Protokoll:
15151

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 151

  • date_rangeDatum: 20. Januar 2005

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:35 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/151 Tagesordnungspunkt 3: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Hans-Josef Fell, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Forschung für Nachhaltigkeit – Mo- tor für Innovationen b) Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Informatives Berichtswesen als Grundlage einer gu- ten Forschungs- und Technologiepolitik (Drucksache 15/4497) . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katherina Reiche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14108 C 14108 D 14110 D 14113 B 14114 D 14115 D Deutscher B Stenografisc 151. Si Berlin, Donnerstag, d I n h a Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Lothar Ibrügger, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr und Franz Müntefering . . . . . . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Monika Lazar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger als Mitglied in das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes . . . . . . . . . Erweiterung und der Tagesordnung . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 10, 11, 13 und 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 14107 A 14107 B 14107 B 14107 B 14108 A 14108 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter undestag her Bericht tzung en 20. Januar 2005 l t : und der Fraktion der CDU/CSU: Mit Innovationen auf Wachstumskurs – eine einheitliche Strategie – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovationsstrategie für Deutschland – Wissenschaft und Wirtschaft stärken – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bundesbericht For- schung 2004 (Drucksachen 15/3452, 15/2971, 15/3332, 15/3300, 15/4216) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14108 B Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14117 C 14119 B II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 Hellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Standort Deutschland – Innovation und Wachs- tum stärken durch Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Drucksache 15/4503) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wider die Ver- trauenskrise – Für eine konsistente und konstante Wirtschaftspolitik (Drucksache 15/1589) . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14121 B 14122 A 14123 A 14124 C 14127 D 14128 C 14129 D 14130 D 14132 A 14132 B 14132 C 14134 C 14136 D 14138 C 14141 A 14141 C 14142 A 14143 D 14145 B 14146 A 14147 B 14148 C 14150 A Wilfried Schreck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Fortentwicklung der soldaten- versorgungsrechtlichen Berufsförderung (Berufsförderungsfortentwicklungsge- setz – BfFEntwG) (Drucksache 15/4639) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Anpassung luftversicherungs- rechtlicher Vorschriften (Drucksache 15/4637) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Regelung bestimmter Altforde- rungen (Altforderungsregelungsgesetz – AFRG) (Drucksache 15/4640) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler (Drucksache 15/4486) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- ten Gesetzes zur Änderung des See- mannsgesetzes (Drucksache 15/4638) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Absatzfondsge- setzes und des Holzabsatzfondsgesetzes (Drucksache 15/4641) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Deutsch-russischen Jugend- austausch weiterentwickeln (Drucksache 15/4655) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 14151 D 14153 B 14153 B 14153 C 14153 C 14153 C 14153 D 14153 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 III Weichenstellungen für ein deutsch-rus- sisches Jugendwerk (Drucksache 15/1240) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von wege- rechtlichen Vorschriften (Drucksachen 15/3982, 15/4468) . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzteordnung (Drucksachen 15/4023, 15/4662) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bun- desregierung 2001 über die Entwicklung der Kostenunterdeckung im öffentli- chen Personennahverkehr (ÖPNV) (Drucksachen 15/3137, 15/3251 Nr. 4, 15/4212) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- schusses: Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht (Drucksache 15/4663) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Dritten Verord- nung zur Änderung der Verpackungs- verordnung (Drucksachen 15/4642, 15/4674) . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Vorstoß des Bundeskanzlers zur Lockerung der Kriterien des europäi- schen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, um mehr Flexibilität bei der Neuverschul- dung zu erhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14154 A 14154 A 14154 C 14154 C 14154 D 14155 A 14155 B 14155 B 14156 C Dr. Andreas Pinkwart (FDP) . . . . . . . . . . . . . Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Fahrenschon (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) . . . . . . . . Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Jörg-Otto Spiller (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Walter Schöler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Per- spektiven für Deutschland – Nationale Strategie für eine nachhaltige Entwick- lung; Fortschrittsbericht 2004 (Drucksache 15/4100) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Astrid Klug (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helge Braun (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Ernst Kranz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Müller (Düsseldorf) (SPD) . . . . . . . Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Große Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dagmar Wöhrl, Karl- Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: „Wirtschafts- 14157 D 14159 A 14160 C 14161 C 14163 B 14164 B 14165 C 14166 B 14168 A 14168 D 14170 A 14171 B 14172 C 14172 D 14174 D 14175 D 14178 A 14179 B 14180 D 14181 D 14182 D 14184 B IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 raum Nordsee“ als Wachstumsregion mit Zukunft (Drucksache 15/4027) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gerd Andres, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Dr. Margrit Wetzel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sören Bartol, Sabine Bätzing, Uwe Beckmeyer, Ute Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Peter Hettlich und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Das Programm „So- ziale Stadt“ weiterentwickeln und auswei- ten (Drucksache 15/4660) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Götz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Spanier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck, Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Den Beziehun- 14185 B 14185 B 14188 B 14189 D 14190 D 14191 C 14192 C 14194 C 14195 D 14198 B 14198 C 14200 B 14202 A 14202 C 14203 C 14204 C 14206 A 14207 D gen zu Lateinamerika Bedeutung und Zukunft geben (Drucksache 15/4388) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Lothar Mark, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Intensivierung der Bezie- hungen zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik (Drucksachen 15/3205, 15/3840) . . . . . . . Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) . . . . . . . . Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Nolte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Tagesordnungspunkt 9: Unterrichtung durch den Bundesrechnungs- hof: Bemerkungen des Bundesrechnungs- hofes 2004 zur Haushalts- und Wirtschafts- führung (einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2003) (Drucksache 15/4200) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Rübenkönig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: g) Antrag der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Helga Daub, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wehrpflicht aus- setzen – Freiwilligen, militärischen Kurzdienst einführen (Drucksache 15/4178) . . . . . . . . . . . . . . . 14209 B 14209 C 14209 D 14210 D 14212 C 14213 B 14214 D 14216 A 14217 A 14218 C 14218 D 14220 D 14222 D 14224 A 14225 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 V Tagesordnungspunkt 18: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträg- liche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgerätegesetz – ElektroG) (Drucksachen 15/3930, 15/4666, 15/4679) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über das Inver- kehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgerätege- setz – ElektroG) (Drucksachen 15/4234, 15/4666, 15/4679) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Verwertung von Elektronik-Altgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokra- tisch gestalten (Drucksachen 15/3950, 15/4666, 15/4679) Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Thomas Dörflinger, Hubert Deittert, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Energieeffizienz in Gebäuden steigern – Unbürokratische Energieaus- weise entwickeln (Drucksache 15/4506) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- sen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidi Wright, Ludwig Stiegler, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln), 14225 B 14225 B 14225 C 14226 A Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen so- fort verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Gero Storjohann, Gerhard Wächter, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Sicherheit an unbeschrankten Bahn- übergängen (Drucksachen 15/4150, 15/1984, 15/4653) . . Tagesordnungspunkt 15: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regu- lierungsbehörde für Telekommunika- tion und Post – Bericht nach § 81 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz und § 47 Abs. 1 Postgesetz und Sondergutachten der Monopolkommis- sion gemäß § 81 Abs. 3 Telekommuni- kationsgesetz und § 44 Postgesetz (Drucksache 15/2220) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Tätigkeitsbericht der Regulie- rungsbehörde für Telekommunikation und Post 2002/2003 und zu dem Son- dergutachten der Monopolkommission von 2003 „Wettbewerbsintensivierung in der Telekommunikation – Zementie- rung des Postmonopols“ (Drucksache 15/4584) . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Mündliche Frage 14 Ernst Hinsken (CDU/CSU) Billigung einer regional gestaffelten Ben- zinsteuer in Frankreich und Ablehnung ähnlicher Vorschläge für Deutschland durch den Bundesfinanzminister 14226 B 14226 D 14226 D 14227 C 14229 A VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF (150. Sitzung, Drucksache 15/4649) . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wehrpflicht aussetzen – Freiwil- ligen, militärischen Kurzdienst einführen (Ta- gesordnungspunkt 24 g) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . Ulrich Adam (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Günther Friedrich Nolting (FDP) . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über das Inver- kehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elek- tro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgerätegesetz – ElektroG) – Antrag: Verwertung von Elektronikaltge- räten ökologisch sachgerecht und unbüro- kratisch gestalten (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Gerd Friedrich Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . Werner Wittlich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Energiedifferenz in Gebäuden steigern – Unbürokratische Energieausweise entwickeln (Tagesordnungspunkt 12) Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14229 B 14230 A 14231 B 14234 C 14235 B 14236 B 14237 C 14239 A 14239 D 14240 C 14241 C 14243 A Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber- gängen sofort verbessern – Mehr Sicherheit an unbeschrankten Bahn- übergängen (Tagesordnungspunkt 14) Heidi Wright (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gerhard Wächter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: – Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regulie- rungsbehörde für Telekommunikation und Post – Bericht nach § 81 Abs. 1 Telekom- munikationsgesetz und § 47 Abs. 1 Post- gesetz und Sondergutachten der Monopol- kommission gemäß § 81 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz und § 44 Post- gesetz – Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Tätigkeitsbericht der Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post 2002/2003 und zu dem Sondergutachten der Monopolkommission von 2003 „Wett- bewerbsintensivierung in der Telekommu- nikation – Zementierung des Postmono- pols“ (Tagesordnungspunkt 15 a und b) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD) . . . . . . . . . . Hubertus Heil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) . . . . . . . Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14244 A 14244 C 14245 B 14246 B 14247 A 14247 D 14248 C 14249 B 14250 D 14251 D 14253 B 14254 C 14255 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 VII Anlage 8 Mündliche Fragen 15 und 16 Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) Antrag Frankreichs auf Senkung und re- gionale Differenzierung seiner Mineralöl- steuer; Übertragung dieser Maßnahmen auf Deutschland Antwort Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF (150. Sitzung, Drucksache 15/4649) . . . . . . . 14255 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14107 (A) (C) (B) (D) 151. Si Berlin, Donnerstag, d Beginn: 8
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    1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14229 (A) (C) (B) (D) und warum lehnt er ähnliche Vorschläge zur Eindämmung des Tanktourismus in Deutschland ab? zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten wirk- sam entgegenzuwirken. Ein Antrag Deutschlands mit nach einer regional gestaffelten Benzinsteuer billigen will, reicht bei weitem nicht aus, um einem „Tanktourismus“ Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen des Abgeordneten Ernst Hisken (CDU/CSU) (150. Sitzung, Drucksache 15/4649, Frage 14): Treffen Pressemeldungen („Münchener Merkur“ vom 8./9. Januar 2005) zu, nach denen der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, Pläne der französischen Regierung Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Connemann, Gitta CDU/CSU 20.01.2005 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 20.01.2005 Funke, Rainer FDP 20.01.2005 Janssen, Jann-Peter SPD 20.01.2005 Jonas, Klaus Werner SPD 20.01.2005* Letzgus, Peter CDU/CSU 20.01.2005* Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 20.01.2005 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2005 Probst, Simone BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2005 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 20.01.2005 Riemann-Hanewinckel, Christel SPD 20.01.2005 Ronsöhr, Heinrich- Wilhelm CDU/CSU 20.01.2005 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 20.01.2005 Selg, Petra BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20.01.2005 Dr. Thomae, Dieter FDP 20.01.2005 Türk, Jürgen FDP 20.01.2005 Weis (Stendal), Reinhard SPD 20.01.2005 Anlagen zum Stenografischen Bericht Frankreich beabsichtigt, vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2011 nach Erhöhung der Ausgangssteuer- sätze regionale Steuerermäßigungen für bleifreies Ben- zin (bis zu 3,54 Cent/Liter) und nicht gewerblich genutz- ten Diesel (bis zu 2,3 Cent/Liter) einzuführen. Das Vorhaben Frankreichs basiert ausschließlich auf innen- politischen Gründen. Hintergrund der Maßnahme sind Dezentralisierungsüberlegungen. Die Exekutivorgane der französischen Verwaltungsregionen (Regionalräte) sollen ermächtigt werden, eigenständig über Steuerer- mäßigungen zu entscheiden, die sich an der jeweiligen „sozioökonomischen Situation“ der Regionen orientie- ren sollen. Hierdurch soll ein zusätzlicher Anreiz für die Regionen geschaffen werden, um die Qualität ihrer Ver- waltung auf transparente Weise zu verbessern und gleichzeitig den Bedürfnissen und Besonderheiten jeder Region Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung ist nach eingehender Prüfung des französischen Antrags zu dem Ergebnis gelangt, dass eine solche Maßnahme das reibungslose Funk- tionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt. Vor al- lem wegen der sehr engen Grenzen für die Staffelung der Verbrauchsteuern in den französischen Regionen (für Benzin maximal 3,54 Cent/Liter und für nicht gewerb- lich genutzten Diesel maximal 2,3 Cent/Liter – nach vor- heriger Erhöhung der Ausgangssteuersätze) ist eine Wettbewerbsverzerrung auf dem Mineralölmarkt nicht zu befürchten. Zudem gilt die beantragte Maßnahme ge- rade nicht für den gewerblich genutzten Diesel. Die Bundesregierung wird aber auf die Festschreibung der Steuersätze drängen, die bei Anwendung der regionalen Staffelungen nicht unterschritten werden dürfen. Der re- gelnde Teil des Entscheidungsvorschlags nennt zwar die maximalen Ermäßigungsbeträge, lässt aber offen, von welchen Steuersätzen Frankreich ausgeht. Insoweit be- darf es der Klarstellung in einer Gemeinsamen Proto- kollerklärung. Genau diese Klarstellung ist Gegenstand des Entwurfs einer Gemeinsamen Protokollerklärung von Rat und Kommission, der am heutigen Tag in der Ratsarbeitsgruppe in Brüssel verhandelt wird. Das französische Begehren ist nicht darauf ausgerich- tet, einen vermeintlichen „Tanktourismus“ zwischen Frankreich und anderen Mitgliedstaaten einzudämmen bzw. einen solchen zur Grenze Deutschlands zu errich- ten/auszubauen. Die Ermäßigungen sollen innerhalb der Regionen gerade nicht grenzbezogen gestaffelt werden. Die Kommission hat mehrfach klargestellt, dass sie eine grenzbezogene Staffelung der französischen Steuersätze niemals befürworten würde. Die Forderung, eine Staffe- lung der Mineralölsteuersätze in den Grenzregionen Deutschlands nach dem französischen Vorbild einzufüh- ren, ist aus tatsächlichen und EG-rechtlichen Aspekten nicht umsetzbar. Zum einen liegen bei der französischen Maßnahme – wie bereits dargelegt – die maximalen Er- mäßigungsbeträge zwischen 2,3 bis 3,54 Cent/Liter. Das 14230 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) wesentlich höheren Steuerstaffelungsbeträgen würde von der Kommission zudem – wegen seiner grenzüber- schreitenden Auswirkungen – keinesfalls gebilligt wer- den. Dies hat die Kommission kürzlich in Gesprächen auf Fachebene unmissverständlich zum Ausdruck ge- bracht. Sie beabsichtigt zudem, gemeinsam mit dem Rat zu Protokoll zu erklären, dass – so wörtlich – „Anträge auf eine Ausnahmeregelung für eine Ermäßigung der Steuersätze, die lediglich in den Grenzgebieten zwischen den Mitgliedstaaten gelten würde, nicht akzeptabel wä- ren“. Da auch die Nachbarstaaten einem solchen Anlie- gen kritisch gegenüber stehen dürften, besteht zudem keine realistische Chance, hierfür die Zustimmung aller EU-Staaten einholen zu können. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wehrpflicht ausset- zen – Freiwilligen, militärischen Kurzdienst ein- führen (Tagesordnungspunkt 24 g) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Damit es Ihnen, liebe Kollegen von der FDP, nicht langweilig wird, wenn wir Ihre regelmäßigen „Weg mit der Wehrpflicht“-An- träge hier im Plenum immer wieder mit großer Mehrheit ablehnen, will ich Ihnen als Argumentationshilfe heute das Zentralorgan des liberalen Geistes in Deutschland entgegenhalten, die unerschütterliche „Frankfurter All- gemeine Zeitung“. Die ist nämlich der Meinung, Ihre Forderung nach Aussetzung der Wehrpflicht sei Aus- druck Ihres grundsätzlichen Politikverständnisses. Vor einem Jahr, am 8. Januar 2004, schrieb ein Leitartikler in der „FAZ“ sehr richtig: „Westerwelle und große Teile der FDP-Führung beschränkten ihren Liberalismus zu- letzt auf eine ziemlich vordergründige ,Weg mit dem Staat‘-ldeologie und auf einen Abschaffungsenthusias- mus, der Regellosigkeit mit Freiheit leicht verwechselt: Weg mit allen Subventionen, weg mit der Wehrpflicht, weg mit der Pflegeversicherung, weg mit den Flächenta- rifverträgen, dem Ladenschlussgesetz, dem Hochschul- rahmengesetz, weg mit der Kultusministerkonferenz.“ Dem Urteil des „FAZ“-Leitartikels kann ich nur zustim- men, wenn er fortfährt: „Westerwelle hat in den vergan- genen Jahren versucht, seine Lesart des Liberalismus zu popularisieren, und dabei die traditionsreiche Partei des leistungsbereiten und in demokratischem Verantwor- tungsgefühl verwurzelten Bürgertums einem billigen Ef- fektpopulismus unterworfen.“ So ist es: Der vorliegende Antrag der FDP ist ein schönes Beispiel für „billigen Effektpopulismus“. Dafür aber ist das Thema eigentlich zu wichtig. Auch wir So- zialdemokraten beschäftigen uns derzeit, durchaus öf- fentlich wahrnehmbar, mit der Zukunft der Wehrpflicht. Warum? Weil die Sicherheitslage sich seit Ende des Kal- ten Krieges fundamental geändert hat. Wer wollte das bestreiten? Dass sich daraus jedoch ein Automatismus zur Abschaffung der Wehrpflicht ergeben soll, kann ich nicht erkennen. Auch das neue, ungeteilte Europa ist nicht frei von Bedrohungen. Die blutigen Balkan-Konflikte haben uns vor Augen geführt, dass Krieg nicht einfach von unse- rem Kontinent verschwunden ist. Die terroristischen An- schläge des 11. September 2001 haben gezeigt, dass un- sere Welt neuen Bedrohungen ausgesetzt ist, stärkeren, als wir erwartet hatten. Diese Erfahrungen machen eines ganz deutlich: Tief greifende Änderungen der sicher- heitspolitischen Lage sind auch kurzfristig nie auszu- schließen. Sowohl das Ende des Warschauer Paktes als auch die neue asymmetrische Bedrohung durch den in- ternationalen Terrorismus veränderten die Lage rasant, beinahe von heute auf morgen. Deshalb ist richtig, was in den 2003 vom Bundesver- teidigungsminister erlassenen Verteidigungspolitischen Richtlinien nachzulesen ist: „Der Wiederaufbau der Be- fähigung zur Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines über- schaubaren längeren Zeitrahmens – Rekonstitution – muss … gewährleistet sein.“ Weil dies so ist, bleibt die Wehrpflicht sicherheitspolitisch die sicherste Lösung. Wir sollten uns auch dessen bewusst sein, dass immer die latente Gefahr besteht, dass sich die Lage in den Ein- satzgebieten innerhalb kurzer Zeit zuspitzt. Das hätte weitreichende Folgen, nicht nur für die betroffenen Sol- daten, sondern für die Bundeswehr insgesamt. Wären wir sicher, dass die Nachwuchsgewinnung einer Freiwil- ligenarmee dann noch funktioniert? Ich warne vor dem vorschnellen Urteil, die Wehrpflicht sei antiquiert. So berechenbar ist die vor uns liegende Zeit nicht. Der Verteidigungsminister hat in den Verteidigungs- politischen Richtlinien die sicherheitspolitischen Vorga- ben für den künftigen Weg der Bundeswehr festgelegt. Vieles wird sich ändern: Aufgaben, Strukturen, Ausrüs- tung. Wir sind mitten in diesem Prozess. Die Transfor- mation wird auch die Wehrpflicht nicht unberührt lassen. Auf der Tagesordnung steht ihre Weiterentwicklung zu einer, wie es in den Richtlinien heißt, „Wehrpflicht in an- gepasster Form“. Eine angepasste Wehrpflicht bleibt Teil der staatlichen Sicherheitsvorsorge in einer unübersicht- lichen Welt. Verschiedene Modelle sind in der Diskussion. Auch in der Union sind Stimmen zu hören, die Wehrpflicht ge- höre „auf den Prüfstand“, wie es vor einigen Wochen der Junge-Union-Vorsitzende Mißfelder forderte. Gelegent- lich ist aus Unionskreisen die Forderung nach einer all- gemeinen Dienstpflicht statt der bisherigen Wehrpflicht zu hören. Auch vom „dänischen Modell“ ist derzeit viel zu le- sen. So sympathisch mir als Schleswig-Holsteiner unser nördlicher Nachbar ist: Dieses Etikett stiftet unnötig Ver- wirrung, führt zu falschen Schlüssen. Das Modell ist nicht übertragbar. Wir sollten, anders als in Dänemark, die Dauer des Wehrdienstes nicht weiter verkürzen. Vier Monate wären deutlich zu kurz. Auch bei der Besoldung und den Ausbildungsinhalten gehen die Dänen einen an- deren Weg. Wenn wir die Wehrpflicht weiterentwickeln, wird es am Ende ein deutsches Modell geben müssen – und keine Wehrpflichtlotterie. Da ist Ihre Sorge völlig unbe- gründet, Herr Nolting. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14231 (A) (C) (B) (D) All jenen, die so ungeduldig eine Berufsarmee for- dern, sei noch einmal in Erinnerung gerufen, welche ein- deutigen Vorteile die Wehrpflicht hat. Nur durch sie ist es möglich, dass alle männlichen Angehörigen eines Jahrgangs die Ausgangsbasis für die Deckung des Perso- nalbedarfs darstellen. Für alle ist der Dienst in der Bundeswehr – oder Ersatz- oder Zivildienst – ein ver- bindliches Thema in dieser Lebensphase. Eine Vorab- sozialauswahl findet nicht statt. Alle werden erfasst, alle werden gemustert, alle müssen sich zur Frage einer mög- lichen Einberufung (oder KDV etc.) persönlich verhal- ten. Die allgemeine Wehrpflicht sichert die Qualität der Personalauswahl, sie garantiert die Bedarfsdeckung in jedem Fall – unabhängig von der aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt für männliche Jugendliche, unabhängig von der Sicherheitslage. Und es ist oft gesagt worden und bleibt richtig: Die Wehrpflicht stellt die beste denk- bare Klammer zwischen Gesellschaft und Bundeswehr dar. Denn Soldat sein ist kein „Job“, keine beliebige Dienstleistung. Deshalb ist es legitim, dass die Bundes- wehr mit der Wehrpflicht über eine andere Rekrutie- rungsmöglichkeit verfügt als ein Wirtschaftsunterneh- men. Das Problem der angeblich abnehmenden Dienstge- rechtigkeit, das gern in den Mittelpunkt der Debatte ge- rückt wird, war übrigens, allen anders lautenden Parolen zum Trotz, bis in die jüngste Vergangenheit ein Mythos. Viel beschworen, aber durch die Zahlen nicht gedeckt. Von dem im Jahr 1980 vollständig ausgeschöpften Ge- burtsjahrgang 1952 mit 381 000 Erfassten haben 54 Pro- zent Wehrdienst als W15 oder Zeitsoldat geleistet, hinzu kamen 3 Prozent anerkannte Kriegsdienstverweigerer und 5 Prozent, die zur Polizei gingen oder sich beim Katastrophenschutz verpflichteten. Macht zusammen 62 Prozent. Gut 20 Jahre später waren die Zahlen nicht wesentlich anders: Vom dem im Jahr 2003 ausgeschöpften Geburts- jahrgang 1980 sind insgesamt 66 Prozent ihrer Pflicht nachgekommen. Die weit überwiegende Zahl der jungen Männer eines Jahrgangs hat ihre Wehrpflicht also auf die eine oder andere gesetzlich vorgesehene Weise erfüllt. Absolute Gerechtigkeit kann es natürlich nie geben, denn ausschlaggebend für die Zahl der Einberufungen ist immer der Bedarf der Bundeswehr – das kann gar nicht anders sein. In Zukunft wird der jährliche Bedarf der Bundeswehr an neuen Soldaten, bedingt durch die Verkleinerung der Streitkräfte, sinken. Deshalb machen wir uns Gedanken, wie wir die Wehrpflicht den neuen Bedingungen noch besser anpassen können. Das heißt: Wehrpflicht – ja; FDP-Antrag – nein. Ulrich Adam (CDU/CSU): Viele junge Menschen fragen uns beständig nach dem Sinn der Wehrpflicht. Sie tun dies in persönlichen Gesprächen, durch Klagen vor den Gerichten oder indem sie sich für den Wehr- oder Ersatzdienst entscheiden. Aufgrund der gestrigen Ent- scheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig hat die heutige Debatte eine besondere Aktualität ge- wonnen. Den jungen Männern ist bewusst, dass der Staat zu seinem Schutz und Erhalt dieser Pflicht bedarf. Auch in der Bevölkerung genießt die Wehrpflicht nach wie vor ein hohes Ansehen und ist mehrheitlich gewollt. Wir müssen jedoch erklären, warum wir diese Pflicht weiter einfordern müssen und zugleich dafür Sorge tragen, dass es bei der Erbringung gerecht zugeht. Das gestrige Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes hat uns in unserer Auf- fassung bestätigt, dass es bei den derzeitigen Anwen- dungsregeln der Einberufung noch gerecht zugeht. Aber ich halte dieses Urteil auch für einen Schuss vor den Bug, der uns mahnt, auf die Sinnhaftigkeit und Gerech- tigkeit des Wehrdienstes zu achten. Ich zitiere eine Aussage des Bundesministeriums der Verteidigung zur Wehrpflicht aus dem Internet: Der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger sowie Hilfeleistungen bei Naturkatas- trophen und Unglücksfällen begründen unter ande- rem die Wehrpflicht. Nur sie gewährleistet, die Landesverteidigung gegen einen Angriff mit kon- ventionellen Streitkräften innerhalb eines über- schaubaren längeren Zeitraumes aufzubauen. Darü- ber hinaus müssen die Streitkräfte eingebettet in gesamtstaatliches Handeln zu einem angemessenen Beitrag zur Verhinderung, Abwehr und zur Bewäl- tigung von terroristischen Anschlägen sowie zum Schutz Deutschlands vor asymmetrischen Angrif- fen von außen im Rahmen der geltenden Gesetze befähigt sein. Auch hierfür ist die Beibehaltung der Wehrpflicht unerlässlich. Dieses Zitat spricht für sich selbst; an einer Sinnhaf- tigkeit der Wehrpflicht gibt es somit keinen Zweifel. Die Union hat Vorschläge vorgelegt und wird das auch weiterhin tun, wie man die neue Sicherheitslage, die Wehrpflicht und die Wehrgerechtigkeit miteinander vereinbaren kann. Dabei wird der Heimatschutz als Teil einer Sicherheitsdienstpflicht eine wichtige Rolle spie- len. Wer jetzt die Abschaffung der Wehrpflicht fordert, der müsste sagen, wie er für die Bundeswehr und für die Sicherheit unseres Landes einen Ausgleich schaffen will. Das betrifft vor allem die Bereiche Aufwuchsfähigkeit, Nachwuchsgewinnung und finanzielle Ausstattung. Für eine Umstellung auf eine Berufsarmee brauchte die Bun- deswehr zudem eine erhebliche Finanzspritze. Eine sol- che ist angesichts der haushälterischen Verhältnisse we- der zu erwarten noch zu leisten, selbst wenn man sich für eine reine Berufsarmee entscheiden würde. Der Kollege Robbe hat es heute Morgen im Morgenmagazin sehr schön auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Eine Frei- willigenarmee ist im Moment überhaupt nicht zu bezah- len.“ Bei geschätzten Zusatzkosten von bis zu sieben Milliarden Euro kann ich ihm da nur Recht geben. Es hätte diesem Parlament und der Bundesregierung gut gestanden, zunächst einmal in einem Weißbuch die künftigen Aufgaben zu beschreiben und hieran die Ausstattung in finanzieller und personeller Hinsicht 14232 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) auszurichten. Stattdessen wird die Verteidigungspolitik im Wesentlichen durch die Kassenlage des Finanzminis- ters bestimmt. Das hatte zur Folge, dass Rot-Grün beim Umbau der Bundeswehr den zweiten Schritt vor dem ersten machte, wie es mein Kollege Schmidt gestern for- mulierte. Statt einseitig auf Auslandseinsätze zu schie- len, hätte Rot-Grün angesichts der neuen Bedrohungs- lage durch Terroristen zunächst einmal den Bedarf im Inland ermitteln müssen. Seitens der Bundesregierung wurde aus guten Grün- den beschlossen, die Bundeswehr seit 1998 vermehrt im Ausland einzusetzen. Wir als Union haben im Gegensatz zum grünen Koalitionspartner diese Einsätze stets mitge- tragen. Dies taten wir in der Verantwortung vor unseren Soldaten als Angehörige einer Parlamentsarmee. Zu- gleich haben wir diese Parlamentsarmee von Anfang an als eine Wehrpflichtarmee angesehen. Es ist sicherlich richtig, dass sich die sicherheitspoliti- schen Rahmenbedingen in den 50 Jahren des Bestehens der Bundeswehr grundlegend geändert haben. Fraglich ist aber zugleich, ob sich die Gründe für die Wehrpflicht- armee ebenfalls geändert haben. Dies diskutieren wir heute erneut, und für mich stellt sich die Frage, ob sich nicht der Verteidigungsausschuss einmal abschließend mit der Frage beschäftigen sollte, anstatt uns mit den Scheinanträgen zu beschäftigen. Im Rahmen der Diskussion um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag schlug bereits 1950 die Himmero- der Denkschrift eine Wehrpflichtarmee vor, weil nur so die beabsichtigte Truppenstärke zu erreichen war und mit ihr zugleich eine engere Verbindung der neuen deut- schen Streitkräfte mit dem parlamentarisch-demokrati- schen System geschaffen werden sollte. Die Wehrpflicht stellte auch das für einen Aufwuchs und den Personaler- satz benötigte Reservistenpotenzial sicher. Im Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956 setzte die Regierungsmehrheit im Deutschen Bundestag deshalb ihr Konzept einer Wehrpflichtarmee für die Bundeswehr durch. Die Notwendigkeit der Wehrpflicht wurde bisher von keiner Bundesregierung infrage gestellt. Noch im April 2002 stellte das Bundesministerium der Verteidi- gung fest: „Unter den gegebenen sicherheitspolitischen Bedingungen, dem gesellschaftlichen Rahmen und den zur Verfügung stehenden Mitteln ist der verfassungsmä- ßige Auftrag der Bundeswehr nur unter Beibehaltung der Wehrpflicht sicherzustellen.“ Eine Bestätigung der Wehrpflicht enthalten auch die Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003. Danach ist die Wehrpflicht in angepasster Form für die Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaft- lichkeit der Bundeswehr unabdingbar. Die wesentlichen Gründe für ihre Beibehaltung sind die notwendige Fä- higkeit zur Rekonstitution der Streitkräfte, die Sicher- stellung der Unterstützung bei Naturkatastrophen sowie Unglücksfällen und die Aufrechterhaltung des Betriebs der Basis im Inland. Auch lässt sich nur mit umfangrei- chen Wehrpflichtigen-Streitkräften die Sicherheit im In- land bei asymmetrischen Bedrohungen sicherstellen. Mit der Abkehr von der Landesverteidigung als wahr- scheinlichstem und wichtigstem Auftrag der Streitkräfte sieht ein Teil der Öffentlichkeit die Notwendigkeit der Wehrpflicht als sicherheitspolitisch nicht mehr begrün- det an. Zur Abwehr von äußeren Gefahren reiche auch eine kleinere Berufsarmee aus. Das Bundesverfassungs- gericht hat in seiner Entscheidung aber nochmals betont, dass „die dem Gesetzgeber eröffnete Wahl zwischen ei- ner Wehrpflicht- und einer Freiwilligenarmee eine grundlegende staatspolitische Entscheidung [ist], die auf wesentliche Bereiche des staatlichen und gesellschaftli- chen Lebens einwirkt und bei der der Gesetzgeber neben verteidigungspolitischen Gesichtspunkten auch allge- meinpolitische, wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gründe von sehr verschiedenem Gewicht zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat.“ Der Verteidigungsminister bezeichnet in Nr. 62 der VPR die Fähigkeit zur Rekonstitution – dem (Wieder-)Aufbau großer Streitkräfte zur Landesverteidigung – als eines der Hauptargumente für die Beibehaltung der Wehr- pflicht. Vor genau diesem Tatsachenhintergrund müssen wir die Diskussion um die Wehrpflicht also führen. Falls tatsächlich keine gesellschaftspolitische Notwendigkeit mehr bestünde, wäre die Wehrpflicht obsolet. Dies ist je- doch nicht der Fall. Die asymmetrische Bedrohung wächst zunehmend. Deutschland ist nicht länger nur der Ruheraum der Terroristen. Im Internet wird Deutschland längst mit Amerika und Großbritannien in einem Atem- zug genannt, wenn es um Terror und Dschihad geht. Selbstverständlich können wir mit dem Umbau der Bundeswehr weiter fortfahren und uns darauf einstellen, künftig nur noch Friedensmissionen im Ausland durch- zuführen. In der Union sind wir aber der Meinung, dass es eben nicht ausreicht, Deutschland nur noch am Hin- dukusch zu verteidigen. Nein, Deutschland muss auch im Land selbst verteidigt werden können, wenn Angriffe gegen die Gesellschaft und die von Ihr verkörperten Grundwerte stattfinden. Hierzu sind die Polizeien der Länder und des Bundes aber nicht entsprechend ausge- rüstet. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern doch nicht allen Ernstes erzählen, dass unsere Spürpanzer zwar zum Schutz der Bevölkerung in Kuwait eingesetzt werden dürfen, aber nicht in Kassel, sondern dort die Feuerwehr mit ihrem Messwagen zuständig ist und wir lieber Feuerwehrleute in Schutzanzügen durch ein Ge- fahrengebiet schicken, als mit einem vollgeschützten Panzer der Bundeswehr. Die Pläne der Union sehen keine Hilfspolizei des Bundes vor. Wir wollen, ebenso wenig wie Sie, den In- nenministern in ihr gut gelerntes Handwerk pfuschen. Aber wir wollen, dass im Bedarfsfall diejenigen die Ar- beit übernehmen, die dafür am besten ausgebildet sind. Die Umsetzung des von der Union vorgeschlagenen Hei- matschutzkonzeptes kann daher nicht nur die logische Konsequenz einer Antwort auf die asymmetrische Be- drohung sein. Sie ist auch die zwingende Schlussfolge- rung aus der notwendigen Umgestaltung des Wehrdiens- tes und sie führt zu einer höheren Wehrgerechtigkeit. Es wäre ja sehr schön, wenn sich die SPD als große Volkspartei nunmehr endlich positionieren würde, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14233 (A) (C) (B) (D) anstatt ständig um ein Bekenntnis wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen. Warum sagen Sie nicht, dass Sie die Wehrpflicht gerne erhalten wollen? Warum treten Sie nicht offensiver für den Erhalt der Wehrpflicht ein? Wenn Sie sich mit einer positiven Entscheidung zur Wehrpflicht wirklich bis zum Herbst Zeit lassen, könnte der Eindruck entstehen, dass Sie bereit sind, diese zu- gunsten einer Wiederwahl zu opfern, auch wenn hier- durch die Sicherheit Deutschlands massiv gefährdet wird. Dass sie sich intensiv mit der Wehrpflicht auseinander setzen, war der Presse der letzten Tage ja auch hinrei- chend zu entnehmen. Da wurde plötzlich die Übernahme des dänischen Wehrpflichtmodells in Erwägung gezo- gen. Hörte sich ja auch sehr schön an! Offiziell wird die Wehrpflicht ausgesetzt. Die noch notwendigen Wehr- dienstleistenden melden sich freiwillig, weil der Dienst ja nun attraktiv bezahlt wird und man so was Nettes für den Lebenslauf bekommt. Zugleich kann man den Ko- alitionspartner gut aussehen lassen. Leider hat das dänische Modell ein paar kleine Schönheitsfehler und ist nicht so einfach auf Deutsch- land übertragbar. Die ersten Erfahrungen aus Dänemark werden zurzeit aber erst ausgewertet und das Verteidi- gungsministerium in Dänemark hat sich ausdrücklich eine Erprobung bis 2007 vorbehalten. Da die Wehr- pflicht aufgrund der Umgestaltung effektiv auf den Schutz der dänischen Heimat ausgerichtet ist, werden die Wehrpflichtigen neben der militärischen Ausbildung intensiv in Erster Hilfe und Brandbekämpfung ausgebil- det. Langweile oder Rumhängen und die Zeit absitzen – dies wird auch von Wehrpflichtigen in der Bundeswehr als häufigster Kritikpunkt angeführt – wurden nach einer Befragung vorheriger Wehrpflichtiger abgeschafft. Zu- gleich wurde der Sold auf etwa 1300 Euro netto herauf- gesetzt. Nach der Ausbildung müssen die Wehrpflichti- gen noch für drei Jahre als Reservisten zur Verfügung stehen. Insofern lässt sich dem dänischen Modell sicher- lich etwas für die Gestaltung der Wehrpflicht in Deutschland abgewinnen. Aber ich möchte einmal die Frage aufwerfen, was passierte, wenn tatsächlich jemand zum Wehrdienst ausgelost würde. Wollen wir dann jedes Mal eine Klage bis zum EuGH oder wird das Verfahren genauso akzeptiert werden wie in Dänemark? Zumindest sollten wir die Erfahrungen unserer Nachbarn im Norden genau auswerten und ich denke, dass sich der Verteidi- gungsausschuss hierzu ausführlich sowohl durch das BMVg als auch durch die dänische Botschaft unterrich- ten lassen wird. Wenn wir aber schon einmal den Blick über die Lan- desgrenzen schweifen lassen, dann schauen wir uns bei dieser Gelegenheit bitte einmal an, welche Erfahrungen dort mit der Abschaffung der Wehrpflicht gemacht wur- den. In einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes mit der Nummer WF II – 144/03 können Sie die negativen Auswirkungen bestens nachlesen. Ich er- wähne nur zwei Beispiele: Spanien 25 Prozent der Dienstposten nicht besetzt, Niederlande 20 Prozent der Dienstposten nicht besetzt. Von einer eventuellen Auf- wuchsfähigkeit wollen wir gar nicht erst reden. Hinzu kommt die erheblich gesteigerte Einsatzbelastung durch die fehlenden Dienstposten. Als Mitglied der WEU-Delegation und der Parlamen- tarischen Versammlung des Europarates komme ich mit vielen ausländischen Kollegen zusammen. Parteiüber- greifend haben mir nahezu alle bei der Diskussion über die Abschaffung der Wehrpflicht in ihren Ländern ge- sagt, dass dies eine Fehlentscheidung war, die, wenn man nur könnte, sofort rückgängig gemacht würde. Es gibt Fehler, die macht man nur einmal. Würden wir die Wehrpflicht abschaffen, wäre dies ein Fehler, den wir si- cherlich sehr bald bereuen würden. Die eigentliche Frage ist doch nicht die der Abschaf- fung der Wehrpflicht, sondern die der sinnvollen Ausge- staltung des Dienstes und der Wehrgerechtigkeit. Hier würde eine Umsetzung des Heimatschutzkonzeptes so- wohl dem Einberufenen als auch der Gesellschaft die- nen. Eine verstärkte Ausbildung in Erster Hilfe, Brand- bekämpfung und technischer Hilfeleistung ist eine Ausbildung fürs ganze Leben. Die Möglichkeit nach der Grundausbildung Ersatzdienste bei den Polizeien der Länder und des Bundes, ebenso wie beim THW und den Feuerwehren und Rettungsdiensten zu leisten, würde nicht nur die Länder und Kommunen erheblich entlas- ten. Sicherlich würde so manch ein ehemaliger Wehr- pflichtiger später als freiwilliger Helfer weiter zur Verfü- gung stehen – angesichts der teilweise dramatischen Nachwuchssorgen bei den Feuerwehren und im Kata- strophenschutz ein sicherlich willkommener Nebenas- pekt. Ich möchte darauf verzichten, hier vorzutragen, wie viele Wehrpflichtige im Einzelnen bei den verschiede- nen Katastrophenfällen im Einsatz waren. Denken wir aber einmal zurück an die Sturmflut in Hamburg, an den Brand in der Lüneburger Heide, die Schneekatastrophe 1978, die Jahrhundertfluten an Rhein, Oder und Elbe. Wie wären diese Katastrophen verlaufen, wenn nicht die Bundeswehr eingesetzt worden wäre? Die Frage der Wehrgerechtigkeit wird in der öffentli- chen Diskussion unterschiedlich dargestellt und bewer- tet. Entscheidend für die Beurteilung ist, welche Bezugs- größe man heranzieht. Die prozentuale Verteilung auf einen Geburtsjahrgang wurde auf den Anfang 2003 gül- tigen Rechtsgrundlagen für die nächsten Jahre mit fol- genden ungefähren Werten prognostiziert: – Nicht Gemusterte 4 Prozent – Nicht Wehrdienstfähige 7 Prozent – Wehrdienstausnahmen/Einberufungshindernisse 4 Pro- zent – Externer Bedarf 3 Prozent – Kriegsdienstverweigerer 38 Prozent – Eingezogene/Bedarf der Bw (GWDL/FWDL/SaZ) 29 Prozent – Ausschöpfungsrest 5 Prozent Bei der Bewertung der Wehrgerechtigkeit sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die im Wehrpflichtgesetz 14234 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) vorgesehen Wehrdienstausnahmen zum Beispiel für Geistliche, Polizei, BGS, Zivil-, Katastrophenschutzan- gehörige und Entwicklungshelfer sind vom Umfang her für die Betrachtung der Frage der Wehrgerechtigkeit nicht ausschlaggebend. Das Grundgesetz sieht das Recht auf Kriegsdienstver- weigerung ausdrücklich vor, dieser mittlerweile hohe Anteil scheidet somit in der objektiven Beurteilung der Wehrgerechtigkeit aus. Um nach Abzug der Wehr-Untauglichen und Wehr- dienst-Ausnahmen ein höchstmögliches Maß an Wehr- gerechtigkeit zu erzielen, wurde die Dauer des Wehr- dienstes in der Vergangenheit mehrmals dem Verhältnis zwischen vorhandenen Dienstposten für Wehrpflichtige – Umfang und Personalstruktur der Streitkräfte aufgrund der jeweiligen sicherheitspolitischen Lage – und der Zahl der zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen des jeweiligen Geburtsjahrganges angepasst. Damit wurde versucht, möglichst viele der für den Wehrdienst verfüg- baren Männer tatsächlich einzuziehen, auch wenn diese zukünftig – siehe oben – nur circa 29 Prozent eines ge- samten Geburtsjahrganges darstellen. Bei einer Betrachtung des Gesamtjahrganges mit nur 29 Prozent Wehrdienstleistenden wird in der Öffentlich- keit sehr oft und vorschnell das Urteil der fehlenden Wehrgerechtigkeit gefällt. Fairerweise muss man die Zahl der Wehrdienst leistenden Soldaten jedoch auf den aufgrund der gesetzlich gewollten Ausnahmen – ein- schließlich der Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegs- dienstverweigerung – zur Verfügung stehenden Perso- nenkreis – 29 Prozent + 5 Prozent = 34 Prozent – beziehen. Bei dieser Betrachtungsweise leisten mindes- tens 85 Prozent tatsächlich Dienst und niemand kann ernsthaft die Wehrgerechtigkeit infrage stellen. Die seit dem 1. Juli 2003 geänderte Einberufungspra- xis sieht zusätzliche Wehrdienstausnahmen und stren- gere Tauglichkeitsgrenzen vor; damit sinkt der Aus- schöpfungsrest weiter. In den aktuellen Zahlen im Internet geht das BMVg von einem Ausschöpfungsrest von 10 Prozent aus. Einen Ausdruck habe ich Ihnen mit- gebracht. Dies ist auch vor dem Hintergrund des aktu- ellen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts nicht hinnehmbar. Mit einer Umsetzung des Heimatschutz- konzeptes der Union und einer weiteren Öffnung der Er- satzdienste für die Polizeien der Länder und des Bundes, ebenso wie beim THW und den Feuerwehren und Ret- tungsdiensten kann der Wehrgerechtigkeit Genüge getan werden. Unbestritten ist, dass für Auslandseinsätze nur gut ausgebildete Soldaten zum Einsatz kommen dürfen. Hierfür reicht die 9-monatige Dauer des Grundwehr- dienstes im Hinblick auf eine sinnvolle Einsatzzeit nicht aus. Aber schon heute machen die freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistenden (FWDL), also Wehrpflichtige, rund 20 Prozent des Personals der Bundeswehr bei Aus- landseinsätzen aus. Ohne ihren Beitrag, wären die Ein- sätze nicht möglich. Bleibt zum Ende meiner Redezeit nur noch Folgendes festzustellen: Deutschland braucht eine Wehrpflichtar- mee. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Beibehaltung der Wehrpflicht Die Wehrpflicht ist ein Dienst, den wir unseren jungen Männern zur Sicherung der Gesellschaft abverlangen müssen. Aufgabe der Poli- tik ist und bleibt es über die Sinnhaftigkeit dieser Pflicht zu wachen und für die notwendige Ausrüstung zu sor- gen. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gestern stellte das Bundesverwaltungsgericht fest: Die gegenwärtige Einberufungspraxis von Wehrpflichtigen zur Bundeswehr sei rechtmäßig, und nicht willkürlich. Solange Wehrdienstausnahmen auf gesetzlicher Grund- lage erfolgten, sei das Gebot der Wehrgerechtigkeit nicht verletzt. Das ändert aber nichts daran, dass inzwischen weni- ger als jeder fünfte junge Mann eines Jahrgangs nur noch Wehrdienst leistet. Damit ist die reale Wehrpflicht offen- kundig ganz und gar keine „gleich belastende Pflicht“ mehr, wie sie es laut Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts sein müsste. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat in Sa- chen Wehrpflicht kaum mehr Klarheit geschaffen. Gut daran ist: Die Politik, wir Abgeordnete selbst bleiben in der Pflicht, die künftige Wehrform klar zu bestimmen. Der heute eingebrachte FDP-Antrag greift das am 8. November von uns bündnisgrünen Außen- und Sicherheitspolitikern vorgelegte Positionspapier „Den Übergang zur Freiwilligenarmee zügig fortsetzen“ auf und übernimmt wortgleich unsere Forderung, die All- gemeine Wehrpflicht auszusetzen, „stattdessen einen freiwilligen und flexiblen Kurzdienst von 12 bis 24 Mo- naten einzuführen und den Übergang zur Freiwilligen- armee effizient bündniskompatibel, friedensfördernd, demokratisch und sozial verträglich zu gestalten“. Seit Jahren währt die Auseinandersetzung um das Für und Wider der Wehrpflicht. Mit der Orientierung der Bundeswehr auf multilaterale Krisenbewältigung im Rahmen des Systems der Vereinten Nationen ist die zen- trale sicherheitspolitische Legitimation der Wehrpflicht und des mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriffs entfallen. Die offenkundige und weiter zunehmende Wehrungerechtigkeit zersetzt die Akzeptanz den Wehr- pflicht gerade bei den betroffenen jüngeren Leuten. Es ist immer mehr zu spüren: Die Wehrpflicht lässt sich auf Dauer nicht mehr halten. Vorschläge, sie über Verkürzung der Wehrdienstdauer, die Ausweitung von Bundeswehraufgaben im Inneren oder gar eine allge- meine Dienstpflicht aufrechtzuerhalten, gehen in die Irre. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie des Übergangs zur Freiwilligenarmee. Ein freiwilliger flexibler Kurzdienst von zwölf bis 24 Monaten wäre eine wichtige Brücke. Er soll Männern und Frauen offen ste- hen, attraktiv sein und nach solider Ausbildung einen Auslandseinsatz beinhalten können. In dieser Zeit kön- nen sich „Kurzdiener“ und Bundeswehr gegenseitig „er- proben“. Der Kurzdienst würde die freiwillig länger Die- nenden und schrittweise die Grundwehrdienst Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14235 (A) (C) (B) (D) Leistenden ersetzen und damit auch die von ihnen ge- leisteten Funktionen abdecken. Die höhere Effizienz des Kurzdienstes würde eine Reduzierung des Gesamtum- fangs der Streitkräfte erlauben. Ein solcher Kurzdienst ermöglicht ein sanftes Umsteuern ohne abrupte Brüche. Er muss in ein verbessertes Konzept der Nachwuchs- gewinnung, Personalbetreuung und Berufsförderung in- tegriert werden. Der Vorschlag eines Kurzdienstes hat bisher viel Zustimmung erfahren – unter Soldaten, bei Jugendverbänden wie in der Öffentlichkeit. Er könnte schon vor einer Entscheidung über die künftige Wehr- form auf den Weg gebracht werden. Angesichts der ge- genwärtig guten Bewerberlage ist dafür der Zeitpunkt ausgesprochen günstig. Der FDP-Antrag beschränkt sich auf die Forderung nach einem freiwilligen flexiblen Kurzdienst, lässt aber die essenziellen flankierenden Forderungen der Grünen außer Acht: Um Risiken zu vermeiden und den Über- gang zur Freiwilligenarmee verantwortlich zu gestalten, also eine auch qualitativ ausreichende Nachwuchsge- winnung und die Integration der Streitkräfte in die Ge- sellschaft zu gewährleisten, sind ein klarer und begrenz- ter Bundeswehrauftrag, die Attraktivität des Dienstes, eine gelebte Innere Führung und verantwortbare Ein- sätze die unverzichtbare Voraussetzung. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrer Ko- alitionsvereinbarung festgelegt, die Wehrform vor Ende der Legislaturperiode zu überprüfen. Die SPD will hierzu auf ihrem Bundesparteitag im November be- schließen. Im Interesse einer tragfähigen und vertrauens- würdigen Transformation der Bundeswehr wäre es aber, wenn zügig und im Laufe dieses Jahres Klarheit in Sachen Wehrform geschaffen würde. Hierbei ist selbst- verständlich die SPD unser Partner und nicht die FDP. Günther Friedrich Nolting (FDP): Gestern hat das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung gefällt, die auf den ersten Blick als pro Wehrpflicht verstanden werden könnte. Dem zweiten, dem genaueren Blick bleibt jedoch nicht verborgen, dass es sich um eine reine Sachentscheidung bezüglich der Einberufungspraxis handelt. Die Grundsatzentscheidung zur Aussetzung der Wehrpflicht muss und wird politisch fallen, in diesem Haus. Die Wehrpflicht ist heute in jeder Beziehung unge- recht. Nicht einmal mehr einem Fünftel der jungen Män- ner wird der Wehrdienst abverlangt. Außerdem steht der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen, weder für Deutschland und schon gar nicht für die Betroffenen. Die Wehrpflicht behindert einerseits zunehmend den normalen Dienstablauf in der Truppe, andererseits be- nachteiligt sie die jungen Männer, die den Wehrdienst ableisten müssen, in ihrem beruflichen Weiterkommen. Mittlerweile stimmt der Slogan: „Die Dummen dienen, die Klugen verdienen.“ Das ist unerträglich. Auch deshalb, neben der sicherheitspolitischen Be- trachtung, fordert die FDP seit langem die Umstrukturie- rung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee. Die un- bestreitbaren Vorteile der Wehrpflicht müssen dabei nicht zwangsläufig aufgegeben werden. Wir haben schon vor Jahren das Modell der flexiblen Kurzdienst- zeit entworfen, das diesem Gedanken voll Rechnung trägt. Die Grünen haben es vor wenigen Wochen weitge- hend kopiert, ohne Quellenangabe versteht sich. Wenn es aber der Sache dienlich ist, wenn es die Freiwilligen- armee in Deutschland voranbringt, sei ihnen der geistige Diebstahl verziehen. Nachwuchsprobleme wird es, wenn man dem Modell der FDP folgt, eher nicht geben. Der von uns konzipierte freiwillige Kurzdienst, der bis zu 24 Monate dauern kann, wird entscheidend dazu beitragen, die aktuellen Weiterverpflichtungsquoten aus der Truppe heraus zu er- halten bzw. noch zu verbessern. Es muss jedoch sicher- gestellt werden, dass der Dienst in den Streitkräften at- traktiver wird. Auch das stellt das FDP-Konzept sicher. Die FDP ist für die Aussetzung der Wehrpflicht, weil sie sicherheitspolitisch nicht mehr zu legitimieren ist. Bündnis 90/Die Grünen bekunden ebenfalls ihre Sympa- thie für eine Freiwilligenarmee, auch wenn sie bei Ab- stimmungen im Deutschen Bundestag stets für die Bei- behaltung der Allgemeinen Wehrpflicht votiert haben. Die Union scheint in dieser bedeutenden Frage bedau- ernswert bewegungslos. Von Ausnahmen abgesehen ist sie offensichtlich unfähig, Lageveränderungen wahrzu- nehmen, oder aber die daraus erwachsenen logischen Konsequenzen zu ziehen. Wenn mich nicht alles täuscht, kommt die SPD, wenigstens in dieser Frage, langsam in Bewegung. Die dortigen Stahlhelmer jedoch, an der Spitze der Verteidigungsminister, versuchen dennoch mit allen Mitteln, die Meinung der Genossen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ich hoffe sehr, dass die reform- freudigen Kräfte der Partei spätestens auf dem Parteitag im November eine Mehrheit finden werden. In der SPD werden zurzeit öffentlich Überlegungen zur Reform der Wehrpflicht angestellt. Das so genannte dänische Modell, eine Mischform zwischen Wehrpflicht und Freiwilligenarmee, wird in die Diskussion gewor- fen, sogar als Kompromissformel angepriesen. In diesem Punkt gebe ich dem Verteidigungsminister ausdrücklich Recht, wenn er diesen Vorschlag ablehnt. Die dänische Struktur kann nicht als Vorbild für die Bundeswehr he- rangezogen werden. Die SPD wäre gut beraten, in dieser Frage ihrem Koalitionspartner zu folgen, der sich für die Übernahme des FDP-Modells entschieden hat. Das ist der gangbare Weg. Wir verzichten zum Wohle der Sache in dieser wichtigen Frage gern auf unsere Urheberrechte. Die Wehrpflicht ist nicht mehr zu halten. Alle objekti- ven Argumente sprechen gegen sie. Und, auch wenn viele Mitglieder dieses Hauses es nicht wahrhaben wol- len, die Bundeswehr leidet mittlerweile unter der Wehr- pflicht. Die FDP will mit dem vorliegenden Antrag bewirken, dass sich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages noch einmal intensiv mit der Wehrpflichtproblematik be- fassen. Dieses Thema ist zu bedeutungsvoll, um es in eine holzschnittartige Wahlkampfstrategie einzubauen. Es geht um nicht weniger als um unsere Bundeswehr. Es geht um ihr Betriebsklima, um ihre Leistungs- und um ihre Zukunftsfähigkeit. Und es geht damit politisch um die Möglichkeit der internationalen Einflussnahme. Wir 14236 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) wären gut beraten, die Empfehlung des scheidenden amerikanischen Botschafters Coats anzunehmen. Er sagte vor zwei Wochen: Strukturieren Sie Ihre Bundes- wehr neu und machen Sie sie stärker, kein Land kann nur mit Worten globalen Einfluss geltend machen. Ich möchte eingangs feststellen, dass ich die Ausfüh- rungen des Kommandeurs der Führungsakademie der Bundeswehr anlässlich des Neujahresempfangs in allen Punkten teile. Und ich möchte Generalmajor Beck da- rüber hinaus meinen Respekt bezüglich der gezeigten Courage zollen. Zum Schluss ein Zitat, das General Beck in seiner Ansprache benutzt hat: Wenn der Wind des Wechsels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmüh- len. Da ich aus dem Mühlenkreis Minden-Lübbecke komme, sage ich: Lassen Sie uns in der Wehrpflichtfrage ganz schnell Windmühlen bauen. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes über das Inverkehr- bringen, die Rücknahme und die umweltver- trägliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronik- gerätegesetz – ElektroG) – Antrag: Verwertung von Elektronik-Altge- räten ökologisch sachgerecht und unbüro- kratisch gestalten (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Gerd Friedrich Bollmann (SPD): Seit langem dis- kutieren wir über den Entwurf eines Elektro- und Elek- tronikgerätegesetzes. Wir setzen damit die entsprechen- den europäischen Richtlinien in bundesdeutsches Recht um. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Einvernehmlichkeit, mit der wir dies tun. Der Gesetzentwurf wurde intensiv mit allen Beteilig- ten, insbesondere auch den Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen, der Länder und der Wirtschaft beraten. Wenn der Gesetzentwurf jetzt beschlossene Sache wird, ist Deutschland einer der ersten Mitgliedstaaten in der Europäischen Union, der die Richtlinien zur Gestaltung und Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten um- gesetzt hat. Das ist ein gutes Beispiel für eine erfolgrei- che fraktionsübergreifende Einigung und eine gute, wirksame Umsetzung der Richtlinien. Die Umsetzung der Elektro-Schrott-Richtlinien zeigt, dass in Deutsch- land gesetzgeberische Reformarbeit in Konsens mit den Betroffenen möglich ist. Ab dem 13. August 2005 gilt in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein einheitlicher Rahmen für die Wahrnehmung der Produktverantwortung für Elek- tro- und Elektronikgeräte. Ab diesem Zeitpunkt sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Elektro-Alt- geräte kostenlos zur Wiederverwendung oder Entsor- gung abgeben können. Außerdem wird die Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektro- nikgeräten beschränkt. Die Europäische Union will die anfallende Abfallmenge aus diesem Bereich und die Be- lastung dieses Abfalls mit bestimmten gesundheits- und umweltgefährdenden Stoffen deutlich reduzieren. In der EU fielen 1998 etwa 6 Millionen Tonnen Elektroschrott an. Diese Menge entspricht rund vier Prozent des kom- munalen Abfallstroms und wächst zurzeit dreimal schneller als die kommunalen Abfälle insgesamt. Elektroschrott ist noch ein bedeutender Faktor für die Kontamination kommunaler Abfälle mit Schadstoffen. Bisher wird in Europa der überwiegende Teil dieser Ab- fälle ohne jede Vorbehandlung beseitigt und belastet so- mit die Umwelt erheblich. Etwa 40 Prozent der Blei- belastung in Deponien stammen heute aus Elektro- und Elektronikgeräten. Mit dem heute zu beschließenden Gesetz wird diese Umweltbelastung erheblich mini- miert. Wir müssen auch in diesem Punkt unseren abfallwirt- schaftlichen Leitlinien ein Stück näher kommen. Das Ziel der Produktverantwortung nach dem Kreislaufwirt- schafts- und Abfallgesetz, wonach Produkte langlebig, reparierbar, demontierbar, recyclingfahig und schadlos zu beseitigen sein sollen, spiegelt sich in diesem Gesetz- entwurf wider. Denn auch beim Elektroschrott heißt die zeitgemäße Lösung Produktverantwortung. Wir haben versucht, zusätzliche Bürokratie auf das notwendige Minimum zu beschränken. Daher haben wir in Absprache mit den Unternehmensverbänden Regelun- gen getroffen, welche die Umsetzung weitgehend in die Verantwortung der Privatwirtschaft legt. Denn der Elek- tro- und Elektronikgerätemarkt ist äußerst komplex. Es stellt deshalb eine anspruchsvolle Aufgabe dar, den Grundsatz durchzusetzen, dass jeder, der in Deutschland Neugeräte absetzt, für die Rücknahme und umweltver- trägliche Entsorgung von Altgeräten verantwortlich ist. Diese anspruchsvolle Aufgabe haben wir mit dem Ge- setz gelöst. Es wäre nicht sinnvoll, für diese Aufgabe eine neue staatliche Behörde aufzubauen. Diese Behörde müsste sich zunächst die erforderlichen Marktkenntnisse aneignen, um beispielsweise diejenigen zur Verantwor- tung zu ziehen, die sich ihren Verpflichtungen zur Regis- trierung und zum Abholen bei den Kommunen entziehen wollen. Der Gesetzentwurf folgt daher einem anderen organi- satorischen Ansatz: Eine von den Herstellern zu grün- dende privatrechtliche „Gemeinsame Stelle“ wird die notwendigen Aufgaben der Herstellerregistrierung, Da- tenerhebung und weitere organisatorische Arbeiten über- nehmen. Dafür erfolgt auch die zur Durchsetzung not- wendige Beleihung mit hoheitlichen Rechten. Auf diese Weise werden die Marktkenntnisse der Wirtschaft mit der Autorität einer Behörde verbunden. Neben diesen hoheitlichen Aufgaben soll die „Gemeinsame Stelle“ als zentraler Ansprechpartner der Kommunen die Meldun- gen über erreichte Abholmengen entgegennehmen und die Abholung organisieren. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal hervorheben, dass sich die be- troffene Wirtschaft in vorbildlicher Weise an der Lö- sungsfindung beteiligt hat. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14237 (A) (C) (B) (D) Ein zentraler Punkt des Gesetzes war die Frage nach der geteilten oder ungeteilten Produktverantwortung. Wir haben uns letztendlich dafür entschieden, dass die Produktverantwortung zwischen Herstellern und öffent- lich-rechtlichen Entsorgungsbetrieben geteilt wird. Ei- nerseits stellen wir damit sicher, dass die betroffenen Un- ternehmen nicht übermäßig belastet werden, andererseits nutzen wir die Erfahrung der kommunalen Entsorgungs- gesellschaften. In zahlreichen Städten, Gemeinden und Kreisen gibt es bereits heute erfolgreiche Systeme zur getrennten Sammlung von Elektro-Altgeräten. Die vor- handenen Systeme der öffentlich-rechtlichen Entsorger haben bewiesen, dass sie am besten geeignet sind, die ge- trennte Sammlung des Elektroschrotts durchzufuhren und die Altgeräte einer umweltverträglichen Entsorgung zuzuführen. Geteilte Produktverantwortung heißt für uns konkret: Die Hersteller bzw. Importeure müssen folgende Verant- wortung übernehmen: Das Gesetz hält sie dazu an, schon bei der Produktion die Langlebigkeit, Wiederverwend- barkeit und Recyclingfähigkeit ihrer Produkte zu be- rücksichtigen. Erreicht wird dies durch Verpflichtungen, die sowohl die Neugeräte vor dem Inverkehrbringen als auch die Altgeräte im Rücklauf betreffen. Die Hersteller müssen die Entsorgung von Altgeräten übernehmen und finanzieren. Dabei ist es unerheblich, zu welchem Zeitpunkt ein Gerät auf den Markt gekom- men ist. Das heißt, die Hersteller sind verantwortlich da- für, bei den Kommunen Container für Altgeräte aus pri- vaten Haushalten bereitzustellen, die Container bei den kommunalen Sammelstellen abzuholen, die Altgeräte wieder zu verwenden, zu behandeln bzw. zu entsorgen, die Quoten für die stoffliche und energetische Verwer- tung einzuhalten und die Geräte zu entsorgen, die aus dem rein gewerblichen Bereich stammen und nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht werden. Die Kommunen müssen Verantwortung übernehmen: Alle Kommunen müssen zukünftig eine Sammelstelle zur kostenlosen Abgabe von Altgeräten anbieten. Es bleibt den Kommunen überlassen, wie sie die Sammlung orga- nisieren. Darüber hinaus können sie, über die gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtungen hinaus, zugunsten der Bürgerinnen und Bürger freiwillige Verbesserungen in der Sammlung, zum Beispiel Holsysteme, einführen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kommunen die gesam- melten Altgeräte in fünf Gruppen unterteilen und den Herstellern zur Abholung bereitstellen. Die Hersteller lie- fern und finanzieren die dazu erforderlichen Behälter. Durch die im Gesetz verankerte Forderung, dass Bild- schirmgeräte separat und bruchsicher erfasst werden müssen, wird eine umweltgerechte Sammlung und Lage- rung garantiert. Verantwortung übernehmen müssen auch die Ver- braucherinnen und Verbraucher: Sie müssen die Altge- räte getrennt sammeln und bei den kommunalen Sam- melstellen abgeben. Im Gesetz haben wir geregelt, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Neure- gelungen und die Abgabemöglichkeiten informiert wer- den. Aber sie sollten neben den Rückgabemöglichkeiten bei der Kommune oder beim Handel auch die Rücknah- mesysteme der Hersteller nutzen. Der heute eingebrachte Gesetzentwurf über das In- verkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträg- liche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten ist natürlich ein Kompromiss. Aber er ist ein Kompromiss, der meiner Meinung nach den Interessen aller Beteilig- ten entgegenkommt und für alle zustimmungsfähig ist. Mit diesem Gesetz kommen wir unserem Ziel eines um- weltverträglichen Wirtschaftens ein gutes Stück näher. Ich bitte Sie daher um Zustimmung. Werner Wittlich (CDU/CSU): Eines der wichtigsten Regelungsprobleme in der Europäischen Abfallpolitik ist die Entsorgung von Elektro- und Elektronikschrott. Nach jahrzehntelangen Diskussionen über einen Rege- lungsrahmen für die Entsorgung von Elektronikschrott sind im Februar 2004 die so genannten Elektro-Altge- räte-Richtlinien in Kraft getreten. Der vorgelegte Ge- setzentwurf setzt die europarechtlichen Vorgaben in nati- onales Recht um. Kernziel des Gesetzentwurfes ist, den stetig steigenden Abfallmengen bei den Elektro- und Elektronikgeräten – bereits 1998 wurden gemeinschaftsweit 6 Millionen Ton- nen Elektronikschrott entsorgt – durch Getrenntsamm- lung, Wiederverwendung, Verwertung und Recycling gegenzusteuern. Der Markt für Elektro- und Elektronik- Altgeräte wächst seitdem dynamisch an und die Menge der zu entsorgenden Altgeräte ist entsprechend gestie- gen. Zu dieser Entwicklung tragen auch rasante techni- sche Innovationen und die damit einhergehende kurze Nutzungsdauer der Geräte bei. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich immer für eine Regelung stark gemacht, die das Prinzip der Herstellerverantwortung stützt, den Schadstoffgehalt der Geräte verringern hilft, dazu beiträgt, Abfälle zu vermei- den und eine Steigerung der Verwertungsraten mit sich bringen wird. Als positiv beurteilen wir die klare Zuweisung der un- terschiedlichen Verantwortlichkeiten für Rücknahme und Entsorgung. Für die Erfassung und Sammlung sind die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zuständig. Demgegenüber erstreckt sich die Verantwortung der Hersteller auf die Wiederverwendung, Behandlung, Ver- wertung und auf die Übernahme der Kosten für die Ent- sorgung. Das Elektro- und Elektronik-Altgerätegesetz trägt auch der kommunalen Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft Rechnung. Durch die eigen- verantwortliche Sammlung der Elektrogeräte durch die öffentlich-rechtlichen Entsorger bleibt auch die kommu- nale Selbstverwaltung gewährleistet. Die Kommunen verfügen zudem über den erforderlichen Sachverstand zur Sammlung der Geräte. Die Rücknahme von Elektro- und Elektronikgeräten lässt sich über die bewährten kommunalen Sammelstrukturen zudem ohne Verzöge- rungen und bürgernah organisieren. Denn hier kann man an bisherige Rücknahmesysteme anknüpfen, die auf kommunaler Ebene bereits aufgebaut sind und an die sich die Bürger bereits gewöhnt haben. Vom Verbraucher gelernte und akzeptierte Sammelstrukturen bieten auch 14238 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) die Sicherheit, die Rücknahme der Altgeräte ohne Ver- zögerung bürgernah zu organisieren. Es gibt kommunale Gebietskörperschaften, die bereits sehr fortschrittlich in diesem Bereich sind. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Ge- setzentwurf in der Fassung der Beschlussvorlage des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- cherheit zu. Die nun vorliegende Gesetzesfassung stellt nach unserer Auffassung eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem Entwurf in der Kabinettsfassung dar. Nicht zuletzt hat auch die öffentliche Sachverständigen- anhörung vom 24. November 2004 dazu beigetragen, dass der Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten ver- bessert werden konnte. Nach von allen Fraktionen intensiv geführter Bera- tung im Umweltausschuss vom gestrigen Tage kann sich das Ergebnis sehen lassen. Wie intensiv die Beratungen in der Ausschusssitzung geführt wurden, lässt sich daran messen, dass zahlreiche Änderungsanträge beraten und entschieden wurden. Die Koalitionsfraktionen haben weitgehend Beschlüsse des Bundesrates, denen die Bun- desregierung im Vorfeld zugestimmt hatte, übernom- men. Damit sind die Koalitionsfraktionen auch zum großen Teil Forderungen der CDU/CSU-Bundestags- fraktionen nachgekommen. Von den insgesamt zehn unserer Forderungen konnten wir vier durchsetzen. Die rot-grüne Koalition hat der Forderung der Unionsfraktion zugestimmt, spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes seine Auswir- kungen zu überprüfen und dem Bundestag und Bundes- rat darüber zu berichten. Auch die Erwähnung des Be- griffs „clever chips“ in Druckerpatronen, die zu einer Diskriminierung eines einzelnen Technologiebereichs geführt hätten, ist beseitigt. Der entsprechende Klam- merzusatz in der Begründung des Gesetzestextes ist jetzt gestrichen. Auch mit den jetzt länger gefassten Über- gangsvorschriften für das In-Kraft-Treten des Gesetzes von nun acht bzw. zwölf Monaten konnten wir eine Eini- gung mit den Koalitionsfraktionen erzielen. Damit tra- gen wir der Tatsache Rechnung, dass die öffentlich- rechtlichen Entsorgungsträger sowie auch die Hersteller eine angemessene Vorbereitungszeit zur Einrichtung und zum Aufbau von operativen Sammel- und Rücknahme- systemen benötigen. Leider ist die Regierungskoalition nicht bereit, sechs Sammelcontainer, wie es der Referentenentwurf vorge- sehen hatte, beizubehalten. Wir kritisieren diese Redu- zierung von sechs auf fünf Sammelbehältnisse, da eine ökologisch sinnvolle Differenzierung zwischen den un- terschiedlichen Geräten unserer Auffassung nach nicht möglich ist. Denn eine Reduzierung auf fünf Geräte- gruppen hat unseres Erachtens zur Folge, dass Geräte mit unterschiedlichen Verwertungs- und Recyclingquo- ten zusammengeworfen werden, sodass ein umweltge- rechter Weitertransport verkompliziert wird. Eine hoch- wertige Verwertung wird erschwert, die Wahrnehmung einer herstellerspezifischen Verantwortung unmöglich gemacht und Anreize für eine recyclinggerechte Kon- struktion entwertet. Die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen konnten sich leider auch nicht durchringen, unserem Antrag zustimmen, der vorsah, eine so ge- nannte Befreiungsklausel für die Schmuck- und Uhren- branche sowie für Hersteller von Modelleisenbahnen mit aufzunehmen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht es als notwendig an, eine solche Klausel in den Gesetz- entwurf aufzunehmen. Sie erlaubt, Hersteller von den Auflagen des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes für Produkte zu befreien, wenn eine Müllstromanalyse nachweist, dass sich die von ihm erzeugten Produkte nicht im Elektromüll befinden. Denn Produkte, wie zum Beispiel wertvolle Schmuckstücke, Uhren, Modelleisen- bahnen, werden in der Regel nicht über den Hausmüll entsorgt. Es sind zumeist Sammlerstücke, die mit ent- sprechender Wertsteigerung von Generation zu Genera- tion weitergegeben und vererbt werden. Ohne eine ent- sprechende „Befreiungsklausel“ werden unseres Erachtens insbesondere kleine und mittelständische Un- ternehmen durch die kostenpflichtige Registrierung, de- taillierten Meldungen und Statistiken unverhältnismäßig finanziell belastet. Zu unserem Bedauern haben die Koalitionsfraktionen sich auch nicht durchringen können, ein wirksames Instrument zu schaffen, das dem so genannten Rosinen- picken durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ- ger einen Riegel vorschiebt. In § 9 Abs. 6 des Gesetzent- wurfs wird es weitgehend den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern überlassen, je nach Marktlage der Rohstoffmärkte freihändig zu entscheiden, ob sie Altge- räte den Herstellern jeweils zur Verfügung stellen oder nicht. Es bedarf nach unserer Auffassung einer längeren Mindestbindungszeit, um zu verhindern, dass den Her- stellern die Grundlagen für die Abschätzung der ankom- menden Altgerätemengen- und qualitäten entzogen wer- den. Der Gesetzentwurf trägt auch dem Gesundheitsschutz Rechnung. Denn auch die komplexe Konstruktion der Geräte und die Verwendung gefährlicher Substanzen in einzelnen Bauteilen, wie zum Beispiel Blei, Quecksilber oder Cadmium, machen es nötig, dass eine Grundlage für eine praxisgerechte und wettbewerbskonforme Rege- lung der Rücknahme und Entsorgung von Altgeräten ge- schaffen und Höchstkonzentrationswerte festgelegt wer- den. Als positiv möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass der Kollege Bollmann sein Versprechen aus der ers- ten Lesung vom 22. Oktober 2004 gehalten hat und sich nach der öffentlichen Anhörung im Rahmen der Ver- handlungen im Umweltausschuss kompromissbereit ge- zeigt hat. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der nun vorliegenden, überarbeiteten Fassung des Gesetzentwur- fes zu. Der FDP-Antrag enthält durchaus gute Ansatzpunkte. Die CDU/CSU-Fraktion kann ihm dennoch nicht zu- stimmen, da er das den Gesetzentwurf prägende Prinzip der Getrenntsammlung in Zweifel zieht. Die CDU/CSU- Fraktion bekennt sich hingegen zu dem Prinzip der Ge- trenntsammlung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14239 (A) (C) (B) (D) Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Lassen Sie mich zunächst daran erinnern, dass die Versuche, eine Regelung für die aus Umweltsicht hochrelevante Gruppe der Elektro- und Elektronik-Alt- geräte auf den Weg zu bringen, bereits auf das Jahr 1991 zurückgehen. Bisher war es aber nicht gelungen, eine entsprechende nationale Regelung zu verabschieden. Erst die Richtlinien der EU führen jetzt – 2005 – dazu, dass wir endlich eine Regelung für diese hoch problema- tische Abfallgruppe verabschieden – und das, obwohl die Elektroschrottberge seither stetig gewachsen sind. Sie wachsen weiter stetig in Richtung 2 Millionen Ton- nen Altgeräte pro Jahr. Eine Vielzahl von – teilweise noch funktionstüchtigen – Geräten landet bislang ein- fach auf dem Müll. Dabei gehen nicht nur wertvolle Rohstoffe verloren, es gelangen auch Giftstoffe wie Quecksilber oder Cadmium in die Umwelt. Deshalb verabschieden wir heute das Elektro- und Elektronik-Altgerätegesetz und führen damit auf der Ba- sis der entsprechenden EG-Richtlinien auch für diesen Bereich die Produktverantwortung ein. Ziel des Gesetzes ist, dass Verbraucher erstens umweltgerechte schadstoff- arme Neugeräte angeboten bekommen, die entweder langlebig oder gut recycelbar sind, und zweitens ihre Altgeräte kostenlos zurückgeben können. Somit werden die Voraussetzungen geschaffen, dass eine sinnvolle Ent- sorgung jenseits von Sperrmüll, der grauen Restmüll- tonne oder gar des Waldrandes stattfindet. Um das zu erreichen, stellt das Gesetz sicher, dass die Hersteller besonders gefährliche Stoffe, wie zum Bei- spiel Blei, Cadmium oder bestimmte bromhaltige Ver- bindungen, nicht mehr verwenden, eine umweltgerechte Entsorgung aller Altgeräte garantieren, festgelegte Recy- cling- und Verwertungsquoten einhalten und sich zur Kontrolle in einem Register erfassen lassen. Anderer- seits verlangt das Elektroaltgerätegesetz allerdings auch von den Kommunen eine aktive Rolle. Viele von ihnen sind ebenso wie ihre Bürgerinnen und Bürger bereits durch jahrelange freiwillige Praxis auf die Getrennt- sammlung von Altgeräten eingestellt. Auch werden zahlreiche Altgeräte auf diesem Wege bereits der – öko- logisch und sozial – denkbar sinnvollsten Verwendung zugeführt, indem die Kommunen die Altgeräte karitati- ven Einrichtungen zur Verwertung übergeben. Dies wird durch das Gesetz natürlich erhalten bleiben. Insgesamt ist zentrales Element des Gesetzentwurfes die so genannte geteilte Produktverantwortung. Sie ist eine notwendige und sinnvolle Regelung, die sicher- stellt, dass auch die „historischen Altgeräte“, also die Geräte, die bereits im Umlauf sind, zurückgenommen werden. Geteilte Produktverantwortung heißt: Die Wirt- schaft muss einschließlich der Bereitstellung der Sam- melbehälter die Verantwortung für die Verwertung aller Altgeräte übernehmen, auch der, die vor Jahrzehnten produziert wurden und für die heute kein Hersteller mehr festgestellt werden kann. Im Gegenzug müssen die Kommunen die Aufgabe der kostenlosen Annahme der Altgeräte übernehmen. Die Umwelt profitiert in jedem Fall; denn ein großer Teil von Altgeräten befindet sich vermutlich noch in Kellern und Speichern privater Haus- halte. Deren Verbleib und Entsorgung war zumindest bislang sehr ungewiss. Ebenso wichtig wie die Vorgabe anspruchsvoller Ver- wertungsziele ist es aber auch, sicherzustellen, dass sich kein Hersteller oder Importeur seinen Verpflichtungen entziehen kann. Aus diesem Grund wird ein von der Wirtschaft geschaffenes und mit behördlichen Befugnis- sen ausgestattetes Register unter der Aufsicht des Um- weltbundesamtes die Einhaltung des fairen Wettbewerbs überwachen. Das neue Gesetz regelt dies so unbürokra- tisch wie möglich, aber so genau wie nötig. Bezüglich der Kritik aus den Reihen der FDP-Frak- tion ist deshalb auch anzumerken: Hier wird mitnichten eine unnötige Bürokratie geschaffen, sondern das Ge- genteil ist der Fall: Der Staat hält sich weitgehend zu- rück. Die Wirtschaft leistet die Registrierung und Koor- dinierung in eigener Regie in Form einer Stiftung. Die Behörde, das Umweltbundesamt, hat lediglich die Fach- aufsicht. Die Wirtschaft hat es somit selbst in der Hand, die Bürokratie auf ein Minimum zu reduzieren. Zum Schluss möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass es uns gerade auch angesichts der von mir anfangs er- wähnten langjährigen Geschichte um den Elektro- und Elektronikschrott und der großen Bedeutung für den Um- weltschutz ein wichtiges Anliegen war, dass der vorlie- gende Gesetzentwurf von einer breiten Mehrheit getragen wird. Wir haben deshalb in den sehr konstruktiven Bera- tungen im Deutschen Bundestag unter anderem viele gute und in der Sache begründete Vorschläge der Länder in den Gesetzentwurf mit aufgenommen. So können wir heute mit einer breiten Mehrheit ein Gesetz verabschieden, das die bereits im Jahre 1991 begonnenen Arbeiten an einer Elektro- und Elektronikaltgeräteverordnung zu einem er- folgreichen Ende bringt. Birgit Homburger (FDP): In den vergangenen Mo- naten hat sich der Bundestag sehr intensiv mit dem heute zur Schlussabstimmung vorliegenden Gesetzentwurf be- fasst. Die FDP hat frühzeitig zahlreiche Regelungen des ursprünglichen Entwurfs kritisiert und im Deutschen Bundestag mit dem Antrag „Verwertung von Elektronik- Altgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch gestalten“ konkrete Änderungen vorgeschlagen. Die FDP hat aufgezeigt, wie eine kostenminimale, einfache, schlanke und unbürokratische Realisierung der europäi- schen Richtlinie erreicht werden kann. Für die FDP war und ist entscheidend, dass das Ziel der Ressourcenscho- nung, der Minimierung der zu deponierenden Abfälle und der Erhalt und die Weiterentwicklung des erreichten Gesundheits- und Umweltschutzniveaus auch im Be- reich der Elektro- und Elektronik-Altgeräte so erreicht wird, dass die Betroffenen nicht unnötig belastet werden. Vier Wochen später hat der Umweltausschuss zu den vorgesehenen Regelungen eine Expertenanhörung durchgeführt. Die Anhörung im vergangenen November hat die Kritik der FDP an zahlreichen Stellen bestätigt. Es wurde klar, dass das Ziel des Elektrogesetzes, den Abfall aus Elektro- und Elektronikgeräten zu vermeiden und – soweit dies nicht möglich ist – deren Verwertung zu fördern, weniger bürokratisch, weniger kostenintensiv 14240 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) und mit deutlich weniger Nachteilen für die Arbeits- plätze in Deutschland und Europa erreicht werden könne. Die FDP freut sich und nimmt mit Erleichterung zur Kenntnis, dass mit der nun vorliegenden Fassung des Gesetzes einigen der von uns kritisierten Punkte abge- holfen und einigen Einwänden der FDP Rechnung getra- gen wird. Dies betrifft beispielsweise die Präzisierung bisher unklarer Begriffe, die Erweiterung übertrieben knapp gesetzter Fristen und die Beseitigung mancher Ungereimtheiten bei der Zertifizierung der betreffenden Anlagen und ihrer Betreiber. Auch weisen einige mittler- weile vorgesehene Vollzugserleichterungen in die rich- tige Richtung. Dass die sachlich begründete und kon- struktive Kritik der FDP an einem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ausnahmsweise bei Umweltminister Trittin einmal nicht – jedenfalls nicht vollständig – auf taube Ohren trifft, ist eine positive Überraschung. Dennoch kann die FDP dem vorliegenden Gesetzent- wurf nicht zustimmen. Noch immer findet sich in dem Gesetz manche unsinnige und belastende Regelung, die zwar umweltpolitisch motiviert sein mag, für einen wirksamen Schutz von Mensch und Umwelt aber nicht erforderlich ist. Noch immer ist leider festzustellen, dass den Betroffenen zahlreiche übertriebene und nutzlose Vorschriften hätten erspart werden können und müssen. Nach wie vor ist nicht einzusehen, dass durch undiffe- renzierte Vorgaben ohne ökologische Notwendigkeit auch Hersteller von elektronischen Geräten belastet werden, deren Anteil an der Gesamtmenge von Elektro- und Elektronik-Altgeräten vernachlässigbar gering oder null ist. Außerdem erscheinen zahlreiche Vorgaben zur manuellen Vorbehandlung und Getrenntsammlung der Altgeräte nicht zuletzt im Eindruck des technischen Fortschritts unter anderem bei Sortier- und Verwertungs- anlagen nicht mehr zeitgemäß. Auch kann der deutsche Umweltminister der Versu- chung nicht widerstehen, alles aufs Genaueste zu regeln, auch wenn die Regelung keinerlei Wirkung entfaltet. Die Vorgabe, wonach die Anforderungen des Gesetzes auch für Hersteller gelten, die entsprechende Geräte beispiels- weise über das Internet in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vertreiben, mag zwar der euro- päischen Richtlinie geschuldet sein. Die prompte und musterschülerhafte Übernahme in das deutsche Gesetz überzeugt jedoch nicht. Kein einziges europäisches Part- nerland erfüllt derzeit die Voraussetzungen, um die Vor- stellung einer europaweiten Anwendung der Vorschrif- ten und den daraus abgeleiteten Finanzierungskreislauf tatsächlich mit Leben zu erfüllen. In die Welt gesetzt wird hier also eine leerlaufende Vorschrift, die auf die Verwertung nicht eines einzigen Altgerätes Einfluss ha- ben wird, das ins europäische Ausland exportiert worden ist, gleichwohl die Betroffenen aber zusätzlich belastet. Schließlich bleibt generell festzustellen, dass die eu- ropäischen Richtlinien und ihnen folgend das Gesetz versuchen, konkrete Wege zur Behandlung bestimmter Produkte oder Stoffe vorzuschreiben, anstatt sich darauf zu beschränken, verbindliche ökologische Ziele vorzu- geben und es der Wirtschaft und der technischen Ent- wicklung zu überlassen, dafür geeignete Verfahren zu finden. Dazu kommt, dass die Bundesregierung die nö- tige Bereitschaft vermissen lässt, auf europäischer Ebene unsinnige Vorschriften nochmals zur Diskussion zu stel- len. Einem in dieser Hinsicht verfehlten Grundprinzip kann die FDP nicht zustimmen. Um die gegenüber der ursprünglichen Fassung des Gesetzes auch auf Druck der FDP immerhin erreichten Verbesserungen zu würdigen, wird sich die FDP der Stimme enthalten. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Energieeffizienz in Gebäuden steigern – Unbürokratische Energie- ausweise entwickeln (Tagesordnungspunkt 12) Gabriele Groneberg (SPD): Die Einführung eines Energieausweises ist Bestandteil einer EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Neu al- lerdings ist die Diskussion nicht. Die Richtlinie verfolgt nahezu die gleichen Ziele wie die Energieeinsparverord- nung (EnEV), die bereits seit dem 1. Februar 2002 in Kraft ist. Diese Energieeinsparverordnung ist nicht nur zentrales Element der Energie- und Klimaschutzpolitik der Bundesregierung, sie dient ebenso der Daseinsvor- sorge und liefert wichtige Impulse für die Baukonjunk- tur. Wir haben nicht nur Gesetze und Verordnungen zur energetischen Gebäudequalität gemacht, wir haben auch ganz praktische finanzielle Anreize für Eigentümer be- schlossen um unseren internationalen Verpflichtungen mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß im Gebäudebereich zureduzieren, auch zu erreichen. Die seit Jahren existierenden und gut angenommenen Förderprogramme zur Sanierung und Modernisierung im Gebäudebereich dienen dazu, Eigentümern energetische Sanierungsmaßnahmen schmackhaft zu machen. Diese Programme tragen dazu bei, Investitionen und Innova- tionen im Gebäudebereich anzustoßen. Davon profitiert vor allem natürlich auch die Bauwirtschaft. Wir werden sicherlich darüber reden müssen, wie das Gebäudesanierungsprogramm zur CO2-Minderungebenso wie auch das Programm für das „Niedrigenergie- haus im Bestand“ weiterentwickelt werden soll mit Blick auf die Einbeziehung der Energieausweise und ebenso mit Blick auf die Anforderungen der Energieeinsparver- ordnung. Ich würde mich darüber freuen, wenn wir in diesem Fall auf Ihre Unterstützung für diese Programme setzen könnten. Die nun bis zum 6. Januar 2006 in nationales Recht umzusetzende EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden geht in mehreren Punkten über die zurzeit gültige Energieeinsparverordnung hinaus. Einer der Um- setzungsschwerpunkte wird der Energieausweis sein, mit dem Sie sich in Ihrem Antrag auseinander setzen. Man kann sicherlich darüber streiten, ob – wie in Ihrem Antrag beschrieben – die Einführung des Ener- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14241 (A) (C) (B) (D) gieausweises dem allgemeinen politischen Ziel, büro- kratischen Aufwand in Deutschland abzuschaffen, wi- derspricht oder ob nicht doch die Einführung von Energieausweisen ein Vorteil ist für diejenigen, die ein Haus bauen oder kaufen wollen, oder für den Mieter, der sich nach einer neuen Wohnung umschaut. Der Energie- ausweis ist damit auch ein Instrument des Marktes. Die mit dem Energieausweis verbundene Transparenz hinsichtlich der energetischen Qualität von Gebäuden ist sicherlich für viele Interessenten ein Vorteil und damit gut für den Verbraucher. Und für die Eigentümer von Gebäuden, bei denen die energetische Qualität nicht in Ordnung ist, werden die dem Energieausweis beizu- fügenden Empfehlungen für kostengünstige Verbesse- rungen der Gesamtenergieeffizienz des Gebäudes helfen, geplante Modernisierungen energetisch sinnvoll durch- zuführen oder auch Baumaßnahmen zur energetischen Verbesserung zu ergreifen. Und diese Investitionen wie- derum werden der Bauwirtschaft und damit den dort Be- schäftigten zugute kommen. Die von Ihnen beschriebene „von verschiedenen Sei- ten geäußerte starke Kritik an einem zu aufwendig ge- stalteten Energiepass“ malt ein falsches Bild. Es kann höchstens Befürchtungen geben, ein geplanter Energie- pass könnte zu aufwendig werden; denn noch gibt es keine Entwürfe. Was es gibt, ist ein im Jahr 2004 durch- geführter Feldversuch der Deutschen Energie-Agentur (dena), der zurzeit ausgewertet wird. Und es gibt eigene Untersuchungen des Verbandes deutscher Wohnungsun- ternehmen (GdW). Und das ist gut so. Keiner leidet hier unter einem Informationsmangel, denn die „dena“ hat bereits in einer ersten Runde über den jetzt abgeschlossenen Feldversuch berichtet. Die endgültigen Auswertungen liegen doch noch gar nicht vor. Sie erwecken in ihrem Antrag den Eindruck, hier würde nicht vernünftig informiert. Es liegt doch vor allem an Ihnen, die angebotenen Informationsmöglich- keiten auch zu nutzen. Wenn wir das Thema Energieausweis im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beraten, werden wir natürlich auch darüber reden, ob dieser Ausweis be- darfsabhängig, auf der Grundlage von Berechnungen des Energiebedarfs erstellt und für den Verbraucher in einer leicht verständlichen Klassifizierung ausgeführt wird oder ob er auf der Basis von Verbrauchsmessungen ge- staltet werden soll. Und auch über die Kosten und Fris- ten bis zur erstmaligen Vorlage eines Ausweises gibt es noch keine Aussagen. Ziel sollte auf jeden Fall ein ein- heitlicher, leicht verständlicher Energieausweis sein, der transparent ist und damit der Information von Eigen- tümern und Verbrauchern dient. Sehr geehrte Damen und Herren der CDU/CSU-Frak- tion, Ihr Antrag ist auf jeden Fall in einigen Punkten wi- dersprüchlich. Sie verlangen einen Energieausweis, der nicht mehr Bürokratie erfordert, wie ohnehin durch die Umsetzung der Richtlinie zwingend erforderlich ist. So weit, so gut. Gleichzeitig wollen Sie jedoch der Bun- desregierung eine Berichtspflicht auferlegen, die voll- kommen unnötig ist. Sie wollen eine offizielle Be- richtspflicht gegenüber dem Parlament, die derartig umfangreich ist, dass man mit dem damit verbundenen Aufwand etliche Leute im Apparat beschäftigen kann. Ich frage mich, ob es vielleicht sogar beabsichtigt ist. Wollen Sie mit dem damit verbundenen Zeitaufwand etwa eine gehörige Zeitverzögerung bei der Beratung zur Umsetzung erreichen? Ich hoffe doch wohl nicht. Die zur Beratung notwendigen Informationen werden wir mit Sicherheit im Ausschuss bekommen. Das ist eine gute Gepflogenheit der Fachleute in diesem Bereich; das wissen Sie ganz genau. Oder haben Sie bei den Beratun- gen zum Beispiel über die Novellierung der Bauordnung über mangelnde Informationen klagen können? Lassen Sie uns die Beratungen über die Ausgestal- tung des Energieausweises in Ruhe und mit der notwen- digen Sorgfalt im Ausschuss durchführen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir das Ziel der Stei- gerung der Energieeffizienz bei Gebäuden und damit eine Einsparung von CO2 erreichen können. Und lassenSie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es für die Ver- braucher mehr Transparenz hinsichtlich der energeti- schen Qualität von Gebäuden gibt. Ich bin gespannt auf Ihr Verhalten bei den Beratungen. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Ich will eines vo- rausschicken, damit gleich zu Beginn nicht wieder wie so häufig ein falscher Zungenschlag in diese Debatte kommt: Wir sind uns vermutlich unter allen Fraktionen darüber einig, dass es auf den verschiedenen nationalen Politikfeldern noch großer Anstrengungen bedarf, um den Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll nachzu- kommen. Wir sind uns vermutlich auch weitgehend da- rüber einig, dass die Politik, was die Rahmenbedingun- gen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland betrifft, mindestens bisher noch nicht an dem Punkt angelangt ist, wo man sich beruhigt zurücklehnen könnte. Ich for- muliere dies an dieser Stelle bewusst sehr vorsichtig. Vor diesem Hintergrund stehen wir als Gesetzgeber im Deutschen Bundestag nun vor der Aufgabe, die Richtlinie der Europäischen Union zur Gesamtenergieef- fizienz von Gebäuden in nationales Recht umzusetzen. Und die spannendste von allen Fragen, die sich für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dieser Aufgabe ver- binden, heißt: Gelingt es uns womöglich, die Anforde- rungen aus dem Kioto-Protokoll mit der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen zu verbinden und so die klassische Win-Win-Situation herzustellen? Dazu ist es notwendig, dass wir uns mit einigen Fakten vertraut machen, bevor wir im Detail in die Materie einsteigen. Erstens. Von den 17,1 Millionen Wohngebäuden, die es neben den gewerblichen und öffentlichen Bauten in Deutschland gibt, sind 14,1 Millionen Ein- und Zweifa- milienhäuser. Das heißt, die Lösung, die wir zur Schaf- fung eines so genannten Gebäude- oder Energiepasses finden, muss sich in erster Linie an den Bedürfnissen und Interessen der Häuslebauer und Häuslebesitzer ori- entieren, damit sowohl ökologisch als auch ökonomisch letztlich etwas Sinnvolles daraus wird. Zweitens. Wenn es uns wichtig ist, dass wir ökolo- gisch und ökonomisch mit diesem Projekt einen Effekt 14242 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) erzielen, müssen wir auf bestehende Erfahrungen und vorhandene Erkenntnisse zurückgreifen, bevor wir uns daranmachen, ein Gesetz zu formulieren. Drittens. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir, je nachdem, wie wir diesen Gebäudepass ausgestalten und mit welchen rechtlichen Bildungen wir ihn versehen, wir unter Umständen Begleiterscheinungen erzeugen, die alles andere als gewünscht und schon gar nicht hilf- reich sind. Viertens. Von dieser Stelle ist heute schon eine ganze Menge über Bürokratieabbau geredet worden. Zu Recht! Also stellen wir das Ganze einfach unter die Überschrift, dass man das, was letztlich herauskommt, auch als ganz normaler Mensch ohne Jurastudium und Ingenieuraus- bildung verstehen können muss. Meine Damen und Herren, die Deutsche Energie- Agentur (dena) hat uns vor wenigen Wochen über einen Feldversuch berichtet, den sie Ende des letzten Jahres abgeschlossen hat. Dabei ist untersucht worden, wie die Umsetzung der EU-Richtlinie funktioniert, wenn man mit einem kennwert- oder bedarfsorientierten Gebäude- pass arbeitet. Parallel dazu hat der Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft (GdW) eine Alternative getestet, nämlich den verbrauchswertorientierten Gebäu- depass. Um es ganz einfach und untechnisch zu formu- lieren: Welche Variante ist die bessere: Ein Pass, der sich am Soll orientiert, oder ein Pass, der das Ist darstellt? Oder aber – das füge ich aus meiner persönlichen Sicht an – brauchen wir möglicherweise eine Kombination aus beidem? Die Frage ist alles andere als eine Petitesse. Sie entscheidet nämlich letztendlich darüber, ob wir in der Praxis Erfolg haben werden oder nicht. Ich werde später nochmals darauf zurückkommen. Vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens dürfte aber eines feststehen: Um die gerade gestellten Fragen richtig beantworten zu können, müssen wir zunächst einmal ei- nen Blick darauf werfen, was uns an Ergebnissen der Feldversuche vorliegt. Deshalb fordert die Union von der Bundesregierung einen Bericht, der diese Ergebnisse darstellt. Der könnte dem Deutschen Bundestag schon in Kürze vorgelegt werden und dann eine Grundlage für die Gesetzgebung bilden. Denn es geht ja nicht nur um die Praxistauglichkeit, sondern auch um die Kosten. Ich räume ein, dass es hierdurch möglicherweise zu einer zeitlichen Verzögerung bei der Umsetzung kom- men könnte. Aber hier geht Gründlichkeit vor Schnellig- keit, zumal uns Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie ausdrück- lich die Möglichkeit der Fristverlängerung einräumt. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann müssen wir uns eingestehen, dass in diesem Hohen Hause schon eine ganze Reihe Gesetze gemacht wurden, bei denen Schnelligkeit vor Gründlichkeit ging. Die Ergebnisse kennen wir ja zur Genüge. Und wenn wir uns in der Ziel- setzung, was Kioto angeht, weitgehend einig sind, plä- dieren wir als Union für ein Beratungsverfahren, das sich an der Vorgehensweise bei der Novelle zum Bauge- setzbuch orientiert. Wir haben gemeinsam gearbeitet, uns Zeit genommen, dann kam etwas Vernünftiges dabei heraus, was schließlich auch gemeinsam verabschiedet werden konnte. Ich will einen weiteren Punkt nennen, den wir mitei- nander besprechen müssen: Soll der Gebäudepass juristi- scher Bestandteil des notariellen Kaufvertrags oder des Mietvertrags sein oder soll er dies nicht sein? Mir ist die Argumentation sehr wohl bekannt, dass dieser Gebäude- pass kein zahnloser Tiger werden dürfe und er deshalb auch eine rechtliche Bindung haben sollte. Wenn wir uns aber die finanziellen Folgen für Miet- und Kaufverträge ansehen, die zwangsläufig hieraus resultieren, frage ich, ob das wirklich gewollt ist. Wenn wir uns zu Recht an anderer Stelle darüber unterhalten, dass die Nebenkosten beinahe schon die Höhe einer zweiten Miete angenom- men haben, müssen wir uns fragen, ob es dann sinnvoll ist, auf diese Summe über den Gebäudepass noch etwas draufzusatteln. Andererseits müssen wir uns genauso fragen, ob es richtig ist – das hat zum Beispiel eine Be- deutung im genossenschaftlichen Mietwohnungsbau –, bestehende unternehmerische Kalkulationen dadurch von gesetzgeberischer Seite zu beeinflussen, dass in- folge der rechtlichen Bindung und der hieraus sich erge- benden finanziellen Auswirkung Mieter gegenüber ih- rem Vermieter auf Mietminderung dringen können und dadurch ein Unternehmen in Schieflage gerät. Wer dann daraus folgert, dies sei durchaus gewollt und zwinge bei- spielsweise Unternehmen im genossenschaftlichen Woh- nungsbau zu Investitionen hinsichtlich der CO2-Minde-rung im Gebäudebereich, hat mit ziemlicher Sicherheit die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich habe vorher davon gesprochen, dass so ein Ge- bäudepass möglichst unbürokratisch und für den Ver- braucher verständlich gestaltet werden sollte. Machen wir es einmal ganz einfach und anschaulich: Ich frage mich gegenwärtig als Besitzer eines Häuschens – Alt- bau –, was ich zur Minderung der Emissionen und damit zur Kostensenkung machen kann. Hierzu nützen mir die Bedarfszahlen eines Gebäudepasses alleine relativ we- nig. Um dies auch und gerade finanziell darstellen zu können, brauche ich die Verbrauchszahlen und muss diese mit den Bedarfszahlen gegenüberstellen können, die aus einer eventuellen Investition in Heizung, Fenster oder Wärmedämmverbundsystem entstehen. Und dann kann ich mir ganz einfach ausrechnen, dass sich meine Investition möglicherweise schon in kurzer Zeit rechnet. Und genau dieser Effekt ist uns als Unionsfraktion wichtig. Im Gebäudepass kann ein kleines Beschäfti- gungsprogramm stecken, das uns im Gegensatz zu einer staatlichen Beschäftigungspolitik nicht nur relativ wenig kostet, sondern auch etwas zum Klimaschutz beiträgt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Hausbesitzer keine wissenschaftliche Dokumentation an die Hand be- kommt, für deren Lektüre er fachlichen Beistand braucht, sondern dass die Ausgestaltung so erfolgt, dass auf den ersten Blick für den Hausbesitzer erkennbar ist, wo die Mängel, wo die Chancen zur Energieeinsparung und zur Kostenreduktion liegen und der Berater dann le- diglich noch die Funktion hat, bei der Umsetzung der Maßnahmen und nicht bei der Lektüre des Passes Hilfe- stellung zu leisten. Lassen Sie uns die Chancen, die in diesem Projekt lie- gen, nutzen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist an einer konstruktiven Mitarbeit ausdrücklich interessiert. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14243 (A) (C) (B) (D) Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die steigenden Ölpreise in diesem Winter und die damit einhergehenden Belastungen für unsere Volkswirtschaft machen eines deutlich: Unsere Abhän- gigkeit von fossilen Energieträgern ist zu einem gravie- renden ökonomischen Problem geworden. Schwerer noch wiegen allerdings die umweltpoliti- schen Risiken, die mit der Verbrennung von fossilen Energieträgern und dem damit verbundenen Ausstoß von CO2-Emissionen einhergehen. CO2-Emissionen tra-gen unumstritten zur globalen Erwärmung bei – mit ka- tastrophalen Folgen überall auf der Welt. Dies beunru- higt längst nicht nur Ökologen. Auch die Volkswirtschaftler sind beunruhigt über die Zunahme von Umweltkatastrophen weltweit. Eine aktuelle DIW- Studie schätzt die weitere Belastung der Volkswirtschaft durch vermehrte Naturkatastrophen auf bis zu 137 Milliarden Euro. Die Weltgemeinschaft hat auf diese Entwicklung rea- giert und mit dem Kioto-Prozess ehrgeizige Ziele zur weltweiten CO2-Reduzierung benannt. Deutschland hatsich verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2012 um21 Prozent zu senken. Wir sind mit 18,7 Prozent Redu- zierung im Vergleich zu 1990 auf dem besten Weg, un- sere Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll zu erfül- len. Im Nationalen Allokationsplan beziehungsweise im Zuteilungsgesetz 2007 verpflichtet sich die Bundesregie- rung für die Bereiche Verkehr und private Haushalte zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis 2012 um9 Millionen Tonnen CO2. In Deutschland bestehen nach wie vor erhebliche Po- tenziale zur CO2-Minderung. Dies gilt insbesondere fürden Gebäudebestand. Rund ein Drittel des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland wird für die Wär- meversorgung im Gebäudebereich benötigt. Vier Fünftel des Wohnungsbestandes wurden vor dem Jahr 1980 er- richtet. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie und des Kli- maschutzprogramms der Bundesregierung hat die Bun- desregierung konsequent das bestehende energiesparpo- litische Instrumentarium ausgebaut und innovativ weiterentwickelt. 2001 wurde das KfW- CO2-Gebäude-sanierungsprogramm aufgelegt. 2002 ist die Energieein- sparungsverordnung (EnEV) in Kraft getreten. Die Energieberatung „Vor-Ort“ wurde konsequent ausge- baut. 2003 wurde das KfW-CO2-Gebäudesanierungspro-gramm mit dem Programm „Niedrigenergiehaus im Be- stand“ finanziell verstärkt und ausgeweitet. Wir haben bereits viel erreicht. Aber unser Ziel ist die energetische Optimierung des gesamten Gebäudebestandes bis 2040. Dafür sind weitere Anstrengungen notwendig. Besondere Bedeutung kommt dabei der Fortsetzung des KfW-CO2-Gebäudesanierungsprogramms zu. Seitdem Programmstart im Januar 2001 wurden aus dem Programm 59 800 Kredite für 166 600 Wohnungen des Altbaubestandes bewilligt. Der CO2-Ausstoß konnte da-mit um rund 1,3 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert werden. Bis 2010 lässt sich der CO2-Ausstoß sogar um3,5 Millionen Tonnen reduzieren. Das CO2-Gebäude- sanierungsprogramm trägt damit entscheidend zum Er- folg der Klimaschutzstrategie der Bundesregierung bei. Zugleich hat das Programm auch positive Auswirkun- gen auf Baukonjunktur, Beschäftigung und Wirtschafts- wachstum. Das Forschungszentrum Jülich beziffert den Beschäftigungseffekt der beiden bestehenden KfW- Programme zur CO2-Minderung und CO2-Gebäude-sanierung auf insgesamt 41 000 Arbeitsplätze. Davon entfallen 20 000 Arbeitsplätze auf das CO2-Gebäude-sanierungsprogramm. Die rot-grüne Bundesregierung stellt für die Förde- rung der energetischen Gebäudemodernisierung jährlich Haushaltsmittel in Höhe von 364 Millionen Euro zur Verfügung. Wir wollen die Förderung deutlich intensi- vieren und schlagen vor, die Förderung ab 2006 zu ver- doppeln. Dazu wollen wir prüfen, ob eine Umstellung auf eine direkte Förderung noch stärkere Anreize für In- vestitionen in die energetische Modernisierung des Ge- bäudebestandes bieten kann. Darüber hinaus wollen wir das bestehende CO2-Ge-bäudesanierungsprogramm um ein Förderprogramm zur energetischen Sanierung von öffentlichen Gebäuden er- gänzen. Damit sollen Impulse für die energetische Mo- dernisierung von Kindertagesstätten, Schulen, Altenta- gesstätten, Krankenhäusern, Altenheimen, Feuerwehr- und Polizeistationen und sonstige öffentliche Gebäude gesetzt werden. Entscheidend für weitere Erfolge bei der energeti- schen Modernisierung des Gebäudebestandes bleibt die Mobilisierung privaten Kapitals. Der Energiepass, der nächstes Jahr auch für Altbauten Pflicht wird, soll die Energieeffizienz eines Wohngebäudes für Verbraucher transparent machen. Häuser mit sehr hohem Energiever- brauch werden dann vermutlich am Wohnungsmarkt weitaus weniger nachgefragt werden als heute. Damit sollen wirtschaftliche Anreize für Investitionen in den Gebäudebestand erhöht werden und Impulse für die energetische Sanierung gesetzt werden. Hausbesitzer sollen zukünftig stärker als bisher ihre Chancen nutzen und zu Energiewirten werden. Dafür ist es allerdings aus unserer Sicht entscheidend, dass der Energiepass auf Grundlage der technischen Eigenschaften des Gebäudes erstellt wird. Dieser bedarfsbasierte Energiepass gibt Auskunft über die Qualität des Gebäudes, unabhängig vom Verhalten einzelner Nutzer. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion weist in seiner grundlegenden Intention einige Gemeinsamkeiten mit unserer Position auf. Ich freue mich besonders, dass auch von der Opposition die Fortsetzung unseres Altbau- sanierungsprogramms gefordert wird. Beim Energiepass liegen wir aber doch noch deutlich auseinander. Einen reinen verbrauchsbasierten Energiepass, wie ihn die Op- position hier vorschlägt, lehnen wir ab. Allenfalls sind wir bereit, über Übergangslösungen für die Wohnungs- wirtschaft nachzudenken. Ich freue mich darauf, diese und andere Fragen in den Ausschüssen weiter zu disku- tieren. 14244 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) Angelika Brunkhorst (FDP): Der Antrag stellt zu Recht fest, dass es Zeit ist für breit angelegte Energieef- fizienzmaßnahmen in den Bereichen Bau und Verkehr. Da stimmt auch die Regierung sicher liebend gern zu. Die Umsetzung der EU-Vorgaben zum Energie- ausweis durch die Bundesregierung erfolgte bisher aber nur unzureichend und am optimalen Nutzen vorbei. Wie- der einmal scheint es so, als könnte die Deutsche Energieagentur die hohen in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Wiederholt kam es bei der Umsetzung verschiedener Energieeffizienz-Kampagnen zu Über- schneidungen und Interessenkonflikten zwischen den beteiligten Bundesministerien. Die FDP hat dazu in die- ser Woche auch eine Kleine Anfrage eingebracht, um dieses Gebaren öffentlich zu hinterfragen. Die Ausgestaltung eines Energieausweises ist nicht ganz so banal, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber orientiert man sich an einer effizienten und unbürokrati- schen Vorgehensweise, lässt sich schnell ein Nutzen so- wohl für die Wohnungseigentümer und Mieter wie auch die Umwelt und das Klima erreichen. Für Neubauten schreibt die Energieeinsparverordnung (EnEV) ja bereits die Berechnung des Heizwärmebedarfs und somit einen Energieausweis vor. Aus Sicht der FDP ist es die Hauptaufgabe des Ener- gieausweises, dazu beizutragen, ein Bewusstsein für den Energieverbrauch im Gebäudebestand zu schaffen. Dazu reicht eine einfache und kostengünstige Variante des Ausweises aus, die beispielsweise auf Verbrauchskenn- werten basiert oder mit Referenzwerten arbeitet. Viel entscheidender, und das sieht auch die EU-Kommission so, ist die begleitende Beratung hinsichtlich möglicher effizienter Sanierungsmaßnahmen. Die gewünschten In- novationen und Investitionen werden sich daran an- schließen. Die Bundesregierung muss dazu ihre Energie- beratungs- und Förderungskonzepte neu strukturieren und anpassen. Ein Energieausweis darf keine Rechtswirkungen ha- ben, sondern lediglich der Information und Transparenz dienen. Welche Haftungsansprüche wollen Sie denn an- sonsten aus einem Energieausweis ableiten, wenn sich die Berechnungen später als ungenau herausstellen? Machen wir uns nichts vor. Ein Energiepass allein wird noch keinerlei Auswirkungen auf den Wohnungs- markt haben. Immobilien sind nun mal nicht wie Kraft- fahrzeuge beliebig austauschbar. Dort spielen andere Kriterien eine weitaus wichtigere Rolle. Ein erhöhtes Bewusstsein für den Energieverbrauch von Gebäuden resultiert aber vielleicht in einer Abkehr vom Preisver- gleich rein auf Basis der Kaltmiete, hin zum Vergleich der Warmmiete je Quadratmeter. Dann hätten wir schon viel erreicht. Würden wir uns indes tatsächlich auf einen Ausweis nach dem vorgeschlagenen „Ausführlichen Verfahren“ der dena einstellen müssen, kämen erhebliche finanzielle Aufwendungen auf die Wohnungswirtschaft zu. Solche „physikalischen“ Energieausweise setzen besonders ge- schultes Fachpersonal voraus, welches auch die entspre- chenden Kosten verursacht. Als Hochtechnologie- und Innovationsstandort sollte sich Deutschland dabei hüten, die von der EU angebotene dreijährige Fristverlängerung in Anspruch zu nehmen, die den Mitgliedstaaten im Falle von Fachkräftemangel eingeräumt wird. Das wäre ein Armutszeugnis. Oder machen wir es doch wie Frau Künast, die un- längst 1-Euro-Jobs für arbeitslose Köche forderte, damit diese die Ernährungsberatung in Schulen übernehmen. Vielleicht fordern wir in diesem Sinne 1-Euro-Jobs für arbeitslose Bauingenieure, damit diese die Energiebera- tung in den Haushalten übernehmen. So einfach geht das! Spaß beiseite. Lassen sie uns die Energieeffizienz des Gebäudebestandes per Energieausweis ebenfalls effi- zient und praktisch ausgestalten. Ein hoher Rechts- und Kostendruck führt ansonsten doch nur wieder zu Aus- weichbewegungen des Marktes. Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden wurde auf europäischer Ebene Anfang 2003 eine „Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ in Kraft gesetzt. Wir werden sie rechtzeitig bis Januar 2006 in nationales Recht umsetzen. Die Richtlinie verlangt energetische Standards in allen Mitgliedstaaten und eine ganzheitliche Beurteilung der Energieeffizienz von Ge- bäuden. Deutschland ist hier einer der Vorreiter in Eu- ropa. In der Energieeinsparverordnung haben wir einen Großteil der Vorgaben schon erfüllt. Markttransparenz ist in Europa ein hohes Gut. Wir benötigen dafür Instrumente, damit die Verbraucher sich besser über die Vor- und Nachteile einzelner Immobi- lienangebote informieren können. Genau dies will die Richtlinie europaweit möglich machen. Energieausweise müssen künftig sowohl für Neu- als auch für Altbauten verbindlich vorgeschrieben werden. Für uns ist nur der obligatorische Energieausweis für bestehende Gebäude etwas Neues. Ab 2006 müssen wir in Deutschland nach und nach diese Bestandspässe ausstellen. Insbesondere bei Neuvermietung, Verkauf und gege- benenfalls staatlicher Förderung müssen die Ausweise erstellt und Miet- oder Kaufinteressenten vorgelegt wer- den. Dies soll zu mehr Verbraucherfreundlichkeit und Transparenz beitragen. Das Bewusstsein für den Ener- gieverbrauch von Gebäuden wird erhöht, die Motivation zu Energiesparmaßnahmen gestärkt, Innovationsanreize geschaffen. Wir prüfen zurzeit die näheren Einzelheiten der Ausgestaltung der Energieausweise. Dazu gehört auch die Frage nach dem Anwendungsbereich der Aus- weise, die am tatsächlichen Verbrauch orientiert sind. Qualität, Objektivität und Transparenz sind die entschei- denden Kriterien für den Erfolg des Energieausweises. Und natürlich muss auch der Preis stimmen. Gelingt hier eine optimale Gestaltung, kann der Pass das Schlüssel- element einer modernen Informationspolitik zum ener- giesparenden und umweltgerechten Bauen werden. Wir werden die Richtlinie eins zu eins umsetzen. Da- bei wird sich die Umsetzung in zwei Paketen vollziehen: Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14245 (A) (C) (B) (D) In Kürze werden wir den Entwurf für eine Änderung des Energieeinsparungsgesetzes vorlegen. Das Gesetzge- bungsverfahren bietet voraussichtlich im zweiten Quar- tal 2005 Gelegenheit, die im Antrag angesprochenen Fragen zu erörtern. Der zweite Schritt wird die Vorlage eines Entwurfs für eine Änderung der Energieeinspar- verordnung sein. Bei der Erstellung des Referentenent- wurfs zur Energieeinsparverordnung werden wir selbst- verständlich die in Ihrem Antrag vorgelegten Fragen sorgfältig prüfen und die Ergebnisse dieser Prüfung be- rücksichtigen. Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, Berichte zu Einzelthemen bei der Umsetzung der Richtlinie vorzulegen. Ich kann mich diesem Anliegen nicht anschließen und möchte Sie bitten, von diesem Wunsch Abstand zu nehmen. Eine gesonderte Vorlage von Berichten zu Einzelthemen würde eine zügige Bera- tung verzögern. Natürlich werden wir im Verfahren aus- führlich informieren. Was das Anliegen nach kosten- günstigen und transparenten Energieausweisen angeht, sind wir nicht weit auseinander. Es ist doch selbstver- ständlich, dass wir gerade in Zeiten der Entbürokratisie- rung einen praxistauglichen, verständlichen und kosten- günstigen Energieausweis bereitstellen werden. Auch die Frage nach etwaigen Rechtswirkungen von Energie- ausweisen ist ein Thema, mit dem sich die Bundesregie- rung bereits befasst hat. Mit den betroffenen Verbänden haben wir uns bereits ausgetauscht. Über das Ergebnis der Prüfung wird im Gesetzgebungsverfahren berichtet werden. Ich bin sicher, dass wir eine gute Zusammenar- beit bei der Lösung dieser genannten Problematik ver- einbaren können. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber- gängen sofort verbessern – Mehr Sicherheit an beschrankten Bahn- übergängen (Tagesordnungspunkt 14) Heidi Wright (SPD): Viele Jahre lang haben sich die für Verkehrssicherheit an Bahnübergängen Zuständigen bemüht, Maßnahmen zur Reduzierung der Unfallhäufig- keit an unbeschrankten Bahnübergängen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Mit der heutigen abschließenden Lesung und Abstimmung des Koalitionsantrages „Si- cherheit an unbeschrankten Bahnübergängen sofort ver- bessern“ und der Zustimmung der Oppositionsparteien stellt der Bundestag eine längst überfällige und notwen- dige Weiche: Er macht den Weg frei für eine Änderung der StVO und damit für die Verankerung der Möglich- keit einer Doppelbeschilderung von Andreaskreuz und Stoppschild an dafür geeigneten unbeschrankten Bahn- übergängen. Die Frage, an welchen Bahnübergängen die Schil- derkombination Sinn macht, weil sie geeignet ist, das Gefahrenpotenzial tatsächlich herabzusetzen, wird in Einzelfallprüfungen vor Ort zu klären sein. Dieser Klä- rungsprozess muss zügig organisiert und zwischen den beteiligten Akteuren von Schiene und Straße gut koordi- niert werden. Er kann nur gelingen, wenn alle Entschei- dungsträger ihrer Verantwortung gerecht werden. Und diese Verantwortung heißt, nicht weiter die Möglichkeit der Doppelbeschilderung zu verzögern. Der Handlungs- druck ist groß, die Zeit arbeitet nicht für uns. Das Problem: Zwar sind die Unfallzahlen an Bahn- übergängen insgesamt rückläufig. Doch gemessen an der Unfallhäufung stellen unbeschrankte Bahnübergänge, die entweder mit Lichtzeichen, Blinklicht oder Andreas- kreuz gesichert sind, unvermindert Hauptgefahren- punkte dar: 23 Tote bei Unfällen an unbeschrankten Bahnüber- gängen – von insgesamt 46 Toten –, 38 Schwerverletzte – von insgesamt 56 Schwerverletzten – und 88 Leicht- verletzte – von insgesamt 129 Leichtverletzten – zählte das Eisenbahn-Bundesamt für das Jahr 2003. Angesichts dieser Realität war das Bundesministe- rium natürlich nicht tatenlos und hat 2004 einen Leitfa- den zur Durchführung von Bahnübergangsschauen vor- gelegt. Dieser ist ausdrücklich zu loben, stellt er doch die Problematik Verkehrssicherheit an Bahnübergängen als Gemeinschaftsaufgabe dar und nimmt auch alle – Bahn, Kommunen, Verkehrsteilnehmer – in die Verantwortung. Bundesweit gibt es derzeit rund 24 000 Bahnübergänge der DB AG. Davon sind rund 12 000 mit Schranken bzw. Signallichtern gesichert. Die Mehrzahl der Bahnüber- gänge aber, rund 14 000, ist unbeschrankt. Die Lösung: Einstimmig haben am 15. Dezember 2004 alle Fraktionen im federführenden Ausschuss den Koalitionsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen „Sicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen sofort verbessern“ angenommen. Das ist erfreulich, und es wa- ren mehrere Gründe, die schließlich alle von der Wirk- samkeit unserer Lösung überzeugten: Sie ist technisch einfach zu realisieren, sie ist eine preiswerte Alternative zu teuren Nachrüstungen mit (Voll-)Schranken, und sie ist schnell umsetzbar. Die Einsicht in die Notwendigkeit unverzüglichen Handelns angesichts der unvermindert hohen Gefahren- potenziale war für die Kollegen von der Opposition ein Grund, sich unserem Antrag anzuschließen und den ei- genen für erledigt zu erklären. Sie haben damit gezeigt, dass ihnen das gemeinsame Anliegen etwas wert ist. Dies ist ausdrücklich zu würdigen. Überzeugt hat im Verlauf der parlamentarischen Be- ratungen auch, dass unsere Schilderkombination – ge- zielt angeordnet – die Wahrnehmung von unbeschrank- ten Bahnübergängen deutlich verbessern wird. Gerade in diesem Punkt herrscht weit verbreitete Unkenntnis! Die Bedeutung des Andreaskreuzes – Wartepflicht – gebot den Vorrang der Schiene gegenüber der Straße. Diese Grundregeln sind bei vielen Verkehrsteilnehmern nicht mehr präsent. Mehrere Untersuchungen belegen 14246 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) dies; ich erinnere nur an die 2001 im Auftrag der DB AG durchgeführte Umfrage „Sicher drüber“ von DB AG, ADAC und Deutschem Verkehrssicherheitsrat. Gezielt angeordnet kann die mögliche neue Schilder- kombination den wesentlichen Unfallursachen entgegen- wirken: Noch immer werden unbeschrankte Bahnüber- gänge häufig nicht genügend ernst und damit kaum wahrgenommen; PKW-Fahrer verhalten sich oft unauf- merksam, überqueren mit unvermindert hohem Tempo die Gleise. Vor diesem Hintergrund hat die Sensibili- sierung für die Gefahren durch kontinuierliche Aufklä- rungsarbeit oberste Priorität: durch weitere Kampagnen von Bahn, Verkehrsverbänden und Bundesgrenzschutz, durch Medienberichte, aber auch durch Thematisierung in den Fahrschulen. Überzeugt hat schließlich auch die Dokumentierung der positiven Unfallentwicklung in jenen EU- und außer- europäischen Ländern, in denen die Schilderkombina- tion längst gang und gäbe ist; ich nenne hier zum Bei- spiel Österreich, Spanien, Kroatien, Tschechien, Polen, Namibia. Wir haben guten Grund, davon auszugehen, dass wahrscheinlich auch bei uns Unfälle verhindert werden können. Wir haben den Knoten durchgeschlagen. Wir haben entschieden und setzen jetzt auf die Wirksamkeit unserer Maßnahme. Wie so oft im politischen Geschäft ist dies jedoch noch immer nicht das gute Ende, sondern das Bundesverkehrsministerium muss nun die entsprechen- den Schritte für eine Änderung der StVO sowie eine Än- derung der Verwaltungsvorschriften einleiten. Dafür ist noch ein Abstimmungsprozess mit dem Bundesministe- rium der Justiz notwendig. Parallel hierzu kann jedoch die Änderung der StVO und der Verwaltungsvorschrif- ten mit den Landesbehörden abgestimmt werden. Der Bundesrat muss dann letztendlich noch zustimmen. Ich appelliere an alle im nachfolgenden Prozess Be- teiligten, so wie ich es bereits zu Anfang meiner Rede angemahnt habe, ihrer Verantwortung im Sinne der In- tention des Antrages „Sicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen sofort verbessern“ gerecht zu werden. Gero Storjohann (CDU/CSU): Unbeschrankte Bahnübergänge zählten in der Vergangenheit zu den wohl unfallträchtigsten Bereichen im Straßenverkehr. Allein im Jahre 2002 ereigneten sich 294 Unfälle allein an den Bahnübergängen der Deutschen Bahn AG. 61 Menschen kamen dabei ums Leben. Der größte Teil der Unfälle ereignete sich hierbei an Bahnübergängen, die nicht durch eine Schrankenanlage gesichert waren. Häu- figster Grund hierfür war nach Erkenntnissen aus der Verkehrsunfallforschung, dass vielen Kraftfahrern die Bedeutung des an unbeschrankten Bahnübergängen auf- gestellten Andreaskreuzes vielfach nicht bekannt ist. Viele Autofahrer fuhren daher zu schnell über die unbe- schrankten Bahnübergänge hinweg, ohne auf etwa he- rannahende Züge zu achten. Die CDU/CSU-Fraktion hat daher im November 2003 einen Antrag in den Deutschen Bundestag einge- bracht. Wir wollten endlich mehr Sicherheit an unbe- schrankten Bahnübergängen erreichen. Problem dabei ist, dass die Ausstattung mit einer Schrankenanlage sehr teuer ist. Bis zu 400 000 Euro kann eine solche Umrüs- tung kosten. Ein Nachrüsten ist daher aus Kostengrün- den häufig nicht möglich. Wir wollten Alternativlösun- gen erreichen, um unbeschrankte Bahnübergänge endlich sicherer zu machen. Deshalb hatten wir in unse- rem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, unter an- derem über Erkenntnisse aus Pilotversuchen mit Ver- kehrszeichen auf gelbfluoreszierendem Hintergrund an unbeschrankten Bahnübergängen zu berichten. Solche Pilotversuche gab es beispielsweise schon in Bayern. Auch Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern mit einem auf neongelbem Hintergrund unterlegten An- dreaskreuz interessierten uns. Ferner wollten wir den Start von Pilotprojekten erreichen, um die Effektivität ei- ner Kombination aus Andreaskreuz und Stoppschild zu überprüfen. Darüber hinaus wollten wir überprüft wissen, ob eine Schilderkombination aus Andreaskreuz und Stoppschild die Sicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen nach- haltig verbessern kann. Diese Schilderkombination beruhte auf einem Vorschlag des Rentners Werner Kuhlmann aus Verl in Westfalen. Herr Kuhlmann hatte vor Jahren miterleben müssen, wie ein Auto an einem unbeschrankten Bahnübergang in Verl von einem heran- nahenden Zug erfasst wurde und ein vierjähriges Kind hierbei verstarb. Dieses traurige Ereignis hatte Herrn Kuhlmann nicht mehr losgelassen und er hatte die Idee einer Sicherung der unbeschrankten Bahnübergänge aus Andreaskreuz und Stoppschild. Diese Schilderkombina- tion hat gleich mehrere Vorzüge. Erstens ist sie mit nur 300 Euro pro Bahnübergang sehr kostengünstig. Zwei- tens ist sie schnell zu installieren; es genügen ein paar Schrauben. Und drittens ist sie auffällig, denn die Be- deutung des Stoppschildes ist jedem Verkehrsteilnehmer hinlänglich bekannt. Ende Juli letzten Jahres hat Herr Kuhlmann dann bei einem Ortstermin in Verl die Ausschussmitglieder von der Schilderkombination aus Andreaskreuz und Stopp- schild überzeugt. Ich danke Herrn Kuhlmann für sein unermüdliches und beharrliches Engagement in dieser Frage. Herr Kuhlmann hat sich um die bessere Siche- rung unbeschrankter Bahnübergänge wahrlich verdient gemacht. Ich danke der Kollegin Heidi Wright aus der SPD- Bundestagsfraktion, welche die Bedenken, die im Bun- desverkehrsministerium hinsichtlich der Schilderkombi- nation anfänglich vorherrschten, erfolgreich zerstreut hat. Ich danke auch den Kollegen Hubert Deittert und Gerhard Wächter aus meiner Fraktion, die sich schon jahrelang für die von Herrn Kuhlmann vorgeschlagene Lösung eingesetzt hatten und immer ein wichtiger und verlässlicher Motor in dieser Sache waren. Wenn wir nun heute der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen, dann haben wir einen großen Schritt für mehr Verkehrssicherheit getan. Mit unserer heutigen Entscheidung stärken wir zudem die kommu- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14247 (A) (C) (B) (D) nale Selbstverwaltung, Kreise und Kommunen können zukünftig selbst entscheiden, an welchen Bahnübergän- gen die Schilderkombination aus Andreaskreuz und Stoppschild aufgestellt werden kann. Ich hoffe, dass sie hiervon vielfach und vernünftig Gebrauch machen. Gerhard Wächter (CDU/CSU): Es kommt nicht oft in diesem Hause vor, dass sich Regierung und Opposi- tion einig sind. In dem Fall, den wir jetzt debattieren, ist es so. Darüber freut sich verständlicherweise einer be- sonders, Werner Kuhlmann. Werner Kuhlmann ist kein Politiker, sondern ein en- gagierter Rentner aus Verl, der es sich zur Lebensauf- gabe gemacht hat, den unbeschrankten Bahnübergängen zu mehr Sicherheit zu verhelfen. Seit nunmehr sieben Jahren hat er unermüdlich dafür gekämpft, dass die An- bringung eines Stoppschildes an unbeschrankten Bahn- übergängen ermöglicht wird. Ich weiß das so genau, weil ich Herrn Kuhlmann und seine Idee bereits während meiner Landtagszeit in NRW unterstützt habe. Daraus ging die Einberufung einer Arbeitsgruppe in der Bund/ Länder-Kommission hervor; beim Endspurt hier auf Bundesebene konnten wir also schon auf zahlreiche Ar- beiten zu dem Thema aufbauen. Der ganze Vorgang ist bei aller Freude über das positive Ergebnis allerdings auch ein weiteres Beispiel dafür, dass Politik vor allem auch eins ist: das Bohren dicker Bretter. Die Entschei- dungen lassen viel zu lange auf sich warten! Ich möchte natürlich nicht verhehlen, dass es durch- aus Experten gibt, die sich gegen das Modell „Andreas- kreuz und Stoppschild“ ausgesprochen haben. Die Proto- kolle der Bund/Länder-Fachkommission geben hierüber Auskunft. Aber wenn wir so lange warten, bis auch der Letzte überzeugt ist, dauert es vermutlich noch mal so lange. Klar ist, dass nicht alle Bahnübergänge, die unbe- schrankt sind, automatisch durch die Anbringung eines Stoppschildes gesichert werden sollen. Hier muss im Einzelfall entschieden werden. Für die Verantwortlichen in den Landkreisen und Kommunen bedeutet das: sie ha- ben demnächst mehr Entscheidungsfreiheit, aber auch mehr Verantwortung gemeinsam mit der Deutschen Bahn. Aber was macht das Modell „Andreaskreuz plus Stoppschild“ denn nun so attraktiv? Günstig – einfach – verständlich. Mit dieser Kurzformel lassen sich die Vor- züge dieses Modells auf den Punkt bringen. Zu Punkt eins „günstig“: Hierzu ein Vergleich: Ein Stoppschild kostet rund 300 Euro, eine Schrankenanlage bereits bis zu 400 000 Euro. Von den Kosten einer Stra- ßenumbaumaßnahme wollen wir lieber erst gar nicht sprechen. Natürlich wären technische Nachrüstungen, also eine Schrankenanlage, am sichersten. Aber in der gegenwärtigen Situation, in der leere Kassen das Bild bestimmen, können solche kostenintensiven Wünsche nicht erfüllt werden. Jedenfalls nicht auf absehbare Zeit und erst recht nicht in Kürze. Zu Punkt zwei „einfach“: Die Anbringung eines Stoppschildes erfordert keine Baumaßnahmen bzw. grö- ßeren Aufwand. Das Schild kann ohne großen Aufwand zusätzlich an den bereits vorhandenen Träger für das Andreaskreuz angebracht werden. Einfacher geht’s wirklich nicht. Und drittens: „STOPP“ heißt Halten! Das Schild kennt und versteht jeder und fast alle halten sich auch daran. In diesem Zusammenhang will ich zwei Aspekte besonders hervorheben: Erstens. Nach Angaben des ADAC liegt in 97 Prozent aller Unfälle an Bahnübergängen die Schuld bei den Au- tofahrern. Als Hauptursache werden Unaufmerksamkeit und – das ist von großer Bedeutung – zu hohe Ge- schwindigkeit genannt. Untersuchungen zufolge fährt je- der Dritte zu schnell an Bahnübergänge heran. Ein Stoppschild würde dieses Fehlverhalten zwangsläufig korrigieren. Zweitens. Vielen Verkehrsteilnehmern ist die Bedeu- tung des Andreaskreuzes nicht vollkommen klar. Dies wird von Verkehrsteilnehmern selbst oft so beurteilt. Das mag damit zusammenhängen, dass Andreaskreuze nicht zu den in der Fläche weit verbreiteten Verkehrszeichen zählen. Unsachgemäßes Verhalten ist also regelrecht vorprogrammiert. Anders sieht es beim Stoppschild aus, dessen Bedeutung unmissverständlich ist. Dies mögen auch die Gründe sein, weshalb die Kom- bination dieser Verkehrszeichen in anderen Ländern be- reits praktiziert wird, zum Beispiel in Österreich, Spa- nien, Polen und Tschechien. Mir – und ich glaube auch anderen Kolleginnen und Kollegen – liegen sogar Auf- nahmen aus Namibia vor, die einen Bahnübergang mit dieser kombinierten Beschilderung zeigen. Andernorts gibt es also bereits überzeugende Erfahrungen, die wir nutzen sollten. Es ist genug gefachsimpelt worden über das Pro und Kontra der Stoppschildlösung. Die Einsicht ist da, dass dieser Weg die beste Lösung ist. Deshalb sollten wir die Richtigkeit auch mit einem eindeutigen Votum unter- streichen. Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eines ist klar: Die Verbesserung der Sicherheit an Bahnüber- gängen – insbesondere an unbeschrankten – liegt uns al- len am Herzen. Das haben sowohl die vergangenen De- batten im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen als auch hier im Plenum deutlich ge- macht. Das zeigen auch die beiden Anträge, über die wir heute debattieren. Auch wenn sich die Unfallzahlen in den vergangenen Jahren positiv entwickelt haben, so besteht dennoch un- verändert Handlungsbedarf. Insbesondere die Unfallhäu- figkeit an unbeschrankten Bahnübergängen sollte uns anspornen, noch mehr für die Verbesserung der Sicher- heit zu tun. Angesichts von rund 12 000 unbeschrankten Bahn- übergängen ist es schon bedenklich, dass offensichtlich nach der im Jahre 2001 durch die Deutsche Bahn AG durchgeführten Studie „Sicher drüber“ bei vielen Ver- kehrsteilnehmern die Bedeutung des Andreaskreuzes in Vergessenheit geraten ist. Insofern unterstützt diese 14248 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) Umfrage auch die Aussage des ADAC und anderer, wo- nach fast alle Unfälle an unbeschrankten Bahnübergän- gen letztendlich auf die Unaufmerksamkeit der Autofah- rer zurückzuführen sind, wobei häufig auch die unangepasste Geschwindigkeit zu einer deutlichen Ge- fahrenerhöhung beiträgt. Somit müssen wir konstatieren, dass viele Autofahrer beim Überqueren von Bahnüber- gängen russisches Roulette spielen, ohne dass es ihnen bewusst ist. Die wirksamste Methode wäre zweifellos die Ausstat- tung möglichst vieler Bahnübergänge mit Vollschranken. Jedoch können wir angesichts der aktuellen Ausstattung von lediglich 17 Prozent der Bahnübergänge mit einer technischen Vollsicherung nicht davon ausgehen, dass es – schon alleine aus Kostengründen – hier in den nächs- ten Jahren zu einer massiven Nachrüstung kommen wird. Daher steht für uns die Suche nach kostengünsti- gen Alternativen im Vordergrund. Wir halten die Kombination von Andreaskreuz und Stoppschild für eine technisch einfache, kostengünstige und schnell umsetzbare Lösung zur Verbesserung der Wahrnehmung von Bahnübergängen. Darüber hinaus dürfte es den Verkehrsteilnehmern helfen, die eigentli- che Bedeutung des Andreaskreuzes wieder in Erinne- rung zu rufen. Das Gegenargument, eine Kombination der Zeichen sei in der Straßenverkehrsordnung nicht zulässig, sollte uns nicht davon abhalten, dann eine entsprechende Än- derung der StVO vorzunehmen. Der Antrag der Koali- tionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mündet konsequenterweise in der Aufforderung an die Bundesregierung, entsprechende Schritte zur Veranke- rung dieser Doppelausschilderung in der StVO gemein- sam mit den Bundesländern anzugehen. Der Antrag der CDU/CSU unterscheidet sich von un- serem Antrag im Wesentlichen in dessen Forderung, nach einer Einführung von Verkehrszeichen – zum Bei- spiel Andreaskreuz – auf einem gelbfluoreszierenden Hintergrund und der Durchführung von entsprechenden Pilotversuchen. Der Kollege Storjohann hatte uns ja in einer der letzten Bundestagsdebatten in einer Gemein- schaftsaktion mit dem Kollegen Vogel bereits einen Pro- totyp dieses Schilds präsentiert. Zunächst fand ich seinen Vorschlag durchaus überle- genswert, da es zumindestens in der Anfangsphase zu ei- nem höheren Aufmerksamkeitsgrad – insbesondere nachts – kommen könnte. Allerdings sind die Einwände des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen nicht einfach von der Hand zu weisen. Ich sehe ebenfalls die Gefahr, dass zum Beispiel einem An- dreaskreuz ohne fluoreszierenden Hintergrund eine ge- ringere Bedeutung zugemessen werden könnte. Und der befürchtete Gewöhnungseffekt kann auch nicht von der Hand gewiesen werden. Hier erinnere ich nur noch an unsere letzte Debatte zur Verkehrssicherheit, in der ich auf die Verbindung von Unfallgeschehen und allzu gro- ßer Routine von Verkehrsteilnehmern hingewiesen hatte. Die auch von der CDU/CSU in ihrem Antrag positiv bewertete Kombination aus Andreaskreuz und Stopp- schild hätte einen positiveren Effekt: Was ein Stopp- schild bedeutet, weiß jeder Verkehrsteilnehmer; denn die Konsequenzen einer Missachtung des Stoppschildes ha- ben vermutlich die meisten von uns schon einmal in ih- rem Portemonnaie gespürt. Daher widerspreche ich der Meinung des Verkehrsministeriums, das einen zu gerin- gen Befolgungsgrad befürchtet und auf die Notwendig- keit des Vorhandenseins der sozialen Kontrolle beim Fahrer hinweist. Wer keine soziale Kontrolle als Verkehrsteilnehmer aufweist, gehört nicht auf die Straße und schon gar nicht in ein Kraftfahrzeug. Sollte es begründete Anzeichen be- züglich eines zunehmend unsozialen Verhaltens der Ver- kehrsteilnehmer geben, so würde ich in diesem Falle das Ministerium doch um eine Aufklärung und Information unseres Ausschusses bitten. Andererseits kann ich die sinkenden Unfallzahlen und die derzeitige positive Ent- wicklung bei den Opferzahlen damit nicht in Überein- stimmung bringen; denn schließlich sind es auch die Verkehrsteilnehmer, die durch ihr Verhalten einen Bei- trag zur gestiegenen Verkehrssicherheit der letzten Jahre geleistet haben. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wieder behan- deln wir ein sehr wichtiges Thema zu nachtschlafener Zeit: die Verkehrssicherheit. Vor fast genau einem Jahr habe ich hier in etwa zur gleichen Zeit schon einmal die- sen Satz gesagt. Anscheinend hat das Thema nicht an Relevanz gewonnen. Dem widersprechen allerdings die täglichen Nachrichten von Verkehrsunfällen und der ent- sprechende Widerhall in der Öffentlichkeit. Betrachtet man die Entwicklungen auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit, so sehen wir uns im Kraftfahr- zeugverkehr von immer mehr Technologie und Automa- tismen umgeben. Nebenbei bemerkt kann auch die neu- este Technologie in den Autos den immer schlechter werdenden Straßenzustand nicht ausgleichen. Im Luft- und Schifffahrtsverkehr wird im Hinblick auf Sicher- heitsvorkehrungen ständig geforscht und vorgeschrie- ben. Im Schienenverkehr dagegen scheinen die Bemühun- gen für ein höheres Maß an Verkehrssicherheit mitunter zu kurz zu kommen, speziell im Bereich der unbe- schrankten Bahnübergänge – und dies trotz der Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs. Die letzte Lösung bleibt im- mer die (Voll-)Schranke, die allerdings sehr kosteninten- siv und aus Gründen des Verkehrsaufkommens nicht an allen Bahnübergängen notwendig ist. Aber gerade bei den unbeschrankten Bahnübergängen scheint deutlich zu werden, dass immer ein Unsicherheitsfaktor bestehen bleibt: der Mensch. Nach meiner Kenntnis ist bei unbe- schrankten Bahnübergängen die Bereitschaft der Ver- kehrsteilnehmer, die Warnsignale zu ignorieren, beson- ders groß. Es werden sogar Halbschranken umfahren und dann wird überrascht festgestellt, dass ein Zug kommt. Daher ist es bei noch so guter Kontrolle und noch so guter Technik nicht ausgeschlossen, dass Ver- kehrsunfälle passieren. Aus diesem Grund sind wir als Gesetzgeber gefragt. Wir müssen dafür sorgen, dass es sinnvolle Bedingungen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14249 (A) (C) (B) (D) für Verkehrssicherheit zumindest durch die Gesetzeslage gibt. Genau dies wird in dem vorliegenden Antrag gefor- dert. Die Straßenverkehrsordnung ist so zu ändern, dass die Kombination von fluoreszierendem Andreaskreuz und Stoppschild an unbeschrankten Bahnübergängen möglich wird, die sich in einem Testversuch in Bayern als sehr gut erwiesen hat. Die Verkehrszeichen beachten und sich entsprechend verhalten müssen aber die Verkehrsteilnehmer. Das wie- derum können wir als Gesetzgeber unterstützen, indem wir dafür Sorge tragen, dass alle Verkehrsteilnehmer eine bessere Verkehrserziehung erhalten. Sie müssen nicht nur wissen, was das Verkehrszeichen mit der Be- zeichnung Andreaskreuz bedeutet, sondern auch lernen, wie wichtig das eigene Verhalten ist. Insgesamt muss das Thema Verkehrssicherheit also auf jeden Fall mehr in den Vordergrund der parlamentarischen Diskussion rü- cken. Hoffentlich geschieht dies in diesem Jahr und viel- leicht auch einmal zur „Plenar-Primetime“. Nichtsdestotrotz wird der vorliegende Antrag der Ko- alitionsfraktionen – wie auch schon im Verkehrsaus- schuss geschehen – von der FDP-Bundestagsfraktion be- grüßt. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: – Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regulie- rungsbehörde für Telekommunikation und Post – Bericht nach § 81 Abs. 1 Telekommu- nikationsgesetz und § 47 Abs. 1 Postgesetz und Sondergutachten der Monopolkommis- sion gemäß § 81 Abs. 3 Telekommunika- tionsgesetz und § 44 Postgesetz – Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 2002/2003 und zu dem Sondergutachten der Monopol- kommission von 2003 „Wettbewerbsintensi- vierung in der Telekommunikation – Ze- mentierung des Postmonopols“ (Tagesordnungspunkt 15 a und b) Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): In einer Ausspra- che zum Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde ist aus Sicht der Fachpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion – und sicher auch aus Sicht der Gesamtfraktion – zu- nächst die Arbeit der Behörde selbst zu würdigen. Unter der Führung ihres Präsidenten Matthias Kurth ist es ihr gelungen, auch in den kompliziertesten und konfliktgela- densten Situationen Wege zu letztlich breit akzeptierten Regelungen zu finden. Dazu gehört die Konsenssuche und Vermittlung im Vorfeld ebenso wie die meisten Entscheidungen. Wie von uns gefordert, übernimmt die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zunehmend auch die Aufgabe in sehr dynamischen Branchen Veränderungen, Probleme und Innovationen vorausschauend zu thematisieren. Gleichzeitig vollzog die Behörde eine weit reichende interne Umstrukturie- rung, weil die Aufgabenstellungen und technischen Entwicklungen stark veränderte Arbeitsweisen, Qualifi- kationen und räumliche Schwerpunkte verlangen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich der Regu- lierungsbehörde für Telekommunikation und Post den Rücken dafür stärken, dass nicht einfach ein Aufgaben- und damit Personalrückbau stattzufinden hat, wie es wohl der Bundesrechnungshof meint, sondern teilweise Verlagerungen. Einige Tätigkeiten nehmen eher ab, neue Arbeitsfelder kommen jedoch hinzu, wie die Themen elektromagnetische Verträglichkeit, Überwachung der zahlreichen Wettbewerber der Deutschen Post hinsicht- lich der Einhaltung der Lizenzbedingungen und der Ver- braucherschutz. Vor diesem Hintergrund warnen wir vor Übertreibungen beim Personalabbau und bei der Schlie- ßung von Außenstellen. Auch in Zukunft können wir nicht auf eine wenigstens ansatzweise flächendeckende Präsenz mit kompetentem Personal verzichten. Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Arbeit der Re- gulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ist es kein Zufall, dass die Energieregulierung dort angesie- delt werden soll. Wir trauen ihr zu, auch diese Aufgabe zu übernehmen, auch wenn wir wissen, dass die neue Energieregulierung nicht einfach wird. Zur Telekommunikation erlaube ich mir den Hinweis, dass vieles, was heute zum selbstverständlichen Alltag der Regulierungsarbeit in der Telekommunikation ge- hört, von uns seit dem Jahr 2000 – damals unter lautem Gezeter vonseiten der Opposition – gefordert wurde: vo- rausschauende Regulierung, Rückbau von Doppelregu- lierung durch Aussetzen von Ex-ante-Regulierung, Teil- märktekonzept usw. Im Postbereich will ich folgende Punkte kurz streifen: Erstens. Auf unser Drängen hat die Regulierungsbe- hörde mit dazu beigetragen, Defizite in der Erbringung des Universaldienstes zu definieren. Dies war die Grundlage für die Selbstverpflichtung der Post, die Hauptkritikpunkte, zum Beispiel bei den Themen Brief- kästen und Filialen, aufzunehmen. Auch wenn nicht alle Probleme gelöst werden konnten, bedeutet die im Zu- sammenspiel vor Bürgereingaben, Kommunalpolitik, Regulierungsbehörde und deren Beirat, Bundesregie- rung und Koalitionsfraktionen, Bundestag, Bundesrat und DPAG zustande gekommene Selbstverpflichtung eine klare Verbesserung der Situation. Grundlage dafür war die Novellierung des Postgesetzes, in der die Koali- tion klar die Deutsche Post AG als die Erbringerin des Universaldienstes verpflichtet hat. Hier widersprechen wir der Auffassung der Monopolkommission, die, wie auch an anderen Stellen, wettbewerbstheoretische Über- legungen vor Kundeninteressen stellt. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht vorbehält, bei Nichterfüllung von Selbstverpflichtung und Universal- dienstleistung zu verordnungsrechtlichen Maßnahmen zu greifen. Für uns gehören dazu auch empfindliche Sanktionen. 14250 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) Zweitens. Zur Exklusivlizenz wurde und wird an an- deren Stellen genug gesagt, zuletzt bei der Debatte um die Anträge zu diesem Thema am 17. Dezember 2004. Nur so viel: Durch die Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts sind die verfassungstheoretischen Ausfüh- rungen der Monopolkommission überholt. Die eher wirt- schaftspolitisch angelegte Kritik, hier werde ein Monopol geschützt oder zementiert, geht doppelt ins Leere: Im reservierten Bereich kann es schon von der Definition her keinen Wettbewerb geben. Dies ist der Sinn der Sache. Von einer Ausweitung oder Zementie- rung des Monopols zu sprechen, verbietet ein Blick auf die im Tätigkeitsbericht ausgewiesene Marktentwick- lung mit der wachsenden Zahl der Wettbewerber und ih- rer Marktanteile. Bei stagnierendem Gesamtmarkt haben sich Umsätze und Marktanteile der Wettbewerber zwi- schen 2002 und 2003, zwar ausgehend von sehr niedri- gem Niveau, auf 4 Prozent mehr als verdoppelt. Im Mus- terland aller Liberalisierungsfans der Post, Schweden, hält die gute alte Staatspost auch nach über zehn Jahren totaler Marktöffnung auch heute noch 90 Prozent der Marktanteile. Schon im kommenden Jahr wird bei uns die Gewichtsgrenze gesenkt und ab Ende 2007 läuft das Monopol aus. Dies bedeutet, dass schon jetzt im Brief- markt der Wettbewerbsbereich von 23 Prozent im Jahr 2002 auf 41 Prozent im Jahr 2006 steigen wird. Drittens. Auch zur Konsolidierung ist das Notwen- dige gesagt. Die EU-Kommission wäre gut beraten, im Sinne der Lissabon-Strategie nicht mit dem spitzen Blei- stift Wettbewerbsscholastik zu betreiben, sondern die Gesamtziele der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwick- lung, der Kundeninteressen und der Arbeitsplätze im Auge zu behalten. Auch hierzu verweise ich auf meine Ausführungen vom 17. Dezember 2004. Viertens. Beim Thema Umsatzsteuer kann die Argu- mentation der Monopolkommission letztlich nicht über- zeugen. Eine Wettbewerbsverzerrung im Briefbereich läge nur dann vor, wenn die Preise der Deutschen Post dort nicht einschließlich steuerlicher Faktoren nach Kos- ten berechnet und reguliert würden. Im Paketbereich, wo über 80 Prozent der Sendungen gewerblichen Kunden gehören, erhebt auch die Deutsche Post AG im gewerbli- chen Bereich die Umsatzsteuer. Eine Aufhebung der Umsatzsteuerbefreiung hätte letztlich wettbewerblich gesehen kaum Auswirkungen. Dem stünden erhebliche bürokratische Aufwände – Ort der Leistungserbringung, Auslandssendungen, Unterscheidung von Sendungen mit und ohne Vorsteuerabzug usw. – sowie eine saftige Preissteigerung für den Normalverbraucher entgegen. Auch hier fordere ich: Die EU-Kommission soll zu- nächst handhabbare und effiziente Regelungen gegen den wachsenden zig Milliarden schweren Umsatzsteuer- betrug ergreifen, bevor sie uns mit Umsatzsteuer für Postdienste beglückt. Wir begrüßen es sehr, dass die Bundesregierung dem Beschluss des Deutschen Bundes- tages folgt, die Erhebung von Umsatzsteuer auf öffentli- chen Postdienst auf EU-Ebene zu blockieren. Fünftens. Im Bereich des Universaldienstes wünschen wir uns eine Intensivierung der Arbeit der Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post. Dabei wird es beispielsweise aktuell um die Einhaltung der Vorgabe in der PUDLV gehen, 5 000 Filialen mit unternehmensei- genem Personal der Post AG zu betreiben. Die mehrfa- chen Umstrukturierungen in diesem Bereich lassen der- zeit nicht erkennen, ob diese Vorgabe, die mit dem Ziel der Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen Rückgrates von Postfilialen mit qualifiziertem Personal im Gesetz aufgenommen wurde, heute überhaupt noch eingehalten wird. Sechstens. Im Zeichen eines ausufernden Niedrig- lohnsektors und der veränderten Regelungen zu Mini- jobs erhält das Thema „soziale Standards“ im Postsektor neue Brisanz. Derzeit ist nicht erkennbar, wie die Regu- lierungsbehörde für Telekommunikation und Post die gesetzlichen Vorgaben der § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 6 Abs. 3 Satz l Nr. 3 und § 20 Abs. 2 Satz l Nr. 2, 25 kontrolliert und durchsetzt. Geringfügige Beschäftigung, Lohn- und Sozialdumping gehören zum Alltag im Postsektor, aus- gehend von den Wettbewerbern, aber zunehmend auch in der Post AG selbst. Bei diesen Fragen, die Hundert- tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betreffen und sich zunehmend negativ auf die Dienstleis- tungsqualität niederschlagen, spüren wir, dass sowohl die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post und in noch stärkerem Maße die Monopolkommis- sion ein sehr eingeschränktes Wettbewerbskonzept ha- ben. Nicht zuletzt im Telekommunikationssektor haben wir doch erlebt, dass sich ein Wettbewerb, der nur aus Preis- und Lohndumping besteht, sehr schnell selbst an seine Grenzen führt. Wir stehen nach wie vor für einen Wettbewerb über Qualität, Effizienz und Innovation, nicht aber über Niedriglöhne und frühkapitalistische Ar- beitsbedingungen. Siebtens. Wir wollen den Verbraucherschutz durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post im Telekommunikations- und Postbereich stärken. Im TK-Bereich ist viel geschehen, auch bei der Post. In diesem Zusammenhang halten wir es für kontraproduk- tiv, dass der Bundesrechnungshof eigene Laufzeitmes- sungen durch die Regulierungsbehörde für Telekommu- nikation und Post als Verschwendung gebrandmarkt hat und dabei auf Messungen der Post, also des zu kontrol- lierenden Unternehmens, hingewiesen hat. Wir meinen grundsätzlich: Eine unabhängige Behörde braucht ei- gene unabhängige Instrumente der Kontrolle, auch wenn es Geld kostet. Wir wünschen der Regulierungsbehörde für Telekom- munikation und Post und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterhin viel Erfolg und warten gespannt auf den nächsten Tätigkeitsbericht. Die Stellungnahme der Bundesregierung begrüßen wir in ihren zentralen Aussagen ausdrücklich. Hubertus Heil (SPD): Der Tätigkeitsbericht 2002/ 2003 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zeigt: Die Telekommunikationswirtschaft ge- hört heute zu den innovativsten und dynamischsten Branchen in Deutschland. Für die Erneuerung unserer Volkswirtschaft ist der Einsatz von moderner Telekom- munikation praktisch in jeder Branche unverzichtbar. Der TK-Sektor macht deutlich, dass es am Standort Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14251 (A) (C) (B) (D) Deutschland nicht um ein Entweder-oder von Industrie und Dienstleistungen geht. Im Gegenteil: Es geht vor al- lem um industriebezogene Telekommunikationsdienst- leistungen. Dafür ist eine moderne Infrastruktur, die dem wirtschaftlichen Bedürfnis nach der immer schnelleren Übermittlung von immer größeren Datenmengen ent- spricht, unerlässlich. Sowohl im Festnetz als auch bei Mobilkommunikation geht es darum, Investitionen für Breitbandinfrastruktur in Deutschland auszulösen. Da- mit sich diese Investitionen rentieren, ist ein umfangrei- ches und produktives Angebot von TK-gestützen Dienst- leistungen, die für entsprechenden Verkehr auf den Netzen sorgen, allerdings unerlässlich. Sowohl die Un- ternehmen als auch die Bürgerinnen und Bürger brau- chen Angebote, die sie in ihren Bereichen tatsächlich ge- brauchen können. Deshalb wollen wir einen wirksamen Wettbewerb von verschiedenen Infrastrukturen und ei- nen wirksamen Dienstewettbewerb. Der vorliegende Bericht gibt uns in diesem Bestreben Recht: Neue, erschwingliche Kommunikationsmöglich- keiten haben das Telekommunikationsverhalten grund- legend gewandelt. Es ist, man kann es nicht anders sa- gen, geradezu explodiert. Ich denke dabei etwa an den Mobilfunkbereich: Seit 1998 ist die Anzahl der Teilneh- mer um 425 Prozent gewachsen, alleine im Jahr 2001 von 68,1 Millionen auf 71,6 Millionen. Mittlerweile nehmen 71,6 Prozent der deutschen Bevölkerung an die- ser Entwicklung, die den meisten heute einfach selbst- verständlich erscheint, teil. Wir haben die weitaus höchste Abdeckung in der Welt, weit vor Japan oder den USA. Oder noch beeindruckender: Die Zahl der DSL- Zugänge hat sich in den Jahren 2000 bis 2003 verzwan- zigfacht. Die Errungenschaften sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Etwa 83 Prozent der Verbraucher sind über ihre Mög- lichkeiten informiert, den Wettbewerb aktiv, etwa durch das Call-by-Call zu nutzen. Mehr als die Hälfte derer, die das Verfahren anwenden, tut dies bei fast jedem Tele- fongespräch, das über den Ortsbereich hinausgeht. Die Preise für Mobilfunk, Internetzugang und Ferngespräche sind seit Ende 1997 drastisch gesunken und zählen im europaweiten Vergleich zu den niedrigsten. Dies bestätigt das Konzept der sektorspezifischen Re- gulierung, ebenso wie die hier vorliegenden Berichte der Regulierungsbehörde und der Monopolkommission. Mit dem Telekommunikationsgesetz 2003 haben wir den dazu erforderlichen, flexiblen Ordnungsrahmen geschaf- fen. Darin sind bereits die wichtigsten Erkenntnisse, die die Berichte nennen, eingeflossen. In vielen Bereichen, wie dem Endkundenmarkt im Mobilfunkbereich, haben wir einen selbst tragenden, funktionsfähigen Wettbe- werb. In anderen Bereichen ist die präventive Regulie- rung – etwa bei Vorleistungen – so lange unverzichtbar, wie das Angebot der Wettbewerber auf den Endkunden- markt im Festnetzbereich nur unter Rückgriff auf die Infrastruktur der DT AG bestehen kann. Dazu gehört der entbündelte Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung, lo- kale und regionale Zusammenschaltungen sowie Fak- turierung- und Inkassoleistungen. Weitere Deregulie- rungsvorschläge im Endkundenmarkt werden auf der Grundlage der von der Regulierungsbehörde durchzu- führenden Marktanalyse geprüft werden. Neue innovative Technologien wie Voice over IP, die Sprachkommunikation über das Internet-Protokoll, stel- len Herausforderungen für das geltende Telekommuni- kationsrecht dar. Ich habe keine Zweifel, dass sich das TKG bei deren Bewältigung als flexibler, technologie- neutraler Regelungsrahmen ebenso bewähren wird, wie es dies bei den bisherigen Herausforderungen getan hat. Diesen erfolgreichen Rechtsrahmen werden wir durch die noch ausstehenden Rechtsvorschriften zum Verbrau- cherschutz, zur Nummerierung, zu den Notrufen und zur Entschädigung bei Telekommunikationsüberwachung ausfüllen. Wir werden dabei den engen und konstrukti- ven Dialog mit den betroffenen Kreisen, nicht nur mit den Unternehmen und Verbrauchern, fortführen. Ich bin sicher, dass es uns dabei gelingen wird, an die bisherigen Erfolge mit dem TKG anzuknüpfen. Nur im Miteinander aller Beteiligten werden wir die Chancen der Telekom- munikationstechnologien in Deutschland voll ausschöp- fen können. Mein Dank gilt allen, die sich an dieser Debatte beteiligen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag, weil es uns auch bei diesem Thema vor allem um eins geht: Um neue Stärke für unser Land. Uns Sozialdemokraten geht es dabei nicht um eine Neuerfindung der Ökonomie. Das Gerede von der New Economy ist ja auch spätestens nach dem Börsencrash im Jahre 2001 verstummt. Es geht nicht um ein Gegen- einander von alter und neuer Ökonomie. Es geht darum, durch die Integration von Telekommunikationslösungen, unsere bestehende Volkswirtschaft zu erneuern, für mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Johannes Singhammer (CDU/CSU): Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion steht für Wettbewerb, für den ordnungspolitisch einzig richtigen Ansatz: Weg vom Monopol, hin zum freien Markt. Union und FDP haben dies vor fast genau zehn Jahren mit der Privatisierung der ehemaligen Deutschen Post in die Postnachfolge- unternehmen Deutsche Postbank, Deutsche Post AG und Deutsche Telekom AG eindrucksvoll und vor allem er- folgreich bewiesen. Wettbewerb muss dabei zu mehr Arbeitsplätzen, mehr Umsatz und mehr Wachstum sowie zu mehr Kundenzu- friedenheit führen. Unsere Leitlinien einer fairen Regu- lierung: faire Wettbewerbschancen für die Marktteilneh- mer; Planungssicherheit für Marktteilnehmer, damit Investitionen gestartet und Wachstum entstehen kann; keine Benachteiligung deutscher Unternehmen im Ver- hältnis zu ausländischen Unternehmen; Regulierung ist zeitlich begrenzt und hat zum Ziel, sich überflüssig zu machen. Es ist festzustellen: Wettbewerb findet im Telekom- munikations- und Postbereich immer stärker statt – und das mit erfreulichen Auswirkungen auch für die schwa- che Gesamtwirtschaft. So erwartet die Bitkom, der Dachverband der Unternehmen der Informations- und Telekommunikationsbranche, für das laufende Jahr 2005 ein Umsatzwachstum von 3,4 Prozent auf rund 136 Mil- liarden Euro, also ein rund doppelt so starkes 14252 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) Wirtschaftswachstum wie für die Gesamtwirtschaft vo- rausgesagt wird. Weiter geben in einer Umfrage 46 Pro- zent der Firmen an, dass sie 2005 neue Jobs schaffen werden: Mit mehr als rund 10 000 neuen Arbeitsplätzen ist zu rechnen. Besonderes Glanzlicht wird der Mobilfunkbereich sein: 2004 wuchs der Markt um rund 10 Prozent auf rund 72 Millionen Handynutzer in Deutschland. Das Beispiel Mobilfunk zeigt überzeugend, dass ein funktio- nierender Wettbewerb mit insgesamt vier Wettbewerbs- unternehmen der beste Wachstumsmotor ist. Als Vorsitzender des Beirates bei der Regulierungsbe- hörde für Telekommunikation und Post möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Regulierungsbe- hörde für Telekommunikation und Post für ihre mit gro- ßer Sachkunde erfolgreich geleistete Arbeit danken. Die Anerkennung der erfolgreichen Arbeit der Regulierungs- behörde für Telekommunikation und Post findet auch ih- ren Niederschlag darin, dass zukünftig der Regulie- rungsbehörde und nicht dem Bundeskartellamt die Frage der Regulierung der Strom- und Gasnetzentgelte durch das neue Energiewirtschaftsgesetz übertragen werden soll. Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben Vertrauen in die Arbeit der Regulierungsbehörde. Wir sind generell der Meinung, dass es richtig ist, der Regulierungsbe- hörde für Telekommunikation und Post ausreichende Kompetenzen für die Regulierung des Marktes zuzuer- kennen: keine Einzelentscheidungen und keine Einzel- weisungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit an die Regulierungsbehörde, sondern allgemein gefasste Ermächtigungs- und Beurteilungsspielräume. Damit kann die Regulierungsbehörde für Telekommuni- kation und Post flexibel auf technische Innovationen re- agieren; denn der Gesetzgeber kann den Wettlauf mit der technischen Fortentwicklung nicht gewinnen. Nach unserer Vorstellung ist die Aufgabe des Gesetz- gebers eine subsidiäre: Nur dann, wenn eine Problem- stellung nicht innerhalb der Ermessensspielräume der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gelöst werden kann, soll der Gesetzgeber tätig werden. Auf der anderen Seite: Die Regulierungsbehörde hat die Verpflichtung, schnell berechenbare Rahmenbedingun- gen zu schaffen. Subsidiarität heißt zudem aber auch: Regulierung immer nur dann, wenn nötig. Beispielhaft positiv haben wir das, wie ich meine, mit der Selbstverpflichtungserklärung der Deutschen Post AG im Rahmen der Ausweitung der Inhalte der Postuni- versaldienstleistungsverordnung erlebt: Ohne Bürokra- tie, ohne Aufwand und ohne zeitliche Verzögerung konnten für den Kunden wichtige Fortschritte erreicht werden. Mit dem im letzten Jahr nach heftigem Parteienstreit dann durchaus positiv verlaufenen Vermittlungsverfah- ren zum Telekommunikationsgesetz könnten – ich sage leider nur „könnten“ – nun positive Impulse für mehr Wettbewerb auf den Märkten geschaffen werden. Die rot-grüne Bundesregierung kommt jedoch stets mit ih- rem Teil der Aufgabenerfüllung nicht voran, bleibt im internen Abstimmungskampf stecken. Beispiel Telekommunikationsgesetz. Die aufgrund der Novellierung des TKG notwendigen Verordnungen sind bis heute nicht erlassen. Ein dann angekündigter Entwurf eines Artikelgesetzes liegt bis heute nicht vor. Ganz im Gegenteil: Anstelle dieses Vorhabens will Rot- Grün nun wieder das TGK ändern. Die Folgen: Verzöge- rungen, die den Markt verunsichern. Kein Signal für Wachstum! Nächstes Beispiel: Konsolidierung im Postbereich – eine Chronologie des rot-grünen Schlingerns: Am 28. No- vember 2003 erklärt die Bundesregierung nach einer Aufforderung der EU-Kommission vom 3. Oktober 2003, man sehe die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der EU-Kommission und werde im Einzelnen prüfen, was im Postgesetz zu ändern sei. Nichts passiert, daher die Mahnung der EU-Kommission am 1. Oktober 2004. Die Bundesregierung erklärt daraufhin, man werde § 51 Postgesetz EU-konform ändern. Die von der Bundesre- gierung vorgeschlagene gesetzliche Aufhebung der öf- fentlichen Einlieferungsbeschränkungen begleitet nur die bereits heute gängige Praxis in Rechtsform. Die Be- denken Brüssels werden dadurch nicht aufgegriffen. Brüssel leitet daher mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesregierung ein. Wirtschaftsminister Clement er- klärt am 21. Oktober 2004, man werde prüfen, ob private Postunternehmen im Wettbewerb benachteiligt würden. Ein Vertreter der Bundesregierung erklärt im Beirat der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post am 13. Dezember 2004, die Bundesregierung werde keine Änderung des Postgesetzes vornehmen, solange das anhängige Gerichtsverfahren beim Europäischen Gerichtshof nicht entschieden sei. In der vorliegenden Unterrichtung durch die Bundesregierung vom 16. De- zember 2004 erklärt die Bundesregierung, sie beabsich- tige, sich gegen die Entscheidung der Europäischen Kommission und auf dem Klageweg zu wehren. Die Folgen: Planungsunsicherheit und Investitionszu- rückhaltung auf dem deutschen Postmarkt durch rot-grü- nes Wirrwarr. Für die Union sage ich in diesem Zusammenhang: Bei uns besteht eine grundsätzliche Offenheit, über eine entsprechende Veränderung der Konsolidierung nachzu- denken. Wir sind der Überzeugung, dass in diesem Teil- bereich des Postmarktes zusätzlicher Wettbewerb neue Chancen eröffnet. Eine Exklusivlizenz ist immer eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs. Die Union sieht aber auch Gefahren bei einer über- hasteten vorzeitigen Aufkündigung der Exklusivlizenz: Die Deutsche Post AG müsste ihre Investitionsplanung innerhalb nur weniger Monate revidieren. Private müss- ten innerhalb von wenigen Monaten ein funktionieren- des Geschäftsmodell für einen Universaldienst entwi- ckeln und eine entsprechende Logistik aufbauen. Zudem darf die Entscheidung über den Zeitpunkt des Wegfalls der Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG im Heimat- markt nicht losgelöst von der europäischen Nachbarent- wicklung getroffen werden – insbesondere mit Blick auf Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14253 (A) (C) (B) (D) die Situation in Frankreich, aber auch in anderen Län- dern mit einem weiterhin abgeschotteten Postmarkt. Wettbewerb darf keine nationale Einbahnstraße sein. Eine Studie der WIK-Consult von Ende 2003 im Auf- trag der EU-Kommission bestätigt bei einem Vergleich der Marktanteile der Wettbewerber im inländischen Briefuniversaldienst, dass mit einem Marktanteil der Wettbewerber von 4 Prozent Deutschland im Mittelfeld liegt. Zum Vergleich: in Dänemark Mitbewerberanteil von 2 Prozent, in den Niederlanden von 5 Prozent, in Malta 2 Prozent, in Schweden 7, in Spanien 10 Prozent, in Slowenien 2 Prozent, in Polen 2 Prozent und in Groß- britannien 0,7 Prozent. Rot-Grün verhindert bewusst den Wettbewerb: Die fortdauernde steuerliche Ungleichbehandlung bei der Mehrwertsteuer auf Postdienstleistungen zugunsten der Deutschen Post AG und zulasten der Wettbewerber wird zementiert. In der Stellungnahme der Bundesregierung vom 16. Dezember 2004 macht Rot-Grün klar, dass dies auch weiterhin die Linie sein wird. Die Union hingegen ist der Meinung, dass alle Marktteilnehmer, gleich ob Deutsche Post AG oder private Konkurrenten, die glei- chen steuerlichen Wettbewerbsbedingungen und die gleichen Wettbewerbschancen auf dem deutschen Markt haben müssen. Im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages hat Rot-Grün im April 2004 wie auch später im Septem- ber 2004 hier im Plenum des Deutschen Bundestages ge- gen einen fairen Wettbewerb gestimmt. Das ist der fal- sche Weg. Eines zeigen all diese Beispiele klar: Die rot-grüne Bundesregierung trägt mit ihrer Politik der Inkonse- quenz, einer Politik des Verschiebens und Zauderns ein gerüttelt Maß Anteil daran, dass große Verunsicherung im Markt herrscht. Verunsicherung, das heißt Zurück- stellung von Investitionen, keine Impulse für mehr Wirt- schaftswachstum. Kein Schwung für Arbeitsplätze. Im Bereich der Postdienstleistungen, aber auch der Informa- tions- und Telekommunikationsindustrie, liegt ein gro- ßes Wachstumspotenzial. Dieses gilt es endlich zu ent- fesseln mit einer konsequenten wettbewerbsorientierten Politik. Denn das Wichtigste, was unser Land braucht, ist ein deutliches Mehr an Wirtschaftswachstum, um da- mit neue, hochwertige und zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Der Tätig- keitsbericht 2002/2003 der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation ist ein guter Anlass, eine Bilanz der Telekommunikationspolitik zu ziehen. Nicht zu vernachlässigen sind in diesem Zusammenhang auch die Weichenstellungen des Telekommunikationsgesetzes vom Juni letzten Jahres. Die Gründung der Regulierungsbehörde ist eine di- rekte Konsequenz der von der CDU-geführten Bundes- regierung sehr erfolgreich betriebenen Privatisierung der Deutschen Bundespost. Die Regulierungsbehörde über- nahm am 1. Januar 1998 die Aufgaben des Bundesminis- teriums für Post und Telekommunikation, das zum Jah- resende 1997 aufgelöst wurde, des Bundesamts für Post und Telekommunikation und des Bundesamts für Zulas- sungen in der Telekommunikation. Die Idee damals war, der Post nicht nur drei neue Identitäten mit Rechtsfor- men des Privatrechts oder attraktivere Unternehmensfar- ben zu geben, sondern im Interesse der Volkswirtschaft und der Nutzer einen echten Markt mit konkurrierenden Teilnehmern zu schaffen. Ohne staatliche Eingriffe hätte sich aus dem Monopol der „Grauen Post“ niemals ein moderner Telekommunikationsmarkt mit international wettbewerbsfähigen Teilnehmern entwickeln können. Zwei Gesichtspunkte galt es zu berücksichtigen: Wettbewerb bei der Leistungserbringung und faire Teil- habe aller Marktteilnehmer an der vorhandenen Infra- struktur. Diese Teilhabe ist erforderlich, um einen volks- wirtschaftlich sinnvollen und sich schnell entfaltenden Wettbewerb zu schaffen, darf allerdings gleichzeitig nicht zu einer faktischen Enteignung und damit wirt- schaftlichen Schwächung des Netzeigentümers der DTAG führen. Diese Quadratur des Kreises setzt einen nah am Markt agierenden, politisch unabhängigen Regulierer voraus, der flexibel die vom Parlament gegebenen Vor- gaben des Telekommunikationsgesetzes umsetzt. Konse- quenterweise hat sich die CDU/CSU-Fraktion im Deut- schen Bundestag erfolgreich für eine Stärkung der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde im Rahmen der TKG-Novelle eingesetzt. Das Telekommunikationsgesetz hat sich grundsätz- lich bewährt. Im Übergang von monopolistisch zu wett- bewerblich strukturierten Märkten hat die Regulierung auf vielen Gebieten nachhaltigen Wettbewerb geschaf- fen. Ausgehend von der Tatsache, dass in vielen Berei- chen ausschließlich ein regulierungsbedingter Wettbe- werb vorliegt, bleibt auf absehbare Zeit eine sektorspezifische Regulierung grundsätzlich erforder- lich. Eine Überführung der Ex-ante-Regulierung in eine Missbrauchsaufsicht bzw. Ex-post-Regulierung ist anzu- streben, setzt aber voraus, dass auf den entsprechenden Märkten auf der Grundlage einer eingehenden Markt- analyse ein nachhaltiger Wettbewerb festgestellt wurde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will erreichen, dass Deutschland wieder eine Spitzenposition im Be- reich der Zukunftstechnologien einnimmt. Dazu brau- chen wir einen klaren ordnungspolitischen Rahmen, der vor dem Hintergrund der zunehmenden Konvergenz und des rasanten technologischen Fortschritts in der ITK- Branche die möglichst schnelle Weiterentwicklung und Verbreitung von innovativen Diensten und Infrastruktu- ren ermöglicht und befördert. Unser Ziel ist ein nachhal- tiger Wettbewerb zum Wohle der Verbraucher, zur Stär- kung von Innovationen und zur Schaffung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen in der Informationsge- sellschaft des 21. Jahrhunderts. Der Novellierung des TKG kam dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Die aufgrund von EU-Richtlinien notwendige Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) musste dafür genutzt werden, Deutschland wieder zu einer internatio- nalen Spitzenstellung im Bereich der ITK zu verhelfen. Die Novellierung des TKG war eine Chance, wichtige 14254 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) Weichenstellungen vorzunehmen, die unsere internatio- nale Wettbewerbsfähigkeit verbessern und die es Wirt- schaft und Bürgern ermöglichen, die sich aus dem Ein- satz der ITK-Technologien ergebenden Möglichkeiten optimal zu nutzen. Um das enorme Potenzial der ITK- Branche im internationalen Wettbewerb für Innovatio- nen, Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland zu nut- zen, brauchen wir klare ordnungspolitische Rahmenbe- dingungen. Diese Chance mussten wir im Interesse des Standorts Deutschland nutzen. Das TKG musste den Spagat schaffen zwischen dem Ziel der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs und gleichzeitig einer fairen Regulierung der Deutschen Telekom AG bei Er- öffnung einer Deregulierungsperspektive. Wir brauchen einen Regulierungsrahmen, der die Voraussetzungen für einen sich selbst tragenden Wettbewerb schafft und langfristig eine Überführung der Regulierung in das all- gemeine Wettbewerbsrecht ermöglicht. Um ein höchst- mögliches Maß an Planungssicherheit für alle Unterneh- men herzustellen, müssen im neuen TKG klare Kriterien für den Einsatz des regulierungspolitischen Instrumenta- riums festgelegt werden. Die CDU/CSU konnte im Vermittlungsausschuss er- freulicherweise in zentralen Punkten deutliche Ver- besserungen erreichen. Dazu zählen insbesondere die Stärkung des Infrastrukturwettwerbs und des Dienste- wettbewerbs durch die zeitliche Begrenzung des ge- bündelten Resales, die explizite Aufnahme des Bitstrom- Zugangs als „entbündelten Breitbandzugang“, die Ver- ankerung von Antragsrechten für Unternehmen im Be- reich der Missbrauchsaufsicht, die Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten bei Missbrauch durch eine zwingende und bei Vorsatz rückwirkende Mehrerlös- abschöpfung, die Vermeidung einer Überregulierung im Mobilfunk durch die Verankerung des Vergleichsmarkt- prinzips und die Verlagerung des Rechtsweges vom Ver- waltungsrechtsweg zu den Kartellgerichten nach fünf Jahren. In dieser Form ist der Kompromiss ein klares Signal für einen Aufbruch in der gesamten Informations- und Telekommunikationsbranche. Wir haben jetzt ein aus- gewogenes Gesetz, das den Wettbewerb stärkt und Rechtssicherheit schafft als Grundlage für Investitionen und Innovationen. Die wichtigsten Voraussetzungen einer zukunftsorientierten Telekommunikationspolitik – der gesetzliche Rahmen und seine unabhängige und marktnahe Umsetzung – sind erfüllt. Dies muss auch so bleiben. Wir dürfen die bisher erzielten Erfolge nicht leichtfertig durch eine Überregulierung der Märkte un- ter dem Vorwand eines angeblich umfassenden Verbrau- cherschutzes gefährden. Die Reaktionen der Anbieter auf die Bedürfnisse der Verbraucher sind oft überzeu- gender, pragmatischer und effektiver als staatliche Maß- nahmen. Die Einführung besonderer Mobilfunktarife für Ju- gendliche zeigt, dass der Wettbewerb der Marktteil- nehmer auch auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes überzeugendere Lösungen bietet als Bevormundung von Verbrauchern und Anbietern durch staatliche Überregu- lierung. Diese speziellen Angebote sehen teilweise sogar die unentgeltliche Sperrung aller kostenintensiven Mehr- wertdienste-Rufnummern vor und bieten die Möglich- keit, die Gesamtkosten auf einen bestimmten Betrag zu begrenzen. Gleichzeitig werden attraktive Tarife für SMS und Telefonate angeboten. Diese Kombination der Vorteile von Vertragshandys und Prepaidhandys zeigt, dass Verbraucherschutz nicht immer vom Gesetzgeber gemacht werden muss. Die Wirtschaft ist durchaus in der Lage, auf eine wachsende Nachfrage nach Angeboten mit überschaubaren Kosten zu reagieren. Verbraucherschutz und Kostentransparenz werden nun endlich als Vorteile im Wettbewerb um den Kunden erkannt. Die Tarife für Jugendliche beweisen, dass im Zusammenwirken zwischen Wirtschaft, Ver- brauchern und Politik bessere und praktikablere Lösun- gen gefunden werden als durch die Regulierungsmanie von Renate Künast, die in den Entwürfen für die TKV und TNV erkennbar wird. Staatliche Eingriffe sind im Interesse von Verbrau- chern und seriösen Anbietern nur dort erforderlich, wo mit krimineller Energie oder bewusster Intransparenz abgezockt werden soll. Dort muss mit Konsequenz ge- handelt werden. Aber auch nur dort. Die Union wird auch weiterhin für Pragmatismus und Wettbewerb im Telekommunikationsmarkt statt für Dogmatismus und Überregulierung stehen. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Tätigkeitsbericht, der auf Antrag der CDU/CSU- Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt wurde, umfasst den Berichtszeitraum 2001 bis 2003. Die Bundesregie- rung hat ihre Stellungnahme mit Schreiben vom 14. De- zember 2004 zugeleitet. Im Bericht der Regulierungsbe- hörde für Telekommunikation und Post sind die Daten für das Jahr 2003 zum Teil enthalten, zum Teil ist nur das erste Quartal 2003 berücksichtigt worden. Ich denke, wir sollten in Zukunft zeitnah die Berichte der Regulie- rungsbehörde und der Monopolkommission diskutieren. Der nächste Bericht wird uns eine Analyse über die Umsetzung der Novelle des Telekommunikationsgeset- zes geben. Bei der Novellierung des Telekommunika- tionsgesetzes haben wir für faire Wettbewerbsbedingun- gen, ein hohes Verbraucherschutzniveau und für neue Möglichkeiten für die Teilnahme von Gehörlosen an der Telekommunikation gesorgt. Wir werden darauf achten, dass bei der Telekommunikationskundenschutzverord- nung und der Telekommunikationsnummerierungsver- ordnung diese Erfolge umgesetzt werden. Die Einführung von Wettbewerb bei der Telekommu- nikation hat zu drastisch gesunkenen Telefonpreisen ge- führt, viele neue Dienste ermöglicht und die globale Kommunikation extrem erleichtert. Damit wurden wich- tige Impulse für Wachstum, Beschäftigung und Innova- tion gegeben. Der Anteil der Wettbewerber an der Tele- kommunikation hat sich kontinuierlich gesteigert. Sie konnten die Zahl der Beschäftigten im Jahr 2005 wieder ausweiten. Die Telekommunikationsunternehmen erwar- ten für 2005 steigende Umsätze. Auch hier macht sich der Umsatz bemerkbar. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14255 (A) (C) (B) (D) Der Übergang von einer Behörde zu einem modernen Unternehmen ist nicht leicht. Wir begrüßen es, dass die Deutsche Telekom AG sich konsolidiert. Faire Wettbe- werbsbedingungen schaffen das beste Umfeld für ein in- novatives Unternehmen. Auch bei den Postdiensten ha- ben wir bereits in vielen Bereichen Wettbewerb. Die Mitgliedstaaten der EU haben sich darauf geeinigt, 2007 den letzten Monopolbereich bei den Standardbriefen zu beseitigen. An diesem Ziel halten wir fest. Nicht akzep- tabel ist es für uns, wenn die Post AG den Monopolbe- reich über den klar definierten Rahmen hinaus ausdehnt, wie sie es zum Beispiel bei den postvorbereitenden Diensten tut. Wir erwarten, dass die Deutsche Post AG die Ver- pflichtungen der Postuniversaldienstleistungsverord- nung und die Selbstverpflichtung bezüglich des Betrie- bes von Postfilialen und Postagenturen in der Fläche einhält. Besonders wichtig ist es, dass sie die betroffenen Gemeinden sorgfältig und frühzeitig in ihre Planungen einbezieht. Rainer Brüderle (FDP): Zunächst möchte ich ein- mal mehr mein Bedauern ausdrücken, dass wir den Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde für Telekom- munikation und Post 2002/2003 und das Sondergutach- ten 2002/2003 der Monopolkommission zu Telekommu- nikations- und Postmarkt zum ersten Mal im Jahr 2005 beraten. Versuche, dieses Thema früher aufzusetzen, sind offensichtlich daran gescheitert, dass die Bundesre- gierung ihre Stellungnahme nicht rechtzeitig durch das Kabinett gebracht hat. Das sagt einiges darüber aus, wel- chen Stellenwert diese Regierung der Telekommunika- tions- und Postpolitik – jenseits von Sonntagsreden – einräumt. Aber vielleicht fürchten sich auch die Regierung und die sie tragenden Fraktionen vor den Inhalten insbeson- dere des Sondergutachtens der Monopolkommission. Zumindest bei der Novelle des Telekommunikationsge- setzes hat sich Grün-Rot wenig darum geschert, was die Wettbewerbsexperten zu den Marktbedingungen schrei- ben. Das zeigt einmal mehr: Diese Regierung empfindet Wettbewerb eher als lästig. Lieber schützt sie große ehe- malige Staatsmonopolisten vor unliebsamer Konkurrenz. Das gilt auch und in besonderem Maße für den deut- schen Postmarkt. Hier ist – wie es die Monopolkommis- sion wunderbar zum Ausdruck bringt – das Postmonopol durch die Bundesregierung zementiert worden. Der krampfhafte Versuch der rot-grünen Regierung, auch die postvorbereitenden Dienste entgegen den klaren Forde- rungen der EU-Kommission und dem offenkundig dis- kriminierenden Verhalten der Deutschen Post AG gegen- über Konkurrenten durch kleinliche Rechtsauslegung der europäischen Richtlinien aus dem Wettbewerb raus- zuhalten, zeigt eines ganz deutlich: Dieser Regierung geht es nicht um mehr Wettbewerb und damit niedrigere Preise und höhere Chancen für neue Investitionen und Arbeitsplätze. Dieser Regierung geht es um die Abschot- tung des Postmarktes zugunsten des immer noch in Mehrheitsbesitz des Bundes befindlichen ehemaligen Staatmonopolisten. Das ist Industriepolitik zulasten von Verbrauchern, Wachstum und Arbeitsplätzen. Und das erklärt, warum Grüne und Rote kein Interesse haben, an- erkannte Expertenstimmen zu diesem Themenkomplex zu einem früheren, öffentlichkeitsnäheren Zeitpunkt zu diskutieren. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen des Abgeordneten Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) (150. Sitzung, Drucksache 15/4649, Fragen 15 und 16): Trifft es zu, dass die Bundesregierung im Rat der Europäi- schen Union dem Antrag Frankreichs auf Senkung und auf re- gionale Differenzierung seiner Mineralölsteuer zustimmen wird und, wenn ja, aus welchen Gründen hat sie ihre Meinung in Bezug auf die Verträglichkeit des Antrags mit dem Funktio- nieren des Binnenmarktes geändert? Ist die Bundesregierung bereit, eine zu der von Frankreich beantragten Senkung und regionalen Differenzierung der Mineralölsteuer vergleichbare Maßnahme auch in Deutsch- land zu ergreifen, vor allem auch, um dem Problem des so ge- nannten Tanktourismus in den deutschen Grenzregionen ent- gegenzuwirken, ohne dabei die Regeln des Binnenmarktes zu verletzen? Zu Frage 15: Frankreich beabsichtigt, vom 1. Januar 2006 bis 31. De- zember 2011 nach Erhöhung der Ausgangssteuersätze regionale Steuerermäßigungen für bleifreies Benzin (bis zu 3,54 Cent/Liter) und nicht gewerblich genutzten Die- sel (bis zu 2,3 Cent/Liter) einzuführen. Das Vorhaben Frankreichs basiert ausschließlich auf innenpolitischen Gründen. Hintergrund der Maßnahme sind Dezentra- lisierungsüberlegungen. Die Exekutivorgane der franzö- sischen Verwaltungsregionen (Regionalräte) sollen er- mächtigt werden, eigenständig über Steuerermäßigungen zu entscheiden, die sich an der jeweiligen „sozioökono- mischen Situation“ der Regionen orientieren sollen. Hierdurch soll ein zusätzlicher Anreiz für die Regionen geschaffen werden, um die Qualität ihrer Verwaltung auf transparente Weise zu verbessern und gleichzeitig den Bedürfnissen und Besonderheiten jeder Region Rech- nung zu tragen. Die Bundesregierung ist nach eingehender Prüfung des französischen Antrags zu dem Ergebnis gelangt, dass eine solche Maßnahme das reibungslose Funktio- nieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt. Vor allem wegen der sehr engen Grenzen für die Staffelung der Verbrauchsteuern in den französischen Regionen (für Benzin maximal 3,54 Cent/Liter und für nicht gewerb- lich genutzten Diesel maximal 2,3 Cent/Liter – nach vor- heriger Erhöhung der Ausgangssteuersätze) ist eine Wettbewerbsverzerrung auf dem Mineralölmarkt nicht zu befürchten. Zudem gilt die beantragte Maßnahme ge- rade nicht für den gewerblich genutzten Diesel. Die Bundesregierung wird aber auf die Festschreibung der Steuersätze drängen, die bei Anwendung der regionalen Staffelungen nicht unterschritten werden dürfen. Der re- gelnde Teil des Entscheidungsvorschlags nennt zwar die maximalen Ermäßigungsbeträge, lässt aber offen, von welchen Steuersätzen Frankreich ausgeht. Insoweit bedarf es der Klarstellung in einer Gemeinsamen 14256 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 (A) (C) (B) (D) Protokollerklärung. Genau diese Klarstellung ist Gegen- stand des Entwurfs einer Gemeinsamen Protokollerklä- rung von Rat und Kommission, der am heutigen Tag in der Ratsarbeitsgruppe in Brüssel verhandelt wird. Zu Frage 16: Das französische Begehren ist nicht darauf ausgerich- tet, einen vermeintlichen „Tanktourismus“ zwischen Frankreich und anderen Mitgliedstaaten einzudämmen bzw. einen solchen zur Grenze Deutschlands zu errich- ten/auszubauen. Die Ermäßigungen sollen innerhalb der Regionen gerade nicht grenzbezogen gestaffelt werden. Die Kommission hat mehrfach klargestellt, dass sie eine grenzbezogene Staffelung der französischen Steuersätze niemals befürworten würde. Die Forderung, eine Staffe- lung der Mineralölsteuersätze in den Grenzregionen Deutschlands nach dem französischen Vorbild einzufüh- ren, ist aus tatsächlichen und EG-rechtlichen Aspekten nicht umsetzbar. Zum einen liegen bei der französischen Maßnahme – wie bereits dargelegt – die maximalen Er- mäßigungsbeträge zwischen 2,3 bis 3,54 Cent/Liter. Das reicht bei weitem nicht aus, um einem „Tanktourismus“ zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten wirk- sam entgegenzuwirken. Ein Antrag Deutschlands mit wesentlich höheren Steuerstaffelungsbeträgen würde von der Kommission zudem – wegen seiner grenzüberschreitenden Auswir- kungen – keinesfalls gebilligt werden. Dies hat die Kom- mission kürzlich in Gesprächen auf Fachebene unmiss- verständlich zum Ausdruck gebracht. Sie beabsichtigt zudem, gemeinsam mit dem Rat zu Protokoll zu erklä- ren, dass – so wörtlich – „Anträge auf eine Ausnahmere- gelung für eine Ermäßigung der Steuersätze, die ledig- lich in den Grenzgebieten zwischen den Mitgliedstaaten gelten würde, nicht akzeptabel wären“. Da auch die Nachbarstaaten einem solchen Anliegen kritisch gegen- überstehen dürften, besteht zudem keine realistische Chance, hierfür die Zustimmung aller EU-Staaten einho- len zu können. 151. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515100000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Lothar Ibrügger feierte am

