planlosen Zusammenstreichung
des Etats und damit, so zu tun, als würden wir nicht be-
merken, wie wenig wichtig Ihnen die Kultur und der
Sport sind! Wir bemerken es doch und klopfen Ihnen im-
mer wieder auf die Finger.
Das Wort hat der Kollege Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Sportsfreunde! Lange ist der Sport verkannt worden.
Man hat übersehen, dass der Sport auch eine Dimension
auswärtiger Kulturpolitik darstellt. Vielleicht gab es zu
viele, die auf die traditionelle deutsche Kultur gesetzt
haben, als man auswärtige Kulturpolitik betrieben hat.
Es hat lange gedauert, bis man gemerkt hat, dass viele
Fußballer aus Deutschland im Ausland weit berühmter
sind als große Poeten, Lyriker oder auch Musiker.
Heute sehen wir, dass der Sport und die Sportler in er-
heblichem Maße das Bild Deutschlands und der Deut-
schen im Ausland prägen. Ich glaube, es ist klug, wenn
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enn Sport kann ganz offensichtlich Brücken schlagen.
urch Sport kann dazu beigetragen werden, dass Kon-
akte geknüpft werden, wie dies in anderen Kulturfor-
en so nicht möglich ist, weil vielfach die Menschen
icht erreicht werden. Sport erschließt einfach ganz an-
ere Gruppen von Menschen, vor allem junge Men-
chen. Das ist auch gut so; das ist eine Chance. Sport ist
brigens längst international eine Kulturform, ohne
ass dies die Politik wahrnimmt und nutzt. Der Sport ist
ahrscheinlich eines der ganz frühen globalen kulturel-
en Phänomene. Insofern tut die Politik gut daran, dies
ndlich in Konzepte umzusetzen. Dazu später mehr.
Welche Chancen sehen wir, wenn wir sagen, wir wol-
en Sport in die auswärtige Kultur- und Entwicklungspo-
itik einbauen?
Sport bietet zuallererst eine Chance, einen Beitrag zur
ivilgesellschaftlichen Struktur zu leisten bzw. eine
ivilgesellschaft überhaupt erst aufzubauen. Denn Sport
st Selbstorganisation, das machen Menschen zusam-
en; dazu brauchen sie keinen Staat, da handeln sie ein-
ach gemeinsam.
Sport ist – Kollege Hemker hat das schon ausge-
ührt – natürlich auch weltlich bildend, nicht nur charak-
erlich, sondern auch körperlich, geistig und intellektuell
nd ist eigentlich im besten Sinne ein Kernelement ei-
es modernen Bildungssystems. Insofern meine ich,
ass Breitensport, Gesundheitssport und Schulsport ein
ichtiges Element auswärtiger Kulturpolitik sein müs-
en.
Sport ist in jedem Fall soziales Lernen bezüglich He-
ausbildung von Teamgeist und bezüglich Zusammen-
irken, Streiten und Kämpfen unter geregelten Bedin-
ungen. Sport als Beitrag zum Erlernen von sozialen
egeln bietet insofern eine hervorragende Inkultura-
ionsmöglichkeit von Regelwerken und Gesetzen. Sport
st damit eigentlich ein Beitrag zum Erlernen von Demo-
ratie.
Sport fördert natürlich auch die Fähigkeit, Konflikte
riedlich und sportlich auszutragen und dabei Fairness
u entwickeln.
Das sind nur vier Elemente, von denen ich glaube:
as ist sinnvoll, da müssen wir mehr machen – etwa
urch die Gestaltung vieler Projekte.
Frau Kollegin Kaupa, Sie haben, wie ich finde, zu
nrecht das internationale Jahr und die Projekte be-
16188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
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Winfried Hermann
schimpft; denn dadurch werden zahlreiche kleine und in-
teressante Projekte gefördert.
Es ist richtig: Würden wir dabei stehen bleiben, dann
wäre das zu wenig. Diese Kritik teilen wir; das war auch
der Grund für unsere parlamentarische Initiative. Wir sa-
gen: Wir brauchen mehr, wir brauchen nicht nur Einzel-
projekte, sondern wir brauchen ein umfassendes
Gesamtkonzept, das den Sport in Entwicklungszusam-
menarbeit und in auswärtige Kulturpolitik integriert. Wir
brauchen eine systematische Entwicklung von Projekten
und – da gebe ich Ihnen Recht – wir brauchen ein lang-
fristig angelegtes Konzept und eine langfristige Finan-
zierungsperspektive. Denn eines ist klar: Im Bereich der
Entwicklungszusammenarbeit ist mit einem Jahr nichts
getan, da geht es um zehn, 20 oder 30 Jahre.
Ich plädiere sehr dafür, dass wir die Sportförderung in
die Finanzierung einbauen, die wir für Entwicklungszu-
sammenarbeit gewähren. Wenn wir die Mittel im Be-
reich der Entwicklungszusammenarbeit in den kommen-
den Jahren systematisch erhöhen wollen, dann muss
daran auch der Sport partizipieren.
