1) Anlage 7
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(A) (C)
(B) (D)
und warum lehnt er ähnliche Vorschläge zur Eindämmung des
Tanktourismus in Deutschland ab?
zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten wirk-
sam entgegenzuwirken. Ein Antrag Deutschlands mit
nach einer regional gestaffelten Benzinsteuer billigen will,
reicht bei weitem nicht aus, um einem „Tanktourismus“
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen des
Abgeordneten Ernst Hisken (CDU/CSU) (150. Sitzung,
Drucksache 15/4649, Frage 14):
Treffen Pressemeldungen („Münchener Merkur“ vom
8./9. Januar 2005) zu, nach denen der Bundesminister der
Finanzen, Hans Eichel, Pläne der französischen Regierung
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Connemann, Gitta CDU/CSU 20.01.2005
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 20.01.2005
Funke, Rainer FDP 20.01.2005
Janssen, Jann-Peter SPD 20.01.2005
Jonas, Klaus Werner SPD 20.01.2005*
Letzgus, Peter CDU/CSU 20.01.2005*
Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 20.01.2005
Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.01.2005
Probst, Simone BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.01.2005
Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 20.01.2005
Riemann-Hanewinckel,
Christel
SPD 20.01.2005
Ronsöhr, Heinrich-
Wilhelm
CDU/CSU 20.01.2005
Schauerte, Hartmut CDU/CSU 20.01.2005
Selg, Petra BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
20.01.2005
Dr. Thomae, Dieter FDP 20.01.2005
Türk, Jürgen FDP 20.01.2005
Weis (Stendal), Reinhard SPD 20.01.2005
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Frankreich beabsichtigt, vom 1. Januar 2006 bis
31. Dezember 2011 nach Erhöhung der Ausgangssteuer-
sätze regionale Steuerermäßigungen für bleifreies Ben-
zin (bis zu 3,54 Cent/Liter) und nicht gewerblich genutz-
ten Diesel (bis zu 2,3 Cent/Liter) einzuführen. Das
Vorhaben Frankreichs basiert ausschließlich auf innen-
politischen Gründen. Hintergrund der Maßnahme sind
Dezentralisierungsüberlegungen. Die Exekutivorgane
der französischen Verwaltungsregionen (Regionalräte)
sollen ermächtigt werden, eigenständig über Steuerer-
mäßigungen zu entscheiden, die sich an der jeweiligen
„sozioökonomischen Situation“ der Regionen orientie-
ren sollen. Hierdurch soll ein zusätzlicher Anreiz für die
Regionen geschaffen werden, um die Qualität ihrer Ver-
waltung auf transparente Weise zu verbessern und
gleichzeitig den Bedürfnissen und Besonderheiten jeder
Region Rechnung zu tragen.
Die Bundesregierung ist nach eingehender Prüfung
des französischen Antrags zu dem Ergebnis gelangt,
dass eine solche Maßnahme das reibungslose Funk-
tionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt. Vor al-
lem wegen der sehr engen Grenzen für die Staffelung der
Verbrauchsteuern in den französischen Regionen (für
Benzin maximal 3,54 Cent/Liter und für nicht gewerb-
lich genutzten Diesel maximal 2,3 Cent/Liter – nach vor-
heriger Erhöhung der Ausgangssteuersätze) ist eine
Wettbewerbsverzerrung auf dem Mineralölmarkt nicht
zu befürchten. Zudem gilt die beantragte Maßnahme ge-
rade nicht für den gewerblich genutzten Diesel. Die
Bundesregierung wird aber auf die Festschreibung der
Steuersätze drängen, die bei Anwendung der regionalen
Staffelungen nicht unterschritten werden dürfen. Der re-
gelnde Teil des Entscheidungsvorschlags nennt zwar die
maximalen Ermäßigungsbeträge, lässt aber offen, von
welchen Steuersätzen Frankreich ausgeht. Insoweit be-
darf es der Klarstellung in einer Gemeinsamen Proto-
kollerklärung. Genau diese Klarstellung ist Gegenstand
des Entwurfs einer Gemeinsamen Protokollerklärung
von Rat und Kommission, der am heutigen Tag in der
Ratsarbeitsgruppe in Brüssel verhandelt wird.
Das französische Begehren ist nicht darauf ausgerich-
tet, einen vermeintlichen „Tanktourismus“ zwischen
Frankreich und anderen Mitgliedstaaten einzudämmen
bzw. einen solchen zur Grenze Deutschlands zu errich-
ten/auszubauen. Die Ermäßigungen sollen innerhalb der
Regionen gerade nicht grenzbezogen gestaffelt werden.
Die Kommission hat mehrfach klargestellt, dass sie eine
grenzbezogene Staffelung der französischen Steuersätze
niemals befürworten würde. Die Forderung, eine Staffe-
lung der Mineralölsteuersätze in den Grenzregionen
Deutschlands nach dem französischen Vorbild einzufüh-
ren, ist aus tatsächlichen und EG-rechtlichen Aspekten
nicht umsetzbar. Zum einen liegen bei der französischen
Maßnahme – wie bereits dargelegt – die maximalen Er-
mäßigungsbeträge zwischen 2,3 bis 3,54 Cent/Liter. Das
14230 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
wesentlich höheren Steuerstaffelungsbeträgen würde
von der Kommission zudem – wegen seiner grenzüber-
schreitenden Auswirkungen – keinesfalls gebilligt wer-
den. Dies hat die Kommission kürzlich in Gesprächen
auf Fachebene unmissverständlich zum Ausdruck ge-
bracht. Sie beabsichtigt zudem, gemeinsam mit dem Rat
zu Protokoll zu erklären, dass – so wörtlich – „Anträge
auf eine Ausnahmeregelung für eine Ermäßigung der
Steuersätze, die lediglich in den Grenzgebieten zwischen
den Mitgliedstaaten gelten würde, nicht akzeptabel wä-
ren“. Da auch die Nachbarstaaten einem solchen Anlie-
gen kritisch gegenüber stehen dürften, besteht zudem
keine realistische Chance, hierfür die Zustimmung aller
EU-Staaten einholen zu können.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Wehrpflicht ausset-
zen – Freiwilligen, militärischen Kurzdienst ein-
führen (Tagesordnungspunkt 24 g)
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Damit es Ihnen,
liebe Kollegen von der FDP, nicht langweilig wird, wenn
wir Ihre regelmäßigen „Weg mit der Wehrpflicht“-An-
träge hier im Plenum immer wieder mit großer Mehrheit
ablehnen, will ich Ihnen als Argumentationshilfe heute
das Zentralorgan des liberalen Geistes in Deutschland
entgegenhalten, die unerschütterliche „Frankfurter All-
gemeine Zeitung“. Die ist nämlich der Meinung, Ihre
Forderung nach Aussetzung der Wehrpflicht sei Aus-
druck Ihres grundsätzlichen Politikverständnisses. Vor
einem Jahr, am 8. Januar 2004, schrieb ein Leitartikler in
der „FAZ“ sehr richtig: „Westerwelle und große Teile
der FDP-Führung beschränkten ihren Liberalismus zu-
letzt auf eine ziemlich vordergründige ,Weg mit dem
Staat‘-ldeologie und auf einen Abschaffungsenthusias-
mus, der Regellosigkeit mit Freiheit leicht verwechselt:
Weg mit allen Subventionen, weg mit der Wehrpflicht,
weg mit der Pflegeversicherung, weg mit den Flächenta-
rifverträgen, dem Ladenschlussgesetz, dem Hochschul-
rahmengesetz, weg mit der Kultusministerkonferenz.“
Dem Urteil des „FAZ“-Leitartikels kann ich nur zustim-
men, wenn er fortfährt: „Westerwelle hat in den vergan-
genen Jahren versucht, seine Lesart des Liberalismus zu
popularisieren, und dabei die traditionsreiche Partei des
leistungsbereiten und in demokratischem Verantwor-
tungsgefühl verwurzelten Bürgertums einem billigen Ef-
fektpopulismus unterworfen.“
So ist es: Der vorliegende Antrag der FDP ist ein
schönes Beispiel für „billigen Effektpopulismus“. Dafür
aber ist das Thema eigentlich zu wichtig. Auch wir So-
zialdemokraten beschäftigen uns derzeit, durchaus öf-
fentlich wahrnehmbar, mit der Zukunft der Wehrpflicht.
Warum? Weil die Sicherheitslage sich seit Ende des Kal-
ten Krieges fundamental geändert hat. Wer wollte das
bestreiten? Dass sich daraus jedoch ein Automatismus
zur Abschaffung der Wehrpflicht ergeben soll, kann ich
nicht erkennen.
Auch das neue, ungeteilte Europa ist nicht frei von
Bedrohungen. Die blutigen Balkan-Konflikte haben uns
vor Augen geführt, dass Krieg nicht einfach von unse-
rem Kontinent verschwunden ist. Die terroristischen An-
schläge des 11. September 2001 haben gezeigt, dass un-
sere Welt neuen Bedrohungen ausgesetzt ist, stärkeren,
als wir erwartet hatten. Diese Erfahrungen machen eines
ganz deutlich: Tief greifende Änderungen der sicher-
heitspolitischen Lage sind auch kurzfristig nie auszu-
schließen. Sowohl das Ende des Warschauer Paktes als
auch die neue asymmetrische Bedrohung durch den in-
ternationalen Terrorismus veränderten die Lage rasant,
beinahe von heute auf morgen.
Deshalb ist richtig, was in den 2003 vom Bundesver-
teidigungsminister erlassenen Verteidigungspolitischen
Richtlinien nachzulesen ist: „Der Wiederaufbau der Be-
fähigung zur Landesverteidigung gegen einen Angriff
mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines über-
schaubaren längeren Zeitrahmens – Rekonstitution –
muss … gewährleistet sein.“ Weil dies so ist, bleibt die
Wehrpflicht sicherheitspolitisch die sicherste Lösung.
Wir sollten uns auch dessen bewusst sein, dass immer
die latente Gefahr besteht, dass sich die Lage in den Ein-
satzgebieten innerhalb kurzer Zeit zuspitzt. Das hätte
weitreichende Folgen, nicht nur für die betroffenen Sol-
daten, sondern für die Bundeswehr insgesamt. Wären
wir sicher, dass die Nachwuchsgewinnung einer Freiwil-
ligenarmee dann noch funktioniert? Ich warne vor dem
vorschnellen Urteil, die Wehrpflicht sei antiquiert. So
berechenbar ist die vor uns liegende Zeit nicht.
Der Verteidigungsminister hat in den Verteidigungs-
politischen Richtlinien die sicherheitspolitischen Vorga-
ben für den künftigen Weg der Bundeswehr festgelegt.
Vieles wird sich ändern: Aufgaben, Strukturen, Ausrüs-
tung. Wir sind mitten in diesem Prozess. Die Transfor-
mation wird auch die Wehrpflicht nicht unberührt lassen.
Auf der Tagesordnung steht ihre Weiterentwicklung zu
einer, wie es in den Richtlinien heißt, „Wehrpflicht in an-
gepasster Form“. Eine angepasste Wehrpflicht bleibt Teil
der staatlichen Sicherheitsvorsorge in einer unübersicht-
lichen Welt.
Verschiedene Modelle sind in der Diskussion. Auch
in der Union sind Stimmen zu hören, die Wehrpflicht ge-
höre „auf den Prüfstand“, wie es vor einigen Wochen der
Junge-Union-Vorsitzende Mißfelder forderte. Gelegent-
lich ist aus Unionskreisen die Forderung nach einer all-
gemeinen Dienstpflicht statt der bisherigen Wehrpflicht
zu hören.
Auch vom „dänischen Modell“ ist derzeit viel zu le-
sen. So sympathisch mir als Schleswig-Holsteiner unser
nördlicher Nachbar ist: Dieses Etikett stiftet unnötig Ver-
wirrung, führt zu falschen Schlüssen. Das Modell ist
nicht übertragbar. Wir sollten, anders als in Dänemark,
die Dauer des Wehrdienstes nicht weiter verkürzen. Vier
Monate wären deutlich zu kurz. Auch bei der Besoldung
und den Ausbildungsinhalten gehen die Dänen einen an-
deren Weg.
Wenn wir die Wehrpflicht weiterentwickeln, wird es
am Ende ein deutsches Modell geben müssen – und
keine Wehrpflichtlotterie. Da ist Ihre Sorge völlig unbe-
gründet, Herr Nolting.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14231
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(B) (D)
All jenen, die so ungeduldig eine Berufsarmee for-
dern, sei noch einmal in Erinnerung gerufen, welche ein-
deutigen Vorteile die Wehrpflicht hat. Nur durch sie ist
es möglich, dass alle männlichen Angehörigen eines
Jahrgangs die Ausgangsbasis für die Deckung des Perso-
nalbedarfs darstellen. Für alle ist der Dienst in der
Bundeswehr – oder Ersatz- oder Zivildienst – ein ver-
bindliches Thema in dieser Lebensphase. Eine Vorab-
sozialauswahl findet nicht statt. Alle werden erfasst, alle
werden gemustert, alle müssen sich zur Frage einer mög-
lichen Einberufung (oder KDV etc.) persönlich verhal-
ten. Die allgemeine Wehrpflicht sichert die Qualität der
Personalauswahl, sie garantiert die Bedarfsdeckung in
jedem Fall – unabhängig von der aktuellen Lage auf dem
Arbeitsmarkt für männliche Jugendliche, unabhängig
von der Sicherheitslage. Und es ist oft gesagt worden
und bleibt richtig: Die Wehrpflicht stellt die beste denk-
bare Klammer zwischen Gesellschaft und Bundeswehr
dar. Denn Soldat sein ist kein „Job“, keine beliebige
Dienstleistung. Deshalb ist es legitim, dass die Bundes-
wehr mit der Wehrpflicht über eine andere Rekrutie-
rungsmöglichkeit verfügt als ein Wirtschaftsunterneh-
men.
Das Problem der angeblich abnehmenden Dienstge-
rechtigkeit, das gern in den Mittelpunkt der Debatte ge-
rückt wird, war übrigens, allen anders lautenden Parolen
zum Trotz, bis in die jüngste Vergangenheit ein Mythos.
Viel beschworen, aber durch die Zahlen nicht gedeckt.
Von dem im Jahr 1980 vollständig ausgeschöpften Ge-
burtsjahrgang 1952 mit 381 000 Erfassten haben 54 Pro-
zent Wehrdienst als W15 oder Zeitsoldat geleistet, hinzu
kamen 3 Prozent anerkannte Kriegsdienstverweigerer
und 5 Prozent, die zur Polizei gingen oder sich beim
Katastrophenschutz verpflichteten. Macht zusammen
62 Prozent.
Gut 20 Jahre später waren die Zahlen nicht wesentlich
anders: Vom dem im Jahr 2003 ausgeschöpften Geburts-
jahrgang 1980 sind insgesamt 66 Prozent ihrer Pflicht
nachgekommen. Die weit überwiegende Zahl der jungen
Männer eines Jahrgangs hat ihre Wehrpflicht also auf die
eine oder andere gesetzlich vorgesehene Weise erfüllt.
Absolute Gerechtigkeit kann es natürlich nie geben,
denn ausschlaggebend für die Zahl der Einberufungen ist
immer der Bedarf der Bundeswehr – das kann gar nicht
anders sein.
In Zukunft wird der jährliche Bedarf der Bundeswehr
an neuen Soldaten, bedingt durch die Verkleinerung der
Streitkräfte, sinken. Deshalb machen wir uns Gedanken,
wie wir die Wehrpflicht den neuen Bedingungen noch
besser anpassen können.
Das heißt: Wehrpflicht – ja; FDP-Antrag – nein.
Ulrich Adam (CDU/CSU): Viele junge Menschen
fragen uns beständig nach dem Sinn der Wehrpflicht. Sie
tun dies in persönlichen Gesprächen, durch Klagen vor
den Gerichten oder indem sie sich für den Wehr- oder
Ersatzdienst entscheiden. Aufgrund der gestrigen Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig
hat die heutige Debatte eine besondere Aktualität ge-
wonnen.
Den jungen Männern ist bewusst, dass der Staat zu
seinem Schutz und Erhalt dieser Pflicht bedarf. Auch in
der Bevölkerung genießt die Wehrpflicht nach wie vor
ein hohes Ansehen und ist mehrheitlich gewollt. Wir
müssen jedoch erklären, warum wir diese Pflicht weiter
einfordern müssen und zugleich dafür Sorge tragen, dass
es bei der Erbringung gerecht zugeht. Das gestrige Urteil
des Bundesverwaltungsgerichtes hat uns in unserer Auf-
fassung bestätigt, dass es bei den derzeitigen Anwen-
dungsregeln der Einberufung noch gerecht zugeht. Aber
ich halte dieses Urteil auch für einen Schuss vor den
Bug, der uns mahnt, auf die Sinnhaftigkeit und Gerech-
tigkeit des Wehrdienstes zu achten.
Ich zitiere eine Aussage des Bundesministeriums der
Verteidigung zur Wehrpflicht aus dem Internet:
Der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen
und Bürger sowie Hilfeleistungen bei Naturkatas-
trophen und Unglücksfällen begründen unter ande-
rem die Wehrpflicht. Nur sie gewährleistet, die
Landesverteidigung gegen einen Angriff mit kon-
ventionellen Streitkräften innerhalb eines über-
schaubaren längeren Zeitraumes aufzubauen. Darü-
ber hinaus müssen die Streitkräfte eingebettet in
gesamtstaatliches Handeln zu einem angemessenen
Beitrag zur Verhinderung, Abwehr und zur Bewäl-
tigung von terroristischen Anschlägen sowie zum
Schutz Deutschlands vor asymmetrischen Angrif-
fen von außen im Rahmen der geltenden Gesetze
befähigt sein. Auch hierfür ist die Beibehaltung der
Wehrpflicht unerlässlich.
Dieses Zitat spricht für sich selbst; an einer Sinnhaf-
tigkeit der Wehrpflicht gibt es somit keinen Zweifel.
Die Union hat Vorschläge vorgelegt und wird das
auch weiterhin tun, wie man die neue Sicherheitslage,
die Wehrpflicht und die Wehrgerechtigkeit miteinander
vereinbaren kann. Dabei wird der Heimatschutz als Teil
einer Sicherheitsdienstpflicht eine wichtige Rolle spie-
len.
Wer jetzt die Abschaffung der Wehrpflicht fordert,
der müsste sagen, wie er für die Bundeswehr und für die
Sicherheit unseres Landes einen Ausgleich schaffen will.
Das betrifft vor allem die Bereiche Aufwuchsfähigkeit,
Nachwuchsgewinnung und finanzielle Ausstattung. Für
eine Umstellung auf eine Berufsarmee brauchte die Bun-
deswehr zudem eine erhebliche Finanzspritze. Eine sol-
che ist angesichts der haushälterischen Verhältnisse we-
der zu erwarten noch zu leisten, selbst wenn man sich für
eine reine Berufsarmee entscheiden würde. Der Kollege
Robbe hat es heute Morgen im Morgenmagazin sehr
schön auf den Punkt gebracht, als er sagte: „Eine Frei-
willigenarmee ist im Moment überhaupt nicht zu bezah-
len.“ Bei geschätzten Zusatzkosten von bis zu sieben
Milliarden Euro kann ich ihm da nur Recht geben.
Es hätte diesem Parlament und der Bundesregierung
gut gestanden, zunächst einmal in einem Weißbuch die
künftigen Aufgaben zu beschreiben und hieran die
Ausstattung in finanzieller und personeller Hinsicht
14232 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
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auszurichten. Stattdessen wird die Verteidigungspolitik
im Wesentlichen durch die Kassenlage des Finanzminis-
ters bestimmt. Das hatte zur Folge, dass Rot-Grün beim
Umbau der Bundeswehr den zweiten Schritt vor dem
ersten machte, wie es mein Kollege Schmidt gestern for-
mulierte. Statt einseitig auf Auslandseinsätze zu schie-
len, hätte Rot-Grün angesichts der neuen Bedrohungs-
lage durch Terroristen zunächst einmal den Bedarf im
Inland ermitteln müssen.
Seitens der Bundesregierung wurde aus guten Grün-
den beschlossen, die Bundeswehr seit 1998 vermehrt im
Ausland einzusetzen. Wir als Union haben im Gegensatz
zum grünen Koalitionspartner diese Einsätze stets mitge-
tragen. Dies taten wir in der Verantwortung vor unseren
Soldaten als Angehörige einer Parlamentsarmee. Zu-
gleich haben wir diese Parlamentsarmee von Anfang an
als eine Wehrpflichtarmee angesehen.
Es ist sicherlich richtig, dass sich die sicherheitspoliti-
schen Rahmenbedingen in den 50 Jahren des Bestehens
der Bundeswehr grundlegend geändert haben. Fraglich
ist aber zugleich, ob sich die Gründe für die Wehrpflicht-
armee ebenfalls geändert haben. Dies diskutieren wir
heute erneut, und für mich stellt sich die Frage, ob sich
nicht der Verteidigungsausschuss einmal abschließend
mit der Frage beschäftigen sollte, anstatt uns mit den
Scheinanträgen zu beschäftigen.
Im Rahmen der Diskussion um einen westdeutschen
Verteidigungsbeitrag schlug bereits 1950 die Himmero-
der Denkschrift eine Wehrpflichtarmee vor, weil nur so
die beabsichtigte Truppenstärke zu erreichen war und
mit ihr zugleich eine engere Verbindung der neuen deut-
schen Streitkräfte mit dem parlamentarisch-demokrati-
schen System geschaffen werden sollte. Die Wehrpflicht
stellte auch das für einen Aufwuchs und den Personaler-
satz benötigte Reservistenpotenzial sicher.
Im Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956 setzte die
Regierungsmehrheit im Deutschen Bundestag deshalb
ihr Konzept einer Wehrpflichtarmee für die Bundeswehr
durch. Die Notwendigkeit der Wehrpflicht wurde bisher
von keiner Bundesregierung infrage gestellt. Noch im
April 2002 stellte das Bundesministerium der Verteidi-
gung fest: „Unter den gegebenen sicherheitspolitischen
Bedingungen, dem gesellschaftlichen Rahmen und den
zur Verfügung stehenden Mitteln ist der verfassungsmä-
ßige Auftrag der Bundeswehr nur unter Beibehaltung der
Wehrpflicht sicherzustellen.“
Eine Bestätigung der Wehrpflicht enthalten auch die
Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003.
Danach ist die Wehrpflicht in angepasster Form für die
Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaft-
lichkeit der Bundeswehr unabdingbar. Die wesentlichen
Gründe für ihre Beibehaltung sind die notwendige Fä-
higkeit zur Rekonstitution der Streitkräfte, die Sicher-
stellung der Unterstützung bei Naturkatastrophen sowie
Unglücksfällen und die Aufrechterhaltung des Betriebs
der Basis im Inland. Auch lässt sich nur mit umfangrei-
chen Wehrpflichtigen-Streitkräften die Sicherheit im In-
land bei asymmetrischen Bedrohungen sicherstellen.