24. Dezember seinen 60. Geburtstag, der Kollege
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr am 8. Januar ebenfalls sei-
nen 60. Geburtstag und der Kollege Franz Müntefering
beging am 16. Januar seinen 65. Geburtstag. Im Namen
des Hauses gratuliere ich den genannten Kollegen sehr
herzlich und wünsche alles Gute!


(Beifall)

Sodann teile ich mit, dass die Kollegin Antje

Hermenau am 19. Dezember 2004 auf ihre Mitglied-
schaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als
Nachfolgerin hat die Abgeordnete Monika Lazar am
21. Dezember 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen
Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr
herzlich.


(Beifall)

Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege

Hans-Peter Kemper als Mitglied aus dem Gremium nach
Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes ausscheidet. Als
Nachfolger wird jeweils der Kollege Dr. Hans-Ulrich

Rede
Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege
Krüger als Mitglied in das Gremium nach Art. 13 Abs. 6
des Grundgesetzes gewählt.


(Jörg Tauss [SPD]: Ein guter Mann!)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Beratung der Verordnung der Bundesregierung: Dritte Ver-
ordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
– Drucksache 15/4642 –

(siehe 150. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reak
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung
Landwirtschaft
tzung

en 20. Januar 2005

.30 Uhr

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-
tung der Bundesregierung zu überhöhten Dioxinwerten in
Hühnereiern aus Freilandhaltung

(siehe 150. Sitzung)


ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 24)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Eichhorn,

Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Deutsch-russischen Ju-
gendaustausch weiter entwickeln
– Drucksache 15/4655 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina
Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Weichenstellungen für ein
deutsch-russisches Jugendwerk
– Drucksache 15/1240 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

text
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 25)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschus-


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1515100100
Übersicht 9 über die dem Deut-
schen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem
Bundesverfassungsgericht
– Drucksache 15/4663 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (15. Ausschuss) zur Dritten Verordnung zur Ände-
rung der Verpackungsverordnung
– Drucksachen 15/4642, 15/4674 –

ichterstattung:
eordnete Gerd Friedrich Bollmann
rner Wittlich
Antje Vogel-Sperl
torsicherheit (f)

und

Ber
Abg
We
Dr.

Birgit Homburger






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:

Vorstoß des Bundeskanzlers zur Lockerung der Kriterien
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, um
mehr Flexibilität bei der Neuverschuldung zu erhalten

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-
weit erforderlich – abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 10, 13 und 20 sollen abge-
setzt werden.

Außerdem ergeben sich folgende weitere Änderungen
im Beratungsverlauf: Nach dem Tagesordnungspunkt 9
werden zunächst der bisher ohne Debatte vorgesehene Ta-
gesordnungspunkt 24 g – Aussetzung der Wehrpflicht –
mit 30 Minuten und dann der bisher für Freitag vorgese-
hene Tagesordnungspunkt 18 – Elektro- und Elektronik-
gerätegesetz – beraten. Ferner soll Tagesordnungs-
punkt 12 mit Tagesordnungspunkt 11 getauscht werden.

Am Freitag wird der Tagesordnungspunkt 22 bereits
nach Tagesordnungspunkt 17 aufgerufen.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisun-
gen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend (12. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen wer-
den.

Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Neu-
ordnung der Reserve der Streitkräfte und zur

(Streitkräftereserve-Neuordnungsgesetz – SkResNOG)

– Drucksache 15/4485 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell,
Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für
Innovationen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina
Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Mit Innovationen auf Wachstumskurs – eine
einheitliche Strategie

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,

(Homburg)

der FDP
Innovationsstrategie für Deutschland – Wis-
senschaft und Wirtschaft stärken

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Bundesbericht Forschung 2004
– Drucksachen 15/3452, 15/2971, 15/3332,
15/3300, 15/4216 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Jörg Tauss
Katherina Reiche
Hans-Josef Fell

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria
Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Informatives Berichtswesen als Grundlage ei-
ner guten Forschungs- und Technologiepolitik
– Drucksache 15/4497 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Ulla Burchardt, SPD-Fraktion, das Wort.


Ulla Burchardt (SPD):
Rede ID: ID1515100200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zu Beginn möchte ich Ministerin Bulmahn ganz
herzlich zum ausgesprochen glücklichen Auftakt des
Einstein-Jahres gratulieren. Ich denke, so setzt man Zei-
chen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg van Essen [FDP]: Die Frau Ministerin hat die Formel nicht erfunden!)


Ob Zufall oder Absicht, es passt ganz gut, dass es am
heutigen Tage nicht nur um die Themen Forschung für
Nachhaltigkeit und Innovation geht, sondern dass später
am Nachmittag auch die Nachhaltigkeitsstrategie der
Bundesregierung auf der Plenartagesordnung steht. Bei
beiden Punkten geht es um zentrale Weichenstellungen
und Wege, wie Politik eine Entwicklung einleiten soll,






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Burchardt

die nicht nur für den Standort Deutschland, sondern auch
im globalen Maßstab zukunftsfähig ist.

Eine ganze Reihe von Ihnen wissen es: Bei der Welt-
konferenz in Rio haben sich die damaligen Regierungen
darauf verständigt, ihre nationalen Politiken auf das
Leitbild der Nachhaltigkeit auszurichten. Die damalige
deutsche Bundesregierung hat die Agenda 21 mit be-
schlossen, in der stand, dass man die nachhaltige Bil-
dungs- und Forschungspolitik vorantreiben will.

Wie hat das in der Bundesrepublik ausgesehen? Kol-
leginnen und Kollegen, ich denke, man kann selbstbe-
wusst feststellen, dass insbesondere der Deutsche Bun-
destag für die deutsche Politik wesentliche Arbeiten zur
Konkretisierung des Leitbildes der Nachhaltigkeit und
der nachhaltigen Entwicklung geleistet hat. Das darf
man auch einmal ganz laut sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist aber ein bisschen schwach!)


Daran waren auch viele Kollegen von Ihnen, der Oppo-
sition, beteiligt. Daher brauchen Sie nicht so verlegen in
Ihren Zetteln zu blättern.

Ganz entscheidend waren dabei die Arbeiten der En-
quete-Kommission „Schutz des Menschen und der Um-
welt“, deren Handlungsempfehlungen 1997 in einer
Beschlussempfehlung des Forschungsausschusses zu
dem Antrag „Forschungspolitik für eine zukunftsver-
trägliche Gestaltung der Industriegesellschaft“ münde-
ten.

Wenn ich mich hier umschaue, muss ich feststellen:
Viele, die heute in den Ausschüssen sitzen, sind damals
nicht dabei gewesen. Dieser Text hat die Qualität eines
politischen Innovationsprogramms. Deswegen möchte
ich kurz daraus zitieren:

Ziel einer Innovationsoffensive für eine nachhaltige
Entwicklung sollte es sein, „wirtschaftlichen und
sozialen Fortschritt so zu gestalten, daß die Leis-
tungsfähigkeit des Naturhaushaltes dauerhaft gesi-
chert wird“ … Deshalb ist eine Modernisierung von
Wirtschaft und Gesellschaft nötig, die die Siche-
rung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Erhalt
der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, die ge-
rechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Le-
benschancen als gleichrangige Ziele verfolgt …
Neues Wissen und seine intelligente Nutzung sind
der Schlüssel zur Lösung der ökologischen und
ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhun-
derts … Für diesen wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Innovationsprozess ist eine Neuorien-
tierung staatlicher Innovationspolitik und ihrer
Instrumente entscheidend.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Fast auf den Tag genau acht Jahre ist es her, dass die-

ser Text einstimmig – das heißt, auch mit den Stimmen
der damaligen Mehrheitsfraktionen CDU/CSU und
FDP – hier im Deutschen Bundestag beschlossen wurde,
übrigens auf der Basis eines Antrages der SPD-Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr weise!)

Nun meinen einige von Ihnen vielleicht: „Schnee von
gestern“. Aber wenn man sich die ökonomischen, ökolo-
gischen und sozialen Problemlagen in der Welt ansieht,
muss man feststellen: Die Fragestellung nachhaltiger In-
novationspolitik ist aktueller denn je.

Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren,
sehe ich mir Ihre Anträge zu Innovationen an. Dabei fällt
mir auf, dass alle vernünftigen Forderungen, die aufge-
stellt werden, bereits in Angriff genommen wurden bzw.
erledigt sind. Noch auffälliger ist, dass bei Ihnen weder
Nachhaltigkeit noch eine andere Gestaltungsperspektive
überhaupt vorkommt. Ihr Innovationsverständnis ist
buchstäblich von gestern und wird den Herausforderun-
gen von heute und morgen in keiner Weise gerecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Gegensatz dazu hat die rot-grüne Mehrheit 1998
mit der Umsetzung begonnen. Die Nachhaltigkeitsstrate-
gie mit den vier Zielen Generationengerechtigkeit, Le-
bensqualität, sozialer Friede und internationale Verant-
wortung wurde in Angriff genommen und im Dialog mit
allen gesellschaftlichen Gruppen weiterentwickelt.
Heute Nachmittag wird der erste Fortschrittsbericht
diskutiert. In der letzten Legislaturperiode wurde die
Neuausrichtung der Forschungspolitik zugunsten von
Nachhaltigkeit zu einer systemisch ausgerichteten Inno-
vationsstrategie begonnen. Mit dem neuen Rahmenpro-
gramm „Forschung für Nachhaltigkeit“ wird diese wei-
terentwickelt. Ganz konkret geht es bei den Projekten
darum, Ideen und Konzepte für innovative Produkte,
Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln, mit de-
nen es gelingt, dass Unternehmen, aber auch ganze
Branchen oder Regionen weniger Energie und Ressour-
cen verbrauchen. Innovationspolitik – da kommt uns die
nachhaltige Entwicklung in unserem Verständnis von In-
novation ausgesprochen gut zupass – ist weit mehr als
Technikförderung; das ist zwischenzeitlich eine wissen-
schaftliche Binsenweisheit. Es geht auch um organisato-
rische, institutionelle und soziale Innovationen. Deswe-
gen beinhaltet das Rahmenprogramm richtigerweise
auch Themen, zum Beispiel wie sich die Potenziale älte-
rer Menschen in der Gesellschaft des langen Lebens bes-
ser erschließen lassen oder wie die Globalisierung sozial
und ökologisch gestaltet werden kann – sie ist kein
Schicksal, sie muss im Interesse der Menschen gestaltet
werden. Allein für die Nachhaltigkeitsforschung stehen
in den nächsten Jahren im Schnitt 160 Millionen Euro
pro Jahr zur Verfügung.

Doch das Geld alleine ist nicht das Entscheidende,
sondern die Frage ist: Was wird gefördert? Worüber wird
geforscht? Wissenschaftliche Erkenntnisse und techni-
sche Entwicklungen werden erst dann zu einer Innova-
tion, wenn sie Nutzen stiften, wenn sie auf Nachfrage
stoßen – das hat etwas mit Märkten zu tun, auf denen
Produkte nachgefragt werden – und wenn die Menschen
diese Innovation auch wollen.

Das beste Negativbeispiel für eine Sache, die die
Menschen nicht wollen, ist die Kernenergie, auch wenn
sie von der Opposition noch immer als Heilsbringer für
nahezu alles mystifiziert wird. Man muss festhalten, dass






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Burchardt

die Menschen hier in Deutschland sie nicht wollen.
Ohne massiven Staatsinterventionismus wäre sie nir-
gendwo auf der Welt durchgesetzt worden und hätte sie
nirgendwo auf der Welt die Chance, genutzt zu werden
oder gar rentabel zu sein. Manchmal sollten Sie sich Ihre
Forderung vor dem Hintergrund Ihrer ordnungspoliti-
schen Vorstellungen ein bisschen genauer überlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich glaube, es gibt auch noch andere Meinungen!)


Von den Lasten, die der nächsten Generation durch
1 000 Jahre lang strahlenden Atommüll aufgebürdet
werden, will ich erst gar nicht reden.

Wer für die Kernenergie spricht, sollte das Wort „Ge-
nerationengerechtigkeit“ besser nicht in den Mund neh-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Unsinn!)


Generationengerecht ist das, was die Umwelt schützt
und Arbeitsplätze schafft. Der Handwerker, der Solaran-
lagen wartet, der Mann im Blaumann, der Windanlagen
baut, die Ingenieurin, die Wärmedämmungstechniken
für Altbauten entwickelt, und die Betriebswirtin, die in
einer Ratingagentur für umweltorientierte Geldanlagen
arbeitet – sie alle verdanken ihren Arbeitsplatz der Tatsa-
che, dass sich die Nachhaltigkeit zunehmend zu einem
bedeutsamen Wirtschaftsfaktor entwickelt hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man sich allein den statistisch erfassbaren Bereich
des Umweltschutzes, also einen kleinen Teil des gesam-
ten Nachhaltigkeitsbereichs, ansieht, dann stellt man
fest, dass in diesem mittlerweile 1,5 Millionen Men-
schen beschäftigt sind. Damit sind dort mehr Menschen
als im Maschinen- oder im Fahrzeugbau tätig.

Deutschland ist weltweit Spitze bei den umweltrele-
vanten Patenten und der nationale Technikvorsprung
zahlt sich aus. Weltweit sind wir zweitgrößter Exporteur
von Umweltgütern. „Made in Germany“ ist längst Syno-
nym für global nachhaltige Produkte, Dienstleistungen
und Konzepte geworden. Wenn ich mir beispielsweise
die durch das Hause Bulmahn unterstützten Wasserver-
sorgungstechniken für den Iran anschaue, dann stelle ich
fest, dass diese global zukunftsfähig sind und sich ausge-
sprochen gut verkaufen.

Auch wenn Sie es nicht glauben: Die Wissenschafts-
community stellt uns für die Nachhaltigkeitsforschung
ein ausgesprochen gutes Zeugnis aus. Das tut auch die
EU-Kommission in einer Vergleichsstudie, in der meh-
rere europäische Länder, die Nachhaltigkeitsforschung
betreiben, bewertet worden sind. Dieses Lob der EU
sollte uns Verpflichtung sein, beim 7. Forschungsrah-
menprogramm darauf zu drängen, dass nicht nur noch
große Forschungscluster und die Interessen der Großin-
dustrie gefördert werden und dass es in punkto For-
schungsförderung für Nachhaltigkeit nicht zu einem
Rückfall kommt, weil der gesellschaftliche Innovations-
bedarf und die kleinen innovationsorientierten For-
schungseinrichtungen sonst unter die Räder kommen.
Das möchten wir der Bundesregierung an dieser Stelle
gern mit auf den Weg nach Brüssel geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Schlüssel für nachhaltige Innovationen – dies war
bereits in der Agenda 21 nachzulesen und wurde auf der
Weltkonferenz in Johannesburg noch einmal bekräftigt –
ist die Ressource Wissen und das Ausschöpfen dersel-
ben, das heißt mehr Bildung. Auch dazu kommen von
der Opposition nur die altbekannten altbackenen Vor-
schläge. Wenn man sich das alles einmal zu Gemüte
führt, dann stellt man fest, dass Ihre Vorstellung von bil-
dungspolitischem Fortschritt im Festschreiben eines Bil-
dungssystems aus dem vorletzten Jahrhundert und dem
Verschließen von Hochschultüren für sozial Schwächere
gipfelt. Das mag ideologisch sauber sein, ist aber inno-
vationsfeindlich. Nötig sind das Fördern und das
Ausschöpfen aller Bildungspotenziale. Wir haben die
Initiative ergriffen: von der Vorschulbildung, die wir nun
fördern, über Ganztagsschulen, den Ausbildungspakt
und die Modernisierung der beruflichen Bildung bis hin
zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses so-
wie insbesondere von Frauen in der Wissenschaft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen liegt
der Antrag „Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für
Innovationen“ vor. Wir knüpfen damit an die Plattform
an, die wir vor einigen Jahren gemeinsam beschlossen
haben. Wir bauen sie aus und geben zukunftsweisende
Hinweise darauf, was in der Forschungspolitik noch
weiter zu tun ist. Ich lade Sie ganz herzlich ein, sich die-
ser damals gemeinsam formulierten Position anzuschlie-
ßen und an ihrer Weiterentwicklung mitzuarbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515100300

Ich erteile Kollegin Katherina Reiche, CDU/CDU-

Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Leute, haltet mich fest!)



Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1515100400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-

land braucht wieder mehr Wachstum. Ludwig Erhard hat
in seinem Werk „Wohlstand für alle“ ausgeführt – ich zi-
tiere –:

Es ist viel leichter, jedem Einzelnen aus einem im-
mer größer werdenden Kuchen ein größeres Stück
zu gewähren, als einen Gewinn aus einer Auseinan-
dersetzung um die Verteilung des Kuchens ziehen
zu wollen, weil auf diese Weise jeder Vorteil mit ei-
nem Nachteil bezahlt werden muss.

Wenn es richtig ist, dass sieben Achtel des Wirt-
schaftswachstums mit Innovationen zusammenhängen,
dann hat Rot-Grün hier kläglich versagt. Trotz des Jah-
res der Technik bzw. der Innovationen passierte im letz-






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche

ten Jahr wenig bzw. gar nichts. Auch die Bilanz der Vor-
jahre nimmt sich erschreckend kläglich aus – kläglich
deshalb, weil wir im OECD-Vergleich ins Mittelfeld ab-
gerutscht sind, kläglich auch deshalb, weil seitens des
Staates zu wenig in Bildung und Forschung investiert
wird, kläglich auch deshalb, weil die notwendigen Struk-
turreformen entweder ausgeblieben sind oder vor die
Wand gefahren wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Was war das für ein Tamtam zur Eröffnung des Jahres
der Technik! Was war das gestern für eine Show zur Er-
öffnung des Einstein-Jahres!


(Zurufe von der SPD)

Aber wo sind die handfesten Ergebnisse? Wo ist die
Aufbruchstimmung? Fehlanzeige bei Rot-Grün!

Vor rund vier Wochen haben wir hier in diesem Hause
bereits die Bilanz des Jahres der Technik debattiert.
Meine Einschätzung heute unterscheidet sich nicht von
meiner Einschätzung von vor vier Wochen. Im Bericht
zur technologischen Leistungsfähigkeit, der Ende des
letzten Jahres vorgestellt wurde, wird überdeutlich:
Deutschland ist zu langsam und hinkt beim Technologie-
transfer hinterher.

Der Anteil des Staates an FuE-Finanzierung ist von
Mitte der 90er-Jahre bis heute von 38 Prozent auf
31 Prozent gesunken. Das liegt in Ihrer Verantwortung,
meine Damen und Herren von Rot-Grün. Der Anteil der
Wirtschaft ist im betrachteten Zeitraum von 60 auf
66 Prozent gestiegen. Wenn sich in unserem arbeitsteili-
gen System der Forschungsförderung die Wirtschaft
eher mit der anwendungsorientierten Forschungs- und
Produktentwicklung beschäftigt und der Staat für die
Grundlagenforschung zuständig ist, dann heißt das, dass
wir einen Einbruch bei den Basisinnovationen zu be-
fürchten haben. Genau das ist für den Produktions-
standort Deutschland schädlich. Da liegen die Verant-
wortung und das Versagen von Rot-Grün.

So resümiert der Bericht: Deutschland hat bereits
Rangplätze verloren und droht weiter zurückzufallen,
wenn nicht Entscheidendes geschieht. – Ich habe nicht
den Eindruck, dass etwas geschieht. Diesen Eindruck
habe nicht nur ich nicht, sondern den hat unter anderem
auch Fraunhofer-Chef Bullinger nicht, der im
Dezember 2004 beklagte, es sei bislang nichts gesche-
hen und es gebe kein klares Regierungsprogramm und
keine Strategie zum Lissabon-Prozess.

Die Defizite sind bekannt – diese können Sie nicht län-
ger leugnen –: Die Hochschulen sind unterfinanziert
– nicht nur seitens des Bundes; das gebe ich gerne zu –
und unterliegen einem anachronistischen Rahmengesetz.
Es wird öffentlich wie privat zu wenig in Bildung und
Forschung investiert. Der Anteil der Ausgaben für Bil-
dung und Wissenschaft stagniert seit 1995 bei 9,1 Pro-
zent. Im Forschungssystem wird eine „Versäulung“ und
„Erstarrung“ sowie die Erosion der universitären For-
schung beklagt. Der innovative Mittelstand kämpft mit
Kapitalknappheit. Der Fachkräftemangel ist zum Grei-
fen nahe.

Hinzu kommt, dass diejenigen, die hier hervorragend
ausgebildet werden, abwandern, und zwar meistens ins
Mekka der Forschung, in die USA. 15 000 bis
20 000 Deutsche arbeiten nach den Daten des Current
Population Survey hochschulnah oder in den Hochschu-
len der Vereinigten Staaten. Wer dort erst einmal seinen
PhD gemacht hat, bleibt meist dort.

