Protokoll:
15145

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 145

  • date_rangeDatum: 2. Dezember 2004

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:19 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/145 13428 A Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Kioto-Protokoll tritt in Kraft – Ein Erfolg für den Klimaschutz und eine Verpflich- tung für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Rolf Bietmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Klimaschutz- Doppelstrategie – Kioto-Protokoll zu ei- nem wirksamen Kioto-plus-Abkom- men weiterentwickeln und nationale Dr. Hermann Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Müller (Düsseldorf) (SPD) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Kristina Köhler (Wiesba- den), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Politischen Islamismus be- kämpfen – Verfassungstreue Muslime un- terstützen 13414 D 13429 C 13431 B 13432 B 13433 D 13434 D Deutscher B Stenografisch 145. Sitz Berlin, Donnerstag, den I n h a l Benennung der Abgeordneten Jörg-Otto Spiller (SPD), Dietrich Austermann (CDU/ CSU), und Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) als Mitglieder des Verwal- tungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau Entsendung der Abgeordneten Gisela Hilbrecht (SPD) als ordentliches Mitglied und des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) als stellvertretendes Mitglied im Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bun- desrepublik Deutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: b J D U B D D 13413 A 13413 B 13413 B 13413 D klimafreundliche Entwicklung konse- quent fortsetzen (Drucksache 15/4382) . . . . . . . . . . . . . . . . 13414 D undestag er Bericht ung 2. Dezember 2004 t : ) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll national konsequent umsetzen und international verantwor- tungsvoll weiterentwickeln (Drucksache 15/4393) . . . . . . . . . . . . . . . ürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . r. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . irgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . r. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Peter Paziorek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13414 D 13415 A 13418 A 13420 B 13422 C 13424 B 13427 A (Drucksache 15/4260) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 13437 C II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zu- sammenleben auf der Basis gemeinsa- mer Grundwerte (Drucksache 15/4394) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Klaus Haupt, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integra- tionspolitik (Drucksache 15/4401) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU) . . . . . . . . . Franz Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Schily (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckart von Klaeden (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . Rita Streb-Hesse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) . . . . Dr. Lale Akgün (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Vogt (Pforzheim) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- b c Z a b T a b 13437 C 13437 D 13437 D 13440 A 13440 B 13442 A 13442 B 13443 B 13444 B 13444 D 13445 C 13445 D 13447 B 13449 B 13449 C 13450 B 13452 A 13452 C 13453 A 13455 A 13457 C 13457 D 13458 D 13460 B 13462 B 13463 B 13465 B 13466 C zes zur Änderung arzneimittelrechtli- cher Vorschriften (Drucksache 15/4294) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Feld- versuche über die Vor- und Nachteile von 60-Tonnen-LKW starten (Drucksache 15/3951) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Was- serstraßenausbaugesetz vorlegen (Drucksache 15/4039) . . . . . . . . . . . . . . . usatztagesordnungspunkt 4: ) Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Norbert Röttgen und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wettbewerb und Innovations- dynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogram- men effektiv begrenzen (Drucksache 15/4403) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Promillegrenze in der Seeschifffahrt (Drucksache 15/4383) . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 31: ) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen zu dem Antrag der Abgeord- neten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle und weiterer Abgeordneter: Engpass zwi- schen Wiesbadener Kreuz und Krifteler Dreieck (Autobahn A66) beseitigen (Drucksachen 15/3104, 15/4095) . . . . . . . ) – e) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 164, 165, 166 und 167 zu Petitionen (Drucksachen 15/4273, 15/4274, 15/4275, 15/4276) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13476 B 13476 B 13476 C 13476 C 13476 D 13467 D 13468 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 III f) Beratung der ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses: zu 23 ge- gen die Gültigkeit der Wahl der Abge- ordneten des sechsten Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahlein- sprüchen (Drucksache 15/4250) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zur Forschung an embryonalen Stammzellen nach der Volksabstimmung in der Schweiz und den damit verbundenen Auswirkun- gen für die Forschung in Deutschland Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Lensing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Eichhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Anton Schaaf, Sabine Bätzing, Ute Berg, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- geordneten Jutta Dümpe-Krüger, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbau der Jugend- freiwilligendienste und der generations- übergreifenden Freiwilligendienste als zi- vilgesellschaftlicher Generationenvertrag für Deutschland (Drucksache 15/4395) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . J S D A U T A M h t s ( D O H J D M C M D W T a b 13468 B 13468 C 13469 D 13471 A 13472 B 13473 C 13474 D 13476 B 13477 C 13478 D 13479 D 13480 C 13481 B 13482 C 13483 D 13484 C 13484 D 13485 D Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . utta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . r. Michael Bürsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . ndreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . te Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 6: ntrag der Abgeordneten Dr. Angela Merkel, ichael Glos, Siegfried Kauder (Bad Dürr- eim), weiterer Abgeordneter und der Frak- ion der CDU/CSU: Einsetzung eines Unter- uchungsausschusses Drucksache 15/4285) . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Jürgen Gehb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . laf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ellmut Königshaus (FDP) . . . . . . . . . . . . . . erzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . onika Heubaum (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . lemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ichael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . r. Peter Ramsauer (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . ilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 7: ) Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine Bekräftigung des absoluten Folter- verbots (Drucksache 15/4396) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Christa Nickels, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der 13486 C 13488 A 13489 B 13490 B 13491 D 13493 C 13494 A 13494 C 13495 C 13496 D 13496 D 13499 B 13501 B 13503 B 13506 B 13508 B 13510 B 13511 D 13512 D 13513 D 13515 A 13515 B 13515 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Nepal – Menschenrechte schützen und Gewalt beenden (Drucksache 15/4397) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Ulrich Heinrich, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Einhaltung der Menschen- rechte in Nepal (Drucksache 15/3231) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine zügige Zeichnung, Ratifi- zierung und Umsetzung des Zusatzpro- tokolls zur UN-Anti-Folter-Konvention (Drucksache 15/3507) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Holger Haibach, Dr. Martina Krogmann, Melanie Oßwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Presse- und Meinungs- freiheit im Internet weltweit durchset- zen – Journalisten, Menschenrechtsver- teidiger und private Internetnutzer besser schützen (Drucksache 15/3709) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: EU-Jahresbericht zur Menschenrechtslage Ratsdok. 13449/03 (Drucksachen 15/2636 Nr. 2.16, 15/3001) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Rainer Funke, Daniel Bahr (Müns- ter), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Menschenrechte in der Volksrepublik China einfordern (Drucksache 15/4402) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ratifikation des 12. Zusatzproto- kolls zur Europäischen Menschen- rechtskonvention (Drucksache 15/4405) . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Bindig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christa Nickels (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Funke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C M A K T A M w C g r ( A C S I I R H E T E e d E ( ( T a b N 13515 C 13515 D 13515 D 13516 A 13516 A 13516 B 13516 B 13516 C 13518 A 13520 A 13521 D hristoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . elanie Oßwald (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . ngelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . laus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) . . . . . . . . agesordnungspunkt 8: ntrag der Abgeordneten Annette Widmann- auz, Irmgard Karwatzki, Dr. Maria Böhmer, eiterer Abgeordneter und der Fraktion der DU/CSU: Tatsächliche Gleichberechti- ung durchsetzen – Zehn Jahre Novellie- ung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes Drucksache 15/4146) . . . . . . . . . . . . . . . . . . nnette Widmann-Mauz (CDU/CSU) . . . . . . hristel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . ibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . rmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rmgard Karwatzki (CDU/CSU) . . . . . . . . . . enate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . annelore Roedel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . lke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 9: rste Beratung des von der Bundesregierung ingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ie Feststellung des Wirtschaftsplans des RP-Sondervermögens für das Jahr 2005 ERP-Wirtschaftsplangesetz 2005) Drucksache 15/3596) . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 10: ) Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Norbert Schindler, Peter H. Carstensen (Nordstrand), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Reform des EU-Zuckermarktes ausge- wogen gestalten – Perspektiven für die deutsche Landwirtschaft und die Er- zeuger der Entwicklungsländer sicher- stellen (Drucksache 15/4145) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliche Reform der europäischen Zucker- marktordnung mit Augenmaß erfor- derlich (Drucksache 15/4399) . . . . . . . . . . . . . . . orbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 13522 D 13524 A 13525 A 13526 B 13527 C 13527 C 13529 A 13530 D 13531 D 13533 B 13534 B 13535 B 13536 C 13538 A 13538 A 13538 B 13538 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 V Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU) . . . . Reinhold Hemker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- sen – zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Gerold Reichenbach, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock, Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Sicherheit vor der deutschen Küste verbessern – Küs- tenwache optimieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder, Dirk Fischer (Hamburg), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Schaffung einer nationalen Küstenwache – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bay- reuth), Dr. Max Stadler, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Nationale Küstenwache schaffen (Drucksachen 15/3322, 15/2337, 15/2581, 15/4153) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Peter Paziorek, Cajus Julius Caesar, Dr. Maria Flachsbarth, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU: Natur- schutz im Miteinander von Mensch, Tier, U ( T E e U t n c ( T a b G E H J G E H J T B s u – – 13539 D 13541 A 13541 D 13543 B 13544 A 13544 D 13545 C 13545 D 13546 D 13548 A 13549 A 13550 A 13551 C mwelt und wirtschaftlicher Entwicklung Drucksachen 15/2467, 15/4018) . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 13: rste Beratung des von der Bundesregierung ingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur msetzung von Vorschlägen zu Bürokra- ieabbau und Deregulierung aus den Regio- en und zur Änderung wohnungsrechtli- her Vorschriften Drucksache 15/4231) . . . . . . . . . . . . . . . . . . agesordnungspunkt 14: ) Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Ernst- Reinhard Beck (Reutlingen), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung (Drucksache 15/4261) . . . . . . . . . . . . . . . ) Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Vera Lengsfeld, Josef Philip Winkler und weiterer Abgeordne- ter: Die Einheit der deutschen Sprache bewahren (Drucksache 15/4249) . . . . . . . . . . . . . . . ünter Nooke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . ckhardt Barthel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . ans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . osef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rietje Bettin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . rika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . einrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU) . . . . örg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vera Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . agesordnungspunkt 15: eschlussempfehlung und Bericht des Aus- chusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit nd Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Weltbevölkerung und Entwick- lung – zehn Jahre nach Kairo zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Annette Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter 13535 A 13553 C 13553 C 13553 D 13553 D 13556 A 13557 A 13558 C 13559 B 13560 A 13561 A 13561 D 13563 A 13563 D 13564 A VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 und der Fraktion der CDU/CSU: Weltbe- völkerungspolitik zehn Jahre nach Kairo (Drucksachen 15/3812, 15/3798, 15/4041) . . Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Abriss des Palastes der Republik nicht verzögern (Drucksachen 15/3315, 15/3887) . . . . . . . . . . Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Vera Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Drucksache 15/4293) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbriefrechts (Drucksache 15/4321) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens KOM (2004) 173 endg.; Ratsdok. 7615/04 (Drucksachen 15/3135 Nr. 2.14, 15/4415) . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststel- lung des Wirtschaftsplans des ERP-Sonder- v W p D O M H G A Z d N T l G C D U A A Z ü z u Ä ( D D B R A Z d – – ( K S T U 13565 C 13566 A 13566 B 13568 A 13569 B 13570 B 13571 C 13571 D 13572 A 13572 C 13573 A ermögens für das Jahr 2005 (ERP- irtschaftsplangesetz 2005) (Tagesordnungs- unkt 9) r. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD) . . . . . . . . . tto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . ax Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . ans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . udrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 3 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung er Beschlussempfehlung und des Berichts: aturschutz im Miteinender von Mensch, ier, Umwelt und wirtschaftlicher Entwick- ung (Tagesordnungspunkt 12) abriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . ajus Julius Caesar (CDU/CSU) . . . . . . . . . r. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . ndine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ngelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . nlage 4 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung ber den Entwurf eines Gesetzes zur Umset- ung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau nd Deregulierung aus den Regionen und zur nderung wohnungsrechtlicher Vorschriften Tagesordnungspunkt 13) r. Rainer Wend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . r. Hermann Kues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . irgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . ezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nlage 5 u Protokoll gegebene Reden zur Beratung er Anträge: Weltbevölkerung und Entwicklung – zehn Jahre nach Kairo Weltbevölkerungspolitik zehn Jahre nach Kairo Tagesordnungspunkt 15 a und b) arin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . ibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . hilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lrich Heinrich (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13473 B 13474 D 13575 D 13577 B 13578 A 13579 A 13580 B 13582 A 13583 A 13584 A 13585 A 13586 C 13587 D 13588 B 13589 D 13591 A 13593 A 13593 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 VII Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Abriss des Palastes der Republik nicht verzögern (Tagesordnungspunkt 16) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlef Parr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbriefrechts (Tagesordnungspunkt 18) Rudolf Bindig (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Funke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- schen Parlaments und des Rates zur Einfüh- rung eines Europäischen Mahnverfahrens (Ta- gesordnungspunkt 19) Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 13594 D 13595 C 13596 A 13596 C 13598 A 13589 D 13599 B 13599 C 13600 A 13600 D 13601 C 13602 C 13603 B 13604 B 13605 B 13606 A 13606 D 13607 D 13608 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13413 (A) ) (B) ) 145. Sitz Berlin, Donnerstag, den Beginn: 9.0
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    1) Anlage 8 2) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13573 (A) ) (B) ) heute das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2005 in den Bun- ein besonderes Vermögen. Der Grund dafür liegt in der Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Wir bringen H aushaltsplan unter vielen, sondern ein gesondertes und Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP- Sondervermögens für das Jahr 2005 (ERP- Wirtschaftsplangesetz 2005) (Tagesordnungs- punkt 9) d s d d p d W e G s w 5 s g F d U u d A g d g d d a z ü R d s W d o m d S f t G l l t B Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bülow, Marco SPD 02.12.2004 Bulmahn, Edelgard SPD 02.12.2004 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 02.12.2004 Griese, Kerstin SPD 02.12.2004 Hilbrecht, Gisela SPD 02.12.2004 Irber, Brunhilde SPD 02.12.2004 Kauder, Volker CDU/CSU 02.12.2004 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 02.12.2004 Lehn, Waltraud SPD 02.12.2004 Leibrecht, Harald FDP 02.12.2004 Dr. Lucyga, Christine SPD 02.12.2004* Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2004 Raab, Daniela CDU/CSU 02.12.2004 Scharping, Rudolf SPD 02.12.2004 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 02.12.2004 Schily, Otto SPD 02.12.2004 Schröder, Gerhard SPD 02.12.2004 Seehofer, Horst CDU/CSU 02.12.2004 Wohlleben, Verena SPD 02.12.2004 (C (D Anlagen zum Stenografischen Bericht estag ein. Im Vergleich zu früheren Jahren ist dies sehr pät. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass mit en Vorstellungen der Bundesregierung zur Neuordnung er ERP-Wirtschaftsförderung ein längerer Diskussions- rozess um die Zukunft der Mittelstandsförderung und ie Zukunft des ERP-Sondervermögens begonnen hat. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich die irtschaftsförderung aus dem ERP-Sondervermögen als inen der wichtigsten Bausteine zur Unterstützung von ründern und mittelständischen Unternehmen ansehe. Das sage ich nicht nur, weil ich den ERP-Unteraus- chuss schon lange Zeit als Vorsitzende leite, sondern eil sich die ERP-Förderung inzwischen über mehr als 0 Jahre in der Praxis bewährt hat. Der ERP-Unterausschuss, der Ausschuss für Wirt- chaft und Arbeit des Deutschen Bundestages und der esamte Bundestag haben an der Umsetzung der ERP- örderung immer regen Anteil genommen, bildet doch er Hauptbegünstigte, die deutschen mittelständischen nternehmen, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft nd des deutschen Arbeitsmarktes. In den mehr als 50 Jahren haben die Schwerpunkte er Wirtschaftsförderung sich immer wieder geändert. ber auch angesichts wichtiger gewandelter Bedingun- en und neuer gewaltiger Herausforderungen wie der eutschen Einheit, ist das Grundprinzip immer gleich eblieben: Das ERP-Sondervermögen gibt Hilfe zur Selbsthilfe, as heißt subventioniert die für kleinere Unternehmen eutlich höheren Zinsen bei den Banken und gewährt uch Haftungsfreistellungen, um fehlendes Eigenkapital u ersetzen oder zu ergänzen bzw. eine Kreditgewährung berhaupt möglich zu machen. Das Kapital fließt in aller egel wieder zurück und kann erneut für die Förderung er mittelständischen Unternehmen und Gründer einge- etzt werden. Rund 115 Milliarden Euro an Krediten sind auf diese eise seit Bestehen des Vermögens zur Unterstützung er mittelständischen Wirtschaft geflossen. Bis heute sind unmittelbar circa 8 Millionen neue der bestehende Arbeitsplätze aus dem ERP-Sonderver- ögen gefördert worden. Auch in den neuen Bundeslän- ern hatten und haben ERP-Kredite positive Wirkungen. eit der Vereinigung wurde der Aufbau eines leistungs- ähigen Mittelstandes in den neuen Ländern massiv un- erstützt. Seit 1990 gab es dort 460 000 Kreditzusagen in einem esamtvolumen von 44 Milliarden Euro. Rund 1,7 Mil- ionen Arbeitsplätze wurden so geschaffen und 1,75 Mil- ionen bestehende Arbeitsplätze gesichert. 200 000 Exis- enzgründungen konnten vorgenommen werden, eine ilanz, die sich sehen lassen kann. Immer aber war das ERP-Sondervermögen kein 13574 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Entstehungsgeschichte des Vermögens, dem Marshall- plan der USA für das kriegsverwüstete Europa und vor allem Deutschland. Es sei dahingestellt, ob es Klugheit war, oder ob dabei auch eine Portion Misstrauen des Siegers eine Rolle spielte, dass die Amerikaner darauf bestanden, dass diese Gelder nicht einfach ausgegeben, sondern immer wieder revolvierend eingesetzt werden mussten. Dieser revolvierende Mitteleinsatz hat sich in jedem Falle als Schlüssel für die erfolgreiche ERP-Förderung für unser Land herausgestellt. Denn dadurch wurden die Begehrlichkeiten der Finanzminister jahrzehntelang im Zaum gehalten. Dieses Prinzip ist schon im deutsch-amerikanischen Abkommen von 1949/50 niedergelegt und seit 1953 auch im ERP-Verwaltungsgesetz verankert. Es gibt nur ein Land, in dem dies ebenso erfolgreich gehandhabt wurde, nämlich Österreich. Auch dort wirken die „ERP- Fonds“ genannten Mittel als dauerhaftes Förderelement nach wie vor segensreich zur Unterstützung der Wirt- schaft. Andere Länder beneiden uns und Österreich um ein solches Instrument und so manches Empfängerland be- dauert es heute, dass es mit seinen Marshallplanmitteln nicht etwas ähnliches geschaffen hat, sondern die Mittel – weil es die Freiheit dazu hatte – mit einer einmaligen Einbeziehung in den Staatshaushalt ausgegeben hat. Sie werden sicher verstehen, dass ich nachdrücklich dafür eintrete, dass dieses wichtige Instrument in seiner ganzen Förderkraft erhalten bleibt. Über neue Wege und Instrumente kann und muss man von Zeit zu Zeit nachdenken, zum Beispiel wie wir schnell wachsenden innovativen Unternehmen mit neuen Finanzierungsinstrumenten helfen können und die dramatische Eigenkapitalschwäche von Gründern über- winden, den Umweltschutz aktiv fördern und die schwä- cheren Regionen nicht zu kurz kommen lassen. Der Unterausschuss hat sich auch bemüht, sich in jährlichen Tagungen mit neuen Anregungen zu konfron- tieren und mit der dankenswerten Unterstützung der KfW mit hochrangigen Experten und den Verwaltern des Sondervermögens nach effektiveren Finanzierungs- instrumenten zu suchen. Dies ist auch in der Vergangenheit wiederholt im ERP-Unterausschuss konstruktiv von allen Fraktionen erörtert und immer mit guten Ergebnissen abgeschlossen worden. Am Grundsatz des Substanzerhalts der Mittel und damit der Förderkraft sollte, nein darf dabei nicht gerüttelt werden. Heute geht es aber vor allem um das ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2005. Es steht also nicht die Frage grundsätzlicher Veränderungen auf der Tagesordnung, sondern der haushaltsmäßige Rahmen für die Kontinui- tät der Förderung auch im kommenden Jahr. Unzweifelhaft haben wir alle ein Interesse daran, dass die ERP-Wirtschaftsförderung auch im Jahre 2005 ohne Beeinträchtigungen weiter geht. Deshalb brauchen wir – 2 d m B w s g z e i i t s d f s D i 2 g F P h s a w Z B c B s e d d v r s d K 2 d h v d E l m (C (D unabhängig von allen anderen Überlegungen – für 005 ein ERP-Wirtschaftsplangesetz, weil das Handeln es ERP-SV ja eine haushaltsmäßige Grundlage haben uss. Zu Beginn des Jahres 2005 kann man zwar auf der asis einer vorläufigen Haushaltsführung arbeiten und ird dies auch tun müssen, wir sollten aber alles daran etzen, das Gesetz nach der heutigen ersten Lesung zü- ig in den Ausschüssen zu beraten und dann auch rasch u verabschieden. Der Wirtschaftsplan 2005 sieht wie der jetzt geltende in Fördervolumen von rund 4 Milliarden Euro vor. Er st wiederum darauf ausgerichtet, die Unternehmen in hrer deutlich schwieriger gewordenen Fihanzierungssi- uation zu unterstützen. Die richtigen Instrumente dafür ind im Wirtschaftsplan angelegt. Ich nenne hier zum Beispiel die Nachrangkapitalpro- ukte „ERP-Kapital für Gründer“ und das „ERP-Kapital ür Wachstum“ sowie die unmittelbar eigenkapital-wirk- amen Beteiligungsprogramme wie etwa der ERP/EIF- achfonds oder auch der neue ERP-Startfonds für junge nnovative Unternehmen. Die Nachfrage nach diesen Instrumenten ist im Jahre 004 noch hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Wir ehen aber davon aus, dass die Nachfrage nach diesen örderprogrammen mit zunehmender Bekanntheit der rogramme und vor allem zunehmender Konjunkturer- olung anziehen wird Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die deut- chen Banken sich ihrer Aufgaben und ihrer hohen Ver- ntwortung für die Finanzierung des Mittelstandes be- usst werden. Staatliche Mittel können eine bewusste urückhaltung in der Kreditvergabe nicht ausgleichen. Sie, meine Damen und Herren von den deutschen anken und Sparkassen, dürfen die vielen zarten Pflänz- hen, die in einer gerade anspringenden, nicht einfachen innenkonjunktur sprießen, nicht vertrocknen lassen – onst sägen Sie am eigenen Ast und der Zukunft vieler rfolgreicher Firmen. Otto Bernhardt (CDU/CSU): Ich freue mich, dass ie Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über ie Feststellung des Wirtschaftsplanes des ERP-Sonder- ermögens für das Jahr 2005 nun nach einigen Verzöge- ungen vorgelegt hat und wir heute darüber in erster Le- ung beraten können. Seit einer Kabinettsitzung im Juni dieses Jahres ist as ERP-Sondervermögen massiv bedroht. Auf dieser abinettsitzung wurde offensichtlich beschlossen, Milliarden Euro der insgesamt 12,7 Milliarden Euro es ERP-Sondervermögens für die allgemeine Haus- altskonsolidierung, das heißt für das einmalige Stopfen on Haushaltslöchern, zu verwenden und den Restbetrag er Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Verstärkung ihres igenkapitals zur Verfügung zu stellen, dies nicht zu- etzt, um so die KfW in die Lage zu versetzen, noch ehr als bisher Aktienpakete des Bundes zu überneh- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13575 (A) ) (B) ) men, die zurzeit nicht für den gewünschten Preis am Ka- pitalmarkt abgesetzt werden können. Am 25. Oktober 2004 hat hierzu eine Expertenanhö- rung vor dem ERP-Unterausschuss stattgefunden. Ver- fassungsrechtler und die Wirtschaftsverbände haben den Plänen der Bundesregierung eine deutliche Absage er- teilt. Die Bundesregierung tritt mit ihrem Entwurf nicht nur deutsches Recht mit Füßen, sondern verstößt auch gegen deutsch-amerikanische Abkommen zur Wirt- schaftsförderung. Das internationale Abkommen zur Verwendung der Marshallgelder sieht ausdrücklich keine Schuldentilgung, wie jetzt von der Bundesregierung ge- plant, sondern ausschließlich Wirtschaftsförderung und die Pflege der transatlantischen Beziehungen vor. Das Substanzerhältungsgebot des ERP-Sondervermögens ist explizit im Abkommen mit den USA von 1949 festge- schrieben. Ein Verstoß würde die ohnehin strapazierten transatlantischen Beziehungen weiter schwächen. Wenn Rot-Grün daher die Zerschlagungspläne – an- gesichts der klaren Aussagen dieser Expertenanhörung – auch in Zukunft uneingeschränkt weiterverfolgt, unter- streicht sie ihre wirtschaftsfeindliche Politik ein weiteres Mal. Gleichzeitig geht der mittelständischen Wirtschaft dringend benötigtes Geld für Fördermaßnahmen in be- trächtlichem Umfang verloren. Hinzu kommt, dass durch die von Rot-Grün gefor- derte Übertragung der Marshallgelder an die KfW erheb- liche Demokratiedefizite einhergehen. Rot-Grün plant, die Einflussmöglichkeiten durch den Deutschen Bundes- tag auf das ERP-Sondervermögen auszuschalten. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, werden die Marshallgelder, die wesentlich zum Wiederaufbau der Bundesrepublik beigetragen haben, dem Parlament künftig dauerhaft entzogen. Der Verfassungsrechtler Professor Waldhoff sprach während der Anhörung in diesem Zusammenhang zutreffend von der „Enddemo- kratisierung des Vermögens“. Nach der Anhörung waren sich alle Beteiligten fraktionsübergreifend einig, die Pläne der Bundesregierung nicht mitzutragen. Ob die Bundesregierung aber wirklich ihre Pläne, das ERP-Sondervermögen zu zerschlagen, aufgegeben hat, kann nicht abschließend beurteilt werden. Laut Zei- tungsmeldungen denkt das Finanzministerium jetzt über andere Wege nach, um letztlich doch einen Teil des ERP-Sondervermögens für die allgemeine Haushaltsde- ckung in Anspruch zu nehmen. Die Vorlage des ERP- Wirtschaftsplangesetzes für das Jahr 2005 kann also nicht unbedingt schon als Entwarnung betrachtet wer- den. Insbesondere drei Faktoren haben dazu geführt, dass wir heute ein intaktes ERP-Sondervermögen in einer Größenordnung von fast 13 Milliarden Euro haben, das zum wichtigsten Wirtschaftsförderungsinstrument – ins- besondere für den Mittelstand – geworden ist und für das es eine effektive parlamentarische Kontrolle, insbeson- dere durch den ERP-Unterausschuss, gibt: Erstens, die Großzügigkeit der Amerikaner, die der Bundesrepublik im Frühjahr 1948 im Rahmen des so ge- n a i R K d D u M v d g e d Ü q w m d D u G u M d r s s W v l e d e r m t s E m z E l u F A m e z r Z E (C (D annten Marshallplans erhebliche Mittel zum Wieder- ufbau Deutschlands zur Verfügung gestellt haben und n einem Abkommen vom 15. Dezember 1949 auf eine ückzahlung eines wesentlichen Teils der gewährten redite verzichteten, zweitens, durch den Tatbestand, ass insbesondere die mittelständischen Firmen in eutschland ihre ERP-Kredite ordnungsgemäß verzinst nd getilgt haben und drittens, durch die Solidarität der itglieder des Unterausschusses für das ERP-Sonder- ermögen, in dem über die Grenzen der Fraktionen für ie ungeschmälerte Erhaltung des ERP-Sondervermö- ens gearbeitet, ja gekämpft wird. Ich gehe davon aus, dass es auch diesmal gelingt, ein instimmiges Votum im Bundestag für das Gesetz über en Wirtschaftsplan zu bekommen. Die angesprochenen berlegungen der Bundesregierung und ihre Konse- uenzen für das Sondervermögen können und werden ir im ERP-Unterausschuss diskutieren. Lassen Sie mich abschließend folgende Anmerkung achen: Wir halten die Regierungspläne zur Verwen- ung des Sondervermögens zur direkten bzw. indirekten eckung von Haushaltslöchern für verfassungsrechtlich nseriös und viertens wirtschaftsfeindlich. Anstatt gutes eld der Wirtschaftsförderung zu entziehen und in den nsoliden Bundesetat zu stecken, muss vielmehr die ittelstandsförderung weiter gestärkt werden, so wie es as geltende Recht vorsieht. Denn klar ist: Wir können uns nicht aus der Krise he- aussparen, sondern müssen aus der Krise herauswach- en. Hierfür sind bessere Rahmenbedingungen – insbe- ondere in der Mittelstandsfinanzierung – unerlässlich. ährend im Jahr rund 40 000 Unternehmen in die Insol- enz gehen und die Eigenkapitalquote bei 40 Prozent al- er Unternehmen in Deutschland gegen null tendiert, ist s nicht zu verantworten, insbesondere dem Mittelstand as wichtige Instrument der Wirtschaftsförderung zu ntziehen. Wenn eine effizientere Verwaltung und ein wirksame- er Einsatz der Marshallgelder daher möglich sind, dann üssen diese Effizienzgewinne ausschließlich dem Mit- elstand zugute kommen. Max Straubinger (CDU/CSU): Der eigentliche Ge- etzentwurf der Bundesregierung zur Feststellung des RP-Wirtschaftsplangesetzes 2005, der heute zur parla- entarischen Beratung ansteht, ist im Großen und Gan- en in Ordnung. Die Ziele, die seit dem ursprünglichen RP-Verwaltungsgesetz vom 31. August 1953 zu erfül- en sind, werden durch den vorliegenden Gesetzentwurf mgesetzt. Seit Bestehen des Gesetzes wurden 1,7 Millionen ördermaßnahmen durchgeführt, die bislang 8 Millionen rbeitsplätze geschaffen haben. Besonders herausstellen öchte ich auch, dass durch 33 000 Kreditvergaben mit inem Gesamtvolumen von circa 4,6 Millarden Euro wischen 1998 und 2003 allein Handwerksbetriebe in ih- en Expansionsbemühungen unterstützt wurden. Diese ahlen unterstreichen die segensreiche Entwicklung des RP-Sondervermögens für die deutsche Wirtschaft. 13576 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Leider haben aber die Beratungen zum Bundeshaus- halt für 2005 den vorliegenden Gesetzentwurf bereits zur Makulatur werden lassen. Finanzminister Eichel beab- sichtigt laut Bundeshaushalt, 2 Millarden Euro dem ERP-Sondervermögen, also den ehemaligen Marshall- plangeldern, als Privatisierungserlös zu entnehmen. Da bisher von der Bundesregierung noch keine gesetzliche Grundlage für die Umwandlung des ERP-Sondervermö- gens in den Bundestag eingebracht wurde, muss man lei- der vermuten, dass im Laufe des Jahres 2005 eine noch größere Entnahme aus dem Sondervermögen erfolgt. Dies ist eine unerhörte und unseriöse Finanzierung des Bundeshaushaltes zulasten des Mittelstandes und damit der Arbeitsplätze in Deutschland! Damit wird de facto das ERP-Sondervermögen zerschlagen. Der damals ver- antwortliche US-Außenminister George C. Marshall hatte das 1949 mit Sicherheit nicht so beabsichtigt. Mit diesem einzigartigen Vorgang beweist die Bun- desregierung einmal mehr, dass sie keinerlei historisches Gespür hat, denkt man an den unsäglichen Vorschlag desselben Ministers, den Tag der Deutschen Einheit ebenso wie jetzt offenbar auch noch das ERP-Sonderver- mögen dem kurzfristigen Stopfen von Haushaltslöchern zu opfern. Anstatt die Marshallgelder sinnlos zu verpulvern, sollte sich die Bundesregierung intensiver als bisher die Insolvenzzahlen der vergangenen Jahre sprechen leider für sich gerade jetzt um eine aktive Wirtschaftsförde- rung, wie es im Abkommen mit den USA von 1949 auch vereinbart wurde, kümmern. Das Ansinnen des Bundes- finanzministers offenbart leider erneut seine unsolide und verfassungsmäßig mehr als zweifelhafte Politik, wo- runter der ohnehin stark gebeutelte deutsche Mittelstand noch mehr zu leiden hat. Das sehen mittlerweile wohl auch einige Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen genauso, hat doch die Kol- legin Skarpelis-Sperk in der „Börsenzeitung“ vom 8. Sep- tember dieses Jahres die Pläne des Finanzministers eben- falls als „finanzpolitisch unsolide“ und es als „wirtschaftspolitisch falsches Signal“ bezeichnet, „wenn beim Mittelstand abkassiert wird.“ Die Einschätzung hätte doch glatt auch von der Opposition sein können. Der Unterausschuss im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit stemmt sich zumindest momentan noch gegen eine teilweise oder komplette Auflösung des Vermögens, für die eine Änderung des ERP-Verwaltungsgesetzes notwendig wäre. Der Kollege Fell prophezeit dem Fi- nanzminister, dass es dafür keine rot-grüne Mehrheit im Deutschen Bundestag geben wird. Ich kann nur hoffen, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird. Was plant Finanzminister Eichel und welche Pro- bleme hätte das zur Folge? Der Bundesfinanzminister plant, die ERP-Mittel der staatseigenen KfW-Banken- gruppe zu übertragen. Dabei sollen allerdings 2 Millar- den Euro herausgelöst werden und in den Bundesetat fließen. Die Bundesregierung und die KfW sind der Hoffnung, mit einem um 2 Millarden Euro geschmäler- ten ERP-Vermögen so effizient wirtschaften zu können, dass alle ERP-Programme zur Wirtschaftsförderung in gleicher Intensität fortgeführt werden. Der Bundesfi- n d b l m k c m d m b A a d f d g d r w n k z 2 h r F m d H d E n t g E t g E l d s b s t s d b w s A h g w g m (C (D anzminister erhofft sich von dem Coup Synergieeffekte adurch, dass die KfW eine höhere Effizienz und Renta- ilität der Mittelverwaltung hat, als es das BMWA zu eisten vermag. Ob die KfW das im geplanten Fall reduzierte Ver- ögen durch eine deutlich höhere Verzinsung jedoch ompensieren kann, ist keinesfalls mit hinreichender Si- herheit gewährleistet. Die Gefahr besteht darin – unter- auert auch durch die Aussage der Bundesregierung –, ass die KfW nach der Übertragung das ERP-Sonderver- ögen risikoreicher anlegen darf, als es dem BMWA islang möglich war. Das hat die Bundesregierung als ntwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion uf Bundestagsdrucksache 15/3625 mitgeteilt. Es liegt selbstverständlich in der Natur der Sache, ass eine solch spekulative Anlage immer auch die Ge- ahr des Substanzverlustes birgt. Dann könnte der Bun- esfinanzminister zur Deckung von Haushaltslücken leich auf einen Lottogewinn hoffen. Zudem stellt sich ie Frage, ob der Bund bereit ist, aufgrund risikoreiche- er Anlagen mögliche Substanzverluste zu decken. Das ird jedoch nicht der Fall sein, denn sonst hätte der Fi- anzminister diesen Trick erst gar nicht aus der Motten- iste geholt! Und selbst wenn es zu den erhofften Effi- ienzgewinnen käme, wäre durch Abführung von Millarden Euro und deren Einstellung in den Bundes- aushalt 2005 das gemäß § 4 ERP-Verwaltungsgesetz echtlich bindende Substanzerhaltungsgebot in jedem all verletzt. Zudem möchte ich nochmals betonen, dass ögliche Effizienzgewinne bei der Verwaltung des Son- ervermögens nicht zum kurzfristigen Schließen von aushaltslöchern, sondern ausschließlich zur Erhöhung er Förderkapazitäten benutzt werden dürfen! Durch die angedachte Maßnahme von Finanzminister ichel werden wieder einmal kleine und mittlere Unter- ehmen stärker belastet und geraten noch weiter ins Hin- ertreffen gegenüber den größeren, die oberhalb der so- enannten Gruppenumsatzgrenze von 500 Millionen uro pro Jahr liegen. Hauptsächlich diese größeren Mit- elständler profitieren nämlich von den KfW-Förderpro- rammen. Das vermeintliche Effizienzargument von ichel greift auch deshalb nicht, weil im BMWA ledig- ich drei Mitarbeiter – also äußerst wirtschaftlich – mit er Verwaltung des ERP-Sondervermögens beschäftigt ind. Vor diesem Praxishintergrund und mangels Anga- en über den zusätzlichen Personalbedarf der KfW stellt ich die Frage, wo im Zuge der Vermögens und Kompe- enzübertragung auf die KfW Einsparpotenziale er- chlossen und zusätzliche Synergieeffekte erzielt wer- en. Aus Sicht der Wirtschaft haben sich die estehenden Strukturen im Zusammenhang mit der Ver- altung des ERP-Sondervermögens bewährt und als innvoll erwiesen, was auch im Rahmen der öffentlichen nhörung wieder deutlich wurde. An dieser Stelle möchte ich auf strukturelle Probleme inweisen, die sich aus der geplanten Umschichtung er- eben würden: Die Übertragung, und vor allem die teil- eise Überführung von ERP-Mitteln verstößt eindeutig egen die ursprüngliche Zweckbindung, dass das Ver- ögen ausschließlich revolvierend, das heißt immer Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13577 (A) ) (B) ) wieder für neue Investitionen zu vergeben, eingesetzt werden darf. Außerdem würde das ERP-Sondervermö- gen durch diesen Schritt nicht mehr unabhängig vom üb- rigen Bundesvermögen verwaltet werden. Neben den strukturellen stellen sich auch einige ord- nungspolitisch relevante Fragen: Mit der geplanten Übertragung und Aufspaltung der ehemaligen Marshall- gelder an die KfW-Bankengruppe sowie in den Haushalt 2005 des Bundesfinanzministers gibt die Bundesregie- rung dieses Förderinstrument erstmalig und dauerhaft aus der Hand. Das Parlament wäre in der Frage der Ent- scheidungsmacht über die Marschallgelder regelrecht ausgeschaltet. Die am 25. Oktober angehörten Verfas- sungsrechtler sprachen in diesem Zusammenhang von einem „demokratischen Defizit“, wenn die parlamentari- sche Kontrollfunktion über die ERP-Mittel entfällt. Des Weiteren spricht einiges dafür auch das wurde in der Anhörung Ende Oktober von den Verfassungsrecht- lern deutlich angesprochen –, dass der Bundesrat einer Änderung der gesetzlichen Grundlage zustimmen muss; denn zum einen wurden die zugrunde liegenden Gesetze – das Gesetz betreffend das Abkommen über die wirt- schaftliche Zusammenarbeit zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Dezember 1949, bei In-Kraft-Treten am 31. Januar1950, und das ERP- Verwaltungsgesetz vom 31. August 1953 – jeweils mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, zum anderen liegt, sobald der Gesamtstatus des Sondervermögens als solcher tangiert ist, das ERP-Sondervermögen in einer gesamtstaatlichen Verantwortung, das heißt Bund und Länder müssen einbezogen werden. Darüber hinaus hat laut „Financial Times Deutsch- land“ vom 26. November 2004 das Auswärtige Amt in einem internen Schreiben signalisiert, dass „die USA der Vermögensübertragung an die KfW aus völkerrechtli- chen Gründen zustimmen müssten.“ Der Bundesminister bestreitet das zwar, aber dazu wurde von verschiedenen Experten in der Anhörung angeführt, dass eine Abstim- mung mit den USA auch deshalb bereits angemessen sei, weil das Empfängerland die Verwaltung und Verwen- dung der Mittel gegenüber dem Spenderland politisch und rechtlich zu verantworten habe. Die Bundesregie- rung würde es allerdings in Kauf nehmen, die ohnehin angespannten transatlantischen Beziehungen dadurch weiter zu belasten. Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes bemer- ken: Die von Bundesfinanzminister Eichel geplante Maßnahme öffnet einem intransparenten Versickern von ERP-Mitteln leider Tür und Tor, nur um damit 2 Milliar- den Euro in den Bundeshaushalt zu bekommen. Aber eins ist klar: Nur der Erhalt des vollständigen ERP-Ver- mögens gewährleistet eine weitere effiziente Wirt- schaftsförderung und garantiert der Wirtschaft einen Mindestförderrahmen. Alles andere ist unseriös, Herr Bundesfinanzminister! Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist eigentlich unglaublich, was sich rund um das ERP- Sondervermögen abspielt. Es ist das wichtigste Instru- ment, der Innovations-, Mittelstands- und Umwelttech- n d 3 l G w m n B a w v U 1 U f E v w c f t c z V E j w s D w i d d v 9 D d S s v s t Z h V Z t d d s h (C (D ologieförderung und kaum einer kennt es. Dabei wer- en alleine 2005 mit dem ERP-Wirtschaftsplan ,8 Milliarden Euro bereitgestellt. In den neuen Bundes- ändern sind mittlerweile 169 000 Vorhaben im Bereich ründung und Festigung von Unternehmen gefördert orden. Der Aufbau dieser mittelständischen Unterneh- en wäre ohne die gezielten Finanzierungshilfen häufig icht möglich gewesen, wie der Subventionsbericht der undesregierung herausstreicht. Und wir wissen hier lle, dass die Mittelstandskreditförderung nie wichtiger ar als heute, da sich die Banken leider mehr und mehr om Mittelstand entfernt haben. Das ERP-Sondervermögen ist darüber hinaus ein mweltprogramm: In den letzten zehn Jahren wurden 8 Milliarden Euro Förderkredite alleine für die ERP- mweltschutzförderung zugesagt, zum Beispiel für Ab- allwirtschaft, Abwasserreinigung, Luftreinigung oder nergieeinsparung. Mit ihrer Hilfe ist die Markteinführung einer Vielzahl on Umwelttechnologien gelungen. Hiervon haben so- ohl die Umwelt als auch der Arbeitsmarkt in erhebli- hem Maße profitiert; vor allem im Osten, in den alleine ast 7 Milliarden Euro flossen. Das ERP-Sondervermögen ist vor allem ein Innova- ionsprogramm! Es ist das wichtigste Instrument, wel- hes der Bundesregierung für ihre Innovationsoffensive ur Verfügung steht; denn es stellt genau dort Kapital zur erfügung, wo andere das Risiko scheuen. Ohne das RP-Sondervermögen mit Mut zu Investitionen wäre ede Innovationsoffensive zum Scheitern verurteilt. Ich ill das anhand der jüngsten Innovationsbausteine dar- tellen: Ohne das ERP-Sondervermögen gäbe es keinen achfonds für Venture Capital. Ohne diesen Dachfonds ürde das Kapital des European Investment Fonds nicht n Deutschland investiert werden. Ohne die Beteiligung es ERP-Sondervermögens gäbe es kaum eine Chance, as Venture-Capital in Deutschland wiederzubeleben. Ich komme zu dem jüngsten Spross, der ERP-Sonder- ermögen-Familie: der ERP-Startfonds. Er wird zu 0 Prozent über das ERP-Sondervermögen finanziert. ieses war als einziges Vermögen bereit, soviel Geld in ie Hand zu nehmen, um Start-ups kozufinanzieren. elbst die durchführende KfW war nur zu eher symboli- chen 10 Prozent zu bewegen. Ohne das ERP-Sonder- ermögen gäbe es folglich auch keinen Startfonds und omit weit geringere Chancen für junge Technologieun- ernehmen, an Geld zu gelangen. Der ERP-Unterausschuss hat nicht nur mutig in die ukunft investiert; er hat dabei auch das Vermögen er- alten und das über Jahrzehnte hinweg. Mit diesem ermögen konnten zugleich dutzende Milliarden in die ukunft des Landes investiert werden. Da der ERP-Unterausschuss eine große Verantwor- ung für das ERP-Sondervermögen und damit auch für ie Zukunft unseres Landes trägt, muss er größten Wert arauf legen, wie das Geld angelegt wird. Hier muss elbstverständlich auch in der Zukunft das Substanzer- altungsgebot gelten. Ansonsten würden wir Gefahr 13578 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) laufen, in eine Innovationsdefensive zu geraten. Der Ver- trag mit den USA bietet hierzu eine wichtige Gewährleis- tung; denn in diesen Vertrag ist die Substanzerhaltung als oberstes Gebot festgeschrieben. Die Substanzerhaltung spricht übrigens nicht dagegen, dass der Bundes- finanzminister 2 Milliarden Euro im Haushalt verwen- den kann. Den 2 Milliarden Euro müssen logischerweise nur Beteiligungswerte in gleicher Höhe entgegenstehen und schon sind zwei Fliegen mit einer Klappe geschla- gen: Verringerung der Neuverschuldung und Substanzer- halt des Sondervermögens. Diesen Weg gibt es und wir halten ihn für den richtigen und den einzigen gehbaren angesichts der internationalen Vertragslage. Neben dem Substanzerhaltungsgebot muss die Effi- zienz im Vordergrund stehen, mit der das Geld angelegt wird. Folgerichtig muss wie bei jeder Geldanlage vergli- chen werden, was der Markt anbietet. Wer das beste An- gebot macht, soll dann auch den Zuschlag erhalten. Dies ist ein selbstverständliches Vorgehen. Gudrun Kopp (FDP): Was uns seitens der Bundes- regierung und insbesondere durch den Bundesfinanzmi- nister in den letzten Wochen und Monaten zum Thema ERP-Sondervermögen zugemutet wurde, ist ein Possen- spiel, wie es das in der langen Geschichte der Marshall- planmittel noch nicht gegeben hat. Hier wird wie unter dem Brennglas deutlich, was auch schon Ergebnis der gerade vergangenen Haushaltswoche war: Die rot-grü- nen Koalitionäre haben die Kontrolle über den Bundes- haushalt vollständig verloren. Es macht sich Panik breit und der zuständige Minister, der permanent am Rande des Verfassungsbruches operiert – und in den letzten bei- den Jahren ist er sicherlich abgestürzt –, greift in seiner Verzweifelung zu buchstäblich jedem Mittel, um sich nicht der harten Realität stellen zu müssen und wirkli- che, strukturelle Reformen anzupacken. Da wird an Ta- felsilber verscheuert, was noch da ist – Stichwort Priva- tisierungserlöse –, da werden Wechsel auf die Zukunft aufgenommen – Stichwort Postpensionen – und da wird eben auch nicht vor Taschenspielertricks und gewagten Buchungsmanövern zurückgeschreckt, wie eben im Falle des ERP-Sondervermögens. Lassen Sie uns nur einmal kurz rekapitulieren. Das ERP-Sondervermögen ist aus den Wiederaufbaumitteln der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg – auch als Marshallplan bekannt – entstanden. Gedacht war es für die Wiedererrichtung wirtschaftlicher Strukturen in Deutschland. Daraus ist dann über die Jahrzehnte durch verantwortliches Wirtschaften – übrigens aller bisheri- gen Bundesregierungen – ein stolzes Vermögen von etwa 12 Milliarden Euro erwachsen, das zur gezielten Förderung des Mittelstandes eingesetzt wurde und dort viel Gutes bewirkt hat, insbesondere auch im Bereich der Innovationsförderung. Und genau hier legt jetzt der Bundesfinanzminister die Axt an die Wurzel – ohne dass vom zuständigen Fachminister, Bundeswirtschaftsminister Clement, auch nur ansatzweise Widerstand angemeldet würde. Wenn überhaupt, so scheinen auch in den Reihen der Regie- rungsfraktionen Bedenken nur von den Mitgliedern im E n a m d d d D k m m g d m – s a v li te F w H d w z V s m ü h f b d v Z i m w m f K z n K w ß E d d r s B m m f s d (C (D RP-Unterausschuss geäußert zu werden, was ich hier icht gering schätzen möchte. Aber vergegenwärtigen wir uns noch einmal den benteuerlichen Zick-Zack-Kurs, dessen Zeuge wir sein ussten: Natürlich geriet angesichts der selbst verschul- eten prekären Haushaltslage auch das üppige ERP-Son- ervermögen – wohlgemerkt also bitter benötigte För- ermittel, um wenigsten einigen Mittelständlern in eutschland noch einen Hoffnungsschimmer bieten zu önnen – in den Fokus der Begehrlichkeiten des Finanz- inisters. Zunächst plante er, den größten Teil des Ver- ögens, rund 8 Milliarden Euro, an die KfW zu übertra- en, wobei 2 Milliarden Euro in den Haushalt, sprich in en allgemeinen Konsum, fließen sollten. Plötzlich hatte an nämlich im Bundesfinanzministerium festgestellt und dieses Wissen hatte man offenbar auch dem zu- tändigen Wirtschaftsminister voraus –, dass die KfW uch mit 2 Milliarden Euro weniger das gleiche Förder- olumen generieren könne. Gleichzeitig war dies natür- ch auch eine günstige Gelegenheit, die Eigenkapitalun- rlegung der KfW zu stärken, damit diese dem inanzminister auch an anderer Stelle, nämlich beim Er- erb bundeseigener Aktienpakete wiederum zwecks aushaltssanierung, behilflich sein konnte. Unabhängig avon, dass diese ganze Argumentation völlig absurd ist, eil ja, selbst wenn man die Prämisse der höheren Effi- ienz bei der KfW akzeptiert, dann erst recht das ganze ermögen übertragen werden müsste, um die Mittel- tandsförderung in Deutschland intensivieren zu können, usste der Finanzminister schnell zurückrudern. Leider hatte man nämlich bei der ganzen Operation bersehen, was die diesbezügliche Sachverständigenan- örung im Wirtschaftsausschuss einmütig vor Augen ührte: Dieses Vorgehen verstößt nicht nur gegen das Ge- ot des Substanzerhaltes des ERP-Vermögens, es be- ürfte für die Übertragung an die KfW wohl auch der ölkerrechtlichen Zustimmung der US-Regierung zur weckentfremdung der Mittel. Nachdem dann kurzzeitig m Finanzministerium sogar die komplette Vereinnah- ung des ERP-Vermögens im Bundeshaushalt diskutiert urde, ist dann auch endlich der Bundeswirtschafts- inister aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und hat estgestellt, dass eine solche Mittelstandsförderung nach assenlage, welche die Folge gewesen wäre, wohl nicht u rechtfertigen sei. Und jetzt schließlich kommt Herr Eichel mit einer euen Variante, mit der er hofft, die angesprochenen lippen umschiffen zu können. Nunmehr sollen nach ie vor 2 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt flie- en, aber durch einen Austausch liquider Mittel des RP-Sondervermögens gegen illiquide Mittel des Bun- es bei der KfW – Rücklagen und Anteile. Aber auch ieser jüngste Bilanztrick des Ministers kann nicht da- über hinwegtäuschen, was hier beabsichtigt und rück- ichtslos verfolgt wird: Sie plündern das Tafelsilber des undes und die letzten verbliebenen effektiven Instru- ente der Mittelstandsförderung zur Sanierung ihres aroden Haushaltes oder – anders ausgedrückt – sie ver- rühstücken die Zukunft unserer Kinder, weil sie zu chwach sind, in der Gegenwart umzusteuern. Aber auch ieser Finanzcoup hat seine Tücken. Die Nichtübertra- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13579 (A) ) (B) ) gung der Gelder führt nämlich dazu, dass nunmehr die KfW zukünftig Nachrangdarlehen erhalten soll, auch dies also ein haushälterischer Wechsel auf die Zukunft. Die FDP wird diese durchsichtigen Manöver nicht mittragen und ich kann nur an alle Kollegen und Kolle- ginnen hier im Hause appellieren, den Panikaktionen dieses Finanzministers endlich eine Grenze zu setzen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Naturschutz im Miteinander von Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Ent- wicklung (Tagesordnungspunkt 12) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Wen interessiert Umwelt- und Naturschutzpolitik heutzutage? Finden nur die eingefleischten Ökos Fragen zum Natur- und Arten- schutz wichtig? Haben Wirtschaftslage, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nicht absoluten Vorrang? Die Ergebnisse der neuesten, alle zwei Jahre stattfin- denden Umfrage zum Umweltbewusstsein der Deut- schen sind hochinteressant. Das Umweltbewusstsein der Deutschen ist und bleibt hoch. 92 Prozent der Bevölke- rung ist der Umweltschutz wichtig. In der Rangfolge der wichtigsten Probleme in Deutschland ist der Umwelt- schutz von Platz 4 sogar auf Platz 3 geklettert – gleich- rangig mit sozialen Aspekten und Gerechtigkeit. Beim Naturschutz sieht mittlerweile ein Viertel der Befragten große Fortschritte. Das sind 6 Prozent mehr als 2002. – Das ist ein Ergebnis, das die im CDU/CSU-Antrag ent- haltene negative Beurteilung unserer Naturschutzpolitik widerlegt. Dennoch hat es der sicher mit viel Fleiß erar- beitete Antrag verdient, diskutiert zu werden. Vor uns liegt ein Papier mit 22 Forderungen an die Bundesregierung. Da wir heute den 2. Dezember haben, liegt es nahe, den 22 Forderungen das Format eines „Ad- ventskalenders“ überzustreifen und dabei wohlmeinend den Heiligen Abend auszulassen. Wir können also Tür für Tür öffnen und schauen, was uns überrascht und was nicht, also was „dahintersteckt“. Ich habe dies natürlich schon gemacht – ohne Neu- gierde kann Politik nichts werden – und siehe da: Hinter den Türchen liegen drei Kategorien von Forderungen: erstens die Kategorie „schon erfüllt“, zweitens die Kate- gorie „schon angesprochen“ sowie drittens die Kategorie „schon abgelehnt“. Tür 1, also gestern: klare Perspektiven für eine auf die Zukunft ausgerichtete Natur- und Umweltschutzpolitik. Das gehört eindeutig zur ersten Fallgruppe: „schon er- füllt“. Tür 2, also heute: Konsequenzen ziehen aus dem CDU/CSU-Antrag auf Drucksache 14/9024. Das gehört zur dritten Kategorie: „schon abgelehnt“. Schauen wir beim dritten Advent nach, also beim 12. Dezember: Schaffung eines Biotopverbundes, in d g i l p i K d s l v l d „ t u i r r b s b „ z g n I f P A g c d E m g s G j s d W D g 4 R t f f u s z t (C (D em dieser unter Einbeziehung der vorhandenen Schutz- ebiete durch langfristige vertragliche Vereinbarungen n den fachlich begründeten schützenswerten Gebietsku- issen geschaffen und weiterentwickelt wird. Sprachlich asst das zwar nur knapp in den Kalender, aber inhaltlich st das eine unterstützenswerte Forderung. Sie kann der ategorie „angesprochen“ zugeordnet werden, muss je- och ehrlicherweise eine Kommentierung erfahren: Wir ind im Naturschutz auf einem guten Weg, aber noch ange nicht am Ziel angekommen. Bis zum Ziel „Biotop- erbund“ haben wir noch eine gute Strecke vor uns. Das lässt mich zum Türchen 10 kommen – vom Ka- ender her hätte es keiner besonderen Erwähnung be- urft, aber vom Inhalt: Da fordern Sie in Ihrem Antrag, das nahezu nicht mehr durchschaubare Bündel an un- erschiedlichen Schutzgebietskategorien zu entflechten nd auf wenige klare Definitionen zu reduzieren“. Dies st eindeutig ein Fall der Kategorie 0. Das ist die Katego- ie „völlig daneben“. Wem sieben Schutzgebietskatego- ien schon undurchschaubar sind, dem sollten wir auch ei anderen Bewertungen des Naturschutzes keine be- ondere Urteilskraft einräumen. Aber, schauen wir doch einmal bei Nikolaus nach, eim 6. Dezember. Da finden wir folgenden Wortlaut: die politischen Rahmenbedingungen in Fachgesetzen u regeln, statt wahllos herausgegriffene Formulierun- en in der so genannten guten fachlichen Praxis zu defi- ieren“. Ist das ein Ruf nach mehr und neuen Gesetzen? st nicht bekannt, dass inzwischen der Begriff der guten achlichen Praxis zu einem Begriff der guten fachlichen raxis geworden ist? Ich finde, da hat der Nikolaus im uftrag der Opposition aber wirklich „wahllos herausge- riffen“, wie es im Text von Forderung Nr. 6 fälschli- herweise dem Gesetzgeber unterstellt wird. Eine letzte Stichprobe, der 22. Dezember. Hier for- ern sie internationales Engagement, besonders auf der U-Ebene. Hier gibt es von unserer Seite volle Zustim- ung und hier schauen wir ebenso freudig auf unsere uten Leistungen wie bisher. Die Forderungen, die sie hier erheben, um dem Natur- chutz zu der ihm zustehenden Bedeutung auch über die renzen Deutschlands hinaus zu verhelfen, könnten sie edoch ebenso als einen Forderungskatalog ihren Wirt- chaftspolitikern, ihren Europa- und Außenpolitikern an ie Hand geben. Nähmen diese ihn ernst, bekäme ihre irtschafts- und Außenpolitik ein völlig neues Gesicht. a dürfen wir gespannt sein. Aber freudige Erwartung ehört ja auch zum Advent. Lassen wir den Adventskalender nun beiseite. Am . März 2004 hat der Bundestag dem Antrag der egierungskoalition „Naturschutz geht alle an – Akzep- anz und Integration des Naturschutzes in andere Politik- elder stärken“ zugestimmt. Darin haben wir unsere Er- olge gelistet, unsere „offenen Posten“ dargelegt und nseren roten Faden für die noch anstehenden Natur- chutzentscheidungen entwickelt. Wir haben seinerzeit die Integration des Naturschut- es in andere Politikfelder und die Stärkung der Akzep- anz in den Mittelpunkt gestellt. Das ist der richtige Weg. 13580 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Ein erfolgreicher Naturschutz geht alle an, er muss von allen gesellschaftlichen Kräften getragen werden. Daran arbeiten wir. Wir streben die Entwicklung einer nationa- len Naturschutzstrategie als Segment der Nachhaltig- keitsstrategie an. Das ist richtig so. Wir räumen dem Problem der Flächeninanspruchnahme und ihrer notwen- digen drastischen Verringerung höchste Priorität ein. Das ist richtig so. Wir stellen den Erhalt von Artenviel- falt in den Mittelpunkt unserer Politik, national wie welt- weit. Und auch das ist richtig. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, wir wollen darauf keinen Al- leinvertretungsanspruch erheben. Trotz aller Unter- schiede gilt: Wir haben ein hohes Maß an Übereinstim- mung, was Naturschutz anbelangt, und deshalb sollten wir öfter zu gemeinsamen Positionen kommen. Ich schreibe das auf meinen – politischen – Wunschzettel. Vielleicht erfüllt er sich ja schon vor Weihnachten. In der letzten Plenarwoche dieses Jahres werden wir unseren Antrag zum Grünen Band hier diskutieren. Ich weiß, dass uns allen dieses Projekt ganz besonders wichtig ist. Bleibt noch die Notwendigkeit einer Anmerkung: Na- tur, Naturschutz und damit Naturschutzpolitik braucht lange Linien und große Zeiträume. Wenn Sie in Ihren Anträgen und Reden so sehr betonen, dass bis zum Ende Ihrer Regierungszeit 1998 die Natur so außerordentliche Chancen hatte, danach mit Rot-Grün Stillstand bzw. Rückschritt eingekehrt sei und erst mit Ihrer Mehrheit wieder Fortschritt in den Naturschutz komme, so habe ich dazu drei Hinweise: Erstens. Dieses „Stottern“ im Naturschutz gibt es nicht. Es lässt sich auch durch stän- diges Wiederholen nicht herbeireden. Zweitens. Guter Naturschutz baut auf Verlässlichkeit; die geben wir. Drit- tens. Wahlergebnisse 2006 können auch die Unken noch nicht vorhersehen. Cajus Julius Caesar (CDU/CSU): Naturschutz be- deutet für die CDU/CSU, unseren Kindern eine gesunde und lebenswerte Umwelt übergeben zu können. Dafür wollen wir alles tun. Das ist unser Ziel und dafür wollen wir uns mit aller Kraft einsetzen und uns von nieman- dem überholen lassen. Naturschutz kann aber nur gelingen, wenn der prakti- sche Bezug voran steht. Nicht verwalten, sondern prakti- zieren. Nicht immer nur neue Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Leitlinien und neue Papierstapel – es muss darum gehen, in der Natur selbst etwas zu erreichen. Ge- rade im Natur- und Umweltschutz sehen sich die Betrof- fenen aber einer überbordenden Bürokratie gegenüber. Wie sieht es vor Ort tatsächlich aus? Manch praxis- ferne und langatmige Landschaftsplanung verunsichert die Menschen, die etwas bewegen wollen. Immer umfangreichere Umweltverträglichkeitsprüfungen, ver- zögernde Genehmigungsverfahren, explodierende Pla- nungskosten stellen Investitionshemmnisse dar und brin- gen den Umweltschutz in Misskredit. Wir, die Union, wollen nicht, dass sich unsere Bürger im Paragraphen- dschungel aus Richtlinien, Gesetzen, Verordnungen, Sat- zungen usw. verlaufen. Macht es nicht Sinn, diesen Wust an Regelungen und Zuständigkeiten in einem überschau- baren Umweltgesetzbuch zu bündeln? Dort müssten U r x t i s w s r b b w u b k c d d O b W g f s d s p g h t l s e b v R V g d n t T m i g t e r g n m M a (C (D mweltschutz-, Natur- und Waldgesetzgebung gleichbe- echtigt integriert werden. Durchschaubarkeit und Pra- isnähe sind hier gefragt. Wir wollen ein Weniger an Bürokratie und an Verwal- ung. Stattdessen wollen wir die finanziellen Ressourcen n Projekte vor Ort investieren. Für den praktischen Ein- atz für Naturschutz und Artenvielfalt in der Natur selbst ill sich die Union einsetzen. Dafür machen wir uns tark. Wir fordern die Bundesregierung auf, für einen ge- echten Ausgleich aller Interessenslagen zu sorgen. Da- ei kommt der vertrauensvollen Zusammenarbeit eine esondere Bedeutung zu. Erfolge können nur erzielt erden unter Einbeziehung der ordnungsgemäßen Land- nd Forstwirtschaft, dem Tourismus und den vor Ort le- enden und arbeitenden Menschen. Naturschutz bedeutet auch nicht, einen Istzustand onservieren zu wollen. Die Natur ist ein sich entwi- kelndes und veränderndes System. Entscheidend sind och Artenvielfalt und Biodiversität. Beispielsweise hat ie umsichtige Waldwirtschaft der Verantwortlichen vor rt dazu geführt, dass wir heute viele wertvolle Biotop- ereiche gerade im Wald vorfinden. Die Union steht für ein Miteinander aller Beteiligten. ir setzen uns ein für die Beachtung der Belange der Ei- entümer, für echte Mitsprache aller Betroffenen sowie ür mehr Selbstverwaltung der Gemeinden in natur- chutzrechtlichen Verfahren. Miteinander bedeutet für ie Union auch, im Sinne einer sozialen und ökologi- chen Marktwirtschaft den Menschen durch Arbeits- lätze das Einkommen zum Lebensunterhalt zu sichern, leichzeitig aber der Gesunderhaltung unserer Umwelt ohe Bedeutung beizumessen. Wer intakte Landschaf- en, eine geeignete Infrastruktur und eine nachhaltige ändliche Entwicklung erhalten will, muss den Men- chen auch die notwendigen Freiräume lassen. Klimaschutz, Umweltschutz, Naturschutz und damit in gesundes Lebensumfeld für uns und unsere Kinder edeutet auch, sich international für die Reduzierung on Treibhausgasen einzusetzen. Nachdem endlich auch ussland das Kioto-Protokoll ratifiziert hat, sind die ereinigten Staaten aufgefordert, diesem Beispiel zu fol- en. Hier muss die Bundesregierung dringend tätig wer- en. Insbesondere durch die Schaffung und Anerken- ung von Senken ist dem Klimaschutz Rechnung zu ragen. Hier ist insbesondere Bundesumweltminister rittin aufgefordert, tätig zu werden und nicht nur allge- eine Aussagen zu machen, wie wir es inzwischen von hm gewöhnt sind. Die Bundesregierung ist hier im Ver- leich zu Europa rückständig und ideologisch fehlgelei- et. Gleiches gilt für den Erhalt der Tropenwälder. Zwei- inhalb Milliarden Euro jährlich für die Förderung der egenerativen Energien, Emissionshandelsverpflichtun- en für unsere Wirtschaft, gleichzeitig Tropenwaldver- ichtung in erheblichem Ausmaß – es passt nicht zusam- en, wenn hier mit erheblichem finanziellen Aufwand aßnahmen vorangetrieben werden, gleichzeitig aber an nderer Stelle, etwa durch die Urwaldzerstörung, die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13581 (A) ) (B) ) Auswirkungen auf Klima- und Umwelt um ein Vielfa- ches größer sind. Wir fordern die Bundesregierung auf, hier endlich tätig zu werden. In anderen Erdteilen werden überlebenswichtige Re- genwaldgebiete illegal abgeholzt, während in Deutsch- land ein riesiges, aber nachhaltig zur Verfügung stehen- des Potenzial nicht genutzt wird. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, den nachwachsenden Rohstoffen mehr Bedeutung zu widmen. Sie stehen nachhaltig zur Verfügung, das heißt, sie wachsen von alleine wieder nach und werden umweltfreundlich erzeugt. Sie dienen dem Klimaschutz, schonen endliche Ressourcen und si- chern Arbeitsplätze, insbesondere im ländlichen Raum. Das ist ein blendendes Beispiel dafür, wie man wirt- schaftliche Entwicklung und Umwelt und Naturschutz miteinander verbinden kann. Tun Sie etwas, um unser Land in diesem Bereich voranzubringen. Wir, die Union, stehen zur Förderung und zum Aus- bau regenerativer Energien – aber dort, wo sie ökono- misch und ökologisch Sinn machen. Sie hingegen wol- len die Windenergieanlagen in immer neuen und größeren Dimensionen unter Hinnahme von Beeinträch- tigungen der Landschaft und der Artenvielfalt und auch insbesondere in Beeinträchtigung der Gesundheit der Menschen bis auf den letzten Hügel und bis ans letzte Haus vorrücken lassen. Während bei der Biomasse die erzeugte Energie nachhaltig zur Verfügung steht, müssen bei der Windenergie noch Parallelkapazitäten mit weite- ren Kosten vorgehalten werden. Windenergie nur dort, wo sie aufgrund hoher Leistung auch finanziell effektiv ist, gleichzeitig mehr Einsatz für die nachwachsenden Rohstoffe hin zur Wirtschaftlichkeit – das täte unserem Land gut. Ein weiteres Feld, in dem wirtschaftliche Entwick- lung und Naturschutz im Miteinander unser Land voran- bringen würden, ist der Bereich von Großschutzgebieten und Tourismus. Nationalparke und Biosphärenreservate bieten uns große Möglichkeiten für das Miteinander von Umwelt- und Naturschutz im Miteinander von Mensch, Wald und touristischer Entwicklung. Unberührte Kern- zonen, ergänzt durch naturverträglich bewirtschaftete Produktionsflächen der Land- und Forstwirtschaft, ver- bunden mit einer touristischen Infrastruktur und der Len- kung der Erholung suchenden Bevölkerung, wären der richtige Weg zum Erfolg. Großschutzgebiete dürfen keine Arbeitsplatzvernichter sein; sie müssen ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung im ländlichen Raum werden. Der Bund muss bei der Ausweisung von National- parks seiner Verantwortung gerecht werden. Sie, die Bundesregierung, Sie von Rot-Grün sind gefordert, nicht durch einsame Beschlüsse, sondern durch fachlich be- gründete Schutzgebietsausweisungen unter Einbezie- hung der Anrainerstädte, -gemeinden und -kreise, unter Anerkennung der großen Verdienste des Forstpersonals und der Bewirtschafter vor Ort, nicht durch schwammi- gen Umgebungsschutz, sondern durch klar abgegrenzte Gebietskulissen und damit Vertrauen in der Flächenaus- weisung, und in besonderem Maße unter Berücksichtigung des Vertragsnaturschutzes, das heißt: Inanspruchnahme v d t B u e w k M s t a S a G d t a d t d E m h g M t r m e i g k w w b W M j f a e l M v W l g a c w w s M (C (D on Privateigentum durch freiwillige Vereinbarungen, iese Großschutzgebiete im Miteinander aller Beteilig- en zu entwickeln. Nur, wer kennt unsere Nationalparks? Was tun Sie als undesregierung für das Image unserer Nationalparks nd Biosphärenreservate? Warum gibt es bei der Neu- inrichtung von Großschutzgebieten, die wir ja haben ollen, immer wieder große Widerstände in der Bevöl- erung? Das ist so, weil es nicht verstanden wird, die enschen einzubeziehen Hier gibt es viel zu tun. Hier ollte die Regierung endlich etwas vorweisen können. So bietet auch die Umsetzung der Flora-Fauna-Habi- at-Richtlinie in nationales Recht große Chancen, aber uch Verpflichtungen zugleich. Fachlich begründete chutzgebietsausweisungen sind richtig und dazu steht uch die Union; denn wir als Union wollen, dass FFH- ebiete erhalten, gepflegt und entwickelt werden. Doch iese Gebiete müssen auch von gemeinschaftlichem In- eresse sein. So will es die Richtlinie und so wollen es uch wir, die Union. Zum Schutz der FFH-Gebiete wer- en in Art. 6 der FFH-Richtlinie rechtliche, administra- ive und vertragliche Mittel als gleichwertig nebeneinan- er gestellt. Diese gilt es zu nutzen. Uns kommt es dabei darauf an, dass das Vertrauen der igentümer bei der Umsetzung von Natura 2000 nicht issbraucht wird. Deren nachhaltige Wirtschaftsweise at schließlich zu diesen erhaltungswürdigen Zuständen eführt. Den Eigentümern steht ein Ausgleich zu für aßnahmen, die über die ordnungsgemäße Bewirtschaf- ung hinausgehen. Vor allem aber muss sich die Bundesregierung an ih- en eigenen Aussagen messen lassen. Nichts ist schlim- er, als eigene Versprechen wieder einzukassieren. Ich rinnere an die Aussagen des Staatssekretärs Berninger m Hinblick auf Entschädigungen für FFH-Ausweisun- en. Mit der Gebietsausweisung verbundene Einschrän- ungen bei der Waldbewirtschaftung sollten entschädigt erden. Doch nichts dergleichen ist bis heute eingelöst orden. Dies trägt nicht zu einem Mehr an Vertrauen ei, sondern fördert das Misstrauen. Dies bedeutet ein eniger an Miteinander, dies bedeutet Stillstand und isserfolg. Dies ist kennzeichnend für die Politik der etzigen von Rotgrün geführten Bundesregierung. Wollen wir in der Umwelt- und Naturschutzpolitik er- olgreich sein, so kommt es wesentlich darauf an, sich uf europäischer Ebene, aber auch international dafür inzusetzen, Umweltstandards gleichermaßen zu formu- ieren und zu kontrollieren. Auch hier erwarten wir ein ehr an Einsatz der jetzigen Regierung. Eine wirkungs- olle Umweltpolitik braucht überzeugende Strategien. ir fordern die jetzige Bundesregierung auf, hierzu end- ich konkrete Schritte einzuleiten. Wir fordern eine leichwertige Beteiligung des ländlichen Raumes an der llgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Der ländli- he Raum muss attraktiver Wirtschaftsstandort sein, enn er alle seine Funktionen auch im Natur- und Um- eltschutz erfüllen soll. Wir, die Union, wollen Natur chützen, entwickeln und wiederherstellen – und dies im iteinander von Ökonomie, Ökologie und der sozialen 13582 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Komponente. Dabei wollen wir die Menschen in unse- rem Lande einbezogen wissen. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Der Schutz und die nachhaltige Nutzung der natürlichen Lebens- grundlagen stellt national wie international eine zentrale Aufgabe dar. Für die CDU/CSU-Fraktion bedeutet Na- turschutz, Verantwortung für die Schöpfung zu überneh- men und diese – im Sinne eines ökologischen Generatio- nenvertrags – für die kommenden Generationen zu erhalten. Die für Deutschland in weiten Teilen charakteristi- schen Kulturlandschaften, die Lebensräume für zahlrei- che Tier- und Pflanzenarten bieten, entwickelten sich durch die über Jahrhunderte erfolgte land- und forstwirt- schaftliche Bewirtschaftung. Viele Arten sind an agra- risch genutzte Ökosysteme gebunden; das heißt die land- wirtschaftliche Nutzung der Flächen ist aus Gründen des Naturschutzes unverzichtbar. Über 72 Prozent der Agrarräume weisen nach Anga- ben der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forst- wirtschaft ein gutes Verhältnis zwischen naturnahen Landschaftselementen und intensiv bewirtschafteten Flächen auf. Die unionsgeführten Bundesländer fördern daher den Vertragsnaturschutz und die von der EU ange- botenen Agrarumweltmaßnahmen durch Kofinanzierung in vorbildlicher Weise. Land- und Forstwirte gehen in der Regel sehr scho- nend mit den natürlichen Ressourcen um. Das ist vor al- lem eine Folge der traditionellen Weitergabe der land- wirtschaftlichen Familienbetriebe an die kommende Generation. Der ländliche Raum hat zudem eine eigene Kultur und lebendige soziale Strukturen, die durch ein vielfältiges Vereinswesen, Nachbarschaftshilfe und Bür- gersinn geprägt sind. Unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Be- wirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe ist jedoch ihr wirtschaftlicher Erfolg. Dafür sind europaweit ein- heitliche Produktionsbedingungen auf dem gemeinsa- men Agrarmarkt und die Möglichkeit, modernste Pro- duktionsmethoden anzuwenden, unbedingt erforderlich. Das Verständnis der Union von nachhaltiger Nutzung der Natur geht somit konform mit dem Nachhaltigkeits- begriff der Agenda 21, denn es berücksichtigt sowohl ökologische als auch soziale und ökonomische Aspekte. Natur- und Umweltschutz in einem dicht besiedelten und in weiten Teilen agrarisch geprägten Industrieland wie Deutschland ist eben mehr als „nur“ Gebiete unter rigo- rosen Schutz zu stellen. Das kann partiell eine richtige Maßnahme sein, wichtiger ist jedoch oft, die Vereinbar- keit von Ökologie mit den ökonomischen Erfordernissen der ortsansässigen Menschen und deren sozialen Bedürf- nissen zu ermöglichen. Doch zurück zur nachhaltigen Flächenbewirtschaf- tung: Für die Landwirtschaft bedeutet das zum Beispiel, die jeweils modernsten Methoden zur Einsparung von Dünger und Bioziden einzusetzen, um möglichst um- weltschonend produzieren zu können. Deswegen sagen wir Ja zum Einsatz von gentechnischen Züchtungsver- fahren, wie zum Beispiel dem BT-Mais. Die Bundesre- g K w z w d t z f w i h d h u d m G S w s k z D S m w w s l H g d f z u s d s s s B l f Z i „ d k D T e t (C (D ierung musste in ihrer soeben erfolgten Antwort auf die leine Anfrage der FDP über die Bekämpfung des Mais- urzelbohrers – Bundestagsdrucksache 15/4226 – selbst ugeben, dass der Einsatz einer resistenten Maissorte ein irksames und umweltgerechtes Mittel zur Bekämpfung ieses Schadinsekts darstellt. Trotzdem legt sie der Gen- echnik Steine in den Weg, wo es nur geht. Zudem musste die Bundesregierung in dieser Antwort ugestehen, dass das europäische Zulassungsverfahren ür Gentechnik. eine für den Verbraucher und die Um- elt ausreichende Sicherheit bietet. In der Tat erfüllt der m letzten Jahr gefundene europäische Rechtsrahmen öchste Standards. So unterliegen gentechnisch verän- erte Pflanzen einer strengen und mehrjährigen Sicher- eitsüberprüfung unter Beteiligung mehrerer deutscher nd europäischer Behörden und Institute. Die Entschei- ung über die Zulassung erfolgt dabei in enger Zusam- enarbeit zwischen wissenschaftlichen und politischen remien. Darüber hinaus ist noch zusätzlich die übliche ortenzulassung nach dem Saatgutverkehrsgesetz not- endig. Auch die Wahlfreiheit der Verbraucher ist durch eine trenge Kennzeichnungspflicht gewährleistet. Von Kriti- ern wird dabei leider häufig vergessen, dass die Kenn- eichnungspflicht grundsätzlich ohne Schwellenwert gilt. er bekannte und in den Medien immer wieder zitierte chwellenwert von 0,9 Prozent ist lediglich für Lebens- ittel vorgesehen, die unbewusst mit GVO vermengt urden, zum Beispiel durch Auskreuzungen oder unge- ollte Vermischungen im Lager. Ein fachgerechter Einsatz der Grünen Gentechnik chadet auch der Biodiversität nicht. Dies ist nicht zu- etzt das Ergebnis der Farm-Scale-Evaluation, die im erbst letzten Jahres erschien und seitdem immer wieder erne von Gentechnikkritikern zitiert wird. Ziel der Stu- ie war es, die Auswirkungen auf die Unkrautbekämp- ung beim Anbau ausgewählter GVOs darzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei herbi- idresistenten Raps und Zuckerrüben weniger Unkräuter nd bei Mais zunächst mehr Unkräuter gibt als bei ent- prechender Behandlung durch Herbizide. Doch gerade ies ist das Ziel beim Anbau von Kulturpflanzen: Diese ollen in Monokultur mit möglicht hohen Ertragsaus- ichten wachsen. Bei der Einhaltung von Ackerrand- treifen und ausreichenden Refugialflächen leidet die iodiversität nicht. Das eigentliche Problem ist dagegen, dass Deutsch- and sich an der internationalen Diskussion über den achgerechten Umgang mit der Grünen Gentechnik in ukunft nicht mehr ausreichend beteiligen kann. Dieses st die Folge des von der Bundesregierung erlassenen Gentechnikverhinderungsgesetzes“. Die Standards wer- en nunmehr andere Länder festlegen und Deutschland ann nur der Entwicklung hinterherlaufen. Damit ist in eutschland nicht nur eine Chance für eine innovative echnologie, sondern auch auf ein nachhaltiges Mit- inander von Interessen des Naturschutzes und der Na- urnutzung vertan worden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13583 (A) ) (B) ) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im „Living Planet Report 2004“ hat der WWF festgestellt, dass die Artenvielfalt in den letzten 30 Jahren um 30 Prozent gesunken ist. Vor dem Hinter- grund derartig gravierender Veränderungen in der Natur diskutieren wir heute abschließen den Antrag von CDU/ CSU. Uns allen sollte es wichtig sein, dass wir nicht dabei stehen bleiben, derartige Zahlen achelzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr muss es uns allen darum gehen, sie als Abbild von Prozessen zu verstehen, die mit uns unmittelbar zu tun haben, die nicht nur „ir- gendwo da draußen“ passieren, sondern die wirkliche Veränderungen unserer Lebensgrundlagen bedeuten. Verlust an Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes ist Verlust an unseren ureigenen Lebensgrundlagen. Wir wissen heute noch nicht, von welcher Verlustrate an diese Prozesse für den Menschen direkt gefährlich wer- den. Wir sind aber sicher gut beraten, nicht auf jenen Punkt zu warten, ab dem wir das Rad nicht mehr zurück- drehen können. Ihr Antrag stellt zwar fest, dass der Schutz der natürli- chen Lebensgrundlagen national und international eine zentrale Aufgabe darstelle und dass es in den 90er-Jahren hier nennenswerte Erfolge gegeben habe. Leiser sei diese positive Entwicklung – man staunt und hält den Atem an – justament im Jahre 1998, also mit der Regierungs- übernahme von Rot-Grün, zum Erliegen gekommen. – So viel dann zu dem von Ihnen immer weder beschwore- nen unideologischen Herangehen an die wichtigen Fra- gen des Naturschutzes. Auch Ihr Credo zur Lösung der Probleme des Natur- schutzes ist übersichtlich: Weniger Staat, weniger Büro- kratie und mehr marktwirtschaftliche Instrumente wer- den sich positiv auf den Umweltschutz auswirken. Amen. – Wenn es doch so einfach wäre, liebe Kollegin- nen und Kollegen: mehr vertragliche Vereinbarungen, weniger staatliche Vorschriften und Aktivitäten im Na- turschutz – und schon ist alles wieder im Lot. Vertragli- che Vereinbarungen sind nicht die einzig richtige Lösung für den Naturschutz; überall dort, wo sie die zweitbeste Lösung sind, sind sie eben nicht die beste Lösung. Ver- tragliche Vereinbarungen zum Dogma zu erheben bringt uns nicht weiter und wird auch der Komplexität der Pro- bleme im Natur- und Artenschutz nicht annähernd ge- recht. Dass wir Ihren Antrag ablehnen müssen, haben die Beratungen in den Ausschüssen noch einmal untermau- ert. Bei Ihnen ist leider kein konzeptioneller Ansatz zu erkennen. Sie binden einen großen Strauß bunter Forde- rungen, ohne dass eins zum anderen passt. Ich möchte an dieser Stelle lobend die Arbeit im Par- lamentarischen Beirat für Nachhaltigkeit erwähnen, wo es gelungen ist, sich mit allen Fraktionen auf wichtige Grundsätze der Natur- und Artenschutzpolitik zu ver- ständigen: Erstens die Erkenntnis: Natur- und Artenschutz geht alle an. Er muss als kontinuierliche Querschnittsaufgabe aller Ressorts betrieben werden. Das Ziel ist der Erhalt d r n s d e t d r c t d L g l s t L n z L a c r L z h A b s s k e s n r f e f i t p b N a t r ü B (C (D er natürlichen Vielfalt und der Aufnahme- und Regene- ationsfähigkeit der Umwelt. Dies ist Voraussetzung für achhaltiges Wirtschaften. Zudem: Intakte Landschaften ind ein wichtiger Standortfaktor geworden. Zweitens die Feststellung: Wichtiges Aufgabenfeld es Naturschutzes ist der Arten- und Biotopschutz, wie r in Naturschutzgebieten, Flora-Fauna-Habitat-Gebie- en und durch Einrichtung des nationalen Biotopverbun- es, Biotopkartierungen und Erarbeitung Roter Listen ealisiert wird. Drittens die Erfahrung: Zunehmend finden menschli- he Nutzungsinteressen Berücksichtigung. Der koopera- ive Naturschutz soll weiter gestärkt werden. Beispiele afür sind der Vertragsnaturschutz und die Arbeit der andschaftspflegeverbände. Auf dieser Grundlage ist eine Verständigung möglich. Erfreulich in der Diskussion zu Ihrem Antrag ist das roße Interesse aller Fraktionen an einer Weiterentwick- ung des Grünen Bandes entlang der früheren innerdeut- chen Grenze. Die Verhandlungen zur kostenlosen Über- ragung von Bundesflächen im Grünen Band an die änder sind weit fortgeschritten und wir appellieren och einmal an alle Seiten, hier zügig zu einem Ergebnis u kommen, sodass im Zusammenwirken von Bund und ändern das Grüne Band als ökologisches Denkmal und ls Erinnerungsstätte an die Teilung Deutschlands gesi- hert werden kann. Wichtig für einen erfolgreichen Naturschutz ist die ichtige Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund, ändern und Kommunen, also das, was die Beratungen ur Neuordnung unserer bundesstaatlichen Ordnung ierzu als Ergebnis zeitigen werden. Dass Natur- und rtenschutz nur länderübergreifend funktionieren kann, edarf eigentlich keiner näheren Begründung. Ökologi- che Probleme sind schließlich nur in bio-geographi- chen Grenzen lösbar; denn Pflanzen und Tiere kennen eine administrativen Grenzen. Renommierte Umweltrechtler verweisen auf die norme Schwächung des Naturschutzes, wenn die Ge- etzgebungskompetenz des Bundes in diesem Bereich icht gestärkt, sondern geschwächt würde. Gerade bei ir- eversiblen Gemeinschaftsgütern sollten wir nicht Ge- ahr laufen, Zugriffsrechte der Länder zu definieren, die inen Wettkampf um das schwächste Naturschutzrecht ördern. Auch die EU-rechtlichen Entwicklungen erfordern mmer häufiger eine ganzheitliche, bundesweite Be- rachtung und Erfüllung von Aufgaben. Dies zeigt exem- larisch der bundesweite und europaweite Vernetzungs- edarf hinsichtlich des europäischen Biotopverbundes atura 2000. Bundeseinheitliche Regelungen würden die Länder uch hinsichtlich der deutlich zugenommenen Verwal- ungsaufgaben entlasten. Damit wäre auch die Einspa- ung von Kosten verbunden. Schließlich ist zu bedenken, dass durch die derzeit un- bersichtliche Rechtslage aufgrund der verflochtenen und/Länder-Zuständigkeiten Investoren von der 13584 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Vornahme von wichtigen, landesübergreifenden Investi- tionen abgehalten werden. Bundeseinheitliche Regelun- gen sorgen demgemäß für die Erleichterung der Durch- führung von Investitionsvorhaben. Wir setzen deshalb darauf, dass mit der möglichen Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung bessere Möglichkeiten geschaffen werden, die Grundprobleme bei der Sicherung unseres nationalen Naturerbes zu lö- sen und die möglichen Vorteile optimal zu nutzen. Angelika Brunkhorst (FDP): In Deutschland kann man sich mitunter fragen, ob wir den Menschen per Ge- setz von der Natur ausschließen wollen. Wenn die Natur heute durch verschiedene Nutzungsansprüche des Men- schen Schaden nimmt, dann auch deshalb, weil er sich des ungeheuren Wertes des Naturerbes nicht immer be- wusst ist. Eine Vergrößerung der Distanz zwischen Mensch und Natur führt zu weniger Natur- und Umwelt- bewusstsein und somit zu einer weiteren Geringschät- zung von Tieren, Pflanzen und den natürlichen Lebens- räumen. Die FDP ist sich hier mit der CDU/CSU und aus- nahmsweise auch mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Naturschutz, Herrn Vogtmann, einig: Nur wer die Natur kennt, weiß sie auch zu schätzen und zu schützen! Viele Punkte im Antrag der Union zum Miteinander im Naturschutz greifen dabei liberale Positionen auf. An vorderster Stelle ist zu nennen, dass neben der Ökologie gerade auch ökonomische und soziale Aspekte die Grundlage einer gemeinsamen Naturschutzstrategie sein müssen. Der Antrag der CDU/CSU stellt ganz richtig fest, dass seit 1998 die positive Entwicklung beim Schutz der na- türlichen Lebensgrundlagen ins Stocken geraten ist. Bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie drohte die EU bereits mehrfach mit Sanktionen. Es ist nicht richtig, zu behaup- ten, das läge an der schwarz-gelben Landesregierung in Niedersachsen. Bei der Sicherung der Vogelschutzge- biete gibt es bekanntlich schon ein Defizitverfahren. Länder wie Österreich oder die Niederlande haben trotz einer höheren Bevölkerungsdichte hier ihre Hausaufga- ben schon erfüllt. Ein Trauerspiel ist, dass wir leider wieder lesen muss- ten, der deutsche Wald liege weiterhin im Krankenbett und sein Zustand habe sich im letzten Jahr sogar deutlich verschlechtert. Hier hilft nur liberale Medizin! Das hat auch Staatssekretär Matthias Berninger – BMVEL – am 30. Oktober gegenüber der „Berliner Zeitung“ erklärt: Dem Wald würde am besten eine verstärkte Holznutzung helfen, um seinen Zustand zu verbessern. Man müsse den Wald kommerzieller nutzen, um ihn zu schützen. Eine intensivere Forstwirtschaft also, ein verstärktes Miteinander von Mensch und Natur. Er hat sogar noch viel mehr gelernt. Dazu seine Aussage in derselben Zei- tung zum Wildbestand erwähnt: Es gäbe zu viel Wild in den Deutschen Wäldern, die jungen Triebe der Bäume bekämen keine Chance zu wachsen. Es ist ein Aufruf an alle Jäger, mehr für den Wald zu tun, ein verstärktes Mit- einander von Ökonomie und Ökologie auf eine gesell- schaftlich anerkannte Basis zu stellen. A e V P t z w d u z t n D M A c n t B s s v d ü D e q h r ö d B N t u S w s c d t d B e N D m d g M u F N (C (D Die FDP unterstützt das Ziel, die Produktion und den bsatz von Holz in Deutschland zu steigern. Dies setzt ine effizientere Bewirtschaftung der Wälder und der zur erfügung stehenden Aufforstungsflächen voraus. Das otenzial und die Konkurrenzfähigkeit der Biomasse un- er marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten sind im Ein- elfall aber nachzuweisen und dürfen nicht vorreguliert erden. Auch die Biomasse kann nur einer Verwertung ienen und nicht gleichzeitig als Baustoff, Wärmeträger nd zur Strom- oder Kraftstoff Produktion dienen. Die FDP fordert wie die Union ein Weniger an Geset- en und Verordnungen und ein Mehr an Eigenverantwor- ung. Die Kompetenzen des bereits vorhandenen Perso- als in Forst- und Landwirtschaft sollte gestärkt werden. er Vertragsnaturschutz ist das beste Beispiel dafür. Im iteinander und vor allem in der Mitverantwortung von kteuren wie Land- und Forstwirten, den Erholungssu- henden und Sporttreibenden liegt der Schlüssel zu ei- em sozial und ökonomisch sinnvollen Ausbau des Na- urschutzes. Angesprochen wird im vorliegenden Antrag auch ein iotopenverbund entlang der ehemaligen innerdeut- chen Grenze, das „Grüne Band“. Bisher stellt sich die- er nur in Puzzleteilen dar. Die Bundesregierung hat es ersäumt, hier neben ihrer Verantwortung gegenüber em Landschaftsschutz auch ihrer Verantwortung gegen- ber internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden. as „Grüne Band“ innerhalb der Bundesrepublik ist nur in Teil des geplanten Verbundes von Schutzgebieten uer durch Europa entlang des ehemaligen Eisernen Vor- angs. In der Koalitionsvereinbarung für die 15. Legislaturpe- iode haben SPD und Grüne angekündigt, 100 000 Hektar kologisch wertvoller Flächen an die neuen Bundeslän- er zu übertragen. Dieses könnte auch dem „Grünen and“ zugute kommen. Weiterhin war vorgesehen, dass aturschutzflächen zur Sicherung eines nationalen Na- urerbes vorrangig den Naturschutzbehörden der Länder nd Naturschutzverbänden zum Kauf anzubieten. chade, dass beides bislang nur ungenügend umgesetzt urde. Hingegen muss sich die Regierung vom Deut- chen Naturschutzring vorwerfen lassen, Ihre Verspre- hen nicht einzuhalten. Aus gesicherter Quelle ist uns bekannt, dass die Bun- esregierung mittlerweile der EU-Kommission mitge- eilt hat, nur noch eine Fläche von 32 000 Hektar anstatt er angekündigten 100 000 Hektar aus der Hoheit der odenverwertungs- und -verwaltungs GmbH BVVG un- ntgeltlich an die Länder zu übertragen. Selbst bei den aturschutzverbänden formiert sich großer Widerstand. as BMU spricht dabei allerdings seelenruhig noch im- er von einem großen Erfolg der Bundesregierung bei er Sicherung des nationalen Naturerbes. Das ist rot- rüne Scheinheiligkeit! Naturschutz bedarf einfach auch eines gesunden enschenverstandes. Das heißt, dass es nicht zwanghaft m den Erhalt des Status quo gehen kann. Natur ist im luss, und auch frühere Eingriffe des Menschen in die atur gelten heute als besonders schützenswerte Land- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13585 (A) ) (B) ) schaften. Stellvertretend steht dafür die Kulturlandschaft der Lüneburger Heide. Vielleicht sollten wir mal einen PISA-Test mit dem Thema „Umwelt- und Naturkunde“ beantragen. Mal schauen, wie Deutschland da abschneidet. Umweltbil- dung in den Schulen ist ein wichtiges Element, um unser Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur zu stärken. Nur wer den Wert der Na- tur schätzen kann, ist bereit, sie zu schützen! Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratie- abbau und Deregulierung aus den Regionen und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vor- schriften (Tagesordnungspunkt 13) Dr. Rainer Wend (SPD): „Die Menschen sind sehr offen für neue Dinge, solange sie nur genau den alten gleichen.“ – Dieser Satz stammt von Charles F. Kettering, einem amerikanischen Industriellen, der bei General Motors für Forschung und Entwicklung zustän- dig war. Dennoch hat die Bundesregierung am 1. Sep- tember 2004 einen großen Schritt in Richtung Verände- rungen in Deutschland getan: Das Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen und zur Änderung wohnungsrechtli- cher Vorschriften ist ein Zeichen dafür. Was wird sich durch dieses Gesetz konkret ändern? Gerichtsverfahren werden beschleunigt, weil die Regie- rungen der Länder ermächtigt werden, zukünftig einem Amtsgericht eine Abteilung für Handelssachen zuzuwei- sen. Es werden Dokumentationspflichten gestrichen: So müssen private Erzeuger keine Abfallwirtschaftskon- zepte und Abfallbilanzen mehr vorlegen. Auch Unter- nehmen mit Umweltmanagement-System können nun unter bestimmten Voraussetzungen von der Abgabe ge- sonderter Emissionserklärungen befreit werden. Makler und Bauträger müssen Immobilieninserate nicht mehr aus Dokumentationsgründen aufheben. Aber auch innovative Techniken für die Abfallver- wertung werden durch das Gesetz gefördert, indem eine generelle Ausnahmebestimmung von dem Verbot, Che- mikalien in den Verkehr zu bringen, gestrichen worden ist. Im Bereich des Immissionsschutzrechts ist zukünftig der Erhalt einer Genehmigung und eines Vorbescheides auf einem einfacheren und schnelleren Weg möglich: Nun können sogar natürliche und juristische Personen, die die Anlage nicht selbst errichten oder betreiben wol- len, einen Antrag stellen. Das Personenförderungsgesetz erfährt ebenfalls eine Änderung, die den Einbau von Mobilfunkanlagen an- stelle von Funkanlagen in den jeweiligen Fahrzeugen er- leichtert. E l a k h c K u s d u W B f r g L m u t e d s B H u g s r p A d B b b d V d t a f z n w w t u e e v A r d g (C (D Darüber hinaus wird das Gaststättenrecht liberalisiert. ine stärkere Gewichtung des Services in den Dienst- eistungsbranchen und im Handel ermöglicht es, dass uch dort den Kunden in größerem Maße Getränke und leine Speisen angeboten werden können. Die Gewerbeordnung und das Gaststättengesetz er- alten so genannte Experimentierklauseln: Sie ermögli- hen es, Berufsausübungsregelungen befristet außer raft zu setzen, um deren Auswirkung auf die Praxis zu ntersuchen. Bei positiven Erfahrungsberichten ließe ich später sogar eine vollständige Aufhebung begrün- en. Doch wie kam es zu diesem Gesetz? Wir erinnern ns: Im Sommer 2003 hat das Bundesministerium für irtschaft und Arbeit in Zusammenarbeit mit der ertelsmann-Stiftung das Projekt „Innovationsregionen ür Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch De- egulierung und Entbürokratisierung“ begonnen. Drei so enannte Modellregionen – Bremen, Ostwestfalen- ippe und Westmecklenburg – wurden auserkoren, da- it sie neben Vorschlägen zu kommunalen Regelungen nd Landesvorschriften auch Ideen für eine Entbürokra- isierung und Erleichterung der Vorschriften auf Bundes- bene unterbreiten. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind durch ie bürokratischen Vorschriften stark belastet; das ist chon lange bekannt. Max Weber verstand unter dem egriff „Bürokratie“ noch „die reinste Form der legalen errschaft“. Max Weber hat die Bürokratie als wichtigen nd bewährten Organisationstyp in modernen Industrie- esellschaften untersucht. Er hat ihr drei charakteristi- che Merkmale zugeschrieben: kühle Sachlichkeit, in ih- er Wirkungsweise entpersönlicht, verlässlich und räzise, sowohl für den Dienstherrn als auch für den usführenden und Interessenten. Im Grundsatz lässt sich em wohl auch heute nichts entgegensetzen. Mit einem lick auf all die Vorschriften, die heute im täglichen Le- en, vor allen Dingen im Geschäfts- und Wirtschaftsle- en, einzuhalten sind, ist unschwer zu erkennen, dass sie ie Wirtschaft „lahm legen“. Etwa 70 000 Gesetze und erordnungen beschäftigen nach Angaben des BMWA ie Unternehmen in Deutschland. Die Modellregionen haben zahlreiche Ideen präsen- iert. Die Bundesregierung hat nun 29 dieser Vorschläge ls bundesweite Regelungen aufgegriffen. Zehn davon inden sich im Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen u Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regio- en und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften ieder. Die übrigen Anregungen wurden beziehungs- eise werden noch umgesetzt. Die Zusammenarbeit mit den Regionen, die als „Be- roffene“ ihre praktischen Erfahrungen in die Vorschläge nd Weiterentwicklung gesetzlicher Vorschriften haben inbringen können, ist in einem ganz neuen Verfahren rfolgt. Diese Einbindung in den Gesetzgebungsprozess erleiht den Regionen einen besonderen Stellenwert. Die usarbeitung der Vorschläge ist auf ihr Engagement, ih- en Ideenreichtum zurückzuführen. Dafür möchte ich en einzelnen Regionen, denjenigen, die die Arbeit maß- eblich mitgetragen haben, meinen Dank aussprechen. 13586 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Trotz dieser ersten Erfolge, die in Form eines Geset- zes nun vorliegen, ist der Prozess des Bürokratieabbaus und der Deregulierung selbstverständlich noch lange nicht abgeschlossen. Die Enttäuschung der Regionen darüber, dass nicht alle Vorschläge in das Gesetz Ein- gang gefunden haben, verstehe ich und ich teile sie so- gar. Dennoch möchte ich an dieser Stelle betonen, wie schwierig es ist, das Thema der Entbürokratisierung tat- sächlich in Angriff zu nehmen. Ich erinnere noch einmal an Charles F. Kettering und seine treffende Aussage über die Gewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger und ihr ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Allgemeine Forderungen nach Veränderungen und Vereinfachungen auszusprechen, fällt leicht. Ihre Umset- zung hingegen stößt dennoch vielfach auf Skepsis, sogar auf Widerstand. Es sind die konkreten Maßnahmen, die den einen oder anderen, der die Forderung nach Büro- kratieabbau einst formuliert hat, selber betreffen. Wie heißt es so schön? Man soll nicht mit dem Finger immer nur auf andere Leute zeigen, sondern immer erst bei sich selber anfangen! Dieser Satz trifft wohl den Nagel auf den Kopf. Sobald in der Planung oder Umsetzung etwas schief läuft, Probleme auftreten, sind die Folgen bereits vorher abschätzbar. Was passiert nämlich? Natürlich: Es werden Prozesse vor den Gerichten angestrengt und es werden Kampagnen in den Medien gestartet. Schließlich muss ein Schuldiger und der Beweis dafür, dass eine Idee ein- mal mehr gescheitert ist, gefunden werden. Dennoch: Ohne Risikobereitschaft ist dieser Erneue- rungsprozess, der für unsere Wirtschaft, vor allen Din- gen für unseren Mittelstand und unsere Wettbewerbsfä- higkeit unerlässlich ist, nicht zu schaffen. Vorbildlich im Vorantreiben dieses Prozesses ist das Land Nordrhein- Westfalen. Mit dem In-Kraft-Treten des Bürokratieab- baugesetzes am 19. April 2004 ist Ostwestfalen-Lippe die erste Modellregion für Bürokratieabbau auf Landes- ebene. Durch das Gesetz werden dort ausgewählte Lan- desvorschriften für drei Jahre befristet außer Kraft gesetzt. Der erste Vorschlag, die schnellere Ausnahme- genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit, wurde von der Bezirksregierung Detmold bereits in die Tat umge- setzt. Dadurch konnten in Ostwestfalen-Lippe mehrere tausend Arbeitsplätze in der Automobil- sowie der Kunststoff verarbeitenden Industrie gesichert und neue Jobs geschaffen werden. Der Bund ist mit dem Gesetz zur Umsetzung von Vor- schlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vor- schriften als erstem Schritt noch lange nicht am Ende an- gelangt. Einige Bereiche, die besonders durch bürokrati- sche Vorschriften belastet sind, bleiben zunächst noch unverändert. Es wird sich ein Weg finden, Innovations- fähigkeit zu beweisen und die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg mitzunehmen. Auch die Hürden können und müssen wir beseitigen. Vielleicht lässt sich dann ir- gendwann der Zusatz in meinem Anfangszitat streichen, sodass nur noch der Satz übrig bleibt: Die Menschen sind sehr offen für neue Dinge! S f g w m B c w j s S d s z m o r a m c m a P m d i e d T t d m w d l t t d A s g s s h d s w V n v D g n E t n s (C (D Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Man kennt den atz: „Besteht ein Personalrat aus einer Person, so ent- ällt die Trennung nach Geschlechtern.“ Bill Gates be- ann in einer Garage. Da wäre er bei uns schon am Ge- erbeaufsichtsamt gescheitert. Einem Fotografen wollte an in seiner Dunkelkammer ein Fenster vorschreiben. egründung: Die dort Beschäftigten müssten mit ausrei- hend Licht versorgt werden. Man könnte sich totlachen, enn es nicht so traurig wäre. Das erste Beispiel berührt a nur die Sprache, bei den beiden anderen stehen leider ogar Existenzen auf dem Spiel. Alle drei vereint das tichwort Bürokratie; ihr will die Bundesregierung mit em vorliegenden Gesetzentwurf an den Kragen gehen. Dieser Gesetzentwurf ist wieder einmal ein Artikelge- etz. Die Form des Artikelgesetzes scheint die bevor- ugte Form der Koalition zu werden, denn darin kann an so schöne Dinge verpacken, die miteinander nichts der nicht viel zu tun haben. Und es hat für die Regie- ung den Charme, dass sie einen unumstrittenen Artikel ls trojanisches Pferd benutzt, um andere, umstrittenere it durchzuziehen: Die Änderungen wohnungsrechtli- her Vorschriften sind Ergebnis der Beratungen des Ver- ittlungsausschusses. Es handelt sich überwiegend um llgemeine Klarstellungen, mit denen die Union keine robleme hat. Diese Klarstellungen sind notwendig und achen Sinn. Allenfalls ist zu beklagen, dass diese Än- erungen nicht zügiger erfolgt sind, denn der 1. Januar st nicht mehr weit. Was nun diese Klarstellungen aber in inem gemeinsamen Gesetzentwurf zu suchen haben, er regelt, ob ein Ladenbesitzer einen Stuhl und einen isch aufstellen darf, damit seine Kunden einen Kaffee rinken können, ist mir nicht ersichtlich. Es ist offenkun- ig so, dass versucht wird, mit der erwarteten Zustim- ung der Opposition zu dem einen Teil des Gesetzent- urfs gleich noch ein paar andere mit durchzuziehen, ie ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren offensicht- ich scheuen müssen. Es geht bei diesen Artikeln im Kern um den Bürokra- ieabbau. Bürokratieabbau ist gut; Beifall von allen Sei- en ist bei diesem Thema sicher. Auch die Union ist für en Bürokratieabbau und hat diesbezüglich vielfältige ktivitäten entwickelt. Das unionsgeführte Saarland teht hier besonders gut da. Der Bundesrat hat am ver- angenen Freitag ein ganzes Paket von Maßnahmen be- chlossen, das unter anderem den Bürokratieabbau be- onders in der Arbeitswelt voranbringen soll. Gerade ier ist das wichtig, denn die Bürokratie ist ursächlich afür verantwortlich, dass viele Arbeitsplätze nicht ent- tehen. Die Bürokratie ist hierzulande ein Problem ge- orden, das sich als Schleier wie Mehltau über die olkswirtschaft und damit die Arbeitsplätze legt. Sie ist ach meiner Überzeugung mittlerweile eine der wirkungs- ollsten Bremsen für die wirtschaftliche Entwicklung in eutschland geworden. Das Problem ist so schwerwie- end, das richtigerweise der Wirtschafts- und Arbeitsmi- ister den Bürokratieabbau zur Chefsache erklärt hat. ine Erklärung ist aber nur so viel wert, wie ihr auch Ta- en folgen. Aber daran hapert es gewaltig. Die vorgelegten zehn Artikel betreffen nun wirklich ur einige wenige kleine Pflänzchen des munter wach- enden Bürokratie-Urwaldes. Diesem Urwald droht der Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13587 (A) ) (B) ) Wirtschaftsminister vollmundig seit Jahren mit der Ma- chete, mit diesem Gesetzentwurf hat er aber noch nicht einmal eine Schneise geschlagen. Eindrucksvoller Beleg für die „Erfolge“ beim Bürokratieabbau der Regierung ist die Änderung bei Art. 7 Personenbeförderungsgesetz, der regelt, dass nun nicht mehr „per Funk“, sondern auch „fernmündlich“ gehandelt werden darf. Interessant die Begründung der Regierung zu dieser fundamentalen Än- derung. Mit der Änderung wird der Entwicklung bei den Übermittlungstechniken Rechnung getragen. Neben Funk kann jetzt auch das Mobiltelefon treten. Dass das Mobiltelefon physikalisch auch eine Funk- übertragung ist, scheint der Regierung dabei entgangen zu sein. Nun könnte man sagen: Kleine Maßnahme – große Wirkung. Das wäre optimal. Ich bestreite das aber bei den Maßnahmen dieses Gesetzentwurfes vehement. Es sind die sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein. Jede von der Regierung vorgeschlagene Änderung ist für sich durchaus nachvollziehbar und zu begrüßen, denn alle verbessern im Detail immerhin die Lage der Betrof- fenen oder sie berücksichtigen den inzwischen eingetre- tenen technischen Fortschritt. Sie sind in Zusammenar- beit mit den Modellregionen entstanden. Wenn ich mir aber die jeweiligen Datumsangaben der zu ändernden Gesetze anschaue, dann fällt auf, dass sie alle noch gar nicht so alt sind. Teilweise haben sie die letzte Fassung erst 2004 erhalten. Es sind also keine Ladenhüter, die noch im Schreibmaschinenzeitalter beschlossen worden sind. Das eben zitierte Personenbeförderungsgesetz, das jetzt also auch Mobiltelefone zulässt, ist beispielsweise zuletzt am 29. Dezember 2003 geändert worden, also noch nicht einmal ein Jahr alt. Ich denke, das Mobiltele- fonzeitalter hat wesentlich früher begonnen. Alle Abge- ordneten sollten mehr Obacht geben, dass unsere Ge- setze solider und nachhaltiger erarbeitet werden, sodass solche Korrekturen wie in diesem Gesetzentwurf über- flüssig werden. In erster Linie ist natürlich die Regie- rung gefragt, aber auf die Idee mit den Mobiltelefonen hätten wir auch in den Ausschüssen kommen müssen. Das sage ich durchaus selbstkritisch. Der vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich, dass beim Bürokratieabbau noch viel Arbeit vor uns liegt und dass die Regierung im Grunde noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs angekratzt hat. Im Gegenteil: Sie lässt die Kältemaschinen auf Hochtouren laufen, damit der Eisberg eher noch größer wird. Allein in den ersten zwölf Monaten ihrer zweiten Amtszeit hat die Regierung fast 50 Gesetze beziehungsweise Gesetzesänderungen und über 400 Verordnungen beziehungsweise Verord- nungsänderungen erlassen. Dagegen wurden im gleichen Zeitraum nur 13 Gesetze und 98 Rechtsverordnungen außer Kraft gesetzt. Das Institut für Mittelstandsforschung hat festgestellt, dass die bürokratischen Kosten in den vergangenen Jah- ren nicht gesunken sondern sogar gestiegen sind. Für 2003 schätzt das Institut die Belastung auf 46 Milliarden E Z m a d b g r m I k r D S d v a s r s S t p g G g d n s m ü e n B i A l c r o g s d b A R D w ü s h s i v z (C (D uro, etwa ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren. wischen sechs und 64 Stunden müssen die Unterneh- en je nach Größe im Jahr und pro Beschäftigtem dafür ufbringen. Das Schlimme daran ist, dass insbesondere ie kleinen Unternehmen mit besonders hohen Kosten elastet werden, da sie die Berichtspflichten und sonsti- en bürokratischen Anforderungen nicht so rationalisie- en können wie die großen Betriebe. Bei den Unterneh- en von ein bis neun Beschäftigten fallen, so hat das nstitut ermittelt, im Durchschnitt 63,8 Stunden Büro- ratiebelastung je Beschäftigtem und Jahr an. Umge- echnet sind das 4 361 Euro je Beschäftigtem und Jahr. as ist Geld, das für Investitionen fehlt, also für die chaffung von Arbeitsplätzen. Es fehlt natürlich auch en Leuten in der Lohntüte. Eines wollen wir auch nicht ergessen: Bürokratie kostet nicht nur Geld, sondern uch Nerven. Jeder, der hierzulande ein Unternehmen gründen will, chlägt sich mit einem Wust von Antragsformularen he- um und läuft sich die Füße wund. Für das in Art. 8 die- es Gesetzentwurfes geregelte Aufstellen von Tisch und tuhl als gastronomische Ergänzung von Dienstleis- ungsunternehmen sollte ein Berliner jede Menge Pa- ierkram abliefern: Bauvorlagen in fünffacher Ausferti- ung, Grundriß 1 : 100, Angaben zur farblichen estaltung, zur geplanten Raumtemperatur und ob Lie- eräume für Frauen geplant seien. Wir regen uns auf, ass Brüssel angeblich das Krümmungsmaß einer Ba- ane festlege, und lassen selber eine Gewerbeidee daran cheitern, dass der Keller zwei Zentimeter zu niedrig ist. Zum Schluss komme ich noch einmal auf die Arbeits- arktpolitik zurück. Gerade dieser Bereich ist derart berreguliert, also bürokratisiert, dass die hohe andau- rnde Arbeitslosigkeit zu wesentlichen Teilen ein Ergeb- is der herrschenden Bürokratie ist. Sie drückt sich in eschäftigungs- und Einstellungshürden aus. Wenn es nzwischen leichter ist, eine Ehe zu scheiden, als einen rbeitnehmer zu entlassen, wenn es im Betrieb nicht äuft, dann zeigt sich hier dringender Handlungsbedarf. Es ist doch so: Jede Regelung bedeutet heruntergebro- hen auf den Betrieb Kosten. Ob es das Teilzeitarbeits- echt, die Mitbestimmung, das Arbeitssicherheitsgesetz der die Arbeitsstättenverordnung ist, alles ist dicht re- uliert, um ja jeden denkbaren Fall zu erfassen, und er- tickt damit Eigenverantwortung und vernünftiges Han- eln. Das ist kontraproduktiv für Beschäftigung. Das lockiert den Arbeitsmarkt. Die Union hat mit ihrem ntrag „Bürokratische Hemmnisse beseitigen – Bessere ahmenbedingungen für Arbeit in Deutschland“ auf rucksache 15/4156 Möglichkeiten aufgezeigt, wo und ie das Dickicht gelüftet werden muss. Ich bin berzeugt, nur wenn man die Bürokratiemauern einreißt, chafft man auf Dauer neue Arbeitsplätze. Birgit Homburger (FDP): Gemessen an den wieder- olten großartigen Ankündigungen von Bundeswirt- chaftsminister Wolfgang Clement zum Bürokratieabbau st der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf ein Sammelsurium on Petitessen. Die angekündigten Vereinfachungen um Beispiel im Gaststättenrecht, im Gewerberecht, im 13588 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Abfallrecht oder im Wohnungsrecht sind Kleinigkeiten im Vergleich zum Berg an Bürokratielasten die jährlich auf die Unternehmen zukommen. Die enormen Kosten komplizierter Steuer- und Abgaberegelungen, des zu starren Arbeitsrechts, umfangreicher statistischer Melde- pflichten und eines hoch komplizierten Umweltrechts bremsen weiterhin Wachstum und Beschäftigung aus. Das Institut für Mittelstandsforschung hat errechnet, dass zwischenzeitlich die jährliche Belastung der Unter- nehmen bei 46 Milliarden Euro liegt. Der größere Teil davon entfällt auf die zuvor genannten großen Kosten- blöcke. In diesem Bereich tut sich mit diesem Gesetzent- wurf weiterhin nichts. Angesichts der Tatsache, dass dieser Gesetzentwurf die Vorschläge der von Bundeswirtschaftsminister Clement eingerichteten so genannten Testregionen für Innovationsregionen umsetzen soll, ist der Gesetzent- wurf eine Blamage. Da wurden mit großem Aufwand in drei Testregionen tausend Vorschläge erarbeitet, von de- nen jetzt einige wenige, und davon dann auch noch die nicht ganz wesentlichen, im Gesetz umgesetzt werden. Der Gesetzentwurf offenbart erneut, dass sich Herr Clement in der Bundesregierung nicht durchsetzen kann. Wie sonst ist es zu erklären, dass die von ihm im Zusam- menhang mit der Umsetzung dieser Initiativen angekün- digte Liberalisierung der Ladenschlussregelungen wie- der nicht enthalten ist? Warum schafft er nicht die Pflichtrestmülltonne für Gewerbeabfälle ab? Und warum warten die Unternehmen immer noch auf die generelle Umstellung der Umsatzsteuervorauszahlung auf die Ist- besteuerung? Auch die großmundige Ankündigung, die geltende Arbeitsstättenverordnung drastisch zu vereinfa- chen und damit erhebliche Kosten für die Betriebe ein- zusparen, ist nach wie vor nicht realisiert. Diese Maß- nahmen würden wenigstens zu einer spürbaren Kostenentlastung führen. Stattdessen enthält der Gesetz- entwurf einige wenige Vereinfachungen ohne große Kostenrelevanz. Vor diesem Hintergrund wird die FDP-Bundestags- fraktion ihre „Initiative Bürokratieabbau“ weiter fortset- zen und in jeder Sitzungswoche einen konkreten Vor- schlag zum Abbau von Bürokratie unterbreiten. Das Prestigeprojekt des Bundeswirtschaftsministers, „Mas- terplan Bürokratieabbau“, ist furios gescheitert. Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär im Bundes- ministerium für Wirtschaft und Arbeit: Deregulierung und Entbürokratisierung haben zwei Feinde. Der erste Feind will keine Veränderung. Er will, dass alles so bleibt, wie es ist. Veränderungen sind ihm ein Gräuel. Wie heißt es so schön in England: Die einzigen, die Ver- änderungen mögen, sind Babys in nassen Windeln! Die- ser Gegner der Veränderungen ist ein starker Gegner. Al- lerdings wird sein Widerstand zu überwinden sein. Die Notwendigkeit von Veränderungen muss auch er letzt- lich anerkennen. Dann gibt es den anderen Feind von Veränderung. Er ist in der Tat viel schwieriger zu besiegen, denn er for- dert bei Deregulierung und Entbürokratisierung immer mehr. Er ist maßlos und sattelt drauf. Jeder Vorschlag, d S r t d U D w i d n h m W l P W V s b v V v u b V z G s V U n h m i 1 w B u l z V v t t V l r m e w H S d (C (D en irgendjemand gemacht hat, ist für ihn zwar ein chritt in die richtige Richtung, aber natürlich nicht aus- eichend. Die Schritte sind ihm zu klein, zu unbedeu- end, sodass er gleich alles ablehnt. Er erreicht damit, ass sich letztlich nichts, aber auch gar nichts bewegt. Dies vorweggeschickt, möchte ich zum Stand der msetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und eregulierung aus den Regionen und zur Änderung ohnungsrechtlicher Vorschriften kommen, bei denen ch viele Schritte in die richtige Richtung sehe, welche ie konstruktive Unterstützung der Opposition verdie- en. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit atte im Sommer 2003 in Kooperation mit der Bertels- ann-Stiftung das Projekt „Innovationsregionen für irtschaftswachstum und Beschäftigung durch Deregu- ierung und Entbürokratisierung“ begonnen. Ziel des rojektes war die Ermittlung von Hemmnissen für die irtschaft durch gesetzliche Vorschriften und deren ollzug. In einer ersten Runde waren die Regionen Freie Han- estadt Bremen, Ostwestfalen-Lippe und Westmecklen- urg beteiligt. Sie erarbeiteten unter der Einbeziehung on Praktikern aus Wirtschaft und Verwaltung neben orschlägen zu kommunalen Regelungen und Landes- orschriften auch Vorschläge zur Entbürokratisierung nd Erleichterung bundesrechtlicher Vorschriften. Hier- ei handelt es sich insbesondere um verfahrensrechtliche orschriften, die die verschiedensten Rechtsgebiete, um Beispiel Umweltrecht, Baurecht, Verkehrsrecht, ewerberecht, Arbeitsschutz, betreffen und in die Zu- tändigkeit mehrerer Bundesressorts fallen. Das Bundeskabinett hat sich im April 2004 mit diesen orschlägen befasst und einer sofortigen bundesweiten msetzung zugestimmt. Auf Initiative von Bundesmi- ister Clement hin wurde auf die ursprünglich vorgese- ene mehrjährige Testphase verzichtet. Dadurch kom- en die Erleichterungen kurzfristig allen zugute. Die nterministeriell abgestimmten Vorschläge wurden am 2. Mai 2004 vom Bundeskabinett beschlossen. Der unter Federführung des BMWA erarbeitete Ent- urf eines Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu ürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen nd zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften iegt Ihnen heute zur ersten Lesung vor. Er enthält Geset- esänderungen zur Umsetzung eines großen Teils dieser orschläge aus den beteiligten Regionen. Enthalten sind beispielsweise die Beschleunigung on Gerichtsverfahren durch die überörtliche Einrich- ung von Abteilungen für Handelssachen an Amtsgerich- en, die Aufhebung der Verpflichtung zur Erstellung und orlage von Abfallwirtschaftskonzepten und Abfallbi- anzen für private Erzeuger, die Erleichterung der Be- ichts- und Dokumentationspflichten für Unternehmen it Umweltmanagement-Systemen – EMAS – sowie ine Liberalisierung im Gaststättenrecht. In Zukunft ird es vor allem in Dienstleistungsbranchen und im andel möglich sein, Kunden Getränke und kleinere peisen erlaubnisfrei anzubieten. Des Weiteren sollen ie Erlaubnisfreiheit im Beherbergungsgewerbe auf Be- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13589 (A) ) (B) ) triebe bis zwölf Betten erhöht und Erleichterungen für kleine Imbissbetriebe geschaffen werden. Zudem ist eine allgemeine Experimentierklausel für Bestimmungen der Gewerbeordnung – GEWO – und des Gaststättengesetzes – GastG – enthalten. Eine solche Er- probungsklausel ermöglicht, Berufsausübungsregelun- gen befristet aufzuheben, um deren Auswirkungen auf die Praxis zu untersuchen. Bei letztlich positiver Bewer- tung der Maßnahme bietet es sich dann an, diese Bestim- mungen insgesamt aufzuheben. Ferner ist eine Reduzierung von Prüf- und Aufbewah- rungspflichten für Makler und Bauträger enthalten. Wei- tere Vorschläge der Vorschlagsliste werden durch Ände- rungen der Spezialgesetze durch die jeweils zuständigen Ressorts umgesetzt. Auch der Bundesrat hat sich intensiv mit diesen Vor- schlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung befasst. Da ihm zum gleichen Zeitpunkt auch Gesetzesinitiativen verschiedener Länder zum Bürokratieabbau, teilweise zu den gleichen Regelungsbereichen vorlagen, bot sich de- ren gemeinsame Behandlung an. In seiner Stellung- nahme hat der Bundesrat eine ganze Reihe von Empfeh- lungen zu dem Gesetzentwurf abgegeben. Zum Gesetzentwurf allgemein teilt die Bundesregie- rung die Auffassung des Bundesrates, dass die Eigenver- antwortung von Wirtschaft und Bürgern zu stärken und bürokratische Überreglementierungen zu beseitigen sind. Sie betrachtet dies ebenfalls als eine Daueraufgabe und verweist in diesem Zusammenhang auf die „Initia- tive Bürokratieabbau“ mit einer Vielzahl konkreter Pro- jekte. Die Änderungsvorschläge des Bundesrates sind im Wesentlichen auf noch umfangreichere Entlastungen ge- richtet. Besonders zu den Vorschlägen im Umweltbe- reich und hier insbesondere zur Erweiterung der Privile- gierungen für EMAS-zertifizierte Betriebe hat der Bundesrat eine Vielzahl von weiteren Änderungen und Ergänzungen vorgeschlagen. Die Bundesregierung kann diesen Vorschlägen nur in geringem Umfang zustimmen, da vielfach praktische, fachrechtliche oder europarecht- liche Gründe entgegenstehen. Des Weiteren gab es sehr viele, allerdings auch sehr widersprüchliche Anträge der Länder zu den vorgesehe- nen Änderungen im Gaststättenrecht. Diese reichten von der Ablehnung jeder Änderung des geltenden Rechts bis hin zu ganz radikalen Änderungen. Daran wird deutlich, dass sich die Länder über die Zielrichtung erforderlicher Änderungen noch nicht einig sind. Mehrheitlich angenommen wurden die weitgehends- ten Anträge, die zur vollständigen Befreiung der Beher- bergungsbetriebe von der Erlaubnispflicht und zu einer Reduzierung der Gaststättenerlaubnis auf die Abgabe von alkoholischen Getränken führen würden. Dies kann von der Bundesregierung so nicht mitgetragen werden. Abgelehnt wurde vom Bundesrat die vorgesehene Erpro- bungsklausel im Gewerbe- und Gaststättenrecht, die den Ländern ein befristetes Abweichen von Berufsaus- übungsregelungen ermöglichen soll. Die Bundesregie- rung hält in der Gegenäußerung an dieser Vorschrift fest, z i k r R g w d l v n d g s p d b V m n h i a v B h A D m w v v e d n a D E d f 8 w z (C (D umal derartige Klauseln auch Forderungen der Länder m Rahmen der Föderalismusreform entsprechen. Wie Bundeswirtschaftsminister Clement bereits ange- ündigt hat, soll in Kürze eine weitere Deregulierungs- unde folgen. Wir haben aus den Erfahrungen der ersten unde gelernt und wollen deshalb in Zukunft jede Re- ion, die mitarbeiten will, beteiligen. Wir werden die je- eils zuständige Industrie- und Handelskammer bitten, as Projekt in ihrer Region zu begleiten. Damit die Qua- ität der Vorschläge und nicht nur eine große Quantität on Vorschlägen im Vordergrund steht, sollen die Regio- en ihre Vorschläge nach Prioritäten ordnen. Wir werden ie Länder bitten, sich aktiv in diese Projekte einzubrin- en. Auch die beteiligten Städte und Gemeinden werden ich beteiligen müssen, indem sie eigene Vorschriften zu rüfen haben. Was uns zuweilen aber noch fehlt, ist die Bereitschaft er Opposition, wichtige und notwendige Reformvorha- en konstruktiv zu begleiten und nicht reflexartig jede eränderung abzulehnen. Ich appelliere deshalb an die Opposition, diesen Weg itzugehen. Goethe hat einmal gesagt, „es ist nicht ge- ug zu wollen, man muß auch tun!“ Ich appelliere des- alb an die Opposition, ihr Tun unter Beweis zu stellen, ndem sie nicht immer die Schritte der Bundesregierung ls zu klein kritisiert, sondern mitarbeitet, damit wir mit ielen kleinen Schritten unserem gemeinsamen Ziel, der ürokratie in Deutschland Paroli zu bieten, ein Stück nä- er kommen. nlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Weltbevölkerung und Entwicklung – zehn Jahre nach Kairo – Weltbevölkerungspolitik zehn Jahre nach Kairo (Tagesordnungspunkt 15 a und b) Karin Kortmann (SPD): Während wir uns in eutschland, in den Industrieländern große Gedanken achen, wie wir angesichts der demographischen Ent- icklung – wir verzeichnen ein Bevölkerungswachstum on 0,1 Prozent – unsere sozialen Sicherungssysteme erändern müssen, wir Antworten suchen, wie wir mit iner zunehmend alternden Gesellschaft leben werden, ie Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern kön- en, sieht es in den Entwicklungsländern ganz anders us: Sie verzeichnen ein Wachstum von 1,7 Prozent. amit findet das Wachstum fast ausschließlich in den ntwicklungsländern statt. 1950 lebten noch 68 Prozent er Bevölkerung in den weniger entwickelten Ländern, ür das Jahr 2050 sehen die Prognosen einen Anstieg auf 8 Prozent. Und damit steigen auch die Probleme bei der eltweiten Armutsreduzierung, lassen Sie mich dazu wei Beispiele der Ressourcenknappheit benennen: 13590 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Nach dem jüngsten Datenreport der Deutschen Stif- tung Weltbevölkerung leben bereits heute über 600 Mil- lionen Menschen in Ländern, in denen Wasser eine Man- gelware ist. Im Jahr 2005 wird die Zahl auf 752 Millionen ansteigen und für 2025 wird eine Zahl von 2,6 bis 3,2 Milliarden Menschen prognostiziert. Der Kampf um die Lebensgrundlage Wasser wird sich regio- nal, wirtschaftlich und politisch verschärfen. Ähnlich dramatisch ist der Verlust von verfügbarem Ackerland. Bei der im vergangenen Jahr stattgefundenen UN-Konferenz zur Bekämpfung der Wüstenbildung wurde die Dramatik der Verödung und des Verlustes von kostbarer Nutzfläche beschrieben. Jedes Jahr, so hat das Worldwatch Institute geschätzt, verlieren die Kontinente 24 Milliarden Tonnen Oberboden. Während der vergan- genen zwei Jahrzehnte ist weltweit Boden in der Grö- ßenordnung der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflä- che der Vereinten Nationen verloren gegangen. Vor zehn Jahren hat die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo den Zusammenhang von Bevölkenungswachs- tum und Entwicklung in den Fokus der politischen Dis- kussion gestellt. Weltbevölkerungspolitik wurde erst- mals nicht isoliert betrachtet, sondern in den Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen, ökologi- schen und kulturellen Fragen gestellt. Der dort verab- schiedete Aktionsplan benannte als zentrale Zielsetzun- gen: die Beseitigung der Armut; ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Rahmen einer tragfähigen Ent- wicklung; Bildung, insbesondere für Mädchen; die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den Schutz und die Förderung der Familie. Zu feiern gibt es zum zehnten Jahrestag des Beschlus- ses wenig. Viele der formulierten Ziele stehen heute dringender denn je auf der „Agenda der Notwendigkei- ten“. Die Vereinten Nationen haben dies auch in ihrer Millenniumserklärung mitbedacht und deshalb greifen vier der acht Millennium Development Goals Kernziele des Kairoer Aktionsprogramms auf: Erstens: die Förderung der Gleichheit der Geschlech- ter, die Stärkung der Frauen. Zweitens: die Senkung der Kindersterblichkeit. Drittens: die Verbesserung der Gesundheit von Müt- tern. Viertens: die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und anderer Krankheiten. Ob die Weltbevölkerung im Laufe des nächsten Jahr- hunderts auf 8,9 oder 12,8 Milliarden Menschen an- wächst, hängt nicht nur von der Politik in den Entwick- lungsländern, sondern auch entscheidend vom politischen Handeln der Industrieländer und der Aus- richtung ihrer Entwicklungszusammenarbeit ab. Maß- geblichen Einfluss können hierbei nicht nur bevölke- rungspolitische Programme, sondern auch Programme zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit haben. Noch immer gelten in wenig entwickelten Regionen viele Nachkommen als Alterssicherung. Hohe Geburten- raten mit schnell aufeinander folgenden Schwanger- schaftszyklen bedeuten jedoch eine hohe Sterblichkeits- r M S m t i v I n E A M e F m m l o w z p d l f t P b g r F u w v A d r s t G s w s a d l W b F 1 f s n Z a s (C (D ate für Kinder und Mütter. Und noch immer werden ädchen verheiratet, deren Leben durch zu frühe chwangerschaft besonders gefährdet ist. Wir fordern deshalb, den Zugang zu denjenigen Fa- ilienplanungsmethoden zu fördern, die vor dem Hin- ergrund der jeweiligen soziokulturellen, religiösen und ndividuellen Lebensbedingungen der betroffenen Be- ölkerung akzeptiert und angewendet werden können. ch wende mich energisch gegen staatliche Zwangsmaß- ahmen zur Geburtenkontrolle, wie sie in China mit der in-Kind-Politik umgesetzt wurden. Einen Appell richte ich an den Vatikan. Das Kairoer ktionsprogramm schließt Abtreibungen explizit als ittel der Familienplanung aus. Es ist aber dennoch un- rlässlich, dass wir die medizinische Versorgung von rauen verbessern, die unter den Folgen von unsachge- äß durchgeführten Abtreibungen leiden. Helfen Sie it dabei, Menschen aufzuklären und sie bei ihrer Fami- ienplanung zu unterstützen! Auch Bushs Fundamental- pposition gegen den Kairoer Konsens können wir in der eltweiten Armutsbekämpfung nicht als hilfreich be- eichnen. Für die Entwicklungsländer bedeutet anhaltendes Po- ulationswachstum ein beträchtliches Entwicklungshin- ernis. Die das Wirtschaftswachstum vieler Entwick- ungsländer überholende Zuwachsrate der Bevölkerung ührt zu steigender Massenarbeitslosigkeit vor allem un- er Jugendlichen mit der Folge von Verelendung und erspektivlosigkeit. Wir müssen die Entwicklungsländer ei der Schaffung von notwendigen Rahmenbedingun- en unterstützen. Dazu gehört eine Verbesserung der echtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Stellung der rau, also sie im Bildungs- und Ausbildungsbereich zu nterstützen. Dazu gehört aber vor allem, tragfähige irtschaftliche Strukturen zu ermöglichen, den Aufbau on sozialen Sicherungssystemen und Konzepten der ltersversorgung als Alternative zur Alterssicherung urch Kinderreichtum zu unterstützen. Das Kairoer Aktionsprogramm hat für uns in der Eu- opäischen Union durch die Osterweiterung eine Fort- chreibung erfahren. In der EU bestehen erhebliche Un- erschiede beim Zugang zu Diensten der reproduktiven esundheit, was sich unter anderem in einem einge- chränkten bzw. fehlenden Zugang zu Verhütungsmitteln iderspiegelt. Aufgrund fehlender Investitionen ver- chlechtert sich die Infrastruktur. Gestern, am Welt- idstag, wurden die dramatischen Zuwachszahlen bei en HIV-infizierten Menschen wieder einmal erhöht. Al- ein im Jahr 2003 gab es 4,8 Millionen Neuinfektionen. ir haben nicht zuletzt im Rahmen unserer Haushalts- eschlüsse zum BMZ-Haushalt weitere bilaterale inanzmittel zur HIV/Aidsbekämpfung und weitere 0 Millionen Euro für den Globalen Fond zur Bekämp- ung von HIV, Aids, Tuberkulose und Malaria bereitge- tellt. Aids ist nicht mehr eine Krankheit, die sich in ei- igen Regionen der Welt verbreitet; die alarmierenden ahlen aus Asien und Osteuropa belegen, dass Aids uns lle angeht! Ich bin dankbar, dass es uns im Ausschuss für wirt- chaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gelungen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13591 (A) ) (B) ) ist, zu einer gemeinsamen Beschlussempfehlung von SPD, Grünen und Unionsparteien zu kommen, die par- teiübergreifend deutlich macht, welche Anstrengungen wir gemeinsam bewältigen wollen, um das Bevölke- rungswachstum in Einklang mit der Armutsreduzierung zu bekommen. Lediglich die FDP hat diese Notwendig- keit noch nicht begriffen. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Als sich vor zehn Jah- ren gut 11 000 Teilnehmer aus über 180 Staaten dieser Welt zur „Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung“ in Kairo zusammensetzten, taten sie dies aus einem Motiv heraus: Sie wollten einen Plan er- arbeiten, der einen Wendepunkt in der Diskussion um die immer dringlicher werdenden Weltbevölkerungsfra- gen darstellen sollte. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass nicht nur die Zukunft der menschlichen Gesellschaft von die- ser Konferenz abhängt, sondern auch die Wirksam- keit der wirtschaftlichen Ordnung auf dem Plane- ten, auf dem wir leben. Das habe natürlich nicht ich gesagt, sondern der da- malige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali in seiner Eröffnungsrede zu dieser Konferenz. Er gab le- diglich wieder, was den Teilnehmern ein großes Anlie- gen war: die Probleme zu bewältigen, die mit und durch das rasante Weltbevölkerungswachstum der letzten 100 Jahre entstanden waren. Das war auch angebracht: In den letzten 100 Jahren hat sich die Weltbevölkerung nahezu vervierfacht. Gleichzeitig sank die Kindersterblichkeit und stieg die Lebenserwartung von Menschen auf allen Kontinenten. Zeitgleich lebten und leben jedoch immer mehr Men- schen in Armut, haben Frauen und Mädchen in patriar- chalisch geprägten Gesellschaften kaum Chancen auf ein eigenbestimmtes Leben, breitet sich HIV/Aids weiter ra- sant aus, sterben Frauen an den Folgen von Schwanger- schaft und Geburt. Diese Reihe könnte man immer wei- ter fortsetzen, aber ich will genau hier verharren. Jede Minute stirbt irgendwo auf der Welt eine Frau an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. In 99 Pro- zent aller Fälle stammt diese Frau aus einem Entwick- lungsland. Diese Zahl erscheint zu Recht erschütternd. Wenn auf dieser Konferenz also die Rede von morali- schem Handlungsbedarf und Solidarität mit gegenwärti- gen und zukünftigen Generationen war, dann erscheint dies durchaus berechtigt. Weltbevölkerungsfragen sind kein Thema, das für sich alleine steht. Es ist ein Querschnittsthema und be- trifft uns alle. Redet man vom Kairoer Aktionspro- gramm zur Weltbevölkerung, dann redet man von einem umfassenden Papier zur reproduktiven Gesundheit, das eine Vielzahl von Instrumenten umfasst. Es umfasst Se- xualaufklärungs- und Familienplanungsprogramme für Jugendliche und Familien – Männer wie Frauen wohl- gemerkt –, beinhaltet Gesundheitsvorsorge für Frauen und Mädchen vor, während und nach einer Schwanger- schaft sowie Aufklärung über und Behandlung von HIV/ Aids und anderen Geschlechtskrankheiten. Es beinhaltet n p e u d n n u s c b c d w F e t n „ g g m F k F i l u w t H 4 J t I c v W s S m d d b f i 3 s 8 F i p d (C (D icht Schwangerschaftsabbruch als Mittel der Familien- lanung! Wenn von Abtreibung die Rede ist, dann geht s darum, sie dort „sicher“ zu machen, wo sie legal sind, nd mangelhaft durchgeführte Abtreibungen zu vermei- en; sie wird aber niemals als Mittel der Familienpla- ung beschrieben. So weit zum reproduktiven und gesundheitsbezoge- en Teil des Aktionsprogramms. Der ergänzende Teil mfasst mehr als nur Ergänzungen! Er beinhaltet An- ätze zur Bildung und Ausbildung von Frauen und Mäd- hen, zu Maßnahmen, die zu ihrer Gleichberechtigung eitragen sollen, zu ihrer Involvierung in gesellschaftli- he, politische, rechtliche und wirtschaftliche Entschei- ungsprozesse. Der Begriff „Empowerment“ war hier egweisend. Es geht um die Erkenntnis, dass man rauen die Macht geben muss, über ihre Leben selbst zu ntscheiden und sie mit den entsprechenden Möglichkei- en auszustatten, um die Lebensqualität aller zu steigern. Was bedeutet das Kairoer Aktionsabkommen also ge- au? Kairo bedeutet vor allem Sexualaufklärung für alle! Für alle“ heißt, dass nicht nur Frauen und Mädchen auf- eklärt werden müssen, sondern auch Männer und Jun- en. Erwachsenen wie Jugendlichen muss deutlich ge- acht werden, welche Möglichkeiten sie im Bereich der amilienplanung haben und wie sie diese wahrnehmen önnen. Kairo bedeutet auch, die Gesundheitsversorgung für rauen und Mädchen zu verbessern. Die Entwicklungen n Europa haben gezeigt, dass durch geringere Säug- ings- und Kindersterblichkeit auch die Zahl der Kinder nd der Abstand zwischen den Geburten sinken. Ein eiterer positiver Effekt dabei ist, dass die Lebenserwar- ung und -qualität der Mütter steigt. Kairo bedeutet auch eine steigende Zunahme von IV/Aids-Präventions- und Behandlungsprojekten. ,9 Millionen Menschen haben sich allein im letzten ahr mit HIV infiziert. Das sind 13 425 Infizierungen äglich oder auch 560 pro Stunde bzw. neun pro Minute. n Afrika ist Aids inzwischen zur häufigsten Todesursa- he geworden. Weltweit steht es als Todesursache an ierter Stelle. Zeitgleich hat die Angst vor und auch das issen über HIV/Aids mit den Jahren stark nachgelas- en, was fatale Folgen hat: Allein in Afrika südlich der ahara ist jeder zehnte Erwachsene HIV-positiv! Das hat assive Folgen für die Familien in dieser Region, auf ie Gesellschaft und die Wirtschaft der einzelnen Län- er. Und auch in Asien, Lateinamerika und Osteuropa reitet sich die Immunschwäche weiter aus, zum Teil ast noch schneller, als wir uns vorstellen können. Allein n Osteuropa und Zentralasien hat es im letzten Jahr 60 000 Neuinfektionen gegeben. 50 000 Menschen tarben, während 1,5 Millionen infiziert sind. Mehr als 0 Prozent der HIV-Infizierten ist unter 30 Jahre alt. Die olgen können wir alle uns selbst ausmalen, das brauche ch nicht genauer darlegen. Das ABC-Konzept zur HIV/Aids-Prävention, gekop- elt mit Aufklärungsprogrammen, ist für die Umsetzung es Kairoer Aktionsprogramms daher genauso wichtig 13592 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) wie Programme zur Behandlung von HIV/Aids. Bei dem ABC-Konzept setzt man auf die drei Faktoren: A wie Abstinenz, B wie „be faithful“, also „sei treu“, und C wie „Condoms“ oder Kondome. Die Erfahrung zeigt – das leuchtet jedem ein –, dass alle drei Faktoren nach wie vor der beste Schutz vor Infektionen mit HIV bzw. Geschlechtskrankheiten sind. Und zwar in dieser Rei- henfolge: Abstinenz, Treue, Kondome. Wir müssen bei der Diskussion über die einzelnen Faktoren jedoch da- rauf achten, dass wir realitätsnah arbeiten, weil ansons- ten alle Bemühungen am Ziel vorbeigehen. Besonders Frauen infizieren sich zumeist über unge- schützten Sex. Die Rate der infizierten Frauen, gerade in Afrika und Osteuropa, die von ihrem Männern ange- steckt werden, ist hierbei enorm, ebenso die Zahl der bei Vergewaltigungen oder unfreiwilligem Geschlechtsver- kehr infizierten Frauen. Genau hier bietet Treue eben keine Hilfestellung mehr. Hier muss man mit Kondomen arbeiten. Das geht aber nur, wenn die Frauen stark genug sind, dies durchzusetzen. Daher ist es besonders wichtig, Frauen und Mädchen in eine Position zu setzen, die ih- nen ermöglicht, ihre Forderungen gegenüber dem ande- ren Geschlecht auch durchzusetzen. Stichwort ist hier „Empowerment“: Frauen muss die Macht gegeben wer- den, sich selbst, ihre Stellung und ihre Meinung in der Gesellschaft zu behaupten. Dies funktioniert eben nicht nur durch gesetzliche Regelungen, sondern muss auch durch Projekte gefordert werden. Kairo bedeutet also auch, Frauen, zum Beispiel durch Bildung, die Möglichkeit zu geben, sich über ihre eige- nen Wünsche und Bedürfhisse klar zu werden, einen Job oder Fähigkeiten zu erlernen, die ihnen ermöglichen, sich und ihre Familie zu ernähren und frei darüber zu be- stimmen, wie viele Kinder sie in welchen zeitlichen Ab- ständen haben möchten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass mit dem steigenden Bildungsgrad einer Gesellschaft die Geburtenrate sinkt. Wenn Gesellschaften lernen, dass nicht Kinder allein als Garant für eine sichere Zukunft dienen, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung ge- tan. Flankierende Maßnahmen können hier Mikrokredit- systeme sein, die Frauen mit den finanziellen Mitteln ausstatten, um sich selbstständig zu machen, aber auch Netzwerke, innerhalb derer Frauen Erfahrungen austau- schen und Mut schöpfen können. Nur wenn die Stellung der Frau und des Mädchens in der Gesellschaft gefestigt werden kann, werden grau- same und unmenschliche Handlungen gegenüber Frauen und Mädchen zu bekämpfen sein. Ich denke hier zum ei- nen an massenhafte Abtreibungen und die Ermordung von Mädchen zum Beispiel in Indien – diese „Politik“ hat in Indien inzwischen dazu geführt, dass etwa 20 bis 25 Millionen Frauen und Mädchen zu wenig vorhanden sind – oder an die Ein-Kind-Politik in China. Nur durch die Stärkung der Rolle der Frauen und Mädchen in der Gesellschaft wird es uns möglich sein, solche grausamen Vorgehensweisen zu verhindern. Ich denke aber auch an die schrecklichen Lebenszu- stände von Frauen in patriarchalisch geprägten Ländern. Wir müssen – und da spielt das Kairoer Abkommen eine bedeutende Rolle – die Stellung der Frauen und Mäd- c g m p g g d a W s M M t u s G k d V k w l t z h A t p d t A n S t i v S g n n n w 1 s f e v U g w t w „ (C (D hen nachhaltig so stärken, dass Genitalverstümmelun- en, Todesstrafen für vergewaltigte Opfer und Ehren- orde oder auch das totale Ausschalten jeglicher ersönlicher Freiheit in Privatleben wie Beruf bald Ver- angenheit sind. Auch das bedeutet Kairo. Was ist also passiert seit diesem wegweisenden Kon- ress in Kairo im Jahre 1994? Was hat sich verändert für ie Menschen in aller Welt? Nicht viel! Man könnte uch sagen, die Ergebnisse sind niederschmetternd. Das eltbevölkerungswachstum hat seither nicht nachgelas- en, eher im Gegenteil: Lebten 1987 noch 5 Milliarden enschen auf diesem Planeten, waren es 1999 schon 6 illiarden; der Trend hält an. Auch der Gesundheitssek- or verheißt keine großen Erfolge: Zwar ist die Kinder- nd Säuglingssterblichkeit gesunken, aber immer noch terben zu viele Frauen und Mädchen an unterlassener esundheitsvorsorge. Auch die Armut in der Welt onnte nicht bedeutend reduziert werden. Die Anzahl er Menschen, die täglich weniger als einen Dollar zur erfügung haben, ist zwar von 29 auf 24 Prozent gesun- en; aber dass bis 2015 eine Halbierung des Ausgangs- ertes erzielt werden kann, ist mehr als unwahrschein- ich. Die Zahl der HIV/Aids-Infizierten steigt immer wei- er. Zwar gibt es inzwischen einige Medikamente, die ur Behandlung eingesetzt werden können, aber auch ier dürfen wir uns nichts vormachen: Weder ist HIV/ ids heilbar, noch haben alle Menschen Zugang zu Mit- eln zur Prävention und bzw. oder zur Behandlung! Auch die Bildungsbemühungen des Kairoer Aktions- rogramms konnten nicht so erfolgreich umgesetzt wer- en wie erhofft. Immer noch gibt es zu viele Analphabe- en, die meisten davon in den Entwicklungsländern. Der nteil der Frauen, die weder lesen und schreiben kön- en, ist dabei der größte. Auch die Bemühungen, die tellung der Frauen und Mädchen zu stärken, sind nur eilweise von Erfolg gekrönt. Zwar haben einige Länder n Afrika inzwischen Gesetze beschlossen, die Genital- erstümmelungen verbieten, aber das hat wenig an der ituation der Frauen und Mädchen in der Gesellschaft eändert. Vielfach sind Frauen und Mädchen immer och die Leidtragenden, die weder Zugang zu Bildung och zu Aufklärung, Beruf, Besitz oder einfach nur ei- em Stück persönlicher Freiheit erlangen können. Woran liegt das nun? Der Wille, etwas zu verändern ar doch 1994 ganz offensichtlich vorhanden! Die 80 Länder, die in Kairo zusammentrafen – Industrie- taaten wie Entwicklungsländer – haben weit weniger inanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, als 1994 ver- inbart. Insgesamt wird jährlich nur gut ein Drittel der ereinbarten Summe bereitgestellt. Die USA haben ihre Zahlungen an den Fond der NFPA sogar gänzlich gestoppt. Grund dafür ist ihr enerelles Problem mit den Faktoren „Aufklärung“ so- ie „Kondom“ des ABC-HIV/Aidspräventionskonzep- es und dem Thema Schwangerschaftsabbruch, auch enn es sich hierbei nur um Leistungen handelt, die sie sicher“ machen, dort, wo sie legal sind. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13593 (A) ) (B) ) Vielfach fehlt aber nicht nur das leidige Geld. An vie- len Orten fehlt auch die notwendige „Manpower“. Ich denke da an ein Beispiel aus der eigenen Erfahrung: In Sambia ist genügend Geld vorhanden, um Maßnahmen zum Kairoer Aktionsprogramm durchzuführen. Dort mangelt es aber vor allem an einem: an ausgebildetem Personal für Krankenhäusern, für Beratungsstationen zu Aufklärung, Familienplanung und HIV/Aidsberatung, für Schulen und Ausbildungsstationen und für den Bau von Infrastruktur, um entlegene Dörfer an Gesundheits- und Bildungsstrukturen sowie sonstige Strukturen anzu- binden. All dies ist unvorstellbar, aber wahr. All dies erscheint wie ein Hohn für die Beteiligten der Konferenz von 1994 und aller derer, die sich für Weltbevölkerungsbelange einsetzen. Dies muss sich ändern! Der Deutsche Bundestag muss sich vehement für die Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms einsetzen. Nur so können die 1994 festgelegten Ziele erreicht wer- den. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schon in der Überschrift des Antrags, dem wir den Titel „Welt- bevölkerung und Entwicklung – zehn Jahre nach Kairo“ gegeben haben, zeigt sich die Verbindung von wirt- schaftlicher und sozialer Entwicklung. Genau darin lag der Verdienst der Konferenz in Kairo 1994, der „Interna- tional Conference on Population and Development“. Da- mit wurde von einem Begriff oder einer Idee von „Be- völkerungspolitik“ Abschied genommen, der in Teilen der Welt historisch belastet war und in anderen Teilen der Welt mit repressiven Maßnahmen verbunden war. Entwicklung und Wachstum der Weltbevölkerung wer- den also nicht isoliert betrachtet, vielmehr wird der Zu- sammenhang von wirtschaftlichen, sozialen, ökologi- schen und kulturellen Fragen hergestellt. Der Aktionsplan von Kairo formuliert also gewisser- maßen die Vorbedingungen, die gegeben sein müssen, wenn Einfluss auf das Wachstum der Bevölkerung ge- nommen werden soll. So werden folgerichtig als zentrale Zielsetzungen benannt: die Beseitigung der Armut; ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Rahmen einer Entwicklung, die auch die Einführung solidarischer Sozialversicherungssysteme vorsieht; Bildung, insbe- sondere für Mädchen; die Gleichstellung und Gleichbe- rechtigung der Geschlechter sowie der Schutz und die Förderung der Familie. Es haben sich seit Kairo durchaus Fortschritte für die soziale und wirtschaftliche Lage in Entwicklungsländern ergeben. So haben zwei Drittel der Länder, die an der Konferenz teilnahmen, politische und gesetzgeberische Initiativen zur Verbesserung der Gleichstellung von Frauen und Männern ergriffen. Fragen der Bevölke- rungsentwicklung werden systematischer, beispielsweise in Programme der Armutsbekämpfung – PRSP –, inte- griert. Gleichwohl bedarf es weiterhin einer langfristig angelegten Kooperation auf unterschiedlichen Feldern, um mit politischen Mitteln auf die Entwicklung der Be- völkerung Einfluss zu nehmen. g ü d r W M M i b W z d R f h c d b g S s s V s i K m f 4 n i I t r r e s F w d e K B b t h s e s i a d E (C (D Auch wenn die Weltbevölkerungsentwicklung von re- ionalen Unterschieden gekennzeichnet ist, lässt sich ein berragender Trend feststellen: Die Bevölkerung in In- ustrieländern stagniert weitgehend und die Bevölke- ung in Entwicklungsländern wächst. Nach Zahlen der eltbank leben heute von den mehr als 6 Milliarden enschen etwa 5 Milliarden in Entwicklungsländern. an wird annehmen dürfen, dass die Herausforderungen n der Zukunft nicht geringer werden. So geht die Welt- ank in den nächsten 25 Jahren von einer Zunahme der eltbevölkerung auf 8 Milliarden Menschen aus. Wie schnell und wie human sich dieser Prozess voll- ieht, wird von der Politik der Entwicklungsländer und er Industrieländer abhängen. So wurde in Kairo zu echt darauf hingewiesen, welche Bedeutung die Frauen ür die Entwicklung haben, sei es bezogen auf die Erzie- ung, auf die Schaffung von Einkommen oder auf die Si- herung der Grundbedürfnisse. Die Bundesregierung hat ieses Potenzial erkannt und fördert seit Jahren die Aus- ildung von Frauen und Mädchen, den verbesserten Zu- ang zu Gesundheitsdiensten, Aufklärungsprogramme. ie unterstützt Entwicklungsländer beim Aufbau des Ge- undheitssystems, der Sicherstellung notwendiger Ge- undheitsvorsorge. Dazu gehören auch Maßnahmen zur erbesserung der Hygiene und der medizinischen Ver- orgung von Mutter und Kind. In den Jahren 1994 bis 2002 hat die Bundesregierung nsgesamt über 1 Milliarde Euro für die Umsetzung des airoer Aktionsplans zur Verfügung gestellt. Sie hat in ehr als 150 Projekten Maßnahmen unterstützt. Heute ördert die Bundesregierung nationale Programme in 6 Ländern, drei Regionalprogramme und fünf überregio- ale Projekte. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Es st sehr zu hoffen, dass sich auch andere leistungsstarke ndustrienationen, die ihre Beiträge für den Kairoer Ak- ionsplan in den letzten Jahren leider sehr zurückgefah- en haben, wieder stärker engagieren. Außerdem unterstützt die Bundesregierung in mehre- en Entwicklungs- und Schwellenländern die Einführung ines solidarischen Kranken- und Altersversicherungs- ystems. Leider gilt noch immer in vielen Ländern die austregel: Wenn du im Alter über die Runden kommen illst, musst du es bis dann geschafft haben, mindestens rei gesunde Söhne großzuziehen. Erst die Einrichtung iner funktionierenden Altersversorgung, die nicht auf inderreichtum basiert, kann ein überdimensioniertes evölkerungswachstum stoppen. Maßnahmen der Ge- urtenkontrolle allein reichen nicht aus. Ulrich Heinrich (FDP): Obwohl das rasante Wachs- um der Weltbevölkerung, das im 20. Jahrhundert na- ezu zu einer Vervierfachung geführt hat, sich verlang- amt hat, rechnet man in den nächsten 50 Jahren mit inem weiteren Anwachsen auf 9 bis 13 Milliarden Men- chen weltweit. Von diesen Menschen werden 88 Prozent n den Entwicklungsländern leben. Diese Zahlen sind so larmierend, dass die Industrieländer ganz entschei- ende Mitverantwortung bei der Frage tragen, ob in der ntwicklungszusammenarbeit die Entwicklungsländer 13594 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) in die Lage versetzt werden, verantwortungsbewusst die notwendigen Bevölkerungsprogramme durchzuführen. Auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vor zehn Jahren ist es gelungen, die bislang oft isoliert be- trachtete Problematik des Wachstums der Weltbevölke- rung in einem Zusammenhang mit wirtschaftlichen, so- zialen, kulturellen und ökologischen Fragestellungen und anderen Aspekten nachhaltiger Entwicklung zu be- trachten. Die logische Folge war ein entsprechendes Ak- tionsprogramm über Bevölkerung und Entwicklung zu erarbeiten und zu unterzeichnen. Die wichtigsten Ziel- setzungen möchte ich hier noch einmal erwähnen: Besei- tigung der Armut, denn es besteht unbestreitbar ein di- rekter Zusammenhang zwischen der Armut eines Landes und seinem Bevölkerungswachstum; ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen unter Einschluss der Gründung von sozialen Sicherungssystemen; Bil- dung, insbesondere für Mädchen, denn dadurch können Mädchen und Frauen ihre soziale und wirtschaftliche Stellung in der Gesellschaft nachhaltig verbessern; die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den Schutz und die Förderung der Familie. Das Recht auf individuelle Familienplanung gehört zum Menschenrecht auf Gesundheit. Ich lege außeror- dentlichen Wert auf die Prinzipien der Freiwilligkeit, der Freiheit von Zwang und der Nichtförderung von Abtrei- bung als Familienplanungsinstrument. Es kann jedoch wegen fehlender Information zur Familienplanung, man- gelnder sexueller Aufklärung und absenten Angeboten reproduktiver Gesundheit oft nicht ausgeübt werden. So kommt es zu ungewollten Schwangerschaften, die einer- seits oft unter unhygienischen Bedingungen abgebro- chen werden und andererseits zum Wachstum der Bevöl- kerung beitragen. Viele Länder haben dies bereits erkannt, aufgrund von fehlenden Geldmitteln kommt es jedoch häufig nicht zur Umsetzung. Ich möchte einige Rahmenbedingungen für die Um- setzung nationaler Bevölkerungsprogramme nennen: Zunächst muss, wie schon erwähnt, die rechtliche, so- zialle und wirtschaftliche Situation der Frau verbessert werden. Frauen brauchen mehr Rechte und die Möglich- keit, diese auch durchzusetzen. Es ist nicht hinnehmbar, dass in vielen Entwicklungsländern die Gewalt gegen Frauen nicht strafrechtlich sanktioniert ist. Vergewalti- gungen, Geschlechtsverstümmelung und Missbrauch dürfen nicht straffrei bleiben. Das Selbstbewusstsein der Frauen in den Entwicklungsländern muss gestärkt wer- den. Frauen müssen das Recht und den Zugang zu Besitz und Eigentum, sowohl Land als auch Kapital, und somit zu unabhängigen Einkommen haben. Die positiven Er- fahrungen bei der Rückzahlung von Mikrokrediten zei- gen, dass Frauen äußerst effizient wirtschaften können. Daneben müssen die Bildungschancen von Mädchen und Frauen wesentlich verbessert werden. Zur Bildung gehört auch eine frühe sexuelle Aufklärung von Mäd- chen und Jungen unter Einbeziehung der Aspekte der Familienplanung. Des Weiteren ist der Aufbau von so- zialen Sicherungssystemen zur Alters- und Gesundheits- vorsorge notwendig. Wichtig ist, dass die Entschei- dungsträger einer Gesellschaft, also die politischen, religiösen und kulturellen Verantwortlichen die Zusam- m d T g d d g A n l G I g F K a F R s U g d s u z H H z l A h d s d G o m A A d d s m i v v g A v n (C (D enhänge der Demographie erkennen und danach han- eln. Ein paar Sätze will ich noch zu HIV/Aids sagen. Das hema kommt in dem Antrag ein wenig zu kurz, obwohl erade wir in unseren Projekten in den Entwicklungslän- ern immer wieder den Zusammenhang zwischen repro- uktiver Gesundheit und HIV/Aids herstellen. Beratun- en zur Familienplanung sollten stets auch mit der ufklärung über HIV/Aids einhergehen. Genauso kön- en Menschen, die zu einem HIV-Test oder zur Behand- ung kommen, über Zusammenhänge der reproduktiven esundheit informiert werden. Die Kondome, die eine nfektion mit dem HI-Virus verhindern, können auch un- ewollte Schwangerschaften verhindern. So wird jede amilienberatungsstelle auch zu einer Anlaufstelle im ampf gegen HIV/Aids. An dieser Stelle möchte ich das m 29. April diesen Jahres gegründete Parlamentarische orum für sexuelle und reproduktive Gesundheit und echte lobend erwähnen. Das Ziel dieses Forums, insbe- ondere Parlamentarierinnen und Parlamentariern zur nterstützung der Umsetzung des Kairoer Aktionspro- ramms aufzufordern und die Kooperation und Debatten er Parlamente zu fördern, verdient auch unsere ver- tärkte Aufmerksamkeit. Die Forderungen im vorliegenden Antrag werden von ns ausdrücklich unterstützt. Ich möchte am Schluss wei Empfehlungen aussprechen, die mir besonders am erzen liegen. Zum einen die reproduktive Gesundheit: ier müssen in den Entwicklungsländern mehr finan- ielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, gesundheit- iche Infrastrukturen werden benötigt und die sexuelle ufklärung der Jugend muss intensiviert werden. Damit ängt auch meine zweite Empfehlung zusammen: Es be- arf einer Schulpflicht für alle Kinder. Der Schulbesuch ollte gerade in den Entwicklungsländern kostenlos sein; enn ohne Bildung werden wir die Ziele des Kairoer ipfels zur Weltbevölkerung nicht erreichen. Aus allen ben genannten Gründen stimmen wir dem Gemeinsa- en Antrag selbstverständlich zu. nlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Abriss des Palastes der Republik nicht verzögern (Tagesordnungs- punkt 16) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): n dieser Stelle wurde am 4. Juli 2002 mit überraschen- er und Aufsehen erregender Klarheit der Wiederaufbau es Berliner Stadtschlosses an ursprünglicher Stätte be- chlossen. Dieser Beschluss steht und es lässt sich nichts ehr an ihm rütteln! Gerade deswegen kommen mir die mmer neuen Parlamentsbeschlüsse, die die Kollegen on der CDU/CSU anstreben, ziemlich kontraproduktiv or. Und nicht nur das: Mit der wiederholten Bekräfti- ung längst gefasster Beschlüsse entwerten wir frühere bstimmungen, anstatt sie aufzuwerten. Das hat etwas on ständig vorgebrachten Liebesbekundungen, bei de- en ja auch der Verdacht entstehen kann, dass der Spre- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13595 (A) ) (B) ) cher sich über seine eigenen Zweifel hinwegreden will – so als ob er sich selber nicht so recht traue. Aber es sollte keinen Zweifel an der Richtigkeit und demokratischen Autorität des Bundestagsbeschlusses zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses geben! Aus diesem Grund, nicht aus inhaltlichen Gründen, lehne ich den vorliegenden Antrag ab. Bis auf die Forde- rung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf dem So- ckel des alten Nationaldenkmals – meines Erachtens eine unnötige und illusorische Verkomplizierung des Verfahrens – stimme ich dem Antrag inhaltlich in vielen Punkten zu. Nur ist in der derzeitigen Situation die Bun- desregierung der absolut falsche Adressat für die berech- tigte Beschwerde, dass die Umsetzung des Bundestags- beschlusses zu langsam vorangeht. Wie wir alle wissen, hängt das Verfahren in den Berliner Landesbehörden fest. Das liegt an einer Mischung aus Verwaltungsfeh- lern und Unwillen: Der Fehler beim nun rechtsstreitig gewordenen Vergabeverfahren für den Abriss des Palas- tes der Republik ist nur einer von vielen handwerklichen Fehlern des Berliner Senats. Man muss kein Verschwö- rungstheoretiker sein, um sie in Zusammenhang mit den nostalgischen Äußerungen des Berliner Kultursenators zu stellen, wonach der Palast der Republik ein „utopi- sches Zukunftsmodell“ sei; denn dass im Berliner Senat auch sonst sehr lax mit dem Bundestagsbeschluss umge- gangen wird, ließ sich auch aus Zeitungsmeldungen der letzten Tage über die vom Förderverein Berliner Schloss e. V. beantragte und privat finanzierte Infobox entneh- men: Offenbar zeigt der Berliner Senat hier keinen Ko- operationswillen, obwohl beim Bundestagsbeschluss 2002 die Notwendigkeit privater Spenden für den Wie- deraufbau des Berliner Schlosses ausdrücklich betont wurde. Ich verstehe nicht, wie man in Berlin in diesem Fall mit bürgerschaftlichem Engagement umgeht, und auch nicht, wie man die touristische Attraktivität einer solchen Informationsstätte ignorieren kann. Zu den Verzögerungen hat auch der Hauptstadtkultur- fonds einiges beigetragen: Mit der Förderung eines Kes- sels voller bunter Szene-Events im Palast der Republik hat er diesen Bau aufgewertet und praktisch versucht, den Bundestagsbeschluss zu unterlaufen. Doch der kul- tige Zeitgeist neigt sich nun dem Ende entgegen: Selbst die „taz“ – eine Zeitung, die jener „Szene“ nahe steht, in deren Namen der Hauptstadtkulturfonds und der „Verein Zwischenpalastnutzung“ zu handeln behaupten – stellt fest, dass der Neuigkeits- und Qualitätsstandard bereit sinkt. Ich zitiere die „taz“ vom 11. November 2004: In den enormen Ausmaßen des Hauses schrumpfte so manch aufgeplustert angekündigtes Kunstwerk zum Kunstzwerg … Die Kunst wirkte jedoch meist wie eine Mücke, die einen Elefanten zu stechen versucht. Am besten funktionierte der Palast als Großraumdisko oder Event-Location. Der Mythos des Ortes hatte sich schon nach kurzer Zeit ver- braucht. Der Artikel schließt, indem er die historische Absurdität dieser Kulturevents beim Namen nennt: „1990 wählte die DDR die D-Mark und Helmut Kohl. Jetzt wollen W H w k s L e B d g A n n d l P b e h B n i d r s z e s e K D c g d S d g j v w p F n ü Ü d i g s W t (C (D estler Honeckers Palast als Symbol der deutschen auptstadt erhalten.“ Also können wir uns nun endlich primär um die ver- altungsmäßige Umsetzung des Bundestagsbeschlusses ümmern. Dazu brauchen wir nicht ständig neue Ab- timmungen, sondern vor allem den Willen der Berliner andesregierung, sich verantwortungsbewusst an den indeutigen, nun zweieinhalb Jahre zurückliegenden undestagsbeschluss zu halten! Petra Pau (fraktionslos): Die CDU/CSU hatte vor er Sommerpause auf einen zügigen Abriss des ehemali- en Palastes der Republik gedrängt. Dann kreiste der ntrag durch drei Ausschüsse. Nun ist er wieder im Ple- um, mit der jeweils mehrheitlichen Empfehlung, ihn icht anzunehmen. Die PDS im Bundestag unterstützt as. Wir werden den CDU/CSU-Antrag also erneut ab- ehnen. Wir lehnen den Antrag übrigens nicht nur wegen der alast-Frage ab, auf die ich gleich zurückkomme. Im sel- en Antrag begehren ehemalige Bürgerrechtler der DDR in Einheits- und Freiheitsdenkmal in eigener Sache. Sie aben inzwischen in der CDU ihre Heimstatt. Andere ürgerrechtler – aus der DDR und der BRD – wollen das icht, sie halten das sogar für höchst peinlich, und – wie ch finde – aus besseren, weil nachvollziehbaren Grün- en. Nun zum eigentlichen Kern: Letztlich geht es ja da- um, den Palast der Republik zu schleifen und stattdes- en einen Neubau in der Kubatur des Berliner Schlosses u errichten. Wir kennen das Pro und Kontra. So wurde s aber am 4. Juli 2004 im Bundestag mit Mehrheit be- chlossen. So weit, so gut oder schlecht. Interessant ist twas anderes: Die CDU/CSU preist sich gern als bester assenwart Deutschlands. Ausgerechnet in der Palast- ebatte straft sie ihr Selbstlob Lügen. Alle, in Berlin und im Land, wissen: Niemand hat lo- ker vom Hocker zig Millionen Euro überflüssig, um anz schnell den Palast zu schleifen. Und niemand hat ie Beträge in dreistelliger Millionenhöhe für eine chloss-Attrappe. Nur die CDU/CSU tut so, als gäbe es as Problem nicht. Das aber drängt zu dem Schluss: Es eht der CDU/CSU gar nicht so sehr um das reale Pro- ekt „Ich bau dir ein Schloss!“. Es geht der CDU/CSU ielmehr um das ideologische Projekt „Der Palast muss eg!“. Frau Lengsfeld schickt ähnliche geladene Pam- hlete durch die Welt. Damit dürften sie sich aber zunehmend weniger reunde machen. Übrigens auch die Fraktion Bünd- is 90/Die Grünen nicht, die sich im Ausschuss ebenfalls ber die Zwischennutzung des Palastes empört hat. berraschend viele Berlinerinnen und Berliner sehen as anders. Seit der sanierte Rohbau als „Volkspalast“ m Sommer wiedereröffnet und mit vielfältiger Kultur enutzt wird, kamen über 50 000 Besucherinnen und Be- ucher. Das zeigt: Das Zwischennutzungskonzept lebt. arum also wollen sie unbedingt aktive Sterbehilfe leis- en, noch dazu gegen den Willen der Patienten? 13596 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Mein Schlusssatz stammt von den „Einstürzenden Neubauten“, einer Berliner Band, die jüngst im „Volks- palast“ ein gefragtes Konzert gab. Der Sänger wurde ge- fragt, ob die Musiker – als „Einstürzende Neubauten“ – für den Palast-Abriss spielen. Seine Antwort: „Ich bin für den Abriss des noch nicht wieder aufgebauten Schlosses!“ Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes (Tagesord- nungspunkt 17) Dr. Marlies Volkmer (SPD): Eine wesentliche Säule jeder medizinischen Behandlung ist eine sichere und wirksame, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimitteltherapie. Sie gehört zu den Kernkompeten- zen der deutschen Krankenhäuser. Die Patientinnen und Patienten vertrauen einer hochwertigen medizinischen Versorgung im Krankenhaus, und dies zu Recht. Dass dies auch zukünftig so bleibt, ist ein wichtiges Anliegen der Koalition. Die Novellierung des Apothekengesetzes ist nötig, denn die Europäische Kommission hat bereits ein EU- Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Wir kommen mit dem Gesetzentwurf einer Klage zuvor, die den deutschen Steuerzahler viel Geld kosten würde. Die ortsgebundene Arzneimittelversorgung der Kran- kenhäuser verstößt gegen europäisches Recht. Gleich- wohl hat sich diese Praxis bewährt. Wir müssen daher mit unserem Gesetz dafür sorgen, dass Anbieter nicht von der Versorgung der Krankenhäuser ausgeschlossen werden und dass die hohe Qualität der bisherigen Arz- neimittelversorgung gewährleistet bleibt. Der Koalition war und ist die Tätigkeit des Apothe- kers im Krankenhaus sehr wichtig. Dies hat sie im Jahr 2000 mit der Novellierung der Approbationsordnung für Apotheker unter Beweis gestellt. Seitdem ist die Klini- sche Pharmazie Pflicht- und Prüfungsfach. Wegzuden- ken aus dem Klinikalltag ist der Krankenhausapotheker auch in Zukunft nicht – lediglich die Rahmenbedingun- gen für seine Tätigkeit werden sich ändern. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung erhält jeder Apotheker des europäischen Wirtschaftsraumes das Recht, deutsche Krankenhäuser mit Arzneimitteln zu versorgen. Die Krankenhäuser können Verträge mit Apotheken im In- und Ausland abschließen. Diese Ver- träge müssen strengen gesetzlichen Anforderungen ge- nügen. Ob die Bedingungen erfüllt werden, muss von den Länderbehörden vor der Genehmigung des Vertra- ges geprüft werden. Wichtige Aufgaben, insbesondere die Beratung des Klinikpersonals, müssen ausdrücklich auch weiterhin von einem Apotheker wahrgenommen werden. o i d r w i z d i t K r d r n o g w p t f a v s K s § t s v n r V d d V d d n l d a m m D d s e d d ü g s v (C (D Im Detail werden wir darüber zu diskutieren haben, b die Präsenz der Versorgerapotheke im Krankenhaus n jedem dringenden Fall sichergestellt ist. Und wir wer- en erörtern müssen, ob die hohen deutschen Anforde- ungen an die Arzneimittelsicherheit gewährleistet sind, enn für die Vertragsapotheke im Ausland die Maßstäbe hres Herkunftslandes gelten. Sicher ist: Auch weiterhin wird qualifizierter pharma- eutischer Sachverstand in das Klinikgeschehen und in ie Therapiekonzepte eingebunden sein. Die Koalition st im Interesse der Patientinnen und Patienten verpflich- et, die hohe Qualität der Arzneimittelversorgung im rankenhaus weiterhin zu gewährleisten. Michael Hennrich (CDU/CSU): Die Bundesregie- ung hat mit vorgelegtem Gesetzentwurf in vorauseilen- em Gehorsam auf eine von der EU-Kommission einge- eichte Klage gegen Deutschland gehandelt. Die ationale Regelung des Apothekengesetzes über die rtsgebundene pharmazeutische Krankenhausversor- ung ist der Stein des Anstoßes. Die EU-Kommission irft Deutschland vor, durch Anwendung des Regional- rinzips der Krankenhausversorgung (in § 14 des Apo- hekengesetzes verankert), gegen die EG-Vorschrift über reien Warenverkehr zu verstoßen, weil es Apotheken us anderen EU-Mitgliedstaaten von der Arzneimittel- ersorgung deutscher Krankenhäuser ausschließt. Dazu muss man wissen: Die Initiative der Kommis- ion geht auf die Beschwerde eines großen deutschen rankenhauskonzerns zurück, der über Tochtergesell- chaften mehrere Krankenhäuser betreibt und sich durch 14 ApoG an einer konzernübergreifenden Arzneimit- elbeschaffung über eine einzige Apotheke gehindert ieht. Ich erinnere an das „Doc-Morris-Urteil“ des EuGH om vergangenen Jahr: Damals hat Deutschland auch icht das Urteil des EuGH abgewartet, sondern in vo- auseilendem Gehorsam aus Angst vor einer drohenden erurteilung durch den EuGH auf die Aufhebung des eutschen Versandhandelsverbotes für Arzneimittel ge- rängt. Letztendlich entschied der EuGH, dass nationale erbote des Versandhandels mit Arzneimitteln nur dann em Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufen, wenn es sich abei um auf dem deutschen Markt zugelassene und icht verschreibungspflichtige Mittel handelt. Bezüg- ich verschreibungspflichtiger Medikamente ist nach em Urteil ein nationales Versandhandelsverbot durch- us möglich. Der EuGH begründet diese Differenzierung it einer gesteigerten Missbrauchsgefahr und der da- it verbundenen bestehenden Gesundheitsgefahren. eutschland aber hat im Vorfeld des Urteils aufgrund er Verabschiedung des Gesundheitsmodernisierungsge- etzes ab Januar 2004 den Versandhandel grundsätzlich rlaubt. Ich will an dieser Stelle gar nicht verschweigen, ass die Union das Gesetz mitgetragen hat. Wir haben eshalb dafür selbstverständlich auch Verantwortung zu bernehmen. Es muss aber deutlich betont werden, dass erade die Bundesregierung auf die Aufhebung des Ver- andhandelsverbotes gedrängt hat und dies maßgeblich orangetrieben hat. Das Resultat ist, dass in Deutschland Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13597 (A) ) (B) ) die langjährige, gut funktionierende Apothekenstruktur zerschlagen wird – und das völlig ohne Not. Deswegen hätte ich erwartet, dass die Bundesregie- rung im vorliegenden Fall erst einmal das EuGH-Urteil abgewartet hätte. Es gäbe genügend Beispiele zu nen- nen, wo Deutschland sich nicht vor Auseinandersetzun- gen mit der EU-Kommission scheut. Nehmen wir nur die Verletzung des Stabilitätspaktes durch Deutschland. In seiner Not windet sich Finanzminister Eichel, redet die finanzielle Situation schön und die Risiken klein. In einer unglaublichen Art wird versucht, sich über die Runden zu retten. Hier zeigt die Bundesregierung ein di- ckes Fell, allen Warnungen zum Trotz. Deshalb frage ich Sie heute: Warum warten wir im jetzigen Fall nicht erst einmal das Urteil des EuGH ab? Warum wieder ein Schnellschuss? Für mich liegt gerade durch dieses Beispiel klar auf der Hand, dass die Bun- desregierung für die Apotheker und gerade für die mit- telständischen Apotheker nichts übrig hat. Dieser Vor- gang ist ein mehr als bedauerliches Zeichen. Noch etwas: Selbst wenn eine nationale Regelung ge- gen die Warenverkehrsfreiheit verstößt, kann sie ge- meinschaftsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Maßnahme sich auf einen der in Art. 30 EG-Vertrag verankerten Ausnahmegründe stützen kann, insbesondere wenn sie zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren gerechtfertigt ist. Der EuGH zählt zu diesen Ausnahmen zum Beispiel das Ziel der Aufrechterhaltung einer quali- tativ hochwertigen, ausgewogenen sowie allen zugäng- lichen ärztlichen Versorgung, soweit es zur Erzielung eines hohen Gesundheitsschutzes beiträgt. Diese Not- wendigkeit hätte die Bundesregierung in den von der Kommission geforderten Stellungnahmen sicher auch deutlicher herausstellen können. Wir haben nämlich in Deutschland das Regionalprinzip Anfang der 80er-Jahre eingeführt als Mittel, welches ausschließlich der Qualität der Arzneimittel dienen soll. Mit der Einführung des Re- gionalprinzips wurde bewusst auf die negativen Erfah- rungen reagiert, die mit Arzneimittellieferungen an Krankenhäuser über weite Entfernungen und mit einer unkontrollierten Lagerung auf den Stationen der Kran- kenhäuser gemacht wurden. Vorschriften, die der Qualität der Arzneimittelversor- gung dienen, dienen zugleich dem Schutz der Gesund- heit von Menschen. Dem Regionalprinzip kommt eben diese Aufgabe zu, da es eine räumliche Beziehung zwi- schen dem zu versorgenden Krankenhaus und der ver- sorgenden Apotheke gewährleistet. Erst durch diese räumliche Nähe wird eine Arzneimittelversorgung mög- lich. Der Begriff der „Arzneimittelversorgung“, den Art. 14 ApoG in der geltenden Fassung für die Kranken- hausversorgung zugrunde legt, geht nämlich weit über die bloße Bereitstellung bzw. Lieferung eines Arzneimit- tels hinaus. Hierzu zählen die besondere berufliche Qua- lifikation, die nahe therapeutische Zusammenarbeit, die auf besondere Bedingungen zugeschnittene Präparate- auswahl, die sachgerechte Information und Produktkon- trolle, die Akutversorgung und vieles mehr. Die Qualität d t t h E e p z m v p – g m m m g k i k n W w v g m b e U t d v h w B d G r S K t d d a E V s t b m l g u k (C (D er Krankenhausversorgung mit Arzneimitteln ist unmit- elbar davon abhängig, dass ein verantwortlicher Apo- heker über alle pharmazeutischen Fragen im Kranken- aus vollständig informiert ist. So ist es ihm möglich, rfahrungen unmittelbar in Auswahl- und Beschaffungs- ntscheidungen sowie seine Beratung des Krankenhaus- ersonals und der Patienten einfließen zu lassen. Werden ukünftig Regelbelieferung, Akutversorgung und phar- azeutische Dienstleistungen in möglicherweise drei erschiedene Hände gelegt, sind Qualitätseinbußen vor- rogrammiert. Eine Vielzahl internationaler Studien belegt zudem und ich verstehe nicht, warum das von der Bundesre- ierung nicht beachtet wurde –, dass die klinische Phar- azie, der Apotheker vor Ort, die Qualität der Arznei- ittelversorgung und deren ökonomische Effizienz essbar fördert. Aus diesem Grund regeln einzelne Mit- liedstaaten die Pflicht zur Anwesenheit von Apothe- ern in Krankenhäusern sogar deutlich strenger, als es m deutschen Recht bislang vorgesehen ist. Der nun vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, dass zu- ünftig pharmazeutische Dienstleistungen über elektro- ische Medien oder Telefon gewährleistet werden. Des eiteren ist es für ein Krankenhaus völlig inakzeptabel, enn eine im EU-Ausland beheimatete Apotheke zwar erpflichtet sein soll, unverzüglich für die Akutversor- ung zu liefern, es aber völlig offen ist, wann die Arznei- ittel die Klinik tatsächlich erreichen. Außerdem ist zu efürchten, dass wegen der zukünftig möglichen neben- inander existierenden europaweiten Bezugsquellen der mfang von Arzneimittelproblemen sowie Arzneimit- elfälschungen zunehmen wird. Ich möchte an dieser Stelle auch auf die Resolution es Marburger Bundes hinweisen, in der eindringlich or einer Reduzierung der Arznei – und Patientensicher- eit durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung ge- arnt wird. Im Übrigen hat am gestrigen Mittwoch der undesrat nicht nur mit den Stimmen der B-Länder, son- ern auch mit Unterstützung der meisten A-Länder den esetzentwurf abgelehnt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregie- ung sich entschlossen hat, ein gut funktionierendes ystem, das neben einem Gewinn an Sicherheit auch osteneinsparungen gebracht hat, zulasten der Quali- ätssicherung für unsere Bürger aufzugeben. Die Bun- esregierung hat voreilig und damit nachlässig im Sinne er eigenen nationalen Interessen gehandelt. Ich sage es bschließend noch einmal: Man hätte ohne Zeitdruck das uGH-Urteil abwarten können, zumal Art. 30 des EU- ertrages Beschränkungen im Sinne des Gesundheits- chutzes zulässt und eigene nationale Regelungen ge- roffen werden können. Das Abwarten des EuGH-Urteils öte die Möglichkeit, auf Grundlage der aktuellen ge- einschaftsrechtlichen Rechtsprechung nationale Rege- ungen zu schaffen, die auf das Gemeinschaftsrecht zu- eschnitten sind und größtmöglichen Patientenschutz nd bestmögliche Versorgungssicherheit für die Kran- enhäuser gewährleisten. 13598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Gestatten Sie mir bitte einige allgemein-politische Bemerkungen, bevor ich auf den eigentlichen Inhalt des Gesetzentwurfes eingehe. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unternimmt die Bundesregierung zum wiederholten Mal den Versuch, sowohl Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern als auch den deutschen Mittelstand im Allgemeinen und freibe- rufliche Strukturen im Besondern zu schwächen. Wenn man sich in diesem Zusammenhang an die Äußerung des Bundeskanzlers vom März dieses Jahres erinnert, als er den Aufruf der deutschen Wirtschaft zur Jobverlagerung ins Ausland als „unpatriotisch“ bezeichnete – die „Welt“ vom 23. März 2004 –, so heißt das doch letztendlich nichts anderes, als dass die Bundesregierung das Gegen- teil von dem tut, was sie sagt. Ich bin gespannt, wie die Bundesregierung mit diesem Spagat fertig werden will. Das Gleiche gilt für den Mittelstand. Einerseits ver- kündet der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung Rezzo Schlauch im Bundestag: „Wir haben die Situation des Mittelstandes verbessert und werden sie auch weiter- hin verbessern“ – Protokoll vom 27. Mai 2004 –, ande- rerseits schafft sie, zum Beispiel mit diesem Gesetz, die Voraussetzungen dafür, dass mittelständische Strukturen in Deutschland vernichtet werden. Was nutzen großartig angelegte und öffentlichkeits- wirksam aufgezogene Ausbildungsoffensiven, wenn die Bundesregierung ohne zwingende Notwendigkeit dem Wirtschaftszweig in unserem Land schadet, der die meisten Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, nämlich dem Mittelstand. Oder ist der Bundesregierung ein- schließlich der sie tragenden Fraktionen entgangen, dass neben den Krankenhausapotheken vor allem die kran- kenhausbeliefernden Apotheken davon betroffen sind, wenn die Krankenhausbelieferung mit Arzneimitteln aus dem Ausland erfolgt? Aber nicht nur Arbeitsplätze in Deutschland und der deutsche Mittelstand bleiben auf der Strecke, sondern auch wichtige Aspekte der Arzneimittelversorgung. Nicht umsonst hat sich der Marburger Bund am 6. No- vember dieses Jahres gegen den Gesetzentwurf ausge- sprochen und festgestellt, dass die „vorgesehene Tren- nung der pharmazeutischen Beratung von der Arzneimittellieferung unweigerlich zur Reduzierung der Arzneimittel- und Patientensicherheit führen würde, weil dem Krankenhausarzt ein wichtiges Instrument für seine Therapieentscheidung verloren geht und damit sein Verantwortungsrisiko erhöht wird.“ Und damit sind auch die größten Schwachstellen des Gesetzentwurfes genannt: Die Vernachlässigung der pharmazeutischen Beratung und der Arzneimittelsicher- heit. Arzneimittelsicherheit in Krankenhäusern kann doch nicht dadurch erreicht werden, dass ein Apotheker einmal im Monat einen Besuch in einem Krankenhaus abstatten muss. Arzneimittelsicherheit in Krankenhäu- sern kann auch nicht dadurch erreicht werden, dass ein Apotheker in dringlichen Einzelfällen erst innerhalb von 24 Stunden für eine persönliche Beratung zur Verfügung stehen muss. r S w d k g J k B e s n r h E „ t a n s t s l H V n s K s s n m d d z s s G t d k u d S B d l c m P f n i l (C (D Interessant ist, dass eine SPD-geführte Bundesregie- ung jetzt das zurücknehmen will, was eine ebenfalls PD-geführte Bundesregierung eingeführt hat. Erinnern ir uns an die Regierungszeit von Helmut Schmidt, in ie die Einführung des Regionalprinzips bei der Kran- enhausbelieferung mit Arzneimitteln fällt. In der Be- ründung der Novelle zum Apothekengesetz aus dem ahr 1977 ist nämlich zu lesen: „Durch die Beschrän- ung der Versorgung auf einen abgegrenzten räumlichen ereich wird eine schnelle Zustellung der Arzneimittel rmöglicht und die zuständige Behörde in die Lage ver- etzt, einen Überblick über den Versorgungsbereich ei- er Krankenhausapotheke zu behalten.“ Also halten wir fest: Die SPD-geführte Bundesregie- ung will eine „schnelle Zustellung“ und ermöglicht da- er auch eine Belieferung zum Beispiel aus Malta oder stland. Die SPD-geführte Bundesregierung will den Überblick“ gewährleisten und meint, dass das ein Apo- heker leisten kann, der einmal im Monat zum Beispiel us Zypern eingeflogen wird. In diesem Fall sollten ei- ige Mitarbeiter in unseren Krankenhäusern vorsorglich chon einmal Griechisch lernen. Zwar stand im Referen- enentwurf noch, dass Deutschkenntnisse erforderlich ind, im vorliegenden Gesetzentwurf ist dieser Passus al- erdings gestrichen worden. Einzig und allein ein kurzer inweis in der Begründung ist übrig geblieben: „Vom orliegen der erforderlichen deutschen Sprachkennt- isse für die jeweilige Beratung wird ausgegangen. Sie ind gegebenenfalls durch den Träger des jeweiligen rankenhauses verifizierbar.“ Was den Gesetzentwurf in Gänze angeht, hat ja inzwi- chen auch der Gesundheitsausschuss des Bundesrates eine mehrheitliche Ablehnung signalisiert, und zwar icht nur mit den Stimmen der B-Länder, sondern auch it der Mehrheit der SPD-geführten Bundesländer. In er Begründung heißt es unter anderem: „Die bestehen- en, auf regionalen Strukturen basierenden Regelungen ur Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern haben ich in Bezug auf Versorgungsqualität und Versorgungs- icherheit eindeutig bewährt. Es besteht daher kein rund, diese bewährten Regelungen vorschnell zuguns- en von Bestimmungen zu ändern, die sich nachteilig auf ie Akutversorgung von Krankenhäusern auswirken önnen.“ So bleibt mir zum Schluss nur, der Bundesregierung nd den Regierungsfraktionen den guten Rat zu geben, en vorliegenden Gesetzentwurf zurückzuziehen und im inne der Empfehlung des Gesundheitsausschusses des undesrates zu handeln, die da lautet: „Ein Abwarten es EuGH-Urteils bietet die Möglichkeit, auf der Grund- age der aktuellen gemeinschaftsrechtlichen Rechtspre- hung nationale Regelungen zu schaffen, die auf das Ge- einschaftsrecht zugeschnitten sind und größtmöglichen atientenschutz und bestmögliche Versorgungssicherheit ür die Krankenhäuser gewährleisten.“ Und dass natio- ale Regelungen durchaus möglich sind, hat der EuGH n seinem Versandhandelsurteil festgestellt. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus- öser der vorliegenden Änderung des Apothekengesetzes Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13599 (A) ) (B) ) ist ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Union gegen die Bundesrepublik Deutschland. Es be- steht somit konkreter und zeitnaher Handlungsbedarf. Die bisherige Regelung, wonach dort, wo keine Kran- kenhausapotheken existieren, nur Apotheken aus dem eigenen oder einem angrenzenden Landkreis ein Kran- kenhaus versorgen können, wird von der EU als nicht mit Art. 28 – freier Warenverkehr – vereinbar angese- hen. Im Gegensatz zum Gesundheitsausschuss des Bun- desrates sind wir nicht der Meinung, man solle erst eine Verurteilung im Vertragsverletzungsverfahren abwarten, bevor man handelt. Diese Art des Aussitzens ist nicht unsere Politik. Auch in der Sache spricht nichts dafür, wettbewerbsfeindliche Regelungen in der Arzneimittel- versorgung zu verteidigen. Halten wir uns vor Augen, welche Ziele damals zu dieser Regelung geführt haben. Es waren die zeitnahe Lieferung von Medikamenten und die Möglichkeit der ortsnahen Beratung von Krankenhausstationen sowie Ärzten und Ärztinnen. Diese beiden Ziele sind auch zu- künftig handlungsleitend. Aus grüner Sicht kann ich nicht erkennen, wieso ein Versorgungsmonopol einer zu- fällig ortsansässigen Apotheke dafür das richtige Instru- ment sein sollte. Wettbewerb sorgt für Qualität und Wirt- schaftlichkeit, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das vorliegende Gesetz wählt eine Lösung, bei der die pharmazeutische Logistik und Beratung getrennt werden können. Dies erscheint uns sinnvoll. Nationaler und EU-weiter Wettbewerb bei der Belieferung von Krankenhäusern mit Medikamenten wird dadurch mög- lich, die zeitnahe und abgestimmte Belieferung der Krankenhäuser mit den benötigten Arzneimitteln bleibt gewährleistet. Um eine möglichst optimale und indivi- duelle pharmazeutische Versorgung der Krankenhauspa- tienten und -patientinnen sicherzustellen, ist darüber hi- naus eine Hand in Hand gehende pharmazeutische Beratung der Ärzte und Ärztinnen notwendig. Medizini- sches und pharmazeutisches Wissen müssen sich bei der Behandlung der Patienten und Patientinnen ergänzen. Der Blick ins europäische Ausland, zum Beispiel Groß- britannien und die Niederlande, zeigt, dass dort eine en- gere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Ärztinnen und Pharmazeuten und Pharmazeutinnen Praxis ist. Wir werden im parlamentarischen Verfahren prüfen, ob die vorgesehen Regelungen im Sinne des Schutzes von Pati- enten und Patientinnen ausreichen oder für die pharma- zeutische Beratung genauere Vorgaben notwendig sind. Zusammengefasst: Der Handlungsbedarf im Hin- blick auf die Arzneimittelversorgung im Krankenhaus steht außer Frage. Wettbewerbliche Öffnung ist notwen- dig. Über die Rahmenbedingungen werden wir beraten. Detlef Parr (FDP): Der Gesetzentwurf dient dem Ziel, zukünftig die Belieferung von Krankenhäusern durch jede europäische Apotheke vom Grundsatz her zu ermöglichen. Die Bundesregierung argumentiert damit, dass der Bundesrepublik anderenfalls ein EU-Vertrags- verletzungsverfahren vor dem EuGH drohen würde, weil das bundesdeutsche Apothekengesetz vorsieht, dass Krankenhäuser nur von Apotheken beliefert werden dür- f g d r v d r o A K d a c s F z w d l d r k e d e l K R e k A ü A s t k w B „ s w a t R p d d K s s e E s h (C (D en, die im selben oder im benachbarten Landkreis lie- en. Hintergrund dieser Regelung ist die Befürchtung, ass anderenfalls keine Ordnungsmäßigkeit der Liefe- ungen garantiert werden könnte. Dies ist ein Aspekt, der or dem Hintergrund der immer stärker um sich greifen- en Arzneimittelfälschungen nicht aus dem Auge verlo- en werden darf. Die Sicherheit von Arzneimitteln muss berste Priorität haben. Das gilt ganz besonders für die rzneimittel, die bei schweren Erkrankungen in den rankenhäusern eingesetzt werden. Die CDU/CSU-geführten Bundesländer haben ange- eutet, dass sie zunächst ein Verfahren vor dem EuGH bwarten wollen, um in Erfahrung zu bringen, in wel- hen Punkten ganz konkret die EU Änderungsbedarf ieht. Es spricht einiges dafür, so zu verfahren. Auf jeden all halten wir eine Anhörung im Gesundheitsausschuss u dieser Thematik für erforderlich. Dort muss geklärt erden, ob ohne jeden Zweifel belegt werden kann, dass ie Arzneimittelsicherheit durch die angestrebte Rege- ung wie bisher gewährleistet werden kann. Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei er Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Siche- ung: Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Apothe- engesetzes beweist die Bundesregierung einmal mehr ntschlossenes Handeln. Die Opposition zeigt kurz nach em gesundheitspolitischen Offenbarungseid der Union rneut: Bei ihr herrscht Konfusion in der Gesundheitspo- itik. Unser Gesetzentwurf sieht vor, die Versorgung der rankenhäuser mit Arzneimitteln an das europäische echt anzugleichen. Bisher wurden die Krankenhäuser ntweder von eigenen Krankenhausapotheken mit Medi- amenten versorgt oder sie haben dafür Verträge mit potheken vor Ort abgeschlossen, die diese Versorgung bernommen haben. Diese Praxis der ortsgebundenen rzneimittelversorgung hat sich bewährt. Nur leider ver- tößt sie nach Ansicht der EU-Kommission gegen gel- endes Recht, nämlich gegen die Freiheit des Warenver- ehrs im europäischen Wirtschaftsraum. Eines geht es aber nicht: Man kann sich nicht ständig, ie die Opposition das tut, hinstellen und sagen: „Die undesregierung missachtet europäisches Recht!“ oder Wir sind die besseren Europäer!“ Das schwingt immer o ein bisschen bei der Opposition mit, vor allem bei den enigen Damen und den vielen Herren der Union. Dann ber, wenn die Regelungen der EU für die eigene Klien- el unangenehm werden, betrachten Sie das europäische echt nicht mehr als bindend. Diese Art der Rosinen- ickerei lassen wir nicht zu. Unser Gesetzentwurf beruht auf einer Verständigung, ie wir mit der Kommission gefunden haben. Weil wir as Gespräch gesucht haben, können wir die Sorgen der rankenhäuser und der Apotheker im Gesetz berück- ichtigen. Unser Entwurf ist deshalb besser für die deut- chen Apotheker und auch für die Patientinnen und Pati- nten im Krankenhaus, als es ein Urteilsspruch des uropäischen Gerichtshofs je sein könnte; denn vor die- em hätte unser jetziges System keinen Bestand. Des- alb wäre es der falsche Weg, eine Klage abzuwarten. 13600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Die würde den Steuerzahlern im Übrigen Kosten in Mil- lionenhöhe bescheren. Der Regierungsentwurf stärkt die hohe Qualität der Medikamentenversorgung im Krankenhaus. Er sorgt für mehr Wirtschaftlichkeit auch in diesem Teil des Gesund- heitswesens. Er sorgt für Patientensicherheit, indem er für die Länder eine Genehmigungspflicht der Versor- gungsverträge vorsieht. Unser Gesetz ist Leistungsan- bietern und Patienten gegenüber gleichermaßen verant- wortungsvoll. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbriefrechts (Tagesord- nungspunkt 18) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die SPD-Frak- tion begrüßt den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts. Damit ge- lingt eine Öffnung des Pfandbriefgeschäftes für neue Emittenten bei Wahrung und sogar Verschärfung der strengen Anforderungen an den Pfandbrief. Dies wird den Finanzplatz Deutschland stärken. Es ist von großer Bedeutung, dass es in den kommen- den Beratungen im Vergleich zu den derzeit geltenden Regeln keine Verwässerung der gesetzlichen Anforde- rungen oder gar Einbußen an der Qualität des Pfand- briefs gibt. Denn es gilt, den hervorragenden Ruf des Pfandbriefs an den internationalen Finanzmärkten im In- teresse des Wirtschaftsstandorts Deutschland ohne Ab- striche zu festigen sowie das Vertrauen der Anleger zu erhalten und sogar zu stärken. Der deutsche Pfandbrief ist schon heute das größte Marktsegment des europäi- schen Rentenmarktes und Vorbild für zahlreiche Pro- dukte nach ausländischen Rechtsordnungen. Der Nominal-Umlaufbetrag der „öffentlichen Pfand- briefe“ und der „Hypothekenpfandbriefe“ betrug Ende 2003 fast 1 100 Milliarden Euro, davon wurden von pri- vaten Hypothekenbanken rund 60 Prozent, von öffent- lich-rechtlichen Kreditinstituten rund 40 Prozent bege- ben. Der Brutto-Nominal-Absatz von „öffentlichen Pfand- briefen“ und „Hypothekenpfandbriefen“ betrug in 2003 zusammen 211 Milliarden Euro; davon sind wiederum rund 60 Prozent von privaten Hypothekenbanken und rund 40 Prozent von öffentlich-rechtlichen Kreditinstitu- ten begeben worden. Für die letztgenannte Instituts- gruppe wird der Pfandbrief im Zuge des Wegfalls von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung als kostengünsti- ges Refinanzierungsinstrument noch deutlich an Bedeu- tung gewinnen. Am deutschen Rentenmarkt ist der Pfandbrief mit ei- nem Marktanteil von 36 Prozent – das war das Umlauf- volumen Ende 2003 – vor den Anleihen der öffentlichen Hand und sonstigen Bankschuldverschreibungen das meistbegebene Wertpapier. Das Gewicht des Pfandbriefs z E U e E l b w d s P F s W s d s d S h G p M s s W d t b l S g k G t g G b s g n m E F i d t i d R b P P t (C (D eigt sich auch im Vergleich mit dem Ausland. Von den nde 2003 im Umlauf befindlichen, in der Europäischen nion begebenen gedeckten Schuldverschreibungen mit inem Volumen von insgesamt über 1 500 Milliarden uro stellten deutsche Pfandbriefe mit fast 1 100 Mil- iarden Euro den größten Anteil dar, fast 70 Prozent. Ins- esondere bei den öffentlichen „Pfandbriefen“ über- iegt das deutsche Produkt ganz eindeutig, aber auch er deutsche Hypotheken-Pfandbrief ist klarer europäi- cher Marktführer. Die schon jetzt bedeutende Rolle des fandbriefs an den nationalen und internationalen inanzmärkten spiegelt das Vertrauen der Anleger in ge- etzliche Rahmenbedingungen wider. Jedoch ruft der Erfolg bekanntermaßen immer auch ettbewerber auf den Plan. In anderen Rechtsordnungen ind verstärkt Bemühungen erkennbar, nach dem Vorbild es deutschen Pfandbriefs Konkurrenzprodukte zu chaffen. So sind seit Ende der 90er-Jahre in nahezu je- em Mitgliedstaat in der EU Gesetze über gedeckte chuldverschreibungen verabschiedet worden. Darüber inaus werden in Großbritannien, wo kein einschlägiges esetz besteht, über besondere Vertragskonstruktionen fandbriefähnliche Produkte strukturiert und auf den arkt gebracht. Mit dem neuen Pfandbriefgesetz werden die deut- chen Kreditinstitute in diesem Wettbewerb bestens po- itioniert und müssen die Konkurrenz nicht fürchten. ir begrüßen auch, dass es gelungen ist, eine bisher auf rei Gesetze verteilte Rechtsmaterie, nämlich das Hypo- hekenbankgesetz – HBG –, das Gesetz über die Pfand- riefe und verwandten Schuldverschreibungen öffent- ich-rechtlicher Kreditanstalten – ÖPG – und das chiffsbankgesetz in einem insbesondere für die Anle- er, die Rating-Agenturen sowie die neu auf den Markt ommenden Pfandbriefemittenten gut verständlichen esetz zu regeln. Dadurch wird es erleichtert, das Ver- rauen der Marktteilnehmer zu gewinnen oder zu festi- en und es dürfte allen Fraktionen leicht fallen, diesem esetz begeistert zuzustimmen. Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Der Pfand- rief hat sich im vergangenen Jahrzehnt von einem deut- chen Wertpapier mit langer Tradition zu einem weltweit efragten Anlageinstrument entwickelt. Heute ist er ei- er der wenigen Exportartikel des deutschen Finanz- arktes und mit einem Volumen von weit über 1 Billion uro eines der größten Segmente des internationalen ixed-Income-Marktes. Die Neugestaltung des Pfandbriefgesetzes muss also n einer Weise erfolgen, die den hohen Qualitätsstandard es Pfandbriefs in keiner Weise infrage stellt, gleichzei- ig aber zukunftsfähig und international konkurrenzfähig st. Mit dem neuen Pfandbriefgesetz werden die notwen- igen Schritte eingeleitet, um den ordnungspolitischen ahmen für den Finanzplatz Deutschland weiter zu ver- essern und die bereits hohe Akzeptanz des deutschen fandbriefes noch weiter zu vertiefen. Nach derzeitiger Rechtslage ist die Emission von fandbriefen im Wesentlichen nur den privaten Hypo- hekenbanken und den öffentlich-rechtlichen Kreditinsti- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13601 (A) ) (B) ) tuten vorbehalten. Durch den nun vorliegenden Gesetz- entwurf soll künftig allen für das Pfandbriefgeschäft geeigneten Kreditinstituten die Möglichkeit eröffnet werden, Pfandbriefe zu emittieren, sofern das Kreditin- stitut die gesetzlich noch festzulegenden Mindestanfor- derungen einhält. Die Modernisierung des Kapitalmarkt- rechts in diesem Bereich wird von uns ausdrücklich begrüßt. Das internationale Geschäft ist auch für deutsche Kre- ditinstitute in zunehmendem Maße eine wichtige Stütze in der Geschäftsbilanz. Die vorgeschlagene Regelung des § 13 sieht vor, dass lediglich Forderungen aus Mit- gliedstaaten der EU, des EWR sowie aus der Schweiz in die Pfandbriefdeckung genommen werden können. For- derungen aus den USA, Kanada und Japan bleiben dem- gegenüber weiterhin nicht deckungsfähig. In den weiteren Beratungen werden wir zu klären ha- ben, inwieweit diese Differenzierung sachlich noch ge- rechtfertigt ist. Immobilienmärkte funktionieren heute zunehmend international, sie sind also nicht mehr in streng abgegrenzte nationale Marktsegmente unterteilt. Dem müssen auch die Anbieter von Finanzierungslösun- gen Rechnung tragen, indem sie ihren Kunden in neue Märkte folgen. Auch der Frage der Indeckungnahme von Pfandbrie- fen werden wir nachzugehen haben, insbesondere im In- teresse der Qualität der deutschen Pfandbriefe. Die be- fürchteten negativen „Kaskaden“-Effekte sind so leicht nicht von der Hand zu weisen. Letztlich könnte dies zu einer Aufblähung des Pfandbriefvolumens führen, wie von einigen beteiligten Verbänden bereits angedeutet. Inwieweit dies durch verschiedene Regelungen vermie- den werden könnte, sollten wir diskutieren. Ein weiteres Problem stellt sich im Zusammenhang mit der Ermittlung des Beleihungswertes. Der Belei- hungswert ist ein nachhaltiger und dauerhafter Wert, der, wenn er einmal ermittelt ist, keinen gravierenden Schwankungen unterliegt und in der Regel die Verände- rungen des Marktwertes nicht nachvollzieht. Es gibt je- doch Situationen, in denen es unerlässlich sein wird, eine Neubewertung vorzunehmen, um die Sicherungsfunk- tion des Pfandbriefes nicht ins Leere laufen zu lassen. Die gegenwärtig vorgesehenen Vorschriften zur Be- leihungswertermittlung in § 16 PfandBG-E setzen wie die geltende Vorschrift des § 12 Hypothekenbankgesetz, HBG, an der Bewertung des einzelnen Ojektes an. Diese Vorgabe könnte in manchen Fällen an Grenzen stoßen, zum Beispiel dort, wo anstelle der traditionellen Ausrei- chung von Einzelkrediten der Erwerb von Kreditportfo- lien erfolgt. In diesen Fällen ist, insbesondere wenn es sich um ein großes Portfolio handelt, eine Bewertung je- der einzelnen Kreditforderung aus praktischen Gründen unmöglich. Die Beratungen zum Pfandbriefgesetz müssen im Sinne eines starken Finanzplatzes Deutschland den An- forderungen an Klarheit und Rechtssicherheit gerecht werden. Nur so können wir auch weiterhin im interna- tionalen Wettbewerb, dem auch die Finanzmärkte ausge- setzt sind, bestehen. b H P P a l t d g s J V h Z s s v Q o E x g p d s t b s r d D d s h a r l m g m A d s s D g b d f w d E B E t (C (D Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Der deutsche Pfand- rief ist seit über hundert Jahren eine Erfolgsgeschichte. eute entfallen zwei Drittel des Pfandbriefmarktes auf fandbriefe „made in Germany“. Und dabei stellen fandbriefe mit über 1,5 Billionen Euro noch vor Staats- nleihen das größte Segment im Bereich der festverzins- ichen Wertpapiere. Wir alle haben ein gemeinsames In- eresse daran, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben! Zu diesem Zweck ist aus zwei Gründen eine Reform es Pfandbriefrechts notwendig: Erstens gilt es, die Fol- en des Wegfalls von Gewährträgerhaftung und An- taltslast für die öffentlichen Banken im Juli nächsten ahres zu berücksichtigen. Zweitens müssen wir unseren orsprung gegenüber den europäischen Wettbewerbern alten und ausbauen. Ich bin überzeugt, dass wir unser iel erreichen werden, wenn wir den vorliegenden Ge- etzentwurf noch an einigen Stellen optimieren. Was muss unser Leitgedanke bei dieser Optimierung ein? Unser Leitgedanke muss sein, dass wir exakt so iel Regulierung erreichen müssen, wie nötig ist, um die ualität des Markenprodukts Pfandbrief zu erhalten, hne dabei Marktwettbewerb zwischen verschiedenen mittentengruppen zu beeinträchtigen. Unter dieser Ma- ime gilt es, die Interessen der einzelnen Emittenten- ruppen – das heißt konkret: der einzelnen Bankengrup- en – gegeneinander abzuwägen. Vor allem aber muss ie Investorenseite gehört werden. Denn schlussendlich ind es die großen, institutionellen Anleger, deren Ver- rauen wir mit diesem Gesetz noch weiter für den Pfand- rief gewinnen müssen. Auf Anbieterseite verläuft die Trennungslinie zwi- chen den Banken vor allem zwischen dem öffentlich- echtlichen Lager auf der einen sowie den privaten und en genossenschaftlichen Banken auf der anderen Seite. as ist kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ie Pfandbriefgeschäfte dieser Gruppen bisher auf unter- chiedlichen Rechtsgrundlagen beruhten, die nun verein- eitlicht werden sollen. Da ist es selbstverständlich, dass lle Betroffenen gerne ihre bisherigen Praktiken fortfüh- en möchten und sich entsprechende gesetzliche Rege- ungen wünschen. Unsere Aufgabe habe ich vorhin in einem Leitgedanken klar gemacht: Wir müssen festle- en, wo Unterschiede erhalten bleiben können. Und wir üssen festlegen, wo dies nicht möglich ist, ohne die kzeptanz des Pfandbriefs bei den Investoren zu gefähr- en. Mit Blick auf den vorliegenden Gesetzentwurf lassen ich meiner Ansicht nach vier Hauptstreitpunkte zwi- chen privaten und öffentlichen Banken unterscheiden: er erste dürfte der wichtigste Streitpunkt sein: Die Fra- en, wie die Deckungsmassen der Hypothekenpfand- riefe in Zukunft zu bestimmen sind. Hintergrund ist, ass die privaten Emittenten von Hypothekenpfandbrie- en ihre Deckungsmassen bisher nach dem Beleihungs- ertverfahren ermitteln, während öffentliche Banken zu iesem Zweck das Verkehrswertverfahren nutzen. Im ntwurf des neuen Pfandbriefgesetzes ist nur noch das eleihungswertverfahren vorgesehen. Die privaten mittenten argumentieren, dass ein einheitliches Bewer- ungsverfahren nötig sei, um die Position des deutschen 13602 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Pfandbriefes nicht zu gefährden. Aufgrund seiner größe- ren Exaktheit komme hierfür nur das Beleihungswert- verfahren infrage. Die öffentlichen Banken bestreiten nicht, dass das Beleihungswertverfahren exakter sei. Al- lerdings weisen sie darauf hin, dass die im Gesetzent- wurf vorgesehene Umstellung auf das Beleihungswert- verfahren bei Neuemissionen ab dem 19. Juli 2005 dazu führen würde, dass die öffentlich-rechtlichen Kreditinsti- tute für längere Zeit keine Neuemissionen durchführen könnten. Dies wäre der Fall, da der dann nötige Aufbau neuer Deckungsmassen einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Aus diesem Grund fordern die Öffentlich-Recht- lichen, in § 16 des Pfandbriefgesetzes die Bewertung der Deckungsmassen unter Hinweis auf § 194 BauGB zu er- möglichen. Gleichzeitig sollte ihrer Ansicht nach in der Übergangsvorschrift des § 46 des neuen Pfandbriefge- setzes festgelegt werden, dass alte Deckungsmassen auch zukünftig verwendet werden dürfen, soweit sie den Ergebnissen des Beleihungswertverfahrens „wirtschaft- lich“ entsprächen. Wir werden – nicht zuletzt im Rah- men einer Anhörung – genau zu prüfen haben, inwieweit wir in der Frage der Bewertung von Deckungsmassen den öffentlichen Anbietern von Pfandbriefen entgegen- kommen können, ohne die Qualität des Pfandbriefs zu gefährden. Dies gilt ebenso für den zweiten Hauptstreit- punkt: Die Frage des notwendigen Risikomanagements. Die öffentlich-rechtlichen Institute haben sich sehr kri- tisch zum Umfang der geplanten Vorschriften zum Risi- komanagement geäußert und Einschränkungen gefor- dert. Die privaten Banken hingegen stellen sich gegen dieses Petitum. Auch hier müssen wir sehen, welches Niveau nötig ist, um die Investoren zu überzeugen. Auch die Frage, welche Transparenzvorschriften not- wendig sind, wird von den Bankengruppen unterschied- lich bewertet. Dies ist also der dritte Hauptstreitpunkt. Während die Vertreter des öffentlichen Lagers gerne auf Quartalsveröffentlichungen verzichten würden und be- stimmte Größenklassen in den Veröffentlichungen wei- ter fassen möchten, betrachten die privaten Akteure Quartalsveröffentlichungen für unverzichtbar. Zudem möchten sie die Publikationspflicht hinsichtlich der ört- lichen Belegenheit von Sicherheit noch weiter auffä- chern – etwa nach Bundesländern und Regionen. Ich verweise noch einmal auf den oben genannten Leitge- danken. Dieser muss uns auch beim vierten Hauptstreitpunkt als Stütze dienen. Die Frage nämlich, ob man Pfand- briefe auf Pfandbriefe begeben dürfen sollte, ist schluss- endlich nur von den Anlegern zu beantworten. Der Deut- sche Sparkassen- und Giroverband, der diese Möglichkeit anstrebt, mag in seiner objektiven wirt- schaftlichen Analyse Recht haben. Diese Analyse be- sagt, dass keine ungedeckten Kaskaden entstünden, da am Ende immer das ursprünglich besicherte Objekte liege. Allerdings denke ich, dass das Problem eher ein subjektives auf Seite der Anleger sein wird. Gerade die für den Markt wichtigen internationalen Investoren be- vorzugen eine direkte Verbindung ihres Pfandbriefes zur darunter liegenden Sicherheit. Von daher stehe ich hier der Idee des DSGV skeptisch, aber ohne festgelegte Meinung gegenüber. P b w e P m e g h F U g d e M k D D D w E b F B v w g r s s d D k b t m d d s W s d i Ö n s n m U t d n b (C (D Sehr sicher bin ich mir jedoch in einem anderen unkt: Ich bin überzeugt, dass wir für kleine Pfandbrief- anken, die teilweise seit über hundert Jahren die Ent- icklung des Pfandbriefes mitbestimmt haben, eine dau- rhafte Ausnahme von den Kernkapitalforderungen des fandbriefgesetzes schaffen sollten. Geeignet scheint ir hierfür eine Ausnahme für Institute, die bereits vor inem bestimmten Stichtag bestanden. Sicherlich gibt es noch weitere Punkte, die im Gesetz- ebungsverfahren zu diskutieren sein werden. Ich nenne ier die Frage der Luftfahrzeugpfandbriefe oder die rage des Mitverschlusses, ebenso die Frage, ob die SA, Kanada und Japan in den Kreis der deckungsfähi- en Länder aufgenommen werden sollten. In Anbetracht der kurzen Redezeit habe ich mich je- och auf ausgewählte Punkte konzentriert. Ich bin überzeugt, das wir ein neues Pfandbriefrecht ntwickeln werden, das die deutsche Position in diesem arkt sichert. In diesem Sinne freue ich mich auf eine onstruktive Zusammenarbeit im Finanzausschuss des eutschen Bundestages im Interesse des Finanzplatzes eutschland. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ie Entstehung des Pfandbriefsystems in Deutschland ird oft mit dem Namen des Berliner Kaufmanns duard Diederich Ernst Bühring in Verbindung ge- racht. Dieser reichte im Jahre 1767 dem Preußenkönig riedrich dem Großen eine Denkschrift ein, in der zur ehebung der Kreditnot der Landwirtschaft die Ausgabe on Hypothekenbriefen angeregt wurde. 1825/1826 urden mehrere noch heute existierende Institute ge- ründet, welche die Ausgabe von Pfandbriefen und de- en Entwicklung als Geschäftsfeld hatten. Seither hat ich dieses Produkt bewährt und durchgesetzt: Der deut- che Pfandbrief ist ein Exportschlager geworden. Er bil- et das größte Segment am europäischen Rentenmarkt. as Umlaufvolumen beläuft sich auf 1,1 Billionen Euro. Öffentlich-rechtliche Kreditinstitute wie Sparkassen onnten bisher in Bezug auf die Sicherheit ihrer Pfand- riefe auch auf die Anstaltslast und Gewährträgerhaf- ung verweisen. Beide entfallen zum 1. Januar 2005. Da- it wird eine Neuregelung zur rechtlichen Grundlage er Ausgabe von Pfandbriefen fällig. Wir haben gehan- elt: Das vorliegende neue Gesetz ersetzt HBG und ÖPG owie mehrere Verordnungen, die komplett entfallen. esentliche Neuerung ist, dass nun alle Banken, die be- timmte Anforderungen erfüllen, Pfandbriefe ausgeben ürfen. Das entspricht auch der Idee des Wettbewerbes n Europa. Damit wird durch den Wegfall von HBG und PG das so genannte Spezialbankprinzip aufgehoben, ach welchem bestimmte Banken per Gesetz auf be- timmte Geschäftsfelder spezialisiert waren. Nun kön- en alle Banken ihre Geschäftsfelder frei wählen und da- it auch Pfandbriefe begeben. Mehr Freiheit für die nternehmen – bei gleichzeitig höchstmöglicher Quali- ät. Deshalb wird das Pfandbriefgesetz in der vorliegen- en Form weithin sehr begrüßt, auch von den betroffe- en Verbänden. Es entspricht der Idee eines offenen, ezüglich der Qualitätsstandards und des Marktzuganges Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13603 (A) ) (B) ) staatlich beaufsichtigten Wettbewerbs. Der Ersatz der beiden bisherigen Gesetze bedeutet eine Vereinfachung, die wir immer einfordern. Hier setzen wir diese Forde- rung um. Unsere wichtigste Botschaft an die Finanzwelt lautet: Das Gesetz der rot-grünen Koalition wird die Sicherheit und Qualität des Pfandbriefs bewahren und ausbauen. Deshalb ist ein zentraler Bereich des Gesetzes die geson- derte Verwahrung der Werte, die einem Pfandbrief ge- genüberstehen. Im Falle einer Insolvenz eines Institutes, das Pfandbriefe begeben hat, sind die so genannten De- ckungsmassen von vornherein der Konkursmasse entzo- gen. Durch Marktzugangskriterien und exakte Vorschriften über die Zulassung und Überwachung der Institute, die im Pfandbriefgeschäft tätig sein wollen, wird ein hoher Qualitätsstandard sichergestellt. Nicht jede Bank darf Pfandbriefe begeben: Sie muss eine bestimmte Größe nachweisen. Die Bank muss auch darstellen können, dass sie über genügend Know-how verfügt, um im Pfandbriefgeschäft tätig sein zu können. Und noch mehr: Sie wird daraufhin überprüft, ob sie sich nachhaltig und dauerhaft am Pfandbriefgeschäft beteiligt – wer über Jahre keinen Pfandbrief begibt, um dann plötzlich wie- der einsteigen zu wollen, ist nicht mehr im Geschäft. Eine solche Bank könnte in der Zwischenzeit das nötige Wissen und die nötigen Fachkräfte für dieses Geschäfts- feld verloren haben – das könnte für die Sicherheit des Pfandbriefes zu Risiken führen. Diese Risiken minimiert unser Gesetz. Für sämtliche Pfandbriefbanken wird es darüber hi- naus verpflichtend, bei hypothekarischen Beleihungen einen am nachhaltigen Ertrag einer Immobilie orientier- ten Beleihungswert zu ermitteln. Das war bisher nicht für alle Banken so. Von diesem Beleihungswert dürfen nur 60 Prozent als Deckung für einen Pfandbrief ver- wendet werden. Das wiederum generiert höchstmögliche Sicherheit. Die BaFin bestellt Treuhänder für diese Im- mobilien. Sie fuhrt auch so genannte Deckungsprüfun- gen durch, die untersuchen, ob noch genügend Werte mit 100-prozentiger Sicherheit den Pfandbriefen gegenüber- stehen. Als zusätzlichen Anreiz zurQualitätssicherung sollen die Pfandbriefbanken dazu verpflichtet werden, ausführliche und transparente Informationen über die Qualität und Zusammensetzung der Deckungsmassen zu veröffentlichen. Damit schaffen wir die bestmöglichen Wettbewerbs- bedingungen für dieses hervorragende Produkt, das in unserem Land gleichsam erfunden wurde. Es stimmt also nicht, dass deutsche Ideen immer nur im Ausland vermarktet werden: Der Pfandbrief hat sowohl Tradition wie auch Potenzial. Unser Gesetz bereitet den Weg, die Erfolgsgeschichte des Pfandbriefes fortzusetzen. Rainer Funke (FDP): Der deutsche Pfandbrief ist ein Exportschlager. Vom Witwen- und Waisenpapier, vom „Huhn, das goldene Eier legt“, so die volkstümliche Werbung der 60er- und 70er-Jahre, entwickelte er sich zu einem Star an den internationalen Kapitalmärkten. Der deutsche Pfandbrief dominiert den Markt der fest- v i s d z s P t g D z s d r Z d d s b t n s t d k d P b b v b s s g p f c v B S m m W u a v w s f D p t J (C (D erzinslichen Wertpapiere in Europa. Seine Bedeutung st seit Einführung des Euro nochmals deutlich gewach- en. Der deutsche Pfandbrief ist heute so erfolgreich, ass viele europäische Staaten ihrerseits die Vorausset- ungen für ein vergleichbares Kapitalmarktprodukt ge- chaffen haben. In diesem Umfeld muss der deutsche fandbrief auch zukünftig seine Spitzenstellung behaup- en. Der deutsche Pfandbrief muss Benchmark für ver- leichbare Produkte anderer Marktteilnehmer bleiben. ies ist der Maßstab, an dem das neue Pfandbriefgesetz u messen ist. Der Gesetzentwurf ist die Antwort auf aktuelle ge- chäftspolitische Entwicklungen und neue Rahmenbe- ingungen, insbesondere den Wegfall der staatlichen Ga- antien für öffentlich-rechtliche Institute ab Juli 2005. ukünftig soll das Pfandbriefgeschäft grundsätzlich je- em Kreditinstitut offen stehen, welches die im Interesse er Pfandbriefsicherheit unabdingbaren Zugangsvoraus- etzungen erfüllt. Hiermit verbunden ist die Abkehr vom Spezial- ankprinzip. Das klingt nach Revolution. Bei Lichte be- rachtet werden jedoch nur die Verhältnisse am Markt achgezeichnet. So hat das Spezialbankprinzip Univer- albanken nicht daran gehindert, sich an privaten Hypo- hekenbanken zu beteiligen. Im öffentlichen Bereich ist er deutsche Pfandbrief schon immer von Universalban- en aufgelegt worden. Landesbanken und Sparkassen urften allein auf Grund ihrer Garantie durch den Staat fandbriefemittenten sein. Die Aufgabe des Spezial- ankprinzips wird den Markt daher nicht durcheinander ringen, sondern im Gegenteil neu ordnen. Die Abkehr om Spezialbankprinzip ist auch ordnungspolitisch zu egrüßen. Letztlich war hiermit stets auch eine Ein- chränkung der Gewerbefreiheit verbunden. Einen uneingeschränkten Zugang zum Pfandbriefge- chäft darf und wird es jedoch nicht geben, anderenfalls eriete die hohe Qualität des Pfandbriefs in Gefahr. Als Kompensation für die Aufgabe des Spezialbank- rinzips sieht der Gesetzentwurf ein strenges Lizenzver- ahren, ein professionelles Risikomanagement der De- kungsmassen sowie hohe Transparenzanforderungen or. Die FDP-Bundestagsfraktion wendet sich gegen alle estrebungen, in diesen Bereichen Abstriche zu machen. trenge Anforderungen an die Wertermittlung von Im- obiliensicherheiten, ein differenziertes Risikomanage- ent und eine regelmäßige Berichterstattung sind für die ahrung der hohen Qualität des deutschen Pfandbriefs nverzichtbar. Das mag man als konservativ ansehen, ber in diesem Sinne bin ich gerne konservativ. Auch halte ich nichts davon, Pfandbriefe zur Deckung on Pfandbriefen zuzulassen. Dies führte zu einer Ver- ässerung der Deckungsmassen. Der Pfandbrief würde eine klare Natur als durch Immobilienwerte oder Staats- orderungen gedecktes Wertpapier verlieren. Hingegen ist nicht einzusehen, warum die zur eckung von Hypothekenpfandbriefen zulässigen Hy- otheken nicht auch auf Grundstücken in den Vereinig- en Staaten von Amerika, Kanada und gegebenenfalls apan lasten dürfen. Die dortigen Rechtssysteme sind so 13604 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) gefestigt, dass ein Ausschluss dieser Staaten weder sach- lich noch politisch gerechtfertigt erscheint. Richtig ist, dass die strengen Anforderungen, auf de- ren Einhaltung die FDP-Bundestagsfraktion großen Wert legt, gegenwärtig insbesondere von solchen Emittenten erfüllt werden, für die bisher das HBG galt. Die FDP verkennt jedoch nicht, dass es für den Fortgang der Sa- che schädlich wäre, wenn sich eine Emittentengruppe als Verlierer betrachten müsste. Allerdings sind wir der Auf- fassung, dass durch die vorgesehenen Übergangsfristen alle Institute, die schon bisher mit der Emission von Pfandbriefen befasst sind, ausreichend Zeit haben, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen. Dass es hier- bei zu einem gewissen Konsolidierungsprozess kommen wird, ist im Interesse der Stabilität und Solidität des Fi- nanzplatzes Deutschland hinzunehmen. Lassen Sie mich mit einer fachlichen und einer per- sönlichen Bemerkung schließen: Die Aufnahme von Luftfahrzeugpfandbriefen lehne ich ab. Flugzeuge mit Schiffen zu vergleichen ist wie Äpfel mit Birnen zu ver- gleichen. Schiffe sind die nach Grundstücken langlebigs- ten Investitionsgüter. Die Lebensdauer von Flugzeugen ist wesentlich kürzer bemessen. Flugzeuge erfordern zudem einen erheblichen Pflegeaufwand. Die Berück- sichtigung eines solch hochsensiblen und Schwankun- gen unterworfenen Anlageguts würde den Pfandbrief verwässern und die Anleger verwirren. Auch besteht für die Aufnahme von Flugzeugen kein volkswirtschaftli- ches oder auch nur betriebswirtschaftliches Bedürfnis. Für die Flugzeugfinanzierung sind funktionierende Märkte vorhanden. Zum Schluss möchte ich mein persönliches Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass das Pfandbrief recht nunmehr in der Federführung des Bundesministeri- ums der Finanzen liegt. Bisher lag es beim Bundesminis- terium der Justiz in guten Händen. Die Gründe für den Wechsel erschließen sich mir nicht. Für mich als Rechts- politiker bedeutet dies, Abschied zu nehmen von einer Materie, die mir in all den Jahren als Abgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz immer sehr am Herzen lag. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Finanzen: Der Ihnen vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbrief- rechts regelt ein für den Finanzplatz und den Wirt- schaftsstandort Deutschland bedeutsames Finanzmarkt- produkt: den deutschen Pfandbrief. Der deutsche Pfandbrief ist ein weltweit gefragtes Anlageinstrument und ein echtes Vorzeigemodell an den internationalen Finanzmärkten. Er verschafft den Emit- tenten aufgrund seiner Sicherheit günstige Finanzie- rungsbedingungen und ist – da diese Finanzierungsvor- teile auch an die Kreditnehmer weitergereicht werden können – von großer Bedeutung für die deutsche Wirt- schaft. Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung ih- ren schon in der Vergangenheit praktizierten Kurs der stetigen Modernisierung des Pfandbriefrechts fort. d b R H u r S s n u n d S s s b S s l Z d t f F b 2 d k a g s d K b s a w m G E A P r g t E 2 n d s d u t r (C (D Der Gesetzentwurf enthält ein Pfandbriefgesetz, urch das die drei bisherigen Gesetze, die das Pfand- riefgeschäft regeln, abgelöst werden sollen, sowie eine eihe von Folgeänderungen. Aufgehoben werden das ypothekenbankgesetz, das Gesetz über die Pfandbriefe nd verwandten Schuldverschreibungen öffentlich- echtlicher Kreditanstalten, abgekürzt ÖPG, und das chiffsbankgesetz. Das neue Pfandbriefgesetz hat zwei Hauptziele: Es oll einerseits die hohe Qualität des Pfandbriefs, die sei- en Erfolg an den Kapitalmärkten begründet hat, wahren nd für die Zukunft stärken. Anderseits wird die Befug- is zur Pfandbriefemission auf alle Kreditinstitute ausge- ehnt, die bestimmten Mindestanforderungen zum chutz des Pfandbriefgeschäfts genügen und eine ent- prechende aufsichtliche Erlaubnis nach dem Kreditwe- engesetz erhalten. Nach geltendem Recht dürfen Pfand- riefe nur begeben werden durch Hypothekenbanken, chiffsbanken und öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, ofern Letzteren die Pfandbriefemission durch die jewei- igen Landesgesetze gestattet ist. Genauso wichtig ist es aber, zu betonen, dass es auch ielsetzung der Bundesregierung ist, mit diesem Gesetz ie herausgehobene Stellung des Pfandbriefs an den na- ionalen und internationalen Kapitalmärkten weiter zu estigen und auszubauen. Nach dem Zeitplan ist vorgesehen, das Gesetz im rühjahr 2005 zu verabschieden. Damit könnten Pfand- riefe nach Wegfall der Gewährträgerhaftung am 19. Juli 005 auf einer neuen Gesetzesgrundlage emittiert wer- en. Lassen Sie mich die Kernpunkte des Gesetzentwurfs urz skizzieren. Zunächst wird das Pfandbriefgeschäft ls Bankgeschäft im Sinne des § 1 des Kreditwesen- esetzes, KWG, definiert, dessen Betrieb eine ent- prechende Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanz- ienstleistungsaufsicht nach den Vorschriften des reditwesengesetzes voraussetzt. Die Institute haben so ereits im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nachzuwei- en, dass sie bestimmte, für das Pfandbriefgeschäft un- bdingbare Mindestanforderungen erfüllen. Zugleich ird es der Aufsicht ermöglicht, sämtliche pfandbriefe- ittierenden Institute – nach der Terminologie des neuen esetzes also die „Pfandbriefbanken“ – und auch deren missionstätigkeit selbst in der hierfür erforderlichen rt und Weise zu beaufsichtigen. Im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen des fandbriefemissionsgeschäftes werden die Erlaubnisvo- aussetzungen des Kreditwesengesetzes im Pfandbrief- esetz teilweise strenger gefasst, teilweise aber auch ver- ieft geregelt. Vorgesehen ist unter anderem, dass die rlaubnis nur bei einem Kernkapital von mindestens 5 Millionen Euro erteilt wird, dass aus dem im Erlaub- isverfahren vorzulegenden Geschäftsplan die Absicht es Kreditinstituts hervorgehen muss, das Pfandbriefge- chäft regelmäßig und nachhaltig zu betreiben und dass as Kreditinstitut nachweist, über geeignete Regelungen nd Instrumente zur Steuerung, Überwachung und Kon- rolle der Risiken für die Deckungsmassen und das da- auf gründende Emissionsgeschäft zu verfügen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13605 (A) ) (B) ) Diejenigen Elemente der Qualitätssicherung, die sich bewährt haben, teilweise aber bislang nicht in allen ab- zulösenden Gesetzen vorgeschrieben waren, werden bei- behalten und zukünftig auf sämtliche Pfandbriefemitten- ten angewendet. Dazu gehören eine nennwertige und barwertige Deckung der Ansprüche der Pfandbriefgläu- biger zuzüglich einer 2-prozentigen Überdeckung; die Insolvenzvorschriften, die Figur des Sachwalters für die Deckungsmassen sowie die Möglichkeit der vollständi- gen oder teilweisen Übertragung der Pfandbriefver- bindlichkeiten und Deckungsmas sen auf andere Pfand- briefbanken; Ermittlung eines Beleihungswertes bei hypothekarischen Beleihungen und eine Beleihungs- grenze in Höhe von 60 Prozent des Beleihungswertes; die Figur des Treuhänders und Deckungsprüfungen durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf- sicht. Daneben sollen die Vorschriften über die Transpa- renz der Deckungsmasse verbessert werden. Auf die unterschiedlichen Gruppen der bisherigen Pfandbriefemittenten wie auch auf die Kreditinstitute ohne Pfandbriefemissionsprivileg wird sich das Gesetz in unterschiedlicher Weise auswirken: Hypothekenban- ken und Schiffspfandbriefbanken erhalten eine maßgeb- liche Erweiterung des bisher erlaubten Geschäftsrah- mens. Für die öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten ergeben sich strengere Anforderungen an das Pfand- briefgeschäft und die Ausgabe von Pfandbriefen selbst. Neu ist die Möglichkeit, das Schiffspfandbriefgeschäft aufzunehmen. Bedeutende Auswirkungen wird das Ge- setz für die große Mehrheit der privatrechtlich organi- sierten Kreditinstitute haben, die nicht Hypothekenban- ken sind. Denn diese erhalten erstmals unmittelbaren Zugang zum Pfandbriefgeschäft. Das betrifft auch das Schiffspfandbriefgeschäft. Das hohe Ansehen des als relativ homogen wahrge- nommenen Pfandbriefs an den internationalen Kapital- märkten beruht auf strengen gesetzlichen Vorschriften. Mit dem Gesetzentwurf werden die Voraussetzungen ge- schaffen, die Maßstabsfunktion des Pfandbriefs als be- sonders sicheres Investment für nationale und internatio- nale Investoren zu festigen. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfah- rens (Tagesordnungspunkt 19) Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Zur Schaffung eines Raumes der Freiheit und des Rechts in der Europäischen Union gehören viele Bausteine, einer davon ist das Europäische Mahnverfahren. Deshalb ist es gut, dass die EU-Kommission mit einem Verordnungsentwurf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tam- pere im Oktober 1999 weiter umsetzt. E s s w s h i v e S b M s n E – b e s F s D b 8 t f a m E z D i d i d n d z w m p P r R m k s k t e q (C (D Der vorgeschlagene Rechtsakt zur Einführung eines uropäischen Mahnverfahrens soll den Gläubigern ein chnelles und wirksames Instrument zur Titulierung un- treitiger Forderungen zur Verfügung stellen. Die An- endung des Verfahrens soll fakultativ ausgestaltet sein, odass die Gläubiger auch jede andere nationale Vorge- ensweise wählen können, die innerstaatlich zulässig ist. Das vorgesehene Europäische Mahnverfahren ähnelt n seiner Grundstruktur durchaus dem deutschen Mahn- erfahren: Zahlungsaufforderung und Zahlungsbefehl rgehen ohne inhaltliche Prüfung des Anspruchs, Der chuldner hat zweimal Gelegenheit, die Forderung zu estreiten. Zielsetzung und Grundstruktur des Europäischen ahnverfahrens werden aus den genannten Gründen in- oweit unterstützt. Der Anwendungsbereich der Verord- ung wird dagegen kontrovers diskutiert. Während die uropäische Kommission und vier Mitgliedstaaten Spanien, Portugal, Italien und Belgien – die Anwend- arkeit dieses Rechtsaktes auch auf innerstaatliche Fälle rstrecken wollen, favorisiert die Mehrheit der Mitglied- taaten eine Beschränkung auf grenzüberschreitende älle. Auch die SPD-Bundestagsfraktion ist dieser Auffas- ung. Ansonsten wäre zu befürchten, dass unser in eutschland bewährte Mahnverfahren nicht mehr wie isher eine automatisierte Erledigung von immerhin ,5 Millionen Fällen im Jahr leisten könnte. Eine Beein- rächtigung dieses bisher erzielten Beschleunigungsef- ekts würde jeden Gläubiger treffen; daneben kämen uch auf die Länder unabsehbare Mehrkosten zukom- en, weil die nach der Verordnung wohl erforderliche videnzkontrolle nur durch Richter oder Rechtspfleger u leisten wäre. Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ ie Grünen sowie CDU/CSU und FDP liegt inhaltlich m Ergebnis auf einer Linie mit der Auffassung der Bun- esregierung. Indem die EU-Kommission aber auch rein nnerstaatliche Sachverhalte regeln will, geht sie über as erforderliche Maß weit hinaus. Diese unsere Positio- en wird auch vom Juristischen Dienst des Rates geteilt. Das Europäische Parlament befasst sich in Kürze mit em Vorschlag; es bleibt abzuwarten, welche Haltung es u der Frage des Anwendungsbereiches einnehmen ird. Hier sollten wir in unseren europäischen Parteifa- ilien bilateral die Verbindungen im Meinungsbildungs- rozess und damit auch die Bindungen zwischen den arlamenten stärken, was zugleich eine gemeinsame eu- opäische Identität fördert. Denn die Schaffung eines Raums zur Freiheit und des echts in der Europäischen Union hat sowohl eine the- atisch-fachspezifische Dimension als auch eine demo- ratisch-strukturelle. Wenn wir in der EU zu gemein- chaftlichen Regelungen in der vorliegenden Materie ommen, bedeutet das Integration statt dann Koopera- ion, bedeutet das den Wechsel von der dritten in die rste Säule, bedeutet das nicht Einstimmigkeit, sondern ualifizierte Mehrheit im Rat. 13606 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) Das hat strategische Konsequenzen für Politik, auch für deutsche Europapolitik. Wir müssen in sensiblen Fra- gen, die in einer unterschiedlich ausgeprägten Rechts- kultur begründet sind, Mehrheiten für unsere Positionen gewinnen, Blockadedrohungen wären falsch und liefen nicht nur ins Leere, sondern würden sich auch gegen uns wenden. Deshalb ist der heutige Beschluss auch ein Ver- handlungsrahmen mit Handlungsoptionen für die Bun- desregierung im Rat und zugleich die Selbstverpflich- tung des Bundestages, europäische Politik als deutsche Innenpolitik stärker ins Bewusstsein zu bringen und auch praktische Konsequenzen zu ziehen. Christoph Strässer (SPD): Wir begrüßen grund- sätzlich die vorgeschlagene Verordnung zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens, die sich eine rasche und effiziente Eintreibung voraussichtlich unbestrittener Forderungen zum Ziel setzt. Die rasche Eintreibung von Forderungen ist für die Wirtschaftsbeteiligten in der EU von besonderer Bedeu- tung und verdient unsere Förderung. Dabei bedarf es ei- nes flexiblen, verständlichen und transparenten Verfah- rens. Wir wollen es deshalb auch als Erfolg betrachten, dass der Vorschlag des Europäischen Parlaments und des Rates im Großen und Ganzen an die Regelungen des deutschen Mahnverfahrens angelehnt ist. Das deutsche Mahnverfahren hat sich besonders be- währt, genießt hohe Akzeptanz bei den Beteiligten und funktioniert beispielhaft. Wir haben gute Erfahrungen mit unserem Mahnverfahren gemacht, das Parteien ein zügiges und kostengünstiges Verfahren zur Titulierung einer Forderung an die Hand gibt. Das deutsche System bietet sich daher auch als gesamteuropäisches Modell an. Doch gerade weil es innerstaatlich so reibungslos funktioniert, sind wir uns in einem weiteren Punkt einig: Die europäischen Regelungen für das Mahnverfahren sollten nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug Anwendung finden. Soweit ein einheitliches eu- ropäisches Verfahren für Sachverhalte mit grenzüber- schreitendem Bezug angestrebt wird, können die Ziele auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden. Eine ein- heitliche Regelung wird befürwortet, weil sie im Beson- deren dem angestrebten Ziel der Vereinfachung und Be- schleunigung dienen würde. Für rein innerstaatliche Fälle besteht aber weder Handlungs- noch Regelungsbedarf. Die Regelung entfal- tet zumindest für Deutschland auch keinen Mehrwert. Ich gehe aber noch einen Schritt weiter und möchte – wie meine Kollegen – feststellen, dass, soweit die Re- gelungen über ein europäisches Mahnverfahren für reine Inlandsangelegenheiten gelten sollen, keine Zuständig- keit der Europäischen Gemeinschaft besteht. Es mangelt also schon an der Zuständigkeit für eine gemeinschaftli- che Regelung. Nach Art. 65 des EG-Vertrages müssen Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen betrof- fen sein. Eine nur theoretische grenzüberschreitende Wirkung reicht nicht aus, geschweige denn eine rein in- nerstaatliche Wirkung. Auch wenn die Unterscheidung z S g f l l g E S v p s T c s E n E s e h g w w r h s ü s w s d i s e f k v w d s V u b D d h i w r a d (C (D wischen grenzüberschreitenden und innerstaatlichen achverhalten im Einzelfall problematisch sein kann, er- ibt sich daraus noch nicht zwangsläufig die Kompetenz ür eine europäische Regelung. Auch der Bundesrat stellte deshalb in seiner Empfeh- ung fest, dass die im Verordnungsvorschlag ausdrück- ich vorgesehene Einbeziehung rein innerstaatlicher An- elegenheiten durch den gezogenen Rahmen des Art. 65 GV nicht mehr gewahrt bleibe, auch wenn auf lange icht einige Gründe für eine Harmonisierung der Mahn- orschriften auch für Inlandssachen innerhalb der Euro- äischen Gemeinschaft sprechen sollten. Unter dem Ge- ichtspunkt der Gleichbehandlung ist nämlich allen eilnehmern am Rechts- und Geschäftsverkehr der glei- he und effektive Rechtsschutz zu gewährleisten. So be- teht zum jetzigen Zeitpunkt weder die Zuständigkeit der uropäischen Gemeinschaft für eine solche Regelung och würde sie mit dem Grundsatz der Subsidiarität in inklang stehen. Mit dieser Auffassung befinden wir uns in bester Ge- ellschaft. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten lehnt ein uropäisches Mahnverfahren für rein nationale Sachver- alte ab und will die Anwendbarkeit der Verordnung auf renzüberschreitende Sachverhalte beschränken. Erst enn sich diese Regelung bewährt hat, lässt sich über eitere Schritte nachdenken. Wir sind uns daher einig, dass wir die Bundesregie- ung auffordern, in den weiteren Verhandlungen darauf inzuwirken, dass der Anwendungsbereich der vorge- chlagenen Verordnung vorerst tatsächlich auf grenz- berschreitende Fälle beschränkt und nicht auf inner- taatliche Angelegenheiten ausgedehnt wird. Wir erden sehr sorgfältig darauf achten, dass dies auch ge- chieht. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Es ist erfreulich, ass die Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens m Grundsatz breite Unterstützung findet. Die Kommis- ion hat mit ihrem Vorschlag erstmals die Initiative dafür rgriffen, dass in einem gemeinschaftsrechtlichen Ver- ahren eine vollstreckbare Entscheidung erwirkt werden ann. Soweit es dabei um grenzüberschreitende Sach- erhalte geht, macht es durchaus Sinn, ein schnelles und irksames Verfahren zur Beitreibung unbestrittener For- erungen in Zivil- und Handelssachen bereit zu stellen. Begrüßenswert ist insbesondere, dass sich die vorge- chlagenen Regelungen für das EU-weit einheitliche erfahren eng am deutschen Mahnverfahren orientieren nd nur fakultativ Anwendung finden sollen. Damit leibt es dem Gläubiger selbst überlassen, ob er zur urchsetzung seiner Ansprüche das Europäische oder as deutsche Mahnverfahren wählt. Letztlich wird ohne- in er am besten beurteilen können, welches Verfahren m konkreten Fall für ihn das praktikabelste ist. Das Ansinnen der Kommission allerdings, den An- endungsbereich des Europäischen Mahnverfahrens auf ein innerstaatliche Angelegenheiten auszudehnen, stößt uf unseren entschiedenen Widerstand. Es muss daher ie unabdingbare Voraussetzung für eine Zustimmung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13607 (A) ) (B) ) Deutschlands im Ministerrat sein, dass der Verordnungs- vorschlag auf Fälle mit grenzüberschreitenden Bezügen beschränkt wird. Die entsprechende Verhandlungsposi- tion der Bundesregierung unterstützen wir mit Nach- druck. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dass wir zu dieser Frage eine gemeinsame Stellungnahme an die Bundesre- gierung beschließen können. Wir machen damit vor der deutschen und europäischen Öffentlichkeit deutlich, dass der Deutsche Bundestag in fraktionsübergreifender Ein- mütigkeit nicht bereit ist, Kompetenzüberschreitungen der EU und damit eine Beschneidung unseres eigenen Entscheidungsspielraums hinzunehmen. Das Vorgehen der Kommission fordert ja Wider- spruch geradezu heraus. Obwohl die in Bezug genom- mene Rechtsgrundlage – Art. 65 des EG-Vertrags – im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen lediglich Maßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezü- gen zulässt, hindert dies die Kommission nicht im Ge- ringsten daran, dennoch rein innerstaatliche Sachver- halte mit zu regeln. In der Begründung zu ihrem Verordnungsvorschlag meint sie sogar feststellen zu müssen, dass die Unterscheidung zwischen grenzüber- schreitenden und innerstaatlichen Szenarien „unweiger- lich bis zu einem gewissen Grad willkürlich“ wäre. Kann man die Missachtung des ausdrücklichen Vertrags- wortlauts deutlicher zum Ausdruck bringen? Die Kommission beeindruckt einmal mehr auch durch die Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgt. Immerhin hatten sich sowohl eine Mehrheit der Mit- gliedstaaten als auch das Europäische Parlament dafür ausgesprochen, den Anwendungsbereich des Europäi- schen Mahnverfahrens auf grenzüberschreitende Sach- verhalte zu beschränken, noch bevor die Kommission ih- ren Verordnungsvorschlag vorgelegt hat. Dass die Kommission gleichwohl an ihrem Vorhaben festhielt, belegt: Was immer man von Brüsseler Beamten halten mag – an Mut gebricht es ihnen wahrlich nicht. Nun liegt es an der Bundesregierung und an unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, eine Ausdehnung des Europäischen Mahnverfahrens auf rein innerstaatliche Angelegenheiten zu verhindern. Bei- den geben wir mit unserer interfraktionellen Entschlie- ßung Rückenwind für ihre Beratungen. Wenn Minister- rat und Europäisches Parlament an ihren bisherigen Positionen festhalten, sollte die Beschränkung des An- wendungsbereichs der Verordnung auch zu erreichen sein. Dennoch verbleiben uns einige Aufgaben, die über die Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens weit hinausreichen. Der Verordnungsvorschlag zeigt exem- plarisch, dass wir die Vorgehensweise der Kommission sehr sorgfältig im Auge behalten müssen. Wir tun daher gut daran, dieses Beispiel zum Anlass zu nehmen, unsere eigene Funktion in der Beratung von Angelegenheiten der Europäischen Union neu zu überdenken und unsere Handlungsmöglichkeiten künftig noch wirksamer wahr- zunehmen. g t g E g n b n n t S m D E A ß A z ü c v S e l g s b s n h z t z s A v w E c d n P s f i g R e R S f h (C (D Je mehr Gesetzgebung von Berlin nach Brüssel verla- ert wird, desto intensiver müssen wir auch als Bundes- agsabgeordnete das dortige Geschehen konstruktiv be- leiten. Das betrifft unsere Zusammenarbeit mit dem uropäischen Parlament und unsere Kontrollfunktion egenüber dem Verhalten der Bundesregierung im Mi- isterrat ebenso wie die öffentliche Debatte über Vorha- en der EU im Deutschen Bundestag. Dabei ist es unsere ureigenste Aufgabe, unsere eige- en Möglichkeiten der Mitwirkung zu sichern und zu utzen. Eine Vorbedingung hierfür ist, dass wir Kompe- enzüberschreitungen, Verstöße gegen das Prinzip der ubsidiarität und gegen den Grundsatz der Verhältnis- äßigkeit systematisch prüfen und konsequent rügen. er Vorschlag der Kommission zur Einführung eines uropäischen Mahnverfahrens ist dafür ein geeigneter nwendungsfall. Mit unserer gemeinsamen Entschlie- ung bringen wir das klar und unmissverständlich zum usdruck. Die Wahrnehmung dieser Kontrollfunktion wird uns udem auch der Vertrag über eine Verfassung für Europa berantworten. Mit der Einführung eines Frühwarnme- hanismus und der Möglichkeit, im Wege einer Klage or dem Europäischen Gerichtshof die Beachtung des ubsidiaritätsprinzips einzufordern, werden wir unsere igenen Kompetenzen als nationales Parlament hoffent- ich noch wirkungsvoller bewahren können. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie wir der nach- erade zelebrierten Ignoranz, mit der sich die Kommis- ion über ihre beschränkten Befugnisse hinwegsetzt, esser begegnen können. Offenkundig reicht eine noch o sorgfältige Formulierung der Kompetenzgrundlagen icht aus. Wir sollten uns daher verstärkt darum bemü- en, die von der Kommission gern genutzten Hintertüren u schließen und insbesondere die so genannte Flexibili- ätsklausel, die immer wieder für ausufernde Rechtset- ungsvorhaben in Anspruch genommen wird, abzu- chaffen. Schließlich genügt es nicht, wie ich meine, die bgrenzung von Kompetenzen alleine auf dem Papier orzunehmen. Sie muss auch in der Praxis durchgesetzt erden, und zwar nicht nur im Nachhinein durch den uGH, sondern bereits im Vorfeld durch eine entspre- hend restriktive Zuweisung von Haushaltsmitteln. Auf diesem Weg ist es ein Fortschritt, wenn wir uns in iesem Haus fraktionsübergreifend darin einig sind, icht nur die Tätigkeit der Kommission einer kritischen rüfung und einer öffentlichen Debatte zu unterziehen, ondern auch unsere eigenen Vorstellungen in einen örmlichen Beschluss zu fassen. In diesem Sinne hoffe ch, dass wir auch künftig eine enge Abstimmung pfle- en, wenn wir durch EU-Vorhaben in unseren eigenen echten als nationales Parlament betroffen sind. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der uropäische Raum der Freiheit, der Sicherheit und des echts wächst beständig. Im Bereich des europäischen trafrechts hat der Deutschen Bundestag bereits mehr- ach parlamentarische Diskussionen geführt und sich in- altlich positioniert. Ich erinnere hier zum Beispiel an 13608 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 (A) ) (B) ) die Entschließung zur europäischen Beweisanordnung im Strafverfahren. Heute nun gilt es, auch beim europäi- schen Zivilrecht die Diskussion zu intensivieren. Denn es ist das Zivilrecht, mit dem die Bürger alltäglich in Be- rührung kommen – zunehmend auch mit grenzüber- schreitenden Bezügen. Menschen und Unternehmen verschiedener europäischer Länder bieten grenzüber- schreitend ihre Waren und Dienstleistungen an. Men- schen gehen in andere EU-Länder, um dort zu arbeiten und zu leben. Diese Entwicklung ist es, die die Men- schen Europas einander näher bringt und die Vision „Eu- ropa“ mit Leben füllt. Wo Menschen über Grenzen hinweg privatrechtlich miteinander zu tun haben, muss es auch Regelungen ge- ben, die, wenn es zur gerichtlichen Klärung von Ansprü- chen kommt, den grenzüberschreitenden Besonderheiten Rechnung tragen. Denn dies unterstützt die Menschen darin, von den Möglichkeiten, die Europa ihnen eröffnet, auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur Regelung des Europäischen Mahn- verfahrens vorgelegt hat. Der Richtlinienentwurf ist inhaltlich stark an dem im deutschen Recht seit Jahren bewährten Mahnverfahren ausgerichtet, wird also qualitativ keine Verschlechterung bedeuten: Der Schuldner wird auf jeder Stufe des zwei- stufigen Verfahrens die Möglichkeit haben, die Forde- rung zu bestreiten und dem Erlass eines vollstreckbaren Titels entgegenzuwirken. Damit ist das europäische Ver- fahren dem deutschen zur Erwirkung eines Mahn- bzw. Vollstreckungsbescheides angelehnt. Die gerichtliche Entscheidung erfolgt auch hier ohne Prüfung der Schlüs- sigkeit des Anspruches und ohne Vorlage von Beweis- mittel, ermöglicht also ein schnelles und effizientes Ver- fahren. Dies ist – wie gesagt – seit langem bewährter Stan- dard in Deutschland. Ich möchte an dieser Stelle zusätz- lich darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten des Gläu- bigers mit dem Europäischen Mahnverfahren nicht beschränkt, sondern – im Gegenteil – erweitert werden. Der Gläubiger wird dann wählen können, ob er seine Forderung mittels Europäischen Mahnverfahren oder lieber nach nationalen Regelungen titulieren möchte. Gleichwohl ist sowohl im Bundesrat als auch im Un- terausschuss Europarecht des Rechtsausschusses Kritik am geplanten Anwendungsbereich der Richtlinie erho- ben worden. Nach den Vorstellungen der Kommission soll die Richtlinie nicht nur auf Angelegenheiten mit grenzüberschreitendem Bezug Anwendung finden, son- dern darüber hinaus auch die Rechtsgrundlage für rein innerstaatliche Verfahren bilden können. Für einen so weiten Anwendungsbereich fehlt es dem europäischen Gesetzgeber jedoch an einer Regelungskompetenz. Er- mächtigungsgrundlage zum Erlass der Richtlinie bildet Art 61 c), Art. 65 EGV. Danach dürfen Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit nur in Zivilsa- chen mit grenzüberschreitenden Bezügen getroffen wer- den, sofern dies für das reibungslose Funktionieren des B i w c s k d t f d g a s t p s z d a g S p m g l a E F e d Z w s s z z v S p V s v b v g a i z s k s d F (C (D innenmarktes erforderlich ist. Daran fehlt es bei rein nnerstaatlichen Sachverhalten. In der Begründung der Kommission wird darauf ver- iesen, dass die Abgrenzung zwischen rein innerstaatli- hen und grenzüberschreitenden Bezügen im Einzelfall chwierig sein könne und deshalb eine solche Beschrän- ung der Richtlinie nicht sinnvoll wäre. Ich möchte über iese Bedenken nicht leichtfertig hinweggehen. Es kann atsächlich schwierig sein, zum Beispiel beim Autoun- all zwischen zwei Deutschen in Frankreich zu entschei- en, ob es sich hier um eine rein innerstaatliche oder renzüberschreitende Angelegenheit handelt. Dies darf ber nicht dazu führen, auf diese Zuständigkeitsvoraus- etzung einfach zu verzichten. Denn es gibt auch unstrei- ig innerstaatliche Sachverhalte, die von der Erlasskom- etenz nach Art. 65 EGV gerade ausgeschlossen werden ollten. Ziel muss es vielmehr sein, taugliche Parameter u entwickeln, um den Begriff des „grenzüberschreiten- en Bezuges“ inhaltlich zu füllen und damit die Rechts- nwendung des Art. 65 EGV zu sichern. Zudem spricht auch eine rechtspraktische Überlegung egen die Ausweitung der Richtlinie auf innerstaatliche achverhalte. In diesem Fall gäbe es in Deutschland lötzlich zwei parallele Mahnverfahrensmöglichkeiten, it zwar inhaltlich ähnlichen, jedoch nicht deckungs- leichen Voraussetzungen. Dies stiftete bei allen Betei- igten mehr Verwirrung als Erleichterung und wäre daher uch in der Sache nicht förderlich. Abschließend möchte ich noch eines betonen: Die ntschließung des Deutschen Bundestages, die von allen raktionen mitgetragen wird, dient nicht dem Ziel, den uropäischen Einigungsprozess zu behindern, sondern ringt allein auf klare Strukturierung und Wahrung der uständigkeit beim Erlass europäischer Rechtakte. Dies ird den europäischen Einigungsprozess fördern und tärken und damit einen wichtigen Beitrag leisten, Ver- tändnis und Vertrauen in europäische Regelungen auf- ubauen und sie positiv im Bewusstsein der Beteiligten u verankern. Sibylle Laurischk (FDP): Das europäische Mahn- erfahren ist ein weiterer Schritt zur Umsetzung der chlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tam- ere. Nachdem es zwischenzeitlich einen europäischen ollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen gibt, oll die Rechtsharmonisierung auch für ein Erkenntnis- erfahren eingeführt werden. Der Europäische Mahn- escheid ist ein erster Schritt auf dieser Ebene und wird oraussichtlich gerade im grenznahen Bereich den renzüberschreitenden Rechtsverkehr erleichtern. Das Mahnverfahren hat sich in Deutschland bewährt ls ein Instrument zur Titulierung von Forderungen, das n einer Vielzahl von Fällen die Gerichte entlastet und wischen den betroffenen Parteien Rechtsklarheit chafft. Die nicht erforderliche inhaltliche Prüfung ist ennzeichnend für dieses Verfahren, sehr im Unter- chied zu Mahnverfahren in anderen Europäischen Län- ern. Deshalb ist es auch ein besonderes Anliegen der DP, dieses griffige Instrument zur Schaffung von Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13609 (A) (C) (B) (D) Rechtsklarheit inhaltlich durch die Einführung des euro- päischen Mahnverfahrens nicht zu verändern. Dies ist eine Voraussetzung zu unserer Zustimmung zum euro- päischen Mahnverfahren. Wir sind sicher, dass gerade durch diese rein formale Vorgehensweise im Mahnver- fahren ohne inhaltliche Prüfung das europäische Mahn- verfahren gut angenommen werden wird. Als Abgeordnete aus einem an Frankreich angrenzen- den Wahlkreis ist mir aus meiner Praxis als Anwältin deutlich, in wie vielen Fällen ein unkomplizierter Weg wie das europäische Mahnverfahren sinnvoll wäre, um die wechselweisen Kontakte zwischen Frankreich und Deutschland auch auf rechtlicher Ebene unbürokratisch gestalten zu können. So wird dies in der Anwendung des europäischen Mahnverfahrens im grenzüberschreitenden Rahmen in Europa insgesamt gerade für die mittelständi- sche Wirtschaft ein Fortschritt sein. Der Entwurf der Kommission, das europäische Mahn- verfahren auch für rein innerstaatliche Fälle anzuwenden, stößt jedoch auf unsere strikte Ablehnung. Hier hat sich das Mahnverfahren nach deutschem Recht bewährt, eine zusätzliche Installierung eines zweiten Mahnverfahrens wäre eine unnötige bürokratische Aufblähung dieses In- struments und würde zu Rechtsunsicherheit und man- gelnder Klarheit, welches Verfahren zur Anwendung kommen soll, führen. Wir halten eine Einführung des eu- ropäischen Mahnverfahren ausschließlich für Angelegen- heiten mit grenzüberschreitenden Bezügen für vertretbar. 145. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514500000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich

Folgendes bekannt: Ende des Jahres scheiden turnusge-
mäß drei Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditan-
stalt für Wiederaufbau aus. Die Fraktion der SPD schlägt
als Nachfolger für den Kollegen Klaus Brandner den
Kollegen Jörg-Otto Spiller vor. Die Fraktion der CDU/
CSU schlägt für eine weitere Amtszeit wieder den Kolle-
gen Dietrich Austermann und die Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen wieder die Kollegin Christine
Scheel vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann sind die genannte Kollegin
und die beiden Kollegen als Mitglieder im Verwaltungs-
rat der KfW bestellt.

Die Fraktion der SPD möchte im Kuratorium der Stif-
tung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land“ einen Wechsel vornehmen. Der Kollege Marco
Bülow – bisher ordentliches Mitglied – soll nunmehr
stellvertretendes Mitglied und die Kollegin Gisela
Hilbrecht – bisher stellvertretendes Mitglied – soll nun-
mehr ordentliches Mitglied werden. Sind Sie auch mit
diesem Vorschlag einverstanden? – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann sind die genannten Abgeordneten wie

Redet
vorgesehen in die jeweiligen Gremien entsandt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-
nen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

ZP 1 Vereinbarte Debatte: Die Demokratie in der Ukraine festi-
gen

(siehe 144. Sitzung)


ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Rolf Bietmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Klima-
schutz-Doppelstrategie – Kioto-Protokoll zu einem
wirksamen Kioto-plus-Abkommen weiterentwickeln
und nationale klimafreundliche Entwicklung konse-
quent fortsetzen
– Drucksache 15/4382 –

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der S
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kio

(C (D ung 2. Dezember 2004 0 Uhr national konsequent umsetzen und international verantwortungsvoll weiterentwickeln – Drucksache 15/4393 – ZP 3 a)

BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zusammenleben auf
der Basis gemeinsamer Grundwerte
– Drucksache 15/4394 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Klaus Haupt, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Kulturelle Vielfalt – Universelle
Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integra-
tionspolitik
– Drucksache 15/4401 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

ext
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 30)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Küster,

Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Günter
Krings, Dr. Norbert Röttgen und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag,
Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Ab-
geordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr

(Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der

FDP: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Soft-
warebereich sichern – Patentierung von Computerpro-
grammen effektiv begrenzen
– Drucksache 15/4403 –

isungsvorschlag:
usschuss (f)

ss für Wirtschaft und Arbeit
ss für Bildung, Forschung und
folgenabschätzung
PD und des
to-Protokoll

Überwe
Rechtsa
Ausschu
Ausschu
Technik

13414 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Präsident Wolfgang Thierse

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen

(Bönstrup), Dr. Ole Schröder, Dirk Fischer (Hamburg),

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:
Promillegrenze in der Seeschifffahrt
– Drucksache 15/4383 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-
tung der Bundesregierung zur Forschung an embryonalen
Stammzellen nach der Volksabstimmung in der Schweiz und
den damit verbundenen Auswirkungen für die Forschung in
Deutschland

ZP 6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,
Rainer Funke, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP: Menschenrechte in der
Volksrepublik China einfordern
– Drucksache 15/4402 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Funke,
Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Ratifikation des 12. Zusatz-
protokolls zur Europäischen Menschenrechtskonven-
tion
– Drucksache 15/4405 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

ZP 7 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag
der Bundesregierung: Einsatz bewaffneter deutscher
Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmis-
sion AMIS der Afrikanischen Union (AU) in Darfur/Su-
dan auf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004) und
1564 (2004) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 30. Juli 2004 und 18. September 2004
– Drucksachen 15/4227, 15/4257 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Joachim Hörster
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/4259 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Alexander Bonde
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer
Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Abwicklungsvertrags
nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung
– Drucksache 15/4407 –

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(C (D Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Rechtsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit rforderlich, abgewichen werden. Ferner ist vereinbart worden, den Tagesordnungs unkt 21 – Zukunft für Tschetschenien – vor dem Tagesrdnungspunkt 20 – Parlamentsbeteiligungsgesetz – aufurufen. Außerdem möchte ich auf eine nachträgliche Aus chussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auferksam machen: Der in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestages berwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich em Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwieen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz – BerBiRefG)

– Drucksache 15/3980 –
überwiesen:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? –
ch höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatz-

unkte 2 a und 2 b auf:
3 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

Kioto-Protokoll tritt in Kraft – Ein Erfolg für
den Klimaschutz und eine Verpflichtung für
die Zukunft

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött,
Dr. Rolf Bietmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Klimaschutz-Doppelstrategie – Kioto-Pro-
tokoll zu einem wirksamen Kioto-plus-Ab-
kommen weiterentwickeln und nationale
klimafreundliche Entwicklung konsequent
fortsetzen
– Drucksache 15/4382 –

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Das Kioto-Protokoll national konsequent
umsetzen und international verantwor-
tungsvoll weiterentwickeln
– Drucksache 15/4393 –

Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs-
ntrag der Fraktion der FDP vor.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13415


(A) )



(B) )


Präsident Wolfgang Thierse

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Russi-
sche Föderation hat das Kioto-Protokoll ratifiziert. Es
wird am 16. Februar nächsten Jahres in Kraft treten. Das
ist ein Durchbruch für den internationalen Klimaschutz.
Hier hat sich multilaterale Umweltpolitik gegen unilate-
rales Beharren durchgesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Erstmals gibt es eine völkerrechtlich verbindliche Ober-
grenze für den Ausstoß von Treibhausgasen. Das In-
Kraft-Treten des Kioto-Protokolls ist ein unüberhörbares
Signal, dass die internationale Staatengemeinschaft den
Klimawandel ernst nimmt. Der Klimawandel ist keine
skeptische Prognose mehr, sondern bittere Realität. In
diesem Sinne hatte uns der Bundeskanzler auf dem
Weltgipfel in Johannesburg gemahnt.

Meine Damen und Herren, das Kioto-Protokoll leitet
eine klimapolitische Trendwende ein. Es gibt ein erstes
Ziel – ich betone: ein erstes Ziel – auf dem Weg zu einer
Industriegesellschaft vor, die entschieden weniger Treib-
hausgase emittiert und fossile Brennstoffe effizienter
einsetzt als bisher.

Aktive Klimaschutzpolitik erfordert nicht – wie man
gelegentlich hört – den Abschied von der Industriege-
sellschaft; aktive Klimaschutzpolitik erfordert vielmehr
eine andere Industriepolitik. Tony Blair spricht von einer
„neuen, grünen industriellen Revolution“. Klimaschutz
befördert neue Entwicklungsmodelle in Wirtschaft und
Gesellschaft. Der Boom erneuerbarer Energien in
Deutschland wirkt beispielgebend auch und gerade für
Schwellenländer. Energieeinsparung und die Steigerung
der Energieeffizienz schonen das Klima und die natürli-
chen Ressourcen und sie zahlen sich für private Haus-
halte, für den Dienstleistungssektor, aber auch für das
produzierende Gewerbe sehr rasch in Euro aus. Notwen-
dig sind dafür jedoch die richtigen Anreize.

Mit dem Kioto-Protokoll bekommt die Nutzung der
Atmosphäre erstmals einen Preis. Das Protokoll setzt ei-
nen verbindlichen Rahmen, den wir innerhalb der EU
und hier in Deutschland umsetzen.

Eine aktive Klimaschutzpolitik bedeutet aber auch,
alle Sektoren und alle Akteure auf den verschiedenen
Ebenen miteinzubeziehen. Nur damit schaffen wir die
notwendige Akzeptanz in der Gesellschaft für solche
nachhaltigen Lösungsansätze. In diesem Sinne schreiben
wir das Nationale Klimaschutzprogramm derzeit fort.
Wenn man die Entwicklung des Ölpreises und die Rah-
menbedingungen an den Weltenergiemärkten analysiert,

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(C (D ann das nur eines heißen: Wir haben erhebliche ökonoische Chancen mit einer konsequenten Klimaschutzpoitik. Wir müssen vom Öl wegkommen. Anhaltend hohe lpreise bedrohen den Aufschwung gerade in den entwikelten Volkswirtschaften. Aber die Mehrkosten für Öl achen in den Ländern des Südens die Bekämpfung von unger und Armut noch schwerer. Gleichzeitig wird urch Entwicklungen im Mittleren Osten auf dramatiche Weise deutlich, welche sicherheitspolitischen Risien Abhängigkeiten von nur diesem einen Energieträger ergen. Eine nachhaltige Gestaltung der Energiepolitik welteit ist für uns auch und gerade aus Sicherheitsgründen otwendig. Eine intelligente Verknüpfung von Energieolitik und Klimaschutzpolitik ist entscheidend. Unser ngagement für erneuerbare Energien demonstriert: Kliaschutzpolitik ist machbar und vorteilhaft. Wir wurden urch diese Politik zum Technologieführer. Wir belegen eltweit in der Technologie der Windkraft den ersten latz und in der Photovoltaik hinter Japan den zweiten. ie Zukunft gehört den erneuerbaren Energieträgern, ie der Bundeskanzler zu Recht festgestellt hat. Meine Damen und Herren, über das In-Kraft-Treten es Kioto-Protokolls dürfen wir uns alle freuen. eutschland gehört – ich sage das parteiübergreifend – u den Hauptarchitekten der internationalen Klimachutzpolitik. Grundlage war eine breite Übereinstimung über alle Parteigrenzen hinweg. Die Enqueteommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Bundesags hatte sich schon 1990 für eine konsequente Klimachutzpolitik ausgesprochen und unter anderem eine inderung der Treibhausgasemissionen der Industrietaaten um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 empfohlen. Die Verhandlungen über das Kioto-Protokoll wurden urch die Annahme des Berliner Mandats bei der ersten limakonferenz 1995 initiiert. In Bonn gelang dann im ahre 2001 der entscheidende Durchbruch für die Bechlüsse zur Anwendung des Protokolls. Die Bundesreierung hat sich danach wiederholt und auf allen Ebenen it Nachdruck bei unseren Gesprächspartnern in Russand für die Ratifikation des Kioto-Protokolls eingesetzt. Wir alle, der Bundestag, können das Kioto-Protokoll ls einen gemeinsamen Erfolg deutscher Klimapolitik ürdigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])


ch möchte an dieser Stelle Ihnen allen – ausdrücklich
einer Vorgängerin, Frau Merkel, für ihre Verdienste –
afür danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Die Klimakonferenz in Buenos Aires im Dezember
ieses Jahres findet im Jahr 10 nach dem In-Kraft-Treten
er Klimarahmenkonvention statt. Wir können hier auf
as Erreichte zurückblicken und andererseits Weichen
tellen, um die internationale Klimaschutzpolitik in den

13416 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Bundesminister Jürgen Trittin

kommenden Jahren fortzuentwickeln. Deutschland wird
hier im Rahmen der Europäischen Union seine Rolle
ernsthaft weiter spielen. Wir können als Europäer und
insbesondere als Deutsche in der Klimaschutzpolitik auf
beachtliche Erfolge verweisen. Im Januar 2005 wird eu-
ropaweit der Emissionshandel beginnen. Was viele An-
fang dieses Jahres noch nicht geglaubt haben, wird jetzt
Wirklichkeit. Mit der Umsetzung des Kioto-Protokolls
prägen wir den internationalen Prozess. Damit haben wir
bewiesen, dass man als Vorreiter in Europa weltweit tä-
tig werden kann. Aber auch innerhalb Europas gehen wir
mit dem Emissionshandel einen völlig neuen Weg. Die
EU-Kommission genehmigte den deutschen Nationalen
Allokationsplan schon in der ersten Handelsperiode. Wir
sehen bereits in dieser Handelsperiode eine Reduzierung
des klimaschädlichen Gases CO2 vor. Der Emissions-handel wird helfen, das Klima dort zu schützen, wo es
ökonomisch am sinnvollsten ist. Kohlenstoff erhält ei-
nen Preis, sodass der Markt seine Funktion als Suchme-
chanismus für die günstigste Vermeidungsoption und die
beste Technik erfüllen kann.

Deutschland hat mit seiner aktiven Klimapolitik den
Ausstoß von Treibhausgasen wesentlich verringern kön-
nen. Mit einer Reduktion der Treibhausgasemissionen
um 237 Millionen Tonnen liegen wir derzeit etwa
2 Prozentpunkte vor der Kioto-Zielmarke von 21 Pro-
zent. Zusammen mit dem Vereinigten Königreich von
Großbritannien hat Deutschland wesentlich dazu beige-
tragen, dass die Europäische Union beachtliche Fort-
schritte auf der internationalen Bühne vorzeigen kann.
Die EU hat bis 2002 die Treibhausgasemissionen um
knapp 3 Prozentpunkte gesenkt. Ohne die Anstrengun-
gen, die in Deutschland und im Vereinigten Königreich
unternommen worden sind, läge die EU hingegen bei ei-
nem Plus von 10 Prozent.

Deutschland spielt beim Schutz des Klimas innerhalb
der EU – wir hoffen: auch global – weiterhin ganz vorne
mit. Gesetzliche Maßnahmen und Regeln zum Klima-
schutz in Deutschland werden von anderen Ländern als
Vorbild angesehen. Das gilt für das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz, aber auch für unseren Ansatz, externe Kos-
ten etwa über die Ökosteuer wieder zu internalisieren.
Wir können im Bereich der erneuerbaren Energien se-
hen: Wir haben im Jahre 2004 erstmals 10 Prozent unse-
res Stroms regenerativ erzeugt. Zusammen mit den Ein-
sparungen im Bereich der erneuerbaren Wärme – eine
vielfach unbeachtete Säule der Energiepolitik – sparen
wir inzwischen bis zu 60 Millionen Tonnen Kohlendio-
xid ein. Damit schützen wir sehr endliche Ressourcen.

Wir haben auf der internationalen Konferenz für er-
neuerbare Energien im Juni 2004 in Bonn und mit dem
dort beschlossenen Aktionsprogramm den globalen Aus-
bau der Energieerzeugung aus Sonne, Wind, Biomasse
und Wasser weit vorangebracht. Mit der Umsetzung die-
ses Aktionsprogramms werden zugleich bedeutende Kli-
magasminderungen erreicht. Wenn wir, wie im Aktions-
programm vorgesehen, über diese Instrumente bis
2015 1 Milliarde Menschen Zugang zu moderner Ener-
gie verschaffen wollen, dann werden wir damit nicht nur
einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass diese
Menschen Armut überwinden, sondern wir werden auch

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(C (D ährlich bis zu 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgase eltweit einsparen. – Nur so viel zur Rolle der erneueraren Energien beim globalen Klimaschutz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auch bei der effizienteren und sparsameren Nutzung
on Energie gibt es riesige Potenziale. Wir wollen mit
lick auf die erste Verpflichtungsperiode des Kioto-Pro-
okolls mit dem neuen Nationalen Klimaschutzpro-
ramm sicherstellen, dass auch die privaten Haushalte,
uch der Verkehr, auch das Kleingewerbe ihren Beitrag
ur Reduzierung der CO2-Emissionen leisten. Das ist, souantifiziert in unserem Nationalen Allokationsplan, ein
eitrag von 9 Millionen Tonnen. Das haben wir zu er-
ringen.
Es wird dabei darauf ankommen, weitere Minde-

ungspotenziale zu erschließen. Ich finde es ermutigend,
ass es in den letzten Jahren gelungen ist, die CO2-Emis-ionen im PKW-Verkehr kontinuierlich zu reduzieren.
iesen Trend müssen wir aufrechterhalten. Aber wir
üssen auch im Güterverkehr zu einer Trendwende
ommen. Ich erwarte, dass die LKW-Maut, das heißt der
mstand, dass erstmals Umweltkosten in die Nutzung
on Verkehrswegen und damit in die Kalkulation einflie-
en, hier einen weiteren Schub bringt.
Im Gebäudebereich wollen wir die bewährten Instru-
ente – von der Energieeinsparverordnung bis zur ge-
ielten Förderung der energetischen Altbausanierung –
ortentwickeln. Gerade hier lassen sich erhebliche Min-
erungspotenziale kosteneffizient erschließen. Mit der
erbindlichen Einführung des Energieausweises ab
006 auch für Altbauten wird die energetische Qualität
ines Gebäudes künftig ein wichtiges Entscheidungskri-
erium beim Verkauf und bei der Vermietung von Woh-
ungen und Gebäuden sein. Dieser Ausweis schafft so
inen zusätzlichen Anreiz für Wärmeschutzmaßnahmen.
ufgrund der langen Lebensdauer von Gebäuden sind
nvestitionen in die Verbesserung der Wärmedämmung
nd der Heizungseffizienz besonders lange wirksam.
ir haben hier noch ein großes Potenzial.
Wir setzen mit diesem Plan das um, was der Bundes-

anzler einmal so formuliert hat:
Wer in der Klimadebatte glaubwürdig bleiben will,
der muss der Welt zeigen, dass er tatsächlich große
Anstrengungen unternimmt. Er muss zu Hause das
umsetzen, was er auf der internationalen Bühne
versprochen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Anzeichen der von Menschen mit verursachten
limaänderung werden immer stärker. Meldungen und
arnungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-

ern häufen sich: zunehmende Stürme, Dürren und Über-
chwemmungen. Die Gletscher in den Alpen und das
olareis schmelzen ab, und zwar in einem Tempo, das
issenschaftler noch vor zehn Jahren vielleicht für das
ahr 2020 oder 2025 prophezeit haben. Wir werden uns
eshalb in Buenos Aires auf der Klimakonferenz vor al-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13417


(A) )



(B) )


Bundesminister Jürgen Trittin

len Dingen mit den Folgen der Klimaänderung zu be-
schäftigen haben. Die Anpassung an den Klimawandel
wird mit auf der Tagesordnung stehen.

Anpassungsmaßnahmen sind in Entwicklungslän-
dern wie in Industriestaaten dringlich und unausweich-
lich. Die Entwicklungsländer sind von den Folgen des
globalen Klimawandels am stärksten betroffen. Gleich-
zeitig fehlen ihnen die Mittel, um diese zu handhaben.
Drei nach der Klimakonferenz in Bonn 2001 neu einge-
richtete Fonds werden Mittel für Anpassungsmaßnah-
men zur Verfügung stellen. Die EU-Mitgliedstaaten wer-
den gemeinsam mit anderen Industrieländern ab dem
Jahr 2005 jährlich insgesamt 410 Millionen US-Dollar
für den Klimaschutz und für die Anpassung an den Kli-
mawandel zur Verfügung stellen.

Die Bundesregierung wird sich bei der Konferenz in
Buenos Aires konstruktiv an der Diskussion gerade um
die Auswirkungen des Klimawandels und die notwendi-
gen Anpassungsmaßnahmen beteiligen. Die Beratungen
müssen zusammen mit der Diskussion über die Weiter-
entwicklung des internationalen Klimaschutzes nach
2012 voranschreiten; denn ohne zukünftige Emissions-
minderung und ohne eine Stabilisierung des Klimasys-
tems wird Anpassung in vielen Fällen unbezahlbar oder
gar unmöglich.

Wenn wir über Klimaschutzpolitik reden, müssen wir
auch über die Konsequenzen des Untätigbleibens reden.
Die Kosten der Flutkatastrophe in Europa 2002 wer-
den auf 16 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Die Hit-
zewelle 2003 hat zum frühzeitigen Tod vieler, besonders
älterer Menschen geführt und volkswirtschaftliche Kos-
ten in Europa von 13,5 Milliarden US-Dollar verursacht.
In Grenadas Hauptstadt Georgetown wurden in diesem
Sommer 90 Prozent der Häuser durch einen der vier
Wirbelstürme der diesjährigen Hurrikansaison zerstört.
Allein in Florida summieren sich die unmittelbaren
Schäden der Hurrikans in diesem Herbst auf mehr als
25 Milliarden US-Dollar. Solche Ereignisse werden sich
häufen. Klimaschutz ist machbar. Ein Untätigbleiben
können wir uns jedoch nicht leisten.

Die nächsten Jahre werden entscheidend dafür sein,
ob nicht mehr hinnehmbare Folgen des Klimawandels
wirklich verhindert werden können. Unsere Leitlinie ist
klar: Eine globale Erwärmung um mehr als zwei Grad
gegenüber den vorindustriellen Werten muss verhindert
werden. Kioto ist ein wichtiger, aber nur ein erster
Schritt. Weitere ehrgeizige Schritte müssen folgen.

Was sind die nächsten Schritte? Der Europäische Rat
wird sich auf dem kommenden Frühjahrsgipfel mit Stra-
tegien und Zielvorgaben zur mittel- und langfristigen
Emissionsminderung beschäftigen, die auch wirtschaftli-
che Aspekte berücksichtigen. Wissenschaftliche Ab-
schätzungen zeigen, dass die Treibhausgasemissionen
weltweit bis 2050 um etwa die Hälfte zurückgehen müs-
sen. Da die Emissionen in Entwicklungsländern zu-
nächst aber noch steigen werden, bedeutet das für die In-
dustriestaaten eine Minderung um etwa 80 Prozent.

Erste Notwendigkeit: Die Industrieländer müssen sich
auf ehrgeizige Reduktionsziele verständigen. Dabei ist

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(C (D ine ausgewogene Verteilung der Klimaschutzanstrenungen auf die beteiligten Staaten erforderlich. In dieem Zusammenhang setzt sich die Bundesregierung afür ein, dass sich die EU ein mittelfristiges Reduktinsziel von 30 Prozent bis 2020 setzt. Unter dieser Voaussetzung wird Deutschland seine Treibhausgasemisionen bis 2020 gegenüber dem Niveau von 1990 um 0 Prozent reduzieren. Wir müssen aber auch die USA ieder in den internationalen Klimaschutzprozess eininden. Der größte Verursacher von Treibhausgasemisionen muss seiner Verantwortung endlich gerecht weren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Auch Schwellen- und Entwicklungslän-
er mit hohen und rasch wachsenden Emissionen müs-
en erste wirksame Klimaschutzverpflichtungen über-
ehmen. Wir können es uns global nicht leisten, dass
iese Länder – ich sage es einmal so – die gleichen Feh-
er begehen wie wir. Wir brauchen eine globale Ener-
iewende. Ziel ist eine weltweit nachhaltige Energiever-
orgung durch den Ausbau erneuerbarer Energien und
ie massive Erhöhung der Energieeffizienz beim Einsatz
ossiler Energieträger. Bei der Deckung des absehbaren
usätzlichen Energiebedarfs in Schwellen- und Entwick-
ungsländern wird der Nutzung erneuerbarer Energien
ine Schlüsselrolle zukommen.
Ich finde es ermutigend, dass sich China, das sein
ruttosozialprodukt bis 2020 vervierfachen will, gleich-
eitig vorgenommen hat, bis 2010 10 Prozent seines
troms regenerativ zu erzeugen. Das zeigt übrigens, dass
ier ein Markt von durchaus großem Interesse auch für
eutsche Firmen entsteht.
Drittens. Wir brauchen Politiken und Maßnahmen für

en bisher nicht erfassten grenzüberschreitenden Flug-
nd Schiffsverkehr. Internationale Wettbewerbsge-
ichtspunkte sind dabei zu berücksichtigen. Die Treib-
ausgasemissionen des internationalen Flug- und Schiffs-
erkehrs nehmen weiter zu und gefährden die Erfolge
er Klimaschutzpolitik. Der UNEP-Chef Klaus Töpfer
at Recht – ich zitiere ihn –: Es ist ökologisch ein Un-
ing, dass der Treibstoff so weit heruntersubventioniert
ird, dass Flüge für 10, 20 oder 30 Euro zu haben sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir stehen an einem Wen-
epunkt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den
undeskanzler zitieren:

Wer beim Klimaschutz bremst oder auch nur auf
der Stelle tritt, wird in nur wenigen Jahren den An-
schluss an die wichtigsten Märkte des nächsten
Jahrhunderts verpassen.

Bei aller Freude über das In-Kraft-Treten des Kioto-
rotokolls – es bleibt kaum Zeit zum Feiern. Wir müssen
eiter an der Bekämpfung des globalen Klimawandels
rbeiten. Aktive Klimaschutzpolitik bietet eine Chance,
atastrophen abzuschwächen bzw. zu vermeiden.

13418 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Bundesminister Jürgen Trittin

Aktive Klimaschutzpolitik bietet eine Chance für grö-
ßere Unabhängigkeit vom Öl und damit für mehr Versor-
gungssicherheit im Energiebereich. Aktive Klimaschutz-
politik bietet auch und gerade eine Chance für
nachhaltiges globales Wachstum und für mehr Beschäf-
tigung. Vor allen Dingen stehen wir aber vor der Heraus-
forderung, unserer Verantwortung gegenüber den nach-
folgenden Generationen gerecht zu werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514500100

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Lippold, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Klaus W. Lippold (CDU):
Rede ID: ID1514500200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Sieben Jahre sind vergangen, seit die in-
ternationale Staatengemeinschaft das Kioto-Protokoll
angenommen hat. In dieser Zeit – so müssen wir feststel-
len – haben sich die Trends, auf die wir damals beschwö-
rend hingewiesen haben, ganz entscheidend verstärkt:
Ich denke an die Abschmelzung der Polkappen sowie
zunehmende Versteppung und Desertifikation, das heißt
die Verwüstung von Böden. Darüber hinaus geht es aber
auch um Fragen wie die Vernichtung der tropischen Re-
genwälder und um die möglichen Folgen eines Anstiegs
des Meeresspiegels. Ich glaube, wir sind über den Punkt
hinaus, dass man infrage stellen könnte, dass sich die
Dinge katastrophal entwickeln werden, wenn wir nicht
endlich handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Das ist für uns deshalb von besonderer Bedeutung, weil
die großen Schadensfolgen, die damit verbunden sind,
noch von keinem richtig eingeschätzt werden. Ich
glaube, die Schätzungen, die wir vorliegen haben, stellen
eher die Untergrenze der auf uns zukommenden Bedro-
hungen als die Obergrenze dar.

Für uns in der CDU/CSU-Fraktion ist das Anlass, un-
serer eigenen Politik im Klimaschutz- und Umweltbe-
reich eine ethische Fundierung zu geben. Wir meinen
nämlich, aus umweltethischen Gründen ist es geboten,
den nachfolgenden Generationen eine bewohnbare, die
wachsende Bevölkerung menschenwürdig versorgende
und deren Entwicklungschancen berücksichtigende Welt
zu übergeben. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die
Armutsgrenze zwischen Nord und Süd überwunden
wird. Wir im Norden müssen unseren Verpflichtungen
dem Süden gegenüber nachkommen. Notwendig ist
auch, dass wir den Artenreichtum der Schöpfung bewah-
ren. Gerade hier gibt es zurzeit ganz ernste Probleme.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Vor dem Hintergrund der Vision einer ungeteilten be-
wohnbaren Welt müssen wir bei aller Freude über das

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(C (D n-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls auch sehen, dass ieses – da teilen wir Ihre Einschätzung, Herr Minister – ur einen ersten wichtigen Schritt darstellt. Wissenschaftler warnen uns davor, Umweltund Kliaschutzpolitik nur als Symbolpolitik zu betreiben. Wir üssen weitere harte, konkrete Verpflichtungen nachfolen lassen, um die Probleme zu lösen. Deshalb will ich, ei aller Notwendigkeit, in Buenos Aires über Anpasungsmaßnahmen zu sprechen, noch einmal darauf hineisen, dass wir darüber hinaus an der Weiterentwickung der Vorsorgepolitik zwingend arbeiten müssen; enn mit Anpassungsmaßnahmen allein werden wir die robleme nicht lösen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


a diese Anpassungsmaßnahmen zum Beispiel in den
nselstaaten des Pazifik überhaupt nicht möglich sind,
üssen wir von vornherein auf andere Regelungen hin-
rbeiten.
Ich freue mich darüber, dass Russland für die Ratifi-

ation des Protokolls gewonnen werden konnte; das ist
in ganz entscheidender Schritt. Wir sollten nun gemein-
am mit der Russischen Föderation darüber nachdenken,
ie wir auch bilateral in diesen Fragen Positionen wei-
erentwickeln können.
Ich will damit aber auch die Aufforderung an die
undesregierung verbinden, dass wir uns darum bemü-
en, auch die USA für diesen Prozess zu gewinnen. Es
ibt erfreuliche Anzeichen im Kongress – ich denke an
cCaine – und im Senat. Amerikanische Politiker über-

egen jetzt offensichtlich, ob sie sich diesen Fragen nicht
n anderer Form zuwenden sollten, als das früher der Fall
ar. Wir sollten mit diesen das Gespräch suchen und den
nsatz weiterentwickeln, um die USA für die Lösung
nseres Problems zu gewinnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
icht handeln, werden jährlich allein 500 Millionen Ton-
en CO2 zusätzlich ausgestoßen. Das überspielt die bis-erigen Erfolge, die wir in der Bundesrepublik Deutsch-
and zum Beispiel durch den Ausstieg aus FCKW, den
luorkohlenwasserstoffen, erreicht haben. Das war ein
uter und richtiger Schritt, aber es macht deutlich, dass
nser Handeln allein nicht ausreichend ist. Wir müssen
ber Russland und die USA hinaus insbesondere die
chwellenländer in den weiteren Prozess einbeziehen.
abei müssen wir als Industrieländer uns nach wie vor
nserer besonderen Rolle in diesem Prozess bewusst
ein.
Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, China
olle 10 Prozent seiner Energie regenerativ erzeugen.
as ist positiv. Aber bei der Explosion des Energiever-
rauchs in China stellt sich natürlich die Frage: Was ist
it den verbleibenden 90 Prozent? Wie wird sich dies in
ukunft entwickeln? Wenn sich diese Entwicklung fort-
etzt, werden alle Einsparmaßnahmen in den Industrie-
ändern der westlichen Welt durch die Entwicklung in

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13419


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Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


den Schwellenländern überspielt. Deshalb ist das für uns
ein ganz zentraler Punkt, an dem wir ansetzen müssen.
Ich glaube, das können wir nicht so laufen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig sollte Deutschland auf die EU einwirken,
in Richtung der anderen Wirtschaftsblöcke – APEC,
AFTA, NAFTA – eine vergleichbare Politik zu betreiben
wie innerhalb der Europäischen Union. Wir müssen auch
auf dieser Ebene Mitstreiter gewinnen, wenn wir erfolg-
reich sein wollen. Das heißt aber auch, dass wir beispiel-
haft sein müssen bei der Reduzierung von Emissionen
über verschiedene Instrumente. Auf europäischer Ebene
haben wir jetzt Emissions Trading, den Handel mit
Emissionsrechten, eingeführt. Das ist ein guter Schritt.
Wir müssten solche Vereinbarungen aber nicht nur auf
der Ebene der EU, sondern weltweit haben. Erst dann
wird das Instrument voll funktionsfähig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich bitte auch darum, Herr Minister, dass wir die Mög-
lichkeiten, die über Clean Development Mechanism und
Joint Implementation gegeben sind, in vollem Umfang
und nicht begrenzt nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])


Es ist egal, wo Kohlendioxid emittiert wird; es kommt
darauf an, dass diese Emissionen reduziert werden. Des-
halb ist wichtig, hier keine Begrenzung vorzusehen. Re-
duktionsleistungen sollten dort erbracht werden, wo sie
kostengünstig möglich sind.

Sie haben in der letzten Diskussion zu dieser Frage
noch einmal darauf hingewiesen, dass das bei der
Selbstverpflichtung nicht der Fall sei. Herr Minister,
die Selbstverpflichtung hatte ein anderes Ziel und in die-
ser Hinsicht waren wir in der Bundesrepublik erfolg-
reich. Die Selbstverpflichtung zielte darauf ab, dass wir
für die Bundesrepublik Deutschland ein Ziel vorgeben,
aber der Wirtschaft die kostengünstigste Möglichkeit be-
lassen, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb ist eine Selbst-
verpflichtung nach wie vor sinnvoll und nicht so zu qua-
lifizieren, wie Sie es damals gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich gehe davon aus, dass wir heute, Herr Minister, so
viel Übereinstimmung haben wie selten zuvor in einer
Debatte in diesem Hause. Ich halte das nicht für falsch,
weil ich glaube, dass unsere gemeinschaftlichen An-
strengungen weltweit – Sie haben auf die Klimaschutz-
kommissionen verwiesen – von Erfolg gekrönt waren.

Aber, Herr Minister, das erspart uns natürlich nicht,
auch einmal darauf hinzuweisen, dass das eine oder an-
dere nicht geschehen ist und dass Sie sich klammheim-
lich von dem einen oder anderen verabschiedet haben.
Sie schreiben in dem Antrag, den Sie heute als Koalition
vorlegen, dass Deutschland seine nationale Reduktions-
pflicht – 21 Prozent der Emission von Treibhausgasen

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(C (D egenüber dem Basisjahr 1990 – in dem vorgesehenen eitraum, der erst später liegt, erfülle. Sie sagen aber icht, dass wir ursprünglich einmal von einer Verpflichung von 25 Prozent Reduktion ausgegangen sind. Der und für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der UND, ruft das sehr deutlich in Erinnerung und sagt: Deshalb wird das nationale Klimaschutzziel zur Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen um 25 Prozent bis 2005 gegenüber 1990 mit großem Abstand verfehlt werden. err Minister, Sie sollten sehen, was Sie verpasst haben, arum Sie es verpasst haben und wie wichtig es ist, etas zu tun. Gerade der letzte Ansatz, Herr Minister, ist ganz ent cheidend, damit wir über Ankündigungen hinauskomen. Sie haben zu Beginn dieses Jahres gesagt, Sie wollen ein überarbeitetes Klimaschutzprogramm vorlegen. (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mit Merz darüber oder mit Frau Merkel! Sie lehnen alles ab, was wir vorschlagen!)


ir haben jetzt Ende des Jahres 2004 und ich sehe nicht,
err Minister, dass dieses überarbeitete Klimaschutzpro-
ramm vorläge. Ankündigungen genügen nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Frage, was wir 2020 und 2040 erreichen, ist si-

herlich von Bedeutung. Aber wichtiger ist, dass wir die
ahziele erreichen und uns nicht mit Fernzielen über das
ichterreichen von Nahzielen hinwegtäuschen. Das kann
s nicht sein; deshalb müssen wir da anders vorgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir erwarten, dass Sie dies mit einem energiepoliti-
chen Gesamtkonzept leisten, das Sie in dieses Klima-
chutzprogramm einbauen. Wir gehen nach wie vor da-
on aus, dass wir einen vollständigen Energiemix
rauchen, nicht einen eingeschränkten, wie Sie ihn vor-
ehen,


(Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP])

eil Sie das Ziel auf diese Art und Weise nicht erreichen
önnen. Ich bitte Sie auch, Herr Minister, sehr deutlich
u machen, dass wir auf internationaler Ebene noch stär-
er als bisher vorgehen müssen.
Lassen Sie mich aber noch einen Punkt aufgreifen,

en Sie angesprochen haben: Gebäudesanierung. Wir
ehen nach wie vor davon aus, dass hier ein entscheiden-
es, großes Potenzial liegt. Aber wir bitten Sie, das wahr
u machen, was Sie in Ihr Koalitionspapier geschrieben
aben, nämlich hier steuerliche Anreize zu verankern.
ieser Punkt fehlt. Damit könnte eine CO2-Minderungn einer Höhe erreicht werden, die wir mit den bisheri-
en Instrumenten nicht erreichen. Bitte reden Sie nicht
ur darüber, sondern handeln Sie auch.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt für Sie besonders!)


ann kommen wir weiter.

13420 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)


Wir werden Sie auch unterstützen, wenn es darum

geht, im Bereich der Reduktion der Emissionen im Ver-
kehr, der autobezogenen Emissionen, weiterzukommen.
Ich glaube, dass hier ein weiterer deutlicher und wichti-
ger Ansatzpunkt liegt.

Wir müssen, Herr Minister, die internationale Um-
weltpolitik reformieren. Dem UNEP fehlen Mandat und
Ressourcen. Die CSD kann die Richtung der globalen
Umweltpolitik kaum beeinflussen. Die Sekretariate der
Umweltkonventionen sind weltweit verstreut. Die Glo-
bal Environmental Facility ist unterfinanziert. Hier gibt
es genügend Ansatzpunkte, bei denen wir etwas tun
müssen, etwas ändern müssen.

Ich glaube, wir werden über alle Fraktionen hinweg
mit unseren Wirtschaftspolitikern noch einmal über die
Vereinbarkeit von Umweltschutz und WTO sprechen
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist ein Ansatz, den ich für wichtig und richtig halte.
So wie wir in der Union das Klimaschutzziel in der Ge-
samtzielsetzung unserer politischen Arbeit verankern
wollen, müssen wir dieses Ziel auch gemeinschaftlich
verknüpfen und die WTO-Regeln mit dem Umwelt-
schutz in Einklang bringen.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass
wir uns gemeinschaftlich darum bemühen sollten, unse-
ren Beitrag zu einem schnelleren Erreichen des globalen
Ziels zu leisten. Es ist wahrscheinlich die bedeutendste
Herausforderung, die vor uns liegt. Wir sollten sie, wie
gesagt, gemeinschaftlich angehen. Das hilft unseren
Bürgern und den Menschen weltweit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514500300

Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kelber, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1514500400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es wird immer deutlicher: Der durch Menschen ver-
ursachte Klimawandel ist die größte globale Herausfor-
derung unserer Zeit. Bundeskanzler Gerhard Schröder
hat es auf dem Weltnachhaltigkeitsgipfel 2002 in Johan-
nesburg festgehalten:

Die weltweite Zunahme extremer Wetterereignisse
zeigt eines ganz klar: Der Klimawandel ist keine
skeptische Prognose mehr – er ist bittere Realität,
weltweit, in allen Kontinenten ... Diese Herausfor-
derung verlangt von uns entschiedenes Handeln.

Diese Ansicht wird von immer mehr politischen Führern
geteilt. Ich nenne beispielsweise Tony Blair, dessen wis-

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(C (D enschaftlicher Chefberater den Klimawandel für eine rößere Bedrohung hält als den internationalen Terrorisus. Aber auch in den Unternehmen setzt sich diese Ein icht durch. In der letzten Sitzungswoche gab es eine eranstaltung von BP Deutschland, auf der der Vortandsvorsitzende Dr. Franke den Klimawandel ebenalls als die „größte Herausforderung“ bezeichnet hat nd die Politik aufgefordert hat, schnell Klimaschutziele für den Zeitraum bis zum Jahr 2050 zu nennen, dait der Investitionsrahmen geklärt werden kann. Angesichts der Größe dieser Herausforderung ist die atsache, dass das Kioto-Protokoll unwiderruflich am 6. Februar nächsten Jahres in Kraft tritt, gar nicht hoch enug einzuschätzen. Die Ratifizierung des Kioto-Prookolls durch Russland ist auch ein Erfolg europäischer nd deutscher Diplomatie; denn der Druck der USA auf ussland, nicht zu ratifizieren, war enorm. Deswegen age ich: Es ist auch ein persönlicher Erfolg des Bundesanzlers, der dieses Thema immer wieder in Moskau anesprochen hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(Beifall bei der SPD)


Ich spreche übrigens ganz bewusst von der „Heraus-
orderung Klimawandel“ und nicht von der „Bedrohung
limawandel“. Natürlich sind die Gefahren durch den
limawandel so dramatisch, dass sich sowohl Nichthan-
eln als auch zögerliches Handeln von selbst verbieten.
ber bloß Negativszenarien zu beschreiben löst in der
ffentlichkeit nichts anderes aus als Resignation. Des-
egen müssen wir die großen Chancen, die die Klima-
chutzpolitik mit sich bringt, betonen. Es sind gesell-
chaftliche und wirtschaftliche Chancen, für die es sich
u engagieren lohnt. Davon muss man die Menschen
berzeugen.


(Beifall bei der SPD)

Es sind neue, energieeffiziente Produkte, die der Kli-
aschutz hervorbringt und mit denen Deutschland auf
em Weltmarkt punkten kann. Es sind die eingesparten
osten für die Energieträger, die in die Finanzierung von
ienstleistungen fließen und dort neue Arbeitsplätze
chaffen können. Ich will es einmal so sagen: Ich finan-
iere doch lieber den Handwerker, der auf meinem Dach
ärmedämmungen anbringt, als fundamentalistische
trukturen in Saudi-Arabien über das Begleichen meiner
lrechnung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU)


Ich bin kein Außenpolitiker und darf das deswegen
inmal deutlich aussprechen.
Angesichts der Tatsache, dass in der verarbeitenden

ndustrie in Deutschland Löhne und Nebenkosten nur
1 Prozent, aber Material- und Energiekosten 56 Prozent
er Gesamtkosten ausmachen, wird deutlich, dass der
limaschutz ein sehr großes Kostensenkungspotenzial

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13421


(A) )



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Ulrich Kelber

auch in der verarbeitenden Industrie hat. Das ist für den
Standort Deutschland sehr wichtig. Klimaschutz kann
dazu beitragen, dass die Kosten der Unternehmen, die
von schwankenden Energiepreisen sehr betroffen sind,
gesenkt werden können.

Klimaschutz bietet aber auch gesellschaftliche Chan-
cen. Es muss offen angesprochen werden: Unser welt-
weites System der Versorgung mit Rohstoffen und Ener-
gie funktioniert leidlich für 1 Milliarde Menschen und
das auch nur für einen sehr eng begrenzten Zeitraum,
nämlich in der Gegenwart. Es bietet dem Großteil der
Menschheit aber keine Chance, Wohlstand zu erlangen,
und nimmt den kommenden Generationen diese Chance
für die Zukunft. Deswegen ist es richtig, aus jeder Tonne
Öl, aus jeder Kilowattstunde Strom und aus jeder
Schiffsladung Rohstoffe wesentlich mehr Wohlstand he-
rauszuholen, um damit heute mehr Menschen und auch
den kommenden Generationen zu ermöglichen, in Wohl-
stand leben zu können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn am 16. Februar das Kioto-Protokoll in Kraft
tritt, dann sind die Klimaschutzziele bis 2010/2012 fest-
gelegt. Aber wir müssen schon heute über das Kioto-
Protokoll hinausdenken. Was kommt dann? Diese De-
batte wird in Buenos Aires beginnen und nächstes Jahr
innerhalb der Europäischen Union und der G 8 fortge-
führt. Es geht darum – dies ist erwähnt worden –, den
Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde auf
maximal 2 Grad zu beschränken. Nur dann – so die Mei-
nung der Wissenschaft – ist dieser Klimawandel einiger-
maßen zu bewältigen.

Früher haben die Lobbyisten einfach geleugnet, dass
es einen Klimawandel gibt. Heute sind sie etwas ge-
schickter. Sie wollen uns weismachen, es sei viel besser
und billiger, sich an die höheren Temperaturen anzupas-
sen, als die Emissionen von Treibhausgasen drastisch zu
senken.

Man sollte sich einmal die entsprechenden Zahlen
und Ereignisse anschauen. Das Deutsche Institut für
Wirtschaft schätzt, dass selbst ein gemäßigter Klima-
wandel allein in Deutschland in den nächsten Jahrzehn-
ten Kosten von fast 150 Milliarden Euro – es spricht
noch von 137 Milliarden und mehr – verursachen wird.
Das sind die Folgekosten vermehrter Wetterextreme, von
Dürreschäden, Deichbauten und anderem mehr.

Nicht enthalten sind in dieser Schätzung die zu erwar-
tenden Opfer an Menschenleben. Gestern wurde eine
Studie renommierter europäischer Wissenschaftler aus
dem Bereich Wetter und Klima veröffentlicht, die be-
sagt, dass der Extremsommer 2003 zu 90-prozentiger
Wahrscheinlichkeit bereits auf den menschlich verur-
sachten Klimawandel zurückzuführen ist. Man hat einen
statistischen Abgleich mit den Zahlen in anderen Som-
mern durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen:
Es gab allein in Deutschland 7 000 zusätzliche Hitzetote,
35 000 in Europa. Das sind Größenordnungen, die wir
uns vor Augen führen müssen.

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(C (D Was werden wohl die Angehörigen der Todesopfer er Stürme in Haiti und Japan davon halten, dass es eine iskussion darüber gibt, ob man sich statt des Klimachutzes einfach an den Klimawandel anpassen sollte? eit Menschengedenken sind noch nie in so kurzer Zeit o starke Stürme in so kurzen Abständen über diese Reionen hereingebrochen. Reine Anpassung ist keine Lösung; wir brauchen eine eutliche Senkung der Emissionen. Wer etwas anderes orschlägt, setzt seine eigenen kurzfristigen wirtschaftlihen Vorteile vor das Allgemeinwohl. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ie Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
at festgestellt, dass in den Industriestaaten zur Begren-
ung des Klimawandels eine Reduktion der Emissio-
en von Treibhausgasen um 80 Prozent bis 2050 not-
endig ist. Diese Einschätzung wurde von den
ührenden Wissenschaftlern der Welt immer wieder be-
tätigt.
SPD und Grüne haben sich vorgenommen, bis 2020

ie Emissionen in Deutschland um 40 Prozent zu sen-
en, wenn sich die EU zu einer Senkung um 30 Prozent
erpflichtet. Außerdem – auch das können Sie dem
eutigen Antrag entnehmen – wollen wir die Initiati-
en anderer europäischer Staaten, zum Beispiel die
chwedens und Großbritanniens, bis 2050 die Emissio-
en in der EU um 60 Prozent zu senken, aufgreifen und
u einer gemeinsamen europäischen Initiative weiter-
ntwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere an das Zitat des Chefs von BP Deutsch-

and: Die Wirtschaft will diese langfristigen Perspekti-
en. Sie will wissen, in welche Richtung sie investieren
oll, weil sie Wirtschaftsgüter benötigt, die über 30 oder
0 Jahre abgeschrieben werden müssen.
Wir wollen auch die Entwicklungs- und Schwellen-

änder in den Klimaschutz einbinden. Wir bekennen uns
n unserem heutigen Antrag dazu, dass in dieser Frage
uf lange Sicht weltweit nur ein für alle Menschen glei-
hes, einziges Recht existieren kann. Niemand kann sich
uf Dauer das Recht herausnehmen, mehr Treibhausgase
mittieren zu dürfen als Menschen in anderen Regionen
ieser Welt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

enn die Industriestaaten dieses Bekenntnis abgeben,
ird dies die Entwicklungs- und Schwellenländer dazu
ewegen, ebenfalls Verpflichtungen im Rahmen des Kli-
aschutzes zu übernehmen.
Wenn das die Entwicklungs- und Schwellenländer

un, hat das einen weiteren Vorteil; denn das Nichtein-
inden der Entwicklungs- und Schwellenländer war im-
er ein von den Vereinigten Staaten vorgetragenes
rgument dafür, sich nicht an den weltweiten Anstren-
ungen zum Klimaschutz zu beteiligen. Dieses Argu-
ent wäre weg. Wir sollten dann nicht in dem Druck

13422 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Ulrich Kelber

nachlassen, darauf hinzuwirken, dass die USA entweder
das Kioto-Protokoll oder spätestens die Nachfolgever-
einbarungen ebenfalls ratifizieren und als weltweit größ-
ter Emittent ihrer Verantwortung an dieser Stelle nach-
kommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte dazu einen weiteren Vorschlag machen.
Um den Druck weiter zu erhöhen, sollte die Europäische
Union anbieten, dass einzelne Bundesstaaten der USA
dem europäischen Emissionshandel beitreten können.
Denn auf der Ebene der Bundesstaaten gibt es einen gro-
ßen Widerspruch zur Klimaschutzpolitik von George
Bush. Diese Kritik muss gestärkt werden, um an dieser
Stelle zu einem anderen Ergebnis zu kommen.

Beruhigend ist in diesem Zusammenhang, dass es die
US-Wirtschaft ist, die beginnt, den Druck auf den Präsi-
denten zu erhöhen. Denn sie befürchtet erstens, nicht mit
wettbewerbsfähigen Produkten auf dem Weltmarkt auf-
treten zu können. Zweitens achten die weltweit agieren-
den Investmentfonds, die zur Refinanzierung der wirt-
schaftlichen Tätigkeit dienen, immer stärker darauf, ob
eine Firma auf eine Welt mit mehr Klimaschutz vorbe-
reitet ist. In dieser Hinsicht bekommen die amerikani-
schen Unternehmen immer schlechtere Noten und damit
Probleme mit ihrer Refinanzierung. Von daher beginnt
auch das Weltfinanzsystem, den Klimaschutz stückweise
zu unterstützen.

Die Enquete-Kommission des Bundestages hat nach-
gewiesen, dass Klimaschutz keine wirtschaftlichen
Nachteile mit sich bringt. Im Gegenteil, mit dem Emis-
sionshandel, der Förderung erneuerbarer Energien und
auch dem fortzuschreibenden Klimaschutzprogramm ha-
ben wir effiziente Instrumente. Wir werden aber neue
Instrumente entwickeln müssen. Ich schlage zum Bei-
spiel vor, dass man von dem japanischen Beispiel lernt
und ein deutsches und europäisches Top-Runner-Pro-
gramm einführt. Das heißt, man identifiziert die wich-
tigsten Energie verbrauchenden Produkte – PCs, Klima-
anlagen, Kühlschränke, Autos – und schreibt vor, dass
jedes Produkt innerhalb kürzester Zeit den Energieeffi-
zienzstandard des zu dem Zeitpunkt effizientesten Pro-
dukts erreichen muss. Es wird also etwa in 2004 gesagt:
In 2010 darf kein PC mehr verkauft werden, der nicht
wenigstens die Energieeffizienz des besten PCs des Jah-
res 2004 erreicht. Die Japaner werden dies tun und allein
damit ihre CO2-Emissionen vermutlich um 16 Prozent inden nächsten 15 Jahren reduzieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Klimaschutz bietet also neue Produkte, neue Jobs,

neue Möglichkeiten und mehr Nachhaltigkeit. Der Kli-
maschutz ist eine große Chance. Diese Chance müssen
wir beherzt und konsequent ergreifen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


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(C (D Ich erteile das Wort der Kollegin Birgit Homburger, DP-Fraktion. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die eutige Debatte gibt uns Gelegenheit, noch einmal über ie Situation des internationalen Klimaschutzes kurz vor em Beginn der nächsten Klimakonferenz zu sprechen. Die FDP begrüßt, dass durch die Ratifizierung des ioto-Protokolls durch Russland ein Durchbruch für den nternationalen Klimaschutz erzielt wurde. Endlich kann un das Kioto-Protokoll in Kraft treten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514500500
Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1514500600

Das ist auf der einen Seite ein Verdienst des Deut-
chen Bundestages, dessen Enquete-Kommission zum
chutz der Erdatmosphäre schon vor 14 Jahren für eine
onsequente Klimaschutzpolitik votiert hat. Die Ver-
andlungen über das Kioto-Protokoll wurden allesamt in
en 90er-Jahren begonnen und 1997 beendet, unter Re-
ierungsbeteiligung der FDP. Herr Minister Trittin, da
ie hier heute Morgen ausgeführt haben, dass die Unter-
chrift Russlands auch ein Erfolg der jetzigen Regierung
ar, hätten Sie dazusagen sollen, dass das auch ein Er-
olg der parlamentarischen Bemühungen war; denn hier
aben sich vor allen Dingen die Parlamente – auch der
mweltausschuss des Deutschen Bundestages – einge-
chaltet und Gespräche geführt. Deshalb ist das ein Ge-
amterfolg der Parlamente auf der Welt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt ist von entscheidender Bedeutung, dass der
ioto-Prozess in Gang gehalten wird und dass weitere
änder, insbesondere die USA, dazu bewogen werden,
er Kioto-Gemeinschaft beizutreten. Es müssen recht-
eitig tragfähige Konzepte für das Kioto-Protokoll und
eine Instrumente auch für die Zeit nach 2012 entwickelt
erden. Ich kann Ihnen vonseiten der FDP weiterhin
ine konstruktive Zusammenarbeit anbieten. Ich muss
hnen aber sagen, Herr Minister Trittin, dass ich erwartet
ätte, dass Sie hier heute Morgen etwas dazu sagen, wie
ie auf internationaler Ebene in den Klimaverhandlun-
en weiter verfahren wollen. Da Sie das nicht getan ha-
en, wird die FDP-Bundestagsfraktion für die nächste
itzung des Umweltausschusses einen Bericht anfor-
ern, damit Sie uns Rede und Antwort stehen und uns
agen, wie Sie diesen internationalen Prozess befördern
ollen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scharfe Drohung!)


Sie haben ja so schön gesagt, Herr Trittin, dass
eutschland der Hauptarchitekt der internationalen Kli-
apolitik sei. Leider kann man nicht behaupten, dass
ies unter Ihrer Ressortverantwortung zutrifft. Wenn ich
ir anschaue, wie die Bedingungen in Europa zustande

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13423


(A) )



(B) )


Birgit Homburger

gekommen sind, dann muss ich feststellen, dass
Deutschland dies nicht wirklich beeinflusst hat. Die Vo-
raussetzungen zur Nutzung der flexiblen Instrumente des
Kioto-Protokolls – Joint Implementation, CDM und
Kohlenstoffsenken – sind in Deutschland nach wie vor
nicht geschaffen. Die FDP hat hier in den letzten Jahren
in insgesamt acht Anträgen konkrete Vorschläge unter-
breitet. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht, wie wir
Deutschland auf den Emissionshandel und die Absen-
kung von Emissionen vorbereiten können. All diese An-
träge haben Sie mit den Stimmen von Rot-Grün abge-
lehnt.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Zu Recht!)


Ich habe mit Verwunderung das große Lob, das Sie
heute Morgen dem Emissionshandel erteilt haben, zur
Kenntnis genommen. Ich kann mich noch gut erinnern,
wie lange Sie sich dagegen gesträubt haben, den Emis-
sionshandel in Deutschland einzuführen. Letztendlich
wird der Emissionshandel in Deutschland durch den
Zwang der EU zum 1. Januar nächsten Jahres eingeführt.
Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre dieses effiziente
Instrument zur Erreichung von Klimaschutzzielen in
Deutschland sehr viel früher eingeführt worden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP bekennt sich dazu, dass wir auch auf natio-
naler Ebene Anstrengungen unternehmen und verstärken
müssen, um zu einem wirksamen und auch wirtschaftli-
chen Klimaschutz zu kommen. Dazu muss für Deutsch-
land allerdings ein schlüssiges Gesamtkonzept unter
Einbeziehung aller Instrumente und Sektoren erarbeitet
werden. Im Augenblick gilt der Emissionshandel nur für
die Industrie. Wir haben Sie aufgefordert, dieses Instru-
ment auf die Bereiche Verkehr und Haushalte auszuwei-
ten. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept. Das
von Ihnen angekündigte überarbeitete Klimaschutzpro-
gramm liegt immer noch nicht vor.

Ihre Aussage, Sie wollten sich für eine Emissionsmin-
derung innerhalb der EU um insgesamt 30 Prozent und
– unter dieser Voraussetzung – in Deutschland um
40 Prozent einsetzen, ist, Herr Minister Trittin, ein hilf-
loser Versuch, zu überdecken, dass Sie für Deutschland
kein klimapolitisches Gesamtkonzept haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Immer die gleichen Allgemeinplätze!)


Wir brauchen Energieeinsparungen, wir brauchen An-
strengungen zur Steigerung der Energieeffizienz und wir
brauchen Anstrengungen im Bereich der erneuerbaren
Energien. Aber das, was bis jetzt vorliegt, ist Stückwerk.
Wir brauchen in Deutschland ein Energiegesamtkonzept.
Wir haben auch dazu einen Antrag vorgelegt.

Herr Minister, Sie haben gesagt, dass die Abhängig-
keit vom Öl verringert werden soll. Sie haben aber nicht
gesagt, dass auch die Abhängigkeit vom Gas verringert
werden soll. Sie haben im Zusammenhang mit dem
Emissionshandel Anreize für eine verstärkte Nutzung

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(C (D on Gas gesetzt. Sie haben aber keinen Ton dazu gesagt, ass bereits in 20 Jahren die Gasvorräte überwiegend in ussland und Turkmenistan sein werden. Das sind nicht nbedingt die stabilen Regionen dieser Erde. enn Sie davon reden, dass wir die Abhängigkeit vom l verringern sollen, sollte das auch für andere Bereiche elten. Hier stellt sich die Frage, Herr Trittin: Was sagen Sie igentlich zu dem glorreichen Vorstoß des Kanzlers, (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn, was wir tun sollen?)


(Beifall bei der FDP)


ie Nutzung von Gas und Öl aus Russland in Deutsch-
and zu stärken und eine Initiative zu ergreifen für ein
eutsches Finanzkonsortium zur Beteiligung an dem lu-
rativen Gasgeschäft in Russland? Sehr verehrter Herr
inister Trittin, ich bin der Meinung, dass diese Bun-
esregierung hier einen großen Fehler macht. Sie erhö-
en damit zum einen die Abhängigkeit von einer be-
timmten Region. Zum anderen – das ist für uns ein ganz
esonderer Punkt – ist die Firma Jukos in Russland ent-
ignet worden; dem bisherigen Eigentümer wird ein
echtsstaatswidriger Prozess gemacht. Wenn dann die
eutsche Bundesregierung dazu auffordert, das Kern-
tück dieses Konzerns zu kaufen bzw. sich daran zu be-
eiligen, ist das aus deutscher Sicht nicht nur klimapoliti-
cher, sondern auch energiepolitischer Unsinn. Das ist
or allen Dingen auch unter dem Gesichtspunkt der
ahrung der Menschenrechte ein unmögliches Verhal-

en dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie verkennen, dass in wenigen Jahrzehnten mehr als
ie Hälfte aller Treibhausgasemissionen in Schwellen-
nd Entwicklungsländern auftreten werden. Mit fle-
iblen Instrumenten könnten wir hier eine kostengüns-
ige Reduzierung der Emissionen erreichen. Gerade in
iesen Ländern gibt es riesige Potenziale für die Sen-
ung von Emissionen, und zwar sowohl ökologisch als
uch ökonomisch, weil man dort die Emissionen zu
eutlich niedrigen Kosten mindern kann. Da das Welt-
lima an Grenzen nicht Halt macht, sollten wir dieses
otenzial endlich nutzen. Dazu kann ich Ihnen nur sa-
en: Hier haben Sie versagt! Andere Länder in Europa
aben aufgrund des Kioto-Protokolls bereits heute Ver-
inbarungen getroffen, damit diese flexiblen Instrumente
ur Reduzierung von Klimagasemissionen genutzt wer-
en können. Dazu gehören die Niederlande, Österreich,
änemark und Norwegen. Ich könnte Ihnen auch noch
ndere Länder aufzählen. Dazu kann ich Ihnen nur sa-
en: In Deutschland ist all das noch nicht gemacht wor-
en. Es hätte aber gemacht werden müssen. Hier haben
ie schlicht und ergreifend versagt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Immer die gleichen Reden, egal bei welchem Thema!)


13424 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Birgit Homburger

Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, dass

die Bundesregierung mit geeigneten Schwellen- und Ent-
wicklungsländern baldmöglichst in Verhandlungen über
zwischenstaatliche Übereinkommen zur gemeinsamen
Durchführung von Klimaschutzprojekten tritt. Das ist die
Voraussetzung dafür, dass deutsche und ausländische
Unternehmen gemeinsam diese Emissionsminderungen
auf rechtlich sicherem Boden durchführen können.

Dabei geht es im Übrigen nicht darum, dass die
Schwellen- und Entwicklungsländer, wie Sie es ausge-
drückt haben, nicht dieselben Fehler machen wie wir,
sondern darum, dass wir Technologietransfer gewähr-
leisten, was mit den Instrumenten des Kioto-Protokolls
auf hervorragende Weise möglich ist. Auf der einen
Seite können wir in diesem Bereich Technologie- und
Kapitaltransfer durchführen, auf der anderen Seite Ent-
scheidendes für das Weltklima erreichen. Deswegen
wollen wir, dass diese Instrumente endlich auch in
Deutschland genutzt werden.


(Beifall des Abg. Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU])


Wir fordern Sie auf, unverzüglich einen Gesetzent-
wurf zur Umsetzung der europäischen Richtlinie, der so
genannten Linking Directive, vorzulegen, die am
13. November dieses Jahres in Kraft getreten ist. Darin
wird festgelegt, dass genau diese Instrumente zur Redu-
zierung der Kosten beim Klimaschutz auch in Deutsch-
land genutzt werden können. Sie haben jetzt ein Jahr
Zeit, um diese Richtlinie umzusetzen. Ich hoffe, Sie wer-
den dieses eine Jahr nicht brauchen. Sie wissen nämlich
schon seit langem, dass diese Richtlinie umgesetzt wer-
den muss. Daher fordern wir Sie auf, sofort einen ent-
sprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514500700

Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Ende zu kom-

men.

Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1514500800

Herr Präsident, Klimaschutz ist eine nationale und

eine internationale Herausforderung. Wir werden sie nur
gemeinsam meistern können. Die FDP wird sich weiter-
hin konstruktiv daran beteiligen. Herr Minister Trittin,
machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Wir feiern das
In-Kraft-Treten des Klimaschutzprotokolls. Diese Bun-
desregierung allerdings kann man in keiner Weise feiern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514500900

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Loske,

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD])


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(C (D Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜEN)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-

or ich zu meinen Ausführungen komme, will ich kurz
em Kollegen Lippold und der Kollegin Homburger ant-
orten. Herr Lippold, ich finde es gut, dass in diesem
ohen Hause in Sachen Klimaschutzpolitik offenbar
ach wie vor ein breiter Konsens besteht. Auch finde ich
s richtig, dass man sich, wenn man ein Ziel wie das
005-Ziel verfehlt, darüber Gedanken macht, warum das
eschehen ist, und dass man darüber Rechenschaft ab-
egt. Aber ich finde es unstimmig, wenn Sie einerseits
eklagen, dass das 2005-Ziel nicht erreicht worden ist,
ndererseits aber jede Klimaschutzmaßnahme, die wir
orschlagen, ablehnen. Das passt vorne und hinten nicht
usammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Nun zu Ihnen, Frau Homburger. Sie haben wieder das
ohelied der flexiblen Instrumente gesungen und von
lean Development Mechanism und Joint Implementa-
ion gesprochen. Für die Zuhörerinnen und Zuhörer sage
ch: Das bedeutet im Wesentlichen, dass man Klima-
chutz außerhalb der eigenen Landesgrenzen betreibt,
eil es dort angeblich billiger ist.