Mit der Abkehr von der Landesverteidigung als wahr-
scheinlichstem und wichtigstem Auftrag der Streitkräfte
sieht ein Teil der Öffentlichkeit die Notwendigkeit der
Wehrpflicht als sicherheitspolitisch nicht mehr begrün-
det an. Zur Abwehr von äußeren Gefahren reiche auch
eine kleinere Berufsarmee aus. Das Bundesverfassungs-
gericht hat in seiner Entscheidung aber nochmals betont,
dass „die dem Gesetzgeber eröffnete Wahl zwischen ei-
ner Wehrpflicht- und einer Freiwilligenarmee eine
grundlegende staatspolitische Entscheidung [ist], die auf
wesentliche Bereiche des staatlichen und gesellschaftli-
chen Lebens einwirkt und bei der der Gesetzgeber neben
verteidigungspolitischen Gesichtspunkten auch allge-
meinpolitische, wirtschafts- und gesellschaftspolitische
Gründe von sehr verschiedenem Gewicht zu bewerten
und gegeneinander abzuwägen hat.“
Der Verteidigungsminister bezeichnet in Nr. 62 der VPR
die Fähigkeit zur Rekonstitution – dem (Wieder-)Aufbau
großer Streitkräfte zur Landesverteidigung – als eines
der Hauptargumente für die Beibehaltung der Wehr-
pflicht. Vor genau diesem Tatsachenhintergrund müssen
wir die Diskussion um die Wehrpflicht also führen. Falls
tatsächlich keine gesellschaftspolitische Notwendigkeit
mehr bestünde, wäre die Wehrpflicht obsolet. Dies ist je-
doch nicht der Fall. Die asymmetrische Bedrohung
wächst zunehmend. Deutschland ist nicht länger nur der
Ruheraum der Terroristen. Im Internet wird Deutschland
längst mit Amerika und Großbritannien in einem Atem-
zug genannt, wenn es um Terror und Dschihad geht.
Selbstverständlich können wir mit dem Umbau der
Bundeswehr weiter fortfahren und uns darauf einstellen,
künftig nur noch Friedensmissionen im Ausland durch-
zuführen. In der Union sind wir aber der Meinung, dass
es eben nicht ausreicht, Deutschland nur noch am Hin-
dukusch zu verteidigen. Nein, Deutschland muss auch
im Land selbst verteidigt werden können, wenn Angriffe
gegen die Gesellschaft und die von Ihr verkörperten
Grundwerte stattfinden. Hierzu sind die Polizeien der
Länder und des Bundes aber nicht entsprechend ausge-
rüstet. Wir können den Bürgerinnen und Bürgern doch
nicht allen Ernstes erzählen, dass unsere Spürpanzer
zwar zum Schutz der Bevölkerung in Kuwait eingesetzt
werden dürfen, aber nicht in Kassel, sondern dort die
Feuerwehr mit ihrem Messwagen zuständig ist und wir
lieber Feuerwehrleute in Schutzanzügen durch ein Ge-
fahrengebiet schicken, als mit einem vollgeschützten
Panzer der Bundeswehr.
Die Pläne der Union sehen keine Hilfspolizei des
Bundes vor. Wir wollen, ebenso wenig wie Sie, den In-
nenministern in ihr gut gelerntes Handwerk pfuschen.
Aber wir wollen, dass im Bedarfsfall diejenigen die Ar-
beit übernehmen, die dafür am besten ausgebildet sind.
Die Umsetzung des von der Union vorgeschlagenen Hei-
matschutzkonzeptes kann daher nicht nur die logische
Konsequenz einer Antwort auf die asymmetrische Be-
drohung sein. Sie ist auch die zwingende Schlussfolge-
rung aus der notwendigen Umgestaltung des Wehrdiens-
tes und sie führt zu einer höheren Wehrgerechtigkeit.
Es wäre ja sehr schön, wenn sich die SPD als große
Volkspartei nunmehr endlich positionieren würde,
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14233
(A) (C)
(B) (D)
anstatt ständig um ein Bekenntnis wie die Katze um den
heißen Brei herumzuschleichen. Warum sagen Sie nicht,
dass Sie die Wehrpflicht gerne erhalten wollen? Warum
treten Sie nicht offensiver für den Erhalt der Wehrpflicht
ein? Wenn Sie sich mit einer positiven Entscheidung zur
Wehrpflicht wirklich bis zum Herbst Zeit lassen, könnte
der Eindruck entstehen, dass Sie bereit sind, diese zu-
gunsten einer Wiederwahl zu opfern, auch wenn hier-
durch die Sicherheit Deutschlands massiv gefährdet
wird.
Dass sie sich intensiv mit der Wehrpflicht auseinander
setzen, war der Presse der letzten Tage ja auch hinrei-
chend zu entnehmen. Da wurde plötzlich die Übernahme
des dänischen Wehrpflichtmodells in Erwägung gezo-
gen. Hörte sich ja auch sehr schön an! Offiziell wird die
Wehrpflicht ausgesetzt. Die noch notwendigen Wehr-
dienstleistenden melden sich freiwillig, weil der Dienst
ja nun attraktiv bezahlt wird und man so was Nettes für
den Lebenslauf bekommt. Zugleich kann man den Ko-
alitionspartner gut aussehen lassen.
Leider hat das dänische Modell ein paar kleine
Schönheitsfehler und ist nicht so einfach auf Deutsch-
land übertragbar. Die ersten Erfahrungen aus Dänemark
werden zurzeit aber erst ausgewertet und das Verteidi-
gungsministerium in Dänemark hat sich ausdrücklich
eine Erprobung bis 2007 vorbehalten. Da die Wehr-
pflicht aufgrund der Umgestaltung effektiv auf den
Schutz der dänischen Heimat ausgerichtet ist, werden
die Wehrpflichtigen neben der militärischen Ausbildung
intensiv in Erster Hilfe und Brandbekämpfung ausgebil-
det. Langweile oder Rumhängen und die Zeit absitzen
– dies wird auch von Wehrpflichtigen in der Bundeswehr
als häufigster Kritikpunkt angeführt – wurden nach einer
Befragung vorheriger Wehrpflichtiger abgeschafft. Zu-
gleich wurde der Sold auf etwa 1300 Euro netto herauf-
gesetzt. Nach der Ausbildung müssen die Wehrpflichti-
gen noch für drei Jahre als Reservisten zur Verfügung
stehen. Insofern lässt sich dem dänischen Modell sicher-
lich etwas für die Gestaltung der Wehrpflicht in
Deutschland abgewinnen. Aber ich möchte einmal die
Frage aufwerfen, was passierte, wenn tatsächlich jemand
zum Wehrdienst ausgelost würde. Wollen wir dann jedes
Mal eine Klage bis zum EuGH oder wird das Verfahren
genauso akzeptiert werden wie in Dänemark? Zumindest
sollten wir die Erfahrungen unserer Nachbarn im Norden
genau auswerten und ich denke, dass sich der Verteidi-
gungsausschuss hierzu ausführlich sowohl durch das
BMVg als auch durch die dänische Botschaft unterrich-
ten lassen wird.
Wenn wir aber schon einmal den Blick über die Lan-
desgrenzen schweifen lassen, dann schauen wir uns bei
dieser Gelegenheit bitte einmal an, welche Erfahrungen
dort mit der Abschaffung der Wehrpflicht gemacht wur-
den. In einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen
Dienstes mit der Nummer WF II – 144/03 können Sie
die negativen Auswirkungen bestens nachlesen. Ich er-
wähne nur zwei Beispiele: Spanien 25 Prozent der
Dienstposten nicht besetzt, Niederlande 20 Prozent der
Dienstposten nicht besetzt. Von einer eventuellen Auf-
wuchsfähigkeit wollen wir gar nicht erst reden. Hinzu
kommt die erheblich gesteigerte Einsatzbelastung durch
die fehlenden Dienstposten.
Als Mitglied der WEU-Delegation und der Parlamen-
tarischen Versammlung des Europarates komme ich mit
vielen ausländischen Kollegen zusammen. Parteiüber-
greifend haben mir nahezu alle bei der Diskussion über
die Abschaffung der Wehrpflicht in ihren Ländern ge-
sagt, dass dies eine Fehlentscheidung war, die, wenn
man nur könnte, sofort rückgängig gemacht würde. Es
gibt Fehler, die macht man nur einmal. Würden wir die
Wehrpflicht abschaffen, wäre dies ein Fehler, den wir si-
cherlich sehr bald bereuen würden.
Die eigentliche Frage ist doch nicht die der Abschaf-
fung der Wehrpflicht, sondern die der sinnvollen Ausge-
staltung des Dienstes und der Wehrgerechtigkeit. Hier
würde eine Umsetzung des Heimatschutzkonzeptes so-
wohl dem Einberufenen als auch der Gesellschaft die-
nen. Eine verstärkte Ausbildung in Erster Hilfe, Brand-
bekämpfung und technischer Hilfeleistung ist eine
Ausbildung fürs ganze Leben. Die Möglichkeit nach der
Grundausbildung Ersatzdienste bei den Polizeien der
Länder und des Bundes, ebenso wie beim THW und den
Feuerwehren und Rettungsdiensten zu leisten, würde
nicht nur die Länder und Kommunen erheblich entlas-
ten. Sicherlich würde so manch ein ehemaliger Wehr-
pflichtiger später als freiwilliger Helfer weiter zur Verfü-
gung stehen – angesichts der teilweise dramatischen
Nachwuchssorgen bei den Feuerwehren und im Kata-
strophenschutz ein sicherlich willkommener Nebenas-
pekt.
Ich möchte darauf verzichten, hier vorzutragen, wie
viele Wehrpflichtige im Einzelnen bei den verschiede-
nen Katastrophenfällen im Einsatz waren. Denken wir
aber einmal zurück an die Sturmflut in Hamburg, an den
Brand in der Lüneburger Heide, die Schneekatastrophe
1978, die Jahrhundertfluten an Rhein, Oder und Elbe.
Wie wären diese Katastrophen verlaufen, wenn nicht die
Bundeswehr eingesetzt worden wäre?
Die Frage der Wehrgerechtigkeit wird in der öffentli-
chen Diskussion unterschiedlich dargestellt und bewer-
tet. Entscheidend für die Beurteilung ist, welche Bezugs-
größe man heranzieht. Die prozentuale Verteilung auf
einen Geburtsjahrgang wurde auf den Anfang 2003 gül-
tigen Rechtsgrundlagen für die nächsten Jahre mit fol-
genden ungefähren Werten prognostiziert:
– Nicht Gemusterte 4 Prozent
– Nicht Wehrdienstfähige 7 Prozent
– Wehrdienstausnahmen/Einberufungshindernisse 4 Pro-
zent
– Externer Bedarf 3 Prozent
– Kriegsdienstverweigerer 38 Prozent
– Eingezogene/Bedarf der Bw (GWDL/FWDL/SaZ)
29 Prozent
– Ausschöpfungsrest 5 Prozent
Bei der Bewertung der Wehrgerechtigkeit sind folgende
Punkte zu berücksichtigen: Die im Wehrpflichtgesetz
14234 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
vorgesehen Wehrdienstausnahmen zum Beispiel für
Geistliche, Polizei, BGS, Zivil-, Katastrophenschutzan-
gehörige und Entwicklungshelfer sind vom Umfang her
für die Betrachtung der Frage der Wehrgerechtigkeit
nicht ausschlaggebend.
Das Grundgesetz sieht das Recht auf Kriegsdienstver-
weigerung ausdrücklich vor, dieser mittlerweile hohe
Anteil scheidet somit in der objektiven Beurteilung der
Wehrgerechtigkeit aus.
Um nach Abzug der Wehr-Untauglichen und Wehr-
dienst-Ausnahmen ein höchstmögliches Maß an Wehr-
gerechtigkeit zu erzielen, wurde die Dauer des Wehr-
dienstes in der Vergangenheit mehrmals dem Verhältnis
zwischen vorhandenen Dienstposten für Wehrpflichtige
– Umfang und Personalstruktur der Streitkräfte aufgrund
der jeweiligen sicherheitspolitischen Lage – und der
Zahl der zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen des
jeweiligen Geburtsjahrganges angepasst. Damit wurde
versucht, möglichst viele der für den Wehrdienst verfüg-
baren Männer tatsächlich einzuziehen, auch wenn diese
zukünftig – siehe oben – nur circa 29 Prozent eines ge-
samten Geburtsjahrganges darstellen.
Bei einer Betrachtung des Gesamtjahrganges mit nur
29 Prozent Wehrdienstleistenden wird in der Öffentlich-
keit sehr oft und vorschnell das Urteil der fehlenden
Wehrgerechtigkeit gefällt. Fairerweise muss man die
Zahl der Wehrdienst leistenden Soldaten jedoch auf den
aufgrund der gesetzlich gewollten Ausnahmen – ein-
schließlich der Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegs-
dienstverweigerung – zur Verfügung stehenden Perso-
nenkreis – 29 Prozent + 5 Prozent = 34 Prozent –
beziehen. Bei dieser Betrachtungsweise leisten mindes-
tens 85 Prozent tatsächlich Dienst und niemand kann
ernsthaft die Wehrgerechtigkeit infrage stellen.
Die seit dem 1. Juli 2003 geänderte Einberufungspra-
xis sieht zusätzliche Wehrdienstausnahmen und stren-
gere Tauglichkeitsgrenzen vor; damit sinkt der Aus-
schöpfungsrest weiter. In den aktuellen Zahlen im
Internet geht das BMVg von einem Ausschöpfungsrest
von 10 Prozent aus. Einen Ausdruck habe ich Ihnen mit-
gebracht. Dies ist auch vor dem Hintergrund des aktu-
ellen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts nicht
hinnehmbar. Mit einer Umsetzung des Heimatschutz-
konzeptes der Union und einer weiteren Öffnung der Er-
satzdienste für die Polizeien der Länder und des Bundes,
ebenso wie beim THW und den Feuerwehren und Ret-
tungsdiensten kann der Wehrgerechtigkeit Genüge getan
werden.
Unbestritten ist, dass für Auslandseinsätze nur gut
ausgebildete Soldaten zum Einsatz kommen dürfen.
Hierfür reicht die 9-monatige Dauer des Grundwehr-
dienstes im Hinblick auf eine sinnvolle Einsatzzeit nicht
aus. Aber schon heute machen die freiwillig zusätzlichen
Wehrdienst Leistenden (FWDL), also Wehrpflichtige,
rund 20 Prozent des Personals der Bundeswehr bei Aus-
landseinsätzen aus. Ohne ihren Beitrag, wären die Ein-
sätze nicht möglich.
Bleibt zum Ende meiner Redezeit nur noch Folgendes
festzustellen: Deutschland braucht eine Wehrpflichtar-
mee. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die
Beibehaltung der Wehrpflicht Die Wehrpflicht ist ein
Dienst, den wir unseren jungen Männern zur Sicherung
der Gesellschaft abverlangen müssen. Aufgabe der Poli-
tik ist und bleibt es über die Sinnhaftigkeit dieser Pflicht
zu wachen und für die notwendige Ausrüstung zu sor-
gen.
Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gestern stellte das Bundesverwaltungsgericht fest: Die
gegenwärtige Einberufungspraxis von Wehrpflichtigen
zur Bundeswehr sei rechtmäßig, und nicht willkürlich.
Solange Wehrdienstausnahmen auf gesetzlicher Grund-
lage erfolgten, sei das Gebot der Wehrgerechtigkeit nicht
verletzt.
Das ändert aber nichts daran, dass inzwischen weni-
ger als jeder fünfte junge Mann eines Jahrgangs nur noch
Wehrdienst leistet. Damit ist die reale Wehrpflicht offen-
kundig ganz und gar keine „gleich belastende Pflicht“
mehr, wie sie es laut Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts sein müsste.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat in Sa-
chen Wehrpflicht kaum mehr Klarheit geschaffen. Gut
daran ist: Die Politik, wir Abgeordnete selbst bleiben in
der Pflicht, die künftige Wehrform klar zu bestimmen.
Der heute eingebrachte FDP-Antrag greift das am
8. November von uns bündnisgrünen Außen- und
Sicherheitspolitikern vorgelegte Positionspapier „Den
Übergang zur Freiwilligenarmee zügig fortsetzen“ auf
und übernimmt wortgleich unsere Forderung, die All-
gemeine Wehrpflicht auszusetzen, „stattdessen einen
freiwilligen und flexiblen Kurzdienst von 12 bis 24 Mo-
naten einzuführen und den Übergang zur Freiwilligen-
armee effizient bündniskompatibel, friedensfördernd,
demokratisch und sozial verträglich zu gestalten“.
Seit Jahren währt die Auseinandersetzung um das Für
und Wider der Wehrpflicht. Mit der Orientierung der
Bundeswehr auf multilaterale Krisenbewältigung im
Rahmen des Systems der Vereinten Nationen ist die zen-
trale sicherheitspolitische Legitimation der Wehrpflicht
und des mit ihr einhergehenden Grundrechtseingriffs
entfallen. Die offenkundige und weiter zunehmende
Wehrungerechtigkeit zersetzt die Akzeptanz den Wehr-
pflicht gerade bei den betroffenen jüngeren Leuten.
Es ist immer mehr zu spüren: Die Wehrpflicht lässt
sich auf Dauer nicht mehr halten. Vorschläge, sie über
Verkürzung der Wehrdienstdauer, die Ausweitung von
Bundeswehraufgaben im Inneren oder gar eine allge-
meine Dienstpflicht aufrechtzuerhalten, gehen in die
Irre.
Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie
des Übergangs zur Freiwilligenarmee. Ein freiwilliger
flexibler Kurzdienst von zwölf bis 24 Monaten wäre eine
wichtige Brücke. Er soll Männern und Frauen offen ste-
hen, attraktiv sein und nach solider Ausbildung einen
Auslandseinsatz beinhalten können. In dieser Zeit kön-
nen sich „Kurzdiener“ und Bundeswehr gegenseitig „er-
proben“. Der Kurzdienst würde die freiwillig länger Die-
nenden und schrittweise die Grundwehrdienst
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14235
(A) (C)
(B) (D)
Leistenden ersetzen und damit auch die von ihnen ge-
leisteten Funktionen abdecken. Die höhere Effizienz des
Kurzdienstes würde eine Reduzierung des Gesamtum-
fangs der Streitkräfte erlauben. Ein solcher Kurzdienst
ermöglicht ein sanftes Umsteuern ohne abrupte Brüche.
Er muss in ein verbessertes Konzept der Nachwuchs-
gewinnung, Personalbetreuung und Berufsförderung in-
tegriert werden. Der Vorschlag eines Kurzdienstes hat
bisher viel Zustimmung erfahren – unter Soldaten, bei
Jugendverbänden wie in der Öffentlichkeit. Er könnte
schon vor einer Entscheidung über die künftige Wehr-
form auf den Weg gebracht werden. Angesichts der ge-
genwärtig guten Bewerberlage ist dafür der Zeitpunkt
ausgesprochen günstig.
Der FDP-Antrag beschränkt sich auf die Forderung
nach einem freiwilligen flexiblen Kurzdienst, lässt aber
die essenziellen flankierenden Forderungen der Grünen
außer Acht: Um Risiken zu vermeiden und den Über-
gang zur Freiwilligenarmee verantwortlich zu gestalten,
also eine auch qualitativ ausreichende Nachwuchsge-
winnung und die Integration der Streitkräfte in die Ge-
sellschaft zu gewährleisten, sind ein klarer und begrenz-
ter Bundeswehrauftrag, die Attraktivität des Dienstes,
eine gelebte Innere Führung und verantwortbare Ein-
sätze die unverzichtbare Voraussetzung.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrer Ko-
alitionsvereinbarung festgelegt, die Wehrform vor Ende
der Legislaturperiode zu überprüfen. Die SPD will
hierzu auf ihrem Bundesparteitag im November be-
schließen. Im Interesse einer tragfähigen und vertrauens-
würdigen Transformation der Bundeswehr wäre es aber,
wenn zügig und im Laufe dieses Jahres Klarheit in
Sachen Wehrform geschaffen würde. Hierbei ist selbst-
verständlich die SPD unser Partner und nicht die FDP.
Günther Friedrich Nolting (FDP): Gestern hat das
Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung gefällt,
die auf den ersten Blick als pro Wehrpflicht verstanden
werden könnte. Dem zweiten, dem genaueren Blick
bleibt jedoch nicht verborgen, dass es sich um eine reine
Sachentscheidung bezüglich der Einberufungspraxis
handelt. Die Grundsatzentscheidung zur Aussetzung der
Wehrpflicht muss und wird politisch fallen, in diesem
Haus.
Die Wehrpflicht ist heute in jeder Beziehung unge-
recht. Nicht einmal mehr einem Fünftel der jungen Män-
ner wird der Wehrdienst abverlangt. Außerdem steht der
Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen, weder
für Deutschland und schon gar nicht für die Betroffenen.
Die Wehrpflicht behindert einerseits zunehmend den
normalen Dienstablauf in der Truppe, andererseits be-
nachteiligt sie die jungen Männer, die den Wehrdienst
ableisten müssen, in ihrem beruflichen Weiterkommen.
Mittlerweile stimmt der Slogan: „Die Dummen dienen,
die Klugen verdienen.“ Das ist unerträglich.
Auch deshalb, neben der sicherheitspolitischen Be-
trachtung, fordert die FDP seit langem die Umstrukturie-
rung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee. Die un-
bestreitbaren Vorteile der Wehrpflicht müssen dabei
nicht zwangsläufig aufgegeben werden. Wir haben
schon vor Jahren das Modell der flexiblen Kurzdienst-
zeit entworfen, das diesem Gedanken voll Rechnung
trägt. Die Grünen haben es vor wenigen Wochen weitge-
hend kopiert, ohne Quellenangabe versteht sich. Wenn
es aber der Sache dienlich ist, wenn es die Freiwilligen-
armee in Deutschland voranbringt, sei ihnen der geistige
Diebstahl verziehen.
Nachwuchsprobleme wird es, wenn man dem Modell
der FDP folgt, eher nicht geben. Der von uns konzipierte
freiwillige Kurzdienst, der bis zu 24 Monate dauern
kann, wird entscheidend dazu beitragen, die aktuellen
Weiterverpflichtungsquoten aus der Truppe heraus zu er-
halten bzw. noch zu verbessern. Es muss jedoch sicher-
gestellt werden, dass der Dienst in den Streitkräften at-
traktiver wird. Auch das stellt das FDP-Konzept sicher.
Die FDP ist für die Aussetzung der Wehrpflicht, weil
sie sicherheitspolitisch nicht mehr zu legitimieren ist.
Bündnis 90/Die Grünen bekunden ebenfalls ihre Sympa-
thie für eine Freiwilligenarmee, auch wenn sie bei Ab-
stimmungen im Deutschen Bundestag stets für die Bei-
behaltung der Allgemeinen Wehrpflicht votiert haben.
Die Union scheint in dieser bedeutenden Frage bedau-
ernswert bewegungslos. Von Ausnahmen abgesehen ist
sie offensichtlich unfähig, Lageveränderungen wahrzu-
nehmen, oder aber die daraus erwachsenen logischen
Konsequenzen zu ziehen. Wenn mich nicht alles täuscht,
kommt die SPD, wenigstens in dieser Frage, langsam in
Bewegung. Die dortigen Stahlhelmer jedoch, an der
Spitze der Verteidigungsminister, versuchen dennoch
mit allen Mitteln, die Meinung der Genossen in ihrem
Sinne zu beeinflussen. Ich hoffe sehr, dass die reform-
freudigen Kräfte der Partei spätestens auf dem Parteitag
im November eine Mehrheit finden werden.
In der SPD werden zurzeit öffentlich Überlegungen
zur Reform der Wehrpflicht angestellt. Das so genannte
dänische Modell, eine Mischform zwischen Wehrpflicht
und Freiwilligenarmee, wird in die Diskussion gewor-
fen, sogar als Kompromissformel angepriesen. In diesem
Punkt gebe ich dem Verteidigungsminister ausdrücklich
Recht, wenn er diesen Vorschlag ablehnt. Die dänische
Struktur kann nicht als Vorbild für die Bundeswehr he-
rangezogen werden. Die SPD wäre gut beraten, in dieser
Frage ihrem Koalitionspartner zu folgen, der sich für die
Übernahme des FDP-Modells entschieden hat. Das ist
der gangbare Weg. Wir verzichten zum Wohle der Sache
in dieser wichtigen Frage gern auf unsere Urheberrechte.