Aber die Bundesregierung und auch Sie von der Koa-
lition wollen das nicht hören. Sie diffamieren jeden, der
Ihnen unangenehme Wahrheiten sagt, als Schwarzmaler.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Aber ich sage Ihnen: Wir haben kein Problem mit der
Schwarzmalerei. Wir haben ein Problem mit dem Schön-
reden und dem Ignorieren einer brisanten und bittererns-
ten Situation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Bulmahn hat vor fast genau einem Jahr zu Be-
ginn des Jahres der Technik – Zitat – „eine radikale Mo-
dernisierung des Forschungssystems“ angekündigt. Wo
ist sie denn? Um sich nicht an den Worten von gestern,
heute und auch morgen erinnern zu müssen, stürzen Sie
sich in die nächste PR-Schlacht. Diese heißt seit diesem
Jahr Einstein-Jahr und kostet 10 Millionen Euro. In der
FAZ vom 15. Januar dieses Jahres stand ein kleiner Be-
richt über eine Sitzung des SPD-Präsidiums. Am Schluss
der Vorhabenliste soll der Vorsitzende Franz
Müntefering gesagt haben:

Dann haben wir noch Einstein-Jahr. Einstein kennt
jeder. Hat die Relativitätstheorie erfunden.

Bundeskanzler Schröder soll geantwortet haben:
Was immer das auch sein mag.

Nun muss der Bundeskanzler Schröder nicht wissen,
was die Relativitätstheorie ist.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist auch schwer zu verstehen!)


Aber aus dem Artikel wurde eines überdeutlich: Es geht
gar nicht um die Faszination und die Folgen dieser wirk-
lich alles verändernden Theorie. Es geht ausschließlich
um das Instrumentalisieren von Albert Einstein. Es wird
ein kulturelles Jahr mit Einstein als Popikone mit, wie
gesagt, 10 Millionen Euro inszeniert. Wenn das Ihre For-
schungspolitik ist, dann gute Nacht Deutschland!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie sind ja nur neidisch!)


Man kann in der Tat mit hervorragenden Vorbildern
und Leistungen junge Menschen faszinieren und für
Wissenschaft und Forschung begeistern. Nur taugt we-
der die Bundesbildungsministerin noch die Bundesregie-
rung tatsächlich als Vorbild.

Es ist richtig, dass wir 100 Jahre Relativitätstheorie
feiern. Einstein hat mit der Speziellen und mit der Allge-
meinen Relativitätstheorie unsere Weltsicht verändert, er






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche

hat eine neue Physik mitbegründet und er ist auch noch
heute ein Faszinosum für Jung und Alt. Aber was würde
uns Einstein heute lehren? Einstein hat schon damals ge-
sagt: Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden
geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.


(Ute Kumpf [SPD]: Merken Sie sich das, Frau Reiche!)


Aber darum geht es bei Rot-Grün nicht – Einstein als
Popikone.

Was verbessert sich für die Wissenschaft, wenn mit
viel Geld, das die Forschung so dringend braucht,
Einstein-Zitate an öffentliche Gebäude gestrahlt wer-
den? Was hat das eigentlich mit der Aufgabe des For-
schungsministeriums als Impulsgeber, als Treiber des
Wandels zu tun?

Wahrscheinlich haben Sie von der Relativitätstheorie
noch eines in Erinnerung: Das war die Sache mit der
Krümmung. Nun hat Albert Einstein die Krümmung des
Lichts und nicht die Krümmung des Forschungshaushal-
tes gemeint. Die Staatsverschuldung ist so hoch wie
nie. Der Forschungshaushalt muss mit bluten. Die For-
schungs- und Innovationspolitik der Bundesregierung ist
in der Tat sehr „relativ“, nämlich relativ ziel-, plan- und
erfolglos.

Das liegt im Kern an folgenden Defiziten: einem ge-
radezu epidemischen Kurzfristdenken und einem auf
schnelle Effekte ausgerichteten Handeln, einen Verlust
von Denken in Zusammenhängen und Ursachenketten
und einem fatalen Verständnis von Forschung und Wis-
senschaft, von Bildung und Hochschulen, die man zu-
letzt auf Missionen ausrichten zu müssen glaubte. Inno-
vation ist eine Kette, deren Glieder Schulen,
Hochschulen, Forschung und die Vernetzung von For-
schung mit Wirtschaft und innovativen Unternehmen
sind. Das muss man als Einheit betrachten, sonst endet
man wie Rot-Grün in Schubladendenken.

Wir haben bereits Anfang des vergangenen Jahres
eine komplette Innovationsstrategie in den Deutschen
Bundestag eingebracht – Köpfe, Konzepte, Kapital und
Klima. Wir sind am Beginn dieses Einstein-Jahres kei-
nen Schritt weiter, als wir am Beginn des Jahres der
Technik waren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Wahrheit ist doch: Es gab 2004 für Bildung und For-
schung keinen Cent mehr aus dem Bundeshaushalt. Es
gab Minderausgaben, Sparauflagen und Sperrungen.
Jetzt steht die Sperrung der Eigenheimzulage für 2005
an. Auch das wird in diesem Jahr wohl wieder als Mi-
nusgeschäft enden.

Auch für die Hochschulen war 2004 ein verlorenes
Jahr. Angefangen hat das mit dem Placebo der Eliteuni
und der Kürzung der Hochschulbaumittel. Das Einzige,
was wir mit Hängen und Würgen geschafft haben, war,
für die Universitäten eine Selbstauswahl für die zulas-
sungsbeschränkten Fächer von 60 Prozent hinzubekom-
men. Das zweite Halbjahr hat das BMBF damit
verbracht, sich vom Nackenschlag des Bundesverfas-
sungsgerichtsurteils zur Juniorprofessur zu erholen.
Nach diesem Urteil sind wir wieder auf dem Stand von
2002. Eine verfassungskonforme Einführung der Junior-
professur hätten Sie haben können; aber Sie wollten mit
dem Kopf durch die Wand und sind vor dem Bundesver-
fassungsgericht gescheitert.

Frau Bulmahn, Sie verweigern sich zudem einer De-
batte über Studienbeiträge und machen einen auf Vogel
Strauß.


(Jörg Tauss [SPD]: Studentensteuer meinen Sie!)


Doch wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

(Ulla Burchardt [SPD]: Abgaben erhöhen! Neue Abgaben einführen!)

Vielleicht ahnen Sie schon, was Karlsruhe nächste Wo-
che sagt. Sie scheinen sich nicht vorzubereiten, sondern
wiederholen stoisch Ihren Satz: Mit mir sind Studienge-
bühren nicht zu machen. – Doch ist seit langem klar,
dass die Hochschulen mehr Geld brauchen. Warum er-
greifen Sie nicht die Initiative und diskutieren mit uns
und den Ländern über ein sozialverträgliches Studien-
beitragsmodell? Wir brauchen grundlegende Verände-
rungen in der Bildungsfinanzierung für ein lebenslanges
Lernen. Es ist ungerecht, wenn Kindergartenplätze
500 oder 600 Euro pro Kind und Monat kosten, Hoch-
schulbildung aber umsonst zu haben ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Wo leben Sie denn, Frau Reiche?)


Hochschulbeiträge sind unabdingbar. Die Einführung ist
Sache der Länder und Hochschulen; aber Sie, Frau
Bulmahn, könnten den Weg dafür frei machen.

Noch einmal zurück zu den Eliteunis. Eliteunis kauft
man nicht wie einen Sack Kartoffeln. Wissenschaft redet
übrigens nicht von Elite,


(Ulla Burchardt [SPD]: Wir auch nicht, Sie reden von Elite!)


Wissenschaft redet von Exzellenz. Damit Exzellenz ent-
stehen kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen.
Man braucht Universalität, Transdisziplinarität, die Be-
freiung von Strukturen wie dem jetzigen HRG, der ZVS,
dem Professorenbesoldungsgesetz und vor allem ein of-
fenes Klima für Forschung und Entwicklung.


(Jörg Tauss [SPD]: Siehe BadenWürttemberg!)


Der Glaube soll ja bekanntlich Berge versetzen kön-
nen. Ich wäre schon zufrieden, wenn ich glauben könnte,
dass Sie endlich die Geröllhalden Ihres mentalen Wider-
standes gegen notwendige Reformen im Hochschulsys-
tem abräumen würden. Wir sollten zum Beispiel – um
einen konkreten Vorschlag zu machen – die Vollkosten-
rechnung in der Forschung einführen und der DFG die
notwendigen Mittel zur Verfügung stellen, damit sie bei
Drittmittelprojekten einen Overhead für die Grundaus-
stattung finanzieren kann. Wir werden dazu einen ent-
sprechenden Antrag vorlegen.

Der nächste Punkt betrifft die Strategien. Wenn For-
schung und Entwicklung zu Innovationen werden sollen,






(A) (C)



(B) (D)


Katherina Reiche

dann brauchen wir Strategien. Wir haben in diesem Haus
bereits Strategien für die Biotechnologie, die Nanotech-
nologie und die Energieforschung vorgelegt. Chip- und
Mikrosystemtechnik kurzerhand in Nanotechnik umzu-
benennen ist hingegen noch keine Strategie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ohne Kerntechnik wird es auch in Deutschland nicht

gehen, Frau Burchardt. Es dauert zehn Jahre, bis wir das
aufgeholt haben, was wir zurzeit im Bereich der Kern-
forschung verpassen.


(Widerspruch bei der SPD)

Der Fadenriss ist sichtbar und Sie haben ihn zu verant-
worten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Burchardt [SPD]: Zentralstaatliches Planungswesen! Ist es das, was Sie im Kopf haben?)


Die Ampel für die Grüne Gentechnik steht auf Dau-
errot. Während die Gesamtanbaufläche im vergangenen
Jahr weltweit um 20 Prozent auf rund 81 Millionen Hek-
tar gestiegen ist – das wurde zu Beginn des Jahres ver-
meldet –, versinkt bei uns die Grüne Gentechnik im poli-
tischen Treibsand von Rot-Grün.

Der DFG-Präsident Winnacker hat in seiner Neu-
jahrsansprache sein Augenmerk auf das Gentechnikge-
setz gerichtet. Er hat deutlich gemacht, dass junge Wis-
senschaftler im Ausland die Entwicklung hier sehr genau
beobachten und sich Gedanken darüber machen, ob sie
nach Deutschland zurückkehren sollen. Diese jungen
Wissenschaftler verstehen Wissenschaft nämlich als Ein-
heit und sehen in einer solchen in der Tat sehr spezifi-
schen Entscheidung eine Gefahr für das Ganze. So wer-
den wir die Köpfe für den Innovationsstandort
Deutschland nicht zurückholen.

Frau Bulmahn, die Impulskreise, Working Groups,
Horizontpapiere und Pionieraktivitäten – dabei handelt
es sich um das, was im Jahr der Technik 2004 herausge-
kommen ist – sind keine Innovationen. Wenn Sie uns
schon nicht glauben, dann aber vielleicht dem alten
Goethe, der gesagt hat: Die Macht soll handeln und nicht
reden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515100500

Ich erteile Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die

Grünen, das Wort.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515100600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Reiche, Sie haben in Ihrer bekannten pole-
mischen Art ausgeführt, Deutschland versage unter Rot-
Grün, die Wirtschaft, die Wissenschaft und andere Be-
reiche lägen am Boden. – Man kann das kaum noch hö-
ren und glauben.


(Jörg Tauss [SPD]: Auswandern!)

Wir haben mit der grünen Bundestagsfraktion – Frau
Reiche, ich bitte Sie, zuzuhören –


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Das muss sich auch lohnen!)


in den Räumen von General Electric in Garching bei
München einen Kongress durchgeführt. General Electric
ist, wie Sie wissen, kein kleiner, sondern ein sehr großer
Player im Weltkonzert der Wirtschaft. Für uns war es
sehr erstaunlich, dass die Vorstände in ihren Vorträgen
immer wieder gesagt haben: Wir haben unsere Entschei-
dung für dieses neue Forschungszentrum hier getroffen,
weil Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort ist,
weil in Deutschland die Forschung besonders stark ist


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Bayern! – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Kommen Sie nach München!)


und weil durch diese Regierung in Deutschland ganz
neue Strategien und Wege aufgezeigt wurden. Deswe-
gen, Frau Reiche, haben wir einen Kongress zur For-
schung im Energiebereich mit dem Schwerpunkt erneu-
erbare Energien durchgeführt.

Wenn Sie von Strategien in der Energieforschung
reden, dann meinen Sie – wir kennen das bereits – im-
mer nur Kernfusion und Kernenergie. Das haben Sie
auch hier wieder bestätigt. Es sollte Ihnen aber klar sein,
dass General Electric gerade deshalb nach Deutschland
gekommen ist, weil hier eine andere Energiepolitik be-
trieben wird. Wir beharren eben nicht mehr auf den al-
ten, überkommenen Strategien, die Sie für richtig halten
und die seit 50 Jahren gescheitert sind. General Electric
hat gemeinsam mit der rot-grünen Bundesregierung und
anderen den Blick nach vorne gerichtet – ganz im Ge-
gensatz zu Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dieser neue Weg nicht nur in der Energiepolitik, son-
dern auch in vielen anderen Fragen wird zeigen, dass wir
eine wesentlich bessere Forschungspolitik betreiben, als
Sie es darstellen.

Übrigens enthält der Bundesbericht Forschung 2004,
der der heutigen Debatte zugrunde liegt, eine riesige
Menge an Daten und Fakten betreffend Bund und Län-
der, die eigentlich diese Tendenzen – im Gegensatz zu
Ihren Äußerungen – aufzeigen.

Ich will Ihnen zugestehen, dass Ihr Antrag auf Verbes-
serung des Berichtswesens irgendwo Sinn macht; denn
es ist sinnvoll – deshalb werden wir ja das Berichtswesen
verändern und umstellen –, beispielsweise die entspre-
chenden Daten auf die Wirkung der eingesetzten Mittel in
den verschiedenen Bereichen hin zu analysieren. In die-
sem Zusammenhang komme ich auf das Beispiel Energie
zurück. Es muss doch einmal analysiert werden, dass wir
50 Jahre lang für Kernenergie und Kernfusion in erhebli-
chem Umfang Gelder ausgegeben haben, die praktisch
wirkungslos geblieben sind. Mit der Kernfusion wird bis
heute keine Kilowattstunde Strom erzeugt. Das wird auch
in den nächsten 50 Jahren so sein.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Josef Fell

– Das sagen uns alle Wissenschaftler. Gehen Sie doch
einmal zum IPP in Garching! Dort wird man Ihnen das
bestätigen.

Sie beharren aber auf Ihrem Standpunkt und wollen
weiter Gelder für Kernenergie und Kernfusion ausgeben.
Wo bleibt denn die Effizienz der dafür ausgegebenen
Gelder? Es ist richtig, dass wir das Berichtswesen genau
analysieren müssen, um herauszufinden, ob die Gelder
effizient eingesetzt werden. Dann werden viele Ihrer
Vorstellungen sicherlich in einem ganz anderen Licht er-
scheinen.

Es ehrt Sie ja, dass Sie die Daten und das Berichtswe-
sen so hoch halten; denn aus dem Bundesbericht For-
schung 2004 geht ganz klar hervor, dass wir den Anteil
von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandspro-
dukt von 2,3 auf 2,5 Prozent im Jahre 2002 angehoben
haben. Im Vergleich zu Ihrer alten Regierungspolitik hat
es also unter Rot-Grün eine Steigerung, eine Verbesse-
rung gegeben. Es ist gut, dass Sie immer wieder darauf
beharren, dass diese Ergebnisse der Öffentlichkeit vor-
gestellt werden.

Wir wollen mehr Geld für die Forschung bereitstel-
len.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Dann tun Sie es doch einfach!)


Wir wissen ebenfalls, wie wir das finanzieren wollen.
Beispielsweise wollen wir die Eigenheimzulage, die sehr
wenig effektiv und kaum zukunftsfördernd ist, abbauen.
Wir warten nun gespannt ab, was der Vermittlungsaus-
schuss tun wird. Auf dem Papier sitzen dort lauter Leute,
denen bereits seit 1956 die Bedeutung von Forschung
und Innovationen klar ist und denen die Förderung die-
ser Bereiche am Herzen liegt. Wir sind gespannt, was bei
den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss heraus-
kommt, ob es endlich einen Durchbruch für mehr Geld
für Bildung und Forschung gibt, so wie Sie es verlangen.
Wir erwarten, dass Sie hier mitmachen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir brauchen nicht nur mehr Geld für die Forschung,
sondern auch eine bessere Forschung für die öffentlichen
Gelder. Deswegen sehen wir sowohl in der Stärkung von
Grundprinzipien wie dem der Nachhaltigkeit in der For-
schung – Frau Burchardt hat hierzu vieles ausgeführt –
als auch in neuen Rahmenkonzepten – als Beispiel nenne
ich nur die in der Nanotechnologie eroberten Märkte –
wichtige Schwerpunkte. Ich möchte hier nicht auf alle
Felder eingehen, sondern nur die Biotechnologie als Bei-
spiel nennen. Es gibt sicherlich sehr viele Bereiche – ob
es der Gesundheits-, der Energie-, der Ernährungsbe-
reich oder die Stoffwirtschaft ist –, in denen es Probleme
gibt, die wir dringend lösen müssen. Aber wir werden
uns nicht wie Sie von der Union auf einen winzigen
Bereich der Biotechnologie, die Gentechnologie, be-
schränken, sondern wir werden das weite Feld der Bio-
technologie beispielsweise für die Entwicklung neuer
Kraftstoffe und neuer Chemieprodukte aus nachwach-
senden Rohstoffen nutzen. Uns ist Ihr Biotechnologie-
begriff viel zu verengt. Genau deswegen schadet er
einem weiteren Vorangehen in der Biotechnologie.

Ein weiteres wichtiges Anliegen sind für uns notwen-
dige Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die
Umsetzung von Forschungsergebnissen in unternehme-
risches Handeln, was ebenfalls einigen Anträgen zur
heutigen Debatte zugrunde liegt. Ich nenne nur den
Hightech-Masterplan der Bundesregierung, die Grün-
dungsinitiative sowie den Pakt für Forschung und Inno-
vation.

Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass wir ei-
nen Dachfonds für Venturecapital eingeführt haben.
Dieser Dachfonds beginnt seine Wirkung zu entfalten.
Die ersten Fonds sind geschlossen. Wir werden darauf
achten, dass dieser Dachfonds in Zukunft auch zur För-
derung neuer Technologien im Bereich der nachwach-
senden Rohstoffe genutzt werden kann.

Ich glaube, dass wir angesichts des Aufwuchses der
Mittel auf einem guten Weg sind, das Ziel zu erreichen,
dass der Anteil der Ausgaben für Forschung und Ent-
wicklung am Bruttoinlandsprodukt insgesamt bei
3 Prozent liegt. Wir werden unsere gemeinsamen An-
strengungen dafür verstärken. Dies wird die Attraktivität
des Standortes Deutschland weiter verbessern. Vielleicht
gibt es dann noch mehr große Firmen, die zu uns kom-
men, weil Deutschland ein starker Wirtschafts- und For-
schungsstandort ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515100700

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Frak-

tion.

Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1515100800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Geist

Albert Einsteins weht hier sozusagen durch den Raum.
Liebe Frau Reiche, ich glaube, nicht nur der Bundes-
kanzler ist nicht so ganz in der Lage, die Relativitäts-
theorie wirklich nachzuvollziehen, sondern auch viele
andere hier. Einstein hat eines gesagt, was auch wir alle
verstehen können: Masse verschwindet nicht, sondern
sie wandelt sich in Energie um. Liebe Frau Bulmahn, ich
bin der Meinung, dass Sie diese Theorie für sich offen-
sichtlich ganz neu entwickelt haben. Die Entwicklung in
Deutschland sieht folgendermaßen aus: Die Masse der
Investitionen in Forschung und Entwicklung ver-
schwindet; aber die entfaltete Energie, die Dynamik, die
wir alle für dieses Land erhoffen – darüber diskutieren
wir hier immer wieder –, ist relativ gering.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutschland kommt auch 2005 dem Ziel, 3 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts als Investitionen in For-
schung und Entwicklung fließen zu lassen, nicht näher.
Der Aufwuchs von Mitteln im Forschungshaushalt wird
durch den Abbau bildungs- und forschungsrelevanter
Bereiche in den Haushalten vieler anderer Ministerien
relativiert. Als besonders schlechtes Beispiel nenne ich






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach

den Verteidigungshaushalt, der im Forschungsbereich
um 50 Millionen Euro gekürzt wird, und das in einer
Zeit, in der alle mit uns konkurrierenden Länder die Mit-
tel in genau diesem Bereich hochfahren.

Der beste Kronzeuge für die Absenkung der Mittel ist
übrigens das Bundesfinanzministerium: Es bestätigt,
dass die Gesamtausgaben für Bildung, Wissenschaft und
Forschung von 11,6 Milliarden Euro auf 11,3 Milliarden
Euro in 2005 sinken. Das ist, was die Forschungsmittel
angeht, kein Aufschwung, sondern das sind ganz eindeu-
tig 300 Millionen Euro weniger. Das sollte man im
Einstein-Jahr verstehen und auch so werten.


(Beifall bei der FDP)

Auch der Aufwuchs im Etat von Frau Bulmahn ist

nicht sicher. Frau Reiche hat schon eben auf die Eigen-
heimzulage verwiesen. Ich glaube nicht, dass wir erleben
werden, dass das entsprechende Vorhaben so umgesetzt
wird. Die globale Minderausgabe könnte noch größer
werden. Es ist für uns nicht zufriedenstellend, wie die
500 Millionen Euro für die Flutopfer finanziert werden.
Wir wollen natürlich wissen, wo das im Etat auftaucht.


(René Röspel [SPD]: Vorschläge!)

Hinzu kommen die unterschiedlichsten Blockaden.

Darüber haben wir schon gestern im Ausschuss disku-
tiert. Ihr Programm zur Förderung von Exzellenz an
Hochschulen, das die FDP immer ausdrücklich unter-
stützt hat, wird von den unionsregierten Ländern deut-
lich und sichtbar blockiert. Wir haben noch immer
keinen Ansatz für ein modernes Wissenschaftstarifver-
tragsrecht. In diesem Fall wird sowohl von SPD- als
auch von CDU-geführten Ländern blockiert. Den sinn-
vollen Ansätzen bei Bio- und Nanotechnologie im
BMBF stehen Blockaden des Koalitionspartners, von
Teilen der SPD und natürlich auch von Teilen der CDU
gegenüber.

In der Energieforschung haben Sie sich von den Grü-
nen zu dem Kurs eines überteuerten, übersubventionier-
ten Energieerzeugungssystems verleiten lassen. Liebe
Frau Burchardt, Staatsinterventionismus mit Windmüh-
len ist das ganz bestimmt.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Der Chemiestandort wird durch die Chemikalien-

richtlinie aus Brüssel schwer belastet. Denken Sie an die
Gesundheitsreform! Gerade in dieser Woche hören wir:
Der Kanzler spricht wieder mit den Vertretern der
Pharmaindustrie. Sie bitten händeringend darum, dass
forschungsintensive Produkte endlich so bezahlt werden,
wie sie bezahlt werden müssten. Denken Sie an den
Hightech-Masterplan! Lieber Herr Fell, im Dezember
haben Sie ihn endlich notdürftig „zum Rumpeln ge-
bracht“. Ich hoffe für Sie alle, dass er voll und ganz um-
gesetzt wird. Der Streit in der Bundestaatskommission
über die Zuständigkeiten in Bildungs- und Forschungs-
politik zwischen Bund und Ländern ist eine Blockade,
die uns alle hier massiv tangiert.

Ich glaube nicht, dass irgendein Mensch hier in
Deutschland Verständnis dafür hat, was wir uns auf die-
sem Gebiet zurzeit leisten.

(Jörg Tauss [SPD]: Nicht wir, die da auf der Bundesratsbank!)


Wir, die Bundesregierung und die Landesregierungen
– sie sind wieder einmal nur spärlich anwesend – blo-
ckieren uns gegenseitig auf den wichtigsten Feldern, und
das in einem Jahr, das wir zum Jahr der Innovationen
machen möchten. So wird das nicht funktionieren, Frau
Bulmahn.

Da die Zeit der FDP leider immer sehr kurz bemessen
ist,


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit der FDP läuft ab!)


möchte ich nur noch Folgendes sagen: Liebe Frau
Bulmahn, Herr Wowereit hat gestern gesagt, man sollte
jetzt an den Verhandlungstisch zurückkehren. Deshalb
will ich an dieser Stelle einmal einen ganz deutlichen
Appell an die Ministerpräsidenten richten. Dieses Land
wird sich in Bildung und Forschung nur dann weiterent-
wickeln, wenn die Ministerpräsidenten endlich aufhören,
politisch zu taktieren, und wenn sie die Kompetenz wie-
der an die Fachminister zurückgeben. Dann werden wir
in der Lage sein, eine Lösung für dieses Land zu finden,
damit endlich alle gemeinsam einen Schritt nach vorn
gehen können und wir die Bürger nicht weiter mit Dis-
kussionen über Sachen langweilen, die in anderen Län-
dern längst entschieden sind.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU] – Jörg Tauss [SPD]: Da hat sie Recht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515100900

Ich erteile Kollegin Andrea Wicklein, SPD-Fraktion,

das Wort.

(Beifall bei der SPD)



Andrea Wicklein (SPD):
Rede ID: ID1515101000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist das richtige Signal, „Forschung und In-
novation“ heute, in der ersten Plenarwoche des neuen
Jahres, zu diskutieren. Wir wissen, dass Forschung und
Innovation die zentralen Handlungsfelder für Wohlstand,
für Arbeitsplätze, für soziale Sicherheit und für nachhal-
tige Entwicklung sind, nicht nur für Deutschland, son-
dern für Europa insgesamt. Deshalb werden wir den
erfolgreichen Weg der rot-grünen Regierungskoalition
fortsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist an dieser Stelle ganz wichtig, dass wir uns noch
einmal an etwas erinnern, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Opposition. Unter der Regierung Kohl
wurde der Forschungsetat bis 1998 dramatisch abgebaut.
Der staatliche Finanzierungsanteil bei Forschung und
Entwicklung sank pro Jahr um 1,2 Prozent. Deutsch-
land rutschte im internationalen Vergleich von Platz drei
auf Platz neun ab – mit negativen Folgen für den Stand-
ort Deutschland und für unsere Gesellschaft, Folgen, die
die Regierung unter Bundeskanzler Schröder nun Schritt






(A) (C)



(B) (D)


Andrea Wicklein

für Schritt, auch durch die Umsetzung der Agenda 2010,
in den Griff bekommt.

Ich freue mich darüber, dass die vorliegenden An-
träge der Opposition zeigen: Union und FDP unterstüt-
zen heute mit ihren Forderungen nach mehr Innovation
in weiten Teilen die Politik der Regierungskoalition. Im
Prinzip fordern sie jetzt zum Teil das, was Rot-Grün
schon seit dem Regierungsantritt 1998 verwirklicht.
Seitdem sind die Ausgaben des Bundes für Bildung und
Forschung um mehr als 2,7 Milliarden Euro auf jetzt
rund 10 Milliarden Euro gestiegen.


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Sie sind gesunken!)


Das ist eine Steigerung um fast 40 Prozent gegenüber
1998.

Bei den Spitzentechnologien verzeichnet Deutschland
einen Exportüberschuss von 132 Milliarden Euro. Bei
den forschungsintensiven Gütern liegt Deutschland mit
einem Weltmarktanteil von 14,9 Prozent nach den USA
weltweit auf Platz zwei. Mit 127 weltmarktrelevanten
Patenten je 1 Million Einwohner liegt Deutschland im
internationalen Vergleich auf Platz zwei hinter Japan.
Wir konnten erreichen, dass sich 72 Prozent mehr junge
Menschen für ein Studium der Naturwissenschaften und
Technik entscheiden als noch 1998. Rund 35 Prozent
sind es bei den Ingenieurwissenschaften. Das kommt
nicht von ungefähr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine Bilanz, die eindeutig zeigt: Die Prioritäten-
setzung der rot-grünen Regierungskoalition auf Bildung
und Forschung trägt Früchte.

Ein Aspekt ist für mich besonders wichtig. Er ist in
den letzten Jahren zum Markenzeichen rot-grüner Politik
geworden und spiegelt einen Politikstil wider, der von
Teilen der Opposition, wie wir auch gerade wieder hören
mussten, kritisiert wird, weil Sie von der Opposition
offensichtlich nicht verstanden haben, worum es dabei
geht. Der Bundesregierung ist es gemeinsam mit vielen
Partnern gelungen, einen breiten Dialog von Wissen-
schaft, Politik und Gesellschaft zu initiieren. Hervorzu-
heben ist dabei vor allem die Initiative „Wissenschaft
im Dialog“, die von allen großen Forschungsorganisa-
tionen, dem Stifterverband für die Deutsche Wissen-
schaft und dem Bundesministerium für Bildung und For-
schung getragen wird. Seit 2000 wird in jedem Jahr ein
bestimmtes Wissenschaftsgebiet in den Fokus der brei-
ten Öffentlichkeit gerückt und damit werden Verständ-
nis, Neugier und Begeisterung für Wissenschaft und For-
schung geweckt. Deshalb ist es völlig absurd, wenn Frau
Reiche, wie jüngst und auch heute wieder hier im Bun-
destag, die über 1 100 erfolgreichen Veranstaltungen mit
mehr als 1 Million Besuchern im Jahr der Technik 2004
als Rummel oder die Eröffnungsveranstaltung, die sehr
erfolgreich war, als Show bezeichnet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das ist unglaublich! – Siegfried Scheffler [SPD]: Bei Frau Reiche ist sowieso alles relativ!)


Mit dem Einstein-Jahr 2005 werden wir diese Erfolgsge-
schichte weiterschreiben.


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Mit noch mehr Shows!)


Ich finde es geradezu phänomenal, dass sich deutsch-
landweit etwa 20 000 Schulen an diesem Projekt beteili-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die jüngsten
wissenschaftlichen Fortschritte im Bereich der Biomedi-
zin, der Genomforschung und der grünen Gentechnik
machen deutlich, dass nur die Wissenschaft Unterstüt-
zung und Akzeptanz findet, die die Erwartungen und die
Kritik der Menschen aufnimmt und entsprechend be-
rücksichtigt. Gerade da sehe ich gravierende Unter-
schiede zwischen den Auffassungen von Regierung und
Opposition.

Ein Beispiel, das heute schon des Öfteren genannt
wurde, ist die Energieforschung. Sie verlangen die
Rücknahme der Entscheidung für den schrittweisen
Ausstieg aus der Kernenergie, obwohl es einen breiten
gesellschaftlichen Konsens für diesen Ausstieg gibt. Ich
frage Sie: Haben Sie Lösungen für die Aufbereitung und
Endlagerung? Was passiert 2035, wenn die Uranvor-
kommen zur Neige gehen? Sind die vereinbarten Rest-
laufzeiten nicht vernünftige Kompromisse zwischen Si-
cherheit, Ökologie und Wirtschaftlichkeit?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch bei der Kernfusion haben die immensen finan-
ziellen Aufwendungen immer noch nicht zu einer nutz-
baren Anwendung geführt. Nach Ansicht führender For-
scher wird die Kernfusion auch in den nächsten
50 Jahren keinen entscheidenden Beitrag zur Energie-
versorgung leisten können. Die Fusion bleibt zwar auch
für uns ein wichtiges Feld für die Grundlagenforschung,
aber es ist doch sinnvoll – das wird auch von der Bevöl-
kerung so gesehen –, die staatlichen Forschungsmittel
im Energiebereich schwerpunktmäßig für erneuerbare
Energien, Energieeinsparung und Energieeffizienz ein-
zusetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiteres Beispiel ist die Grüne Gentechnik. Sie
fordern die Rücknahme der gesetzlichen Regelungen zur
Grünen Gentechnik, obwohl 87 Prozent der Bevölke-
rung gentechnisch veränderte Nahrungsmittel ablehnen.
Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Gen-
technikgesetz enthält deshalb wichtige Rahmenbedin-
gungen, um die Sicherheit der Verbraucher zu gewähr-
leisten, und trägt dazu bei, Vertrauen und Akzeptanz zu
erhöhen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Andrea Wicklein

Vertrauen und Akzeptanz der Menschen gegenüber

der Wissenschaft – das sind die gesellschaftlichen Rah-
menbedingungen, die auch die Forscherinnen und For-
scher brauchen. Wir brauchen ein Klima in der Gesell-
schaft, das Fortschritt unterstützt und dazu führt, dass
wissenschaftliche Ergebnisse schneller in absatzfähige
Produkte überführt werden.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Sagen Sie das mal Herrn Fell!)


Ich freue mich, dass auch EU-Forschungskommissar
Potocnik die Wissenschaft und die Forschung auf die
Marktplätze holen will.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit einem breiten Angebot an Partizipationsmöglichkei-
ten ist es uns gelungen, die noch vorhandenen Elfenbein-
türme der Wissenschaft zu öffnen und mehr und mehr
vor allem junge Menschen zu begeistern und auf diesem
Weg mitzunehmen.

Mit dem Beschluss von Lissabon im Jahre 2000 ha-
ben die EU-Mitgliedstaaten das ehrgeizige Ziel be-
schlossen, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung
bis zum Jahr 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts zu steigern. Natürlich ist auch hier ganz klar die
Wirtschaft gefragt.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Die Wirtschaft erhöht ihren Anteil!)


Wir wissen, dass bis dahin noch ein steiniger Weg vor
uns liegt. Unser Ziel ist es, dem Einzelnen die Chance
auf Teilhabe zu bieten, auf ein Leben in einer lebenswer-
ten Umwelt, verbunden mit einem hohen Maß an sozia-
ler Sicherheit. Wir werden alles daransetzen, dieses Ziel
zu erreichen. Forschung und Wissenschaft werden von
Menschen für Menschen gemacht. Gut gebildete Men-
schen sind die wichtigste Ressource, um das Morgen zu
gestalten.

Ein guter Forschungsstandort braucht Investitionen
in die Köpfe und das kostet Geld. Damit bin ich beim
Punkt Finanzen, bei der Abschaffung der Eigenheimzu-
lage, die dem Bund, den Ländern und den Kommunen
bis 2012 fast 6 Milliarden Euro bringen würde. Sie be-
harren auf der Eigenheimzulage; wir dagegen wollen die
Mittel in die Zukunftsförderung investieren. Sicher ist
die Abschaffung der Eigenheimzulage hart für diejeni-
gen, die heute diese staatliche Förderung brauchen; aber
wir müssen uns entscheiden. Mit mehr Bildung verbes-
sern sich zukünftig für viele Menschen die Aussichten,
ihr Heim mit ihren eigenen Mitteln, mit ihrem eigenen
Einkommen zu finanzieren. Die Politik muss sich ent-
scheiden, ob sie Fische verschenken will oder Angeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns allen muss klar
sein, dass unser Land nur über Investitionen in Ideen, in
Wissen und Kompetenzen im globalen Wettbewerb be-
stehen kann. Wir setzen dabei auf die Hebelwirkung un-
serer Maßnahmen in Bildung und Ausbildung, in Wis-
senschaft und Forschung. Dazu bedarf es einer besseren
Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Daran ändert
auch der vorläufige Ausgang der Föderalismusdebatte
nichts. Bund und Länder müssen gemeinsam einen Weg
in die Zukunft finden, damit es nicht zu einem Stillstand
in der Bildungs- und Forschungspolitik kommt. Wir sind
offen für Gespräche.

Wir richten die Bildungs- und Forschungspolitik am
Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung aus und setzen
uns dafür auch auf europäischer Ebene innerhalb des
7. Forschungsrahmenprogramms ein. Nachhaltigkeit ist
das Lösungsmodell, um die globalen Herausforderungen
der Zukunft zu meistern. Die Zukunft für Deutschland
hat schon begonnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515101100

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Kretschmer,

CDU/CSU-Fraktion.


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1515101200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle vier

Jahre kommt der Bundesforschungsbericht heraus und
gibt eine Bestandsaufnahme der Forschungsförderung in
Deutschland. Von Mal zu Mal wird er dicker. Mit rund
800 Seiten ist das aktuelle Werk im Vergleich zum vor-
herigen Bericht noch einmal um 200 Seiten angeschwol-
len. Die Frage ist allerdings: Hält der Inhalt, was die Op-
tik verspricht? Schon Georg Christoph Lichtenberg
meinte, bei manchem Werk möchte man lieber lesen,
was weggestrichen wurde, als das, was man hat stehen
gelassen. So verhält es sich auch hier.

Wir vermissen zum Beispiel einen Hinweis auf die
soeben angesprochene Lissabon-Strategie, immerhin
ein Schwergewicht der europäischen und nationalen For-
schungsförderung, die Ihr Kanzler durch seine Unter-
schrift mit angestoßen hat. Die Halbzeitbilanz der Lissa-
bon-Strategie ist für die Bundesregierung sehr
unschmeichelhaft ausgefallen. Die Sachverständigen ka-
men zu dem Schluss, dass sich die Fortschritte viel zu
langsam einstellen und dass es am entschlossenen politi-
schen Handeln fehlt. Asien und Nordamerika haben es
geschafft, auch unter schwierigen weltwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen den Abstand zu Europa zu vergrö-
ßern. 74 Prozent der 300 führenden IT-Unternehmen und
46 Prozent der Top 300 bezüglich Ausgaben für For-
schung und Entwicklung sind mittlerweile in den Verei-
nigten Staaten von Amerika ansässig.

Und Deutschland? Als größte Volkswirtschaft in der
Europäischen Union hätte die Bundesregierung im Sinne
der Lissabon-Strategie erheblich größere Anstrengungen
unternehmen müssen. Mit Mühe haben Sie es geschafft,
Herrn Eichel wenigstens einen geringen Aufwuchs Ihres
Haushalts abzuringen. Dafür, Frau Bulmahn, verdienen
Sie zunächst einmal Respekt. Wir wissen aber auch: Die-
ser Aufwuchs existiert nur virtuell. Die Erhöhungen ver-
puffen durch Sparpakete und globale Minderausgaben.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Kretschmer

Darüber hinaus schadet es Deutschland, dass Sie an-

dauernd versuchen, Frau Minister, das BMBF von einem
Innovationsministerium zu einer Schulbehörde umzu-
funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Hören Sie endlich auf, zweifelhafte Bildungsprojekte zu
initiieren, die maximal am Rande Ihrer Zuständigkeit
liegen! Beenden Sie die Geisterfahrt, die Sie ständig auf
Kollisionskurs mit den Ländern bringt!


(Jörg Tauss [SPD]: Konkret! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was meinen Sie denn damit?)


Forschung, Innovation und Hochschulbau sind Ihre Bau-
stellen. Die brauchen dringend mehr Aufmerksamkeit
vonseiten des Bundesforschungsministeriums.


(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Hochschulbau wollen doch die Länder alleine machen! – Jörg Tauss [SPD]: Den Hochschulbau wollt ihr doch!)


Deutschland ist durch seine Wachstumsschwäche
maßgeblich verantwortlich dafür, dass auch die Europäi-
sche Union insgesamt nur ein geringes Wachstum aufzu-
weisen hat. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Lis-
sabon-Ziel.

Besonders schlimm ist aber, dass die Bundesregie-
rung und vor allem ihr grüner Teil Zukunftstechnologien
mit großem Wachstumspotenzial behindert. Nehmen Sie
nur die Grüne Gentechnologie. Hier hat die Bundesre-
gierung die Gesetzeslage zum Nachteil unserer Forscher
und Anwender erheblich verschärft. Mit der Einführung
der verschuldensunabhängigen Haftung ohne Haftungs-
obergrenzen haben Sie die Hürden unerträglich hoch ge-
setzt und die Stimmung in unserem Land für diese Zu-
kunftstechnologie vergiftet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Statt die Chancen zu sehen und den Menschen Mut zu
machen, konstruieren Sie Risiken und sorgen für Skepsis
gegenüber dieser neuen Zukunftstechnologie. Mit Ihrem
Gesetz haben Sie die Anwendung der Grünen Gentech-
nik faktisch ausgeschlossen. Sie haben so willentlich die
Chancen engagierter Wissenschaftler zerstört. Sollen
doch die Pflanzen von morgen wachsen und gedeihen,
wo sie wollen: Hauptsache nicht bei uns in Deutschland.

Die Folgen sind klar. Um mit Ihren Worten, Frau Mi-
nister, zu sprechen: Wenn ich heute schon das Morgen
denke, dann sehe ich eine Forschung, die ins Ausland
abgewandert ist, und mit ihr das Wissen und die guten
Ideen, die in der Vergangenheit aus Ihrem Etat finanziert
worden sind. Warum haben wir überhaupt seit 1998 über
100 Millionen Euro in die Pflanzenbiotechnologie in-
vestiert? Wir haben diese Förderung begrüßt und haben
sogar mehr Geld gefordert. Dabei hatten wir aber die Er-
wartung, dass die Förderung der Forschung auch zur An-
wendung in Deutschland führt, wodurch Arbeitsplätze
geschaffen werden können, die wir so dringend brau-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist eine Tatsache, dass seit dem Amtsantritt der rot-

grünen Regierung über 1 Million Arbeitsplätze in die-
sem Land verloren gegangen sind. Von einem wirt-
schaftlichen Aufschwung kann ebenfalls keine Rede
sein. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Jetzt machen Sie
auch noch diese Zukunftstechnologien, in denen unsere
Chance auf neue Arbeitsplätze liegt, kaputt.

Ich will noch einige wenige Bemerkungen zu ITER,
zur Kernfusion und Kerntechnologie machen. Was Sie
sagen, ist einfach nicht richtig: Die USA, Japan und die
Europäische Union setzen sich für die Kernfusion ein
und streiten darum, wo der nächste Kernfusionsreaktor
gebaut werden soll. Aber Deutschland, also das Land, in
dem diese Technologie erfunden worden ist und das bei
der Kernfusion führend ist, vollzieht derzeit einen Roll-
back und steigt aus dieser Technologie aus.


(Ulla Burchardt [SPD]: Im Wettbewerb wird sie sich nie durchsetzen, Herr Kretschmer!)


Die Wissenschaftler reiben sich verwundert die Augen,
weil sie über diese Entwicklung so erstaunt sind. Sie be-
treiben den Abbau des wissenschaftlichen Potenzials.
Das schadet dem Standort Deutschland ganz stark.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die genehmigten Versuchsfelder in Golm, in Pillnitz

und in Quedlinburg – ich weiß nicht, ob die Frau Minis-
ter jemals dort gewesen ist – sind von Ökoterroristen
zerstört worden. Dies zeigt, was passiert, wenn sich die
Politik nicht hinter Zukunftstechnologien stellt, sondern
mit ihren Gesetzen Stimmung gegen diese neuen Tech-
nologien macht. Wir brauchen ein klares Ja zur Biotech-
nologie und kein Hin und Her, das die Menschen verun-
sichert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor wenigen Tagen ist das Jahr der Innovation zu

Ende gegangen. Der Laie staunt, weil er sich kaum noch
an diesen Schwerpunkt erinnern kann, und der Experte
ist enttäuscht, weil außer PR und Reden nichts wirklich
Innovatives in diesem Jahr passiert ist. Nehmen Sie die
Förderung der Gründungs- und Wachstumsfinanzierung.
Sie beschreiben das Problem in Ihrem Forschungsbe-
richt. Dort steht, dass gerade den F-und-E-intensiven
Unternehmensgründungen Eigenkapital fehlt. Der Be-
fund ist richtig; aber Sie handeln nicht.

Nichts ist in diesem und im vergangenen Jahr pas-
siert. Im Gegenteil: Sie haben eines der wichtigsten Pro-
gramme, nämlich das Programm Futour, gestrichen, ob-
wohl sein Fortbestand dringend notwendig gewesen
wäre. Denn es war das letzte Programm, mit dem For-
schungs- und Entwicklungsausgründungen aus Hoch-
schulen gefördert wurden. Genau das ist Ihr Fehler: Ent-
weder Sie erkennen das Problem, sind aber nicht fähig,
es zu lösen, oder aber Sie dürfen mit Rücksicht auf den
grünen Partner – wie bei der Grünen Gentechnik und der
Kernfusion – die Probleme nicht angehen und lösen.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kretschmer

Wir haben diese Denkblockaden nicht. Wir setzen uns

für eine umfassende Reform unserer Forschungsförde-
rung ein. Unsere Forscher sollen sich in Deutschland so
wohl fühlen, dass sie gar nicht daran denken, dauerhaft
das Land zu verlassen. Wir stellen uns damit auch dem
Problem des Braindrain. Ich kann es nicht ertragen,
wenn die Forschungsministerin und auch ihre Kollegen
in der Fraktion die Augen vor diesem Problem verschlie-
ßen und bestreiten, dass es eine Abwanderung von jun-
gen Wissenschaftlern gibt. Tatsache ist doch: Die bes-
ten Wissenschaftler verlassen unser Land in Richtung
Amerika. Wir müssen diesen Trend ganz schnell stop-
pen. Dazu müssen wir uns aber dem Problem stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP] – Ulla Burchardt [SPD]: Es geht doch um Austausch!)


Ein Lösungsansatz ist die Forschungsprämie. Frau
Minister, anstatt einen Elitewettbewerb auszuloben
– mittlerweile spricht man nicht mehr von Elite-, son-
dern von Spitzenuniversitäten –, der konträr zu den Inte-
ressen der Länder organisiert worden ist, wäre diese Prä-
mie ein vernünftiger Ansatz gewesen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es gibt doch eine Vereinbarung mit den Ländern!)


Die Resonanz aus der Wissenschaft zeigt, dass wir damit
auf einem richtigen Weg sind. Wir möchten Sie herzlich
einladen, mit uns gemeinsam über eine Forschungsprä-
mie und über einen Overhead-Bonus für eingeworbene
Drittmittel der Universitäten und Hochschulen zu disku-
tieren. Wir glauben, dass die Vollkostenfinanzierung ein
innovativer Ansatz ist. Dieser neue Ansatz der Finanzie-
rung würde Ihrem Forschungsbericht deutlich mehr
Klasse und der Forschung mehr Gewicht geben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515101300

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Loske, Frak-

tion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515101400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-

vor ich meine eigenen Argumente darstelle, eine kleine
Replik auf die Dinge, die meine Vorredner angesprochen
haben. Zunächst zu der Philippika von Frau Reiche, die
sie wieder einmal abgelassen hat. Ich habe mir die Worte
aufgeschrieben; es war von „kläglicher“ Forschungspoli-
tik, von einem „Einbruch bei den Basisinnovationen“
und davon die Rede, dass Wissenschaftler abwandern.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr gut! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Gut, dass Sie es notiert haben!)


Richtig ist, dass man Dinge nicht schönreden soll; man
braucht eine realistische Problemanalyse.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Dann fangen Sie einmal an!)


Aber ganz schlimm ist – das muss ich einmal sagen – die
Art der Schwarzmalerei, die Sie hier betreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben in Deutschland in der Klima- und Geofor-
schung, der Bioforschung, der Biotechnologieforschung,
in der Nanotechnologie, der Energie-, der Verkehrs- und
der Materialforschung Institute von Weltrang. Es wun-
dert mich in ganz besonderer Weise, dass Ihnen, Frau
Reiche, als Abgeordnete aus Brandenburg nicht einfällt,
dass wir im Bereich der Klima- und Geoforschung Insti-
tute von Weltrang haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie reden alles schlecht. Das ist absolut unakzeptabel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kretschmer, ich kenne Sie zwar nicht persön-

lich; aber ich glaube, Sie kommen aus Sachsen. Es wäre
schön gewesen, wenn Sie darauf hingewiesen hätten,
dass wir mit dem Umweltforschungszentrum Leipzig-
Halle im Bereich der Umweltsanierung ein Institut von
Weltrang haben. Auch dazu kein Wort! Sie können nur
mies machen und schlechtreden. Das ist vollkommen
unakzeptabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ein weiterer Themenkreis betraf die Mitteldefizite.
Wir alle sind uns einig: Wir brauchen mehr Geld für die
Forschung; das ist gar keine Frage. Nur, ich muss darauf
hinweisen, dass bei Ihnen eines nicht zusammenpasst:
Sie blockieren die Abschaffung der Eigenheimzulage
und den Pakt für Forschung und Innovation.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Sie blockieren das Exzellenzprogramm für die Hoch-
schulen. Ich fordere Sie auf: Verlassen Sie den Pfad der
Blockade bei der Eigenheimzulage! Nehmen Sie Ein-
fluss auf die von Ihrer Partei regierten Länder und ma-
chen Sie den Weg frei für zusätzliche Mittel für die For-
schung! Das ist ganz wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt zu Frau Flach. Auch da gibt es viel zu sagen; ich
will nur zwei Punkte ansprechen. Frau Flach, Sie haben
beklagt, dass Deutschland – ich habe es mir aufgeschrie-
ben – die Mittel für die militärische Forschung nicht
hinreichend aufstockt. Ich muss hier ganz klar festhal-
ten: Wir haben kein Problem damit, dass wir die Mittel
für die Forschung an Bio-, Chemie- und Nuklearwaffen
nicht aufstocken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte an den viel zitierten Herrn Einstein erin-
nern, den wir alle zu Recht bewundern. Vielleicht kön-
nen nicht mehr alle von uns die Relativitätstheorie re-
konstruieren; das ist wohl wahr. Aber wir alle haben in
Erinnerung, dass Einstein sich dafür eingesetzt hat, dass
mit dem Wettrüsten Schluss sein muss, weil das die






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske

Menschheit ins Verderben führt. Auch dazu hätte ich
gern ein Wort gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Einstein steht für Wissenschaft in Verantwortung. Das ist
genau unser Punkt.


(Abg. Ulrike Flach [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen. –

(Ulrike Flach [FDP]: Das ist aber schade!)


Das, Frau Flach, unterscheidet uns auch beim Thema
Biowissenschaft. Nehmen Sie doch bitte endlich einmal
zur Kenntnis, dass in diesem Hohen Hause insgesamt die
Meinung vorherrscht, dass man bei der Diskussion über
das Thema Biowissenschaften und Gentechnik auf ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen Chancen auf der ei-
nen und ethischen Grenzen auf der anderen Seite zu ach-
ten hat. Sie sehen immer nur die eine Seite der Medaille.
Das wollen die Menschen nicht. Das werden auch Sie
merken und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Wir wollen vorwärts!)


Eine reine technische Durchbrecherstrategie ist unakzep-
tabel.

Herr Kretschmer – auch wenn Sie gerade telefonieren –,
der Blödsinn, den Sie gerade erzählt haben, dass nämlich
Ökoterroristen nachgerade durch die Politik aufgefor-
dert würden, Felder zu zertrampeln,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

ist wirklich Mist. Entschuldigung, dass ich das so sage!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben ein Gesetz, mit dem wir Transparenz und
die Einhaltung des Verursacherprinzips sicherstellen.
Das ist der einzige Grund für dieses Gesetz. Dies ist voll
und ganz angemessen und diese Einsicht wird sich über
kurz oder lang durchsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir wollen nicht, dass die Biotechnik auf einen Bereich
reduziert wird. Auch dieser Bereich soll zwar seine
Chance haben; das ist gar keine Frage.


(Ulrike Flach [FDP]: Wo denn?)

Aber auch für viele andere Bereiche, ob es die Biokata-
lyse, die Bionik oder der Biolandbau ist, brauchen wir
Forschungsmittel. Es kann nicht alles auf eine Karte ge-
setzt werden, wie Sie das wollen. Das geht nicht. Das
machen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Der letzte Punkt meiner Vorbemerkungen betrifft die
Kerntechnik. Es ist ganz klar und offenkundig: Wir
wollen einen anderen Weg. Im Zentrum unseres Weges
in der Energiepolitik und Energieforschung stehen Ein-
sparungen, mehr Effizienz und der Einsatz erneuerbarer
Energien. Sie wollen auf den nuklearen Pfad zurück. Das
ist ein klarer Unterschied und diesen Unterschied wer-
den wir herausarbeiten, wenn es darum geht, dass die
Menschen darüber abstimmen, welchen Weg sie wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt zu den Innovationsfeldern. Mir bleibt noch eine
Redezeit von zwei Minuten; zwei Drittel meiner Rede-
zeit habe ich schon verbraucht.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Das war aber notwendig!)


Erstens. Im Bereich der Energie bestehen im Moment
riesige Möglichkeiten. Das Fenster der Möglichkeiten
wird sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren öffnen, weil
eine Kraftwerksleistung von 30 000 bis 40 000 Mega-
watt vom Netz gehen wird. Hier besteht ein Reinvesti-
tionsbedarf von 30 Milliarden Euro. In dieses Fenster
der Möglichkeiten müssen wir mit modernsten Techno-
logien einsteigen. Das ist ganz wichtig.

In diesem Bereich verfügen wir über exzellente Un-
ternehmen und über exzellente Forschung. Dabei geht es
nicht immer nur um jene großen Unternehmen, die hier
beschworen werden, sondern auch um mittelgroße Un-
ternehmen wie – wenn ich ausnahmsweise einmal einen
Namen nennen darf – die Firma Vaillant in Nordrhein-
Westfalen, die in der Brennstoffzellenforschung sehr in-
novativ ist. Diese Technologien sind klimaverträglich
sowie exportfähig und wirtschaftlich. Dafür setzen wir
uns ein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens zur Mobilität: Verliefe die Entwicklung in
allen Ländern so, wie sie historisch bei uns verlaufen ist,
stellte dies im Hinblick auf den Klimawandel ein riesi-
ges Problem dar. Deswegen brauchen wir anspruchs-
volle Verbrauchsstandards bei den Automobilen. Die
Automobilindustrie täte gut daran, zur Kenntnis zu neh-
men, dass zum Beispiel in China und bald auch in Kali-
fornien klare Verbrauchsstandards eingeführt werden. In
Zukunft wird also auf diesen Märkten nur noch derjenige
mitspielen können, der verbrauchsarme Autos anbietet.
Dies müssen wir pushen, denn auf diesem Gebiet haben
wir etwas anzubieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch beim Dieselrußfilter ist ein mittelständischer
Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen führend. Ich
nenne jetzt keinen Namen; wir haben ihm im letzten Jahr
den Umweltpreis verliehen. Der Dieselrußfilter ist vor-
handen. Die Partikelemissionen, die viele Menschen
krank machen, können in unseren Städten deutlich – fast
auf null – reduziert werden. Diese Technologie ist
schnell einzuführen; dies wollen wir.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske

Ich hätte noch viel zur Materialforschung zu sagen,

die ebenfalls viele Möglichkeiten aufweist, was die Res-
sourceneffizienz oder den Ersatz von energieintensiven
chemischen Prozessen durch biologische Prozesse anbe-
trifft. Wir nennen dies Weiße Biotechnologie. Auch hier
gibt es ein riesiges Feld der Möglichkeiten.

Bei all dem dürfen wir – auch dies ist ganz wichtig –
die Sozial- und Geisteswissenschaften nicht vergessen.


(Beifall der Abg. Ulla Burchardt [SPD] sowie der Abg. Andrea Wicklein [SPD])


Einseitig nur auf Technologie zu setzen und außen vor
zu lassen, was dies für die Gesellschaft bedeutet, wäre
falsch. Die Notwendigkeit der sozial- und geisteswissen-
schaftlichen Begleitforschung gilt insbesondere für den
Bereich der Bio- und Nanotechnologie.

Ich komme zum Schluss. Es geht nicht darum, die Si-
tuation schönzureden. Wir brauchen eine realistische
Problemanalyse und wir können und müssen besser wer-
den. Was wir aber wirklich nicht gebrauchen können,
meine Damen und Herren von der Opposition, ist das
Schlechtreden des Forschungsstandorts Deutschland.
Dies entspricht auch nicht der Realität.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515101500

Ich erteile Kollegen Hellmut Königshaus, FDP-Frak-

tion, das Wort.


Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1515101600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bishe-

rige Diskussion hat gezeigt, dass wir uns wieder einmal
alle im Grundsatz einig sind, uns aber bei den konkreten
Details Welten von der Koalition trennen. Der For-
schungsbericht und die Redebeiträge, speziell der des
Kollegen Loske, den wir gerade gehört haben, haben ge-
zeigt, dass Sie ganz wesentliche Bereiche des For-
schungsspektrums vernachlässigen und darauf auch
noch stolz sind. Ich will dies nicht wiederholen; das ist
alles schon erörtert worden.

Herr Kollege Loske, nicht alles, was man Ihnen anlas-
tet, wird dem Standort Deutschland angelastet. Wir ha-
ben eine schlechte Bundesregierung; aber damit ist der
Standort Deutschland nicht schlecht. Bei einer anderen
Regierung wäre er deutlich besser.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Hören Sie doch auf, alles in Ihren knallbunten Farben

zu malen. Die Tatsache, dass Ihre Anträge von zweifel-
hafter Qualität sind, haben Sie damit belegt, dass Sie
sich einbilden, in den Forschungsansätzen des Militär-
haushalts seien nur Waffenforschungsmittel enthalten.
Das ist so abstrus und dumm, dass man wirklich fast ver-
zweifeln kann, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Fragen Sie doch den Kollegen Tauss. Er hätte längst
einen Zwischenruf gemacht, wenn er nicht auch dies
besser wüsste.


(Heiterkeit)

– Er ist wirklich nicht so primitiv, wie er manchmal
wirkt. Er kann Ihnen zu diesen Themen Hervorragendes
sagen.


(Heiterkeit – Zurufe von der SPD)

Forschungspolitik taugt nur dann, wenn sie die richti-

gen Rahmenbedingungen setzt. Wo haben wir darüber
etwas in Ihrem Bericht lesen können? Die Grundlagen
für die Innovation, die Sie hier immer beschwören,
müssten organisiert werden, damit wir nachhaltiges
Wachstum, Strukturwandel und Arbeitsplätze schaffen
können. Wo steht denn dies in Ihrem Bericht oder in Ih-
rem Antrag? Nirgendwo! Nichts war davon zu hören.
Die Bundesregierung darf sich doch nicht von Ideologen
und Kleinmütigen bedrängen lassen. Sie tut es aber.

Auf immer mehr Gebieten werden wir forschungspo-
litisch isoliert. Das Ergebnis ist klar erkennbar: Das De-
fizit bei den Patenten und Erfindungen, aber auch bei In-
genieurleistungen wird immer größer; wir müssen sie
weltweit einkaufen. Dies zeigt die Bilanz der technologi-
schen Dienstleistungen in erschreckender Deutlichkeit.
Der Negativsaldo beträgt 1,7 Milliarden Euro. Ich habe
leider nicht so viel Zeit, Ihnen das im Detail zu erläutern.


(Ulla Burchardt [SPD]: Wovon träumen Sie eigentlich nachts?)


– Stellen Sie doch eine Zwischenfrage.
Wir bekommen von Ihnen keine Antworten auf die

drängenden Fragen. Die Bundesregierung hat uns
800 Seiten Papier abgeliefert, aber keine Antwort gege-
ben. Das ist Ihr Bericht, Frau Ministerin.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum haben wir in Deutschland per Saldo eine so
große Abwanderung von wissenschaftlichen Kräften?
Sie fragen gar nicht, warum sie in die USA, nach Groß-
britannien und in die Schweiz gehen. Sie ignorieren die
Motive der Abwanderung. Was mich besonders wundert,
da Sie dieses Thema doch sonst immer in den Vorder-
grund stellen, ist, dass Sie nicht die erbärmlichen Bedin-
gungen für junge Mütter im Wissenschaftsbereich auf-
greifen. Nichts davon ist in Ihrem Bericht zu lesen.
Nichts davon ist von Ihnen zu hören. Sie reden immer
nur in Ihren Sonntagsreden darüber.


(Ulla Burchardt [SPD]: Sie haben null Ahnung!)


– Wenn Sie eine Frage zu diesem Thema haben, dann
stellen Sie doch eine Zwischenfrage.

Meine Damen und Herren, mit Wirklichkeitsverwei-
gerung, wie wir sie aus der Rede von Herrn Loske und
Ihren Zwischenrufen heraushören können, ist dem Wis-
senschaftsstandort Deutschland nicht geholfen. Lassen
Sie uns entschieden die Aufgaben im Bereich der For-
schungs- und Technologieförderung angehen! Lassen






(A) (C)



(B) (D)


Hellmut Königshaus

Sie uns endlich die Zuständigkeiten bündeln und damit
über die Ressortgrenze hinaus die Bundesregierung dazu
drängen, sich insgesamt dafür verantwortlich zu fühlen.
Bisher gibt es doch überall ideologische Vorbehalte,
Kleinmütigkeit und im Übrigen auch Ressortegoismen.

Verehrte Frau Bundesministerin, die Bundesregierung
erschlägt uns und die Wissenschaft durch Ihren Bericht
mit vielen Worten. Was uns aber fehlt, sind Taten und
Mut. In diesem Kabinett könnten Sie doch wirklich der
stärkste Mann sein, Frau Ministerin. Trauen Sie sich
doch einmal etwas!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Sie ist die stärkste Frau!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515101700

Ich erteile Bundesministerin Edelgard Bulmahn das

Wort.

(Beifall bei der SPD)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Wir starten das Jahr 2005 mit einer
Debatte zur Innovation. Das ist gut und auch richtig.
Gleichzeitig haben wir dieses Jahr mit einer großen Ver-
anstaltung zum Gedenken an Einstein gestartet, da es
ein Einstein-Jahr sein wird. Ich glaube, wir sollten in
dieser Debatte deutlich machen, wofür Einstein steht. Er
steht für Kreativität, Experimentierbereitschaft und Neu-
gier. All das ist Voraussetzung für ein leistungsfähiges
Forschungssystem und für die Innovationsfähigkeit un-
seres Wirtschaftssystems. Dies wiederum sind die bei-
den Eckpfeiler für Wirtschaftswachstum, die Schaffung
zukunftssicherer Arbeitsplätze und für soziale Sicher-
heit.

Der Bundesforschungsbericht 2004 enthält die ganz
eindeutige Feststellung, dass Deutschland seit 1998 auf
Innovationskurs ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesregierung setzt klare Schwerpunkte; das wird
im Bundesforschungsbericht deutlich herausgestellt. Wir
bauen die Forschungsförderung in wichtigen Zukunfts-
branchen aus. Entscheidend ist, dass unsere Politik auch
Wirkung zeigt. Von daher wäre es gut, den Bundesfor-
schungsbericht zur Kenntnis zu nehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Bericht zeigt auf, dass Deutschland seine Position
auf den internationalen Märkten verbessert hat. Mit ei-
nem Weltmarktanteil von 15,6 Prozent bei den for-
schungsintensiven Gütern in der Hoch- und Spitzentech-
nologie liegen wir weltweit hinter den USA auf Platz
zwei. Auch bei den weltmarktrelevanten Patenten liegen
wir auf Platz zwei. Nach dem Report des World Econo-
mic Forum liegen wir bei der Wertschöpfung in diesem
Bereich sogar auf Platz eins. So sieht es in der Realität
aus. Das heißt: Wir können uns sehen lassen.

Wir sind vom Importeur der Lasertechnik in den 80er-
Jahren inzwischen zum Weltmarktführer geworden.


(Ulrike Flach [FDP]: Das haben wir ja auch eingeleitet!)


– Sicherlich, Frau Flach, ist es in der Forschung oft so,
dass Erfolge nicht im ersten oder zweiten Jahr festge-
stellt werden können, sondern erst im dritten oder vier-
ten oder auch erst im sechsten oder siebten Jahr. Was wir
hier aber auf vielen Feldern erreicht haben, belegt aus-
drücklich, dass wir ein forschungsstarker Standort sind.
Ich werde nachher deutlich machen, dass wir auf die
richtigen Forschungsfelder setzen: auf die Material-
wissenschaften, auf die Biotechnologie, auf die Informa-
tions- und Kommunikationstechnologien, auf die Nano-
technologie und auch auf die Umwelttechnologie. Im
Bereich der Nanotechnologie haben wir die For-
schungsausgaben in den letzten Jahren erheblich gestei-
gert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das zeigt sich auch an den Erfolgen. In der Nanotechno-
logie sind wir weltweit führend. Das wissen Sie. Wenn
Sie hier so tun, als wenn wir in diesem Bereich über-
haupt keine Rolle spielten, ist das wirklich absurd.


(Ulrike Flach [FDP]: Das habe ich doch nicht getan!)


Wir gehören auf dem Feld der Biotechnologie in Europa
und auch weltweit zu den führenden Nationen; wir ste-
hen in Europa an der Spitze, was die Zahl der neu ge-
gründeten Unternehmen angeht. Wir haben das aufge-
holt, was in den 80er- und teilweise in den 90er-Jahren
durch die alte CDU/CSU-FDP-Bundesregierung ver-
spielt worden war. Das ist die Realität.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Aber woher ist das denn gekommen?)


Ich sage noch einmal ausdrücklich: Auch in der Na-
notechnologie, die ja Wachstumstreiber für eine ganze
Reihe wichtiger Industriebranchen ist, ist unser Land
stark. Wir sind in diesem Bereich führend in der For-
schung und wir haben durch unsere Strategie der Aus-
richtung der Nanotechnologie auf die wirtschaftlich
wichtigen Branchen, wie die Automobilbranche, die Op-
toelektronik, die Elektronikbranche und das Gesund-
heitswesen, genau die Verbindung zu den für unsere
Volkswirtschaft wichtigen Bereichen hinbekommen. Ich
muss fragen: Wo ist da eigentlich Ihre Strategie? Frau
Reiche, Sie sagen immer: „Wir haben eine Strategie“ –
dann erklären Sie sie doch einmal.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben kein einziges Wort über eine eigene Strategie
gesagt.


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Dann müssen Sie lesen!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515101800

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Flach?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ja.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1515101900

Frau Ministerin Bulmahn, stimmen Sie mit mir über-

ein, dass das Wachstum der Biotechnologieunternehmen
von einer Regierung begründet wurde, die nicht von Ih-
rer Partei gestellt wurde, dass vielmehr der Impetus
durch eine Initiative erfolgte, die wir beide sehr gut ken-
nen, nämlich Bio-Regio, und dass in den Jahren danach
natürlich ein Aufwuchs stattfand, aber dass wir uns jetzt
in einem Stadium befinden, in dem auch die Biotechno-
logieunternehmen selbst davon reden, dass es sich um
eine Konsolidierungsphase handelt, dass wir also im Au-
genblick nicht davon reden können, dass in jedem Jahr
auf diesem Gebiet zügig neue Arbeitsplätze geschaffen
werden, dass wir es somit mit einer Stabilisierungsphase
zu tun haben? Auch darauf können wir ja in der Zukunft
stolz sein.


(Ulla Burchardt [SPD]: Noch nie was von Strukturwandel gehört?)


Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Ich stimme Ihnen nicht zu, Frau Flach, weil der Bio-
Regio-Wettbewerb, der zweifelsohne unter der damali-
gen CDU/CDU-FDP-Regierung gestartet wurde und der
ein wichtiger Ansatz


(Ulrike Flach [FDP]: Also doch!)

war – er ist ja in der Innovationspolitik seit langem ge-
fordert worden –, nicht zu dem Erfolg geführt hätte,
wenn diese Bundesregierung ihn nicht weiterentwickelt
hätte.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben ihn zum Beispiel über Biochance weiterent-
wickelt, weil der Bio-Regio-Wettbewerb keine speziel-
len Ansätze für die Förderung von Existenzgründungen
und von Jungunternehmen beinhaltete.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Doch, was ich sagte, ist genau richtig. Er beinhaltete
keine Komponenten für die Förderung von Nachwuchs.

Darüber hinaus wäre es falsch gewesen, wenn man
sich auf die Förderung von drei Regionen und einer klei-
nen Restförderung einer vierten Region beschränkt
hätte. Wir hätten dann nicht die Entwicklung nehmen
können, die wir genommen haben.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir haben daher über die zusätzlichen Wettbewerbe wie
Biochance, über die Wettbewerbe der Nachwuchswis-
senschaftler, aber auch über die weitere Förderung von
Regionen, über die Förderung von kleinen und mittleren
Unternehmen und schließlich durch den Start des Ge-
nomforschungsnetzes einen qualitativen Sprung hinbe-
kommen. Das bedeutete eine deutliche Verbesserung
und Stärkung der Entwicklung,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


die wir allein durch das Verharren beim bzw. die Finan-
zierung des Bio-Regio-Wettbewerbs nicht geschafft hät-
ten.

Ich stimme Ihnen im Übrigen auch nicht zu, wenn Sie
sagen, dass in diesem Bereich Stagnation herrscht.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber es ist so!)

Vielmehr gibt es hier im Vergleich zu anderen Ländern
auf der Welt eine sehr positive Entwicklung, weil die
Zahl der Arbeitsplätze immer weiter wächst und weil
immer wieder neue Unternehmen entstehen. Die Zahl
der Unternehmen, die den Crash des New Market nicht
nur überstanden haben, sondern die sich auch behauptet
haben, ist ziemlich groß, wohingegen die Zahl der Un-
ternehmen, die Pleite gegangen sind, tatsächlich viel
kleiner ist, als es alle Experten erwartet haben. Sie ist
sehr klein.


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

– Wenn ich das Gelächter da höre, möchte ich einfach
nur sagen: Bei allen neuen Technologien ist es so, dass
es nicht 100 Prozent der an den Start gegangenen Unter-
nehmen schaffen werden. Wenn die Zahl der erfolgrei-
chen Unternehmen größer ist als die der Pleite gegange-
nen – das ist bei der Biotechnologie der Fall –, dann ist
das wirklich ein Erfolg. Daran zeigt sich, dass die För-
derstrategie der Bundesregierung wirklich erfolgreich
war.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Investitionen in Bildung und Forschung – das sind
die Position und die Politik der Bundesregierung – sind
die wirkungsvollste Strategie, um unser Land zukunfts-
fähig zu machen. Mit dem Haushalt 2005 haben wir ein
klares Bekenntnis zu Bildung und Forschung abgegeben.
Wir stellen insgesamt rund 10 Milliarden Euro zur Ver-
fügung. Das, was wir hier trotz des Konsolidierungs-
drucks, der auf dem Bundeshaushalt lastet, erreicht ha-
ben, ist ein historischer Höchststand.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Von vielen Rednern ist gesagt worden, dass Geld
wichtig ist; das unterstreiche ich ausdrücklich. Ich sage
ganz klar: Ich halte es für verantwortungslos, dass die
Opposition – das gilt für die CDU/CSU – die Streichung
der Eigenheimzulage, die ihre Funktion nicht mehr er-
füllt, wie sie es noch vor wenigen Jahren getan hat, blo-
ckiert. Das führt dazu, dass uns die notwendigen finan-
ziellen Ressourcen, die wir für Bildung und Forschung
brauchen und die übrigens zu 60 Prozent den Ländern
zukommen würden, in Zukunft nicht zur Verfügung






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

stehen werden. Das ist Ihre Verantwortung. Das müssen
Sie gegenüber den Schulen, den Hochschulen und den
Forschungseinrichtungen rechtfertigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden nicht lockerlassen und die wichtigen
Strukturreformen, die wir in den vergangenen Jahren
eingeleitet haben, weiterführen. Die Opposition hat sich
ja nie getraut, diese Themen anzupacken. Wir haben
zum Beispiel die wettbewerbliche Förderung erheblich
ausgebaut. Als Beispiel nenne ich nur die Umstellung
der Finanzierung der Helmholtz-Gemeinschaft. Im For-
schungsausschuss wurde seit Ende der 80er-Jahre über
die Notwendigkeit, dies zu tun, diskutiert. Ich selbst
habe – wie viele andere, die hier sitzen – an diesen Dis-
kussionen teilgenommen und es umgesetzt. Das ist der
Unterschied zwischen denjenigen, die vor mir geredet
haben, und denjenigen, die jetzt politische Verantwor-
tung tragen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulrike Flach [FDP]: Aber mit unseren Stimmen, Frau Bulmahn!)


Wir machen Ernst mit dem Abbau bürokratischer
Hemmnisse. Wir haben den Forschungsorganisationen
erheblich mehr Freiheiten übertragen. Inzwischen haben
sie Globalhaushalte. Das ist genau der richtige Weg. Ich
würde mir wünschen, dass diejenigen, die genau das ve-
hement verlangen, dann auch ihre eigenen Ministerpräsi-
denten – das betrifft insbesondere die CDU-regierten
Länder – auffordern, dies in ihrem Verantwortungsbe-
reich zu tun;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


denn die Hochschulen leiden nicht unter dem Bundesge-
setz, sondern unter den restriktiven Landeshochschulge-
setzen. Wer das völlig ignoriert, verkennt die Wirklich-
keit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das muss einmal gesagt werden!)


Unsere geowissenschaftliche Forschung ist äußerst
leistungsfähig; darauf ist bereits hingewiesen worden.
Mit dem Konzept zum Aufbau eines Tsunami-Frühwarn-
systems, das ich gestern in Kobe vorgestellt habe, hat
insbesondere die Helmholtz-Gemeinschaft erneut ihre
Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für uns als hoch entwickelte Industrienation ist es selbst-
verständlich, das Know-how und die Kompetenzen, die
wir in diesem Bereich haben, anzubieten und einzuset-
zen, um Menschenleben zu retten und zu schützen.

Die Initiative „Partner für Innovation“ ist ein wei-
teres Beispiel dafür, wie die Bundesregierung das Klima
für Innovationen in Deutschland spürbar verbessert. Ge-
meinsam mit Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft
schaffen wir den Rahmen für einen nachhaltigen Innova-
tionsprozess, an dem die gesamte Gesellschaft beteiligt
ist. Für die Zukunftssektoren Energie, Mobilität, Me-
dien, Vernetzung und Gesundheit werden Pionieraktivi-
täten aufgezeigt und ganz konkrete Schritte formuliert,
wie die vielen guten Ideen, die es in Deutschland gibt
und die auch durch Forschungsförderung entstanden
sind und sich entwickelt haben, schneller in marktfähige
Produkte umgesetzt werden können.

Um neue Forschungsergebnisse schneller in Fort-
schritt und wirtschaftliches Wachstum umzusetzen, för-
dern wir gezielt den Wissenstransfer zwischen For-
schungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen.
Wir haben eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt,
mit denen wir genau dies unterstützen. Dabei handelt es
sich teilweise um fachbezogene Programme und teil-
weise um breit angelegte Programme wie zum Beispiel
das Programm „EXIST“, mit dem wir Ausgründungen
aus Hochschulen generell unterstützen. Das tun wir aber
auch innerhalb der Fachprogramme.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Daher ist es falsch, was vorhin gesagt wurde, nämlich
dass das letzte Programm beendet worden sei.


(Jörg Tauss [SPD]: Absolut falsch!)

Das Bundeswirtschaftsministerium führt ebenfalls

weiterhin Programme durch, um neue Unternehmen zu
unterstützen; das ist auch richtig. Denn nur so bleibt eine
Volkswirtschaft dynamisch und nur so können sich neue
Unternehmen zu starken und wachsenden Unternehmen
entwickeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen finde ich es erwähnenswert, dass gerade
kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat
unserer technologischen Leistungsfähigkeit bilden, unter
dieser Bundesregierung verstärkt in die Netzwerke der
Spitzenforschung eingebunden worden sind. Die Anzahl
der geförderten kleinen und mittleren Unternehmen ist
im Rahmen der Projektförderung des BMBF von 1998
bis 2003 um über 70 Prozent auf knapp 1 900 Unterneh-
men angewachsen. Auch das ist ein Erfolg der Politik
dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, Deutsch-
lands Reichtum sind seine Menschen. Ihre Kompetenz,
ihr Wissen und ihr Einsatz sind die Voraussetzungen für
unseren leistungsstarken Forschungsstandort. Diesen
Reichtum dürfen wir nicht aus der Hand geben. Deshalb
ist es falsch, wenn hier ein Gegensatz zwischen Bildung
und Forschung aufgebaut wird. Natürlich brauchen wir
in unserem Land sehr gute Schulen. Dafür haben die
Länder die Verantwortung. Die Bundesregierung unter-
stützt die Länder dabei mit dem Ganztagsschulpro-
gramm. Natürlich brauchen wir – das ist jedenfalls un-
sere Auffassung – deutlich mehr sehr gut ausgebildete
junge Menschen. Ich bin sehr stolz darauf, dass die Zahl
der Studierenden unter dieser Bundesregierung wirklich






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Edelgard Bulmahn

deutlich gestiegen ist: auf jetzt fast 37 Prozent eines
Jahrgangs.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Was ist mit der der Absolventen?)


Das heißt, wir nähern uns massiv der Zielmarke von
40 Prozent eines Jahrgangs. Dieser Anteil lag bei unter
28 Prozent, als ich Bundesministerin wurde. Von daher
kann die Opposition nicht behaupten, dass sie da wäh-
rend ihrer Regierungszeit etwas geschafft hat. Wir haben
etwas geschafft und wir werden das auch fortsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht aber auch – ich sage das ausdrücklich – um
die jungen Wissenschaftler. Auch hier ist die Realität
völlig verzerrt dargestellt worden.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Nein, sie ist genau richtig dargestellt worden!)


Mit mir hat eine Bundesministerin, hat eine Bundesre-
gierung dieses zum ersten Mal überhaupt thematisiert;
ich denke, das wird auch jeder anerkennen. Ich kann Ih-
nen zahlreiche junge Wissenschaftler nennen, die in den
80er- und in den 90er-Jahren in die USA gegangen sind,
weil sie hier keine Karrieremöglichkeiten hatten. Inzwi-
schen hat sich die Richtung gedreht. In der OECD-Stu-
die wurde festgestellt, dass Deutschland inzwischen wie-
der zu den Gewinnern der so genannten Brain
Circulation gehört.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre gut, wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden,
dass das nicht von allein gekommen ist. Es hängt damit
zusammen, dass wir neue Karrierewege eröffnet haben,
dass wir attraktive Preise wie den Sofia-Kovalewskaja-
Preis ausgelobt haben, dass wir das Ausländerrecht ins-
gesamt verändert haben und dass wir gerade durch die
Juniorprofessur einen wirklich attraktiven Karriereweg
eröffnet haben.

Deshalb meine eindringliche Bitte, mein Appell an
die Opposition: Blockieren Sie nicht länger die notwen-
digen Weichenstellungen und die weiteren Schritte, die
wir brauchen. Die Exzellenzinitiative ist entscheidend
für die Weiterentwicklung unseres Hochschulsystems.
Es ist falsch, wenn zwar die außeruniversitäre For-
schung, auch durch die massive Förderung des Bundes,
sehr gut ist – was für sich allein notwendig ist und woran
uns gelegen sein muss –, die Universitäten aber zu den
Verlierern werden. Die Bundesregierung hat die Finan-
zierung der Hochschulen deutlich verbessert, aber wir
brauchen darüber hinaus die Exzellenzinitiative, die die
CDU/CSU-Länder seit mehreren Monaten blockieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515102000

Frau Ministerin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Diese Initiative ist zum Spielball geworden. Das scha-
det den Universitäten. Geben Sie diese Blockade deshalb
endlich auf! Nutzen Sie Ihren Einfluss auf Ihre Minister-
präsidenten


(Ulrike Flach [FDP]: Aber Sie auch, Frau Bulmahn!)


und machen Sie ihnen deutlich, wie wichtig das für un-
ser Land und unser Wissenschaftssystem ist!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515102100

Ich erteile Kollegen Heinz Riesenhuber, CDU/CSU-

Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Bitte mehrere Mikrofone aufstellen!)


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1515102200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Bulmahn hat hier voller Begeisterung fest-
gestellt, dass Deutschland seit 1998 auf Innovationskurs
ist. Frau Wicklein, Sie haben hier ganz konkret über die
Zahl der Hochschulabsolventen gesprochen. Wir freuen
uns, dass die Zahl der Hochschulabsolventen zunimmt.
Aber wir haben mit Vergnügen den Nachtrag zu dem Be-
richt zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands gelesen. Darin ist immer dieser wunderbare Stern
abgebildet, den ich Ihnen hier zeige. Gelb ist dargestellt,
wo wir Anfang der 90er-Jahre standen. Rot ist, wo wir
jetzt stehen. Das heißt, unser Kompetenzkern schmilzt.

Frau Wicklein, ich muss zugeben: Die Zahl der Hoch-
schulabsolventen in den technischen Fächern hat zuge-
nommen. Aber im Vergleich der betrachteten Länder
– das sind die G 7 plus Schweiz, Schweden, Finnland,
Niederlande und Südkorea – sind wir von Platz fünf auf
Platz zehn zurückgefallen. Dies gilt auch für viele an-
dere Bereiche: Unsere IuK-Ausgaben gehen zurück, bei
den Bildungsausgaben rutschen wir von Platz fünf auf
Platz acht, bei der Forschungsbeachtung – trotz Einstein-
Jahr und Jahr der Innovation – von Platz vier auf Platz
acht.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchem Zeitraum?)


Wir sind vielleicht schrittweise besser geworden, an-
dere sind aber schneller besser geworden. Es kommt da-
rauf an, dass wir im Wettbewerb die Nase vorn behalten.
Das ist die entscheidende Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Weil die 80er-Jahre verschlafen worden sind!)


– Nein, nein, Entschuldigung, wir sprechen hier von An-
fang der 90er-Jahre und nicht von einem Vergleich der
80er-Jahre mit den 90er-Jahren. Wir waren damals bes-
ser, als Sie es heute sind. Verstehen Sie das?






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber


(Ulla Burchardt [SPD]: Nein! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Das ist die Logik der Sache. – Die Lektüre der Be-

richte, die der Debatte zugrunde liegen, ist eine intellek-
tuelle Herausforderung – ich weiß das –, sie hilft bei der
rationalen Debatte aber enorm.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: Sagen Sie das mal Ihrem Verein!)


Herr Loske hat zu Recht gesagt, wir sollten die Situa-
tion nicht schlechtreden. Herr Loske, damit haben Sie
natürlich Recht. Deshalb reden wir voller Begeisterung
von der von uns geförderten glanzvollen Forschung der
Grünen Gentechnik in Deutschland. Gleichzeitig weisen
wir aber darauf hin, was mit den Gesetzen geschieht.
Man kann mit den Händen aufbauen und mit dem Hin-
tern umstoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn dies der Beschluss der Bundesregierung ist, dann
muss das hingenommen werden.

Sie reden voller Begeisterung von dem Geo-For-
schungszentrum. Natürlich ist das ein großartiges Zen-
trum. Jetzt aber wird der Haushaltsansatz überwälzt und
es gibt keinen Aufwuchs – nicht einmal entsprechend
der Tarifsteigerung.


(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Ja, genau! – Ulrike Flach [FDP]: So ist das!)


Sie sprechen hier mit Begeisterung von der Geofor-
schung. Seit wir sie mit dem Kontinentalen Tiefbohrpro-
gramm hochgezogen haben, ist das eine glanzvolle Wis-
senschaft in Deutschland. Die Projektmittel sind aber
von 83 Millionen Euro auf 78 Millionen Euro gesunken.
Das ist die Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Reden Sie nicht über den Glanz der Verhältnisse, son-
dern tun Sie etwas dafür, dass die Wirklichkeit so wird,
wie sie sein soll!

Wir können auch über die Maut reden. Ich finde es
prima, dass das Mautsystem funktioniert. Ich bin glück-
lich und dankbar. Gleichzeitig könnten wir uns aber da-
rüber auseinander setzen, ob die Bundesregierung nicht
zunehmend lernen könnte, wie man mit PPP – Public
Private Partnership – umgeht und dass man keine Ver-
träge macht, in denen knappe Termine vereinbart werden
und auf die entsprechende Haftung verzichtet wird.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich habe das, was der Debatte zugrunde liegt, nämlich

den Bericht und die Beschlussempfehlung, mit Vergnü-
gen gelesen. Die Koalition hat acht Punkte aufgezählt
– diese hat sie mit ihrer Mehrheit beschlossen –, die sie
als wichtig ansieht. Ich kann das hier nur ganz kurz an-
gehen.

Lieber Herr Fell, Sie sind Physiker. Ich freue mich
über jeden Naturwissenschaftler, der im Parlament sitzt.
Das ist eine beglückende, wenn auch rare Erfahrung.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich finde es prima, dass wir alle uns darin einig sind,
dass mehr Geld nötig ist. Sie sind in Ihrem Antrag übri-
gens bescheidener als Frau Bulmahn. Frau Bulmahn hat
in ihrem Bundesforschungsbericht geschrieben: Wenn
wir auf 3 Prozent in Europa kommen wollen, müssen wir
in Deutschland 3,5 Prozent des Bruttosozialprodukts für
Forschung aufwenden. Das sind die Zahlen.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist das!)

Wenn wir das wollen, dann müssten wir selbst bei einem
Nullwachstum noch 600 Millionen Euro zusätzlich ver-
anschlagen. Wo soll das Geld herkommen?


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Eigenheimzulage?)


– Die Diskussion über die Eigenheimzulage im
Jahre 2005 entspricht der Diskussion über den Starfigh-
ter von früher.

Erwägen Sie bitte eines – es geht um Punkt 3 Ihres
Antrages –: Für die erneuerbaren Energien gibt es An-
sätze von etwa 260 Millionen Euro im Jahr.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Über die Eigenheimzulage gehen Sie schnell hinweg, Herr Kollege!)


– Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann kann ich länger
reden. – Ein Zehnfaches davon wurde für die Förderung
der Windenergie eingesetzt. Dass sie nicht im Haushalt
stehen, ist ein Schönheitsfehler bzw. -gewinn, ganz wie
Sie wollen. 2,5 Milliarden Euro für eine einzige Energie-
art – das ist eine abenteuerliche Angelegenheit außerhalb
jeder vernünftigen Proportion. Setzen Sie das Geld für
das ein, was wir wirklich brauchen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Setzen Sie die Prioritäten so, dass die Forschung voran-
gebracht wird! Das sind gewaltige Beträge.

Hier wurde eine ergiebige Debatte darüber geführt, ob
die Kerntechnik notwendig ist oder nicht. Darüber kön-
nen wir uns noch lange streiten. Eine große Aufgabe der
Politik ist es, dafür zu sorgen, dass die Debatte ein klei-
nes Stück an Rationalität gewinnt. Das wäre schon viel.
Wenn Sie ein Energieprogramm vorlegen würden – ich
würde es mir mit Freude ansehen und darüber mit Ihnen
diskutieren –, würde sich zeigen, was Sie täten, wenn die
Kernenergie als Grundlastträger der Stromversorgung
wegfiele.


(Hans-Josef Fell Geothermie, Wasserkraft, Bioenergie! – Biomasse und Geothermie? Was passiert mit dem CO2-Ausstoß? Ich kann Ihnen zu jedem Thema eineRede halten, wenn mir der Präsident dafür eine reichliche Zeit zumisst. Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, dann werde ich das zu Ihrer Erleuchtung in allen Einzelheiten erläutern. Dr. Heinz Riesenhuber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)





(A) (C)


(B) (D)

Ich möchte ein Konzept der Bundesregierung sehen.

Wie bringen Sie die Teile zusammen? Jedes für sich ge-
nommen ist wunderbar. Aber machen Sie daraus ein Ge-
samtkonzept, eine Strategie. Legen Sie etwas vor! Dann
werden wir darüber diskutieren, was möglich und sinn-
voll ist und jeder einzelne Energieträger leisten kann.

Ich kann leider die vielen wunderbaren Punkte nicht
nach Kräften würdigen. Sie haben viele prächtige Vor-
schläge gemacht. Die Idee, Steuergutschriften – Tax Cre-
dits – für FuE-Ausgaben zu prüfen, finde ich prima; da-
rüber ist in verschiedenen anderen Ländern schon lange
diskutiert worden und viele Länder haben sie. Bitte spre-
chen Sie sorgfältig darüber, damit nicht wieder nur ein
Beschluss auf einem Parteitag herauskommt, von dem
man nie wieder etwas hört – so geschehen im Zusam-
menhang mit der Wesentlichkeitsgrenze bei Beteiligun-
gen: Der Beschluss war zwar vernünftig, aber es ist
nichts umgesetzt worden. So unwahrscheinlich das
klingt: Sie sind in der Regierung. Sie müssen nicht nur
intelligent diskutieren, sondern auch entscheiden und die
Wirklichkeit verändern.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie sprechen hier – auch darin stimme ich Ihnen zu –
von der Steigerung der Mittel für Projektforschung im
Haushalt. Das ist eine prächtige Sache. Aber diese Mittel
gingen im vorletzten Jahr um rund 4 Prozent und im
letzten Jahr um rund 11 Prozent zurück. Jetzt sollen sie,
in der Theorie, um 2,8 Prozent aufwachsen; aber wir
wissen ja, dass das real immer weniger wird.

Ich kann hier den reichen Strauß der Falschinforma-
tionen, den Frau Bulmahn dargereicht hat, nicht nach
Kräften würdigen. Was haben wir in den frühen 80er-
Jahren – zuvor regierte ein SPD-Kanzler – bei der Bio-
technologie vorgefunden? Nicht ein einziges Institut in
Deutschland hat hauptamtlich Gentechnologie betrie-
ben! Es gab fünf Dutzend Institute, die sich einmal damit
beschäftigt hatten. Wir haben eine Forschungslandschaft
aufgebaut – Bioforschungszentren, Centers of Excel-
lence, das EMBL, das Europäische Molekularbiologi-
sche Labor, haben wir nach Deutschland gebracht und
gleichzeitig eine Strategie der Gründung von Unterneh-
men betrieben, deren Dynamik in den 90er-Jahren zum
Tragen gekommen ist. Sie ernten!

Genauso verhält es sich mit dem Airbus: Ich sehe mit
Begeisterung, wie Schröder voll Fröhlichkeit vor dem
neuen Airbus steht. Das finde ich prima.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich freue mich über die Technikbegeisterung des Bun-
deskanzlers. Ich freue mich auch, dass er das Wort Inno-
vation in den Mund nimmt. Das ist eine große intellektu-
elle Leistung.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Aber auch wenn das Projekt damals alle möglichen
Leute bekämpft haben: Gemacht hat es Franz Josef
Strauß. Er wird auf seiner rosaroten Wolke im Himmel
sitzen und sich über Schröder und seine Technikbegeis-
terung freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen

vor einer schwierigen Aufgabe. Ich würde gerne mit Ih-
nen über die restriktiven Ländergesetze diskutieren,
liebe Frau Bulmahn. Ein Beispiel: Die Technische Uni-
versität Darmstadt ist völlig liberalisiert. Sie kann über
alles entscheiden: von den Berufungen über die Vermö-
gensverwaltung bis zur Prüfungsordnung. So etwas
möchte ich in ganz Deutschland sehen. Das wäre ein
strahlender und offener Wettbewerb. Die Länder sind
dynamisch, wenn der Bund nicht versucht, sie mit ir-
gendwelchen Rahmengesetzen – an der Grenze der Ver-
fassungsmäßigkeit – von dem abzuhalten, was rational
nötig ist. Hierüber werden die Bundesgerichte entschei-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich wünsche uns einen fröhlichen und entschlossenen

Aufbruch. Ich wünsche uns, dass die Regierung dort
handelt, wo es notwendig ist. Ich wünsche uns, dass wir
mit wachsender Begeisterung über das reden können,
was in Deutschland gut ist, weil es die Regierung in ihrer
Weisheit und Schaffenskraft so gefügt hat, dass wir alle
nur begeistert sein können. Dann können wir ein gutes
Deutschland übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515102300

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1515102400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Nachhaltigkeit ist
ein schönes, viel missbrauchtes Wort. Jeder führt es gern
im Munde. Sogar Harald Schmidt erklärt auf die Frage
der „Welt am Sonntag“ – ich zitiere –:

Sie machen seit 1990 im Grunde das gleiche, egal
wie die Show heißt. Können Sie Ihr Image über-
haupt ändern?

Darauf Harald Schmidt:
Das ist meine neue Aufgabe. Nachhaltigkeit ist das
Stichwort.

Ich finde, ironischer kann man den Begriff Nachhaltig-
keit gar nicht auf den Punkt bringen. Die rot-grüne
Regierung ist seit 1998 auf Sendung und hat in beiden
Koalitionsvereinbarungen die Notwendigkeit nachhalti-
ger Entwicklung als Programm ausgegeben. Doch wenn
man den Koalitionsantrag „Forschung für Nachhaltig-
keit – Motor für Innovationen“ liest, könnte man den
Eindruck bekommen, dass die Regierung erst seit ein
paar Tagen im Amt ist. Im letzten Jahr – fünf Jahre nach
dem Regierungswechsel – wurde die Einrichtung eines






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung
beschlossen.


(Ulla Burchardt [SPD]: Dafür war aber nicht die Regierung verantwortlich!)


Ich gehe davon aus, dass diese Legislaturperiode zu
Ende geht und wir noch keine verwertbaren Ergebnisse
dieses Beirats haben werden.

Ich will mich nur auf einen Aspekt konzentrieren, der
auch in Ihrer Koalitionsvereinbarung völlig zu Recht
verankert ist. Ihr erklärtes Ziel, meine Damen und Her-
ren von Rot-Grün, war es, Ökonomie, Ökologie und so-
ziale Gerechtigkeit zu einer nachhaltigen Entwicklung
zu verbinden. Ich will über soziale Gerechtigkeit spre-
chen. Sie werden mit einer nachhaltigen Politik keinen
Erfolg haben, wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihre Politik
sozial gerecht zu gestalten.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Die soziale Schieflage in Deutschland gefährdet eine
wirklich nachhaltige Entwicklung. Die Bundesregie-
rung war mit dem Versprechen angetreten, die Gerech-
tigkeitslücke zu schließen. Sie hat sie nicht geschlossen,
sondern vergrößert. Ich weiß nicht, ob Sie es nicht besser
können oder ob Sie es gar nicht anders wollen.

Übrigens, Wissenschaftspolitik haben Sie in Ihrem
Antrag gleich ganz weggelassen. Sie verkürzen alles auf
Forschung, Technologie und Innovationen. Doch Sie
müssen bei den Wissenschaften ansetzen, um langfristig
Erfolg zu haben.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Sie denken nur noch in Begriffen von Produkt- und
Technologieinnovationen, doch wir müssen an die Wis-
senschaften höhere Anforderungen stellen. Unsere Ge-
sellschaft braucht dringend soziale Innovationen. Ich
meine damit Innovationen, die die Menschen nicht ge-
geneinander aufbringen, sondern wieder zusammenbrin-
gen, die die Menschen nicht entwerten, sondern in ihrem
Wert schätzen und in die Gesellschaft einbinden.

Da die Regierung keine sozialen Innovationen von
der Wissenschaft gefordert und soziale Innovationen
nicht gefördert hat, hat Rot-Grün auf alte amerikanische
Konkurrenzmodelle zurückgegriffen. Die Menschen
werden gegeneinander in Stellung gebracht. Eine Armee
von Ich-AGs, Minijobbern und 1-Euro-Jobbern wird ge-
gen die Menschen ins Feld geführt, die noch versiche-
rungspflichtige Vollzeitjobs haben. Ich kenne keine ein-
zige soziale Innovation dieser Bundesregierung. Alle
Reformen, von Hartz I bis Hartz IV genauso wie die Ge-
sundheitsreform, waren Abriss- und Rückbaureformen.
Der rheinische Kapitalismus, den Sie jetzt zu Grabe tra-
gen, war im Verhältnis zu dem, was Sie jetzt machen,
wirklich sozial innovativ.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Wir, die PDS, verfolgen in unserer Wissenschaftspoli-

tik einen breiteren Ansatz. Wir sind der festen Überzeu-
gung, dass soziale Innovationen dringend notwendig
sind. Die besten Produkte und Technologien werden uns
nicht aus der Krise führen, wenn wir nicht gleichzeitig
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ermuntern
und ausreichend finanzieren, um über soziale Innovatio-
nen nachzudenken und Konzepte zu entwickeln. Ich will
nicht behaupten, dass die PDS die sozialen Innovationen
und Konzepte im Keller hortet; aber wenn die Regierung
den von mir vorgeschlagenen Weg gehen will, dann sind
wir von der PDS gern dabei. Es muss nur eine Vorausset-
zung erfüllt sein: Soziale Innovationen müssen immer
den Solidargedanken zur Grundlage haben.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515102500

Ich erteile das Wort Kollegin Marion Seib, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1515102600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Dem Anwenden
muss das Erkennen vorausgehen.“ Dieses Zitat stammt
nicht von Albert Einstein, sondern von Max Planck. Die-
ses Zitat bringt die Sache aber auf den Punkt. Wir müs-
sen erkennen, dass Deutschland in vielen Bereichen der
technologischen Entwicklung von anderen Ländern ab-
gehängt worden ist. Wir müssen erkennen, dass unserem
Land ein mühsamer Aufholprozess bevorsteht, um mit
den dynamischen Wirtschafts- und Forschungsregionen
in anderen Teilen der Welt Schritt halten zu können.

Die Ausgangsbedingungen sind nicht schlecht.
Deutschland verfügt über eine im Kern beeindruckende
und leistungsfähige Forschungslandschaft.


(Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jörg Tauss [SPD]: Na prima!)


Zitiert seien die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunho-
fer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die
Leibniz-Gemeinschaft. Diese Einrichtungen tragen in er-
heblichem Maße dazu bei, dass in Deutschland wissen-
schaftliche Spitzenleistungen erzielt werden können.
Durch die Einsatzbereitschaft der Wissenschaftler in den
Forschungseinrichtungen konnte Deutschland in einigen
Bereichen seine Spitzenposition wahren.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na eben!)

Der Bericht zur technologischen Leistungsbereit-

schaft Deutschlands 2003/2004 zeigt aber, dass die fi-
nanziellen Aufwendungen des Staates und der Wirt-
schaft nicht ausreichen, um mit der technologischen
Dynamik in anderen Staaten Schritt halten zu können.
Wenn wir im internationalen Vergleich nicht ins Hinter-
treffen geraten wollen, dann müssen wir Hochschulen
und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stärker
verknüpfen, die Autonomie ausweiten und die Interdis-
ziplinarität fördern.

Wir müssen aber auch auf Forschung und Entwick-
lung in der Wirtschaft Wert legen. Die technologische
Forschung und Entwicklung in den Unternehmen macht






(A) (C)



(B) (D)


Marion Seib

nämlich den harten Kern eines innovativen Landes aus.
Allein in Deutschland stellt die Wirtschaft 70 Prozent al-
ler Forschungskapazitäten bereit. Mehr als 60 Prozent
der Wissenschaftler sind in der Wirtschaft beschäftigt. In
konkreten Zahlen bedeutet das: Die deutsche Wirtschaft
investiert 36 Milliarden Euro in den Bereich Forschung
und Entwicklung. Über 300 000 Menschen arbeiten in
diesem Bereich.

Weltweit vollzieht sich ein Verlagerungsprozess der
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten nach Nord-
amerika und Asien. Das macht uns zu schaffen, darüber
können wir nicht hinwegsehen. Die Achillesferse dabei
ist der deutsche Mittelstand. Im Mittelstand aber werden
75 Prozent aller Patente entwickelt und 18 Prozent des
Forschungspersonals beschäftigt. 12,5 Prozent aller For-
schungsaufwendungen erfolgen in diesem Bereich. Die
Zahl der forschenden mittelständischen Unternehmen ist
jedoch in den vergangenen Jahren um gut 5 Prozent zu-
rückgegangen.

Wir brauchen in der Forschungsförderung eine ein-
heitliche und langfristige Strategie für den Mittelstand.
Unsere Vorschläge dazu liegen bereits vor: Zusammen-
legung der Mittelstandsprogramme, mehr Transparenz
und Beständigkeit, Förderinstrumente für längerfristige
Innovationspartnerschaften zwischen Mittelstand und
Hochschulen, verbesserte Zugangsmöglichkeiten zum
Kapitalmarkt und vor allem eine Wirtschaftspolitik, die
den Potenzialen des Mittelstands bessere Chancen ein-
räumt.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Aspekt der Nachhaltigkeit, auf den sich der Antrag der
Koalition bezieht, ist nur ein Ansatzpunkt. Ich warne da-
vor, in politischer Selbstgerechtigkeit den Begriff der
Nachhaltigkeit zu missbrauchen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir Deutschland nachhaltig vorwärts bringen wol-
len, dann kommt es darauf an, dass wir nicht nur die Ri-
siken sehen, sondern vor allem auch die Chancen wahr-
nehmen. Die Zweifel überwiegen allerdings, wenn man
im Antrag von SPD und Grüne liest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundes-
regierung mit dem neuen Rahmenprogramm …
„Forschung für Nachhaltigkeit“ die in der letzten
Legislaturperiode begonnene Neuausrichtung der
Bildungs- und Forschungspolitik … konsequent
weiterführt.

Bedeutet ein „konsequentes Weiterführen“, dass die
Grüne Gentechnik weiter verhindert wird? Bedeutet das
wirklich, dass die nukleare Energieforschung weiterhin
keinen Stellenwert hat?


(Ulla Burchardt [SPD]: Das hatten wir heute schon mehrfach!)


Bedeutet das auch, dass der Dialog zwischen Politik und
Wissenschaft weiterhin dürftig bleibt?


(Ulla Burchardt [SPD]: Nein! Er ist sehr intensiv, Frau Kollegin!)

Bedeutet das, dass die Bürokratie nicht abgebaut wird?
Bedeutet das, dass der Mittelstand weiterhin zu wenige
Chancen im Forschungs- und Entwicklungsbereich hat?
Ich hoffe, nicht.

Der den Mittelstand betreffende Teil der Forschung
muss eine höhere Priorität bekommen. Im Mittelstand
sind nämlich die Strukturen vorhanden, die die Ergeb-
nisse der Entwicklungen schnellstmöglich in den Wirt-
schaftskreislauf befördern. Zentralistische und wirt-
schaftsferne Vorgaben für Forschung und Entwicklung,
wie sie in Ihrem Forderungskatalog vorliegen, sind das
Letzte, was wir in Deutschland brauchen können.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
Herausforderungen in der Forschungspolitik sind zu
groß, als dass sie nur mit halber Kraft bewältigt werden
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Dafür brauchen wir die Länder!)


Wenn wir Deutschland als ein innovatives und wettbe-
werbsfähiges Land erhalten wollen, dann brauchen wir
eine Ministerin, die sich mit ganzer Kraft für den For-
schungsstandort Deutschland einsetzt und sich nicht im
Streit mit den Ländern verzettelt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Die Länder müssen mit den notwendigen Finanzen

ausgestattet werden, um die im Grundgesetz festgelegten
Aufgaben ordentlich erfüllen zu können.

Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515102700

Ich erteile Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion, das

Wort.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1515102800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-

gen! Lieber Kollege Riesenhuber, Sie haben in Ihrer lei-
denschaftlichen Art fast gefleht, dass wir auch einmal
die Leistungen anerkennen sollten, die Sie früher er-
bracht haben. Ich bestätige Ihnen gerne: Wir haben nie
behauptet, dass Sie nur Mist gemacht hätten. Sie haben
ganz Ordentliches auf den Weg gebracht. Aber eines ha-
ben wir von Ihnen nicht übernommen: Ihre Kürzungen
im Haushalt für Bildung und Forschung. So sah Ihre
Erbschaft aus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihre Begeisterung für die Universität Darmstadt teilen
wir in vollem Umfang. Dort ist ein großartiges Reform-
projekt auf den Weg gebracht worden. Aber ich bitte, der
Korrektheit halber, auch die andere Seite der Medaille zu
erwähnen. Der Präsident der von Ihnen so hochgelobten
Universität hat sich in einer Anhörung des Deutschen






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss

Bundestages nachdrücklich dagegen gewandt, Ihr Stu-
diengebührenmodell in die Realität umzusetzen, weil er
der Meinung ist, dass es uns weder zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch in Zukunft etwas nutzt.


(Beifall bei der SPD)

Da Sie Hessen angesprochen haben – Sie kommen ja

aus diesem Bundesland –: Schauen Sie sich einmal das
Hochschulgesetz an, das in Hessen auf den Weg ge-
bracht worden ist und das alles, was wir hier gemeinsam
auf den Weg gebracht haben – Tenure-Track, Berufung
von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaft-
lern usw. –, nicht enthält! Die Universitäten in Hessen
laufen Sturm gegen dieses Hochschulgesetz. In Hessen
sind also noch viele Hausaufgaben zu erledigen. Ich
würde mich freuen, wenn wir uns einig würden. Das gilt
übrigens auch für andere Hochschulgesetze, zum Bei-
spiel für das von Baden-Württemberg.