Nun fragen Sie zu Recht dazwischen: Wer regiert ei-
gentlich? In der Tat, das ist auch unsere Kritik. Der Be-
reich der sportlichen Entwicklungszusammenarbeit ist in
den letzten Jahren – sowohl unter Rot-Grün, aber auch in
den 14 bis 16 Jahren zuvor unter der vorherigen Bundes-
regierung – systematisch heruntergefahren worden.
Heute sind wir im Bereich der Entwicklungszusammen-
arbeit auf diesem Gebiet leider bei null angelangt. Wir
haben das teilkompensiert durch eine Stabilisierung im
Bereich der auswärtigen Kulturarbeit. Dort haben wir
die Mittel zum Teil erhöht. Wir haben die Finanzierung
von Trainerlehrgängen dauerhaft sichergestellt und zum
Teil auch erhöht. Das ist aus unserer Einsicht heraus ins-
gesamt aber zu wenig. Wir wollen mehr.
Wir wollen mit dem vorliegenden Antrag einen An-
stoß dazu geben, dass in den kommenden Jahren ein Ge-
samtkonzept für die sportpolitische Entwicklungszusam-
menarbeit gemeinsam mit dem Sport erarbeitet wird. Ich
wünsche mir sehr, dass wir, die Opposition wie auch die
Regierungsfraktionen, gemeinsam für mehr Mittel und
für eine langfristige Orientierung kämpfen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2005
befinden wir uns gerade im UNO-Jahr des Sports. Die
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Das Wort hat der Kollege Eberhard Gienger, CDU/
CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Nicht nur im Ausland stellt der Sport ein
friedenspolitisches Instrument dar, sondern auch im
Parlament des Deutschen Bundestages eint das Thema
Sport die etablierten Parteien. Wir verfolgen das gemein-
same Ziel, Sport auch als Mittel der Konfliktprävention
und der Konfliktbewältigung im Ausland einzusetzen.
Wie schon öfter angeklungen, stellt die Finanzierung den
einzigen Streitpunkt dar.
Deutschland zählt zu den weltweit führenden Sport-
nationen und bringt auch in sportpolitischer Hinsicht
seine Erfahrungen immer wieder ein. Damit leistet
Deutschland einen wichtigen Beitrag für die Entwick-
lung des Sports innerhalb und außerhalb Europas.
Um der Verantwortung Deutschlands als Sportnation
gerecht zu werden, fordern wir die Bundesregierung auf,
die dafür erforderlichen Mittel in den Etats des Auswär-
tigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung zu erhöhen.
Mit der Regierungsübernahme von Rot-Grün wurden
die Mittel für die internationale Sportförderung konti-
nuierlich zurückgefahren. Der Etat des Auswärtigen
Amtes zur Sportförderung betrug 1998 und 1999 noch
jeweils 3,2 Millionen Euro. 2000 begann der Rückgang
auf 2,75 Millionen Euro, der sich bis 2005 fortgesetzt
hat. Lediglich 2004 wurde noch einmal das Niveau von
1998 erreicht. Noch schlimmer sieht es im Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung aus: 1999 wurden für die Sportförderung rund
225 000 Euro eingesetzt. Im Jahr 2005 war die Förde-
rung plötzlich bei Null angelangt. – Das ist die Bilanz
der vergangenen sechs Jahre. Große Sprüche ersetzen
dabei keine finanziellen Mittel.
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Ich frage Sie: Warum soll eine seit Jahrzehnten eta-
lierte Sportförderung im Ausland gerade in den Ent-
icklungs- und Schwellenländern sowie nicht zuletzt in
risengebieten durch eine Schmälerung der Etats der da-
ür zuständigen Ministerien gefährdet werden? Das ist,
ie ich finde, unverantwortlich; denn dem Sport und sei-
en Organisationen kommt eine herausragende Bedeu-
ung zu. Sie sind nicht nur Mittler und Botschafter, die
er Sympathiewerbung für die Bundesrepublik
eutschland dienen, sondern sie haben auch die Mög-
ichkeit, auf die internationalen Verbände Einfluss zu
ehmen.
Ich habe ebenfalls an der von Reinhold Hemker ange-
prochenen Veranstaltung am vergangenen Montag teil-
enommen und habe dabei den ehemaligen Fernsehjour-
alisten Holger Obermann getroffen, der mittlerweile
nerkannter Sportentwicklungshelfer und Fußballlehrer
n Entwicklungsländern ist. Ich habe ihn gefragt, wel-
hes das Ergebnis seines Tuns in den Entwicklungslän-
ern ist. Er hat gesagt: Das ist die beste Werbung für
eutschland
nd setzt obendrein enorme soziale Kräfte frei. Deswe-
en finde ich, dass die angemessene Bereitstellung von
inanziellen Mitteln zur Förderung des Sports in der
ritten Welt ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung
portlicher Strukturen und Organisationen sowie zur
ntwicklung von Trainingsmethoden und praktischer
portausübung im Ausland ist. In diesem Bereich ist die
portförderung mit dem Einsatz öffentlicher Mittel ein
eispiel für Subsidiarität, da sie in Hilfe zur Selbsthilfe
ündet.