Die Wehrpflicht ist nicht mehr zu halten. Alle objekti-
ven Argumente sprechen gegen sie. Und, auch wenn
viele Mitglieder dieses Hauses es nicht wahrhaben wol-
len, die Bundeswehr leidet mittlerweile unter der Wehr-
pflicht.
Die FDP will mit dem vorliegenden Antrag bewirken,
dass sich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages
noch einmal intensiv mit der Wehrpflichtproblematik be-
fassen. Dieses Thema ist zu bedeutungsvoll, um es in
eine holzschnittartige Wahlkampfstrategie einzubauen.
Es geht um nicht weniger als um unsere Bundeswehr. Es
geht um ihr Betriebsklima, um ihre Leistungs- und um
ihre Zukunftsfähigkeit. Und es geht damit politisch um
die Möglichkeit der internationalen Einflussnahme. Wir
14236 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
wären gut beraten, die Empfehlung des scheidenden
amerikanischen Botschafters Coats anzunehmen. Er
sagte vor zwei Wochen: Strukturieren Sie Ihre Bundes-
wehr neu und machen Sie sie stärker, kein Land kann nur
mit Worten globalen Einfluss geltend machen.
Ich möchte eingangs feststellen, dass ich die Ausfüh-
rungen des Kommandeurs der Führungsakademie der
Bundeswehr anlässlich des Neujahresempfangs in allen
Punkten teile. Und ich möchte Generalmajor Beck da-
rüber hinaus meinen Respekt bezüglich der gezeigten
Courage zollen.
Zum Schluss ein Zitat, das General Beck in seiner
Ansprache benutzt hat: Wenn der Wind des Wechsels
weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmüh-
len. Da ich aus dem Mühlenkreis Minden-Lübbecke
komme, sage ich: Lassen Sie uns in der Wehrpflichtfrage
ganz schnell Windmühlen bauen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes über das Inverkehr-
bringen, die Rücknahme und die umweltver-
trägliche Entsorgung von Elektro- und
Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronik-
gerätegesetz – ElektroG)
– Antrag: Verwertung von Elektronik-Altge-
räten ökologisch sachgerecht und unbüro-
kratisch gestalten
(Tagesordnungspunkt 18 a und b)
Gerd Friedrich Bollmann (SPD): Seit langem dis-
kutieren wir über den Entwurf eines Elektro- und Elek-
tronikgerätegesetzes. Wir setzen damit die entsprechen-
den europäischen Richtlinien in bundesdeutsches Recht
um. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,
über die Einvernehmlichkeit, mit der wir dies tun.
Der Gesetzentwurf wurde intensiv mit allen Beteilig-
ten, insbesondere auch den Vertreterinnen und Vertretern
der Kommunen, der Länder und der Wirtschaft beraten.
Wenn der Gesetzentwurf jetzt beschlossene Sache wird,
ist Deutschland einer der ersten Mitgliedstaaten in der
Europäischen Union, der die Richtlinien zur Gestaltung
und Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten um-
gesetzt hat. Das ist ein gutes Beispiel für eine erfolgrei-
che fraktionsübergreifende Einigung und eine gute,
wirksame Umsetzung der Richtlinien. Die Umsetzung
der Elektro-Schrott-Richtlinien zeigt, dass in Deutsch-
land gesetzgeberische Reformarbeit in Konsens mit den
Betroffenen möglich ist.
Ab dem 13. August 2005 gilt in den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union ein einheitlicher Rahmen für
die Wahrnehmung der Produktverantwortung für Elek-
tro- und Elektronikgeräte. Ab diesem Zeitpunkt sollen
die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Elektro-Alt-
geräte kostenlos zur Wiederverwendung oder Entsor-
gung abgeben können. Außerdem wird die Verwendung
bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektro-
nikgeräten beschränkt. Die Europäische Union will die
anfallende Abfallmenge aus diesem Bereich und die Be-
lastung dieses Abfalls mit bestimmten gesundheits- und
umweltgefährdenden Stoffen deutlich reduzieren. In der
EU fielen 1998 etwa 6 Millionen Tonnen Elektroschrott
an. Diese Menge entspricht rund vier Prozent des kom-
munalen Abfallstroms und wächst zurzeit dreimal
schneller als die kommunalen Abfälle insgesamt.
Elektroschrott ist noch ein bedeutender Faktor für die
Kontamination kommunaler Abfälle mit Schadstoffen.
Bisher wird in Europa der überwiegende Teil dieser Ab-
fälle ohne jede Vorbehandlung beseitigt und belastet so-
mit die Umwelt erheblich. Etwa 40 Prozent der Blei-
belastung in Deponien stammen heute aus Elektro- und
Elektronikgeräten. Mit dem heute zu beschließenden
Gesetz wird diese Umweltbelastung erheblich mini-
miert.
Wir müssen auch in diesem Punkt unseren abfallwirt-
schaftlichen Leitlinien ein Stück näher kommen. Das
Ziel der Produktverantwortung nach dem Kreislaufwirt-
schafts- und Abfallgesetz, wonach Produkte langlebig,
reparierbar, demontierbar, recyclingfahig und schadlos
zu beseitigen sein sollen, spiegelt sich in diesem Gesetz-
entwurf wider. Denn auch beim Elektroschrott heißt die
zeitgemäße Lösung Produktverantwortung.
Wir haben versucht, zusätzliche Bürokratie auf das
notwendige Minimum zu beschränken. Daher haben wir
in Absprache mit den Unternehmensverbänden Regelun-
gen getroffen, welche die Umsetzung weitgehend in die
Verantwortung der Privatwirtschaft legt. Denn der Elek-
tro- und Elektronikgerätemarkt ist äußerst komplex. Es
stellt deshalb eine anspruchsvolle Aufgabe dar, den
Grundsatz durchzusetzen, dass jeder, der in Deutschland
Neugeräte absetzt, für die Rücknahme und umweltver-
trägliche Entsorgung von Altgeräten verantwortlich ist.
Diese anspruchsvolle Aufgabe haben wir mit dem Ge-
setz gelöst. Es wäre nicht sinnvoll, für diese Aufgabe
eine neue staatliche Behörde aufzubauen. Diese Behörde
müsste sich zunächst die erforderlichen Marktkenntnisse
aneignen, um beispielsweise diejenigen zur Verantwor-
tung zu ziehen, die sich ihren Verpflichtungen zur Regis-
trierung und zum Abholen bei den Kommunen entziehen
wollen.
Der Gesetzentwurf folgt daher einem anderen organi-
satorischen Ansatz: Eine von den Herstellern zu grün-
dende privatrechtliche „Gemeinsame Stelle“ wird die
notwendigen Aufgaben der Herstellerregistrierung, Da-
tenerhebung und weitere organisatorische Arbeiten über-
nehmen. Dafür erfolgt auch die zur Durchsetzung not-
wendige Beleihung mit hoheitlichen Rechten. Auf diese
Weise werden die Marktkenntnisse der Wirtschaft mit
der Autorität einer Behörde verbunden. Neben diesen
hoheitlichen Aufgaben soll die „Gemeinsame Stelle“ als
zentraler Ansprechpartner der Kommunen die Meldun-
gen über erreichte Abholmengen entgegennehmen und
die Abholung organisieren. In diesem Zusammenhang
möchte ich noch einmal hervorheben, dass sich die be-
troffene Wirtschaft in vorbildlicher Weise an der Lö-
sungsfindung beteiligt hat.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14237
(A) (C)
(B) (D)
Ein zentraler Punkt des Gesetzes war die Frage nach
der geteilten oder ungeteilten Produktverantwortung.
Wir haben uns letztendlich dafür entschieden, dass die
Produktverantwortung zwischen Herstellern und öffent-
lich-rechtlichen Entsorgungsbetrieben geteilt wird. Ei-
nerseits stellen wir damit sicher, dass die betroffenen Un-
ternehmen nicht übermäßig belastet werden, andererseits
nutzen wir die Erfahrung der kommunalen Entsorgungs-
gesellschaften. In zahlreichen Städten, Gemeinden und
Kreisen gibt es bereits heute erfolgreiche Systeme zur
getrennten Sammlung von Elektro-Altgeräten. Die vor-
handenen Systeme der öffentlich-rechtlichen Entsorger
haben bewiesen, dass sie am besten geeignet sind, die ge-
trennte Sammlung des Elektroschrotts durchzufuhren
und die Altgeräte einer umweltverträglichen Entsorgung
zuzuführen.
Geteilte Produktverantwortung heißt für uns konkret:
Die Hersteller bzw. Importeure müssen folgende Verant-
wortung übernehmen: Das Gesetz hält sie dazu an, schon
bei der Produktion die Langlebigkeit, Wiederverwend-
barkeit und Recyclingfähigkeit ihrer Produkte zu be-
rücksichtigen. Erreicht wird dies durch Verpflichtungen,
die sowohl die Neugeräte vor dem Inverkehrbringen als
auch die Altgeräte im Rücklauf betreffen.
Die Hersteller müssen die Entsorgung von Altgeräten
übernehmen und finanzieren. Dabei ist es unerheblich,
zu welchem Zeitpunkt ein Gerät auf den Markt gekom-
men ist. Das heißt, die Hersteller sind verantwortlich da-
für, bei den Kommunen Container für Altgeräte aus pri-
vaten Haushalten bereitzustellen, die Container bei den
kommunalen Sammelstellen abzuholen, die Altgeräte
wieder zu verwenden, zu behandeln bzw. zu entsorgen,
die Quoten für die stoffliche und energetische Verwer-
tung einzuhalten und die Geräte zu entsorgen, die aus
dem rein gewerblichen Bereich stammen und nach dem
13. August 2005 in Verkehr gebracht werden.
Die Kommunen müssen Verantwortung übernehmen:
Alle Kommunen müssen zukünftig eine Sammelstelle zur
kostenlosen Abgabe von Altgeräten anbieten. Es bleibt
den Kommunen überlassen, wie sie die Sammlung orga-
nisieren. Darüber hinaus können sie, über die gesetzlich
vorgeschriebenen Verpflichtungen hinaus, zugunsten der
Bürgerinnen und Bürger freiwillige Verbesserungen in
der Sammlung, zum Beispiel Holsysteme, einführen. Der
Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kommunen die gesam-
melten Altgeräte in fünf Gruppen unterteilen und den
Herstellern zur Abholung bereitstellen. Die Hersteller lie-
fern und finanzieren die dazu erforderlichen Behälter.
Durch die im Gesetz verankerte Forderung, dass Bild-
schirmgeräte separat und bruchsicher erfasst werden
müssen, wird eine umweltgerechte Sammlung und Lage-
rung garantiert.
Verantwortung übernehmen müssen auch die Ver-
braucherinnen und Verbraucher: Sie müssen die Altge-
räte getrennt sammeln und bei den kommunalen Sam-
melstellen abgeben. Im Gesetz haben wir geregelt, dass
die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Neure-
gelungen und die Abgabemöglichkeiten informiert wer-
den. Aber sie sollten neben den Rückgabemöglichkeiten
bei der Kommune oder beim Handel auch die Rücknah-
mesysteme der Hersteller nutzen.
Der heute eingebrachte Gesetzentwurf über das In-
verkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträg-
liche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten ist
natürlich ein Kompromiss. Aber er ist ein Kompromiss,
der meiner Meinung nach den Interessen aller Beteilig-
ten entgegenkommt und für alle zustimmungsfähig ist.
Mit diesem Gesetz kommen wir unserem Ziel eines um-
weltverträglichen Wirtschaftens ein gutes Stück näher.
Ich bitte Sie daher um Zustimmung.
Werner Wittlich (CDU/CSU): Eines der wichtigsten
Regelungsprobleme in der Europäischen Abfallpolitik
ist die Entsorgung von Elektro- und Elektronikschrott.
Nach jahrzehntelangen Diskussionen über einen Rege-
lungsrahmen für die Entsorgung von Elektronikschrott
sind im Februar 2004 die so genannten Elektro-Altge-
räte-Richtlinien in Kraft getreten. Der vorgelegte Ge-
setzentwurf setzt die europarechtlichen Vorgaben in nati-
onales Recht um.
Kernziel des Gesetzentwurfes ist, den stetig steigenden
Abfallmengen bei den Elektro- und Elektronikgeräten –
bereits 1998 wurden gemeinschaftsweit 6 Millionen Ton-
nen Elektronikschrott entsorgt – durch Getrenntsamm-
lung, Wiederverwendung, Verwertung und Recycling
gegenzusteuern. Der Markt für Elektro- und Elektronik-
Altgeräte wächst seitdem dynamisch an und die Menge
der zu entsorgenden Altgeräte ist entsprechend gestie-
gen. Zu dieser Entwicklung tragen auch rasante techni-
sche Innovationen und die damit einhergehende kurze
Nutzungsdauer der Geräte bei.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich immer
für eine Regelung stark gemacht, die das Prinzip der
Herstellerverantwortung stützt, den Schadstoffgehalt der
Geräte verringern hilft, dazu beiträgt, Abfälle zu vermei-
den und eine Steigerung der Verwertungsraten mit sich
bringen wird.
Als positiv beurteilen wir die klare Zuweisung der un-
terschiedlichen Verantwortlichkeiten für Rücknahme
und Entsorgung. Für die Erfassung und Sammlung sind
die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zuständig.
Demgegenüber erstreckt sich die Verantwortung der
Hersteller auf die Wiederverwendung, Behandlung, Ver-
wertung und auf die Übernahme der Kosten für die Ent-
sorgung. Das Elektro- und Elektronik-Altgerätegesetz
trägt auch der kommunalen Selbstverwaltung auf dem
Gebiet der Abfallwirtschaft Rechnung. Durch die eigen-
verantwortliche Sammlung der Elektrogeräte durch die
öffentlich-rechtlichen Entsorger bleibt auch die kommu-
nale Selbstverwaltung gewährleistet. Die Kommunen
verfügen zudem über den erforderlichen Sachverstand
zur Sammlung der Geräte. Die Rücknahme von Elektro-
und Elektronikgeräten lässt sich über die bewährten
kommunalen Sammelstrukturen zudem ohne Verzöge-
rungen und bürgernah organisieren. Denn hier kann man
an bisherige Rücknahmesysteme anknüpfen, die auf
kommunaler Ebene bereits aufgebaut sind und an die
sich die Bürger bereits gewöhnt haben. Vom Verbraucher
gelernte und akzeptierte Sammelstrukturen bieten auch
14238 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
die Sicherheit, die Rücknahme der Altgeräte ohne Ver-
zögerung bürgernah zu organisieren. Es gibt kommunale
Gebietskörperschaften, die bereits sehr fortschrittlich in
diesem Bereich sind.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Ge-
setzentwurf in der Fassung der Beschlussvorlage des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit zu. Die nun vorliegende Gesetzesfassung stellt
nach unserer Auffassung eine erhebliche Verbesserung
gegenüber dem Entwurf in der Kabinettsfassung dar.
Nicht zuletzt hat auch die öffentliche Sachverständigen-
anhörung vom 24. November 2004 dazu beigetragen,
dass der Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten ver-
bessert werden konnte.
Nach von allen Fraktionen intensiv geführter Bera-
tung im Umweltausschuss vom gestrigen Tage kann sich
das Ergebnis sehen lassen. Wie intensiv die Beratungen
in der Ausschusssitzung geführt wurden, lässt sich daran
messen, dass zahlreiche Änderungsanträge beraten und
entschieden wurden. Die Koalitionsfraktionen haben
weitgehend Beschlüsse des Bundesrates, denen die Bun-
desregierung im Vorfeld zugestimmt hatte, übernom-
men. Damit sind die Koalitionsfraktionen auch zum
großen Teil Forderungen der CDU/CSU-Bundestags-
fraktionen nachgekommen.
Von den insgesamt zehn unserer Forderungen konnten
wir vier durchsetzen. Die rot-grüne Koalition hat der
Forderung der Unionsfraktion zugestimmt, spätestens
fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes seine Auswir-
kungen zu überprüfen und dem Bundestag und Bundes-
rat darüber zu berichten. Auch die Erwähnung des Be-
griffs „clever chips“ in Druckerpatronen, die zu einer
Diskriminierung eines einzelnen Technologiebereichs
geführt hätten, ist beseitigt. Der entsprechende Klam-
merzusatz in der Begründung des Gesetzestextes ist jetzt
gestrichen. Auch mit den jetzt länger gefassten Über-
gangsvorschriften für das In-Kraft-Treten des Gesetzes
von nun acht bzw. zwölf Monaten konnten wir eine Eini-
gung mit den Koalitionsfraktionen erzielen. Damit tra-
gen wir der Tatsache Rechnung, dass die öffentlich-
rechtlichen Entsorgungsträger sowie auch die Hersteller
eine angemessene Vorbereitungszeit zur Einrichtung und
zum Aufbau von operativen Sammel- und Rücknahme-
systemen benötigen.
Leider ist die Regierungskoalition nicht bereit, sechs
Sammelcontainer, wie es der Referentenentwurf vorge-
sehen hatte, beizubehalten. Wir kritisieren diese Redu-
zierung von sechs auf fünf Sammelbehältnisse, da eine
ökologisch sinnvolle Differenzierung zwischen den un-
terschiedlichen Geräten unserer Auffassung nach nicht
möglich ist. Denn eine Reduzierung auf fünf Geräte-
gruppen hat unseres Erachtens zur Folge, dass Geräte
mit unterschiedlichen Verwertungs- und Recyclingquo-
ten zusammengeworfen werden, sodass ein umweltge-
rechter Weitertransport verkompliziert wird. Eine hoch-
wertige Verwertung wird erschwert, die Wahrnehmung
einer herstellerspezifischen Verantwortung unmöglich
gemacht und Anreize für eine recyclinggerechte Kon-
struktion entwertet.
Die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen konnten sich leider auch nicht durchringen,
unserem Antrag zustimmen, der vorsah, eine so ge-
nannte Befreiungsklausel für die Schmuck- und Uhren-
branche sowie für Hersteller von Modelleisenbahnen mit
aufzunehmen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht
es als notwendig an, eine solche Klausel in den Gesetz-
entwurf aufzunehmen. Sie erlaubt, Hersteller von den
Auflagen des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes für
Produkte zu befreien, wenn eine Müllstromanalyse
nachweist, dass sich die von ihm erzeugten Produkte
nicht im Elektromüll befinden. Denn Produkte, wie zum
Beispiel wertvolle Schmuckstücke, Uhren, Modelleisen-
bahnen, werden in der Regel nicht über den Hausmüll
entsorgt. Es sind zumeist Sammlerstücke, die mit ent-
sprechender Wertsteigerung von Generation zu Genera-
tion weitergegeben und vererbt werden. Ohne eine ent-
sprechende „Befreiungsklausel“ werden unseres
Erachtens insbesondere kleine und mittelständische Un-
ternehmen durch die kostenpflichtige Registrierung, de-
taillierten Meldungen und Statistiken unverhältnismäßig
finanziell belastet.
Zu unserem Bedauern haben die Koalitionsfraktionen
sich auch nicht durchringen können, ein wirksames
Instrument zu schaffen, das dem so genannten Rosinen-
picken durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträ-
ger einen Riegel vorschiebt. In § 9 Abs. 6 des Gesetzent-
wurfs wird es weitgehend den öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträgern überlassen, je nach Marktlage der
Rohstoffmärkte freihändig zu entscheiden, ob sie Altge-
räte den Herstellern jeweils zur Verfügung stellen oder
nicht. Es bedarf nach unserer Auffassung einer längeren
Mindestbindungszeit, um zu verhindern, dass den Her-
stellern die Grundlagen für die Abschätzung der ankom-
menden Altgerätemengen- und qualitäten entzogen wer-
den.
Der Gesetzentwurf trägt auch dem Gesundheitsschutz
Rechnung. Denn auch die komplexe Konstruktion der
Geräte und die Verwendung gefährlicher Substanzen in
einzelnen Bauteilen, wie zum Beispiel Blei, Quecksilber
oder Cadmium, machen es nötig, dass eine Grundlage
für eine praxisgerechte und wettbewerbskonforme Rege-
lung der Rücknahme und Entsorgung von Altgeräten ge-
schaffen und Höchstkonzentrationswerte festgelegt wer-
den.
Als positiv möchte ich an dieser Stelle anmerken,
dass der Kollege Bollmann sein Versprechen aus der ers-
ten Lesung vom 22. Oktober 2004 gehalten hat und sich
nach der öffentlichen Anhörung im Rahmen der Ver-
handlungen im Umweltausschuss kompromissbereit ge-
zeigt hat.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt der nun
vorliegenden, überarbeiteten Fassung des Gesetzentwur-
fes zu.
Der FDP-Antrag enthält durchaus gute Ansatzpunkte.
Die CDU/CSU-Fraktion kann ihm dennoch nicht zu-
stimmen, da er das den Gesetzentwurf prägende Prinzip
der Getrenntsammlung in Zweifel zieht. Die CDU/CSU-
Fraktion bekennt sich hingegen zu dem Prinzip der Ge-
trenntsammlung.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14239
(A) (C)
(B) (D)
Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Lassen Sie mich zunächst daran erinnern, dass
die Versuche, eine Regelung für die aus Umweltsicht
hochrelevante Gruppe der Elektro- und Elektronik-Alt-
geräte auf den Weg zu bringen, bereits auf das Jahr 1991
zurückgehen. Bisher war es aber nicht gelungen, eine
entsprechende nationale Regelung zu verabschieden.
Erst die Richtlinien der EU führen jetzt – 2005 – dazu,
dass wir endlich eine Regelung für diese hoch problema-
tische Abfallgruppe verabschieden – und das, obwohl
die Elektroschrottberge seither stetig gewachsen sind.
Sie wachsen weiter stetig in Richtung 2 Millionen Ton-
nen Altgeräte pro Jahr. Eine Vielzahl von – teilweise
noch funktionstüchtigen – Geräten landet bislang ein-
fach auf dem Müll. Dabei gehen nicht nur wertvolle
Rohstoffe verloren, es gelangen auch Giftstoffe wie
Quecksilber oder Cadmium in die Umwelt.
Deshalb verabschieden wir heute das Elektro- und
Elektronik-Altgerätegesetz und führen damit auf der Ba-
sis der entsprechenden EG-Richtlinien auch für diesen
Bereich die Produktverantwortung ein. Ziel des Gesetzes
ist, dass Verbraucher erstens umweltgerechte schadstoff-
arme Neugeräte angeboten bekommen, die entweder
langlebig oder gut recycelbar sind, und zweitens ihre
Altgeräte kostenlos zurückgeben können. Somit werden
die Voraussetzungen geschaffen, dass eine sinnvolle Ent-
sorgung jenseits von Sperrmüll, der grauen Restmüll-
tonne oder gar des Waldrandes stattfindet.
Um das zu erreichen, stellt das Gesetz sicher, dass die
Hersteller besonders gefährliche Stoffe, wie zum Bei-
spiel Blei, Cadmium oder bestimmte bromhaltige Ver-
bindungen, nicht mehr verwenden, eine umweltgerechte
Entsorgung aller Altgeräte garantieren, festgelegte Recy-
cling- und Verwertungsquoten einhalten und sich zur
Kontrolle in einem Register erfassen lassen. Anderer-
seits verlangt das Elektroaltgerätegesetz allerdings auch
von den Kommunen eine aktive Rolle. Viele von ihnen
sind ebenso wie ihre Bürgerinnen und Bürger bereits
durch jahrelange freiwillige Praxis auf die Getrennt-
sammlung von Altgeräten eingestellt. Auch werden
zahlreiche Altgeräte auf diesem Wege bereits der – öko-
logisch und sozial – denkbar sinnvollsten Verwendung
zugeführt, indem die Kommunen die Altgeräte karitati-
ven Einrichtungen zur Verwertung übergeben. Dies wird
durch das Gesetz natürlich erhalten bleiben.