Im Unionsantrag steht drin:
Die Freiheit der Forschung ist zu gewährleisten und
gegen jede politische Einmischung und Einfluss-
nahme zu schützen.

Ein wunderbarer Satz, den ich Ihnen sofort unter-
schreibe! Aber in Baden-Württemberg bringen Sie ein
Hochschulgesetz auf den Weg, das die Einsetzung von
externen Aufsichtsräten aus der Wirtschaft vorsieht, die
der Wissenschaft genau diese Freiheit nehmen sollen.
Die dortigen Hochschulen sind dann in ihren Entschei-
dungen nicht mehr selbstständig. Deswegen laufen die
Hochschulen in Baden-Württemberg – genauso wie die
in Hessen – gegen ihre Hochschulpläne Sturm. Erledi-
gen Sie also Ihre Hausaufgaben vor Ort!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Kollege Königshaus hat in seiner Rede – er ist
leider nicht mehr anwesend – einen ganz wichtigen
Punkt angesprochen, nämlich die Bedingungen für
junge Mütter in der Wissenschaft. Ich halte dies für ei-
nen wesentlichen Punkt, über den wir diskutieren müs-
sen, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt Betreu-
ung an Ganztagsschulen. Ende letzten Jahres habe ich
das Forschungszentrum in Karlsruhe als Mitglied des
Senats dieses Zentrums bzw. der Helmholtz-Gemein-
schaft besucht. Dort haben wir einen Betriebskindergar-
ten eingeweiht, wie wir ihn an allen Helmholtz-Zentren
realisieren wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu Ihrer Zeit hätte das Forschungszentrum Mittel des
Bundes nicht für die Errichtung eines Betriebskindergar-
tens ausgeben dürfen. Heute darf man das und es wird
gemacht. Es wird also auch hier ein Stück weit dessen
realisiert, was Sie fordern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Hochschulbau: Lieber Herr Kretschmer, da Sie
nun Generalsekretär der CDU Sachsen sind, bin ich ge-
spannt, was Sie uns demnächst in Sachsen servieren
werden. Sie haben hier leidenschaftlich die Verantwor-
tung des Bundes für den Hochschulbau gefordert. Aber
die Ministerpräsidenten – darunter auch der sächsische
Ministerpräsident – haben den Hochschulbau einstim-
mig als zukünftige und alleinige Aufgabe der Länder de-
finiert. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Minister-
präsidenten an dieser Stelle irren, ist das kein Problem.
Dann liegen unsere Positionen nämlich sehr nah bei-
einander. Auch ich halte das in der Tat für unvernünftig.
Es muss zwar nicht sein – darin stimme ich Ihnen völlig
zu –, dass Bund und Länder jede Kantine gemeinsam
realisieren. Aber im Bereich der Großgeräte, auch bei
denjenigen mit regionaler Bedeutung, sollte eine Zusam-
menarbeit von Bund und Ländern doch möglich sein.
Lieber Herr Kretschmer, es würde uns freuen, wenn Sie
uns dabei helfen würden und wenn es in Sachsen zu ei-
ner veränderten Politik käme. Dort gibt es ja inzwischen
eine bessere Regierung unter SPD-Beteiligung. Die
Chancen stehen also gut. Aber sorgen Sie in Ihrer Partei
ebenfalls für Veränderungen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515102900

Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Kretschmer?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1515103000

Selbstverständlich. Bitte schön. – Lieber Kollege

Kretschmer, vielleicht können Sie auf das, was ich ge-
sagt habe, gleich antworten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515103100

Bitte, Herr Kretschmer.

Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1515103200

Lieber Herr Kollege Tauss, herzlichen Dank, dass Sie

so gut zugehört haben, als ich über den Hochschulbau,
den die Ministerin vernachlässigt, gesprochen habe.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1515103300

Ich bin immer aufmerksam.

Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1515103400

Stimmen Sie mir zu, dass in den vergangenen Jahren

und in der Finanzvorschau für die kommenden Jahre
eine deutliche Abschmelzung der Bundesmittel für den
Hochschulbau vorgenommen worden ist und dass des-
wegen meine Kritik an der Ministerin und der Hinweis,
sich diese Aufgabe genauer anzuschauen, berechtigt
sind?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1515103500

Nein, lieber Kollege Kretschmer, darin stimme ich Ih-

nen nicht zu; denn ich habe noch sehr gut in Erinnerung
– damals waren Sie noch nicht Mitglied des Bundes-
tages –, dass unsere Vorgängerregierung ihren Anforde-
rungen und Verpflichtungen im Hochschulbau nicht
nachgekommen ist. Damals sind wir immer mehr in die
Miesen geraten; das machte über 1 Milliarde Euro aus.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg Tauss

Das haben wir erst einmal mühsam ausgeglichen. Dann
wurde im letzten Jahr in der Tat eine Kürzung vorge-
nommen. Hier habe ich ein gewisses Verständnis für
Hans Eichel. Denn die Ministerpräsidenten haben mitten
in den Haushaltsberatungen gesagt: Der Hochschulbau
sollte nicht mehr eine Aufgabe des Bundes sein. Diese
wollen wir künftig alleine erledigen. Ein Finanzminister
wäre mit dem Klammerbeutel gepudert – bitte bleiben
Sie stehen, Herr Kretschmer –, wenn er eine solche Steil-
vorlage nicht nutzen würde. So war die Realität, um das
noch einmal zu sagen.

Lieber Kollege Riesenhuber, ich komme auf Sie zu-
rück; denn Sie waren wirklich der Einzige, dessen Rede
wenigstens ein bisschen spannend war. Ich kenne Sie als
jemanden, der immer leidenschaftlich, aber seriös gewe-
sen ist. Bitte, halten Sie uns jetzt nicht die niedrigen Ab-
solventenzahlen im Bereich der Ingenieurwissenschaften
vor. Diese Absolventen haben ihr Studium begonnen, als
Sie regiert haben, und sie haben es beendet, als wir re-
giert haben. Wenn man schon einen Vergleich zieht,
dann sollte man die Studienanfängerzahlen verglei-
chen. Diese Zahlen trage ich Ihnen gerne vor: 1998 ha-
ben das Studium der Ingenieurwissenschaften 44 900 be-
gonnen, jetzt sind es 60 800. Das ist eine Steigerung um
sage und schreibe 35 Prozent. In den anderen Naturwis-
senschaften ist es noch besser: Dort liegt die Steigerung
bei 72 Prozent.

Jetzt stellt sich die spannende Frage – ich bin gern be-
reit, mit allen über Studienkonten, Studiengebühren und
Studentensteuern zu diskutieren –, was nach der Einfüh-
rung von Studentensteuern eigentlich passiert: Wird die
Anzahl derjenigen, die ein naturwissenschaftliches Stu-
dium beginnen, aufrechterhalten werden können oder
werden die jungen Menschen sagen: „Das Risiko, ein
Studium zu beginnen und hinterher 40 000 Euro oder
80 000 Euro Schulden zu haben, ist mir zu groß“? Ich
fände es sehr sympathisch, wenn wir darüber einmal dis-
kutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bitte ziehen Sie nicht diese merkwürdigen Vergleiche

zwischen Studiengebühren und Kindergartengebühren.
Auch da sollten Sie einmal konsistent werden. Wenn die
Studenten mehr zahlen sollen, damit die Universitäten
mehr Geld bekommen, dann fließt davon kein einziger
müder Euro an die Kindergärten. Wenn die Studierenden
die Kindergärten finanzieren, dann fließt kein einziger
müder Euro an die Universitäten. Das passt nicht zusam-
men. Die Folge Ihrer Politik wäre, dass die Eltern zu-
nächst Kindergartengebühren und später für ihre er-
wachsenen Kinder Studiengebühren zahlen. Damit
würden die Familien doppelt belastet.


(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Das fordert aber keiner, Herr Tauss!)


Was die Weiterbildung angeht – Sie haben dieses
Thema angesprochen –, warten wir auf ein interessantes
Konzept. In Bezug auf Schülerinnen und Schüler sowie
Schulen kann ich Ihnen nur sagen: Ich stimme Ihnen in
vielem zu. Heute sitzen auf der Besuchertribüne viele
Fachleute. Viele Schülerinnen und Schüler sind da. Der
Unterricht in vielen Ländern ist schlecht. Wir haben zu
wenige Ganztagsschulen und es gibt insgesamt zu wenig
Betreuung.

Eines ist zunächst einmal klar: Der Bund trägt dafür
keine Verantwortung. Herr Koch aus Hessen fordert,
dass der Bund künftig überhaupt keine Zuständigkeiten
mehr hat. Überlegen Sie sich bitte, was Sie von uns for-
dern: das Eintreten für mehr oder für weniger Bildungs-
zuständigkeit des Bundes? Ich akzeptiere aber nicht,
dass wir es über die Entwicklungshilfe oder sonst wie er-
möglichen sollen, dass in Afrika mehr Schulen errichtet
werden, während hier in Deutschland keine Schulen
mehr gebaut werden dürfen, noch nicht einmal dann,
wenn sich Bund und Länder darauf verständigt haben.
Das ist doch keine Politik, das ist doch keine Innovation,
das ist doch nichts Zukunftsgerichtetes, sondern blanker
Unfug.

Was das Stiftungsrecht angeht, warten wir auf Ihre
Initiativen. Frau Reiche, wir sind ins Mittelfeld nicht
abgerutscht, sondern hochgerutscht. Ich stimme Ihnen
völlig zu, wenn Sie sagen, dass das alles noch nicht aus-
reicht. Unter anderem deswegen gibt es das Einstein-Jahr.
Wenn Sie die Beteiligung von 15 000 Schulen als Show
diskreditieren, dann kann ich dazu nur sagen: Hoffent-
lich haben nicht eine Schülerin und nicht ein Schüler zu-
gehört. Wir kümmern uns um Einstein, Sie um Einbau.
Das ist eine gute Aufgabenverteilung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515103600

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung auf Drucksache 15/4216. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die
Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3452 mit
dem Titel „Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für In-
novationen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/2971 mit dem Titel
„Mit Innovationen auf Wachstumskurs – eine einheitli-
che Strategie“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit wie
zuvor angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3332 mit dem Titel
„Innovationsstrategie für Deutschland – Wissenschaft
und Wirtschaft stärken“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenom-
men.

Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/4216 empfiehlt der Ausschuss, in Kennt-
nis des Bundesberichts Forschung 2004 auf Druck-
sache 15/3300 eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 3 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 15/4497 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Johannes Singhammer, Dagmar Wöhrl, Karl-
Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Standort Deutschland – Innovation und
Wachstum stärken durch Verbesserung der
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
– Drucksache 15/4503 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Wider die Vertrauenskrise – Für eine konsis-
tente und konstante Wirtschaftspolitik
– Drucksache 15/1589 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle [FDP])


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1515103700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wenn es um unseren Standort geht, brauchen wir weder
Schwarzmalerei noch Schönfärberei. Was wir brauchen,
ist eine nüchterne und ehrliche Bestandsaufnahme. Lie-
ber Herr Minister, ich frage Sie: Würden Sie, wenn
Deutschland ein börsennotiertes Unternehmen wäre,
eine Aktie kaufen? Ich würde es tun, ich glaube, Sie
auch; denn unser Standort hat viel Substanz und viel Po-
tenzial. Aber es gibt auch eine Gefahr, und zwar besteht
die Gefahr, dass diese Aktie durch Ihr Missmanagement
immer mehr an Wert verliert. Das wird so bleiben, wenn
Sie so weitermachen, wenn nichts passiert, wenn Sie
nicht eingreifen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kollegen von Rot-Grün, Sie fantasieren hier

vom Aufschwung, Sie sagen, Deutschland sei wieder auf
dem Wachstumspfad. Sie wissen aber ganz genau – Sie
sind die größten Statistikakrobaten, die es in diesem
Hause je gegeben hat –:


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt?)


Wenn man den Effekt zusätzlicher Arbeitstage heraus-
rechnete, würden wir dieses Jahr ein Wachstum von nur
1,1 Prozent haben, und das, obwohl wir letztes Jahr
durch eine wachsende Weltwirtschaft, wie es sie seit
1976 nicht mehr gegeben hat, ein kolossales kostenloses
Konjunkturprogramm hatten. Hier muss man sich schon
fragen: Warum konnten wir auf dieses Pferd nicht mit
aufspringen?


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau! Sehr richtig!)


Warum sind wir im Vergleich zu vielen anderen unserer
europäischen Nachbarn von dieser Entwicklung abge-
koppelt?

Wir haben eine immens starke Exportwirtschaft, aber
wir schaffen es nicht, dass der Funke dieser Exportwirt-
schaft auf unsere Binnenkonjunktur überspringt. Es ist
ein Aberglaube, dass Exportüberschüsse gleichzeitig
für die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts sprechen.
Das Gegenteil kann der Fall sein. Wir haben gemerkt,
dass Exportüberschüsse gerade dann erzielt werden,
wenn die Investoren und Unternehmer von einem Land
weggehen und im Ausland Arbeitsplätze schaffen. Wir
importieren immer mehr Vorleistungen. Immer mehr
Wertschöpfung findet im Ausland statt. Wir haben eine
zu starke Regulierung. Wir haben zu hohe Lohnneben-
kosten. Wir haben zu hohe Steuern und Abgaben und wir
haben zu hohe Energiekosten.

Energiepolitik ist Wirtschaftspolitik. Wenn man sich
die Entwicklung unserer Strompreise seit 1998 anschaut,
die Sie zu verantworten haben, stellt man fest: Der staat-
liche Anteil an den Strompreisen betrug 1998 noch
2,3 Milliarden Euro. Inzwischen sind es fast
15 Milliarden Euro. Wenn man sich klar macht, dass al-
lein 1,5 Millionen Arbeitsplätze von der energieintensi-
ven Produktion abhängen und dass Sie auch jetzt noch
über weitere Erhöhungen nachdenken, dann muss man






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

sich schon fragen, wie Sie es schaffen wollen, diese Ar-
beitsplätze im Land zu halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was tun Sie, um
neue Arbeitsplätze zu schaffen? Was tun Sie, um für die
Unternehmer Anreize zu schaffen, damit sie investieren
und auch hier Jobs schaffen? Der Funke, der von der Ex-
portwirtschaft überspringt, genügt nicht; das hat man ge-
sehen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigten um 430 000 gesunken
und auch für dieses Jahr ist mit sinkenden Beschäfti-
gungszahlen zu rechnen. Es gibt doch eine ganz einfache
Gleichung, von deren Richtigkeit auch ich felsenfest
überzeugt bin: Was gut für ein Unternehmen ist, ist auch
gut für die Volkswirtschaft.

Sie wissen doch auch, dass die Unternehmen die Ar-
beitsplätze schaffen und nicht der Staat. In unserem Mit-
telstand steckt ein großes Innovationspotenzial und In-
novation ist das Ticket für die Zukunft. Sehen Sie sich
nur einmal die Patentanmeldungen an! Zwei Drittel al-
ler Patentanmeldungen sind entweder Einzelanmeldun-
gen oder kommen von mittelständischen Unternehmen.
Von 61 der wichtigsten Erfindungen dieses Jahrhunderts
stammen nur zwölf von Großunternehmen. Deshalb
müssen Sie sich aufraffen und erkennen, dass wir eine
positive Vision „Mittelstand 2020“ brauchen.

Sicher ist Hartz IV ein Schritt in die richtige Rich-
tung, aber Hartz IV wird ein Torso bleiben, weil Sie nur
auf der Angebotsseite ansetzen, statt neue Jobs zu schaf-
fen. Der Beschäftigungsabbau geht ungebremst weiter.
Allein im Handwerk wurden im letzten Jahr 180 000
Jobs abgebaut, in diesem Jahr wird mit weiteren 100 000
gerechnet.

Es ist doch grotesk bei uns. Ihre Politik belastet den
Unternehmer, der sich aufrafft und den Mut hat, hier
noch Arbeitsplätze zu schaffen, durch immer mehr kos-
tentreibende Auflagen: Arbeitsstättenverordnung, Be-
triebsverfassungsgesetz, Kündigungsschutzgesetz, Teil-
zeit- und Befristungsgesetz. Wir haben ein Minenfeld
von Schwellenwerten in unserem Land. Ab fünf Mitar-
beitern kann ein Betriebsrat gegründet werden. Ab elf
Mitarbeitern greift der Kündigungsschutz und muss den
Beschäftigten ein Pausenraum eingerichtet werden. Ab
16 Mitarbeitern hat jeder Mitarbeiter einen Anspruch auf
Teilzeit. Bei 199 Beschäftigten muss man sich überle-
gen, ob man den 200. Mitarbeiter noch einstellt, weil der
als Betriebsrat ja freizustellen wäre. Er würde nicht ar-
beiten, aber Kosten bis zu 60 000 Euro verursachen. Bei
insgesamt 160 solcher Schwellen in unseren Gesetzen
muss man sich doch fragen: Wie soll ein kleiner Unter-
nehmer hier überhaupt den Überblick behalten?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Und dann kündigt der Minister einen Masterplan an.

Der Plan ist gut, Herr Minister Clement; wir haben ihn
befürwortet. Doch wie sieht die Bilanz aus? Von den
über 1 000 Vorschlägen, die die Wirtschaft eingebracht
hat, beschloss das Kabinett 29 und von diesen 29 Vor-
schlägen wurden im letzten Jahr neun verabschiedet.
Wenn Sie mich jetzt fragen, ob darin ganz große Dinge
enthalten waren, muss ich sagen: Mir fällt nichts ein. Mir
fällt lediglich ein, dass Sie die Arbeitsstättenverordnung
dahin gehend geändert haben, dass der Schwellenwert
von sechs Mitarbeitern, ab dem getrennte Toiletten-
räume für Männer und Frauen einzurichten sind, zukünf-
tig entfällt. Dazu sage ich: Herzlichen Glückwunsch!
Damit haben Sie wirklich eine ganz tolle Entbürokrati-
sierung auf den Weg gebracht.


(Ute Kumpf [SPD]: Die Handwerksmeister haben das immer gefordert!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, den
allergrößten Bock Ihrer politischen Arbeit werden Sie je-
doch mit Ihrem Antidiskriminierungsgesetz schießen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Ziel, Minderheiten zu schützen, ist richtig und eh-
renhaft. Deshalb unterstützen wir es auch. Aber was
wird zukünftig sein? Zukünftig wird man diese Minder-
heiten meiden, weil man Angst hat, von ihnen verklagt
zu werden. Die Zeiten, in denen Rechtsverhältnisse nach
eigenem Willen und ohne staatlichen Einfluss geschlos-
sen werden können, sind damit vorbei. Ludwig Erhard,
der Vater der sozialen Marktwirtschaft, würde sich im
Grabe umdrehen, wenn er so etwas mitbekäme.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Leibrecht [FDP]: Hat er schon!)


Sie fassen bei diesem Gesetz den Personenkreis so weit,
dass jeder, der eine Wohnung oder einen Arbeitsvertrag
haben möchte, aber nicht zum Zuge kommt, weil der
Vertrag mit einem anderen Bewerber abgeschlossen
wird, wegen Ungleichbehandlung klagen kann. Die Be-
weislast liegt zukünftig beim Vermieter oder beim Ar-
beitgeber. Er wird beweisen müssen, dass er nicht diskri-
minieren wollte, sondern dass er sachliche Gründe für
die Ablehnung des Bewerbers hatte. Wie soll das in der
Praxis geschehen? Der Vermieter oder Arbeitgeber wird
den Beweis nie erbringen können. Er muss damit rech-
nen, dass er zukünftig im zivilrechtlichen Bereich mit
von ihm nicht gewünschten Partnern einen Vertrag ab-
schließen muss. So schaffen Sie doch kein Wirtschafts-
wachstum in unserem Land, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will hier gar nicht auf irgendwelche internationa-

len Berichte eingehen, sei es der „Global Competitive-
ness Report 2004–2005“ vom World Economic Forum
oder der „Economic Freedom“-Report. Sie alle beschei-
nigen uns unisono, dass unser größtes Problem die Über-
regulierung unseres Arbeitsmarktes ist. Von 95 unter-
suchten Nationen liegen wir bezüglich der Regulierung
auf Platz 94.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Wir brauchen gar nicht so weit zu gehen; schauen wir
doch einmal in unsere Nachbarschaft, zum Beispiel nach
Österreich. Dort liegt die Produktivität so hoch wie bei
uns; die Löhne aber liegen 20 Prozent niedriger und
Kündigungsschutz und Arbeitsrecht sind liberalisiert
worden. Das Ausmaß der Bürokratie ist bei weitem nied-
riger als bei uns; so werden Genehmigungsverfahren bin-
nen drei Monaten abgeschlossen. Was ist das Resultat?






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

Die EU-Kommission prophezeit Österreich nächstes
Jahr ein Wachstum von 2,4 Prozent. Während Sie hier
das Grab des Stabilitätspaktes schaufeln, wird Österreich
in diesem Jahr eine Neuverschuldung von 2 Prozent ha-
ben. Auf Irland, den Musterstandort schlechthin, will ich
jetzt gar nicht eingehen. Es reicht, auf unseren Nachbarn
Österreich zu schauen.

Lassen Sie mich weitere Vergleiche anstellen bezüg-
lich des Klimas für Unternehmensgründungen und Un-
ternehmer in unserem Land. Wir haben hier im Vergleich
zu anderen europäischen Ländern immense Defizite.
Unsere Selbstständigenquote liegt bei nur noch
9 Prozent. Im Vergleich zu Frankreich und Großbritan-
nien haben wir 700 000 Selbstständige weniger. Da
muss man doch schauen, wie wir es schaffen können,
den Standort Deutschland wieder unternehmerfreundli-
cher zu machen. Es darf doch nicht sein, dass 90 Prozent
der Bevölkerung fragen: „Wer stellt mich ein?“ und sich
nur 10 Prozent Gedanken darüber machen, wie sie selbst
Arbeitsplätze schaffen können. Ein Blick auf unsere
Schulen und auf unsere Universitäten zeigt den Grund:
Wo wird denn da noch eigenverantwortliches, risiko-
orientiertes Handeln und unternehmerisches Denken
vermittelt?

Wir müssen eine neue Unternehmerkultur in Deutsch-
land schaffen. Die Unternehmer in unserem Land sind
doch die wirtschaftliche Lokomotive. Sie bringen das
Land nach vorne, investieren und schaffen Arbeitsplätze.
Deshalb müssen wir schauen, dass wir die Menschen
dazu bekommen und sie ermutigen, wieder gerne unter-
nehmerisch tätig zu sein und Lust auf Leistung zu haben.
Unter Ihrer Regierung braucht man allerdings sehr oft
großen Wagemut, wenn man sich selbstständig machen
will.

Sie machen wahnsinnig viele Marketingkampagnen
in eigener Sache, um Ihre verkorkste Politik in der Öf-
fentlichkeit mit Hochglanzbroschüren ganz toll darzu-
stellen. Ich fordere Sie nun auf, auch einmal eine andere
Marketingoffensive zu starten: Machen Sie eine Marke-
tingkampagne, die herausstellt, inwiefern es positiv ist,
wenn man sich selbstständig macht und unternehmerisch
betätigt! Degradieren Sie unsere Leistungsträger nicht zu
Lastenträgern, sondern stilisieren Sie sie zu Hoffnungs-
trägern! Das waren sie ja auch wirklich in der Vergan-
genheit.

Aber was machen Sie? Sie diskutieren wieder über
eine höhere Erbschaftsteuer. Frau Simonis hat dieses
Thema wieder in die Diskussion gebracht. Man muss
sich da schon fragen, ob diese Frau nicht weiß, dass al-
lein in diesem Jahr 70 000 Unternehmen an Nachfolger
übergeben werden und dass Zehntausende dieser Be-
triebe allein aufgrund der Erbschaftsteuer nicht mehr
fortgeführt werden können, sondern verkauft werden
müssen.


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist aber dummes Zeug!)


Angesichts dessen ist es nicht richtig, über eine Erhö-
hung der Erbschaftsteuer nachzudenken, sondern richti-
ger wäre es, diese Betriebe zu entlasten, indem man
jemandem, der den Betrieb übernimmt, die Erbschaft-
steuer stundet und sie ihm nach zehn Jahren ganz erlässt.
Das Fortführen eines Betriebes über zehn Jahre bringt
nämlich mehr für die Volkswirtschaft als die einmalige
Abführung der Erbschaftsteuer, die oft nur dadurch mög-
lich ist, dass man den Betrieb verkauft.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen uns zum Ziel setzen, dass die deutsche

Wirtschaft im internationalen Wettbewerb so viel besser
ist, wie sie teurer ist. Wir müssen uns zum Ziel setzen,
1 000 Arbeitsplätze am Tag zu schaffen, statt zuzulas-
sen, dass, wie es momentan der Fall ist, täglich
1 000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Wir haben das
Potenzial. Wenn man die Chancen nutzt, was Sie leider
nicht tun, bin ich ganz sicher, dass wir zukünftig in der
Weltwirtschaft wieder ganz weit vorne mitspielen wer-
den.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515103800

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-

Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1515103900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Frau Wöhrls Rede und der Antrag der
CDU/CSU geben, so finde ich, ein hervorragendes Bild
über die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellun-
gen der Opposition.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Decken sich mit denen der Gewerkschaftsfunktionäre nicht!)


Es ist eine Aneinanderreihung von Banalitäten, Allge-
meinplätzen und Unverbindlichkeiten.

Ich habe mich beim Lesen des Antrags gefragt: Was
ist nun die Konzeption, wo ist die Kritik und was sind
die konkreten Forderungen der CDU/CSU?


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Hätten Sie doch zugehört!)


Ich wollte auch wissen, sehr geehrter Herr Singhammer,
mit welchen Konzepten Ihr Kollege Laumann in den
nordrhein-westfälischen Wahlkampf geht, um dort Ar-
beitsminister zu werden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ihr Konzept jedenfalls ist gescheitert!)


Wenn Ihre Forderungen in diesem Antrag aber die
Grundlage Ihrer Wirtschaftspolitik sein soll, dann kann
der Standort Deutschland froh sein, dass CDU und CSU
hier in der Opposition sind.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Jetzt sind wir gespannt, was Sie machen!)


Herr Schartau kann sich beruhigt zurücklehnen; denn
das, was Sie bisher inhaltlich an Positionen geboten ha-






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

ben, ist sicherlich nicht dazu geeignet, Ihre Regierungs-
fähigkeit zu zeigen.

Ich habe in den letzten Tagen sehr aufmerksam die
Presse zu wirtschaftspolitischen Themen gelesen. Frau
Wöhrl, Sie mögen noch so rackern und mögen sich noch
so abmühen und in Allgemeinplätzen überbieten: Die
Auffassung der Wirtschaftspresse ist eindeutig. Bei-
spielsweise schreibt das „Handelsblatt“ unter der Über-
schrift „Union verliert“:

Das Vertrauen in die Regierungsfähigkeit von CDU
und CSU schwindet, nicht nur in Meinungsumfra-
gen. Auch in der Wirtschaft, einst unerschütterliche
Basis von Union und FDP, wachsen die Zweifel an
der Kompetenz der heutigen Opposition.

Ich finde, das „Handelsblatt“ hat gut beobachtet. Dem ist
im Kern nichts hinzuzufügen.

Ich unterstelle, dass Sie Ihren Antrag ernst nehmen
und ihn als Grundlage Ihrer Wirtschaftspolitik nehmen
wollen und dass Sie keine Showdebatte führen wollen.
Deshalb möchte ich daraus einen Ihrer Allgemeinplätze
zitieren:

… den kausalen Zusammenhang zwischen der tech-
nologischen Kompetenz … und dem Erhalt und
Aufbau von Arbeitsplätzen zu akzeptieren …

Dieser Satz ist so vielsagend, dass ich ihn gern wieder-
hole:

… den kausalen Zusammenhang zwischen der tech-
nologischen Kompetenz … und dem Erhalt und
Aufbau von Arbeitsplätzen zu akzeptieren …

Über eine solche Neuigkeit bin ich wirklich überrascht.
Wer akzeptiert denn diesen Zusammenhang nicht? Wir
jedenfalls haben unsere Politik auf Innovationen ausge-
richtet und mit unseren Rahmenbedingungen Innovatio-
nen gefördert. Mit Ihren Allgemeinplätzen hingegen ha-
ben Sie die Wirtschaft in unserem Land nicht einen
Millimeter vorangebracht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ist mit den Arbeitsplätzen?)


Wir haben die Weichen für einen erfolgreichen For-
schungs- und Innovationsstandort gestellt. Die vorherige
Debatte hat das noch einmal deutlich gemacht. Die Er-
folge werden schon sichtbar. Beispielsweise entstehen in
Dresden, dem Silicon Valley des Ostens, zusätzlich
10 000 direkte Arbeitsplätze in der Hochtechnologie.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo die CDU regiert!)


In München investiert General Electric in ein großes
Forschungszentrum. Damit werden zukunftsfähige Ar-
beitsplätze geschaffen. Das zeigt beispielhaft, dass
Deutschland als Forschungsstandort attraktiv ist.

Lassen Sie mich noch anfügen: Die Stärkung der
technologischen Kompetenz heißt für uns auch Ausbau
von Ganztagsschulen, Qualifizierung der Arbeitneh-
mer und Nutzung der Mitbestimmung in den Betrieben.
Das sind Standortvorteile, auf die wir zukünftig noch
stärker bauen müssen.

Ihr Antrag enthält aber nicht nur Banalitäten, er ist
auch in sich widersprüchlich. So fordern Sie

… industriepolitische Interventionen zu unterlas-
sen und zu verhindern, dass benachbarte EU-Mit-
gliedstaaten ihrerseits mit solchen Interventionen
den freien Wettbewerb … unterbinden oder verfäl-
schen …

Welch eine Binsenweisheit! Wofür haben wir denn die
europäische Beihilfepolitik organisiert? Sie ist erfolg-
reich, wenn es um gleiche Wettbewerbschancen für alle
Länder geht. Welche industriepolitische Interventionen
meinen Sie eigentlich? Sie sind doch die Ersten, die die
Regierung in Krisensituationen auffordern, die Unter-
nehmen nicht allein zu lassen. Ich frage mich also, wie
Ihre Forderung nach industriepolitischer Enthaltsamkeit
mit Ihrer Forderung im gleichen Antrag zusammenpas-
sen soll, wonach deutschen Unternehmen mehr Hilfe-
stellung bei internationalen Aktivitäten zu leisten sei.
Das ist eine Aufgabe, die auch wir sehen. Bei Ihnen ist
aber eine eindeutige Linie absolut nicht erkennbar. Ihr
Hin und Her ist keine Linie, auf die sich die Wirtschaft
in diesem Land verlassen kann. Sie müssen sich nämlich
schon entscheiden, ob Sie deutsche Unternehmen unter-
stützen wollen oder nicht.

Die SPD jedenfalls beurteilt Industriepolitik positiv.
Natürlich helfen wir deutschen Unternehmen auf Aus-
landsmärkten. Sie sehen, dass die breite außenwirt-
schaftliche Kompetenz und das Instrumentarium, das
wir vorhalten, wirken. Dies sind die Hermesbürgschaf-
ten, die Messeförderung, die Förderung des Exports von
erneuerbaren Energien, die Bundesagentur für Außen-
wirtschaft und die Förderung von Direktinvestitionen in
Deutschland. Allein für 2005 hat die Bundesregierung
die Mittel für die Außenwirtschaftsförderung noch
einmal von 100 Millionen auf 114 Millionen Euro auf-
gestockt. Für uns hat die Außenwirtschaftsförderung
hohe Priorität.

Bei Ihnen scheint eine gewisse Beliebigkeit Fuß zu
fassen. Einerseits wollen Sie industriepolitische Inter-
ventionen abschaffen, andererseits wollen Sie Unterneh-
men bei Auslandsaktivitäten unterstützen. Klarer kann
Ihr wirtschaftspolitischer Zickzackkurs nicht deutlich
gemacht werden.

Der Rückzug von Herrn Merz aus der Wirtschafts-
und Finanzpolitik scheint aus meiner Sicht eine deutli-
che Lücke hinterlassen zu haben. Die Wirtschaftsver-
bände haben erst in dieser Woche das Fehlen eines
Unionskonzepts zur Unternehmensbesteuerung bemän-
gelt. Eine Wirtschaftszeitung kommentiert zu Recht, wie
ich finde, dass die dünnen Thesen des Unionspapiers in
erstaunlichem Kontrast zum pompösen Titel „Kon-
zept 21“ stehen.

Meine Damen und Herren, Deutschland hat in den
vergangenen anderthalb Jahren weitgehende Reformen
hinter sich gebracht. Mit der Agenda 2010 haben wir
richtige Antworten auf die Globalisierung, die Demogra-
phie und den Strukturwandel gegeben. Wir haben Kurs






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

gehalten und uns nicht von populistischem Schlechtre-
den abbringen lassen. In den jüngsten Umfragen wird
gerade das honoriert. Kurs halten, Klarheit schaffen und
den Menschen Vertrauen geben – auch das ist wirt-
schaftspolitische Kompetenz.

In einer aktuellen Umfrage des „Business-Monitor In-
ternational“ bewerten ausländische Manager die Re-
formfortschritte in Deutschland als sehr positiv. Der
Standort Deutschland sei der Aufsteiger des Jahres,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Auch bei den Arbeitslosen!)


so sagt das Meinungsforschungsinstitut Psephos, das re-
gelmäßig für das „Handelsblatt“ aktiv ist. Herr
Singhammer, ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen:
Nicht die Bundesregierung, sondern ein bedeutendes
Wirtschaftsmagazin hat dieses Meinungsforschungsin-
stitut beauftragt. Dessen positive Ergebnisse sollten Sie
zur Kenntnis nehmen.

Ihnen gehen die Reformen nicht schnell und nicht
weit genug; wir wissen das. Sie gefallen sich im
Schlechtreden. Wissen Sie eigentlich, dass Sie damit
dem Land und der Wirtschaft einen Bärendienst erwei-
sen? Die Miesmacherstimmung irritiert zumindest die
öffentliche Meinung.

Die Zahlen, die eine wirtschaftliche Besserung bele-
gen, sprechen eine völlig andere Sprache:

Erstens. Nach drei Jahren Stagnation haben wir im
vergangenen Jahr ein Wachstum von 1,7 Prozent ge-
habt, und zwar trotz des hohen Eurokurses und trotz der
sehr hohen Rohstoffpreise. Ich will an Folgendes erin-
nern: 1996 und 1997 hatten wir unter Ihrer Regierung
Wachstumsraten von 0,8 bzw. 1,4 Prozent.


(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Aber null hatten wir noch nie! – Dagmar Wöhrl [CDU/ CSU]: Minus hatten wir nie!)


– Ihre Erinnerung ist schlecht, Herr Fuchs. – Meckern
Sie also nicht immer darüber, wie mager alles ist!

Zweitens. Die deutschen Unternehmen verdienen
deutlich mehr. In 2004 stiegen die Gewinne aus Unter-
nehmertätigkeit und Vermögen um 10 Prozent. Das
zeigt: Am Standort Deutschland kann man gutes Geld
verdienen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie einmal von den Insolvenzen!)


Drittens. Im Jahr 2004 ist die Zahl der Erwerbstäti-
gen – das zeigt, dass in den Standort Deutschland inves-
tiert wird – um 128 000 gestiegen. Ich bin fest davon
überzeugt, dass wir das in diesem Jahr deutlich toppen
werden.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist der Gipfel der Unseriosität! 1-Euro-Jobs!)


– Regen Sie sich doch nicht auf! Die 1-Euro-Jobs gab es
doch noch gar nicht in 2004. Die haben wir doch erst am
1. Januar 2005 eingeführt. Herr Singhammer, Sie sind
nicht auf der Höhe der Zeit. Bleiben Sie ganz ruhig, hel-
fen Sie der Wirtschaft durch sachliche Arbeit und stören
Sie nicht durch Ihre hektische Polemik!

Ich sage Ihnen: Unternehmensgewinne dürfen auch in
Zeiten des Shareholder-Value nicht nur für die Finanz-
märkte erwirtschaftet werden. Der Anstieg der Ausrüs-
tungsinvestitionen um 1,2 Prozent in 2004 ist ein erstes
ermutigendes Zeichen, dem weitere folgen müssen. Un-
ternehmensgewinne sind kein Selbstzweck. Sie müssen
sich immer auch an gesellschaftlichen Zielen messen
lassen. Nur so ist das Ziel zu erreichen, Wohlstand für
alle zu mehren und soziale Gerechtigkeit in Deutschland
dauerhaft zu ermöglichen.

Viertens: Deutschland ist auch im Jahr 2004 Export-
weltmeister. 2004 stiegen die Exporte noch einmal um
10 Prozent gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2003 –
ein Zeichen hoher Wettbewerbsfähigkeit.

Das positive Bild zeigt sich auch an den Direktinves-
titionen: In den 90er-Jahren war, wie wir alle wissen, der
Saldo der Direktinvestitionen durchgängig negativ. In
den Jahren 2000, 2002 und 2003 gab es hingegen einen
positiven Saldo. Das heißt, es kamen mehr Direktinvesti-
tionen nach Deutschland als umgekehrt.

Diesen Trend wollen wir durch eine solide Wirt-
schaftspolitik beibehalten. Deshalb fordere ich Sie auf,
das Land nicht weiter schlechtzureden. Sie haben bisher
kein Konzept vorgelegt. Helfen Sie durch positive Un-
terstützung mit, die Kultur der Zuversicht und der Ermu-
tigung zu stärken, anstatt der Wirtschaft durch Ihr
Schlechtreden einen Bärendienst zu erweisen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1515104000

Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Frak-

tion, das Wort.

Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1515104100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach drei

langen Jahren der Rezession und der Stagnation wächst
die deutsche Wirtschaft zum Glück wieder. Das Wirt-
schaftswachstum im Jahre 2004 stellte aber eine zweifa-
che Leihgabe dar: Die erste Leihgabe kam von der Welt-
wirtschaft. Der Rest der Welt ist dreimal so schnell wie
Deutschland gewachsen. Während die Weltwirtschaft
das größte Wachstum seit 20 Jahren zu verzeichnen
hatte, hinken wir hinterher. Die zweite Leihgabe war ein
erheblicher Kalendereffekt mit einigen zusätzlichen Ar-
beitstagen. Dies sollten sich vor allem diejenigen hinter
die Ohren schreiben, die 20 Jahre Seit’ an Seit’ mit der
IG Metall für Arbeitszeitverkürzung und die 35-Stun-
den-Woche gekämpft haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

2005 muss Deutschland ohne die Sondereinflüsse des

Kalenders und der Weltkonjunktur auskommen. Norma-
lerweise springt der Exportboom auf die Binnenkon-
junktur über und stimuliert zusätzliche Binnennachfrage.
Unter Grün-Rot stellt sich aber die klassische Choreo-






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle

graphie des Aufschwungs schon lange nicht mehr ein;
der Exportboom springt nicht über. Bundesbank, Wirt-
schaftsweise und Konjunkturinstitute sagen immer wie-
der, das Wachstumspotenzial für Deutschland sei für ei-
nen selbsttragenden weiteren Aufschwung und für mehr
Beschäftigung zu schwach.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Nun wollen Sie offenbar mit neuen Schulden das

Wachstum ankurbeln. Anders ist der durchsichtige Vor-
stoß des Bundeskanzlers zur faktischen Abschaffung des
Stabilitätspaktes nicht zu deuten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In den letzten Jahren hatten wir in Deutschland Null-
wachstum bei gleichzeitiger Rekordverschuldung. Ich
frage Sie: Wie hoch hätte nach Meinung der Regierung
die Verschuldung in Deutschland sein müssen, um einen
positiven Wachstumsbeitrag in unserem Lande zu erzie-
len? Nach meiner Auffassung kostet Verschuldungspoli-
tik Wachstum. Ihr Parteifreund und Wirtschaftsweiser
Professor Wiegard hat mit dem von ihm im letzten Jah-
resgutachten des Sachverständigenrats ausführlich dar-
gelegten Zusammenhang von öffentlichem Sparen und
Wirtschaftswachstum völlig Recht. Stabile Preise und
solide Staatsfinanzen sind Voraussetzung für mehr
Wachstum. Sie sind offenbar vom Gegenteil überzeugt;
Sie wollen mit weniger Preisstabilität und mehr Schul-
den die Wachstumsbasis verstärken. Dies ist absurd.


(Beifall bei der FDP)

Doch Sie wollen nicht nur die Verschuldung auswei-

ten, Sie wollen offenbar auch Steuern erhöhen. Das Tro-
janische Pferd für Ihre Steuererhöhungsfantasien steht in
Kiel. Frau Simonis und ihr wild gewordener Finanz-
minister machen Wahlkampf mit einem Steuererhö-
hungspaket von rund 20 Milliarden Euro. In der größten
Konsumflaute wollen sie allen Ernstes die Mehrwert-
steuer auf 19 Punkte erhöhen und damit den privaten
Haushalten die Chance auf mehr Kaufkraft und mehr
Konsum wegnehmen.


(Beifall bei der FDP)

Allein die Ankündigung von Steuererhöhung durch

Kiel ist ein Stück wirtschaftspolitischer Vaterlandsverrat.
So etwas verunsichert die Menschen und Unternehmen
und schafft die Angststarre nicht ab, sondern verstärkt
sie. Erzählen Sie nicht, Sie wollten mit den Steuermehr-
einnahmen die Lohnnebenkosten senken; dies hat schon
bei der Ökosteuer nicht geklappt.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Grünen haben kein Interesse, die Angststarre in
Deutschland zu beseitigen; sie sind selbst ein Produkt
der Angstgesellschaft. Sie profitieren von der Angst. Sie
verbreiten auch Angst vor der Gentechnik. Das Resultat
ist, dass synthetisch sauberes Insulin heute ein Importgut
ist. Der damalige hessische Umweltminister Joseph
Fischer hat mit seiner Angstpolitik die Produktion dieses
Stoffes durch die Farbwerke Hoechst verhindert. Damit
hat er die Basis dafür gelegt, dass 20 Jahre später die
pharmazeutische Produktion durch die Farbwerke
Hoechst dort nicht mehr stattfindet. So sieht nachhaltige
Politik der Grünen aus!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit der Grünen Gentechnik geschieht heute durch Frau
Künast das Gleiche. Sie macht Wahlkampf für gentech-
nikfreie Bundesländer. Damit werden wir keine Auf-
bruchstimmung in diesem wichtigen Sektor erreichen.

Der Kanzler hat längst die Parole „ruhige Hand
Teil 2“ ausgegeben. Das Kabinett gleicht einer Ansamm-
lung von Wacholderdrosseln. Sie flattern heftig mit den
Flügeln, aber bewegen nichts. Die Probleme in Deutsch-
land lassen sich aber nicht „wegflattern“.

Der Bundeskanzler hat Ihnen, Herr Clement, persön-
lich die Verantwortung für die Situation auf dem
Arbeitsmarkt zugeschoben. Man bekommt den Ein-
druck, dies sei ein neuer Karrieresprung vom Supermi-
nister zum Sündenbock. Die Regierung verspricht seit
sechs Jahren etwas anderes: Zuerst sollte die Arbeitslo-
sigkeit auf 3,5 Millionen Arbeitslose gesenkt werden; da
war das Thema Beschäftigung noch Chefsache von
Herrn Schröder. Peter Hartz hat dann 2 Millionen Ar-
beitslose weniger versprochen. Sie behaupten, die Ar-
beitslosigkeit bis zum Jahr 2010 zu halbieren. Die Reali-
tät aber sieht anders aus: Auch ohne die Hartz-IV-
Effekte haben wir die höchste Arbeitslosigkeit seit der
Wiedervereinigung zu verzeichnen. Die Zusammenle-
gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war richtig.
Dies war jedoch nur eine isolierte Maßnahme, aber kein
Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung.

Sie lassen das Tarifkartell unangetastet. Helmut
Schmidt wird nicht müde zu mahnen, dass hier aus sei-
ner Sicht die entscheidende Schwachstelle liegt. Er hat
Recht. Die Lohnnebenkosten gehen eher hoch als runter.
Die Steuerlast der Unternehmen macht sie immer noch
nicht wettbewerbsfähig. Der Schlüsselbegriff lautet
„mehr Wettbewerb“. Man könnte in Analogie zu einer
erfolgreichen Handelswerbung sagen: Wettbewerb ist
geil. Vielleicht verstehen Sie es so besser. Sie müssen
dies aber auch konkret umsetzen. Das Gegenteil aber ist
der Fall: Die Regulierung nimmt eher zu. Im Arbeits-
recht gibt es eine absurde Anzahl von Schwellenwerten,
von der Pflicht für getrennte Toiletten bei einem Ein-
Frau- oder einem Ein-Mann-Betrieb bis zur paritätischen
Besetzung der Aufsichtsräte in Großkonzernen.

Eine Reform des Arbeitsrechts kostet keinen Cent,
nur ein paar Pfründe der Gewerkschaftsfunktionäre.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann mich gut daran erinnern, als von Rot-Grün im
letzten Jahr ein Antrag zur Fusionsrichtlinie eingebracht
wurde, mit dem Herr Clement aufgefordert wurde, in
Brüssel für die paritätische Mitbestimmung in deutschen
Aufsichtsräten zu kämpfen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Gut so!)







(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle

Er konnte und wollte sich nicht durchsetzen. Am deut-
schen Mitbestimmungswesen wird Europa eben nicht
genesen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen etwas tun. Ansonsten nimmt die Zahl der
Firmensitze in Deutschland ab. Wir wissen doch aus Er-
fahrung, dass in den Firmenzentralen entschieden wird,
wo am Schluss die Zahl der Arbeitsplätze vermindert
wird.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wenn wir die Kommandozentralen aus Deutschland ver-
treiben, werden wir unserem Standort nichts Gutes tun.
Sie müssen in Deutschland gehalten werden.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Eines wird in dieser Debatte völlig übersehen: Bush
ist in Deutschland zwar nicht sehr populär. Viele lehnen
ihn ab, begründet oder unbegründet. Er ist aber dabei, in
den USA etwas fundamental Neues auf den Weg zu brin-
gen. Dies ist auch ein Schlüsselbegriff seiner Kampagne.
Die Ownership Society, die Eigentümergesellschaft,
wird – ähnlich wie bei Ronald Reagan – einen weiteren
Effizienz- und Produktivitätssprung der amerikanischen
Wirtschaft auslösen. Die USA haben schon heute einen
volkswirtschaftlichen Produktivitätsvorsprung von etwa
30 Prozent. Ganz simpel gesprochen: 1 000 Personen
produzieren in zehn Stunden bei gleicher Maschinenzahl
30 Prozent mehr Autos. Das Gap, der Abstand, ist in der
Tendenz eher steigend. Diese Umstrukturierung, die ich
für Deutschland so nicht empfehle, etwa die Privatisie-
rung der sozialen Sicherungssysteme, wird die USA be-
züglich der Wettbewerbselastizitäten weiter nachhaltig
stärken.

Neben dem zu geringen Wachstumspotenzial ist die
mangelnde Elastizität, die mangelnde Anpassungsfähig-
keit unserer deutschen Volkswirtschaft, bei externen Ver-
änderungen unsere zweite Schwäche. Sie ist in Bezug
auf die vielen Risiken zu schwach.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515104200

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1515104300

Deshalb sind wir anfällig, wenn es draußen entspre-

chende Veränderungen gibt. – Herr Lammert, das war
der letzte Satz.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind am Ende, Herr Brüderle!)


– Ich bin noch lange nicht am Ende, aber Ihre Zwischen-
rufe zeigen: Ihnen fällt nichts ein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515104400

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/

Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515104500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man für die Wirtschaft in Deutschland und damit
für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etwas Gutes tun
will, dann muss man offen und klar über die Stärken in
Deutschland reden; man muss aber ebenso offen und
klar über die Schwächen reden. Das habe ich bisher in
der Debatte vermisst. Sie verharren in den Ihnen zuge-
wiesenen Rollen. Frau Wöhrl muss sagen, dass es
schlecht sei; Herr Brüderle hat ein paar ordnungspoliti-
sche Bedenken vorgetragen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt! Kollegin Wöhrl hat gesagt: Rot-Grün ist schlecht! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Gehen Sie doch auf meine Rede ein!)


– Was Sie über Deutschland und Österreich gesagt ha-
ben, darf man ja in Bayern nicht laut sagen,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist die Realität!)


wenn ich mir die Probleme der bayerischen Wirtschaft
anschaue.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wir schauen den Tatsachen ins Auge!)


So meine ich das.
Ich will jetzt einen Überblick darüber geben, was ei-

gentlich los ist.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Glänzen Sie doch einmal als leuchtendes Beispiel!)

Wenn Sie sich einmal die Entwicklung des letzten Jahres
und die Prognose für 2005 anschauen, dann sehen Sie,
dass die Reformen in Deutschland anziehen. Vor allem
das Ausland erkennt an, dass sich dieses Land bewegt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch alles Wunschdenken!)


Daran können Sie auch mit all Ihrem Schlechtreden
nicht rütteln: Im Ausland erkennt man an: Deutschland
reformiert sich Schritt für Schritt. Nicht alles schaffen
wir sofort, aber der Wille und die Konzepte sind da und
die Richtung stimmt.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ist denn mit den Arbeitslosen?)


Dies wird positiv bewertet.
Schauen Sie sich doch die ökonomischen Indikatoren

an. Wir haben Waren und Dienstleistungen im Wert von
731 Milliarden Euro aus Deutschland exportiert.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: 6 Millionen ohne Beschäftigung!)


Damit sind alle Vorleistungsanteile ausgeglichen. Die
These der Basar-Ökonomie ist ja albern. Wir sind also






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

im Export erfolgreich. Die Lohnstückkosten in Deutsch-
land sind in den letzten Jahren fast konstant geblieben;
seit 1995 sind sie nur um 2 Prozent gestiegen, während
sie im EU-Durchschnitt um 10 Prozent gestiegen sind.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Warum haben wir so viele Arbeitslose? Reden Sie doch einmal von den Arbeitslosen!)


Diese Indikatoren zeigen doch, dass es auf der einen
Seite eine maßvolle Lohnentwicklung und auf der ande-
ren Seite eine gute Steigerung der Produktivität gegeben
hat. Denn anderenfalls wären solche Lohnstückkosten
nicht zustande gekommen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie sollten einmal darüber reden, wie die Leute Arbeit kriegen!)


Frau Wöhrl, solche Entwicklungen sollten Sie einfach
anerkennen, wenn Sie vernünftig und richtig über die
Bundesrepublik Deutschland und ihre wirtschaftliche
Fähigkeit sprechen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will Ihnen einmal drei Beispiele für die Alternati-
ven, die die Union in dieser Reformwerkstatt Bundesre-
publik Deutschland fabriziert, nennen, Beispiele, bei de-
nen ich der Meinung bin: Sie sollten noch einmal in sich
gehen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zu den Arbeitslosen! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wir kriegen immer mehr Arbeitslose!)


Erstens. Sie brüten über ein halbes Jahr – und lang-
weilen damit die deutsche Öffentlichkeit – darüber, wie
zum Zweck der weiteren Senkung der Lohnnebenkosten
die Krankenversicherung reformiert werden soll. Alle,
auch Sie selber in den eigenen Reihen, gestehen ein:
Das, was bei den merkelschen Kopfpauschalen heraus-
gekommen ist, ist nichts anderes als ein Murks. Alle,
auch Leute von Ihnen, Vertreter der Wirtschaftsver-
bände, sagen: Selbstverständlich werden wir diesen
Merkel- und Stoiber-Murks nicht unterstützen, weil er
keinen Fortschritt hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit
der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung dar-
stellt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber Ihre Bürgerversicherung lehnen wir erst recht ab!)


Das, was der erste Meilenstein beim Reformpaket der
Union sein sollte, stellt sich als Murks bei der weiteren
Reform der sozialen Sicherungssysteme heraus.

Ferner haben Sie steuerpolitische Vorschläge ge-
macht. Da bin ich gespannt, wie Sie von denen wieder
herunterkommen wollen. Gestern, am 19. Januar, gab es
dazu eine Anhörung des Finanzausschusses. Ich will Ih-
nen vortragen, wie von den Professoren Rürup,


(Zuruf von der CDU/CSU: Rürup war gar nicht da!)

Wiegard und Christoph Spengel vom ZEW in Mann-
heim die Vorschläge von Union und FDP bewertet wor-
den sind.


(Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Danach können wir sehen, ob Sie, Herr Michelbach,
noch in der Lage sind, eine Zwischenfrage zu stellen.

Sie von der Union haben im Wesentlichen eine Ein-
kommensteuerreform vorgeschlagen, in der Sie die Steu-
ersätze weiter senken wollen. Dazu sagen die Sachver-
ständigen – ich darf zitieren –:

Gemessen am internationalen Niveau besteht aus
deutscher Sicht derzeit jedoch keine Notwendigkeit
zur Senkung der Einkommensteuersätze. Seit dem
1. Januar 2005 gelten die niedrigsten Werte seit Be-
stehen der Bundesrepublik.

Die Professoren führen weiter aus:

(42 Prozent)


(15 Prozent) liegt sogar um über fünf Prozent-

punkte unter dem europäischen Durchschnittswert.

Zu den körperschaftsteuerpflichtigen Betrieben heißt es:
Die tarifliche Steuerbelastung von Kapitalgesell-
schaften würde nach den Vorstellungen beider Par-
teien

– gemeint sind Union und FDP –
steigen.

Mein Fazit dieser Bewertung lautet: Sie legen ein
Einkommensteuerpaket vor, das überflüssig ist und uns
die Mittel für Investitionen, zum Beispiel in Forschung
und Bildung, raubt. Bei den Unternehmensteuern tendie-
ren Sie zu einer zusätzlichen Steuerbelastung.


(Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein Volltreffer im Re-
formpaket der Reformwerkstatt Union. Offensichtlich
schaden Sie durch Ihre Steuerpolitik dem Standort
Deutschland. Deswegen sollten Sie ganz leise, ruhig und
vorsichtig sein, wenn Sie die Steuerpolitik, die die Bun-
desregierung in den letzten Jahren betrieben hat, angrei-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515104600

Herr Kollege Kuhn!

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515104700

Nein, ich möchte weitermachen.
Der dritte Punkt. Offensichtlich haben Sie nicht ver-

standen, wie man in Deutschland Innovationen schafft.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das muss richtig gestellt werden! Sie waren nämlich nicht anwesend!)







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

– Ihnen steht noch Redezeit zu. All Ihre neuen Sprecher
können reden. –


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Innovation erreichen wir nur dann, wenn wir in Deutsch-
land mehr für Forschung, Bildung, Schule, Ausbildung
und Weiterbildung tun. Das ist der Kernpunkt der ge-
samten Innovationsdebatte. Alle Vorschläge, die wir ge-
macht haben, damit in diesem Bereich mehr geschieht,
werden von der Union blockiert, weil Sie die Finanzie-
rungsinstrumente, die wir vorsehen – zum Beispiel den
Abbau von Subventionen wie der Eigenheimzulage –,
nicht mittragen; denn Sie brauchen sie, um Ihren absur-
den Vorschlag, die Einkommensteuersätze zu senken,
umzusetzen.

Durch Ihre Steuerpolitik verhindern Sie Innovationen,
weil Sie Forschung, Bildung und Forschungsdienstleis-
tungen in Deutschland nicht stärken wollen und nicht
stärken können. Die Vorschläge, die Sie gemacht haben,
sind innovationsfeindlich. Das müssen Sie sich anhören,
wenn Sie hier so locker und fröhlich über den Standort
Bundesrepublik reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie sagen, wir sollen uns nicht weiter verschulden.
Das ist richtig und das wollen wir auch nicht tun. Aber
die Finanzierung der Vorschläge, die Sie zur Steuerpoli-
tik gemacht haben, ist in einer Größenordnung von min-
destens 10 Milliarden Euro nicht gedeckt. Die Steuerpo-
litik von Union und FDP würde dazu führen, dass die
Bundesrepublik Deutschland zusätzliche Schulden ma-
chen müsste. Sie müssen es sich leider gefallen lassen,
dass mein Fazit lautet: Sie haben keine stimmige Kon-
zeption zur Reform der Bundesrepublik Deutschland.

Es ist wirklich leichter, in der Opposition Konzepte
zu erarbeiten, als sie in der Regierung umzusetzen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Machen Sie lieber erst mal Konzepte! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dann treten Sie doch zurück!)


Ich glaube, das ist eine Binsenweisheit, die sowohl für
die Länder als auch für den Bund gilt. Aber man muss
sich von der Öffentlichkeit fragen lassen – diese Frage
wird auch gestellt –: Wenn die Reformvorschläge, die
die Union, wenn sie in der Opposition ist, produziert, nur
Murks sind, wie es zum Beispiel bei den Kopfpauscha-
len und in der Steuerpolitik der Fall ist, was wird dieses
Land erst erwarten dürfen, wenn Sie im Jahr 2006, was
Gott verhindern möge, wieder an die Regierung kom-
men?

Die Bevölkerung in Deutschland merkt das. Sie hat
verstanden, was es bedeutet, dass Frau Merkel das Per-
sonal wegläuft. Ihre kompetenten Leute, die etwas von
Wirtschaftspolitik verstehen, wollen diesen Murks nicht
mehr nach außen repräsentieren. Sie verziehen sich lie-
ber in Steuer- bzw. Rechtsanwaltskanzleien. Jetzt müs-
sen Sie Herrn Kauder schon fünfmal einsetzen, um Ihre
Personalvorschläge überhaupt noch politisch realisieren
zu können. Genau das ist der Punkt, an dem es bei Ihnen
hakt. Sie haben für die Bundesrepublik Deutschland
keine Konzepte. Ich glaube, diesen Eindruck hat auch
die Bevölkerung.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515104800

Herr Kollege Kuhn, würden Sie nun eine Zwischen-

frage des Kollegen Brüderle gestatten?


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515104900

Nein, ich will weitermachen


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


– ich habe noch eine Minute Redezeit –; denn ich habe,
was die Zwischenfragen von Herrn Brüderle betrifft, die
Erfahrung gemacht, dass sie nicht als ernste Fragen, son-
dern als Polemik gemeint sind. Deswegen will ich mir
diese Zeit sparen.


(Dirk Niebel [FDP]: Herr Kuhn, jetzt verschwenden Sie Ihre gute Redezeit für Ihre eigene Polemik!)


Ich will noch einen Punkt ansprechen, der uns Grünen
wichtig ist:


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Herr Minister Clement, wir betrachten die Reformen, die
wir durchgeführt haben, vor allem für die Arbeitsmarkt-
politik als entscheidend. Aber die Reformwerkstatt
Bundesrepublik Deutschland darf nicht aufhören, wei-
ter zu reformieren. Das trifft natürlich für die gesetzliche
Krankenversicherung zu; das ist innerhalb der Koalition
Konsens. Wir brauchen ferner eine Reform der Pflege-
versicherung. Da steht die Union auf der Bremse und
blockiert, weswegen es schwierig ist, da weiterzukom-
men. Und wir müssen beim Bürokratieabbau vorankom-
men. Ich will ganz deutlich sagen, dass ich das Vorge-
hen, jetzt Vorschläge einzusammeln und sie nach
Schwerpunkten abzuarbeiten, für richtig halte.


(Gudrun Kopp [FDP]: Schwerpunkte! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nach sieben Jahren!)


Wir müssen weitere Bürokratieabbauinitiativen unter-
nehmen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was haben Sie bisher gemacht? – Gudrun Kopp [FDP]: Sie kommen doch gar nicht weiter!)


Dazu gehört auch eine Steuerreform, bei der es nicht um
die Senkung der Steuertarife geht, sondern bei der die
systematische Vereinfachung unseres Steuerrechts in den
Vordergrund rückt. Die Betriebe klagen über Bürokratie,
weil sie ganz stark unter unserem zu komplizierten Steu-
errecht leiden und unter der Notwendigkeit, Firmenge-
staltungen zum Teil im Hinblick auf das Steuerrecht vor-
zunehmen statt nach ökonomischer Vernunft.

Ich sage Ihnen klar: Wir müssen bei den Innovationen
vorankommen. Die Finanzierung innovativer Betriebe,
insbesondere über Venturecapital, ist in Deutschland im






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

internationalen Vergleich noch nicht konkurrenzfähig.
Das ist ein unangenehmes Thema, es ist ein schwieriges
Thema. Wir haben jetzt Erfolge erzielt: Über die Dach-
fonds hat sich ein bisschen was bewegt, aber in der
Summe sind wir – wie gestern im „Handelsblatt“ nach-
zulesen war – an der Stelle noch nicht so weit, wie wir
sein müssten.

Deswegen heißt unsere Botschaft – damit komme ich
zum Schluss –: Wir sind auf einem guten Weg bei den
Reformen. Die Menschen draußen spüren das. Die Wirt-
schaft spürt das: Die Stimmung ist wieder positiver.
Aber wir sind nicht am Ende.


(Dirk Niebel [FDP]: Natürlich sind Sie am Ende!)


Wir müssen und wir werden weiterreformieren, ganz
egal ob die Union blockiert oder nicht. Wir werden kon-
sequent – auch ordnungspolitisch – den Weg für eine
bessere Wirtschaftsordnung und mehr Arbeitsplätze in
Deutschland gehen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515105000

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege

Michelbach das Wort.

Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1515105100

Herr Kollege Kuhn! Sie haben hier ein falsches Zitat

verwandt. Die Professoren Wiegard, Spengel und Rürup
waren gestern bei der Sachverständigenanhörung gar
nicht anwesend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie manipulieren damit eine Sachverständigenanhörung
des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages. Tat-
sache ist: Die Steuerreformvorschläge der CDU/CSU
wurden von den anwesenden Professoren Kirchhof,
Eekhoff, Arndt und Bareis als Schritt in die richtige
Richtung ausdrücklich gelobt und als positiv angesehen.


(Dirk Niebel [FDP]: Wo war denn Herr Kuhn bei der Anhörung?)


Damit ist der Nachweis erbracht, dass eine Steuerreform,
wie sie CDU und CSU vorschlagen, notwendig und drin-
gend ist. Wir benötigen die volkswirtschaftlichen Vor-
teile, die Effizienzgewinne einer Vereinfachung des
Steuerrechts für den Standort Deutschland. Die Finan-
zierung kann letzten Endes geleistet werden, weil die
Mittel dafür durch die Konjunkturbelebung und die
Wachstumseffizienz, die mit dieser Vereinfachung ein-
hergehen, frei werden. Reformstillstand und Manipula-
tion sollten wir uns in diesem Land in einer solch wichti-
gen Frage nicht leisten, Herr Kollege Kuhn. Ein
Reformstillstand in der Steuerpolitik durch Herrn Eichel
bis 2008 wäre das Schlimmste, was dem Wirtschafts-
standort passieren könnte. Gehen Sie deshalb mit uns ge-
meinsam mit dem Konzept 21 in die Offensive!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515105200

Herr Kollege Runde, Zwischenfragen bei Kurzinter-

ventionen gibt es nicht. Aber es gibt die Möglichkeit der
direkten Erwiderung durch den Angesprochenen. Herr
Kollege Kuhn, bitte schön.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515105300

Wir können es ganz kurz machen: Lieber Herr

Michelbach, ich habe sauber und präzise aus einer Stel-
lungnahme der drei genannten Professoren anlässlich der
Anhörung zitiert; der schriftliche Text liegt ja vor, er lag
Ihnen auch gestern als Material zur Anhörung vor.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nein, hat nicht vorgelegen!)


– Ich habe ihn doch nicht vom Christkind geschenkt be-
kommen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Den haben Sie vielleicht bestellt!)


Der Text lag anlässlich der Anhörung vor und daraus
habe ich vorgelesen. Es ist ein öffentliches Dokument;


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das haben Sie bestellt! Alles SPD-Mitglieder!)


wir können es Ihnen auch kopieren, falls Sie keine Ko-
pierer in der Fraktion haben; darüber brauchen wir nicht
zu streiten.

Ich wollte die Auffassung dieser Professoren, die Sie
gerne zitieren, wenn es für Sie günstig ist, hier kundtun.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben von der Sachverständigenanhörung geredet! Sie waren doch gar nicht anwesend!)


Sie haben klar und einfach gesagt – jetzt hören Sie doch
einmal zu, Herr Michelbach –, wie unsere Position aus-
sieht: Das Volumen der Steuertarifsenkung beträgt seit
1998 insgesamt 60 Milliarden Euro. Im internationalen
Vergleich betrachtet, gibt es bei der Einkommensteuer
keinen Bedarf für weitere Steuersenkungen. Es gibt si-
cher einen Reformbedarf bei der Unternehmensteuer.
Deswegen verfolgen wir auch in unseren Reihen die Dis-
kussion über die Möglichkeit eines dualen Steuersys-
tems, wie es im Finanzministerium ebenfalls beraten und
erarbeitet wird, sehr aufmerksam; das ist doch logisch.

Man hat Ihnen nachgewiesen: Das, was Sie vorgelegt
haben, ist ein überflüssiges Konzept für eine Einkom-
mensteuerreform. Das betrifft nicht die Vereinfachung,
die nicht überflüssig ist. Sie sind mit Ihrem Konzept aber
auf dem Bauch gelandet und haben es nicht richtig vo-
rangebracht. Deswegen wird diesem Steuerkonzept in
der politischen Auseinandersetzung der nächsten Mo-
nate keine Strahlkraft innewohnen. Es tut mir Leid für
Sie, dass es so ist.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)


– Gut, wir wollen ehrlich bleiben: Arg Leid tut es mir
nicht. – Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass
Sie mit dem Konzept durchgefallen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515105400

Ich erteile nun dem Kollegen Johannes Singhammer,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wird auch nicht besser!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1515105500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Minister Clement, bei 4,5 Millionen offiziell
gemeldeten Arbeitslosen und mindestens 6 Millionen
Menschen ohne Beschäftigung muss sich in Deutschland
etwas ändern. Deutschlands Wirtschaft wird abgehängt,
während in anderen Ländern erfreuliche Wachstumsra-
ten zu verzeichnen sind. Zu Recht kommentiert der
Chefökonom des Ifo-Instituts:

Obwohl der Rest der Welt wächst wie seit einem
Vierteljahrhundert nicht mehr, kommt Deutschland
nicht voran.

Wir reden Deutschland nicht schlecht, Sie reden die Ar-
beitslosenzahlen aber schön. Das ist das Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier wird immer die Exportkraft der deutschen

Wirtschaft angeführt. Wir sind stolz, dass es so ist. Die
Aussagekraft der Statistik bezogen auf den Export hat
aber abgenommen. Herr Kuhn, ich nenne Ihnen ein ganz
einfaches Beispiel, falls Sie es noch nicht kennen: Der
Porsche Cayenne – ein schönes Auto – wird in Leipzig
hergestellt. Die Vorfertigung geschieht in der Slowakei.
Dieses Auto mit einem gewissen Wert wird exportiert
und erscheint in der Exportstatistik. Die tatsächliche
Wertschöpfung in Deutschland – in Leipzig – beträgt nur
15 Prozent des Wertes. Das ist doch das Problem. Wenn
Sie auf die Exportstatistik abstellen, dann müssen Sie
doch auch die andere Seite der Medaille kennen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf dem Weg der Deindustrialisierung Deutschlands

sind Sie leider ein gutes Stück vorangekommen. Ich
nenne zwei Bereiche:

Die Pharmaindustrie. Deutschland war einst die Apo-
theke der Welt, heute ist es ein Filialunternehmen, in
dem zwar verkauft, aber immer weniger produziert wird.
In den letzten 14 Jahren ist in unserem Land die Zahl der
Beschäftigten nur in dieser Branche um 5 Prozent zu-
rückgegangen, während die Zahl der Beschäftigten in
diesem Bereich in den Vereinigten Staaten im gleichen
Zeitraum um 10 Prozent gewachsen ist. Das zeigt das
Problem.

Die Wehrtechnik. Sie ist durch die Demontage des
Rüstungshaushaltes nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Ich sage an dieser Stelle: Ohne Industrie geht es nicht
und ohne eine breite industrielle Basis gibt es auch kei-
nen starken Dienstleistungsstandort. Hinzu kommt: Mit
Dienstleistungen wird auf dem Weltmarkt eine bei wei-
tem nicht so hohe Wertschöpfung erzielt wie mit indus-
trieller Produktion. Deutschland war traditionell das
Land der Ingenieure und Innovationen und bleibt es
auch. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, ist
Deutschland nach wie vor besser als viele andere.

Um aus der Misere herauszukommen, brauchen wir
täglich statt eines Verlusts von tausend sozialversiche-
rungspflichtigen Vollarbeitsplätzen tausend Arbeits-
plätze mehr. Wir brauchen einen Wachstumsschub. Die
zukunftssichersten Arbeitsplätze gibt es meist im indus-
triellen und im hochtechnologischen Bereich. Nur die
Technologieführerschaft sichert Wirtschaftlichkeit und
damit das langfristige Überleben im globalen Wettbe-
werb.

Ich sage es auch hier noch einmal: Deutschland muss
um so viel besser sein, als unsere Produkte oft teurer
sind. Das trifft vor allem auch für die wirtschaftlich et-
was schwächeren Regionen in unserem Land zu.

Notwendig ist ein neues Denken in Wertschöpfungs-
ketten zwischen Forschung, Entwicklung und Produk-
tion. Ganz entscheidend ist auch die enge örtliche Nach-
barschaft, die Vernetzung zwischen Hochschulen,
Unternehmen, Zulieferern und Entwicklern. Das neu-
deutsche Wort dafür ist Clusterbildung.

Einige Bundesländer haben erfolgreich vorgemacht,
wie es funktioniert. Ich nenne einmal Bayern – das wird
Sie nicht wundern, aber ich darf es trotzdem sagen – und
seine Neutronenquelle. Die Neutronenquelle in Gar-
ching ist gegen heftigsten Widerstand durchgesetzt wor-
den. Dieses Spitzeninstitut der Forschung zieht jetzt an-
dere Entwicklungsunternehmen an. Heute ist mehrfach
General Electric genannt worden, das sich mit einem
Entwicklungszentrum in der Nähe von Garching ange-
siedelt hat. Die Grünen haben vorhin in der Debatte da-
rauf hingewiesen, dass sie dorthin eingeladen worden
seien und wie wunderbar es gewesen sei. Das ist schön
für sie. Glauben Sie denn wirklich, dass General Electric
nach Garching gezogen ist, weil der Herr Trittin in
Deutschland Umweltminister ist? Die Firma ist deswe-
gen nach Garching gezogen, weil dort die Neutronen-
quelle gebaut worden ist und sie diese räumliche Nähe
wollte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer weiß!)


Sachsens Zentrum für Mikrochips bei Dresden ist ein
anderes glänzendes Beispiel. Auch viele andere Bundes-
länder haben es vorgemacht. Aber Deutschland als Gan-
zes fehlt dieser Masterplan, wo was mit Aussicht auf
Erfolg angesiedelt werden kann. Was sind die Schlüssel-
technologien dieses 21. Jahrhunderts? Welche adminis-
trativen Hemmnisse stören uns? Wo muss sich die Bun-
desregierung im Interesse Deutschlands in der EU
durchsetzen? Ich nenne einmal das Beispiel REACH-
Programm. Das ist für die chemische Industrie wichtig.
Wo ist der zentrale Standort der Chemieindustrie in Eu-
ropa? Er ist in Deutschland. Deshalb trifft diese Richtli-
nie und ihre Wirkungen kein anderes Land mehr als
Deutschland. Wir erwarten von der Bundesregierung,
dass sie diesen Gesichtspunkt nicht nur erkennt, sondern
auch Gegenmaßnahmen ergreift.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich, um keine

Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir wollen
keine staatliche Industriepolitik; denn Deutschland pro-
fitiert vom freien Welthandel und von international un-
gehindert fließenden Investitionsströmen. Wir wollen
keinen neuen Protektionismus. Nun wird aber in der
SPD über die Errichtung einer eigenen staatlichen Agen-
tur zur Unterstützung der Industrie nachgedacht. Ich
habe gestern in einer dpa-Meldung gelesen, dass der
saarländische SPD-Chef Heiko Maas erklärt hat, er halte
es für richtig, eine eigene Stelle zu schaffen, die aller-
dings wegen der Haushaltslage nicht mit einer allzu üp-
pigen Förderung rechnen könne. Mit Letzterem hat er
Recht, mit dem Ersteren befindet er sich auf dem Irrweg.

Wir brauchen keine neue Bürokratie. Wir brauchen
keine neue Behörde für nationale Industriepolitik – Herr
Kollege Brandner, jetzt hören Sie gut zu; Sie haben ja
vorhin behauptet, in unserer Argumentation sei ein Wi-
derspruch –,


(Klaus Brandner [SPD]: Ist er auch!)

sondern wir brauchen eine Bundesregierung, Herr Mi-
nister Clement, die auch gegenüber unseren Partnern
und Freunden nationale deutsche Industrieinteressen
vertritt. Ich nenne hier nur die Stichworte Sanofi,
Aventis, Siemens und Alstom. Ich frage die Bundesre-
gierung: Was ist, wenn in anderen europäischen Staaten
die Grundsätze staatlicher Nichteinmischung verletzt
und nationale Champions mit einem klaren politischen
Regierungskonzept auf europäischer Ebene gezielt ge-
fördert werden? Was ist, wenn sich ausländische Kon-
zerne in Deutschland am Markt beteiligen, die selbst von
ihren eigenen staatlichen Regierungen gefördert und ge-
lenkt werden?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wissen, dass es hier eine ganze Reihe solcher Fir-

men gibt. Ich nenne auch einen Namen, zum Beispiel
EnBW. Der französische Energiemarkt im Strombereich
ist anderen Unternehmen weitgehend nicht zugänglich.
Auf der anderen Seite ist der deutsche Markt offen. Es
genügt nicht, wenn die Bundesregierung, Herr Minister,
hinter vorgehaltener Hand kritische Worte flüstert. Es
genügt auch nicht, wenn Gespräche mit der französi-
schen Regierung angekündigt, aber konkrete Ergebnisse
nirgendwo sichtbar werden. Es liegt nicht im deutschen
Interesse, wenn folgender Trend an Fahrt gewinnt: Un-
ternehmenszentralen in Paris, Filialen in Berlin.

Der Chef des Ifo-Instituts, Professor Sinn, schreibt
zutreffend:

Wo die Unternehmenszentralen sind, entstehen
auch hochwertige und gut bezahlte Jobs, es bilden
sich qualifizierte Dienstleistungsunternehmen he-
raus. Solche Zentralen sind auch im Sponsoring für
kulturelle und soziale Zwecke tätig.

Wo glauben Sie, Herr Minister, werden im Zweifelsfall
die Arbeitsplätze zuerst eingespart, in der Filiale oder in
der Zentrale?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es!)

Airbus und EADS: Vor zwei Tagen ist der europäi-
sche Supervogel A380 zum ersten Mal aus der Produk-
tionshalle in Toulouse gerollt. Das war ein Quanten-
sprung in der Entwicklung von modernem Fluggerät. Es
war Franz Josef Strauß, der 1968 mit anderen Partnern
den Airbus auf diesen erfolgreichen Weg gesetzt hat.
Das war richtig und erfolgreich.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Erfolg von Airbus wird heute nicht durch man-
gelnde technologische oder Marketingfähigkeiten aufge-
halten; zunehmend erweist sich als Störfaktor, dass die
deutsch-französische Balance in der Unternehmensfüh-
rung systematisch gekippt werden soll. Wenn Sie uns
nicht glauben, dann hören Sie wenigstens auf die Vertre-
ter des Gesamtbetriebsrats. Frau Ingrid Lüllmann hat ge-
sagt, die Belegschaft befürchte, von den Franzosen
dominiert zu werden, und in Deutschland fehle es an in-
dustriepolitischer Sorgfalt.


(Jörg Tauss [SPD]: Was jetzt? Nicht zu fassen!)


Das ist der Punkt.
Wenn sich eine uns in Freundschaft verbundene Part-

nerregierung sehr massiv einbringt, dann hilft Leisetrete-
rei nicht, um auch nur einen einzigen deutschen Arbeits-
platz zu sichern.


(Jörg Tauss [SPD]: Für und gegen, immer alles gleichzeitig!)


Deutschlands Zukunft besteht nicht darin, Vertriebsorga-
nisationen und Filialen ohne eigene Produktion und ohne
eigene Konzernzentralen zu beherbergen. Deshalb er-
warten wir von der Bundesregierung, unfaire und wett-
bewerbsschädigende Attacken zu verhindern und strate-
gische deutsche Interessen mit dem Ziel einzubringen,
Vorsprung durch Technologieführung zu erreichen.

Der Flugzeugbauer in der Montagehalle bei Airbus
und der Chemiefacharbeiter bei Sanofi – früher Hoechst
in Frankfurt – erwarten, dass sich die Bundesregierung
für die deutschen Arbeitsplätze genauso einsetzt wie die
französische Regierung für die Arbeitsplätze in Frank-
reich – nicht mehr, aber auch nicht weniger.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515105600

Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister

für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, das Wort.

(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: „Ich kündige an!“)


Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe mich bisher gefragt, warum die De-
batte jetzt auf der Basis dieses Antrags stattfindet.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Damit Sie wieder mal was ankündigen können!)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

Ich bin vorhin von einer Kollegin gefragt worden: Wo-
rüber diskutieren Sie eigentlich gleich? Ich habe gesagt:
Ich kann das an diesem Antrag auch nicht erkennen. Es
fällt mir wirklich schwer.


(Beifall bei der SPD)

Aber jetzt, nachdem Herr Kollege Singhammer gespro-
chen hat, habe ich es begriffen. Es muss gelingen, den
Airbus A380 oder anderes in irgendeiner Weise auf
Franz Josef Strauß zurückzuführen. Das ist Ihnen in
meisterhafter Weise gelungen. Niemand hat bemerkt,
dass dieser wirklich gepflegte Übergang von der damali-
gen auf die gegenwärtige europäische Industriepolitik
auf Franz Josef Strauß zurückzuführen ist.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Konzentrieren Sie sich einmal auf Ihre Wirtschaftspolitik!)


Das war wirklich mustergültig und bewunderungswür-
dig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, enthält
nichts, was die Bundesregierung nicht täte oder nicht
schon getan hat.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur angekündigt!)


Er enthält aber einiges, was frühere Bundesregierungen
hätten tun sollen.


(Beifall bei der SPD)

Ich lese beispielsweise in Ihrem Antrag, wir sollten
„Forschung und Wissenschaft deutlich … verstärken“.
Ich muss Ihnen sagen: Hätten Sie das mal früher getan.


(Beifall bei der SPD)

Vorhin in der Debatte hat Herr Kollege Riesenhuber ge-
sprochen. Sie hätten sich doch erinnern können, was in
seiner Zeit und auch noch in der seines Nachfolgers in
Sachen Forschung und Wissenschaft geschehen ist.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Mehr als bei Ihnen!)


Sie fordern auch, technologisch wichtige Branchen, bei-
spielsweise die Rüstungswirtschaft, vor Eingriffen „an-
derer Regierungen zu Lasten der deutschen Interessen
am Erhalt technologischer Kompetenz …“ zu schützen.
Wir waren es, die ein Gesetz eingebracht – nicht mit Ih-
rer Unterstützung und auch nicht auf Ihre Initiative hin –
und dafür gesorgt haben, dass in Zukunft Unternehmen,
die in Deutschland Rüstungsgüter produzieren, nicht
ohne Genehmigung der Bundesregierung übernommen
werden können.

Ich wüsste ganz gerne, was Sie eigentlich mit dem
Antrag bezwecken. Einen Passus haben wir schon vor-
hin gehört. Er ist grammatisch nicht ganz in Ordnung,
aber das – das unterstelle ich einmal – ist ein Druckfeh-
ler.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Herr Oberlehrer!)


Dann aber lese ich, wir sollten „den kausalen Zusam-
menhang zwischen der technologischen Kompetenz …
und dem Erhalt und Aufbau von Arbeitsplätzen … ak-
zeptieren“. Was Sie einem damit zumuten, ist doch
Klippschule.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Des Weiteren fordern Sie allen Ernstes, die Bundesre-
gierung solle deutschen Unternehmen mehr Hilfestel-
lung bei internationalen Aktivitäten leisten. Der Export-
erfolg der deutschen Wirtschaft ist doch nicht völlig
ohne unsere Mitwirkung zustande gekommen. Irgend-
wann müssten Sie zu der Erkenntnis kommen, dass alles
auf Ursachen zurückzuführen ist, an denen diese Bun-
desregierung in irgendeiner Form positiv mitgewirkt ha-
ben könnte.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Bei den Arbeitslosenzahlen!)


Sie müssen uns ja nicht gleich loben.
Herr Brüderle, Sie haben vorhin, glaube ich, von ei-

nem „geliehenen Aufschwung“ gesprochen und damit
wohl gemeint, dass die Exportwirtschaft die deutsche
Wirtschaft bestimmt. Sie stellt doch das Zentrum der
deutschen Wirtschaft dar. Was ist in diesem Zusammen-
hang geliehen? Es sind deutsche Unternehmen, die diese
Exportkraft haben, deutsche Technologen, deutsche Ar-
beitnehmer und deutsche Ingenieure. Was wollen Sie
mehr, als dass diese die weltweit stärkste Exportwirt-
schaft in der Geschichte der Bundesrepublik stellen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Dazu haben Sie doch keinen Beitrag geleistet! Wo haben Sie denn einen Beitrag geleistet?)


Zudem ist die stärkste Zunahme der deutschen Export-
kraft zu verzeichnen. Sie aber bezeichnen den Auf-
schwung als geliehen. Was ist das für ein verschrobenes
Bild, das Sie verbreiten? Das ist doch Unsinn.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es trifft zu, was der Kollege Kuhn vorhin ausgeführt

hat. Solche Debatten machen relativ wenig Sinn. Das
sind nur Rituale.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, was Sie jetzt weiter tun!)


Wir befinden uns in Deutschland in einem Prozess der
Veränderung. Sie müssen zur Kenntnis nehmen – wenn
Sie das nicht tun, werden Sie den Anschluss verpassen –,
dass der wissenschaftliche Sachverstand auf internatio-
naler Ebene – darauf hat der Kollege Kuhn hingewie-
sen – und auch in Deutschland den von uns verfolgten
Kurs zugunsten von Wachstum und Innovation als prin-
zipiell richtig bestätigt. Wir sind zwar noch lange nicht
am Ziel, aber ich erinnere in diesem Zusammenhang da-
ran, dass wir im vergangenen Jahr ein Wachstum von






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

1,7 Prozent erzielt haben. Ich muss fast sagen: Sie haben
das wohl nicht gewollt.


(Gudrun Kopp [FDP]: Nun werden Sie mal nicht so polemisch!)


Als wir in unserer Projektion von 1,8 Prozent ausgegan-
gen sind, haben Sie versucht, mich lächerlich zu ma-
chen. Sie haben mich als Berufsoptimist bezeichnet und
davon gesprochen, dass ich blauäugig sei und alles nur
schönrede.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber die Beschäftigungsschwelle haben Sie immer noch nicht erreicht!)


Es muss verdammt schwer für Sie sein, dass es Deutsch-
land besser geht und dass wir auf einem vernünftigen
und guten Weg sind, den wir auch weiter beschreiten
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515105700

Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Brüderle eine

Zwischenfrage stellen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Selbstverständlich darf er das.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zur Arbeitslosigkeit!)

– Selbstverständlich werde ich das auch tun. Vor allen
Dingen werde ich etwas zum Bürokratieabbau sagen.
Wenn ich bedenke, was Sie uns im Vermittlungsverfah-
ren zu Hartz IV an zusätzlicher Bürokratie aufgebürdet
haben –


(Zuruf von der SPD: Das ist alles vergessen!)

die wir, die Bundesagentur, die Kommunen und viele an-
dere zurzeit abarbeiten müssen –, dann muss ich Ihnen
entgegenhalten: Das war zwar kein Beitrag zum Büro-
kratieabbau, aber wir schaffen es trotzdem.

Herr Kollege Brüderle.


Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1515105800

Herr Minister, um Ihnen den Begriff „geliehener Auf-

schwung“ zu erläutern, frage ich Sie, ob Sie mir zustim-
men, dass die Produkte, die wir im Binnenmarkt anbie-
ten, von genauso tüchtigen deutschen Arbeitnehmern
und begabten Ingenieuren hergestellt werden wie die Ex-
portgüter, dass aber in Deutschland nicht entsprechend
mehr verkauft wird, weil die Rahmenbedingungen nicht
stimmen. Die Binnennachfrage macht 60 Prozent des
Sozialprodukts aus. Wir müssen zu einem intakten Bin-
nenmarkt kommen. Das ist die Begründung für das, was
ich als geliehene Wirtschaftsentwicklung bezeichne.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Der Ausdruck ist und bleibt verschroben, Herr Kol-
lege. Falsch ist auch – ich glaube, das haben Sie ausge-
führt, Frau Kollegin Wöhrl –, dass der Export vor allen
Dingen auf die Produktionsverlagerung zurückzuführen
sei und dass er hier zu Verlusten geführt habe. Das ist
ebenfalls ein Irrtum, der auf Herrn Sinn zurückgeht.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nein! Wertschöpfung hat er gesagt!)


Alles, was Sie ausgeführt haben, beruht auf dem, was
Herr Professor Sinn in der Öffentlichkeit verbreitet.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn! Blödsinn!)


Das lohnt zwar durchaus eine Auseinandersetzung, aber
es ist letztlich falsch. Die Exportleistungen der deut-
schen Wirtschaft haben zwar auch mit der Kostenreduk-
tion durch Produktionsverlagerung zu tun, aber nach al-
lem, was wir wissen, führen sie nicht zu einem
Arbeitsplatzabbau. Vielmehr kommt das, was wir an
wirtschaftlicher Kraft gewinnen, in Deutschland zum
Tragen.

Insofern ist auch Ihre Unterstellung falsch, Herr Kol-
lege Brüderle. Die Wirtschaft springt nämlich an. Auch
wenn Sie es nicht gerne zur Kenntnis nehmen wollen,
nehmen die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland
wie auch die Investitionen insgesamt zu – das ist nach
einer langen Phase der Stagnation unausweichlich not-
wendig – und die Nachfrage springt wieder an. Wenn Sie
sich nicht so viel Mühe gäben, die Leute zu deprimieren,
dann würde das vielleicht noch etwas schneller gehen.


(Beifall bei der SPD)

Kurz und gut:


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Alles ist bestens, Herr Minister!)


Durch das, was in Deutschland mit dem Reformprozess
in Gang ist, haben wir schon wesentliche Voraussetzun-
gen dafür geschaffen, ein lang anhaltendes wirtschaftli-
ches Wachstum zu erreichen. Ich lade Sie gerne ein, da-
ran mitzuarbeiten. Ihr Antrag könnte ein Signal sein. Sie
wollen im Grunde genommen nichts anderes als das,
was wir bereits tun.

Ich könnte jetzt jeden einzelnen Punkt durchbuchsta-
bieren. Es ist völlig unstrittig, dass wir REACH ändern,
Herr Kollege Singhammer.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Weil Herr Trittin da sitzt, wo Sie sitzen sollten!)


Daran arbeiten der Verband der Chemischen Industrie,
die Chemiegewerkschaft und die Bundesregierung. Herr
Verheugen hat dieses Thema gerade in die Europäische
Kommission eingebracht und deutlich gemacht, dass vor
allen Dingen nichts zulasten der kleinen und mittleren
Unternehmen unternommen werden darf.

Besser als an diesem Beispiel kann man kaum auf-
zeigen, wie präzise die Industriepolitik der Bundes-
regierung arbeitet. Der Bundeskanzler, der französische






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

Präsident und der britische Premier haben dafür gesorgt,
dass wir zurzeit eine Änderung der europäischen Indus-
triepolitik erleben. Das wird sich auch auf andere Berei-
che auswirken.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515105900

Herr Minister, darf auch der Kollege Niebel Ihnen

eine Zwischenfrage stellen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Er darf nicht fehlen. Natürlich.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515106000

Bitte, Herr Niebel.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Arbeitsamtsrambo!)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1515106100

Vielen Dank, Herr Minister.
Die Passage, zu der ich eine Frage stellen möchte,

liegt leider schon etwas zurück.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Dann verzichten Sie doch einfach darauf.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1515106200

Nein. Die Passage ist ja durchaus interessant. Sonst

würde ich zu ihr keine Frage stellen, wie Sie sich vor-
stellen können, Herr Minister.

Sie haben gesagt, dass ein Wirtschaftswachstum von
1,7 Prozent im letzten Jahr ein gutes Ergebnis sei. Vor
dem Hintergrund, dass die Beschäftigungsschwelle in al-
ler Regel zwischen 2 und 2,5 Prozent liegt und dass im
letzten Jahr mit 4,5 Millionen Arbeitslosen das erklärte
Ziel der Bundesregierung deutlich verfehlt worden ist,
kann ich nur die Frage stellen, ob Sie das tatsächlich als
einen so großen Erfolg ansehen, ob sich mit einem Wirt-
schaftswachstum von 1,7 Prozent tatsächlich die Pro-
bleme dieses Landes bewältigen lassen.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Das tue ich nicht. Das habe ich auch nicht gesagt. Ich
bitte Sie, mich richtig zu zitieren. Ich habe einfach da-
rauf hingewiesen, dass wir nach einer langen Phase wirt-
schaftlicher Stagnation im vergangenen Jahr ein Wirt-
schaftswachstum von 1,7 Prozent hatten und dass es in
diesem Jahr ebenfalls ein wirtschaftliches Wachstum ge-
ben wird, das wir, wie ich gerade gesagt habe, in einen
Pfad lang anhaltenden, starken Wachstums münden las-
sen müssen. Das ist das eine.

Das andere ist: Die Unterstellungen in Ihrer Frage
sind falsch. Erstens. Ein positiver Beschäftigungseffekt
setzt in Deutschland nun schon bei einem Wachstum von
1 Prozent ein. Dann nimmt die Erwerbstätigkeit in
Deutschland zu, beispielsweise in den Bereichen der ge-
ring qualifizierten Jobs und der Selbstständigkeit. Frau
Kollegin Wöhrl, wenn Sie über Existenzgründungen
sprechen, dann empfehle ich Ihnen, auch zu erwähnen,
dass wir in diesem Bereich seit langem wieder einen
positiven Saldo haben.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Aber nur bei den Ich-AGs!)


Es gibt über 100 000 Existenzgründungen mehr als In-
solvenzen.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Ich rede von richtigen Selbstständigen!)


Wie gesagt, bereits ab einem Wirtschaftswachstum
von 1 Prozent erhöht sich die Erwerbstätigkeit in
Deutschland. Deshalb gibt es nun eine enorme Erhöhung
der Erwerbstätigkeit. Bei einem Wirtschaftswachstum
von 1,5 Prozent nimmt das Arbeitsvolumen zu. Das
wirkt sich positiv auf die Vollzeitbeschäftigung aus, al-
lerdings mit einer gewissen Verzögerung. Das sind unge-
fähr die Daten. Es gibt also nicht erst bei einem Wirt-
schaftswachstum von 2 oder 2,5 Prozent einen positiven
Beschäftigungseffekt.

Herr Kollege Niebel, damit Sie mich nicht falsch ver-
stehen: Das heißt nicht, dass ich ein Wirtschaftswachs-
tum von 1,7 Prozent für ausreichend halte. Ich weise Sie
nur auf den Sachverhalt hin, dass es im Bereich der ge-
ring qualifizierten Jobs einen positiven Beschäftigungs-
effekt schon ab einem Wirtschaftswachstum von
1 Prozent gibt. Nicht, dass Sie demnächst behaupten,
dass mir ein Wachstum von 1 Prozent ausreicht. Tatsäch-
lich brauchen wir ein Wirtschaftswachstum von deutlich
über 2 Prozent. Aber positive Beschäftigungseffekte tre-
ten, wie gesagt, schon vorher ein. So ist das.

Ich empfehle Ihnen, uns sachlich zu begleiten. Wie
kann man ausgerechnet in einem Monat, in dem die
letzte Stufe unserer Steuerreform wirksam geworden
ist, fordern – ich weiß nicht mehr, ob dies der Kollege
Singhammer oder Herr Michelbach gesagt hat –, dass für
weitere steuerliche Erleichterungen gesorgt werden
müsse? Wir tun das Notwendige, um das wirtschaftliche
Wachstum zu stärken. Es ist doch nicht zu bestreiten,
dass Sie hier auf dem falschen Bein Hurra schreien. Die
Einkommensteuer ist nicht mehr das Entscheidende in
Deutschland. Die Steuern sind niedriger, als Sie es sich
jemals erträumt haben. Der Eingangssteuersatz liegt nur
noch bei 15 Prozent. Das ist die wahre Situation.

Zweitens. Herr Kollege Brüderle, es ist falsch, dass
die Lohnnebenkosten weiter steigen. Im Gegenteil: Sie
sinken. Zum 1. Juli dieses Jahres werden die Unterneh-
men, und zwar vor allen Dingen die kleinen und mittle-
ren, durch die Maßnahmen, die wir getroffen haben
– hier haben Sie nicht mitgemacht –, erneut um 4,5 Mil-
liarden Euro bei den Lohnnebenkosten entlastet. Aber
Sie lamentieren nur, wenn es um die kleinen und mittle-
ren Unternehmen geht. Irgendwann werden auch Sie re-
gistrieren müssen, dass sich das, was wir tun, tatsächlich
zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen aus-
wirkt. Das ist einfach nicht zu übersehen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

Da ständig von Bürokratieabbau die Rede ist: Frau

Kollegin Wöhrl, wir sind beim Bürokratieabbau noch
lange nicht am Ende. Ich wäre dankbar, wenn auch in
den Ländern, in denen die Union maßgeblich Verantwor-
tung hat, etwas beim Bürokratieabbau geschehen würde,
und zwar bis in die Kommunen hinein; denn das betrifft
alle Ebenen. Wir haben unter anderem eine Reform der
Handwerksordnung umgesetzt. Das ist nichts anderes als
Bürokratieabbau. Aber Sie, meine Damen und Herren
von der Union, wollten das nicht. Sie suchen sich – ge-
nauso wie die Kolleginnen und Kollegen von der FDP –
die Felder aus, auf denen Sie sich bewegen wollen, und
behaupten anschließend, dass Sie für Bürokratieabbau
seien. Das sind Sie aber nicht gewesen. Sie waren gegen
diese Reform. Sie sehen doch – gestern Abend konnten
Sie es buchstäblich mit Händen greifen –, wie wichtig
diese Reform für das Handwerk ist.

Wir haben außerdem die berufliche Ausbildung – das
setzen wir fort – und die Arbeitsstättenverordnung refor-
miert. Wir haben die statistischen Belastungen der Wirt-
schaft reduziert. Wir haben eine Reform im Bereich der
Geräte- und Produktsicherheit realisiert. Die 29 Vor-
schläge aus den Regionen befinden sich zurzeit in der
gesetzlichen Umsetzung. Wir haben für Entlastungen im
Bereich der Außenhandelsstatistik gesorgt. Zurzeit sind
im Gang – bei all dem können Sie mitmachen –: Ver-
schlankung des Vergaberechts, Vereinfachung der Hono-
rarordnung für Architekten und Ingenieure, Media-
komm-Transfer, Modernisierung des Eichwesens,
Neuordnung des deutschen Akkreditierungswesens. Die
Umsetzung dieser Vorhaben ist teuflisch schwer. Sie re-
den hier über Bürokratieabbau. Wenn ich unterwegs bin,
dann begegne ich aber nur den Gegnern des Bürokratie-
abbaus.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515106300

Herr Minister, die Opposition möchte Ihre Redezeit

gerne verlängern. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michelbach?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Aufgrund ihres Antrages – darin steht ja nichts – kann
ich verstehen, dass sie jetzt wissen will, worum es in
Deutschland wirklich geht. Das ist Wissbegierde.

Bitte sehr, Herr Kollege.

Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1515106400

Herr Minister, vielen Dank. –
Sie haben mich in Sachen Steuerpolitik angespro-

chen. Können Sie bestätigen, dass die Steuerreform zum
1. Januar 2005 zwar eine Entlastung von 6,75 Milliarden
Euro gebracht hat, dass es in diesem Jahr aber zu einer
zusätzlichen Belastung von 8,5 Milliarden Euro kommt,
wodurch die konjunkturelle Entwicklung, die notwendig
ist, um am Arbeitsmarkt und in der Binnenwirtschaft Lö-
sungen zu finden, nicht in Gang kommt? Können Sie
ebenfalls bestätigen, dass es zum Beispiel bei der Gesell-
schafterfremdfinanzierung und bei der Mindestbesteue-
rung zu Erschwernissen gekommen ist, wodurch Investi-
tionen gewissermaßen zwangsläufig im Ausland getätigt
werden?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Das kann ich Ihnen nicht bestätigen, Herr Kollege.
Damit betrachte ich Ihre Frage als beantwortet.

An dem, was Sie in Bezug auf die Industriepolitik
angesprochen haben, ist etwas dran. Allerdings kann
man nicht nach der Schlachtordnung vorgehen, die Sie
hier dargestellt haben. Sagen Sie beispielsweise einmal
etwas zum Fall Aventis. Was dort geschehen ist – unter
anderem die Orientierung in Richtung Frankreich –, ist
nicht in meiner Zeit als Minister geschehen. Sagen Sie
einmal, welches deutsche Unternehmen in der Lage ge-
wesen wäre, dort statt Sanofi einzusteigen. Sie müssen
doch einmal konkret werden. Es hat doch keinen Zweck,
hier anklagend die Hände zu erheben.

Die deutsche Automobilindustrie ist noch immer sehr
gut. Wir sind diejenigen, die jetzt unter der Federführung
des EU-Kommissars Verheugen dafür sorgen wollen,
dass die Automobilindustrie in Europa wirklich ein Le-
velplaying Field mit Japanern, mit Amerikanern und an-
deren bekommt. Hier in Europa sind nämlich einige Be-
dingungen geschaffen worden, die die weltweite
Wettbewerbsfähigkeit gefährden können. Was wir dort
betreiben, ist Industriepolitik.

Was die Chemikalienpolitik angeht, habe ich Ihnen
gesagt, was dort stattfindet. Was die Energiewirtschaft
angeht, werde ich Ihnen sagen, was dort zu tun ist. In
Bezug auf die Textilindustrie haben wir das Nötige ge-
tan. Wo sollen wir eigentlich antreten? Was meinen Sie
konkret? Wenn französische Unternehmen mit staatli-
cher Beteiligung in Deutschland aktiv werden wollen,
beispielsweise im Schiffbau, dann sagen wir in aller
Deutlichkeit: Nein, solange französische Unternehmen
mit staatlicher Beteiligung agieren, wird es keine Betei-
ligung unsererseits geben.

Außerdem ist der deutsche Schiffbau im Werftenver-
bund wesentlich weiter als alle anderen europäischen
Schiffbaunationen. Unsere Situation dort ist zurzeit völ-
lig konsolidiert. Was meinen Sie eigentlich, wenn Sie
unsere Industriepolitik so pauschal kritisieren? Lassen
Sie uns einmal ernsthaft und in der Sache diskutieren.
Sie können nicht mehr bestreiten, dass es dort erhebliche
Fortschritte gibt.

Natürlich haben wir Probleme. Natürlich gibt es auch
in Bayern Probleme. Mit einem großen Problem habe
zurzeit auch ich ein bisschen zu tun; jedenfalls beo-
bachte ich es mit großer Aufmerksamkeit. Lassen Sie
uns doch hier nicht mit diesen pauschalen Vorwürfen
arbeiten.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen doch immer neue Vorwürfe!)


– Herr Kollege, Sie benutzen doch wirklich nur Pau-
schalbegriffe.

Wir befinden uns in Deutschland in einem Erneue-
rungsprozess, der ein bisschen mehr verlangt, als mit






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

einem Antrag wie Ihrem zu wedeln. Dieser Antrag ist
doch wirklich kein Beitrag, durch den diese Diskussion
vorangebracht wird.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Arroganz lässt grüßen!)


Ich habe Ihnen gesagt, was hier stattfindet.
Ich habe Sie auf die Steuerreform hingewiesen. Wir

senken die Steuern, damit es zu mehr Investitionen
kommt. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Lohnne-
benkosten in Deutschland sinken. Natürlich sinken sie
noch nicht genug. Sie müssen längerfristig deutlich unter
40 Prozent liegen. Aber machen Sie doch dazu einmal
konkrete Vorschläge.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie mal von 20 Milliarden Ökosteuer pro Jahr! Sie belasten doch immer mehr!)


Die Arbeitsmarktreform – wollen Sie etwas ande-
res? – wird jetzt realisiert. Machen Sie da lieber mit!
Veranstalten Sie einmal Jugendkonferenzen! Sorgen Sie
in den Ländern dafür, dass dort Jugendkonferenzen statt-
finden, damit die Jugendarbeitslosigkeit abnimmt! Ma-
chen Sie beim Bürokratieabbau mit! Fragen Sie nicht
immer nur anklagend andere! Wir alle, die wir auf diesen
Sektoren tätig sind, sind gefragt. Was ist mit der Födera-
lismusreform? Sorgen Sie doch dafür, dass sich auch
die CDU- oder CSU-geführten Länder bewegen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dazu höre ich von Ihnen wirklich schrecklich wenig. In
der Industriepolitik haben Sie wirklich keinen Grund – –


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Was wollen Sie denn bei der Föderalismusreform? Sa-
gen Sie doch einmal, was Sie wollen!


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn? Sie haben sie an die Wand fahren lassen!)


Halten Sie es für richtig, dass in Bildung, Wissenschaft
und Forschung alles so bleibt, wie es ist? Ich habe von
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nichts Konstruktives,
jedenfalls nichts Weiterführendes dazu gehört.

Zu noch etwas habe ich nichts gehört. Sie reden über
Wissenschaft und Forschung. Da wüsste ich gern ein-
mal, wie Sie sich die Finanzierung der Stärkung dieses
Bereichs vorstellen. Warum blockieren Sie in der Frage
der Eigenheimzulage? Da muss der Subventionsabbau
stattfinden.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Selbstverständlich! Sie müssen doch die Frage beant-
worten, woher die Mittel kommen sollen. Sie agieren al-
lein mit pauschalen Vorwürfen. Das ist ein Ritual. Das
alles ist zu akzeptieren. Man wird das nicht verhindern
können. Sie werden weiterhin solche Anträge wie den
vorliegenden Antrag einbringen. Nur, Sie bleiben am
Wegesrand zurück, wenn Sie die Diskussion so führen,
wie Sie das in diesem Antrag zu Papier gebracht haben.
Der Antrag wird wirklich nicht dazu beitragen, dass die
Bundesrepublik vorankommt.

Die Entwicklung geht weiter. Die Reformprozesse ge-
hen weiter.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Bei Ihnen geht es rückwärts! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Leider gehen auch die Arbeitslosenzahlen weiter aufwärts!)


Sie müssen weitergehen. Sie müssen sich vor allem
überlegen, woher in den Bereichen Wissenschaft und
Forschung von Ihrer Seite die Initiativen kommen sol-
len.


(Abg. Gudrun Kopp [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Bitte.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515106500

Frau Kollegin Kopp.

Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1515106600

Herzlichen Dank, Herr Minister. Meine Frage mag Ih-

nen jetzt die Chance zum Luftholen geben.
Herr Minister Clement, beim Thema Bürokratieab-

bau fühlen wir als Liberale uns auf den Plan gerufen, Sie
noch einmal sehr konkret nach Ihrem wirklich großspu-
rig angekündigten Masterplan für Bürokratieabbau zu
fragen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Im Ankündigen ist er ganz groß!)


Das Institut für den Mittelstand in Bonn hat erst kürzlich
in einer Studie festgestellt – Sie wissen das wahrschein-
lich –, dass sich während der letzten acht bis zehn Jahre
die Bürokratieausgaben um etwa 50 Prozent erhöht ha-
ben,


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: 30 neue Behörden!)


nämlich auf 46 Milliarden Euro. Das betrifft gerade mit-
telständische Unternehmen. Das ist ein alarmierendes
Zeichen.