(Zuruf von der FDP: Von wegen „angeblich“!)

nser Ansatz ist ein anderer. Wir wollen, dass ökologi-
che Innovationen und Strukturwandel hier geschehen,
eil wir glauben, dadurch auf den Weltmärkten der Zu-
unft ganz vorne zu sein. Deswegen brauchen wir hier
m Lande Strukturwandel und Innovationen. Bitte folgen
ie uns auf diesem Pfad! Das wäre vernünftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie haben über unsere Abhängigkeit von Öl und
as gesprochen – hier stimme ich Ihnen voll zu –, die zu
roß ist. Beim Öl beträgt sie über 90 Prozent, beim Gas
5 Prozent. Diese Abhängigkeit wird noch stärker wer-
en. Die Diversifizierungsstrategie, der zufolge wir un-
ere Energie aus verschiedenen Bezugsländern bekom-
en, ist zwar richtig, aber nur begrenzt möglich. Denn
iese Ressourcen konzentrieren sich nun einmal in einer
estimmten Region der Welt; das ist so. Übrigens habe
ch nichts gegen Turkmenistan. Bei Ihnen klang im Un-
erton immer mit: Ausgerechnet Turkmenistan! Meine
üte, die Gasressourcen sind nun einmal dort. Die beste
ersicherung gegen eine allzu große Abhängigkeit von
l und Gas – hier sollten wir uns einig sein – ist Energie-
insparung. Daran müssen wir arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt komme ich auf die Rahmenbedingungen der Kli-
apolitik zu sprechen. Es ist sehr wichtig, dass das
ioto-Protokoll am 16. Februar 2005 in Kraft tritt. Es ist
ine gemeinsame Anstrengung von Bundesregierung
nd Bundestag gewesen, sich dafür einzusetzen; das war
ichtig. Denn auch in diesem Hause hat es Leute gege-
en, die eine andere Tonlage angestimmt haben und für

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13425


(A) )



(B) )


Dr. Reinhard Loske

den Fall, dass das Kioto-Protokoll nicht in Kraft tritt,
über einen Plan B nachdenken wollten. Manche haben
gesagt, das wird sowieso nicht kommen, oder das still-
schweigend gehofft. Man kann nur sagen: Es ist gut,
dass wir in dieser Sache einen langen Atem gehabt ha-
ben. Man kann nur all denjenigen danken, die sich dafür
eingesetzt haben. Denn ohne das In-Kraft-Treten des
Kioto-Protokolls – darüber müssen wir uns im Klaren
sein – wäre der Klimaschutzprozess erlahmt; das wäre
ganz schlimm gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum nationalen Klimaschutzprogramm. Auch das
ist eine Randbedingung, die wir sehr ernst nehmen müs-
sen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie uns
sehr bald sagt, was sie zu tun gedenkt, um das Klima-
schutzziel zu erreichen. Ich sehe ein ganz großes Hoff-
nungszeichen darin – Uli Kelber hat es bereits angespro-
chen –, dass die Briten sowohl die Präsidentschaft in der
EU als auch die bei der G 8 übernehmen. Es ist ein Zei-
chen von strategischer Außenpolitik, wenn Blair jetzt
sagt, dass er die G-8-Präsidentschaft vor allen Dingen
nutzen will, um den Klimaschutz voranzubringen und
das mit dem Thema Afrika, also der Nord-Süd-Gerech-
tigkeit, zu verknüpfen – das ist genau der richtige An-
satz –, und wenn er sagt, er will die EU-Ratspräsident-
schaft dafür nutzen, dass wir uns Gedanken über die
zweite Verpflichtungsperiode ab 2012 machen. Ferner
meint er, dass der Luftverkehr endlich in das Klima-
schutzregime einbezogen werden soll. Es kann doch
nicht angehen, dass ein Bereich mit einer derartigen Dy-
namik systematisch ausgespart wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das sind sehr positive Vorschläge und da mache ich
mir eine Menge Hoffnung. Ich glaube, wir können es uns
in der Tat nicht mehr leisten, den Luftverkehr aus dem
Kioto-Regime und dem EU-Klimaschutzregime heraus-
zulassen – er gehört hinein. Es wird einen Wettbewerb
um die besten Instrumente geben, also ob es der Emis-
sionshandel sein soll, wie die Briten meinen, oder eher
fiskalische Elemente, die wir bevorzugen. Man wird se-
hen. Aber klar ist: Da muss etwas passieren. Ich be-
trachte das als positiven Wettbewerb zwischen Großbri-
tannien und Deutschland um die Vorreiterrolle im
europäischen Klimaschutz; das sehe ich mit einer gewis-
sen Freude. Diese Art von Wettbewerb finde ich sehr
gut. Wenn zwei so große Staaten wie Großbritannien und
Deutschland das Thema auf der Agenda so weit nach
oben setzen, dann kommt der internationale Klima-
schutzprozess in Europa und in den Vereinten Nationen
hoffentlich voran.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zu den Rahmenbedingungen noch Folgendes: Wir
hatten in den 70er-Jahren eine sehr starke Debatte über
die Endlichkeit der Ressourcen. Die Sorge stand im Vor-
dergrund, dass uns die Ressourcen ausgehen, vor allen
Dingen Öl und Gas. In den 80er- und 90er-Jahren wurde

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(C (D ehr über Klimaschutz geredet, über die begrenzte Aufahmefähigkeit der Atmosphäre in Bezug auf Spurenase. Die Einsicht nahm zu, dass die Grenze dabei nicht o sehr am Boden liegt, sondern am Himmel: nämlich in er Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre. Ich glaube, die ynthese muss jetzt, im vor uns liegenden Jahrhundert, arin bestehen, dass wir beide Themen zusammendenen: die Ressourcenverfügbarkeit und die Klimafrage. enn beides gehört zusammen. Wer die richtigen Antorten für den Klimaschutz und eine Strategie weg vom l findet, der wird die Nase vorn haben. Wir müssen das usammendenken; das ist ganz zentral. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Uli Kelber hat gemeint, wir sollten nicht die negativen
inge in den Vordergrund stellen. Ich will trotzdem, um
och einmal klar zu machen, wie wichtig es ist, dass wir
etzt handeln, ein paar Meldungen der letzten Wochen
nd Monate aufgreifen. Wenn wir abstrakt reden – die
limaforschung sagt dieses und jenes; die Wetterextreme
ehmen zu –, ist das zwar richtig, klingt aber auch irgend-
ie leblos. Deswegen werde ich ein paar konkrete Dinge
ennen: Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisa-
ion sterben schon heute jährlich mehr als 150 000 Men-
chen an den Folgen des Klimawandels; eine sehr trau-
ige Zahl, wie ich finde.
Das Internationale Komitee für Arktiswissenschaften

nd der Arktis-Rat haben eine gemeinsame Studie vor-
elegt, in der sie zu dem Schluss gekommen sind, dass
ie Arktis in besonderer Weise anfällig ist für die globale
rderwärmung. Die Wissenschaftler befürchten, dass die
isbären in der Arktis aussterben werden; das halte ich
ür eine sehr traurige Nachricht, übrigens auch für meine
inder, für viele Kinder.
Die Universität Zürich hat eine Studie vorgelegt, nach

er zwischen 1985 und 2000 die Gletscher in der
chweiz bereits 18 Prozent ihrer Fläche verloren haben;
n den gesamten Alpen sind es 22 Prozent gewesen.
Der Deutsche Wetterdienst hat vor wenigen Tagen

rklärt: Nach Einschätzung der Klimaforscher könnten
ie Jahresdurchschnittstemperaturen in Deutschland bis
um Jahr 2100 von heute 8,3 Grad Celsius auf rund
1 Grad Celsius steigen. Die damit verbundenen nasse-
en Winter und trockeneren Sommer würden zu mehr
ochwasser im Winter und größerem Wassermangel im
ommer führen. Wir haben es also mit fundamentalen
eränderungen zu tun.
Ich hatte eigentlich gehofft, Herr Brüderle wäre auch

ier; für ihn habe ich eine besonders traurige Nachricht
erausgesucht: Dietmar Rupp von der Staatlichen Lehr-
nd Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Baden-
ürttemberg warnt davor, dass infolge des Klimawan-
els die Eisweinlese in Deutschland völlig ausfallen
önnte. Der Eiswein, ein hohes Kulturgut, wird also
öglicherweise auch verschwinden. Das ist eine
chlimme Nachricht, nicht nur für Herrn Brüderle, son-
ern für uns alle.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schrecklich, schrecklich!)


13426 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Dr. Reinhard Loske

Im zweiten Teil meiner Ausführungen möchte ich et-

was zu unserem Antrag sagen. Was sind die Kernele-
mente des Antrages? Zunächst einmal ist es für uns ganz
wichtig, dass sich Deutschland das Ziel setzt, den Aus-
stoß seiner Klimagase bis 2020 um 40 Prozent zu redu-
zieren. Wir wollen, dass die Bundesregierung in der
Klimaschutzstrategie Pfade dafür aufzeigt, wie dieses
Ziel erreicht werden kann. Das ist eine sehr zentrale For-
derung von uns. Gleichzeitig wollen wir, dass sich die
Bundesregierung in Brüssel dafür einsetzt, dass der Aus-
stoß bis 2020 EU-weit um 30 Prozent reduziert wird.
Frau Homburger, Sie sprachen vorhin von einem Ablen-
kungsmanöver. Das ist völliger Blödsinn. Wir alle wis-
sen, dass wir gemeinsam handeln müssen. Die EU der 25,
also nach der Erweiterung um die neuen Beitrittsländer,
bietet ganz andere Einsparmöglichkeiten als die alte EU
der 15. Diese Potenziale müssen und wollen wir aus-
schöpfen.

Zweiter wichtiger Punkt unseres Antrages. Wir müs-
sen Vorreiterallianzen schmieden. Die Länder, die ge-
meinsam handeln wollen, sollen das auch tun. Man sollte
nicht darauf warten, bis auch der Letzte noch auf den
Zug aufspringt. In dem weiten Feld zwischen nationalen
Alleingängen und vollständiger Harmonisierung gibt es
sehr viele Handlungsmöglichkeiten. Gleichgesinnte kön-
nen gemeinsam handeln. Wir benötigen im Klimaschutz
Koalitionen der Willigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Den dritten Punkt, der in diesem Antrag für uns sehr
wichtig ist, möchte ich als „gerechtigkeitsorientierten
Klimaschutz“ bezeichnen. Mit dem Ansatz, der besagt,
wer viel emittiert, der erhält auch viele Emissionsrechte,
und wer wenig emittiert, der erhält auch nur wenige
Emissionsrechte, werden wir die Entwicklungsländer
niemals ins Boot der internationalen Klimapolitik holen
können. Das wäre nicht nur unmoralisch, sondern auch
unrealistisch. Es ist aber ganz zwingend, dass wir sie ins
Boot holen. Deswegen schlagen wir in unserem Antrag
den Ansatz vor, dass alle Erdenbürgerinnen und Erden-
bürger langfristig die gleichen Pro-Kopf-Rechte haben;
denn dieses Gerechtigkeitskriterium ist eine wichtige
Voraussetzung dafür, dass die Entwicklungsländer hin-
zukommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Englischen wird es mit „contract and converge“
bezeichnet. Die Industrieländer müssen ihre Emissionen
also senken und die Emissionen der Entwicklungsländer
dürfen zwar noch moderat wachsen, aber es gibt eine
Obergrenze, ein Cap, die nicht überschritten werden
darf. Das zusammengenommen könnte dazu führen, dass
die Blockade der internationalen Politik überwunden
wird. Uli Kelber sprach es bereits an: Das war immer ei-
ner der Haupteinwände des US-Senats. Er hat nämlich
gesagt, man brauche die Einbeziehung der Entwick-
lungsländer. Mit dem, was wir hier vorschlagen, bezie-
hen wir die Entwicklungsländer mit ein, stellen aber
gleichzeitig klar: Die Hauptverantwortung – das richtet
sich an die USA – tragen natürlich die Industrieländer;
denn sie haben das Problem verursacht. Deswegen müs-

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(C (D en die USA wieder an Bord kommen. Das ist zwingend rforderlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In dieser Angelegenheit sehe ich in den USA durch-
us auch den einen oder anderen Hoffnungsschimmer.
s gibt die Initiative zum Emissionshandel der Senato-
en McCain und Lieberman, die im Senat, ich glaube,
ber 40 Stimmen bekommen hat. Wir sehen, dass die
merikanische Öffentlichkeit die Ergebnisse der Arktis-
tudie und anderer Studien mit Erschrecken zur Kennt-
is nimmt und dass sich in vielen US-Bundesstaaten
New York State, Kalifornien und andere – in Sachen
limaschutz durchaus eine ganze Menge tut. Das heißt,
ie USA sind kein verlorenes Land in Sachen Klima-
chutz. Ich muss zwar leider sagen, dass von der Bun-
esebene im Moment wenig zu erwarten ist; die Ebene
arunter ist aber durchaus agil. Bezogen auf die Bundes-
bene versprechen wir uns von den guten Beziehungen
wischen Blair und Bush bzw. zwischen Großbritannien
nd den USA eine gewisse Belebung des transatlanti-
chen Klimadialogs.
Zum Thema Joint Implementation und CDM, die hier

ereits angesprochen wurden. Es ist klar, dass wir diese
nstrumente nutzen wollen und dass wir es unserer Wirt-
chaft ermöglichen müssen, dass sie sie nutzt. Für uns ist
ber auch klar, dass wir hohe Qualitätsstandards brau-
hen. Es muss sicher sein, dass es hier keinen Miss-
rauch gibt. Deswegen halte ich eine Orientierung an ei-
em goldenen Standard, also an der besten verfügbaren
echnologie, zumindest dort, wo öffentliche Mittel flie-
en, für das Allermindeste, was wir anstreben sollten.
Grundsätzlich sind wir ohnehin der Meinung, dass
an von dem Denken wegkommen muss, es sei alles nur
ine Bürde, eine Last und ein Kostenfaktor. Wir müssen
iel stärker die Chancen sehen und die Herausforderun-
en begreifen; denn es ist doch ganz offenkundig, dass
er Klimaschutz der Innovationsmotor der Zukunft wer-
en kann und muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Wir glauben, dass derjenige, der auf die Fragen Ant-
orten hat, wie man Öl oder auch ganz allgemein fossile
nergieträger am besten ersetzt und wie man das Klima
m besten schützen kann, auch den größten wirtschaftli-
hen Erfolg haben wird, und zwar deshalb, weil er auf
en Weltmärkten der Zukunft ganz vorne mitspielen
ird. Wir wollen das und wir hoffen, dass das ein ge-
einsames Anliegen des Hohen Hauses ist.
Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514501000

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/
SU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13427


(A) )



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Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1514501100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn am 16. Februar des nächsten Jahres erstmals völ-
kerrechtlich verbindlich ein Klimaschutzsystem in Kraft
tritt, das verbindliche Verpflichtungen zur Treibhausgas-
reduzierung vorgibt, dann ist das ein Meilenstein für den
internationalen Klimaschutz. Gerade wir als Umweltpo-
litiker müssen klar und deutlich sagen: Das ist wahrhaft
ein historischer Schritt. Wir als Union freuen uns, dass
wir seit 1990 auch international in den verschiedenen
Positionen daran mitgewirkt haben, einen solchen Erfolg
im Februar nächsten Jahres zu ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Weil das aus unserer Sicht ein Meilenstein ist, lieber
Kollege Reinhard Loske, möchte ich Sie persönlich an-
sprechen, da Sie zu Beginn völlig zu Recht konstatiert
haben, dass bis jetzt aufgrund der vorliegenden Anträge
und Redebeiträge glücklicherweise festzustellen ist: In
den Grundsätzen der Klimaschutzpolitik gibt es in die-
sem Haus einen großen Konsens. In dem Fall hätten wir
uns als Union gewünscht, dass wir dazu einen gemeinsa-
men Antrag formuliert hätten. Bis 1998 verhielt es sich
so: Wenn wir – ich war mehrfach dabei – auf interna-
tionale Konferenzen mussten, haben wir zuvor als Mehr-
heitsfraktion immer das Gespräch mit der Opposition ge-
sucht, um beim Klimaschutz die gemeinsame Basis
herauszustellen. Wir wollten so deutlich machen, dass
das Parlament in Grundsätzen der internationalen Klima-
schutzpolitik hinter der Regierung steht. Das haben wir
bis 1998 als Mehrheitsfraktion angeboten. Das wissen
Sie, Herr Müller, und auch Sie, Frau Mehl. Wir sind oft
persönlich auf Sie zugegangen.

Deshalb lautet heute unsere kritische Frage: Warum
haben Sie das nicht gemacht, sondern wollen eigene An-
träge durchsetzen? Es wäre besser gewesen, wir hätten
den Konsens in gemeinsamen Anträgen betont. Es wäre
besser gewesen, Sie wären auf uns zugegangen. Damit
wäre dokumentiert gewesen, dass wir dieses Ziel welt-
weit gemeinsam erreichen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Dann hätten Sie beim Emissionshandel etwas mehr Bereitschaft zeigen müssen!)


– Herr Kelber, das ist jetzt nur noch Nachkarten. Wenn
Sie hier dazwischenrufen: „Dann hätten Sie uns beim
Emissionshandel ein bisschen mehr entgegenkommen
müssen“,


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein, beim Klimaschutz!)


frage ich Sie: Haben Sie denn immer noch nicht verstan-
den, dass es darum geht, einerseits Grundsätze herauszu-
stellen, um deutlich zu machen, was wir wollen, anderer-
seits um den richtigen Weg zu ringen? Das ist die
Aufgabe des Parlaments. Karten Sie doch nicht mit sol-
chen Zwischenrufen nach!


(Beifall bei der CDU/CSU – Georg Girisch [CDU/CSU]: Der weiß es doch nicht, der Kelber!)


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(C (D Heute, wenige Tage vor einer wichtigen Klimaverragsstaatenkonferenz in Buenos Aires, wäre es sicher nteressant gewesen, Antworten auf einige zentrale Fraen zu geben, die Position unseres Landes auf dieser onferenz zu erläutern und – das geht darüber hinaus – ufzuzeigen, was nach 2012 geschehen soll. Es hätte eute konkret eine Antwort auf die zentralen Fragen der limaschutzpolitik gegeben werden müssen, nämlich ie weit der globale Klimaschutz gehen soll, darf und uss. Es geht also um die Frage: Was passiert nach 012? Ich muss deutlich sagen: Es reicht nicht, was Sie an ielvorstellungen genannt haben, zum Beispiel dass ann, wenn die EU eine Reduktion von 30 Prozent erreihen will, bei uns 40 Prozent angestrebt werden sollen. ie dieser Klimaprozess nach 2012 völkerrechtlich eltweit flankiert werden soll, haben Sie im Detail nicht esagt. Sie haben das bekannte Ziel auf europäischer bene dargelegt. Sie haben aber nicht erklärt, welche onzeption Sie nach 2012 wirklich anstreben. Es wäre och wenige Tage vor der Konferenz in Buenos Aires ineressant gewesen, hier im Deutschen Bundestag über olche konkreten Fragen zu diskutieren. Damit hätten ie deutlich machen können, in welche Richtung es geen soll, ob man dafür noch Verbündete gewinnen muss nd ob daran eventuell Fraktionen aus diesem Hause itwirken müssen, weil das die Regierung nicht allein achen kann. – Diese konkreten Punkte haben heute in er Berichterstattung der Regierung leider gefehlt. (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Dann machen Sie es doch!)


Es kann nicht die Aufgabe der Regierung sein, zu er-
lären: Wir als Regierung machen das nicht – das haben
ie gerade gesagt –, sondern das ist Aufgabe der Opposi-
ion. – In dem Fall können Sie auch gleich abdanken und
arauf verzichten, Politik zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ich kann nicht abdanken, weil ich kein Regierungsamt habe!)


Es gibt leider in den letzten Tagen eine Diskussion in
eutschland über die Frage: Wie viel Klimaschutz kön-
en wir uns in Deutschland vor dem Hintergrund der
irtschaftlichen Entwicklung noch leisten? Zeigen Sie
tzt mit dem Finger bitte nicht auf Wirtschaftsorganisa-
ionen. Sie selbst haben zum Beispiel die Stellungnahme
es neuen Vorstandsvorsitzenden von BP zitiert. Es gibt
tellungnahmen von noch vielen anderen. Man hat
anchmal das Gefühl, als ob einige Wirtschaftsleute viel
eiter sind, als das in der Politik wahrgenommen wird.
ch will darauf abzielen, dass es in der Regierung höchst-
ahrscheinlich keine einheitliche Position gibt; denn
enn ich die Stellungnahme von Herrn Clement im Wirt-
chaftsbericht lese, nämlich dass sich die Wirtschaftspo-
itiker gegen überzogene Standards der Umweltpolitiker
ehren müssten, und wenn ich heute feststelle, dass der
mweltminister sehr stark in seinen Reden betont, dass
eutschland bei den erneuerbaren Energien Weltmeister
st und man in dem Bereich tatsächlich Gutes erreicht
at, wir aber gleichzeitig nirgendwo ein belastbares

13428 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Dr. Peter Paziorek

Energiekonzept finden, das Wirtschaftspolitik und Um-
weltpolitik zusammenführt, dann kann ich nur sagen:
Dieses Konzept gibt es in dieser Regierung höchstwahr-
scheinlich nicht, weil es einen Dissens zwischen denen,
die Wirtschaftspolitik machen, und denen, die Umwelt-
politik machen, also zwischen dem Umweltminister und
dem Wirtschaftsminister, gibt. Sie haben keine Linie und
das müssen wir Ihnen vorwerfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514501200

Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Hustedt?

Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1514501300

Gerne.


(Georg Girisch [CDU/CSU]: Das kam aber sehr spontan!)



Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514501400

Herr Paziorek, Sie haben sich mit Ihrem Kollegen

Seehofer im Fraktionsvorstand sehr heftig dafür einge-
setzt, dass die CDU/CSU-Fraktion hier im Bundestag
dem EEG zustimmt. Stimmt es, dass Herr Merz und Frau
Merkel das verhindert haben? Kann man daraus schlie-
ßen, dass in Ihrer Fraktion in dieser Frage diametral ent-
gegengesetzte Positionen vertreten werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Peter Paziorek (CDU):
Rede ID: ID1514501500

Frau Hustedt, ich kann Ihnen klar und deutlich ant-

worten: Frau Merkel und Herr Merz haben nichts verhin-
dert.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nur nicht ermöglicht!)


Das, was Sie hier in der Öffentlichkeit wiedergeben, ist
völlig falsch. Richtig ist, dass sich viele Umweltpoliti-
ker, auch ich, in der Bundestagsfraktion dafür eingesetzt
haben, dass die erneuerbaren Energien eine realistische
Perspektive bekommen. Für uns sind erneuerbare Ener-
gien mehr als nur Windenergie. Das will ich deutlich sa-
gen. Da gibt es andere Ansatzpunkte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger [FDP] – Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das wollen doch alle!)


Aber der Ansatz, der dann in der Fraktion gefunden wor-
den ist, ist richtig. Wir alle sagen gemeinsam: Wir wol-
len in 2007/08 prüfen, wie wir den Emissionshandel
und die Förderung der erneuerbaren Energien even-
tuell rechtlich miteinander verbinden können. Das war
der Kompromiss im Fraktionsvorstand. Das war kein
Votum gegen die erneuerbaren Energien. Das war ein
Votum dafür, dass wir zu einem geeigneten Zeitpunkt
eine Zwischenbilanz ziehen, um die Fördermechanismen
eventuell besser aufeinander abzustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


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(C (D An diesem Bereich wird deutlich, wie sehr im Detail m die einzelnen Schritte, zum Beispiel die Verbindung es Emissionshandels mit der Förderung erneuerbarer nergien, gerungen werden muss, ohne dass man das roße Ziel aus den Augen verlieren darf. Die Zusamenfassung von Umweltpolitik, Klimaschutzpolitik und irtschaftspolitik erfordert eine kluge Politik. Deshalb öchte ich für unsere Fraktion die Akzente in vier Punken etwas anders setzen, als es der Minister in seiner Reierungserklärung getan hat. Erstens. Eine Klimaschutzpolitik, die nicht durch ein nergiekonzept flankiert wird, wird auf Dauer scheitern. ir können nicht einerseits Klimaschutzpolitik betreien, andererseits in der Energiepolitik gegenläufige iele anstreben. Das ist der große Vorwurf, den wir Ihen machen müssen. s gibt keine Rahmendaten und keine Vereinbarung daüber, wie der Kraftwerkpark in Deutschland nach 2010 rneuert werden soll. Wenn wir die Verbesserung der irkungsgrade erreichen, dann haben wir Hervorragenes geleistet. Wir werden eine Summe von 40 Milliarden uro in die deutsche Wirtschaft pumpen. Das bedeutet rbeitsplätze und das bedeutet Technologiefortschritt. eshalb sagen wir: Beides gehört zusammen. Legen Sie itte solch ein Konzept vor! Erst dann wird eine Klimachutzpolitik auch im nationalen Rahmen glaubwürdig. Zweitens. Es kann nicht sein, dass wir auf europäi cher Ebene Vereinbarungen treffen und Zielvorstellunen über die Verringerung des CO2-Ausstoßes entwi-keln, dann aber nicht mehr nachprüfen, ob die anderen taaten in Europa tatsächlich diese Ziele erreichen. Es ann nicht sein, dass große Ziele auf europäischer Ebene ur verkündet werden und dann keiner prüft, ob die Reuktion des CO2-Ausstoßes in anderen Staaten tatsäch-ich realisiert wird. Dass nur wir in Deutschland auf dieem Weg erfolgreich sind, die anderen Staaten die eduktion aber nur versprechen und in Wirklichkeit den O2-Ausstoß beispielsweise um 9 Prozent erhöhen – ichill die Staaten nicht nennen –, darf auf europäischer bene nicht toleriert werden. Deshalb fordern wir von er Regierung klare Worte gegenüber einem solchen falchen Geleitzug auf europäischer Ebene. Drittens. Es reicht nicht, Ankündigungen zu machen; ir müssen vielmehr darauf achten, wie die Haushaltsolitik tatsächlich gestaltet wird. Wir haben bei den aushaltsplanberatungen in den letzten Sitzungen des mweltausschusses erfahren, dass es Haushaltsansätze ur Förderung der erneuerbaren Energien im Ausland ibt, dass aber die dafür zur Verfügung stehenden Mittel icht abgerufen werden. In einer Diskussion in diesem Hause ist darauf hingeiesen worden, dass ausreichend Mittel für die Gebäuesanierung vorhanden sind. Später war festzustellen, ass die Mittel bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau icht in dem Maße abgerufen worden sind, wie es die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13429 Dr. Peter Paziorek Haushaltsansätze ermöglichen. Erlauben Sie mir deshalb ein kritisches Wort gegenüber Ankündigungen wie denen, die Sie heute Morgen gemacht haben, Herr Minister. Wir brauchen eine Bilanz, aus der hervorgeht, inwieweit die Mittel, die Sie im Haushalt veranschlagt haben, auch tatsächlich abgerufen und die entsprechenden Vorhaben realisiert werden. Denn das ist die Schwachstelle Ihrer Regierung: Es reicht nicht, Vorhaben anzukündigen; vielmehr muss klar und deutlich gesagt werden, inwiefern wir konkret mithelfen können, dass all das, was versprochen wird, auch realisiert wird. An dieser Stelle gibt es bei Ihnen Defizite. Deshalb halten wir auch die Anregungen und Forderungen der FDP für richtig und unterstützen sie. Wir müssen uns im Umweltausschuss damit befassen, welche die konkreten Ziele der internationalen Klimaschutzpolitik sind und was für die Zeit nach 2012 vorgesehen ist. Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, wie es sich mit den Ankündigungen und der anschließenden Realisierung verhält. Es geht nicht an, hier immer wieder ein großes Wolkengebäude aufzubauen, hinter dem sich die Tatsache verbirgt, dass die Realisierung nicht sehr positiv verläuft. Das werden wir als Union nicht mehr tolerieren. Viertens. Lieber Kollege Reinhard Loske, ich kann nicht verstehen, dass Sie Ihr grundsätzliches Bekenntnis, es sei richtig, die flexiblen Instrumente stärker zu nutzen, einschränken, indem Sie sagen, das sei nur dann möglich, wenn der beste technische und ökologische Standard in den Schwellenund Entwicklungsländern realisiert wird. Wenn in China der Wirkungskreis eines Kohlekraftwerks von 19 Prozent auf beispielsweise 40 Prozent hochgesetzt wird, dann wird damit zwar nicht der beste Wirkungsgrad von 45 Prozent erreicht, aber weltweit bedeutet dies doch einen gewaltigen Fortschritt. Deshalb sind wir sehr enttäuscht darüber, dass auch von Ihnen, Herr Kelber, immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Anrechnung und die flexiblen Instrumente ein Ausweichen von deutscher Seite bedeuteten. Das stimmt aber nicht. Wir müssen die Chancen nutzen. Von Ihnen müssen wir konkret wissen, wie Sie die EU-Richtlinie umsetzen wollen, die innerhalb eines Jahres umgesetzt werden muss. Dass entsprechende Maßnahmen in Entwicklungsund Schwellenländern auch mit deutschen Mitteln finanziert werden können, wäre ein Fortschritt und damit könnten wir den Klimaschutz auf internationaler Ebene weiterbringen. Hören Sie auf zu blockieren und von vornherein die Einführung des bestmöglichen Standards zu fordern! Denn damit machen Sie eine gute Idee kaputt und das wäre ein Rückschritt für den internationalen Klimaschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU)


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(Beifall bei der CDU/CSU)


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein!)


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(C (D Ich erteile Kollegen Hermann Scheer, SPD-Fraktion, as Wort. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle issen – das ist auch in der heutigen Debatte wieder um Ausdruck gekommen –, dass das Kioto-Protokoll ine schwere Geburt war. Die Verhandlungen dauerten ahezu zehn Jahre und das Ergebnis ist, gemessen an em tatsächlichen Problem, minimal. Wir wissen zwar, dass wir wegen der großen Zahl der eteiligten auf internationaler Ebene häufig mit Minialergebnissen leben müssen; denn diese sind besser als ar kein Ergebnis. Wir wissen aber auch, dass nach den orstellungen des Intergovernmental Panel on Climate hange – es hält eine Minderung der Treibhausgasemisionen um 60 Prozent bis 2050 für notwendig – ein Kliaschutz, der eine Reduktion um 5 Prozent bis zum Jahr 012 nur bei den beteiligten Industrieländern vorsieht, icht das Maß aller Dinge sein kann. Wenn man die Gründe für die bestehenden Wider tände kennt, dann ist es sicherlich nicht sehr realistisch, ezogen auf alle Länder der Erde davon auszugehen, ass das angestrebte Ziel bis zum Jahr 2050 auch nur anähernd erreicht werden kann, wenn nicht die Voraussetung erfüllt ist, dass wir über Kioto – das ist auch von li Kelber und Reinhard Loske angesprochen worden – zw. über die Prämissen der bisherigen Verhandlungen nd der versuchten Entscheidungsfindung sowie über ie bisher praktizierten Methoden hinausdenken. Nicht alles, was notwendig ist, lässt sich international ushandeln. Es gibt nämlich in der gesamten internatioalen Diskussion – das ist für meine Begriffe eines der auptprobleme – einen unüberbrückbaren politikmethoischen Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, Maßahmen und Initiativen zu beschleunigen und auszuauen, und dem Willen, alles im weltweiten Konsens zu rreichen. Beides zugleich geht nicht. Die Schlussfolgeung, die daraus gezogen werden muss, ist, dass man neen den Versuchen, zumindest Minimalkonsense interational zu erreichen, verstärkt auf andere und nsbesondere eigene Initiativen setzen muss. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514501600
Dr. Hermann Scheer (SPD):
Rede ID: ID1514501700

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


as ist deshalb so wichtig, weil die Darstellung von Kli-
aschutzmaßnahmen im Kioto-Protokoll als Last – das
st schon in psychologischer Hinsicht nicht vorteilhaft –
m Grunde genommen die Vorbedingung dafür war, dass
nschließend um die Lastenverteilung gefeilscht
urde, und die Hinweise, dass dies ein riesiger Vorteil
st, ständig unter den Tisch fallen und nicht mehr ein we-
entliches Element der Entscheidungsfindung bei sol-
hen Verhandlungen sind.
Das Kioto-Protokoll setzt ein Minimalziel und seine
msetzung bereitet natürlich Probleme. Aber wir müssen
eiter denken; denn die Clean Development Mechanism

13430 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Dr. Hermann Scheer

haben unter anderem den Effekt, dass dieses Minimalziel
zum Maximalziel wird. Schließlich werden ökonomische
Anreize nur für das Erreichen des Minimalziels gegeben.
Deswegen müssen wir – das sollten wir schon in unserem
jetzigen Handeln berücksichtigen – auf der einen Seite
das Kioto-Protokoll umsetzen und auf der anderen Seite
weitere Initiativen vorantreiben. Das ist die zwingende
Schlussfolgerung, die sich aus dem geschilderten objek-
tiven Problem ergibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang sind
– darüber muss auch auf internationaler Ebene reflektiert
werden – die Kalkulationsmethoden einer optimalen
Kostenallokation für klimaschützende Maßnahmen;
denn diese würden in letzter Konsequenz bedeuten, dass
jedwede Umweltinvestition in Deutschland unverant-
wortlich wäre, weil mit dem gleichen Geld etwa im Se-
negal oder in Thailand mehr CO2-Emissionsreduktionals bei uns erreichbar wäre. Diese gewissermaßen kon-
zeptionell angelegte Konsequenz kann aber niemand
verantwortlich ziehen. Im Kioto-Protokoll sind in dieser
Hinsicht zwar gewisse Bremsen eingebaut worden. Aber
diese gedankliche Prämisse begegnet uns ständig in wirt-
schaftswissenschaftlichen Gutachten. Manche gehen so-
gar so weit und sagen: Aus diesen Gründen sollte man
etwa das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen. –
Eine geradezu absurde Konsequenz, die daraus gezogen
wird!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei den beschriebenen Kalkulationsmethoden, die zu-
nehmend auch Gutachten von bestimmten Umweltinsti-
tuten prägen, fallen – neben dem Klimaschutz – automa-
tisch andere harte ökonomische Fakten und ethische
Motive flach, die eigentlich zu neuen Initiativen führen
müssen. Die Gesundheitsschäden des herkömmlichen
Energiesystems lassen sich mit CO2-Minderungkalkula-tionen nicht erfassen, ebenso nicht die Sicherheitsvor-
teile, die sich aus einer „Weg vom Öl“-Strategie und der
damit einhergehenden Minderung der militärischen Si-
cherheitskosten ergeben, die sicherlich auch bei uns wei-
ter steigen werden. Im Moment gehen diese Kosten in
den USA und in Großbritannien nicht zuletzt zulasten
des Klimaschutzes und ökologischer Investitionen.

Ein weiteres Problem ist der unglaublich hohe Was-
serverbrauch von herkömmlichen Kraftwerken. Die Ein-
sparung von Wasser durch den Wechsel zu Systemen,
die mit erneuerbaren Energien arbeiten, lässt sich eben-
falls nicht mit CO2-Minderungskalkulationen erfassen.

Schon gar nicht lässt sich das Problem der Entwick-
lungsländer damit lösen. Viele dieser Länder müssen
schon heute mehr für den Import von Erdöl zahlen, als
sie durch den Export überhaupt erwirtschaften. Die Kon-
sequenz ist, dass diese Länder, volkswirtschaftlich gese-
hen, eindeutige Vorteile haben, wenn sie von Ölimporten
zur Produktion heimischer Energieträger, insbesondere
eigener Bio-Treibstoffe – darauf ist ihre Infrastruktur be-
sonders angewiesen –, wechseln.

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(C (D Das alles sind Belege dafür, dass wir zusätzlich zur ortsetzung von Klimaschutzverhandlungen und ihrer ptimierung weitere Initiativen brauchen. Dazu gehören ppelle und das Insistieren auf der Ethik der individuelen Verantwortung; denn das, was man selbst aus ethichen Gründen, in eigener Verantwortung und mit eigeem Spielraum – so er gegeben ist – macht, lässt sich mit einem Modell verrechnen, wie immer es aussieht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grunde nenne ich ein paar Hinweise, wo
nsatzpunkte liegen könnten.
Ein Ansatzpunkt zur Eindämmung des Energiever-

rauchs im Flugverkehr könnte die WTO sein. Die
teuerbefreiung der Flug- und Schiffstreibstoffe ist ein
larer Fall der Diskriminierung der Verkehrsträger des
andverkehrs; denn die Treibstoffe dieser Verkehrsträ-
er sind besteuert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)

nsofern hätte sich die WTO schon längst damit beschäf-
igen müssen. Sie hätte für eine Beseitigung dieser Dis-
riminierung eintreten können, und zwar nicht mit dem
iel, die Treibstoffe des Landverkehrs von der Steuer zu
efreien, sondern mit dem Ziel, auch die Treibstoffe des
chiffs- und des Flugverkehrs zu besteuern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein anderer Ansatzpunkt ist der Energiehandel. Die
TO hätte schon längst im Energiehandel tätig werden
üssen. Wenn sie es nicht von sich aus tut, dann muss
an versuchen, sie dazu zu bringen. Wir haben es heute
it der absurden Situation zu tun, dass der Handel mit
ossilen Energien quasi zollfrei ist, dass aber der Handel
it Energieeffizienztechniken und mit Solarenergietech-
iken teilweise mit Zöllen von bis zu 80 Prozent belegt
t. Wenn wir vorankommen wollten, müsste es eigent-
ch genau umgekehrt sein. Das läge im Interesse aller
änder, nicht zuletzt der Dritten Welt und sogar der eige-
en Exportwirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)

Schließlich sollten wir zwingend die Initiative ergrei-

en – wir sollten nicht warten, wie sich das internationale
ystem, das in dieser Frage bisher versagt hat, dazu ver-
ält –, die Förderung erneuerbarer Energien auf interna-
onaler Ebene zu institutionalisieren. Die Regierungs-
raktionen haben einen entsprechenden Beschluss
efasst. Auch der Koalitionsvertrag enthält dieses Ziel.
uf dem internationalen Parlamentarierforum in Bonn
m 2. Juni parallel zur Konferenz „Renewables 2004“ ist
er Antrag, eine internationale Agentur für erneuer-
are Energien einzurichten, einstimmig, also auch mit
en Stimmen der Kollegen aller Fraktionen aus diesem
ause, verabschiedet worden.
Man kann dies nicht davon abhängig machen, ob das
N-System und die anderen UN-Organisationen damit

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13431


(A) )



(B) )


Dr. Hermann Scheer

einverstanden sind. Sie sind damit nicht einverstanden.
Wenn sie nämlich damit einverstanden wären, dann
müssten sie zugeben, dass sie in dieser Frage das Not-
wendige bisher nicht zustande gebracht haben oder zu-
stande bringen durften, weil ihre Statuten es ihnen unter-
sagen.

Aus diesem Grunde kann man nicht einfach nur auf
die Internationale Energie-Agentur verweisen. Sie hat
gerade einen Zuwachs der Nutzung fossiler Energieträ-
ger um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 als unabweisbar
notwendig dargestellt. Es gibt Organisationen, die wie
die IEA für fossile Energien oder wie die Internationale
Atomenergiebehörde für die Mobilisierung und den
Technologietransfer der Atomenergie da sind. Es gibt
auf der institutionellen Ebene nichts Vergleichbares zur
internationalen Mobilisierung erneuerbarer Energien.
Deswegen dringen wir darauf, nun die notwendigen
Schritte zur Umsetzung einzuleiten. Wir müssen hier ini-
tiativ werden; denn wir haben diese Idee entwickelt. Da-
her sollten wir hier voranschreiten und andere mitziehen,
auch wenn sie im Moment noch zögerlich sind. Wenn sie
nicht heute mitmachen, dann machen sie eben morgen
mit.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514501800

Ich erteile das Wort Kollegen Franz Obermeier, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1514501900

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist in

der Tat so, dass in der Klimaschutzpolitik über die Ziel-
setzung offenbar fraktionsübergreifend Konsens besteht.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!)

Insofern war die Regierungserklärung des Bundesum-
weltministers auch wenig angreifbar. Sie enthielt wenige
Einzelheiten und war sehr allgemein gehalten.

Ich möchte auf die Aussagen meines Vorredners zu-
rückkommen. Zur Besteuerung von Kerosin im Flugver-
kehr beispielsweise haben wir in allen Fraktionen ein-
deutige Festlegungen. Die Frage ist nur: Warum sind wir
bei diesem Einzelthema in den zurückliegenden Jahren
– immerhin haben wir seit sechs Jahren einen grünen
Umweltminister – keinen Schritt vorangekommen? Ist
das Untätigkeit oder Unvermögen?

Der Bundesumweltminister hat eine Rede gehalten,
ohne irgendwo einmal eine Quelle für seine Zahlen an-
zugeben. Ich möchte mich auf Zahlen der Internationa-
len Energie-Agentur beziehen. Wenn man diese Zahlen
verinnerlicht, dann erkennt man, dass das Bild in der in-
ternationalen Klimapolitik nicht ganz so rosig ist, wie es
heute gemalt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


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(C (D Nehmen wir beispielsweise die Prognosen für den eitraum von 1990 bis 2010: In diesem Zeitraum werden lle Industrieund Transformationsländer bei den CO2-missionen statt eines Minus von 5,2 Prozent ein Plus on 9 Prozent erreichen. In der Europäischen Union ollten wir eigentlich um 8 Prozent reduzieren. Nach iesen Prognosen, die auch von anderen Instituten getützt werden, erreichen wir in Europa aber allenfalls ine schwarze Null. Sehen wir nach Russland: In Russand haben wir eine CO2-Reduzierung um ein Drittel zuerzeichnen. Die Russen sind Gott sei Dank dem Kiotorotokoll beigetreten. Nach der Ratifizierung setzt der andel für 1,5 Milliarden Tonnen CO2 ein. Wo bleibt derositive Klimaeffekt? In den Entwicklungsländern weren die CO2-Emissionen um 98,6 Prozent steigen. (Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis wann?)


ies bedeutet, dass wir in dem genannten Zeitraum welt-
eit insgesamt mit einer Steigerung auf 29,4 Milliarden
onnen zu rechnen haben. Es gibt namhafte Wissen-
chaftler, national und international, die aufgrund dieser
ahlen davon reden, dass das Kioto-Protokoll geschei-
ert ist. In der CDU/CSU-Fraktion gehen wir nicht so
eit. Aber wir müssen diese Problematik sehr wohl kon-
tatieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt komme ich auf die nationale Politik zurück. Wo

leibt der Ansatz der Bundesregierung dafür, innerhalb
er nächsten sechs Jahre eine weltweite Klimapolitik zu
orcieren? Zu Zeiten unserer Regierung, 1993, hat man
n der COP schon eindeutige Zielsetzungen beschlossen:
Verabschiedung und Durchführung von Programmen
nd Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimaverände-
ung“ oder „Entwicklung und Transfer von Techniken
ur Reduktion von Klimagasen“. Meine Damen und
erren von den Regierungsfraktionen, das beschränkte
ich bei Ihnen ausschließlich auf Windenergie und er-
euerbare Energien, was nicht ganz verkehrt ist, aber bei
eitem nicht ausreicht. Sie haben die Forschung und
ntwicklung bei den fossilen Energieträgern fast zum
rliegen gebracht.
Wenn Sie nun den Blick nach China oder Indien rich-

en, um zu sehen, wie dort der Energiehunger gestillt
ird, dann erkennen Sie: Es rächt sich ganz bitter, dass
ir in Deutschland als führende Nation bei der For-
chung und Nutzung fossiler Energieträger nahezu aus-
allen.
Die Technikfeindlichkeit von Rot-Grün treibt hier

anz besondere Blüten.

(Widerspruch bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: Das sind Platitüden!)

an beschränkt sich ausschließlich auf das, was – –


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie einmal etwas von Emissionshandel gehört, den Sie abgelehnt haben?)


Der Emissionshandel, Frau Kollegin, hat nichts mit
echnik und Technologien zu tun. Nur am Rande

13432 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Franz Obermeier

bemerkt: Vor dem Hintergrund dessen, was auf interna-
tionaler Ebene und insbesondere in den genannten Län-
dern in Sachen Kernenergie in den nächsten Jahren alles
passiert, ist es ganz bitter, dass wir uns auch aus diesem
Bereich, wenn es nach Ihnen geht, verabschieden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Technologie ist bei Ihnen nur Atom!)


– Ich rede allen Energieträgern das Wort, weil der welt-
weite Energiehunger in den nächsten Jahren und Jahr-
zehnten so groß sein wird, dass wir sämtliche Register
zur Erzeugung von Energie – das geht von Treibstoffge-
winnung bis hin zu Stromerzeugung – ziehen müssen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Toll!)


Herr Dr. Scheer, wir stimmen darin überein, dass wir
unsere Konzepte den Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern nicht überstülpen können. Eines muss aber klar
sein: Das, was wir können – das beginnt bei erneuerba-
ren Energien und geht bis zur Kernenergie –, müssen wir
im Sinne eines effektiven Klimaschutzes Staaten auf der
ganzen Welt günstig anbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen wird das im Moment auch auf den Klima-
rahmenkonferenzen so diskutiert. Das können Sie über-
all nachlesen.

Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik
Deutschland muss sich öffnen und wieder zur Entwick-
lung der bestmöglichen Techniken zurückkehren, um
sie in Deutschland und in den Ländern, die in den nächs-
ten Jahren eine gewaltige Entwicklung nehmen werden,
einsetzen zu können. Ich habe den Eindruck, dass wir in-
ternational gesehen eine einäugige Politik betreiben,
weil wir uns nicht trauen, Ländern wie China einsatzfä-
hige effiziente Techniken auf der Basis fossiler Energie-
träger anzubieten.

Zum Schluss lassen Sie mich festhalten: Vorbeugen-
der Klimaschutz muss sinnvoll sein. Im Saldo dürfen wir
nur teilweise auf teure Techniken zum Klimaschutz set-
zen. Wir müssen auch immer volkswirtschaftliche As-
pekte im Auge haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514502000

Ich erteile das Wort Kollegin Michaele Hustedt,

Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514502100

Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Das

Jahr 2005 wird ein sehr bedeutsames Jahr für den Klima-
schutz werden: Das Kioto-Protokoll tritt in Kraft und es
beginnt die Debatte über ein Kioto-plus-Abkommen; der
Emissionshandel in Deutschland und in Europa beginnt;
Deutschland wird ein neues Klimaschutzprogramm auf-
legen und Großbritannien hat angekündigt – das wurde
schon gesagt –, während seiner EU- und G-8-Präsident-

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(C (D chaft den Klimaschutz zu einem Schwerpunktthema zu achen. Großbritannien hat sich im Übrigen ohne kleinliches chielen auf die EU das ganz klare Ziel gesetzt, bis zum ahre 2050 die CO2-Emissionen im eigenen Land um0 Prozent zu reduzieren. Ich finde, es ist an der Zeit, ass auch wir in Deutschland uns das nächste Ziel vorehmen: Das wäre eine Reduktion der CO2-Emissionenm 40 Prozent bis zum Jahre 2020. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Angesichts der aktuellen Fakten, die uns im Augen-
lick geballt erreichen, sind wir uns, Herr Obermeier,
err Lippold und Herr Paziorek, anscheinend in der sehr
raurigen Analyse einig, dass der Treibhauseffekt schon
ängst zur Wirklichkeit geworden ist und es auch schon
ür unsere Generation und nicht erst für zukünftige weit
eichende Folgen für die Ökologie haben wird, wenn wir
icht sehr schnell und sehr entschieden handeln. An-
onsten könnte ein Umsteuern noch viel teurer werden.
ines möchte ich dabei schon anmerken: Was nützen die
onntagsreden der Umweltpolitiker von der CDU/CSU,
ei denen im Gegensatz zu den Politikern der FDP Hop-
en und Malz nicht ganz verloren sind, wenn sie sich
icht gegen Merz und Merkel durchsetzen


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wieso? Brauchen wir doch gar nicht!)


nd dafür sorgen, dass tatsächlich auch aktive Maßnah-
en für den Klimaschutz auf den Tisch gelegt werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Das ist doch nur ein parteipolitischer Popanz!)


berzeugen Sie Ihre Fraktionsspitze, dass sie nicht im-
er gegen die erneuerbaren Energien zu Felde zieht, und
elfen Sie uns bei unseren Bemühungen, für Akzeptanz
n der Gesellschaft zu sorgen, Akzeptanz auch dafür,
ass es etwas kostet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wir haben der Photovoltaik zugestimmt!)


nterstützen Sie uns in der Strategie „Power vom
auer“, in der es um nachwachsende, durch den Land-
irt produzierte Rohstoffe für Treibstoffe, für die chemi-
che Industrie und für Wärme und Strom geht.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das ist doch nicht neu!)


Das ist für uns nicht neu, aber in Ihrer Fraktion setzen
ie sich nicht durch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Für Biomasse waren wir permanent! Auch Biomasse ist unser Ziel!)


egleiten Sie konstruktiv den CO2-Emissionshandel!urch diesen Prozess werden Innovationen angestoßen,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13433


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Michaele Hustedt

damit in der neuen Investitionsperiode für neue Kraft-
werke auf moderne und neueste Technologien gesetzt
wird.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Bereich
Wärme sagen, einem Thema, das mir für den Rest der
Legislaturperiode sehr am Herzen liegt. In den anderen
Bereichen haben wir schon sehr viele Maßnahmen be-
schlossen, aber Sie haben alle Initiativen – das wurde
schon gesagt – abgelehnt.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Nein!)

35 Prozent des Primärenergieverbrauchs entfallen auf
das Heizen.


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja!)

Das bedeutet, wir haben ein gigantisches Einsparpoten-
zial von jährlich 114 000 Terawattstunden. 25 Millionen
Tonnen CO2 pro Jahr könnten hier eingespart werden.Wir könnten damit einen sehr großen Beitrag für den
Klimaschutz leisten. Die Erhöhung der Öl- und Gas-
preise belastet auch die Menschen, die in diesem Jahr
häufig schon 10 oder 20 Euro pro Monat mehr für Heiz-
kosten ausgeben müssen.

18 Milliarden Euro Investitionen wären in diesem Be-
reich nötig. Damit könnten Hunderttausende von Ar-
beitsplätzen geschaffen werden, die nicht exportiert wer-
den können. Es geht dabei um Arbeitsplätze bei
Handwerkern, in der notleidenden Bauindustrie oder in
der Dämmstoffindustrie, bei kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen. Eine Offensive weg vom Öl
brächte uns in eine umweltfreundliche Win-Win-Situa-
tion.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Bei zwei Dritteln aller Häuser, die zurzeit moderni-
siert werden, werden nur Schönheitsreparaturen durchge-
führt. Obwohl an diesen Häusern wegen dieser Arbeiten
sowieso ein Gerüst steht, findet keine Modernisierung im
Hinblick auf energetische Aspekte statt. Das ist ein Skan-
dal und eine Herausforderung, der wir uns stellen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franz Obermeier [CDU/ CSU]: Daran leidet aber das Erdklima nicht!)


Auch im Gebäudebereich haben wir mehr gemacht,
als Sie je auf den Weg gebracht haben. Unser CO2-Ge-bäudesanierungsprogramm ist weltweit einmalig und hat
tatsächlich zu 100 000 Sanierungen geführt. Aber es ist
zu wenig.


(Kurt-Dieter Grill [CDU/CSU]: Warum habt ihr denn nicht mehr getan? Das ist doch eine Sonntagsrede!)


Ich möchte auch Sie mitnehmen und hoffe, dass wir ge-
meinsam in nächster Zeit Initiativen vorschlagen.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Dann macht halt etwas!)


Dazu gehören die ambitionierte und bedarfsgerechte
Umsetzung der Idee des Gebäudepasses und eine Aufsto-

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(C (D kung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms ebensoie ein Wärmegesetz zur Förderung der erneuerbaren nergien und ein Vorrang für die Biogaseinspeisung eim Energiewirtschaftsgesetz, das zurzeit in der Beraung ist. Ich bin gespannt, ob Sie diese Vorschläge, die ir in nächster Zeit auf den Weg bringen wollen, ablehen werden. (Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wenn sie etwas taugen, nicht!)


ann sind Sie allerdings genauso unglaubwürdig wie
isher. Sie werden nur glaubwürdig, wenn Sie bereit
ind, auch in diesem Bereich Schritte voranzugehen.
Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514502200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Kurt-Dieter Grill,
DU/CSU-Fraktion.


Kurt-Dieter Grill (CDU):
Rede ID: ID1514502300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

en! Verehrte Frau Hustedt, die „Sonntagsreden“ – ganz
bgesehen davon, ob man den Sonntag für diesen Be-
riff missbrauchen sollte – gebe ich gerne zurück. Ich
in davon ausgegangen, dass wir heute eine wahrhaftige
ebatte führen, und habe deshalb nicht alle Unterlagen
itgebracht.
Sie haben in Ihrer Rede insbesondere den Gebäudebe-

eich und den Wärmebereich sehr stark aufgeblasen und
ie Situation so dargestellt, als hinge alles davon ab, ob
ir als Opposition mitmachen. Sie haben versucht, da-
on abzulenken, dass der Nachhaltigkeitsrat Ihnen be-
cheinigt hat, dass Sie bei der Energieeinsparung am we-
igsten getan haben. Da sind wir aber mitten im
ebäudebereich und dazu kann ich nur sagen: Sie haben
in Problem geschildert, aber verschwiegen, dass Sie in
en letzten sechs Jahren genau für dieses Problem keine
ösung erarbeitet haben. Das ist Ihre Bilanz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mich regt in dieser Debatte am meisten auf, dass Sie

ie Probleme zwar an vielen Stellen richtig beschreiben
auch überhöht –, dass aber das, was Sie an Lösungen
nzubieten haben, in einem krassen Widerspruch zu der
eschreibung der Probleme steht. Ich mache das einmal
n der Rede von Herrn Scheer deutlich: Abgesehen von
er Frage, ob das Steuerkonzept richtig ist, steht die Be-
chreibung, die Herr Scheer hier abgegeben hat, in einem
rassen Widerspruch zu dem, was diese Bundesregie-
ung, dieser Bundeskanzler auf internationalen Konfe-
enzen vorgetragen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Kollegin Homburger hat auf Russland hingewie-

en. Wir haben gestern in einer Debatte über die Ukraine
emeinsam demonstriert, worum es uns geht. Aber wenn
ie Russland hier als Erfolgsbeispiel darstellen – wir wer-
en uns mit Russland noch sehr nachhaltig beschäftigen

13434 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Kurt-Dieter Grill

müssen –, dann sage ich Ihnen als Sozialdemokraten: Fra-
gen Sie einmal – ich will das hier jetzt nicht vortragen,
weil mir daran liegt, dass wir über die Frage noch einmal
intern reden; im Übrigen haben Sie sich an dieser Stelle so
verhalten, dass Sie mit uns keinen gemeinsamen Antrag
formuliert haben; zu Amerika würden Sie jeden Tag mit
uns gemeinsam einen Antrag erarbeiten – den Kollegen
Erler, was er aus Moskau in Bezug auf das Kioto-Abkom-
men mitgebracht hat. Ich rate Ihnen dringend dazu. An-
gesichts dessen haben wir alle keine Veranlassung, zu fei-
ern, dass irgendjemand ratifiziert hat. Es stellt sich die
Frage: Nutzen die Russen das Kioto-Protokoll als Instru-
ment für die ökonomische und ökologische Erneuerung
Russlands? Dahinter mache ich – nach den Gesprächen,
die ich in dieser Woche geführt habe – immer noch ein
Fragezeichen.

Im Zusammenhang mit der fossilen Energie sage ich
Ihnen zwei Dinge:

Erstens. Schauen Sie sich einmal die Energiefor-
schungspolitik an. Dann werden Sie zu der Erkenntnis
gelangen, dass es – angesichts der Tatsache, dass die
Kohle in den nächsten 400 Jahren eine bedeutende Rolle
in der Weltenergieversorgung spielen wird, was auch im-
mer Sie hier vortragen – in der Forschung zu fossilen
Energieträgern ein schweres Versäumnis gibt.

Zweitens. Ich kann Ihnen drei, vier Reden des Bun-
deskanzlers beibringen, in denen er sich über die Zu-
kunft der Energieversorgung in Deutschland und in Eu-
ropa auslässt und die Solarenergie sozusagen nach ganz
hinten schiebt. Er spricht sich dafür aus, dass die Kern-
kraftwerke in Deutschland durch Steinkohle- und Braun-
kohlekraftwerke ersetzt werden. Das sind die Reden des
Bundeskanzlers, Ihres Regierungschefs. Sie haben nichts
dazu gesagt, auch heute hier nicht, wie eine konsistente
Politik denn aussehen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das sagt Ihnen im Übrigen auch der Nachhaltigkeits-

rat: kein Konzept, zu wenig Forschung und zu wenig
Energieeinsparung. Das ist die Kritik des Nachhaltig-
keitsrates unter Vorsitz von Volker Hauff.

Ein Weiteres. Ich bin mit Herrn Loske durchaus ein-
verstanden, wenn er sagt, dass wir das zusammen beden-
ken müssen. Ich bin sehr dafür, auch unter dem Ge-
sichtspunkt der europäischen Politik. Peter Paziorek hat
zu Recht darauf hingewiesen, dass wir, wenn wir glaub-
würdig bleiben wollen, auch als Europäer, uns ange-
sichts dessen, was jetzt an Bilanz vorliegt, nicht als Mus-
terknabe im globalen Maßstab aufspielen dürfen und
dass wir alle, auch unsere europäischen Nachbarn und
nicht nur Amerika, Veranlassung haben, uns um Fort-
schritte zu bemühen.

Wenn wir ein Scheitern der Lissabon-Strategie, der
Wachstumsstrategie, konstatieren müssen, dann stellt
sich doch die Frage: Was tun wir, um die ökonomisch ef-
fizientesten Felder der Klimapolitik zu identifizieren und
als Erste in Angriff zu nehmen,


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja! Das ist ein richtiger Ansatz!)


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(C (D amit wir ökonomische und ökologische Effizienz in uropa zusammenbringen und die Lissabon-Strategie als achstumsstrategie und als Nachhaltigkeitsstrategie vo antreiben können? aran zu arbeiten bedeutet mehr als die Reden, die Sie eute hier gehalten haben. Ich kann in den sechs Minuten meiner Redezeit nicht lle Punkte anführen. Ich will zum Schluss aber noch eies sagen: Meine Damen und Herren von der Regieungskoalition, Sie haben in Ihren Reden viele Punkte ngesprochen. Herr Kelber, Sie haben aus der Rede des anzlers, die er auf dem Gipfel in Johannesburg gehalen hat, zitiert. n Johannesburg wurde beschlossen – dazu hat der anzler beigetragen –, 645 Millionen Dollar für die Löung der Weltenergieprobleme bereitzustellen. Auf dem ipfel in Bonn wurde dann ein bisschen nachgebessert. ch rate Ihnen dringend, sich einmal den Etat des Bunesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit nd Entwicklung anzuschauen: Der Etat ist nicht gröer als vorher. Die G-8-Staaten haben 2001 in Buenos Aires auf der eltenergiekonferenz ein Konzept hinsichtlich erneuerarer Energien – das habe ich hier schon einmal vorgeragen – für 1 Milliarde Menschen präsentiert. Kapialbedarf: 500 Milliarden Dollar in 20 Jahren.Wenn man ich dann aber ansieht, was bisher umgesetzt wurde, ann muss man sagen, dass Ihre Reden Schall und auch sind. enn das zentrale Problem der Kapitalbeschaffung dieses Kapital ist notwendig, damit die Beschlüsse der 8 umgesetzt werden können – ist nicht gelöst. Ich denke, wir müssen zur Wahrhaftigkeit und zu ei er konsistenten Politik zurückkehren. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark [SPD]: Sie!)


(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sehr gut!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja!)


(Lothar Mark [SPD]: Das stimmt nicht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1514502400

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Müller, SPD-

raktion.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)



Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1514502500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
rill, es ist ein Widerspruch, einerseits von Wahrhaftig-
eit zu reden, aber andererseits Einzelpunkte aus dem
usammenhang zu reißen und daraus eine willkürliche
trategie zu entwickeln. Das passt nicht zusammen.


(Beifall bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13435


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Michael Müller (Düsseldorf)


Ich finde es, ehrlich gesagt, intellektuell unredlich,

wenn man bei einem so großen Problem der Menschheit
wie dem der Klimaänderung vordergründig parteitak-
tisch operiert.


(Lothar Mark [SPD]: Und er hat gesagt, er kehrt zur Wahrhaftigkeit zurück!)


Das hilft uns nicht weiter. Wir hatten in diesem Haus be-
züglich dieser zentralen Zukunftsfrage immer einen brei-
ten Konsens. Man kann ihn auch durch Nickeligkeiten
zerstören. Dagegen wehre ich mich.

Um was geht es? Es geht um den zentralen Punkt,
dass die Menschheit dabei ist, in der Stratosphäre die
Fenster zu schließen. Wir verändern damit ihre Chemie
und Dynamik sowie die Wärmebilanz und den Energie-
haushalt. Dies hat nicht nur zur Folge, dass es auf der
Erde immer wärmer wird, sondern auch, dass sich die
Lebensbedingungen auf der Erde in einer immer größe-
ren Geschwindigkeit gravierend verändern.

Es ist kein – im engeren Sinne – ökologisches Thema.
Es ist vielmehr die zentrale Frage, wie die Zukunft un-
serer Zivilisation gesichert werden kann. Es ist weit
mehr als ein Fachthema. Es ist eine Herausforderung an
die gesamte Menschheit. Denn es geht um die Frage, ob
die industrielle Zivilisation eine Zukunft hat oder nicht.
Darauf kann man nicht mit Klein-Klein antworten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aus meiner Sicht gibt es bei der Klimafrage folgende
entscheidende Punkte:

Erster Punkt. Wir erleben, dass sich beim Thema Kli-
maveränderung und nachholende Industrialisierung
unsere Diskussion auf die großen Debatten der letzten
30 Jahre, sozusagen wie in einem Brennglas, fokussiert.
Unsere Welt ist im Kern auf die Industrieländer ausge-
richtet. Dort lebt aber nur ein Viertel der Menschheit.
Diese Strukturen müssen nun auf die restlichen 5 Mil-
liarden bis 6 Milliarden Menschen erweitert werden. Die
bisherigen Strukturen sind aber nicht übertragbar. Wir
müssen also begreifen – das ist eine unglaublich große
Herausforderung –, dass wir eine Welt geschaffen haben,
die aus wenigen reichen und sehr vielen armen Ländern
besteht. Aufgrund der Industrialisierung werden die ar-
men Länder jetzt reicher. Daraus folgt, dass wir mit der
Natur nicht mehr so umgehen dürften, wie wir es bisher
getan haben.

Der zweite Punkt. Es besteht nach wie vor ein hohes
Bevölkerungswachstum in Höhe von 75 Millionen
Menschen pro Jahr. Es ist zwar nicht die entscheidende
Ursache unseres Problems, aber dadurch wird die Pro-
blematik zugespitzt. Nach wie vor verbrauchen die In-
dustrieländer, die ein niedriges Bevölkerungswachstum
haben, überdurchschnittlich viele Ressourcen.

Der dritte Punkt. Wir erleben zum ersten Mal, dass
wir hinsichtlich der Natur an Grenzen stoßen. Seit etwa
500 Jahren ist der Fortschrittsgedanke der Menschheit
auf ein Immer-Mehr, Immer-Schneller und Immer-Hö-
her ausgerichtet. Auf einmal müssen wir feststellen, dass
es Grenzen gibt, die wir nicht überspringen dürfen.

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(C (D Dieses sind entscheidende Punkte. Es stellt sich daher ie Frage, wie wir unser Denken und Handeln verändern önnen. Lassen Sie mich ein paar Punkte nennen, die ich in diesem Zusammenhang sehr bewegen: Erstens. Ich muss feststellen, dass, betrachtet man die roßen Umweltgefahren, wie zum Beispiel die Belasung des Wasserrücklaufs und der Atmosphäre oder die erstörung der Artenvielfalt, mehr als die Hälfte der eute feststellbaren Zerstörungen in den letzten 20 Jahen eingetreten sind. Ein zentrales Problem ist, welchen nglaublichen Beschleunigungsmechanismus wir bei der mweltzerstörung haben. Zweitens. Wir erleben den Widerspruch zwischen em Heute und der Zukunftsverantwortung, weil wir eien Großteil der Probleme, insbesondere bei den Klimaeränderungen, heute anrichten, aber ihre Auswirkungen rst in der Zukunft feststellen werden. Was bedeutet es n einer Welt, die nur auf Kurzfristigkeit ausgerichtet ist, ass wir mit einer solchen Gefahr konfrontiert sind? uch da kann man nicht in einem engeren Sinne parteiolitisch operieren, sondern muss sehr viel weiter denen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


elche Verantwortungslosigkeit der Politik ist es, wenn
ir trotz unseres Wissens immer erst dann reagieren,
enn eine Katastrophe eingetreten ist? Das können wir
ns bei diesem Thema nicht leisten. Darum geht es.


(Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD])

Drittens. Auch den Punkt „Umgang mit Unwissen-

eit“ halte ich für ungeheuer wichtig. Wir haben es mit
o komplexen Herausforderungen zu tun, dass wir fest-
tellen müssen: In vielen Bereichen kennen wir zwar die
rends der Gefahren. Aber wir können nicht mit Sicher-
eit sagen, ob sie nicht möglicherweise noch sehr viel
chneller und umfangreicher eintreten, als wir es be-
ürchten.
Die internationale Gemeinde der Klimawissenschaft-
r geht bei der Erwärmung von einer Bandbreite zwi-
chen 1,4 und 5,8 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts aus.
ahrscheinlich werden es 2,5 Grad sein; aber es kann
uch eine Erwärmung um 5,8 Grad geben. Eine solche
rwärmung kann die Erde überhaupt nicht verkraften.
chon eine Erwärmung um 2,5 Grad ist mehr als das,
as eigentlich verträglich wäre. Aber eine Erwärmung
m 5,8 Grad wäre zum Beispiel für die Ernährungslage
n der Welt undenkbar. Das wäre die Programmierung
on Unfrieden auf der Erde und neuer gewalttätiger
onflikte.
Deshalb können wir uns nicht mit der These zufrieden

eben, die Erwärmung sei ein globales Thema und des-
alb müsse global gehandelt werden. Wenn global unzu-
eichend gehandelt wird, dann kommen wir aus dem Di-
emma nicht heraus. Antworten müssen gegeben
erden. Natürlich wollen wir globale Antworten geben.
ber was machen wir denn, wenn dies schon auf natio-
aler Ebene schwierig ist und wir zu langsam operieren

13436 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Michael Müller (Düsseldorf)


und es auf globaler Ebene erst recht schwierig ist und
wir noch langsamer reagieren?

Es gibt doch gar nichts anderes als die Dreistufen-
strategie, mit der wir begonnen haben, nämlich erstens
national, wo es ökonomisch verträglich und sozial sinn-
voll ist, Vorreiterrollen einzunehmen – es gibt doch gar
keine andere Position –, zweitens in Europa das Feld zu
bereiten, eine gemeinsame Strategie in Angriff zu neh-
men – da sind wir Gott sei Dank ein Stück vorangekom-
men –, und drittens, wo immer es geht, internationale
und globale Verträge abzuschließen.

Zu Letzterem muss man allerdings sagen: Das schei-
tert vielfach an dem Widerspruch zwischen den Interes-
sen der Industrieländer und den Nachholbedürfnissen
der Entwicklungsländer. Wir können das nicht einfach
wegdiskutieren. Es hat auch viel damit zu tun, dass vor
allem die reichen Länder Angst davor haben, etwas zu
verändern, weil sie in der Ökologie nur eine Bedrohung,
nicht aber eine Chance für die Zukunft sehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir müssen deutlich machen, dass die Ökologie eine
Chance ist. Das ist gerade in der Klimadebatte unsere
Aufgabe.

Ein weiterer zentraler Punkt ist: Wie kann man einen
solchen Paradigmenwechsel hin zum Klimaschutz in ei-
ner Welt hinbekommen, die auf immer kurzfristigere
Entscheidungen ausgerichtet ist? Das zentrale Thema
des Klimaschutzes ist es, in größeren Zeiträumen zu
denken. Aber wir haben vor allem in der Wirtschaftswis-
senschaft eine Eindimensionalität, ein dort vorherr-
schendes Denken, das sich nur an denDreimonatszyklen
der Vierteljahresberichte orientiert. Mit Vierteljahresbe-
richten kann ich die langfristigen Veränderungsprozesse
in der Natur und vor allem in den Klimasystemen nicht
erfassen.


(Lothar Mark [SPD]: Das ist wahr!)

Die Kurzfristigkeit, die die Ökonomie seit einigen Jah-
ren beherrscht, ist gesellschaftspolitisch und ökologisch
das Furchtbarste, was es überhaupt gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns gemeinsam dagegen wehren. Eine öko-
logische Modernisierung kann keine Kurzfristpolitik
sein, sondern ganz im Gegenteil: Verantwortungsüber-
nahme auch für größere Zeiträume.

Wir müssen weiterhin sagen: Natürlich haben wir als
Nationalstaat eine begrenzte Handlungsfähigkeit; natür-
lich sind die Kohlendioxidemissionen der Bundesrepu-
blik global gesehen relativ gering. Aber ich frage: Kann
das eine Beruhigung sein oder was heißt es, wenn ich
sage: „Wir sind doch nur mit einem geringen Teil betei-
ligt; schauen Sie doch einmal nach China“?


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Das ist Realismus!)



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(C (D Das hat nichts mit Realismus zu tun; das ist Versagen. enn es ist ganz klar: China orientiert sich an der Moernität der Industriestaaten. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das hat auch Herr Obermeier gesagt!)


enn die Modernität der Industriestaaten eine Anpas-
ung an globale Zwänge bedeutet, dann orientiert sich
uch China daran. Modernität muss Innovation bedeu-
en, vor allem auf dem Feld der ökologischen Moderni-
ierung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek [CDU/ CSU]: Darüber streiten wir uns! – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Genau da versagen Sie!)


enau da sind wir Vorreiter; denn Sie haben überhaupt
icht begriffen, dass eine moderne Energiepolitik eben
icht der Austausch von Energieträgern ist. Es geht nicht
arum, wie Sie jetzt beispielsweise wieder meinen, mehr
tomenergie zu haben.


(Franz Obermeier [CDU/CSU]: Wir reden von Technologietransfers!)


Nein, moderne Energiepolitik ist etwas völlig ande-
es, nämlich wo immer es geht, Energieumsätze zu ver-
eiden. Das ist ein ganz anderer Ansatz. Dieser Ansatz,
nergieumsätze zu vermeiden, ergibt sich eben nicht nur
us der Wahl der Energieträger, sondern aus dem Ge-
amtkonzept. Es müssen optimale Strukturen geschaffen
erden, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen.
50 Jahre lang galt die Philosophie, dass nur mit immer
ehr Energieeinsatz Fortschritt möglich sei. Wir müssen
ie Philosophie entwickeln, dass mit immer weniger
nergie- und Ressourcenverbrauch Fortschritt möglich
ird. Das ist ein anderes Verständnis, ein innovatives
erständnis. Unterstellen Sie uns insofern nicht, wir hät-
en kein Energiekonzept. Wir haben ein anderes Konzept
ls Sie – das richtige Konzept.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bleiben wir also bei den Fakten. Der natürliche Ge-
alt von Kohlenstoff in der Atmosphäre würde etwa bei
80 Teile auf 1 Million Teile liegen – dieser Wert
tammt aus der Zeit zu Beginn der Industrialisierung,
lso etwa 1850 –; heute liegt dieser Wert, wenn man alle
reibhausgase auf Kohlenstoff umrechnet, etwa bei
30 ppm. Wir wissen, dass eine Erhöhung auf 560 ppm,
lso die Verdopplung gegenüber dem natürlichen Wert,
ine Erwärmung von 2 Grad Celsius bedeutet; das ist in
er Diskussion inzwischen unbestritten. Das heißt, wir
aben auch vor dem Hintergrund der Zeitverzögerung,
ie ich angesprochen habe – Klimaänderungen haben ei-
en Vorlauf von etwa 40 bis 50 Jahren –, nur noch ver-
ammt wenig Zeit, eine Katastrophe zu verhindern. Des-
alb kommt es darauf an, zu begreifen, dass wir
ukünftige Klimaprobleme nur heute verhindern kön-
en. In der Zukunft bleiben die Anpassungskosten. Die
npassungskosten werden jede Ökonomie in ihren Fä-
igkeiten weit überfordern. Wir werden dann nichts

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13437


(A) )



(B) )


Michael Müller (Düsseldorf)


mehr lösen können. Insofern heißt für uns die entschei-
dende Aufgabe, Vorsorge mit moderner Innovationspoli-
tik zu verbinden. Dieser Aufgabe nehmen wir uns an.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch etwas

sagen. Viele glauben, die Klimaproblematik sei vor al-
lem ein Thema der tropischen und subtropischen Brei-
ten; ich weiß, Herr Paziorek, Sie glauben das nicht. In
der Zwischenzeit ist aber klar: Die Klimaproblematik
wird zu einer zentralen Herausforderung für Europa,
vor allem für Nordeuropa. Ich will hierzu zum Ab-
schluss nur drei Punkte nennen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514502600

Drei Punkte sind zu viel.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1514502700

Wenn man sieht, dass sich das Phytoplankton, also die

biologische Pumpe in den Meeressystemen, nach Nor-
den zurückzieht, wenn man sieht, dass sich der Salzge-
halt im Atlantik verändert, wenn man sieht, dass der
Druckwirbel schwächer wird, und wenn man sieht, dass
das so genannte Heinrich-Ereignis, nämlich das Ab-
schmelzen von Gletschern, dramatisch zunimmt, dann
wird man begreifen müssen: Die Klimaproblematik wird
zu einem europäischen Problem. Deshalb ist es keine
Frage unserer Großzügigkeit gegenüber dem Rest der
Welt, es ist eine Frage unseres ureigenen Interesses, Vor-
reiter beim Klimaschutz zu sein und zu bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514502800

Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-

ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/
4398. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/4382 mit dem Titel „Klima-
schutz-Doppelstrategie – Kioto-Protokoll zu einem
wirksamen Kioto-plus-Abkommen weiterentwickeln
und nationale klimafreundliche Entwicklung konsequent
fortsetzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/4393 mit dem Titel „Das Kioto-Pro-
tokoll national konsequent umsetzen und international
verantwortungsvoll weiterentwickeln“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-

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(C (D en die Stimmen der gesamten Opposition angenomen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie die Zusatz unkte 3 a und 3 b auf: 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Kristina Köhler der Fraktion der CDU/CSU Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen – Drucksache 15/4260 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union P 3 a)

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zusammenleben auf der Basis gemeinsa-
mer Grundwerte
– Drucksache 15/4394 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Max Stadler, Klaus Haupt, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte –
Neue Wege zu einer rationalen Integra-
tionspolitik
– Drucksache 15/4401 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Wi-
erspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst

er Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1514502900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut

chmidt hat vor wenigen Tagen behauptet, es sei ein

13438 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Wolfgang Bosbach

Fehler gewesen, Gastarbeiter aus anderen Kulturkreisen
anzuwerben. Insbesondere eigene Parteifreunde haben
ihn dafür heftig kritisiert. Man kann darüber streiten, ob
diese Aussage in der Sache richtig und politisch vernünf-
tig ist, aber ein solcher Streit ist müßig. Seit Jahrzehnten
leben Menschen aus anderen Kulturkreisen mitten unter
uns. Sie sind längst ein Teil unserer Gesellschaft gewor-
den. Es geht also nicht um die Frage, ob wir mit ihnen
zusammenleben oder zusammenleben wollen, sondern
um die Frage, wie wir das wollen.

Bemerkenswert ist die Äußerung von Helmut
Schmidt auf jeden Fall: Erstens. Wir können nicht jeder
Forderung der Wirtschaft nach mehr ausländischen Ar-
beitskräften nachkommen. Angesichts der dramatischen
Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt müssen wir
uns zunächst darum bemühen, die inländischen Arbeits-
losen in Brot und Arbeit zu bringen, bevor wir weitere
Zuwanderung nach Deutschland organisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Außerdem findet Zuwanderung nie nur auf Arbeitsplätze
statt, sondern immer auch in unsere Gesellschaft. Des-
wegen muss die Integrationskraft unserer Gesellschaft
Maßstab für die Zuwanderung nach Deutschland sein
und diese Integrationskraft ist nicht unbegrenzt.

Zweitens. Unter Integrationsgesichtspunkten ist Zu-
wanderung nicht gleich Zuwanderung. Wenn wir Men-
schen – wie in den vergangenen Jahrzehnten überwie-
gend geschehen – aus anderen Kulturkreisen nach
Deutschland kommen lassen, ist das für Staat und Ge-
sellschaft eine andere Herausforderung als beispiels-
weise die Binnenmigration innerhalb der Staaten der
Europäischen Union.

Drittens. Es gibt im Zusammenhang mit Zuwande-
rung insbesondere aus anderen Kulturkreisen nicht nur
Besorgnis erregende Fehlentwicklungen, sondern es gibt
dramatische Probleme. Diese Probleme muss man offen
ansprechen dürfen, ohne dass sofort reflexartig die Ras-
sismuskeule gezogen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer zieht die denn?)


Es kann nicht sein, dass man offenkundige Probleme
nicht anspricht, weil man befürchten muss, sofort mit
dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit konfrontiert zu
werden.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht das denn? – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Du an erster Stelle!)


In Deutschland leben heute über 3 Millionen Mus-
lime, davon fast 750 000 mit deutscher Staatsangehörig-
keit. Das sind unsere Nachbarn, unsere Arbeitskollegen,
unsere Mitschülerinnen und Mitschüler. Der allergrößte
Teil von ihnen ist friedlich, rechtstreu und bemüht sich
zumindest um Integration in unsere Gesellschaft. Ihnen
müssen wir entgegenkommen. Deswegen ist es richtig,
dass im neuen Zuwanderungsgesetz ein eindeutiger
Schwerpunkt auf dem Bereich der Integration liegt.

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(C (D (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Edathy [SPD])


Wenn über den Islam oder über Islamismus gespro-
hen wird, ist eine Differenzierung wichtig. Wir müssen
nterscheiden zwischen dem Islam als Religion, als
laubensgemeinschaft einerseits und dem Islamismus
owie dem religiös motivierten Terrorismus andererseits.
s wird immer wieder gesagt, wir dürften niemanden
nter Generalverdacht stellen. Das ist richtig und deswe-
en tut das auch niemand.


(Beifall der Abg. Kristina Köhler [Wiesbaden] [CDU/CSU] – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das wäre schön!)


Richtig ist aber auch: Der islamistisch motivierte Ter-
orismus hat seine Wurzeln in religiösem Fanatismus.
er dies leugnet, verschließt die Augen vor der Wirk-

ichkeit. Deswegen müssen wir diesen islamistischen
xtremismus viel entschiedener bekämpfen, als das in
er Vergangenheit der Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Religionsfreiheit heißt nicht Narrenfreiheit. Reli-

ionsfreiheit heißt nicht Freiheit für religiöse Fanatiker.
n Deutschland leben inzwischen über 30 000 Islamis-
en. Von ihnen gelten gut 3 000 als gewaltgeneigt; sie be-
ürworten also die Anwendung von Gewalt. Oder sie
ind sogar gewaltbereit, das heißt, sie sind bereit, zur
urchsetzung ihrer Ziele selbst Gewalt anzuwenden.
on denen müssen wir uns trennen, lieber heute als mor-
en. Das hat mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt
ichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind ein tolerantes Land. Aber wenn wir das auf
auer bleiben wollen, dann muss gelten: keine Toleranz
egenüber Intoleranten und kein Wegducken, wenn un-
ere religiöse Toleranz dazu missbraucht wird, für eine
slamistische Ordnung zu werben, die exakt diese Tole-
anz abschaffen will.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


agegen vorzugehen, das ist nicht nur unser Recht, son-
ern sogar unsere Pflicht. Niemand kann sich auf Reli-
ionsfreiheit berufen, der seine religiöse Überzeugung
azu nutzen will, den demokratischen Rechtsstaat und
en Pluralismus zu zertrümmern, um anschließend auf
iesen Trümmern einen islamistischen Gottesstaat zu er-
ichten.
In Deutschland gibt es fast 3 000 Moscheen und Ge-

etshäuser. Davon gelten etwa 100 als nachrichten-
ienstlich relevant. Daher unsere Forderung: Wir müs-
en genauer hinsehen und hinhören. Wir müssen unsere
ienste und Sicherheitsbehörden so ausstatten, dass sie
n der Lage sind, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und
bzuwehren. Der Islamismus ist in erster Linie keine re-
igiöse, sondern eine politische Bewegung. Sein Ziel ist
s, die Trennung von Kirche und Staat aufzuheben,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist seine Grundlage, nicht sein Ziel!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13439


(A) )



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Wolfgang Bosbach

um einen islamistischen Gottesstaat zu errichten.

Nicht Recht und Gesetz einer demokratisch gewähl-
ten verfassunggebenden Versammlung sollen maßgeb-
lich sein, sondern nur der Koran und die Worte und Ta-
ten des Propheten. Dieser islamistischen Ordnung hat
sich nach der Vorstellung der Islamisten jede private Le-
bensführung und jede Staatsgewalt zu unterwerfen. Das
ist eine neue Form von Totalitarismus. Demokratie und
Islamismus sind ein Widerspruch in sich. Das ist ein
Grund dafür, warum es kein islamistisches Land gibt,
das eine Demokratie ist, jedenfalls keine Demokratie in
unserem Sinne. Diese islamistischen Länder sind abso-
lute Monarchien, Diktaturen oder – wie beispielsweise
der Iran – Theokratien.

Für uns muss auch an dieser Stelle gelten: Wehret den
Anfängen! In einer Moschee wurde beispielsweise Fol-
gendes gepredigt – ich zitiere wörtlich –:

Amerika ist ein großer Teufel, Großbritannien ein
kleiner, Israel ein Blut saugender Vampir. Einst wa-
ren die Europäer unsere Sklaven, heute sind es die
Muslime. Dies muss sich ändern. … Wir müssen
die Ungläubigen bis in die tiefste Hölle treiben. Wir
müssen zusammenhalten und uns ruhig verhalten,
bis es soweit ist. … Wir müssen die Demokratie für
unsere Sache nutzen. Wir müssen Europa mit Mo-
scheen und Schulen überziehen.