Insgesamt ist zentrales Element des Gesetzentwurfes
die so genannte geteilte Produktverantwortung. Sie ist
eine notwendige und sinnvolle Regelung, die sicher-
stellt, dass auch die „historischen Altgeräte“, also die
Geräte, die bereits im Umlauf sind, zurückgenommen
werden. Geteilte Produktverantwortung heißt: Die Wirt-
schaft muss einschließlich der Bereitstellung der Sam-
melbehälter die Verantwortung für die Verwertung aller
Altgeräte übernehmen, auch der, die vor Jahrzehnten
produziert wurden und für die heute kein Hersteller mehr
festgestellt werden kann. Im Gegenzug müssen die
Kommunen die Aufgabe der kostenlosen Annahme der
Altgeräte übernehmen. Die Umwelt profitiert in jedem
Fall; denn ein großer Teil von Altgeräten befindet sich
vermutlich noch in Kellern und Speichern privater Haus-
halte. Deren Verbleib und Entsorgung war zumindest
bislang sehr ungewiss.
Ebenso wichtig wie die Vorgabe anspruchsvoller Ver-
wertungsziele ist es aber auch, sicherzustellen, dass sich
kein Hersteller oder Importeur seinen Verpflichtungen
entziehen kann. Aus diesem Grund wird ein von der
Wirtschaft geschaffenes und mit behördlichen Befugnis-
sen ausgestattetes Register unter der Aufsicht des Um-
weltbundesamtes die Einhaltung des fairen Wettbewerbs
überwachen. Das neue Gesetz regelt dies so unbürokra-
tisch wie möglich, aber so genau wie nötig.
Bezüglich der Kritik aus den Reihen der FDP-Frak-
tion ist deshalb auch anzumerken: Hier wird mitnichten
eine unnötige Bürokratie geschaffen, sondern das Ge-
genteil ist der Fall: Der Staat hält sich weitgehend zu-
rück. Die Wirtschaft leistet die Registrierung und Koor-
dinierung in eigener Regie in Form einer Stiftung. Die
Behörde, das Umweltbundesamt, hat lediglich die Fach-
aufsicht. Die Wirtschaft hat es somit selbst in der Hand,
die Bürokratie auf ein Minimum zu reduzieren.
Zum Schluss möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass
es uns gerade auch angesichts der von mir anfangs er-
wähnten langjährigen Geschichte um den Elektro- und
Elektronikschrott und der großen Bedeutung für den Um-
weltschutz ein wichtiges Anliegen war, dass der vorlie-
gende Gesetzentwurf von einer breiten Mehrheit getragen
wird. Wir haben deshalb in den sehr konstruktiven Bera-
tungen im Deutschen Bundestag unter anderem viele gute
und in der Sache begründete Vorschläge der Länder in den
Gesetzentwurf mit aufgenommen. So können wir heute
mit einer breiten Mehrheit ein Gesetz verabschieden, das
die bereits im Jahre 1991 begonnenen Arbeiten an einer
Elektro- und Elektronikaltgeräteverordnung zu einem er-
folgreichen Ende bringt.
Birgit Homburger (FDP): In den vergangenen Mo-
naten hat sich der Bundestag sehr intensiv mit dem heute
zur Schlussabstimmung vorliegenden Gesetzentwurf be-
fasst. Die FDP hat frühzeitig zahlreiche Regelungen des
ursprünglichen Entwurfs kritisiert und im Deutschen
Bundestag mit dem Antrag „Verwertung von Elektronik-
Altgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch
gestalten“ konkrete Änderungen vorgeschlagen. Die
FDP hat aufgezeigt, wie eine kostenminimale, einfache,
schlanke und unbürokratische Realisierung der europäi-
schen Richtlinie erreicht werden kann. Für die FDP war
und ist entscheidend, dass das Ziel der Ressourcenscho-
nung, der Minimierung der zu deponierenden Abfälle
und der Erhalt und die Weiterentwicklung des erreichten
Gesundheits- und Umweltschutzniveaus auch im Be-
reich der Elektro- und Elektronik-Altgeräte so erreicht
wird, dass die Betroffenen nicht unnötig belastet werden.
Vier Wochen später hat der Umweltausschuss zu den
vorgesehenen Regelungen eine Expertenanhörung
durchgeführt. Die Anhörung im vergangenen November
hat die Kritik der FDP an zahlreichen Stellen bestätigt.
Es wurde klar, dass das Ziel des Elektrogesetzes, den
Abfall aus Elektro- und Elektronikgeräten zu vermeiden
und – soweit dies nicht möglich ist – deren Verwertung
zu fördern, weniger bürokratisch, weniger kostenintensiv
14240 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
und mit deutlich weniger Nachteilen für die Arbeits-
plätze in Deutschland und Europa erreicht werden
könne.
Die FDP freut sich und nimmt mit Erleichterung zur
Kenntnis, dass mit der nun vorliegenden Fassung des
Gesetzes einigen der von uns kritisierten Punkte abge-
holfen und einigen Einwänden der FDP Rechnung getra-
gen wird. Dies betrifft beispielsweise die Präzisierung
bisher unklarer Begriffe, die Erweiterung übertrieben
knapp gesetzter Fristen und die Beseitigung mancher
Ungereimtheiten bei der Zertifizierung der betreffenden
Anlagen und ihrer Betreiber. Auch weisen einige mittler-
weile vorgesehene Vollzugserleichterungen in die rich-
tige Richtung. Dass die sachlich begründete und kon-
struktive Kritik der FDP an einem Gesetzesvorhaben der
Bundesregierung ausnahmsweise bei Umweltminister
Trittin einmal nicht – jedenfalls nicht vollständig – auf
taube Ohren trifft, ist eine positive Überraschung.
Dennoch kann die FDP dem vorliegenden Gesetzent-
wurf nicht zustimmen. Noch immer findet sich in dem
Gesetz manche unsinnige und belastende Regelung, die
zwar umweltpolitisch motiviert sein mag, für einen
wirksamen Schutz von Mensch und Umwelt aber nicht
erforderlich ist. Noch immer ist leider festzustellen, dass
den Betroffenen zahlreiche übertriebene und nutzlose
Vorschriften hätten erspart werden können und müssen.
Nach wie vor ist nicht einzusehen, dass durch undiffe-
renzierte Vorgaben ohne ökologische Notwendigkeit
auch Hersteller von elektronischen Geräten belastet
werden, deren Anteil an der Gesamtmenge von Elektro-
und Elektronik-Altgeräten vernachlässigbar gering oder
null ist. Außerdem erscheinen zahlreiche Vorgaben zur
manuellen Vorbehandlung und Getrenntsammlung der
Altgeräte nicht zuletzt im Eindruck des technischen
Fortschritts unter anderem bei Sortier- und Verwertungs-
anlagen nicht mehr zeitgemäß.
Auch kann der deutsche Umweltminister der Versu-
chung nicht widerstehen, alles aufs Genaueste zu regeln,
auch wenn die Regelung keinerlei Wirkung entfaltet. Die
Vorgabe, wonach die Anforderungen des Gesetzes auch
für Hersteller gelten, die entsprechende Geräte beispiels-
weise über das Internet in einem anderen Mitgliedstaat
der Europäischen Union vertreiben, mag zwar der euro-
päischen Richtlinie geschuldet sein. Die prompte und
musterschülerhafte Übernahme in das deutsche Gesetz
überzeugt jedoch nicht. Kein einziges europäisches Part-
nerland erfüllt derzeit die Voraussetzungen, um die Vor-
stellung einer europaweiten Anwendung der Vorschrif-
ten und den daraus abgeleiteten Finanzierungskreislauf
tatsächlich mit Leben zu erfüllen. In die Welt gesetzt
wird hier also eine leerlaufende Vorschrift, die auf die
Verwertung nicht eines einzigen Altgerätes Einfluss ha-
ben wird, das ins europäische Ausland exportiert worden
ist, gleichwohl die Betroffenen aber zusätzlich belastet.
Schließlich bleibt generell festzustellen, dass die eu-
ropäischen Richtlinien und ihnen folgend das Gesetz
versuchen, konkrete Wege zur Behandlung bestimmter
Produkte oder Stoffe vorzuschreiben, anstatt sich darauf
zu beschränken, verbindliche ökologische Ziele vorzu-
geben und es der Wirtschaft und der technischen Ent-
wicklung zu überlassen, dafür geeignete Verfahren zu
finden. Dazu kommt, dass die Bundesregierung die nö-
tige Bereitschaft vermissen lässt, auf europäischer Ebene
unsinnige Vorschriften nochmals zur Diskussion zu stel-
len. Einem in dieser Hinsicht verfehlten Grundprinzip
kann die FDP nicht zustimmen. Um die gegenüber der
ursprünglichen Fassung des Gesetzes auch auf Druck der
FDP immerhin erreichten Verbesserungen zu würdigen,
wird sich die FDP der Stimme enthalten.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Energieeffizienz in
Gebäuden steigern – Unbürokratische Energie-
ausweise entwickeln (Tagesordnungspunkt 12)
Gabriele Groneberg (SPD): Die Einführung eines
Energieausweises ist Bestandteil einer EU-Richtlinie
über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. Neu al-
lerdings ist die Diskussion nicht. Die Richtlinie verfolgt
nahezu die gleichen Ziele wie die Energieeinsparverord-
nung (EnEV), die bereits seit dem 1. Februar 2002 in
Kraft ist. Diese Energieeinsparverordnung ist nicht nur
zentrales Element der Energie- und Klimaschutzpolitik
der Bundesregierung, sie dient ebenso der Daseinsvor-
sorge und liefert wichtige Impulse für die Baukonjunk-
tur.
Wir haben nicht nur Gesetze und Verordnungen zur
energetischen Gebäudequalität gemacht, wir haben auch
ganz praktische finanzielle Anreize für Eigentümer be-
schlossen um unseren internationalen Verpflichtungen
mit dem Ziel, den CO2-Ausstoß im Gebäudebereich zureduzieren, auch zu erreichen.
Die seit Jahren existierenden und gut angenommenen
Förderprogramme zur Sanierung und Modernisierung im
Gebäudebereich dienen dazu, Eigentümern energetische
Sanierungsmaßnahmen schmackhaft zu machen. Diese
Programme tragen dazu bei, Investitionen und Innova-
tionen im Gebäudebereich anzustoßen. Davon profitiert
vor allem natürlich auch die Bauwirtschaft.
Wir werden sicherlich darüber reden müssen, wie
das Gebäudesanierungsprogramm zur CO2-Minderungebenso wie auch das Programm für das „Niedrigenergie-
haus im Bestand“ weiterentwickelt werden soll mit Blick
auf die Einbeziehung der Energieausweise und ebenso
mit Blick auf die Anforderungen der Energieeinsparver-
ordnung. Ich würde mich darüber freuen, wenn wir in
diesem Fall auf Ihre Unterstützung für diese Programme
setzen könnten.
Die nun bis zum 6. Januar 2006 in nationales Recht
umzusetzende EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz
von Gebäuden geht in mehreren Punkten über die zurzeit
gültige Energieeinsparverordnung hinaus. Einer der Um-
setzungsschwerpunkte wird der Energieausweis sein, mit
dem Sie sich in Ihrem Antrag auseinander setzen.
Man kann sicherlich darüber streiten, ob – wie in
Ihrem Antrag beschrieben – die Einführung des Ener-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14241
(A) (C)
(B) (D)
gieausweises dem allgemeinen politischen Ziel, büro-
kratischen Aufwand in Deutschland abzuschaffen, wi-
derspricht oder ob nicht doch die Einführung von
Energieausweisen ein Vorteil ist für diejenigen, die ein
Haus bauen oder kaufen wollen, oder für den Mieter, der
sich nach einer neuen Wohnung umschaut. Der Energie-
ausweis ist damit auch ein Instrument des Marktes.
Die mit dem Energieausweis verbundene Transparenz
hinsichtlich der energetischen Qualität von Gebäuden ist
sicherlich für viele Interessenten ein Vorteil und damit
gut für den Verbraucher. Und für die Eigentümer von
Gebäuden, bei denen die energetische Qualität nicht in
Ordnung ist, werden die dem Energieausweis beizu-
fügenden Empfehlungen für kostengünstige Verbesse-
rungen der Gesamtenergieeffizienz des Gebäudes helfen,
geplante Modernisierungen energetisch sinnvoll durch-
zuführen oder auch Baumaßnahmen zur energetischen
Verbesserung zu ergreifen. Und diese Investitionen wie-
derum werden der Bauwirtschaft und damit den dort Be-
schäftigten zugute kommen.
Die von Ihnen beschriebene „von verschiedenen Sei-
ten geäußerte starke Kritik an einem zu aufwendig ge-
stalteten Energiepass“ malt ein falsches Bild. Es kann
höchstens Befürchtungen geben, ein geplanter Energie-
pass könnte zu aufwendig werden; denn noch gibt es
keine Entwürfe. Was es gibt, ist ein im Jahr 2004 durch-
geführter Feldversuch der Deutschen Energie-Agentur
(dena), der zurzeit ausgewertet wird. Und es gibt eigene
Untersuchungen des Verbandes deutscher Wohnungsun-
ternehmen (GdW). Und das ist gut so.
Keiner leidet hier unter einem Informationsmangel,
denn die „dena“ hat bereits in einer ersten Runde über
den jetzt abgeschlossenen Feldversuch berichtet. Die
endgültigen Auswertungen liegen doch noch gar nicht
vor. Sie erwecken in ihrem Antrag den Eindruck, hier
würde nicht vernünftig informiert. Es liegt doch vor
allem an Ihnen, die angebotenen Informationsmöglich-
keiten auch zu nutzen.
Wenn wir das Thema Energieausweis im Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beraten, werden
wir natürlich auch darüber reden, ob dieser Ausweis be-
darfsabhängig, auf der Grundlage von Berechnungen des
Energiebedarfs erstellt und für den Verbraucher in einer
leicht verständlichen Klassifizierung ausgeführt wird
oder ob er auf der Basis von Verbrauchsmessungen ge-
staltet werden soll. Und auch über die Kosten und Fris-
ten bis zur erstmaligen Vorlage eines Ausweises gibt es
noch keine Aussagen. Ziel sollte auf jeden Fall ein ein-
heitlicher, leicht verständlicher Energieausweis sein, der
transparent ist und damit der Information von Eigen-
tümern und Verbrauchern dient.
Sehr geehrte Damen und Herren der CDU/CSU-Frak-
tion, Ihr Antrag ist auf jeden Fall in einigen Punkten wi-
dersprüchlich. Sie verlangen einen Energieausweis, der
nicht mehr Bürokratie erfordert, wie ohnehin durch die
Umsetzung der Richtlinie zwingend erforderlich ist. So
weit, so gut. Gleichzeitig wollen Sie jedoch der Bun-
desregierung eine Berichtspflicht auferlegen, die voll-
kommen unnötig ist. Sie wollen eine offizielle Be-
richtspflicht gegenüber dem Parlament, die derartig
umfangreich ist, dass man mit dem damit verbundenen
Aufwand etliche Leute im Apparat beschäftigen kann.
Ich frage mich, ob es vielleicht sogar beabsichtigt ist.
Wollen Sie mit dem damit verbundenen Zeitaufwand
etwa eine gehörige Zeitverzögerung bei der Beratung zur
Umsetzung erreichen? Ich hoffe doch wohl nicht.
Die zur Beratung notwendigen Informationen werden
wir mit Sicherheit im Ausschuss bekommen. Das ist eine
gute Gepflogenheit der Fachleute in diesem Bereich; das
wissen Sie ganz genau. Oder haben Sie bei den Beratun-
gen zum Beispiel über die Novellierung der Bauordnung
über mangelnde Informationen klagen können?
Lassen Sie uns die Beratungen über die Ausgestal-
tung des Energieausweises in Ruhe und mit der notwen-
digen Sorgfalt im Ausschuss durchführen. Lassen Sie
uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir das Ziel der Stei-
gerung der Energieeffizienz bei Gebäuden und damit
eine Einsparung von CO2 erreichen können. Und lassenSie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es für die Ver-
braucher mehr Transparenz hinsichtlich der energeti-
schen Qualität von Gebäuden gibt. Ich bin gespannt auf
Ihr Verhalten bei den Beratungen.
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Ich will eines vo-
rausschicken, damit gleich zu Beginn nicht wieder wie
so häufig ein falscher Zungenschlag in diese Debatte
kommt: Wir sind uns vermutlich unter allen Fraktionen
darüber einig, dass es auf den verschiedenen nationalen
Politikfeldern noch großer Anstrengungen bedarf, um
den Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll nachzu-
kommen. Wir sind uns vermutlich auch weitgehend da-
rüber einig, dass die Politik, was die Rahmenbedingun-
gen für mehr Arbeitsplätze in Deutschland betrifft,
mindestens bisher noch nicht an dem Punkt angelangt
ist, wo man sich beruhigt zurücklehnen könnte. Ich for-
muliere dies an dieser Stelle bewusst sehr vorsichtig.
Vor diesem Hintergrund stehen wir als Gesetzgeber
im Deutschen Bundestag nun vor der Aufgabe, die
Richtlinie der Europäischen Union zur Gesamtenergieef-
fizienz von Gebäuden in nationales Recht umzusetzen.
Und die spannendste von allen Fragen, die sich für die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dieser Aufgabe ver-
binden, heißt: Gelingt es uns womöglich, die Anforde-
rungen aus dem Kioto-Protokoll mit der Schaffung von
neuen Arbeitsplätzen zu verbinden und so die klassische
Win-Win-Situation herzustellen? Dazu ist es notwendig,
dass wir uns mit einigen Fakten vertraut machen, bevor
wir im Detail in die Materie einsteigen.
Erstens. Von den 17,1 Millionen Wohngebäuden, die
es neben den gewerblichen und öffentlichen Bauten in
Deutschland gibt, sind 14,1 Millionen Ein- und Zweifa-
milienhäuser. Das heißt, die Lösung, die wir zur Schaf-
fung eines so genannten Gebäude- oder Energiepasses
finden, muss sich in erster Linie an den Bedürfnissen
und Interessen der Häuslebauer und Häuslebesitzer ori-
entieren, damit sowohl ökologisch als auch ökonomisch
letztlich etwas Sinnvolles daraus wird.
Zweitens. Wenn es uns wichtig ist, dass wir ökolo-
gisch und ökonomisch mit diesem Projekt einen Effekt
14242 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
erzielen, müssen wir auf bestehende Erfahrungen und
vorhandene Erkenntnisse zurückgreifen, bevor wir uns
daranmachen, ein Gesetz zu formulieren.
Drittens. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir,
je nachdem, wie wir diesen Gebäudepass ausgestalten
und mit welchen rechtlichen Bildungen wir ihn versehen,
wir unter Umständen Begleiterscheinungen erzeugen,
die alles andere als gewünscht und schon gar nicht hilf-
reich sind.
Viertens. Von dieser Stelle ist heute schon eine ganze
Menge über Bürokratieabbau geredet worden. Zu Recht!
Also stellen wir das Ganze einfach unter die Überschrift,
dass man das, was letztlich herauskommt, auch als ganz
normaler Mensch ohne Jurastudium und Ingenieuraus-
bildung verstehen können muss.
Meine Damen und Herren, die Deutsche Energie-
Agentur (dena) hat uns vor wenigen Wochen über einen
Feldversuch berichtet, den sie Ende des letzten Jahres
abgeschlossen hat. Dabei ist untersucht worden, wie die
Umsetzung der EU-Richtlinie funktioniert, wenn man
mit einem kennwert- oder bedarfsorientierten Gebäude-
pass arbeitet. Parallel dazu hat der Gesamtverband der
deutschen Wohnungswirtschaft (GdW) eine Alternative
getestet, nämlich den verbrauchswertorientierten Gebäu-
depass. Um es ganz einfach und untechnisch zu formu-
lieren: Welche Variante ist die bessere: Ein Pass, der sich
am Soll orientiert, oder ein Pass, der das Ist darstellt?
Oder aber – das füge ich aus meiner persönlichen Sicht
an – brauchen wir möglicherweise eine Kombination aus
beidem? Die Frage ist alles andere als eine Petitesse. Sie
entscheidet nämlich letztendlich darüber, ob wir in der
Praxis Erfolg haben werden oder nicht. Ich werde später
nochmals darauf zurückkommen.
Vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens dürfte aber
eines feststehen: Um die gerade gestellten Fragen richtig
beantworten zu können, müssen wir zunächst einmal ei-
nen Blick darauf werfen, was uns an Ergebnissen der
Feldversuche vorliegt. Deshalb fordert die Union von
der Bundesregierung einen Bericht, der diese Ergebnisse
darstellt. Der könnte dem Deutschen Bundestag schon in
Kürze vorgelegt werden und dann eine Grundlage für die
Gesetzgebung bilden. Denn es geht ja nicht nur um die
Praxistauglichkeit, sondern auch um die Kosten.
Ich räume ein, dass es hierdurch möglicherweise zu
einer zeitlichen Verzögerung bei der Umsetzung kom-
men könnte. Aber hier geht Gründlichkeit vor Schnellig-
keit, zumal uns Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie ausdrück-
lich die Möglichkeit der Fristverlängerung einräumt.
Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, dann müssen
wir uns eingestehen, dass in diesem Hohen Hause schon
eine ganze Reihe Gesetze gemacht wurden, bei denen
Schnelligkeit vor Gründlichkeit ging. Die Ergebnisse
kennen wir ja zur Genüge. Und wenn wir uns in der Ziel-
setzung, was Kioto angeht, weitgehend einig sind, plä-
dieren wir als Union für ein Beratungsverfahren, das
sich an der Vorgehensweise bei der Novelle zum Bauge-
setzbuch orientiert. Wir haben gemeinsam gearbeitet,
uns Zeit genommen, dann kam etwas Vernünftiges dabei
heraus, was schließlich auch gemeinsam verabschiedet
werden konnte.
Ich will einen weiteren Punkt nennen, den wir mitei-
nander besprechen müssen: Soll der Gebäudepass juristi-
scher Bestandteil des notariellen Kaufvertrags oder des
Mietvertrags sein oder soll er dies nicht sein? Mir ist die
Argumentation sehr wohl bekannt, dass dieser Gebäude-
pass kein zahnloser Tiger werden dürfe und er deshalb
auch eine rechtliche Bindung haben sollte. Wenn wir uns
aber die finanziellen Folgen für Miet- und Kaufverträge
ansehen, die zwangsläufig hieraus resultieren, frage ich,
ob das wirklich gewollt ist. Wenn wir uns zu Recht an
anderer Stelle darüber unterhalten, dass die Nebenkosten
beinahe schon die Höhe einer zweiten Miete angenom-
men haben, müssen wir uns fragen, ob es dann sinnvoll
ist, auf diese Summe über den Gebäudepass noch etwas
draufzusatteln. Andererseits müssen wir uns genauso
fragen, ob es richtig ist – das hat zum Beispiel eine Be-
deutung im genossenschaftlichen Mietwohnungsbau –,
bestehende unternehmerische Kalkulationen dadurch
von gesetzgeberischer Seite zu beeinflussen, dass in-
folge der rechtlichen Bindung und der hieraus sich erge-
benden finanziellen Auswirkung Mieter gegenüber ih-
rem Vermieter auf Mietminderung dringen können und
dadurch ein Unternehmen in Schieflage gerät. Wer dann
daraus folgert, dies sei durchaus gewollt und zwinge bei-
spielsweise Unternehmen im genossenschaftlichen Woh-
nungsbau zu Investitionen hinsichtlich der CO2-Minde-rung im Gebäudebereich, hat mit ziemlicher Sicherheit
die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Ich habe vorher davon gesprochen, dass so ein Ge-
bäudepass möglichst unbürokratisch und für den Ver-
braucher verständlich gestaltet werden sollte. Machen
wir es einmal ganz einfach und anschaulich: Ich frage
mich gegenwärtig als Besitzer eines Häuschens – Alt-
bau –, was ich zur Minderung der Emissionen und damit
zur Kostensenkung machen kann. Hierzu nützen mir die
Bedarfszahlen eines Gebäudepasses alleine relativ we-
nig. Um dies auch und gerade finanziell darstellen zu
können, brauche ich die Verbrauchszahlen und muss
diese mit den Bedarfszahlen gegenüberstellen können,
die aus einer eventuellen Investition in Heizung, Fenster
oder Wärmedämmverbundsystem entstehen. Und dann
kann ich mir ganz einfach ausrechnen, dass sich meine
Investition möglicherweise schon in kurzer Zeit rechnet.