Sie haben sich von dem ursprünglich versprochenen
Ausrufen von Testregionen für die Experimentierklau-
seln beim Bürokratieabbau leider verabschiedet. Ich
komme aus einer solchen Testregion. Wir haben uns
viele Hoffnungen gemacht. Aus einer Liste von mehre-
ren Hundert sehr konkreten Vorschlägen zum Bürokra-
tieabbau haben Sie nur eine minimale Anzahl von wirk-
lich kleinen Schritten zum Bürokratieabbau umsetzen
können. Beantworten Sie uns doch bitte die Frage: Wann
endlich kommt denn Ihr großer Wurf, bei dem wir im
Mittelstand oder in der Wirtschaft insgesamt tatsächlich
von Bürokratieabbau sprechen können?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Die Ironie, Frau Kollegin, die aus Ihrer Frage spricht,
ist geradezu niederschmetternd. So freundlich Sie mich






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Wolfgang Clement

gefragt haben: Ich kann auch Ihnen einen Vorwurf nicht
ersparen. Wir alle haben unsere Sünden auf diesen Fel-
dern. Sie haben die Sünden beispielsweise im Bereich
des Handwerksrechts begangen. Da haben Sie alles blo-
ckiert.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das ist nicht wahr!)

– Sie können natürlich immer Nein sagen. – Im gesam-
ten Gesundheitsbereich verweigern Sie bis heute jegli-
chen Ansatz zur Stärkung des Wettbewerbs.

Bei den Vorschlägen aus den Regionen, die Sie ge-
nannt haben – Sie reden da immer von
1 000 Vorschlägen –, handelt es sich überwiegend um
Vorschläge der Wirtschaftsverbände. Zum großen Teil
betreffen sie materielles Recht. Materielles Recht kön-
nen wir im Zuge des Bürokratieabbaus nicht ändern. Flä-
chendeckend kommt da die Forderung, den Kündigungs-
schutz abzuschaffen. Das wird dann mit dem Begriff
Bürokratieabbau etikettiert. Ich werde anschließend ge-
fragt: Was tun Sie auf diesem Feld? Darauf antworte ich
klar: Der Kündigungsschutz ist reformiert, wird von uns
nicht weiter reformiert und hat im Übrigen mit Bürokra-
tieabbau nichts zu tun. Punkt, aus.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden das nicht akzeptieren. Deshalb werden Sie
Ihre Polemik dazu fortführen.

Wir haben 29 Vorschläge. Das ist nicht viel; das gebe
ich zu. Ich bin mit dem, was wir da bisher erreicht ha-
ben, auch wirklich nicht zufrieden.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Endlich einmal eine klare Aussage!)


Ich habe nicht nur kein Problem damit, das zuzugeben,
sondern ich lade alle ein, mitzumachen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Wir haben lange mitgemacht! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sagen Sie was zur Antidiskriminierungsrichtlinie!)


Nur, ich erlebe flächendeckend, wie schwierig das ist.
In Kürze kommt der nächste Wurf – da werden Sie

mich wieder fragen: Wo ist Ihr großer Wurf? –, die
Dienstleistungsrichtlinie. In dem Rahmen werden wir
in Deutschland – das ist aus meiner Sicht das Kernstück
dieser Richtlinie – One-Stop-Shops einrichten müssen.
Wenn die Dienstleistungsrichtlinie in Kraft ist, dann
wird für jeden Dienstleister, der hierher kommt, eine ein-
zige Behörde da sein müssen, an die er seine Anfragen
richten kann, bei der er seine Genehmigungen bekommt
etc. Das ist dann wirklich eine Revolution beim Büro-
kratieabbau. Die gelingt so nicht. Überall – ich erlebe
das in der Regierung, ich erlebe das in der Koalition, ich
erlebe das mit Ihnen – gibt es Einzelkämpfe um jede ein-
zelne Vorschrift. Deshalb ist das Feld, über das wir re-
den, ein entsetzlich schwieriges Feld. Ich habe es bei der
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure sowie
beim Handwerksrecht erlebt.


(Gudrun Kopp [FDP]: Ich war dabei!)

Bei all diesen Fragen hat man überall die Widerstände,
in Ihren Truppen doch auch.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Sie haben mich so freundlich gefragt, deshalb ant-
worte ich: Jawohl, es ist sehr schwierig. Aber Sie haben
auf diesen Feldern bisher überhaupt nichts erreicht.


(Gudrun Kopp [FDP]: Doch!)

Sie waren an allen Regierungen beteiligt. Sie haben im-
mer mehr Gesetze geschaffen. Sie fordern hier auch
ständig Gesetze. Sie fordern, dass wir auf Gesetze ver-
zichten; im selben Atemzug fordern Sie, dass wir die be-
trieblichen Bündnisse gesetzlich regeln. Was wollen Sie
denn eigentlich? Das ist doch auch falsch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Brüderle, Sie sprechen von Tarifkartell.
Das ist auch nur ein Schlagwort. In Wahrheit ist auf dem
Sektor der Tarifhoheit mehr in Bewegung als je zuvor in
der Geschichte.


(Gudrun Kopp [FDP]: Also alles prima!)

– Nein, es ist wirklich nicht alles prima. Aber wir wer-
den uns auch auf dem Gebiet Bürokratieabbau – es ist in
Wahrheit das komplizierteste Gebiet – vorankämpfen.
Ich werde dort nicht locker lassen. Ich bin inzwischen
schon so alt, dass ich dabei gar nicht mehr müde werden
kann. Auch in Nordrhein-Westfalen habe ich dieses Feld
zu beackern versucht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Mit wenig Erfolg!)


Ich wollte dort eine umfassende Neustruktur der Behör-
den. Allenfalls ein Drittel dessen, was ich mir vorge-
nommen hatte, habe ich erreicht. Das stimmt, aber im-
merhin habe ich etwas erreicht. Etwas Vergleichbares
habe ich vorher von Ihnen nicht erlebt.

Auf europäischer Ebene gab es 300 Vorschläge. Wis-
sen Sie, wie viele dieser Vorschläge jetzt realisiert wer-
den? 15 von 300 Vorschlägen werden realisiert und von
diesen 15 kommen sechs aus Deutschland. Das sind nur
minimale Fortschritte, aber immerhin erzielen wir Fort-
schritte. Wir werden auf diesem Feld nicht locker lassen
und mit Ihrer freundlichen Unterstützung werden wir es
schaffen, Schritt für Schritt – manchmal sind es auch nur
Schrittchen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)


– Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber bis dahin haben wir
noch ein bisschen Zeit. Ich wünsche Ihnen alles Gute.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gibt es noch Fragen, Herr Präsident?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515106700

Das Bemühen, auf diese Weise zusätzliche Redezeit

einzuwerben, ist zwar legitim, scheitert aber offenkundig
an der Einsicht der Opposition, dass es nun gut sei. Des-
halb bedanken wir uns für Ihren Redebeitrag.

Wir schließen die Debatte mit den beiden noch aus-
stehenden Wortmeldungen der Kollegen Fuchs für die
CDU/CSU-Fraktion und Schreck für die SPD-Fraktion.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Danke schön. Die Opposition hat das ja auch tatsäch-
lich festgestellt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515106800

Das Wort hat nun der Kollege Michael Fuchs.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ist er auch wirklich ein Fuchs?)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1515106900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers
erwecken den Eindruck: In diesem Land ist alles in Ord-
nung.


(Gudrun Kopp [FDP]: Alles prima!)

Wir brauchen eigentlich keine weiteren Reformen. Auch
der Bundeskanzler hat gesagt: Wir wollen jetzt alles ein
bisschen langsamer angehen. Bloß keine Härten mehr.
Alles ist gut.

Das ist es aber nicht. Herr Bundesminister, beginnen
wir mit dem Thema Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosen-
zahl ist der Beweis für das Versagen Ihrer Regierung. Sie
ist der Beweis dafür, dass von Ihrem gesamten Reform-
werk bis jetzt eigentlich nichts gegriffen hat. Ich werde
es Ihnen genau erläutern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es dauert nur noch einige Monate bis zum Sommer,

obwohl es draußen noch nicht so aussieht. Bis zum Som-
mer dieses Jahres sollte nach den Ankündigungen der
Bundesregierung die Arbeitslosigkeit halbiert werden.
2 Millionen weniger Arbeitslose bis zum Sommer dieses
Jahres hat uns Herr Hartz im Französischen Dom ver-
kündet. Er hat dort den göttlichen Beistand herbeige-
sehnt. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was Ihnen
noch hilft. In Wahrheit wird die Arbeitslosigkeit bis zum
Sommer nicht halbiert werden.

Die Ich-AGs sollten 1 Million Arbeitslose in Job und
Arbeit bringen. Was ist passiert? 220 000 Ich-AGs wur-
den gegründet. Das ist eine ganz ordentliche Zahl, aber
wir müssen die Überlebenszeit dieser Ich-AGs abwarten.
Ob sie dauerhaft bestehen werden, zeigt sich erst im drit-
ten Jahr, wenn sie keine zusätzlichen Leistungen der
Bundesagentur mehr bekommen.
Bei den PSAs sieht es noch schlechter aus.
700 000 erfolgreiche Jobvermittlungen sollte es geben.
Kennen Sie die tatsächliche Zahl? Herr Brandner tele-
foniert und kennt die Zahl nicht. Ich verrate sie ihm:
Von 700 000 versprochenen Jobvermittlungen wurden
23 000 realisiert.

Es gab auch den Jobfloater. Sie mussten englische
Ausdrücke finden, damit nur ja kein Bürger versteht,
was Sie meinen. Der Jobfloater ist ein Jobflopper gewor-
den und hat gar nichts gebracht. Deshalb haben Sie ihn
auch stillschweigend beerdigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

130 000 Arbeitsplätze sollten durch dieses Instrument
entstehen; nicht einmal 12 000 sind es geworden.

Ich bin mit Ihnen völlig einer Meinung, dass wir in
Deutschland wieder industrielle Produktion brauchen.
Aber wie sehen die Zahlen bei der industriellen Produk-
tion aus, Herr Minister? Nur noch 22 Prozent der Ar-
beitsplätze in Deutschland sind Industriearbeitsplätze.

Sie haben unseren tollen Export erwähnt. Auch da-
rauf möchte ich näher eingehen. Es stimmt, wir sind Ex-
portweltmeister. Wir sind aber auch Importweltmeister.
Beides hängt direkt zusammen. Im letzten Jahr stieg der
Export um 10 Prozent; wir hatten aber auch annähernd
10 Prozent Wachstum beim Import, weil wir ja fast alles,
was wir exportieren, zuerst importieren. Die Weltwirt-
schaft ist um 5 Prozent gewachsen, die deutsche Wirt-
schaft um 1,7 Prozent. Das heißt, da wir gerade einmal
ein Drittel des weltwirtschaftlichen Wachstums er-
reicht haben, verlieren wir im internationalen Vergleich
ständig an Fahrt. Das sollte Ihnen zu denken geben, denn
Sie sind dafür verantwortlich.

Die Wirtschaft hat überall auf der Welt geboomt, ob
in China, in den übrigen asiatischen Ökonomien oder in
den USA. Auch in Europa hätte sie geboomt. Wenn es
nämlich nicht die lahmen Deutschen gäbe, wäre das eu-
ropäische Wachstum ähnlich stark gewesen. Mich be-
drückt das sehr und mich stört es, dass wir, Herr Bundes-
wirtschaftsminister, nach wie vor die rote Laterne
bezüglich des Wachstums in Europa tragen. Sie können
doch nicht hier sagen, alles sei gut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun komme ich zur Exportbilanz: Die gute Export-

bilanz verdanken wir zunächst einmal den Wechselkurs-
schwankungen, die uns auf diesem Sektor in diesem Jahr
besonders geholfen haben. Das wissen Sie. Allerdings ist
der Anteil der Wertschöpfung an den exportierten Gü-
tern in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter
zurückgegangen. Das bedeutet: Im Ausland wird gear-
beitet, von Deutschland aus das fertige Produkt verkauft.
In der Situation befinden wir uns doch. Der Ifo-Präsident
Sinn nennt dieses Phänomen Basar-Ökonomie. Infolge
Ihrer Politik sind wir da gelandet.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn! – Klaus Brandner [SPD]: Unsinn!)


Deutsche Unternehmen produzieren einen Großteil der
Waren, die sie exportieren, im Ausland. In Deutschland






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Fuchs

verbleiben lediglich das Management und einige zen-
trale Dienste wie Forschung und Marketing. Das Signet
„made in Germany“ dürfen doch viele deutsche Firmen
überhaupt nicht mehr auf ihre Produkte schreiben. Der
Anteil der Innenwertschöpfung an der Gesamtwert-
schöpfung ist nicht groß genug. Es gibt kein einziges
deutsches Auto mehr, das als „made in Germany“ be-
zeichnet werden kann.


(Hans-Werner Bertl [SPD]: Das ist Unsinn! Das ist doch peinlich! Eine Zumutung, was Sie hier machen!)


Eben ist schon, ich glaube vom Kollegen
Singhammer, das Porsche-Werk in Leipzig angespro-
chen worden. 700 Mitarbeiter produzieren in diesem
Werk 40 000 Autos. Das zeigt uns doch, was da los ist.
Es handelt sich um eine Assembly Line: Das Auto wird
zusammengebastelt, die Reifen werden angeschraubt
und dann fährt es vom Band. Hier soll dann Wertschöp-
fung in Deutschland stattgefunden haben. Das kann
nicht gehen. Es weiß jeder, dass man mit 700 Menschen
schlecht 40 000 Autos produzieren kann. Wir sind also
nicht mehr in der Lage, für Wertschöpfung in Deutsch-
land zu sorgen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Das
Ganze führt dazu, dass immer weniger Arbeitsplätze in
der Industrie vorhanden sind.

Sie verantworten 4,5 Millionen Arbeitslose. Wenn Sie
ehrlich wären, müssten Sie auch diejenigen einbeziehen,
die in Weiterbildungsmaßnahmen und all dem, was sich
darum gruppiert, geparkt sind. Damit kämen wir auf weit
über 6 Millionen. Sie, Herr Minister, haben aber vor, der
deutschen Wirtschaft weitere Hemmschuhe in den Weg
zu werfen. Ich bin mir ziemlich sicher: Sie hätten das,
was ich jetzt anspreche, lieber anders geregelt.


(Zuruf von der SPD)

Ich nehme Ihnen auch Ihren guten Willen bezüglich des
Bürokratieabbaus ab. Aber ernst nehmen kann ich Sie
nicht. Nachdem eine Parlamentarische Staatssekretärin
ungestraft und von Ihnen ungerügt folgenden Satz sagen
durfte – es handelt sich um Frau Vogt –: Ein schlanker
Staat, der dünn ist und keine Kraft hat, ist nicht das, was
wir uns wünschen,


(Hans-Werner Bertl [SPD]: Richtig!)

weiß ich, dass Bürokratieabbau für Sie sehr schwierig
ist.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Angesichts der Tatsache, dass zusätzliche Bürokratie
aufgebaut wird, frage ich mich aber, was Sie tun. Warum
schreien Sie im Kabinett nicht „Aua“ und sagen: So geht
das nicht weiter. Ich denke insbesondere an das sensatio-
nelle Gesetz mit dem Namen ADG – Antidiskriminie-
rungsgesetz. Ich bin ziemlich sicher, Herr Minister, dass
Sie nicht in der Kabinettssitzung gewesen sind, in der
das beraten wurde. Ansonsten hätten Sie die deutsche
Wirtschaft vor diesem Unsinn bewahrt. Wir haben es
hier mit einem Beschäftigungsprogramm für arbeitslose
Juristen und Abmahnvereine zu tun. Wir werden eine
Prozessschwemme bekommen, wie wir sie noch nie er-
lebt haben. Das Gesetz wird auch dazu führen, dass kein
Unternehmen mehr weiß, wie es Einstellungen vorneh-
men soll. Ich habe mit jemandem von Fraport gespro-
chen. Dort werden im Jahr 16 000 Menschen eingestellt.
Es wurde mir gesagt, dass das neue Gesetz dazu führt,
dass 16 000-mal dokumentiert werden muss, warum die
Person A eingestellt wurde und nicht die Person B.
Überlegen Sie bitte einmal, was für eine Bürokratie in
den Unternehmen damit geschaffen wird. Verhindern Sie
das bitte. Das wäre Ihre vornehmste Aufgabe.

Statt von Bürokratieabbau zu sprechen, sollten Sie
endlich Bürokratie abbauen. Sie können doch nicht ei-
nerseits der Opposition vorwerfen, sie hätte an einigen
Stellen nicht mitgemacht, während andererseits eine
große Anzahl von Vorhaben, die Sie umsetzen wollten,
am Widerstand des Kabinetts gescheitert ist.

Sie haben doch dem Kabinett 56 verschiedene Vor-
schläge vorgelegt. Übrig blieben 17 Vorschläge. Es gab
1 000 Vorschläge aus den Regionen. Die Menschen dort
waren begierig, mitzumachen und diese Vorschläge um-
zusetzen. Wo ist denn die Umsetzung auf regionaler
Ebene? Nichts ist passiert. In den Regionen ist man
sauer auf Sie, weil man sich fragt, warum man sich die
überflüssige Arbeit gemacht hat.

Wenn Sie so mit den Menschen umgehen, dann brau-
chen Sie sich nicht zu wundern, dass der Bürokratieab-
bau in Deutschland nicht vorankommt. Er wäre aber
dringend notwendig. Denn die Bürokratie kostet jedes
Jahr – die Kollegin Kopp hat es vorhin völlig zu Recht
gesagt – 46 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass pro
Arbeitsplatz Kosten in Höhe von 3 200 Euro anfallen.
Diese Kosten haben Sie zu verantworten, weil Sie nichts
gegen die Bürokratie tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515107000

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Wilfried Schreck, SPD-Fraktion.


Wilfried Schreck (SPD):
Rede ID: ID1515107100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich
mein Kollege Brandner in erster Linie mit dem Antrag
der CDU/CSU auseinander gesetzt hat und der Bundes-
wirtschaftsminister einen sehr aktuellen und umfassen-
den Abriss der deutschen Wirtschaftspolitik gegeben so-
wie etwas zur Qualität des Antrags der CDU/CSU gesagt
hat, möchte ich mich hauptsächlich mit dem Antrag der
FDP auseinander setzen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Sehr gut!)

Der Titel dieses Antrags lautet „Wider die Vertrauens-

krise – Für eine konsistente und konstante Wirtschafts-
politik“. Er ist zwar vom 24. September 2003 und damit
schon etwas antiquiert,


(Gudrun Kopp [FDP]: Immer noch aktuell! Leider!)







(A) (C)



(B) (D)


Wilfried Schreck

er kann aber sehr gut als Stichwortgeber für die seit die-
sem Zeitraum sichtbaren Veränderungen dienen. Außer-
dem haben Sie diesen Antrag nicht zurückgezogen. Da-
raus kann man schließen, dass Sie weiterhin auf dieser
Grundlage diskutieren wollen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Die Probleme sind noch nicht gelöst!)


Am FDP-Antrag ist bemerkenswert, dass allein auf
der ersten Seite siebenmal das Wort „Krise“ vorkommt.
Zweifellos waren wir Ende 2003 in schwierigem wirt-
schafts- und gesellschaftspolitischem Fahrwasser. Aber
wer sich daran erinnert, der weiß: Die Agenda 2010 war
im Rohr; wir waren mitten im Gesetzgebungprozess und
hatten noch vor Weihnachten die notwendigen Gesetze
verabschiedet. Bei etwas mehr gutem Willen hätte man
durchaus Dynamik erkennen können.


(Lachen des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/ CSU])


Die erste gravierende Fehleinschätzung der FDP war
wohl die Konjunkturprognose für das Jahr 2004. Sie
haben mit der Fortsetzung der Werte von 2002/2003 ge-
rechnet, also nahe Null. Nun wissen wir um die Schwie-
rigkeiten von Prognosen, erst recht, wenn sie weit in die
Zukunft reichen. Sie haben ja auch mit den Prognosen
im Zusammenhang mit der Bundestagswahl Ihre Pro-
bleme gehabt. Umso mehr freuen wir uns, dass in 2004
die Konjunktur deutlich angezogen hat. Nach ersten Be-
rechnungen des Statistischen Bundesamtes wird das
Wachstum 1,7 Prozent betragen.

Es wurde uns unterstellt, dass wir bei der Umgestal-
tung der sozialen Sicherungssysteme eigentlich nur
Schönheitsreparaturen betreiben würden. Ich bin der
Meinung, dass die Gesetze, die auf der Agenda 2010
basieren, die tiefstgreifende Reform der Arbeits- und
Sozialgesetzgebung seit vielen Jahren sind.

Es besteht inzwischen parteiübergreifend und in brei-
ten Schichten der Gesellschaft Konsens, dass das alles
viel früher hätte geschehen müssen.


(Dirk Niebel [FDP]: Ich habe es schon vor vier Jahren gefordert! Das haben Sie abgelehnt!)


Wenn man die Agenda 2010 als Flickenteppich bezeich-
net, missachtet man die Komplexität dieses Reformwer-
kes. Natürlich war es schwer, die fast ein Dutzend Ge-
setze, die wir zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der
Agenda 2010 bearbeitet haben, in Relation zu setzen und
ihre genaue Wirkung einzuschätzen. Heute wird deut-
lich, dass dieses Puzzle von Maßnahmen ein Bild ergibt
und seine Wirkung entfaltet.

Aber anders als bei einem Puzzle, bei dem man nicht
an den feinen Konturen, an den Ecken und Kanten feilen
darf, muss man bei Gesetzen mitunter an der einen oder
anderen Stelle nachjustieren, um sie der Lebenswirklich-
keit anzupassen. Ich bin der Meinung, „Nachbessern“ ist
hierfür nicht der richtige Begriff. Bei der Komplexität
der zu regelnden Sachverhalte ist es notwendig, dass
man nach dem Wirksamwerden der Gesetze immer wie-
der genau hinschaut und dort, wo Veränderungen not-
wendig sind, diese auch vornimmt.
Geradezu dreist ist die immer wiederholte Behaup-
tung, dass die arbeitsmarktpolitischen Reformen ge-
scheitert seien. Wir alle wissen, dass erst mit Wirkung
zum 1. Januar 2005 Hartz IV, eines der wichtigsten Ele-
mente der Arbeitsmarktreform, in Kraft getreten ist.
Wenn es nach Ihnen von der Opposition gegangen wäre,
hätten wir auch diesen Zeitpunkt nicht erreicht. Aber Sie
sollten sich vielleicht mit uns freuen, dass trotz einiger
unvermeidbarer und einiger vielleicht vermeidbarer Pro-
bleme auch dieser Teil der Reformen angelaufen ist.

Ich warne immer wieder vor der anzutreffenden Fehl-
einschätzung, dass durch die Arbeitsmarktreformen di-
rekt Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt entstehen. Ich
erinnere daran: Der Grundgedanke der Hartz-Gesetz-
gebung ist in erster Linie die bessere und stärker ziel-
gerichtete Vermittlung von Arbeitssuchenden, was na-
türlich in Zeiten einer anspringenden Konjunktur viel
besser gelingt als in einer Stagnationsphase.


(Dirk Niebel [FDP]: Aber Vermittlung fand ja nicht mehr statt! Das Kerngeschäft ist ja völlig vernachlässigt worden!)


Insofern kommt uns der positive Trend beim Wirt-
schaftswachstum in 2004 entgegen, der sich laut DIW in
den Jahren 2005 und 2006 fortsetzen wird. Das
Wirtschaftswachstum wird dann voraussichtlich 1,8 bis
2 Prozent betragen.

Auf das Stichwort „Exportweltmeister 2003/2004“ ist
aus unserer Sicht ausreichend eingegangen worden.

Unverständlich ist, was Sie als „Hofieren von Groß-
unternehmen zulasten der mittelständischen Wirtschaft“
bezeichnen. Meine Erlebniswelt in Ostdeutschland be-
legt das Gegenteil. Gerade den Erhalt und die Ansied-
lung von Großunternehmen wie zum Beispiel in der
Kohle- und Energiewirtschaft in meiner Region, in der
Lausitz, bezeichne ich als das wirksamste Mittel-
standsprogramm für diesen Teil unseres Landes. Ähnlich
verhält es sich mit der Luft- und Raumfahrtindustrie in
Ludwigsfelde, den Hochtechnologiezentren im Groß-
raum Dresden und Jena und den Autoherstellern in Leip-
zig, um nur einige Beispiele zu nennen. Die dort stattfin-
dende Wertschöpfung hat eine breite Ausstrahlung auf
den Mittelstand und bringt Aufträge und Arbeit in die
Region.

Um Innovationen und technischem Fortschritt zum
Durchbruch zu verhelfen, muss man manchmal einfach
die Nerven behalten und darf man das Ziel nicht aus dem
Auge verlieren. Als Beispiel hierfür möchte ich die
LKW-Maut anführen. Sie ist zwar verspätet eingeführt
worden, hat aber jetzt das Potenzial, Exportschlager zu
werden. In Deutschland war es in den letzten Jahren
durchaus üblich, das eigene Licht unter den Scheffel zu
stellen. Krisengeschrei und Miesmacherei stehen auf
der Tagesordnung. Ähnlich wie im Handwerk gehört
überall Klagen zum guten Ton. Dieser Ansatz taugt aber
keineswegs zur Bewertung unseres Standorts Deutsch-
land.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein bisschen Mittelstandsbeschimpfung!)







(A) (C)



(B) (D)


Wilfried Schreck

Im Gegenteil: Er richtet erheblichen Schaden an. Was
noch wichtiger ist: Er entspricht nicht den Tatsachen.

Insofern ist es gut, Außenstehende zu befragen. So
fasst Peter Englisch von der weltweit zweitgrößten Prü-
fungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young die Er-
gebnisse der Untersuchung seiner Firma wie folgt zu-
sammen: Gerade unter ausländischen Investoren ist der
Standort Deutschland deutlich besser als sein Ruf im
Inland. – Die Befragung von über 500 internationalen
Managern hat ergeben: Deutschland zählt hinter China
und den USA zu den drei Topstandorten weltweit. Eine
direktere Einschätzung unserer Reformen kommt in der
Bewertung des Europaökonomen der Bank of America,
Lorenzo Codogno, zum Ausdruck, wenn er sagt:
Deutschland hat deutlich mehr an sich gearbeitet als
andere große europäische Staaten wie Frankreich und
Italien. Das zahlt sich langsam aus. Für ausländische In-
vestoren ist Deutschland dank der Reformen dort deut-
lich attraktiver geworden.

Ich hoffe, dass auch dieser Prozess weiter an Fahrt ge-
winnt. Ich bin durchaus kein Umfragefetischist; aber die
wachsende Zustimmung für die Regierungskoalition be-
deutet: Unser Mosaik, unser Puzzle ist fast komplett. Die
Konturen sind mehr als deutlich zu erkennen. Die Bür-
gerinnen und Bürger gewinnen Vertrauen in unsere Poli-
tik. Trotzdem gibt es weiter Aufklärungs- und Diskus-
sionsbedarf, insbesondere in Ostdeutschland. Wir
werden uns dem stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1515107200

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/4503 und 15/1589 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint so zu sein.
Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 f sowie
die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
entwicklung der soldatenversorgungsrechtlichen

(Berufsförderungsfortentwicklungsgesetz – BfFEntwG)

– Drucksache 15/4639 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung luftversicherungsrechtlicher Vorschrif-
ten
– Drucksache 15/4637 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-

(Altforderungsregelungsgesetz – AFRG)

– Drucksache 15/4640 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über die Festlegung ei-
nes vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler
– Drucksache 15/4486 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Seemannsgesetzes
– Drucksache 15/4638 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Absatzfondsgesetzes und des Holz-
absatzfondsgesetzes
– Drucksache 15/4641 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Claudia Nolte, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Deutsch-russischen Jugendaustausch weiter-
entwickeln
– Drucksache 15/4655 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss






(A) (C)



(D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus

Haupt, Ina Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weichenstellungen für ein deutsch-russisches
Jugendwerk
– Drucksache 15/1240 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

Hier handelt es sich um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/4638 zum
Tagesordnungspunkt 24 e soll zusätzlich an den Rechts-
ausschuss, an den Ausschuss für Gesundheit und Soziale
Sicherung, an den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung und an den Haushalts-
ausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen
werden. – Auch hierzu darf ich Einvernehmen feststel-
len. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c sowie
die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Auch hier handelt es
sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen
keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 25 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von wegerechtlichen Vorschrif-
ten
– Drucksache 15/3982 –

(Erste Beratung 135. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(14. Ausschuss)

– Drucksache 15/4468 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth)


Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen empfiehlt auf Drucksache 15/4468, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenom-
men.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 25 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung der Bundes-Tierärzte-
ordnung
– Drucksache 15/4023 –

(Erste Beratung 138. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit und Soziale Sicherung

(13. Ausschuss)

– Drucksache 15/4662 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karsten Schönfeld

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt auf Drucksache 15/4662, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenom-
men.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 25 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (14. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung 2001 über die
Entwicklung der Kostenunterdeckung im
öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)

– Drucksachen 15/3137, 15/3251 Nr. 4, 15/4212 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Hofbauer

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe-
sen empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die
Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Zusatzpunkt 4 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)

Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundes-
tag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundes-
verfassungsgericht
– Drucksache 15/4663 –

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen.

(B)







(A) (C)



(D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Zusatzpunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zur Drit-
ten Verordnung zur Änderung der Verpa-
ckungsverordnung
– Drucksache 15/4642, 15/4674 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf
Drucksache 15/4642 zuzustimmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Diese Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der FDP-Fraktion bei Stimmenthaltung der CDU/CSU-
Fraktion angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen des hier im
Plenarsaal um 14 Uhr stattfindenden Staatsaktes zum
Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe an den Küs-
ten des Indischen Ozeans unterbreche ich nun, wie ver-
einbart, die Sitzung bis 15.30 Uhr.


(Unterbrechung von 12.17 bis 15.30 Uhr)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515107300

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Vorstoß des Bundeskanzlers zur Lockerung
der Kriterien des europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspaktes, um mehr Flexibilität
bei der Neuverschuldung zu erhalten

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1515107400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir befassen uns heute in der Aktuellen Stunde
mit einem sehr ernsten Thema, nämlich mit den Vor-
schlägen des Bundeskanzlers zur Aufweichung des euro-
päischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, letztendlich
mit dem Ziel, die unsolide Verschuldungspolitik dieser
Bundesregierung zu legitimieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Folgen dieser ökonomisch unsinnigen Vorgehens-
weise werden unumkehrbar sein. Was wir jetzt tun, kön-
nen wir nicht mehr rückgängig machen. Steigende Infla-
tionsgefahr und sinkendes Wirtschaftswachstum im
Euroraum werden die Konsequenzen sein.
Meine Damen und Herren, wir alle haben der deut-
schen Bevölkerung etwas in die Hand versprochen. Im
Dezember 1992 wurden im Deutschen Bundestag wie
auch im Bundesrat gleichlautende Erklärungen abgege-
ben – ich darf zitieren –:

Die künftige europäische Währung muss so stabil
sein und bleiben wie die Deutsche Mark.

Deshalb hat Deutschland im Vertrag von Maastricht da-
rauf geachtet, dass neben der Unabhängigkeit der Euro-
päischen Zentralbank Stabilitätskriterien für die Haus-
haltspolitiken der teilnehmenden Mitgliedstaaten verein-
bart wurden. Uns allen war damals klar: Nur solide
Staatsfinanzen in den einzelnen Mitgliedstaaten sichern
dauerhaft Preisstabilität, moderate Zinsen und Wirt-
schaftswachstum im Euroraum. Deshalb haben Bundes-
tag und Bundesrat versprochen – ich darf noch einmal zi-
tieren –, „sich jedem Versuch zu widersetzen, die
Stabilitätskriterien aufzuweichen, die in Maastricht ver-
einbart worden sind“ und „übermäßige Defizite zu ver-
meiden“. Das war ein Versprechen von uns allen hier im
Saal und von den Mitgliedern des Bundesrates gegenüber
der deutschen Bevölkerung. Jetzt soll dieses Versprechen
gebrochen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit dem 1997 auf Drängen Deutschlands verabschie-

deten Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde dieses Ver-
sprechen durch ein institutionelles Regelwerk abge-
sichert, das vor einer expansiven Verschuldungspolitik
schützen sollte. Ohne den Stabilitätspakt – das wissen
wir alle hier im Saal – hätte es die dritte Stufe der Euro-
päischen Währungsunion und den Euro nie gegeben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit seinem Vorstoß opfert der Herr Bundeskanzler
diesen Stabilitätspakt auf dem Altar der Beliebigkeit. Er
setzt die Regelbindung dieses Pakts außer Kraft. Nach
seinem Vorschlag wird es künftig keine Defizitverfahren
mehr geben, keine europäischen Grenzen für die natio-
nale Schuldenpolitik. Künftig lässt sich jegliche Ver-
schuldung rechtfertigen. Sie haben damit, wie der Vize-
präsident der Bundesbank gesagt hat, die Büchse der
Pandora für eine Verschuldungspolitik geöffnet, die die
Menschen in unserem Lande teuer zu stehen kommen
wird: über eine höhere Inflation und erhebliche Wachs-
tums- und Wohlstandseinbußen. Kein Wunder also, dass
die Vertreter der Deutschen Bundesbank und der Euro-
päischen Zentralbank sowie viele Sachverständige in der
gestrigen Anhörung des Finanzausschusses die Vor-
schläge des Bundeskanzlers als grundfalsch abgelehnt
haben.

Aber das ist es, was diese Bundesregierung will: Sie
will einen Blankoscheck für eine noch höhere Staatsver-
schuldung ausgestellt bekommen. Sie haben 2002, 2003
und 2004 die in unserer Verfassung festgelegte Verschul-
dungsgrenze überschritten. Sie haben in diesen drei Jah-
ren die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts
nicht eingehalten, also europäisches Recht verletzt. In
diesem Jahr wird es nach Meinung aller Experten nicht
besser laufen. Der Bundesfinanzminister ist mit seiner

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Michael Meister

Politik gescheitert. Das hat sein österreichischer Kollege
am 18. Oktober des letzten Jahres in einem Interview mit
der „Wirtschaftswoche“ auf den Punkt gebracht – ich
darf zitieren –:

Nicht der Stabilitätspakt hat versagt, sondern die Fi-
nanzpolitik in einigen Mitgliedstaaten wie Deutsch-
land und Frankreich.

Recht hat er, der Herr Grasser.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)


In der nationalen Haushaltspolitik werden die Fehler ge-
macht. Es gibt ein Problem nicht mit dem Pakt, sondern
bezüglich der Einhaltung der Regeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, mit dem Versagen des Bun-
desfinanzministers haben Sie nicht nur national, sondern
auch international das Vertrauen in eine solide deutsche
Finanzpolitik verspielt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ziemlicher Unsinn, den Sie da erzählen!)


Lassen Sie mich an dieser Stelle mit zwei Irrtümern
aufräumen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt biete
nicht genügend Flexibilität, ist Ihre Behauptung. Diese
Behauptung ist grundfalsch. Er ist kein Zwangskorsett.
Wir können uns nach diesem Pakt jährlich 3 Prozent neue
Schulden leisten; das sind bei unserem volkswirtschaft-
lichen Volumen 60 Milliarden Euro. 60 Milliarden Euro
neue Schulden pro Jahr müssen ausreichen, auch in wirt-
schaftlich schwierigen Zeiten,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ohnehin zu viel!)


wenn man in konjunkturell guten Zeiten einen Haus-
haltsausgleich anstrebt. Sie aber geben das Ziel des
Haushaltsausgleichs in konjunkturell guten Jahren auf.
Das ist der Grundfehler Ihrer Politik. Da müssen wir et-
was ändern. In konjunkturell guten Zeiten dürfen in
Deutschland keine Schulden gemacht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihr zweiter Irrtum besteht darin, dass Sie künstlich ei-

nen Gegensatz zwischen Wachstum und Konsolidierung
konstruieren. Die Geschichte zeigt: Solidität in der Fi-
nanzpolitik und der Haushaltsführung ist die wesentliche
Voraussetzung für inflationsfreies, dauerhaftes wirt-
schaftliches Wachstum. Solide öffentliche Haushalte
stärken das Vertrauen und erleichtern es Investoren und
Konsumenten, langfristige Entscheidungen zu treffen.
Ihr Verhalten führt in Deutschland zu Attentismus: Es
wird nicht konsumiert und nicht investiert, weil alle
Menschen wissen, dass Ihre Schulden von heute die
Steuern von morgen sind. Deshalb würden niedrige De-
fizitquoten, niedrige Schuldenquoten zu mehr Wachstum
in diesem Land führen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515107500

Herr Kollege, Ihre fünf Minuten sind zu Ende.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eigentlich hätte er gar nicht anfangen sollen!)



Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1515107600

Kehren Sie um und hören Sie auf, diesen Stabilitäts-

und Wachstumspakt wie einen Schweizer Käse zu
durchlöchern!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515107700

Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Frak-

tion.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1515107800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Meister, die finanzpolitische Position der Union
ist pure Heuchelei.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Nicht mit kräftigen Formulierungen ablenken! Zur Sache!)


Die Anhörung gestern im Finanzausschuss hat gezeigt,
dass die von Ihnen vorgelegten Steuerreformkonzepte
Löcher in zweistelliger Milliardenhöhe in die Haushalte
reißen würden. Das ist die Wahrheit.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hätten Sie mal besser zugehört! – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Es sind immer andere schuld! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er hat noch nie von dem Zusammenhang zwischen Steuersätzen und Steueraufkommen gehört!)


Ihre Vorschläge haben nicht nur gravierende konzeptio-
nelle Mängel. Sie würden auch das Maastricht-Defizit
um mindestens einen halben, wahrscheinlich um mehr
als einen Prozentpunkt erhöhen.


(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Warum blenden Sie denn die anderen Reformkonzepte aus?)


Solche unfinanzierbaren massiven Steuerentlastungen
immer wieder zu fordern


(Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie mal über die SPD!)


und gleichzeitig die Bundesregierung als Totengräber
des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu
bezeichnen, das ist dreist und heuchlerisch.

Sie haben jedes Recht verloren, sich hier als Wächter
der öffentlichen Finanzen aufzuspielen. Denn Sie haben
in den letzten Jahren umfassende Maßnahmen zum steu-
erlichen Subventionsabbau verhindert – zum Nachteil
des Haushaltes des Bundes und der Haushalte der Län-
der und der Kommunen.


(Beifall bei der SPD)

Sie waren Blockierer. Sie haben die Sanierung der öf-
fentlichen Haushalte verhindert.






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Sie haben die Kohlesubventionen verlängert!)


Kehren Sie bitte zu einer sachlichen Betrachtung zurück!
Nach sechs Jahren Euro, einer lange andauernden

Schwäche des wirtschaftlichen Wachstums in weiten
Teilen Europas und daraus resultierenden hohen öffentli-
chen Defiziten ist es fachlich geradezu zwingend, die
Anwendung des europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspaktes neu zu justieren.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Schröders Hofnarr!)


Es gehört nämlich zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme,
festzustellen, dass man sich bei der Konzeption des Pak-
tes in den 90er-Jahren eine dreijährige Stagnation nicht
vorstellen konnte.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist Ihr Horizont!)


Auch das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, hinzu kommt, dass die EU

mittlerweile 25 Mitglieder umfasst. Auch das war da-
mals nicht absehbar.

Es geht also nicht um eine Aufweichung des europäi-
schen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Es geht darum,
die in den letzten Jahren mit dem Pakt gemachten Erfah-
rungen auszuwerten.

Wir wollen, dass Europa eine Stabilitätsgemeinschaft
bleibt,


(Zuruf von der FDP: Das stimmt doch gar nicht! – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Genau das Gegenteil machen Sie! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mehr Schulden!)


und wir wollen, dass Europa wachstumsstärker wird.

(Beifall bei der SPD)


Das ist übrigens Konsens in der Europäischen Kom-
mission und bei den europäischen Partnern. Es ist
selbstverständlich, dass sich Deutschland hier mit kon-
struktiven Vorschlägen beteiligt. Die Vorschläge des
Bundeskanzlers sind solche konstruktiven Vorschläge.


(Zuruf von der CDU/CSU: Zum Schuldenmachen!)


Diejenigen, die wie Sie bezogen auf den europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakt am liebsten alles beim
Alten lassen würden, nehmen veränderte Realitäten
nicht zur Kenntnis. Es funktioniert bekanntlich nicht al-
les nach dem Lehrbuch. Der ökonomische Verlauf der
letzten Jahre hat Realitäten verändert.

Wer, wie zum Beispiel die Deutsche Bundesbank, das
Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft fast aus-
schließlich von der Situation der öffentlichen Haushalte
abhängig macht, greift theoretisch und empirisch zu
kurz. Auch kurzfristig haushaltsbelastende Maßnahmen
können Wirtschaftswachstum und Beschäftigung stärken
und müssen deshalb möglich sein.
Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ist
nämlich kein Selbstzweck. Er ist unbestritten ein wichti-
ges Instrument zur Erreichung übergeordneter wirt-
schafts- und finanzpolitischer Ziele, zu denen auch die
Intensivierung und Verstärkung des wirtschaftlichen
Wachstums in Deutschland und Europa gehören.

Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
verweigern sich einer vernünftigen Weiterentwicklung
des Paktes. Sie wollen auch dieses Thema lediglich für
parteipolitische Krawallmache nutzen. Dafür sind die
Themen Stabilität und Wachstum aber zu ernst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schwarzmalerei, Chaosgesänge und dreiste Unterstel-
lungen – daraus besteht seit Jahren die Finanzpolitik von
Austermann und Merz. Sie, Herr Kollege Meister, fahren
– ich sage: leider – in diesem Stil fort. Dabei bräuchte
Deutschland gerade in der Haushalts- und Finanzpolitik
eine Opposition, die zu konstruktiver Mitarbeit nicht nur
bereit, sondern auch fähig ist.


(Otto Fricke [FDP]: Dann können Sie das ja demnächst machen!)


Ich habe den Eindruck, dass Sie weder die Bereitschaft
zu konstruktiver Mitarbeit zeigen noch die Fähigkeit
dazu haben. Eine solche Opposition können wir uns in
diesen schwierigen Zeiten wahrlich nicht leisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515107900

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Andreas

Pinkwart, FDP-Fraktion.


Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Rede ID: ID1515108000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Poß, Sie haben es wieder einmal verstan-
den, in Ihrer Rede überhaupt nicht auf Ihre eigene Ver-
antwortung einzugehen, sondern bei den Konzepten an-
derer Zuflucht zu suchen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will einen Punkt ansprechen, der gestern Gegen-

stand der Beratungen im Haushaltsausschuss war, dort
vom Bundesfinanzminister vorgetragen wurde und der
über die konstruktive Mitarbeit der Opposition genau
Auskunft gibt. Dabei geht es insbesondere um den Vor-
schlag meiner Fraktion, die im Haushalt 2005 für die
Bundesagentur für Arbeit veranschlagten Mittel um
1 Milliarde Euro zu kürzen. Daraufhin haben Sie uns
vorgeführt, indem Sie gesagt haben, Sie könnten unse-
rem Vorschlag nicht zustimmen, weil es sich dabei an-
geblich um eine unsoziale Maßnahme handele. In sei-
nem jetzt vorgelegten Abschluss für das Jahr 2004 hat
aber der Bundesfinanzminister die Mittel für die Bun-
desagentur für Arbeit um genau 1 Milliarde Euro ge-
kürzt, wie wir es ihm im Ausschuss vorgerechnet haben;


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist es!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Andreas Pinkwart

das ist unsere seriöse Politik. Sie jedoch wollen in Wahr-
heit gar nicht sparen; das ist Ihre Politik.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie verwechseln 2004 und 2005! Das ist ein Unterschied!)


Sie hatten dazu – das belegen die Fakten; darauf hat
auch die EU-Kommission hingewiesen – genug Gele-
genheit, und zwar auch in solchen Zeiten, in denen Sie
mit dem Bundesrat hervorragend hätten verfahren kön-
nen. Nun sind sechs Jahre vergangen. Nur in zwei Jahren
haben Sie einen Beitrag zum Abbau des strukturellen
Defizits geleistet. Das strukturelle Defizit betrug im ver-
gangenen Jahr 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
In diesem Jahr, also 2005, reicht die Verschuldung unse-
res Landes, obwohl der Bundeswirtschaftsminister seit
Monaten einen konjunkturellen Aufschwung ankündigt,
erneut an die 3-Prozent-Marke heran, wie Ihr Finanzmi-
nister sagt. Der Bundesbankpräsident gab gestern die
Auskunft, dass die Verschuldung im Jahre 2005 sogar
mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen
wird.


(Zuruf von der SPD: Das hat er gar nicht gesagt! Was für Beweise haben Sie denn dafür? Sie müssen ehrlich bleiben!)


Bei wirtschaftlicher Normallage im Jahr 2004 mit ei-
nem Wachstum von 1,7 Prozent und bei wirtschaftlicher
Normallage im Jahre 2005, die von Ihrer Regierung auch
als solche benannt wird, reizen Sie die nach dem
Maastricht-Vertrag maximal zulässige Verschuldungsbe-
lastung voll aus bzw. überschreiten sie sogar. Das ist der
Marsch in den Schuldenstaat, den wir – wie ich finde: zu
Recht – kritisieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das lässt uns natürlich kaum noch Handlungsspiel-

räume, vor allen Dingen dann nicht, wenn tatsächlich
einmal ein konjunkturelles Gegensteuern notwendig
wäre. Sämtliche stille Reserven werden von Ihnen auf-
gelöst; selbst vor den Goldreserven machen Sie nicht
Halt. Alles wollen Sie infrage stellen. Nichts soll mehr
übrig bleiben. Alles wird in dieser Legislaturperiode ver-
braten. Lasten werden, wie Sie es auch bei den Pensions-
verpflichtungen getan haben, in die kommende Legisla-
turperiode verlagert, nur damit Sie jetzt nicht das, was
für unser Land notwendig wäre, tun müssen: weitere
Strukturreformen durchführen, damit der Arbeitsmarkt
in Gang kommt und in diesem Land Wachstum entsteht.
Nein, erneut machen Sie die Politik der ruhigen Hand,
die schon in der letzten Legislaturperiode zur Ver-
schlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung beige-
tragen hat, und Sie verfahren nach dem Motto „Wenn
Realität und Regeln nicht zusammenpassen, werden die
Regeln einfach angepasst“. Genau ein solches Verhalten
schafft aber kein Vertrauen, sondern zerstört das Ver-
trauen in den Standort Deutschland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist schon bemerkenswert, was der Bundeskanzler

in einer Wirtschaftszeitung an Überlegungen ausgebrei-
tet hat, wie er sich das künftig vorstellt, nachdem doch
wir in Europa unsere deutsche Stabilitätskultur imple-
mentiert hatten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!)

Gestern haben Sie, Herr Poß, im Ausschuss erklärt, wie
toll es doch sei, dass Europa sich zu einem Stabilitäts-
raum entwickelt habe. Dabei ist das doch genau darauf
zurückzuführen, dass die anderen Länder durch diese
strengen Stabilitätskriterien auf unseren Kurs verpflich-
tet worden sind.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Unseren alten Kurs! – Joachim Poß [SPD]: Schauen Sie sich einmal die Zahlen an!)


Sie können diesen Kurs nicht halten, weil Sie die politi-
sche Kraft dafür nicht haben, müssen deshalb jetzt mit
denen in Europa nachsichtig sein, die diese Stabilitäts-
kultur in Wahrheit schon damals gar nicht haben wollten,
und versuchen, mit ihnen faule Kompromisse zu schmie-
den.


(Joachim Poß [SPD]: Ihre Aussagen sind durch die Entwicklung des Datenkranzes nicht gedeckt! Schauen Sie sich einmal die Zahlen seit 1985 an!)


Folgt man den Vorstellungen Ihres Bundeskanzlers – so
haben angesehene volkswirtschaftliche Institute berech-
net –, könnte in Zukunft selbst eine Neuverschuldung
von über 8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von der
EU-Kommission nicht mehr sanktioniert werden!


(Zuruf von der SPD: Quatsch! – Joachim Poß [SPD]: Wie kommen Sie auf diese Zahlen? Wie haben Sie das ausgerechnet?)


Das hieße, Sie wollen sich den Handlungsspielraum für
die gesamtstaatliche Neuverschuldung – die mit gegen-
wärtig 80 Milliarden Euro ohnehin schon zu hoch liegt –
auf 160 Milliarden Euro erweitern; so die Beurteilung
der Volkswirtschaftsabteilungen führender national und
international tätiger Banken.

Wenn es nach Herrn Chirac und Herrn Berlusconi
ginge, wenn es nach den Kriterien ginge, die von ihnen
derzeit angedacht werden, würde diese Rate auf über
10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes angehoben wer-
den. Das sind die Aufweichungen, die Sie wollen! Sie
haben eben nicht die politische Kraft, hier im eigenen
Land für das Volk und die nachfolgenden Generationen
das Notwendige zu tun. Sie suchen jetzt nach einem
– scheinbar – einfacheren Weg, nach einem Weg gerin-
geren Widerstands. Wenn Sie diese Politik zu Ende füh-
ren könnten, würde das Ganze uns allen auf die Füße fal-
len.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515108100

Herr Kollege, auch Sie müssen zum Ende kommen.


Prof. Dr. Andreas Pinkwart (FDP):
Rede ID: ID1515108200

Deswegen haben wir die Aktuelle Stunde: damit Sie

diese Politik nicht mehr fortführen können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515108300

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/

Die Grünen.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die will doch nur wieder die Tabaksteuer erhöhen!)



Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515108400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen, insbesondere von der Opposition! Ich finde es
angemessen, dass Sie hier heute eine Aktuelle Stunde
zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt ange-
meldet haben; das will ich ganz ausdrücklich feststellen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihr wollt ja von Nachhaltigkeit nichts mehr wissen!)


Ich bin nur etwas erstaunt, dass Sie von der Opposition
in den ersten beiden Redebeiträgen nicht die Fähigkeit
hatten, zu der aktuellen Diskussion – „Wie soll der Pakt
denn jetzt angewendet werden?“ – auch nur irgendeinen
Vorschlag zu machen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unsere Haltung ist gestern sehr deutlich geworden! – Gegenruf von der FDP: Da war sie nicht dabei!)


– Was Sie wollen, ist mit Ihren Beiträgen von eben nicht
deutlich geworden. Das zeigt wieder: Sobald es schwie-
rig wird in der Anwendung, verfallen Sie in Plattitüden.
Das ist zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will ausdrücklich sagen: Es ist richtig, Herr
Dr. Pinkwart, dass wir eine schwierige Haushaltslage ha-
ben. Nun befinden wir uns in einer wirtschaftlichen Er-
holung und da darf man die Erwartung haben, dass die
Haushaltspolitik wieder in ein besseres Fahrwasser
kommt. Dass Sie als Opposition uns kritisieren und nicht
zufrieden sein können, gehört zu unserem politischen
Wettbewerb. Richtig ist aber auch – Sie haben gerade auf
die Diskussion über den Arbeitsmarkt verwiesen –, dass
ein Kollege von der großen Oppositionsfraktion, Herr
Austermann, der ja in Schleswig-Holstein Wahlkampf
macht,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Der wird Ihre Falschaussagen gleich richtig stellen, Frau Hajduk!)


uns heuchlerisch dafür kritisiert hat, dass die Bundes-
agentur für Arbeit im Haushaltsjahr 2004 1 Milliarde
Euro weniger gebraucht hat. Das hat er uns sozialpoli-
tisch angekreidet. Ich empfinde das als eine ziemliche
Frechheit, da Sie sonst sozialabbauerisch gar nicht ge-
nug agieren können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Das stimmt doch gar nicht, Frau Hajduk! Sie reißen das völlig aus dem Zusammenhang!)

Das ist widersprüchlich und zeigt Ihre Inkompetenz. Sie
sind unfähig, ernsthafte sozialpolitische und arbeits-
marktpolitische Reformen durchzuführen.

Herr Pinkwart, eingangs Ihres fünfminütigen Beitrags
haben Sie gesagt, dass Sie von der FDP das anders ge-
macht hätten und dass Sie darauf hinweisen, dass dieser
Haushaltsabschluss eine weitere Herabsetzung des Zu-
schusses für die Bundesanstalt rechtfertigen würde.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist nicht so, nein, nein!)


Ich will Ihnen sagen: Die Veranschlagung im Haushalt
2005 ist niedriger, sie beträgt nämlich nur noch
4 Milliarden Euro. Ich halte dies auch weiterhin für an-
gemessen und wiederhole unsere Kritik an Ihnen, dass
Sie sich bezogen auf die Verlässlichkeit des Haushaltes
weiterhin in einem Widerspruch befinden.

Nun komme ich zur Änderung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts,


(Zuruf von der CDU/CSU: Änderung oder Anpassung?)


weil ich diese Diskussion für wichtig halte. Die Europäi-
sche Kommission selbst spricht davon, dass es notwen-
dig ist, diesen Pakt anzupassen und zu reformieren, um
ihm mehr Legitimität und Kraft zu verleihen. Das kann
an Ihnen doch nicht vorbeigehen.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo denn?)

Deswegen finde ich es gut und bin beruhigt, dass es in
wesentlichen Punkten schnell zu einer Einigung zwi-
schen den Finanzministern gekommen ist: Die Kriterien
werden nicht angefasst, das Defizitverfahren wird wei-
terhin in der jetzigen Art und Weise eingeleitet und Kri-
terien für eine Beurteilung sollen keinesfalls vorher grei-
fen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das will der Herr Eichel doch gar nicht!)


Die Meinung der grünen Seite dazu lautet: Das ist rich-
tig. Der Finanzminister hat gestern im Haushaltsaus-
schuss deutlich gemacht, dass es zusätzlich wahrschein-
lich präventive Initiativrechte der Kommission für
Frühwarnungen geben soll. Auch das begrüße ich. Des-
wegen sage ich: Lassen Sie sich doch auch auf die Dis-
kussion ein!

Müssen wir bei Anwendung des Paktes nicht auch an-
dere Dinge ins Auge fassen, die ökonomisch wichtig
sind? Ich glaube, wir müssen raus aus der von Ihnen
ideologisch geführten Debatte. Diese hilft uns im Hin-
blick auf eine langfristige Haushaltspolitik nicht weiter.
Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts bleibt: Die
Staatsfinanzen müssen langfristig wirklich stabilisiert
werden. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Die de-
mographische Entwicklung in Europa erfordert das.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wofür brauchen Sie dann noch mehr Spielraum?)


Deswegen ist es zum Beispiel richtig – ich plädiere
dafür –, dass wir die europäischen Institutionen bei der






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

Beurteilung der Haushaltspolitiken stärken. Wir brau-
chen eine größere europäische Koordination.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Dann müssen Sie das Parlament stärken!)


– Ich finde es wichtig, dass auch das Parlament einen
starken Beitrag leistet. – Ich finde es auch richtig, die
Haushalte zu analysieren und zu schauen, ob sie die
langfristige implizite Verschuldung – dabei ist die Al-
tersversorgung ganz wichtig – wirklich aufgreifen. Des-
wegen habe ich nichts dagegen, wenn dies bei der tat-
sächlichen Beurteilung und Anwendung einer nationalen
Haushaltspolitik zum Tragen kommt und gefördert wird.
Ich möchte wirklich dafür werben: Setzen Sie sich damit
auseinander!

Ich habe noch einmal ausdrücklich die Argumente des
Herrn Regling nachgelesen, der sicherlich ein Vertreter
einer stabilitätsorientierten Politik in Europa ist. Herr
Regling, Generaldirektor bei der EU-Kommission, hat
an vier Punkten dargestellt, wie der Reform- bzw. An-
passungsbedarf aus Sicht der Europäischen Kommission
aussieht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie waren doch dagegen! – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Sie wollen doch viel mehr als er! Lesen Sie mal, was der Bundeskanzler will!)


Er sagt unter anderem, dass die Verschuldung und die
langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte
stärker berücksichtigt werden müssen. Hier gibt es An-
passungsnotwendigkeiten. Auch er plädiert für eine stär-
kere Berücksichtigung der konjunkturellen Lage.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515108500

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515108600

Ich komme sofort zum Schluss. – Dabei geht es nicht

darum, die Kriterien zu verändern, sondern darum, zu
überlegen, ob ein Land mehr Zeit braucht. Er plädiert
sehr dafür, auch die europäischen Instanzen zu stärken.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Lesen Sie mal, was der Bundeskanzler schreibt!)


Ich finde, dass der Finanzminister recht daran tut, an die-
ser Orientierung mitzuarbeiten.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515108700

Frau Kollegin, Sie überziehen Ihre Redezeit deutlich.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515108800

Ich glaube, dieses Thema verdient es, dass man sich

seriös und ernsthaft mit ihm auseinander setzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515108900

Das Wort hat der Kollege Dietrich Austermann,

CDU/CSU-Fraktion.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1515109000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

ein Unding, dass der Bundeskanzler in einem Zeitungs-
artikel eine Debatte zu einer der wesentlichen Fragen der
deutschen und der europäischen Politik anstößt, nämlich
zur Frage des europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
paktes, dann aber weder er noch der Finanzminister
heute bei der Debatte anwesend sind. Das heißt, die De-
batte mit dem Parlament als einem wichtigen Entschei-
dungsorgan wird nicht geführt. Ich finde, das geht nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wissen, dass wir das begründet haben! Der Bundeskanzler spricht mit dem Bundespräsidenten!)


Hier wird das Verhalten eines Duodezfürsten praktiziert.
Ich finde es auch bemerkenswert, Frau Kollegin

Hajduk – Sie haben über die Frage des Stils der Debatte
gesprochen –, dass die beiden Vertreter der Regierungs-
parteien schon in der ersten Debatte dieses Jahres gleich
wieder mit Kraftausdrücken anfangen und versuchen


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sprechen Sie einmal mit Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer! Unanständig ist das, was Sie machen!)


– Ihre Zwischenrufe beweisen das –, die Debatte auf ei-
nem Niveau zu führen, das offensichtlich verrät, dass sie
in dieser Frage ein schlechtes Gewissen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das hängt doch von dem Ton ab, den Sie anschlagen! Was hat denn Herr Meister hier gesagt?)


Das, worum es eigentlich geht – das werden wir den
Menschen auch deutlich machen –, kann man an der
Wirkung dieser Politik ablesen. Schuldenpolitik macht
arbeitslos. Schuldenpolitik führt dazu, dass immer weni-
ger Menschen Arbeit haben. Sie können das in vielen
Bundesländern – Sie haben das Thema angesprochen;
ich brauche Schleswig-Holstein gar nicht zu nennen –
beobachten. Ich könnte als Beispiel auch den Bund an-
führen, wo die gleiche Situation vorliegt. Die Tatsache,
dass wir im letzten Jahr inzwischen mehr Geld für Ar-
beitsmarktpolitik als für Investitionen ausgegeben haben
– diejenigen, die von der Arbeitsmarktpolitik betroffen
sind, sind sicher nicht die Reichsten –, macht deutlich,
dass eine Veränderung der Politik eingetreten ist. Schul-
denpolitik macht arbeitslos. Ich sage auch: Rot-Grün
macht arm und arbeitslos. Derjenige, der arbeitslos ist,
gehört in der Regel nicht zu den Betuchten.


(Joachim Poß [SPD]: Das ist der neue Stil von dem vornehmen Herrn Austermann!)


Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen. Sie ha-
ben uns unsere Forderung, die Mittel der Bundesagentur
für Arbeit um 1 Milliarde Euro zu kürzen, vorgeworfen.
Dazu stehen wir. Wir halten die PSA für überflüssig.
Gleiches gilt für die Ich-AG. Diese legalisierte Form der
Schwarzarbeit ist überflüssig. Wenn Sie die Mittel für
diese beiden Maßnahmen zusammenrechnen, kommen
Sie auf eine Größenordnung von etwa 1 Milliarde Euro.






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

Wir haben aber auf der anderen Seite beklagt – das

war der Punkt –, dass die Bundesagentur für Arbeit die-
sen offensichtlich notwendigen Druck fast ausschließ-
lich in den neuen Bundesländern ausgeübt hat. Sie hat
dort Maßnahmen zusammengestrichen, die sie jetzt über
Fördern und Fordern im Zusammenhang mit Hartz IV
und dem ALG II wieder aufleben lassen will. Zunächst
treibt man die Menschen in die Armut, um dann zu er-
klären: Wir ergreifen nun ganz überraschend neue Maß-
nahmen zur Verbesserung der Situation.

Schauen wir uns einmal die genauen Zahlen an. 1996
war das Jahr einer bestimmten Verschuldungshöhe. Da-
mals hatte der Bund einen Finanzierungssaldo von
34,5 Milliarden Euro. Das war zu hoch. Der Finanzie-
rungssaldo von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozial-
versicherung betrug 62,7 Milliarden Euro. Das war eine
Verschuldung von 3,4 Prozent. Im Jahre 2004 betrug der
Finanzierungssaldo des Bundes nicht 40, 41 oder
43 Milliarden Euro, sondern 53,7 Milliarden Euro. Der
Finanzierungssaldo von Bund, Ländern und Gemeinden
lag bei 84,5 Milliarden Euro. Das sind allein beim Bund
20 Milliarden Euro Verschuldung mehr als im Jahr 1996,
dem angeblichen Rekordjahr der Verschuldung. Ich
glaube, damit ist ziemlich klar, wer der Rekordschulden-
macher in Deutschland ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Finanzierungssaldo des Gesamtstaates war sogar

22 Milliarden Euro mehr als 1996. Das unterstreicht,
dass eine falsche Politik gemacht wird. Angesichts der
Behauptung, man habe nicht genügend Flexibilität, stellt
sich die Frage: Wie viel brauchen Sie denn noch? Bei ei-
ner Flexibilität in der Größenordnung von 53,7 Mil-
liarden Euro wollen Sie noch abweichende Regelungen
haben! Was bedeutet das, was der Bundeskanzler vorge-
schlagen hat? Er verlangt eine Verschuldungsgrenze von
3 Prozent plus irgendetwas. All das, was unter dieses Ir-
gendetwas fällt, nämlich die Frage der Konjunkturmaß-
nahmen im Inland, praktizieren Sie doch schon seit drei
Jahren mit der Wirkung, dass es immer weiter bergab
geht.

Reformen sollen ein Ausweis für eine richtige Politik
sein, um zu Einsparungen zu kommen. Ich bin immer
davon ausgegangen, dass die Reformmaßnahmen dazu
beitragen, dass die öffentliche Hand spart, nicht dazu,
dass sie mehr Geld ausgibt. Das können Sie auch bei den
so genannten Dauerlasten sehen. Herr Regling hat für
die EU-Kommission immer wieder gesagt, das Argu-
ment der Kosten für den Wiederaufbau in dem einen Teil
unseres Vaterlandes kann man heute nicht mehr in der
Dimension berücksichtigen, wie man das in den 90er-
Jahren gemacht hat. Wir sagen: Der Stabilitäts- und
Wachstumspakt hat dazu beigetragen, dass in Europa zu-
mindest Ende der 90er-Jahre eine Politik in Richtung
weniger Schulden gemacht wurde. Das war der entschei-
dende Vorteil. Sie versuchen jetzt das Gegenteil. Sie tra-
gen dazu bei, dass immer weniger Leute Arbeit haben,
immer mehr Schulden gemacht werden und immer un-
verantwortlicher mit den Finanzen unseres Staates um-
gegangen wird. Da machen wir nicht mit. Wir sagen: Die
3 Prozent reichen aus. Sie sind die absolute Obergrenze.
Normalerweise ist es richtig – das sagt jeder Privatmann
und auch der Staat –,


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515109100

Herr Kollege, auch Ihre Redezeit ist vorbei.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1515109200

dass man sich an den Einnahmen orientiert. Nun zu

sagen, man brauche mehr als 3 Prozent, man brauche
53,7 Milliarden Euro und noch mehr, ist nicht die rich-
tige Einstellung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515109300

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär der

Finanzen, Karl Diller.
Ka
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1515109400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Professor Pinkwart hat das Parlament an die An-
träge der Oppositionsfraktionen zum Haushalt erinnert.
Das hätten Sie besser unterlassen.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist eine Arroganz, Herr Staatssekretär! Das ist unglaublich! Bei der Verschuldung!)


Denn die Seriosität Ihrer Anträge – nicht nur Ihrer, son-
dern auch der Anträge der CDU/CSU – kann man einem
breiten Publikum an drei Beispielen ziemlich deutlich
machen.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Nehmen Sie das vom Arbeitsmarkt!)


Das erste Beispiel ist die Streichung der Arbeitslosen-
hilfe. Die Menschen haben einen Rechtsanspruch darauf,
dass sie zum 31. Dezember auf ihrem Konto die Arbeits-
losenhilfe für den Monat Dezember vorfinden. Dieser
Betrag muss am 1. bzw. 2. Januar in den Büchern des
Bundes gebucht werden. Das wollten Sie streichen. Ihr
Vorschlag der Streichung hätte bedeutet, eine überplan-
mäßige Ausgabe im Haushalt 2005 zu provozieren.
Diese hätte uns aber nicht genehmigt werden dürfen,
weil nämlich eine solche überplanmäßige Ausgabe für
das Parlament vorhersehbar war und deswegen den Kri-
terien nicht entsprochen hätte.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zum Stabilitätspakt und zu den Vorschlägen des Bundeskanzlers!)


Zweites Beispiel. Die Opposition war so frei, zu for-
dern, dass sich ungefähr 10 Prozent aller Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter samt ihren Familienangehörigen
zum 1. Januar 2005 in Luft auflösen.


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

Denn Sie haben den Antrag gestellt, 10 Prozent aller fle-
xibilisierten Mittel zu streichen. Der größte Posten bei
den flexibilisierten Mitteln sind aber Personalkosten.
Deswegen hätten wir Tausende von BGS-Beamten






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Karl Diller

plötzlich am 1. Januar nicht mehr bezahlen dürfen. Wer
solch absurde Anträge stellt, hat jeden Anspruch auf Se-
riosität verloren.


(Beifall bei der SPD)

Das dritte Beispiel ist das Lieblingsbeispiel von Herrn

Professor Pinkwart – das ist sein „Jäger 90“ –: die Koh-
lebeihilfen.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: So viel Blödsinn habe ich noch nie gehört! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Thema verfehlt!)


Er hat den Antrag gestellt, die Kohlebeihilfen auf null zu
setzen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Worüber reden Sie denn eigentlich?)


Das hätte bedeutet, dass wir gegenüber der RAG und ge-
genüber den Beschäftigten vertragsbrüchig geworden
wären.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zu den Vorschlägen des Bundeskanzlers!)


Übrigens hätten wir damit einen Vertrag gebrochen, den
der verstorbene ehemalige Wirtschaftsminister Rexrodt
in der Zeit der Regierung Kohl ausgehandelt hat.


(Joachim Poß [SPD]: So ist es!)

Ich will noch an die Blockadepolitik dieser Damen

und Herren und ihrer Parteifreunde im Bundesrat und im
Vermittlungsausschuss erinnern. 17,5 Milliarden Euro
hätten Bund, Länder und Gemeinden Jahr für Jahr mehr
in ihren Kassen, wenn Sie nicht Ihre Blockadepolitik im
Bundesrat betrieben hätten. 17,5 Milliarden Euro sind
fast ein ganzer Prozentpunkt vom Bruttoinlandsprodukt
und damit 1 Prozentpunkt nach Maastrichtkriterium. Das
sind Ihre Versäumnisse. Das müssen Sie sich zurechnen
lassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen lassen Sie mich in aller Deutlichkeit fest-
stellen: Wenn wir Ihrer Position gefolgt wären, dann wä-
ren wir in die falsche Richtung marschiert. Wir halten
klar am Maastrichtvertrag fest. Wir brauchen auf der eu-
ropäischen Ebene in der Währungsunion die Koordinie-
rung, die Regelbindung einer gemeinsamen Finanzpoli-
tik.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Der Vertrag gibt die Regel vor!)


Was wir aber nicht machen können, ist, vor den gemach-
ten Erfahrungen die Augen zu verschließen. Wir müssen
uns den Pakt und den Vertrag einmal genau ansehen.
Darin ist nämlich von Ermessensspielräumen die Rede.

Wir müssen damit aufhören, über Juristereien und
Zehntelprozentpunkte, also Stellen hinter dem Komma,
zu reden. Stattdessen müssen wir über Ermessensspiel-
räume und damit über Inhalte des europäischen Stabili-
täts- und Wachstumspakts sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: 18 Prozent sind kein Ermessensspielraum!)


Nach der Konzeption des EG-Vertrages dient das In-
strument der Haushaltsüberwachung durch die Kommis-
sion der Vermeidung – ich zitiere – „schwerwiegender
Fehler“ in der Haushalts- und Finanzpolitik der Mit-
gliedstaaten. Aus dem Vertrag selbst geht hervor, dass es
keineswegs Ziel und Aufgabe der finanzpolitischen Ko-
ordinierung ist, den Mitgliedstaaten in ihre täglichen Ge-
schäfte hineinzuregieren. Wenn aber grobe Fehlentwick-
lungen vorliegen, dann müssen sie gestoppt werden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind die gröbste Fehlentwicklung der deutschen Nachkriegspolitik!)


Die Opposition betont immer wieder, wie wichtig die
Einhaltung der Vertragsvorgaben ist. Was dort aufge-
führt ist, entspricht genau unserer Position: Wenn ein
Land die 3-Prozent-Grenze überschreitet, dann sollten
selbstverständlich die Alarmglocken läuten.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Die sollten vorher läuten! – Otto Fricke [FDP]: Es brennt, aber ihr holt die Feuerwehr nicht!)


Was wir dann aber brauchen, sind keine schematischen
und automatisierten Verfahrensschritte. Notwendig ist
vielmehr ein genauer Blick auf die jeweilige Situation,
die in ihrer Gesamtheit abgewogen und bewertet werden
muss.

Ich erinnere an die Frage, um die es beispielsweise
bei dem Streit über das Verfahren gegen Deutschland
und Frankreich ging: Sollten bei einem Defizit von zum
Beispiel 3,2 Prozent einem Land Sanktionen angedroht
werden,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir liegen bei 3,9 Prozent!)


obwohl es eine äußerst zurückhaltende Ausgabenlinie
verfolgt, ihm aber die Konjunktur auf der Einnahmeseite
einen Strich durch die Rechnung macht?


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Die Konjunktur zieht doch gar nicht! Es ist doch gar nicht konjunkturell! Es ist doch strukturell!)


Sollten ihm, obwohl es durch Steuer- oder Rentenrefor-
men Strukturreformen umsetzt, die mehr Wachstum und
nachhaltige Finanzen ermöglichen, kurzfristig aber zu
einem Defizitanstieg über 3 Prozent führen, Sanktionen
angedroht werden? Ich meine, nein.

Wir müssen die Finanz- und Wirtschaftspolitik eines
Landes im Ganzen berücksichtigen und dürfen entschei-
dende Faktoren nicht ausklammern. Wir unterstützen
deswegen ausdrücklich den Vorschlag der Kommission,
die Beurteilungskriterien gründlich zu überarbeiten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wer ist in diesem Fall „wir“? Das Finanzministerium oder das Bundeskanzleramt?)


Lassen Sie mich noch einige Punkte nennen, die dabei
berücksichtigt werden müssten.






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Karl Diller


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wenn dafür noch Zeit ist!)

Nicht nur – wie bisher diskutiert wurde – starke Wirt-
schaftsabschwünge, sondern auch die Erfahrungen einer
dreijährigen Stagnation müssten berücksichtigt werden.
Berücksichtigt werden müsste auch, ob Reformen auf
dem Arbeitsmarkt erfolgt sind und ob im Haushalt zu-
kunftsorientierte Ausgaben für Forschung, Entwicklung,
Infrastruktur und Bildung vorgesehen sind, um die
Grundlagen für dauerhaftes Wachstum und nachhaltige
öffentliche Finanzen zu legen.

Des Weiteren müsste bedacht werden, welche Son-
derlasten ein Mitgliedstaat zu schultern hat. Wir haben
hohe Belastungen durch die deutsche Einheit zu tragen.
Eine weitere Sonderbelastung, die wir zu tragen haben
– sie ist übrigens nationalen Entscheidungen völlig ent-
zogen; wir haben keinerlei Einfluss darauf –, stellen die
hohen Nettotransfers an den europäischen Haushalt dar.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Die rotgrüne Regierung haben wir auch zu tragen!)


Auch solche Zahlungen sollten im Rahmen der finanz-
politischen Analyse berücksichtigt werden.

Um es noch einmal zu betonen: Es geht nicht um ein
Herausrechnen. Wir wollen aber, dass eine genaue Ana-
lyse erstellt wird, bevor entsprechende Schritte eingelei-
tet werden. Das hat nichts mit einer Aufweichung zu tun;
es ist vielmehr die einzig sinnvolle Konsequenz aus den
bisherigen Erfahrungen. Kommissar Almunia hat übri-
gens sehr deutlich gemacht, dass Portugal durch Aufla-
gen der EU praktisch in eine Rezession gelenkt wurde,
weil die Forderungen prozyklisch wirkten.

Insofern besteht Diskussionsbedarf. Wir sind zuver-
sichtlich, dass Ratspräsident Juncker, der selber zu den
Vätern des europäischen Stabilitäts- und Wachstums-
pakts gehört, die Diskussion in die richtigen Bahnen
lenkt und dazu beiträgt, dass wir zu einem guten Ergeb-
nis kommen werden. Wir sind sicher, dass die Diskus-
sion und die folgenden Entscheidungen bei ihm in guten
Händen liegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515109500

Das Wort hat der Kollege Peter Hintze, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1515109600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Der Bundeskanzler und sein Finanzminister ha-
ben bis in die vergangene Woche hinein Stein und Bein
geschworen, sie würden niemals den Stabilitäts- und
Wachstumspakt beschädigen. Wie sagte doch unser Bun-
deskanzler im Ersten Deutschen Fernsehen: „Wir rütteln
nicht an den Kriterien des europäischen Stabilitätspak-
tes.“

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Seit Walter Ulbrichts Wort: „Niemand hat die Absicht,
eine Mauer zu errichten“, hat noch nie ein deutscher
Politiker die Öffentlichkeit so dreist in die Irre geführt
wie der Herr Bundeskanzler in dieser Frage.


(Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Das ist aber unterste Schublade!)


Ich möchte es den aufgeregten SPD-Abgeordneten er-
klären. Hier werden die deutsche Bevölkerung und das
deutsche Parlament von Ihnen für dumm verkauft.


(Walter Schöler [SPD]: Ihnen ist auch nichts Neues eingefallen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1515109700
Das 3-Prozent-Kriterium
wollen wir gar nicht antasten. Im Ausschuss wurde uns
erzählt, der Pakt werde nicht ausgehöhlt, sondern ausge-
füllt. Wissen Sie, was Sie mit dem Pakt tatsächlich ma-
chen? Sie stopfen ihn aus. Die Hülle bleibt zwar – außen
stehen noch immer 3 Prozent –, aber der Inhalt ist weg.
Das ist ein Bruch nicht nur mit dem Geist, sondern auch
mit den Buchstaben des Stabilitäts- und Wachstumspak-
tes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Walter Schöler [SPD]: Das haben Sie ja mit den Worten von vorher gezeigt, wes Geistes Sie sind!)


Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Maastricht-Urteil klar gemacht, dass die Fortsetzung der
Stabilitätsgemeinschaft konstitutive Voraussetzung für
das Zustimmungsgesetz zum Euro war. Das heißt, wenn
die Bundesregierung einen parlamentarisch legitimierten
Vorgang, das Zustimmungsgesetz, durch einen exekuti-
ven Federstrich zerstört, dann ist das ein ungeheuerlicher
Umgang mit der Materie, aber auch mit dem Parlament.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich empfinde es als Beleidigung – das möchte ich
noch zu den Zurufen von Herrn Schmidt während der
Rede von Herrn Austermann sagen –, wenn der deutsche
Bundeskanzler in einem Namensartikel in einer Tages-
zeitung seine Absichten zur Änderung des Stabilitäts-
und Wachstumspaktes bekannt gibt und sich die Bundes-
regierung dann in dieser Sitzungswoche weigert, auch
nur ein einziges Regierungsmitglied, den Außenminis-
ter, den Finanzminister, den Wirtschaftsminister oder
den Bundeskanzler, hier zu diesen öffentlichen Äußerun-
gen Stellung nehmen zu lassen. Das heißt – das ist kris-
tallklar –, dass das Parlament in dieser Frage übergangen
werden soll. Das ist ein Umgang mit der Demokratie,
den wir nicht hinnehmen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihre ökonomische Begründung spottet jeglicher Be-

schreibung. Sie wollen dem deutschen Volk klar ma-
chen, dass die Probleme mit der steigenden Arbeitslosig-
keit und der wachsenden Wirtschaftsschwäche sowie die
sich ständig verschlimmernden Probleme im sozialen
Bereich durch eine steigende Verschuldung verringert






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hintze

werden können. Die Wahrheit ist: Das genaue Gegenteil
ist richtig. Nur wenn wir zu einer Politik der Haushalts-
konsolidierung zurückkehren, werden wir auch die wirt-
schaftlichen und die sozialen Probleme dieses Landes lö-
sen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich noch einen europapolitischen Ge-

danken aussprechen. Wir werben in diesen Tagen für die
europäische Verfassung und dafür, dass die Bürger ver-
stehen, dass im 21. Jahrhundert Europa die Antwort auf
ihre Fragen ist. Aber wir erschüttern das Vertrauen der
Bürger in Europa, in seine Institutionen und in seine Re-
gierungen, wenn wir mit der Stabilität der gemeinsamen
europäischen Währung so umgehen, wie Sie das mit
dem Bruch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Reine Heuchelei!)


Der Hintergrund ist, dass dieses Land unter der rot-
grünen Regierung zum vierten Mal in Folge den Stabili-
täts- und Wachstumspakt bricht, einen Pakt, der Voraus-
setzung für unsere Zustimmung zum Euro und für unser
Werben bei den Bürgern für Europa und den Euro war.
Aber Sie versündigen sich an diesem Pakt und damit an
Europa. Ich sage Ihnen: Kehren Sie um!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Tuet Buße! – Walter Schöler [SPD]: „Tut Buße“ hast du vergessen! Nicht mal zitieren kann er richtig!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515109800

Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel,

Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515109900

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr

Kollege Hintze, ich verstehe, dass Sie hier eine Bewer-
bungsrede halten müssen.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Hat es Ihnen gefallen?)


Ich kann nicht akzeptieren, dass – nach der gestrigen
Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundes-
tages mit einer sehr sachlichen Diskussion – Sie und der
Kollege Austermann Redebeiträge halten,


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Der war auch sehr gut!)


die der Sache einfach nicht angemessen sind.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie wollen nur nicht die Wahrheit hören!)

Wir brauchen in dieser Debatte Sachlichkeit. Wir brau-
chen in der Auseinandersetzung ein Stück Kreativität.
Wir brauchen aber keinen gnadenlosen Populismus, wie
Sie ihn hier permanent bieten, ohne dass Sie sagen, was
Sie in Wirklichkeit wollen.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sagen Sie mal ehrlich: Wie bewerten Sie den Redebeitrag von Poß?)

Fest steht: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt lebt.
Die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich
sind ausgesetzt und nicht aufgehoben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Also dieses lebendige Bekenntnis überzeugt nicht!)


Die EU-Kommission will neben der 3-Prozent-Netto-
neuverschuldungsgrenze den Schuldenquoten oberhalb
des Referenzwertes von 60 Prozent eine größere Bedeu-
tung beimessen.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Da haben Sie eine Menge zu tun! Da müssen Sie sich jetzt mal anstrengen! Wir sind bei 66 Prozent, Frau Scheel! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir sind nur schon über 60 Prozent!)


Ich halte das für sehr richtig und ich kann es nur aus-
drücklich begrüßen.

Alle Länder, die in einem Defizitverfahren sind, müs-
sen der EU-Kommission Stabilitätsprogramme mit We-
gen und Zeitfenstern zur Wiedererreichung der Grenz-
werte für die staatliche Verschuldung zur Bewertung und
zur Beurteilung vorlegen. Die Ergebnisse des Konsulta-
tionsprozesses werden öffentlich gemacht.

Alle Länder werden natürlich auch darüber zu disku-
tieren haben, inwieweit – auch das hat die gestrige An-
hörung gezeigt – Änderungen in der Anwendung des
Defizitverfahrens im Rahmen des Stabilitäts- und
Wachstumspakts – auch darüber wird derzeit verhan-
delt – notwendig sind. Es gibt nämlich konjunkturelle
Entwicklungen, die Strukturprobleme aufwerfen – da-
rauf muss man mit Strukturprogrammen reagieren – und
die in Zeitphasen ablaufen, die anders sind, als es sich
die Erfinder des Stabilitätspaktes damals vorgestellt ha-
ben.

Kommen Sie doch bitte einmal in der Realität an! Als
der Stabilitätspakt geschlossen wurde, gehörten der
Währungsunion sechs oder sieben Länder an.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo fängt Wachstum an, Frau Kollegin?)


Heute sind es zwölf. In zehn Jahren werden es 22 Länder
sein. Wir müssen uns darauf einstellen, dass man nicht
alle Länder über einen Kamm scheren kann. Vielmehr
muss man differenzierte Zeitfenster für individuelle An-
passungsprogramme durch notwendige Strukturrefor-
men, zum Beispiel im Bereich der Rentenversicherung
oder des Arbeitsmarktes, schaffen. Von etwas anderem
auszugehen ist unrealistisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist nicht mehr operationalisierbar! Das wissen Sie doch auch!)


Wir haben es mit einer demographischen Entwick-
lung zu tun, an die damals niemand von denen, die den
Stabilitäts- und Wachstumspakt geschlossen haben, ge-
dacht hat. Die heutige Situation ist völlig anders. Ich
kann Ihnen nur sagen: Seien Sie nicht so zahlenfixiert,
sondern seien Sie prozessorientiert! Wenn Sie das tun,






(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel

dann können Sie einen Beitrag zu einer inhaltlich sinn-
vollen Debatte leisten.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bei wie viel Prozent ist Schluss?)


Nachhaltige Finanzpolitik muss konjunkturelle Zy-
klen und strukturelle Veränderungsprozesse natürlich
auch kompatibel gestalten. Der Stabilitätspakt gibt der
EU das Recht, die nationalen Stabilitätsprogramme zu
beurteilen, Änderungsvorschläge zu machen und im In-
teresse einer sehr stabilen Währungspolitik bei unver-
nünftigen nationalen Haushaltsentscheidungen fiskali-
sche Sanktionsmittel einzusetzen. Das ist richtig und das
soll auch so bleiben.

Da dies so bleibt, wird der Pakt lebendiger werden. Es
wird realistischere Verfahren im Konsultationsprozess
geben. Ich empfehle, dass man einfache, transparente,
einheitliche und für alle 25 Länder anwendbare Krite-
rien, die im Rahmen des Defizitverfahrens zur Beurtei-
lung von Stabilitätsprogrammen der Nationalstaaten lie-
gen, anwendet. Eine stärkere Berücksichtigung der
konjunkturellen Lage und eine stärkere Berücksichti-
gung der wirtschaftlichen Bedingungen der einzelnen
Länder stehen dazu nicht im Widerspruch. Auch eine Ei-
nigung auf operationale Indikatoren steht dazu nicht im
Widerspruch, sondern ist ein Stück Notwendigkeit.

Wegen der unterschiedlichen konjunkturellen Wachs-
tumspfade der Länder bedarf es auch unterschiedlich
langer Zeitfenster – man kann auch „Anpassungspfade“
sagen –, um die Defizitgrenzen wieder zu erreichen.
Wichtig wird eine Einigung darüber sein, was Länder in
Phasen konjunktureller Erholung leisten müssen, um ei-
nerseits übermäßige Defizite abzubauen und um ande-
rerseits dem eigentlichen Ziel des Stabilitätspakts – ei-
nem ausgeglichenen Haushalt – näher zu kommen.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wann wollen Sie den denn erreichen mit Ihrer Politik? Werden wir das noch erleben?)


Ich bin für die Operationalisierung von Vorgaben, die in
Zeiten konjunktureller Erholung gelten, damit nationale
Begehrlichkeiten im Prozess der Konsultation mit der
EU zurückgedrängt werden können.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist ja alles richtig, nur fordern Sie genau das Gegenteil!)


Ich sage nur: Der Stabilitätspakt lebt, weil es nämlich
keinen Totengräber gibt.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515110000

Nächster Redner ist der Kollege Georg Fahrenschon,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Georg Fahrenschon (CSU):
Rede ID: ID1515110100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Noch nie zuvor ist in der Europäischen Union
ein wesentlicher politischer Beschluss im Kern rückgän-
gig gemacht worden. Genau das haben Sie mit den von
Ihnen vorgeschlagenen Änderungen am Stabilitätspakt
vor. Vordergründig wollen Sie den Stabilitätspakt erhal-
ten, aber faktisch wollen Sie ihn außer Kraft setzen.


(Walter Schöler [SPD]: Wo steht das denn?)

Liebe Frau Scheel, Frau Ausschussvorsitzende, ich

muss Sie schon fragen, wo Sie gestern eigentlich waren.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Sie hat an der Rede für heute gearbeitet!)

Ihre Sachverständigen waren es doch, die den Pakt uni-
sono für tot erklärt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundesrechnungshof hat in seiner schriftlichen Stel-
lungnahme auf die galoppierende Staatsverschuldung
hingewiesen und sich aus dem Grund gegen Änderungen
am Stabilitätspakt ausgesprochen.


(Walter Schöler [SPD]: Recht hat er!)

Sie haben sich mit den Änderungen im Grunde gegen

das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ausgesprochen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)


Das ist der wahre Hintergrund für das, was Sie hier be-
treiben. Sie versuchen, Nebelkerzen zu werfen. Der
beste Nebelkerzenwerfer ist der ehrenwerte Herr Staats-
sekretär, der auf die Vorschläge des Bundeskanzlers im
Grunde in keinem Punkt eingeht, weil er ganz genau
weiß, dass die Vorschläge, die der Bundeskanzler
schriftlich niedergelegt hat, den Pakt zerstören und nicht
wiederbeleben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])


Wissen Sie, warum? Die Regeln, die wir jetzt haben,
sind eindeutig und klar. Die Regeln, die wir jetzt haben,
sind transparent. Was für Rot-Grün noch schlimmer ist:
Die Regeln, die wir jetzt haben, machen die Finanzpoli-
tik europaweit messbar. Das ist genau der Punkt, den Sie
aus der Welt schaffen wollen. Ihnen sind die europawei-
ten Kontrollen, insbesondere Ihrer Bundespolitik, ein
Dorn im Auge. Sie wollen diese Kontrollen nicht. Aus
dem Grund wollen Sie dem Stabilitätspakt die Basis ent-
ziehen. Dabei machen wir nicht mit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])


Wenn Sie jetzt argumentieren, wir bräuchten in einem
größer gewordenen Europa andere Regeln,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Anwendung muss geklärt werden!)







(A) (C)



(B) (D)


Georg Fahrenschon

dann erklären Sie mir doch bitte einmal ganz genau, wie
Sie Ausnahmen für Sonderlasten, Abzüge von Nettozah-
lungen und das Herausrechnen von ganzen Haushaltsti-
teln – Beispiel: Verteidigung, Beispiel: Forschung – eu-
ropaweit organisieren wollen!


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir doch gar nicht!)


– Doch! Das sind Ihre Vorschläge! Lesen Sie doch die
„Financial Times Deutschland“ vom letzten Montag, be-
vor Sie hier im Deutschen Bundestag reden!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit Ihren Vorschlägen öffnen Sie der Willkür Tür und

Tor. Sie erzeugen immer wieder neue Konflikte. Sie sind
gar nicht in der Lage, die Ausnahmen europaweit zu de-
battieren. Sie verabschieden sich von klaren Regeln
– 3 Prozent Defizit- und 60 Prozent Schuldengrenze –


(Walter Schöler [SPD]: Wo steht das?)

und führen eine politische Debatte über gute und weni-
ger gute Finanzpolitik ein.


(Walter Schöler [SPD]: Wer will das?)

Das sind Ihre Vorschläge.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben nicht! Wer sagt das denn?)


Dabei machen wir nicht mit, weil das in die falsche
Richtung geht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie zerstören die Basis der Wirtschafts- und Währungs-
union.

Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen: Sta-
bilität kann dann keinen Bestand haben, wenn die Politik
daran herumbasteln kann. Das ist unsere Generalkritik.
Wir müssen uns gegen alle Ihre Vorschläge aussprechen,
mit denen Sie die Kennzahlen einer politischen Debatte
unterwerfen wollen, weil Sie damit versuchen, politische
Einschätzungen der Finanzpolitik zu erreichen. Das ist
der falsche Weg. Dahin wollen wir nicht. Gehen Sie in
die andere Richtung! Halten Sie sich an die Vorgaben
von Maastricht! Halten Sie sie klipp und klar ein! Hören
Sie auf, den Stabilitätspakt zu unterminieren! Leben Sie
den Stabilitäts- und Wachstumspakt! Das wäre der rich-
tige Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515110200

Das Wort hat die Kollegin Dr. Angelica Schwall-

Düren, SPD-Fraktion.


Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1515110300

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Wir sind es ja gewohnt, dass zu Wahlkampf-
zeiten die Opposition versucht, hier Stimmung zu ma-
chen, aber dadurch werden die Behauptungen, die Sie
von der Opposition aufstellen, nicht wahrer.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: So können wir mit dem Thema nicht umgehen! Das ist nicht sachgerecht!)


Erstens. Uns liegt der Entwurf der europäischen Ver-
fassung vor, aus dem ich noch einmal zitieren möchte.
Dort steht:

Die in Art. III-184 Abs. 2 der Verfassung genannten
Referenzwerte für ein übermäßiges Defizit sind
a) 3 Prozent für das Verhältnis zwischen dem ge-
planten oder tatsächlichen öffentlichen Defizit und
dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen,

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aha! – Gegenruf des Abg. Walter Schöler [SPD]: Ja, da steht es!)

b) 60 Prozent für das Verhältnis zwischen dem öf-
fentlichen Schuldenstand

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Na also! – Gegenruf des Abg. Walter Schöler [SPD]: Das wissen wir! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist nur die Hülle für Sie!)

und dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war ein tolles Eigentor!)

Niemand, weder diese Bundesregierung noch die sie

tragenden Koalitionsfraktionen, beabsichtigt, hieran et-
was zu ändern.


(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Herr Hintze hat wieder einmal die Behaup-

tung aufgestellt, wir hätten in den vergangenen Jahren
ständig die Stabilität in Gefahr gebracht.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ein vielfarbiger Beitrag! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Ihr seid Eurobetrüger!)


Wir können hier heute nur feststellen, dass in den ersten
Jahren der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-
pakts die Stabilitätskultur in Europa mithilfe des Paktes
erheblich verbessert worden ist. Und das ist gut so.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Genau das wollen Sie jetzt ändern! Genau das stellen Sie jetzt infrage!)


Der Euro steht heute im internationalen Vergleich so gut
da wie nie. Die Inflation ist niedrig, die Preise sind stabil
und die Defizite in der Eurozone sind wesentlich gerin-
ger als beispielsweise in den USA und Japan.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das setzen Sie jetzt alles aufs Spiel!)


Was uns fehlt, ist Wachstum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-

land spielt hier eine durchaus positive Rolle.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ihre Kenntnisse über monetäre Entwicklungen scheinen begrenzt zu sein!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angelica Schwall-Düren

Denn Deutschland hat in diesem Euroraum die geringste
Inflationsrate überhaupt und hat damit entscheidend zur
Stabilität beigetragen.


(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: So ist es!)


Andere Länder haben eine höhere Inflation. Deutschland
ist also ein Stabilitätsanker.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Aber wir haben das geringste Wachstum!)


An dieser Stelle muss auch einmal gesagt werden,
dass dieser starke Euro dem Export glücklicherweise
nicht geschadet hat; denn das ist eine große Sorge für ein
Land, das so entscheidend vom Export abhängig ist wie
Deutschland. Unser starker Export ist übrigens ein Hin-
weis auf die Attraktivität unserer Produkte, die Produkti-
vität unserer Unternehmen und den Erfolg unserer Wirt-
schaft.

Negativ ist: Wir haben hohe Realzinsen.

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ha ben wir?)

Das ist in der Tat eine Wachstumsbremse.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wir haben negative Realzinsen! Das hat der Bundesbankpräsident gestern mitgeteilt! – Gegenruf des Abg. Walter Schöler [SPD]: Das ärgert Sie! Sie haben zu viel Geld auf dem Konto!)


Kommen wir zur Haushaltsdisziplin, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war noch besser als „brutto, netto, Mexiko!“)


Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist auch deswegen
verabschiedet worden, damit dem sorglosen Umgang
mit dem öffentlichen Geld ein Ende gesetzt wird.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Können Sie das noch mal zum Mitschreiben sagen?)


Wenn wir uns die Zahlen anschauen, können wir feststel-
len, dass wir in 2004 im Euroraum ein Defizit von
2,9 Prozent hatten, in den USA eines von 4,2 Prozent
und in Japan eines von 7,1 Prozent. Durch die finanzpo-
litische Konsolidierung haben sich die Defizite übrigens
gegenüber der Zeit, als Sie an der Regierung waren, we-
sentlich verringert.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wie bitte? – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo denn? – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Ja, sicher! Lesen Sie mal die Zahlen!)


In der Zeit von 1991 bis 1995 hatten wir im Euroraum
noch minus 5 Prozent, in 2004 werden es voraussichtlich
minus 2,4 Prozent des BIP sein.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Ach, im Euroraum! Dank des Stabilitätsund Wachstumspaktes!)


– Ich sage ja, dass der Stabilitätspakt hier tatsächlich Er-
folge hat.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Und den wollen Sie jetzt infrage stellen! Das ist der Punkt! Nehmen Sie doch dazu einmal Stellung!)


Wir haben in Deutschland nicht erreicht, die Defizit-
grenze von 3 Prozent einzuhalten. Da muss man sich nun
aber die Frage stellen: Besteht die Lösung nicht eher da-
rin, dass wir Initiativen ergreifen, um das Wachstum an-
zuregen? Dazu fällt Ihnen nichts anderes ein, als weiter
Steuern zu senken und damit die Schulden zu erhöhen
oder nach weiteren sozialen Einschnitten zu rufen. Auch
wenn Sie sich hier heute aufgeführt haben, als würde die
rot-grüne Koalition die Menschen in die Armut treiben,


(Joachim Poß [SPD]: Das ist die größte Frechheit! – Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist doch die Sachlage!)


sind Sie es doch, die ständig weitere Einschnitte verlan-
gen.


(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Diese Rede ist ja eine Bestrafung! – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist unglaublich!)


Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Die Kampagne, die
Sie betreiben, schadet der Nachfrage in Deutschland. Sie
schadet dem Vertrauen. Sie schadet dem Wachstum. Sie
schadet am Ende dem Ziel der Konsolidierung.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das sagen Sie einmal Ihrem Bundeskanzler! Der hat die Debatte begonnen!)


Sie schadet Deutschland und sie schadet Europa.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So stellt sich eine Lehrerin die europäische Wirtschaft vor!)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515110400

Frau Kollegin!

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1515110500

Wir müssen heute Initiativen ergreifen, um die

Wachstumsschwäche zu überwinden. Deutschland als
großes europäisches Mitgliedsland muss nämlich wieder
zur Wachstumslokomotive werden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515110600

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1515110700

Dafür brauchen wir mehr Wachstum. Dafür brauchen

wir Investitionen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Dann brauchen wir eine bessere Politik!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515110800

Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1515110900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem

Beitrag meiner Vorrednerin nur eine Bemerkung: Der
hohe Wert des Euro ist kein Zeichen für die Stärke des
Euro, sondern vielmehr Ausdruck der Schwäche des
Dollar. Das ist gestern in beiden Anhörungsverfahren
noch einmal deutlich gesagt worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Thema, über das wir heute sprechen, ist sehr

ernst. Ich will deshalb versuchen, sehr sachlich zu argu-
mentieren. Jeder, der Mitte der 90er-Jahre dabei war, als
wir der deutschen Bevölkerung verdeutlichen wollten,
dass der Übergang von der D-Mark zum Euro notwendig
ist, um die europäische Integration voranzubringen, der
weiß, auf wie viel Widerstand wir dabei gestoßen sind.
Viele Deutsche hatten die Sorge, wir gäben die stabile
D-Mark ab und bekämen dafür den weichen Euro. Die
Argumentation damals – bitte vergessen Sie das nicht –
lautete: Wir in Deutschland legen aufgrund unserer his-
torischen Erfahrung einen gesteigerten Wert auf Stabili-
tät. Demgegenüber gaben die anderen Länder in Europa,
insbesondere im Mittelmeerbereich, dem Thema Stabili-
tät bei weitem nicht diese Bedeutung. Es waren der Bun-
deskanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo
Waigel, die deshalb diesen Stabilitäts- und Wachstums-
pakt erarbeitet und ihre Kollegen in den anderen Län-
dern davon überzeugt haben. Sie erinnern sich, begeis-
tert waren die meisten nicht. Wir haben das sozusagen
als Deutsche aufgrund unserer Erfahrung durchsetzen
können.


(Joachim Poß [SPD]: Stoiber war auch nicht begeistert!)


Der Pakt hat sich bewährt. Ich darf nur einmal auf das
Jahr 2002 verweisen. In diesem Jahr haben acht der
zwölf Euroländer im Wesentlichen ausgeglichene Haus-
halte vorgelegt. Eine traurige Tatsache der jüngsten deut-
schen Geschichte ist, dass die Nation, die diesen Pakt
durchgesetzt hat, als erste am stärksten dagegen versto-
ßen hat


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist der Punkt!)


und dreimal nacheinander die Kriterien nicht eingehalten
hat – das vierte Mal wird es voraussichtlich in diesem
Jahr geschehen.

Bisher hat man uns immer gesagt – ich sage das mit
allem Ernst –, man werde sich bemühen, wieder unter
die 3-Prozent-Grenze zu kommen. Nun setzen sich
plötzlich der Bundeskanzler und sein Finanzminister an
die Spitze jener, die die Auffassung vertreten: Wenn wir
die Regeln nicht einhalten können, dann wollen wir die
Regeln ändern. Das ist mit Sicherheit der verkehrte Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich gibt es dafür Zustimmung aus Ländern wie
Frankreich und Italien. Die hätten das damals gerne
schon so gehabt – nur: Kohl hat aufgrund seines politi-
schen Gewichts den Pakt gegen deren Vorstellungen
durchsetzen können.
Dass unsere Argumente die Abgeordneten der Koali-
tion nicht überzeugen, das kann ich noch einsehen und
auch, dass Sie sich nicht davon beeindrucken lassen,
dass mit Ausnahme einer überregionalen Zeitung alle
Zeitungen sehr deutlich sagen: Lasst die Hände vom Sta-
bilitätspakt. Was Sie aber nachdenklich stimmen müsste,
ist der Tatbestand, dass sowohl die Deutsche Bundes-
bank, die nach wie vor eine hohe Autorität hat, als auch
die Europäische Zentralbank und alle Kreditinstitute
gestern noch einmal deutlich gesagt haben: Lasst die
Hände vom Stabilitätspakt. Sie haben dabei davon ge-
sprochen, dass von Ihrer Politik ein falsches Signal aus-
geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich abschließend das vielleicht wich-

tigste Argument im Rahmen dieser Diskussion nennen:
Die deutsche Bevölkerung ist verunsichert. Das hängt
mit den Problemen auf dem Arbeitsmarkt und auch mit
anderen Problemen zusammen, auf die ich hier nicht ein-
gehen möchte.


(Joachim Poß [SPD]: Sie verunsichern die deutsche Bevölkerung!)


– Herr Kollege Poß, die Konsequenz ist Konsumzurück-
haltung. Darin liegt einer der Gründe, warum die Wirt-
schaft in Deutschland nicht so läuft wie im Rest der
Welt.

Ich sage Ihnen eines voraus: Wenn Sie jetzt das 3-Pro-
zent-Kriterium aufweichen – die meisten Fachleute sa-
gen, dass Ihre Pläne zu einer Abschaffung dieses Stabili-
tätskriteriums führen –, dann wird die Zurückhaltung der
Deutschen in puncto Konsum noch größer werden. Sie
tragen damit dazu bei, dass der notwendige Aufschwung
und das notwendige Wirtschaftswachstum in Deutsch-
land weiter verhindert werden. Denken Sie im Interesse
der Zukunft unseres Landes über dieses Argument ein-
fach noch einmal nach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515111000

Das Wort hat der Kollege Jörg-Otto Spiller, SPD-

Fraktion.


Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1515111100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Euro ist die härteste Währung der Welt: im
Innern so stabil wie einst die D-Mark und – ähnlich wie
sie – auch nach außen stark und fest. Wir wollen und wir
richten unsere Politik darauf aus, dass dies so bleibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist
eine Zone der Stabilität. Die jährliche Inflationsrate, ge-
messen am Anstieg der Lebenshaltungskosten in der Eu-
rozone insgesamt, liegt seit Bestehen dieser Währung
nahe 2 Prozent. Schon allein dieses hohe Maß an Stabili-
tät ist ein sehr beachtlicher Erfolg.






(A) (C)



(B) (D)


Jörg-Otto Spiller

Aber noch besser steht Deutschland da. Innerhalb des

Währungsgebietes gehört Deutschland regelmäßig zu
den Ländern mit einer besonders niedrigen Inflations-
rate. Auch der Vergleich mit den Zeiten vor der Euroein-
führung ist Anlass zur Genugtuung. In den 80er- und
90er-Jahren war die Inflationsrate der Bundesrepublik
im Schnitt höher als in den letzten fünf Jahren.

Die starke Stellung des Euro an den Devisenmärkten
kann niemand leugnen. In manchen oberflächlichen oder
leider auch bewusst irreführenden Kommentaren wird
sie allerdings abfällig als bloßes Spiegelbild des schwa-
chen US-Dollar hingestellt. Herr Kollege Bernhardt, Sie
selbst haben das eben auch getan. Diese Deutung ist
falsch.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das hat die Deutsche Bundesbank auch gestern noch einmal gesagt!)


– Das macht die Sache aber nicht besser.

(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist doch nicht zu glauben! – Zuruf des Abg. Otto Bernhardt [CDU/CSU])


– Herr Bernhardt, dieser Unfug, nämlich zu behaupten,
dass die Stärke des Euro lediglich ein Spiegelbild der
Dollarschwäche sei,


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ist sie doch!)


wird nicht dadurch besser, dass Herr Dr. Stark, der Vize-
präsident der Bundesbank, dieses gestern wider besseres
Wissen verkündet hat.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Herr Weber hat doch das Gleiche gesagt!)


Der Außenwert des Euro hat nicht nur gegenüber dem
US-Dollar, sondern auch gegenüber allen international
wichtigen Währungen zugenommen.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Herr Kollege Spiller, Sie überheben sich!)


Seit Einführung des Eurobargeldes am 1. Januar 2002 ist
der Wechselkurs des Euro zum Schweizer Franken um
gut 4 Prozent, zum britischen Pfund um 12 Prozent und
zum japanischen Yen um 18 Prozent gestiegen. Der Un-
fug, den Herr Stark gestern von sich gegeben hat, ent-
spricht nicht der Würde seines Amtes.


(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist kaum zu glauben!)


Warum ist der Euro nach innen und außen so stark?
Das hat erstens ökonomische Gründe. Die Eurozone ist
alles in allem ein sehr leistungsstarker und durch lebhaf-
ten Wettbewerb geprägter Wirtschaftsraum. Die ihm an-
gehörenden Volkswirtschaften geben insgesamt nicht
mehr aus, als sie einnehmen. In der Fachsprache der
Ökonomen ausgedrückt heißt das: Anders als die USA
verbucht die Eurozone kein Defizit, sondern einen an-
sehnlichen Überschuss in der Leistungsbilanz. Dies liegt
nicht zuletzt daran, dass Deutschland seit 2002 zu der
einstigen außenwirtschaftlichen Stärke der alten Bundes-
republik zurückgefunden hat. Nach einer zehnjährigen
Defizitphase in unserer Leistungsbilanz erwirtschaftet
Deutschland wieder stolze Überschüsse gegenüber dem
Rest der Welt.