Solche Sätze kennzeichnen eine Geisteshaltung, die mit
unserer Verfassung unvereinbar ist.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das bestreitet niemand! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wer bestreitet das denn?)


Wer sich in dieser Form äußert, hat sein Aufenthaltsrecht
in Deutschland spätestens am Ende seiner Predigt verlo-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wer sich so äußert, der weist sich selbst aus Deutschland
aus.

Wir beschäftigen uns in unserem Antrag sehr intensiv
mit islamischen und islamistischen Glaubenseinrichtun-
gen. Hundertprozentig politisch korrekt ist es sicherlich,
aus einem Gutachten, das das Land Nordrhein-Westfalen
in Auftrag gegeben hat, zu zitieren. Darin geht es um
das, was in den Schulbüchern der berühmten König-
Fahd-Akademie in Bonn-Bad Godesberg steht. Durch
die Schulbücher werden die Kinder auf den „Kampf ge-
gen Ungläubige“ vorbereitet. Nach einer Pressemeldung
heißt es:

So stehe „das Töten nicht unter Tabu, sondern wird,
wenn es um den Glauben geht, für notwendig ge-
halten“. Den Schülern werde „eingetrichtert, dass
der Islam und damit alle Muslime seit den Kreuz-
zügen bis heute durch die Juden und die Christen
existenziell bedroht seien“. Es sei „erste Pflicht ei-

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(C (D nes jeden Muslims, sich auf den Kampf gegen diese Feinde vorzubereiten“. ein, die erste Pflicht ist die Integration in dieses Land, icht aber der Kampf gegen die Ungläubigen. Wenn Imame aus der Türkei oder aus anderen islami chen Ländern in Deutschland ankommen und hier wiren, ohne unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere verassungsmäßige Ordnung und unsere ganz alltägliche esellschaftliche Realität zu kennen, dann kann das Wiren dieser Imame die Integration nicht fördern, sondern ie nur erschweren. Das wollen wir ändern. Daher mahen wir ganz konkrete Vorschläge. Es gibt keinen einzien vernünftigen Grund, unsere Vorschläge abzulehnen. Die Kritik an unserem Antrag hat sich bislang nur an inem einzigen Punkt festgemacht: an der Verwendung es Begriffes „Leitkultur“. Lassen Sie mich einmal ziieren, was der Schöpfer dieses Begriffes, Professor assam Tibi, dazu gesagt hat. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er spricht aber von europäischer, nicht von deutscher Leitkultur! Das ist ein Unterschied! Das sollten auch Sie nach dieser langen Debatte zur Kenntnis nehmen!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bleiben Sie ganz entspannt. – Ich zitiere ihn:
Es schmerzt mich mitzuerleben, mit welchen Diffa-
mierungen die Parteien im Streit um die „Leitkul-
tur“ arbeiten. Diesen Begriff in die Verbindung mit
der unheilvollen deutschen Geschichte von 1933
bis 1945 zu bringen, wie es Marieluise Beck getan
hat, grenzt an Rufmord. Solche Äußerungen gegen
das Konzept der Leitkultur haben eine Wirkung wie
Steine und Gummigeschosse des Hasses im Nahen
Osten. Ich erwarte eine rationale Diskussion über
den Gegenstand.

arüber sollten die Kritiker einmal in Ruhe nachdenken.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Multikulti ist kein Zukunftsmodell, Multikulti ist ge-
cheitert.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Quatsch!)


enn wir ein friedliches Miteinander von Menschen un-
erschiedlicher Nationalität, Hautfarbe oder Religion
ollen, dann brauchen wir einen gemeinsamen, werte-
rientierten gesellschaftlichen Konsens.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514503000

Herr Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischen-

rage der Abgeordneten Beck?


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1514503100

Ja.

13440 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE

GRÜNEN):
Lieber Herr Kollege Bosbach, sind Sie bereit, zur

Kenntnis zu nehmen, dass dieser von Herrn Tibi geäu-
ßerte Zusammenhang von mir so nicht hergestellt wor-
den ist, und sind Sie bereit, das Weitertragen dieses Ge-
rüchts, der Zuschreibung zu mir, zu unterlassen?


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1514503200

Das nehme ich gerne zur Kenntnis und hoffe, dass ich

damit auch zur Kenntnis nehmen kann, dass Sie diesen
Begriff nicht mehr für einen Kampfbegriff


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie nicht gesagt!)


gegen die vielfältigen, pluralen Lebensäußerungen in
unserem Volk halten, sondern für eine Selbstverständ-
lichkeit, die das Fundament beschreibt, auf dem wir alle
gemeinsam stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr merkwürdig diese Reaktion!)


Warum sollten wir diesen Konsens, die Orientierung
an uns alle – das gilt übrigens auch für die Deutschen –
verpflichtende Normen und Werte nicht „freiheitliche
demokratische Leitkultur“ nennen? Wir brauchen mehr
Integration einerseits und mehr Entschlossenheit gegen
jede Form von Extremismus andererseits. Wer dies mit
uns gemeinsam will, der kann dem Antrag zustimmen.

Danke fürs Zuhören.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514503300

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD,

Franz Müntefering.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514503400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Titel der
beiden Anträge, die wir heute hier diskutieren,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Drei Anträge!)


sind schon symptomatisch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Antrag der Koalition heißt „Zusammenleben auf

der Basis gemeinsamer Grundwerte“, der der CDU/CSU
heißt „Politischen Islamismus bekämpfen“.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das geht noch weiter! – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das ist nur die eine Hälfte! – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU)

vor! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist
schofelig!)

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(C (D as ist ein bisschen Programm bei Ihnen. Ihr Problem st, dass Sie das Thema der Integration und das Thema xtremismus oder gar internationaler Terrorismus leichtertig miteinander verknüpfen; das ist die Schwäche Iher Argumentation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Max Stadler [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514503500

Herr Fraktionsvorsitzender, gestatten Sie eine Zwi-

chenfrage?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514503600

Einen Moment, bitte. – Hören Sie noch ein bisschen

u; vielleicht habe ich ja doch Recht.

(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie haben die Unwahrheit gesagt, Herr Müntefering! Der Titel lautet anders! Falsche Dinge sagen und dann Fragen nicht beantworten wollen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


ie Sache ist doch eindeutig: Wer gegen unsere Gesetze
erstößt – und die Gesetze sind klar und eindeutig –, der
uss zur Rechenschaft gezogen werden, ob Deutscher
der Ausländer. Gewalt ist nicht erlaubt, auch nicht in
amilien. Hass predigen ist nicht erlaubt, auch nicht in
oscheen. Eine Frage von Integration ist das aber nicht,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Clemens Binninger [CDU/ CSU]: Was? Wovon denn dann? – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)


as ist eine Frage der Gesetze. Wir sind dafür, dass diese
esetze angewandt werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Integration ist eine ganz praktische Frage: eine Frage
es Alltags, eine Frage der Nachbarschaft, eine Frage
es Miteinanders. Wir haben seit 40 Jahren Menschen
ingeladen, in dieses Land zu kommen. Wir haben da-
um geworben, mitzuhelfen, dass Deutschland Wohl-
tandsland bleibt. Viele sind gekommen. Wir haben Ar-
eitskräfte zu uns geholt, zu denen wir lange Zeit
astarbeiter gesagt haben. Eines ist auf diesem Weg klar
eworden: Weil viele Menschen zu uns gekommen sind,
üssen wir jetzt über das Problem der Integration disku-
ieren.
Noch eines: Dadurch, dass wir Arbeitskräfte zu uns

eholt haben, leben jetzt 7,3 Millionen Ausländer bei
ns, wovon 3,3 Millionen Muslime sind. Viele von ihnen
ind in Sportvereinen, am Arbeitsplatz und als Ge-
chäftsleute in großen und kleinen Betrieben aktiv. Es
ibt übrigens 50 000 türkische Unternehmerinnen und
nternehmer, die 300 000 Menschen beschäftigen. Mus-
ime und Ausländer insgesamt aus allen Teilen der Ge-
ellschaft sind in Vereinen und Verbänden. In Moscheen
ehen sie weniger. 80 Prozent der Muslime sind religiös
icht aktiv. Das alles klingt ziemlich deutsch.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13441


(A) )



(B) )


Franz Müntefering


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ganz zweifelsfrei gibt es aber auch Probleme, zum

Beispiel hinsichtlich der Sprache: bei der frühkindli-
chen Erziehung, in der Schule, beim Religionsunterricht,
im Beruf und wegen der Chancen, die Frauen und Mäd-
chen genommen werden, weil sie keine Gelegenheit ha-
ben, die Sprache zu erlernen. Es ist wichtig, die Sprache
zu erlernen. Das gehört zentral mit zur Integration. Ich
glaube, dass wir hier sehr nah beieinander und uns einig
sind.

Es ist vielleicht gut, an dieser Stelle zwei Dinge fest-
zuhalten: Erstens. Wenn in diesem Land gegen Gesetze
verstoßen wird – ob von Deutschen oder von Auslän-
dern –, muss dies sanktioniert werden. Zweitens. Um in
unserem Land bestehen zu können, muss unsere Sprache
gelernt werden. Das müssen die Ausländer von sich aus
wollen. Wir wollen ihnen dabei helfen. In diesen beiden
Punkten sehe ich keine Differenz zwischen unseren An-
sichten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Herr Bosbach, es ist problematisch, dass Ihr Antrag
danach Passagen enthält, durch die deutlich wird, was
Sie mit Ihrer Diskussion im Schilde führen. In Ihrem
Forderungskatalog gibt es den sehr interessanten
Punkt 4. Sie stellen dort fest, dass es um ein Konzept
geht, mit dem langfristig ein friedliches und fruchtbares
Miteinander der religiösen und der nicht religiösen Men-
schen in Deutschland erreicht werden soll. Das haben
Sie wahrscheinlich ein wenig schnell hingeschrieben.
Ich will das nicht näher untersuchen; denn das hat mit
Ausländern und Integration überhaupt nichts mehr zu
tun. Hier bewegen Sie sich auf einem ganz anderen Feld.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Wo steht das denn? Das stimmt ja nicht! – HansMichael Goldmann [FDP]: Sie haben einen völlig falschen Antrag vorliegen!)


Sie stellen in Ihrem Antrag weiter fest, dass Integra-
tion nicht Assimilation meint. Das sehen wir auch so.
Das ist gut und ein dritter Punkt, in dem wir übereinstim-
men.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In Ihrem Antrag heißt es unter Nr. 4 weiter:

Integration meint … die Anerkennung des Verfas-
sungsstaates und der freiheitlich demokratischen
Leitkultur in Deutschland …

Diese Formulierung finde ich interessant. Hier haben Sie
die Leitkultur endlich einmal aus dem pathetischen Ne-
bel herausgeholt und festgestellt, dass Sie mit der Leit-
kultur grundgesetzliche Regelungen meinen. Wenn Sie
das meinen, dann ist es okay. Dann heißt es eben nicht
mehr FDGO, sondern FDLK, also freiheitlich-demokra-
tische Leitkultur. Das ist etwas seltsam und nicht beson-
ders aufregend.

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(C (D Leider geht der Satz an dieser Stelle aber noch weiter. ie schreiben nämlich, dass Integration auch das Erleren der in diesem Land gewachsenen kulturellen Grundorstellungen meint. Das wurde additiv formuliert. eben der Anerkennung des Grundgesetzes steht also as Erlernen gewachsener kultureller Grundvorstellunen als Bedingung für Integration. Was meinen Sie dait? Welche kulturellen Grundvorstellungen sollen die uslime obligatorisch über das hinaus erlernen, was in nserem Grundgesetz steht? ch nehme an, dass Sie Art. 3 Grundgesetz – Gleichheit or dem Gesetz – nicht infrage stellen. In Abs. 3 steht: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. ch nehme an, dazu stehen Sie nicht im Widerspruch. Für Art. 4 des Grundgesetzes – Glaubens-, Gewis ensund Bekenntnisfreiheit – gilt das wahrscheinlich enauso. In Abs. 1 steht: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. n Abs. 2 steht: Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Lesen kann er!)


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sprache!)

Herr Bosbach, meine Damen und Herren von der
pposition, es bleibt die Frage, was Sie meinen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja!)

enn Sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung,
ie sie im Grundgesetz steht, und die Gesetze, die aus
hm abgeleitet werden, zu Ihrer so genannten Leitkultur
rklären, dann frage ich mich, was die kulturellen
rundvorstellungen sind, die Zuwanderer in unser Land
hrer Meinung nach zusätzlich zwingend erlernen müs-
en. Das ist hier nicht erklärt. Das, was Sie eben dazu ge-
agt haben, hat die Sache nicht deutlicher und klarer ge-
acht, Herr Bosbach.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514503700

Herr Kollege Müntefering, es gibt eine Reihe von
ünschen nach Zwischenfragen. Zunächst möchte Herr
ollege Stadler eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie
ie zu?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514503800

Zwei lasse ich gerne zu.

13442 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )



Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1514503900

Herr Müntefering, nun haben Sie einige Zeit Ihre Ge-

danken entwickelt, woran ich Sie auch gar nicht hindern
wollte. Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zu
bestätigen, dass wir uns in der heutigen Debatte nicht
mit zwei Anträgen, wie Sie gemeint haben, sondern mit
drei Anträgen befassen.

Ich bin deswegen zu der Frage gekommen, weil Sie
darauf abgestellt haben, dass aus der Titelbezeichnung
von Anträgen ein Rückschluss auf den Inhalt gezogen
werden kann, und der Antrag der FDP den Titel trägt:
„Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu
einer rationalen Integrationspolitik“. Es wäre schön ge-
wesen, wenn Sie diesen Antrag in Ihre Überlegungen
einbezogen hätten. Dann hätten wir erfahren, wie Sie
sich dazu verhalten.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das musste mal gesagt werden!)



Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514504000

Wenn ich eine Minute mehr Redezeit gehabt hätte,

hätte ich Ihren Titel ebenfalls nennen können. Jetzt ha-
ben Sie es getan. Ich kann nur bestätigen, dass der An-
trag vorliegt.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514504100

Jetzt hat der Kollege Bosbach das Wort.


Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1514504200

Herr Kollege Müntefering, Sie haben gerade unter

Hinweis auf die entsprechende Formulierung in unserem
Antrag begrüßt, dass wir keine Assimilation, aber Inte-
gration erwarten. Sie haben wörtlich gesagt: Assimila-
tion lehnen wir ab. Meine Frage ist: Wer ist „wir“? Sind
das die Eheleute Müntefering, die gesamte SPD oder die
SPD-Bundestagsfraktion?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist keine zweieinhalb Jahre her, dass der Bundes-

minister des Innern die Assimilation von Ausländern in
Deutschland gefordert hat.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Er hat darüber wieder in einem Interview gepredigt!)


Hier im Deutschen Bundestag hat er die Forderung nach
Assimilation unter Hinweis darauf verteidigt, dies heiße
doch nur ähnlich werden, Anpassung, und dies könne
man doch mit guten Gründen fordern. Lehnen Sie das
ab? Oder schließen Sie in dieses „wir“ den Bundesinnen-
minister mit seiner Meinung nicht ein?


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514504300

Ich habe festgestellt, Herr Bosbach, dass Sie in Ihrem

Antrag erklären: Assimilation wollen wir nicht. Das
habe ich für gut befunden; denn das wollen wir auch
nicht. Deutlicher kann man doch gar nicht sein. Meine
Worte sind doch klar verständlich.

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(C (D (Beifall bei der SPD – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Meine Frage war: Wer ist „wir“?)


ch spreche als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfrak-
ion und als Mitglied dieser Partei. Das ist wahrschein-
ich bekannt; darüber sollten Sie sich keine Sorgen ma-
hen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Gehört Herr Schily nicht dazu?)


Da ich aber noch nicht ganz fertig bin, will ich Sie,
err Bosbach, weiterhin ansprechen. Unter Nr. 4 Ihres
ntrags heißt es, dass das Grundgesetz die Leitkultur
ei.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Bestandteil!)


as ist interessant, aber uns nicht fremd. Wenn Sie Ihre
ussage darauf reduzieren, dann wäre das ein Fort-
chritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Wolfgang Bosbach [CDU/ CSU]: Nicht reduzieren!)


Wenn Sie Ihre Aussage nicht darauf reduzieren, dann
st das noch interessanter; denn Sie haben weitere kultu-
elle Grundvorstellungen eingefordert. Ich habe Sie da-
aufhin gefragt: Was meinen Sie damit? Wenn man das
it dem abgleicht, was im Grundgesetz steht, dann stellt
ich die Frage: Was bleibt Ihnen denn dann noch?


(Zurufe von der SPD: Richtig!)

eshalb ist für mich zweifelhaft, ob das, worüber jetzt
iskutiert wird, von Ihnen wirklich ehrlich gemeint ist.
ch vermute, dass dahinter etwas ganz anderes steckt. Ich
laube, Herr Bosbach, die CDU/CSU hat entdeckt, dass
an mit diesem Thema Wahlkampf machen könnte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


ch denke, dass es Ihnen darum geht und Sie nicht an der
lärung der Tatbestände interessiert sind, über die wir
ier miteinander reden.
Sie entdecken die Möglichkeit, mit diesen kulturellen
rundvorstellungen im deutschen Interesse, das Frau
erkel immer im Munde führt, in Verbindung mit Patrio-

ismus ein Thema aufzubauen, das auch für den Parteitag
b Sonntag angekündigt ist. Die Sache mit dem deut-
chen Interesse ist deshalb so interessant, weil Sie, als
ir damit im Zusammenhang mit dem Irakkrieg argu-
entiert haben, empört aufgeschrien haben, dass das
icht angehe.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt vielleicht mal zur Sache, Herr Müntefering!)


Das ist zur Sache.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht zur Sache!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13443


(A) )



(B) )


Franz Müntefering

Vielleicht wissen Sie nicht, was Ihre Vorderen wollen.
Als die Sache mit dem deutschen Interesse auf unseren
Plakaten zur Europawahl stand, haben Sie versucht, das
zu karikieren. Jetzt sind Sie dabei, zu formulieren, was
das deutsche Interesse ist. Sie müssten für das Plagiat ei-
gentlich Lizenzgebühren bezahlen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Sie waren auch schon mal lustiger!)


Vergleichbar sind Ihre Aussagen zum Patriotismus.
Wir haben in unserer 141-jährigen Geschichte vieles für
das Land erreicht. Das Land gehört uns nicht und es ge-
hört auch Ihnen nicht. Das, was uns miteinander verbin-
det, ist, dass alle Menschen, die in diesem Lande woh-
nen, ob Deutsche oder nicht, ob Mitglieder Ihrer Partei,
meiner Partei oder anderer Parteien, denselben An-
spruch, dasselbe Recht und die Aufgabe haben, diesem
Land zu dienen. Wenn eine Partei sagt „Wir sind die Pa-
trioten“, dann kann vielleicht ein Wort von Johannes Rau
helfen, der einmal gesagt hat: „Patrioten sind Menschen,
die ihr Land lieben.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Eine super Erkenntnis!)


Nationalisten sind Menschen, die die Heimatländer an-
derer missachten.“ Dies gilt auch für Menschen aus an-
deren Ländern, die bei uns sind. Deshalb gehört das sehr
wohl zum Thema der Integration.

Wir alle sind gut beraten, wenn wir in großer Achtung
voreinander, auch vor anderen Völkern und anderen
Ländern, unseren Patriotismus hier im Land nicht über-
höhen.


(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Den muss man erst einmal haben!)


Wir sind so gute Patrioten wie Sie. Auch das nehmen wir
als Sozialdemokraten für uns in Anspruch. Den Beweis
dafür kann man gut und einfach führen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514504400

Zu einer Kurzintervention erhält zunächst der Abge-

ordnete Pflüger das Wort.


Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1514504500

Herr Müntefering, Sie haben eben den Titel des CDU/

CSU-Antrages mit den Worten „Politischen Islamismus
bekämpfen“ zitiert und ergänzt, dass man schon an dem
Titel sehen könne, dass die Union, wenn es um Islam
und Islamismus gehe, vor allen Dingen eine Kampfposi-
tion einnehme.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Ja, das ist der Eindruck!)


Sie haben damit den Eindruck vermittelt, es sei heute un-
ser Bestreben, eine Kampflinie aufzubauen. Sie haben
den Menschen nur die halbe Wahrheit gesagt. Das ist

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(C (D anchmal noch schlimmer als die Unwahrheit; denn der ntrag heißt „Politischen Islamismus bekämpfen – Verassungstreue Muslime unterstützen“. Warum haben Sie igentlich diesen zweiten Teil verschwiegen? Uns geht s darum, dass wir der überwältigenden Mehrheit der uslime, die bei uns vernünftig leben, arbeiten und teuern zahlen und sich hier integrieren wollen, Brücken auen. Wir reden im dritten Absatz von Punkt I dieses An rags davon, dass 1 Prozent der Muslime laut Verfasungsschutzbericht dem extremen Islamismus zuneigt. ie können Sie es mit sich selbst und ihrer Politik verinbaren, mit der verkürzten Wiedergabe der Überschrift ine ganze Fraktion in eine bestimmte Ecke zu drängen nd den Eindruck zu vermitteln, als ob ein Teil dieses auses nicht mit den Ausländern, die bei uns leben, riedlich zusammenleben will? Das ist unerträglich und as müssen Sie hier zurücknehmen. (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Lesen Sie doch mal Ihren Antrag selber!)


Dasselbe gilt für das Thema Patriotismus. Auch ich
in dagegen, einem anderen im Rahmen einer normalen
olitischen Debatte Patriotismus abzusprechen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr gut! Das müssen Sie mal Ihren Leuten sagen!)


er wollte bestreiten, dass sich auch die Sozialdemokra-
en für dieses Land eingesetzt haben? Patriotismus darf
an nicht in erster Linie als Keule benutzen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aha! Sehr gut!)


Sie haben auch mit der Aussage Recht, dass Patriotis-
us nicht in der Weise geäußert werden darf, dass man
uf andere Länder herabschaut. Aber wenn Bundesmi-
ister Trittin kurz vor seinem Amtsantritt 1998 erklärt, er
abe in der Vergangenheit nie die deutsche National-
ymne gesungen und er werde sie auch nicht in Zukunft
ingen,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vielleicht singt er so schlecht!)


enn diese Bundesregierung einen nationalen Feiertag
bschaffen will und Herr Trittin eine Woche später er-
lärt, er möchte einen islamischen Feiertag einführen,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hat er nicht!)


ann zweifle ich in der Tat daran, dass bei allen Mitglie-
ern der Regierungsfraktionen patriotisches Verständnis
errscht. Uns geht es um aufgeklärte Vaterlandsliebe.
as ist nichts Schlimmes; sie ist vielmehr etwas Gutes
nd Richtiges.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514504600

Herr Kollege.

13444 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )



Dr. Friedbert Pflüger (CDU):
Rede ID: ID1514504700

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Zum Begriff der

Leitkultur werden die Kollegin Köhler und der Kollege
Grindel, die den Antrag im Wesentlichen formuliert ha-
ben, gleich noch etwas ausführen. Lassen Sie mich nur
so viel anmerken: Dass der Begriff Leitkultur hier als
Kampfbegriff nach dem Motto „Diejenigen, die ihn ver-
wenden, wollen andere Kulturen und Religionen gering
schätzen“ aufgebaut wird, ist schwer erträglich.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind sehr für Religionsfreiheit und wir sind sehr
dafür, dass sich andere Menschen nicht assimilieren
müssen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun muss er aber langsam aufhören!)


Wir meinen aber auch, dass eine Gesellschaft, die darauf
verzichtet, über das Grundgesetz hinaus eine Leitkultur
zu definieren – die sich zum Beispiel in der deutschen
Sprache zeigt –, dazu herausfordert, parallele Gesell-
schaften zu schaffen. Deswegen glauben wir, dass der
Begriff der Leitkultur, sofern er in einer vernünftigen
Weise verwendet wird, weiterführt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Popanz!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514504800

Bitte, Herr Müntefering.


Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1514504900

Der Antrag Ihrer Fraktion trägt die Überschrift „Poli-

tischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Mus-
lime unterstützen“.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das haben Sie so nicht vorgelesen!)


Dass Sie die Bekämpfung des politischen Islamismus
zum Kernpunkt dieses Antrags und der Ausführungen
von Herrn Bosbach gemacht haben,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Nein! Gleichrangig neben dem anderen!)


steht doch außer Zweifel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Wollen Sie das nicht?)


Was ich Ihnen nahe legen wollte, ist – hören Sie gut
zu, Herr Bosbach und Herr Pflüger! –


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Unterscheiden wir uns darin?)


– das kann schon sein; dann stellen wir das eben gemein-
sam fest –, dass der Verstoß gegen Gesetze und das
Thema Integration auseinander gehalten werden sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D enschen, die gegen Gesetze verstoßen, müssen mit anktionen rechnen, und zwar unabhängig davon, ob sie um Beispiel Ausländer sind, ob sie Muslime sind. nsofern gilt: Wer hetzt und Gewalt anwendet, unterliegt nseren Gesetzen. Das muss man nicht unter der Überchrift „Politischen Islamismus bekämpfen“ beschreien; es unterliegt unseren Gesetzen. Die Frage der Interation geht darüber hinaus; es geht dabei um das usammenleben und Zusammenwirken der Menschen in nserem Land. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Reden Sie mal mit Ihren Kommunalpolitikern! Die werden Ihnen sagen, was los ist!)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben Punkt 4 Ihres Antrags angesprochen. Ich
abe nichts dagegen, wenn Sie von der Leitkultur spre-
hen. Ich habe es lediglich begrüßt und freue mich wirk-
ich darüber, dass Sie bereit sind, diesen Begriff zu präzi-
ieren. Viele Menschen im Land fragen sich, was Sie
amit meinen. Sie haben diesen Begriff seinerzeit einge-
ührt, um sich, die CDU, als eine Partei mit einem be-
onderen kulturellen Hintergrund vorzustellen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja auch so!)

Ich habe mich immer wieder gefragt, was Sie eigent-

ich meinen und wer Sie eigentlich sind. In diesem Punkt
erstehe ich Sie nicht. In Ihrem Antrag haben Sie erst-
als schriftlich formuliert, dass es Ihnen im Kern um
nseren Verfassungsstaat und um unser Grundgesetz
eht.
Ich betone noch einmal: Wenn Sie sagen, die Leitkul-

ur entspreche unserem Grundgesetz, dann ist das in
rdnung. Das können Sie ruhig als Leitkultur beschrei-
en. Dagegen habe ich nichts. Ich würde zwar nicht die-
en Begriff dafür verwenden, weil es sich um eine Erhö-
ung besonderer Art handelt, aber darüber hinaus
ommen wir uns schon näher.
Sie haben aber noch nicht erläutert, Herr Pflüger – das
erden Sie möglicherweise noch tun –, was Sie mit dem
rlernen der „gewachsenen kulturellen Grundvorstellun-
en“ – additiv zum Grundgesetz, obligatorisch für alle
enschen, die zu uns ins Land kommen – meinen. Sie
einen damit hoffentlich nicht, dass sie alle Mitglieder
er CDU werden sollen. Das haben Sie sicherlich nicht
emeint.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514505000

Jetzt hat der Abgeordnete und Innenminister Otto

chily das Wort zu einer Kurzintervention.

(Zurufe von der CDU/CSU: Der Abgeord nete!)


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1514505100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-

en! Mein Kollege Müntefering hat eben für die SPD-
raktion erklärt, dass wir Assimilation nicht erzwingen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13445


(A) )



(B) )


Otto Schily

wollen. Damit spricht er auch für den Abgeordneten
Otto Schily.

Aber ich will auch darauf hinweisen, dass Assimilie-
rung erlaubt ist.


(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Nein, nicht Assimilieren erlauben!)


Insofern haben Sie mich völlig falsch zitiert, Herr
Bosbach. Ich habe in dem Interview, das Sie vielleicht
meinen – Herr Prantl zitiert mich falsch und Sie zitieren
mich falsch –, keine Assimilierung gefordert.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Was Sie im Plenum gesagt haben, nicht im Interview!)


– Nein, ich habe nie Assimilierung gefordert. Das ist
völlig falsch.

Ich meine, auch Assimilierung kann eine Form der In-
tegration sein; wir sollten sie nicht aus Gründen der Poli-
tical Correctness für beklagenswert halten. In der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland gibt es viele
Integrationsvorgänge, die nichts anderes als Assimilie-
rung sind. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen – Herr
Professor Frankenberg, Wissenschaftsminister in Baden-
Württemberg, hat mir diese Anekdote gerade berichtet –:
Als er sich kürzlich – wie das auf einer langen Autofahrt
schon einmal geschieht – mit seinem Fahrer, der deut-
scher Staatsbürger serbischer Abstammung ist und einen
serbischen Namen trägt, über die Probleme Baden-
Württembergs unterhalten hat, hat dieser gesagt: Frau
Schavan kann nicht Ministerpräsidentin von Baden-
Württemberg werden, weil sie nicht zu uns gehört. Dazu
kann ich nur sagen: Dieser Mann ist assimiliert und inte-
griert. Das finde ich in Ordnung.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiteres Beispiel: Cem Özdemir spricht reines
Schwäbisch. Auch das ist eine gewisse Form von Assi-
milierung. Ich wüsste nicht, was daran beklagenswert
sein sollte.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Trotzdem kennt er sich in der Türkei noch gut aus und
spricht fließend Türkisch. Er bildet also eine interkultu-
relle Brücke.

Lassen Sie uns doch nicht dogmatische Graben-
kämpfe führen! Wir sollten die Beantwortung der hier
zur Diskussion stehenden Fragen viel lockerer angehen.
Es gibt viele Formen der Integration. Assimilierung ist
nicht des Teufels, sondern unter den Bedingungen des
Grundgesetzes erlaubt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


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(C (D Noch eine dritte Kurzintervention des Abgeordneten on Klaeden. Weitere Kurzinterventionen lasse ich dann ber nicht mehr zu. Bitte, Herr von Klaeden. Herr Müntefering, ich möchte gerne auf Ihre Ausfüh ungen zum Begriff der freiheitlich-demokratischen eitkultur eingehen. Sie haben gesagt – ich glaube, dait gebe ich Sie richtig wieder –, dies sei für Sie nur ann verständlich, wenn damit das Grundgesetz gemeint ei. Für uns gehören zur freiheitlich-demokratischen eitkultur in Deutschland auch das geschichtliche Erbe nd die Verantwortung aus der Geschichte, zum Beispiel ie besondere Verantwortung unseres Landes gegenüber srael, obwohl davon kein Wort im Grundgesetz steht. In der Präambel des Grundgesetzes steht nichts von der esonderen Verantwortung für Israel. Aber diese Verantortung gehört aufgrund unserer Geschichte zur freieitlich-demokratischen Leitkultur unseres Landes. Ich finde, dass jeder, der nach Deutschland kommt nd die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben will, diese esondere Verantwortung akzeptieren muss. Wer das icht will, der, finde ich, gehört auch nicht in dieses and. Herr Müntefering, möchten Sie erwidern? – Nein. Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael oldmann. Sehr verehrte, geschätzte Frau Präsidentin! Liebe olleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat in dieer Woche ein breit angelegtes Integrationspapier, an essen Erarbeitung insbesondere der Kollege Haupt beeiligt war, beschlossen und wird damit das Thema in artei und Gesellschaft angehen. Sie hat außerdem einen ntrag im Bundestag eingebracht; dieser ist vorhin anesprochen worden. Herr Müntefering, es ist schade, ass Sie sich, der Sie sich sonst sehr viel mit Sprache bechäftigen, mit den Grundaussagen unseres Antrags icht befasst haben. Wir heben darin den Wert kultureler Vielfalt hervor und fordern die Orientierung an allgeeingültigen Werten und das Beschreiten neuer, rationaer Wege in der Integrationspolitik. Ich frage mich, ob as, was wir eben erlebt haben, dazu geeignet ist, eine ationale und von den Menschen getragene Integrationsolitik in unserem Land voranzubringen. (Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich bin da sehr klar!)

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514505200
Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1514505300

(Zuruf von der SPD)


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514505400
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1514505500

Herr Schmidt, wir können uns sehr gerne darüber un-
erhalten. Aber mir ist das Thema zu ernst, als dass ich

13446 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Hans-Michael Goldmann

es dauernd durch Zwischenbemerkungen und Unklarhei-
ten weiter verwässern will.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr wahr!)


Sehr gelehrter Herr Kollege Bosbach, ich habe Sie
heute Morgen im Frühstücksfernsehen und auch hier
wieder als einen Mann des scharfen Wortes erlebt. Ich
finde, dass manche Ihrer Formulierungen in der Schärfe
etwas unglücklich sind. Religionsfreiheit in Verbindung
mit Narrenfreiheit zu bringen – in welcher Form auch
immer –, halte ich für unqualifiziert.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Keine Narrenfreiheit!)


– Herr Bosbach, Sie können so lange dazwischenrufen,
wie Sie wollen. Hören Sie lieber gut zu!

Ich habe mir die Mühe gemacht, mich mit dem be-
rühmten Punkt vier des CDU/CSU-Antrags auseinander
zu setzen. Es liegt sicherlich an mir, dass ich ihn nicht in
Gänze verstanden habe. Aber wir wollen doch festhal-
ten, dass Sie zwischen den Worten „Anerkennung des
Verfassungsstaates“ und den Worten „der freiheitlichen
demokratischen Leitkultur“ das Verbindungswort „und“
gesetzt haben. Das heißt, es gibt so etwas wie die Aner-
kennung des Verfassungsstaates und es gibt daneben et-
was anderes, nämlich eine freiheitliche demokratische
Leitkultur.


(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Ja, natürlich!)

– Können Sie mir einmal sagen, was das ist?


(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Zum Beispiel das Nationale! Das Nationale steht doch auch nicht im Grundgesetz!)


– Bevor Sie den Mund aufmachen, hören Sie mir lieber
zu und denken Sie einmal nach!


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sie haben doch „Können Sie mir einmal sagen, was das ist?“ gefragt!)


– Herr Bosbach, Sie legen bei diesem Thema schon wie-
der diese integrative Art an den Tag. Sie brüllen in der
Gegend herum und produzieren Sprechblasen.


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann es eigentlich ganz einfach machen. Sie sind
ja ein Sprachakrobat und wissen daher, was ein Haupt-
wort und was ein Wiewort ist.


(Heiterkeit bei der FDP)

In Ihrem Antrag ist das Hauptwort „Leitkultur“ und sind
die Wiewörter „freiheitlich“ und „demokratisch“. Nach
meinem Verständnis sollten bei der Integration „Demo-
kratie“, „Freiheit“ und „Gleichheit“ die Hauptwörter
sein.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist ja Wortklauberei!)


Wenn man das praktiziert, dann kann man durchaus eine
Kultur entwickeln, die einen in bestimmten Lebensberei-

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(C (D hen leitet; aber der Oberbegriff für unser demokratiches, für unser emanzipatorisches, für unser integraties Tun darf nicht der diffuse Begriff der Leitkultur sein, en Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514505600

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
eis?

Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1514505700

Nein, das möchte ich jetzt nicht, weil ich mir viel
ühe gegeben habe, diesen Gedanken zu entwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das merkt man aber nicht!)


Herr Bosbach, das unterscheidet uns vielleicht. Ich
eiß wenigstens, was in Ihrem Antrag steht. Bei einigen,
ie eben geredet haben, hatte ich nicht unbedingt den
indruck, dass sie alles verstanden haben, was darin
teht.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie Recht!)


Herr Kollege Bosbach, wir sollten uns vielleicht ein
enig mehr auf den Begriff der Rechtskultur verständi-
en. Ich denke, es ist völlig klar: Wer sich an das hält,
as im vorderen Teil Ihres Antrags angesprochen wird,
ämlich an die Anerkennung des Verfassungsstaates und
nserer Rechtskultur – das fängt damit an, dass man
icht die Zeitung liest, wenn man von einem Kollegen
irekt angesprochen wird; aber das, was Sie machen, ist
ahrscheinlich eine Variante der Leitkultur –,


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


er soll bei uns aufgenommen und integriert werden; das
st überhaupt keine Frage. Derjenige, der das nicht tut,
er hat in unserer Demokratie, in unserem Rechtsstaat
ichts zu suchen. Da sind wir uns völlig einig.
Mit Ihrem Begriff der Leitkultur – ich habe eben ver-

ucht, darzustellen, dass er falsch ist – machen Sie etwas
nderes – ich halte das für gefährlich –: Im Grunde ge-
ommen reduzieren Sie das Ganze auf das Erschei-
ungsbild eines Menschen: auf das Tun, auf das Essen,
uf das Hören von Musik, möglicherweise sogar auf das
ussehen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Anschnallen! Sie befinden sich im freien Fall!)


amit stellen Sie Menschen anderer Kulturkreise in eine
efährliche Ecke unserer Gesellschaft. Deswegen kann
ch Sie nur herzlich darum bitten: Verabschieden Sie sich
indeutig von dem Begriff der Leitkultur!


(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13447


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Hans-Michael Goldmann

Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass die

Menschen, die zu uns gekommen sind, an Demokratie
und Kultur teilnehmen! Lassen Sie uns dafür sorgen,
dass diese Menschen bereit und willens sind, unsere
Sprache zu lernen, damit sie begreifen, was wir unter
Ehe und Partnerschaft verstehen. Lassen Sie uns dann
klar sagen, dass zum Beispiel eine Zwangsheirat mit un-
serem demokratischen Verständnis überhaupt nicht in
Einklang zu bringen ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns darauf hinarbeiten, dass sich die Muslime
in Deutschland ein Stück mehr zusammenfinden, damit
wir den runden Tisch der Religionen an vielen Stellen
gemeinsam ausgestalten können.

Das Thema Integration in unsere Gesellschaft erfor-
dert nach meiner Auffassung eine gründliche, eine tiefer
gehende Beratung. Wir sind dazu gerne bereit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514505800

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Claudia Roth.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich freue mich, dass Sie sich schon freuen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich frage mich schon, was diese Debatte leisten muss.
Sie muss verantwortlich geführt werden und sie darf
keine Stimmungsmache sein. Sie muss Probleme benen-
nen, aber sie darf keine Ängste schüren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Sie muss vor allem mit Polemik aufhören und muss kon-
struktive Vorschläge für die Verbesserung der Integra-
tion leisten;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Wer hat denn diesen Ton in die Debatte gebracht?)


das vermisse ich bei Ihnen sehr.
Diese Debatte muss auch mit einer Lebenslüge

Schluss machen. Es geht um die Anerkennung unserer
Realität,


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja, in der Tat!)


ob einem das passt oder nicht. Ich komme aus Bayern.
Da passt es vielen nicht, aber es ist so: Deutschland ist

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(C (D in Einwanderungsland. Das ist die Anerkennung unerer Realität. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Also Multikulti!)


Wir haben Menschen und nicht Gäste und nicht bloß
rbeitskräfte in dieses Land geholt. Max Frisch und
ustav Heinemann haben das sehr früh erkannt. Diese
igranten haben den Wohlstand in diesem Land mit ge-

ördert und dieses Deutschland in den letzten Jahrzehn-
en mit geprägt. Unser Land ist Lebensmittelpunkt für
illionen von ausländischen Neubürgern geworden. Sie
ind hier, sie wollen hier sein und sie sollen bitte hier
leiben. Diese Sicherheit müssen wir ihnen geben. Wir
üssen ihnen und ihren Kindern das Gefühl geben, dass
eutschland auch ihre Heimat ist. Das tun Sie in den sel-
ensten Fällen; zu dem Schluss komme ich, wenn ich mir
ie öffentliche Debatte der letzten Woche vergegenwär-
ige.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft,
err Bosbach, und das wissen Sie auch. Das ist die Rea-
ität. Die Realität ist nicht gescheitert. Jede fünfte Ehe in
iesem Land ist binational. Jedes fünfte Kind hat einen
igrationshintergrund. Deutschland ist auch ein multire-

igiöses Land. 3,3 Millionen Moslems leben in diesem
and. Diese Moslems sollten sich endlich eine entspre-
hende Repräsentanz geben. Das halten wir für sehr not-
endig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer etwas für Integration tun will, wer zusammen-
ühren und nicht spalten will, der darf sich dieser Reali-
ät nicht verweigern. Sie ablehnen oder rückgängig ma-
hen zu wollen ist illusionär. Ausgrenzung verbaut die
hancen von Integration.
Herr Bosbach, Sie sind wirklich ein Akrobat, was die

prache angeht. In Ihrem Antrag ist von der Leitkultur
ie Rede. Heute Morgen laufen Sie aber wieder mit dem
egriff der deutschen Leitkultur durch alle Agenturen.


(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Wir leben ja in Deutschland!)


as ist nicht das, was Bassam Tibi sagt. Der redet von
er europäischen Leitkultur. So wie Sie landauf, landab
ber deutsche Leitkultur, über deutsche kulturelle Um-
angsformen – da frage ich mich wirklich, was das sein
oll – reden, so wie Sie heute in den Agenturen wieder
on der deutschen Leitkultur sprechen – ich kann es Ih-
en gern zeigen, Herr Bosbach –, ist das nicht integrativ,
ondern da hierarchisieren Sie. Sie hierarchisieren Kul-
uren, Sie hierarchisieren Religionen und Sie hierarchi-
ieren Menschen. Es muss aber darum gehen, die gleich-
erechtigte Teilhabe und Chancengleichheit zu fordern.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wo denn? In Deutschland?)


13448 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Claudia Roth (Augsburg)


Das tun Sie nicht, obwohl Sie jetzt in Ihrem Antrag das
Wörtchen „deutsch“ gestrichen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Anerkennung der Realität, das heißt auch anzuerken-
nen: Ja, es gibt Schwierigkeiten. Ja, es gibt Konflikte. Ja,
es gibt Probleme. Aber Integration funktioniert in wei-
ten Bereichen auch. Drei Viertel der Migranten leben
nicht in ethnisch geprägten Vierteln. Die Zahl der Kon-
takte der Deutschen der jüngeren Generation zu Migran-
ten nimmt zu. Das Schlechtreden von erfolgreicher Inte-
gration ist das pure Gegenteil von Patriotismus, von dem
Sie immer reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wer macht das denn, Frau Roth? Das macht doch niemand! Das ist doch nicht wahr!)


Die Stigmatisierung von Menschen in Bezirken mit
hohem Ausländeranteil löst überhaupt kein Problem.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sagen Sie das Herrn Buschkowsky!)


Was wir nicht brauchen, Herr Grindel, ganz sicher nicht,
ist eine Ausländerquote, wie Herr Schönbohm sie gefor-
dert hat,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was sagt denn Herr Buschkowsky?)


was auf Zwangsumsiedlungen hinauslaufen würde. Was
wir nicht brauchen, ist die Forderung von Frau Schavan,
dass plötzlich nur noch in Deutsch gebetet werden darf.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat sie doch nicht gesagt!)


Das ist keine Integration, sondern das spaltet und das ist
ein Signal für Ausgrenzung. Das ist Gift für die politi-
sche Stimmung in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was wir brauchen, ist eine systematische Integra-
tionspolitik. Das ist über Jahrzehnte, auch dank Ihnen,
versäumt worden. Sie betrifft nicht nur die Neuzuwande-
rer – das ist jetzt im Zuwanderungsgesetz festgelegt –;
sie ist auch nachholende Politik. Sie fordert von allen
Seiten Integrationsbereitschaft ein. Integrationspolitik
heißt zuallererst Sprachförderung im frühkindlichen
Alter – das muss uns sehr viel wert sein –, heißt weiter
Öffnung des öffentlichen Dienstes, der Polizei und des
Verfassungsschutzes für Menschen mit einem Migra-
tionshintergrund. Sie reden immer davon. Aber wie sieht
denn die Praxis in den Ländern, die Sie regieren, aus? Da
passiert doch das pure Gegenteil.


(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt nicht! Purer Unsinn!)


Integrationspolitik beinhaltet gezielte Förderung von
Migranten bei Ausbildung, Bildung und auf dem Ar-
beitsmarkt, gezielte Förderung von Frauen und Mäd-

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(C (D hen. Man redet zwar immer darüber, aber in Bayern erden die Mittel für Integration im Haushalt gerade um 0 Prozent gekürzt. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von laeden? Claudia Roth EN)

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514505900
Ein bisschen später kann er sie gerne stellen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es geht jetzt aber zu dieser Sache!)


ntegration beinhaltet auch – das unterstützen wir sehr –
usbildung von Imamen an deutschen Universitäten und
eutschsprachigen islamischen Religionsunterricht.
Ich denke, dass von dieser Debatte heute das Signal

usgehen muss, dass Moslems in diesem Land nicht un-
er Generalverdacht stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Natürlich! Wer tut das denn?)


as heißt überhaupt nicht, dass wir nicht selbstverständ-
ich für eine entschiedene Bekämpfung islamistisch-
xtremistischer Bestrebungen sind. Auch Sie wissen,
ass wir keine Aufhetzung zu Gewalt und keinen Antise-
itismus in den Moscheen dulden. Sie wissen auch, dass
ir uns offensiv mit Vorstellungen von religiös oder kul-
urell begründeten Formen von Unfreiheit oder Un-
leichheit auseinander setzen und dass wir Maßnahmen
um Beispiel gegen die Zwangsverheiratung ergriffen
aben.
Wir treten ein für die Religionsfreiheit: hier bei uns

uch für Moslems, in der Türkei auch für Christen und
leviten. Religionsfreiheit heißt aber nicht, dass reli-
iöse Vorstellungen über die demokratische Rechtsord-
ung gestellt werden dürfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


eswegen darf aber Integrationspolitik doch nicht auf
rdnungspolitik reduziert werden, wie es meiner Mei-
ung nach in Ihrem Antrag der Fall ist. Integrationspoli-
ik muss doch den Islam als gleichberechtigte Religion
nerkennen und zum Ziel haben, den Islam quasi bei uns
inzubürgern. Denn ein europäischer Islam ist doch der
este Beitrag im internationalen Kampf gegen den isla-
istischen Extremismus.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Multikulturalität

st nicht nur Realität, sie stellt für uns auch ein starkes
deal dar, womit wir Freiheit, Vielfalt und die Achtung
nterschiedlicher Lebensweisen und Lebensentwürfe
erbinden. Sie erfordert eine Kultur der Differenz sowie
ine Kultur der Toleranz und des Respekts. Toleranz in
iner multikulturellen Demokratie bewegt sich immer im
ahmen unserer Verfassungsordnung. Die Zukunft liegt

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13449


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Claudia Roth (Augsburg)


also im Pluralismus, nicht in der Monokultur. Die Zu-
kunft erfordert einen viel stärkeren interreligiösen und
interkulturellen Dialog, nicht den Kampf der Kulturen
oder die Hierarchisierung von Kulturen und Religionen.
Das gemeinsame Fundament, liebe Kolleginnen und
Kollegen, das ist das Grundgesetz, das ist unsere Verfas-
sung, das sind die universellen Menschenrechte, das ist
unsere Demokratie. In diesem, aber nur in diesem Sinn
bin ich gerne Verfassungspatriotin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514506000

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete

Bosbach das Wort.

(Sebastian Edathy [SPD]: Wird Ihnen dann besser, Herr Kollege? – Weiterer Zuruf von der SPD: Och nee!)



Wolfgang Bosbach (CDU):
Rede ID: ID1514506100

Frau Kollegin Roth, ich habe mich zu Wort gemeldet,

weil Sie glaubten, darauf hinweisen zu müssen, dass ein
erheblicher Unterschied zwischen den Wortpaaren „Leit-
kultur in Deutschland“ und „deutsche Leitkultur“ be-
stehe. Ich darf Ihnen einmal vorlesen, was die CDU
Deutschlands vor genau vier Jahren beschlossen hat:

Integration erfordert deshalb, neben dem Erlernen
der deutschen Sprache sich für unsere Staats- und
Verfassungsordnung klar zu entscheiden und sich in
unsere sozialen und kulturellen Lebensverhältnisse
einzuordnen. Dies bedeutet, dass die Werteordnung
unserer christlich-abendländischen Kultur, die vom
Christentum, Judentum, antiker Philosophie, Hu-
manismus, römischen Recht und der Aufklärung
geprägt wurde, in Deutschland akzeptiert wird. Das
heißt nicht Aufgabe der eigenen kulturellen und re-
ligiösen Prägung, aber Bejahung und Einordnung in
den bei uns für das Zusammenleben geltenden
Werte- und Ordnungsrahmen.
… Multikulturalismus und Parallelgesellschaften
sind kein Zukunftsmodell. Unser Ziel muss eine
Kultur der Toleranz und des Miteinander sein – auf
dem Boden unserer Verfassungswerte und im Be-
wusstsein der eigenen Identität. In diesem Sinne ist
es zu verstehen, wenn die Beachtung dieser Werte
als Leitkultur in Deutschland bezeichnet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie, Frau Kollegin Roth, bei der Frage, was
deutsche Leitkultur bzw. was Leitkultur in Deutschland
ist, minutenlang nur in rhetorische Erregungszustände bis
hin zum Brüllen verfallen, dann kann das nur heißen, dass
Sie in der Sache überhaupt nichts dagegensetzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ihre Reden sind selten erregend, Herr Bosbach!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514506200

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristina Köhler.

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(C (D Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und erren! Der Herr Abgeordnete Müntefering – er ist leier nicht da – Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen – hat uns ben vorgeworfen, im Antrag der CDU/CSU-Fraktion tehe das Thema Islamismus im Fokus. In der Tat haben ie damit gar nicht Unrecht; das Thema Islamismus steht m Fokus. Aber ich frage: Wer sind denn die ersten Oper der Islamisten? Die ersten Opfer sind doch die verassungstreuen Muslime hier in Deutschland. Deshalb aben wir in der Überschrift unseres Antrags den Zweilang „Politischen Islamismus bekämpfen – Verfasungstreue Muslime unterstützen“ gewählt. Diesen weiklang wollten Sie in Ihrem Zitat nicht wahrhaben. Wir haben das Thema Islamismus auch deshalb in den okus gestellt, weil hier ein unglaublicher Handlungsbearf besteht. Ein Wegwerfsatz „Wir wollen jeden Extreismus bekämpfen“ reicht nicht. Nachdem Frau Roth erade versichert hat, diese Bundesregierung dulde eine Aufhetzung zur Gewalt hier in Deutschland, uss ich Ihnen leider ein Beispiel vortragen: Ich habe gestern am Bahnhof Zoo die türkischspra hige Zeitung „Vakit“ gekauft. Hier habe ich sie liegen. ach Angaben ihres Verlages in Mörfelden-Walldorf im reis Groß-Gerau erscheint diese Zeitung in einer Aufage von 10 000 Exemplaren. Allein in der gestrigen usgabe finden sich einige verabscheuenswürdige Ausagen. Ich zitiere nur drei Sätze aus einer beglaubigten bersetzung dieser Ausgabe: Die Wahrheit ist: Es gab keinen Holocaust. Auch die so genannten Gaskammern sind eine Lüge. Das ist alles nichts anderes als zionistische Musik. eine Damen und Herren, das sind ungeheuerliche Ausagen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist aber schon jetzt strafbar! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es Gesetze!)


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1514506300

(Zurufe von der SPD: Doch!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Pfui!)


Das ist strafbar, richtig.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie müssen Anzeige erstatten!)

ch habe lange überlegt, ob ich diese Aussagen hier
örtlich vortragen soll, aber ich tue es, weil ich will,
ass wir aufwachen und dass uns klar wird: Wir reden
ier nicht über Kleinigkeiten oder über missverständli-
he oder ungeschickte Formulierungen,


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Da greift das deutsche Recht doch jetzt schon!)


13450 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Kristina Köhler (Wiesbaden)


sondern über Antisemitismus in seiner krassesten Form.


(Sebastian Edathy [SPD]: Wo ist der Handlungsbedarf, Frau Kollegin? – Weiterer Zuruf von der SPD: Strafgesetzbuch!)


– Sie fragen: Wo ist der Handlungsbedarf?

(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! – So eine Unverschämtheit! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Künstliche Empörung! Alles wieder künstlich! – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Das muss geahndet werden! – Sebastian Edathy [SPD]: Das ist bereits jetzt strafbar, nach geltendem Recht!)


Meine Damen und Herren, wir sind hier in Deutsch-
land zu Recht sehr sensibel beim Thema Antisemitismus


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind wir auch!)


und deswegen frage ich Sie zum Thema „Handlungsbe-
darf“: Warum können solche islamistischen Hetzblätter
unbeanstandet am Bahnhof Zoo hier mitten in Berlin
verkauft werden?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514506400

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Abgeordneten Streb-Hesse?

Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1514506500

Ja.

Rita Streb-Hesse (SPD):
Rede ID: ID1514506600

Frau Kollegin, ich denke, Sie haben an den Reak-

tionen gemerkt, dass es nicht streitig ist, dass das Hetze
ist und dass dagegen strafrechtlich vorgegangen werden
muss.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Ist es aber dann nicht auch Hetze – dazu würde ich gerne
Ihre Meinung hören –, wenn die CDU im hessischen
Landtag in der letzten Woche fordert


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– hören Sie bitte zu! –, dass sich die Einwanderer zur
Verfassung und zu den christlich-humanistischen Werten
bekennen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch richtig!)

sich aber anschließend in einer weiteren Debatte die
CDU-Landesregierung und die CDU-Landtagsfraktion
geschlossen hinter den stellvertretenden Fraktionsvorsit-
zenden Irmer stellen, der mehrfach in den Zeitungen, die
er selbst herausgibt, und in anderen Äußerungen fordert,


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein übler Hetzer!)


dass – jetzt hören Sie genau zu – EU-Kommissar
Verheugen des Hochverrats angeklagt wird, weil er sich
für den Beitritt der Türkei zur EU ausgesprochen hat,

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(C (D nd dass eine Umerziehung von Homosexuellen stattfinen muss, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was hat denn das mit unserer Debatte zu tun?)


(Zuruf von der FDP: Wo ist die Frage?)


er – jetzt geht es noch weiter – seit Jahren den Frak-
ionsvorsitzenden der Grünen, Tarek al-Wazir, aus einer
inationalen Ehe stammend, mit dem Beinamen
Mohammed“ tituliert und der die Bundesjustizministe-
in – da weiblich – des Schwachsinns bezichtigt?


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514506700

Frau Kollegin – –


Rita Streb-Hesse (SPD):
Rede ID: ID1514506800

Es ist gefordert worden, dass der Kollege diese Äuße-

ungen zurücknimmt und sich entschuldigt. Ich denke, in
inigen Punkten müsste er zivilrechtlich belangt werden.
ch bin erstaunt, wenn die gleiche Fraktion hier im Bun-
estag – –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514506900

Frau Kollegin, Sie wollten eine Zwischenfrage stel-

en. Es ist doch recht schwierig, auf eine Frage zu ant-
orten, die sich auf Vorgänge in einem anderen Parla-
ent bezieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Es stand in allen Zeitungen!)

ber Sie können das gerne versuchen, Frau Köhler.


Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1514507000

Ich habe durchaus eine Frage gehört, Frau Streb-
esse, nämlich ob ich das nicht ebenso unglaublich
inde. Da sage ich Ihnen: nein. Ich möchte das nicht mit
er Leugnung des Holocausts gleichsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514507100

Frau Kollegin, auch der Kollege Volker Beck möchte

ine Zwischenfrage stellen.


Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1514507200

Entschuldigung, ich möchte jetzt fortfahren.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dem sind Sie wohl nicht mehr gewachsen! – Lachen bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das wirklich Unglaubliche
st, dass diese Blätter hier in Deutschland neben der
Frankfurter Rundschau“ und der „Welt“ einfach so ver-
auft werden können.
Der Islamismus führt aber auch zu einer tagtäglichen
nterdrückung von so genannten Ungläubigen. Da-
ei sind „Ungläubige“ nicht nur Christen oder Nicht-
uslime, sondern „Ungläubige“ im Sinne der Islamisten
ind auch die ganz große Mehrheit der verfassungstreuen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13451


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Kristina Köhler (Wiesbaden)


Muslime hier in Deutschland. Diese Gruppe ist das erste
Opfer der Islamisten und vielleicht sogar ihr größtes.

Deswegen tun wir den verfassungstreuen Muslimen
bitter Unrecht, wenn wir islamistische Organisationen
als Vertreter der Muslime in Deutschland anerkennen.


(Zuruf von der FDP)

– Ich finde es schön, dass Sie mir da zustimmen; denn in
dem Antrag von der FDP steht, dass Sie hier keine Tabus
kennen wollen, dass Sie einen Dialog mit den Repräsen-
tanten aller muslimischen Gruppen führen wollen. Ich
sage Ihnen: Für die CDU/CSU sind Organisationen tabu,
die sich nicht eindeutig zu unserer Verfassung bekennen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn wir können es den verfassungstreuen Muslimen in
Deutschland einfach nicht zumuten, Islamisten als ihre
Repräsentanten anzuerkennen, weil wir nämlich ganz
genau wissen, dass die riesige Mehrheit der Muslime in
Deutschland mit dem Islamismus nichts zu tun hat.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie hundertprozentig Recht!)


Die Bundesregierung – ich meine nicht Sie, Herr Mi-
nister Schily – hat hier weniger Berührungsängste. Da
gibt es zum Beispiel den Islamrat. Der Islamrat wird
dominiert von der islamistischen Vereinigung Milli
Görüs, die wiederum vom Verfassungsschutz beobachtet
wird. Genau dieser Islamrat ist für unseren Bundesum-
weltminister Jürgen Trittin ein wichtiger Partner im
Kampf für eine ökologischere Welt. Denn Herr Bun-
desumweltminister Trittin hat in seinem Haushalt ein ge-
meinsames Projekt mit dem Islamrat mit dem Titel
„Islam und Umweltschutz am Beispiel des Wassers“.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich will einmal wohlmeinend unterstellen, dass der Herr
Bundesumweltminister hier aus Naivität handelt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Sicherheit!)

Aber genau diese Naivität können wir uns hier in
Deutschland nicht mehr leisten. Wir müssen klar zwi-
schen den Islamisten und den verfassungstreuen Musli-
men unterscheiden und wir müssen uns auch endlich Ge-
danken darüber machen, wie wir die verfassungstreuen
Muslime in ihrem Kampf gegen die Islamisten unterstüt-
zen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Noch eine Bemerkung zu der notwendigen und sehr
wichtigen Differenzierung zwischen Islam und Isla-
mismus. Die Islamisten missbrauchen den Islam. Das ist
das eine. Das andere ist: Es ist unerträglich, dass man
sich bei jedem Satz gegen den Islamismus des Vorwurfs
erwehren muss, man habe den Islam in Gänze gemeint.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514507300

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischen-

frage?

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(C (D Nein, ich möchte jetzt fortfahren. Für die CDU/CSU möchte ich ein für alle Mal klar tellen, wo unsere Trennlinie liegt. Sie liegt nicht zwichen Christen und Muslimen, sondern sie liegt zwichen denen – das können Christen und Muslime sein –, ie unsere grundlegenden Normen anerkennen und auf em Boden unserer Verfassung stehen, (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum sollen die dann deutsch reden?)

Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1514507400

nd denen, die Intoleranz und Unterdrückung predigen
nd die unsere Verfassung zerstören wollen. Es geht
icht um eine Auseinandersetzung der Religionen, son-
ern um eine Auseinandersetzung zwischen Freiheit und
nterdrückung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben Sie Recht! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Herrn Irmer!)


An dieser Stelle bin ich nicht zu einem Dialog bereit.
ch weiß, dass unter dem Begriff „Dialog der Kulturen“
iel Gutes geschieht. Aber ich bin nicht bereit, über
emokratie und Menschenrechte zu verhandeln.


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer verhandelt denn darüber?)


ie Beachtung der Menschenrechte ist eine Mindestan-
orderung an jeden, der in unserem Land leben möchte.
ber diese Mindestanforderungen müssen wir an dieser
telle sprechen.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Grundgesetz!)

Damit sind wir bei der demokratischen Leitkultur.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah!)


ch weiß, dass viele von Ihnen diesen Begriff nicht mö-
en. Ich habe aber, ehrlich gesagt, von Ihnen noch kei-
en besseren Vorschlag gehört.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Doch: Grundgesetz!)


nbestritten ist doch, dass eine funktionierende Gesell-
chaft einen Kern an gemeinsamen Normen und Wer-
en benötigt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völlig klar!)

urch diese wird die Gemeinschaft begründet, erhalten
nd weiterentwickelt. Dazu gehört nicht nur, die Werte
nserer Verfassung anzuerkennen, sondern beispiels-
eise auch – Sie wollten ja Beispiele hören –, dass eine
ewisse Kenntnis über die Geschichte unseres Landes
orhanden ist.


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


13452 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Kristina Köhler (Wiesbaden)


Denn wer in Deutschland leben will, muss auch willens
sein, die Lehren anzuerkennen, die wir aus unserer Ge-
schichte gezogen haben.


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ein ganz gefährliches Thema!)


Wer nämlich die demokratische Leitkultur anerkennt,
der wird nicht über eine „zionistische Weltverschwö-
rung“ räsonieren. Zur demokratischen Leitkultur gehört
insbesondere: keine Toleranz der Intoleranz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist eine Frage des Wissens!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
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Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete

Deligöz das Wort.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514507600

Frau Kollegin Köhler, eigentlich wollte ich wegen ei-

nes wichtigen Termins an dieser Debatte nicht teilneh-
men. Ich habe die Debatte aber am Bildschirm verfolgt
und bin jetzt in den Plenarsaal gekommen, weil ich Ih-
nen Folgendes sagen muss: Ich bin bekennende Musli-
min, aber – das gebe ich gerne zu – nicht besonders reli-
giös. Bei solchen Debatten allerdings entdecke ich
plötzlich die Religion in mir. Durch die Art und Weise,
mit der Sie in dieser Debatte pauschalieren und uns alle
über einen Kamm scheren,


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!)


machen Sie mich zu einer bekennenden und religiösen
Muslimin. Das ist das Ergebnis Ihres Umgangs mit die-
sem Thema!


(Anhaltender Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wenn Sie schon eine Zeitung wie „Vakit“ zitieren

– ich gebe gerne zu, dass es ein wirklich verabscheu-
ungswürdiges Zitat war –, dann müssen Sie aber auch er-
wähnen, dass es in Deutschland auch Zeitungen wie bei-
spielsweise „Deutsche Stimme“, „Junge Freiheit“, und
„Deutsche Nationalzeitung“ gibt. In denen finden Sie
viele Stellen, die ich mindestens genauso verabscheu-
ungswürdig finde. Trotzdem kann man nicht sagen, dass
alle Christen oder alle Menschen in Deutschland hinter
den Aussagen dieser Zeitungen stehen.

Hinsichtlich Ihres Zitats will ich noch hinzufügen: Es
gibt Medienvielfalt und es gibt die Pressefreiheit. Solche
Meinungen zu äußern wie die, die Sie gerade zitiert ha-
ben, steht in Deutschland unter Strafe.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Offizialdelikt! Das war Volksverhetzung! – Zurufe von der CDU/CSU)


– Getroffene Hunde bellen. Was wollen Sie eigentlich?
Ich finde Ihre Reaktion nicht richtig.

Ich will noch eines sagen: Die Hinwendung zur Reli-
gion ist auch Folge einer gescheiterten Integrationspoli-
tik, die Sie zu verantworten haben. Es hat sich in diesem

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(C (D and aber etwas geändert. Denn diese Regierung hat ich zum ersten Mal zu den Migranten bekannt, also uch zur Generation meiner Eltern und zu meiner Geneation. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Auch wenn hnen das nicht passt, dürfen Sie noch lange nicht diese ichtige Politik torpedieren. Wir leben in diesem Land und sind ein Teil dieser Ge ellschaft. Ich bekenne mich dazu, in diesem Land sehr ewusst Verantwortung zu übernehmen. Ich wehre mich ber gegen pauschale Anschuldigungen gegen Muslime, ie ebenfalls einen Anspruch auf die Ausübung ihrer Reigion haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der CDU/CSU)



Dr. Kristina Köhler (CDU):
Rede ID: ID1514507700

Frau Kollegin Deligöz, Sie haben mir eben Pauscha-

ierung vorgeworfen. Ich möchte Sie bitten, mir im An-
chluss, wenn das Protokoll meiner Rede vorliegt, zu
eigen, in welchem Satz ich pauschaliert habe. Ich habe
en Unterschied zwischen Muslimen und Islamisten
anz deutlich herausgestellt. Ich habe mich genau dage-
en verwahrt, dass ein Angriff auf den Islamismus im-
er als ein Angriff auf den Islam umgedeutet wird. Ent-
chuldigung, das haben Sie eben wieder getan.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das war kein guter Beitrag!)


Zum Zweiten. Sie haben die Zeitung „Vakit“ ange-
prochen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die von
ir zitierte Aussage auf keinen Fall von der Meinungs-
reiheit gedeckt ist, sondern Volksverhetzung ist.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, das hat sie gesagt. – Es wäre doch hier der richtige
rt, die Verantwortlichen in diesem Hause zu fragen,
arum das einfach so geschieht und warum zum Bei-
piel der Verfassungsschutz nichts tut.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch verantwortlich!)


arum kann eine Zeitung mit einer solchen Aussage in
eutschland verkauft werden?


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört vor Gericht und nicht in den Deutschen Bundestag!)


ch glaube nicht, dass ich gestern zufällig auf das erste
xemplar gestoßen bin, in dem eine solche antisemiti-
che Hetze stattfindet.
Wir dulden das hier in Deutschland und das muss sich

ndern!

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das duldet doch keiner! Waren Sie bei der Staatsanwaltschaft?)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13453


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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514507800

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Sebastian Edathy.


(Unruhe)

– Ich möchte alle Seiten bitten, die Emotionen ein biss-
chen herunterzukochen. Wir alle wissen, dass das eine
besonders schwierige Debatte ist; dafür sprechen ja auch
die Reaktionen. Aber man sollte sich gegenseitig noch
zuhören können. – Bitte.


Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1514507900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Köhler, Sie haben Recht: Das Wissen um
deutsche Geschichte zu mehren muss unser aller Anlie-
gen sein. Mein Vater ist in Indien geboren worden. Er
hat mir vor kurzem erzählt, dass er bei einem Skatabend,
als er das Stichwort „Bismarck“ aufbrachte, gefragt wor-
den ist, ob das der mit dem Hering sei. Das war eine
Antwort eines deutschen Mitbürgers. Insofern hat dieses
Anliegen nicht viel mit dem Thema „Leitkultur“ oder
gar „Integration“ zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Debatte über das Thema Integration hat in den
vergangenen Wochen mitunter Züge getragen, ange-
sichts deren ich mich bisweilen gefragt habe, über wel-
ches Land eigentlich geredet wird. Über Deutschland,
dessen Geschichte und Gegenwart stets von Migration
mitgeprägt wurde und wird und das sich durch Plurali-
tät auszeichnet? Unser Land hat mit seiner Heterogenität
überwiegend gute Erfahrungen gemacht, mit Ideologien
des Homogenitätsstrebens aber stets nur schlechte. Des-
halb kann man sagen: Die große Vielseitigkeit unseres
Landes gehört eindeutig eher zu seinen Stärken als zu
seinen Schwächen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, zu den diesjährigen Preis-
trägern des Wettbewerbs „Jugend forscht“ gehören
Jakob Bierwagen und Julia Oberland ebenso wie Giu-
seppe Nicolaci, Nikon Rasumov und Masud Sultan. Auf
die Leistungen dieser jungen Leute können wir gleicher-
maßen stolz sein.

Einer der populärsten zeitgenössischen Autoren hier-
zulande ist Wladimir Kaminer. Der erste deutsche Film,
der nach 20 Jahren wieder einen Goldenen Bären ge-
wann, wurde von Fatih Akin gedreht. Xavier Naidoo ist
einer der meistgehörten deutschen Popkünstler. Ohne
Gerald Asamoah, Miroslav Klose und Kevin Kuranyi
wäre es – auch das ist richtig – um die Offensivkraft der
deutschen Fußballnationalmannschaft eher schlecht be-
stellt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber das versteht die CDU/CSU nicht!)


Was verbindet die Menschen unseres Landes gleich
welcher Herkunft oder Religion? Im demokratischen
und sozialen Rechtsstaat Deutschland kann es darauf nur

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(C (D ine Antwort geben: Die – ausreichende – Grundlage für as Zusammenleben aller Menschen in diesem Land ist as Grundgesetz, unsere Verfassung, sonst nichts. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Über die Einhaltung dieser Verfassung – auch das ge-
ört zur Realität im Einwanderungsland Deutschland –
acht übrigens unter anderem Verfassungsrichter Udo
i Fabio, der Enkel eines Zechenarbeiters, der aus Ita-
en in das Ruhrgebiet eingewandert ist.
Wir waren uns in diesem Hause nach den Terroratta-

ken vom 11. September 2001 darüber einig, dass wir
icht der falschen These vom Kampf der Kulturen,
estgemacht am Religionsbegriff, das Wort reden. Es
äre falsch, es wäre verheerend, diese gemeinsame Po-
ition aufzugeben oder hinter sie zurückzufallen. Es ist
leichermaßen falsch, eine Debatte über Integrationsfra-
en zuvorderst als sicherheitspolitische Debatte zu füh-
en. Diesen Vorwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen
on CDU/CSU, muss man Ihnen an dieser Stelle ma-
hen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es wäre verwerflich und zutiefst beleidigend, wenn
an bei den über 3 Millionen Menschen muslimischen
laubens in Deutschland auch nur annähernd den Ein-
ruck erweckte – in den letzten Wochen könnte dies
uch aufgrund mancher unbedachter Worte leider ge-
chehen sein –, sie würden unter den Pauschalverdacht
estellt, potenzielle Extremisten zu sein. Das wäre
alsch. Islamismus hat mit dem Islam ebenso wenig zu
un wie seinerzeit die Kreuzzüge mit den Grundwerten
es Christentums.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Friedrich der Große – nicht unbedingt ein Republika-
er – hat einmal zutreffend bemerkt:

Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die
Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute
sind.


(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

eine Damen und Herren, aus guten Gründen ist die
reiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekennt-
isses Bestandteil des Grundgesetzes. Zugleich gilt: Das
irken von Hasspredigern, gleich welcher religiöser
der ideologischer Couleur, kann und darf nicht geduldet
erden. Unsere Demokratie ist wehrhaft; Extremismus,
gal welcher Art, wird stets den gemeinsamen Wider-
tand der Demokraten finden.
Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Mitglied der evan-

elisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Ich weiß
icht, ob ich hier der einzige bin; Herr Goldmann, wie
t das mit Ihnen?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ich bin katholisch!)


13454 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Sebastian Edathy

– Na ja!


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Etwas mehr Toleranz bitte!)


Als Mitglied dieser Landeskirche sage ich: Wer meint,
als Christ in Deutschland den Muslimen in Deutschland
Integrationsbereitschaft pauschal absprechen zu dürfen,


(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das hat auch keiner gemacht!)


der sei insbesondere an das neunte Gebot erinnert, das da
lautet:

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
Nächsten.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Wer hat das denn gemacht?)

Denn es ist doch wahr: Das Zusammenleben in Deutsch-
land gestaltet sich ganz überwiegend friedlich und zivili-
siert. Das spricht für die Stärke und Stabilität unserer
Gesellschaftsordnung. Diese Stärke und Stabilität zu
bestreiten, wäre falsch und würde die Wirklichkeit ver-
zerren; es wäre zudem höchst unpatriotisch.

Wahr ist aber auch: Es gibt Defizite. Der Anteil von
Schulabbrechern mit Migrationshintergrund ist zu hoch,
die Beherrschung der deutschen Sprache als entschei-
dender Schlüssel für gelingende Integration vielfach
nicht ausreichend. Hier wirken sich Versäumnisse der
Vergangenheitsfolgen schwer aus.

CDU und CSU haben lange Zeit verneint, dass
Deutschland ein Einwanderungsland ist und dass viele
der Menschen, die in dieses Land kamen, nicht Gäste
waren, sondern Nachbarn und neue Mitbürger wurden.
Von dieser Realitätsverweigerung war in den 80er-Jah-
ren und in weiten Teilen der 90er-Jahre die Bundespoli-
tik geprägt.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So denken die doch immer noch!)


Eine zeitgemäße Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes
und ein Zuwanderungsgesetz, das unter anderem eine
systematische Sprachförderung vorsieht, konnten im
Interesse unseres Landes erst von einer rot-grünen Bun-
destagsmehrheit durchgesetzt werden.


(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der

Union, ist es nicht angebracht, wenn Sie in den Mittel-
punkt Ihrer Äußerungen die Klage darüber stellen, dass
diejenigen, denen Sie lange Zeit die Zugehörigkeit zu
unserem Gemeinwesen abgesprochen haben, zu wenig
Zugehörigkeitsgefühle entwickelt hätten und dass dieje-
nigen, denen man die Schlüssel zur Öffnung der Türen
in unsere Gesellschaft lange Zeit vorenthalten hat, im
gemeinsamen deutschen Haus ihre Zimmer zu selten
verlassen. Helfen Sie mit, insbesondere in den von Ihnen
regierten Bundesländern – so, wie wir es auf Bundes-
ebene tun –, Integrationsprozesse zu fördern und zu un-
terstützen, auch materiell und finanziell.

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(C (D (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Achten wir gemeinsam darauf, soziale Probleme nicht
u ethnisieren oder zur Angelegenheit einer Religionsge-
einschaft zu erklären. Es sind ja nicht die Kinder von
us der Türkei kommenden Chirurgen oder – wenn ich
n meinen Vater denke – indischstämmigen Pastoren, die
chwierigkeiten haben, ihre Teilhabechancen in unserem
and zu nutzen. Vielmehr reden wir doch von unterpri-
ilegierten, sozial schwachen Menschen, und dabei nicht
ur von Menschen mit Migrationshintergrund, deren Fa-
ilien seit kurzem oder seit wenigen Generationen in
eutschland leben. Wir reden auch von Nichtmigranten-
amilien, in denen es Tendenzen zur Verfestigung eines
tatus der Benachteiligung gibt.
Wir sind es nicht zuletzt unserer Selbstachtung als
itglieder einer offenen, keinem Klassendenken verhaf-
ten Gesellschaft schuldig, gemeinsam dafür Sorge zu
ragen, dass insbesondere mit Blick auf heranwachsende
enerationen das Motto der Jugenddörfer auch unser
eitsatz wird: Keiner darf verloren gehen!
Einige Bausteine zum Erreichen dieses Ziels sind der
usbau der Betreuung von Kindern im Vorschulalter, wo
ötig eine möglichst früh einsetzende Sprachförderung,
ehr Durchlässigkeit im Schulwesen, Religionsunter-
icht unter staatlicher Aufsicht und eine Ausweitung von
ualifizierungsmaßnahmen für junge Bürger ohne
chulabschluss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

enn wir stellen fest: Anfällig für extremistische Paro-
n sind Menschen, die keine Perspektive sehen. Das gilt
ür den Rechtsextremismus genauso wie für den Islamis-
us. Dem entgegenzuwirken, ist unsere gemeinsame
ufgabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein Zusammenleben in Respekt der Menschen unter-
inander, in Achtung vor der Würde des anderen, ohne
ngst vor Verschiedenheit ist möglich. Dieses Zusam-
enleben zu gestalten, ist zugleich der Auftrag des
rundgesetzes, den zu erfüllen wir immer wieder aufs
eue gefordert sind.
Am Vorabend des 60. Jahrestages des Kriegsendes

önnen wir selbstbewusst feststellen: Das Maß an Zivili-
ierung der deutschen Gesellschaft war noch nie so
roß wie heute. Darauf können wir gemeinsam stolz
ein. Wir müssen aber zugleich darauf achten, dies nicht
ls Selbstverständlichkeit zu betrachten. Wir müssen
ielmehr dafür Sorge tragen, dieses kostbare Gut zu
ahren und zu mehren. Dazu gehört, Konflikte, die es in
inem offenen Land immer geben wird, friedlich auszu-
agen.
Unserer Gesellschaft tut es nicht gut und sie entwi-

kelt sich nicht gut weiter, wenn man sie in Gruppen, in
eile spaltet. Nicht um Teile, sondern um das Ganze geht
s. Das im Auge zu behalten, rational und mit behutsa-
er Sprache zu argumentieren statt zu stigmatisieren,
ie breite Grundlage unseres Gemeinwesens zu stärken

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13455


(A) )



(B) )


Sebastian Edathy

und in dessen Vielseitigkeit nicht zuerst ein Risiko, son-
dern zuerst eine Chance zu erblicken, sollte uns leiten.
Auf diesem schwierigen Weg gab und gibt es viele Un-
wägbarkeiten – das wird auch so bleiben – und dieser
Weg ist bisweilen steinig. Aber es gibt nur diesen Weg;
denn alle anderen würden in eine Sackgasse führen.

Auf ein Deutschland, in dem das Zusammenleben von
Menschen verschiedenster Herkunft, Religionen und
Weltanschauungen auf der Basis der gemeinsamen
Werte unseres Grundgesetzes nicht nur gelingt, sondern
selbstverständlich geworden ist, können wir zu Recht
stolz sein. An der Weiterentwicklung unseres Landes in
diesem Sinne zu arbeiten, ist unser aller Verpflichtung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1514508100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die FDP-Fraktion will mit ihrem heutigen An-
trag und insbesondere mit dem von meinem Kollegen
Klaus Haupt entwickelten Integrationskonzept einen
Beitrag zur Versachlichung der Integrationsdebatte leis-
ten. Dies scheint mir angesichts des Verlaufs der heuti-
gen Debatte dringend erforderlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben heute wieder gesehen, dass die Verwen-
dung ideologisch besetzter Begriffe wie „Multikulti“
oder „Leitkultur“


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Max!)


eher dazu führt, dass die Kontrahenten aneinander vor-
beireden. Das führt ebenso wenig weiter, wie es etwas
bringen würde, wenn man sich in der Argumentation
ausschließlich auf Negativbeispiele stützen oder gar die
Augen vor den Problemen verschließen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Frau Kollegin Köhler, die unerträgliche Passage aus

einer Zeitung, die Sie vorhin zitiert haben, ist ein Fall für
die Staatsanwaltschaft in Berlin.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wenn sie davon Kenntnis erlangt, muss sie einschreiten.
Das ist völlig selbstverständlich. Bei uns gilt zwar das
Recht auf Meinungsfreiheit, aber das hat Grenzen. Es ist
wichtig, das festzuhalten, weil wir gleich darauf zurück-
kommen.