Und genau dieser Effekt ist uns als Unionsfraktion
wichtig. Im Gebäudepass kann ein kleines Beschäfti-
gungsprogramm stecken, das uns im Gegensatz zu einer
staatlichen Beschäftigungspolitik nicht nur relativ wenig
kostet, sondern auch etwas zum Klimaschutz beiträgt.
Voraussetzung ist allerdings, dass der Hausbesitzer keine
wissenschaftliche Dokumentation an die Hand be-
kommt, für deren Lektüre er fachlichen Beistand
braucht, sondern dass die Ausgestaltung so erfolgt, dass
auf den ersten Blick für den Hausbesitzer erkennbar ist,
wo die Mängel, wo die Chancen zur Energieeinsparung
und zur Kostenreduktion liegen und der Berater dann le-
diglich noch die Funktion hat, bei der Umsetzung der
Maßnahmen und nicht bei der Lektüre des Passes Hilfe-
stellung zu leisten.
Lassen Sie uns die Chancen, die in diesem Projekt lie-
gen, nutzen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist an
einer konstruktiven Mitarbeit ausdrücklich interessiert.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14243
(A) (C)
(B) (D)
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die steigenden Ölpreise in diesem Winter
und die damit einhergehenden Belastungen für unsere
Volkswirtschaft machen eines deutlich: Unsere Abhän-
gigkeit von fossilen Energieträgern ist zu einem gravie-
renden ökonomischen Problem geworden.
Schwerer noch wiegen allerdings die umweltpoliti-
schen Risiken, die mit der Verbrennung von fossilen
Energieträgern und dem damit verbundenen Ausstoß
von CO2-Emissionen einhergehen. CO2-Emissionen tra-gen unumstritten zur globalen Erwärmung bei – mit ka-
tastrophalen Folgen überall auf der Welt. Dies beunru-
higt längst nicht nur Ökologen. Auch die
Volkswirtschaftler sind beunruhigt über die Zunahme
von Umweltkatastrophen weltweit. Eine aktuelle DIW-
Studie schätzt die weitere Belastung der Volkswirtschaft
durch vermehrte Naturkatastrophen auf bis zu
137 Milliarden Euro.
Die Weltgemeinschaft hat auf diese Entwicklung rea-
giert und mit dem Kioto-Prozess ehrgeizige Ziele zur
weltweiten CO2-Reduzierung benannt. Deutschland hatsich verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2012 um21 Prozent zu senken. Wir sind mit 18,7 Prozent Redu-
zierung im Vergleich zu 1990 auf dem besten Weg, un-
sere Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll zu erfül-
len. Im Nationalen Allokationsplan beziehungsweise im
Zuteilungsgesetz 2007 verpflichtet sich die Bundesregie-
rung für die Bereiche Verkehr und private Haushalte zu
einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis 2012 um9 Millionen Tonnen CO2.
In Deutschland bestehen nach wie vor erhebliche Po-
tenziale zur CO2-Minderung. Dies gilt insbesondere fürden Gebäudebestand. Rund ein Drittel des gesamten
Endenergieverbrauchs in Deutschland wird für die Wär-
meversorgung im Gebäudebereich benötigt. Vier Fünftel
des Wohnungsbestandes wurden vor dem Jahr 1980 er-
richtet.
Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie und des Kli-
maschutzprogramms der Bundesregierung hat die Bun-
desregierung konsequent das bestehende energiesparpo-
litische Instrumentarium ausgebaut und innovativ
weiterentwickelt. 2001 wurde das KfW- CO2-Gebäude-sanierungsprogramm aufgelegt. 2002 ist die Energieein-
sparungsverordnung (EnEV) in Kraft getreten. Die
Energieberatung „Vor-Ort“ wurde konsequent ausge-
baut. 2003 wurde das KfW-CO2-Gebäudesanierungspro-gramm mit dem Programm „Niedrigenergiehaus im Be-
stand“ finanziell verstärkt und ausgeweitet. Wir haben
bereits viel erreicht. Aber unser Ziel ist die energetische
Optimierung des gesamten Gebäudebestandes bis 2040.
Dafür sind weitere Anstrengungen notwendig.
Besondere Bedeutung kommt dabei der Fortsetzung
des KfW-CO2-Gebäudesanierungsprogramms zu. Seitdem Programmstart im Januar 2001 wurden aus dem
Programm 59 800 Kredite für 166 600 Wohnungen des
Altbaubestandes bewilligt. Der CO2-Ausstoß konnte da-mit um rund 1,3 Millionen Tonnen pro Jahr reduziert
werden. Bis 2010 lässt sich der CO2-Ausstoß sogar um3,5 Millionen Tonnen reduzieren. Das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm trägt damit entscheidend zum Er-
folg der Klimaschutzstrategie der Bundesregierung bei.
Zugleich hat das Programm auch positive Auswirkun-
gen auf Baukonjunktur, Beschäftigung und Wirtschafts-
wachstum. Das Forschungszentrum Jülich beziffert den
Beschäftigungseffekt der beiden bestehenden KfW-
Programme zur CO2-Minderung und CO2-Gebäude-sanierung auf insgesamt 41 000 Arbeitsplätze. Davon
entfallen 20 000 Arbeitsplätze auf das CO2-Gebäude-sanierungsprogramm.
Die rot-grüne Bundesregierung stellt für die Förde-
rung der energetischen Gebäudemodernisierung jährlich
Haushaltsmittel in Höhe von 364 Millionen Euro zur
Verfügung. Wir wollen die Förderung deutlich intensi-
vieren und schlagen vor, die Förderung ab 2006 zu ver-
doppeln. Dazu wollen wir prüfen, ob eine Umstellung
auf eine direkte Förderung noch stärkere Anreize für In-
vestitionen in die energetische Modernisierung des Ge-
bäudebestandes bieten kann.
Darüber hinaus wollen wir das bestehende CO2-Ge-bäudesanierungsprogramm um ein Förderprogramm zur
energetischen Sanierung von öffentlichen Gebäuden er-
gänzen. Damit sollen Impulse für die energetische Mo-
dernisierung von Kindertagesstätten, Schulen, Altenta-
gesstätten, Krankenhäusern, Altenheimen, Feuerwehr-
und Polizeistationen und sonstige öffentliche Gebäude
gesetzt werden.
Entscheidend für weitere Erfolge bei der energeti-
schen Modernisierung des Gebäudebestandes bleibt die
Mobilisierung privaten Kapitals. Der Energiepass, der
nächstes Jahr auch für Altbauten Pflicht wird, soll die
Energieeffizienz eines Wohngebäudes für Verbraucher
transparent machen. Häuser mit sehr hohem Energiever-
brauch werden dann vermutlich am Wohnungsmarkt
weitaus weniger nachgefragt werden als heute. Damit
sollen wirtschaftliche Anreize für Investitionen in den
Gebäudebestand erhöht werden und Impulse für die
energetische Sanierung gesetzt werden. Hausbesitzer
sollen zukünftig stärker als bisher ihre Chancen nutzen
und zu Energiewirten werden. Dafür ist es allerdings aus
unserer Sicht entscheidend, dass der Energiepass auf
Grundlage der technischen Eigenschaften des Gebäudes
erstellt wird. Dieser bedarfsbasierte Energiepass gibt
Auskunft über die Qualität des Gebäudes, unabhängig
vom Verhalten einzelner Nutzer.
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion weist in seiner
grundlegenden Intention einige Gemeinsamkeiten mit
unserer Position auf. Ich freue mich besonders, dass
auch von der Opposition die Fortsetzung unseres Altbau-
sanierungsprogramms gefordert wird. Beim Energiepass
liegen wir aber doch noch deutlich auseinander. Einen
reinen verbrauchsbasierten Energiepass, wie ihn die Op-
position hier vorschlägt, lehnen wir ab. Allenfalls sind
wir bereit, über Übergangslösungen für die Wohnungs-
wirtschaft nachzudenken. Ich freue mich darauf, diese
und andere Fragen in den Ausschüssen weiter zu disku-
tieren.
14244 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
Angelika Brunkhorst (FDP): Der Antrag stellt zu
Recht fest, dass es Zeit ist für breit angelegte Energieef-
fizienzmaßnahmen in den Bereichen Bau und Verkehr.
Da stimmt auch die Regierung sicher liebend gern zu.
Die Umsetzung der EU-Vorgaben zum Energie-
ausweis durch die Bundesregierung erfolgte bisher aber
nur unzureichend und am optimalen Nutzen vorbei. Wie-
der einmal scheint es so, als könnte die Deutsche
Energieagentur die hohen in sie gesetzten Erwartungen
nicht erfüllen. Wiederholt kam es bei der Umsetzung
verschiedener Energieeffizienz-Kampagnen zu Über-
schneidungen und Interessenkonflikten zwischen den
beteiligten Bundesministerien. Die FDP hat dazu in die-
ser Woche auch eine Kleine Anfrage eingebracht, um
dieses Gebaren öffentlich zu hinterfragen.
Die Ausgestaltung eines Energieausweises ist nicht
ganz so banal, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber
orientiert man sich an einer effizienten und unbürokrati-
schen Vorgehensweise, lässt sich schnell ein Nutzen so-
wohl für die Wohnungseigentümer und Mieter wie auch
die Umwelt und das Klima erreichen. Für Neubauten
schreibt die Energieeinsparverordnung (EnEV) ja bereits
die Berechnung des Heizwärmebedarfs und somit einen
Energieausweis vor.
Aus Sicht der FDP ist es die Hauptaufgabe des Ener-
gieausweises, dazu beizutragen, ein Bewusstsein für den
Energieverbrauch im Gebäudebestand zu schaffen. Dazu
reicht eine einfache und kostengünstige Variante des
Ausweises aus, die beispielsweise auf Verbrauchskenn-
werten basiert oder mit Referenzwerten arbeitet. Viel
entscheidender, und das sieht auch die EU-Kommission
so, ist die begleitende Beratung hinsichtlich möglicher
effizienter Sanierungsmaßnahmen. Die gewünschten In-
novationen und Investitionen werden sich daran an-
schließen. Die Bundesregierung muss dazu ihre Energie-
beratungs- und Förderungskonzepte neu strukturieren
und anpassen.
Ein Energieausweis darf keine Rechtswirkungen ha-
ben, sondern lediglich der Information und Transparenz
dienen. Welche Haftungsansprüche wollen Sie denn an-
sonsten aus einem Energieausweis ableiten, wenn sich
die Berechnungen später als ungenau herausstellen?
Machen wir uns nichts vor. Ein Energiepass allein
wird noch keinerlei Auswirkungen auf den Wohnungs-
markt haben. Immobilien sind nun mal nicht wie Kraft-
fahrzeuge beliebig austauschbar. Dort spielen andere
Kriterien eine weitaus wichtigere Rolle. Ein erhöhtes
Bewusstsein für den Energieverbrauch von Gebäuden
resultiert aber vielleicht in einer Abkehr vom Preisver-
gleich rein auf Basis der Kaltmiete, hin zum Vergleich
der Warmmiete je Quadratmeter. Dann hätten wir schon
viel erreicht.
Würden wir uns indes tatsächlich auf einen Ausweis
nach dem vorgeschlagenen „Ausführlichen Verfahren“
der dena einstellen müssen, kämen erhebliche finanzielle
Aufwendungen auf die Wohnungswirtschaft zu. Solche
„physikalischen“ Energieausweise setzen besonders ge-
schultes Fachpersonal voraus, welches auch die entspre-
chenden Kosten verursacht. Als Hochtechnologie- und
Innovationsstandort sollte sich Deutschland dabei hüten,
die von der EU angebotene dreijährige Fristverlängerung
in Anspruch zu nehmen, die den Mitgliedstaaten im
Falle von Fachkräftemangel eingeräumt wird. Das wäre
ein Armutszeugnis.
Oder machen wir es doch wie Frau Künast, die un-
längst 1-Euro-Jobs für arbeitslose Köche forderte, damit
diese die Ernährungsberatung in Schulen übernehmen.
Vielleicht fordern wir in diesem Sinne 1-Euro-Jobs für
arbeitslose Bauingenieure, damit diese die Energiebera-
tung in den Haushalten übernehmen. So einfach geht
das!
Spaß beiseite. Lassen sie uns die Energieeffizienz des
Gebäudebestandes per Energieausweis ebenfalls effi-
zient und praktisch ausgestalten. Ein hoher Rechts- und
Kostendruck führt ansonsten doch nur wieder zu Aus-
weichbewegungen des Marktes.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Zur
Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden wurde
auf europäischer Ebene Anfang 2003 eine „Richtlinie
über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ in
Kraft gesetzt. Wir werden sie rechtzeitig bis Januar 2006
in nationales Recht umsetzen. Die Richtlinie verlangt
energetische Standards in allen Mitgliedstaaten und eine
ganzheitliche Beurteilung der Energieeffizienz von Ge-
bäuden. Deutschland ist hier einer der Vorreiter in Eu-
ropa. In der Energieeinsparverordnung haben wir einen
Großteil der Vorgaben schon erfüllt.
Markttransparenz ist in Europa ein hohes Gut. Wir
benötigen dafür Instrumente, damit die Verbraucher sich
besser über die Vor- und Nachteile einzelner Immobi-
lienangebote informieren können. Genau dies will die
Richtlinie europaweit möglich machen. Energieausweise
müssen künftig sowohl für Neu- als auch für Altbauten
verbindlich vorgeschrieben werden. Für uns ist nur der
obligatorische Energieausweis für bestehende Gebäude
etwas Neues. Ab 2006 müssen wir in Deutschland nach
und nach diese Bestandspässe ausstellen.
Insbesondere bei Neuvermietung, Verkauf und gege-
benenfalls staatlicher Förderung müssen die Ausweise
erstellt und Miet- oder Kaufinteressenten vorgelegt wer-
den. Dies soll zu mehr Verbraucherfreundlichkeit und
Transparenz beitragen. Das Bewusstsein für den Ener-
gieverbrauch von Gebäuden wird erhöht, die Motivation
zu Energiesparmaßnahmen gestärkt, Innovationsanreize
geschaffen. Wir prüfen zurzeit die näheren Einzelheiten
der Ausgestaltung der Energieausweise. Dazu gehört
auch die Frage nach dem Anwendungsbereich der Aus-
weise, die am tatsächlichen Verbrauch orientiert sind.
Qualität, Objektivität und Transparenz sind die entschei-
denden Kriterien für den Erfolg des Energieausweises.
Und natürlich muss auch der Preis stimmen. Gelingt hier
eine optimale Gestaltung, kann der Pass das Schlüssel-
element einer modernen Informationspolitik zum ener-
giesparenden und umweltgerechten Bauen werden.
Wir werden die Richtlinie eins zu eins umsetzen. Da-
bei wird sich die Umsetzung in zwei Paketen vollziehen:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14245
(A) (C)
(B) (D)
In Kürze werden wir den Entwurf für eine Änderung des
Energieeinsparungsgesetzes vorlegen. Das Gesetzge-
bungsverfahren bietet voraussichtlich im zweiten Quar-
tal 2005 Gelegenheit, die im Antrag angesprochenen
Fragen zu erörtern. Der zweite Schritt wird die Vorlage
eines Entwurfs für eine Änderung der Energieeinspar-
verordnung sein. Bei der Erstellung des Referentenent-
wurfs zur Energieeinsparverordnung werden wir selbst-
verständlich die in Ihrem Antrag vorgelegten Fragen
sorgfältig prüfen und die Ergebnisse dieser Prüfung be-
rücksichtigen.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung
auf, Berichte zu Einzelthemen bei der Umsetzung der
Richtlinie vorzulegen. Ich kann mich diesem Anliegen
nicht anschließen und möchte Sie bitten, von diesem
Wunsch Abstand zu nehmen. Eine gesonderte Vorlage
von Berichten zu Einzelthemen würde eine zügige Bera-
tung verzögern. Natürlich werden wir im Verfahren aus-
führlich informieren. Was das Anliegen nach kosten-
günstigen und transparenten Energieausweisen angeht,
sind wir nicht weit auseinander. Es ist doch selbstver-
ständlich, dass wir gerade in Zeiten der Entbürokratisie-
rung einen praxistauglichen, verständlichen und kosten-
günstigen Energieausweis bereitstellen werden. Auch
die Frage nach etwaigen Rechtswirkungen von Energie-
ausweisen ist ein Thema, mit dem sich die Bundesregie-
rung bereits befasst hat. Mit den betroffenen Verbänden
haben wir uns bereits ausgetauscht. Über das Ergebnis
der Prüfung wird im Gesetzgebungsverfahren berichtet
werden. Ich bin sicher, dass wir eine gute Zusammenar-
beit bei der Lösung dieser genannten Problematik ver-
einbaren können.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Sicherheit an unbeschrankten Bahnüber-
gängen sofort verbessern
– Mehr Sicherheit an beschrankten Bahn-
übergängen
(Tagesordnungspunkt 14)
Heidi Wright (SPD): Viele Jahre lang haben sich die
für Verkehrssicherheit an Bahnübergängen Zuständigen
bemüht, Maßnahmen zur Reduzierung der Unfallhäufig-
keit an unbeschrankten Bahnübergängen kontinuierlich
weiterzuentwickeln. Mit der heutigen abschließenden
Lesung und Abstimmung des Koalitionsantrages „Si-
cherheit an unbeschrankten Bahnübergängen sofort ver-
bessern“ und der Zustimmung der Oppositionsparteien
stellt der Bundestag eine längst überfällige und notwen-
dige Weiche: Er macht den Weg frei für eine Änderung
der StVO und damit für die Verankerung der Möglich-
keit einer Doppelbeschilderung von Andreaskreuz und
Stoppschild an dafür geeigneten unbeschrankten Bahn-
übergängen.
Die Frage, an welchen Bahnübergängen die Schil-
derkombination Sinn macht, weil sie geeignet ist, das
Gefahrenpotenzial tatsächlich herabzusetzen, wird in
Einzelfallprüfungen vor Ort zu klären sein. Dieser Klä-
rungsprozess muss zügig organisiert und zwischen den
beteiligten Akteuren von Schiene und Straße gut koordi-
niert werden. Er kann nur gelingen, wenn alle Entschei-
dungsträger ihrer Verantwortung gerecht werden. Und
diese Verantwortung heißt, nicht weiter die Möglichkeit
der Doppelbeschilderung zu verzögern. Der Handlungs-
druck ist groß, die Zeit arbeitet nicht für uns.
Das Problem: Zwar sind die Unfallzahlen an Bahn-
übergängen insgesamt rückläufig. Doch gemessen an der
Unfallhäufung stellen unbeschrankte Bahnübergänge,
die entweder mit Lichtzeichen, Blinklicht oder Andreas-
kreuz gesichert sind, unvermindert Hauptgefahren-
punkte dar:
23 Tote bei Unfällen an unbeschrankten Bahnüber-
gängen – von insgesamt 46 Toten –, 38 Schwerverletzte
– von insgesamt 56 Schwerverletzten – und 88 Leicht-
verletzte – von insgesamt 129 Leichtverletzten – zählte
das Eisenbahn-Bundesamt für das Jahr 2003.
Angesichts dieser Realität war das Bundesministe-
rium natürlich nicht tatenlos und hat 2004 einen Leitfa-
den zur Durchführung von Bahnübergangsschauen vor-
gelegt. Dieser ist ausdrücklich zu loben, stellt er doch die
Problematik Verkehrssicherheit an Bahnübergängen als
Gemeinschaftsaufgabe dar und nimmt auch alle – Bahn,
Kommunen, Verkehrsteilnehmer – in die Verantwortung.
Bundesweit gibt es derzeit rund 24 000 Bahnübergänge
der DB AG. Davon sind rund 12 000 mit Schranken bzw.
Signallichtern gesichert. Die Mehrzahl der Bahnüber-
gänge aber, rund 14 000, ist unbeschrankt.
Die Lösung: Einstimmig haben am 15. Dezember
2004 alle Fraktionen im federführenden Ausschuss den
Koalitionsantrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
„Sicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen sofort
verbessern“ angenommen. Das ist erfreulich, und es wa-
ren mehrere Gründe, die schließlich alle von der Wirk-
samkeit unserer Lösung überzeugten: Sie ist technisch
einfach zu realisieren, sie ist eine preiswerte Alternative
zu teuren Nachrüstungen mit (Voll-)Schranken, und sie
ist schnell umsetzbar.
Die Einsicht in die Notwendigkeit unverzüglichen
Handelns angesichts der unvermindert hohen Gefahren-
potenziale war für die Kollegen von der Opposition ein
Grund, sich unserem Antrag anzuschließen und den ei-
genen für erledigt zu erklären. Sie haben damit gezeigt,
dass ihnen das gemeinsame Anliegen etwas wert ist.
Dies ist ausdrücklich zu würdigen.
Überzeugt hat im Verlauf der parlamentarischen Be-
ratungen auch, dass unsere Schilderkombination – ge-
zielt angeordnet – die Wahrnehmung von unbeschrank-
ten Bahnübergängen deutlich verbessern wird. Gerade in
diesem Punkt herrscht weit verbreitete Unkenntnis!
Die Bedeutung des Andreaskreuzes – Wartepflicht –
gebot den Vorrang der Schiene gegenüber der Straße.
Diese Grundregeln sind bei vielen Verkehrsteilnehmern
nicht mehr präsent. Mehrere Untersuchungen belegen
14246 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
dies; ich erinnere nur an die 2001 im Auftrag der DB AG
durchgeführte Umfrage „Sicher drüber“ von DB AG,
ADAC und Deutschem Verkehrssicherheitsrat.
Gezielt angeordnet kann die mögliche neue Schilder-
kombination den wesentlichen Unfallursachen entgegen-
wirken: Noch immer werden unbeschrankte Bahnüber-
gänge häufig nicht genügend ernst und damit kaum
wahrgenommen; PKW-Fahrer verhalten sich oft unauf-
merksam, überqueren mit unvermindert hohem Tempo
die Gleise. Vor diesem Hintergrund hat die Sensibili-
sierung für die Gefahren durch kontinuierliche Aufklä-
rungsarbeit oberste Priorität: durch weitere Kampagnen
von Bahn, Verkehrsverbänden und Bundesgrenzschutz,
durch Medienberichte, aber auch durch Thematisierung
in den Fahrschulen.
Überzeugt hat schließlich auch die Dokumentierung
der positiven Unfallentwicklung in jenen EU- und außer-
europäischen Ländern, in denen die Schilderkombina-
tion längst gang und gäbe ist; ich nenne hier zum Bei-
spiel Österreich, Spanien, Kroatien, Tschechien, Polen,
Namibia. Wir haben guten Grund, davon auszugehen,
dass wahrscheinlich auch bei uns Unfälle verhindert
werden können.