(Beifall bei der SPD)

Der zweite Grund, weshalb die Währung so stark ist,

sind kluge institutionelle Entscheidungen bei der Errich-
tung der Wirtschafts- und Währungsunion. Nach dem
Vorbild der Deutschen Bundesbank ist die Europäische
Zentralbank zur Hüterin der Währung eingesetzt wor-
den: mit dem besonderen Status, unabhängig von Regie-
rungen und Parlamenten zu sein, der Geldwertstabilität
besonders verpflichtet und mit dem ausdrücklichen Ver-
bot, öffentliche Defizite zu finanzieren. Dies ist der
Hauptgrund für die Stabilität.

Dann gibt es ergänzend dazu die Verabredung: Wir
werden die öffentlichen Haushalte nur in überschauba-
ren Grenzen defizitär gestalten, damit es die Zentralbank
nicht so schwer hat.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Dagegen verstoßen Sie systematisch!)


Dies ist eine Ergänzung. Wenn man jetzt so tut, als sei
das der Schlüssel, ist das eine Verkennung der Tatsa-
chen.


(Joachim Poß [SPD]: Richtig!)

Herr Pinkwart, liebe Kollegen von der Union, hinzu

kommt: Ihre Politik ist nicht stimmig. Das war das
Hauptergebnis der gestrigen Anhörung. Sie haben von
den Sachverständigen zunächst einmal bescheinigt be-
kommen, dass Ihre Steuerkonzepte zweistellige Milliar-
denlöcher in die Haushalte von Bund, Ländern und Ge-
meinden reißen würden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und die Wachstumseffekte?)


Dann wurde Ihnen bescheinigt, dass Ihr Lippenbekennt-
nis zu einer strikten, mechanistischen Einhaltung


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und die volkswirtschaftlichen Vorteile?)


des Stabilitäts- und Wachstumspaktes –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515111200

Herr Kollege, es tut mir Leid, aber auch Sie haben nur

fünf Minuten.

(Peter Hintze [CDU/CSU]: Die hat er schon lange überzogen!)



Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1515111300

– überhaupt nicht zu Ihrer Finanzpolitik passt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der ehrenwerte Herr Stark sollte sich vielleicht ein-
mal daran erinnern, wie hoch die gesamtstaatlichen De-
fizite waren, –






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515111400

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1515111500

– als er noch der Finanzmarktrambo von Herrn

Waigel war. Sie lagen zwischen 4 und 3,5 Prozent.

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515111600

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen!

Jörg-Otto Spiller (SPD):
Rede ID: ID1515111700

Das war in der Zeit, als Herr Stark Mitverantwortung

für die Finanzpolitik der Bundesregierung hatte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515111800

Nächster Redner ist der Kollege Steffen Kampeter,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1515111900

Frau Präsidentin! Der Redner der SPD hat es für nötig

befunden, sich hier in diesem Hause in herablassender
Art und Weise über die Repräsentanten der Bundesbank
zu äußern.


(Jörg-Otto Spiller [SPD]: Über einen, nämlich über Herrn Stark!)


Ich kann Ihren Ärger, Herr Kollege Spiller, verstehen;
denn einer der zentralen Unterschiede zwischen der
Union und der SPD ist: Wir wollen eine unabhängige
Bundesbank und eine unabhängige Europäische Zentral-
bank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Andreas Pinkwart [FDP])


Sie wollen, dass die Bundesbank und die Europäische
Zentralbank Ihre falsche Wirtschaftspolitik beispiels-
weise über eine expansive Zinspolitik finanzieren, die
die Menschen in Europa mit Inflation bezahlen werden.
Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Wir
brauchen unabhängige Zentralbanken und keine gleich-
geschalteten Institutionen im Rahmen der Wirtschafts-
politik der sozialdemokratischen Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will an dieser Stelle auf ein Missverständnis in

den Redebeiträgen der rot-grünen Koalition hinweisen.
Wer dieser Debatte folgt, könnte den falschen Eindruck
gewinnen, dass im europäischen Stabilitäts- und Wachs-
tumspakt davon ausgegangen wird, dass man jedes Jahr
ungestraft bis zu 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes
Schulden machen kann. Wenn wir in Deutschland diese
Entwicklung zulassen würden, wären wir schon binnen
weniger Jahre bei einem Schuldenstand, der ungefähr
100 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts entspricht.
Tatsache ist, dass nach dem europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt ausgeglichene Haushalte und Über-
schusshaushalte die Regel der Finanzpolitik sein sollten.
Flexibilität – die braucht man in der Finanzpolitik – wird
durch die Möglichkeit der Verschuldung bis zu einer
Größenordnung von 3 Prozent, bezogen auf die wirt-
schaftliche Leistungskraft eines Landes, gewährt.

Es ist natürlich eine völlig andere Lage, wenn man
davon ausgeht, dass man Schulden von mindestens
3 Prozent des Bruttoinlandproduktes machen darf und
hier sagt: Vielleicht können wir auch Schulden in Höhe
von 7 oder 8 Prozent machen, auch wenn die Grenze ei-
gentlich bei 3 Prozent liegt.


(Joachim Poß [SPD]: Wer sagt das denn?)

– Sie haben heute Vorschläge vorgetragen, die in der
Konsequenz darauf hinauslaufen, dass wir eher bei einer
Regelverschuldung in Höhe von 7 bis 8 Prozent als bei
der Ausnahmeverschuldung in Höhe von 3 Prozent, je-
weils gemessen am Bruttosozialprodukt, landen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen gefährden alle Vorschläge, die darauf abzie-
len, dass da, wo 3 Prozent draufsteht, aber keine
3 Prozent, sondern viel mehr drin sind, die Stabilität un-
serer Währung. Sie führen zu Inflation und werden von
uns entschlossen abgelehnt, meine sehr verehrten Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nachhaltige Finanzpolitik zielt im Kern darauf ab,

insbesondere die nachfolgenden Generationen davor zu
schützen, dass sie über Zins- und Zinseszinszahlungen in
ihren politischen Handlungsfähigkeiten eingeschränkt
werden. Die gestrigen Anhörungen haben deutlich ge-
macht, dass die Konsolidierung des Haushalts bei einer
fast sozialistischen Staatsquote von fast 50 Prozent


(Lachen bei der SPD)

– der Staat nimmt dem Bürger von jedem Euro erst ein-
mal 50 Cent weg – nicht auf der Einnahmeseite über hö-
here Steuern, sondern auf der Ausgabenseite ansetzen
muss. Dies ist die Kernaussage des europäischen Stabili-
tätspakts.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen sind die Unterschiede heute klar und deut-
lich geworden: Auf der einen Seite befinden sich Union
und FDP, die für eine regelgebundene Finanzpolitik ste-
hen, und auf der anderen Seite die Weichspüler von Rot-
Grün, die für Inflation und Schuldenexplosion stehen.
Um diese klare Alternative geht es heute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Bürger in diesem Land wissen, dass Schulden

nicht der Ausweg aus einer finanzpolitischen Krise sind.
Schulden sind vielmehr die zentrale Ursache für die
Fehlentwicklung in den vergangenen Jahren. Wenn Sie
einen Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus wer-
fen, werden Sie feststellen, dass diejenigen Länder, die
sich sparsam verhalten haben, in ihrer Volkswirtschaft
höhere Wachstumsraten haben. Damit haben sie gerin-
gere volkswirtschaftliche Probleme und mehr Wohlstand
für ihre Bürger. Diejenigen, die in die Schuldenkiste ge-






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Kampeter

griffen haben, haben schlechtere Wachstumsraten und
niedrigeren Wohlstand für ihre Bevölkerung. Daher ist
es völlig klar, dass wir für den europäischen Stabilitäts-
pakt und gegen die Weichspülerei von Rot-Grün antre-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Abschließend ein Hinweis: Es sind nicht nur proto-

kollarische Gründe dafür verantwortlich, dass heute kein
Vertreter des Bundeskanzleramtes anwesend ist.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das Bundeskanzleramt ist hier vertreten!)


– Nein, er ist inzwischen ins Auswärtige Amt abgescho-
ben, Herr Kollege.


(Zuruf von der Regierungsbank)

– Ach, Herr Schwanitz; Sie habe ich beim europäischen
Stabilitätspakt noch nie als einen besonders kompetenten
Vertreter wahrgenommen. Aber was nicht ist, kann ja
noch werden.


(Joachim Poß [SPD]: Aufgeblasener Kerl!)

Die Vorschläge des Bundeskanzlers in der „Financial

Times“ gehen weit über das hinaus, was die EU-Kom-
mission gestern dem Deutschen Bundestag vorgelegt
hat. Sie gehen an den Kern des europäischen Stabilitäts-
paktes und verhindern, dass er in dem hier beschriebe-
nen Sinne noch eine Zukunft hat.


(Joachim Poß [SPD]: Von nichts Ahnung, aber große Schnauze!)


Das ist ein Totalangriff. Es besteht ein fundamentaler
Gegensatz zwischen der Position, die heute teilweise
vorgetragen worden ist und die schön klingt, und der
Position des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der sei-
nerzeit nicht für die Europäische Währungsunion ge-
stimmt hat.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515112000

Herr Kollege, auch Ihre Redezeit ist überschritten.

Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1515112100

Gerhard Schröder möchte jetzt den europäischen Sta-

bilitätspakt kippen. Wir werden dies nicht durchgehen
lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Neue Brille, kein Durchblick!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515112200

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol-

lege Walter Schöler, SPD-Fraktion.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt gibt es ja noch ein rhetorisches Feuerwerk!)


Walter Schöler (SPD):
Rede ID: ID1515112300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als im vorigen Jahr der Vorgänger des jetzigen Bundes-
bankpräsidenten vorgetragen hat, Erlöse aus dem Gold-
verkauf für eine Stiftung „Bildung“ zu verwenden, war
es der Kollege Kampeter, der vehement widersprochen
hat. Er sagte damals, es könne nicht Aufgabe der Bun-
desbank sein, über die Verwendung von Erlösen zu ent-
scheiden. Nur so viel zur Unabhängigkeit der Bundes-
bank aus Ihrer Sicht, Kollege Kampeter!


(Beifall bei der SPD)

Nachdem in den letzten Tagen auch vom Statistischen

Bundesamt verbreitet wurde, das Staatsdefizit des Jahres
2004 liege bei 3,9 Prozent, lassen Sie mich eines klar-
stellen: Bevor man solche Ergebnisse veröffentlicht,
sollte man den Jahresabschluss abwarten. Mit dem güns-
tigeren Jahresabschluss werden wir die Marke des Jahres
2003 von 3,8 Prozent verbessern und wohl bei 3,6 und
nicht bei 3,9 Prozent landen.

Gleichwohl sage ich Ihnen: Dieses Staatsdefizit ist
uns immer noch zu hoch. Wir haben die Marke von
3 Prozent einzuhalten; dies ist in 2004 verfehlt worden.
Das gefällt uns nicht, aber Herr Kollege Poß hat gerade
schon gesagt, dass die Opposition daran, dass wir diese
Marke verfehlt haben, ein hohes Maß an Schuld trägt, da
sie durch ihre Blockadepolitik beim Haushaltsbegleit-
gesetz 2004 und beim Steuervergünstigungsabbaugesetz
mögliche Einnahmeverbesserungen verhindert hat. Da-
mit haben Sie Deutschland nachhaltig geschadet.


(Beifall bei der SPD)

Hätten Sie sich anders verhalten, läge das Defizit in
2005 wahrscheinlich deutlich unter 3 Prozent; denn dies
wirkt über mehrere Jahre. Das trifft den Bund, die Län-
der und die Gemeinden gleichermaßen. Hätten Sie mit
Ihrer Klientelpolitik nicht immer Nein gesagt, stünden
wir heute sicherlich ein ganzes Stück besser da.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wer hat denn die Kohlesubventionen verlängert? Das waren doch Sie!)


Das ist im Übrigen, Herr Professor Pinkwart, auch die
Meinung des Sachverständigenrates. Er hat Ihr Verhalten
nämlich sehr harsch kritisiert.

Nun wollen Sie den Bürgern weismachen, Kanzler
und Finanzminister wollten das 3-Prozent-Stoppschild
der EU beiseite räumen, um die Neuverschuldung hoch-
treiben zu können. Das ist absoluter Blödsinn.

Nun war der haushaltspolitische Sprecher der CDU/
CSU-Fraktion, Herr Austermann, heute äußerst moderat
und staatstragend


(Joachim Poß [SPD]: Das hat Herr Hintze heute übernommen!)


und den Kollegen Kampeter und Hintze seine übliche
Rolle überlassen. Er hat sich aber in der ihm eigenen,
fundamentalistischen Kampfrhetorik noch kürzlich dazu
verstiegen, Minister Eichel als Totengräber des Paktes
zu bezeichnen. Totengräber ist ja noch ein hochanständi-
ger Beruf. Sie aber haben durch Ihre Blockadepolitik
dazu beigetragen, dass die Marke dieses Pakts gerissen
wurde.


(Peter Hintze [CDU/CSU]: Ja, zu Boden gerissen! Von Ihnen!)


Dennoch wird er nicht sterben.






(A) (C)



(B) (D)


Walter Schöler

Herr Hintze, Sie haben zum Schluss gesagt: Kehret

um! Sie haben vergessen zu sagen: Tut Buße! Sie wer-
den dies demnächst als Erster Parlamentarischer Ge-
schäftsführer tun. Wenn man demnächst jahrelang Frau
Merkel als Oppositionsführerin dienen muss, ist das ge-
nug Buße. Das billige ich Ihnen durchaus zu.

Der Kollege Austermann hat im Zusammenhang mit
dem Pakt vom Totengräber und sogar vom Vaterlands-
verräter gesprochen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wieder eine niederrheinische Büttenrede!)


Herr Kollege Austermann, Sie waren schon immer sehr
eigenwillig in Ihrer Wortwahl. In Ihren Prognosen aber
haben Sie sich in den letzten Jahren erheblich vertan.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Noch im Oktober sprachen Sie von einer Neuverschul-
dung in Höhe von 53,4 Milliarden Euro. Es waren nicht
einmal 40 Milliarden Euro. Damit bleibt die Opposition
und mit ihr Theo Waigel der größte Schuldenmacher al-
ler Zeiten. Das ist Ihre Rolle. Sie haben in den letzten
sechs Jahren Ihrer Regierungszeit die Verschuldung
– das ist eben unwahr dargestellt worden – um 303 Mil-
liarden Euro gesteigert, wir dagegen in den letzten sechs
Jahren gerade einmal um die Hälfte.

Ich sage Ihnen: Wir wollen den Pakt nicht aufwei-
chen. Nein, kein Jota soll an diesem Vertrag geändert
werden; das ist eben noch einmal deutlich geworden.
Das ist auch Inhalt der europäischen Verfassung, der wir
zustimmen werden. Aber es geht darum, dass der Beur-
teilungs- und Ermessensspielraum, den der Pakt heute
bereits beinhaltet, von der EU sachgerecht zugrunde ge-
legt wird, und zwar nicht als rigider Automatismus, wie
Sie es wollen und wie ihn die Kommission fast schon
einmal angewendet hätte, sondern unter Berücksichti-
gung der entsprechenden Sachverhalte.

Es ist ja schon bezeichnend, dass der Kollege
Austermann gestern im Haushaltsausschuss – das ist ja
kein Geheimnis – verlangt hat, man möge noch einmal
den Text des Paktes verteilen. Ich würde Ihnen raten, den
Vertrag aus Ihrem Bücherschrank zu holen, ihn noch ein-
mal zu lesen und erst dann zu schwätzen – oder besser
noch: zu schweigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stehen zu diesem Pakt. Er heißt aber mit Bedacht
Stabilitäts- und Wachstumspakt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515112400

Herr Kollege!

Walter Schöler (SPD):
Rede ID: ID1515112500

Das zweite Ziel dieses Paktes, Wachstum, soll und

muss gleichberechtigt neben das Stabilitätsziel treten.
Nichts anderes ist unser Anliegen. Wir wollen den Pakt
in Zukunft einhalten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da bleibt einem die Spucke weg!)

Aber wenn Strafen drohen, muss sachgerecht abgewo-
gen werden, was der Staat getan hat, um die Ziele zu ver-
wirklichen, und welche Lasten er zu tragen hat.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515112600

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.

Walter Schöler (SPD):
Rede ID: ID1515112700

Wenn dies berücksichtigt wird, dann sind wir gemein-

sam mit allen europäischen Staaten auf einem guten
Wege.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515112800

Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung über die Per-
spektiven für Deutschland – Nationale Strate-
gie für eine nachhaltige Entwicklung
Fortschrittsbericht 2004
– Drucksache 15/4100 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Astrid Klug, SPD-Fraktion.


Astrid Klug (SPD):
Rede ID: ID1515112900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste auf den Rängen! Wir diskutieren den Fort-
schrittsbericht 2004 der Bundesregierung zur nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie. Vor etwa drei Stunden haben
wir an dieser Stelle der Flutopfer in Südostasien gedacht.
Das Ausmaß dieser Naturkatastrophe hat uns alle er-
schüttert: wegen der persönlichen Schicksale, die damit
verbunden waren und insbesondere in den Bildern zum
Ausdruck gekommen sind, vielleicht aber auch, weil sie
in uns das Gefühl dafür an die Oberfläche gespült hat,
wie klein diese Erde doch ist und was uns Menschen er-
wartet – auch hier in Europa, auch hier in Deutschland –,
wenn wir nur von heute auf morgen denken und nur von






(A) (C)



(B) (D)


Astrid Klug

heute auf morgen handeln. Was kann zum Beispiel pas-
sieren, wenn das Grönlandeis ins Meer rutscht und der
Meeresspiegel in kürzester Zeit um mehrere Meter
steigt, weil wir nicht rechtzeitig der Klimaveränderung
gegengesteuert haben?

Die ersten Reaktionen auf die Tsunamiflut machen
Hoffnung. Die Welt zeigt sich solidarisch und über-
nimmt Verantwortung, auch wir hier in Deutschland.
Alle reden von nachhaltiger Hilfe; viele organisieren sie
auch. Aber am nachhaltigsten ist Hilfe, wenn sie präven-
tiv wirkt, wenn Weichen so rechtzeitig neu gestellt wer-
den, dass wir Katastrophen verhindern, Armut erst gar
nicht zulassen und den nächsten Generationen mindes-
tens die Chancen und Lebensbedingungen lassen, die
wir für uns selbst in Anspruch nehmen. Das ist wirkliche
Nachhaltigkeit: von den Zinsen leben und nicht von der
Substanz.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb gehört die nationale Nachhaltigkeitsstrate-
gie zu den Hoffnungsschimmern. Sie setzt auf langfris-
tige Weichenstellungen und auf Querschnittsdenken. Sie
vernetzt ökologische, ökonomische und soziale Fragen.
Was sie zweifelsohne noch braucht, ist eine bessere Ver-
ankerung in der Tagespolitik, ist mehr Mut bei der Um-
setzung, sind mehr Bündnispartner für die Umsetzung
und mehr Offenheit dafür, Zielkonflikte und Wechsel-
wirkungen, die sich durch die verschiedenen Dimensio-
nen der Nachhaltigkeit ergeben, ehrlicher und offener zu
thematisieren.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])


Denn es geht sowohl um Generationengerechtigkeit,
also um die Frage, wie wir unseren Kindern, Enkeln und
Urenkeln intakte natürliche Lebensgrundlagen und ge-
nügend finanziellen Spielraum hinterlassen können, wie
Zukunftsvorsorge durch genügend und richtige Investi-
tionen in Bildung, in Innovation und in Infrastruktur aus-
sehen muss, als auch um Lebensqualität, um Mobilität,
um saubere Luft, um gesunde Ernährung. Es geht um
den sozialen Zusammenhalt, also um die Verteilung von
Arbeit und Perspektiven für Familien. Es geht auch um
internationale Verantwortung in einer globalisierten
Welt, um unseren Beitrag zur gerechten Verteilung von
Chancen und die weltweite Bekämpfung von Armut.

Die Nachhaltigkeitsstrategie legt die Ziele für die
nächsten Jahre und die nächsten Jahrzehnte fest und de-
finiert Indikatoren, mit denen sich auf dieser Strecke Er-
folg und Misserfolg messen lassen. Damit gibt es Kenn-
größen, die für Transparenz sorgen und die Kontrolle
von Zwischenschritten möglich machen. Das ist ein
neuer Ansatz von Politikmanagement, den wir ausdrück-
lich begrüßen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, die 2002 be-
schlossene Nachhaltigkeitsstrategie regelmäßig zu über-
prüfen und fortzuschreiben. Die erste Zwischenbilanz
liegt nun mit dem Fortschrittsbericht 2004 vor. Er unter-
streicht den Prozesscharakter der Nachhaltigkeitsstrate-
gie und dokumentiert, dass die Bundesregierung den ge-
starteten Prozess ernst nimmt.

Die Bundesregierung verdient Anerkennung dafür,
dass sie diesen Weg geht. Dieser Weg ist nicht bequem;
man muss sich immer wieder selbst auf den Prüfstand
stellen. Er ist auch nicht immer populär, weil derjenige,
der die Weichen langfristig stellt, nicht sofort die Früchte
ernten und dafür den schnellen Beifall kassieren kann.
Aber dieser Weg ist verantwortlich. Er ist verantwort-
licher als andere, weil durch ihn vorausschauende Politik
mehr und mehr zum Kompass werden kann, wenn wir
die richtige Umsetzung einleiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nachhaltigkeit ist keine zeitlich befristete Aufgabe.
Ganz im Gegenteil: Sie ist eine Daueraufgabe für alle.
So verstehen wir auch den Auftrag des Parlamentari-
schen Beirats für nachhaltige Entwicklung, den dieses
Haus im vergangenen Jahr eingesetzt hat. Gestern hat
der Beirat eine Stellungnahme zum Fortschrittsbericht
der Bundesregierung beschlossen. Dabei handelt es sich
um eine gemeinsame Stellungnahme aller Mitglieder des
Beirats, über Fraktionsgrenzen hinweg – das ist in die-
sem Haus alles andere als eine Selbstverständlichkeit –,
was wahrlich nicht heißt, dass es keine unterschiedlichen
Positionen gäbe. Es gibt sehr wohl unterschiedliche Auf-
fassungen darüber, was Nachhaltigkeit tatsächlich be-
deutet. Aber in wesentlichen Fragen besteht ein Grund-
konsens. Das ist das Wichtige. Ich danke an dieser Stelle
allen, die daran mitgearbeitet haben, diesen Grundkon-
sens herauszuarbeiten und sichtbar zu machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Ergebnisse des ersten Fortschrittsberichts zeigen,
wie angesichts eines solch kurzen Bilanzierungszeit-
raums nicht anders zu erwarten war, Licht und Schatten.
Es gibt Themen, bei denen wir gut vorangekommen
sind, wie beim Klimaschutz, den erneuerbaren Energien
und der Energieproduktivität. Es gibt Themen, bei denen
wir auf der Stelle treten, zum Beispiel beim Artenschutz.
Und es gibt Themen, bei denen wir das Ziel – das muss
man ganz klar sagen – deutlich verfehlt haben, zum Bei-
spiel bei der Staatsverschuldung.

Der Beirat macht Vorschläge für die Weiterentwick-
lung und Konkretisierung einzelner Indikatoren. Für
den Bildungsbereich empfehlen wir zum Beispiel eine
konkrete Zielsetzung, die sich stärker an der Qualität der
Bildung orientiert. Die Studienabschlussquote halten wir
für einen besseren Maßstab als die Quote der Studienan-
fänger. Die Flächeninanspruchnahme wollen wir nicht
nur quantitativ, sondern auch qualitativ bewertet sehen.
Beim Klimaschutz unterstützen wir die Anstrengungen
der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen in
Deutschland bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, so-
fern die EU mitgeht und sich bereit erklärt, ihren Aus-
stoß um 30 Prozent zu verringern. Da dies aber noch
nicht ausreicht, fordern wir für den Klimaschutz weiter






(A) (C)



(B) (D)


Astrid Klug

reichende und längerfristige Zielsetzungen bis zum
Jahr 2050.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nicht erst seit der Flutkatastrophe in Südostasien hal-
ten wir das international vereinbarte Ziel, für die Ent-
wicklungshilfe 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkom-
mens zur Verfügung zu stellen, für unverzichtbar. Auch
das Zwischenziel, die Gelder für die Entwicklungshilfe
bis 2006 auf 0,33 Prozent zu erhöhen, halten wir für
dringender denn je.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Den Koalitionsfraktionen ist außerdem wichtig, dass
der wirtschaftliche Wohlstand in Zukunft nicht nur an-
hand des Bruttoinlandsprodukts gemessen wird; denn zu
nachhaltigem Wohlstand gehört, dass negative Umwelt-
und soziale Folgekosten vermieden werden. Deshalb
müssen sie in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrech-
nung nicht, wie im BIP, positiv, sondern negativ ver-
bucht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die inhaltlichen Schwerpunkte im Fortschrittsbe-
richt begrüßen wir. In den Kapiteln über die Potenziale
älterer Menschen, die neue Energieversorgungsstruktur,
die Kraftstoffstrategie und die Flächeninanspruchnahme
werden wichtige Zukunftsfragen angesprochen. Was wir
jedoch kritisieren, ist, dass die Themen Biodiversität und
nachhaltige Finanzpolitik bei der Fortschreibung der
Nachhaltigkeitsstrategie nicht mehr als Schwerpunkte
genannt werden, wie es ursprünglich einmal vorgesehen
war. Beide Themen sind existenziell für künftige Hand-
lungsspielräume. Deshalb erwarten wir von der Bundes-
regierung, dass beide Themen in Zukunft eine Schlüssel-
rolle einnehmen.

Der Beirat schlägt weitere Handlungsfelder vor, die
stärker berücksichtigt werden sollen: Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung, Forschung und Innovation,
Prävention, Demographie sowie Infrastruktur.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Wir wollen, dass die nationalen Ziele stärker mit den
Zielen der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie ver-
netzt werden und dass auch die Konsummuster der Ver-
braucherinnen und Verbraucher sowie ihre Auswirkun-
gen auf die nachhaltige Entwicklung eine größere Rolle
spielen.

Mit „Perspektiven für Deutschland“ ist die nationale
Nachhaltigkeitsstrategie überschrieben. In den vergange-
nen zwei Jahren haben die Koalitionsfraktionen und die
Bundesregierung mit zahlreichen Maßnahmen – vom
Klimaschutz über Gesundheit, Bildung und Familie bis
zur Arbeitsmarkt- und Innovationspolitik – die Perspek-
tiven für Deutschland verbessert, indem Probleme eben
nicht ausgesessen und verdrängt, sondern angepackt
wurden. Ich sage an dieser Stelle offen und selbstkri-
tisch: Ich hätte mir gewünscht, dass auch die Ziele der
Agenda 2010 stärker unter dem Gesichtspunkt der nach-
haltigen Entwicklung diskutiert und kommuniziert wor-
den wären; ich glaube, wir haben da Chancen ausgelas-
sen, Menschen auf dem Weg in Richtung nachhaltige
Entwicklung mitzunehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Schritte zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstra-
tegie müssen entschiedener und mutiger werden. Dabei
trägt das Parlament eine besondere Verantwortung. Wir
fordern deshalb mit dem Beirat einen ehrlichen Nachhal-
tigkeitscheck für Gesetzesvorhaben und eine regelmä-
ßige Generationenbilanzierung, die die Lastenverteilung
zwischen den Generationen sichtbarer und transparenter
macht und als Richtschnur für Entscheidungen dienen
kann.

Ich danke der Bundesregierung, dem Kanzleramt und
allen beteiligten Ministerien für die Arbeit, die in diesem
Fortschrittsbericht steckt. Ich danke auch dem Nach-
haltigkeitsrat für viele wichtige Anregungen, die den
Fortschrittsbericht bereichert haben – Stichworte „Nach-
haltigkeit und Gesellschaft“ oder „Flächeninanspruch-
nahme“. Ich danke auch den vielen Initiativen, den Un-
ternehmen, den Bürgern vor Ort, die sich für eine
nachhaltige Entwicklung engagieren. Denn Nachhaltig-
keit braucht einen langen Atem und Nachhaltigkeit
braucht viele Mitstreiter. Darauf setzen wir.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helge Braun.

Dr. Helge Braun (CDU):
Rede ID: ID1515113100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Bundespräsident hat heute hier im Rahmen
des Staatsaktes, bei dem der Opfer des Tsunami gedacht
wurde, deutlich gemacht, dass er sich sorgt: um die Ge-
fahr, dass auch uns einmal eine Naturkatastrophe ereilen
könnte, die Folge von durch Menschen verursachter
Umweltzerstörung ist. Diese Sorge nimmt die CDU/
CSU-Fraktion ernst und sie macht es sich zur Aufgabe,
an einer Politik mitzuwirken und auf eine Politik hinzu-
wirken, die langfristig die ökologischen Ressourcen un-
seres Planeten hier vor Ort, aber auch global sichert.

Dazu braucht es eine ausgewogene Politik. Eine sol-
che Politik darf aber nicht im Widerspruch zu den
Säulen der Nachhaltigkeit stehen, die es neben der
Ökologie gibt, die soziale und die ökonomische Nach-
haltigkeit. Die Erfahrung der letzten Jahre in Deutsch-
land ist, dass im Rahmen der wirtschaftlichen Not und
der schwieriger werdenden wirtschaftlichen Verhältnisse
der Menschen die Bedeutung der Themen Umwelt, Na-
turschutz, nachhaltiger Lebensstil immer mehr in den
Hintergrund tritt. Deshalb ist der jetzt vorliegende Fort-
schrittsbericht der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundes-
regierung ein wichtiger Anlass, darüber zu entscheiden






(A) (C)



(B) (D)


Helge Braun

und zu befinden, ob die eingeschlagenen Wege richtig
sind.

Die Zielsetzung, eine nachhaltige Entwicklung in
Gang zu setzen und fortzusetzen, ist richtig. Die Frage
sei erlaubt: Wird der Fortschrittsbericht dem Anspruch,
Perspektiven für Deutschland aufzuzeigen, auch ge-
recht? Hören wir dazu die Experten: Am 28. Oktober
2004 haben die Umweltverbände Deutscher Natur-
schutzring, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutsch-
land und Naturschutzbund Deutschland in einer gemein-
samen Pressekonferenz den Fortschrittsbericht der
Bundesregierung zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
bewertet. Ich zitiere den Präsidenten des Deutschen Na-
turschutzrings, Herrn Weinzierl:

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Mo-
naten mehrfach zugesichert, die Themen Bildung,
biologische Vielfalt und Finanzpolitik in den kom-
menden zwei Jahren als Schwerpunkte zu behan-
deln. Die entsprechenden Passagen wurden jedoch
kurzerhand aus dem Fortschrittsbericht gestrichen.
So macht sich Rot-Grün unglaubwürdig und er-
schwert den gesellschaftlichen Dialog über diese
wichtigen Themen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weiter heißt es:

Es ist keine klare Strategie zu erkennen, wie die
Bundesregierung in den kommenden Jahren ihren
langfristigen Nachhaltigkeitszielen näher kommen
will.

Was heißt diese Botschaft für die nächste Generation?
Zukunftsthemen werden in der Nachhaltigkeitsdebatte
von der Bundesregierung nicht besetzt und eine klare
Strategie fehlt an vielen Punkten. Besonders deutlich
wird das an dem heute auch hier schon diskutierten
Thema der Staatsverschuldung. Im Fortschrittsbericht
findet sich dazu eine dreiviertel Seite mit allgemeinen
Bekenntnissen. Ich zitiere aus dem Fortschrittsbericht:

Eine vergleichbare, drei Jahre anhaltende Konjunk-
tur- und Wachstumsschwäche gab es seit Gründung
der Bundesrepublik Deutschland nicht. Wirtschaft-
liche Stagnation und hohe Arbeitslosigkeit haben
ihre Spuren in den öffentlichen Haushalten hinter-
lassen. So kam es … zu einer erstmaligen Über-
schreitung der Maastrichter 3-%-Defizitgrenze.
Diese Überschreitung war aus konjunkturpoliti-
scher Sicht geboten …

Das war eine Aussage des Fortschrittsberichts zur finan-
ziellen Zukunft Deutschlands. So etwas wird der jungen
Generation und ihrem Anspruch auf Nachhaltigkeit – da-
rum geht es nämlich eigentlich – nicht gerecht. Die
junge Generation will gleichwertige Lebensbedingungen
vorfinden und gegenüber der Generation von heute glei-
che Chancen für eine gleich gute Entwicklung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die CDU/CSU-Fraktion stimmt mit Ihnen überein,

dass die bisherigen Kriterien für wirtschaftliches Wachs-
tum allein nicht ausreichen, um die langfristigen Ent-
wicklungen im Sinne eines vernünftigen Indikatorenmo-
dells gut bewerten zu können. Umso erstaunlicher ist es,
dass sich in dem Fortschrittsbericht zu den Themen Bil-
dung, Forschung und Innovation praktisch überhaupt
nichts findet – und das, obwohl die Bundesregierung in
dieser Woche das Einstein-Jahr ausgerufen hat. Bildung,
Forschung und die zukunftsweisenden Technologien
sind die Bereiche, in denen die Arbeitsplätze von mor-
gen für die nächste Generation entstehen. Wissen ist das
wichtigste Kapital, um die Chancen der Globalisierung
auch in Deutschland für uns nutzbar zu machen.

Im Fortschrittsbericht heißt es, Ziel der Bundesregie-
rung sei es, möglichst allen Jugendlichen einen Ausbil-
dungs- oder Studienplatz zur Verfügung zu stellen. Es
wird darauf verwiesen, dass es mehr Studienanfänger als
noch vor zwei Jahren gibt. Gleichzeitig stellen wir aber
fest, dass in allen Bereichen der Gesellschaft eine De-
batte darüber geführt wird, wonach wir im internationa-
len und immer stärker werdenden Wettbewerb um Bil-
dungs- und Studienchancen ins Hintertreffen geraten.
Die PISA-Studie ist dabei nur ein Stichwort. Das Gebot
einer Politik, die das Prädikat der Nachhaltigkeit wirk-
lich verdient, muss es sein, die Anstrengungen in der
Forschung zu verstärken; denn bei der Forschung geht es
nicht nur um die Arbeitsplätze von morgen, sondern in
der Forschung steckt auch die Chance, dass wir Wachs-
tumseffekte erzielen können, die von dem Verbrauch
von Ressourcen, Umwelt und Natur abgekoppelt sind.

Ein weiterer Punkt im Rahmen der Nachhaltigkeits-
debatte betrifft ein Thema, das der Bundesrechnungshof
vor kurzem aufgegriffen hat. Der Nachhaltigkeitsbeirat
muss die Themen Bürokratie und Gesetzesfolgen-
abschätzung auf seine Agenda setzen. Denn: Nach Aus-
sagen des Bundesrechnungshofes wendet die Gesamt-
wirtschaft 46 Milliarden Euro im Jahr allein für
übermäßige bürokratische Regelungen auf. 84 Prozent
der Kosten dafür haben mittelständische Unternehmen
zu tragen. Das ist der Bereich, in dem in Deutschland die
meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen wer-
den.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-
lung hat in seiner Stellungnahme weit über das hinaus,
was die Bundesregierung in ihrem Fortschrittsbericht
formuliert hat, Handlungsaufforderungen formuliert, die
dazu dienen sollen, in einer wahrhaft langfristigen strate-
gischen Politikgestaltung die Nachhaltigkeit in allen ih-
ren drei Säulen zu verwirklichen. Die CDU/CSU-Frak-
tion wird sich ökologisch, sozial und ökonomisch
intensiv für eine nachhaltige Politik einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried

Hermann.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Braun, Sie haben Recht: In Sachen






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann

Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsstrategie stehen wir
unter einer kritischen Beobachtung. Die Umwelt-
verbände, die Sie zitiert haben, haben uns das Zeugnis
ausgestellt, das wir in den letzten Jahren in einigen
Bereichen – etwa bei der Energieversorgung, beim
Klimaschutz, beim Verbraucherschutz, in der Landwirt-
schaft oder auch im Bereich der sozialen Sicherungssys-
teme – wirklich wichtige Weichenstellungen vorgenom-
men haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich sage gleich selbstkritisch dazu: Der ganz große
Strategiewechsel in allen Politikfeldern hin zur Nachhal-
tigkeit – das haben auch Sie gesagt und diese Einschät-
zung teile ich – ist noch nicht gelungen. Das liegt aber
auch daran, dass die Nachhaltigkeit eine sehr große und
langfristige Aufgabe ist. Es ist – das ist auch im Beirat
Konsens – eine Aufgabe für Marathonläufer. Um das zu
erreichen, was uns vorschwebt, braucht man Jahre, wenn
nicht gar Jahrzehnte.

Was sind die Gründe dafür, dass es so langsam voran-
geht? Wir müssen anerkennen, dass mit dem schönen
Begriff der Nachhaltigkeit die alten Interessenkonflikte
in der Politik nicht einfach verschwinden. Auch die
Fraktionen müssen sich selbstkritisch fragen: Sind wir
tatsächlich immer der Anwalt der Nachhaltigkeit und der
Langfristperspektive? Oder ist es nicht oft so, dass sich
auch in den Fraktionen immer wieder die Lobbyinteres-
sen der alten Strukturen, der Industrien und des Mittel-
stands, die unter Umständen sehr engstirnig sein können
und nicht der Nachhaltigkeit entsprechen, durchsetzen?


(Helge Braun [CDU/CSU]: Diese Engstirnigkeit sichert Arbeitsplätze!)


Ursächlich sind also widerstreitende Interessen, Ressort-
borniertheit in den Parteien und Fraktionen sowie
manchmal auch ein fehlender Zusammenhang in den
verschiedenen Politikfeldern. Nicht zuletzt ist es so, dass
man sich in der Politik und damit auch im Parlament zu
sehr an der vierjährigen Legislaturperiode orientiert. Das
ist, bezogen auf die Nachhaltigkeit, sehr kurzfristig.

Der Bundesregierung ist es meines Erachtens mit der
Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie gelungen, die-
ses Defizit innerhalb des Regierungsapparates Stück für
Stück zu überwinden und abzubauen. Man muss einfach
wissen, dass es in der Zeit, bevor das rot-grüne Kabinett
seine Arbeit aufnahm, sehr wenig Ressortabstimmung
und schon gar keinen Bezug auf ein Gesamtkonzept der
Nachhaltigkeit gab. Seit wir uns damit beschäftigen, sind
die Ressorts gezwungen, ihre eigenen Politikfelder mit
denen der anderen zu verweben und sich an dem Ge-
sichtspunkt der Nachhaltigkeit zu orientieren.

Der Fortschrittsbericht macht auch Folgendes deut-
lich: Wenn man sich die Indikatoren anschaut, um zu
überprüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, dann
zeigt sich an vielen Punkten, dass wir in die richtige
Richtung gehen. Das sieht auf den ersten Blick recht gut
aus. Aber bei genauerer Betrachtung der Lage muss man
doch feststellen, dass wir zwar auf der richtigen Spur,
aber viel zu langsam sind. In den meisten Fällen werden
wir mit dem bisherigen Tempo nicht schnell genug da
hinkommen, wo wir hinkommen wollen. Beispiele dafür
sind der Ressourcenschutz, der Klimaschutz, die Innova-
tionen oder der ökologische Landbau. Überall sind wirk-
lich große Fortschritte festzustellen, aber gemessen an
den globalen Herausforderungen und an den absolut not-
wendigen Zielen sind wir einfach noch zu langsam.

Vielfach wurde kritisiert, dass wir den Nachhaltig-
keitsbegriff und die Strategie – so habe ich den Beitrag
des Kollegen Braun ein Stück weit verstanden – zu öko-
logisch deuten. Aber ich finde, dass die Bundesregierung
mit ihrem Ansatz klar gemacht hat, dass sie alle drei Di-
mensionen der Nachhaltigkeit berücksichtigen will. An-
statt nach dem Motto „hier ein bisschen sozial und da ein
bisschen ökologisch“ vorzugehen, hat man Querschnitts-
themen formuliert und Nachhaltigkeitsziele deutlich ge-
macht – sozialer Zusammenhalt, Lebensqualität, globale
Verantwortung, Generationengerechtigkeit –, anhand de-
rer man diese Dimensionen verschnürt.


(Helge Braun [CDU/CSU]: Es sei denn, es wird konkret!)


Ein Wort zu den Zielen. Astrid Klug hat gesagt: Eine
ganze Reihe von Zielen wird unterstützt. Aber wir muss-
ten auch feststellen, dass die Ziele nicht konsistent sind
oder dass es nicht in allen Bereichen kurz-, mittel- und
langfristige Ziele gibt. Auch sind die Zielzeitperspekti-
ven nicht überall gleich. Mal sind es fünf Jahre, mal sind
es zehn Jahre. Ich meine, eine gute Strategie müsste sys-
tematisch und konsequent sein und zwischen den ver-
schiedenen Zielen unterscheiden. Zu kritisieren ist auch
– darin unterstütze ich den Kollegen Braun –, dass in
manchen Bereichen, etwa im Bildungssektor, auf falsche
Ziele bzw. Indikatoren gesetzt wird. Die Studienanfän-
gerquote sagt eigentlich nichts aus. Entscheidend ist die
Abschlussquote. Solche Quoten sagen zudem nichts
über die Qualität der Ausbildung aus. Wir brauchen auch
eine Aussage darüber, ob unser Bildungs- und For-
schungssystem wirklich nachhaltig ist. Es geht nicht nur
um formale Abschlüsse, sondern es muss sich auch et-
was an der Qualität der Bildung ändern. Es gilt also, die
Lücken zu schließen. Wir haben in unserem eigenen Be-
richt deutlich gemacht, wo es langgehen könnte.

Wir haben ein Problem, die Strategie zu kommunizie-
ren. Das ist ganz offenkundig. Die Öffentlichkeit und die
Medien nehmen die Nachhaltigkeit zu wenig wahr. Wir
hatten auf einer Fraktionsveranstaltung Friedrich
Küppersbusch zu Gast, den manche aus vergangenen Ta-
gen aus den Medien kennen. Wir haben ihm die Frage
gestellt: Warum transportieren Medien das Thema nicht?
Er hat gesagt: Das ist eigentlich offensichtlich. Medien
sind orientiert an Konflikten, an Personalisierung, an
einfachen und schnellen Antworten, möglichst tagesak-
tuell. – Das alles sind Elemente, denen Nachhaltigkeits-
begriff und -strategie entgegenstehen. Das macht es auch
so schwer, das Thema zu transportieren. Trotzdem müs-
sen wir darauf bestehen, dass auch Medien Verantwor-
tung in der gesellschaftlichen Debatte haben. Sie müssen
dafür sorgen, dass dieses Thema in die Gesellschaft hi-
neingetragen wird.






(A) (C)



(B) (D)


Winfried Hermann


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Als Politiker bzw. Politikerinnen haben wir auch eine
Verantwortung. Nehmen wir das Beispiel Agenda 2010.
Es bestand die Chance, die Agenda 2010 mit der
Agenda 21, mit dem Konzept der nachhaltigen Entwick-
lung, zu verknüpfen. Ich unterstütze ausdrücklich die
Aussagen von Astrid Klug. Wenn Politik in diesem Zu-
sammenhang zunehmend die Agenda 2010 als eine Ar-
beitsvermittlungsstrategie, eine Kosteneinsparstrategie
oder als Strategie kommuniziert, wie wir das Arbeitslo-
sengeld II organisieren, dann trägt sie dazu bei, dass das
eigentliche Konzept verkürzt wird. Als geneigter Bürger
– oder auch nicht – hat man schließlich den Eindruck:
Das Einzige, was die Agenda 2010 und die Agenda 21
gemeinsam haben, ist das schicke Wort „Agenda“. Un-
sere Aufgabe wird es sein, den Anstoß zu liefern, dass
das Konzept der Agenda 21 mit den Sozialreformen zu-
sammengedacht wird und darüber hinaus deutlich ge-
macht wird, dass die Agenda 21 weit mehr bedeutet als
die Klärung der Finanzfragen der sozialen Sicherungs-
systeme.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Fortschrittsbericht der Bundesregierung wurden
neue Schwerpunkte gesetzt: Klima schützen, Energie
effizient nutzen, gesund produzieren, gesund ernähren,
Mobilität sichern, globale Verantwortung übernehmen.
All dies sind Punkte, an denen man deutlich machen
kann, dass es eben nicht nur um abstrakte Handlungsfel-
der und Ziele geht, sondern um ganz konkrete Aufgaben.
Das waren klug gewählte Schwerpunkte. Es macht Sinn,
dass man im Rahmen einer solchen Strategie nicht alles
auf einmal versucht. Ansonsten erweckt man den Ein-
druck, dass man zwar die Planwirtschaft der DDR über-
wunden hat, aber über die Nachhaltigkeitsplanung an
eine neue Form der Planbarkeit der Gesamtgesellschaft
denkt. Das darf nicht sein. Wir müssen Schwerpunkte
setzen und diese unter klaren strategischen Perspektiven
angehen.

Hierzu gehört zum Beispiel die klare Zielformulie-
rung beim Klimaschutz. Ich begrüße, dass die Reduzie-
rung von Treibhausgasen um 40 Prozent angestrebt
wird, sage aber für meine Fraktion dazu: Wer wirklich
globale Verantwortung trägt, der sollte sich nicht damit
herausreden, dass er auf die Verantwortung anderer ver-
weist. Er muss sie vielmehr selbstständig und unabhän-
gig tragen und trotzdem die anderen in Europa auffor-
dern, mit uns mitzuziehen.

Der neue Schwerpunkt „Potenziale älterer Menschen
in Wirtschaft und Gesellschaft“ gefällt uns gut, denn da-
mit kommt man weg vom Jammern über das Altwerden
hin zum Überlegen, was wir tun müssen, um positive Er-
gebnisse zu erreichen. Bei der Energiepolitik geht es
auch um neue Strukturen, um alternative Treibstoffe und
neue Antriebstechnologien. Wir formulieren dazu den
Kernsatz: Weg vom Öl! – Das sind, Kollege Braun,
wirkliche Zukunftsaufgaben. Sie sind schon etwas arg
kurzsichtig, wenn Sie all diese Themen nicht als Zu-
kunftsaufgaben ansehen.


(Helge Braun [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt!)


Man mag zwar sagen, dass das nicht ausreicht. Bildung
und Innovation sind wichtig – keine Frage –, aber auch
in diesem Bereich werden wichtige Zukunftsaufgaben
angesprochen, die wir deutlich unterstützen wollen.

Wir bedauern, dass der Bereich Biodiversität heraus-
gefallen ist. Wir bedauern, dass die ökologische Finanz-
reform nicht zu den neuen Schwerpunkten gehört. Klar
ist: Wer für diesen Bereich keine nachhaltige Antwort
findet, der kann keine funktionierende nachhaltige Stra-
tegie präsentieren. Ich füge aber gleich hinzu: Wir hän-
gen nicht der einfachen Vorstellung an, dass es bei der
ökologischen Finanzreform nur um die Frage der Staats-
finanzen und Verschuldung geht. Das Thema ist komple-
xer. Es geht nicht nur darum, welche Einsparungen wir
heute vornehmen können, damit für die nachfolgenden
Generationen etwas übrig bleibt, sondern auch darum,
welche Zukunftsinvestitionen wir heute tätigen, damit
deren Chancen gewahrt bleiben. Beide Aspekte müssen
zusammen bedacht werden, um die Nachhaltigkeit zu
gewährleisten.

Zum Ausblick: Wir haben uns vorgenommen, einige
weitere Denkanstöße zu geben. Wichtig ist unserer Mei-
nung nach nicht nur, dass der Beirat ein kritischer Be-
gleiter der Bundesregierung ist – das werden wir weiter-
verfolgen –, sondern wir müssen auch neue Aufgaben
angehen und damit die gesellschaftliche Debatte ansto-
ßen. Wir müssen einen Beitrag zur Klärung der Frage
leisten, wie wir unter dem Gesichtspunkt des demogra-
phischen Wandels zukünftig die Infrastruktur organisie-
ren und finanzieren können. In diesem Zusammenhang
stellt sich die Frage, was wir wie auch die Kommunen
uns noch leisten können. Wir müssen uns auch die Frage
stellen, wie wir Versorgungssicherheit etwa bei den
Treibstoffen und Energiestoffen realisieren können.

Ich meine, wir sollten uns auch einer weiteren
schwierigen Frage stellen, die im Parlament und in der
Politik zu wenig diskutiert wird – –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113400

Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich

überschritten.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113500

Ich komme zum Schluss. – Wir müssen uns auch der

schwierigen Frage stellen, was wir weiterentwickeln
wollen: Wo wollen wir wachsen und wo nicht? Wie sieht
ein nachhaltiges Entwicklungskonzept für die Gesell-
schaft aus?

Ich komme jetzt zum Schluss.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113600

Nein. Das ist, glaube ich, ein guter Schlusssatz gewe-

sen, den sicherlich jeder verstanden hat.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker [SPD])







(A) (C)



(B) (D)



Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113700

Wenn die Präsidentin das als guten Schlusssatz be-

zeichnet, dann bedanke ich mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515113800

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Kauch.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1515113900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem

Parlamentarischen Beirat ist es trotz der gerade in den
Bereichen Finanzen und Soziales nach wie vor bestehen-
den Unterschiede gelungen, sich in wichtigen Zukunfts-
fragen fraktionsübergreifend auf Zielsetzungen zu eini-
gen. Das möchte ich vorausschicken; denn das ist
wichtig für unser Land. Regierungen kommen und ge-
hen, aber die Fragen der Nachhaltigkeit haben einen
Zeithorizont von Jahrzehnten und betreffen deshalb das
ganze Haus und seine Strategien.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Nachhaltigkeit darf aber auch keine neue Verpackung
für sozialromantische Ideen oder alten Ökodirigismus
sein. Wir Liberale legen beim Thema Nachhaltigkeit den
Schwerpunkt auf Generationengerechtigkeit. Auch künf-
tige Generationen haben ein Recht auf faire Lebenschan-
cen, und zwar ökologische, aber auch soziale, finanzielle
und wirtschaftliche.

Generationenbilanzen stellen in diesem Kontext ein
wichtiges Instrument dar, um die Leistungen, aber auch
die Lasten für kommende Generationen transparent zu
machen. Sie schaffen Bewusstsein für die Überlastung
der jungen Generation und schaffen die Grundlage für
eine Generationenverträglichkeitsprüfung in der Gesetz-
gebung. Es freut mich, dass es auf Initiative der FDP ge-
lungen ist, die Forderung nach Generationenbilanzen in
der Stellungnahme des Parlamentarischen Beirats zu
verankern.


(Beifall bei der FDP)

Erlauben Sie mir als Oppositionspolitiker und ange-

sichts der für die Liberalen knappen Redezeit, die Kritik-
punkte der FDP an der nationalen Nachhaltigkeitsstrate-
gie der Bundesregierung in den Mittelpunkt zu stellen.
Stichwort Staatsfinanzen: Die jährliche Neuverschul-
dung und der Umgang mit den Maastricht-Kriterien sind
schon skandalös genug. Doch noch schlimmer ist die
Weigerung der Bundesregierung, entgegen früher geäu-
ßerten Plänen, die finanzielle Nachhaltigkeit zu einem
Schwerpunkt des nächsten Fortschrittsberichtes zu ma-
chen.


(Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Hört! Hört!)

Das heißt im Klartext: Eichel ist nicht zur Umkehr be-
reit, sondern stellt die Rechnung auf kommende Genera-
tionen aus.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zur Finanzpolitik gehört auch eine wachstumsorien-
tierte Steuerpolitik. Denn die Investitionen und das
Wachstum von heute sind die Arbeitsplätze und der
Wohlstand von morgen. Dass Rot-Grün keine weiteren
Steuersenkungen will, wussten wir. Doch auch die CDU/
CSU hat es im Parlamentarischen Beirat abgelehnt, ge-
meinsam mit der FDP für Steuersenkungen zu plädieren.
Das offenbart die ordnungspolitische Orientierungslo-
sigkeit der Union.


(Beifall bei der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben eigenartige Vorstellungen von Nachhaltigkeit!)


Stichwort „Demographie“: Wenn wir bei der Ren-
tenversicherung, der Pflegeversicherung und im Ge-
sundheitsbereich weiter mit halbherzigen Reformen ar-
beiten, die nur kurzfristig Luft verschaffen, wird
entweder meine Generation im Alter unterversorgt sein
oder werden die kommenden Generationen durch explo-
dierende Beiträge überlastet. Für uns Liberale ist klar:
Nur Reformen der sozialen Sicherungssysteme, die in
Richtung Kapitaldeckung gehen, sind tatsächlich nach-
haltig.


(Beifall bei der FDP)

Auch die ökologische Bilanz des Fortschrittsberichts

fällt zwiespältig aus. Die Bundesregierung hat sich
klammheimlich von dem nicht mehr erfüllbaren nationa-
len CO2-Ziel verabschiedet. Die Anteile des Schienen-verkehrs und der Binnenschifffahrt am Güterverkehr sin-
ken. Der Index für die Luftreinhaltung hat sich ebenfalls
verschlechtert. Manche Innovationen für Umwelt und
Gesundheit werden vernachlässigt. Ich möchte das an
zwei Beispielen deutlich machen. Wasserstoff als Kraft-
stoff und Speichermöglichkeit für regenerative Energien
ist eine Technologie, der langfristig die Zukunft gehört
bzw. gehören muss, wenn wir es mit dem Slogan „Weg
vom Öl“ ernst meinen, Herr Hermann; denn die derzei-
tige Abhängigkeit von Öl und Gas ist schlecht für das
Klima und langfristig ein Risiko für die wirtschaftliche
Stabilität unseres Landes. Doch statt eine Vision zu ent-
wickeln und politische Impulse zu geben, beschränkt
sich der Fortschritt der Bundesregierung beim Wasser-
stoff auf richtige, aber wirkungslose Analysen. Das ent-
spricht der einseitigen Ausrichtung der grünen Partei-
strategie auf Biokraftstoffe. Doch die Energie vom
Acker wird allein nicht den notwendigen Ausgleich
schaffen, um das Öl zu ersetzen. Dafür fehlt es schon an
ausreichenden Anbauflächen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Während wir noch analysieren, investieren Länder wie
die USA oder Japan inzwischen Milliarden Dollar in die
Entwicklung der Wasserstofftechnologie. Erneut droht
Deutschland den Anschluss bei einer Zukunftstechnolo-
gie zu verlieren. Es ist deshalb Zeit, engagierter als bis-
her zu handeln.


(Beifall bei der FDP)

Kommen wir zur Landwirtschaft. Erfreulicherweise

haben wir im Parlamentarischen Beirat gemeinsam fest-






(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch

gehalten – ich finde, das ist für Rot-Grün eine bemer-
kenswerte Entwicklung –, dass die alleinige Ausrichtung
auf den Flächenanteil des ökologischen Landbaus unzu-
reichend für eine nachhaltige Entwicklung ist. Die FDP
sagt darüber hinaus: In der Forstwirtschaft brauchen wir
eine nachhaltige und erwerbsorientierte Bewirtschaftung
der Wälder. Außerdem brauchen wir die Grüne Gentech-
nik. Sie wird uns bei der Entwicklung schädlingsresis-
tenter Pflanzensorten helfen und den Einsatz von Pestizi-
den zurückdrängen.


(Beifall bei der FDP)

Nicht die Bekämpfung, sondern die Förderung der Grü-
nen Gentechnik ist ein Beitrag zu einer nachhaltigen
Entwicklung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Fortschrittsbericht zeigt, dass noch eine Menge
zu tun ist. Die FDP-Bundestagsfraktion wird engagiert
daran mitarbeiten, dass wir in den künftigen Beratungen
des Parlamentarischen Beirates und in den Ausschüssen
zu einer nachhaltigen Entwicklung kommen. Ich danke
ausdrücklich allen Kollegen, die sich im Parlamenta-
rischen Beirat für gemeinsame Lösungen eingesetzt ha-
ben, soweit das politisch möglich war. Ich danke außer-
dem dem Sekretariat für seine engagierte Arbeit. Wenn
wir auf diesem Weg weitermachen, können wir tatsäch-
lich fraktionsübergreifend einen Schritt vorankommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515114000

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Maria

Flachsbarth.

Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1515114100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Spätestens seit Ende der 80er-Jahre versteht man
Nachhaltigkeit im Rahmen des Drei-Säulen-Modells,
nämlich als Gesamtpaket aus sozialen, ökonomischen
und ökologischen Faktoren. Ziel ist dabei, der Politik
eine Gesamtschau zu ermöglichen, welche die Interessen
zwischen Wirtschaft und Umwelt sowie zwischen Wirt-
schaft und Sozialem nicht mehr als Gegensätze begreift.
Leider ist diese Chance von der Bundesregierung in ih-
rem Fortschrittsbericht 2004 nicht wahrgenommen wor-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In dem Bericht wird der Fokus zwar auf die ökologische
Entwicklung gerichtet. Doch die anderen Säulen der
Nachhaltigkeit kommen dabei zu kurz. Beispielsweise
bekommt der Flächenverbrauch ein eigenes Kapitel. Die
Staatsverschuldung wird dagegen auf einer Seite abge-
frühstückt.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Warum nur?)

Zudem lässt der Fortschrittsbericht eine weitere zen-

trale Forderung der Nachhaltigkeit nahezu außer Acht:
den Bedürfnissen der heutigen Generation zu entspre-
chen, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu
gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, also
die Frage der Generationengerechtigkeit.

Ein genauerer Blick auf die verwaisten Säulen sei mir
daher gestattet. Wie steht es um die Staatsverschul-
dung? Allein 2004 wurden auf Bundesebene 39,5 Mil-
liarden Euro neue Schulden angehäuft. Die Bundesregie-
rung verwies in der letzten Woche stolz darauf, dass das
4 Milliarden Euro weniger seien als geplant. Ursprüng-
lich geplant waren 29,3 Milliarden Euro und der Rest
kam aus dem Nachtragshaushalt. Ist es tatsächlich gene-
rationengerecht, die politische Handlungsfähigkeit zu-
künftiger Generationen immer mehr einzuschränken, in-
dem wir unsere heutigen Probleme mit ungedeckten
Schecks auf die Zukunft bezahlen?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Bund zahlt 2004 37,7 Milliarden Euro Schulden.
Dagegen stehen 24,6 Milliarden Euro Investitionsmittel.
Hier wird wesentlich mehr Geld in die Vergangenheits-
bewältigung gesteckt als in die Ausrichtung der Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Von Herrn Waigel! Sie haben aber ein schlechtes Gedächtnis!)


Vorschläge zur Behebung der strukturellen Defizite
sucht man im Nachhaltigkeitsbericht wie auch in der ak-
tuellen Regierungspolitik vergeblich. Nehmen wir nur
den Vorschlag der Bundesregierung, die Maastricht-
Kriterien zu „reformieren“. Da warnt die Bundesbank:

Der Pakt stellt keine ökonomische „Zwangsjacke“
dar …

Als bitteren Schlusssatz fügt sie hinzu:
Kurzfristige haushaltspolitische Erleichterungen
dürfen nicht auf Kosten künftiger Generationen er-
kauft werden.

Da ist es wieder: das Stichwort der Generationengerech-
tigkeit, das im bundesdeutschen Staatshaushalt kaum
eine Rolle spielt.

Doch auch die Vorschläge zur Einnahmenerhöhung
durch Steuererhöhungen, wie sie in regelmäßigen Ab-
ständen, so auch jüngst wieder, aus Kiel zu hören waren,
sind nicht zukunftsorientiert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihre Umsetzung nähme den Menschen nämlich noch
mehr Handlungsfreiheit und würde die Binnennachfrage
zudem noch stärker bremsen. Daher hat der Kanzler die-
sen Vorschlag schnell einkassiert.

Demographische Entwicklung und Familienförde-
rung sind ein weiteres Thema, welches vom Nachhaltig-
keitsbericht lediglich gestreift wird, obwohl es zu den
wichtigsten derzeitigen Fragen überhaupt gehört.
Deutschland ist laut einer Studie der Weltbank über Ge-
burtenraten von 190 Staaten auf dem 185. Platz; die Ge-
burtenrate in Deutschland liegt bei 1,3 Kindern pro Frau.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Maria Flachsbarth

Der Bericht sieht die Lösung dieser Problematik hier

vor allen im Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung.
Dies allein geht jedoch an den Wünschen und an den
Problemen der Menschen vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aktuelle Umfragen sowohl vom Allensbach-Institut als
auch von Forsa geben andere Hinweise. Nach Forsa ge-
ben 44 Prozent der Befragten als Grund für ihre Kinder-
losigkeit an, keinen geeigneten Partner zu haben. Ich
gebe zu: Da sind wir Politiker ziemlich hilflos. Aber
77 Prozent geben an, sich an der mangelnden Kinder-
freundlichkeit der Gesellschaft zu stoßen. Ebenso viele
Befragte fordern mehr Anerkennung der Erziehungsleis-
tung. Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben da-
her schon im Rahmen der Beratungen zum Rentenversi-
cherungsnachhaltigkeitsgesetz im vergangenen Frühjahr
die schrittweise Einführung eines Kinderbonus von
50 Euro pro Kind und Monat im Rahmen der Rentenver-
sicherungsbeiträge gefordert – leider ohne Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

39 Prozent der Kinderlosen nennen zudem Angst um

den Arbeitsplatz. Grund hierfür ist natürlich die katastro-
phale Lage auf dem Arbeitsmarkt. 2004 gingen 430 000
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren.
Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich um nahezu
150 000 Menschen. Es steht zu befürchten, dass sich an
dieser Lage nichts ändert, weil nach der Reform der Ar-
beitsverwaltung keine Reform des Arbeitsmarktes, des
Kündigungsschutzes oder des Tarifrechts zur Ermögli-
chung betrieblicher Bündnisse für Arbeit folgt.

Bei Allensbach geben nur 14 Prozent der kinderlosen
Frauen an, die unzureichenden Kinderbetreuungsmög-
lichkeiten seien Grund dafür, auf eigene Kinder zu ver-
zichten. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung allein ist
also – wie im Nachhaltigkeitsbericht jedoch so verwen-
det – kein geeigneter Indikator für eine Familienperspek-
tive.


(Zuruf der Abg. Karin Rehbock-Zureich [SPD])


– Sie äußern sich so.
Der Nachhaltigkeitsbericht sagt hier somit nichts über

den tatsächlichen Stand der Familienentwicklung in
Deutschland aus. Nur am Rand sei angemerkt, dass das
Kindertagesstättenausbaugesetz, in dem die Bundesre-
gierung ihr Heil sucht, allein schon deshalb nicht nach-
haltig wirkt, da es unseriös finanziert ist und den Län-
dern und Kommunen einseitig Belastungen auflegt, wie
selbst die rot-grün regierten Länder Nordrhein-Westfa-
len und Schleswig-Holstein in den Beratungen des TAG
im Bundesrat in einem Antrag formuliert haben.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ist ja unerhört!)


Selbstverständlich ist der Ausbau der Kindertagesbe-
treuung wichtig. Insbesondere der Ausbau der Tagespflege
bietet Frauen und Männern individuelle Möglichkeiten,
Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren.
Eine gute Kinderbetreuung allein schafft jedoch noch
kein kinderfreundliches Klima. Das zeigen die Zahlen
aus den neuen Bundesländern ganz deutlich. Vielmehr ist
ein gesamtgesellschaftlicher Wertewandel erforderlich.
Der Familiengipfel beim Bundespräsidenten ist dabei ein
Schritt in die richtige Richtung, damit Deutschland kin-
derfreundlicher wird und junge Menschen wieder Lust
und Mut zu Kindern bekommen.

Es sollte eine Bündelung der staatlichen Fördermaß-
nahmen in den ersten sechs Lebensjahren geben, um
Entwicklungsdefizite, die in erschreckendem Maß zu-
nehmen, zu verhindern, also nicht in die Beseitigung von
Schäden, sondern in die Verhinderung von Schäden zu
investieren; denn das wäre tatsächlich nachhaltig.

Der Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung wird
seiner Aufgabe, im Rahmen einer Gesamtschau die poli-
tischen Entwicklungsnotwendigkeiten in Deutschland
aufzuzeigen, leider nicht gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])


Leider wurde damit wieder einmal eine Chance auf eine
dringend erforderliche Neuausrichtung der Politik ver-
tan.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515114200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Kranz.


Ernst Kranz (SPD):
Rede ID: ID1515114300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!

Werte Kollegen! Seit dem Brundtland-Bericht von 1987
und noch verstärkt seit der UN-Konferenz für Umwelt
und Entwicklung in Rio im Jahr 1992 sind Nachhaltig-
keit und nachhaltige Entwicklung immer mehr zum Be-
standteil der Agenda vieler internationaler Organisatio-
nen und eines Teils der nationalen Regierungen
geworden. Vor knapp einem Jahr hat der Deutsche Bun-
destag beschlossen, den Parlamentarischen Beirat für
nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Die nun vorlie-
gende und im Beirat gestern einstimmig verabschiedete
Stellungnahme des Beirats zum Fortschrittbericht 2004
der Bundesregierung ist ein erstes gemeinsames Arbeits-
ergebnis seiner Mitglieder. Ich bin froh darüber, an die-
ser Stelle sagen zu können, dass es sich bei der Stellung-
nahme um ein Papier handelt, das in seinen wesentlichen
Punkten überwiegend im Konsens erarbeitet wurde.

Wir haben bisher viel über Nachhaltigkeit und auch
über die Definition von Nachhaltigkeit gesprochen. Von
den vielen zurzeit schon existierenden Definitionen des
Begriffs Nachhaltigkeit ist meines Erachtens die der
Brundtland-Kommission von 1987 besonders zutref-
fend. Ich möchte sie an dieser Stelle deshalb noch ein-
mal zitieren:

Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die
den Bedürfnissen der heutigen Generation ent-
spricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Genera-






(A) (C)



(B) (D)


Ernst Kranz

tionen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu
befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.

Ich bin der Meinung, dass man dieser Definition noch
eine globale Dimension hinzufügen sollte, die die Ziele
der sozialen Gerechtigkeit und eines größeren Wohl-
stands für die Ärmsten dieser Welt beinhaltet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In Europa ist bei den Nachhaltigkeitsaktivitäten bis-
lang ein starkes Übergewicht der Exekutive feststellbar.
Mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Ent-
wicklung übernimmt der Deutsche Bundestag in
Deutschland eine aktive Rolle in der Legislative.

Nachhaltige Entwicklung ist allerdings keine Auf-
gabe, die allein national zu bewältigen ist. Wir wollen,
dass Deutschland auf der internationalen Ebene auch
weiterhin ein Motor für nachhaltige Politik ist und
bleibt.


(Beifall bei der SPD)

Deshalb sind die eigenen Anstrengungen stärker mit den
Zielen der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie, mit
den Zielen der Vereinten Nationen und den hierzu inter-
national eingegangenen Verpflichtungen zu vernetzen.
Wir schlagen vor, auf europäischer Ebene eine Diskus-
sion und einen Erfahrungsaustausch über Indikatoren-
systeme, mit denen die nachhaltige Entwicklung gemes-
sen werden kann, zu initiieren. Ziel muss sein, die
Indikatoren einander anzunähern, um die Transparenz zu
erhöhen und die Vergleichbarkeit zu verbessern.

Die Bundesregierung hat ihren ersten Fortschrittsbe-
richt vorgelegt. Nach der Festlegung der Nachhaltig-
keitsstrategie, hauptsächlich in Form des Indikatorensys-
tems, erfolgt mit dem Fortschrittsbericht jetzt erstmals
eine Auswertung. Der vorgelegte Bericht unterstreicht,
dass die Bundesregierung den gestarteten Prozess sehr
ernst nimmt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sowohl die Strategie als auch der Fortschrittsbericht zei-
gen ehrgeizige und anspruchsvolle Ziele. In einigen Be-
reichen konnten trotz des kurzen Bilanzzeitraums bereits
Fortschritte erzielt werden. In anderen Bereichen hinkt
man den Ansprüchen hinterher.

Ich möchte einige Punkte herausgreifen:
Stichwort Mobilität. Mobilität ist eine Grundbedin-

gung für unser heutiges Leben und den damit verbunde-
nen Wohlstand auf der Grundlage einer arbeitsteiligen
und feingliedrig werdenden Wirtschaft. Mobilität ist je-
doch gleichzeitig Voraussetzung und Möglichkeit zur
Teilhabe jedes Einzelnen am gesellschaftlichen Leben.
Es ist aber eindeutig zu erkennen, dass der heutige Le-
bensstil die Umwelt überfordert. Wir wissen genau, was
wir mit einer Forderung nach weltweiter Mobilität an-
richten würden. Auch die vorliegenden Prognosen sagen
es eindeutig aus.
Wir haben jedoch auch in künftigen Jahren mit weite-
rem Verkehrswachstum zu rechnen. Unter diesen zuneh-
mend schwieriger werdenden Bedingungen gilt es,
schnellstmöglich umfangreiche Maßnahmen einzuleiten,
die Mobilität nachhaltig sichern. Deshalb ist das Umden-
ken und Umschwenken von der reinen Verkehrspolitik
zur Mobilitätspolitik ein Bestandteil sozialdemokrati-
scher Reformagenda.


(Beifall bei der SPD)

Stichwort Wasser. Es ist bedauernswert, dass Wasser

als essenzielle Ressource für das Leben nicht im Indika-
torensystem enthalten ist. Im Rahmen des Kapitels „Glo-
bal Verantwortung übernehmen“ wird dem Wasser je-
doch eine wichtige Rolle zugewiesen. Das zeigt, dass die
Bundesregierung sich der Bedeutung der Wasserfrage
bewusst ist.

In vielen Ländern mit permanentem Wassermangel ist
es für die meisten Menschen schwierig, Zugang zu genü-
gend sauberem Wasser zu erhalten. In der Entwicklungs-
zusammenarbeit in Bezug auf Wasser ist Deutschland
der größte europäische Geldgeber. Auch dies zeigt, dass
die Bundesregierung das Problem erkannt hat und aktiv
an seiner Lösung oder Beseitigung arbeitet.

Beim erforderlichen nachhaltigen Umgang mit dieser
wichtigen Ressource ist immer noch ein großes Poten-
zial vorhanden, und zwar weltweit und hinsichtlich aller
Dimensionen des Wassers. Wasser ist jedoch nicht nur
Trinkwasser; Wasser ist Lebensraum und es ist die
Grundlage allen Lebens. Ich bin der Meinung, dass Was-
ser im Konzept der Nachhaltigkeit eine ganz wichtige
Dimension ist. Zurzeit wird das allerdings noch nicht an-
gemessen berücksichtigt.

Die meisten grundlegenden Prinzipien der Nachhal-
tigkeit lassen sich widerspruchslos mit den Prinzipien
der Sozialdemokratie verbinden und sind sogar in ihnen
enthalten. Nachhaltigkeit ist eine zutiefst sozialdemokra-
tische Antwort auf die Herausforderungen der Globali-
sierung. Sie verbindet ökonomische, soziale und ökolo-
gische Entscheidungen zugunsten unserer heutigen
Generation sowie zugunsten nachfolgender Generatio-
nen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns
gemeinsam schon heute ein Stück Zukunft gestalten.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515114400

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Josef Göppel.


Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1515114500

Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin! Der bis-

herige Verlauf der Debatte gibt die Stimmung im Beirat
nicht richtig wieder.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wahr!)







(A) (C)



(B) (D)


Josef Göppel

Wir sind im Beirat zu einer gemeinsamen Stellungnahme
gekommen, die einstimmig verabschiedet worden ist.

Ich möchte wiederholen, was der Kollege Kauch von
der FDP besonders betont hat: Es gibt Differenzen über
den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Nach-
haltigkeit, aber die Stellungnahme als Antwort auf den
Bericht ist im Beirat einstimmig angenommen worden.
Man kann diese Antwort etwa so zusammenfassen: Es
gibt Licht und Schatten, aber die Umsetzungsschritte
müssen entschiedener und mutiger werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Natürlich ist die Stellungnahme zum Teil ein Kom-
promiss zwischen den Oppositionsfraktionen und den
Koalitionsfraktionen. Das Thema Nachhaltigkeit muss
aber gemeinsam getragen werden. Wenn wir uns hier im
Raum umschauen, zeigt sich, dass neben den Kollegin-
nen und Kollegen, die unmittelbar mit dem Thema zu
tun haben, nicht allzu viele es so wichtig nehmen, dass
sie an der Debatte teilnehmen. Hier braucht man langen
Atem! Wir müssen unabhängig von Legislaturperioden
an diesem Thema arbeiten.

Lassen Sie mich das im Hinblick auf die Kommunal-
politik verdeutlichen. Hier sind immer ganz konkrete
Probleme zu lösen. Nehmen wir das Beispiel Umge-
hungsstraße: Durch den Bau einer Umgehungsstraße
werden Menschen im Ort vom Durchgangsverkehr ent-
lastet, zugleich werden Geschäfte an der alten Haupt-
straße geschädigt und es wird Land auf der grünen
Wiese zugebaut. Diese drei Gesichtspunkte müssen
Kommunalpolitiker abwägen und dann eine Entschei-
dung treffen. Auch wenn sich das theoretisch alles sehr
gut anhört, ist festzuhalten: In der Kommunalpolitik
wird die Frage nach Nachhaltigkeit ganz konkret.

Ich möchte hier etwas zu den ökologischen Zielen sa-
gen. Für uns in der Union ist Umweltvorsorge immer mit
dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzsicherung zu verbin-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU – Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns auch!)


– Wenn Sie das auch so sehen, ist das doch wunderbar.
Das steht ja auch in der Stellungnahme drin.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Umweltvorsorge
und Arbeitsplatzsicherung zu verbinden muss Leitbild
für die Umweltpolitik sein. In der gemeinsamen Stel-
lungnahme ist als Ziel formuliert, bis 2020 die Emissio-
nen in Deutschland um 40 Prozent zu verringern, wenn
die anderen Länder in der Europäischen Union im selben
Zeitraum ihre Emissionen um 30 Prozent verringern.
Wenn die Bundesregierung dieses Ziel ernsthaft verfolgt
und sich um europäische Umsetzung bemüht, dann erge-
ben sich automatisch konkrete Schlussfolgerungen.

Betrachten wir den Gesichtspunkt Flächenver-
brauch: Viele Kommunalpolitiker sehen diese Frage
mittlerweile unter dem Kostenaspekt. Wer sich rechtzei-
tig darum kümmert, der erhält sich finanzielle Freiräume
und auch unverbrauchte Landschaft vor seiner Haustür.

In unserer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren
wir, dass für die Bundesregierung das Thema Artenviel-
falt keinen Schwerpunkt mehr darstellt. Das ist nicht in
Ordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das Thema „Erhaltung der Lebensvielfalt in unserem
Land“ hängt eng mit der Attraktivität des Standortes
Deutschland zusammen. In den letzten Tagen ging ein
schönes Beispiel aus Südafrika durch die Presse; das ist
mir gleich aufgefallen. Da hat ein Vertreter der südafri-
kanischen Regierung gesagt, dass sein Land die Arten-
vielfalt und die reiche Flora der Kapregion zu einem be-
deutenden Wirtschaftsfaktor machen will. Ich denke, das
gilt auch für unser Land, das mit einer reichhaltigen und
unterschiedlichen Natur von Schleswig-Holstein bis zum
bayerischen Watzmann ausgestattet ist. Diese Vielfalt
und Reichhaltigkeit ist gerade auch für die Verwurzelung
der Menschen in den Industrienationen sehr wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin ich
persönlich froh, dass wir diese Stellungnahme einstim-
mig beschlossen haben. Es werden Nagelproben auf uns
zukommen, wenn es darum geht, zu Gesetzesvorhaben,
die die Regierung einbringt, gutachterlich unter dem Ge-
sichtspunkt Stellung zu nehmen, ob das Ziel der Nach-
haltigkeit berücksichtigt ist. Ich hoffe sehr, dass es uns
gelingt, über die Fraktionsgrenzen hinweg auch dann zu
einer einheitlichen Stellungnahme zu kommen, wenn es
konkret wird. Die bisherigen Ansätze halte ich für ermu-
tigend. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass wir von
der Union auch weiterhin bei diesem Thema einen
Schwerpunkt setzen. Ich jedenfalls arbeite sehr gerne in
dem Beirat mit.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515114600

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Müller.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1515114700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vor-

sitzende des Nachhaltigkeitsrates, der frühere Kollege
Volker Hauff, warnt davor, das Wort Nachhaltigkeit wie
ein Plastikwort zu begreifen. Ich finde es zwar sehr gut,
dass heute der Begriff Nachhaltigkeit sehr viel verwandt
wird. Aber ich warne davor, dass man ihn überall ver-
wendet, ohne sich über seine Bedeutung im Klaren zu
sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich befürchte, es gibt eine gewisse Inflation beim Ge-
brauch dieses Begriffs. Viele wissen nicht, was eigent-
lich damit gemeint ist.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Müller (Düsseldorf)


Man darf Nachhaltigkeit nicht einfach als Drei-

Säulen-Modell begreifen. Es ist natürlich richtig, dass
man im Rahmen der Nachhaltigkeit einen Ausgleich
zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem suchen
muss. Wenn man aber ehrlich ist, muss man natürlich
feststellen, dass gerade die heutige Form der Ökonomie
eine der zentralen Ursachen für die Zerstörung der natür-
lichen Lebensgrundlagen ist. Wenn man also den Kon-
sens mit der Ökonomie sucht, muss man die Ökonomie
selbst verändern. Ein einfaches Nebeneinanderstellen
dieser drei Säulen wird nicht funktionieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will das Problem an einem weiteren Punkt ver-
deutlichen. Aus meiner Sicht ist eine Politik der Nach-
haltigkeit im Kern Zeitpolitik. Wir müssen einen ande-
ren Umgang mit der vielleicht knappsten Ressource
organisieren, die die moderne Gesellschaft kennt, näm-
lich der Zeit. Wir wissen, dass die Ressourcen, was die
natürlichen Lebensgrundlagen betrifft, endlich sind und
dass sie überlastet werden können. Wir wissen auch,
dass die Natur hinsichtlich der Regenerationsfähigkeit
andere Zeitrhythmen hat als beispielsweise die Industrie-
gesellschaft. Das bedeutet: Wenn die Zeitrhythmen des
Menschen und die Zeitrhythmen der Natur sowie die be-
schleunigte Dynamik der Wirtschaft nicht in einen
Gleichklang gebracht werden können, dann gibt es keine
Nachhaltigkeit. Insofern reicht es nicht aus, einfach nur
zu sagen: Wir müssen diese drei Säulen miteinander ver-
binden; aber ansonsten lassen wir alles so, wie es ist, und
machen nur ein wenig mehr Ökologie. Das ist keine Lö-
sung des Problems. Es geht im Kern vielmehr um ein an-
deres Verständnis von Entwicklung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Forderungen nach mehr Wachstum und nach ei-
ner Orientierung auf eine kurzfristige Finanzpolitik ha-
ben überhaupt nichts mit der Idee der Nachhaltigkeit zu
tun. Vielmehr ist die Idee der Nachhaltigkeit, wie der
Club of Rome völlig zu Recht gesagt hat, ein organi-
sches Ganzes. Es muss eine Entwicklung stattfinden, die
auf Dauer Gleichgewichte schafft. Das ist der wesentli-
che Punkt in der Nachhaltigkeitsdebatte.

Aus meiner Sicht geht es um vier zentrale Punkte:
Erster Punkt. Es geht darum, dass wir ein in der Rich-

tung verändertes Fortschreiten von Wirtschaft und Ge-
sellschaft organisieren.

Zweiter Punkt. Wir müssen die Globalität erkennen
und daraus die Verantwortung einer Weltinnenpolitik ab-
leiten. Der Begriff von der Weltinnenpolitik wurde heute
auch vom Bundespräsidenten verwendet. Dieser Begriff
ist nicht neu; er hat seinen Ursprung in der ökologischen
Debatte. Es muss ein Bewusstsein für die immer größer
werdenden Interdependenzen geben. Die Erkenntnis
muss sich durchsetzen, dass die Erde immer mehr zu ei-
ner zerbrechlichen Einheit wird. Man kann deshalb nicht
sonntags die Nachhaltigkeit beschwören und montags
eine völlig andere Politik machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dritter Punkt. Die Stärkung von Demokratie und
Partizipation ist aus meiner Sicht ebenfalls wesentlich
für die Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist nur mit Auf-
klärung der Bürger und mit mehr Demokratie zu errei-
chen. Es muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass je-
der Einzelne Verantwortung trägt.

Herr Kauch hat gesagt, der Begriff der Nachhaltigkeit
könne nicht beliebig benutzt werden. Das ist zwar rich-
tig; aber ich habe nicht verstanden, was er mit dem Be-
griff Ökodirigismus gemeint hat. Denn dieser Begriff
wird in der Fachdiskussion ganz anders verwandt. Er be-
deutet nämlich, dass die Naturveränderungen so stark
werden, dass wir nur noch mit harten und wirklich ein-
schneidenden Maßnahmen reagieren können, dass also
die Ökologie unser Handeln diktiert. So wird der Begriff
des Ökodirigismus in der Fachdiskussion verstanden und
nicht so, dass die Politik zu wenig tut. Ich glaube, hier
hat er einfach den Tatbestand verdreht.

Für uns ist wichtig, dass Nachhaltigkeit Ausweitung
der Demokratie, der Verantwortung und der Mitbestim-
mung bedeutet. Nachhaltigkeit umfasst auch öffentliche
und nicht nur private Güter; das ist ein ganz wichtiger
Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weise darauf hin, dass die Definition der Vereinten
Nationen im Hinblick auf den Begriff „Nachhaltigkeit“
auch die öffentlichen Güter einschließt, also beispiels-
weise die Bildung, die staatliche Verantwortung und die
öffentlichen Systeme. Ich halte das für richtig.

Ich will einen vierten Punkt nennen, der für mich im
Zusammenhang mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ wich-
tig ist. Nachhaltigkeit ist die europäische Antwort auf
die heutige Form der Globalisierung, auf den Unilatera-
lismus, der meint, mit der Privatisierung und der Milita-
risierung der Welt Probleme der Zukunft lösen zu kön-
nen. Das wird nicht funktionieren. Wer die Probleme
treiben lässt, wird in der Welt immer mehr Gewalt pro-
duzieren. Nachhaltigkeit ist das Gegenteil: Es ist die
Vermeidung von Gewalt durch eine vorsorgende, vo-
rausblickende Politik, die sich die Frage stellt: Was kann
ich nach dem heutigen Wissensstand auch noch in
30 oder 40 Jahren verantworten? Dabei ist die Zeit im-
mer wieder ein entscheidender Maßstab der Politik.


(Beifall bei der SPD)

Man muss sehen: Die Debatte über Nachhaltigkeit be-

trifft die Frage, welches Fortschrittsverständnis von Zi-
vilisation wir auf der Basis heutiger Erkenntnisse haben.
Die Antwort darauf ist kein defensives Modell, sondern
ein Weg, der die Zukunft sichert und allen Menschen
mehr Chancen und Gerechtigkeit bietet. Insofern steht er
in der Tradition der sozialen Bewegung; da hat Kollege
Kranz völlig Recht. Die Idee der Nachhaltigkeit ist aus
meiner Sicht eine Erweiterung der Idee der sozialen De-
mokratie. Genauso verstehen wir das.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Müller (Düsseldorf)


Wir halten es für richtig, Schwerpunkte zu setzen.

Ich kritisiere aber, dass beispielsweise zu wenig an die
biologische Vielfalt gedacht wird. Der Naturschutz muss
stärker beachtet werden. Dies muss ein Schwerpunkt im
Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen aber vor allem Schwerpunkte auf die Ener-
gie- und die Ressourcenwirtschaft, also auf all die abseh-
baren Knappheiten der Zukunft, setzen. Ich würde sa-
gen: Wir haben große Chancen; denn die auf uns
zukommende Wissensökonomie macht den Menschen
für die eigene Zukunft wieder sehr viel mehr verantwort-
lich. Nicht mehr das Finanzkapital ist, wie man uns in
Zeiten des Shareholder-Value sagt, der knappe Faktor.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515114800

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit?


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1515114900

Ich komme zum Ende. – In Zukunft ist vielmehr der

Umgang mit der Energie und den Ressourcen entschei-
dend; sie sind der knappe Faktor. Ich finde, das ist der
Kern. Hier müssen wir beweisen, dass wir zu einer nach-
haltigen Politik fähig sind. Das werden wir auch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515115000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ralf Brauksiepe.


Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1515115100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Debatte, in der viele Aspekte berührt wurden, zeigt,
dass Nachhaltigkeit ein komplexes Thema ist, das mit
Sicherheit, lieber Ernst Kranz, keiner einzelnen Partei
gehört, sondern ein gemeinsames Projekt sein sollte und
auch ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Da Kollege Müller angesprochen hat, dass im Hin-
blick auf die Nachhaltigkeit nicht nur das Dreisäulenmo-
dell von Bedeutung ist, möchte ich deutlich machen: Na-
türlich ist wirtschaftliches Wachstum nicht alles.
Natürlich hat wirtschaftliches Wachstum in der Vergan-
genheit ökologische Konsequenzen gehabt, die proble-
matisch waren. Aber dass mit fehlendem Wachstum, mit
wirtschaftlicher Stagnation überhaupt kein Problem ge-
löst wird, zeigt zurzeit Ihre praktische Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das legt die Bundesregierung ihrem eigenen Bericht zu-
grunde,


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie haben das Argument nicht begriffen!)

in dem steht: Wir befinden uns in einer Phase wirtschaft-
licher Stagnation, deswegen kommen wir mit den Staats-
finanzen nicht zurecht


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: So ist es!)


und deswegen reißen wir die Maastricht-Kriterien. –
Dies war der Anlass dafür, dass wir heute eine Aktuelle
Stunde zu diesem Thema haben durchführen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das zeigt: Ohne Wachstum ist letztlich alles nichts. Dazu
gehört auch eine gute Steuerpolitik; darauf haben einige
Redner hingewiesen.

Der FDP-Kollege war leider nicht in der Lage, dieser
Debatte nachhaltig bis zum Ende zu folgen. Gleichwohl
will ich auf Folgendes hinweisen: Wir als Union müssen
unsere Steuersenkungs- und -vereinfachungsbeschlüsse
nicht in jedes Papier schreiben. Wir beziehen uns in un-
serem Sondervotum auf das Votum der Wirtschaftswei-
sen und bringen unter anderem zum Ausdruck: Steuern,
die eine nachhaltige Entwicklung stimulieren sollen,
dürfen nicht wie etwa die Ökosteuer an Punkten angrei-
fen, die kaum Spielräume für eine Lenkungswirkung ha-
ben, und daher als reine Abgabenerhöhung wirken.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Eigentlich hätte es der FDP gut angestanden, diese Kri-
tik an der Ökosteuer mitzutragen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie mich zum Aspekt der globalen
Verantwortung, die bisher nur gestreift wurde, ein paar
Punkte ansprechen. Herr Kollege Hermann sprach vom
Marathonlauf. Wenn etwas in die richtige Richtung geht,
ist in der Tat schon viel erreicht. Das Problem besteht
aber gerade darin, dass wir an vielen Stellen noch nicht
auf dem richtigen Wege sind. Über Jahre haben wir bes-
tenfalls auf der Stelle getreten, was die Erreichung des
0,33- oder 0,7-Prozent-Ziels in der Entwicklungshilfe
angeht. Ich hoffe sehr, dass die Hilfe, die nun als Konse-
quenz aus der Flutkatastrophe einsetzt, keine einmalige
Aktion bleibt. Wir dürfen nachhaltige Entwicklungszu-
sammenarbeit nicht so verstehen, einmal etwas zu tun,
zum Beispiel Schulden zu erlassen. Vielmehr bedeutet
nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit, die Entwick-
lungshilfe dauerhaft auf jenes Niveau zu bringen, das
wir uns alle gemeinsam schon seit langem vorgenom-
men haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Davon sind Sie noch weit entfernt.

Natürlich gehört zur globalen Verantwortung eine
vernünftige Handelspolitik. Hier kann ich Sie nur erneut
aufrufen, auch die Chancen zu sehen, die die Globalisie-
rung im wirtschaftlichen Bereich bietet. Es ist nicht am
Deutschen Bundestag, zu entscheiden, ob wir bei der
Globalisierung mitmachen oder nicht. Sie findet statt
und es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen da-
für richtig zu setzen. Dies müssen wir gemeinsam ange-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ralf Brauksiepe

Weil das Stichwort „weg vom Öl“ hier genannt

wurde, erinnere ich daran, dass erneuerbare Energien
im Weltmaßstab nach unserer Auffassung dort gefördert
werden sollten, wo diese Förderung am effizientesten ist.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Auf diesem Gebiet ist von Ihnen noch ziemlich wenig zu
sehen. Hier geht es auch um Joint Implementation und
Clean Development Mechanism. Wir haben es nur mit
Mühe geschafft, diese Aspekte stärker in unsere Stel-
lungnahme einzubringen. Daran müssen wir arbeiten.

Natürlich bleibt nach wie vor die Frage zu beantwor-
ten, wie Sie die Probleme des Klimawandels, die wir
gemeinsam beklagen, angesichts der weltweit stattfin-
denden Planungen mit einem nationalen Kernenergie-
ausstieg bewältigen wollen. In diesem Punkt gibt es kei-
nen Konsens; Sie sind hier Antworten schuldig
geblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie erfolgreich der Beirat für Nachhaltigkeit arbeiten

kann, wird sich in den nächsten Jahren daran zeigen, ob
wir in der Lage sind, parlamentarisches Handeln und Re-
gierungshandeln kritisch zu hinterfragen. Wir sind dazu
bereit und wir sind sehr gespannt, was Sie in diese De-
batten einbringen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515115200

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/4100 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dagmar Wöhrl,
Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
„Wirtschaftsraum Nordsee“ als Wachstumsre-
gion mit Zukunft
– Drucksache 15/4027 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Peter Harry Carstensen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1515115300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Global denken, lokal handeln – für viele Regio-
nen im heutigen Europa ist dieser Wahlspruch bereits
Wirklichkeit. Diese Regionen orientieren sich vielfach
nicht mehr an den nationalen Grenzen. Im Zeitalter der
Globalisierung erweisen sich grenzüberschreitende Zu-
sammenarbeit und Zusammenschlüsse als notwendig.

Wir haben großes Verständnis dafür gehabt, dass in
den letzten Jahren das Augenmerk in Norddeutschland
und im ganzen Land verstärkt auf die Kooperation und
die Entwicklung in der Ostseeregion gerichtet wurde.
Sehr viele politische Entwicklungen der letzten Jahre,
die uns beeindruckt haben, hatten mit den Ländern an
der Ostsee zu tun. Stets wurde das Wachstumspotenzial
dieser Region hervorgehoben. Wer aber schon einmal in
den Atlas geschaut hat, weiß, dass es neben einer Ost-
küste auch eine Westküste gibt. Schleswig-Holstein ist
das Land zwischen zwei Meeren. Die wirtschaftliche
Entwicklung des Ostsee- und des Nordseeraumes beein-
flusst das Land. Wir haben nicht nur die Chance, das
Potenzial des Ostseeraumes zu nutzen; unsere Chance
und Aufgabe liegt auch an der anderen Küste des schö-
nen Norddeutschlands und in der Kooperation mit den
Nordseeanrainern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gemeinsam mit Hamburg, Bremen und Niedersachsen
und natürlich auch mit Unterstützung durch den Bund
müssen wir das Potenzial, das im Wirtschaftsraum Nord-
see steckt, nutzen.

Die Nordsee kann mehr als bisher Motor für neue
Entwicklungen und Wohlstand sein. Sie ist leider völlig
aus dem Blickwinkel geraten; dabei hat sie eine viel stär-
kere Wirtschaftskraft. Die Nordsee ist durchkreuzt von
Wasserstraßen, also von Verkehrsadern. Sie ist auf viel-
fältige Weise ein Nahrungsmittelreservoir. Sie ist in vie-
len Ländern ein Tourismusfixpunkt und macht Nord-
deutschland zu einer der beliebtesten Urlaubsregionen.
Sie ist Träger von Wohlstand durch Rohstoffe und Ener-
gie und ökologischer Schutzraum mit unvergleichlicher
Artenvielfalt. Sie ist ein verbindendes Element von Part-
nern in der Europäischen Union.

Die Anrainerstaaten der Nordsee verfügen über ein
Bruttoinlandsprodukt, das fast 50 Prozent höher ist als
das der Ostsee-Anrainerstaaten.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Die fortschreitende Stabilisierung der Ostsee-Anrainer-
staaten lässt es zu, dass man sich jetzt stärker um die Ko-
operation der Länder an der Nordsee kümmert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist für uns ein Grund, heute im Deutschen Bundes-
tag anhand unseres umfangreichen Fragenkatalogs zur
Nordseeregion als Wachstumsregion mit Zukunft zu de-
battieren.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht im Wirt-
schaftsraum Nordsee einen wichtigen Entwicklungsmo-
tor für unser Land. Entsprechend notwendig ist eine
klare Aussage über die Zielsetzung der Maßnahmen der
Bundesregierung, mit denen sie die Entwicklung dieser
wichtigen Region unterstützen will. Wir erwarten auf






(A) (C)



(B)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


diese umfangreiche und von Fleiß gekennzeichnete An-
frage klare Antworten der Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Nordseeregion ist ein einzigartiger wirtschaftli-

cher, kultureller und ökologischer Lebens- und Wirt-
schaftsraum,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jawohl!)


der im Globalisierungsprozess von der internationalen
Konkurrenz – –


(Zuruf der Abg. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD])


– Bis jetzt haben Sie noch nichts gegen meine Rede ein-
zuwenden gehabt, Frau Kollegin. Oder sehe ich das
falsch?


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war alles so selbstverständlich, dass wir voller Zustimmung sind!)


– Es wäre schön, wenn das alles so selbstverständlich
wäre. Wir haben diese Anfrage aber formuliert, weil wir
nicht wissen, ob die Bundesregierung bei dieser offen-
sichtlichen Selbstverständlichkeit ihren Pflichten nach-
kommt. Wir wären ja dankbar, wenn sie für Selbstver-
ständlichkeiten ein bisschen mehr tun würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Nordseeregion ist ein einzigartiger wirtschaftli-

cher, kultureller und ökologischer Lebens- und Wirt-
schaftsraum,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jawohl!)


der im Globalisierungsprozess von der internationalen
Konkurrenz besonders herausgefordert wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jawohl!)


Wir stellen mit einer Bevölkerung von über 60 Millionen
Menschen fast 13 Prozent der EU-25-Einwohner.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!)


Die sieben Anrainerstaaten zeichnen sich durch eine
hohe Bevölkerungsdichte, ein hohes Bruttoinlandspro-
dukt und einen hohen Industrialisierungsgrad aus, aller-
dings mit Unterschieden im Wirtschaftswachstum. –
Jetzt erwarte ich auch ein Jawohl, damit Sie bestätigen,
dass es Unterschiede bei den Anrainerstaaten gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zeigen Sie doch, dass Sie begriffen haben, dass in
Deutschland nichts passiert und wir im Vergleich zu den
anderen Nordseeregionen das Land mit dem schlechtes-
ten Wirtschaftswachstum sind.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie reden Schleswig-Holstein schlecht!)

– Nein, ich rede Schleswig-Holstein nicht schlecht.
Schleswig-Holstein ist ein wunderbares Land,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


das viel mehr verdient, vor allen Dingen eine bessere
Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Wir haben eine wunderbare Regierung!)


– In Schleswig-Holstein? Warum ziehen Sie denn dann
nicht dorthin? Wenn Sie gerne das Schlusslicht sein wol-
len, dann kommen Sie doch zu uns nach Schleswig-Hol-
stein. Beeilen Sie sich aber; denn das ist bald zu Ende.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Nutzung der Nordsee als Transportweg nimmt
immer mehr zu. Pro Jahr werden mittlerweile über
420 000 Verschiffungen im Seehandel auf der Nordsee
durchgeführt. Wir fragen, wie die Bundesregierung das
künftige Verkehrsaufkommen im Nordseeraum sieht,
insbesondere in Deutschland, wo natürlich die Anbin-
dung durch Schiene, Auto, Flugzeug und Schiff gefor-
dert wird. Wo liegen die infrastrukturellen Hauptvor-
teile, wo die entscheidenden Schwachpunkte der
Nordseeregion?

Eine Steigerung ist auch bei den direkten Nutzungs-
ansprüchen an die marinen Ressourcen möglich. Die
Nordsee ist zwar von der Fläche her ein sehr kleines
Meer – 0,2 Prozent der weltweiten Meeresfläche –, aber
die geringe Größe täuscht über die eigentliche Bedeu-
tung hinweg. Sie gehört zu den produktivsten Meeresge-
bieten der Welt. Besonders deutlich wird dies beispiels-
weise an der Nordseefischerei, die einen Anteil von
4 Prozent an der gesamten Weltmeeresfischerei hat.

Von Bedeutung sind die Küstenzonen, weil hier eine
direkte Wechselbeziehung zwischen den Menschen und
dem Meer besteht. In den Küstenregionen aller Anrai-
nerstaaten hat dies über die Jahrhunderte zu ähnlichen
Wirtschaftsformen und kulturellen Ausprägungen ge-
führt. Das oft harte Klima der Nordsee hat bei den Men-
schen zu einem starken Bewusstsein der eigenen Identi-
tät geführt. Deswegen werden Veränderungen häufig mit
Leidenschaft diskutiert.

Dies gilt besonders für die Nutzung durch Wind-
parks, die wir im Moment diskutieren. Wir wollen den
Bau von Pilotanlagen in der Offshoretechnologie unter-
stützen, um die Auswirkungen auf Umwelt und Schiffs-
sicherheit abschließend zu klären.


(Dr. Margrit Wetzel [SPD]: Sie wollen die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern!)


– Wenn wir sie nicht hätten, meine Liebe, dann säßen
wir in Schleswig-Holstein beim wirtschaftlichen Wachs-
tum noch weiter hinten. – „Meine liebe Frau Kollegin“
wollte ich sagen, nicht „meine Liebe“ – nicht dass da ir-
gendein Gerücht aufkommt.

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


Schauen Sie sich doch einmal die Kernkraftwerke an

und reden Sie mit Ihren Betriebsräten darüber! Und dann
sagen Sie einmal, ob es richtig und wirksam ist, in ande-
ren Bereichen teuren Strom zu produzieren und den
Kernenergiestrom von woanders zu importieren!


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie kennen sich doch wirklich nicht aus!)


Darüber müssen wir uns ein paar Gedanken machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Unfug!)


Wir wollen in der Frage der Windparks wissen, wie
die Haltung der Bundesregierung ist. Welche weiteren
energetischen Reserven in der Nordsee sind bekannt?
Wie sieht die Bundesregierung das Thema Gezeiten-
kraftwerke? Ab wann rechnet sie mit Stromgewinnung
aus dieser Technologie?

Für jemanden, der von einer Insel kommt, sind Vor-
landgewinnung und Tourismus eine wichtige Frage. Für
uns ist der Tourismus inzwischen der wichtigste Wirt-
schafts- und Erwerbszweig des Nordseeküstenraums.
Durch den zunehmenden Tourismus wird eine verbes-
serte Infrastruktur nachgefragt, die manchmal im Wider-
spruch zur gewünschten ungestörten Naturnähe stehen
kann.

Für uns ist wichtig, dass das Entwicklungspotenzial
der Region nicht durch einen leichtsinnigen Umgang mit
den maritimen Ressourcen gefährdet werden darf. Das
Ökosystem Nordsee ist sensibel und das Wattenmeer ein
weltweit einzigartiger Lebensraum mit empfindlichen
Wechselbeziehungen zu seinen Bewohnern. Gerade dies
macht ihn für den Tourismus so attraktiv. Deshalb sind
die Bewohner und die Nutzer in den notwendigen Schutz
einzubeziehen. Wir wollen deswegen wissen: Welche
Konsequenzen hat die Bundesregierung aus dem Son-
dergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfra-
gen gezogen?

Meine Damen und Herren, um die vielfältigen An-
sprüche der Anrainerstaaten zu koordinieren, braucht die
Nordseeregion ein ganzheitliches, transnationales Wirt-
schafts- und Umweltkonzept. Ein wichtiger Schritt zu
diesem Zweck wurde 1989 mit der Gründung der Nord-
seekommission unternommen. Durch dieses Gremium
der Anrainerstaaten konnte erreicht werden, dass die
Nordseeregion in die Interreg-Gemeinschaftsinitiative
der Europäischen Union aufgenommen wurde und eine
stärkere Stimme im Wettbewerb der Regionen in Europa
erhalten hat.

Wir unterstützen, dass die Europäische Kommission
das Programm ab 2006 als eigenständiges Ziel 3 in der
europäischen Strukturpolitik aufwerten will. Die Fortset-
zung dieses Programms ist deshalb dringend notwendig.
Die Bundesregierung sollte die Nordseekommission bei
ihren Bemühungen darum unterstützen, dass bei der EU-
Kommission ein Interreg-IV-Programm aufgelegt wird,
damit bereits begonnene Projekte weitergeführt werden
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deutschland kann es sich nicht leisten, das wirt-
schaftliche Potenzial der Nordseeregion zu vernachläs-
sigen. Die Nordseeanrainer sind das wichtigste Export-
ziel für die deutsche Wirtschaft. Im Gegenzug ist
Deutschland für fast alle Anrainer der wichtigste Impor-
teur. Ein Viertel der gesamten deutschen Im- und Ex-
porte entfällt auf die Anrainer der Nordsee. Hinzu
kommt die wachsende Bedeutung der deutschen Nord-
seehäfen. Deutschland trägt den größten Teil zum Brut-
toinlandsprodukt der Nordseeregion bei.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Noch!)

– Leider „noch“. Wenn Sie noch lange regieren, ist es
wirklich berechtigt, dass Sie jetzt „noch“ sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Daran wird auch die Abhängigkeit des Wachstums

der gesamten Nordseeregion von der Situation in der
deutschen Wirtschaft deutlich. Diese lässt in den letzten
Jahren, wie Sie gerade zu Recht bemerkt haben, be-
kanntlich zu wünschen übrig. Deutschland hatte das
schwächste Wachstum aller Länder, die an der Nordsee
liegen.

Daher wollen wir von der Bundesregierung wissen:
Wie hoch sind die Investitionen, die die anderen Nord-
seeanrainer in dieser Region tätigen? Wie hoch sind die
Ausgaben der anderen Anrainer für Forschung und Ent-
wicklung, gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt?
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur maritimen
Wirtschaft? Wie sehen die Kooperationen mit den ande-
ren Nordseeanrainern aus? Welche Bedeutung kommt
dem Nord-Ostsee-Kanal zu? Was ist mit der Elbvertie-
fung?


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das wissen Sie doch! Da gibt es ständig steigende Zahlen!)


– Ihr Wahlkreis liegt doch an der Elbe. Äußern Sie sich
bitte einmal zur Elbvertiefung und sagen Sie, ob Sie die
Arbeitsplätze in Hamburg wollen oder nicht. –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was ist mit der Schiffbauförderung, die nicht ausgenutzt
wird, und mit der Schifffahrtsförderung? Wir fragen die
Bundesregierung, ob wirklich genug getan wird, um die
vielfältigen Chancen der Nordsee durch Kooperationen
zu nutzen.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung
Schleswig-Holsteins hat im Wahlkampf die Idee entwi-
ckelt, es müsse eine Initiative „Zukunft Meer“ ins Le-
ben gerufen werden.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch eine tolle Idee!)