(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In der jetzigen Situation brauchen wir pragmatische
Lösungen. Diese pragmatischen Lösungen haben ihre
Basis in den Grundwerten unserer Verfassung. Ich nenne

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(C (D hnen aus dem Konzept der FDP-Fraktion ein Beispiel: ir wollen – wie viele andere dies jetzt auch fordern –, ass für Kinder im Vorschulalter Sprachtests verpflichend sind, damit man die Kinder gegebenenfalls entsprehend fördern kann, damit in der ersten Grundschullasse alle so viele Deutschkenntnisse haben, dass ihre ildungschancen nicht gemindert sind. Ein zentraler rundsatz unseres Grundgesetzes lautet: gleiche Bilungschancen für alle. Bei dieser Debatte können wir immer wieder auf das rundgesetz zurückgreifen. Im Zentrum steht natürlich ie Achtung der Menschenwürde, die in Art. 1 niedergechrieben ist und vorangeschickt werden muss. Ich darf ber darauf aufmerksam machen, dass das Grundgesetz och drei weitere deutliche Aussagen enthält, die für die ntegrationsdebatte bedeutsam sind, nämlich erstens die ewährleistung der persönlichen Freiheit, zweitens die renzen, die die Freiheitsrechte finden, und drittens die hance auf gesellschaftliche Teilhabe. Zum Ersten. Das Grundgesetz sichert jedem Einzel en seine persönliche Freiheit zu, auch die persönliche reiheit, gemäß den eigenen kulturellen Wurzeln zu leen. Kulturelle Vielfalt wird im Grundgesetz somit ausrücklich anerkannt. Zum Zweiten. Das Grundgesetz kennt nicht nur rundrechte, sondern auch Grundpflichten. Ich nenne n diesem Zusammenhang ganz bewusst das Beispiel, ass es nicht nur ein Erziehungsrecht der Eltern gibt, ondern dass in Art. 6 des Grundgesetzes ausdrücklich on der elterlichen Pflicht zur Erziehung gesprochen ird. In Art. 2 des Grundgesetzes wird jedem das Recht auf reie Entfaltung der Persönlichkeit verbürgt, soweit er icht die Rechte anderer verletzt. Das heißt, kulturelle igenheiten und Freiheitsrechte finden ihre Grenzen in rundpflichten und in der Wahrung der Rechte anderer. eswegen ist es selbstverständlich ein liberales Grundnliegen, wenn wir etwa mit aller Entschiedenheit gegen wangsverheiratungen von Frauen vorgehen. (Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind schon verboten! Das steht schon im Gesetzblatt!)


(Zuruf von der CDU/CSU: Sogar zuvörderst!)


azu hat die FDP in Baden-Württemberg eine Initiative
estartet.
Zum Dritten. Die Grundrechte – dieser Punkt ist
ichtig; allerdings gerät er manchmal in Vergessenheit –
ind auch dadurch gekennzeichnet, dass sie jedem Ein-
elnen das Recht auf aktive Teilhabe am gesellschaftli-
hen Leben und an politischen Entscheidungen zubilli-
en. Deswegen stelle ich die Frage: Warum sollten
enschen, die bereits länger als fünf Jahre rechtmäßig

n Deutschland leben, über kommunale Angelegenhei-
en, also über ihren eigenen unmittelbaren Lebensbe-
eich, nicht mitbestimmen dürfen?


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


13456 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Max Stadler

Meine Damen und Herren, auch in der heutigen De-

batte dürfen wir nicht so tun, als gäbe es die Bemühun-
gen um Integration erst seit zwei oder drei Wochen.
Selbstverständlich arbeiten viele Menschen seit Jahren
und zum Teil auch mit großem Erfolg daran. Aber wir
hätten mit dem Zuwanderungsgesetz schon vor Jahren
eine neue Qualität der Integrationspolitik schaffen kön-
nen, wenn wir nicht viel zu viel Zeit durch unnötigen
Streit verloren hätten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das zum Beispiel von der SPD-Fraktion wohlmeinend
ausgerufene „Jahrzehnt der Integration“ ließ bisher auf
sich warten. Das muss jetzt endlich angepackt werden.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wie selbstgerecht! Herr Stadler hat ja auch blockiert!)


Meine Damen und Herren, wir waren, was den Inte-
grationsteil des Zuwanderungsgesetzes betrifft, nicht
mutig genug. Die nachholende Integration blieb nahezu
ausgespart. Das heißt auf Deutsch: Was macht es für ei-
nen Sinn, dass jemandem, der am 2. Januar nächsten
Jahres nach Deutschland einreist, ein Deutschkurs ange-
boten wird, jemandem, der am heutigen 2. Dezember
einreist, aber nicht, obwohl beide wahrscheinlich unge-
fähr die gleiche Zeit hier bleiben werden? Ich halte das
für einen schweren Fehler.

Warum gibt es eigentlich keine angemessene Rege-
lung, die vorsieht, dass wir Menschen, die seit vielen
Jahren mit ihren Familien hier leben, deren Kinder hier
geboren sind und die bestens integriert sind, hier behal-
ten und ihnen erlauben können, dauerhaft in Deutsch-
land zu leben? Auch eine solche Regelung zu schaffen,
das ist im Zuwanderungsgesetz nicht gelungen.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wahrscheinlich war es falsch, dass wir Juristen am Ende
der Verhandlungen unter uns waren. Integration ist näm-
lich eine Aufgabe für alle.

Daher greift die FDP-Fraktion den Vorschlag von
Guido Westerwelle auf, der verlangt hat, einen „Runden
Tisch der Religionen“ ins Leben zu rufen. Wir brauchen,
wie ich es vorgeschlagen habe, –


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508200

Herr Kollege Stadler!

Dr. Max Stadler (FDP):
Rede ID: ID1514508300

– tatsächlich einen pragmatischen Dialog ohne Be-

rührungsängste mit all denen, die bereit sind, die Wert-
vorstellungen des Grundgesetzes weiter zu transportie-
ren, sodass sie bei allen Menschen, die in Deutschland
leben, bald Gemeingut sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä in Marieluise Beck. Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bunesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; eauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtinge und Integration: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ollegen! Lieber Kollege Stadler, Sie haben mir in vieen Punkten aus dem Herzen gesprochen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das kann nicht überraschen!)

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508400

ir haben noch einen langen Weg vor uns, was die inte-
rationspolitischen Angebote von uns als aufnehmender
esellschaft anbelangt. Wir werden uns sicherlich noch
iele Male damit auseinander setzen, in diesem Haus
nd auf der Ebene der Länder und Kommunen, wo ein
esentlicher Teil der Integrationsarbeit geleistet wird.
Wir sind uns einig, dass jeder Extremismus, der die
eligion über die Gesetze des Staates stellt, mit einem
emokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar ist. Deswe-
en soll und muss der demokratische Staat den Islamis-
us mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen.
azu gehört das Strafrecht, Frau Köhler, dazu gehört
wie ich auch gefordert habe – mehr Fremdsprachen-
ompetenz bei der Polizei und beim Verfassungsschutz,
amit islamistische Quellen ausgemacht werden.
Doch wir alle sagen: Islamismus ist nicht gleichzuset-

en mit Islam. Ich füge hinzu: Auch religiöser Konserva-
ivismus ist nicht gleichzusetzen mit Islamismus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


ir haben die Aufgabe, uns jeder Generalverdächtigung
on Muslimen entgegenzustellen, weil wir nicht aus-
renzen wollen; es würde sich ja eines Tages gegen uns
enden, wenn wir ausgrenzen würden. Wenn wir wol-
en, dass sich jemand zu diesem Land und zu seinen
erten bekennt, dürfen wir ihn nicht von vornherein un-

er Verdacht stellen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist rich tig!)

ir brauchen den Dialog mit den Muslimen und wir
üssen ehrlich bezeugen, dass wir gewillt sind, den Is-
am als Religion gleich zu behandeln. Aus Dialog, Aner-
ennung und Repression besteht der Dreischritt, mit dem
ir den politischen Islamismus austrocknen können.
In den letzten vierzig Jahren sind Anhänger einer uns
eitgehend fremden Religionsgemeinschaft zugewan-
ert. Lange war diese Religion in unserem Lande nicht
ichtbar und wir haben als aufnehmende Gesellschaft
iel zu lange nicht gehandelt. Noch immer ist der
eutschsprachige islamische Religionsunterricht in unse-
en Schulen über Modellprojekte nicht hinausgekom-
en. Noch immer steckt die Ausbildung von Imamen an
eutschen Universitäten in den Kinderschuhen und es
ehlt an einem kontinuierlichen Dialog mit den Musli-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13457


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Parl. Staatssekretärin Marieluise Beck

men. Dieser ist nicht leicht – ich weiß, wovon ich spre-
che –, weil die Organisationen oft undurchsichtig sind
und man sich durchaus auf einem schwierigen Terrain
befindet, wenn man mit den Verbänden zusammentrifft.
Es gibt immer noch kaum kluge Ansätze, wie auch die
Muslime zu einer institutionellen Organisationsform
kommen können, in der der Staat ein verlässliches Ge-
genüber hat. Der Kollege Koschyk ist jetzt nicht da, da-
her bitte ich, es ihm auszurichten: Das ist das, was unter
Staatskirchenrecht zu verstehen ist.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll er einmal nachlesen!)


Spannend ist, was der neu gewählte Vorsitzende der
bürgerlich-konservativen französischen Regierungspar-
tei, Nicolas Sarkozy, seinen Franzosen ins Stammbuch
schreibt:

Die Integration setzt weiterhin voraus, daß die Re-
publik Platz macht. Viele unserer muslimischen
Mitbürger haben das nicht unbegründete Gefühl,
daß es ihnen schwerer gemacht wird als anderen
Franzosen, einen Platz zu finden.

Diese Beschreibung, meine Damen und Herren, trifft lei-
der auch auf Deutschland zu.

Pluralität ist Kennzeichen von Einwanderungsge-
sellschaften, von modernen Gesellschaften überhaupt.
Gerade deshalb müssen auch wir fragen, was unsere Ge-
sellschaft zusammenhält. Im Kern geht es um die Frage
des Zusammenlebens in unserem demokratischen
Rechtsstaat; auf der Grundlage unserer Verfassungs-
werte.

Ich habe vorgeschlagen, dass wir die Einwanderer
zum Patriotismus einladen. Die Einladung bedeutet, dass
unsere Verfassung auch ihre Verfassung ist. Wer nicht
eingeladen wird, der gesellt sich auch nicht dazu.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wer nicht anerkannt wird, der identifiziert sich auch
nicht. Es darf nicht um Ausgrenzung gehen, sondern es
muss immer um Einbeziehung gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Wir sollten unsere Kraft darein legen, dass die Dazuge-
kommenen sich wirklich zugehörig fühlen können, ohne
dass sie der Herkunft ihrer Eltern, ihrer Religion oder ih-
rer Kultur abschwören müssten. Das schafft Identifika-
tion und öffnet die Türen für Integration.

Unsere Verfassung fordert Freiheit der Meinungen
und Religionen, nicht ihre Übereinstimmung. Unsere
Verfassung lässt kulturelle Differenz zu, ja sie begreift
sie als Recht: Es gibt ein Recht auf Differenz, es gibt ein
Recht auf Anderssein. Es geht darum, abweichende Le-
bensweisen – auf der Basis gemeinsamer Grundwerte –
anzuerkennen.

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(C (D eil der Begriff „Leitkultur“ so unscharf ist, hat der ollege Schäuble nicht umsonst gesagt, er schlage vor, hn besser nicht weiter zu verwenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Toleranz heißt deshalb auch: Zumutungen aushalten.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508500

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Ja. – Für die einen ist das Kopftuch eine Zumutung,

ür die anderen eine künstlerische Persiflage auf den Ko-
an oder die Bibel.
Es gibt nicht die Muslime, die Türken und auch nicht

ie Deutschen.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

as sollte unsere Grundhaltung sein.
Frau Präsidentin, zum Schluss möchte ich die Kolle-

innen und Kollegen gerne noch dazu auffordern, ins
ino zu gehen. Gönnen Sie sich den Film „Rhythm is
t!“ In ihm können Sie sehen, wie die bewundernswerten
ünstler Sir Simon Rattle und Royston Maldoom junge
enschen – unter ihnen sind viele Migranten – zu einer
temberaubenden künstlerischen Hochleistung bringen.
ie verlangen diesen Menschen viel ab.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508600

Frau Kollegin, bitte. Ich glaube, Ihr Tipp ist ange-

ommen.
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN):
Sie fordern Anstrengung und Disziplin und glauben

n ihre Fähigkeiten. Dies könnte auch unser integrati-
nspolitisches Motto sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508700

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Grindel.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1514508800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
nser Bundespräsident Horst Köhler hat sich gestern in
übingen erstmals zur Integrationsdebatte geäußert. Er
agte:

Keine Gruppe darf aus der Gesellschaft ausge-
schlossen werden, keiner aber darf sich auch selber
ausschließen.

oleranz sei deshalb nicht mit Gleichgültigkeit und
gnoranz zu verwechseln.

13458 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Reinhard Grindel

Es ist sicher richtig und muss festgehalten werden:

Die Mehrheit der Muslime bei uns ist integrationsbereit
und achtet unsere Gesetze und Verfassungsprinzipien. Es
wächst aber die Zahl derjenigen, die auf Abschottung
setzen, die über Moscheevereine fundamentalistisches
Gedankengut verbreiten, die Eltern zwingen, ihre Kinder
in die Koranschule zu schicken, sodass sie nicht mit ih-
ren deutschen Mitschülern spielen können, und die Inte-
gration verhindern wollen. Zentrale Aufgabe der Politik
muss es daher sein, die integrationswilligen und weltof-
fenen ausländischen Mitbürger zu unterstützen und sie in
ihrem Wunsch zu stärken, in Deutschland selbstbe-
stimmt zu leben. Das ist unsere Aufgabe. Daran müssen
wir härter als bisher arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Vorsitzenden der Grünen haben in diesen Tagen

dagegen einen Aufsatz im „Tagesspiegel“ unter dem
Motto „Multikulti ist Freiheit“ veröffentlicht.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Multi-Kulti“ stand nicht darüber!)


Frau Roth, das ist abwegig. Multikulti toleriert islami-
sierte Räume in unseren Städten und Verhaltensweisen
von Ausländern, die zu Unfreiheit führen. Keine Tole-
ranz gegenüber Intoleranten – das schafft Freiheit und
Rahmenbedingungen, die wir für die Integration brau-
chen. So muss es sein. Frau Roth, das, was Sie multikul-
timäßig als Freiheit definiert haben, brauchen wir nicht.

Die türkischstämmige Schauspielern Sibel Kekilli hat
in dieser Woche dem „Focus“ ein eindrucksvolles Inter-
view gegeben, in dem sie die Unterdrückung muslimi-
scher Frauen und Mädchen anprangert. Sie sagt:

Aber ich finde, von deutscher Seite darf auch nicht
weggeguckt werden. Es fängt im Kleinen an: Deut-
sche Gerichte fällten Urteile, dass muslimische
Mädchen wegen der Religion ihrer Eltern nicht zum
Sport und auf Klassenfahrten durften. Was ist denn
das für eine Toleranz, die auf Kosten der Mädchen
geht?

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich frage vor allem die Grünen: Was ist eigentlich aus
Ihrem Anspruch auf Emanzipation geworden?


(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Roth, Sie lassen die Mädchen, von denen Sibel
Kekilli zu Recht spricht, im Stich und machen die Unter-
drückung noch schlimmer, indem Sie solche Mädchen
am liebsten auch noch in den Schulen mit Kopftuch tra-
genden Lehrerinnen konfrontieren wollen. Das ist ein
völlig falscher Weg, mit dem Sie gerade diesen Mädchen
nicht gerecht werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist gut, wenn Sie sich um Frauenund Mädchenrechte kümmern!)


Wir wollen Selbstbestimmung und Integration. Wir
wollen kein Klima des Nebeneinanders, aus dem schnell

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(C (D in Gegeneinander wird, wir wollen ein Klima des Mitinanders. Mich bedrückt es, dass immer erst etwas chlimmes wie der Anschlag auf Theo van Gogh gechehen muss, bevor wir über die wirklichen Probleme eim Zusammenleben von Ausländern und Deutschen prechen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Von wann ist denn Ihr Antrag? – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist gelebte Intoleranz!)


Jetzt sagen alle, Deutsch sei der Schlüssel zur Integra-
ion. Das haben wir als Union immer gesagt. SPD und
rüne schreiben in ihrem Antrag zum Thema Integra-
ionskurse:

Nach dem Grundsatz des „Förderns und Forderns“
werden Rechte und Pflichten klar formuliert.

Schön wär’s, kann ich dazu nur sagen. Wir haben bei
en Zuwanderungsverhandlungen eindringlich und
achdrücklich an Sie appelliert, Integrationskurse ver-
flichtend zu machen. Wir wollten, dass künftig nie-
and eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis be-
ommt, der nicht erfolgreich einen Integrationskurs
esucht hat. Damit wollten wir erreichen, dass auch die-
enigen, die in einer Parallelgesellschaft leben, den
wang spüren, einen Integrationskurs zu besuchen, so-
ass wir über diesen Weg an die Menschen herankom-
en, um ihnen auch Beratungsangebote zu machen.
Das wäre ein überzeugendes Integrationskonzept.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514508900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Sonntag-Wolgast?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1514509000

Ich möchte erst diesen Gedanken zu Ende führen. –

ie haben den Ansatz, Integrationskurse verpflichtend
u machen, aus ideologischen Gründen verhindert. In Ih-
em Antrag schreiben Sie:

Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes
sind die vielfältigen integrationspolitischen Ver-
säumnisse der Vergangenheit aber nicht vollständig
ausgeräumt.

azu kann ich nur sagen: Fassen Sie sich an Ihre eigene
ase. An CDU und CSU liegt es wirklich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn 16 Jahre gemacht? Was haben Sie denn in Ihrer Regierungszeit gemacht?)



Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
Rede ID: ID1514509100

Herr Kollege Grindel, nun sind Sie zwar erst seit die-

er Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundesta-
es. Aber es sollte doch auch vorher Ihrer Aufmerksam-
eit nicht entgangen sein, wo die Hauptversäumnisse
er Integrationspolitik der letzten drei bis vier Jahr-
ehnte lagen und dass es die rot-grüne Koalition war, die
um Beispiel mit der Staatsbürgerschaftsreform Anfor-
erungen an die Sprachkenntnisse und die Verfassungs-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13459


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Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast

treue der Eingewanderten stellte. Im Zuwanderungsge-
setz, das weite Teile Ihrer Partei nach Kräften bekämpft
haben, wird endlich auch das Kernstück der Integration,
Sprachkurse nach dem Grundsatz des Förderns und For-
derns, konsequent als Ziel verfolgt. Das kann doch Ihrer
Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, sodass Sie hier zu
behaupten wagen, es gebe tief greifende Versäumnisse.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ilse Falk [CDU/CSU]: Wo ist die Frage?)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1514509200

Erste Antwort: Ich kann nicht erkennen, dass die

wachsende Zahl von Einbürgerungen die Integration
tatsächlich gefördert hätte. Genau das Gegenteil ist der
Fall.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall?)


Mit der Optionsregelung, die Sie bei der Staatsbürger-
schaft eingeführt haben, mit der ausländische Kinder
Deutsche werden können, ohne Deutsch sprechen zu
können und ohne einen Bezug zu unserem Land zu ha-
ben, sorgen Sie dafür, dass Integration eben nicht er-
reicht wird, Frau Dr. Sonntag-Wolgast.


(Widerspruch bei der SPD)

Zweite Antwort: Die PISA-Studie beweist – das ist

ein Beispiel für Integration –, dass ausländische Kinder
in Bayern einen größeren Schulerfolg haben als deutsche
Kinder in Bremen. Das sollte Ihnen zu denken geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel: Länder und

Kommunen warten seit Monaten auf die Verordnung zu
den Integrationskursen. Die Grünen haben diese lange
verhindert. Sie haben versucht – der Bundesinnenminis-
ter weiß das –, die Anforderungen an das Sprachniveau
zu senken. Darüber hinaus haben Sie Ausnahmetatbe-
stände durchgedrückt, bei denen Ausländer die Kurse
doch nicht besuchen müssen. Erst gestern ist die Verord-
nung nun endlich beschlossen worden. Eine gute Vorbe-
reitung für die Integrationskurse, die wir wohl alle als
wichtig erachten, ist dadurch um Monate verzögert wor-
den. Bei der ersten Nagelprobe, bei der Sie zeigen konn-
ten, wie ernst Sie es mit der Integration nehmen, war Ih-
nen Ideologie wichtiger, als ein ordentliches Konzept
vorzubereiten, mit dem vor Ort tatsächlich Probleme ge-
löst werden können, statt Ideologien zu frönen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer gibt denn die Mittel für die Integration?)


Der SPD-Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz
Buschkowsky, hat in diesen Tagen immer wieder erklärt,
es gebe bei der Integration Rückschritte und in den Pa-
rallelgesellschaften seines Bezirks hätten junge Muslime
wenig Zukunftsperspektiven. Die Zahl junger Men-
schen, die dort ohne Abschluss die Schule verlassen,
wachse ständig an. – Ich will darauf verweisen, dass es

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(C (D n deutschen Hochschulen rund 30 000 muslimische tudentinnen gibt, die sehr erfolgreich sind. Aber kaum ine von ihnen trägt ein Kopftuch. Ich bin zutiefst davon berzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen guter eruflicher Perspektive und der Frage gibt, ob Eltern ihen Kindern die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben n Deutschland geben, bei dem die Kinder selbst entcheiden dürfen, welchen Weg sie gehen wollen. Viele Moscheen – das hat unsere öffentliche Anhö ung zu islamistischen Einflüssen auf Staat und Gesellchaft gezeigt – sind mittlerweile weniger Gotteshäuser ls vielmehr umfassende Kulturzentren, in denen Bilung, politische Informationen und Freizeitgestaltung tattfinden und in denen Kinder ihr Wochenende verringen müssen. Deshalb darf uns nicht gleichgültig ein, was dort vermittelt wird. Deshalb ist die Forderung ichtig, dass Imame Deutsch können und unser kultureles Leben kennen müssen. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Wir haben – einige Vertreter Ihrer Fraktion wie Frau
kgün waren dabei – mit einer Gruppe des Innenaus-
chusses bereits bei einem Besuch im Juni in Ankara den
eiter des türkischen Amtes für Religionsfragen darum
ebeten, dass Imame Deutschkurse besuchen, bevor sie
u uns kommen und auch länger bei uns bleiben dürfen.
Er hat dem zwar sehr zugestimmt und gesagt, es solle

ich etwas ändern; aber geschehen – Frau Kollegin Roth,
ie wissen das – ist bis heute nichts. Ich fordere von die-
er Stelle gerade die türkische Regierung auf, uns bei un-
eren Integrationsbemühungen wirklich zu unterstützen
nd den Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

ahr ist leider auch: Moscheen werden immer mehr
um Treffpunkt für radikale und gewaltbereite Isla-
isten und zu Orten von Indoktrination und Volksver-
etzung. SPD und Grüne schreiben stolz in ihrem An-
rag:

Das neue Zuwanderungsgesetz ermöglicht die Aus-
weisung von gefährlichen ... Hetzern, die die Frei-
heitsrechte unserer verfassungsrechtlichen Grund-
ordnung missbrauchen.

iebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von
en Grünen, fair wäre es gewesen, wenn Sie in Ihrem
ntrag hinzugefügt hätten: Und wir danken CDU und
SU dafür, dass sie so nachdrücklich dafür gesorgt ha-
en, dass im Zuwanderungsgesetz etwas für mehr Si-
herheit getan wird. – Wenn es nach Ihnen gegangen
äre, könnten wir Hassprediger und Terrorverdächtige
n Zukunft nicht ausweisen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Unsinn!)


s waren wir – die CDU/CSU –, die – auch über unsere
ollegen in den Bundesländern – diese Bestimmung in
as Zuwanderungsgesetz hineingebracht haben.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geschichtsklitterung!)


13460 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Reinhard Grindel

Das gilt es festzuhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist demagogisch!)


Ich komme zum Schluss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Gott sei Dank!)


Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel. Es ist eine Le-
benslüge, weil Multikulti in vielen Vierteln eben nur
Monokultur geschaffen hat, wo Anreize zur Integration
fehlen. Sibel Kekilli meint dazu in ihrem „Focus“-Inter-
view, das ich bereits erwähnt habe:

Die Politiker müssen unbedingt klar machen, dass
ein Nebeneinander nicht geht.

Dem kann man nur zustimmen. CDU und CSU haben
immer gesagt: Wir brauchen mehr Integration


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr Frauenrechte!)


und wir brauchen mehr politische Unterstützung für In-
tegrationswillige. Sonst fährt die Ausländerpolitik in
Deutschland gegen die Wand.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514509300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lale Akgün von

der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Lale Akgün (SPD):
Rede ID: ID1514509400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich war neun Jahre alt, als ich 1962 nach
Deutschland kam. Konrad Adenauer war Bundeskanzler
und Conny Froboess sang das Lied „Zwei kleine Italie-
ner“, die erste poetische Beschreibung des Gastarbeiter-
daseins in Deutschland. Damals gab es in Deutschland
670 000 Ausländer. Sie galten als interessant und exo-
tisch, aber keinesfalls als belastend oder gar gefährlich.
Sie lebten in Arbeiterheimen und hatten keinerlei Kon-
takt zur deutschen Gesellschaft, aber merkwürdiger-
weise sprach niemand von „Parallelgesellschaften“. Das
Wort Integration kannten nur Soziologen.

Ganz anders stellt sich die Situation heute dar. Die
Debatte, die wir heute zu den Themen Integration, Isla-
mismus und Extremismus erleben, droht sich hochzu-
schaukeln und das politische Klima in Deutschland zu
vergiften, vor allem dann, wenn man sich in der Argu-
mentation nicht auf sachliche Inhalte konzentriert, son-
dern Vorurteile durch ständiges Wiederholen zu zemen-
tieren versucht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Situation bedauere ich es zutiefst, dass es ei-
nige Politiker aus den Reihen der CDU/CSU gibt, die die
Debatte auf eine theoretische Ebene heben, die Stim-

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(C (D ung anheizen, Angst vor Überfremdung schüren und ich dabei unkritisch altbekannter unsinniger Argumente us der rechten politischen Ecke bedienen. enn ich mir anschaue, dass Sie nun zum dritten Mal ie Leitkulturdebatte anheizen, dann muss ich mich icht mehr fragen, welche Wirkung Sie damit beabsichigen. Das macht mir Sorgen, Kolleginnen und Kollegen er Union. Sie, Frau Köhler, haben eben mit Leidenschaft vorge ragen, dass Sie für die Bekämpfung des Islamismus sind nd dass Sie in keiner Weise mit Islamisten oder mit undamentalisten reden würden. Frau Köhler, ich öchte Sie darauf hinweisen, dass der bayerische Inneninister, Herr Beckstein, am 29. September bei einer aritas-Veranstaltung hier in Berlin mit mir auf dem Poium sehr offen dargestellt hat, dass er in den letzten drei onaten mindestens vier Mal bei Milli Görüs war und ort gerne war. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar, da macht er ja Empfänge!)


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


un frage ich mich, ob Sie in Ihrer Partei verschiedene
inien verfolgen, und ich frage mich, ob Sie uns hier et-
as anderes erzählen, als die CSU hintenherum macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Frage beantwortet sich von selbst! – Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Herr Schily kontrolliert die doch!)


Deutschland ist ein demokratischer und weltoffener
taat. Gerade deshalb werden wir es nicht tolerieren,
ass Extremisten die demokratischen Freiheiten miss-
rauchen und Andersgläubige und Andersdenkende ver-
nglimpfen oder gar bedrohen. Ich denke, darin sind wir
ns in diesem Hause über alle Fraktionsgrenzen hinweg
m Grundsatz einig.
Ich fordere ebenso energisch dazu auf, in der Debatte

ie Trennlinie zwischen dem Islam als Religion und dem
slamismus – also der politischen Instrumentalisierung
er Religion – nicht zu verwischen. Wir dürfen nicht
auschal eine der großen Weltreligionen für die Verbre-
hen einiger Terroristen verantwortlich machen. Diese
lischees schüren Rassismus und Islamophobie


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


nd liefern den Neonazis die Steilvorlage für die men-
chenverachtende Hetze gegen die Einwanderer und den
slam. Ich will an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass
n den vergangenen zehn Jahren in Deutschland über
00 Menschen Opfer rassistischer Gewalt geworden
ind.
Die große Mehrheit der Muslime in Deutschland be-

ennt sich ohne Wenn und Aber zu den Werten der Ver-
assung, nicht nur verbal, sondern aus innerster Überzeu-
ung und in dem Bewusstsein, dass Extremismus und

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13461


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Dr. Lale Akgün

Islamismus alle Menschen bedrohen, besonders auch die
Muslime, die demokratisch denken und jede Form von
Extremismus ablehnen.

Demokratischen Muslimen fällt übrigens nichts leich-
ter, als einen Eid auf das Grundgesetz abzulegen, wenn
dies als Teil der Einbürgerungszeremonie eingeführt
werden sollte. Dann sollte dies aber nicht nur für die
Muslime, sondern für alle Einzubürgernden gelten. Ich
betone das bewusst, weil ich aus eigener Erfahrung spre-
che. Sie kennen meine Position hinsichtlich der Integra-
tion und des Rechts auf gleichberechtigte Religionsaus-
übung für Muslime, die ich auch im Zuge der Diskussion
über das Kopftuchtragen von Lehrerinnen immer wieder
vorgetragen habe.

Das alles hat mir viel Kritik und hässliche Drohungen
von Rechtsextremen und Islamisten gleichermaßen be-
schert. Das alles ist zu ertragen, weil ich weiß, wie viel
Zuspruch ich andererseits aus der Mitte unserer Gesell-
schaft von Deutschen und Migranten, von Muslimen wie
Christen bekomme.

Aber es gibt einen Punkt, bei dem auch bei mir das
Fass innerlich überläuft, und zwar immer dann, wenn ich
als Muslimin generell stigmatisiert werde, wenn ich von
Journalisten gefragt werde, ob ich um 22 Uhr abends
noch ein Interview geben darf, ob mein Mann mir das er-
laubt und ob auch ich zwangsverheiratet sei. Ich merke
deutlich, dass in der öffentlichen Diskussion etwas aus
dem Ruder gelaufen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von der CDU angetrieben!)


Jede Zwangsehe ist eine zu viel. Aber sie ist im nor-
malen Alltag doch nicht der Regelfall. Die Öffentlich-
keit beschäftigt sich zurzeit viel zu sehr mit Sensationen
und viel zu wenig mit der Realität der Zugewanderten.

Alle reden von Integration. Aber wie definiert man
sie? In soziologischer Hinsicht besteht die Minimalan-
forderung an die Integration darin, Steuern zu zahlen
und seine Kinder in die Schule zu schicken. Integration
kann aber auch heißen, gesellschaftliche und politische
Verantwortung zu übernehmen. Dazwischen gibt es un-
zählige Schattierungen und Möglichkeiten.

Wir sollten uns davor hüten, die Definitionsmacht
über Integration und Desintegration zu beanspruchen
und Menschen zu Objekten unserer Integrationsvorstel-
lungen machen zu wollen. Machen wir uns eines klar:
Die Politik kann niemanden integrieren. Wir können
aber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Zuge-
wanderten die Chance bekommen und den Wunsch ver-
spüren, in dieser Gesellschaft anzukommen.

Wenn Herr Schönbohm meint, dass er Zwangsmittel
zur Integration nicht ausschließen will, dann kann ich
ihn nur bedauern, weil er den Sinn und das Ziel von Inte-
gration nicht verstanden hat. Aber ebenso bedaure ich
diejenigen, die er zwangsintegrieren möchte.

Wir von der Koalitionsfraktion haben einen Antrag
vorgelegt, der den Schwerpunkt auf die Gemeinsamkeit

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(C (D n diesem Land und auf das Zusammenleben auf der rundlage gemeinsamer Werte legt. Es geht um Versöhen statt Spalten, um es mit den Worten von Johannes au auszudrücken, und zwar nicht durch Wegsehen und eliebiges Nebeneinander, sondern durch ein bewusstes, ktives Miteinander. Dem entspricht unser Verständnis on Integration. Wir wollen allen Menschen – auch den ugewanderten – die gleichberechtigte Teilhabe am poitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ermögichen. Verschiedenheit ist für uns kein Ausschlusskriteium, sondern ein Anlass, die individuellen Potenziale er Menschen zu fordern und zu fördern. Lassen Sie uns nach vorne schauen und das tun, was m Bereich der Integration über das Zuwanderungsgeetz hinaus getan werden muss. Im Bereich der Erstinteration durch die Sprache ist der Bund bei der Schaffung ieser Voraussetzungen einen großen Schritt vorausgeangen, indem er die Kosten für die Kurse übernommen at. Nun müssen wir aber auch die Bundesländer in die flicht nehmen und sicherstellen, dass sie ihre Zusagen etreffend die Finanzierung der kursbegleitenden Kinererziehung und Nachholintegration einhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Daher der Appell an die Unionsfraktion: Nutzen Sie
hren Einfluss auf die unionsregierten Bundesländer und
orgen Sie dafür, dass sie die Integrationsmittel nicht
ürzen, sondern ihrer Verantwortung gerecht werden!
timmen Sie im Bundestag für unsere sinnvollen Vor-
chläge, zum Beispiel die Abschaffung der Eigenheim-
ulage und die Verwendung der dadurch frei werdenden
ittel für die Bildung. Auch das ist ein Schritt hin zu
ehr Integration.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Übrigens sagen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
egen von CDU und CSU, viele richtige Dinge, was die
ntegration betrifft: Die zugewanderten Menschen müs-
en richtig Deutsch sprechen. Sie müssen sich um Bil-
ung und berufliche Qualifizierung bemühen. Sie müs-
en Kontakte knüpfen. Trotzdem gehen Ihre Appelle
icht in die Herzen der zugewanderten Menschen, weil
ie sie nicht als Teil der deutschen Gesellschaft begrei-
en. Das spüren die Zugewanderten. Das Wirgefühl, das
ine Gesellschaft ausmacht und das die Grundlage eines
esunden Patriotismus werden könnte, bleibt aus.
Apropos Patriotismusdebatte: Sie sollte nicht geführt
erden, um einen Teil der Bevölkerung auszuschließen,
ondern um alle einzuschließen. Dieses Land ist auf der
uche nach dem Wirgefühl. Ob Ost und West oder Ein-
eimische und Zugewanderte – die trennenden Schnei-
en gehen durch die Bevölkerung. Wenn jedoch jemand
laubt, dass ein Wirgefühl auf Kosten der Zugewander-
en erzeugt werden kann, und zudem Angstgefühle in
er Bevölkerung hervorruft und diese instrumentalisiert,
chadet er diesem Land. Das ist das pure Gegenteil von
atriotismus.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


13462 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Lale Akgün

Angesichts der demographischen Entwicklung in

unserem Land haben wir nur dann eine Chance,
Deutschland auf Weltniveau zu halten, wenn wir ein
Wirgefühl entwickeln. Wir können es uns nicht leisten,
einen erheblichen Teil unseres Nachwuchses als Auslän-
der auszuschließen. In meiner Heimatstadt Köln bei-
spielsweise beträgt der Ausländeranteil 30 Prozent.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514509500

Frau Kollegin Akgün, kommen Sie bitte zum Schluss.


Dr. Lale Akgün (SPD):
Rede ID: ID1514509600

Ja. – Ich appelliere an alle in diesem Haus: Werden

wir ruhig ein wenig patriotisch! Reden wir von den letz-
ten 50 Jahren bundesdeutscher Geschichte! Es ist die ge-
meinsame Geschichte von Deutschen und Zugewander-
ten, auf die wir alle ein wenig stolz sein dürfen.
Einheimische und Zugewanderte müssen endlich begrei-
fen, dass dieses Land ihr gemeinsames Land ist und dass
sie gemeinsam Verantwortung für dieses Land und seine
Menschen tragen. Das ist Patriotismus, wie ich ihn ver-
stehe. Unter diesen Voraussetzungen bin ich eine über-
zeugte Patriotin.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514509700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1514509800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue
Muslime unterstützen“ – so lautet der Titel des CDU/
CSU-Antrags. So weit, so gut, und zwar auch deshalb,
weil „-ismen“ immer ideologische Dogmen und damit
Gefahren für die Gesellschaft und ihre Mitglieder ber-
gen. Das Dumme am Antrag der CDU/CSU ist: Er wirbt
in warmer Prosa und zielt auf eiskalte Fakten.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


So wird betont: „Der Islam ist eine große Weltreligion.“
Dann wird ein spezifischer EU-Islam erfunden. Was
würde wohl der Papst von einem weiß-blauen Bayernka-
tholizismus halten?


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie könnte ein EU-Islam aussehen: mit dem Katholiken
Stoiber und dem Evangelen Beckstein als Propheten?
Oder wie stellen Sie sich das vor?


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Gefährlicher ist aber die wieder belebte Forderung
nach einer deutschen Leitkultur. Was ist das: die Weiß-
wurst, die Bulette oder der Döner, die Französische Re-
volution, der Tag der Befreiung oder Bayern München?

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(C (D mmer wenn die Debatte über Ihre angeblich notwendige eitkultur sachlicher wird, bleiben von Ihren Forderunen nur zwei richtige und wichtige übrig: Wer hier lebt, ollte Deutsch sprechen und verstehen können sowie das rundgesetz achten. Dazu lädt der Antrag der CDU/ SU aber nicht ein. Die Union macht keine Angebote, ondern droht mit Aussperrung. Nun wissen wir wohl: Manche Antragsteller denken och mehr in die vermeintliche deutsche Leitkultur hiein. Sie geraten damit in eine böse Falle; denn wer enschen mit einer anderen Kultur gering schätzt, der issachtet ihre Würde, der bricht mit Art. 1 des Grundesetzes. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


er das tut, der signalisiert, die deutsche Kultur – was
mmer das ist – sei höherwertig. Wohin das führen kann,
ollten alle bedenken, und zwar vorher. Die ganze Leit-
ulturdebatte ist falsch. Sie ist gefährlich. Aus meiner
icht erweist sie der Integration einen Bärendienst.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Hinzu kommt im vorliegenden CDU/CSU-Antrag das
bliche Spiel: Sie wollen Bürgerrechte abbauen und den
atenschutz schänden. Sie wollen noch mehr persönli-
he Daten sammeln, speichern und austauschen. Auch
as steckt in Ihrem Antrag. Das ist – leider – Trend, be-
auerlicherweise zunehmend auch bei der SPD und bei
inigen Grünen. Die PDS lehnt das ab.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Dann gibt es in der ganzen Debatte noch richtige
reppenwitze. Wer nach Deutschland kommt, solle ei-
en Eid auf das Grundgesetz leisten, meinte Edmund
toiber gestern wieder. Ausgerechnet der Ministerpräsi-
ent Bayerns, dessen Landtag im Mai 1949 das Grund-
esetz mit Mehrheit abgelehnt hat, schlägt jetzt vor, es
olle ein Eid geleistet werden.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] – Zuruf des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Ich finde, die historische Schmach dieser Abstim-
ung ist tilgbar, indem alle Bürgerinnen und Bürger
ayerns, Herr Kollege Geis, einen Eid aufs Grundgesetz
eisten.


(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber Sie auch!)

itte keine Extrawurst für Nichtdeutsche, gleiches Recht
ür alle, auch für Deutsche, auch für Bayern!


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts gegen Bayern! Es gibt solche und solche!)


Da wir schon bei diesem Thema sind: Man kann das
rundgesetz nicht hochhalten, wenn man es zugleich
ushöhlt. Das ist aber seit 1990 Usus, in der Ära Kohl
benso wie unter der Regierung Schröder. Wie wir prak-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13463


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Petra Pau

tisch erfahren haben, wog ein persönliches Versprechen
für Kanzler Kohl in der CDU-Spendenaffäre mehr als
sein Amtseid auf das Grundgesetz.

Man schafft keine bürgernahe Verfassung, indem man
die Bürgerinnen und Bürger von Verfassungsentscheiden
ausschließt. Die Forderung nach Volksabstimmungen,
zum Beispiel zur EU-Verfassung, bleibt aktuell.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


In nahezu allen EU-Ländern gehört das zur demokrati-
schen Kultur. Nur die „besonders leitenden“ Deutschen,
übrigens nicht nur bei der CDU/CSU, wollen davon
noch immer nichts wissen.

Ein Schlussgedanke. Bis in die SPD hinein wurde die-
ser Tage verkündet, die multikulturelle Gesellschaft sei
gescheitert und sie sei eine gefährliche Illusion. Ich finde
das genauso langweilig wie die Diskussion darüber, ob
Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Wir
sind beides: multikulturell und ein Einwanderungsland.
Die eigentliche Frage ist, wie wir damit positiv umge-
hen. Darauf gibt der CDU/CSU-Antrag keine Antwor-
ten. Das finde ich schade; aber das war wohl Ihre Ab-
sicht.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514509900

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin

beim Bundesminister des Innern, Ute Vogt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1514510000


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir haben in Deutschland ab und zu Anlass, einmal zu
schauen, was wir zu leisten in der Lage sind oder schon
einmal gewesen sind. Ich will deshalb einen Blick in die
Geschichte werfen, in das Jahr 1699. Damals hat der
württembergische Herzog Eberhard Ludwig 3 000 Glau-
bensflüchtlinge, Waldenser genannt, aufgenommen. Sie
waren aus ihrer ehemaligen Heimat vertrieben worden.
Eberhard Ludwig wollte damit die Landwirtschaft vo-
ranbringen; er wollte in seinem Herzogtum Bauern an-
siedeln. Er hat angeordnet, dass jede Familie etwa acht
Personen in den Scheunen der entsprechenden Gehöfte
aufzunehmen hat.

Die Anwohner haben sich beklagt und sie haben da-
gegen protestiert. Als Folge dessen hat der Herzog ver-
fügt, dass die Waldenser selbst preiswert und kosten-
günstig Ackerland erwerben dürfen. Sie haben eigene
Schulen aufgemacht. Sie haben französisch gesprochen.
Sie waren alles andere als verbunden mit der Gesell-
schaft.

Auch in meinem Wahlkreis leben Waldenser.

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Noch Ihr Wahlkreis!)


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(C (D n den Ortsnamen Perouse, Serres, Großvillars und leinvillars erkennt man, dass Waldenser einmal dorthin ezogen sind. Die einzelnen Familien sind heute ganz enauso deutsch wie alle anderen auch. Ausgrenzung ist n ihrem Leben überhaupt nicht mehr spürbar, und das, bwohl sie eine unterschiedliche kulturelle Prägung und ine unterschiedliche Religion haben, die sie – auch eute noch – leben. Ich habe das deshalb gesagt, weil das ein Beispiel da ür ist, wie Integration positiv funktioniert hat – in einer eit, in der diese Zuwanderer für die damalige Landbeölkerung mit Sicherheit genauso fremd waren, wie eute dem einen oder anderen in Deutschland die Zuanderer aus einem anderen Kulturkreis fremd sind. Wir ollten uns darauf besinnen, dass wir durchaus in der age sind, eine solche Integration zu meistern; zu vielen eiten unserer Geschichte waren wir dazu in der Lage. Wir sollten ehrlich miteinander umgehen, von gegen eitigen Schuldzuweisungen wegkommen und einmal eststellen: Wir alle miteinander haben in vielen Jahrehnten bei der Integration die Anforderungen an uns nterschätzt. Zu jeder Zeit – das ist schon richtig; das hat der Kol ege Stadler angesprochen – haben sich viele um das hema Integration gekümmert. Zu nennen sind Initiatien, Wohlfahrtsverbände, Vereine und Kommunen. uch Länder haben Projekte durchgeführt. Der Bund hat ier und da einmal etwas gefördert. Dass wir insgesamt n der Gesellschaft tatsächlich erkannt haben, dass es ine Aufgabe ist, die wir als gemeinsames Projekt, vor llem als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch ls Verpflichtung der politischen Landschaft annehmen üssen, war später. Die Verantwortung und die Verflichtung daraus haben wir erst jetzt mit dem Zuwanerungsgesetz gemeinsam übernommen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben überwunden, denke ich, was uns in der De-
atte lange getrennt hat, nämlich dass sich die einen im-
er nur auf die Bedrohungen und auf die Schilderung
essen konzentriert haben, was uns geschehen kann,
enn Menschen aus anderen Ländern kommen, und dass
ich die anderen darauf konzentriert haben, darzustellen,
as die Chancen und die Bereicherungen sind. Dabei hat
an nur reflexartig aufeinander reagiert. Wir sollten
icht gering schätzen, was wir mit dem Zuwanderungs-
esetz geschafft haben. Wir sind an einen Punkt gelangt,
o wir erkannt haben, dass beides notwendig ist: zum
inen deutlich zu machen, dass Integration bedeutet,
ass es die Verpflichtung derer gibt, die in ein Land zu-
andern, sich dieser Integrationsanforderung zu stellen,
nd zum anderen die Verpflichtung zu übernehmen, In-
egrationsangebote zu machen. Da sind wir tatsächlich
iel weiter, als wir in der öffentlichen Debatte und im öf-
entlichen Streit manchmal zu erkennen geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


13464 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514510100
Die Sprache ist der

große Kanal, durch den die Menschen einander ihre Ent-
deckungen, Folgerungen und Erkenntnisse vermitteln. –
Ich glaube, dass das eine Schlüsselbeschreibung auch für
das ist, was wir unter Integration verstehen sollten. Wir
müssen uns miteinander auf die gemeinsamen Rechts-
grundlagen verständigen bzw. müssen anerkennen, dass
wir auf der Grundlage der hier geltenden Gesetze fried-
lich zusammenleben. Wir sollten gleichzeitig aber auch
aufgeschlossen und offen bleiben dafür, voneinander Er-
kenntnisse über das Leben zu gewinnen, ohne daraus
eine Ausschließlichkeit zu formulieren.

Es wurde schon angesprochen: Wir haben im Kabi-
nett gestern die Verordnung zu den Integrationskursen
beschlossen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hätte auch ein paar Wochen früher sein können!)


– Es hätte auch früher sein können; damit hätte ich kein
Problem gehabt. – 208 Millionen Euro stehen jetzt für
Integrationskurse zur Verfügung. Es steht nicht nur Geld
für diejenigen zur Verfügung, die neu zuwandern. Es ist
gelungen, zumindest einen Teil der Mittel für diejenigen
zur Verfügung zu stellen, die bereits in Deutschland le-
ben, aber trotzdem noch Bedarf haben, die deutsche
Sprache zu lernen.

Deshalb glaube ich schon, dass wir eine wichtige Vor-
leistung vonseiten des Bundes erbringen; das ist ein
wichtiger Meilenstein. Dazu gehört aber, das Ganze mit
Leben zu füllen, auch in den Ländern, auch in den Kom-
munen.

Das Thema Bildung wurde schon angesprochen. Für
mich ist entscheidend, dass wir nicht warten, bis die Kin-
der in der Schule Probleme haben, bis die Jugendlichen
den Hauptschulabschluss nicht schaffen und zum
Schluss keinen Beruf bekommen, weil ihnen die Sprache
als Grundlage fehlt, sondern dass in den Ländern Initiati-
ven ergriffen werden, nach denen zum Beispiel ver-
pflichtend der Sprachstand festzustellen ist, bevor die
Kinder eingeschult werden, oder im Kindergartenbereich
etwas getan wird, damit Sprache gelernt wird, sodass die
Kinder mit ausreichenden Sprachkenntnissen in die
Schule gehen können und nicht erst dort festgestellt wer-
den muss, dass die Anforderungen gar nicht erfüllt wer-
den können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU], zur SPD gewandt: Guten Morgen!)


Eine Erkenntnis, die wir in vielen unterschiedlichen
Regelungen im Zuwanderungsgesetz auch festgeschrie-
ben haben, ist wesentlich dafür, dass Integration und Zu-
sammenleben unterschiedlicher Menschen in Deutsch-
land organisiert werden kann. So werden in dem Gesetz
ganz deutlich diejenigen, die hier kein Aufenthaltsrecht
bekommen können, weil sie sich verfassungswidrig ver-
halten, gegenüber allen anderen abgegrenzt. Dadurch
nehmen wir die vorhandenen Ängste der Menschen
ernst, verstärken sie aber nicht, sondern ergreifen durch

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(C (D ntsprechende Gesetzgebung alle notwendigen Maßnahen. Nachdem Sie, Herr Kollege Grindel, in Ihrer Rede orhin darauf abgestellt haben, was man tun muss, um ich gegenüber denjenigen abzugrenzen, die sich feindich gegenüber der Verfassung verhalten, möchte ich Sie och einmal daran erinnern, dass es die SPD-geführte undesregierung zusammen mit dem grünen Koalitionsartner war, die dafür gesorgt hat, dass sich Extremisten icht mehr als religiöse Gruppe tarnen können, indem ie sich unter dem Mäntelchen einer Glaubensgemeinchaft sammeln und einen vom Grundgesetz geschützten arnverein aufmachen. Das haben wir durchgesetzt; in Ihrer Regierungszeit ind Sie in dieser Frage nicht aktiv geworden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

etin Kaplan ist nicht zu Ihrer Zeit ausgewiesen wor-
en.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie wollten bei der Zuwanderung über Sicherheit gar nicht reden! Das ist die Wahrheit!)


ach den damals geltenden Gesetzen hätten wir weder
as Vereinsverbot noch die Ausweisung durchsetzen
önnen. Der Fairness halber bitte ich Sie, das in dieser
ebatte anzuerkennen und sich nicht immer nur auf bil-
ige Polemik zu stützen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese klare Unterscheidung, die das Zuwanderungs-
esetz zwischen denen, die sich gegen die Verfassung
tellen, und denen, die hier dauerhaft friedlich leben
ollen – denen wendet man sich sogar positiv zu –,
acht, ist der Knackpunkt dafür, dass durch gemein-
ame Anstrengung die Integration derer gelingt, die hier
riedlich mit uns leben wollen. Zugleich wird auch der
ialog gefördert, indem wir die Benennung von An-
prechpartnern für die staatliche Seite fordern. Es ist ja
äufig schwierig, bei den Muslimen einen Ansprechpart-
er zu finden. Zugleich erachten wir es als notwendig,
on den Glaubensgemeinschaften legitimierte Ansprech-
artner als Gegenüber zu haben. Darum müssen wir wer-
en und das müssen wir auch einfordern. Diese Forde-
ung kann man, wie ich glaube, auch von unserer Seite
ufstellen.
Zu einem weiteren Punkt, den Sie angemahnt haben,
öchte ich Ihnen Folgendes sagen: Von der Bundesre-
ierung geförderte Deutschkurse für türkische Imame
ibt es bereits seit dem Jahr 2002. Wir finanzieren ge-
einsam mit Diyanet und der Botschaft in Ankara
prachkurse, in denen sie Deutsch lernen und sich zu-
leich auf die hiesige Kultur einlassen können. Wir sind
lso in vielem weiter, als Sie denken. Wenn Sie sich ein-
ach nur einmal erkundigen oder im Ausschuss dann,
enn man etwas vorträgt, zuhören würden, dann würden
anche Aufgeregtheiten gar nicht erst entstehen und
üssten manche Versäumnisse nicht angemahnt werden,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13465


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Parl. Staatssekretärin Ute Vogt

da viele Dinge schon seit langem vonseiten der Regie-
rung erledigt worden sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514510200

Frau Kollegin Vogt, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

U
Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1514510300


Ich komme zum Schluss. – Ich denke, dass wir uns
der Thematik Integration auch in der Tradition der Auf-
klärung, in der wir stehen, annehmen sollten. Da gerade
das Thema „Leitkultur“ immer wieder zu einem
Reizthema wird, schlage ich vor, dass wir uns gemein-
sam an der Haltung eines Mannes orientieren, die für ei-
nige aus Ihren Reihen durchaus hilfreich sein kann. Hal-
ten wir es mit der Leitkultur so, wie es Heiner Geißler
formuliert hat: Unsere Leitkultur ist unsere Verfassung
und die ist auf der Grundlage unserer historischen Erfah-
rungen entstanden. – Davon sollten wir uns leiten lassen,
also weg von der Propagierung von Schlüsselbegriffen
hin zur praktischen Verfassungstreue. Das ist der legi-
time und richtige Weg für Deutsche und für diejenigen,
die aus anderen Ländern zu uns kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514510400

Das Wort hat jetzt als letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt der Kollege Norbert Geis von der CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1514510500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sind uns alle einig, dass die Integration der
bei uns lebenden zugewanderten ehemaligen Ausländer
die wichtigste Aufgabe unseres Staates, aber auch eine
wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft insgesamt ist.
Der Mord in den Niederlanden hat uns schlagartig be-
wusst gemacht, dass es auch bei uns Parallelkulturen und
Parallelgesellschaften gibt. Wenn sich diese Strukturen
verfestigen, sind Konflikte vorprogrammiert. Insofern
müssen wir nicht mit dem Finger auf die Niederlande
deuten. Eine solche Situation kann auch bei uns entste-
hen, wenn es nicht gelingt, diese Strukturen abzubauen
und die Integration voranzubringen.

Die Integration ist ohne Alternative, aber sie ist nicht
einfach. Sie ist nicht einfach, weil die Kulturen natürlich
unterschiedlich sind. Ich habe immer vollen Respekt vor
jedem Muslim, der in Treue seinen Glauben lebt, sich zu
seinem Glauben bekennt und versucht, sich nach den is-
lamischen Regeln zu richten. Aber die Regeln des Islam
und die Regeln, die ihren Ursprung in unserer Kultur ha-
ben, sind nicht dieselben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


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(C (D ir müssen den Versuch unternehmen – wir können gar icht anders –, beide Regeln zwar nicht in Einklang, aber n einen Zusammenklang zu bringen, um ein vernünfties Miteinander zu ermöglichen. Die Regeln werden bestimmt von dem jeweiligen enschenbild und das Menschenbild des Islam ist ein nderes als das unserer Kultur, das aus dem Christentum eraus verständlich ist. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völlig richtig!)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


m Islam ist der Mensch Gott bedingungslos unterwor-
en; im Christentum versteht sich der Mensch als Kind
ottes, als Partner Gottes, als Ebenbild Gottes. Diese
benbildlichkeit Gottes hat nach Paul Kirchhof zu dem
adikalsten Freiheits- und Gleichheitssatz der gesamten
echtsgeschichte geführt und die Kultur unseres Abend-
andes bestimmt. Deshalb haben wir eine andere Ent-
icklung genommen als beispielsweise der islamisch
estimmte Orient. Das ist der Grund für die Unter-
chiede.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völlig richtig!)


Für uns sind die Einmaligkeit, die Unvergleichbarkeit
edes Einzelnen, seine Freiheit und seine unverletzbare
ürde höchste Güter. Beim Islam bestimmt die Umma,
ie Gemeinschaft der Gläubigen, das Leben des Einzel-
en. Die Freiheit des Einzelnen steht nicht so im Vor-
ergrund wie beispielsweise im abendländischen Wes-
en. Das ist der Unterschied. Wir müssen in einem
rozess des Dialogs versuchen, diesen Unterschied viel-
eicht nicht auszugleichen, aber Verständnis füreinander
u wecken, um eines Tages eine Angleichung zu errei-
hen. Ich glaube, Integration kann nur gelingen, wenn
uch die Angleichung gelingt. Das ist ein Prozess, der
icht von heute auf morgen abgeschlossen werden kann;
s ist ein langwieriger Prozess.
Aus erwähntem Freiheitssatz heraus ist im Westen die
emokratie entstanden. Die Demokratie setzt die indi-
iduelle Freiheit und die Unverletzlichkeit des Men-
chen voraus und bietet gleichzeitig den verfassungs-
echtlichen Rahmen, in dem eine solche Lebensform
elebt werden kann. Das finden wir in diesem Maße in
en islamisch regierten Ländern nicht. Diese Feststel-
ung muss auch in einer solchen Debatte erlaubt sein,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

hne deswegen gleich in die Ecke zu geraten, man
ürde sich überheben. Ich denke gar nicht daran, hier
ertungen vorzunehmen. Ich möchte nur einmal den
nterschied herausstellen, um die Schwierigkeiten bei
er Integration deutlich zu machen. Integration ist ein
chweres Werk, aber wir können uns nicht davor drü-
ken. Wir müssen diese Aufgabe meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine wich-
ige Aufgabe unserer Gesellschaft und vor allem unseres

13466 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Norbert Geis

Staates besteht darin, alles zu unternehmen, um den bei
uns lebenden Muslimen, insbesondere den jugendlichen
Muslimen, eine gute Ausbildung zu ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen erreichen, dass die Muslime in den Mittel-
stand hineinkommen. Dann werden sie nämlich ihre ab-
gekapselten Straßenzüge, ihre Parallelgesellschaft, ver-
lassen und in andere Wohngegenden ziehen;


(Ute Kumpf [SPD]: Die müssen Sie erst einmal in die Schulen bringen!)


dann wird es zu einem vernünftigeren Miteinander kom-
men. Die soziale Lage ist im Augenblick ein Hemmnis
bei der Integration. Dieses Problem muss gemeistert
werden. Das ist allerdings in erster Linie unsere Auf-
gabe, also eine Aufgabe unseres Staates und unserer Ge-
sellschaft.

Aber Integration ist nie eingleisig. Integration ist im-
mer eine Sache zwischen Zugewanderten und aufneh-
mender Gesellschaft. Natürlich müssen diejenigen bei
uns, die zugewandert sind, unsere Sprache sprechen.
Das ist aber nur der erste Schritt. Wir wissen, dass in
Frankreich Muslime leben, die, weil sie beispielsweise
aus Marokko kommen, von Kindheit an Französisch
sprechen, dass es aber dort trotzdem große Unterschiede,
dass es Parallelgesellschaften gibt. Die Sprache ist sehr
wichtig, aber sie ist nur der erste Schritt.

Der zweite Schritt ist die Anerkennung unserer Ver-
fassung. Das ist richtig und das ist heute auch schon ge-
sagt worden. Allerdings ist das nicht ganz so einfach,
wie es sich manchmal angehört hat. Denn in jeder Ver-
fassung – und in unserer Verfassung erst recht – sind Le-
bensformen niedergeschrieben. Die diesen Lebensfor-
men zugrunde liegenden Überzeugungen drücken sich
also in der Verfassung aus.

Damit sind wir schon mitten in einer Kulturdebatte.
Sie können die Verfassung nicht losgelöst von der Kultur
sehen. Da bin ich anderer Meinung als Sie.


(Widerspruch bei der SPD)

Sie können die Verfassung nicht nur rechtspositivistisch
sehen, sondern müssen sie in einen Kulturzusammen-
hang stellen. Aus diesem Kulturzusammenhang ist die
Verfassung entstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer entscheidet, welcher der richtige ist?)


– Lassen Sie mich das bitte in aller Ruhe ausführen. Sie
können ja anderer Meinung sein; darüber brauchen wir
nicht zu streiten.

Deswegen haben die Väter und Mütter unseres
Grundgesetzes in die Präambel ausdrücklich den Gottes-
bezug hineingeschrieben. Sie wollten damit zum Aus-
druck bringen, dass unsere Verfassung, dass unser staat-
liches Leben nicht ohne unsere christliche Tradition
gesehen werden darf.

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(C (D Angesichts der in der Verfassung zum Ausdruck gerachten Lebensformen, Überzeugungen und Wertvortellungen müssen Sie eine Kulturdebatte führen. Die Leitkultur“ ist zwar ein Reizwort; das gebe ich zu. Aber enn Sie die Verfassung als Grundlage unseres Zusamenlebens ansehen, kommen Sie nicht an dem Gedanen vorbei, dass Sie damit auch verlangen, dass die kulurellen Vorstellungen und die Geschichte unseres olkes angenommen werden. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben das in Ihrem Antrag aber getrennt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514510600

Herr Kollege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage

es Kollegen Hartmann?


Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1514510700

Bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514510800

Herr Hartmann, bitte.


Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1514510900

Herr Kollege Geis, ich bin Ihnen ausdrücklich dank-

ar für diesen sehr nachdenklichen, abwägenden und
uch philosophisch fundierten Beitrag, den Sie zum
chluss dieser Debatte leisten. Sie wägen verschiedene
ulturen und verschiedene Werthaftigkeiten gegen-
inander ab. Ich teile das. Ich teile auch die Orientierung
m christlichen Menschenbild. Gestatten Sie mir die
rage – ich meine sie völlig unpolemisch, eher als Anre-
ung für Ihren Wortbeitrag –: Würden Sie mir zugeste-
en, dass die Orientierung am Personsein, am christli-
hen Menschenbild nicht verhindert hat, dass in Europa
nd in Deutschland schreckliche Barbarei möglich war,
ass also diese Orientierung alleine keineswegs ausrei-
hen kann, um ein gefestigtes demokratisches Staatswe-
en aufzubauen?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1514511000

Das ist zweifellos richtig. Aber Sie müssen natürlich

ehen, dass es in der Geschichte immer Brüche gibt und
ass jeder Mensch Brüche in sich trägt. Jeder Mensch
ann versagen und so kann auch ein Volk versagen. Sie
ürfen dabei aber den Grundansatz nicht außer Acht las-
en. Wir kommen aus unserer abendländischen Ge-
chichte nicht heraus; sie ist 2 000 Jahre alt. Niemand
ann aus seiner Geschichte aussteigen und unsere Ge-
chichte ist nun einmal vom christlich-jüdischen Erbe
estimmt. Dazu kommen viele andere Momente: die
ufklärung, die ganze Gedankenwelt der Renaissance.
ie müssen im Grunde genommen die Griechen und die
ömer mit einbeziehen. Dann kommen Sie letztendlich
icht zu einer 2 000-jährigen, sondern sogar zu einer
000-jährigen Geschichte. Vor diesem Hintergrund
xistiert unsere Kultur.
Ich stimme Ihnen zu, dass es furchtbare Brüche in un-

erer Geschichte gab. Aber ich glaube, dass sie nicht mit

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13467


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Norbert Geis

dem Ansatz unserer Kultur in Einklang gebracht werden
müssen, sondern dass sie einfach furchtbare Brüche ge-
wesen sind.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Aber vor Pervertierung hat es uns nicht bewahrt!)


– Hat es uns nicht bewahrt. Kein Mensch ist davor be-
wahrt, so auch ein Volk nicht.

Ein Schlussgedanke noch. Hier ist vom Eid auf die
Verfassung und von Verfassungspatriotismus gespro-
chen worden. Ich will nicht sagen, dass das verkehrt ist.
Aber es reicht nicht. Zur Annahme der Verfassung ge-
hört auch, die Geschichte zu akzeptieren. Herr von
Klaeden hat dies vorhin in seinem sehr guten Wortbei-
trag gesagt.

Wenn wir es mit der Integration ernst meinen, dann
müssen wir von den bei uns lebenden Muslimen verlan-
gen, dass sie die Verantwortung für unsere Geschichte
mittragen. Es kann nicht sein, dass in einem Volk eine
Gruppe Verantwortung trägt und die andere Gruppe
nicht. Auch die Zugewanderten müssen die Verantwor-
tung für unsere Geschichte, sowohl für den guten als
auch für den schrecklichen Teil, mittragen. Das ist mehr
als der Eid auf die Verfassung und mehr als Verfassungs-
patriotismus. Das ist echter Patriotismus.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514511100

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf

den Drucksachen 15/4260, 15/4394 und 15/4401 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a bis 30 c sowie
den Zusatzpunkt 4 auf:
30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung arzneimittelrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 15/4294 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Feldversuche über die Vor- und Nachteile von
60-Tonnen-LKW starten
– Drucksache 15/3951 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

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Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth),
Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der FDP
Wasserstraßenausbaugesetz vorlegen
– Drucksache 15/4039 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

P 4 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe
Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Ab-
geordneten Dr. Günter Krings, Dr. Norbert
Röttgen und der Fraktion der CDU/CSU, der Ab-
geordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker
Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl
Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP
Wettbewerb und Innovationsdynamik im Soft-
warebereich sichern – Patentierung von Com-
puterprogrammen effektiv begrenzen
– Drucksache 15/4403 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder,
Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Promillegrenze in der Seeschifffahrt
– Drucksache 15/4383 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
en Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an

ie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
berweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
all. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 31 a

is 31 f. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vor-
agen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 31 a:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen (14. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt),

13468 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle und wei-
terer Abgeordneter
Engpass zwischen Wiesbadener Kreuz und
Krifteler Dreieck (Autobahn A66) beseitigen
– Drucksachen 15/3104, 15/4095 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Weis (Stendal)


Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
15/3104 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 31 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 164 zu Petitionen
– Drucksache 15/4273 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 164 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 31 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 165 zu Petitionen
– Drucksache 15/4274 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 165 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 31 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 166 zu Petitionen
– Drucksache 15/4275 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 166 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 31 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 167 zu Petitionen
– Drucksache 15/4276 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 167 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 31 f:
Beratung der ersten Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses zu 23 gegen die

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(C (D Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des sechsten Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen – Drucksache 15/4250 – Berichterstattung: Abgeordnete Erika Simm Hermann Bachmaier Hans-Joachim Hacker Petra-Evelyne Merkel Dr. Hans-Peter Friedrich Manfred Grund Thomas Strobl Jerzy Montag Jürgen Koppelin Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer timmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zur Forschung an embryonalen Stammzellen nach der Volksabstimmung in der Schweiz und den damit verbundenen Auswirkungen für die Forschung in Deutschland Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die antragtellende Fraktion hat die Kollegin Ulrike Flach. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch and wird eine Insel, eine Insel des moralischen Diskures in einem Meer der Bewegung und des Fortschrittes. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)

Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1514511200

berall in der Welt werden die Chancen, die die embryo-
ale Stammzellforschung bietet, offensiv aufgegriffen.
n Deutschland hegen und pflegen wir den Status quo.
Die Wahlberechtigten in der Schweiz – da sollten ge-

ade diejenigen, die eben so aufheulten, zuhören –

(Werner Lensing [CDU/CSU]: Keiner hat ge heult!)

aben mit 66,4 Prozent für die Forschung an embryona-
en Stammzellen gestimmt, für eine Forschung an sol-
hen Stammzellen, die bei der künstlichen Befruchtung
berzählig bleiben, um bessere Therapien, wie man dort
ormulierte, gegen Diabetes, Parkinson oder Alzheimer
u entwickeln. Zwei Drittel haben für die Forschungs-
reiheit gestimmt.


(Beifall bei der FDP)

as ist der breite gesellschaftliche Konsens, den viele
on uns immer wieder einfordern. Das ist ein Zeichen ei-
er reifen Demokratie, in der komplexe Themen wie die

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13469


(A) )



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Ulrike Flach

Stammzellforschung von den Bürgern verstanden und
entschieden werden.

Ich bin sicher, dass diese Entscheidung in Deutsch-
land nicht viel anders ausfiele.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katherina Reiche [CDU/CSU])


Ein informiertes Volk wird sich, wenn wir es fragen, die
Möglichkeit, eine medizinische Innovation zu fördern
und zu nutzen, nicht nehmen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Katherina Reiche [CDU/CSU])


Die Fundamentalposition von Rot und Grün und Tei-
len der Union isoliert uns immer mehr. In den letzten
fünf Jahren haben die Briten die Forschung an embryo-
nalen Stammzellen und das therapeutische Klonen er-
laubt. Sie rechnen in fünf Jahren mit den ersten Thera-
pieerfolgen. Die Franzosen haben die Forschung auf
fünf Jahre befristet zugelassen. Kalifornien wird
3 Milliarden Dollar für die Stammzellforschung ausge-
ben. Israel, Indien, die skandinavischen Länder, China,
Südkorea, überall werden und wurden Gesetze geändert,
um Forschung zu erlauben und langfristig Menschen mit
schweren Krankheiten zu helfen. Auch die EU – darüber
haben wir in diesem Hause diskutiert – hat bereits zwei
Vorhaben gefördert, bei denen embryonale humane
Stammzellen verwendet wurden.

Und bei uns? Der Bundeskanzler beklagte Ende Ok-
tober die enorme Zurückhaltung bei der Umsetzung der
Bio- und Gentechnik, die sich – man höre und staune –
aus dem Gedankengut der Umweltbewegung, traditio-
neller Technikskepsis und christlicher Motivation speise
und uns auf den Weltmärkten schwäche und Innovatio-
nen nicht befördere.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katherina Reiche [CDU/CSU])


„Hört! Hört!“ kann man da nur sagen.
Wirtschaftsminister Clement forderte an dieser Stelle

eine Lockerung der Bremsen bei der Bio- und Gentech-
nik. Ich frage mich natürlich zunehmend: Wer regiert
denn eigentlich in diesem Lande?


(Beifall bei der FDP)

Sie könnten doch die gesetzlichen Vorgaben ändern.
Aber weder der Kanzler noch Herr Clement, auch nicht
Frau Zypries mit ihrem sehr liberalen Verständnis des
Grundgesetzes und schon gar nicht die Ministerin
Bulmahn haben in den Koalitionsfraktionen eine Mehr-
heit. Die Union mit Frau Böhmer an der Spitze beteiligt
sich – das tut mir Leid – zumindest in Teilen an diesem
Stillhalteabkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Anstatt Innovationen anzuschieben, schieben Sie die
Forscher aus diesem Lande.

Der Direktor des Deutschen Krebsforschungszen-
trums in Heidelberg, Professor Wiestler, beklagt zu Recht
die rigide Stichtagsregelung im Stammzellgesetz und die

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(C (D trafandrohung gegen deutsche Wissenschaftler im Ausand. Wir alle wollen Spitzenforscher aus dem Ausland urückholen. Aber wenn sie dann hier sind und dort drüen mit embryonalen Stammzellen geforscht haben, erden sie hier kriminalisiert und mit hohen Strafen beegt. (Beifall bei der FDP – Maria Eichhorn [CDU/ CSU]: Schmarren! Das glauben Sie ja selber nicht! – Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Das ist kein Unsinn. Die DFG hat es erst kürzlich wie-
er dargelegt.
Professor Hescheler, einer der renommiertesten deut-

chen Stammzellforscher, erklärt: Vor 15 Jahren waren
ir in der Stammzellforschung top. Wir brauchen drin-
end neue humane embryonale Stammzelllinien, die wir
ufgrund der deutschen Gesetzeslage nicht über thera-
eutisches Klonen gewinnen können.
Meine Damen und Herren, Sie geben unseren Wis-

enschaftlern weder durch den Import noch durch die
ermehrung von Linien die Zellen, die wir für unsere
pitzenforschung brauchen. Das ist angesichts der Sor-
en von Forschern und Kranken grotesk.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katherina Reiche [CDU/CSU])


Wir fordern seit langem die Abschaffung der Stich-
agsregelung. Wir wollen eine Streichung der darauf be-
uhenden Strafandrohung. Wir fordern eine Änderung
es Embryonenschutzgesetzes, um so wie die Schweiz
n überzähligen Embryonen zu forschen und Stammzel-
en durch therapeutisches Klonen vermehren zu können.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht zutreffend in Bezug auf die Schweiz!)


Im Jahr der Innovationen hat Deutschland seine füh-
ende Position in der Stammzellforschung verloren. Die
nderen schieben sich an uns vorbei. Blair, Chirac,
chwarzenegger und die Schweiz – die Liste der Innova-
ionsförderer wird immer länger. Nur der Name
chröder taucht nicht auf. Die FDP sagt Ihnen erneut
heute noch in einer Aktuellen Stunde, im Januar in
orm eines Antrages –: Ändern Sie endlich diese Geis-
eshaltung, die Sie hier seit vielen Monaten präsentiert
aben! Geben Sie den Weg frei für eine innovative For-
chungsförderung! Gehen Sie diesen Weg mit uns und
ehmen Sie die Fehler der Vergangenheit zurück!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514511300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann

on der SPD-Fraktion.

Dr. Carola Reimann (SPD):
Rede ID: ID1514511400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

chweiz hat am Wochenende mit Zweidrittelmehrheit
das ist wirklich erstaunlich – ein Stammzellfor-
chungsgesetz beschlossen, das Forschung mit humanen

13470 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Carola Reimann

embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen er-
laubt. Wenn man das Gesetz liest, kommen einem viele
Elemente bekannt vor. Die Kriterien für die Bewilligung
beim Bundesamt für Gesundheit, wie es in der Schweiz
heißt, weisen doch sehr große Ähnlichkeit zu unserem
deutschen Stammzellgesetz, das wir Anfang 2002 in die-
sem Haus beschlossen haben, auf.

Es ist nicht so, dass es bei uns keine Stammzellfor-
schung gibt.


(Ulrike Flach [FDP]: Das behauptet ja auch keiner, Frau Reimann!)


– Sie haben uns da aber als Insel bezeichnet. –

(Ulrike Flach [FDP]: Ja, natürlich!)


Auch in Deutschland ist unter Auflagen – unter strengen
Auflagen, das will ich gar nicht abstreiten – Forschung
mit humanen embryonalen Stammzellen erlaubt und
wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch
finanziell gefördert.

Im Sommer hat die Bundesregierung den Ersten Er-
fahrungsbericht über die Durchführung des Stammzell-
gesetzes vorgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren fünf
Projekte bewilligt worden, darunter auch das Projekt des
von Ihnen genannten Professors Hescheler, das als zwei-
tes Projekt im Jahre 2003 bewilligt wurde.


(Ulrike Flach [FDP]: Sie wissen doch, dass Professor Hescheler trotzdem die Forderung erhebt!)


Mittlerweile sind sieben Forschungsprojekte bewilligt
worden, es sind also noch zwei Projekte hinzugekom-
men. Erst im Oktober ist ein weiteres Projekt hier in Ber-
lin bewilligt worden. Sie alle können sich über den aktu-
ellen Stand jederzeit auf den Webseiten des Robert
Koch-Institutes informieren.

Wir haben in Deutschland die Regelung, dass For-
schung mit humanen embryonalen Stammzellen durch-
aus erlaubt ist, und zwar – das ist der Unterschied zu der
Schweiz – an Zelllinien, die vor dem 1. Januar 2002 her-
gestellt wurden und die im Register des NIH gelistet
sind.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber das ist doch die Crux, Frau Reimann!)


Bei allen genehmigten Anträgen handelt es sich um For-
schungsvorhaben, die mit diesen Zelllinien auskommen.
Dabei geht es vor allen Dingen um Grundlagenfor-
schung, die sich, wie ich glaube, auch sehr gut betreiben
lässt, ohne dass man an der Stelle Chancen vergibt.


(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Das stimmt doch vorn und hinten nicht, Frau Reimann!)


Allen beantragten Forschungsvorhaben ist gemeinsam,
dass sie Differenzierungsvorgänge von Zellen untersu-
chen, zum Beispiel die Differenzierung zu neuralen Vor-
läuferzellen, zu dopaminergen Neuronen oder zu Kar-
diomyozyten. In vielen Fällen untersuchen sie auch
Migrationsprozesse in Zellverbänden, zum Beispiel in

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(C (D erzmuskelzellen – auch hier ist Herr Hescheler zu nenen –, in Hepatozyten und in Rattenhirnen. Ein Projekt oll auch die Frage nach der Auslösung der Differenzieung beantworten. All diese Forschungsprojekte sind lso sehr abstrakt und grundlagenbezogen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aus meinem erzen gar keine Mördergrube machen: Dem Schweizer esetz mit der Möglichkeit der Nutzung so genannter berzähliger Embryonen stehe ich offen gegenüber. Ich ill aber auf keinen Fall, dass sich permanente Lieferbeiehungen zwischen Fortpflanzungsmedizin und Forchung ergeben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Das will ja keiner!)


ies ist nach meiner Ansicht durch das Schweizer Ge-
etz nicht ausgeschlossen.
Bei aller Offenheit für die Nutzung überzähliger Em-

ryonen kann ich derzeit keine sachliche Notwendigkeit
rkennen, unser Stammzellgesetz zu ändern. Denn außer
er von den Verbandsvertretern vorgebrachten allgemei-
en Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
orschung – die sie im Übrigen zu allen Zeiten vorgetra-
en haben – gibt es keine Forschergruppe – auch nicht
ie des Professor Hescheler –, die mit einem konkreten
rojekt an uns herangetreten wäre, bei dem die vorhan-
enen Zelllinien nicht ausreichen würden.


(Ulrike Flach [FDP]: Er hat es letzte Woche wieder erklärt!)


Aber an dieses Gremium ist er nicht herangetreten.
Wenn das der Fall wäre, würde ich das hier jederzeit

iskutieren. Es muss aber sehr sachlich und seriös fun-
iert vorgetragen werden,


(Ulrike Flach [FDP]: Natürlich!)

elche Stammzelllinien dazu genutzt werden und wa-
um die Zelllinien, die zurzeit zur Verfügung stehen, für
iese Grundlagenforschung nicht ausreichen. Das muss
chon begründet werden können.


(Ulrike Flach [FDP]: Selbstverständlich! Das sagen wir doch! – Werner Lensing [CDU/ CSU]: Das sage ich nachher auch!)


Ich halte die Regelungen in unserem Stammzellgesetz
ach wie vor für sehr ausgewogen. Sie ermöglichen den
issenschaftlern in unserem Land Grundlagenforschung
ithilfe humaner embryonaler Stammzellen und tragen
leichzeitig dem Wunsch einer großen Gruppe in unse-
em Land und – das darf man auch nicht vergessen –
uch hier in unserem Parlament Rechnung, die großen
ert auf ein hohes Schutzniveau für Embryonen legt.
as ist in unserem Embryonenschutzgesetz verankert.
ir sollten daher an unserem Stammzellgesetz in der jet-
igen Form festhalten.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13471


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Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514511500

Das Wort hat jetzt die Kollegin Professor Maria

Böhmer von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1514511600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Forderung der FDP, den Stichtag beim Stammzellgesetz
aufzuheben und – wie wir heute gehört haben – am bes-
ten alle Gesetze, die in diese Richtung gehen,


(Ulrike Flach [FDP]: Die hängen zusammen!)

also auch das Embryonenschutzgesetz, abzuschaffen, hat
schon Ritualcharakter, liebe Kollegin Flach.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wird dadurch auch nicht besser oder überzeugender.
Fakt ist: Seitdem das Stammzellgesetz Mitte 2002 in

Kraft getreten ist, hat das Robert Koch-Institut sieben
Genehmigungen erteilt. Damit ist belegt, dass Forschung
an menschlichen embryonalen Stammzellen in Deutsch-
land möglich ist. Wir haben die Forschung nicht behin-
dert und nicht blockiert. Wir haben sie unter sehr restrik-
tiven Bedingungen zugelassen, und zwar an den
Stammzelllinien, die bereits existieren. Der Stichtag ist
wichtig. Er verhindert nicht Forschung; denn es geht
zurzeit um Grundlagenforschung, um nichts anderes. Je-
der seriöse Wissenschaftler, der auf diesem Feld tätig ist,
bestätigt uns:


(Ulrike Flach [FDP]: Ist Herr Hescheler nicht seriös?)


Dafür reichen die Stammzellen völlig aus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Sie unterstellen Leuten Sachen! Damit wäre ich vorsichtig!)


– Liebe Frau Flach, ich gehe gern darauf ein. Wir haben
engsten Kontakt zu den Wissenschaftlern. Sie wissen,
dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Beirat für
Fragen der Bio- und Gentechnologie mit exzellenten
Stammzellwissenschaftlern berufen hat.


(Ulrike Flach [FDP]: Wir auch!)

Wir haben erst vor kurzem einen großen Kongress
durchgeführt. Dabei waren die Professoren Schöler,
Hescheler und Franz zu Gast. Die Professoren Hescheler
und Franz arbeiten an Projekten im Rahmen der mensch-
lichen embryonalen Stammzellforschung. Wir haben au-
ßerdem Professor Ho zu Gast gehabt, der ein exzellenter
Wissenschaftler im Bereich der adulten Stammzellfor-
schung ist. Übereinstimmende Meinung war: Die exis-
tierenden Stammzelllinien reichen für die Grundlagen-
forschung in Deutschland völlig aus.


(Ulrike Flach [FDP]: Darum geht es doch auch gar nicht!)


Um nichts anderes geht es.

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(C (D (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Da Sie immer wieder dagegen anrennen, will ich Ihnen
n dieser Stelle sagen: Es würde sich lohnen, von diesen
itualisierten Debatten, die Sie führen, wegzukommen
nd nach den wirklichen Gründen zu fragen, warum die
tammzellforschung nicht vorankommt. Ich war vor we-
igen Wochen im NIH in Washington und habe mich vor
rt kundig gemacht. Die Amerikaner sind in der gleichen
ituation. Hier wie dort verbinden sich zwei Dinge mit-
inander: Wir wollen zum einen die Grundlagenfor-
chung sicherstellen, zum anderen aber die ethischen
renzen achten. Leitgedanke war für uns im Deutschen
undestag bei jeder dieser Entscheidungen: Kein
enschlicher Embryo soll für die Forschung in Deutsch-
and getötet werden. Dabei werden wir auch bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Sie werden von den anderen profitieren!)