Wir haben den Knoten durchgeschlagen. Wir haben
entschieden und setzen jetzt auf die Wirksamkeit unserer
Maßnahme. Wie so oft im politischen Geschäft ist dies
jedoch noch immer nicht das gute Ende, sondern das
Bundesverkehrsministerium muss nun die entsprechen-
den Schritte für eine Änderung der StVO sowie eine Än-
derung der Verwaltungsvorschriften einleiten. Dafür ist
noch ein Abstimmungsprozess mit dem Bundesministe-
rium der Justiz notwendig. Parallel hierzu kann jedoch
die Änderung der StVO und der Verwaltungsvorschrif-
ten mit den Landesbehörden abgestimmt werden. Der
Bundesrat muss dann letztendlich noch zustimmen.
Ich appelliere an alle im nachfolgenden Prozess Be-
teiligten, so wie ich es bereits zu Anfang meiner Rede
angemahnt habe, ihrer Verantwortung im Sinne der In-
tention des Antrages „Sicherheit an unbeschrankten
Bahnübergängen sofort verbessern“ gerecht zu werden.
Gero Storjohann (CDU/CSU): Unbeschrankte
Bahnübergänge zählten in der Vergangenheit zu den
wohl unfallträchtigsten Bereichen im Straßenverkehr.
Allein im Jahre 2002 ereigneten sich 294 Unfälle allein
an den Bahnübergängen der Deutschen Bahn AG. 61
Menschen kamen dabei ums Leben. Der größte Teil der
Unfälle ereignete sich hierbei an Bahnübergängen, die
nicht durch eine Schrankenanlage gesichert waren. Häu-
figster Grund hierfür war nach Erkenntnissen aus der
Verkehrsunfallforschung, dass vielen Kraftfahrern die
Bedeutung des an unbeschrankten Bahnübergängen auf-
gestellten Andreaskreuzes vielfach nicht bekannt ist.
Viele Autofahrer fuhren daher zu schnell über die unbe-
schrankten Bahnübergänge hinweg, ohne auf etwa he-
rannahende Züge zu achten.
Die CDU/CSU-Fraktion hat daher im November
2003 einen Antrag in den Deutschen Bundestag einge-
bracht. Wir wollten endlich mehr Sicherheit an unbe-
schrankten Bahnübergängen erreichen. Problem dabei
ist, dass die Ausstattung mit einer Schrankenanlage sehr
teuer ist. Bis zu 400 000 Euro kann eine solche Umrüs-
tung kosten. Ein Nachrüsten ist daher aus Kostengrün-
den häufig nicht möglich. Wir wollten Alternativlösun-
gen erreichen, um unbeschrankte Bahnübergänge
endlich sicherer zu machen. Deshalb hatten wir in unse-
rem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, unter an-
derem über Erkenntnisse aus Pilotversuchen mit Ver-
kehrszeichen auf gelbfluoreszierendem Hintergrund an
unbeschrankten Bahnübergängen zu berichten. Solche
Pilotversuche gab es beispielsweise schon in Bayern.
Auch Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern
mit einem auf neongelbem Hintergrund unterlegten An-
dreaskreuz interessierten uns. Ferner wollten wir den
Start von Pilotprojekten erreichen, um die Effektivität ei-
ner Kombination aus Andreaskreuz und Stoppschild zu
überprüfen.
Darüber hinaus wollten wir überprüft wissen, ob eine
Schilderkombination aus Andreaskreuz und Stoppschild
die Sicherheit an unbeschrankten Bahnübergängen nach-
haltig verbessern kann. Diese Schilderkombination
beruhte auf einem Vorschlag des Rentners Werner
Kuhlmann aus Verl in Westfalen. Herr Kuhlmann hatte
vor Jahren miterleben müssen, wie ein Auto an einem
unbeschrankten Bahnübergang in Verl von einem heran-
nahenden Zug erfasst wurde und ein vierjähriges Kind
hierbei verstarb. Dieses traurige Ereignis hatte Herrn
Kuhlmann nicht mehr losgelassen und er hatte die Idee
einer Sicherung der unbeschrankten Bahnübergänge aus
Andreaskreuz und Stoppschild. Diese Schilderkombina-
tion hat gleich mehrere Vorzüge. Erstens ist sie mit nur
300 Euro pro Bahnübergang sehr kostengünstig. Zwei-
tens ist sie schnell zu installieren; es genügen ein paar
Schrauben. Und drittens ist sie auffällig, denn die Be-
deutung des Stoppschildes ist jedem Verkehrsteilnehmer
hinlänglich bekannt.
Ende Juli letzten Jahres hat Herr Kuhlmann dann bei
einem Ortstermin in Verl die Ausschussmitglieder von
der Schilderkombination aus Andreaskreuz und Stopp-
schild überzeugt. Ich danke Herrn Kuhlmann für sein
unermüdliches und beharrliches Engagement in dieser
Frage. Herr Kuhlmann hat sich um die bessere Siche-
rung unbeschrankter Bahnübergänge wahrlich verdient
gemacht.
Ich danke der Kollegin Heidi Wright aus der SPD-
Bundestagsfraktion, welche die Bedenken, die im Bun-
desverkehrsministerium hinsichtlich der Schilderkombi-
nation anfänglich vorherrschten, erfolgreich zerstreut
hat.
Ich danke auch den Kollegen Hubert Deittert und
Gerhard Wächter aus meiner Fraktion, die sich schon
jahrelang für die von Herrn Kuhlmann vorgeschlagene
Lösung eingesetzt hatten und immer ein wichtiger und
verlässlicher Motor in dieser Sache waren.
Wenn wir nun heute der Beschlussempfehlung des
Ausschusses zustimmen, dann haben wir einen großen
Schritt für mehr Verkehrssicherheit getan. Mit unserer
heutigen Entscheidung stärken wir zudem die kommu-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14247
(A) (C)
(B) (D)
nale Selbstverwaltung, Kreise und Kommunen können
zukünftig selbst entscheiden, an welchen Bahnübergän-
gen die Schilderkombination aus Andreaskreuz und
Stoppschild aufgestellt werden kann. Ich hoffe, dass sie
hiervon vielfach und vernünftig Gebrauch machen.
Gerhard Wächter (CDU/CSU): Es kommt nicht oft
in diesem Hause vor, dass sich Regierung und Opposi-
tion einig sind. In dem Fall, den wir jetzt debattieren, ist
es so. Darüber freut sich verständlicherweise einer be-
sonders, Werner Kuhlmann.
Werner Kuhlmann ist kein Politiker, sondern ein en-
gagierter Rentner aus Verl, der es sich zur Lebensauf-
gabe gemacht hat, den unbeschrankten Bahnübergängen
zu mehr Sicherheit zu verhelfen. Seit nunmehr sieben
Jahren hat er unermüdlich dafür gekämpft, dass die An-
bringung eines Stoppschildes an unbeschrankten Bahn-
übergängen ermöglicht wird. Ich weiß das so genau, weil
ich Herrn Kuhlmann und seine Idee bereits während
meiner Landtagszeit in NRW unterstützt habe. Daraus
ging die Einberufung einer Arbeitsgruppe in der Bund/
Länder-Kommission hervor; beim Endspurt hier auf
Bundesebene konnten wir also schon auf zahlreiche Ar-
beiten zu dem Thema aufbauen. Der ganze Vorgang ist
bei aller Freude über das positive Ergebnis allerdings
auch ein weiteres Beispiel dafür, dass Politik vor allem
auch eins ist: das Bohren dicker Bretter. Die Entschei-
dungen lassen viel zu lange auf sich warten!
Ich möchte natürlich nicht verhehlen, dass es durch-
aus Experten gibt, die sich gegen das Modell „Andreas-
kreuz und Stoppschild“ ausgesprochen haben. Die Proto-
kolle der Bund/Länder-Fachkommission geben hierüber
Auskunft. Aber wenn wir so lange warten, bis auch der
Letzte überzeugt ist, dauert es vermutlich noch mal so
lange. Klar ist, dass nicht alle Bahnübergänge, die unbe-
schrankt sind, automatisch durch die Anbringung eines
Stoppschildes gesichert werden sollen. Hier muss im
Einzelfall entschieden werden. Für die Verantwortlichen
in den Landkreisen und Kommunen bedeutet das: sie ha-
ben demnächst mehr Entscheidungsfreiheit, aber auch
mehr Verantwortung gemeinsam mit der Deutschen
Bahn.
Aber was macht das Modell „Andreaskreuz plus
Stoppschild“ denn nun so attraktiv? Günstig – einfach –
verständlich. Mit dieser Kurzformel lassen sich die Vor-
züge dieses Modells auf den Punkt bringen.
Zu Punkt eins „günstig“: Hierzu ein Vergleich: Ein
Stoppschild kostet rund 300 Euro, eine Schrankenanlage
bereits bis zu 400 000 Euro. Von den Kosten einer Stra-
ßenumbaumaßnahme wollen wir lieber erst gar nicht
sprechen. Natürlich wären technische Nachrüstungen,
also eine Schrankenanlage, am sichersten. Aber in der
gegenwärtigen Situation, in der leere Kassen das Bild
bestimmen, können solche kostenintensiven Wünsche
nicht erfüllt werden. Jedenfalls nicht auf absehbare Zeit
und erst recht nicht in Kürze.
Zu Punkt zwei „einfach“: Die Anbringung eines
Stoppschildes erfordert keine Baumaßnahmen bzw. grö-
ßeren Aufwand. Das Schild kann ohne großen Aufwand
zusätzlich an den bereits vorhandenen Träger für das
Andreaskreuz angebracht werden. Einfacher geht’s
wirklich nicht.
Und drittens: „STOPP“ heißt Halten! Das Schild
kennt und versteht jeder und fast alle halten sich auch
daran. In diesem Zusammenhang will ich zwei Aspekte
besonders hervorheben:
Erstens. Nach Angaben des ADAC liegt in 97 Prozent
aller Unfälle an Bahnübergängen die Schuld bei den Au-
tofahrern. Als Hauptursache werden Unaufmerksamkeit
und – das ist von großer Bedeutung – zu hohe Ge-
schwindigkeit genannt. Untersuchungen zufolge fährt je-
der Dritte zu schnell an Bahnübergänge heran. Ein
Stoppschild würde dieses Fehlverhalten zwangsläufig
korrigieren.
Zweitens. Vielen Verkehrsteilnehmern ist die Bedeu-
tung des Andreaskreuzes nicht vollkommen klar. Dies
wird von Verkehrsteilnehmern selbst oft so beurteilt. Das
mag damit zusammenhängen, dass Andreaskreuze nicht
zu den in der Fläche weit verbreiteten Verkehrszeichen
zählen. Unsachgemäßes Verhalten ist also regelrecht
vorprogrammiert. Anders sieht es beim Stoppschild aus,
dessen Bedeutung unmissverständlich ist.
Dies mögen auch die Gründe sein, weshalb die Kom-
bination dieser Verkehrszeichen in anderen Ländern be-
reits praktiziert wird, zum Beispiel in Österreich, Spa-
nien, Polen und Tschechien. Mir – und ich glaube auch
anderen Kolleginnen und Kollegen – liegen sogar Auf-
nahmen aus Namibia vor, die einen Bahnübergang mit
dieser kombinierten Beschilderung zeigen. Andernorts
gibt es also bereits überzeugende Erfahrungen, die wir
nutzen sollten.
Es ist genug gefachsimpelt worden über das Pro und
Kontra der Stoppschildlösung. Die Einsicht ist da, dass
dieser Weg die beste Lösung ist. Deshalb sollten wir die
Richtigkeit auch mit einem eindeutigen Votum unter-
streichen.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eines
ist klar: Die Verbesserung der Sicherheit an Bahnüber-
gängen – insbesondere an unbeschrankten – liegt uns al-
len am Herzen. Das haben sowohl die vergangenen De-
batten im Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen als auch hier im Plenum deutlich ge-
macht. Das zeigen auch die beiden Anträge, über die wir
heute debattieren.
Auch wenn sich die Unfallzahlen in den vergangenen
Jahren positiv entwickelt haben, so besteht dennoch un-
verändert Handlungsbedarf. Insbesondere die Unfallhäu-
figkeit an unbeschrankten Bahnübergängen sollte uns
anspornen, noch mehr für die Verbesserung der Sicher-
heit zu tun.
Angesichts von rund 12 000 unbeschrankten Bahn-
übergängen ist es schon bedenklich, dass offensichtlich
nach der im Jahre 2001 durch die Deutsche Bahn AG
durchgeführten Studie „Sicher drüber“ bei vielen Ver-
kehrsteilnehmern die Bedeutung des Andreaskreuzes in
Vergessenheit geraten ist. Insofern unterstützt diese
14248 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
Umfrage auch die Aussage des ADAC und anderer, wo-
nach fast alle Unfälle an unbeschrankten Bahnübergän-
gen letztendlich auf die Unaufmerksamkeit der Autofah-
rer zurückzuführen sind, wobei häufig auch die
unangepasste Geschwindigkeit zu einer deutlichen Ge-
fahrenerhöhung beiträgt. Somit müssen wir konstatieren,
dass viele Autofahrer beim Überqueren von Bahnüber-
gängen russisches Roulette spielen, ohne dass es ihnen
bewusst ist.
Die wirksamste Methode wäre zweifellos die Ausstat-
tung möglichst vieler Bahnübergänge mit Vollschranken.
Jedoch können wir angesichts der aktuellen Ausstattung
von lediglich 17 Prozent der Bahnübergänge mit einer
technischen Vollsicherung nicht davon ausgehen, dass es
– schon alleine aus Kostengründen – hier in den nächs-
ten Jahren zu einer massiven Nachrüstung kommen
wird. Daher steht für uns die Suche nach kostengünsti-
gen Alternativen im Vordergrund.
Wir halten die Kombination von Andreaskreuz und
Stoppschild für eine technisch einfache, kostengünstige
und schnell umsetzbare Lösung zur Verbesserung der
Wahrnehmung von Bahnübergängen. Darüber hinaus
dürfte es den Verkehrsteilnehmern helfen, die eigentli-
che Bedeutung des Andreaskreuzes wieder in Erinne-
rung zu rufen.
Das Gegenargument, eine Kombination der Zeichen
sei in der Straßenverkehrsordnung nicht zulässig, sollte
uns nicht davon abhalten, dann eine entsprechende Än-
derung der StVO vorzunehmen. Der Antrag der Koali-
tionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
mündet konsequenterweise in der Aufforderung an die
Bundesregierung, entsprechende Schritte zur Veranke-
rung dieser Doppelausschilderung in der StVO gemein-
sam mit den Bundesländern anzugehen.
Der Antrag der CDU/CSU unterscheidet sich von un-
serem Antrag im Wesentlichen in dessen Forderung,
nach einer Einführung von Verkehrszeichen – zum Bei-
spiel Andreaskreuz – auf einem gelbfluoreszierenden
Hintergrund und der Durchführung von entsprechenden
Pilotversuchen. Der Kollege Storjohann hatte uns ja in
einer der letzten Bundestagsdebatten in einer Gemein-
schaftsaktion mit dem Kollegen Vogel bereits einen Pro-
totyp dieses Schilds präsentiert.
Zunächst fand ich seinen Vorschlag durchaus überle-
genswert, da es zumindestens in der Anfangsphase zu ei-
nem höheren Aufmerksamkeitsgrad – insbesondere
nachts – kommen könnte. Allerdings sind die Einwände
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen nicht einfach von der Hand zu weisen. Ich
sehe ebenfalls die Gefahr, dass zum Beispiel einem An-
dreaskreuz ohne fluoreszierenden Hintergrund eine ge-
ringere Bedeutung zugemessen werden könnte. Und der
befürchtete Gewöhnungseffekt kann auch nicht von der
Hand gewiesen werden. Hier erinnere ich nur noch an
unsere letzte Debatte zur Verkehrssicherheit, in der ich
auf die Verbindung von Unfallgeschehen und allzu gro-
ßer Routine von Verkehrsteilnehmern hingewiesen hatte.
Die auch von der CDU/CSU in ihrem Antrag positiv
bewertete Kombination aus Andreaskreuz und Stopp-
schild hätte einen positiveren Effekt: Was ein Stopp-
schild bedeutet, weiß jeder Verkehrsteilnehmer; denn die
Konsequenzen einer Missachtung des Stoppschildes ha-
ben vermutlich die meisten von uns schon einmal in ih-
rem Portemonnaie gespürt. Daher widerspreche ich der
Meinung des Verkehrsministeriums, das einen zu gerin-
gen Befolgungsgrad befürchtet und auf die Notwendig-
keit des Vorhandenseins der sozialen Kontrolle beim
Fahrer hinweist.
Wer keine soziale Kontrolle als Verkehrsteilnehmer
aufweist, gehört nicht auf die Straße und schon gar nicht
in ein Kraftfahrzeug. Sollte es begründete Anzeichen be-
züglich eines zunehmend unsozialen Verhaltens der Ver-
kehrsteilnehmer geben, so würde ich in diesem Falle das
Ministerium doch um eine Aufklärung und Information
unseres Ausschusses bitten. Andererseits kann ich die
sinkenden Unfallzahlen und die derzeitige positive Ent-
wicklung bei den Opferzahlen damit nicht in Überein-
stimmung bringen; denn schließlich sind es auch die
Verkehrsteilnehmer, die durch ihr Verhalten einen Bei-
trag zur gestiegenen Verkehrssicherheit der letzten Jahre
geleistet haben.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Wieder behan-
deln wir ein sehr wichtiges Thema zu nachtschlafener
Zeit: die Verkehrssicherheit. Vor fast genau einem Jahr
habe ich hier in etwa zur gleichen Zeit schon einmal die-
sen Satz gesagt. Anscheinend hat das Thema nicht an
Relevanz gewonnen. Dem widersprechen allerdings die
täglichen Nachrichten von Verkehrsunfällen und der ent-
sprechende Widerhall in der Öffentlichkeit.
Betrachtet man die Entwicklungen auf dem Gebiet
der Verkehrssicherheit, so sehen wir uns im Kraftfahr-
zeugverkehr von immer mehr Technologie und Automa-
tismen umgeben. Nebenbei bemerkt kann auch die neu-
este Technologie in den Autos den immer schlechter
werdenden Straßenzustand nicht ausgleichen. Im Luft-
und Schifffahrtsverkehr wird im Hinblick auf Sicher-
heitsvorkehrungen ständig geforscht und vorgeschrie-
ben.
Im Schienenverkehr dagegen scheinen die Bemühun-
gen für ein höheres Maß an Verkehrssicherheit mitunter
zu kurz zu kommen, speziell im Bereich der unbe-
schrankten Bahnübergänge – und dies trotz der Zunahme
des Kraftfahrzeugverkehrs. Die letzte Lösung bleibt im-
mer die (Voll-)Schranke, die allerdings sehr kosteninten-
siv und aus Gründen des Verkehrsaufkommens nicht an
allen Bahnübergängen notwendig ist. Aber gerade bei
den unbeschrankten Bahnübergängen scheint deutlich zu
werden, dass immer ein Unsicherheitsfaktor bestehen
bleibt: der Mensch. Nach meiner Kenntnis ist bei unbe-
schrankten Bahnübergängen die Bereitschaft der Ver-
kehrsteilnehmer, die Warnsignale zu ignorieren, beson-
ders groß. Es werden sogar Halbschranken umfahren
und dann wird überrascht festgestellt, dass ein Zug
kommt. Daher ist es bei noch so guter Kontrolle und
noch so guter Technik nicht ausgeschlossen, dass Ver-
kehrsunfälle passieren.
Aus diesem Grund sind wir als Gesetzgeber gefragt.
Wir müssen dafür sorgen, dass es sinnvolle Bedingungen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14249
(A) (C)
(B) (D)
für Verkehrssicherheit zumindest durch die Gesetzeslage
gibt. Genau dies wird in dem vorliegenden Antrag gefor-
dert. Die Straßenverkehrsordnung ist so zu ändern, dass
die Kombination von fluoreszierendem Andreaskreuz
und Stoppschild an unbeschrankten Bahnübergängen
möglich wird, die sich in einem Testversuch in Bayern
als sehr gut erwiesen hat.
Die Verkehrszeichen beachten und sich entsprechend
verhalten müssen aber die Verkehrsteilnehmer. Das wie-
derum können wir als Gesetzgeber unterstützen, indem
wir dafür Sorge tragen, dass alle Verkehrsteilnehmer
eine bessere Verkehrserziehung erhalten. Sie müssen
nicht nur wissen, was das Verkehrszeichen mit der Be-
zeichnung Andreaskreuz bedeutet, sondern auch lernen,
wie wichtig das eigene Verhalten ist. Insgesamt muss das
Thema Verkehrssicherheit also auf jeden Fall mehr in
den Vordergrund der parlamentarischen Diskussion rü-
cken. Hoffentlich geschieht dies in diesem Jahr und viel-
leicht auch einmal zur „Plenar-Primetime“.
Nichtsdestotrotz wird der vorliegende Antrag der Ko-
alitionsfraktionen – wie auch schon im Verkehrsaus-
schuss geschehen – von der FDP-Bundestagsfraktion be-
grüßt.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Unterrichtung:
– Tätigkeitsbericht 2002/2003 der Regulie-
rungsbehörde für Telekommunikation und
Post – Bericht nach § 81 Abs. 1 Telekommu-
nikationsgesetz und § 47 Abs. 1 Postgesetz
und Sondergutachten der Monopolkommis-
sion gemäß § 81 Abs. 3 Telekommunika-
tionsgesetz und § 44 Postgesetz
– Stellungnahme der Bundesregierung zu dem
Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde
für Telekommunikation und Post 2002/2003
und zu dem Sondergutachten der Monopol-
kommission von 2003 „Wettbewerbsintensi-
vierung in der Telekommunikation – Ze-
mentierung des Postmonopols“
(Tagesordnungspunkt 15 a und b)
Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): In einer Ausspra-
che zum Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde ist
aus Sicht der Fachpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion
– und sicher auch aus Sicht der Gesamtfraktion – zu-
nächst die Arbeit der Behörde selbst zu würdigen. Unter
der Führung ihres Präsidenten Matthias Kurth ist es ihr
gelungen, auch in den kompliziertesten und konfliktgela-
densten Situationen Wege zu letztlich breit akzeptierten
Regelungen zu finden. Dazu gehört die Konsenssuche
und Vermittlung im Vorfeld ebenso wie die meisten
Entscheidungen. Wie von uns gefordert, übernimmt die
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
zunehmend auch die Aufgabe in sehr dynamischen
Branchen Veränderungen, Probleme und Innovationen
vorausschauend zu thematisieren. Gleichzeitig vollzog
die Behörde eine weit reichende interne Umstrukturie-
rung, weil die Aufgabenstellungen und technischen
Entwicklungen stark veränderte Arbeitsweisen, Qualifi-
kationen und räumliche Schwerpunkte verlangen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich der Regu-
lierungsbehörde für Telekommunikation und Post den
Rücken dafür stärken, dass nicht einfach ein Aufgaben-
und damit Personalrückbau stattzufinden hat, wie es
wohl der Bundesrechnungshof meint, sondern teilweise
Verlagerungen. Einige Tätigkeiten nehmen eher ab, neue
Arbeitsfelder kommen jedoch hinzu, wie die Themen
elektromagnetische Verträglichkeit, Überwachung der
zahlreichen Wettbewerber der Deutschen Post hinsicht-
lich der Einhaltung der Lizenzbedingungen und der Ver-
braucherschutz. Vor diesem Hintergrund warnen wir vor
Übertreibungen beim Personalabbau und bei der Schlie-
ßung von Außenstellen. Auch in Zukunft können wir
nicht auf eine wenigstens ansatzweise flächendeckende
Präsenz mit kompetentem Personal verzichten.