Das ist so vielversprechend wie nichtssagend. Sie haben
sich beim Thema Küstenschutz nicht mit Ruhm bekle-
ckert und bei der Bewältigung der Pallas-Katastrophe
haben Sie versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! – Lachen des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


– Herr Steenblock, genau darauf habe ich gewartet.
Wenn Herr Steenblock jetzt sagt „Das ist Quatsch!“,


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Quatsch!)


muss man ihn fragen, was Heide damals zu ihm gesagt
hat.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie hat gesagt: Rainder Steenblock, steh auf und geh
endlich mal dorthin, wo die Katastrophe passiert ist. Du
warst für diese Geschichte nämlich mitverantwortlich.
Daher kannst du jetzt nicht einfach sagen: „Das ist
Quatsch!“


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer bei der Finanzierung der Biologischen Anstalt

Helgoland Klein-Klein versucht und 17 Jahre lang nicht
in der Lage war, in Büsum ein Ozeaneum zu errichten,
sollte etwas kleinere Brötchen backen. Unser Land und
die Nordseeregion brauchen keine neuen Theorien, son-
dern praktisches Handeln. Der Wirtschaftsraum Nordsee
braucht als Wachstumsregion mehr Aufmerksamkeit, um
seine Zukunft besser gestalten zu können, nicht nur für
Schleswig-Holstein, sondern auch für die gesamte Bun-
desrepublik Deutschland.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war ja eine dünne Suppe! Aber es war auch nichts Besseres zu erwarten! Er findet es ja selbst lächerlich, dass so lange geklatscht wird!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515115400

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainder

Steenblock.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515115500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Carstensen, ich freue mich, dass die
CDU den schleswig-holsteinischen Wahlkampf dazu
nutzt, Themen, auf die andere schon vor langer Zeit auf-
merksam geworden sind und die sie bearbeiten, nun
auch zu entdecken und zumindest Fragen zu stellen,
während andere Politik machen. Das zeigt, dass Ihr
Lernbedarf groß ist. Aber Ihre Erkenntnis und die Poli-
tikfähigkeit, die Sie in Ihrer Rede demonstriert haben,


(Zuruf von der CDU/CSU: Die war gut!)

zeigen, dass Schleswig-Holstein die Regierung hat, die
es verdient


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Oh mein Gott!)


und die es auch weiterhin haben wird. Schleswig-Hol-
stein hat eine solche politische Nullrede und Ihre Per-
spektivlosigkeit nicht verdient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh, oh! – Aufhören!)


Sie haben kein Wort zu den Häfen, den Zukunftsfragen
hinsichtlich der Technologieentwicklung an der Küste
und der Verkehrsinfrastruktur gesagt, sondern nur allge-
meine Fragen gestellt.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Waren Sie gerade gar nicht im Saal, oder was ist los?)


Kollege Carstensen, Sie haben den Nord-Ostsee-
Kanal angesprochen und gefragt, welche Bedeutung er
eigentlich hat.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Wer über die A 20 so denkt wie Sie! Wer diese Einstellung hat!)


Sie wohnen doch in diesem Land. Hätten Sie sich Ihre
Statistiken einmal etwas genauer angesehen, dann hätten
Sie festgestellt, welch enormen Aufschwung der Nord-
Ostsee-Kanal beim Güterverkehr erfahren hat,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ja, eben!)


natürlich mit Unterstützung der Bundesregierung.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Oh, oh!)

Wir haben dafür gesorgt, dass die Pläne zum Ausbau des
Nord-Ostsee-Kanals, abgesichert über das Europäische
Parlament, im Bundesverkehrswegeplan enthalten sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist das Verdienst unserer Bundesregierung. Während
Sie noch dabei sind, kluge Fragen zu stellen, haben wir
diese Probleme längst in Angriff genommen und gelöst.


(Ulrike Flach [FDP]: Wann ist es so weit?)

Das ist, glaube ich, das, was uns unterscheidet.

Zur Hafenpolitik. Sie sagen: An der Nordseeküste
passiert nichts. – Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie le-
ben. Kommen Sie von Nordstrand vielleicht ab und zu
mal nach Hamburg – vielleicht auf der Durchfahrt nach
Berlin? Schauen Sie sich einmal an, was im Hamburger
Hafen passiert, wie dynamisch die Entwicklung in der
ganzen Region ist, die Wachstumsraten!


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Seit Ole von Beust!)


– Das hat nichts mit der neuen Regierung zu tun,

(Lachen bei der CDU/CSU)


sondern diese Infrastrukturentwicklung – das wissen Sie
auch ganz genau – wird seit langem von allen Fraktionen
in Hamburg unterstützt. Da können Sie nicht behaupten,
an dieser Stelle sei die wirtschaftliche Entwicklung weit
unterhalb dessen, was woanders an der Nordseeküste
passiert. Nein, wir sind topp!






(A) (C)



(B) (D)


Rainder Steenblock


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Elbvertiefung! Und sprechen Sie über die A 20!)


Wir haben sogar Rotterdam überholt. Das Gleiche gilt
auch für die anderen Nordseehäfen. Sie leben in der Ver-
gangenheit, Sie haben die aktuellen Entwicklungen
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zur internationalen Kooperation; Sie haben ja vage
Andeutungen zu Interreg gemacht. Die Interreg-Pro-
gramme sind ein wesentlicher Bestandteil der Koopera-
tion im Nordseeraum.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Die hören jetzt auf!)


Die Bedeutung dieser Programme ist auf mehreren Kon-
ferenzen – auf denen auch Sie die Möglichkeit gehabt
hätten, sich schlau zu machen – betont worden.


(Bettina Hagedorn [SPD]: Da kommt er ja nie hin!)


– Ja, ich weiß, das Bildungsbedürfnis von Herrn
Carstensen ist begrenzt; aber das ist ja nicht das Haupt-
problem. – Es geht darum, welche Entwicklungen tat-
sächlich stattfinden, wer diese Entwicklungen unter-
stützt und wer ihnen die richtige Richtung – die der
Zukunftsfähigkeit dieser Region – gibt. Schauen Sie sich
einmal das Protokoll der Konferenz in Norderstedt vom
24. September des letzten Jahres an, auf der die Interreg-
Programme dargestellt worden sind. In der ganzen Nord-
seeregion gibt es insgesamt 54 Interreg-Programme. Da-
von läuft jedes vierte Programm unter Beteiligung
Schleswig-Holsteins. Wir sind bei diesen interregionalen
Kooperationen im Nordseeraum weit überdurchschnitt-
lich engagiert. Die schleswig-holsteinische Regierung
hat mehr Projekte im Rahmen von Interreg als alle ande-
ren Landesregierungen oder die nationalen Regierun-
gen – von Verkehr über Tourismus und Biomasseförde-
rung bis zur Windenergieförderung.


(Ulrike Flach [FDP]: Und das Ergebnis? Die Arbeitslosenzahlen? Der Haushalt?)


Für all die Zukunftsprobleme, die uns an der Küste be-
wegen, haben wir Projekte angemeldet und sind dabei,
diese zu bearbeiten – während Sie dazu immer noch Fra-
gen stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wäre gut, wenn Sie sich an diesem Dialog beteiligen
würden. Aber Sie stehen daneben und überlegen sich
schlaue Fragen – während wir diese Probleme alle schon
abgearbeitet haben.


(Ulrike Flach [FDP]: Toll! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir haben doch über die Fortsetzung der Programme gesprochen!)


Genau das Gleiche im Tourismus.
Der beste Teil in Ihrer Großen Anfrage ist der, wo Sie
auf die Bedeutung des Ökosystems Wattenmeer hin-
weisen. Richtig, da gehen wir d’accord, klar! Aber wir
sind es, die die trilaterale Wattenmeerkonferenz einge-
richtet haben. Wir Schleswig-Holsteiner und Nieder-
sachsen arbeiten in dieser Kommission intensiv mit.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Den Nordseeschutz hat Innenminister Zimmermann gemacht! Da liefen Sie noch in kurzen Hosen hinter der Blasmusik!)


Ein wichtiger Bestandteil, Peter Harry Carstensen, ist
natürlich die Ausweisung von Nationalparks, sie sind
das Instrument, um diese Ökosysteme zu schützen. Ich
weiß genau, wer sich dagegen gewehrt hat; da brauchen
wir nicht weit zurückzuschauen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wer hat den Nationalpark eingerichtet?)


– Wer hat den Nationalpark ausgeweitet?

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Frag doch einmal, wer verantwortlich war für den Nationalpark!)


Ich weiß, welche Kontroversen wir dort hatten, weil ich
diesen Nationalpark auf seine vernünftige Größe ge-
bracht habe, sodass ökosystemale Zusammenhänge auch
wirken können. Nicht nur ein Rumpfgebilde! Sie haben
die Zusammenhänge, die Sie jetzt mit Ihren Fragestel-
lungen aufgreifen, aufs Heftigste bestritten.

Wir stehen für Naturschutz,

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Der ist ein Ökoversager!)

wir stehen für die Nationalparks, weil wir wissen, dass
Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung vernünf-
tig zusammengeführt werden müssen. Das ist das Thema
dieser Regierung, das ist das Thema der schleswig-hol-
steinischen Regierung, und das wird auch in Zukunft so
bleiben: weil die Bürger das Vertrauen haben, dass wir
die zentrale Zukunftsfrage Ökosystem/Umweltschutz
tatsächlich vernünftig beantworten und das mit wirt-
schaftlichen Fragestellungen und neuen Arbeitsplätzen
zu verbinden wissen. Das ist bei Rot-Grün hervorragend
aufgehoben.

Da können Sie mit Ihren Fragen sicherlich viel lernen
– das gestehen wir Ihnen gern zu –, aber handeln wollen
wir selber weiter und das werden wir auch tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Bloß nicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515115600

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515115700

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kollegen! Mit

Großen Anfragen kann man aus diesem Parlament
heraus – das ist ja auch die Absicht – die Regierung






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

auffordern, doch das eine oder andere zu tun. Insofern
begrüßen wir diese Anfrage ausdrücklich.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Kollege Steenblock, ich muss Ihnen allerdings sagen,
dass ich hier ein Erlebnis hatte. Sie haben in Ihrer Rede
verkündet, was Sie alles tun und machen – Sie stellen
sich also positiv dar –, und auf den Veranstaltungen in
Schleswig-Holstein verkünden Sie den Leuten zurzeit,
was Sie alles verhindern.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Stimmt, zu Hause sagt er etwas anderes!)


Das erleben wir immer wieder. Das ist genau das Gegen-
teil. Hier reden Sie so und draußen reden Sie anders. Ich
werde Ihnen dazu gleich auch Beispiele nennen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber gespannt!)


Wir alle wissen, dass diese Region durch Häfen,
Werften, Handel, Fremdenverkehr und auch die Land-
wirtschaft, die ich nicht außer Acht lassen will, geprägt
ist. Das alles vollzieht sich auf einem hohen Niveau.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Aha!)

Diese Branchen fühlen sich in der Region durchaus zu
Hause. Insofern wäre es natürlich wichtig – ich glaube,
darin sind wir alle uns einig –, dass es nicht nur mit den
Bundesländern, sondern natürlich auch mit den anderen
europäischen Staaten, die an die Nordsee anrainen, eine
stärkere Zusammenarbeit gibt. Wichtig dabei ist aber,
dass man mit einer Zunge spricht und dass alle versu-
chen, das Gleiche zu erreichen, nämlich Arbeitsplätze zu
sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn in die-
ser Reihe nur einer ausfällt, dann gibt es Probleme in der
Region. Das muss ich mit aller Deutlichkeit sagen.
Schleswig-Holstein ist ein Land, das leider ausfällt, weil
es auf deutscher Seite erhebliche Mängel bei der Zusam-
menarbeit gibt. Eigentlich ist es traurig, dass man das sa-
gen muss.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Bitte? – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Ich will das verdeutlichen: Ich glaube durchaus, dass
wir mit der Bundesregierung in vielen Punkten – auch
bezogen auf die Anfrage – einig werden könnten. Ich
glaube sogar, dass wir – auch die CDU – mit den Sozial-
demokraten in Schleswig-Holstein in vielen Dingen ei-
nig sein werden, weil wir die gleichen Ziele haben.


(Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: Ach!)

Nun kommt es aber – ich will das an einigen Punkten
verdeutlichen –: Der Wirtschaftsminister des Landes
Schleswig-Holstein, Rohwer, sagt, dass mit der A 20 der
Boom kommt. Das sagen wir auch. Es werden Arbeits-
plätze entstehen. Nicht nur der Kollege Steenblock, son-
dern auch die Grünen in Schleswig-Holstein laufen aber
landauf, landab und verkünden, sie wollten die A 20 ver-
hindern. Was ist denn nun richtig? Kommt der Boom mit
der A 20 oder kommt er nicht? Sie wollen das verhin-
dern.

Nächster Punkt. Herr Steenblock stellt sich hier hin
und verkündet ganz stolz, dass sich beim Hafen Ham-
burg etwas tut. Herr Steenblock, sind Sie es nicht, der die
Elbvertiefung ständig verhindern will?


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bisher überhaupt nicht!)


Die Grünen verhindern, dass Hamburg mehr Chancen
erhält. Mit den Sozialdemokraten werden wir uns einig.
Sie verhindern das.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Was ist denn mit der Elbquerung? Wer ist dabei, sie

zu verhindern? Ich kann Ihnen auch noch ein anderes
Beispiel nennen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515115800

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Steenblock?

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515115900

Herrn Steenblock gestatte ich sie mit großem Vergnü-

gen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515116000

Sie erhalten dadurch ja auch etwas mehr Redezeit. –

Bitte.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Lieber Herr Kollege Koppelin, ich will hier keine

große A-20-Debatte führen; ich habe nur zwei Fragen.
Erstens. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass

die Landesregierung Niedersachsen mit ihrem Verhalten
dazu beigetragen hat, dass die Fortführung der A 20 in
Niedersachsen, bezogen auf den weiteren Bedarf, herab-
gestuft worden ist und dass die Nordumfahrung Ham-
burg nicht mehr realisiert werden kann, weil die Nieder-
sachsen das so wollen, sodass das Projekt Elbquerung in
den nächsten Jahren überhaupt nicht realisiert werden
kann? Ansonsten wird die Fortführung der A 20 in
Schleswig-Holstein natürlich weiter realisiert.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir werden sie bis zur A 21 bauen. Allerdings werden
wir keine Sackgasse unter der Elbe bauen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was sagt denn die Lütkes? Die sagt doch ganz etwas anderes! Das kann doch wohl nicht wahr sein! – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: „Sackgasse“? Das kann doch nicht wahr sein!)


Zweitens. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass
die Landesregierung – auch die Grünen – bei der Diskus-
sion über die Elbvertiefung in Schleswig-Holstein und
im Rahmen der weiteren Planung eine Reihe von Fragen






(A) (C)



(B) (D)


Rainder Steenblock

zur Deichsicherheit, zur Sicherheit der Bevölkerung und
zu den ökologischen Auswirkungen beantwortet haben
will und nichts anderes? Es gibt keine Diskussion über
die Elbvertiefung in Schleswig-Holstein, in der gesagt
wird, dass man die Elbvertiefung nicht will. Wir haben
eine Reihe von Fragen zur ökonomischen Bedeutung,
zur Deichsicherheit usw.

So, wie Sie hier auftreten, muss ich Sie fragen: Haben
Sie nicht selbst das Gefühl, dass Sie populistisch agieren
und mit Ihrem Sinn für die Wirklichkeit ein wenig auf
dem Kriegsfuß stehen?


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515116100

Das war eine sehr lange Frage mit vielen Feststellun-

gen, Frau Präsidentin. Ich will aber gerne darauf antwor-
ten. Ich bin ja dankbar, weil meine Redezeit dadurch
verlängert wird.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gönne ich Ihnen sehr!)


Bezogen auf das, was Sie zu Niedersachsen gefragt
haben, antworte ich Ihnen: Nein.


(Lachen bei der SPD)

Bezogen auf das, was Sie zu angeblich populistischen
Äußerungen von mir gefragt haben, antworte ich Ihnen:
Nein. Die Frage bezüglich der Elbvertiefung beantworte
ich ebenfalls mit Nein.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Doch!)

Nun kommt das Entscheidende.


(Zuruf von der SPD: Das war keine ausreichende Antwort!)


– Entschuldigung, in der Fragestunde beantwortet die
Regierung unsere Fragen auch ständig so und nicht an-
ders. Ich übe schon einmal.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich komme nun zur A 20. Das ist das Typische bei Ih-
nen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Es ist eine Frechheit, was der Steenblock macht!)


Bestreiten Sie, dass Ihre Spitzenkandidatin in Presse-
erklärungen verkündet hat, über die A 20 müsse neu ver-
handelt werden, wenn die Grünen an die Regierung
kommen? Das habe ich vorliegen. Das kennen wir doch
aus Schleswig-Holstein. Weiterhin hat sie erklärt: Der
einzige Kompromiss, den sie sich überhaupt vorstellen
könne, sei, die A 20 bis Bad Segeberg zu bauen und
nicht weiter.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Genau so!)


Das ist Schwachsinn. Aber genau das hat sie gesagt.
Kommen Sie mir nicht mit einer anderen Position als
der, die Ihre Spitzenkandidatin von den Grünen im
Lande verkündet! Das Schlimme ist: Sie wissen es bes-
ser. Sie bestätigen mit Ihrer Frage meine Vermutung,
dass Sie hier so und draußen anders reden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515116200

Herr Kollege Koppelin, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Grindel?

Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515116300

Selbstverständlich.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515116400

Ich muss Sie aber darauf hinweisen, Herr Grindel,

dass Sie nicht auf Herrn Steenblock reagieren dürfen.
Wir machen nicht Debatten über Debatten über Debat-
ten. Ihre Frage muss sich auf die Rede beziehen. – Bitte.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515116500

Es darf sich auch nicht darauf beziehen, was ich von

Herrn Steenblock halte.

Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1515116600

Frau Präsidentin, da ich in meinem Beruf gelernt

habe, Fragen zu stellen, bitte ich darum, nicht schon vor
meiner Frage einen Verdacht zu äußern. Auch für mich
gilt die Unschuldsvermutung.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, ich wollte Sie in der Tat zur

Fortführung der A 20 auf niedersächsischem Gebiet fra-
gen, weil das gerade Gegenstand der Debatte ist. Dort ist
es die A 22, die Küstenautobahn. Ist Ihnen bekannt, dass
mit Mitteln des Landes, aber auch der Wirtschaft und der
Landkreise in der Elbe-Weser-Region 2 Millionen Euro
zusammengekommen sind, um die Planungen zu be-
schleunigen, und dass das Einzige, was insbesondere die
Wirtschaft irritiert, die Frage ist, ob wegen der Position
der Grünen die A 20 in Schleswig-Holstein an der Elbe
irgendwann fertig gestellt wird?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515116700

Das ist mir nicht nur bekannt, Kollege Grindel. Viel-

mehr begrüße ich ausdrücklich Ihre Frage, weil sie mir
Gelegenheit gibt, auf einen Punkt aufmerksam zu ma-
chen, nach dem Sie aber nicht gefragt haben,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

nämlich dass Heide Simonis durchaus anerkennt, dass
die Zusammenarbeit mit Hamburg und Niedersachsen
gerade in diesen Bereichen hervorragend ist. Das hat der
Kollege Steenblock auch noch nicht mitbekommen. Das
wollte ich bei dieser Gelegenheit nur sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Mit Hamburg ja, aber nicht mit Niedersachsen!)


Ich nenne einen anderen Bereich, der noch einmal mit
Hamburg zu tun hat. Waren es denn nicht die Grünen,
Kollege Steenblock, die Arm in Arm mit den Kirchen






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

die Startbahnverlängerung verhindern wollten? Waren es
nicht Sie in der Region, die uns täglich Schaden zufü-
gen? Sie müssen doch einfach einmal zur Kenntnis neh-
men, dass seit 1996, also seit Rot-Grün regiert, in
Schleswig-Holstein 300 Arbeitsplätze pro Monat verlo-
ren gehen.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völliger Unsinn!)


Ich sage Ihnen, woran es noch liegt. Es liegt nicht nur
an der schlechten Konjunktur und der weltwirtschaftli-
chen Lage. Es liegt auch dran, dass dann, wenn über-
haupt eine Chance besteht, bei uns an der Nordseeküste
in der Region einen Arbeitsplatz zu schaffen,


(Lachen bei der SPD)

Ihr grüner Umweltminister kommt – er tritt immer dann
in Erscheinung, wenn er die Schaffung eines Arbeits-
platzes riecht – und das Gebiet zum FFH-Gebiet erklärt.
Egal ob in Lübeck oder an der Nordseeküste, die Grünen
sind in Schleswig-Holstein die Verhinderer für Arbeits-
plätze. Daran führt kein Weg vorbei.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Da ich gerade beim Thema bin, möchte ich auch dies

noch ansprechen. Herr Kollege Steenblock, nicht nur
Sie, sondern auch Ihr Nachfolger Müller traktieren, schi-
kanieren und drangsalieren beispielsweise den großen
wichtigen Bereich der Landwirtschaft in Schleswig-Hol-
stein. Auch darüber sollten Sie sich einmal informieren.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Durchschnittsverdienst der Landwirte in Schleswig-Holstein hat zugenommen!)


Wir können uns aber jetzt vielleicht wieder finden,
Herr Kollege Steenblock. Ich werfe Ihnen das gar nicht
vor; denn das steht in Ihrem Programm. Dass die Leute
Sie dafür wählen, ist in Ordnung. Ich werfe allerdings
den Sozialdemokraten vor, dass sie mit Ihnen paktieren
und eine vernünftige Politik für das Land über viele
Jahre verhindert haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In Mecklenburg-Vorpommern ist die A 20 fertig gestellt,
während wir in Schleswig-Holstein noch immer disku-
tieren. Daran sind Sie schuld. Die Grünen sind die Ver-
hinderer von Arbeitsplätzen in Schleswig-Holstein.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die niedersächsische CDU!)


Wir wollen die Zusammenarbeit in der Region, weil
wir das für wichtig halten. Die Region braucht das. Ich
sage Ihnen etwas, Herr Kollege Steenblock, weil Sie den
Kopf schütteln: Die Grünen müssen weg vom Fenster,
damit Schleswig-Holstein wieder eine Aussicht be-
kommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schon schade, dass der Bundestag für den Wahlkampf missbraucht wird! – Bettina Hagedorn [SPD]: Absolut niveaulos! – Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär: Der Leichtmatrose Westerwelle! – Gegenruf des Abg. Ernst Burgbacher [FDP]: Dieser Prolet auf der Regierungsbank!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515116800

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär

Gerd Andres.
Ge
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1515116900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe am Anfang über den Sinn dieser De-
batte nachgedacht.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Dann habe ich die Rede von Peter Harry Carstensen ge-
hört.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sehr gute Rede!)


Außer gegen die Beschimpfungen der schleswig-holstei-
nischen Landesregierung habe ich gegen diese Rede gar
nichts einzuwenden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gemacht!)


Sie bestand daraus, den Einleitungstext und einige Fra-
gen der Großen Anfrage der CDU/CSU zur Nordsee vor-
zutragen und zu wiederholen. Dazu kann ich nur sagen:
Herzlichen Glückwunsch!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann habe ich mir Folgendes überlegt, Herr Kollege

Carstensen: Wie arm sind Sie eigentlich dran, wenn Sie
zu dieser Uhrzeit, ohne dass irgendein Journalist auf der
Tribüne sitzt, eine solche Debatte führen müssen, die
von Ihrem Möchtegernkoalitionspartner auch noch fort-
gesetzt wurde? Er hatte im Übrigen nichts anderes beizu-
tragen, als sich auf die Grünen einzuschießen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was haben Sie denn als Staatssekretär schon zur Sache gesagt?)


– Darf ich Ihnen ganz ruhig etwas sagen? Für ihre mari-
time Politik findet diese Bundesregierung in den betrof-
fenen Kreisen ausdrücklich Zustimmung und Anerken-
nung. Damit Sie das wissen. Ich kann das gerne
wiederholen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden am Montag und am Dienstag in Bremen
eine große maritime Konferenz mit 850 Teilnehmern
durchführen, darunter Reeder, Wirtschaftsvertreter und
Vertreter der Häfen, und das darstellen, was wir gemacht
haben. Das, was die Bundesregierung gemacht hat, kann
sich mit Fug und Recht sehen lassen und wird von den
Betroffenen gelobt. Damit Sie wissen, was Sache ist.

Weil Sie das alles wissen, wissen Sie natürlich auch,
dass die Große Anfrage erst zum Mai beantwortet wer-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Gerd Andres

den soll. Das ist mit dem Bundestagspräsidenten so ver-
abredet, weil die 73 Fragen, die Sie in der Großen An-
frage formuliert haben, teilweise so umfassend sind, dass
die Antworten zusammengetragen werden müssen, dass
recherchiert und anschließend das Ergebnis dargestellt
werden muss. Dann werden Sie eine ganz ausführliche
Antwort bekommen. Herr Carstensen, ich bin mir relativ
sicher, dass Sie diese als Oppositionsabgeordneter im
Deutschen Bundestag umfassend zur Kenntnis nehmen
können.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das müssen Sie noch mal sagen! Das haben die Grünen nicht begriffen!)


Ich will ein paar Beispiele aus den Bereichen Um-
weltschutz, Energie und Verkehr nennen und etwas über
die Förderinstrumente wie die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Küstenstruktur“, den
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung – Ziel-2-
Fördergebiet – und die EU-Gemeinschaftsinitiative In-
terreg-III-B – Nordsee –, die Sie zu Recht genannt ha-
ben, sagen. Ich will ausdrücklich betonen: Der Kollege
Steenblock hat Recht. Mit dieser Gemeinschaftsinitiative
werden rund 54 Projekte gefördert. Sie haben wunderbar
in Ihrem Vorspann aufgeschrieben – das wiederhole ich
jetzt –, dass seit 1989 rund 127 Millionen Euro ausgege-
ben wurden, in dieser Förderperiode noch 10,5 Millio-
nen Euro ausgegeben werden


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Und dann ist Schluss!)


und über eine neue Förderperiode im Zusammenhang
mit der Regional- und Wirtschaftsförderung mit der Eu-
ropäischen Union geredet werden muss. Die Bundesre-
gierung unterstützt auch die Mitarbeit in der Nordsee-
kommission und das, was die Länder Schleswig-
Holstein, Niedersachsen und Bremen, die dort mitwir-
ken, machen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Im Umweltschutz haben wir in der Nordseeregion in
den vergangenen Jahren einiges erreicht. Die Politik der
Bundesregierung ist darauf ausgerichtet, die Einträge be-
lasteter Stoffe kontinuierlich zu vermindern. Wir haben
die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen, in der so
genannten ausschließlichen Wirtschaftszone Maßnah-
men des Naturschutzes und der Raumordnung durchzu-
führen. Wir haben der Europäischen Kommission Vor-
schläge für Natura-2000-Gebiete in den AWZ vorgelegt.
Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft hat Grundsätze einer neuen Fi-
schereipolitik aufgestellt.

Die im Rahmen des Oslo-Paris-Übereinkommens
zum Schutz der Meeresumwelt des Nordatlantiks einge-
gangenen rechtlichen Verpflichtungen sind durch Ver-
ordnung umgesetzt worden. Wir werden die Arbeiten in
den entsprechenden Bereichen national wie auf der
Ebene der Europäischen Gemeinschaft fortführen. Noch
in diesem Jahr wird eine Strategie zum integrierten Küs-
tenzonenmanagement erarbeitet sowie die Umsetzung
des Ökosystemansatzes vorangebracht.

(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ein paar Bemerkungen zum Thema Energie. Dabei
verfolgt die Bundesregierung im Nordseeraum das glei-
che Leitbild, das sie der Energiepolitik Deutschlands zu-
grunde legt. Sie strebt einen Energiemix an,


(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Wer hat das denn aufgeschrieben?)


der die Eckpunkte des Zieldreieckes Wirtschaftlichkeit,

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Aha!)

Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit opti-
mal erfüllt. Vor diesem Hintergrund sollen die erhebli-
chen Potenziale der Offshore-Windenergienutzung
möglichst schnell erschlossen werden, wofür die im Er-
neuerbare-Energien-Gesetz festgelegten Vergütungen
eine wichtige Grundlage sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Abgeordneter, Sie haben ja deutlich gemacht, dass
Sie auch dafür sind, das auszuprobieren. Ich glaube, dass
die Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich et-
was hinterherhinkt – andere Länder sind schon viel wei-
ter – und dass wir den Ausbau der Offshore-Windenergie
vorantreiben müssen.

Die Öl- und Gasreserven und -ressourcen in der
Nordsee leisten einen wichtigen Beitrag zur deutschen
Energieversorgung. Auch danach haben Sie gefragt. Ich
will Ihnen gleich eine vorläufige Antwort geben.

Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissen-
schaften und Rohstoffe liegt die statische Reichweite der
deutschen Reserven unter Zugrundelegung der Förde-
rung des Jahres 2003 bei Öl bei 15 Jahren und bei Gas
bei acht Jahren. Dabei ist davon auszugehen, dass sich
diese Zeiträume durch Zufunde und innovative Techno-
logien zur Gewinnung weiter verlängern werden.

Was das Verhältnis des Umweltschutzes zum Touris-
mus und der Energiegewinnung betrifft, so ist ein intak-
ter Naturraum in der gesamten Wattenmeerregion eine
Grundvoraussetzung für den Tourismus an der deutschen
Nordseeküste.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wissen alle, die darüber diskutieren und den Touris-
mus und die Entwicklung an der Küste verfolgt haben.
Deshalb ist ein umwelt- und naturverträglicher Ausbau
der Nutzung der Windenergie auf See ein wesentlicher
Eckpunkt der Offshore-Strategie der Bundesregierung.
Wir müssen darauf entsprechend Rücksicht nehmen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was heißt das für Sie nach dem ersten Satz, den Sie vorhin gesagt haben?)


– Das werde ich Ihnen auf Ihre Große Anfrage hin beant-
worten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie haben das schon eingangs gesagt!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Gerd Andres

Die Nutzung der Windenergie muss behutsam ausge-

baut werden. Das ist notwendig und richtig. Wir gehen
dabei ein ganzes Stück weiter als Sie mit Ihrer modell-
haften Erprobung oder Anwendung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ach!)

Sie hätten beispielsweise zur Elbvertiefung Stellung

nehmen können.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das habe ich doch!)

Sie haben aber nichts zu dem Thema gesagt.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie haben wohl auf der Regierungsbank ein Nickerchen gemacht!)


Sie haben nur viele kluge Fragen gestellt. So machen Sie
es immer: Sie stellen viele kluge Fragen, äußern sich
aber nicht zum Thema.

Im Verkehrsbereich geht es uns vor allem darum, den
maritimen Standort Deutschland zu sichern und zu stär-
ken. Der Bund unterstützt die Bemühungen der Länder,
die Standortgunst und Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Seehäfen zu steigern. Die leistungsstarken deut-
schen Seehäfen haben dabei eine erfreuliche Bilanz vor-
zuweisen. Die Menge der umgeschlagenen Güter hat in
den vergangenen zehn Jahren um insgesamt 71 Millio-
nen Tonnen oder rund 38 Prozent zugenommen. Für das
Jahr 2004 rechnet die deutsche Hafenwirtschaft mit ei-
nem Wachstum von rund 6 Prozent.

Die deutschen Häfen an der Nordsee haben sich damit
in den vergangenen Jahren zu einem Jobmotor in der
Region entwickelt. Für die Stärkung der Wettbewerbsfä-
higkeit des Nordseeraums vor allem mit Blick auf die
deutsche Seeverkehrs- und Hafenwirtschaft ist eine leis-
tungsfähige Verkehrsinfrastruktur unabdingbar. Deshalb
hat die Bundesregierung allein im Zeitraum 1997 bis
2003 für den Erhalt und den Neu- und Ausbau ihrer
Verkehrswege in den Nordseeanrainerbundesländern
Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bre-
men insgesamt mehr als 9,6 Milliarden Euro aufgewen-
det,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


wobei die Erreichbarkeit der Seehäfen als Ballungs- und
Wirtschaftszentren einen Schwerpunkt darstellt. Der
Bundesverkehrswegeplan 2002 zeigt, dass die Bundes-
regierung bei ihren Investitionsentscheidungen zur Ver-
kehrsinfrastruktur der Stärkung des Seehafenstandortes
in Deutschland auch weiterhin besondere Aufmerksam-
keit widmet.

Dies war, wie gesagt, nur ein kurzer Überblick über
zentrale Initiativen der Bundesregierung. Eine detail-
lierte Darstellung erhalten Sie mit unserer Antwort auf
die Große Anfrage, die, wie gesagt, Mitte Mai erfolgen
wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515117000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang

Börnsen.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1515117100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich fand, dass die Rede von Peter Harry Carstensen
im Gegensatz zu einigen, die sich sehr kritisch geäußert
haben, ausgesprochen sachkundig, umsichtig und ver-
antwortungsbewusst war.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Müssen Sie das noch extra sagen?)


Sie war eines Ministerpräsidenten würdig.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht in Schleswig-Holstein! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Unter Niveau! – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürgermeister von Nordstrand!)


Meine zweite Anmerkung gilt der Kritik von Rainder
Steenblock und den Ausführungen des Staatssekretärs.
Eine so unausgegorene Kritik ist wie eine schlechte
Mahlzeit: Man muss beides möglichst schnell verdauen.

Ein dritter Punkt betrifft Schleswig-Holstein. In der
heutigen Nordseedebatte ist Frau Simonis nicht anwe-
send. Bei der Ostseedebatte war sie noch hier. Sie muss
sich aber der Auseinandersetzung jetzt stellen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Fraktion hat das ja nicht einmal zum Kernzeitthema gemacht, Herr Börnsen! Das ist doch lächerlich!)


Im Hinblick auf den Wirtschafts- und Lebensraum
Nordsee besteht grundsätzlich und aktuell Handlungsbe-
darf. Erstens. Das zeigt sich zum Beispiel an dem drama-
tischen Fährunglück, das sich vor zehn Tagen kurz vor
der deutschen Nordseeküste ereignet hat. Ein verun-
glücktes Fährboot mit hochgiftigen Chemikalien an
Bord hätte fast zu einer Umweltkatastrophe geführt, die
der durch die „Pallas“ verursachten gleichgekommen
wäre. In letzter Minute ist das verhindert worden, und
zwar auch deshalb, weil verschiedene Rettungsvoraus-
setzungen auf deutscher und niederländischer Seite es
ermöglicht haben, der Katastrophe mit Umsicht rechtzei-
tig Herr zu werden. Trotzdem wird daran deutlich, dass
wir drei Dinge brauchen: ein nordseeübergreifendes
Rettungskonzept, ein Konzept für den Einsatz von Not-
fallschleppern und ein neues, nordseeübergreifendes Si-
cherheitssystem.

Der zweite Punkt bezieht sich – das wird ebenfalls in
unserer Großen Anfrage deutlich – auf den so genannten
Entenschnabel. Sie kennen sicherlich dieses Gebiet, das
300 Kilometer von der Nordseeküste entfernt liegt und
das die Möglichkeit bietet, Gas und Öl zu fördern.






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Börnsen (Bönstrup)



(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Soll Herr Andres mal zuhören, was dort passiert!)


Dänemark, England und die Niederlande versuchen, eine
vernünftige Lösung für die Nutzung dieses Feldes zu fin-
den. Aber was macht Deutschland? Es meldet dieses Ge-
biet im Rahmen von Natura 2000 aus Naturschutzgrün-
den nach Brüssel und möchte in Zukunft eine Erdgas-
und Erdölförderung verhindern. Drei Länder fördern
weiter, nicht aber Deutschland. Das ist ein Widersinn
hoch drei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Börnsen hat die falsche Brille auf! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und dann stellt er sich hier hin und sagt, wir wollten das nutzen!)


Ich betone: Deutschland meldet das Gebiet aus Natur-
schutzgründen nach Brüssel, während die anderen Län-
der versuchen, dort einen ausgleichenden Naturschutz zu
betreiben. Deutschland verhindert so, dass in Zukunft
das größte Erdgasfeld, das es hat, weiter genutzt werden
kann. Das darf nicht sein.

Der dritte Punkt, um den es geht, ist: Es gibt inzwi-
schen 28 genehmigte Offshore-Windparks. Es gibt nur
zwei Versagungsgründe: Beeinträchtigung des Schiff-
verkehrs oder der Umwelt. Keine Versagungsgründe
sind aber die Beeinträchtigung der Landesverteidigung,
der Fischwirtschaft, der Nutzung von Bodenschätzen
oder des Tourismus. Ihre einseitige Schwerpunktsetzung
ist unhaltbar. Wir benötigen nach unserer Auffassung so-
wohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene eine
maritime Raumordnung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Viertens. Ein weiteres Defizit wird deutlich, wenn
man sich die Genehmigungsdauer anschaut. Zeitgleich
mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden sind die
ersten Anträge auf Genehmigung von Offshore-Anlagen
bei uns gestellt worden. Doch während sich die Wind-
räder in diesen drei Ländern bereits drehen, ist das Ein-
zige, was bei uns rollt, das Papier für die Anträge auf
Genehmigung. Nicht ein Stück haben wir bisher ge-
schafft. Wir brauchen hier eine völlig neue Dynamik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine verquere Logik! Wollen Sie ausbauen oder verhindern?)


Fünftens. Aktueller Handlungsbedarf besteht auch bei
der Katastrophenabwehr. Ich finde es besorgniserre-
gend, dass wir dieses Thema bei uns so wenig behan-
deln. Wir verfügen momentan über kein ausreichendes
Katastrophenabwehrsystem und haben erst jetzt Wissen-
schaftler beauftragt, ihre Forschungen in dieser Richtung
zu intensivieren. Die Sicherheitslage ist für die Men-
schen nicht ausreichend. Was wir neben dem System für
Sturmflutwarnungen brauchen, ist ein Tsunami-Warn-
system für die gesamte europäische Küste, also auch für
die Nordsee.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Seitdem Herr Steenblock keine Verantwortung mehr hat, ist es wesentlich sicherer geworden!)


Letzter Punkt. Die Anrainerstaaten haben verschie-
denste Interessen bei der Nutzung der Nordsee. Sie rei-
chen von der Schifffahrt über den Sport, den Tourismus,
die Fischerei, militärische Zwecke, Aquakulturen bis hin
zum Naturschutz. Jeder Staat betreibt eine eigene Poli-
tik. Kooperation wird klein geschrieben. Was wir brau-
chen, ist eine Nordseeoffensive, eine viel stärkere Zu-
sammenarbeit in dieser Region, ähnlich derjenigen, die
wir bisher im Bereich der Ostsee vernünftig praktiziert
haben. Wir brauchen ein Treffen der Parlamente und der
Regierungen sowie ein Gesamtkonzept für die Nordsee,
um sicherzustellen, dass wirtschaftliche Nutzung und
Meeresschutz verbunden werden; das ist durchaus mög-
lich.

Wenn man eine erste Regierungskonferenz plant,
dann könnte man sogar Helgoland zum passenden Ta-
gungsort machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515117200

Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit. Ihr nächs-

ter Satz sollte der Schlusssatz sein.


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1515117300

Frau Präsidentin, ich möchte mit folgender Bemer-

kung schließen – sie bezieht sich auf die Förderpro-
gramme –: Die Förderprogramme, Interreg IV und
andere, gibt es in Zukunft nicht, weil sich die Bundesre-
gierung auf die Förderung der EU-Binnengrenze kon-
zentrieren wird. Das heißt, das, was hier, auch von der
Regierung, vorgetragen worden ist, ist im Grunde ge-
nommen eine Vision, ein Traum, aber keine zukunfts-
taugliche Praxis, und das schadet letzten Endes der Ent-
wicklung der Nordsee.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515117400

Die Abgeordnete Margrit Wetzel erhält nun das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Margrit Wetzel (SPD):
Rede ID: ID1515117500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Carstensen, es liegt mir eigentlich ganz fern,
Sie mit einer Nachtigall zu vergleichen. Aber jetzt weiß
ich wenigstens, woher die Worte „Nachtigall, ick hör dir
trapsen“ kommen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das müssen Sie mal erklären! Das haben wir jetzt nicht verstanden!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Wetzel

– Nein, das brauche ich nicht zu erklären. Das ist ange-
sichts der Wahl in Schleswig-Holstein schon klar.

Herr Steenblock hat schon eben darauf hingewiesen,
dass durch Ihre Große Anfrage offensichtlich zum Aus-
druck kommt, dass Sie einen ganz gewaltigen Lernbe-
darf haben. Nach dem, was ich gehört habe, muss ich
ebenfalls sagen: Ich finde Ihre Fragen nicht so sonder-
lich schlau. Sie reden von der ersten Konferenz, die im
maritimen Bereich durchgeführt werden sollte. Das ist
absoluter Quatsch. In der nächsten Woche steht die
vierte erfolgreiche maritime Konferenz an. Die Plätze
sind ausgebucht, die Nachfrage ist riesengroß. Ich bin
aber sicher, dass von Ihnen keiner dabei sein wird.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Für eine Sitzungswoche werden solche Termine gemacht! Das ist immer dasselbe!)


– Nein, die Konferenz findet am Montag und am Diens-
tag statt. Daran kann man teilnehmen, ohne hier etwas zu
versäumen. Das ist überhaupt kein Problem, Herr
Austermann. Sie sind herzlich eingeladen, um sich zu
überzeugen, wie viel Unterstützung unsere maritime Po-
litik bekommt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Völlig falsch schätzen Sie offenbar auch die Initia-
tive „Zukunft Meer“ der schleswig-holsteinischen Lan-
desregierung ein. Man sollte in jedem Fall klarstellen,
dass es sich dabei nicht um eine einsame Idee oder um
eine Veranstaltung der Landesregierung, sondern um
eine Initiative handelt, mit der das Land zusammen mit
den Unternehmen, den Verbänden und den Forschungs-
einrichtungen zukunftsweisende Politik gestaltet. Auch
da sollten Sie sich besser einbringen. Wenn Sie das täten,
dann brauchten Sie eine ganze Reihe Ihrer Fragen über-
haupt nicht zu stellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt nun wirklich nicht! Nennen Sie doch mal einen Punkt!)


Das Gleiche gilt für die Nordseekommission. Sie fra-
gen nach der Haltung der Bundesregierung. Herr Andres
hat Ihnen gesagt: Die Bundesregierung unterstützt die
Länder in dieser Frage. Es handelt sich nämlich um eine
Kooperation von Regionen und nicht von Nationalstaa-
ten. Da Sie so großen Wert darauf legen, zu erfahren,
was Schleswig-Holstein an dieser Stelle macht: Schles-
wig-Holstein ist da federführend für die anderen nörd-
lichen Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bundesverkehrswegeplan bzw. die A 20 sind
mehrfach angesprochen worden. Ich sage Ihnen eines:
Genauso wie die gemeinsame Seehafenplattform von
Bund und Ländern – diese Plattform ist schon ein biss-
chen älter – aufrechterhalten wird, ist der Bundesver-
kehrswegeplan mit den entsprechenden Schwerpunkten
fortgeschrieben worden. Das heißt: Die Hinterlandanbin-
dungen sind ein Schwerpunkt des Bundesverkehrswege-
plans; die A 20 gehört, was Schleswig-Holstein angeht,
zum vordringlichen Bedarf; im Hinblick auf Niedersach-
sen gehört sie nicht nur zum weiteren Bedarf, sondern
unterliegt auch dem Planungsrecht.

Herr Koppelin, Sie haben völlig zu Recht darauf hin-
gewiesen – bloß mit den Zahlen waren Sie nicht ganz auf
dem neuesten Stand –, dass ungefähr 2 Millionen Euro
eingetrieben werden. Die öffentliche Hand hat dabei
feste Zusagen bekommen. Die Wirtschaft ist noch nicht
ganz so weit. Nach dem Stand von gestern hat sie feste
Zusagen in Höhe von 300 000 Euro. Die 750 000 Euro,
die sie bekommen soll, wird man zusammenbekommen.
Wenn das geschehen ist, können wir die Planungen auf
niedersächsischem Gebiet sehr gut vorantreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So viel dazu.

NOK ist bereits erwähnt worden. Dazu brauche ich
nichts zu sagen.

Schauen wir uns doch einmal an, was von der Nord-
seeregion, unter anderem von Schleswig-Holstein, an
Wirtschaftskraft ausgeht. Die Schiffsbeteiligung – sie ist
überhaupt noch nicht erwähnt worden – ist ein ganz we-
sentlicher Wirtschaftsfaktor. Allein im letzten Jahr sind
in Deutschland über 3 Milliarden Euro an Anlegerkapi-
tal für Schiffsbeteiligungen eingetrieben worden. Ich zi-
tiere den Geschäftsführer eines entsprechenden Unter-
nehmens:

Im Jahr 2004 stimmte in diesem Markt einfach al-
les, …, das Wachstum der Weltwirtschaft, des Welt-
handels, der Umschlagszahlen, der Frachtraten, der
Reedergewinne und nicht zuletzt auch der Erfolge
eines durch den verstärkten Einstieg deutscher Ban-
ken ausgebauten Vertriebsmarktes.

Davon geht Wirtschaftskraft aus, die in alle möglichen
Regionen ausstrahlt.

Das Gleiche gilt für die Werften. Werfen wir einfach
einmal spaßeshalber, weil es so schön ist, einen Blick
nach Schleswig-Holstein! Da haben Sie Vorzeigewerf-
ten, Herr Carstensen. Darüber sollten Sie sich einmal in-
formieren. Das gilt nicht nur für Lindenau, der im
Grunde weltweit als Vater der Doppelhülle angesehen
wird. Das gilt für die kleine Reederei Braren, die in Be-
zug auf den Blauen Umweltengel Vorreiter ist. Das gilt
auch für die FSG. Da muss ich Herrn Börnsen anspre-
chen. Herr Börnsen, Sie haben im Dezember hier eine
wirklich lustige Rede zu diesem Thema gehalten. Des-
halb würde ich Ihnen raten: Gehen Sie einmal zur Flens-
burger Schiffbau-Gesellschaft


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: An der Nordsee! Ich denke, wir reden über die Nordsee! Lindenau an der Nordsee! FSG an der Nordsee!)


und bestellen Sie da ein Multifunktionsschiff, das dann
schon eine Kreuzung aus Frachter und Fregatte sein
sollte, das Chemikalien tankt, Schleppnetze auswirft und
durch die Flensburger Förde in die Nordsee fährt! – Das
muss Ihre Vorstellung davon sein.


(Heiterkeit bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Wetzel

– Ja, es ist so! Man muss die Rede einmal nachlesen. Sie
ist am 2. Dezember hier im Plenum gehalten worden; ex-
trem belustigend.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So war das, genau!)


Nehmen wir aus der Initiative „Zukunft Meer“ das
Forschungsnetz Meerestechnik! Herr Börnsen, Sie sind
auch an der Stelle wieder nicht informiert; Herr
Carstensen, Sie sind es noch weniger.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das kann wohl nicht angehen!)


Das ist ein Trauerspiel für Sie als angeblich maritime
Politiker in Schleswig-Holstein. Da fordern Sie für die
Nordsee ein Tsunami-Frühwarnsystem und wissen of-
fensichtlich nicht einmal, dass aus Schleswig-Holstein
die Initiative GHyCoP kommt. – Sie dürfen im Protokoll
nachlesen, wie man das schreibt und was sich dahinter
verbirgt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine Kooperation aus kleinen und mittleren Unterneh-
men, von denen fast alle ihren Standort in Schleswig-
Holstein haben, tritt jetzt als Anbieter auf, um die Mor-
phologie des Meeresbodens zu vermessen, die Fest-
landssockel zu vermessen, damit man nicht nur seismo-
graphische Warnungen abgeben kann, sondern damit
man auch in Erfahrung bringen kann, wo möglicher-
weise eine Katastrophe entsteht. Die ist nicht durch die
Schwingungen des Erdbebens bedingt, sondern entsteht
über die Morphologie des Meeresbodens. Das muss ver-
messen werden.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Sie haben die Anbieter bei sich in Schleswig-Holstein.
Unterstützen Sie die, sodass sie an Aufträge kommen!
Das wäre wichtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das werden wir tun!)


Noch ein Wort zur Windenergie, auch wenn dazu
schon eine ganze Menge gesagt worden ist.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


33 Anträge für Offshore-Windparks liegen aktuell al-
lein beim BSH.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: 38!)


– 38? Nach meiner Information sind es 33. 38 sind noch
besser. Ich will die Zahl gern akzeptieren.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Fragen Sie mal, wie lange! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Zehn Jahre!)

Auch da haben wir die technologische Führerschaft. Bis-
her haben sich Offshore-Windparks grundsätzlich höchs-
tens nasse Füße geholt, aber waren nicht wirklich off-
shore. Bei richtigen Offshore-Windparks ist die gesamte
Technologie ganz anders, das heißt, es gibt eine ganz an-
dere Logistik, eine ganz andere Wartung, eine ganz an-
dere Statik, eine ganz andere Technik.

Hier möchte ich einmal auf Heide Simonis verweisen.
Das größte Windkraftwerk der Welt wird zurzeit in
Schleswig-Holstein gebaut. Das heißt, Heide Simonis ist
die Mutter der Megawindräder. Das sollten Sie sich mer-
ken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Die Häfen sind schon erwähnt worden: Umschlags-
steigerungen von 8 Prozent; trimodale Transportketten.

Noch ein letztes Wort zu den Nordseehäfen, weil mir
das so wichtig ist. Sie tun so, als hielten Sie die Nordsee-
häfen hoch. Was machen Sie aber im Verkehrsausschuss
oder im Plenum? Was verstehen Sie vom Thema Port
Package? Die Position, die Sie dazu vertreten haben, ist
wettbewerbsfeindlich; sie ist einfach unglaublich.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Hafenbetriebe, die eine funktionierende Infrastruk-
tur haben, wollen Sie dem Wettbewerb so ausliefern,
dass sie sich nicht mehr behaupten können. Für Hafen-
betriebe ist nicht nur das wichtig, was im Hafen passiert;
sie brauchen ihr Hinterland, die Infrastruktur, die Logis-
tik, Kontakte und das Vertrauen der Wirtschaft.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Gucken Sie sich mal die Anbindung an den Eisenbahnverkehr an!)


– Ja natürlich! Sie haben gar keine Ahnung, wovon ich
rede, Herr Carstensen!


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Schreien Sie nicht so! Blasen Sie sich nicht so auf!)


Dieser Zwischenruf ist absolut peinlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Was Ihr Kollege Börnsen im Verkehrsausschuss vor-
geschlagen hat, ist so was von wettbewerbsfeindlich, wie
es schlimmer überhaupt nicht mehr geht. Sie wollen den
Ausverkauf unserer Hafeninfrastruktur an asiatische
Monopolisten. Sie wollen, dass Großreedereien mit eige-
nen Terminals kommen. Sie wollen, dass die Ergebnisse
der Wertschöpfung aus unseren Häfen nicht mehr in der
EU, sondern in asiatischen Ländern abgegriffen werden.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: So ein Unsinn!)


Sie gefährden damit – das muss man Ihnen einmal klar
sagen – über 300 000 Arbeitsplätze in den Nordseehä-
fen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Margrit Wetzel


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Kein Wort vom Jade-Weser-Port, kein Wort dazu,
dass sich ein wettbewerbsfähiger, konkurrenzfähiger
Tiefwasserhafen in Planung befindet, der bald in Betrieb
gehen soll!

Zur Schifffahrt will ich gar nichts mehr sagen; dazu
ist genug ausgeführt worden; meine Zeit läuft ab.


(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Den Unsinn kann man nicht mehr ertragen!)


– Schade, nicht? Ich hätte schon Lust, noch weiterzuma-
chen.

Als Letztes möchte ich aber noch zwei Dinge sagen:
Erstens. Ihre Große Anfrage umgibt Sie nicht mit einem
Heiligenschein; sie ist scheinheilig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Als Niedersächsin – ich bin nicht aus
Schleswig-Holstein – kann ich Ihnen eines weiß Gott sa-
gen: Wenn Sie glauben, Sie könnten Heide Simonis aufs
Altenteil setzen, dann sind Sie völlig schief gewickelt.
Die Frau ist absolut gut und sie wird die Regierung wei-
ter führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So haben Sie vor einiger Zeit auch in Niedersachsen geredet!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515117600

Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den

nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, teile ich Ihnen
mit, dass sich die Fraktionen darauf verständigt haben,
den Tagesordnungspunkt 11 – Umsetzung von Vorschlä-
gen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Re-
gionen und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vor-
schriften – von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Sind Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden? – Das
ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sören
Bartol, Sabine Bätzing, Uwe Beckmeyer, Ute
Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD sowie der Abgeordneten Franziska
Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), Peter
Hettlich und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Das Programm „Soziale Stadt“ weiterentwi-
ckeln und ausweiten
– Drucksache 15/4660 –
Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschus
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Sören Bartol, SPD.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1515117700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Bund/Länder-Programm „Soziale Stadt“
ist ein wichtiges und unverzichtbares Instrument zur
Stabilisierung benachteiligter Wohnquartiere.


(Beifall bei der SPD)

Dort, wo sich gesellschaftliche und soziale Probleme,
Armut und Arbeitslosigkeit häufen, wo es überdurch-
schnittlich viele Migrantinnen und Migranten gibt, wo
städtebauliche Missstände herrschen und soziale und
kulturelle Infrastruktur fehlen, bietet das Programm „So-
ziale Stadt“ die Chance, den Abwärtstrend zu stoppen
und die Lebenschancen der Bewohnerinnen und Bewoh-
ner zu verbessern. Das ist ein wesentliches Ergebnis der
Zwischenevaluierung nach fünf Jahren Laufzeit des Pro-
gramms „Soziale Stadt“.


(Zuruf von der SPD: Klasse!)

Als Rot-Grün das Erfolgsprogramm 1999 startete, be-

wegten wir uns auf Neuland. Mit seinem integrativen
und aktivierenden Ansatz ist das Programm „Soziale
Stadt“ ein neues und innovatives Instrument der Städte-
bauförderung.


(Beifall bei der SPD)

Die umfassende Kooperation und Vernetzung unter-
schiedlicher Akteure auf allen Ebenen nennt der Evalua-
tionsbericht eine „politische Pionierleistung“ in Rich-
tung auf einen ermöglichenden und aktivierenden Staat.

Innovativ ist das Programm in mehrfacher Hinsicht.
Es geht über klassische Städtebauförderung hinaus und
nimmt auch soziale und gesellschaftliche Probleme in
den Quartieren in den Blick. Auf allen Ebenen – Bund,
Land, Kommune – will das Programm Ressortdenken
überwinden. Es setzt auf Kooperation und Mittelbünde-
lung und ergänzt so investive städtebauliche Maßnah-
men durch nicht investive, etwa in der Jugendarbeit und
auf dem Arbeitsmarkt.

Innovativ ist das Programm „Soziale Stadt“ auch im
Hinblick auf die Einbeziehung nicht staatlicher Akteure,
insbesondere der Wohnungswirtschaft, aber auch der
Wohlfahrtsverbände. Ohne deren Einsatz könnte das
Programm nur einen Bruchteil seiner Wirkung entfalten.






(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol

Die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg ist

aber die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner.
So will die „Soziale Stadt“ mehr Bürgerbeteiligung und
nicht nur Stellungnahmen zu bereits geplanten Maßnah-
men. Sie möchte eigenständige Bewohnerstrukturen auf-
bauen, die sich auch langfristig selbst tragen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Evaluierung hat gezeigt, wie erfolgreich dieser
integrative, aktivierende Ansatz ist. Innerhalb kurzer
Zeit ist in den Projektgebieten eine Aufbruchstimmung
entstanden, Verbesserungen im öffentlichen Raum wer-
den augenfällig, soziale Netzwerke und Infrastruktur
entstehen. Eindrucksvoll war dies zu besichtigen bei der
Verleihung des Preises „Soziale Stadt“ vor einer Woche
hier in Berlin. In diesem Rahmen wurden 18 Projekte
ausgezeichnet, die beispielhaft die Zusammenarbeit un-
terschiedlicher Akteure – Wohnungsunternehmen, Bür-
gerinitiativen, Wohlfahrtsverbände und Kommunen –
verwirklichen und sich um das soziale Miteinander ver-
schiedener Bevölkerungsgruppen – Junge und Alte,
Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, Menschen
mit sozialen Schwierigkeiten – verdient machen. Die
Bandbreite der ausgezeichneten Projekte reichte vom
Seniorennetzwerk in Arnsberg über die Belebung und
Gewerbeansiedlung in der Wellritzstraße in Wiesbaden
bis zu einem interkulturellen Garten in meiner Heimat-
stadt Marburg.

All diese Erfolge sind eine eindeutige Aufforderung
an uns politisch Verantwortliche, das Programm weiter-
zuführen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Weichen müssen auf Kontinuität gestellt werden;
das ist bereits geschehen. Wir alle haben die „Soziale
Stadt“ im letzten Jahr im Baugesetzbuch verankert. Die
Koalition hat auf mittelfristige Sicht Finanzmittel auf
hohem Niveau eingeplant. Wir sind zudem entschlossen,
das Programm, laut Evaluation ein „Positivbeispiel für
kooperativen Föderalismus“, als Gemeinschaftsaufgabe
von Bund und Ländern weiterzuführen. Im Lichte der
Zwischenevaluierung muss es nun darum gehen, das
Programm weiter zu verbessern.

Die Ressortkooperation als zentraler Ansatz des
Programms muss auf allen Ebenen vertieft werden. Der
Bund kann dabei ein wichtiger Impulsgeber sein, wie
das Beispiel des Programms E & C „Entwicklung und
Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“
zeigt. Mit E & C lenkt das Familienministerium Mittel
der Kinder- und Jugendhilfe gezielt in die auch vom Pro-
gramm „Soziale Stadt“ erfassten Gebiete. Auch die Res-
sorts Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Umwelt, Verbrau-
cherschutz und Inneres sind aufgefordert, in ihren
Zuständigkeitsbereichen den sozialräumlichen Bezug zu
stärken. Ressourcen, Erfahrungen und Anstrengungen
können so in sozialen Brennpunkten konzentriert wer-
den. Nur so kann das ehrgeizige Ziel des Programms
besser erreicht werden, nicht nur die Wohn-, sondern
auch die gesamte Lebenssituation in den Problemquar-
tieren zu verbessern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um die Kooperation abzusichern, sieht unser Antrag die
Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe vor.

Letztlich jedoch sind es die Projektverantwortlichen
vor Ort, in den Kommunen und den Stadtteilen, die die
Bündelung von Mitteln in die Tat umsetzen müssen – ne-
ben ihrer alltäglichen Arbeit im Stadtteil. Sie haben da-
bei jede Unterstützung verdient, sei es in Form von
Beratung oder durch besser abgestimmte Förderpro-
gramme. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir prü-
fen, wie wir für die Kommunen Anreize schaffen kön-
nen, zusätzliche Fördermittel zu akquirieren.

In drei Bereichen wollen wir die Anstrengungen in
den „Soziale Stadt“-Gebieten vorrangig intensivieren,
weil sie von entscheidender Bedeutung für die Quartiers-
entwicklung sind. Das sind die Bereiche Bildung, Inte-
gration von Migrantinnen und Migranten sowie Beschäf-
tigung und Qualifizierung.

Die Situation in den Schulen ist der zentrale Schlüs-
sel für das Umsteuern der Entwicklung in den Quartie-
ren.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Schulen arbeiten dort unter schwierigsten Rahmen-
bedingungen. Damit die Kinder optimal gefördert wer-
den können, brauchen sie weitergehende Unterstützung,
etwa durch die Einrichtung von Ganztagsschulen. Wir
wollen, dass Bund und Länder gemeinsam nach Mög-
lichkeiten suchen, das Ganztagsschulprogramm gezielt
in den „Soziale Stadt“-Gebieten einzusetzen. Berlin geht
hier mit gutem Beispiel voran.


(Beifall bei der SPD)

Durch Kooperationen mit dem Stadtteilmanagement und
die Öffnung der Schulen können sie zu einem Kristalli-
sationspunkt für eine positive Trendwende im Stadtteil
werden.

Das Aufeinandertreffen von 30 verschiedenen Natio-
nalitäten ist in „Soziale Stadt“-Gebieten wie zum Bei-
spiel in der Hamburger Lenzsiedlung keine Seltenheit.
Dies macht deutlich, dass die Integration von Migran-
tinnen und Migranten eines der wichtigsten Hand-
lungsfelder der Stadtteilentwicklung ist. Die Integra-
tionsangebote nach dem neuen Zuwanderungsgesetz
sollten wir dafür nutzen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Leider hieße es, das Programm „Soziale Stadt“ zu

überfordern, wenn man von ihm eine Verbesserung der
Beschäftigungssituation in den Quartieren erwarten
würde. Dennoch: Qualifizierung und Beschäftigung sind
entscheidend für die Zukunftsperspektiven der Quar-
tiersbewohner. Wir wollen die neuen arbeitsmarktpoliti-
schen Instrumente daraufhin prüfen, wie sie gezielt in
Problemquartieren eingesetzt werden können.

Als neues Instrument der Städtebauförderung ist das
Programm „Soziale Stadt“ sehr offen angelegt und lässt






(A) (C)



(B) (D)


Sören Bartol

Raum für die unterschiedlichsten, den örtlichen Proble-
men angepasste Projekte. Gut und wichtig ist deshalb
eine intensive Programmbegleitung. Uns ist es ein wich-
tiges Anliegen, insbesondere den Erfahrungsaustausch
zwischen den Projekten und die Qualifizierung der Pro-
jektverantwortlichen weiter auszubauen.

Das Programm „Soziale Stadt“ ist ein lernendes Pro-
gramm. Dem tragen wir Rechnung, indem wir die Er-
gebnisse der Zwischenevaluierung nutzen, um das Pro-
gramm weiterzuentwickeln. Wir wollen die Evaluierung
in ein kontinuierliches Monitoring der einzelnen Pro-
jekte überführen. Damit verbessern wir die Qualität und
die Zielerreichung des Programms, ohne die Handlungs-
spielräume der Verantwortlichen vor Ort einzuschrän-
ken.


(Beifall bei der SPD – Siegfried Scheffler [SPD]: Sehr guter Vorschlag!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme
zum Schluss. Ich denke, diejenigen, die aus ihren Wahl-
kreisen Projekte des Programms „Soziale Stadt“ kennen,
werden mir zustimmen, dass es das Programm verdient,
fortgeführt zu werden. Ich bitte Sie alle zum Schluss:
Wirken Sie daran mit, das Programm weiter bekannt zu
machen. Unterstützen Sie uns jetzt dabei, dieses so wich-
tige und wirksame Instrument gegen den sozialen Ab-
stieg ganzer Wohnquartiere fortzuentwickeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515117800

Nächster Redner ist der Kollege Peter Götz, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1515117900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es stimmt,
Bund und Länder haben die Städtebauförderung um das
Programm „Soziale Stadt“ ergänzt, um der sich ver-
schärfenden sozialen und räumlichen Spaltung in den
Städten etwas entgegenzusetzen. Es ist richtig und nicht
zu kritisieren, dass vor sechs Jahren, unmittelbar nach
Regierungsübernahme von Rot-Grün, die gute Vorarbeit
und die Vorbereitungen im Bauministerium unter dem
damaligen Bauminister Eduard Oswald für ein solches
Programm aufgegriffen und in politisches Handeln um-
gesetzt worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Wir hätten uns gewünscht, wenn dies auch in anderen
Politikbereichen – bei der Steuer- und Arbeitsmarktpoli-
tik oder bei der Gesundheits- und Rentenpolitik, um nur
einige Beispiele zu nennen – ebenfalls geschehen wäre.
Dann ginge es den Menschen in Deutschland heute bes-
ser und wir hätten einige Probleme weniger.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zurück zum eigentlich sympathischen Reparaturbe-
trieb „Soziale Stadt“. Dies ist ein Programm, das mit sei-
nem integrativen Politikansatz quartiersbezogen so-
wohl auf Partizipation als auch auf Kooperation angelegt
ist. Dies sind Ansätze, die seinerzeit, als das Programm
aufgelegt worden ist, durchaus richtig waren.

Aber reicht das heute aus? Brauchen wir, wenn wir
über Weiterentwicklung unserer Städte reden, nicht zu-
sätzlich neue Kooperationsformen und vor allem Part-
nerschaften? Müssen wir nicht mehr denn je darüber
nachdenken, wie wir es schaffen, das Verhältnis zwi-
schen Bürgern und Verwaltung auf der einen Seite und
das Verhältnis zwischen Verwaltung und Investoren auf
der anderen Seite zu verbessern? Müssen wir nicht mehr
denn je diese drei zentralen Akteure – also die öffentli-
che Hand, die privaten Haushalte und Familien sowie
vor allem die investitionsbereite Wirtschaft – zusam-
menführen, um städtebauliche Qualitäten effizienter zu
sichern?

Stadtentwicklung ist ein dynamischer Prozess.
Städte verändern sich täglich. Vor Ort wird der wirt-
schaftliche Strukturwandel, die demographische Ent-
wicklung, das Schrumpfen der Bevölkerungszahl, aber
auch eine Veränderung in der Gesellschaft am schnells-
ten sichtbar. Es sind die Städte und die Gemeinden, die
am ehesten in der Lage sind, ihre erkannten Probleme zu
bewältigen und zu lösen. Man muss sie nur lassen.

Doch wie sieht es nach sechs Jahren rot-grüner Regie-
rung aus? Viele Städte in Deutschland stehen am Rand
des finanziellen Ruins. Sie können schon lange ihre
Hausaufgaben nicht mehr machen. Öffentliche Einrich-
tungen wie Schwimmbäder und Büchereien müssen ge-
schlossen werden, weil das Geld fehlt. Straßen, Schulen
und Kindergärten werden nicht mehr repariert. Vereins-
und Jugendförderung wird mangels Masse zusammenge-
strichen. Ein Investitionsstau in einer Milliardengrößen-
ordnung baut sich Jahr für Jahr auf. Das sind Probleme,
die sich nicht durch die Förderung von Sozialarbeitern in
Deutschland lösen lassen.

Es macht nach unserem Verständnis wenig Sinn,
wenn der Bund den Städten und Gemeinden erst das
Geld aus der Tasche zieht, um es dann anschließend über
eine Vielzahl von Programmen vor Ort wieder zu vertei-
len. Was wir in Deutschland dringend brauchen, sind
leistungsstarke Kommunen, die in der Lage sind, eigen-
verantwortlich ihre Aufgaben wahrzunehmen, damit
kommunale Selbstverwaltung endlich wieder stattfin-
den kann. Das muss unser oberstes Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben vor wenigen Monaten bei der Novellierung

des Baugesetzbuches das Konzept „Soziale Stadt“ ein-
vernehmlich als neue Bestimmung ins Gesetz aufgenom-
men. Das stimmt. Dort heißt es unter anderem:

Das Entwicklungskonzept
– dieses müssen die Kommunen erstellen –

soll insbesondere Maßnahmen enthalten, die der
Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse






(A) (C)



(B) (D)


Peter Götz

sowie der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler
Bewohnerstrukturen dienen.

So weit, so gut.
In dieser Debatte, in der offensichtlich ausschließlich

über Programmerfolge diskutiert werden soll, müssen
aber auch Fragen erlaubt sein: Woran wird dieser Pro-
grammerfolg gemessen? Was ist die Grundlage für die
Bewertung? Geht es nur um das allgemeine Befinden
oder spielt bei der „Erfolgsbewertung“ auch das im Ge-
setz vorgeschriebene Ziel eine Rolle? Wenn ich die Rede
meines Kollegen Bartol vorhin richtig verstanden habe,
dann muss ich feststellen, dass sich die Koalition von der
Frage der Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit die-
sem Programm bereits verabschiedet hat.


(Sören Bartol [SPD]: Falsch! Sie haben nicht zugehört!)


Eine allgemeine Selbstzufriedenheit mit Projekten,
mit denen man vor Ort Gutes bewirken will – das ist
nicht zu bestreiten – und mit denen man vielleicht man-
chen sozialen Konflikt verhindern kann, ist aus Ihrer
Sicht durchaus verständlich. Aber sie automatisch als
Programmerfolg zu feiern ist schon mutig, vor allen Din-
gen wenn man die gesetzlich formulierten Ziele als Maß-
stab nimmt.

Ich nehme als Beispiel die Bereiche Wirtschaft und
Arbeitsmarkt, die wir im Baugesetzbuch verankert ha-
ben. Bei der Evaluierung wird die Entwicklung in den
Quartieren am ungünstigsten beurteilt. Von den Akteu-
ren wird die Arbeitslosigkeit als das schwerwiegendste
Problem in den Programmgebieten dargestellt. Das Pro-
gramm ist bestenfalls dazu geeignet, die negativen Fol-
gen von Arbeitslosigkeit und Armut in den Programm-
vierteln erträglicher zu gestalten. Die Realität sieht so
aus, dass Armut und Arbeitslosigkeit gerade in den Pro-
grammgebieten zunehmen. Wo also bleibt der in das
Baugesetzbuch aufgenommene Nachweis einer nachhal-
tigen Verbesserung nicht nur der Wohn-, sondern auch
der Arbeitsverhältnisse? Wo bleibt der Nachweis der Be-
seitigung von Missständen in Bezug auf die gewünschte
stabile soziale Bewohnerstruktur?

Das Programm mit seinem Fördervolumen von
70 bzw. 80 Millionen Euro bundesweit kann vielleicht
ein paar Schmerzen lindern. Eine grundlegende Abhilfe
kann aber nicht erwartet werden, solange diese Bundes-
regierung nicht bereit und nicht gewillt ist, ihre grundle-
genden Defizite in der Sozial-, Wirtschafts- und Arbeits-
marktpolitik einzugestehen und daraus die richtigen
Konsequenzen zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das Gleiche gilt für die verfehlte Bildungs-, Jugend-
und Ausländerpolitik. Hier gilt es endlich anzusetzen. Es
ist zu wenig, ständig neue, schöne Programme zu erfin-
den. Ein politisches Ziel muss es sein, durch eine erfolg-
reiche Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik solche
Reparaturprogramme letztlich entbehrlich zu machen.
Dazu gehört eine bessere Finanzausstattung der Kom-
munen und dazu gehört, Schluss mit dem ständigen Ver-
schiebebahnhof zulasten kommunaler Haushalte zu
machen. Dazu gehört die Einhaltung des Konnexitäts-
prinzips oder ein Verbot für den Bund, ohne die Gewäh-
rung von mehr Geld Aufgaben auf die Kommunen zu
übertragen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat das mit der „Sozialen Stadt“ zu tun?)


Herr Kollege Schmidt, wir wollen, dass endlich wieder
der Grundsatz gilt: Wer bestellt, bezahlt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kommen Sie einmal zur Sache!)


Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, der mir
im Zusammenhang mit dem Programm „Soziale Stadt“
– ich komme zur Sache – sehr wichtig erscheint und der
nichts mit Geld zu tun hat. Die Schaffung und Erhaltung
sozial stabiler Bewohner- und Siedlungsstrukturen ist
sowohl in der Kommunalpolitik als auch in der Woh-
nungspolitik ein unbestritten anerkennenswertes und be-
währtes Ziel. Im Programm „Soziale Stadt“ wird unter
anderem auch dafür das Geld des Steuerzahlers ausgege-
ben. Ich frage Sie: Wie wollen Sie dieses, wie ich finde,
berechtigte Ziel mit Ihrem Antidiskriminierungsgesetz
vereinbaren? Wie wollen Sie im Rahmen Ihres Antidis-
kriminierungsgesetzes einen bestimmten Bewerber für
eine Mietwohnung ablehnen, wenn er diesem gesell-
schaftlich anerkannten Ziel nicht entspricht, ohne dass
dies als Diskriminierung gewertet wird? Ich würde mich
freuen, Herr Staatssekretär, wenn Sie mir in Ihrer Rede
darauf eine Antwort geben könnten.

Der Präsident des Gesamtverbandes der Wohnungs-
wirtschaft, Lutz Freitag, hat vor wenigen Wochen öffent-
lich erklärt – ich zitiere –, die relative Stabilität und Si-
cherheit in deutschen Großsiedlungen würde durch die
vorgesehenen Regelungen des Antidiskriminierungsge-
setzes massiv gefährdet.


(Zuruf der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frau Kollegin, Sie sollten im Interesse des Programms
„Soziale Stadt“, das Sie vermutlich den ganzen Abend
loben werden, auf den Präsidenten des GdW hören und
Ihren Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes ganz
schnell wieder einsammeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes sagen:
Vor Jahren haben die Kommunen viele Probleme selbst
gelöst. Die meisten Projekte, über die wir diskutieren,
fallen in den kommunalen Zuständigkeitsbereich. Heute
können dies die Städte und Gemeinden nicht mehr, weil
das Geld fehlt.

Wenn wir es schaffen – ich lade uns alle dazu ein –,
die Kommunen endlich wieder in die Lage zu versetzen,
eigenverantwortlich zu handeln, dann brauchen wir
keine jährlichen Verwaltungsvereinbarungen zwischen
Bund und Ländern. Wir brauchen weniger aufwendige
Länderprogramme mit ewigen Abstimmungsrunden und






(A) (C)



(B) (D)


Peter Götz

Begutachtungsverfahren. Wir brauchen keine von Ihnen
erneut geforderte, wie dies im Koalitionsantrag zum
Ausdruck gebracht wird, interministerielle Arbeits-
gruppe, die die ressortübergreifende Kooperation im
Hinblick auf das Programm „Soziale Stadt“ verbessert.
Darauf können wir alle verzichten. Wir brauchen keine
quer durch Deutschland ziehende Reisekarawane zur
Programmhuldigung, Programmwürdigung und vielem
anderen mehr. Stellen Sie sich vor, welche bürokratische
Entlastung allein auf diesem Gebiet erzielt werden
könnte, wenn Sie endlich eine solide Politik für eine
starke kommunale Selbstverwaltung, eine Politik für fi-
nanzstarke Städte und Gemeinden in Deutschland ma-
chen würden!

CDU und CSU sind dazu bereit. Wir sind der festen
Überzeugung: Mit leistungsstarken Kommunen geht es
in Deutschland wieder aufwärts. Es lohnt sich, dafür zu
arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515118000

Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-

Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Götz, ich habe nicht ganz verstanden,
welches das Ziel Ihrer Rede war. Eines meiner Probleme
ist, dass Sie Ihre Rede mit der Bemerkung begonnen ha-
ben, die gute Vorbereitung von Bauminister Oswald
habe diesem Programm zu einem guten Ergebnis verhol-
fen. Dies ist schlicht nicht richtig, denn es gab gute Vor-
bereitungen vonseiten der Länder, insbesondere des Lan-
des Nordrhein-Westfalen, aber auch von Berlin; es
waren überwiegend sozialdemokratisch geführte Länder
daran beteiligt, wie man der Ehrlichkeit halber sagen
muss. Des Weiteren gab es intensive Diskussionen in der
Arge Bau. Das Programm „Soziale Stadt“ haben ganz
konkret der Kollege Achim Großmann, heute Parlamen-
tarischer Staatssekretär, und ich in die rot-grüne Koali-
tionsvereinbarung hineingeschrieben und damit als ein
Bundesprogramm, das es vorher nicht gab, auf den Weg
gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Dann haben wir das ja geklärt!)


Dann haben Sie gesagt, es gehe hier nur um eine Rei-
sekarawane zur Programmhuldigung. Dies hätten Sie
nicht sagen können, wenn Sie den Antrag gelesen hätten.
Die Ergebnisse der Evaluation sowie der konkreten Aus-
wertungen der Aktiven vor Ort zeigen erfreulicherweise,
dass es sich um ein erstaunlich gutes und treffsicheres
Programm handelt. Dies kann man hier ruhig selbstbe-
wusst darstellen; dessen schämen wir uns überhaupt
nicht. Wir würden uns freuen, wenn alle Beteilgten es so
sähen, wie es die Akteure vor Ort bewerten. Gleichwohl
enthält unser Antrag eine Reihe von Vorschlägen und
Forderungen zur Weiterentwicklung. Auch dessen schä-
men wir uns nicht; denn ein gutes Programm und eine
gute Weiterentwicklung vertragen sich miteinander sehr
wohl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515118100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Götz?

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Okay, dann kommuniziere ich jetzt hauptsächlich mit

dem Kollegen Götz.

Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1515118200

Entschuldigung, Frau Kollegin, Sie haben mich direkt

angesprochen; deshalb sei mir erlaubt, eine Frage zu
stellen. Sie haben kritisiert, dass ich in meiner Rede die
Evaluation falsch eingeschätzt hätte. Ein Ergebnis der
Evaluation betraf die Bereiche Arbeitslosigkeit und Ar-
mut. Bei der Arbeitslosigkeit wurde die Bewertung
„deutlich verbessert“ von 0,0 Prozent genannt, „etwas
verbessert“ von 3,2 Prozent, „gleich geblieben“ von
40,6 Prozent, „etwas verschlechtert“ von 31,7 Prozent
und „deutlich verschlechtert“ von 24,5 Prozent. Wenn
Sie dies als Erfolg verkaufen, dann bitte ich Sie, mir zu
sagen, wie Sie dies begründen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Götz, Sie selbst sagten – ich sehe dies
genauso –, von diesem Programm könne man nicht ver-
langen, dass es sämtliche stadtpolitischen Probleme, in
diesem Fall die arbeitsmarktpolitischen Probleme, löse.
Selbstverständlich kann niemand von diesem Programm
erwarten, dass es das zunehmende soziale Auseinander-
driften unserer Gesellschaft in mehr Reichtum auf der ei-
nen Seite und mehr soziale Probleme, Arbeitslosigkeit,
Armut und Migrationsprobleme auf der anderen Seite
verhindert. Ich warne jedenfalls davor, so etwas von die-
sem Programm zu erwarten. Lassen Sie mich dies an ei-
nem Beispiel deutlich machen: Einerseits werden mit
6 Milliarden Euro Fördermitteln für die Eigenheim-
zulage die Menschen aus diesen Quartieren herausge-
fördert, andererseits soll ein kleines, bescheidenes
Programm, das auf Bundesebene einen Verpflichtungs-
rahmen von 71 Millionen Euro ausweist – bei Bund,
Ländern und Gemeinden zusammen sind es 210 Millio-
nen Euro –, all das kompensieren, was an negativer
Stadtentwicklung stattfindet. Von diesem Programm darf
man nichts verlangen, was es nicht leisten kann; ande-
renfalls macht man es kaputt. Hier bitte ich um Fairness,
Herr Kollege Götz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Bevor ich zu den Punkten komme, bei denen ich noch
weiteren Entwicklungsbedarf sehe – das bezieht sich
auch auf die arbeitsmarktpolitische Zusammenarbeit –,






(A) (C)



(B) (D)


Franziska Eichstädt-Bohlig

möchte ich stichwortartig sagen, was wirklich gut ist:
Der Kollege Bartol hat bereits gesagt, dass es eine
enorme Bürgeraktivierung gibt. Wir haben die wichti-
gen sozialen und punktuell auch die ökonomischen Ak-
teure in den Stadtteilen aktiviert. Wir haben die Erfah-
rung gemacht, dass die Konzentration eines Programms
auf einen konkreten Ort und die dort lebenden Menschen
– wie bei der Städtebauförderung – offenbar ein sehr ef-
fektives Instrument ist. Die Bündelung von ressortüber-
greifenden, an sich sehr unterschiedlichen Maßnahmen
vor Ort hat sich sowohl für die beteiligten Akteure als
auch für die beteiligten Verwaltungen als sehr sinnvoll
und nützlich erwiesen. Diejenigen, die konkret damit
arbeiten, sagen uns sogar immer wieder, dass dies ein
Stück weit ein Impulsgeber für eine Verwaltungsreform
ist. Man muss daher sagen, dass dieses Programm in er-
staunlicher Form treffsicher ist.

Jetzt aber zu den Punkten, bei denen weiterer Ent-
wicklungsbedarf besteht. Sören Bartol hat bereits gesagt,
dass der Bereich „Bildung und Schule“ aktiver angegan-
gen werden muss. Dazu müssen auf der Ebene von
Bund, Ländern und Kommunen Initiativen ergriffen
werden. Dies bezieht sich nicht nur generell auf Bil-
dung, sondern auch auf Schule als Nachbarschaftszen-
trum. Unsere Förderung der Ganztagsschule ist ein
wichtiger Schritt in diese Richtung.

Der zweite Bereich betrifft die Integration, der dritte
Bereich die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Inso-
fern ist das, was Sie gesagt haben, absolut richtig; das ist
auch meiner Meinung nach die zentrale Forderung. Wir
– damit meine ich unsere Seite – werden besondere An-
strengungen unternehmen, vielleicht auch mit Ihrer Un-
terstützung – wir fänden das toll; wir würden ein solches
Angebot gerne annehmen –, um das, was sich jetzt durch
Hartz IV an neuer Arbeitsmarktpolitik durch die Job-
center, die neue Form der Betreuung, ergeben hat, in die-
sen Stadtteilen aktiv wirken zu lassen. Es ist unseres Er-
achtens von zentraler Bedeutung, die Vernetzung in
diesem Bereich zu stärken.

Gleichzeitig brauchen wir eine verstärkte Koopera-
tion mit der Wirtschaft. Damit meine ich nicht nur
durch Träger organisierte Beschäftigungs- und Qualifi-
zierungsmaßnahmen. Ich werbe bei allen Beteiligten da-
für – dabei blicke ich auch auf Rezzo Schlauch und un-
ser Wirtschaftsressort –, die Wirtschaftsförderung nicht
immer nur auf generelle Standorte, womöglich noch auf
Standorte in den Peripherien, zu konzentrieren. Vielmehr
muss ein deutlicher Teil der Wirtschaftsförderung gerade
auch in diese Quartiere gelenkt werden, damit wir dort
schrittweise zu einer Verbindung von sozialer Stabilisie-
rung, Schaffung von Arbeitsplätzen und stabiler Wirt-
schaft kommen. Ich werbe sehr dafür – das steht auch in
unserem Antrag –, sich auf Bundes- und Länderebene
für eine konkrete Wirtschaftsförderung in den einzelnen
Regionen und Kommunen einzusetzen. Dazu sollten wir
alle unseren Beitrag leisten.

Da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich als Letztes
sagen: Zur Wirtschaft gehört auch die Diskussion über
Corporate Citizenship, wie es bei den Amerikanern
heißt. Die Verbindung von bürgerschaftlichem Engage-
ment und Wirtschaftsaktivität ist ein wichtiger Baustein
dieser Stadtteile.

Wir haben durchaus noch viel zu tun. Wir werden uns
dieser Aufgabe stellen und fänden es toll, wenn Sie mit-
zögen, statt zu meckern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515118300

Das Wort hat der Kollege Joachim Günther, FDP-

Fraktion.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1515118400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wer die Überschrift dieses Antrages liest: „Das Pro-
gramm ,Soziale Stadt‘ weiterentwickeln und ausweiten“,
der kann dem nur zustimmen. Auch wir haben dieses
Programm im Allgemeinen begrüßt. Nun stellt sich die
Frage, wie und wohin dieses Programm weiterentwickelt
wird.


(Zuruf von der SPD: Das sagt unser Antrag!)

Nachdem Bund und Länder seit 1999 die Städte-

bauförderung um den Programmteil „Stadtteile mit be-
sonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale Stadt“ er-
gänzt haben, wurden erste Erfahrungen mit diesem
neuen Politikansatz gesammelt. Der Zwischenbericht
des IfS macht diese kenntlich.

Die Verankerung des Programms „Soziale Stadt“
im Baugesetzbuch, in § 171 e, war nicht ganz unum-
stritten. Dies wurde einstimmig beschlossen; das ist rich-
tig. Wir haben letztlich zugestimmt, weil wir das In-
Kraft-Treten der BauGB-Novelle insgesamt nicht ge-
fährden wollten und weil uns bei einigen unserer Forde-
rungen entgegengekommen worden ist. Aber glücklich
waren wir und auch die Kollegen von der Union damals
nicht. Denn wir befürchteten, dass wir mit der Aufnahme
ins Gesetz eventuellen Schieflagen der Bevölkerungs-
struktur bzw. unklar definierten Projekten entgegen-
sehen würden. Ob diese Befürchtungen tatsächlich
grundlos waren, ist auch aus diesem Zwischenbericht
nicht endgültig erkennbar.

In den Ländern gibt es verschiedene Maßnahmen aus
Mitteln des Programms „Soziale Stadt“, die bei genauer
Betrachtung zumindest die Frage aufwerfen, ob sie wirk-
lich mit dem Baugesetzbuch in Verbindung stehen. Ich
möchte Ihnen einige Punkte aus dem Projekt Ludwigs-
burg nennen, die aus diesem Stadtumbauprogramm fi-
nanziert wurden: Seminar für Frauen zu Erziehungs- und
Gesundheitsfragen in türkischer Sprache; Alphabetisie-
rungskurs für ausländische Bürger;


(Zuruf von der SPD: Integration!)

Geburtsvorbereitungskurs für werdende Mütter in türki-
scher Sprache. Auch der Deutschkurs, den es dort gibt,
ist zwar richtig für die Verständigung in der Stadt. Aber
ich muss fragen: Steht er unmittelbar mit der Stadtent-
wicklung in Verbindung?






(A) (C)



(B) (D)


Joachim Günther (Plauen)


Hier kommt es zu Überschneidungen mit anderen Ge-

setzen. Ich nenne nur das Zuwanderungsgesetz. Denn
bereits in diesem Gesetz wird die Pflicht zum Lernen der
deutschen Sprache festgelegt. Ob damit eine Aufwer-
tung des betroffenen Stadtquartiers – das ist ja das Ziel
unseres Programmes – erreicht wird, muss man sicher
von Fall zu Fall prüfen. Nichts gegen die unterschiedli-
chen Programme, die ich genannt habe! Aber die Frage
ist, ob sie wirklich mit dem Stadtumbau verbunden und
dort richtig angesiedelt sind.

Kollege Bartol, Sie haben vorhin selber Programm-
teile genannt, die von anderen Kostenträgern finanziert
werden. Damit sind wir bei einem Problem. Wenn unbe-
stimmte Rechtsbegriffe – wie in diesem Fall „soziale
Missstände“ in § 171 e – verwendet werden, dann be-
steht die Gefahr, dass sie in alle Richtungen interpretiert
werden. Wir sind der Meinung, dass der Stadtumbau und
damit das Programm „Soziale Stadt“ sich auf die Kern-
aufgaben konzentrieren sollen, die wirklich mit dem
Baubereich und hier mit der Stadtentwicklung in Verbin-
dung stehen. Überlassen wir die Bildung denjenigen, die
dafür verantwortlich sind! Das Gleiche trifft auf Gesund-
heitsfragen zu.

Unsere Aufgabe sind meines Erachtens Maßnahmen
im Baubereich, die man vor Ort am besten bewältigen
kann. Bei der Konzentration auf eine bessere Gestaltung
der Stadtquartiere bleiben genügend Aufgaben, die uns
politisch und finanziell alles abverlangen.

Ich nenne nur das Stichwort „kinderfreundliche Um-
gebung“. Wie sieht es in der Praxis leider oft aus? Das
wissen wir doch alle; wir diskutieren auch darüber:
„Ballspielen verboten“. Es fehlt nur noch, dass dort
steht: „Lachen verboten“. Gestalten wir die Stadtviertel
so um, dass genügend Spielplätze vorhanden sind, damit
die Kinder sich frei und sorglos entfalten können!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Gestalten wir Wege und Einrichtungen so, dass sie sicher
sind und von Jung und Alt jederzeit genutzt werden kön-
nen! Schaffen wir Begegnungszentren, zum Beispiel
Grillplätze, Jugendbegegnungsstätten, Workshops und
Ähnliches! Dort können die Bewohner sich treffen. Dort
können sie einander näher kommen. Solche Dinge sind
nach meiner Meinung Aufgaben im Baubereich, die un-
ter das Stichwort „Soziale Stadt“ fallen.

Wer aber den jetzigen § 171 e ausnutzt, um Spielwie-
sen für alles Mögliche zu schaffen, der wird am Ende
vielleicht weniger erreichen, als gedacht ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Eichstädt-Bohlig, Sie haben es selbst gesagt: Sämt-
liche Probleme lassen sich damit nicht lösen. Konzen-
trieren wir die Aufgaben dort, wo die Zuständigkeit ist!
Besinnen wir uns auf unsere ureigene Aufgabe, solide
Stadtquartiere zu errichten!

Deshalb begrüßen wir als FDP die Diskussion über
die „Soziale Stadt“. Wir werden diesen Vorgang objektiv
begleiten. Wir werden mit Sicherheit zu gegebener Zeit
Vorschläge einbringen, die die effektive Umsetzung der
Mittel im Baubereich innerhalb der Stadtplanung garan-
tieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515118500

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär

Achim Großmann.

A
Achim Großmann (SPD):
Rede ID: ID1515118600


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Lieber Herr Götz, als wir 1998 die
Wahl gewannen und uns daran machten, die Koalitions-
vereinbarung zu schreiben, war ich noch nicht Parlamen-
tarischer Staatssekretär. Ich hatte leider nicht die Mög-
lichkeit, die angeblich vorhandenen Vorarbeiten des
Hauses zu nutzen. Wir schrieben uns aufs Panier, ein
Programm „Soziale Stadt“ zu machen. Als ich dann Par-
lamentarischer Staatssekretär wurde, habe ich fast ein
Dreivierteljahr sehr intensiv arbeiten müssen, um die
Grundlagen für das Programm zu legen; denn nichts war
vorhanden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die Verwaltungsvereinbarungen völlig neu er-
arbeiten müssen.

Ich darf Sie auch daran erinnern, dass der Topf für die
Städtebauförderung, den wir vorgefunden haben, fast
geplündert war. Erinnern Sie sich an das Jahr 1994; das
war das traurigste Jahr. Damals gab es für die Städte-
bauförderung in Westdeutschland – damals gab es noch
die D-Mark – 0 DM.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Habt ihr nicht gesagt, dass ihr das erhöhen wolltet? Jetzt ist auch noch gekürzt worden! – Zuruf von der SPD: Kurzzeitgedächtnis!)


Das heißt, wir haben eine Riesenanstrengung unterneh-
men müssen, um das Programm „Soziale Stadt“ bzw. die
Städtebauförderung insgesamt – später waren es der
Stadtumbau West und der Stadtumbau Ost – richtig auf-
zustellen, um den Städten dabei zu helfen, mit ihren zu-
nehmenden Problemen fertig zu werden.

Als wir damit begannen, waren wir sehr nervös. Wir
wussten nicht, ob das Programm zündet und wirkt. Denn
dieses Programm war völlig neu. Ihm lag eine ganz neue
Philosophie zugrunde. Es war ein integriertes Pro-
gramm. Wir wollten weg von der Sektorenpolitik, bei
der wir uns nur um den Wohnungsbau, nur um die Stadt
oder nur um den Verkehr gekümmert haben. Nun haben
wir versucht, diese Themen zusammenzuführen. Des-
halb war der Erfolg dieses Programms nicht von vorn-
herein gewährleistet. Ende des Jahres 2004 konnten wir
feststellen: In 252 Städten und Gemeinden wurden
363 Maßnahmen durchgeführt. Im Jahre 2004 waren
31 Neuaufnahmen zu verzeichnen. Das Programm ist ein
absoluter Renner geworden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Achim Großmann

Es ist schon viel über das Programm „Soziale Stadt“

gesagt worden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, die
ihm zugrunde liegende Philosophie etwas genauer dar-
zustellen. Ich werde erläutern, was am Programm „So-
ziale Stadt“ – abgesehen vom Integrationsgedanken –
neu war. Wir haben es im Rahmen der Städtebauförde-
rung beim Stadtumbau Ost und beim Stadtumbau West
fortgeführt. Hier arbeiten wir mit integrierten Stadtent-
wicklungskonzepten und unterstützen die Gemeinden
dabei, vernünftige Gesamtkonzepte zu entwickeln. Sie
sollen nicht an der einen Stelle helfen, an einer anderen
Stelle aber etwas vernachlässigen, sondern sich mit dem
gesamten Zyklus Stadt beschäftigen und die jeweils
beste Lösung finden.

Beim Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung sind
wir ebenfalls so vorgegangen. Dabei ging es um das Zu-
sammenleben, die Integration und Kooperationen mit
der Wohnungswirtschaft. Hier haben wir die soziale
Ausgewogenheit der Stadtteile in den Vordergrund ge-
stellt und uns von dem zunächst durchaus vernünftigen
quantitativen Gesichtspunkt „Wohnungen, Wohnungen,
Wohnungen!“ abgewandt. Nein, wir haben den Schwer-
punkt anders gesetzt. Das war dringend nötig. Ich
glaube, auch das ist uns gelungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In vierfacher Hinsicht haben wir Neuland betreten.
Der erste Aspekt – ich habe ihn schon genannt – ist der
integrative Ansatz. Sein Ziel ist die ressortübergrei-
fende Zusammenarbeit auf Bundes- und Landesebene
sowie die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und da-
bei auch die ressortübergreifende Arbeit auf kommuna-
ler Ebene.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wir haben Projekte besucht. Niemand reist da herum,
um Schlagzeilen zu machen. Wenn ich nach Würzburg-
Heuchelhof fahre, dann steht das nicht auf Seite 1 der
Zeitungen. Das will ich auch gar nicht. Ich will wissen,
wie das Programm wirkt. Wir haben erfahren, dass in
vielen Städten beispielsweise Jugendamt und Bauamt
nie miteinander gesprochen haben. Das haben sie nun
gelernt. Dasselbe gilt für die Länder und übrigens auch
für den Bund. Hier müssen auch wir noch besser werden.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ein Ergebnis der Zwischenevaluierung, das uns genannt
wurde, ist, dass die Bündelung eine tolle Idee ist, aber
noch weiter ausgebaut werden muss. Das gilt für alle
drei föderalen Ebenen.

Zweitens wird die Verantwortung durch dieses Pro-
gramm ins Quartier verlagert. Die neu geschaffene In-
stitution des Quartiermanagers symbolisiert das. Wir
müssen nicht nur mit Geld arbeiten, sondern auch dabei
mithelfen, die Zivilgesellschaft aufzubauen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja!)

Das heißt, wir müssen die Leute ohne direkten finanziel-
len Anreiz, aber mit finanzieller Hilfe dazu aktivieren,
selbst aktiv zu werden, sich um ihren Stadtteil zu küm-
mern und etwas aus ihm zu machen. Viele Quartier-
manager, die in ihrem Stadtteil ein Anlaufbüro haben,
haben dort eine neue Kultur der Demokratie erschaffen.
Zum ersten Mal haben die Leute das Gefühl, dass sich
jemand um ihre Probleme kümmert und dass die Chance
besteht, eine Reaktion zu bekommen.

Drittens. Das Programm „Soziale Stadt“ ist noch
heute das einzige Städtebauförderungsprogramm, das
sowohl für die alten als auch für die neuen Länder gilt.
Das hört sich einfach an. Aber ich will im Jahre 15 nach
der Wiedervereinigung doch daran erinnern, dass wir
damit ein einheitliches Programm für Ost und West
geschaffen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Viertens haben wir schließlich versucht – das ist
schwierig genug –, vom Prinzip der Gießkanne wegzu-
kommen und den Verteilungsschlüssel etwas anders zu
gestalten. Der Verteilungsschlüssel für das Programm
„Soziale Stadt“ orientiert sich nun stärker an den Aufga-
ben und Problemfeldern.

Ich will eine ganze Menge weglassen, was schon ge-
sagt worden ist – es ist sowieso spät und wenn man dann
redundant wird, wird es auch noch ein bisschen langwei-
lig –, aber, Herr Götz, einen Gefallen tue ich Ihnen noch:
Ich möchte zum Schluss einen Wunsch äußern.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Zum Antidiskriminierungsgesetz!)


Ich unterstütze die Intention des Antidiskriminierungs-
gesetzes, das die Koalitionsfraktionen eingebracht ha-
ben; es ist der richtige Weg, es ist der richtige Gedanke –
unabhängig davon, dass wir auch EU-Richtlinien umset-
zen müssen, vier an der Zahl. Der Gesetzentwurf darf
aber nicht Ansätze konterkarieren, die wir in anderen
Gesetzen geschaffen haben; ich glaube, das muss bei der
parlamentarischen Beratung einfach auf die Radar-
schirme. Wir haben beispielsweise im Gesetz über die
soziale Wohnraumförderung mit den Kooperationsver-
trägen Integrationsinstrumente geschaffen, die wir nicht
außer Kraft setzen dürfen. Dasselbe gilt auch für das
Baugesetzbuch, in das wir das Programm „Soziale
Stadt“ genau vor dem Hintergrund der Integration hi-
neingeschrieben haben. Es gibt also die Gefahr des Wi-
derspruchs zwischen Antidiskriminierung und Integra-
tion. Diesen müssen wir – das wäre meine Bitte zum
Schluss – im Gesetzgebungsverfahren auflösen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Götz [CDU/CSU]: Viel Erfolg dabei!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515118700

Das Wort hat die Kollegin Renate Blank, CDU/CSU-

Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)



Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1515118800

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr

Staatssekretär, Ihre Aussage zu den Kommunen werden
von Ihren SPD-Oberbürgermeistern sicherlich nicht mit
Wohlgefallen aufgenommen worden sein. Denn Sie tun
ja gerade so, als ob die Kommunen zur Stadtentwicklung
bislang nie etwas beigetragen hätten.


(Zuruf von der SPD: Das hat kein Mensch gesagt!)


– Doch, lesen Sie im Protokoll in der Rede des Staatsse-
kretärs nach, dass er da einiges zusammenbringen
musste.

Meine Damen und Herren, das Programm „Soziale
Stadt“ ist im Jahr 1999 gemeinsam von Bund und Län-
dern ins Leben gerufen worden.


(Zuruf von der SPD: Wir haben es gemacht!)

– Gemeinsam von Bund und Ländern!

Gerade bei innovativen Ansätzen ist es aber wichtig,
laufend zu überprüfen, ob wir uns auf dem richtigen Weg
befinden, und abzufragen, ob das Programm effektiv
greift. Eigentlich ist das Programm „Soziale Stadt“ klas-
sische Städtebauförderung, verbunden mit einem be-
sonderen sozialen Aspekt; die Aufgaben und Zielsetzun-
gen sind gesetzlich geregelt. An diesen Kriterien sollte
das Programm auch gemessen werden. Staatssekretär
Braune führte unter anderem bei der Veranstaltung an-
lässlich der Preise „Soziale Stadt 2004“ am 13. Januar
dieses Jahres aus – ich zitiere –, das Programm unter-
stütze die Integration von Migrantinnen und Migranten,
vermeide Ausgrenzung und helfe bei der Eindämmung
des Rechtsradikalismus. – Klingt sehr gut, ist auch in
Ordnung. Nun zitiere ich aus Ihrem Antrag:

… städtebauliche Missstände, hohe Arbeitslosig-
keit, Armut und Segregation entlang ethnischer Zu-
gehörigkeiten konzentrieren sich in bestimmten
Stadtquartieren. Diese Konzentration führt zu ei-
nem „Fahrstuhleffekt“ nach unten mit erhöhtem
sozialen Konfliktpotenzial, Überforderung der
Schulen, Abwanderung von einkommensstabilen
Haushalten und sinkender Kaufkraft.

Ein eindrucksvolleres, ehrlicheres Eingeständnis des
Scheiterns von sechs Jahren rot-grüner Politik für
die Kommunen habe ich von Ihnen noch nicht gelesen!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Alle Achtung! Der rot-grüne Traum von Multikulti
dürfte damit wohl endgültig ausgeträumt sein.

Bei dem Wort „Armut“ fällt mir ein, dass 1998 laut
Armutsbericht rund 10 Millionen Menschen in
Deutschland als arm galten. Über die Definition von Ar-
mut möchte ich nicht diskutieren, aber darüber, dass im
Jahr 2004 bereits 11 Millionen Menschen als arm galten.
1 Million Menschen mehr, die in Armut leben – und dies
alles unter rot-grüner Regierung! Je mehr die Armut in
Deutschland in den Städten zunimmt, desto mehr lösen
sich sozial gemischte Quartiere auf. Mittlerweile bilden
sich ganze Stadtteile, in denen der überwiegende Teil der
Bevölkerung von Sozialhilfe lebt.
Wenn man die Programmpunkte aufmerksam studiert,
erkennt man sehr schnell vieles, was vor Jahren noch
ganz selbstverständlich aus den Kommunalhaushalten fi-
nanziert wurde und auch eigentlich zu finanzieren wäre.
Die beschriebenen Projekte gehören meist zum Zustän-
digkeitsbereich der Kommunen. Eine bessere Finanz-
ausstattung würde die Kommunen in die Lage verset-
zen, die erforderlichen Maßnahmen selbst zu finanzieren.
Die finanzielle Belastung der Kommunen durch Bundes-
gesetze muss dringend reduziert werden, damit die Kom-
munen ihren eigentlichen Aufgaben wieder nachkommen
können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich denke hierbei an die 1998 versprochene Gemeindefi-
nanzreform, die gescheitert ist,


(Zuruf von der SPD: An Ihnen!)

oder an die große Steuerreform 2000 mit der Erhöhung
der Gewerbesteuerumlage, die auf unseren Druck hin
endlich wieder zurückgenommen wurde. Auch die
Grundsicherung belastet die Kommunen.

Die Union hingegen konnte durch ihre strikte Verhand-
lungsführung im Vermittlungsverfahren zu den Hartz-IV-
Gesetzen eine tatsächliche Entlastung der Kommunen
durchsetzen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ist das ein gemeinsames Ergebnis des Vermittlungsausschusses oder nicht?)


So sollen die Kommunen ab diesem Jahr um insgesamt
2,5 Milliarden Euro entlastet werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, so wird das sein!)


Aber auch diese Mittel hat Rot-Grün für Ausgaben,
die den Kommunen aufgedrückt werden sollen, schon
wieder verplant. Rot-Grün verteilt schöne Wahlge-
schenke an Eltern – Ganztagsschulen und Kinderbetreu-
ung – und lässt die Kommunen diese Geschenke bezah-
len.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen dringend eine finanzielle Entlastung der
Kommunen, damit die Mittel aus dem Programm „So-
ziale Stadt“ zusätzlich und nicht anstatt verwendet wer-
den können.

Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, in Ihrem
Antrag fehlt das Thema Sicherheit völlig. Von wegen
„weiterentwickeln und ausweiten“, wie Sie es mit Ihrem
Antragstitel suggerieren: Davon kann kaum die Rede
sein. Ich zitiere:

Nicht zuletzt wollen wir unsere Städte für die Bür-
ger sicherer machen … Sicherheit vor Kriminalität
für Bürgerinnen und Bürger ist ein Grundrecht, ein
Bürgerrecht. Insbesondere für diejenigen, die nicht
in der Lage sind, für ihre eigene Sicherheit zu be-
zahlen, wird das ein Grundrecht von herausragen-
der Bedeutung. Deswegen ist es so wichtig, dass
insbesondere diejenigen, die sich Gedanken über
lebenswerte Städte machen, diesen Aspekt der Ge-






(A) (C)



(B) (D)


Renate Blank

währleistung von Sicherheit für die Bürgerinnen
und Bürger neben all den Notwendigkeiten zur so-
zialen Integration nicht unterschätzen.

Das sagte am 7. Mai 2002 anlässlich der Eröffnung des
Kongresses „Soziale Stadt“ in Berlin niemand anderer
als Bundeskanzler Schröder. Sie ignorieren diese Aus-
sage in Ihrem Antrag. Ich hätte von Rot-Grün wirklich
nicht gedacht, dass Ihnen das Zitat des Kanzlers nicht
eine Silbe im Antrag wert ist.

Für uns steht schon lange fest: Wo sich die sozialen
Strukturen ungünstig entwickeln, steigt die Kriminalität;
Vandalismus und Graffitischmierereien, die mancher
von Ihnen gerne zur Kunst erheben möchte, nehmen zu.


(Zuruf von der SPD: Was hat das mit unserem Thema zu tun?)