Von herausragender Bedeutung ist, abgesehen von der
esundheitlichen Perspektive und der Stärkung der Bil-
ung, dass Sport auf internationaler Ebene Menschen
usammenführt und einen friedlichen Dialog zwischen
thnischen Gruppen bewirkt. Als Beispiel sei hier ein
ußballspiel genannt, das vor einem Jahr zwischen
sraeliten und Palästinensern durchgeführt wurde. Die
ugendlichen, die dieses Spiel bestritten haben, haben
achher, als sie interviewt wurden, gesagt, sie seien stolz
arauf, zum Aufbau des Friedens beitragen zu dürfen.
16190 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005
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Eberhard Gienger
Daran lässt sich doch deutlich erkennen, dass der Sport
hilft, Brücken zu bauen bzw. zu schlagen, zur Erziehung
beiträgt und die Hoffnung auf einen friedvollen Umgang
miteinander nährt.
Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wie
wollen Sie die Sportförderung im Ausland als Teil der
auswärtigen Kulturpolitik stärken, was ja unser gemein-
sames Ziel ist, bzw. sogar, wie es in Ihrem Antrag steht,
ausbauen, wenn Sie gleichzeitig die Mittel dafür redu-
zieren bzw. die Förderung ganz einstellen? Das ist, wie
ich finde, nicht glaubwürdig. Trotz der schwierigen
Haushaltssituation müssen wir die Sportförderung im
Ausland auf angemessenem Niveau weiterführen. Die
Argumente dafür habe ich Ihnen bereits genannt. Unse-
ren Antrag aber hat die rot-grüne Koalition im Aus-
schuss mit der Begründung abgelehnt, dass er keine Vor-
schläge zur weiteren Vorgehensweise enthalte. Diese
Aussage erscheint mir fadenscheinig. Sie machen es sich
hier etwas zu leicht; denn erstens stehen Sie als Regie-
rung in der Verantwortung und zweitens gibt es keine
gute Regierungsarbeit, wenn Sie die Mittel einfach redu-
zieren, anstatt eine attraktive Finanzierungsmöglichkeit
zu bieten.
Auch in der Entwicklungspolitik sprechen Sie mit ge-
spaltener Zunge. Zwar haben erst vor kurzem Außen-
minister Fischer und der UN-Botschafter Pleuger gegen-
über der UN eine Erhöhung des deutschen Anteils an der
Entwicklungshilfe von 0,3 auf 0,7 Prozent des Brutto-
sozialproduktes bis 2014 zugesagt, aber Minister Eichel
hat sie wieder zurückgepfiffen. Ich kann Ihnen versi-
chern, dass sich die Sportförderung im Ausland refinan-
ziert; denn dank des Einflusses von Vertretern des
deutschen Sports im Ausland können wir Sportgroßver-
anstaltungen nach Deutschland holen, was zu positiven
ökonomischen Ergebnissen führen wird.
Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Ich komme zum Schluss, verehrte Frau Präsidentin.
– Der Abgang folgt auf dem Fuße.
Ich möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es
beim nächsten Mal gelingen wird, einen gemeinsamen
Antrag zu formulieren. Diesem Wunsch, den Winfried
Hermann ausgesprochen hat, möchte ich beipflichten.
Ich hoffe, dass es uns in der kommenden Legislaturperi-
ode gelingt, einen solchen Antrag zu formulieren – zum
Wohle des Sports!
Schönen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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1)
lrich Heinrich haben ihre Reden zu Protokoll gege-
en.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
chusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
icklung auf Drucksache 15/5337 zu dem Antrag der
raktionen der SPD, der CDU/CSU und des
ündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Biologische
ielfalt schützen und zur Armutsbekämpfung und nach-
altigen Entwicklung nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt,
en Antrag auf Drucksache 15/4661 in der Ausschuss-
Anlage 9
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 172. Sitzung. Berlin, Donnerstag den 21. April 2005 16191
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
fassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Conny Mayer , Dr. Christian Ruck,
Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Togos Weg in die Demokratie unterstützen –
Afrikanische Union und ECOWAS beim
Engagement für Demokratie, Menschenrechte
und Rechtsstaatlichkeit unterstützen
– Drucksache 15/5324 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Die Rednerinnen und Redner Gabriele Groneberg,
Anke Eymer , Dr. Conny Mayer, Christian
Ströbele und Ulrich Heinrich haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/5324 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 22. April 2005, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Besu-
cherinnen und Besuchern auf der Tribüne einen schönen
Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.