Vor dem Hintergrund der erfolgreichen Arbeit der Re-
gulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ist
es kein Zufall, dass die Energieregulierung dort angesie-
delt werden soll. Wir trauen ihr zu, auch diese Aufgabe
zu übernehmen, auch wenn wir wissen, dass die neue
Energieregulierung nicht einfach wird.
Zur Telekommunikation erlaube ich mir den Hinweis,
dass vieles, was heute zum selbstverständlichen Alltag
der Regulierungsarbeit in der Telekommunikation ge-
hört, von uns seit dem Jahr 2000 – damals unter lautem
Gezeter vonseiten der Opposition – gefordert wurde: vo-
rausschauende Regulierung, Rückbau von Doppelregu-
lierung durch Aussetzen von Ex-ante-Regulierung, Teil-
märktekonzept usw.
Im Postbereich will ich folgende Punkte kurz streifen:
Erstens. Auf unser Drängen hat die Regulierungsbe-
hörde mit dazu beigetragen, Defizite in der Erbringung
des Universaldienstes zu definieren. Dies war die
Grundlage für die Selbstverpflichtung der Post, die
Hauptkritikpunkte, zum Beispiel bei den Themen Brief-
kästen und Filialen, aufzunehmen. Auch wenn nicht alle
Probleme gelöst werden konnten, bedeutet die im Zu-
sammenspiel vor Bürgereingaben, Kommunalpolitik,
Regulierungsbehörde und deren Beirat, Bundesregie-
rung und Koalitionsfraktionen, Bundestag, Bundesrat
und DPAG zustande gekommene Selbstverpflichtung
eine klare Verbesserung der Situation. Grundlage dafür
war die Novellierung des Postgesetzes, in der die Koali-
tion klar die Deutsche Post AG als die Erbringerin des
Universaldienstes verpflichtet hat. Hier widersprechen
wir der Auffassung der Monopolkommission, die, wie
auch an anderen Stellen, wettbewerbstheoretische Über-
legungen vor Kundeninteressen stellt. Wir begrüßen es
ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung in ihrer
Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht vorbehält, bei
Nichterfüllung von Selbstverpflichtung und Universal-
dienstleistung zu verordnungsrechtlichen Maßnahmen
zu greifen. Für uns gehören dazu auch empfindliche
Sanktionen.
14250 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
Zweitens. Zur Exklusivlizenz wurde und wird an an-
deren Stellen genug gesagt, zuletzt bei der Debatte um
die Anträge zu diesem Thema am 17. Dezember 2004.
Nur so viel: Durch die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts sind die verfassungstheoretischen Ausfüh-
rungen der Monopolkommission überholt. Die eher wirt-
schaftspolitisch angelegte Kritik, hier werde ein
Monopol geschützt oder zementiert, geht doppelt ins
Leere: Im reservierten Bereich kann es schon von der
Definition her keinen Wettbewerb geben. Dies ist der
Sinn der Sache. Von einer Ausweitung oder Zementie-
rung des Monopols zu sprechen, verbietet ein Blick auf
die im Tätigkeitsbericht ausgewiesene Marktentwick-
lung mit der wachsenden Zahl der Wettbewerber und ih-
rer Marktanteile. Bei stagnierendem Gesamtmarkt haben
sich Umsätze und Marktanteile der Wettbewerber zwi-
schen 2002 und 2003, zwar ausgehend von sehr niedri-
gem Niveau, auf 4 Prozent mehr als verdoppelt. Im Mus-
terland aller Liberalisierungsfans der Post, Schweden,
hält die gute alte Staatspost auch nach über zehn Jahren
totaler Marktöffnung auch heute noch 90 Prozent der
Marktanteile. Schon im kommenden Jahr wird bei uns
die Gewichtsgrenze gesenkt und ab Ende 2007 läuft das
Monopol aus. Dies bedeutet, dass schon jetzt im Brief-
markt der Wettbewerbsbereich von 23 Prozent im Jahr
2002 auf 41 Prozent im Jahr 2006 steigen wird.
Drittens. Auch zur Konsolidierung ist das Notwen-
dige gesagt. Die EU-Kommission wäre gut beraten, im
Sinne der Lissabon-Strategie nicht mit dem spitzen Blei-
stift Wettbewerbsscholastik zu betreiben, sondern die
Gesamtziele der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwick-
lung, der Kundeninteressen und der Arbeitsplätze im
Auge zu behalten. Auch hierzu verweise ich auf meine
Ausführungen vom 17. Dezember 2004.
Viertens. Beim Thema Umsatzsteuer kann die Argu-
mentation der Monopolkommission letztlich nicht über-
zeugen. Eine Wettbewerbsverzerrung im Briefbereich
läge nur dann vor, wenn die Preise der Deutschen Post
dort nicht einschließlich steuerlicher Faktoren nach Kos-
ten berechnet und reguliert würden. Im Paketbereich, wo
über 80 Prozent der Sendungen gewerblichen Kunden
gehören, erhebt auch die Deutsche Post AG im gewerbli-
chen Bereich die Umsatzsteuer. Eine Aufhebung der
Umsatzsteuerbefreiung hätte letztlich wettbewerblich
gesehen kaum Auswirkungen. Dem stünden erhebliche
bürokratische Aufwände – Ort der Leistungserbringung,
Auslandssendungen, Unterscheidung von Sendungen
mit und ohne Vorsteuerabzug usw. – sowie eine saftige
Preissteigerung für den Normalverbraucher entgegen.
Auch hier fordere ich: Die EU-Kommission soll zu-
nächst handhabbare und effiziente Regelungen gegen
den wachsenden zig Milliarden schweren Umsatzsteuer-
betrug ergreifen, bevor sie uns mit Umsatzsteuer für
Postdienste beglückt. Wir begrüßen es sehr, dass die
Bundesregierung dem Beschluss des Deutschen Bundes-
tages folgt, die Erhebung von Umsatzsteuer auf öffentli-
chen Postdienst auf EU-Ebene zu blockieren.
Fünftens. Im Bereich des Universaldienstes wünschen
wir uns eine Intensivierung der Arbeit der Regulierungs-
behörde für Telekommunikation und Post. Dabei wird es
beispielsweise aktuell um die Einhaltung der Vorgabe in
der PUDLV gehen, 5 000 Filialen mit unternehmensei-
genem Personal der Post AG zu betreiben. Die mehrfa-
chen Umstrukturierungen in diesem Bereich lassen der-
zeit nicht erkennen, ob diese Vorgabe, die mit dem Ziel
der Aufrechterhaltung eines qualitativ hochwertigen
Rückgrates von Postfilialen mit qualifiziertem Personal
im Gesetz aufgenommen wurde, heute überhaupt noch
eingehalten wird.
Sechstens. Im Zeichen eines ausufernden Niedrig-
lohnsektors und der veränderten Regelungen zu Mini-
jobs erhält das Thema „soziale Standards“ im Postsektor
neue Brisanz. Derzeit ist nicht erkennbar, wie die Regu-
lierungsbehörde für Telekommunikation und Post die
gesetzlichen Vorgaben der § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 6 Abs. 3
Satz l Nr. 3 und § 20 Abs. 2 Satz l Nr. 2, 25 kontrolliert
und durchsetzt. Geringfügige Beschäftigung, Lohn- und
Sozialdumping gehören zum Alltag im Postsektor, aus-
gehend von den Wettbewerbern, aber zunehmend auch
in der Post AG selbst. Bei diesen Fragen, die Hundert-
tausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
betreffen und sich zunehmend negativ auf die Dienstleis-
tungsqualität niederschlagen, spüren wir, dass sowohl
die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post und in noch stärkerem Maße die Monopolkommis-
sion ein sehr eingeschränktes Wettbewerbskonzept ha-
ben. Nicht zuletzt im Telekommunikationssektor haben
wir doch erlebt, dass sich ein Wettbewerb, der nur aus
Preis- und Lohndumping besteht, sehr schnell selbst an
seine Grenzen führt. Wir stehen nach wie vor für einen
Wettbewerb über Qualität, Effizienz und Innovation,
nicht aber über Niedriglöhne und frühkapitalistische Ar-
beitsbedingungen.
Siebtens. Wir wollen den Verbraucherschutz durch
die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und
Post im Telekommunikations- und Postbereich stärken.
Im TK-Bereich ist viel geschehen, auch bei der Post. In
diesem Zusammenhang halten wir es für kontraproduk-
tiv, dass der Bundesrechnungshof eigene Laufzeitmes-
sungen durch die Regulierungsbehörde für Telekommu-
nikation und Post als Verschwendung gebrandmarkt hat
und dabei auf Messungen der Post, also des zu kontrol-
lierenden Unternehmens, hingewiesen hat. Wir meinen
grundsätzlich: Eine unabhängige Behörde braucht ei-
gene unabhängige Instrumente der Kontrolle, auch wenn
es Geld kostet.
Wir wünschen der Regulierungsbehörde für Telekom-
munikation und Post und ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern weiterhin viel Erfolg und warten gespannt
auf den nächsten Tätigkeitsbericht. Die Stellungnahme
der Bundesregierung begrüßen wir in ihren zentralen
Aussagen ausdrücklich.
Hubertus Heil (SPD): Der Tätigkeitsbericht 2002/
2003 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation
und Post zeigt: Die Telekommunikationswirtschaft ge-
hört heute zu den innovativsten und dynamischsten
Branchen in Deutschland. Für die Erneuerung unserer
Volkswirtschaft ist der Einsatz von moderner Telekom-
munikation praktisch in jeder Branche unverzichtbar.
Der TK-Sektor macht deutlich, dass es am Standort
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14251
(A) (C)
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Deutschland nicht um ein Entweder-oder von Industrie
und Dienstleistungen geht. Im Gegenteil: Es geht vor al-
lem um industriebezogene Telekommunikationsdienst-
leistungen. Dafür ist eine moderne Infrastruktur, die dem
wirtschaftlichen Bedürfnis nach der immer schnelleren
Übermittlung von immer größeren Datenmengen ent-
spricht, unerlässlich. Sowohl im Festnetz als auch bei
Mobilkommunikation geht es darum, Investitionen für
Breitbandinfrastruktur in Deutschland auszulösen. Da-
mit sich diese Investitionen rentieren, ist ein umfangrei-
ches und produktives Angebot von TK-gestützen Dienst-
leistungen, die für entsprechenden Verkehr auf den
Netzen sorgen, allerdings unerlässlich. Sowohl die Un-
ternehmen als auch die Bürgerinnen und Bürger brau-
chen Angebote, die sie in ihren Bereichen tatsächlich ge-
brauchen können. Deshalb wollen wir einen wirksamen
Wettbewerb von verschiedenen Infrastrukturen und ei-
nen wirksamen Dienstewettbewerb.
Der vorliegende Bericht gibt uns in diesem Bestreben
Recht: Neue, erschwingliche Kommunikationsmöglich-
keiten haben das Telekommunikationsverhalten grund-
legend gewandelt. Es ist, man kann es nicht anders sa-
gen, geradezu explodiert. Ich denke dabei etwa an den
Mobilfunkbereich: Seit 1998 ist die Anzahl der Teilneh-
mer um 425 Prozent gewachsen, alleine im Jahr 2001
von 68,1 Millionen auf 71,6 Millionen. Mittlerweile
nehmen 71,6 Prozent der deutschen Bevölkerung an die-
ser Entwicklung, die den meisten heute einfach selbst-
verständlich erscheint, teil. Wir haben die weitaus
höchste Abdeckung in der Welt, weit vor Japan oder den
USA. Oder noch beeindruckender: Die Zahl der DSL-
Zugänge hat sich in den Jahren 2000 bis 2003 verzwan-
zigfacht. Die Errungenschaften sind aus unserem Alltag
nicht mehr wegzudenken.
Etwa 83 Prozent der Verbraucher sind über ihre Mög-
lichkeiten informiert, den Wettbewerb aktiv, etwa durch
das Call-by-Call zu nutzen. Mehr als die Hälfte derer,
die das Verfahren anwenden, tut dies bei fast jedem Tele-
fongespräch, das über den Ortsbereich hinausgeht. Die
Preise für Mobilfunk, Internetzugang und Ferngespräche
sind seit Ende 1997 drastisch gesunken und zählen im
europaweiten Vergleich zu den niedrigsten.
Dies bestätigt das Konzept der sektorspezifischen Re-
gulierung, ebenso wie die hier vorliegenden Berichte der
Regulierungsbehörde und der Monopolkommission. Mit
dem Telekommunikationsgesetz 2003 haben wir den
dazu erforderlichen, flexiblen Ordnungsrahmen geschaf-
fen. Darin sind bereits die wichtigsten Erkenntnisse, die
die Berichte nennen, eingeflossen. In vielen Bereichen,
wie dem Endkundenmarkt im Mobilfunkbereich, haben
wir einen selbst tragenden, funktionsfähigen Wettbe-
werb. In anderen Bereichen ist die präventive Regulie-
rung – etwa bei Vorleistungen – so lange unverzichtbar,
wie das Angebot der Wettbewerber auf den Endkunden-
markt im Festnetzbereich nur unter Rückgriff auf die
Infrastruktur der DT AG bestehen kann. Dazu gehört der
entbündelte Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung, lo-
kale und regionale Zusammenschaltungen sowie Fak-
turierung- und Inkassoleistungen. Weitere Deregulie-
rungsvorschläge im Endkundenmarkt werden auf der
Grundlage der von der Regulierungsbehörde durchzu-
führenden Marktanalyse geprüft werden.
Neue innovative Technologien wie Voice over IP, die
Sprachkommunikation über das Internet-Protokoll, stel-
len Herausforderungen für das geltende Telekommuni-
kationsrecht dar. Ich habe keine Zweifel, dass sich das
TKG bei deren Bewältigung als flexibler, technologie-
neutraler Regelungsrahmen ebenso bewähren wird, wie
es dies bei den bisherigen Herausforderungen getan hat.
Diesen erfolgreichen Rechtsrahmen werden wir durch
die noch ausstehenden Rechtsvorschriften zum Verbrau-
cherschutz, zur Nummerierung, zu den Notrufen und zur
Entschädigung bei Telekommunikationsüberwachung
ausfüllen. Wir werden dabei den engen und konstrukti-
ven Dialog mit den betroffenen Kreisen, nicht nur mit
den Unternehmen und Verbrauchern, fortführen. Ich bin
sicher, dass es uns dabei gelingen wird, an die bisherigen
Erfolge mit dem TKG anzuknüpfen. Nur im Miteinander
aller Beteiligten werden wir die Chancen der Telekom-
munikationstechnologien in Deutschland voll ausschöp-
fen können. Mein Dank gilt allen, die sich an dieser
Debatte beteiligen. Sie leisten damit einen wichtigen
Beitrag, weil es uns auch bei diesem Thema vor allem
um eins geht: Um neue Stärke für unser Land.
Uns Sozialdemokraten geht es dabei nicht um eine
Neuerfindung der Ökonomie. Das Gerede von der New
Economy ist ja auch spätestens nach dem Börsencrash
im Jahre 2001 verstummt. Es geht nicht um ein Gegen-
einander von alter und neuer Ökonomie. Es geht darum,
durch die Integration von Telekommunikationslösungen,
unsere bestehende Volkswirtschaft zu erneuern, für mehr
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.
Johannes Singhammer (CDU/CSU): Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion steht für Wettbewerb, für den
ordnungspolitisch einzig richtigen Ansatz: Weg vom
Monopol, hin zum freien Markt. Union und FDP haben
dies vor fast genau zehn Jahren mit der Privatisierung
der ehemaligen Deutschen Post in die Postnachfolge-
unternehmen Deutsche Postbank, Deutsche Post AG und
Deutsche Telekom AG eindrucksvoll und vor allem er-
folgreich bewiesen.
Wettbewerb muss dabei zu mehr Arbeitsplätzen, mehr
Umsatz und mehr Wachstum sowie zu mehr Kundenzu-
friedenheit führen. Unsere Leitlinien einer fairen Regu-
lierung: faire Wettbewerbschancen für die Marktteilneh-
mer; Planungssicherheit für Marktteilnehmer, damit
Investitionen gestartet und Wachstum entstehen kann;
keine Benachteiligung deutscher Unternehmen im Ver-
hältnis zu ausländischen Unternehmen; Regulierung ist
zeitlich begrenzt und hat zum Ziel, sich überflüssig zu
machen.
Es ist festzustellen: Wettbewerb findet im Telekom-
munikations- und Postbereich immer stärker statt – und
das mit erfreulichen Auswirkungen auch für die schwa-
che Gesamtwirtschaft. So erwartet die Bitkom, der
Dachverband der Unternehmen der Informations- und
Telekommunikationsbranche, für das laufende Jahr 2005
ein Umsatzwachstum von 3,4 Prozent auf rund 136 Mil-
liarden Euro, also ein rund doppelt so starkes
14252 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
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Wirtschaftswachstum wie für die Gesamtwirtschaft vo-
rausgesagt wird. Weiter geben in einer Umfrage 46 Pro-
zent der Firmen an, dass sie 2005 neue Jobs schaffen
werden: Mit mehr als rund 10 000 neuen Arbeitsplätzen
ist zu rechnen.
Besonderes Glanzlicht wird der Mobilfunkbereich
sein: 2004 wuchs der Markt um rund 10 Prozent auf
rund 72 Millionen Handynutzer in Deutschland. Das
Beispiel Mobilfunk zeigt überzeugend, dass ein funktio-
nierender Wettbewerb mit insgesamt vier Wettbewerbs-
unternehmen der beste Wachstumsmotor ist.
Als Vorsitzender des Beirates bei der Regulierungsbe-
hörde für Telekommunikation und Post möchte ich den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Regulierungsbe-
hörde für Telekommunikation und Post für ihre mit gro-
ßer Sachkunde erfolgreich geleistete Arbeit danken. Die
Anerkennung der erfolgreichen Arbeit der Regulierungs-
behörde für Telekommunikation und Post findet auch ih-
ren Niederschlag darin, dass zukünftig der Regulie-
rungsbehörde und nicht dem Bundeskartellamt die Frage
der Regulierung der Strom- und Gasnetzentgelte durch
das neue Energiewirtschaftsgesetz übertragen werden
soll.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben Vertrauen in
die Arbeit der Regulierungsbehörde. Wir sind generell
der Meinung, dass es richtig ist, der Regulierungsbe-
hörde für Telekommunikation und Post ausreichende
Kompetenzen für die Regulierung des Marktes zuzuer-
kennen: keine Einzelentscheidungen und keine Einzel-
weisungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Arbeit an die Regulierungsbehörde, sondern allgemein
gefasste Ermächtigungs- und Beurteilungsspielräume.
Damit kann die Regulierungsbehörde für Telekommuni-
kation und Post flexibel auf technische Innovationen re-
agieren; denn der Gesetzgeber kann den Wettlauf mit der
technischen Fortentwicklung nicht gewinnen.
Nach unserer Vorstellung ist die Aufgabe des Gesetz-
gebers eine subsidiäre: Nur dann, wenn eine Problem-
stellung nicht innerhalb der Ermessensspielräume der
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
gelöst werden kann, soll der Gesetzgeber tätig werden.
Auf der anderen Seite: Die Regulierungsbehörde hat die
Verpflichtung, schnell berechenbare Rahmenbedingun-
gen zu schaffen. Subsidiarität heißt zudem aber auch:
Regulierung immer nur dann, wenn nötig.
Beispielhaft positiv haben wir das, wie ich meine, mit
der Selbstverpflichtungserklärung der Deutschen Post AG
im Rahmen der Ausweitung der Inhalte der Postuni-
versaldienstleistungsverordnung erlebt: Ohne Bürokra-
tie, ohne Aufwand und ohne zeitliche Verzögerung
konnten für den Kunden wichtige Fortschritte erreicht
werden.
Mit dem im letzten Jahr nach heftigem Parteienstreit
dann durchaus positiv verlaufenen Vermittlungsverfah-
ren zum Telekommunikationsgesetz könnten – ich sage
leider nur „könnten“ – nun positive Impulse für mehr
Wettbewerb auf den Märkten geschaffen werden. Die
rot-grüne Bundesregierung kommt jedoch stets mit ih-
rem Teil der Aufgabenerfüllung nicht voran, bleibt im
internen Abstimmungskampf stecken.
Beispiel Telekommunikationsgesetz. Die aufgrund
der Novellierung des TKG notwendigen Verordnungen
sind bis heute nicht erlassen. Ein dann angekündigter
Entwurf eines Artikelgesetzes liegt bis heute nicht vor.
Ganz im Gegenteil: Anstelle dieses Vorhabens will Rot-
Grün nun wieder das TGK ändern. Die Folgen: Verzöge-
rungen, die den Markt verunsichern. Kein Signal für
Wachstum!
Nächstes Beispiel: Konsolidierung im Postbereich –
eine Chronologie des rot-grünen Schlingerns: Am 28. No-
vember 2003 erklärt die Bundesregierung nach einer
Aufforderung der EU-Kommission vom 3. Oktober
2003, man sehe die wettbewerbsrechtlichen Bedenken
der EU-Kommission und werde im Einzelnen prüfen,
was im Postgesetz zu ändern sei. Nichts passiert, daher
die Mahnung der EU-Kommission am 1. Oktober 2004.
Die Bundesregierung erklärt daraufhin, man werde § 51
Postgesetz EU-konform ändern. Die von der Bundesre-
gierung vorgeschlagene gesetzliche Aufhebung der öf-
fentlichen Einlieferungsbeschränkungen begleitet nur
die bereits heute gängige Praxis in Rechtsform. Die Be-
denken Brüssels werden dadurch nicht aufgegriffen.
Brüssel leitet daher mit Schreiben vom 20. Oktober 2004
ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren gegen die
Bundesregierung ein. Wirtschaftsminister Clement er-
klärt am 21. Oktober 2004, man werde prüfen, ob private
Postunternehmen im Wettbewerb benachteiligt würden.
Ein Vertreter der Bundesregierung erklärt im Beirat der
Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
am 13. Dezember 2004, die Bundesregierung werde
keine Änderung des Postgesetzes vornehmen, solange
das anhängige Gerichtsverfahren beim Europäischen
Gerichtshof nicht entschieden sei. In der vorliegenden
Unterrichtung durch die Bundesregierung vom 16. De-
zember 2004 erklärt die Bundesregierung, sie beabsich-
tige, sich gegen die Entscheidung der Europäischen
Kommission und auf dem Klageweg zu wehren.
Die Folgen: Planungsunsicherheit und Investitionszu-
rückhaltung auf dem deutschen Postmarkt durch rot-grü-
nes Wirrwarr.
Für die Union sage ich in diesem Zusammenhang:
Bei uns besteht eine grundsätzliche Offenheit, über eine
entsprechende Veränderung der Konsolidierung nachzu-
denken. Wir sind der Überzeugung, dass in diesem Teil-
bereich des Postmarktes zusätzlicher Wettbewerb neue
Chancen eröffnet. Eine Exklusivlizenz ist immer eine
Beeinträchtigung des Wettbewerbs.
Die Union sieht aber auch Gefahren bei einer über-
hasteten vorzeitigen Aufkündigung der Exklusivlizenz:
Die Deutsche Post AG müsste ihre Investitionsplanung
innerhalb nur weniger Monate revidieren. Private müss-
ten innerhalb von wenigen Monaten ein funktionieren-
des Geschäftsmodell für einen Universaldienst entwi-
ckeln und eine entsprechende Logistik aufbauen. Zudem
darf die Entscheidung über den Zeitpunkt des Wegfalls
der Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG im Heimat-
markt nicht losgelöst von der europäischen Nachbarent-
wicklung getroffen werden – insbesondere mit Blick auf
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14253
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die Situation in Frankreich, aber auch in anderen Län-
dern mit einem weiterhin abgeschotteten Postmarkt.