Der Ruf des Viertels wird dann immer schlechter. Nicht
von ungefähr fordern wir seit Jahren, Graffitischmiere-
reien unter Strafe zu stellen. Sie lehnen dies permanent
ab. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger werden wir
jedoch nicht locker lassen. Unsere Anträge liegen den
zuständigen Ausschüssen vor. Sie brauchen ihnen nur
zuzustimmen.


(Zuruf von der SPD: Ach, du lieber Himmel!)

Sicherheit ist eine grundlegende Bedingung, damit sich
die Bürgerinnen und Bürger an einem Ort wohl fühlen.
Dieser Aspekt der Sicherheit darf nicht außer Acht ge-
lassen werden.

Kolleginnen und Kollegen, das Programm wurde
1999 gestartet. Damals ging man davon aus, dass es sich
bei den „Quartieren mit besonderem Entwicklungsbe-
darf“ um eine vorübergehende Erscheinung handelt.
Dies ist jedoch nicht der Fall.


(Sören Bartol [SPD]: Ach, Frau Blank!)

Die Aufgaben und Zielsetzungen sind gesetzlich gere-
gelt. An diesen Kriterien muss der Erfolg des Pro-
gramms gemessen werden. Hier ist von Meckern und da-
von die Rede, dass wir kritisieren. Man kann aber alles
besser machen – gemeinsam.

Eine Auswertung der vom Institut für Stadtforschung
und Strukturpolitik vorgelegten Zwischenevaluation
mit einem nicht klar zu messenden Erfolgsfaktor als Er-
gebnis, nämlich der Tendenzaussage, die Stimmung
habe sich gebessert, sollte deshalb nicht automatisch als
Programmerfolg interpretiert werden, wenn man die ge-
setzlich formulierte Zielstellung als Maßstab nimmt.
Aussagen über die Entwicklung der Bewohnerstrukturen
bzw. der Wohn- und Arbeitsverhältnisse sollten zu-
grunde gelegt werden. Die Zwischenevaluation bleibt
hier nur an der Oberfläche der Untersuchungen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo haben Sie das denn her?)


Da die im Programm formulierten Ziele für die Stadt-
teilentwicklung deutlich über das hinausgehen, was mit
baulichen Investitionen zu erreichen ist, wäre eine res-
sortübergreifende Kooperation konsequent und ange-
messen. Herr Staatssekretär, Sie haben das vorhin von
den Kommunen gefordert. Allerdings sind die Versuche
zu Beginn des Programms, andere Bundesressorts zu ei-
ner aktiven Mitarbeit zu motivieren, noch nicht sehr er-
folgreich gewesen. Initiativen dazu hat es gegeben, aber
die Festlegungen auf eine programmbezogene Koopera-
tion sind wieder schwächer geworden. Hier ist also noch
Überzeugungsarbeit zu leisten.

Aus Sicht der Zwischenevaluation ist es notwendig,
die Problemdiagnose und die Zielbeschreibung zu präzi-
sieren. Art und Ausmaß der zu bearbeitenden Probleme
müssen geklärt werden und sowohl bei den Zielformu-
lierungen als auch bei den Instrumenten muss eine grö-
ßere Klarheit geschaffen werden. Ansonsten drohen ent-
täuschte Erwartungen und mit ihnen Rückschläge für die
Quartierspolitik und ihre politische Rückendeckung.

Wie positiv es sein kann, wenn Bewohner beteiligt
werden, kann man aus zwei Projekten in Nürnberg und
Schwabach ersehen,


(Zuruf von der SPD: Zum Beispiel!)

die mit dem Preis „Soziale Stadt“ ausgezeichnet worden
sind. Das sind hervorragende Beispiele.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann seien Sie doch zufrieden!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515118900

Frau Kollegin, bitte schauen Sie auf die Uhr.

Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1515119000

Ja, Frau Präsidentin. – Hier handelt es sich um Pro-

jekte, die von sehr viel privatem Engagement getragen
werden. Ich möchte deshalb allen Ehrenamtlichen, die
sich für die Belange „Soziale Stadt“ eingesetzt haben
und einsetzen werden, für ihren Einsatz herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515119100

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Spanier, SPD-

Fraktion.

Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1515119200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das war zumindest ein versöhnlicher Schluss,
Frau Blank. Ich habe mir schon die ganze Zeit überlegt:
War sie noch nie in dem Projekt „Soziale Stadt“ in Nürn-
berg? Ich hätte Ihnen aber nie unterstellt, dass Sie noch
nicht da waren.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Aber selbstverständlich! Dort findet ja privates Engagement statt!)


Es hat uns natürlich gefreut, dass Sie dies am Schluss Ih-
rer Rede doch noch anerkannt haben.

Später am Abend ist man vielleicht ein bisschen
wohlwollender. Ich verstehe, dass Sie es heute etwas
schwer hatten.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Nein!)







(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier

Schließlich sind wir uns insgesamt alle einig.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ja, aber man kann es noch verbessern!)


Das Programm „Soziale Stadt“ ist von seiner Konzep-
tion her zukunftsweisend. Die Akzeptanz ist bundes-
weit, ganz gleich welche politischen Mehrheiten in den
Kommunen und in den Ländern gelten, hervorragend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Kongresse können sich vor lauter Zulauf gar nicht
retten. Auch die Zwischenauswertung bestätigt die Qua-
lität. Dass das weiter zu verbessern ist und dass hier und
da andere Akzente gesetzt werden sollen, ist das Ziel un-
seres Antrags. Darüber werden wir sicher noch einge-
hend reden können.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Vielleicht sprechen Sie auch noch das Thema Sicherheit an!)


Allerdings habe ich bei Ihnen an der einen oder ande-
ren Stelle Zwischentöne herausgehört, auf die ich näher
eingehen möchte. Es ist ein übliches Verfahren, Herr
Götz, dass man die Anforderungen, zum Beispiel an das
Programm „Soziale Stadt“, überhöht, um dann zu sagen:
Die Anforderungen werden nicht erfüllt. Natürlich wird
die Finanzkraft der Städte durch das Programm „So-
ziale Stadt“ nicht gestärkt. Das werden wir an anderer
Stelle auf den Weg bringen müssen.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Das wäre schön! Darauf warten wir schon lange!)


Richtig ist, dass es relativ wenig Projekte gibt. Aber
nicht wir erarbeiten die Projekte, in die aktive Arbeits-
marktpolitik eingebunden ist. Ich denke, dass die
Hartz-IV-Gesetze hier neue Möglichkeiten eröffnen, die-
sen Aspekt stärker zu berücksichtigen und auch die
Wirtschaftsförderung – das gebe ich gerne zu – noch
stärker in die Konzeption einzubinden.

Herr Götz, eines steht aber fest: Unisono werden wir
vom Deutschen Städtetag und vom Deutschen Städte-
und Gemeindebund aufgefordert, dieses Programm fort-
zusetzen und die Mittel dafür bereitzustellen.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Weil sie pleite sind!)

Das hat nichts damit zu tun, dass den Städten die
70 Millionen Euro fehlen, sondern sie halten die Kon-
zeption für richtig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Renate Blank [CDU/CSU]: Das kann doch jede Stadt selber machen!)


Die Städte in Deutschland stehen vor schwierigen
Problemen. Ich nenne hier nur den Strukturwandel, vor
allen Dingen in den altindustriellen Gebieten, und die
demographische Entwicklung. Die Veränderungen beim
Altersaufbau zeichnen sich bereits ab. Andere Stich-
worte sind die Binnenwanderung und natürlich auch die
soziale Spaltung. Diese gibt es nicht erst seit 1998, son-
dern sie gab es immer schon. Sie hat sich natürlich in ei-
nigen Stadtquartieren verschärft und vor allen Dingen
auf ganz bestimmte Stadtquartiere konzentriert.
Herr Götz, ich möchte Ihnen Folgendes ausdrücklich
sagen: Dass es ein Bund/Länder-Programm ist, halten
wir für den genau richtigen Ansatz. Sie haben das in-
frage gestellt.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Nein! – Renate Blank [CDU/CSU]: Nein, hat er nicht!)


– Dann habe ich Sie falsch verstanden. Manch einer
stellt infrage, ob das wirklich die Aufgabe des Bundes
sei. Ich glaube, dass es sehr wohl eine Aufgabe des Bun-
des ist, gemeinsam mit den Ländern solche Innovationen
auf den Weg zu bringen. Ob in allen 16 Bundesländern
so etwas wie das Programm „Soziale Stadt“ entwickelt
und umgesetzt worden wäre, möchte ich einmal mit ei-
nem Fragezeichen versehen.


(Beifall bei der SPD – Renate Blank [CDU/ CSU]: Bayern ist hier hervorragend!)


Um zu dokumentieren, dass dies eine Daueraufgabe
ist, an der sich auch der Bund beteiligen will, haben wir
das ins Baugesetzbuch aufgenommen. Sie alle haben,
wenn auch – das weiß ich – mit Bedenken, zugestimmt.
Das haben Sie heute noch einmal vorgetragen. Entschei-
dend ist – das wird auch im Baugesetzbuch deutlich –:
Es muss ein Entwicklungskonzept in den Kommunen
geben, das diese selbst erarbeiten; denn es sieht in jeder
Kommune und in jedem Stadtquartier höchst unter-
schiedlich aus.


(Renate Blank [CDU/CSU]: So ist es!)

Ganz wichtig sind die Beteiligung der Bürgerinnen

und Bürger und die Verzahnung mit den anderen Instru-
menten der Stadtentwicklung wie Städtebauförderung,
Stadtumbau, soziale Wohnraumförderung, die es zurzeit
noch gibt. Wir werden sicherlich gemeinsam Überlegun-
gen anstellen müssen, wie das noch besser verzahnt wer-
den kann, damit diese Programme nicht nebeneinander
stehen. Aber die Schlussfolgerung, die Sie, Herr
Günther, gezogen haben, nämlich den integrativen An-
satz wieder aufzugeben und alles auf rein städtebauliche
Maßnahmen zu reduzieren, halten wir für grundsätzlich
falsch.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der integrative Ansatz ist das Entscheidende und das
qualitativ Neue. Wir haben einen Paradigmenwechsel –
weg von der Städtebaupolitik, hin zu einer Stadtentwick-
lungspolitik. Das Programm „Soziale Stadt“ ist ein erster
Schritt, dieses zu entwickeln. Es ist beispielhaft für das,
was wir „nachhaltige Stadtentwicklung“ nennen, wozu
nicht nur die ökonomische und ökologische, sondern
auch die soziale Dimension gehört. Das ist ein ganz ent-
scheidender Punkt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt einen Rückgang der Zahl der Sozialwohnun-
gen. Das führt dazu, dass die restlichen Sozialwohnun-
gen in ganz bestimmten Stadtquartieren konzentriert






(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Spanier

sind und sich dort die sozialen Probleme ballen. Es geht
darum, ein Stück weit gegenzusteuern, und zwar in je-
dem Stadtquartier.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515119300

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.

Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1515119400

Das werde ich selbstverständlich tun, sehr geehrte

Frau Präsidentin. Wenn ich einen Satz noch sagen darf?
Ich möchte Herrn Großmann ausdrücklich unterstüt-

zen. Auch die Wohnungswirtschaft braucht Instrumente
zum Gegensteuern. Die Belegung ist ein wichtiges der-
artiges Instrument. Wir müssen aufpassen, dass nicht
aufgrund des Antidiskriminierungsgesetzes eine Woh-
nungsgesellschaft, die eine überalterte Bewohnerstruktur
hat und besonders junge Familien als Mieter haben will,
der Diskriminierung bezichtigt wird. Wir werden in der
parlamentarischen Beratung auch über diesen Punkt
noch eingehend reden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann müssen Sie das Gesetz ändern!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515119500

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Wolfgang Spanier (SPD):
Rede ID: ID1515119600

Ich entschuldige mich, Frau Präsidentin. – Das Anti-

diskriminierungsgesetz wird sicherlich ein Thema sein,
das uns noch intensiv beschäftigen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515119700

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/4660 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse sowie an den Ausschuss für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten

Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck,
Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Den Beziehungen zu Lateinamerika Bedeu-
tung und Zukunft geben
–Drucksache 15/4388 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Mark, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian
Ströbele, Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Intensivierung der Beziehungen zwischen der
Europäischen Union, Lateinamerika und der
Karibik
–Drucksachen 15/3205, 15/3840 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Mark
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Klaus-Jürgen Hedrich, CDU/CSU-Fraktion.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1515119800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Es ist erfreulich, dass diesmal wieder zu
einer angemessenen Tageszeit Lateinamerika auf der Ta-
gesordnung steht. Ich glaube, dass das insofern wichtig
ist, als uns gerade in den letzten Wochen und Monaten
Dinge unterschiedlicher Qualität und tragischer Natur
beschäftigt haben, die von besonderer politischer Bedeu-
tung waren. In diesem Zusammenhang ist der lateiname-
rikanische Subkontinent ein bisschen an den Rand des
politischen Interesses gerückt worden. Ich glaube, dass
dieser Kontinent dies nicht verdient und dass Europa gut
beraten ist, wenn wir auch in Zukunft diesem Kontinent
eine entsprechende Aufmerksamkeit zuwenden.

Ich möchte einige Anmerkungen zu drei unterschied-
lichen Bereichen machen.

Erstens. Es ist in der Tat richtig, dass Lateinamerika
zwar nicht der entscheidende Kontinent ist, aber er ist
ein Kontinent mit den größten sozialen Gegensätzen und
gefährlichen sozialen Spannungen. Trotz der seit
200 Jahren andauernden Unabhängigkeit ist er weitest-
gehend von feudalen Grundstrukturen geprägt.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat – wie ich meine,
nicht ganz zu Unrecht – im Mai die Frage aufgeworfen,
ob diejenigen, die in Lateinamerika Verantwortung tra-
gen, wirklich an einer Änderung der Verhältnisse inte-
ressiert sind. Ich glaube, dass die politisch, wirtschaft-
lich, kulturell und wissenschaftlich Verantwortlichen






(A) (C)



(B) (D)


Klaus-Jürgen Hedrich

durchaus wissen, wie es um ihre Länder und die Bezie-
hungen zwischen den Menschen steht, und dass ihnen
auch bewusst ist, dass das Durchsetzen echter Struktur-
reformen auch den Verzicht auf Privilegien bedeutet. Vor
diesem Hintergrund werde ich – das will ich nicht ver-
hehlen – das Gefühl nicht los, dass wir unabhängig da-
von, wer in Lateinamerika am Drücker ist, die Verant-
wortlichen in viel stärkerem Maße als bisher darauf
aufmerksam machen müssen, dass die Länder in dieser
Region, wenn die Strukturreformen ausbleiben, auf ei-
nem Pulverfass sitzen, dessen Risiko möglicherweise
unkalkulierbar ist.

Länder wie Brasilien gehören zu den Ländern mit der
ungerechtesten Einkommensverteilung oder, besser ge-
sagt, der größten Disparität zwischen den Wohlhabenden
und den Have-Nots. Das wird, wie ich glaube, auf Dauer
von der Mehrheit der Bevölkerung in den betreffenden
Ländern nicht akzeptiert.

Damit hängt – damit komme ich zu dem zweiten
Punkt meiner Ausführungen – eine weitere Problematik
zusammen. Die Entwicklung in Lateinamerika in den
vergangenen 20 Jahren zeigt, dass in den 80er-Jahren
eine Militärdiktatur nach der anderen beendet wurde; in
den einzelnen Ländern entstanden zumindest in den äu-
ßeren Strukturen demokratische Verhältnisse. Heute ist
festzustellen, dass diese wieder im Kippen begriffen
sind. Die Analyse zeigt, dass es insbesondere neopopu-
listische und manchmal auch marxistische Bewegungen
gibt. Häufig überlappen sich diese Bewegungen mit der
jeweiligen indigenen Bevölkerung. Auch dies ist letzten
Endes verständlich,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie die Verlierer sind!)


weil die demokratischen Parteien es nicht geschafft ha-
ben, die Demokratie in den Herzen und Gemütern der
Menschen zu verankern und soziale Reformen durchzu-
führen.

Man kann über Hugo Chávez sagen, was man will,
aber dass er Präsident werden konnte, hat seine Ursa-
chen. Ohne das Versagen der klassischen demokrati-
schen Parteien in diesem Lande würde es Hugo Chávez
nicht geben. Ebenso wenig würde es einen Gutiérrez in
Ecuador oder einen Evo Morales in Bolivien geben.

Wir müssen deshalb an die Verantwortlichen appellie-
ren, wirkliche sozial gerechte Veränderungen herbeizu-
führen. Dies ist bisher nicht erfolgt. Dass in einigen Län-
dern immer noch insbesondere die indigene
Bevölkerung am Rande des gesellschaftlichen, politi-
schen und sozialen Lebens steht, verschärft diese Proble-
matik.

Für Europa ist festzustellen, dass wir in Lateiname-
rika an Einfluss verlieren. Was Mercosur angeht, habe
ich große Zweifel, ob er in der vorgesehenen Struktur
zustande kommt. Die Europäische Kommission äußert
selbst massive Zweifel.

Auch daran, dass es sinnvoll ist, mit der Comunidad
Andina bilaterale Verhandlungen aufzunehmen, habe ich
große Zweifel. Ich halte diese Gemeinschaft nicht für
funktionsfähig. Ich begrüße es, dass die Kommission in-
zwischen in Erwägung zieht, mit den Ländern bilaterale
Verhandlungen aufzunehmen, die dazu in der Lage
sind. Dafür kommt neben Mexiko und Chile, mit denen
bereits ein Abkommen besteht, sowie Brasilien und Ar-
gentinien noch Kolumbien infrage. Ich fordere die Bun-
desregierung nachdrücklich auf, bei der Europäischen
Kommission auf eine Änderung unserer Position hinzu-
wirken. Es gibt übrigens positive Zeichen auch aus ande-
ren Regionen der Welt. Völlig unbemerkt von der Öf-
fentlichkeit hat die Europäische Kommission Thailand
und Singapur bilaterale Verhandlungen angeboten, und
zwar weit vor dem Eintritt des tragischen Ereignisses vor
fast drei Wochen.

Das führt mich zu meinem letzten Punkt. Wir stellen
fest, dass sich Einflusssphären verschieben und dass sich
die Bedeutung der Länder verändert. Wen das interes-
siert, dem empfehle ich, sich die Zahlen betreffend den
Handelsaustausch zwischen Lateinamerika und China
anzuschauen. Dort hat es in den letzten zwei, drei Jahren
eine dramatische Verschiebung der Verhältnisse gege-
ben. Mit dem Handelsaufkommen ist natürlich auch Ein-
fluss verbunden. Übrigens geht inzwischen ein Drittel
des chinesischen Auslandsinvestments – dieses ist nach
wie vor gering – nach Lateinamerika. Die Chinesen
scheinen begriffen zu haben, dass dieser Subkontinent
für sie von zunehmender Bedeutung ist. Die Europäer
und insbesondere die Deutschen bleiben aufgefordert,
daraus Konsequenzen zu ziehen


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber welche?)


sowie ihre Beziehungen zu Lateinamerika zu reaktivie-
ren und zu vertiefen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515119900

Das Wort hat der Kollege Lothar Mark, SPD-Frak-

tion.

Lothar Mark (SPD):
Rede ID: ID1515120000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Seit dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungs-
chefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik in Guada-
lajara sind einige negative Entwicklungsprozesse
eingetreten, die vom Kollegen Hedrich bereits erwähnt
wurden. Erstens. Ein Assoziierungsabkommen mit Mer-
cosur ist bisher nicht zustande gekommen. Zweitens. Es
gibt in der Tat keinen verbindlichen Termin für Verhand-
lungen mit der Andengemeinschaft und Zentralamerika
über ein Assoziierungsabkommen. Ich bin allerdings der
Auffassung, dass hier Verhandlungen aufgenommen
werden sollten.

Gleichzeitig beobachten wir, wie insbesondere die
Conosur-Länder ihre Wirtschafts- und Handelspartner
zunehmend in anderen Weltregionen suchen. Nicht nur
die Volksrepublik China, sondern auch Russland, die
Südafrikanische Union, Japan und viele andere Länder






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Mark

profitieren davon. Ich denke, dass der Prozess des politi-
schen Dialogs von uns intensiv verfolgt werden muss
und dass Europa und insbesondere Deutschland sehr
wachsam und aufmerksam diese Entwicklung beobach-
ten müssen.

Wir haben ein originäres Interesse an der sozialen und
politischen Stabilität Lateinamerikas. Wir stellen fest,
dass unsere Regionen in der Zielsetzung einer multilate-
ralen Weltordnung verbunden sind. Ich nenne als Stich-
worte: Internationaler Strafgerichtshof, Kioto-Protokoll
und die Ottawa-Konvention im Gipfeldokument von
Guadalajara. Beide Regionen sind an einer Reform der
Vereinten Nationen interessiert. Der im CDU/CSU-An-
trag erhobene Vorwurf, dass hier nur Gegensätze in star-
kem Maße geschürt worden seien, ist nicht zutreffend,
auch wenn das eine oder andere Land eine andere Auf-
fassung vertritt. Dies ist auch in Europa so.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Ihr Antrag enthält viele richtige Aussagen und Forderun-
gen, die auch in unserem Antrag enthalten sind. Gerade
deshalb ist es unverständlich, dass Sie an der Sinnhaftig-
keit der aktuellen Ausgestaltung unserer bilateralen Be-
ziehungen zweifeln, in die auch unsere Mittlerorganisa-
tionen engagiert eingebunden sind. In Anbetracht der
angespannten Haushaltssituation können die Mittel lei-
der nicht einfach erhöht und nicht alle Aufgaben wahr-
genommen werden, so wie wir uns das wünschen. Sie
sollten aber auch hier ehrlich sein. Obwohl es keine Mit-
telkürzungen gab, musste zum Beispiel die Konrad-Ade-
nauer-Stiftung feststellen:

Die KAS hat deshalb auch die Aktivitäten in
Lateinamerika einschränken müssen.

Deswegen sollten Sie nicht so tun, als ob nur andere ge-
zwungen wären, unter Umständen das eine oder andere
umzuformulieren.

Des Weiteren sprechen Sie in Ihrem Antrag von Ziel-
konflikten zwischen Entwicklungs- und Handelspolitik.
Keine Frage, es ist wichtig, die unterschiedlichen Politi-
ken, so gut es eben geht, kohärent zu gestalten. Dies ist
der Bundesregierung gerade im Bereich der Außenpoli-
tik besser gelungen als jeder anderen Bundesregierung
zuvor. Die gesamte internationale Politik der Bundesre-
publik Deutschland genießt ein bisher nie da gewesenes
Ansehen und das nicht nur in Lateinamerika.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ihr Eindruck, die einzelnen Politiken gegenüber La-
teinamerika und der Karibik seien nicht aufeinander ab-
gestimmt, ist nicht nachvollziehbar. Weite Bereiche, zum
Beispiel in der Handelspolitik, sind heute EU-Materie.
Zielkonflikte lassen sich daher kaum noch auf nationaler
Ebene lösen. Insofern habe ich die große Hoffnung, dass
die EU insbesondere nach dem Regierungswechsel in
Spanien wiederum verstärkt mit einer Stimme auch ge-
genüber Lateinamerika sprechen wird.

Wir halten es im Gegensatz zur CDU/CSU nach wie
vor nicht für sinnvoll, weitere Assoziierungsabkommen
mit einzelnen Ländern Lateinamerikas abzuschließen.
Mexiko und Chile waren Ausnahmen. Wir wollen den
offenen Regionalismus in Lateinamerika unterstützen.
Das heißt, wir wollen die Integration in den einzelnen
Subregionen fördern, weil der Integrationsprozess in La-
teinamerika sonst geschwächt wird. Die Region muss
stärker in Erscheinung treten können. Wir wollen unse-
ren Teil dazu beitragen. Das gilt auch für Kolumbien.

Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die jüngst be-
schlossenen weiteren Integrationsschritte im Mercosur
und insbesondere die Gründung der Gemeinschaft der
Nationen Südamerikas am 9. Dezember 2004. Dieses
mutige Vorhaben unter der Führung Brasiliens gibt An-
lass zu vorsichtigem Optimismus. Zwischen Karibik-
küste und Feuerland entsteht somit nach EU und
NAFTA der weltweit drittgrößte Regionalverbund.
Diese Bemühungen fördern wir von deutscher und euro-
päischer Seite mit allen Kräften. Dort liegen enorme Ko-
operationsmöglichkeiten, die wir auch in unserem An-
trag ansprechen.

Sie fordern unter anderem die Intensivierung der Zu-
sammenarbeit im Energiesektor einschließlich der
Kernenergie. Die Bundesregierung hat mit der brasiliani-
schen Regierung Ende des vergangenen Jahres einver-
nehmlich die Umwandlung des deutsch-brasilianischen
Abkommens über nukleare Zusammenarbeit in ein Ab-
kommen zur Zusammenarbeit im Energiebereich be-
schlossen. Deutsche Unternehmen sind weltweit führend
im Bereich der erneuerbaren Energien. Mit dem neuen
Abkommen werden wir zukunftsweisende, nachhaltige
Technologien nach Lateinamerika liefern.

Auch bei dem Thema „auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik“ zeichnen Sie ein sehr negatives Bild.
Wenn man sich die Anstrengungen der Bundesrepublik
vor Augen führt – ich bin Berichterstatter für den Haus-
halt des Auswärtigen Amtes und weiß deswegen über
die Investitionen in Lateinamerika ziemlich genau
Bescheid –, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass
Lateinamerika im Hinblick auf die Förderung von Kultur
außerhalb Europas an zweiter Stelle liegt. Zum Beispiel
werden die Goethe-Institute ihre Aktivitäten in Südame-
rika im Vergleich zu ihren Aktivitäten in anderen Regio-
nen finanziell sogar noch steigern. Ähnlich verhält es
sich bei den meisten Mittlerorganisationen, die von uns
mit gefördert werden: Die meisten Mittel fließen nach
Europa inklusive Osteuropa; danach wechseln sich La-
teinamerika/Karibik und Südostasien auf den Plätzen ab.

Lateinamerika/Karibik wird auch weiterhin eine zen-
trale Rolle in der deutschen auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik spielen. Das bekräftigen wir in unserem
Antrag ausdrücklich. Die Zahl lateinamerikanischer Stu-
dierender in Deutschland hat seit 1998 aufgrund der För-
derprogramme des DAAD kontinuierlich zugenommen.
Die DAAD-Alumninetzwerke funktionieren hervorra-
gend. Ich will nur daran erinnern, dass mit Brasilien der
deutsch-brasilianische Dialog der Zivilgesellschaften
unter Führung des DAAD ins Leben gerufen wurde.

Selbst auf dem Sektor der Schulpartnerschaften kön-
nen wir Zuwächse seit 1998 feststellen. Für mich stellt
sich da einfach die Frage: Wie kann man solche Anstren-
gungen als „sinnentleertes Minimum“ oder „Restbestand






(A) (C)



(B) (D)


Lothar Mark

der auswärtigen Kulturpolitik“ bezeichnen, wie Sie es in
Ihrem Antrag getan haben?

Ich will noch kurz auf das spanischsprachige Fern-
sehprogramm der Deutschen Welle eingehen und da-
rauf hinweisen, dass die Überlegungen zur Einstellung
– die droht nämlich – in Anbetracht der Entwicklung, die
wir mit Blick auf Lateinamerika wollen, kontraproduktiv
sind.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Allerdings! – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Ich werde mich auch weiterhin, wie bisher, mit allem
Nachdruck für den Erhalt des spanischsprachigen
DW-TV-Programms einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Leibrecht [FDP] – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Dazu wollen wir etwas von der Regierung hören!)


Der vorliegende CDU/CSU-Antrag fordert des Weite-
ren die Wiederbelebung der Lateinamerika/Karibik-For-
schung an deutschen Universitäten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Wie Sie wissen, liegt die Zuständigkeit für das Hoch-
schulwesen bei den Ländern, lieber Kollege Weiß.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Die Bundesregierung hört Ihnen nicht gut zu, Herr Kollege!)


Vor einigen Wochen hätten wir es in der Hand gehabt,
auf dem Gebiet sinnvolle Einwirkungsmöglichkeiten des
Bundes zu schaffen, die auch in Bezug auf Ihre Forde-
rung, die wir unterstützen, Perspektiven eröffnet hätten.
Deswegen ist der gesamte Bildungsforderungskatalog in
Ihrem Antrag meiner Überzeugung nach scheinheilig.

Zur Kubapolitik. Die Bundesregierung setzt sich im
Rahmen der EU für eine vollständige Wiederaufnahme
des politischen Dialogs mit dem Inselstaat ein. Dissiden-
ten kann nur geholfen werden und die wirtschaftliche
und menschenrechtliche Lage kann nur verbessert wer-
den, wenn ein Dialog zwischen den Regierungen mög-
lich ist. Die jüngste Freilassung von sieben Dissidenten
gibt uns in dieser Einschätzung Recht. Die bisherige
harte Linie von beiden Seiten hat keiner Seite ein positi-
ves Ergebnis gebracht.

In dieser Frage und insbesondere auch durch ihre
künftige Kolumbienpolitik kann die Europäische Union
ihrem Anspruch als Friedensmacht gerecht werden.
– Ich sehe, dass das Signal für den Ablauf der Redezeit
aufleuchtet. – Ich will nur noch darauf hinweisen, dass
wir versuchen müssen, nach dem Auslaufen des „Plan
Colombia“ und der Neuformulierung den europäischen
Akzent zu verstärken, auch unter Beachtung des Gewalt-
monopols.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass un-
sere Intentionen und Bemühungen zu Lateinamerika
dazu geeignet sind, den Stellenwert Lateinamerikas zu
erhöhen. Wir sollten uns konstruktiv bemühen, dies zu
fördern, statt es durch Miesreden quasi schon in den An-
sätzen wieder zu zerstören.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515120100

Nächster Redner ist der Kollege Harald Leibrecht,

FDP-Fraktion.


Harald Leibrecht (FDP):
Rede ID: ID1515120200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Unser Spiegel wird die Europäische Union sein
– mit all ihren Institutionen –. Dies ist die Vision der am
8. Dezember 2004 gegründeten Südamerikanischen
Staatengemeinschaft, so formuliert von Eduardo
Duhalde, dem ehemaligen Präsidenten von Argentinien
und derzeitigen politischen Gesicht des Mercosur.

Die Südamerikanische Staatengemeinschaft soll bis
2007 die beiden Freihandelsvereinigungen Mercosur
und Andengemeinschaft in sich vereinigen. Ich bin auch
davon überzeugt, dass das absolut notwendig ist, da die
vorhandenen Zusammenschlüsse für die südamerikani-
schen Länder selber wie auch für ihre Partner, zum Bei-
spiel für Europa, bisher nicht funktionieren.

Seien wir doch einmal ehrlich!

(Lothar Mark [SPD]: Sind wir immer!)


Die viel beschworene strategische Partnerschaft zwi-
schen Europa und den verschiedenen bereits bestehen-
den Zusammenschlüssen in Lateinamerika leidet an
Erschöpfung, und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie
auch in politischer Hinsicht. Die biregionalen Gipfeltref-
fen mit 25 europäischen sowie 34 lateinamerikanischen
und karibischen Staaten sind kaum mehr handlungsfä-
hig. Auch der Abschluss eines Freihandelsabkommens
zwischen der EU und dem Mercosur – wir haben es
gerade schon gehört – ist im Oktober letzten Jahres ge-
scheitert. Verhandlungen über ein Freihandelsabkom-
men mit der Andengemeinschaft und dem Zentralameri-
kanischen Integrationssystem sind bis heute nicht
aufgenommen worden, was sicherlich bedauerlich ist.

Auf der politischen Seite sieht es nicht viel besser aus.
Der europäische Dialog mit der Rio-Gruppe ist eine
reine Fiktion. Eine Kohärenz der außenpolitischen Posi-
tionen existiert nicht.

Eines steht daher fest: Die Europäische Union muss
sich in Bezug auf Lateinamerika neu positionieren. Ein
Teil der Forderungen in Ihren Anträgen bezieht sich auf
einen überholten Zustand. Die Geschichte war wieder
einmal etwas schneller als unsere zum Teil bürokratische
Demokratie.

Liebe Kollegen, bitte verstehen Sie mich nicht falsch.
Die gestellten Anträge sind in der Sache richtig. Auch
die FDP ist dafür, dass wir Lateinamerika unterstützen
und die Zusammenarbeit mit dieser Region weiter aus-
bauen. Lassen Sie uns deshalb die im Dezember gegrün-






(A) (C)



(B)


Harald Leibrecht

dete Südamerikanische Staatengemeinschaft als Chance
betrachten! Das Ziel bleibt dasselbe, das auch in Ihren
Anträgen formuliert wird: die Beziehungen zu Latein-
amerika zu intensivieren und ihnen eine Bedeutung und
Zukunft zu geben.

Doch was kann, auch vonseiten Europas, getan wer-
den, damit diese neue Integrationsform auch erfolgreich
wird und sowohl nach innen als auch nach außen wirk-
lich funktioniert? Ich meine, wir sollten dort helfen, wo
wir es am besten können. Die Länder Lateinamerikas
brauchen auf ihrem Weg in eine wirkliche Integration ei-
nen kompetenten Berater. Europa könnte ein solcher
Berater sein, denn die Europäische Union hat in den letz-
ten Jahrzehnten viele Erfahrungen auf dem Gebiet der
Integration sammeln können.

Dass dieser Prozess auch für Europa nicht immer
ganz einfach war und dass dabei auch Fehler gemacht
wurden, bestätigt nur die Notwendigkeit, Lateinamerika
bei seiner großen Aufgabe zu unterstützen. Lateiname-
rika muss eine Chance bekommen, sich selbst zu ent-
wickeln und stark zu werden.

Mit der Gründung der neuen Südamerikanischen
Staatengemeinschaft hat Lateinamerika den richtigen
Schritt getan. Es hat sogar noch mehr getan: Es hat die
EU zu seinem Vorbild, zu seinem Spiegel, erklärt. Las-
sen Sie uns dieses Vorbild, lassen Sie uns dieser Spiegel
sein! Lateinamerika braucht unsere Unterstützung, damit
es sich zu einem starken Partner entwickeln kann. An-
dernfalls bleibt der Spiegel nur ein Zerrbild.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515120300

Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich habe in diesem Bundestag gelernt, dass man
Anträge der CDU/CSU zu Lateinamerika mit spitzen
Fingern anfassen muss.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ich dachte, dass man sie loben sollte!)


Das habe ich insbesondere bezüglich der Anträge, die
Sie im letzten Jahr zu Venezuela hier eingebracht haben
und die von uns abgelehnt wurden, festgestellt. Wären
wir den Anträgen gefolgt, hätten wir nicht nur auf den
falschen Präsidentschaftskandidaten gesetzt – das
kommt ja manchmal vor, auch in anderen Ländern –,
sondern wir hätten eine Opposition unterstützt, über die
Sie sich jetzt viel verständiger geäußert haben, eine Op-
position, die Venezuela, einen ehemals stabilen Staat, die
reichste Demokratie in Lateinamerika überhaupt, herun-
tergewirtschaftet hat. Wir hätten uns damit etwas we-
sentlich Schlimmeres eingehandelt als das, was jetzt die
Wählerinnen und Wähler in diesem Land entschieden
haben, dass nämlich Präsident Chávez dort weiter regie-
ren kann.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ist Chávez ein Demokrat? – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sind Sie für Chávez?)


Sie haben heute einen Antrag zu Lateinamerika insge-
samt vorgelegt. Wenn man den Antrag liest, könnte man
den Eindruck gewinnen, die Bundesregierung sei we-
gen ihrer Politik schuld an vielen der Übel in Lateiname-
rika, wenn nicht an allen. In Ihrem Antrag steht, die un-
geschickte Kampagne der Bundesregierung für einen
ständigen Sitz Deutschlands im UNO-Sicherheitsrat sei
einer der Gründe für die schlechte Politik in Lateiname-
rika.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Richtig!)

Weiter heißt es, die Entwicklung dort sei rückläufig,
Deutschland befinde sich in einem kontinuierlichen
Rückzug aus Lateinamerika, die Politik sei rückwärts
gewandt und deshalb falsch.

Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben sich heute
– dieses Kompliment will ich Ihnen durchaus machen,
Herr Kollege Hedrich – viel vernünftiger geäußert, nicht
nur in Bezug auf Venezuela, sondern zu Lateinamerika
insgesamt. Ihr Antrag enthält in der Analyse, in der Be-
schreibung der Situation, durchaus einige richtige Fest-
stellungen. Lateinamerika befindet sich tatsächlich in ei-
ner Krise, wenn man das überhaupt über einen ganzen
Kontinent sagen kann und nicht nach den einzelnen Län-
dern differenzieren muss. Diese Krise ist für viele Län-
der Lateinamerikas substanziell.

Zugleich müssen wir aber auch sehen, dass Latein-
amerika ein Wachstum hat, von dem man in Deutschland
und in Europa nur träumen kann.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das macht nachdenklich!)


Für das Jahr 2004 ist eine Wachstumsrate für Gesamt-
lateinamerika von 5,2 Prozent festgestellt worden. Ein-
zelne Länder haben noch höhere. Venezuela zum Bei-
spiel hat eine Wachstumsrate von 17 Prozent.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Wissen Sie, woher die kommen?)


Selbst Argentinien hat ein Wachstum von 8 Prozent.
Aber auch Brasilien hat noch 5 Prozent. Deshalb ist dort
durchaus eine positive wirtschaftliche Entwicklung für
das Jahr 2004 festzustellen.

Die Frage ist, weswegen sich Lateinamerika trotzdem
in einer solch akuten Krise befindet und wieso große
Teile der Bevölkerung in nahezu allen Teilen Lateiname-
rikas von diesem Wachstum so gut wie keine Vorteile
haben. Am Armuts-Reichtums-Verhältnis hat sich
nämlich auch im Jahre 2004 so gut wie nichts geändert.
Es ist unsere Aufgabe, die Ursachen hierfür festzustellen
und darauf richtig zu reagieren. Ich will nur wenige
Punkte nennen, da ich hier ja nicht so sehr lange reden
kann:


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Machen Sie ruhig weiter!)


(D)







(A) (C)



(B) (D)


Hans-Christian Ströbele

Wir stellen eine Delegitimierung der Parteien und

demokratischen Institutionen in ganz Lateinamerika
fest.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Fast!)

Diese reicht von Venezuela über die Staaten Mittelame-
rikas bis nach Bolivien.

Wir stellen außerdem fest, dass die lateinamerikani-
schen Länder weltweit in der Korruptionsstatistik an
der Spitze liegen. Das belegen auch die Analysen von
Transparency International und anderen internationalen
Organisationen.

Weiterhin stellen wir in vielen Ländern Latein- und
Mittelamerikas eine Entwicklung der Kriminalität fest
– wir wollen ja Anfang Februar dahin fahren –, die im
Ergebnis mittlerweile durchaus mit der schrecklichen
Gewaltkriminalität in Johannesburg vergleichbar ist.
Bisher hielten wir das ja für ein einmaliges Phänomen.
Auch da müssen wir uns fragen, woher das kommt, was
die Gründe dafür sind und was wir machen können und
machen müssen, damit sich da etwas ändert.

In diesem Zusammenhang ist die Frage zu stellen, ob
die Politik der Entwicklungszusammenarbeit, die wir
und auch Sie, als FDP und CDU/CSU noch die Regie-
rung stellten, in der Vergangenheit verfolgt haben, der
richtige Weg ist, um zu anderen Verhältnissen in Latein-
amerika zu kommen, und ob wir dem Umstand genü-
gend Rechnung tragen, dass das Ansehen der Parteien
und der demokratischen Institutionen in Lateinamerika
so gesunken ist. Wir müssen uns anschauen, welche
Gründe es dafür gibt. Wenn wir diese kennen, können
wir uns auch überlegen, was wir anders machen müssen
und auf welche Punkte wir unsere Entwicklungszusam-
menarbeit in der Zukunft konzentrieren.

Es sind ganz gravierende Mängel bei der Ausübung
der Regierungsgewalt durch die Herrschenden in fast
allen Ländern Lateinamerikas festzustellen. Da wird hin-
genommen, dass es in vielen dieser Länder keine rechts-
staatlichen Verhältnisse mehr gibt, dass die Menschen-
rechte nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen und
dass viele Menschen, nämlich die große Masse der Be-
völkerung, immer ärmer werden. Wenn die große Masse
der Bevölkerung immer ärmer wird, dann muss es auch
angesichts der zunehmenden Kriminalität das wichtigste
Ziel für uns sein, ihnen soziales Fortkommen und Bil-
dung zu ermöglichen. Es müssen ihnen also Perspekti-
ven für das Weiterkommen und damit für ihr Leben und
das ihrer Kinder aufgezeigt werden.

Am meisten benachteiligt sind – auch darauf haben
Sie hingewiesen; das sehe ich genauso – die indigenen
Völker in Lateinamerika, also die Urbevölkerung etwa
in Bolivien, in Guatemala oder in Ecuador. Aber auch in
vielen anderen Ländern ist der Anteil dieser Völker an
der Gesamtbevölkerung noch sehr groß. Angesichts die-
ser Analyse sollte man überlegen, ob es noch richtig ist,
mit so prosperierenden bzw. reichen Ländern wie Brasi-
lien oder Venezuela eine Entwicklungszusammenarbeit
zu betreiben, die allgemeine Unterstützung gewährt,
oder ob man nicht besser neue Prioritäten setzen bzw.
schon vorhandene Schwerpunkte noch stärker betonen
sollte.

Deshalb kann die Lösung nur sein, dass wir unsere
Entwicklungszusammenarbeit in möglichst allen Län-
dern Lateinamerikas darauf konzentrieren, rechtsstaatli-
che Verhältnisse zu sichern. Wir müssen dafür eintreten,
dass die Menschenrechte für alle garantiert sind. Ich be-
ziehe ausdrücklich Kolumbien und Venezuela ein. Wir
müssen den indigenen Völkern endlich die Rechte ge-
ben, die in der IAO-Konvention Nr. 169 enthalten sind.
Die Rechte dieser Völker müssen anerkannt werden und
ihre Partizipation am gesellschaftlichen Leben muss ge-
währleistet sein. Das alles ist bisher nicht der Fall.

Der letzte und wichtigste Punkt ist, dass wir den Herr-
schenden dort, mit denen wir und unsere Regierung re-
den, klar machen, dass ohne die Verwirklichung einer
durchgreifenden Landreform in nahezu allen Ländern
Lateinamerikas eine Veränderung der Verhältnisse nicht
möglich ist. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir die
wirtschaftlich starken Länder Lateinamerikas, die hohe
Wachstumsraten aufweisen, als Schwellenländer aus der
normalen Entwicklungszusammenarbeit herausnehmen.
Wir sollten uns auf Fragen wie Ökologie, Menschen-
rechte, Landreform und indigene Völker konzentrieren.
Das scheint mir einer der richtigen Wege zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das tun wir bereits! Was erzählen Sie denn da!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515120400

Das Wort hat die Kollegin Claudia Nolte, CDU/CSU-

Fraktion.

Claudia Nolte (CDU):
Rede ID: ID1515120500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zur Situation in Lateinamerika ist in dieser Debatte
schon einiges gesagt worden. Ich denke, in der Beurtei-
lung der kritischen Tendenzen sind wir uns einig.

Herr Kollege Ströbele, es tut mir Leid, aber ich muss
sagen, dass wir in Bezug auf Venezuela eine völlig ver-
schiedene Wahrnehmung haben.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja!)

Hoffentlich müssen wir Sie nicht so verstehen, dass es
für Venezuela ein Segen ist, dass Hugo Chávez immer
noch im Amt ist. Denn er ist meilenweit davon entfernt,
ein Demokrat zu sein oder ein Interesse für die Entwick-
lung seines Landes zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Die Opposition dort aber auch!)


Wenn Sie in den letzten Debatten genau zugehört hät-
ten, dann wüssten Sie – das ist auch in unseren Anträgen
immer deutlich geworden –, dass auch wir darauf hinge-
wiesen haben, dass Hugo Chávez deshalb an die Macht
gekommen ist, weil die politischen Eliten versagt haben.
Diese Tatsache haben wir nie verschwiegen. Außerdem
haben wir immer deutlich gemacht, Herr Ströbele, dass
wir die demokratische Opposition unterstützen. Darum






(A) (C)



(B) (D)


Claudia Nolte

geht es uns. Ich denke, wir haben, was unsere Kritik an
Hugo Chávez und unsere Unterstützung der demokrati-
schen Opposition angeht, nichts zu korrigieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben diesen umfassenden Antrag gestellt, weil

wir in dieser Situation nicht einfach nur zuschauen dür-
fen. Wir müssen uns vielmehr fragen, wie wir zu einer
guten Entwicklung in Lateinamerika beitragen können.
Vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass die stra-
tegische Partnerschaft, die die Bundesregierung und
die Europäische Union proklamiert haben, mit Leben er-
füllt wird.

Unser Eindruck ist aber, dass Lateinamerika im politi-
schen und im kulturellen Bereich, aber auch in vielen an-
deren Bereichen keinerlei Priorität genießt, obwohl es
genug Handlungsfelder gibt, in denen wir zusammen-
arbeiten und über strategische Fragen miteinander spre-
chen müssen. Ich nenne beispielsweise die Themen Si-
cherheit, Bekämpfung des internationalen Terrorismus,
gerechte Weltwirtschaft, WTO, Multilateralismus und
Umweltpolitik.


(Lothar Mark [SPD]: Da wird sehr eng zusammengearbeitet!)


Aber wir gehen nicht strategisch vor. Lieber Herr
Kollege, wenn es eines Beispiels dafür bedarf, wie
sich die Bundesregierung in dieser Angelegenheit ver-
hält, dann kann man ihre Position zu einem Sitz im
UN-Sicherheitsrat anführen. In Bezug auf Afrika wird
ganz klar gesagt: Die Afrikaner sollen das unter sich aus-
machen; da können wir schlecht eine Auswahl treffen.
Warum ist das in Bezug auf Lateinamerika nicht auch
der Fall? Natürlich haben wir unsere Partner dort vor den
Kopf gestoßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn der mexikanische Außenminister unseren Kol-

legen sagt, dass man sich wohl andere Freunde in
Europa suchen müsse, dann ist das für uns ein deutliches
Zeichen, dass wir hier vollkommen falsch agiert und
diese Länder vor den Kopf gestoßen haben. Das wird
uns bei einer Vertiefung der Partnerschaft sicherlich
nicht helfen.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Ein wichtiger Bereich, in den wir mehr investieren
sollten – hier können wir wirklich viel tun –, ist in der
Tat all das, was mit Kultur, mit Austausch und der Zu-
sammenarbeit in Wissenschaft und Forschung sowie
mit dem Studentenaustausch zu tun hat.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: So ist es!)


Lieber Lothar Mark, deine Wahrnehmung vermag ich
nicht zu teilen. Wenn du die Länder besuchst, bekommst
du doch mit, wie die Goethe-Institute ausgestattet sind,
dass die deutschen Schulen Schwierigkeiten haben, die
Auslandsvertretungen ausgedünnt werden usw.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Natürlich gibt es auch ein paar gute Beispiele. Ich
konnte mir vor einiger Zeit in Santiago das Heidelberg
Center anschauen. Das Land Baden-Württemberg hat
hier sehr wohl einen Schwerpunkt gesetzt. Das können
auch andere Länder tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Diese pauschale Verurteilung stimmt nicht!)


Ich habe gern zur Kenntnis genommen, lieber Lothar
Mark, dass wir zusammen mit dir und, wie ich hoffe,
deiner Fraktion – ihr habt ja die Mehrheit im Haushalts-
ausschuss, was sehr günstig ist –


(Lothar Mark [SPD]: Deshalb haben wir vieles umgesetzt!)


das Deutsche-Welle-Programm erhalten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich hoffe, dass ihr euch – hoffentlich auch die Grünen –
dafür stark macht; denn man braucht nicht zu erläutern,
warum ein Fernsehprogramm mit Untertiteln auf einem
Subkontinent, auf dem sehr viele Menschen nicht lesen
können, nichts taugt. Natürlich brauchen wir das spa-
nischsprachige Programm – und das auch aus einem an-
deren Grund: Dabei geht es zwar auch um den Kultur-
austausch, um das gegenseitige Kennenlernen und
darum, füreinander Verständnis zu entwickeln. Solche
kulturellen Erfahrungen und Austausche dienen aber
doch vor allen Dingen auch der Wertevermittlung. Durch
eigene Anschauung, dadurch, dass junge Leute eine Zeit
lang hier bei uns sein können, kann die Demokratie ver-
mittelt werden. Das ist ein wichtiger Beitrag, den wir lie-
fern können und liefern müssen. Da haben unsere Stif-
tungen in den 40 Jahren, in denen sie inzwischen in
Lateinamerika arbeiten, großartige Arbeit geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich als Haushaltspolitikerin verstehe nicht ganz, dass
man sagen kann: Die Mittel sind eigentlich nicht gekürzt
worden. Aber die Welt hat sich doch verändert; die Auf-
gaben sind doch um ein Erhebliches mehr geworden.


(Lothar Mark [SPD]: Dann muss man das aber auch in anderen Politikfeldern gelten lassen! Man kann das doch nicht so selektiv beurteilen!)


Wenn ich sehe, welche Aufgaben die Stiftungen in Ost-
europa jetzt wahrnehmen – sie nehmen sie zu Recht
wahr; das ist entscheidend und wichtig –, dann komme
ich zu dem Ergebnis, dass man die Mittelausstattung der
Stiftungen den neuen Herausforderungen und Aufgaben
anpassen muss, lieber Lothar Mark. Die Stiftungen brau-
chen einfach ein bisschen mehr Unterstützung und mehr
Hilfe. Dann können wir dort mehr tun und einen wichti-
gen Beitrag zur Demokratieförderung leisten. In diesem
Sinne, liebe Bundesregierung:


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Die sollte vor allem da sein!)







(A) (C)



(B) (D)


Claudia Nolte

Machen Sie mehr mit diesem strategischen Partner!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515120600

Das Wort hat der Kollege Sascha Raabe, SPD-Frak-

tion.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1515120700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bezie-
hungen zu Lateinamerika sind ohne eine Betrachtung der
handelspolitischen Verflechtungen nicht denkbar. Der
WTO-Gipfel in Cancun ist gescheitert. Viele Redner ha-
ben angesprochen, dass auch das EU-Mercosur-Assozi-
ierungsabkommen vertagt worden ist.

Die Fälle gleichen sich: Lateinamerikanische Staaten
fordern von uns ein Ende unseres Agrarexportdumpings
und bessere Absatzmöglichkeiten für ihre landwirt-
schaftlichen Produkte. Denn eigentlich haben sie uns ge-
genüber meist einen komparativen Vorteil: Fruchtbare
Böden, traumhafte Klimabedingungen sowie günstige
Produktionskosten prädestinieren den Subkontinent zu
einem idealen Erzeuger und Lieferanten für Agrar-
produkte. Das Gute dabei ist, dass der Agrarsektor an-
ders als die Bodenschätze eine erneuerbare Ressource ist
und somit eine langfristige wirtschaftliche Entwick-
lungsperspektive bietet.

Wenn wir von den lateinamerikanischen Staaten for-
dern, ihre Märkte für unsere Waren und Dienstleistungen
zu öffnen, müssen wir das umgekehrt auch tun, und zwar
gerade in den Sektoren, in denen sie uns überlegen sind.
Es ist unsere Verantwortung und in unserem eigenen In-
teresse, alles in unserer Kraft Liegende zu tun, damit die
Globalisierung gerecht gestaltet wird.

Wir als SPD-Fraktion haben in dieser Woche einen
wichtigen Schritt für Lateinamerika getan. Wir haben am
Dienstag in unserer Fraktion ein Positionspapier zur Re-
form des europäischen Zuckermarktes beschlossen, auf
das ich sehr stolz bin. Ich bin glücklich darüber, dass wir
den Mut haben, über unsere deutschen Grenzen hinaus-
zublicken, und wir im Gegensatz zu Ihnen den Weitblick
haben, zu erkennen, dass Verantwortung nicht beim
deutschen Zuckerrübenbauern endet. Denn die Latein-
amerikaner wollen und brauchen keine wohlfeile Rheto-
rik oder blumige Prosa, wie sie teilweise im Antrag der
CDU/CSU vorkommt.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Ihr unterstützt das Großkapital Brasiliens! – Claudia Nolte [CDU/CSU]: Wie stellt ihr sicher, dass auch die Kleinen davon profitieren?)


So zitiere ich Ihre Forderung 15. Hier fordern Sie die
Bundesregierung auf, dass „die internationale Handels-
politik stärker … entwicklungspolitischen Überlegungen
… Rechnung“ trägt. Weiterhin sollen „ländliche Bevöl-
kerungsgruppen … dabei unterstützt werden, statt Dro-
genpflanzen“ andere Agrarprodukte anzubauen.
Ist Ihnen beim Schreiben dieses Antrags eigentlich
einmal in den Sinn gekommen, dass auch Zuckerrohr ein
solches Agrarprodukt ist, von dem zum Beispiel in Bra-
silien ganze Bevölkerungsschichten leben? Schmücken
Sie sich nicht mit solchen Globalisierungsphrasen, so-
lange Ihre Bauernlobby gegen die Überwindung dieser
internationalen Ungerechtigkeit ankämpft, als wäre es
ihr letzter Kampf!


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das werden die Landwirte bei uns gern hören!)


Es geht uns nicht nur um Zucker. Auch Bananen, Baum-
wolle und Soja sind Produkte, die vor allem in Entwick-
lungsländern und auch in Lateinamerika hergestellt wer-
den.

Anfang Januar hat die Weltbank eine Studie herausge-
bracht, die zu folgendem Fazit kommt: Wenn die Indus-
trieländer ihr Agrarexportdumping stoppten und ihre
Märkte für Agrarprodukte öffneten, könnten Entwick-
lungs- und Schwellenländer gut von der Landwirtschaft
leben und ihre Produkte exportieren. Diese Studie – le-
sen Sie sie einmal in Ruhe – bestätigt, was alle Experten
seit Jahren sagen: Die beste Entwicklungszusammenar-
beit ist und bleibt ein gerechter Handel.


(Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: Ein gerechter Handel, einverstanden!)


Bei der CDU finden sich diese Erkenntnisse leider
immer nur in den entwicklungspolitischen Anträgen
wieder, zum Teil auch wieder in der Rhetorik dieses An-
trags. Wenn es aber um die echten handelspolitischen
Entscheidungen geht, ist davon keine Rede mehr. An den
beschämenden Auftritten der CDU-Kollegen bei der De-
batte um die Reform der europäischen Agrarpolitik oder
eben zur Zuckermarktordnung wurde deutlich, dass Sie
von Kohärenz noch nie etwas gehört haben.

Wenn Cancun ein Gutes gebracht hat, dann ist es ein
neues Selbstverständnis bei den Entwicklungs- und
Schwellenländern. Der G 20 gehörten acht lateinameri-
kanische Länder an. Diese Gruppe führte durch ihr
selbstbewusstes Auftreten der internationalen Staatenge-
meinschaft vor Augen, dass auf dem diplomatischen
Parkett ein neues Zeitalter beginnen muss. Alle Länder
dieser Welt haben ein Mitspracherecht, sei es bei Ver-
handlungen über den internationalen Handel in der
WTO, sei es zu Fragen über Krieg und Frieden im UN-
Sicherheitsrat. Wir sollten dies nicht als Bedrohung, son-
dern als Chance begreifen.

Unsere Entwicklungszusammenarbeit unterschei-
det zwischen Ankerländern, Kooperationsländern und
Schwerpunktländern. Das Ankerländerkonzept des BMZ
enthält im Hinblick auf die Entwicklung Brasiliens, Ar-
gentiniens und Mexikos einen anderen Ansatz, als er für
Schwerpunktländer besteht, in denen bittere Armut
herrscht. Für Länder wie Bolivien, Peru, Nicaragua,
El Salvador und Honduras sind andere Formen der Ent-
wicklungszusammenarbeit erforderlich als etwa in Bra-
silien, wo es um den Schutz der grünen Lunge dieser
Erde, des Amazonaswaldes, geht. Das PTG-7-Pro-
gramm, in dem wir sehr aktiv sind, ist ein vorbildliches






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sascha Raabe

Projekt, das wir gern fortführen. Hierüber gibt es, wie
ich glaube, keinen Dissens.

Meine Damen und Herren, die letzten Meldungen
über Wirtschaftsdaten geben Anlass zu Hoffnung. Wir
sollten diese Länder ermutigen, die Entwicklung auch
dazu zu nutzen, die Korruption zu bekämpfen sowie ef-
fektive Steuergesetzgebungen und soziale Sicherungs-
systeme aufzubauen.


(Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD])

Es ist schön, dass sich die gerade gegründete Südameri-
kanische Union am europäischen Sozialstaatsmodell ori-
entieren will.

Wir möchten mit den Menschen in Lateinamerika
weiterhin für eine gemeinsame Entwicklung arbeiten.
Eine Entwicklung in Zeiten der Globalisierung muss
partnerschaftlich stattfinden. Das heißt, politisch und
wirtschaftlich fair zu kooperieren und Hand in Hand in
beiderseitigem Interesse voranzukommen, denn einen
Tango tanzt man schließlich auch nur zu zweit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515120800

Das Wort hat Herr Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-

Fraktion.


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1515120900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist gut, dass wir einmal eine Debatte über die gesamte
Lateinamerikapolitik Deutschlands führen. Ich zweifle
in keiner Weise an der Redlichkeit des Engagements der
Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen,
die sich mit Lateinamerika befassen.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Das sind ja nicht so viele!)


Aber Fakt ist eben, dass die Politik der Bundesregierung
Lateinamerika schleichend, aber konsequent aufs politi-
sche Abstellgleis schiebt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Das stimmt nicht! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dies steht in Ihrem Antrag schon falsch! – Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Was soll denn der Quatsch jetzt wieder?)


– Man sieht es einfach, wenn man die Fakten zusam-
menfasst.

Der Anteil des lateinamerikanischen und karibischen
Raumes an der weltweiten öffentlichen Entwicklungs-
zusammenarbeit Deutschlands ist seit 1998 rückläufig.
Für Rot-Grün ist Lateinamerika mehr oder minder zu ei-
nem entwicklungspolitischen Steinbruch geworden. Ein
Land nach dem anderen wird von der Kooperationsliste
gestrichen, zuerst Argentinien und Uruguay. Jetzt disku-
tiert man bereits über Paraguay und Chile. Bei allem
Verständnis dafür, dass eine Konzentration in der Ent-
wicklungszusammenarbeit notwendig ist: Sie stellen
aber noch nicht einmal die notwendige Flexibilität her,
um auf Krisen reagieren zu können. Zumindest auf die
Argentinienkrise hätte man reagieren müssen; das ist bis
zum heutigen Tag unterblieben.


(Lothar Mark [SPD]: Das war kein Problem der Entwicklungszusammenarbeit!)


Auch die von Herrn Dr. Raabe erwähnte Liste der An-
kerländer des BMZ bleibt Schall und Rauch. Konse-
quenzen daraus werden für Lateinamerika nicht gezo-
gen.

Auch das Versprechen, dass man die Länder, die aus
der direkten Entwicklungskooperation ausgeschlossen
wurden, wenigstens an regionalen Projekten beteiligt,
wird zunehmend nicht eingelöst. Herr Ströbele, Sie ha-
ben gerade auf die Bedeutung der Ökologie in Südame-
rika hingewiesen. Jüngst ist im Grand Chaco, einem be-
sonders sensiblen Gebiet, an dem Argentinien, Bolivien
und Paraguay partizipieren, ein Projekt storniert worden.

Es ist auch auf die auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik hingewiesen worden. Wir mussten Goethe-
Institute schließen. Das spanischsprachige Fernsehpro-
gramm der Deutschen Welle soll nach der Aufgabe des
Radioprogramms ebenfalls eingestellt werden. Ich be-
grüße, dass sich Kollege Lothar Mark so deutlich für die
Beibehaltung dieses Programms ausgesprochen hat. Da
es hierbei um ein Staatsunternehmen geht, gehe ich da-
von aus, dass diesen klaren Worten von Mitgliedern der
Regierungskoalition Taten folgen. Wir warten darauf.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das hat bei China auch keine Folgen gehabt! Das wird nichts!)


Meine Damen und Herren, selbstverständlich setzen
auch wir seitens der CDU/CSU darauf, dass die Europäi-
sche Union mit den regionalen Zusammenschlüssen La-
teinamerikas Assoziierungs- und Freihandelsabkommen
abschließt; denn wir wollen die regionale Integration
fördern. Fakt aber ist, dass es bis zum heutigen Tag zu
keinem einzigen Abkommen mit einem regionalen Zu-
sammenschluss gekommen ist.


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir hegen zwar die Hoffnung, dass die Mercosur-Ver-
handlungen mit der EU in diesem Jahr zu Ende gebracht
werden. Wenn sich aber die Hoffnung auf Abschlüsse
von Abkommen mit regionalen Zusammenschlüssen in
Lateinamerika letztlich nur als ein Vertrösten und Ver-
schieben mit ungewisser Zukunft erweist, warum schlie-
ßen wir dann nicht mit den Ländern, die dazu bereit, wil-
lens und in der Lage sind, bilaterale EU-
Assoziierungsabkommen ab?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lothar Mark [SPD]: Da die Kooperation nicht gefördert wird!)


Selbstverständlich unterstützen auch wir, die CDU/
CSU, dass Lateinamerika insbesondere mit seinen Pro-
dukten aus dem Agrarsektor mehr Chancen auf dem
Weltmarkt erhält.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sagen Sie das Ihren Kollegen!)







(A) (C)



(B) (D)


Peter Weiß (Emmendingen)


Wenn aber die Marktzulassung lateinamerikanischer
Agrarprodukte in Europa und anderswo auf der Welt und
die Absenkung der Handelsschranken nur dazu führen,
dass durch den großflächigen Sojaanbau in Argentinien
die Kleinbauern marginalisiert und verdrängt werden,
nur wenige Großgrundbesitzer davon profitieren und die
Ärmsten der Armen nichts davon haben,


(Claudia Nolte [CDU/CSU]: So ist es! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)


wenn in Brasilien der großflächige Zuckerrohranbau die
gleiche Wirkung hat und zudem die von Ihnen zu Recht
erwähnten ökologischen Lungen wie das Amazonasge-
biet weiter abgeholzt werden, dann ist niemandem bei
uns und erst recht niemandem von den Armen in Latein-
amerika geholfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir brauchen also eine verstärkte Entwicklungszusam-
menarbeit mit Lateinamerika, um die notwendigen
Strukturreformen auf dem Agrarsektor zu unterstützen
und voranzubringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man
die Frage beantworten will, ob wir mehr oder weniger
mit Lateinamerika zusammenarbeiten müssen, muss
man eine Tatsache berücksichtigen: Wir Europäer kön-
nen in einer globalisierten Welt nur dann wirtschaftliche
und politische Entwicklungen aktiv mitgestalten, wenn
wir Freunde in der Welt haben. Mit Lateinamerika ver-
bindet uns eine Wertegemeinschaft. Dadurch sind wir
mit Lateinamerika mehr verbunden als mit vielen ande-
ren Regionen dieser Welt. Ich finde, das Thema Werte-
gemeinschaft ist nicht nur etwas für Sonntagsreden. Es
hat eine reale Grundlage.


(Lothar Mark [SPD]: Das ist richtig!)

Deswegen sollten wir, wenn wir die Globalisierung mit
denen gestalten wollen, die sich von gleichen Wertevor-
stellungen leiten lassen, unsere Zusammenarbeit mit La-
teinamerika wieder in das Zentrum deutscher Außen-,
Sicherheits- und Entwicklungspolitik stellen. Es muss
Schluss sein mit der um sich greifenden Lateinamerika-
Ignoranz in Deutschland. Wir brauchen einen entschie-
denen Aufbruch für eine neue strategische Partnerschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515121000

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/4388 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 8 b: Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 15/3840 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäi-
schen Union, Lateinamerika und der Karibik“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3205
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei
Enthaltung von CDU/CSU und FDP angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Bundes-
rechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2004

(einschließlich der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 2003)

– Drucksache 15/4200 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Gerhard Rübenkönig, SPD-Fraktion.


Gerhard Rübenkönig (SPD):
Rede ID: ID1515121100

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Der Deutsche Bundestag berät heute auf Ihren
Wunsch, meine Damen und Herren von der Opposition,


(Jürgen Koppelin [FDP]: Stimmt nicht!)

in erster Lesung die Bemerkungen des Bundesrech-
nungshofes 2004 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
rung. Ich denke, das ist ein sehr ungewöhnlicher Vor-
gang. Die Praxis in den vergangenen Jahren war eine
andere. Dennoch ist der Wunsch der Opposition für mich
ein legitimes, wenn auch wohl eher von wahlkampftak-
tischen Motiven bestimmtes Ansinnen. Sachliche
Gründe für die Aufgabe der so lange von allen Frak-
tionen getragenen Praxis erkenne ich nicht. Ich denke,
auch der späte Abend und die zeitliche Nähe zum Staats-
akt hätten einen Verzicht auf die Debatte nahe gelegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Das hättet ihr euch gerne gewünscht! Das kann ich verstehen!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Bundes-
rechnungshof ist ein zentrales Element unserer Finanz-
ordnung, um die Kostenverantwortung in der Verwal-
tung zu schärfen, persönliches Fehlverhalten und
strukturelle Defizite aufzuspüren sowie Vorschläge für
schlanke und effiziente Organisationsstrukturen zu ma-
chen. Betriebswirtschaftliches Denken und Handeln
müssen nach meiner festen Überzeugung zu bestimmen-






(A) (C)



(B) (D)


Gerhard Rübenkönig

den Faktoren und Grundlagen exekutiven Handelns wer-
den.

Dass dies leider nicht immer der Fall ist, zeigen die
Bemerkungen 2004. Nach dem Bericht des Bundesrech-
nungshofes belaufen sich die einmaligen Ausgaben-
minderungen und Einnahmensteigerungen, die in den
57 Bemerkungen beschrieben werden, auf knapp
2,4 Milliarden Euro zuzüglich eines jährlich realisierba-
ren Potenzials von 800 Millionen Euro. Wegen der nur
ausschnittsweisen Prüfung des Haushaltes muss ich da-
von ausgehen, dass die tatsächlichen Spar- oder Ein-
nahmemöglichkeiten im Bund und, so denke ich, auch
in den Ländern noch um einiges höher sein dürften.

Die Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen,
dass es zu Fehlern quer durch alle Ministerien gekommen
ist, es aber keine Konzentration von Defiziten, Nachläs-
sigkeiten und fehlender Personalaufsicht und -führung in
einzelnen Häusern gibt. Wichtig ist mir auch, festzuhal-
ten, dass die Fehlerbeschreibungen des Bundesrech-
nungshofes nicht verallgemeinert und auf die gesamte
Verwaltung übertragen werden dürfen; denn die Bundes-
verwaltung – so der Präsident des Bundesrechnungsho-
fes, Herr Professor Engels – arbeitet im Großen und Gan-
zen gut, dies gilt gerade auch im internationalen
Vergleich.

Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kolle-
gen, der Präsident des Bundesrechnungshofes hat wie
die Vorgänger in den Jahren zuvor die Präsentation der
Bemerkungen am 16. November 2004 zum Anlass ge-
nommen, auch auf die dramatische Finanzlage des Bun-
des hinzuweisen.

In der Tat ist die Haushalts- und Verschuldungs-
situation des Bundes – Gleiches gilt auch für die Län-
der; auch für die von Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, regierten Länder – sehr angespannt.
Ich will nur einige Stichworte nennen: die hohe Staats-
verschuldung, die Schuldenlast, die in den nächsten Jah-
ren und Jahrzehnten auf die Haushalte zukommt, die Be-
lastungen durch die Pensionszahlungen an die Beamten,
die hohen Ausgaben für die gesetzliche Rentenversiche-
rung, die demographische Entwicklung insgesamt, die
finanziellen Belastungen durch die deutsche Einheit


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das musste mal wieder gesagt werden!)


und die Globalisierung mit der damit einhergehenden
ökonomischen Konkurrenz sowie dem Steuerwettbe-
werb.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Immer die anderen!)


Für mich besteht – das ist unbestritten – ein massiver
Handlungsdruck, den Haushalt zu konsolidieren, die
Neuverschuldung auf null zurückzuführen,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: 2006 wollten wir so weit sein!)


zur Aufgabenkritik und zur Konzentration der staatli-
chen Leistungen auf die wesentlichen und zukunftsfähi-
gen Aufgabenfelder. Vor diesem Hintergrund bedauere
ich die hohe Neuverschuldung im Jahre 2004 sehr. Es ist
richtig, dass sie, wie ursprünglich geplant war, niedriger
sein sollte.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das war gar nichts! Das war planlos!)


Aber aufgrund der sehr schwierigen ökonomischen Rah-
menbedingungen und der Störung des gesamtwirtschaft-
lichen Gleichgewichts müssen wir das akzeptieren.

Dennoch handelt es sich nicht – das sei festgestellt –
um die höchste Neuverschuldung, die jemals in einem
Jahr zu verzeichnen war. Diese gab es bereits im Jahre
1996. Damals betrug sie 40,1 Milliarden Euro.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das musste auch mal wieder gesagt werden! – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Nach den Maastricht-Kriterien haben Sie 53 Milliarden Euro! Das ist wohl der absolute Rekord!)


Das war zu Ihrer Regierungszeit, als noch Ihr Kollege,
Finanzminister Waigel, im Amt war. Auch muss ich fest-
halten, dass es diese Bundesregierung war, die seit 1998,
dem Jahr ihrer Regierungsübernahme, auf der Aus-
gabenseite des Haushalts 25 Milliarden Euro eingespart
hat.


(Otto Fricke [FDP]: Das hilft auch nicht!)

Ebenfalls war es diese Regierung, die durch ihre weit
reichenden Reformen im Bereich der Kranken-, Renten-
und Arbeitslosenversicherung und durch die Hartz-Ge-
setze – darüber haben wir hier lange diskutiert – wich-
tige strukturelle Konsolidierungsschritte durchgeführt
hat, die mittel- und langfristig eine haushaltspolitische
Entlastungswirkung haben werden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ganz besonders die Hartz-Gesetze! Da ist doch nichts gekommen!)


Ich denke, auch hier sind wir an die Grenzen dessen ge-
gangen, was der Gesellschaft zumutbar ist.

Des Weiteren war es diese Regierung, die mit dem
Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und dem
Haushaltsbegleitgesetz 2004 ein umfangreiches und en-
gagiertes Programm zum Subventionsabbau in einer
Größenordnung von über 25 Milliarden Euro aufgelegt
hat,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das meiste haben wir mitgemacht! Trotzdem hat es nichts gebracht!)


von denen das Bundesfinanzministerium – Herr
Fromme! –, weil die Opposition dieses Programm im
Bundesrat und im Vermittlungsausschuss abgelehnt hat,
nicht einmal ein Drittel, nämlich circa 8,6 Milliarden
Euro, erhalten hat.

Keines der von mir genannten Haushaltsprobleme ist
wirklich neu. Die hohe Staatsverschuldung ist in
40 Jahren von allen Fraktionen dieses Hauses aufgebaut
worden. Die Diskussionen über die fiskalischen Konse-
quenzen der demographischen Entwicklung und der
Pensionslasten sind ebenfalls alt, wie auch die hohen






(A) (C)



(B) (D)


Gerhard Rübenkönig

Arbeitslosenzahlen schon in Ihrer Regierungszeit die Ar-
beitsmarktlage beschrieben haben.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wollte nicht jemand die Arbeitslosigkeit halbieren? – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Fünfmal haben Sie das versprochen!)


Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion: Warum haben Sie in Ihrer Regierungszeit nichts un-
ternommen, um die Staatsverschuldung zurückzuführen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Endlich sind Sie aufgewacht!)


Allein von 1990 bis 1998 hat sie sich auf 1,4 Billio-
nen DM – das entspricht 745 Milliarden Euro – mehr als
verdoppelt.


(Zuruf von der CDU/CSU: In den 70er-Jahren hat sie sich sogar versechsfacht!)


Das muss man sich einmal vor Augen führen. Neulich
habe ich in einer Schulklasse die Zahl 1,4 Billionen an
die Wand schreiben lassen und den Schülern gesagt:
Diese Zahl beziffert die Höhe der Staatsverschuldung,
die uns unsere Vorgängerregierung überlassen hat.


(Otto Fricke [FDP]: Wie viele Einsparvorschläge haben wir denn gemacht?)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP,
Sie waren es, die allen seriösen Berechnungen und Pla-
nungen zum Trotz erst blühende Landschaften – quasi
zum Nulltarif – versprachen und dann einen gewaltigen
Schuldenberg auftürmten, einen bunten Strauß von Ne-
benhaushalten schufen, die Sozialversicherungssys-
teme mit einem großen Teil der Kosten der Wiederverei-
nigung belasteten und dann nicht in der Lage waren, die
notwendigen gesellschaftlichen Reformen zum Erhalt
der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisier-
ten Welt durchzuführen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ihr habt das nur zusammengefügt, damit ihr die Kreditaufnahme erhöhen könnt, das war doch keine ehrliche Absicht!)


Es ist das unbestrittene Recht der Opposition, die
Haushaltspolitik der Regierung zu kritisieren.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Die Pflicht!)

Aber so zu tun, als ob Sie an dem jetzigen Zustand un-
schuldig seien, das offenbart sich von selbst.


(Joachim Stünker [SPD]: Das ist die Katastrophe!)


Das wird auch von den Bürgerinnen und Bürgern in die-
sem Land so gesehen; das zeigen ja die Meinungsumfra-
gen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wer jede fünfte Mark über Kredite finanziert, der darf sich nicht aufspielen!)

Deswegen wird Herr Austermann sicherlich weiter unser
Kollege bleiben und nicht Finanzminister in Schleswig-
Holstein werden.

Der Appell des Rechnungshofs zur Sparsamkeit und
Schuldenrückführung richtet sich an beide Seiten des
Hauses und ist nicht für partei- und wahlkampftaktische
Spielchen geeignet. Gerade deshalb ist er auch eine drin-
gende Aufforderung an die Opposition, endlich ihre par-
teipolitisch motivierte Blockadepolitik im Bundesrat
gegen einen Subventionsabbau aufzugeben – im gesamt-
staatlichen Interesse von weniger Schulden und mehr
Bildungs- und Zukunftsinvestitionen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Wir sind nicht bei 1994 bis 1998!)


Ich kann Sie deshalb nur an das Angebot des Finanzmi-
nisters erinnern, ein gemeinsames Konzept von Bund
und Ländern zum weiteren Abbau von Steuervergünsti-
gungen zu erarbeiten und gemeinsam zu verabschieden.
Sie sollten dieses Angebot im Interesse dieses Landes
und seiner Zukunftsfähigkeit annehmen.

Ich komme zum Schluss. Der Rechnungsprüfungs-
ausschuss des Deutschen Bundestages wird unter mei-
nem Vorsitz in den kommenden Monaten jede einzelne
Bemerkung ausführlich, unvoreingenommen und zu-
sammen mit den Vertreterinnen und Vertretern der be-
troffenen Ministerien und des Bundesrechnungshofs
beraten und nach tragfähigen Lösungen und Verbesse-
rungen für die Zukunft suchen. Für den vorgelegten Be-
richt und die insgesamt geleistete Arbeit darf ich mich
im Namen – wie ich denke – aller Abgeordneten beim
Präsidenten des Bundesrechnungshofs und bei den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesrechnungs-
hofs ganz herzlich bedanken. Ich wünsche mir, dass wir
wie in den vergangenen Jahren auch dieses Jahr im
Rechnungsprüfungsausschuss wieder zu einer guten Zu-
sammenarbeit finden und zukunftsorientiert in weiten
Bereichen zu konsensualen Ergebnissen und Vorschlä-
gen kommen.

In diesem Sinne darf ich mich ganz herzlich bei Ihnen
bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515121200

Nächster Redner ist der Kollege Georg Schirmbeck,

CDU/CSU-Fraktion.

Georg Schirmbeck (CDU):
Rede ID: ID1515121300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kollege Rübenkönig, per Telefon ließ sich das ganz
leicht feststellen: Dass hier über diesen Punkt heute noch
diskutiert wird, war das Anliegen der Fraktionen, die die
Regierung tragen, also von SPD und den Grünen, ging
also nicht auf uns zurück. Dass wir zu einem so späten
Zeitpunkt diskutieren, liegt an dem Ablauf des heutigen
Tages; schließlich hatten wir heute noch den Staatsakt.
Im Übrigen ist es ja wohl so, dass die Kontrolle der Re-






(A) (C)



(B) (D)


Georg Schirmbeck

gierung die Pflicht des gesamten Parlaments ist, also
eine der wichtigsten Aufgaben, die wir gemeinsam
wahrzunehmen haben. Was hier Wahlkampf sein soll,
kann ich nicht erkennen; jedenfalls kann ich hier im
Raum keine Wahlkämpfer sehen.


(Lothar Mark [SPD]: Weil die alle im Wahlkampf sind!)


– Gut, jedenfalls bin ich kein Wahlkämpfer und die, die
hier diskutieren, sind auch keine Wahlkämpfer. Es geht
darum, die Kontrolle der Regierung durchzuführen. Da-
mit ist der Rechnungshof beauftragt worden, über dessen
Bericht wir heute zu sprechen haben.

Meine Damen und Herren, manches, was in unserem
Staat abläuft, was in unserem Parlament abläuft, können
sich die Bürger gar nicht einfach genug vorstellen: Alle
Einnahmeansätze sind geschönt, alle Ausgabenansätze
sind geschönt, alle volkswirtschaftlichen Daten werden
geschönt, Tafelsilber wird verhökert.

Ich sagen Ihnen: In den fast zweieinhalb Jahren, die
ich dem Haushaltsausschuss jetzt angehören darf, habe
ich gelernt, dass man sogar einiges verkaufen kann, von
dem ich das bis vor einigen Wochen noch nicht wusste.
Im Ergebnis zieht unser Staat, unsere Volkswirtschaft,
dabei immer den Kürzeren. Dies ist teuer für zukünftige
Haushalte und – das ist noch schlimmer – für zukünftige
Generationen. Als Beispiel nenne ich nur die Telekom-
Pensionen.

Die seit Jahren zu beobachtenden Einnahmelücken
in Milliardenhöhe sollten Anlass geben, bei den
Annahmen zur gesamtwirtschaftlichen Entwick-
lung mehr Zurückhaltung zu üben und die steuerli-
che Entwicklung in den Haushalts- und Finanzplä-
nen vorsichtiger einzuschätzen. Gegebenenfalls
sind in den Finanzplänen Planungsreserven zum
Ausgleich für mögliche Mindereinnahmen und
Mehrausgaben vorzusehen ... Nach dem neuen Fi-
nanzplan ist nicht mehr damit zu rechnen, dass der
Bundeshaushalt auf absehbare Zeit ohne Neuver-
schuldung ausgeglichen werden kann. Das noch im
Jahre 2003 erklärte Konsolidierungsziel eines ohne
Nettokreditaufnahme ausgeglichenen Bundeshaus-
halts ist damit in weite Ferne gerückt.

Das, was ich hier zitiert habe, haben wir in den Aus-
schüssen wiederholt gesagt. Ich habe aber nicht uns
selbst, sondern den Bundesrechnungshof zitiert. Ich füge
hinzu: Vielleicht haben Sie das Konsolidierungsziel,
ohne Nettokreditaufnahme hinzukommen, schon ganz
aufgegeben.

Es sollte Sie nachdenklich stimmen, dass der Bundes-
rechnungshof Ihnen das aufgeschrieben hat. Wenn wir
das sagen würden, dann würden Sie von Schwarzmalerei
sprechen und uns vorwerfen, uns mangelte es an Sach-
verstand. Notfalls halten Sie uns irgendwelche Dinge
vor, die in den 80er- oder Anfang der 90er-Jahre gelau-
fen sind.


(Lothar Mark [SPD]: Da haben Sie regiert! Es ist so!)

Dass Sie in der Zwischenzeit seit sechs Jahren regieren
und die Möglichkeit gehabt haben, die Weichen richtig
zu stellen, wird dabei natürlich verschwiegen.

Im Übrigen hilft es uns überhaupt nicht, dass wir uns
die einzelnen Fehler der Vergangenheit vorwerfen. Man
könnte auch sagen, dass die Verschuldung in den 70er-
Jahren versechsfacht worden ist. Was hilft es uns aber,
dass man das feststellt? Das ist mathematisch zwar rich-
tig, löst die Probleme der Zukunft aber überhaupt nicht.
Wir haben uns um diese Probleme zu kümmern.


(Lothar Mark [SPD]: Das, was Sie da sagen, stimmt überhaupt nicht! Von 1949 bis 1982 lag der Schuldenstand bei 300 Milliarden DM!)


– Lesen Sie das noch einmal nach, dann werden Sie die
richtigen Zahlen finden.

Man kann sich hier natürlich über Strategien streiten;
das muss auch geschehen. Wir sollten uns aber nicht
streiten, wenn Schlampereien oder handwerkliche Feh-
ler vorkommen, über die man eigentlich nur staunen
kann und die einen wütend machen können:

Es wurde beispielsweise bemängelt, dass das EG-Ver-
gaberecht nicht beachtet wurde. Ich kann dazu nur fest-
stellen: Das muss man in jeder Gemeindeverwaltung
können. Der Bund mit seinen Institutionen müsste das
also auch können.

Bei Gesetzesvorlagen fehlte eine sachgerechte Geset-
zesfolgenabschätzung. Auch das müsste eigentlich
selbstverständlich sein. Dass ein solcher Kritikpunkt hier
vorgetragen werden kann, ist ebenfalls nicht nachzuvoll-
ziehen.

Die Beauftragten für die Haushalte der Ressorts so-
wie die der nachgeordneten Dienststellen sorgen nicht
dafür, dass die Vorschriften und Grundsätze für die ord-
nungsgemäße Veranschlagung und Bewirtschaftung der
Haushaltsmittel beachtet werden. Auch darüber staunt
man; man kann sich das eigentlich gar nicht vorstellen.

Seit sechs Jahren arbeitet das Innenministerium an ei-
ner überfälligen Novellierung des Verwaltungskosten-
rechts mit der Folge erheblicher Einnahmeausfälle.
Wenn eine sparsame Bewirtschaftung erfolgen soll, dann
geht es eben nicht nur darum, die Ausgaben im Zaum zu
halten, sondern man muss auch zusehen, dass der Staat
seine Einnahmeansprüche tatsächlich verwirklichen
kann.

Bei den IT-Beschaffungen werden kostengünstige
Rahmenverträge nicht genutzt. Im Ergebnis führt das
dazu, dass wir Mehrausgaben in Millionenhöhe haben.
Ich nenne ein einzelnes Beispiel, das besonders plastisch
ist: Bildschirme sind dreimal so teuer wie im Handel.
Auf dem freien Markt sinken die Preise, für den Bund
steigen sie jährlich um 20 Prozent. Während hier das
Geld offensichtlich herausgeworfen wird, sagen wir, wir
hätten kein Geld und wüssten nicht, wie wir Kleinigkei-
ten finanzieren sollen, sodass wir an jeder Ecke und je-
dem Ende sparen müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Georg Schirmbeck

Die Rentenversicherungsträger und ihr Verband ha-

ben die Forderungen des Gesetzgebers nach einheitli-
chen Kosten- und Leistungsrechnungen seit 2001 nicht
erfüllt. Das ist nun wirklich Ihr Bereich. Hören Sie auf,
uns das vorzuwerfen! Vielleicht kommen Sie sogar auf
die Idee, dass auch das die Regierung Kohl zu verant-
worten hat.

Schlampereien bei Entwicklungen und Schulungen
der Bundeswehr führen zu Mehrausgaben im Millionen-
bereich und manchmal sogar dazu, dass Soldaten bei ih-
ren Einsätzen gefährdet werden. Im Übrigen ist es so,
dass man den Haushalt nicht über die Einnahmeseite,
sondern wesentlich über die Ausgabenseite sanieren
muss. Sparsamkeit, Solidität, Wahrheit und Klarheit sind
keine Sekundärtugenden, wie es in Ihrem Sprachge-
brauch heißt.

Auf manchen Seiten in diesem Bericht traut man sei-
nen Augen nicht. Man liest den Text zwei- oder dreimal
und glaubt es immer noch nicht. So heißt es in der
Bemerkung 15:

Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Er-
nährung und Landwirtschaft

– Bundesministerium! –
hat aus dem Bundesprogramm Ökologischer Land-
bau

– Bundesprogramm! –
in weitem Umfang Maßnahmen der Öffentlich-
keitsarbeit finanziert, um die politische Grundaus-
richtung der Bundesregierung darzustellen. Es hat
damit gegen Haushaltsrecht verstoßen.

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und uns hier Wahlkampf vorwerfen! So eine Scheinheiligkeit!)


Wenn wir diesen Einzelplan im Ausschuss beraten ha-
ben, habe ich das der Ministerin in den letzten Jahren
wiederholt vorgeworfen. Als Reaktion darauf werden
wir beschimpft und uns wird alles Mögliche an den Kopf
geworfen. Jetzt lesen wir es im Prüfungsbericht genau
so. So klar und deutlich hätten wir das gar nicht formu-
lieren können.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!)


Es geht hier nicht darum, einen Wirtschaftsbereich vo-
ranzubringen, sondern es ist reine Propaganda. An sach-
lichen Erfordernissen geht das voll vorbei. Auf der ande-
ren Seite beklagen wir, dass wir kein Geld haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe vorhin schon gesagt: Bei manchem kann

man sich gar nicht vorstellen, wie einfach das abläuft.
Wenn man den Haushalt 17 Stunden beraten hat, dann
kommt die magische Sekunde, wo plötzlich 10 Mil-
liarden Euro von einer Tasche in die andere verschoben
werden. So ist es auch bei der Jahresrechnung. Kurz vor
Jahresende wird getrickst, dass sich die Balken biegen.
Es geht darum, Ausgaben in Milliardenhöhe in die Fol-
gejahre zu verschieben und Einnahmen, beispielsweise
Privatisierungserlöse, schnell noch zu schöpfen, damit
man eine bestimmte Zahl erreicht – zum Beispiel um un-
ter der Schuldenaufnahme von 1996 zu bleiben. Es geht
dabei nicht um eine sachgerechte Politik, sondern offen-
sichtlich nur um das Trauma, bei der Schuldenauf-
nahme höher als 1996 zu liegen. Nur, eines sollten Sie
dabei sehen: 1996 ist es Finanzminister Waigel gelun-
gen, die Maastricht-Kriterien für die Folgejahre einzu-
halten. Davon sind Sie weit entfernt. Jedes Jahr stellen
Sie hier einen neuen Rekord auf.

Nur zur Erinnerung – vielleicht hört der eine oder an-
dere von Ihnen zu; aber vielleicht stört es auch nur, nach
dem Motto: Fakten machen mich nur nervös –: 2001 lag
das gesamtstaatliche Defizit bei 2,8 Prozent des Brutto-
inlandsprodukts, 2002 bei 3,7 Prozent, 2003 bei 3,8 Pro-
zent. Nach der vorläufigen Jahresrechnung liegt es 2004
bei 3,9 Prozent. Man muss sich schon davor fürchten,
welche Zahl wohl für 2005 stehen wird. Ich habe ein-
gangs davon gesprochen, dass alle von Ihnen genannten
Zahlen geschönt sind. Sie werden zurechtgebogen, wie
Sie es gerade gebrauchen können. Von Rechnen kann
man hier nicht mehr reden. Daher ist zu befürchten, dass
wir 2005 sogar die 4 Prozent erreichen werden. Das ist
für unsere Volkswirtschaft in Deutschland überhaupt
nicht gut.

Es hat einmal einen großen Nationalökonomen gege-
ben – für den hat er sich jedenfalls selber gehalten –, der
hieß Helmut Schmidt und war Bundeskanzler. Er hat uns
weismachen wollen, 5 Prozent Inflation seien besser als
5 Prozent Arbeitslosigkeit. Im Ergebnis hatten wir nach-
her beides. Was die Arbeitslosigkeit angeht, sind das
Zahlen, von denen wir heute nur träumen können. Auch
von dem, was Sie uns in diesem Zusammenhang wieder-
holt versprochen haben, sind wir meilenweit entfernt.
Die Arbeitslosigkeit liegt nicht bei 5 Prozent, sondern es
ist zu befürchten, dass wir in Deutschland 5 Millionen
Arbeitslose haben. Dafür tragen Sie, die Sie in den letz-
ten sechs Jahren Politik gemacht haben, die Verantwor-
tung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Schuldenpolitik, die Sie gemacht haben, führt

dazu, dass wir arm werden. Der Bundesbankpräsident
hat gestern deutlich gemacht: Schuldenpolitik macht auf
Dauer vor allen Dingen die Menschen in Deutschland
arm. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Dies auch im
Fachausschuss aufzuzeigen, wird unsere Aufgabe sein,
damit wir in Deutschland wieder eine bessere Regierung
bekommen.

Herzlichen Dank.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515121400

Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/

Die Grünen.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515121500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

will mich heute in meiner Rede auf einen Teil dieser
Drucksache beschränken, nämlich auf die Bemerkungen
des Bundesrechnungshofes 2004 zur Haushalts- und






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

Wirtschaftsführung. Daraus hat mein Vorredner einige
Punkte, die er für besonders kritikwürdig hält, angeführt.
Diese werden wir in den nächsten Monaten im Rech-
nungsprüfungsausschuss beraten. Die verschiedenen Ein-
zelpunkte will ich heute nicht streifen. Im Übrigen – Herr
Schirmbeck, Sie werden mir Recht geben – ist es im
Rechnungsprüfungsausschuss gewissermaßen Sitte, dass
nicht klassisch Regierungsfraktionen gegen die Opposi-
tionsfraktionen agieren, sondern weitgehend Einverneh-
men herrscht.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das habe ich doch auch gesagt!)


Ich wollte nur noch einmal daran erinnern – wir sind uns
darin einig –: In den Bereichen, in denen es auf der exe-
kutiven Ebene nicht gut läuft, sollten wir einvernehmlich
Veränderungen einfordern.

Ich will einen politisch brisanten Punkt ansprechen,
nämlich die Prüfung der Jahresrechnung 2003, die
ebenfalls Gegenstand dieser Berichterstattung ist. Dazu
möchte ich etwas allgemeiner auf die Haushaltslage ein-
gehen. Wir sind beim Haushaltsplan für 2003 mit einer
geplanten Nettokreditaufnahme von 18,9 Milliarden Euro
gestartet und bei einer wesentlich höheren Summe gelan-
det. Wir hatten nachher eine Nettokreditaufnahme von
38,6 Milliarden Euro. Auch für das Jahr 2004 hat sich
eine wesentliche Verschlechterung ergeben. Ich brauche
mich überhaupt nicht mit Ihnen darüber zu streiten – das
wäre auch nicht klug – dass die tatsächlichen Zahlen in
den Jahren 2002 bis 2004 jeweils deutlich schlechter wa-
ren als die Planzahlen. Dazu muss man die Anmerkun-
gen, die der Bundesrechnungshof macht, eingehend ana-
lysieren.

Wir kommen nicht umhin, uns zu fragen, worin diese
Differenz begründet liegt. Zur Beantwortung dieser
Frage möchte ich zuerst auf die Ausgabenseite und dann
auf die Einnahmenseite eingehen. Was ist bei der Ausga-
benseite passiert und welche Schlüsse sollten wir daraus
ziehen? Wir hatten insbesondere auf dem Arbeitsmarkt
Mehrausgaben und bei den Steuern Mindereinnahmen.
Sie haben auch angesprochen, dass wir die 3-Prozent-
Marke deutlich überschritten haben. Das steht in ganz
engem Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen
Performance. Wir waren weit von den Wachstumszahlen
entfernt, die prognostiziert waren. Das schlägt sich dann
drastisch im Haushalt nieder.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Vielleicht waren die Prognosen schon zu hoch!)


– Die Prognosen waren zu hoch. Deswegen sagt der
Bundesrechnungshof in seiner Stellungnahme:

Angesichts dieser negativen Erfahrungen sollten
die Steuereinnahmen künftig zurückhaltender ein-
geschätzt werden.

Dieser Forderung kann ich mich gut anschließen. Das ist
aber nicht allein eine Angelegenheit der Regierung.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Doch! Die Wachstumsvorgabe für die Prognose macht der Finanzminister!)

Da wird gemeinsam beraten, auch der Finanzplanungsrat
und die Länderseite spielen hier eine Rolle. Ich glaube,
wir sollten gemeinsam überlegen – das geht nicht, wenn
Opposition und Regierung im Streit liegen –, wie wir zu
einer belastbareren Zukunftsplanung kommen, die die
Ausgabenplanung zügelt. Das will ich hier zu bedenken
geben.

Ich will noch etwas zur Ausgabenentwicklung sa-
gen, weil daran eine ganze Menge in Bezug auf den poli-
tischen Wettbewerb und den Streit, den wir haben, fest-
gemacht werden kann. Der Bundesrechnungshof führt
insbesondere drei Bereiche an. Er nennt einmal die Ren-
tenversicherung und deren starke strukturelle Veranke-
rung im Haushalt. Da haben wir, was die Perspektive der
Rentenzahlung angeht, eine ganze Menge durch die Ver-
änderung des Nachhaltigkeitsfaktors erreicht. Das be-
trifft nicht nur den Haushalt, sondern auch die implizite
Verschuldung, die wir deutlich zurückgeführt haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie hätten mehr erreicht, wenn Sie es nicht rückgängig gemacht hätten!)


– Ja, aber was Sie bis 1998 beschlossen haben, hätte de-
finitiv nicht ausgereicht. Wir haben noch eine Schippe
draufgelegt, Herr Fromme. Das wissen Sie genauso.

Was aber richtig zu greifen beginnt, ist der nächste
Bereich, nämlich der der Arbeitsmarktausgaben. Dazu
will ich Ihnen deutlich sagen: Der Haushaltsabschluss
2004, der uns bereits vorliegt, weist aus, dass der Bun-
deszuschuss an die Bundesagentur für Arbeit 2 Milliar-
den Euro niedriger ist als im Jahr 2003. Das hängt mit
den Reformmaßnahmen zusammen, die diese Regierung
beschlossen hat.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber was haben Sie uns beschimpft, als wir das herunterfahren wollten!)


Sie haben im letzten Jahr sehr gewackelt, als es um
den Arbeitsmarkt ging. Das war auch gestern im Haus-
haltsausschuss wieder zu spüren. Was die Strukturen in
den starken Ausgabenbereichen Rentenversicherung und
Arbeitsmarkt angeht, möchte ich deutlich machen, dass
wir hier große Erfolge erzielen. Diese lösen zwar nicht
kurzfristig unser Haushaltsproblem –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515121600

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1515121700

– ich komme zum Schluss –, aber sollten langfristig

zum Maßstab dafür werden, wie wir unsere Politik zu
bewerten haben. In diesem Zusammenhang greife ich
die Bemerkungen des Bundesrechnungshofs gerne auf.
Er hat nämlich festgestellt:

Es bleibt abzuwarten, ob die eingeleiteten struktu-
rellen Reformmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt …
zu Entlastungen im Bundeshaushalt führen werden.






(A) (C)



(B) (D)


Anja Hajduk

Wir sind schon einen Schritt weitergekommen, auch

wenn wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Aber man
muss auf einem langen Weg Ausdauer zeigen. Insofern
verspreche ich mir einiges von unseren kritischen Bera-
tungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515121800

Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDP-

Fraktion.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1515121900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, und zwar
für die gute Zusammenarbeit im Rechnungsprüfungsaus-
schuss. Ich glaube, wer als Gast an einer Ausschusssit-
zung teilnimmt, könnte kaum feststellen, wer den Regie-
rungsfraktionen und wer der Opposition angehört. Es
geht in erster Linie sicherlich darum, darauf zu achten,
dass das Geld des Steuerzahlers verantwortungsvoll aus-
gegeben wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Insofern kann ich mich über die Zusammenarbeit nicht
beklagen.

Auch dem Bundesrechnungshof und seinem Präsi-
denten möchte ich meinen Dank aussprechen. Aber
auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen in der FDP-
Bundestagsfraktion möchte ich mich bedanken; denn ich
habe mit großer Freude festgestellt, dass der Bundes-
rechnungshof viele Anregungen vonseiten der FDP auf-
genommen hat. Der ökologische Landbau, der als Titel
im Einzelplan 10 aufgeführt ist, wurde gerade erwähnt.
Wir als Abgeordnete sind ein bisschen stolz darauf, dass
der Bundesrechnungshof unsere Anregungen aufgegrif-
fen hat.


(Beifall bei der FDP)

Man kann zwar über die Zeiten sprechen, in denen es

eine andere Regierung gab, Kollege Rübenkönig, aber
Sie verschweigen die Ausführungen des Bundesrech-
nungshofs völlig und verweisen nach sechs Jahren Re-
gierungszeit immer noch auf die alte Regierung, obwohl
Sie doch alles besser machen wollten. Ich zitiere eine
Pressemitteilung des Bundesrechnungshofs vom 16. No-
vember:

Eigentlich müsste es selbstverständlich sein, dass
der Bund in Zeiten knapper Kassen besonders ver-
antwortungsbewusst mit öffentlichen Mitteln um-
geht. Dass dies leider nicht so ist, zeigt unser Jah-
resbericht.

Das trifft allein auf das eine Jahr zu, das zu prüfen war –
und dieses fällt in die Verantwortung Ihrer Koalition.
Sie haben erlebt, wie engagiert wir in den Haushalts-
beratungen unsere Kürzungsanträge gestellt haben; le-
diglich im Bildungsbereich haben wir Steigerungen in
Höhe von 12,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Warum
treten wir nicht in einen Wettbewerb ein? Sie müssen
nicht alle unsere Vorschläge übernehmen. Vielleicht ist
auch nicht alles richtig, was wir fordern. Aber wir haben
den Mut gehabt, Kürzungen vorzuschlagen, die bis hin
zu unserer eigenen Klientel reichen. Warum treten wir
nicht zusammen in einem Wettbewerb und haben den
Mut, gemeinsam Kürzungen vorzunehmen?


(Beifall bei der FDP)

Das vermisse ich bislang vonseiten der Koalition. Eine
Woche vor den Haushaltsberatungen wurde uns von den
Grünen versprochen, dass wir alles noch einmal durch-
gehen. Warum gehen wir nicht die Subventionen und
Zuwendungen an?


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gehen wir nicht an Subventionen heran? Wir haben einschlägige Erfahrungen im Vermittlungsausschuss gemacht!)


Sie picken sich einzelne Positionen heraus und kommen
uns mit der Eigenheimzulage; Hauptsache, es geht nicht
an Ihre grüne Klientel, Frau Scheel.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sobald es im Vermittlungsverfahren konkret wird!)


– Ich nenne nur das Stichwort Windkraft. Aber ich
könnte noch andere Beispiele dafür anführen, welche
Positionen Sie aus den Kürzungsvorschlägen heraus-
schmeißen. Herr Clement hat bereits darauf hingewie-
sen, was uns das in nächster Zeit noch kosten wird. Sol-
chen Ausführungen hören Sie doch gar nicht mehr zu.

Die Kollegin Eichstädt-Bohlig kriegt Schaum vor
dem Mund, wenn irgendeine Streichung im Ressort von
Frau Künast vorgenommen werden soll. Sie würde die
Mittel am liebsten immer weiter erhöhen. Lassen Sie uns
in den Wettbewerb eintreten!

Hartz IV ist bereits angesprochen worden. Können
Sie mir erklären, warum in den Jobcentern und Arbeits-
gemeinschaften alle Büromöbel neu gekauft werden
müssen und warum die Vorschriften genau regeln, wo
die Steckdosen anzubringen sind? Haben Sie sich einmal
damit befasst, mit welchen Richtlinien dort gearbeitet
wird? Das ist doch Wahnsinn. Wir reden hier über Büro-
kratieabbau und dort wird jedem in dicken Broschüren
vorgeschrieben, wie die Büromöbel auszusehen haben.

Ich komme zum Schluss. Wir sollten gemeinsam in
einen Wettbewerb eintreten, damit unsere Schulden ab-
gebaut werden können, die sonst unsere Kinder und Kin-
deskinder zu verantworten haben werden. Ich freue mich
auf die Zusammenarbeit im Rechnungsprüfungsaus-
schuss, die sicherlich wie immer sachlich und fair sein
wird.






(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Koppelin

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1515122000

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/4200 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 g auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Helga Daub, Dr. Werner
Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Wehrpflicht aussetzen – Freiwilligen, militäri-
schen Kurzdienst einführen
– Drucksache 15/4178 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Die Rednerinnen und Redner aller Fraktionen haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4178 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-

tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über das Inverkehrbringen, die Rück-
nahme und die umweltverträgliche Entsorgung

(Elektround Elektronikgerätegesetz – ElektroG)

– Drucksache 15/3930 –

(Erste Beratung 133. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und
die umweltverträgliche Entsorgung von Elek-

(Elektround Elektronikgerätegesetz – ElektroG)

– Drucksache, 15/4234 –

(Erste Beratung 140. Sitzung)


1) Anlage 3
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit (15. Ausschuss)

– Drucksachen 15/4666, 15/4679 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verwertung von Elektronikaltgeräten ökolo-
gisch sachgerecht und unbürokratisch gestal-
ten
– Drucksachen 15/3950, 15/4666, 15/4679 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Werner Wittlich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger

Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2)

Tagesordnungspunkt 18 a: Wir kommen zur Abstim-
mung über die von den Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwürfe eines Elektro- und Elektro-
nikgerätegesetzes, Drucksachen 15/3930 und 15/4234.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung, die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen
und als Entwurf eines Elektro- und Elektronikgerätege-
setzes in der Ausschussfassung anzunehmen, Druck-
sachen 15/4666 und 15/4679. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die
Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis wie in der zweiten Beratung angenom-
men.
2) Anlage 4






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Tagesordnungspunkt 18 b: Wir kommen zur Abstim-

mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 15/4666 zu dem Antrag der Fraktion der
FDP mit dem Titel „Verwertung von Elektronikalt-
geräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch
gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/3950
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist damit mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen
der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas

(Hamburg)

der CDU/CSU
Energieeffizienz in Gebäuden steigern – Unbü-
rokratische Energieausweise entwickeln
– Drucksache 15/4506 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Die Rednerinnen und Redner haben auch hier ihre
Reden zu Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4506 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (14. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Heidi Wright,
Ludwig Stiegler, Sören Bartol, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt),
Volker Beck (Köln), Franziska Eichstädt-
Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber-
gängen sofort verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gero
Storjohann, Gerhard Wächter, Dirk Fischer

1) Anlage 5

(Hamburg), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion der CDU/CSU
Mehr Sicherheit an unbeschrankten Bahn-
übergängen

– Drucksachen 15/4150, 15/1984, 15/4653 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gero Storjohann
Heidi Wright

Die Rednerinnen und Redner haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen auf Drucksache 15/4653. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh-
lung die Annahme des Antrags der Fraktionen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/4150
mit dem Titel „Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber-
gängen sofort verbessern“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 15/1984 mit dem Titel „Mehr Sicherheit
an unbeschrankten Bahnübergängen“ für erledigt zu er-
klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-
men.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-

regierung
Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regulierungs-
behörde für Telekommunikation und Post –
Bericht nach § 81 Abs. 1 Telekommunikations-
gesetz und § 47 Abs. 1 Postgesetz
und
Sondergutachten der Monopolkommission ge-
mäß § 81 Abs. 3 Telekommunikationsgesetz
und § 44 Postgesetz
– Drucksache 15/2220 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu dem
Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde
für Telekommunikation und Post 2002/2003
und zu dem Sondergutachten der Monopol-
kommission von 2003 „Wettbewerbsintensivie-

2) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
rung in der Telekommunikation – Zementie-
rung des Postmonopols“
– Drucksache 15/4584 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Kultur und Medien

Auch hier haben alle Rednerinnen und Redner ihre
Reden zu Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/2220 und 15/4584 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 21. Januar 2005,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.