Wettbewerb darf keine nationale Einbahnstraße sein.
Eine Studie der WIK-Consult von Ende 2003 im Auf-
trag der EU-Kommission bestätigt bei einem Vergleich
der Marktanteile der Wettbewerber im inländischen
Briefuniversaldienst, dass mit einem Marktanteil der
Wettbewerber von 4 Prozent Deutschland im Mittelfeld
liegt. Zum Vergleich: in Dänemark Mitbewerberanteil
von 2 Prozent, in den Niederlanden von 5 Prozent, in
Malta 2 Prozent, in Schweden 7, in Spanien 10 Prozent,
in Slowenien 2 Prozent, in Polen 2 Prozent und in Groß-
britannien 0,7 Prozent.
Rot-Grün verhindert bewusst den Wettbewerb: Die
fortdauernde steuerliche Ungleichbehandlung bei der
Mehrwertsteuer auf Postdienstleistungen zugunsten der
Deutschen Post AG und zulasten der Wettbewerber wird
zementiert. In der Stellungnahme der Bundesregierung
vom 16. Dezember 2004 macht Rot-Grün klar, dass dies
auch weiterhin die Linie sein wird. Die Union hingegen
ist der Meinung, dass alle Marktteilnehmer, gleich ob
Deutsche Post AG oder private Konkurrenten, die glei-
chen steuerlichen Wettbewerbsbedingungen und die
gleichen Wettbewerbschancen auf dem deutschen Markt
haben müssen.
Im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages
hat Rot-Grün im April 2004 wie auch später im Septem-
ber 2004 hier im Plenum des Deutschen Bundestages ge-
gen einen fairen Wettbewerb gestimmt. Das ist der fal-
sche Weg.
Eines zeigen all diese Beispiele klar: Die rot-grüne
Bundesregierung trägt mit ihrer Politik der Inkonse-
quenz, einer Politik des Verschiebens und Zauderns ein
gerüttelt Maß Anteil daran, dass große Verunsicherung
im Markt herrscht. Verunsicherung, das heißt Zurück-
stellung von Investitionen, keine Impulse für mehr Wirt-
schaftswachstum. Kein Schwung für Arbeitsplätze. Im
Bereich der Postdienstleistungen, aber auch der Informa-
tions- und Telekommunikationsindustrie, liegt ein gro-
ßes Wachstumspotenzial. Dieses gilt es endlich zu ent-
fesseln mit einer konsequenten wettbewerbsorientierten
Politik. Denn das Wichtigste, was unser Land braucht,
ist ein deutliches Mehr an Wirtschaftswachstum, um da-
mit neue, hochwertige und zukunftssichere Arbeitsplätze
zu schaffen.
Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Der Tätig-
keitsbericht 2002/2003 der Regulierungsbehörde für
Post und Telekommunikation ist ein guter Anlass, eine
Bilanz der Telekommunikationspolitik zu ziehen. Nicht
zu vernachlässigen sind in diesem Zusammenhang auch
die Weichenstellungen des Telekommunikationsgesetzes
vom Juni letzten Jahres.
Die Gründung der Regulierungsbehörde ist eine di-
rekte Konsequenz der von der CDU-geführten Bundes-
regierung sehr erfolgreich betriebenen Privatisierung der
Deutschen Bundespost. Die Regulierungsbehörde über-
nahm am 1. Januar 1998 die Aufgaben des Bundesminis-
teriums für Post und Telekommunikation, das zum Jah-
resende 1997 aufgelöst wurde, des Bundesamts für Post
und Telekommunikation und des Bundesamts für Zulas-
sungen in der Telekommunikation. Die Idee damals war,
der Post nicht nur drei neue Identitäten mit Rechtsfor-
men des Privatrechts oder attraktivere Unternehmensfar-
ben zu geben, sondern im Interesse der Volkswirtschaft
und der Nutzer einen echten Markt mit konkurrierenden
Teilnehmern zu schaffen. Ohne staatliche Eingriffe hätte
sich aus dem Monopol der „Grauen Post“ niemals ein
moderner Telekommunikationsmarkt mit international
wettbewerbsfähigen Teilnehmern entwickeln können.
Zwei Gesichtspunkte galt es zu berücksichtigen:
Wettbewerb bei der Leistungserbringung und faire Teil-
habe aller Marktteilnehmer an der vorhandenen Infra-
struktur. Diese Teilhabe ist erforderlich, um einen volks-
wirtschaftlich sinnvollen und sich schnell entfaltenden
Wettbewerb zu schaffen, darf allerdings gleichzeitig
nicht zu einer faktischen Enteignung und damit wirt-
schaftlichen Schwächung des Netzeigentümers der
DTAG führen.
Diese Quadratur des Kreises setzt einen nah am
Markt agierenden, politisch unabhängigen Regulierer
voraus, der flexibel die vom Parlament gegebenen Vor-
gaben des Telekommunikationsgesetzes umsetzt. Konse-
quenterweise hat sich die CDU/CSU-Fraktion im Deut-
schen Bundestag erfolgreich für eine Stärkung der
Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde im Rahmen
der TKG-Novelle eingesetzt.
Das Telekommunikationsgesetz hat sich grundsätz-
lich bewährt. Im Übergang von monopolistisch zu wett-
bewerblich strukturierten Märkten hat die Regulierung
auf vielen Gebieten nachhaltigen Wettbewerb geschaf-
fen. Ausgehend von der Tatsache, dass in vielen Berei-
chen ausschließlich ein regulierungsbedingter Wettbe-
werb vorliegt, bleibt auf absehbare Zeit eine
sektorspezifische Regulierung grundsätzlich erforder-
lich. Eine Überführung der Ex-ante-Regulierung in eine
Missbrauchsaufsicht bzw. Ex-post-Regulierung ist anzu-
streben, setzt aber voraus, dass auf den entsprechenden
Märkten auf der Grundlage einer eingehenden Markt-
analyse ein nachhaltiger Wettbewerb festgestellt wurde.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will erreichen,
dass Deutschland wieder eine Spitzenposition im Be-
reich der Zukunftstechnologien einnimmt. Dazu brau-
chen wir einen klaren ordnungspolitischen Rahmen, der
vor dem Hintergrund der zunehmenden Konvergenz und
des rasanten technologischen Fortschritts in der ITK-
Branche die möglichst schnelle Weiterentwicklung und
Verbreitung von innovativen Diensten und Infrastruktu-
ren ermöglicht und befördert. Unser Ziel ist ein nachhal-
tiger Wettbewerb zum Wohle der Verbraucher, zur Stär-
kung von Innovationen und zur Schaffung von
zukunftsfähigen Arbeitsplätzen in der Informationsge-
sellschaft des 21. Jahrhunderts. Der Novellierung des
TKG kam dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Die
aufgrund von EU-Richtlinien notwendige Novellierung
des Telekommunikationsgesetzes (TKG) musste dafür
genutzt werden, Deutschland wieder zu einer internatio-
nalen Spitzenstellung im Bereich der ITK zu verhelfen.
Die Novellierung des TKG war eine Chance, wichtige
14254 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
Weichenstellungen vorzunehmen, die unsere internatio-
nale Wettbewerbsfähigkeit verbessern und die es Wirt-
schaft und Bürgern ermöglichen, die sich aus dem Ein-
satz der ITK-Technologien ergebenden Möglichkeiten
optimal zu nutzen. Um das enorme Potenzial der ITK-
Branche im internationalen Wettbewerb für Innovatio-
nen, Wachstum und Arbeitsplätze in Deutschland zu nut-
zen, brauchen wir klare ordnungspolitische Rahmenbe-
dingungen. Diese Chance mussten wir im Interesse des
Standorts Deutschland nutzen. Das TKG musste den
Spagat schaffen zwischen dem Ziel der Gewährleistung
eines wirksamen Wettbewerbs und gleichzeitig einer
fairen Regulierung der Deutschen Telekom AG bei Er-
öffnung einer Deregulierungsperspektive. Wir brauchen
einen Regulierungsrahmen, der die Voraussetzungen für
einen sich selbst tragenden Wettbewerb schafft und
langfristig eine Überführung der Regulierung in das all-
gemeine Wettbewerbsrecht ermöglicht. Um ein höchst-
mögliches Maß an Planungssicherheit für alle Unterneh-
men herzustellen, müssen im neuen TKG klare Kriterien
für den Einsatz des regulierungspolitischen Instrumenta-
riums festgelegt werden.
Die CDU/CSU konnte im Vermittlungsausschuss er-
freulicherweise in zentralen Punkten deutliche Ver-
besserungen erreichen. Dazu zählen insbesondere die
Stärkung des Infrastrukturwettwerbs und des Dienste-
wettbewerbs durch die zeitliche Begrenzung des ge-
bündelten Resales, die explizite Aufnahme des Bitstrom-
Zugangs als „entbündelten Breitbandzugang“, die Ver-
ankerung von Antragsrechten für Unternehmen im Be-
reich der Missbrauchsaufsicht, die Verschärfung der
Sanktionsmöglichkeiten bei Missbrauch durch eine
zwingende und bei Vorsatz rückwirkende Mehrerlös-
abschöpfung, die Vermeidung einer Überregulierung im
Mobilfunk durch die Verankerung des Vergleichsmarkt-
prinzips und die Verlagerung des Rechtsweges vom Ver-
waltungsrechtsweg zu den Kartellgerichten nach fünf
Jahren.
In dieser Form ist der Kompromiss ein klares Signal
für einen Aufbruch in der gesamten Informations- und
Telekommunikationsbranche. Wir haben jetzt ein aus-
gewogenes Gesetz, das den Wettbewerb stärkt und
Rechtssicherheit schafft als Grundlage für Investitionen
und Innovationen. Die wichtigsten Voraussetzungen
einer zukunftsorientierten Telekommunikationspolitik
– der gesetzliche Rahmen und seine unabhängige und
marktnahe Umsetzung – sind erfüllt. Dies muss auch so
bleiben. Wir dürfen die bisher erzielten Erfolge nicht
leichtfertig durch eine Überregulierung der Märkte un-
ter dem Vorwand eines angeblich umfassenden Verbrau-
cherschutzes gefährden. Die Reaktionen der Anbieter
auf die Bedürfnisse der Verbraucher sind oft überzeu-
gender, pragmatischer und effektiver als staatliche Maß-
nahmen.
Die Einführung besonderer Mobilfunktarife für Ju-
gendliche zeigt, dass der Wettbewerb der Marktteil-
nehmer auch auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes
überzeugendere Lösungen bietet als Bevormundung von
Verbrauchern und Anbietern durch staatliche Überregu-
lierung. Diese speziellen Angebote sehen teilweise sogar
die unentgeltliche Sperrung aller kostenintensiven Mehr-
wertdienste-Rufnummern vor und bieten die Möglich-
keit, die Gesamtkosten auf einen bestimmten Betrag zu
begrenzen. Gleichzeitig werden attraktive Tarife für
SMS und Telefonate angeboten.
Diese Kombination der Vorteile von Vertragshandys
und Prepaidhandys zeigt, dass Verbraucherschutz nicht
immer vom Gesetzgeber gemacht werden muss. Die
Wirtschaft ist durchaus in der Lage, auf eine wachsende
Nachfrage nach Angeboten mit überschaubaren Kosten
zu reagieren. Verbraucherschutz und Kostentransparenz
werden nun endlich als Vorteile im Wettbewerb um den
Kunden erkannt. Die Tarife für Jugendliche beweisen,
dass im Zusammenwirken zwischen Wirtschaft, Ver-
brauchern und Politik bessere und praktikablere Lösun-
gen gefunden werden als durch die Regulierungsmanie
von Renate Künast, die in den Entwürfen für die TKV
und TNV erkennbar wird.
Staatliche Eingriffe sind im Interesse von Verbrau-
chern und seriösen Anbietern nur dort erforderlich, wo
mit krimineller Energie oder bewusster Intransparenz
abgezockt werden soll. Dort muss mit Konsequenz ge-
handelt werden. Aber auch nur dort. Die Union wird
auch weiterhin für Pragmatismus und Wettbewerb im
Telekommunikationsmarkt statt für Dogmatismus und
Überregulierung stehen.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Tätigkeitsbericht, der auf Antrag der CDU/CSU-
Fraktion auf die Tagesordnung gesetzt wurde, umfasst
den Berichtszeitraum 2001 bis 2003. Die Bundesregie-
rung hat ihre Stellungnahme mit Schreiben vom 14. De-
zember 2004 zugeleitet. Im Bericht der Regulierungsbe-
hörde für Telekommunikation und Post sind die Daten
für das Jahr 2003 zum Teil enthalten, zum Teil ist nur
das erste Quartal 2003 berücksichtigt worden. Ich denke,
wir sollten in Zukunft zeitnah die Berichte der Regulie-
rungsbehörde und der Monopolkommission diskutieren.
Der nächste Bericht wird uns eine Analyse über die
Umsetzung der Novelle des Telekommunikationsgeset-
zes geben. Bei der Novellierung des Telekommunika-
tionsgesetzes haben wir für faire Wettbewerbsbedingun-
gen, ein hohes Verbraucherschutzniveau und für neue
Möglichkeiten für die Teilnahme von Gehörlosen an der
Telekommunikation gesorgt. Wir werden darauf achten,
dass bei der Telekommunikationskundenschutzverord-
nung und der Telekommunikationsnummerierungsver-
ordnung diese Erfolge umgesetzt werden.
Die Einführung von Wettbewerb bei der Telekommu-
nikation hat zu drastisch gesunkenen Telefonpreisen ge-
führt, viele neue Dienste ermöglicht und die globale
Kommunikation extrem erleichtert. Damit wurden wich-
tige Impulse für Wachstum, Beschäftigung und Innova-
tion gegeben. Der Anteil der Wettbewerber an der Tele-
kommunikation hat sich kontinuierlich gesteigert. Sie
konnten die Zahl der Beschäftigten im Jahr 2005 wieder
ausweiten. Die Telekommunikationsunternehmen erwar-
ten für 2005 steigende Umsätze. Auch hier macht sich
der Umsatz bemerkbar.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005 14255
(A) (C)
(B) (D)
Der Übergang von einer Behörde zu einem modernen
Unternehmen ist nicht leicht. Wir begrüßen es, dass die
Deutsche Telekom AG sich konsolidiert. Faire Wettbe-
werbsbedingungen schaffen das beste Umfeld für ein in-
novatives Unternehmen. Auch bei den Postdiensten ha-
ben wir bereits in vielen Bereichen Wettbewerb. Die
Mitgliedstaaten der EU haben sich darauf geeinigt, 2007
den letzten Monopolbereich bei den Standardbriefen zu
beseitigen. An diesem Ziel halten wir fest. Nicht akzep-
tabel ist es für uns, wenn die Post AG den Monopolbe-
reich über den klar definierten Rahmen hinaus ausdehnt,
wie sie es zum Beispiel bei den postvorbereitenden
Diensten tut.
Wir erwarten, dass die Deutsche Post AG die Ver-
pflichtungen der Postuniversaldienstleistungsverord-
nung und die Selbstverpflichtung bezüglich des Betrie-
bes von Postfilialen und Postagenturen in der Fläche
einhält. Besonders wichtig ist es, dass sie die betroffenen
Gemeinden sorgfältig und frühzeitig in ihre Planungen
einbezieht.
Rainer Brüderle (FDP): Zunächst möchte ich ein-
mal mehr mein Bedauern ausdrücken, dass wir den
Tätigkeitsbericht der Regulierungsbehörde für Telekom-
munikation und Post 2002/2003 und das Sondergutach-
ten 2002/2003 der Monopolkommission zu Telekommu-
nikations- und Postmarkt zum ersten Mal im Jahr 2005
beraten. Versuche, dieses Thema früher aufzusetzen,
sind offensichtlich daran gescheitert, dass die Bundesre-
gierung ihre Stellungnahme nicht rechtzeitig durch das
Kabinett gebracht hat. Das sagt einiges darüber aus, wel-
chen Stellenwert diese Regierung der Telekommunika-
tions- und Postpolitik – jenseits von Sonntagsreden –
einräumt.
Aber vielleicht fürchten sich auch die Regierung und
die sie tragenden Fraktionen vor den Inhalten insbeson-
dere des Sondergutachtens der Monopolkommission.
Zumindest bei der Novelle des Telekommunikationsge-
setzes hat sich Grün-Rot wenig darum geschert, was die
Wettbewerbsexperten zu den Marktbedingungen schrei-
ben. Das zeigt einmal mehr: Diese Regierung empfindet
Wettbewerb eher als lästig. Lieber schützt sie große ehe-
malige Staatsmonopolisten vor unliebsamer Konkurrenz.
Das gilt auch und in besonderem Maße für den deut-
schen Postmarkt. Hier ist – wie es die Monopolkommis-
sion wunderbar zum Ausdruck bringt – das Postmonopol
durch die Bundesregierung zementiert worden. Der
krampfhafte Versuch der rot-grünen Regierung, auch die
postvorbereitenden Dienste entgegen den klaren Forde-
rungen der EU-Kommission und dem offenkundig dis-
kriminierenden Verhalten der Deutschen Post AG gegen-
über Konkurrenten durch kleinliche Rechtsauslegung
der europäischen Richtlinien aus dem Wettbewerb raus-
zuhalten, zeigt eines ganz deutlich: Dieser Regierung
geht es nicht um mehr Wettbewerb und damit niedrigere
Preise und höhere Chancen für neue Investitionen und
Arbeitsplätze. Dieser Regierung geht es um die Abschot-
tung des Postmarktes zugunsten des immer noch in
Mehrheitsbesitz des Bundes befindlichen ehemaligen
Staatmonopolisten. Das ist Industriepolitik zulasten von
Verbrauchern, Wachstum und Arbeitsplätzen. Und das
erklärt, warum Grüne und Rote kein Interesse haben, an-
erkannte Expertenstimmen zu diesem Themenkomplex
zu einem früheren, öffentlichkeitsnäheren Zeitpunkt zu
diskutieren.
Anlage 8
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen des
Abgeordneten Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU)
(150. Sitzung, Drucksache 15/4649, Fragen 15 und 16):
Trifft es zu, dass die Bundesregierung im Rat der Europäi-
schen Union dem Antrag Frankreichs auf Senkung und auf re-
gionale Differenzierung seiner Mineralölsteuer zustimmen
wird und, wenn ja, aus welchen Gründen hat sie ihre Meinung
in Bezug auf die Verträglichkeit des Antrags mit dem Funktio-
nieren des Binnenmarktes geändert?
Ist die Bundesregierung bereit, eine zu der von Frankreich
beantragten Senkung und regionalen Differenzierung der
Mineralölsteuer vergleichbare Maßnahme auch in Deutsch-
land zu ergreifen, vor allem auch, um dem Problem des so ge-
nannten Tanktourismus in den deutschen Grenzregionen ent-
gegenzuwirken, ohne dabei die Regeln des Binnenmarktes zu
verletzen?
Zu Frage 15:
Frankreich beabsichtigt, vom 1. Januar 2006 bis 31. De-
zember 2011 nach Erhöhung der Ausgangssteuersätze
regionale Steuerermäßigungen für bleifreies Benzin (bis
zu 3,54 Cent/Liter) und nicht gewerblich genutzten Die-
sel (bis zu 2,3 Cent/Liter) einzuführen. Das Vorhaben
Frankreichs basiert ausschließlich auf innenpolitischen
Gründen. Hintergrund der Maßnahme sind Dezentra-
lisierungsüberlegungen. Die Exekutivorgane der franzö-
sischen Verwaltungsregionen (Regionalräte) sollen er-
mächtigt werden, eigenständig über Steuerermäßigungen
zu entscheiden, die sich an der jeweiligen „sozioökono-
mischen Situation“ der Regionen orientieren sollen.
Hierdurch soll ein zusätzlicher Anreiz für die Regionen
geschaffen werden, um die Qualität ihrer Verwaltung auf
transparente Weise zu verbessern und gleichzeitig den
Bedürfnissen und Besonderheiten jeder Region Rech-
nung zu tragen.
Die Bundesregierung ist nach eingehender Prüfung
des französischen Antrags zu dem Ergebnis gelangt,
dass eine solche Maßnahme das reibungslose Funktio-
nieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt. Vor allem
wegen der sehr engen Grenzen für die Staffelung der
Verbrauchsteuern in den französischen Regionen (für
Benzin maximal 3,54 Cent/Liter und für nicht gewerb-
lich genutzten Diesel maximal 2,3 Cent/Liter – nach vor-
heriger Erhöhung der Ausgangssteuersätze) ist eine
Wettbewerbsverzerrung auf dem Mineralölmarkt nicht
zu befürchten. Zudem gilt die beantragte Maßnahme ge-
rade nicht für den gewerblich genutzten Diesel. Die
Bundesregierung wird aber auf die Festschreibung der
Steuersätze drängen, die bei Anwendung der regionalen
Staffelungen nicht unterschritten werden dürfen. Der re-
gelnde Teil des Entscheidungsvorschlags nennt zwar die
maximalen Ermäßigungsbeträge, lässt aber offen, von
welchen Steuersätzen Frankreich ausgeht. Insoweit
bedarf es der Klarstellung in einer Gemeinsamen
14256 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
(A) (C)
(B) (D)
Protokollerklärung. Genau diese Klarstellung ist Gegen-
stand des Entwurfs einer Gemeinsamen Protokollerklä-
rung von Rat und Kommission, der am heutigen Tag in
der Ratsarbeitsgruppe in Brüssel verhandelt wird.
Zu Frage 16:
Das französische Begehren ist nicht darauf ausgerich-
tet, einen vermeintlichen „Tanktourismus“ zwischen
Frankreich und anderen Mitgliedstaaten einzudämmen
bzw. einen solchen zur Grenze Deutschlands zu errich-
ten/auszubauen. Die Ermäßigungen sollen innerhalb der
Regionen gerade nicht grenzbezogen gestaffelt werden.
Die Kommission hat mehrfach klargestellt, dass sie eine
grenzbezogene Staffelung der französischen Steuersätze
niemals befürworten würde. Die Forderung, eine Staffe-
lung der Mineralölsteuersätze in den Grenzregionen
Deutschlands nach dem französischen Vorbild einzufüh-
ren, ist aus tatsächlichen und EG-rechtlichen Aspekten
nicht umsetzbar. Zum einen liegen bei der französischen
Maßnahme – wie bereits dargelegt – die maximalen Er-
mäßigungsbeträge zwischen 2,3 bis 3,54 Cent/Liter. Das
reicht bei weitem nicht aus, um einem „Tanktourismus“
zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten wirk-
sam entgegenzuwirken.
Ein Antrag Deutschlands mit wesentlich höheren
Steuerstaffelungsbeträgen würde von der Kommission
zudem – wegen seiner grenzüberschreitenden Auswir-
kungen – keinesfalls gebilligt werden. Dies hat die Kom-
mission kürzlich in Gesprächen auf Fachebene unmiss-
verständlich zum Ausdruck gebracht. Sie beabsichtigt
zudem, gemeinsam mit dem Rat zu Protokoll zu erklä-
ren, dass – so wörtlich – „Anträge auf eine Ausnahmere-
gelung für eine Ermäßigung der Steuersätze, die ledig-
lich in den Grenzgebieten zwischen den Mitgliedstaaten
gelten würde, nicht akzeptabel wären“. Da auch die
Nachbarstaaten einem solchen Anliegen kritisch gegen-
überstehen dürften, besteht zudem keine realistische
Chance, hierfür die Zustimmung aller EU-Staaten einho-
len zu können.
151. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 20. Januar 2005
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8