Beim NIH hat sich herausgestellt – das können wir,
laube ich, auch für Deutschland sagen –: Es gibt erstens
ur wenige Forscher, die in der Lage sind, Stammzellfor-
chung zu betreiben. Das NIH hat daraus die Konse-
uenz gezogen und bietet inzwischen Trainingskurse für
orscher an. Das ist vernünftig; denn dort, wo Forschung
ugelassen ist, muss auch die entsprechende Technik
orhanden sein.
Zweitens – ich finde, das ist ein ganz wichtiger

chritt, der möglicherweise Forschern in Deutschland
ehr helfen wird – ist das NIH dabei, die zugelassenen
tammzelllinien zu einer Stammzellbank auszubauen.
ie werden charakterisiert und katalogisiert. Damit will
an vor allen Dingen ein Hemmnis nehmen – dieses
emmnis nehme ich sehr ernst, Frau Flach –, das den
ahren Grund darstellt, warum einzelne Forscher sagen:
ir brauchen andere Stammzelllinien. Der Hinderungs-
rund für Forscher in Deutschland liegt nämlich nicht in
er Stammzellgesetzgebung bei uns,


(Ulrike Flach [FDP]: Doch, natürlich!)

ondern in den Patentregelungen in den USA. Das ist der
unkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Sie machen sie abhängig davon!)


enn man von dort Stammzelllinien anfordert und sie
ier nutzt, ist man ein Stück abhängig, weil man auf-
rund der Patentregelungen seine Forschungserkennt-
isse teilen muss. Man muss die Dinge beim Namen
ennen, um voranzukommen, und darf nicht wie Sie
tets an der falschen Stelle bohren.
An einem anderen Punkt will ich nachhaken: Profes-

or Hescheler, den Sie gerne und viel zitieren, wäre sehr
aran interessiert, hier in Deutschland ein bestimmtes
orschungsvorhaben durchzuführen. Er möchte gerne
usloten, ob menschliche embryonale Stammzellen zu
ewinnen sind, ohne dass die Embryos sterben müssen.


(Ulrike Flach [FDP]: Ja, aber die Liberalen hindern ihn nicht daran!)


13472 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Maria Böhmer

Das würde uns aus dem Dilemma herausführen. Aber
merkwürdigerweise ist sein Forschungsantrag nicht ge-
nehmigt worden. Da ich davon überzeugt bin, dass dies
die Ansicht auch bei SPD und Grünen ist, die wie wir
Verantwortung für das Stammzellgesetz tragen, muss ich
sagen: Wir sollten ein großes Interesse daran haben,
Wege zu eröffnen, damit Stammzellforschung in Zu-
kunft in der Art möglich ist, dass dafür kein Embryo ge-
tötet werden muss. Darauf müssen wir unsere Kräfte
konzentrieren, nicht auf irgendwelche spekulativen
Überlegungen, die Sie immer wieder anstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Das ist ja eine Unverschämtheit, Frau Böhmer!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514511700

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Dr. Maria Böhmer (CDU):
Rede ID: ID1514511800

Ich will in aller Deutlichkeit sagen – dabei stützte ich

mich nicht nur auf den Stammzellbericht der Bundesre-
gierung, sondern auch auf die weltweit gesammelten Er-
kenntnisse, die uns bis jetzt vorliegen –: Das Stammzell-
gesetz hat sich bewährt. Es bedarf keiner Änderung. Wir
werden an dem Grundsatz festhalten: Grundlagenfor-
schung ja, aber kein Verbrauch von Embryonen für die
Forschung in Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514511900

Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske vom

Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514512000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

hat in der Tat Ritualcharakter: Die FDP will immer wie-
der ein Alleinstellungsmerkmal für sich reklamieren.
Die Wahrheit ist allerdings, dass sich alle Menschen da-
mit quälen, die Balance zwischen ethischen Grenzen auf
der einen Seite und dem hohen Gut der Forschungsfrei-
heit auf der anderen Seite zu finden.


(Ulrike Flach [FDP]: Ja, wir auch, Herr Loske!)


Dass Sie das Alleinstellungsmerkmal in dieser Frage da-
durch erlangen wollen, dass Sie nur die eine Seite der
Medaille betrachten, ist sehr traurig. Das muss ich Ihnen
sagen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU – Jürgen Türk [FDP]: Wieso? Wir sind doch in der Welt in guter Gesellschaft!)


Nun zum Gesetz – hierzu haben Sie eine Fehlin-
formation abgegeben; ich habe mich im Vorfeld genau
informiert –: Das Gesetz, über das in der Schweiz eine
Volksabstimmung stattgefunden hat, stammt vom
19. Dezember 2003. Es betrifft Fragen der Forschung an

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(C (D berzähligen Embryonen und embryonalen Stammzelen. Es erlaubt die Gewinnung von embryonalen Stammellen aus so genannten überzähligen Embryonen. egen dieses Gesetz wurde ein Referendum durchgeührt. Dieses Referendum hatte das bekannte Ergebnis: ine Zweidrittelmehrheit war für das Gesetz. Allerdings muss man festhalten – es ist falsch, was ie hierzu gesagt haben –: Hier geht es nur um die tammzellforschung, nicht um das Forschungsklonen. ie haben gesagt, in der Schweiz seien die embryonale tammzellforschung und das Forschungsklonen mögich. Das ist nicht zutreffend; denn das Forschungskloen ist in der Schweiz nicht möglich. Hier haben Sie em Parlament eine Falschinformation gegeben. (Ulrike Flach [FDP]: Also, hören Sie mal! Jetzt wird es aber sophistisch!)


(Ulrike Flach [FDP]: Ja, so ist es!)


Das ist nicht sophistisch; das ist so. Lesen Sie das im
rotokoll nach. Vielleicht haben Sie sich auch verspro-
hen; das kann ja passieren. Aber man darf nicht so tun,
ls würden alle Formen, die Sie für richtig halten, in der
chweiz genehmigt. Das Ganze dient Ihnen nur dazu,
ie Argumentation zu stützen, die da lautet: In Sachen
erbrauchende Embryonenforschung wird es einsam um
eutschland.


(Ulrike Flach [FDP]: Ja, so ist es! – Jürgen Türk [FDP]: Das ist doch die Realität!)


n Wahrheit ist das Bild wesentlich differenzierter. Da-
auf hat die Kollegin Reimann – wie ich finde: zu
echt – hingewiesen.
Nun zur Situation in Deutschland. Im Embryonen-

chutzgesetz von 1990 ist die „Produktion“ von überzäh-
igen Embryonen explizit verboten. Das heißt, in
eutschland gibt es keine überzähligen Embryonen.


(Ulrike Flach [FDP]: Natürlich gibt es die!)

Einen Moment, lassen Sie mich diesen Gedanken wei-
erführen. – Wenn Sie wollen, dass verbrauchende Em-
ryonenforschung betrieben wird, dann müssten Sie den
weck des Embryonenschutzgesetzes ändern.


(Ulrike Flach [FDP]: Das habe ich doch gesagt!)


ie müssten es von einem Schutzgesetz in ein Ressour-
enbeschaffungsgesetz umwandeln. Das machen wir
icht mit. Das muss ich ganz klar sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Denken Sie nur an die In-vitro-Fertilisation. Diese
ird bei uns so gehandhabt, dass dabei nicht mehr be-
ruchtete Eizellen entstehen, als letztlich eingesetzt wer-
en. Denken Sie nun noch an die Präimplantationsdia-
nostik, die Sie wahrscheinlich – darüber wurde jetzt
llerdings nicht geredet – ebenfalls befürworten.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber Teile Ihrer Partei auch, Herr Loske!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13473


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Dr. Reinhard Loske

Hierbei werden bewusst mehrere Eizellen befruchtet.
Eine Konstruktion, bei der eine große Zahl von „über-
zähligen Embryonen“ entsteht, ist nichts anderes als eine
Einladung, sie im Rahmen der Forschung auch zu ver-
brauchen. Eine solche Konstruktion können wir nicht
mittragen.

Dann müssen Sie sich schon dazu bekennen, dann
müssen Sie sagen: Der Gesetzeszweck soll geändert
werden; der Zweck sollen Maßnahmen zur Beschaffung
von Ressourcen für die embryonale Stammzellforschung
sein. So viel Ehrlichkeit muss sein.


(Ulrike Flach [FDP]: Es geht um die Nutzung überzähliger Embryonen!)


Ich will abschließend noch auf eine Sache hinweisen
– es wurde ja von mehreren Rednern schon gesagt –: Es
gibt sieben genehmigte Anträge. Forschung an embryo-
nalen Stammzellen ist in Deutschland möglich, wenn
diese Stammzellen vor einem bestimmten Stichtag ent-
standen sind. Die Qualität der Kulturen wird zwar hier und
da einmal beklagt – das gebe ich zu; man hört das ja –, aber
es ist doch nicht so, dass das der Grundtenor der ganzen
Debatte wäre; es sind nur einzelne Leute, die darüber
klagen.


(Ulrike Flach [FDP]: Es gibt selbst in der Koalitionsfraktion Leute, die das beklagen!)


Das ist nun einmal so in einer pluralen Gesellschaft; es
wäre auch schlimm, wenn es nicht so wäre. Aber daraus
jetzt abzuleiten, man könne es gar nicht anders machen,
als den Weg völlig freizumachen, das ist falsch.

Außerdem will ich auf die Fortschritte bei der For-
schung an adulten Stammzellen hinweisen. Die sind
nämlich erheblich:


(Werner Lensing [CDU/CSU]: So ist es! Genau das!)


Die Nähe zu therapeutischen Anwendungen ist viel grö-
ßer als im Bereich der Forschung an embryonalen
Stammzellen; diese ist noch eine reine Grundlagenfor-
schung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will zwei Projekte aus der wissenschaftlichen
Fachzeitschrift „The Lancet“ von 2004 anführen: Adulte
Stammzellen, aus Skelettmuskulatur gewonnen, zeigen
in Tierversuchen Differenzierungen zu Muskelfaserzel-
len. Anderes Beispiel: Einsatz adulter Stammzellen aus
dem Knochenmark zur Reparatur von Herzgewebe; auch
hier große Fortschritte.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Auch richtig! – Ulrike Flach [FDP]: Aber das bestreitet doch gar keiner!)


– Sie tun immer so, als wäre die Forschung an adulten
Stammzellen im Gegensatz zur embryonalen Stammzel-
lenforschung eine Randerscheinung. Nein, das Gegenteil
ist der Fall.

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(C (D (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Es geht um Forschungsfreiheit!)


ch will das gar nicht weiter ausführen, ich will nur zu
em Schluss kommen: Das Stammzellgesetz in der jetzi-
en Fassung ist der Versuch einer Abwägung zwischen
thischen Grenzen und dem Ziel der Forschungsfreiheit.
s ist ein gutes Gesetz, das uns im Moment keine Pro-
leme bereitet; deswegen müssen wir es auch nicht än-
ern.
Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514512100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-
asan von der FDP-Fraktion.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1514512200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

ächst einmal: Ich verwahre mich ganz entschieden da-
egen, dass das Anstoßen von Diskussionen über sehr
ichtige gesellschaftliche Fragen in diesem Haus als Ri-
ual angesehen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


as kann es wohl nicht sein. Wenn die Fundamentalisten
n den so genannten Volksparteien verhindern, dass diese
ragen öffentlich diskutiert werden, dann ist es Aufgabe
er FDP, dieses hier anzustoßen. Ich meine, wir haben
ieses ordentlich gemacht.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ CSU: Unglaublich! – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird doch nicht abgesprochen!)


Frau Böhmer, ich darf Ihnen noch das eine sagen – es
tammt zwar nicht von einem CDU-Kollegen; es stammt
on Peter Glotz –: Der Embryo ist in Deutschland so
ange geschützt, bis er abgetrieben wird. – Ich meine,
ir müssen uns auch dieser Diskussion stellen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie unserem Antrag in Sachen Spätabtreibungen zu!)


orschung an humanen embryonalen Stammzellen ist
urzeit in erster Linie Grundlagenforschung; darüber
ind wir alle uns einig. Die Grundlagenforschung wie-
erum ist so gut, wie es die Zelllinien sind, auf denen sie
eruht. Auch Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates
er CDU haben mir am Telefon gesagt, sie brauchen
ringend Zugang zu den neuen Zelllinien, damit ihre
rundlagenforschung, in die wir viel Geld investieren
ollen, auch so gut ist, wie sie sein sollte.


(Beifall bei der FDP)


13474 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Dr. Christel Happach-Kasan

Reden Sie mit ihnen nicht unter der Vorbedingung, das
zu verhindern; behalten Sie, wenn Sie mit ihnen reden,
folgende Aspekte im Auge: Was wollen sie? Was brau-
chen sie? Wie wichtig ist Grundlagenforschung im Be-
reich der Stammzellforschung? Dann werden Sie hören:
Auch die Forscher in Deutschland brauchen diese neuen
Zelllinien wegen ihrer Qualität.

Stammzellforschung ermöglicht ein vertieftes Ver-
ständnis elementarer biologischer Vorgänge wie Zelldif-
ferenzierung oder Tumorentwicklung. Die Qualität dieser
Forschung ist Basis und Fundament aller angewandten
Forschung. Grundlagenforschung ist eine öffentliche
Aufgabe; zumindest in dem Punkt sind wir einer Mei-
nung. Aber in der Stammzellforschung werden außer-
dem Chancen gesehen, Krankheiten zu heilen. Wir brau-
chen eine Ethik des Heilens,


(Beifall bei der FDP)

des Heilens von Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer,
Diabetes. Auch die davon betroffenen Menschen haben
ein Anrecht darauf, Hoffnung zu haben.

Das Stammzellgesetz, das der Deutsche Bundestag in
der letzten Legislaturperiode beschlossen hat, ist unbe-
friedigend, weil es den Import neuer Zelllinien verhin-
dert, die von Forschern und Forscherinnen dringend ge-
braucht werden. Sie haben ethische Bedenken angeführt.
Ebenso gibt es die Hoffnung kranker Menschen und ih-
rer Angehörigen, durch neue, in der Stammzellforschung
entwickelte Therapien Hilfe zu erhalten. Auch diese
Menschen brauchen eine Antwort von uns.


(Beifall bei der FDP)

Im Vorfeld der Verabschiedung des Stammzellgeset-

zes hat eine Bildungsministerin eines deutschen Bundes-
landes gesagt:

Die medizinische Forschung … befindet sich auf
hohem Niveau, auch und gerade im Bereich der
Humangenomforschung und in der Gentechnologie.
Gerade die öffentliche Förderung von Forschung
auf diesem Gebiet ermöglicht erst Transparenz und
eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie uns als
Zuschauer von ausländischen Entwicklungen näm-
lich verwehrt würden. Eine Selbstbescheidung …
auf bloße Lizenzfertigung oder Anwenderlösungen
würde im Zeitalter von Binnenmarkt und Internet
nur dazu führen, dass wir das importieren, was bei
uns verboten, aber in unseren Nachbarländern er-
laubt ist. Ich finde, auch das wäre eine moralisch
fragwürdige Praxis.


(Beifall bei der FDP)

Wir würden Wissenschaftler verlieren, die ihre
gesellschaftliche Verantwortung in Deutschland wahr-
nehmen wollen, die hier Forschung betreiben wol-
len, und zwar unter verlässlichen Rahmenbedingun-
gen.

Dies sagte die Bildungsministerin des Bundeslandes
Schleswig-Holstein, Frau Ute Erdsiek-Rave, SPD.

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(C (D (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gute Frau!)


ch bitte um Beifall, liebe Kolleginnen und Kollegen von
er SPD.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das entscheiden wir immer noch selbst! – René Röspel [SPD]: Immer nur im Zusammenhang!)


err Kollege Rossmann, ich glaube, wir sind uns einig,
ass wir diese Kollegin schätzen. Ich finde es schade,
ass Sie ihr keinen Beifall geben.
Wir diskutieren in Deutschland über Elitehochschulen

nd wir alle sind uns darin einig, dass es nicht nur eine
rage der Finanzen, sondern auch der Exzellenz der
issenschaftler ist. Wir wissen, dass Wissenschaftler ei-
en gesetzlichen Rahmen,


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Den Rahmen haben sie!)


esellschaftliche Akzeptanz und – das will ich deutlich
agen – Vertrauen brauchen.


(Beifall bei der FDP sowie des Abgeordneten Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU] – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Eben, verlässliche Gesetze!)


ch meine, unsere Wissenschaftler verdienen dieses Ver-
rauen. Herr Loske hat es angesprochen: Wir wissen,
ass wir bei der In-vitro-Fertilisation nur sehr wenige
berzählige Embryonen haben, einige haben wir aber.
as zeigt, dass unsere Forscher sehr sorgfältig und sehr
erantwortungsbewusst mit den Gesetzen umgehen. Nur
elbstbewusste Menschen können Vertrauen schenken.
eien wir im Deutschen Bundestag bitte selbstbewusst
nd schenken wir unseren Wissenschaftlerinnen und
issenschaftlern Vertrauen!
Die Zustimmung der Bevölkerung in der Schweiz zur

tammzellforschung sollte für uns Anstoß sein, erneut
ie Diskussion über die Stammzellforschung aufzuneh-
en und die unsägliche Stichtagslösung abzuschaffen.
ir brauchen ein neues Gesetz!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514512300

Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-

raktion.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1514512400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Manchmal erinnert mich die FDP durchaus an
eine kleinen Kinder zu Hause.


(Ulrike Flach [FDP]: Oh nein, Herr Röspel!)

er Tobias geht an die Spielzeugkiste, nimmt sich ein
pielzeug heraus und die kleine Randi kommt sofort an-
esaust und will genau das Spielzeug haben, das er sich
erausgesucht hat; ihr eigenes tolles Spielzeug lässt sie
iegen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13475


(A) )



(B) )


René Röspel


(Jürgen Türk [FDP]: Das ist doch wirklich albern! – Ulrike Flach [FDP]: Es geht hier um kranke Menschen!)


– Meine Kinder plärren allerdings nicht so und ich bin
mir ziemlich sicher, dass sie ihren Konkurrenzkomplex
und den Futterneid ablegen. Das ist nämlich Bestandteil
der menschlichen Entwicklung.


(Jürgen Türk [FDP]: Das ist sogar unter Ihrem Niveau! So ein Quatsch! Wir führen hier eine ernsthafte Debatte!)


Bei der FDP bin ich mir manchmal nicht so sicher.

(Jürgen Türk [FDP]: So was Albernes! Sie sind doch auch schon erwachsen!)

Was ist geschehen? Die Schweiz hat ein Referendum

mit einer Wahlbeteiligung von 36 Prozent durchgeführt.
Zwei Drittel davon haben sich für die Einführung der
Stammzellforschung ausgesprochen. Die FDP fragt so-
fort, welche Auswirkungen das auf die Forschung in
Deutschland und auf unseren Forschungsstandort hat.


(Jürgen Türk [FDP]: Das fragt nicht die FDP; das fragen alle außer Ihnen!)


Ist das eine neue Situation? Ich behaupte, nein. Bezogen
auf die Schweiz ist sie neu, insgesamt erleben wir das
aber seit Jahren. In Frankreich, Großbritannien, Schwe-
den, Belgien und in den Niederlanden wird diese For-
schung in dem Ausmaß betrieben, wie sich die FDP das
wünscht.


(Ulrike Flach [FDP]: Ja, eben!)

Bisher ist dabei allerdings noch nichts herausgekommen.
Jetzt kommt die Schweiz noch hinzu. Ändert sich für die
deutsche Situation grundlegend etwas? – Nein.


(Jürgen Türk [FDP]: Das können Sie nicht festlegen!)


Lassen Sie mich eine Nebenbemerkung machen: Ich
fände es interessant, wenn das Referendum genau das
entgegengesetzte Ergebnis gehabt hätte


(Ulrike Flach [FDP]: Ist es aber nicht!)

oder wenn die Schweiz demnächst ein Biopatentgesetz
bekäme, durch das die Patente viel stärker eingeschränkt
würden, als Sie sich das wünschen. Würden Sie auch
dann eine Aktuelle Stunde durchführen wollen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jürgen Türk [FDP]: Das ist doch wirklich unter Ihrem Niveau!)


Die wesentliche Frage ist allerdings, ob unsere For-
scher nun benachteiligt sind oder nicht. Ich sage, nein.
Ich will das auch begründen – Frau Happach-Kasan, Sie
waren nicht dabei –: Vor gerade einmal zwei Jahren, im
Januar 2002, haben wir in einer fünfstündigen Debatte,
die, wie ich glaube, ein sehr hohes Niveau hatte und die
auch öffentliche Beachtung gefunden hat, sehr intensiv
darüber gesprochen, ob wir Forschung an embryonalen
Stammzellen zulassen und Embryonen zerstören lassen
wollen. Die große Mehrheit dieses Hauses hat entschie-

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(C (D en: Wir wollen nicht, dass Embryonen zu Forschungswecken zerstört werden. (Ulrike Flach [FDP]: Die Welt bewegt sich aber weiter, Herr Röspel!)


ir wollen auch niemandem im Ausland den Anreiz ge-
en, für deutsche Forschungsprojekte Embryonen zu
erstören. Bei der Diskussion ist aber auch das Stamm-
ellimportgesetz herausgekommen, um deutschen For-
chern auf der Basis von Zelllinien, die nicht für die
eutsche Forschung hergestellt wurden, aber schon exis-
ieren, Forschung zu ermöglichen.
Man kann zwar eine gewisse Inkonsequenz feststel-

en, aber im Ergebnis bleibt klar: Wir haben vor zwei
ahren deutschen Forschern mit den importierten
tammzelllinien die Werkzeuge an die Hand gegeben,
m all das zu erforschen, was möglich ist. Das ist eben
icht eine Pflege des Status quo, wie Sie gesagt haben,
rau Flach. Vielmehr hat die Forschung einen echten
prung gemacht. Die Forscher in Deutschland sind auf-
erufen, mit diesen Zellen zu arbeiten. Sieben Arbeits-
ruppen haben diese Anregung in der Tat aufgenommen
nd arbeiten seit einem halben oder einem Jahr daran.
er wirklich ernsthaft daran arbeitet, der kann nicht
chon nach einem halben Jahr feststellen: Diese Zellen
eichen nicht, wir brauchen neue. Es ist nun an den For-
chern, zu zeigen, was möglich ist. Dabei sind sie noch
ange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten.
Forschung in Deutschland wird nicht behindert. Zwei
ründe: Erstens. Die Forschung in Deutschland im Be-
eich der adulten oder somatischen Stammzellen, also
er Zellen, die man ohne ethische Probleme vom er-
achsenen Menschen gewinnen kann, ist nach wie vor
pitze. Diesen Forschungsbereich müssen wir alle mit-
inander fördern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Zweitens. Wir geben den Forschern, die es wollen,
ie Möglichkeit, mit embryonalen Stammzelllinien, die
or dem 1. Januar 2002 hergestellt worden sind, die sta-
il und verlässlich sind und in Kultur gehalten werden,
u arbeiten. Für die Grundlagenforschung – das habe ich
erade gehört – ist das völlig ausreichend. Die Forscher
erden Jahre brauchen, um zu zeigen, ob sie überhaupt
n die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen.


(Ulrike Flach [FDP]: Das sehen sie allerdings anders!)


Ich muss allerdings auch Kritik äußern: Sie haben ge-
agt, es gehe um die Grundlagenforschung. Aber im
leichen Atemzug führen Sie wieder die ganzen Hei-
ungsversprechungen in Bezug auf Krankheiten wie
arkinson, Alzheimer und Diabetes an. Sie könnten mir
arantiert nicht erklären, wie man Diabetes mit Stamm-
ellen heilen kann. Ich sage Ihnen: Das ist wirklich un-
erantwortlich. Wir sollten uns darauf einigen, dass es
m Grundlagenforschung geht. Schon jetzt Heilungsver-
prechungen für Kranke zu machen, die davon wahr-
cheinlich nie profitieren werden, weil die Forschung

13476 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


René Röspel

mindestens zehn bis 20 Jahre dauern wird, halte ich für
unverantwortlich. Damit sollten wir in der Diskussion
sehr zurückhaltend sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fazit meiner fünfminütigen Rede: Erstens. Es gibt
keine neuen Erkenntnisse – Sie können auch nichts dafür
anführen –, die es notwendig machen würden, diesen
ausführlich diskutierten Grundsatzbeschluss von vor
zwei Jahren zu revidieren.

Zweitens. Den deutschen Forschern sind mit dem Be-
schluss von vor zwei Jahren mehr Möglichkeiten gege-
ben worden, als sie in den nächsten Jahren ernsthaft nut-
zen können. Die Forscher haben den Beweis zu führen,
dass diese Möglichkeiten nicht ausreichend sind. Von
dieser Stelle der Appell: Nutzt die Möglichkeiten und
forscht!

Drittens. Deutschland ist ein guter Forschungsstand-
ort, seit Rot-Grün regiert. Endlich gibt es wieder mehr
Geld für Bildung und Forschung und damit mehr Moti-
vation und Möglichkeiten, hier etwas zu tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Eine schwache Rede!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514512500

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Rachel von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1514512600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es er-

staunt nicht, dass die FDP eine Aktuelle Stunde zum
Thema embryonale Stammzellforschung beantragt hat,
waren doch in der jüngsten Vergangenheit wiederholt
Forderungen des Bundeskanzlers und des Wirtschafts-
ministers Clement zu vernehmen, dass die Stammzell-
forschung in Deutschland unbegrenzt zugelassen werden
solle.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Im September hat dies Herr Westerwelle in der „Welt“
kommentiert. Zitat: Die FDP werde Herrn Clement
durch Anträge im Bundestag die Gelegenheit geben, sei-
nen Worten auch Taten folgen zu lassen.

Mit der Volksabstimmung in der Schweiz hat die FDP
nun endlich den Anlass gefunden, den noch jungen
Stammzellkompromiss infrage zu stellen. Dabei verken-
nen Sie allerdings die Relevanz der Schweizer Abstim-
mung; denn durch die Abstimmung haben sich die
Argumente für und gegen die verbrauchende Embryo-
nenforschung überhaupt nicht geändert.


(Zustimmung des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


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(C (D eder sehen wir einen Bedarf nach Novellierung noch äre eine Novellierung des Stammzellgesetzes sinnvoll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bundeskanzler Schröder und Minister Clement haben
ich mit ihrer eigenen Forderung in Widerspruch zum
tammzellbericht der eigenen Bundesregierung gestellt.
enn im Bericht der Bundesregierung heißt es wörtlich
ich zitiere –:

Die aufgrund des Stammzellgesetzes verfügbaren
humanen embryonalen Stammzellen, die vor dem
Stichtag 1. Januar 2002 gewonnen worden sein
müssen, sind für die derzeitige Grundlagenfor-
schung ausreichend geeignet.

ie rechtlichen Bedingungen sind also in Deutschland
usreichend, können wir feststellen.


(Ulrike Flach [FDP]: Nur die Forscher sind anderer Meinung!)


s stellt sich also die Frage, warum sich Schröder und
lement so schwer tun, diesen Beschluss des Bundesta-
es zu akzeptieren. Es scheint eher so, als dienten die
egelungen des Stammzellgesetzes der Regierung als
ündenbock. Sie sollen hier ein Alibi für Fehlentwick-
ungen im Bereich der Forschung und für die Nachteile
es Biotechnologiestandortes Deutschland verschaffen.
icht etwa die rechtlichen Einschränkungen bei der hu-
anen embryonalen Stammzellforschung, sondern eine
chlechte Forschungspolitik und unzureichende Finan-
ierung sind die wahren Ursachen der Schwächen des
eutschen Forschungsstandortes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit! Das musste gesagt werden!)


Für den Bereich der Stammzellforschung gilt eben
icht das Gleiche, Frau Flach, wie für andere Technolo-
ien. Es handelt sich hier eben nicht um eine reine Wirt-
chaftsdebatte oder eine reine Wettbewerbsdebatte.
eine Damen und Herren von der FDP, bevor wir über
irtschaftswachstum und Wettbewerb reden,


(Ulrike Flach [FDP]: Haben wir gar nicht!)

ollten wir uns erst einmal darüber verständigen, inwie-
ern sich dieser auch ethisch vertreten lässt.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Jawohl, so ist es! – Ulrike Flach [FDP]: Wir haben über die Ethik geredet!)


ch füge hinzu, dass wir auch nicht aus vermeintlich
irtschaftlichen Gründen übersehen dürfen, welchen
roßen politischen Wert der Stammzellkompromiss für
ie Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland ge-
abt hat.


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist nicht erkennbar!)

eiterhin gilt, was Grundlage der Entscheidung des
undestages gewesen ist: Die Zerstörung eines Embryos
ur Herstellung von embryonalen Stammzellen verstößt

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13477


(A) )



(B) )


Thomas Rachel

gegen die Menschenwürde des Embryos und dessen
Recht auf Leben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Da sind Sie ziemlich alleine!)


– Frau Flach, da bin ich nicht alleine. Das war nämlich
die Mehrheitsmeinung des Deutschen Bundestages.


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Und der Bevölkerung! – Ulrike Flach [FDP]: Aber nicht der Bevölkerung!)


Diese ethische und verfassungsrechtliche Bewertung
hängt auch nicht von der Entwicklung der Gesetzgebung
in unseren Nachbarländern ab.

Für die embryonale Stammzellforschung werden etli-
che Heilversprechen ins Feld geführt. Keines hat sich
bisher konkretisiert.


(Ulrike Flach [FDP]: Kann es auch nicht! Die forschen, Herr Rachel!)


Greifbare positive Ergebnisse mit Therapien sind bislang
nicht im Bereich der embryonalen Stammzellen erzielt
worden; allerdings gibt es interessante Ansätze im Be-
reich der adulten Stammzellen. Ich will hier nur die Er-
folge von Bodo Strauer in Düsseldorf erwähnen, der mit
adulten Stammzellen Herzinfarktpatienten hat helfen
können. Wir brauchen eine verstärkte Förderung in die-
sem Bereich der ethisch unproblematischen Forschung.

Ferner zeichnen sich unter Umständen Möglichkeiten
ab, embryonale Stammzellen ohne die Zerstörung von
Embryos zu gewinnen. Der Neurophysiologe Professor
Hescheler verfolgt zurzeit diese Idee, bei der Stammzel-
len aus einer Blastozyste entfernt und gewonnen werden
können, ohne dass die Blastozyste und der Embryo zer-
stört werden. Ich finde es geradezu alarmierend, dass er
für diesen interessanten, zukunftsweisenden Ansatz trotz
zermürbender Suche keine finanzielle Unterstützung ge-
funden hat, und zwar weder bei der Deutschen For-
schungsgemeinschaft noch im Förderprogramm des Bil-
dungs- und Forschungsministeriums. Dies muss uns zu
denken geben, wenn es uns gemeinsam darum geht, wie
auf nicht umstrittenen Wegen neue Stammzelllinien ge-
wonnen werden können.

Wir sollten nicht voreilig unsere grundlegenden Über-
legungen über Bord werfen


(Ulrike Flach [FDP]: Voreilig ist das nicht!)

und uns in Fragen der Menschenwürde und des Lebens-
schutzes von anderen Ländern in unseren anerkannten,
überlegten ethischen Standards relativieren lassen.


(Ulrike Flach [FDP]: Die Schweiz hat doch dieselben Standards!)


Unser nach intensiver Diskussion in diesem Hause ge-
fundener Kompromiss ist tragfähig, er beruht auf einer
ernsten Debatte und er hat auch eine friedensstiftende
Wirkung in Deutschland gehabt. Diesen Kompromiss
nach so kurzer Zeit anzugreifen, wie Sie das tun, er-
scheint mir weder nötig noch sinnvoll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D Lassen Sie mich abschließend sagen: Menschenürde ist ein Maßstab auch für die Forschungsfreiheit. er Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in eutschland, Bischof Huber, hat sehr klug ergänzt: Ein Gebrauch der Freiheit zur Forschung, der die Menschenwürde selbst relativiert oder gar aushöhlt, hebt sich selbst auf. Je exponierter Forschungen sind, desto sorgfältiger ist das zu bedenken. ch denke, er hat mit dieser Bemerkung Recht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Aber die Schweiz ist auch ein christliches Land!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514512700

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom
ündnis 90/Die Grünen.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514512800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

nd Kollegen! Das Ergebnis des Schweizer Volksent-
cheides zur verbrauchenden Embryonenforschung ist
atsächlich sehr bemerkenswert. Immerhin hat sich die
ehrheit eines Volkes, welches als konservativ und an
hristlichen Grundwerten orientiert gilt, für den Ver-
rauch von überzähligen humanen Embryonen zu For-
chungszwecken ausgesprochen. Bemerkenswert ist da-
ei vor allem, dass dies nur mit dem Töten dieser
mbryonen möglich ist. Damit ist ein wichtiger Grund-
atz der christlichen Ethik – der Schutz des Lebens auch
on Embryonen und der Menschenwürde der Embryo-
en – verletzt.
Triebfeder der Volksentscheidung ist die Heilserwar-

ung, die viele Menschen in der embryonalen Stamm-
ellforschung sehen.


(Zuruf von der FDP: Zu Recht!)

s wird immer wieder angeführt, dass man alles unter-
ehmen müsse, um die Menschen von Geißeln wie Alz-
eimer, multipler Sklerose und anderen bisher unheilba-
en Krankheiten zu befreien. Dies ist ohne Zweifel ein
ichtiges Ziel der Forschung, das nicht ernsthaft infrage
estellt werden kann.


(Ulrike Flach [FDP]: Sollten wir das nicht tun?)


Dennoch ist eine nähere Betrachtung notwendig,
eine Damen und Herren von der FDP. Ich möchte in
iesem Zusammenhang drei entscheidende Fragen stel-
en.
Erstens: Sind die Heilsversprechungen in der embryo-

alen Stammzellforschung wirklich haltbar und realis-
isch?


(Werner Lensing [CDU/CSU]: Und verantwortbar?)


13478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Hans-Josef Fell

Zweitens: Gibt es nicht auch Alternativen, die eine

ähnliche Heilserwartung versprechen, ohne die ethi-
schen Grundsätze infrage zu stellen?

Drittens: Gibt es gar vernachlässigte Krankheitsberei-
che, die eine stärkere Forschungsunterstützung benöti-
gen, aber keine oder keine angemessene Unterstützung
bekommen, weil zum Beispiel das kommerzielle Inte-
resse daran fehlt?


(Ulrike Flach [FDP]: Das steht Ihnen als Regierungspartei frei!)


Die Beantwortung aller drei Fragen führt mich zu der
Erkenntnis, dass die Forschung an Stammzellen aus hu-
manen Embryonen nicht notwendig ist und daher die
Menschenwürde von Embryonen nicht der Forschungs-
freiheit geopfert werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur ersten Frage: Neuere Erkenntnisse gerade aus den
jüngeren Kongressen von Alzheimerforschern belegen
immer deutlicher, dass die Heilserwartung nicht beleg-
bar ist. Immer mehr Forscher sehen in einer Stammzell-
therapie keine oder nur geringe Heilungsmöglichkeiten.
Trotz großer Forschungsanstrengungen in den letzten
Jahren gibt es praktisch keine positiven Forschungser-
gebnisse.


(Ulrike Flach [FDP]: Das haben die Schweizer anders gesehen, Herr Fell!)


Es gehört auch zu einer verantwortungsvollen Politik,
keine unrealistischen Heilserwartungen bei Kranken zu
wecken. Denn auch dies ist in ethischer Hinsicht ver-
werflich.

Zur zweiten Frage: Mit adulten Stammzellen oder mit
Stammzellen aus Nabelschnurblut gibt es Alternativen
zu embryonalen Stammzellen. Mein Kollege Reinhard
Loske hat einige Beispiele genannt; ich könnte die Liste
der Beispiele noch weiter fortführen, etwa mit adulten
Stammzellen zur Bekämpfung von Blasenschwäche
– das sind große Erkenntnisse – oder mit der Gewinnung
von Stammzellen aus der Bauchspeicheldrüse. Es gibt
eine beachtenswerte Liste von Erfolgen, die mindestens
ähnliche Potenziale erwarten lassen wie die embryonale
Stammzellforschung, aber ohne die damit verbundenen
ethischen Probleme.

Zur dritten Frage: Es gibt eine große Anzahl von
Krankheiten, für die es weltweit nur wenige wirksame
Medikamente gibt. Dennoch gibt es kaum Forschungs-
anstrengungen der öffentlichen Hand oder der privaten
Wirtschaft, obwohl Millionen von Menschen darunter
leiden. Ein Beispiel ist die Schlafkrankheit, die 60 Mil-
lionen Menschen südlich der Sahara bedroht und für die
es bis heute kein wirksames Heilmittel gibt. Zu diesen
vernachlässigten Krankheiten gehören auch die Chagas-
Krankheit oder die Leishmaniose. Das alles sind Krank-
heiten, die Millionen von Menschen leiden und sterben
lassen.

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(C (D Bei diesen vernachlässigten Krankheiten gibt es ein ffensichtliches Marktversagen. Es gibt nur wenige Poliiker, die sich darum kümmern. Es gibt weltweit keine ennenswerten Forschungsmittel dafür (Ulrike Flach [FDP]: Aber das können Sie doch umschichten!)


nd es gibt schon gar keine Pharmakonzerne, die sich
rnsthaft darum bemühen.
Auch bei diesen Krankheiten gibt es das Argument

er Heilserwartung. Aber da sie in den ärmsten Weltre-
ionen auftreten, werden kaum Geschäfte durch den
erkauf von Medikamenten gegen diese Krankheiten er-
artet. Dieser bedauerliche Zustand wirft ein besonderes
icht auf die Heilserwartung bei der Stammzellfor-
chung aus humanen embryonalen Stammzellen. Offen-
ichtlich ist hier neben der Heilserwartung die kommer-
ielle Gewinnerwartung eine wichtige Triebfeder.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich stimme Herrn Rachel zu: Die Stammzelldebatte
arf keine reine Wirtschaftsdebatte sein. Wir sollten die
orschung in der Medizin viel stärker an den Krankhei-
en der gesamten Menschheit und weniger an Medika-
enten ausrichten, die nur von einem ganz kleinen Teil
er Menschen bezahlt werden können. Jedenfalls sollten
ir Medikamentenforschung viel stärker an solchen Kri-
erien ausrichten. Ethische Probleme wie zum Beispiel
er Schutz der Menschenwürde von Embryonen sind
ann nicht berührt. Das deutsche Stammzellgesetz lässt
ier ausreichend Forschung zu. Eine Aufgabe des Em-
ryonenschutzgesetzes ist nicht notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514512900

Das Wort hat jetzt der Kollege Werner Lensing von

er CDU/CSU-Fraktion.


Werner Lensing (CDU):
Rede ID: ID1514513000

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

en! In meinem ständigen objektiven Bemühen, einer
erson oder einer Sache gerecht zu werden, habe ich we-
ig Anlass, Ihnen, Herr Kollege Fell, uneingeschränkt
eizupflichten. Es tut mir ein bisschen Leid für Sie, aber
eute bin ich ganz auf Ihrer Seite.


(Heiterkeit)

Ich habe großen Respekt vor der Entscheidung unse-

es Nachbarn Schweiz und dessen ehrwürdiger Demo-
ratie. Aber ich meine, dass sich die Schweizer mit ih-
em aktuellen Votum auf Dauer keinen ausreichenden
efallen getan haben dürften. Offensichtlich bildet die
ulassung der nunmehr wenig eingeschränkten For-
chung mit embryonalen Stammzellen eine weitere
tappe bei der Verschiebung ethischer Wertmaßstäbe –
nd dies nicht in Richtung Fortschritt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13479


(A) )



(B) )


Werner Lensing

Die Schweizer Regelung mit all ihren Auswirkungen
– bis hin zum therapeutischen Klonen – findet bei mir
keine Zustimmung, ebenso nicht in diesem Zusammen-
hang das 7. Europäische Forschungsrahmenprogramm.

Mit dem Verzicht auf eine Stichtagsregelung in der
Forschung an humanen embryonalen Stammzellen wird
ein erster Anreiz – man muss es nach wie vor so sagen
dürfen – für die Tötung von Embryonen zum Zwecke
der Stammzellherstellung geschaffen. Bei aller Bereit-
schaft, sich zu öffnen, kann ich hierin keinen Fortschritt
erkennen.


(Ulrike Flach [FDP]: Dann müssen Sie auch die Spirale verbieten!)


Das alles dient nur der Versachlichung und Verzweckung
des Menschen.

Überragend scheint nun das Nützlichkeitsdenken zu
sein. Der Kollege Rachel hat wiederholt und zu Recht
auf die Missachtung des Lebensrechts und der Men-
schenwürde hingewiesen. Wenn die Basis für gegebe-
nenfalls gute Taten fehlt, dann fehlt die eigentlich tra-
gende Grundlage. Deswegen empfinde ich das Ergebnis
des Schweizer Volksentscheids als einen Tabubruch.

Nun wird von einigen Kritikern am deutschen
Stammzellgesetz vom 25. April 2002 kurzerhand be-
hauptet, eine fehlende Öffnung in der Stammzellfor-
schung treibe viele Wissenschaftler ins Ausland. Frau
Flach, auch Sie haben das behauptet.


(Ulrike Flach [FDP]: Jeder Zweite!)

Aber das stimmt nicht. Ich könnte Ihnen aufzählen, wer
alles unter anderem unter Einsatz von Frau Böhmer wie-
der den Weg zu uns, zum Beispiel nach Münster, in die
Kulturstätte des Münsterlandes, gefunden hat.


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Perle Westfalens!)


In Deutschland ist der Mensch in der Petrischale ge-
schützter als im Mutterleib – darauf haben wir oft hinge-
wiesen; wir alle wissen das –, was dazu führt, dass es
hier Hunderttausende Abtreibungen gibt. Dazu möchte
ich anmerken – ich nehme das auf meine Kappe –: Wenn
man sich hier große Gedanken über den Beginn und das
Werden des Lebens – ich möchte hinzufügen: damit
auch über das Ende des Lebens – macht, dann darf man
dabei die Abtreibungen nicht vergessen, nur weil der
Gedanke daran unbequem ist.


(Ulrike Flach [FDP]: Wollen Sie § 218 abschaffen?)


Planungssicherheit in der Forschungsförderung
würde uns helfen. Fokussierung auf die Genom- und
Proteinforschung würde uns dienen, diverse erweiterte
Möglichkeiten zur Einwerbung von privatem Kapital
ebenfalls. Ich erhoffe mir, dass wir alle, egal wo wir jetzt
stehen, für die Forschung Freiheit fordern und dass die
Patienten ihren berechtigten Anspruch auf medizinische
Versorgung behalten. Außerdem erhoffe ich mir, dass
wir immer die Bereitschaft zeigen, zu sagen: Wir sind
für neue Entwicklungen offen. Auch wenn ich sehr für

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(C (D ie Stichtagsregelung bin: Wir dürfen nicht nur verharen. Das meine ich sehr ernst. Gerade wenn wir im Hinblick auf die Stichtagsrege ung etwas tun müssen – vielleicht im Jahre 2005 oder 006 –, dann erwarte ich, dass die Wissenschaftler, auch ie deutschen, zuvor entsprechende Appelle und Beründungen formulieren. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen ie allerdings nicht vor. Das muss man zur Kenntnis nehen, wenn man meint, den Fortschritt auf seine Fahnen eschrieben zu haben. Ein letzter Gedanke. Eines muss ich uns allen zum etzigen Zeitpunkt mit auf den Weg geben: Das besteende Moratorium in der deutschen Stammzellforschung eicht verantwortbar aus. Ohne einen triftigen Grund zu aben, sollen und dürfen wir am Status quo unseres tammzellgesetzes nicht rütteln, zumal es auf einer paramentarischen Entscheidung basiert, die von einem beipielhaften Niveau einschließlich aller ethischen Verantortbarkeit in diesem Hause geprägt war. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514513100

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentari-

che Staatssekretär Ulrich Kasparick das Wort.

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1514513200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Wo-

henende haben sich 36 Prozent der wahlberechtigten
chweizer an einer Abstimmung beteiligt. 66 Prozent
ieser Wahlberechtigten haben einer Vorlage für ein
eues Stammzellforschungsgesetz zugestimmt. Nach
iesem Gesetz ist es möglich, an menschlichen embryo-
alen Stammzellen zu forschen sowie Stammzellen aus
berzähligen Embryonen zu gewinnen, allerdings unter
ehr strengen Voraussetzungen.
Eine ähnliche Regelung hat sich Frankreich gegeben.
enn man sich die Europakarte vor Augen führt, sieht
an, dass wir in Europa sehr verschiedene Regelungen
u dieser sehr komplizierten Frage haben. Auch die Be-
andlung dieses Themas im 6. Europäischen For-
chungsrahmenprogramm zeigt, dass wir in Europa sehr
erschiedene ethische Beurteilungen der Frage haben,
b man an embryonalen Stammzellen arbeiten sollte und
b man Stammzellen dafür gewinnen darf.
Es gibt in Europa sehr unterschiedliche Auslegungen

nd Regelungsansätze. Die Situation in Europa sieht so
us, dass bioethische Fragen in erster Linie auf nationa-
er Ebene diskutiert und entschieden werden müssen.
as haben wir mit dem vom Deutschen Bundestag im
pril 2002 beschlossenen Stammzellgesetz getan.
Diesem Gesetz ist eine sehr intensive und sehr verant-
ortungsbewusste Debatte vorausgegangen, die nicht
ur hier im Deutschen Bundestag stattgefunden hat, son-
ern auch in der Wissenschaft, in der Gesellschaft und in

13480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick

der Politik. Wir haben es uns mit diesem Thema – ich er-
innere mich an diese Debatten noch sehr gut – wirklich
nicht leicht gemacht. Die Enquete-Kommission des
Deutschen Bundestages und der Nationale Ethikrat ha-
ben sich damit befasst. Ihre in der Tendenz gegenläufi-
gen Aussagen und auch der Diskussionsverlauf selbst
bei den Debatten im Bundestag zeigen, dass es selbst auf
nationaler Ebene sehr mühsam gewesen ist, zu einer Lö-
sung zu kommen.

Dennoch ist gerade unser Stammzellgesetz ein, wie
ich finde, gelungenes Beispiel dafür, dass Politik auch in
ethischen Grenzfragen geeignete Lösungen entwickeln
kann, die einerseits gegenläufige moralische Bewertun-
gen sowie die unterschiedlichen Interessen respektieren
und andererseits klare Regelungen schaffen, durch die
sichergestellt wird, dass dieses wichtige Forschungsge-
biet in Deutschland weiterhin bearbeitet werden kann.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber Herr Clement ist anderer Meinung!)


– Der Deutsche Bundestag hat anders entschieden.
Das Gesetz trägt den ethischen Bedenken Rechnung.

Es gewährleistet die Forschung mit menschlichen em-
bryonalen Stammzellen in Deutschland. Es gewährleistet
auch, dass kein weiterer Embryonenverbrauch zur
Stammzellgewinnung veranlasst wird. Damit ergänzt
dieses Gesetz das Embryonenschutzgesetz.

Der Erste Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu
dem Gesetz, der im Juli dieses Jahres vorgelegt wurde,
ist schon angesprochen worden. Dieser Erfahrungs-
bericht zeigt: Die Regelungen haben sich im Grunde be-
währt. Die eröffneten Möglichkeiten sind von der For-
schung angenommen worden. Deutsche Forscher arbei-
ten mit diesen Stammzellen.


(Ulrike Flach [FDP]: Aber sie erklären, dass sie mehr wollen!)


Vom Robert Koch-Institut wurden bisher sieben Anträge
genehmigt. Durch die Forschung werden gegenwärtig
sowohl mit embryonalen wie auch mit adulten Stamm-
zellen neue Erkenntnisse gewonnen.

Wir werden uns in Europa weiterhin dafür einsetzen,
dass ein dauerhaft tragfähiger rechtlicher Wertekanon
entwickelt werden kann, der es auch im europäischen
Raum ermöglicht, zu mehr Gemeinsamkeiten und Stan-
dards zu kommen. Aus unserer Sicht ist eine Änderung
der geltenden nationalen Regelungen zum Umgang mit
Embryonen und menschlichen Stammzellen gegenwär-
tig nicht geboten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Weiß das der Kanzler auch?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514513300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Eichhorn von

der CDU/CSU.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


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(C (D Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der erabschiedung des Stammzellgesetzes hat die Mehrheit einer Fraktion gegen den Import embryonaler Stammellen gestimmt. Wir befürchteten bereits damals, dass it der Zulassung des Imports von Stammzellen nach eutschland die Diskussion nicht zu Ende sein würde. ach dem „Ersten Erfahrungsbericht der Bundesregieung über die Durchführung des Stammzellgesetzes“ ist ine Diskussion über die Abschaffung der Stichtagsregeung völlig überflüssig. Dieser Bericht stellt klar, dass as Gesetz die Forschung nicht behindert. Die ethische Problematik der Verwendung humaner mbryonaler Stammzellen – Frau Böhmer und andere aben das schon angesprochen – gilt unverändert. Die erschmelzung von Samenund Eizelle ist die entscheiende Voraussetzung dafür, dass ein neuer Mensch entteht. Die Existenz jedes geborenen Kindes geht darauf urück. Die Reproduktionsmedizin macht sich dieses aktum bei der IVF zunutze. Die befruchtete Eizelle in hrem frühesten Stadium hat eine enorme Potenz der ntwicklung bis hin zu einem erwachsenen Menschen it einer Lebenserwartung von durchschnittlich 5 Jahren. Der Staat ist zum Schutz und zur Förderung llen menschlichen Lebens verpflichtet – vom frühesten eginn bis zu seinem Ende. Vor diesem Hintergrund uss die Politik die Rahmenbedingungen für die Enticklung in der Forschung und deren Anwendung seten. Die Menschenwürde steht nicht zur Disposition. Sie st ein universelles Prinzip. Deshalb müssen die Würde nd der Schutz des Menschen höher stehen als die Inteessen von Forschung und Wirtschaft. (Ulrike Flach [FDP]: Aber davon leben wir beide!)

Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1514513400

ie Unverfügbarkeit des Lebens lässt nicht zu, dass Em-
ryonen zu Forschungszwecken zerstört werden.
Mit der Forschung an embryonalen Stammzellen wird

ie Hoffnung verbunden, bisher unheilbare Krankheiten
herapieren zu können. In den letzten Jahren hat sich je-
och gezeigt, dass Forscher mit den ethisch unbedenkli-
hen adulten Stammzellen sehr beachtliche Erfolge er-
ielen können. Erst Ende Oktober haben deutsche
orscher bei einem Symposium in Bern Verfahren der
ewinnung und Anwendung adulter Stammzellen vor-
estellt, welche erstaunliche Verbesserungen der Herz-
eistung oder der Leberregeneration bringen.
Adulte Stammzellen werden heute meist aus dem
nochenmark der Patienten gewonnen, bei denen die
nwendung geplant ist. Sie sind im Gegensatz zu em-
ryonalen Stammzellen nicht nur ethisch unbedenklich;


(Ulrike Flach [FDP]: Sie haben doch nicht das Potenzial!)


ei der Anwendung treten auch keine Abstoßreaktionen
uf, wie dies bei embryonalen Stammzellen der Fall ist.
aher wird der Patient von einer lebenslänglichen Medi-
amenteneinnahme verschont.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13481


(A) )



(B) )


Maria Eichhorn

Erhebliche Bedenken gegen die Anwendung humaner

embryonaler Stammzellen werden in einer neuen Studie
des Kölner Max-Planck-Institutes für neurologische For-
schung und der Universität Köln geäußert. Im Tierver-
such wurde in 75 bis 100 Prozent der Fälle die Bildung
bösartiger Tumore beobachtet,


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist doch obsolet!)

wenn embryonale Stammzellen der Maus oder daraus
abgeleitete Vorläuferzellen in Mäuse transplantiert wur-
den. Sämtliche heute vorweisbaren Therapieerfolge
beim Menschen sind auf die ethisch unbedenklichen
adulten Stammzellen zurückzuführen. Deutsche For-
scher haben daran einen herausragenden Anteil.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daher müssen wir die Forschung und Therapie mit adul-
ten Stammzellen ausbauen.

Der Druck, der von interessierter Seite immer wieder
aufgebaut wird, um eine Abschaffung der Stichtagsrege-
lung im Stammzellgesetz von 2002 zu erreichen, ist un-
nötig und geht an den Tatsachen vorbei. Deutsche
Stammzellforscher befinden sich heute im internationa-
len Spitzenfeld.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe hohen Respekt vor der Leistung der Forscher.
Die Würde des Menschen ist jedoch nicht relativier-

bar. Deshalb müssen wir auch hohe ethische Maßstäbe
für Medizin und wissenschaftliche Forschung setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die unbedingte Achtung vor jedem menschlichen Leben
muss Maßstab für unser Tun sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514513500

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von

der SPD-Fraktion.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1514513600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es passt

sehr gut, dass wir heute Morgen schon sehr viel über Kul-
tur und Werte diskutiert haben. In seinem Stück „Der Be-
such der alten Dame“ zeigt uns der Schweizer Dramati-
ker Friedrich Dürrenmatt eine reiche Frau, die nach
Jahrzehnten in ihr Heimatdorf Güllen zurückkehrt, um
sich an ihrem früheren Geliebten Alfred Ill zu rächen. Sie
bietet den Bewohnern des Dorfes sehr viel Geld an, wenn
sie ihn töten. Zunächst lehnen die Dorfbewohner dies na-
türlich im Namen von Menschlichkeit und Christentum
entrüstet ab. Nach und nach aber sieht man, dass sie alle
diese sündhaft teuren gelben Schuhe tragen, die sich ei-
gentlich keiner von ihnen leisten kann, und am Ende wird
Alfred Ill von ihnen gemeinschaftlich ermordet.

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(C (D Der Philosoph Robert Spaemann hat diese Schweizer arabel, die von der Verführungskraft von Hoffnungen nd Wünschen handelt, vor einiger Zeit auf das Thema erbrauchende Embryonenforschung übertragen. Ich ziiere ihn deshalb. Spaemann sagt: … mit der Zeit fangen sie an, zu überlegen: Was kostet es uns, diesen Menschen am Leben zu lassen, wie viele Millionen? … Und in dem Augenblick, wo sie diese Frage stellen, was kostet es uns, den Menschen am Leben zu lassen, ist im Grunde die Korruption geschehen und die Würfel sind gefallen. Denn in Wahrheit kostet es sie gar nichts, diesen Menschen am Leben zu lassen. Nur, der Tod brächte ihnen etwas, und sie verrechnen den entgangenen Gewinn als Verlust. Und so ist es auch hier. Wenn wir davon ausgehen, dass bestimmte Mittel uns nicht zur Disposition stehen, dann kann ein noch so großer therapeutischer Gewinn daran nichts ändern. Wenn man aber einmal vor Augen führt, all die Menschen, denen geholfen wird, und dann wird man gefragt: Ja und dieser winzige Embryo, das ist dir mehr wert als all diese Scharen von geheilten Menschen? – dann ist die Korruption passiert. Die Schweiz hat also am vergangenen Sonntag die gelben Schuhe“ angezogen. (Ulrike Flach [FDP]: Heißt das, dass die Schweiz korrupt ist, Herr Wodarg?)


(Ulrike Flach [FDP]: Was heißt das denn?)


en Schweizern wurde, wie uns damals auch, Hoffnung
uf Heilung von schweren Krankheiten gemacht. Der
reis für diesen möglichen Nutzen sei gar nicht so hoch,
enn überzählige Embryonen müssten ohnehin sterben
nd deshalb solle es doch erlaubt sein, sie zu töten,


(Ulrike Flach [FDP]: Sie beschimpfen ein ganzes Volk!)


m aus ihnen Chancen für die Medizin und vielleicht
hancen für Kranke zu gewinnen. Genau das haben wir
on Ihnen heute immer wieder gehört. Mit einer extra
afür entwickelten Ethik des Heilens wurde das Töten
enschlichen Lebens als angemessener Preis für den
edizinischen Fortschritt eingefordert. Für die FDP ist
as erneut ein willkommener Anlass, sehr verehrte Kol-
eginnen und Kollegen, eine Debatte vom Zaun zu bre-
hen, die wir in diesem Haus bereits vor rund drei Jahren
ntensiv und auf höchstem Niveau geführt haben.


(Ulrike Flach [FDP]: Die anderen entwickeln sich weiter!)


Ich weiß natürlich, dass das Ergebnis, zu dem die da-
alige Debatte führte, ein schwieriger Kompromiss war,
er einigen zu weit und anderen nicht weit genug ging.
ir können mit diesem Kompromiss hingegen auch in
er deutschen Forschung sehr gut auskommen – das ha-
en wir heute gehört –


(Ulrike Flach [FDP]: Das können wir eben nicht!)


13482 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Dr. Wolfgang Wodarg

und sehen keinen Grund für eine Revision des Stamm-
zellgesetzes.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Die FDP hat offenbar die Wertefrage für sich entschie-
den.


(Ulrike Flach [FDP]: Ja, wir wollen helfen!)

Sie ist bereit, am Lebensanfang und am Lebensende


(Ulrike Flach ende?)


menschliches Leben aus Nützlichkeitserwägungen bzw.
aus zivilrechtlichen Erwägungen zur Disposition zu stel-
len.


(Ulrike Flach [FDP]: Was erzählen Sie denn!)

Man darf aber die Frage stellen, was das alles mit der
Entscheidung in der Schweiz zu tun haben soll. Die Ant-
wort darauf ist zum Glück wieder ganz einfach. Sie lau-
tet: gar nichts. An den grundsätzlichen Argumenten für
und wider ändert sich nämlich durch die Entscheidung,
die in der Schweiz getroffen wurde, nicht das Geringste.
Das scheint man aber in der FDP anders zu sehen und
ich frage mich schon: Was für eine ethische Position
steht eigentlich dahinter? „Die anderen machen das doch
auch“ ist jedenfalls kein guter und schon gar kein ethi-
scher Grund, auch dafür zu sein.


(Ulrike Flach [FDP]: Wir wollen den Menschen helfen, Sie offensichtlich nicht!)


Schauen wir uns doch Beispiele für das an, was in an-
deren Ländern alles gemacht wird. In Belgien ist bei-
spielsweise seit kurzem die so genannte aktive Sterbe-
hilfe auch in Fällen von Depression erlaubt.


(Ulrike Flach [FDP]: Wie wäre es, wenn Sie beim Thema blieben?)


Sie können dort also von einem Arzt verlangen, dass er
Sie tötet, weil Sie in Ihrer Depression keinen anderen
Ausweg sehen. Müssen wir das jetzt in Deutschland
ebenfalls zulassen, nur weil die Belgier es zulassen?


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Was sollen denn bei einem solchen Thema solche Analogien?)


Beispielsweise erlaubt Großbritannien schon seit einiger
Zeit das Klonen von menschlichen Embryonen.


(Ulrike Flach [FDP]: Sie nutzen es!)

Müssen wir das jetzt in Deutschland zulassen, nur weil
es in England erlaubt ist? Oder nehmen wir die Schweiz
selbst: Dort ist seit einigen Jahren der ärztlich assistierte
Suizid geduldete Praxis. Müssen wir ihn deshalb auch in
Deutschland erlauben?

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie
mich zum Abschluss bemerken: Wenn es um die ver-
brauchende Embryonenforschung geht, sind wir alle Be-
wohner von Güllen. Trotzdem und gerade deswegen
sollte für uns gelten: Nur weil andere gelbe Schuhe an-
ziehen, müssen wir das noch lange nicht tun.

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(C (D (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514513700

Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Mayer von der
DU/CSU-Fraktion.

Dr. Martin Mayer (CSU):
Rede ID: ID1514513800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-

ege Fell hat mehrmals von der Menschenwürde der Em-
ryonen, auch der überzähligen, gesprochen. Ich finde
iesen Ausdruck gespenstisch angesichts der Tatsache,
ass in Deutschland behinderte Föten, die außerhalb des
utterleibs bereits lebensfähig sind, straffrei getötet
erden können. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass
onseiten der Koalition etwas dagegen getan wird.


(Ulrike Flach [FDP]: So ist das!)

Anlass für die heutige Debatte ist das Ergebnis der

olksabstimmung in der Schweiz. Der Deutsche Bun-
estag hat bereits eine Entscheidung zur Stammzellfor-
chung getroffen. Der Kompromiss, dem ich damals zu-
estimmt habe, erweist sich zunehmend als Hemmnis
ür die deutsche Forschung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


r schließt nämlich die deutsche Forschung von neuen
ntwicklungen aus.
Seit der Debatte vor drei Jahren hat sich vieles getan;

as ist von den Rednern der FDP bereits gesagt worden.
ch möchte zu gegensätzlichen Meinungen, die es zur
orschung an embryonalen und an adulten Stammzellen
ibt, einige Sätze sagen. Die Forschung an embryonalen
nd an adulten Stammzellen sind zwei völlig verschie-
ene Dinge mit unterschiedlichen Zielen. Die Forschung
n embryonalen Stammzellen dient der Grundlagenfor-
chung. Bei der Grundlagenforschung ist das Ergebnis
ffen; wenn ein Ergebnis erzielt wurde, ist die Grundla-
enforschung eigentlich überflüssig. Deshalb ist die For-
erung, die Forschung müsse zu einem Ergebnis führen,
icht gerechtfertigt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, es ist auch nicht unethisch, für Menschen
orzusorgen, die erst in 20 oder 50 Jahren erkranken.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: So ist das!)


s hat sich bestätigt: Embryonale Stammzellen des Men-
chen haben eine außergewöhnliche Bedeutung für die
rundlagenforschung.


(René Röspel [SPD]: Das stimmt!)

eutsche Forscher dürfen von dieser Entwicklung nicht
usgeschlossen oder in die zweite Reihe verwiesen wer-
en, was gegenwärtig leider der Fall ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13483


(A) )



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Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)


Deshalb ist es notwendig, dass wir die Debatte der Jahre
2001 und 2002 wieder aufnehmen. Dabei darf es in den
Fraktionen im Vorfeld keine Festlegungen über das Ab-
stimmungsverhalten geben. Ich weiß, dass ich in meiner
Fraktion hier eher eine Minderheitenposition vertrete,
aber ich halte die Debatte für notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP – René Röspel [SPD]: Aber was sind denn die neuen Erkenntnisse?)


Dabei müssen wir auch Grundsatzfragen nachgehen.
Ich möchte allen Gegnern der Forschung an embryona-
len Stammzellen des Menschen die Frage stellen: Wol-
len Sie der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Israel,
Schweden und anderen Staaten ethisch begründetes, ver-
antwortliches Handeln absprechen,


(René Röspel [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

nur weil diese Länder bei der Stammzellforschung eine
forschungsfreundlichere Regelung haben als wir in
Deutschland?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)


Vor solchem Hochmut sollten wir uns hüten.

(René Röspel [SPD]: Das sagt keiner!)


Bei der Entscheidung über die Forschung an Embryo-
nen geht es im Grundsatz um den Status von so genann-
ten überzähligen oder verwaisten Embryonen. Das sind
befruchtete Eizellen aus der Zeugung im Reagenzglas,
bei denen absolut keine Chance besteht, dass sie jemals
in den Mutterleib eingepflanzt werden. Sie haben damit
nie die Chance, ein Mensch zu werden, und müssen des-
halb, wenn sie aufgetaut werden, absterben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Gegner der Forschung an diesen Embryonen stüt-
zen ihre Ablehnung im Wesentlichen auf die falsche An-
sicht, die befruchtete Eizelle sei bereits ein Mensch. Dies
ist nicht so.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist Ihre Meinung, aber nicht unsere!)


Richtig ist: Die befruchtete Eizelle kann nur unter der
Voraussetzung ein Mensch werden, dass sie sich in die
Gebärmutter einnistet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)


Deshalb muss sie auch, solange diese Chance besteht,
wie ein Mensch geschützt werden. Kann sie allerdings
kein Mensch mehr werden,


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Das ist Mindermeinung!)


kann für sie nicht der gleiche uneingeschränkte Schutz
gelten. Dann muss dem Grundrecht der Forschungsfrei-
heit und dem Interesse der lebenden Menschen innerhalb
bestimmter, vom Grundgesetz garantierter Grenzen der
Vorrang eingeräumt werden.

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(C (D Ich wiederhole: Solange auch nur die geringste konrete Aussicht besteht, dass aus einer Eizelle ein Mensch ntsteht, muss sie geschützt werden wie ein Mensch. Die efruchtete Eizelle selbst ist jedoch noch kein Mensch, ie das Ei keine Henne ist. Es gibt keine nachvollziehare Argumentation, die das Gegenteil untermauern ürde. Auch die Debatte hier hat keine neuen Gesichtsunkte gebracht. Unsere Entscheidungen aber können och nur auf nachvollziehbaren Argumenten beruhen nd nicht auf unverständlichen philosophischen Überleungen, mit denen krampfhaft versucht wird, etwas zu eweisen, was nicht der Wirklichkeit entspricht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)


Nach der Abstimmung in der Schweiz hat der Journa-
st Mattias Kamann in der Zeitung „Die Welt“ Folgen-
es geschrieben: Die Bioethikdebatte, in die Deutsch-
nd vor Jahren verfiel, erscheint „wie ein Rausch
undamentaler Erregungen, nach dessen Ende sich die
rage stellt, ob man es nicht noch einmal mit nüchter-
em Kopf versuchen sollte“. Ich werbe sehr für diesen
orschlag.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1514513900

Als letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde hat die
ollegin Nicolette Kressl von der SPD-Fraktion das
ort.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1514514000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In

ielen Berichten über die Entscheidung in der Schweiz
tand die Formulierung: Nach langem politischem Rin-
en ist ein Stammzellforschungsgesetz in der Schweiz
erabschiedet worden. – Diese Formulierung erinnert
wie ich finde, zu Recht – an die Diskussionen, die wir
ier vor zweieinhalb Jahren über die Gesetzgebung in
iesem Bereich hatten. Weil diese Debatte eine, wie Sie
ich vielleicht erinnern, sehr hochrangige, niveauvolle
ebatte war, die über die Fraktionsgrenzen hinweg ge-
ührt worden ist, bitte ich darum, dass das Niveau in die-
er Diskussion erhalten bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Dafür sind wir auch!)


Frau Flach, deshalb verbietet sich für mich ein Zwi-
chenruf wie der, den Sie gerade bei einem der Redner
us meiner Fraktion gemacht haben: Wir wollen Men-
chen heilen und Sie nicht. Ich bitte Sie wirklich, so et-
as nicht mehr zu formulieren,


(Ulrike Flach [FDP]: Aber das war die Aussage von Herrn Wodarg!)


eil das dem notwendigen Niveau dieser Debatte nicht
ngemessen ist.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


13484 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Nicolette Kressl

Ich sage Ihnen ausdrücklich, dass ich es für richtig

halte, dass es in solchen ethischen Fragen unterschiedli-
che Bewertungen und Meinungen der einzelnen Men-
schen und Abgeordneten geben kann und muss.

Aber es verbietet sich, denjenigen, die aus Gewis-
sensgründen eine andere Meinung haben, vorzuwerfen,
sie würden Forschung verhindern. Denn die Regelung,
die wir gefunden haben, ermöglicht die Grundlagenfor-
schung in Deutschland. Ich möchte Sie wirklich bitten,
dass wir anders miteinander umgehen. Alles andere wäre
Polemik, die absolut nicht angebracht ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU] – Ulrike Flach [FDP]: Das nehmen wir für uns aber auch in Anspruch!)


Das Recht der Forscher auf Forschungsfreiheit darf
nicht ausgehebelt werden. Mit unserer Entscheidung ist
es auch nicht ausgehebelt worden. Damals haben wir ab-
gewogen zwischen den Möglichkeiten, die die For-
schung haben muss, und den ethischen Ansprüchen, die
wir formuliert haben. Zu diesen Ansprüchen sollten wir
weiterhin stehen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Wir sollten einmal schauen, was die Überprüfungen

in diesem Bereich ergeben haben. Sie wissen, dass die-
ses Gesetz von der deutschen Wissenschaft angenom-
men worden ist. Es ist schon mehrfach angesprochen
worden, dass mehrere Forschungsanträge innerhalb der
gesetzten Fristen genehmigt worden sind.


(Ulrike Flach [FDP]: Um die geht es doch nicht!)


Die ersten Erfahrungen zeigen, dass sich das Stammzel-
lengesetz, das wir beschlossen haben, bewährt hat. Ich
halte es für absolut notwendig, die Ergebnisse von sol-
chen Evaluierungen ernst zu nehmen und nicht einfach
beiseite zu schieben.


(Ulrike Flach [FDP]: Frau Kressl, jeder zweite Stammzellenforscher will Deutschland verlassen!)


Ich will noch einmal ausdrücklich betonen, dass wir
im Moment keinen Grund sehen, neue Regelungen zu
treffen. Diese würden auch nur zu Verunsicherungen im
Forschungsbereich führen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da wir erst vor zweieinhalb Jahren klare und eindeutige
Regelungen getroffen haben, macht es keinen Sinn, im
Forschungs- und Wissenschaftsbereich Änderungen auf
die Schnelle durchzuführen. Dies halten wir, wie gesagt,
nicht für sinnvoll. Wir sollten uns gemeinsam vorneh-
men, in jedem dieser Fälle zwischen den berechtigten In-
teressen der Forscherinnen und Forscher und der ethi-
schen Verpflichtung der Politik abzuwägen. Daran
sollten wir uns immer halten.

Vielen Dank.

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(C (D (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514514100

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Anton
Schaaf, Sabine Bätzing, Ute Berg, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-
geordneten Jutta Dümpe-Krüger, Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbau der
Jugendfreiwilligendienste und der genera-
tionsübergreifenden Freiwilligendienste als zi-
vilgesellschaftlicher Generationenvertrag für
Deutschland
– Drucksache 15/4395 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Haushaltsausschuss

Die Fraktionen haben sich auf eine Beratungszeit von
5 Minuten verständigt. – Dazu höre ich keinen Wider-
pruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst

er Kollege Anton Schaaf für die SPD-Fraktion.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1514514200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am

onntag feiern wir den Internationalen Tag des Ehren-
mtes. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen das Eh-
enamt, die ehrenamtliche Tätigkeit und das bürger-
chaftliche Engagement aber nicht nur feiern, sondern
or allem fördern. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir
eute den von der Koalition eingebrachten Antrag „Zu-
unft der Freiwilligendienste“ im Deutschen Bundestag
eraten.
Wir möchten diesen Antrag auch verstanden wissen

ls Zeichen der Anerkennung und des Respekts für all
ie Menschen, die sich in unserem Lande in Vereinen,
erbänden, Selbsthilfegruppen und an vielen anderen
tellen engagieren.
Im vorliegenden Antrag geht es um eine besondere
und zwar um die einzige gesetzlich geregelte – Form
es Engagements: die Jugendfreiwilligendienste. Das
reiwillige soziale Jahr hat in diesem Jahr 40-jähriges Ju-
iläum, das freiwillige ökologische Jahr immerhin schon
0-jähriges Jubiläum. 300 000 junge Menschen haben
ich in dieser Zeit jeweils für ein Jahr engagiert. Entge-
en der weitläufigen Auffassung, dass sich junge Men-
chen nicht engagieren wollen, steigen die Bewerberzah-
en deutlich: Drei bis vier Bewerberinnen und Bewerber
ibt es für jeden der 15 500 Freiwilligendienstplätze.
Die Tätigkeitsfelder wurden 2002 erweitert und sind

unmehr fast ebenso vielfältig wie die Interessen junger

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13485


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Anton Schaaf

Menschen. Ein Freiwilligendienst kann als ökologisches
oder soziales Jahr, als Jahr in der Kultur, im Sport wie
auch in der Denkmalpflege im In- und im Ausland abge-
leistet werden.

Besonders auffällig ist der hohe prozentuale Anteil
junger Frauen, die bereit sind, sich freiwillig zu engagie-
ren. Dies hat sicherlich zwei Aspekte. Einer ist: Wir
müssen gemeinsam darauf achten, dass Freiwilligkeit
nicht vornehmlich weiblich bleibt. Der zweite ist, sich
vor Augen zu führen, welche enormen Potenziale in Be-
zug auf Freiwilligkeit wir bei den jungen Menschen ha-
ben. Wir sollten sie nutzen und deutlich fördern.

Vor diesem Hintergrund ist es für mich nicht erklär-
lich, warum der eine oder andere eine allgemeine
Dienstpflicht fordert.


(Beifall der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auf der einen Seite wird die Dienstpflicht gefordert; auf
der anderen Seite gibt es viele jungen Menschen, die
sich freiwillig engagieren wollen und denen wir keinen
Platz zur Verfügung stellen können.

Mit dem vorliegenden Antrag machen wir uns trotz
der bekanntermaßen schwierigen Haushaltssituation auf
den Weg, mehr jungen Menschen ein Angebot zu ma-
chen. Das wird sicher nur Schritt für Schritt gehen. Aber
in diesem Antrag ist klar das Ziel beschrieben, das wir
erreichen wollen: 30 000 Plätze im Bereich der Jugend-
freiwilligendienste. Die Träger haben angeboten, diese
Zahl an Plätzen bei entsprechender Förderung zur Verfü-
gung zu stellen. Das ist, wie ich finde, ein dankenswertes
Angebot und auch realistisch. Aufgaben und damit Ein-
satzstellen gibt es genug.

Einen Teil des Antrags haben wir in diesem Jahr so-
zusagen haushaltstechnisch schon umgesetzt. Zur Er-
richtung von Modellprojekten zum Aufbau generations-
übergreifender Freiwilligendienste stehen im Haushalt
des Familienministeriums 10 Millionen Euro bereit. Da-
mit setzen wir eine Empfehlung der Kommission „Im-
pulse für die Zivilgesellschaft“ um, die von der Bundes-
ministerin Renate Schmidt im letzten Jahr eingesetzt
worden ist.

Der vorliegende Antrag ist ein Teil der Umsetzung
des Kommissionsberichtes. Denn im Bericht der Kom-
mission heißt es, dass es unabhängig von den Fragen zur
Zukunft der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes
notwendig und richtig ist, Freiwilligendienste auszu-
bauen. Das und nur das ist mit diesem Antrag gewollt.

Die Öffnung der Freiwilligendienste für Menschen al-
ler Altersgruppen ist eine aktive, innovative Gesell-
schaftspolitik und angesichts der demographischen Ent-
wicklung vernünftig und geboten. Deshalb müssen die
schon bestehenden Jugendfreiwilligendienste verstärkt
gefördert werden. Zudem ist es notwendig, neue Formen
generationsübergreifender Freiwilligendienste zu erpro-
ben. Dabei können Menschen Verantwortung überneh-
men, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen, neue
Kompetenzen erwerben und sich persönlich wie beruf-
lich orientieren.

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(C (D Die Freiwilligendienste bieten Bildung und Orientieung und stellen zudem einen besonderen Lernort für ürgerschaftliches Engagement dar. Viele ehemalige ienstleistende sind weiterhin freiwillig oder bürgerchaftlich tätig und können sich zu Multiplikatoren für ine starke Zivilgesellschaft entwickeln. Mittlerweile hat sich ein weit verzweigtes Netzwerk ur Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements geildet. Wir gewährleisten durch unsere Arbeit Kontinuiät. Den Anfang machte die Enquete-Kommission „Zuunft des bürgerschaftlichen Engagements“. Im nterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ setzt ich die Arbeit der Enquete-Kommission fort. Zum aneren ist, unterstützt vom Ministerium für Familie, Senioen, Frauen und Jugend, das Bundesnetzwerk Bürgerchaftliches Engagement eingerichtet worden. Das sind, ie ich finde, deutliche Belege für unser politisches Enagement und für den Ausbau und die Stärkung der Enagementbereitschaft in unserer Gesellschaft. Meist haben wir die Beschlüsse dazu fraktionsüber reifend beschlossen. Ich hoffe, dass es in den weiteren eratungen auch dieses Antrags gelingt, das bisherige arteiübergreifende Interesse an einer Engagementfördeung deutlich zu machen. Vielleicht steht am Ende ein emeinsamer Antrag. Eine Kultur der Freiwilligkeit, eine selbstverständli he Freiwilligkeit, das ist das, was ich mir wünschen ürde. Sich freiwillig für das Gemeinwesen engagieren u wollen ist aus meiner Sicht allemal besser als die flicht, sich zu engagieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Am Sonntag feiern wir den Internationalen Tag des
hrenamtes. Dies ist ein Tag zum Feiern und für die Ko-
lition Anlass, unsere Ziele im Hinblick auf die Engage-
entförderung zu benennen. Ich möchte Sie auffordern
itzumachen. Zeigen Sie mit uns gemeinsam Engage-
ent für diejenigen, die sich engagieren wollen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514514300

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Dörflinger,
DU/CSU-Fraktion.


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1514514400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir am
ommenden Sonntag den Internationalen Tag des Ehren-
mtes feiern, Herr Kollege Schaaf, dann ist das ein guter
nlass für diese Debatte. Wir sind uns völlig einig, dass
uch in dieser Debatte zunächst einmal ein Dank sowie
in Wort der Anerkennung und des Respekts an all dieje-
igen, die sich in diesem Land als Freiwillige ehrenamt-
ich oder bürgerschaftlich engagieren, gerichtet werden

13486 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Thomas Dörflinger

muss. Sie werden mir nachsehen, dass ich in diesen
Dank mit besonderer Herzlichkeit die 270 00 Mitglieder
des deutschen Kolpingwerks einschließe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da sind wir tolerant!)


– Das ist schön.
Diese Männer und Frauen leisten einen wichtigen

Beitrag zum Gelingen unseres Gemeinwesens, und zwar
nicht so sehr deswegen, weil das, was sie tun, ansonsten
durch die öffentliche Hand finanziert werden müsste
– das ist nicht der wesentliche Punkt –, und auch nicht
nur deswegen, weil das, was sie in freiwilliger Tätigkeit
ausüben, möglicherweise eine Ergänzung oder Fortbil-
dung dessen sein kann, was sie beruflich tun oder zu tun
gedenken, sondern deswegen, weil das, was sie ehren-
amtlich und freiwillig tun, ein ganz wesentliches Mo-
ment für das Gelingen dieser Gesellschaft beschreibt,
nämlich dass jeder für den anderen und jede für die an-
dere etwas tun muss. Insofern, Herr Kollege Schaaf, tei-
len wir den Ansatz, den Sie in Ihrem Antrag formulieren,
Freiwilligendienste generationsübergreifend zu organi-
sieren, ausdrücklich. Wir nehmen Ihre Bereitschaft
gerne auf und signalisieren die unsrige, im Beratungs-
verfahren möglicherweise zu einem gemeinsamen An-
trag zu kommen, was dem Thema durchaus angemessen
wäre. Gestatten Sie mir allerdings, dass ich mich auch
mit einigen kritischen Bemerkungen an diesen Antrag
heranwage.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Sehr mutig!)

Erster Punkt. Herr Kollege Schaaf, Sie haben in Ihrer

Rede selbst die Frage der allgemeinen Wehrpflicht an-
gesprochen. Es wäre natürlich hilfreich, wenn Sie, allein
um dem Verdacht zu entgehen, die Freiwilligendienste
als einen Ersatz des Wehrdienstes und des Zivildienstes
zu positionieren, vorab klären würden, wie die Koalition
zu dieser Frage steht. Ich habe von dieser Stelle aus im-
mer kritisiert, dass sich Rot und Grün in dieser Frage
nicht einig sind. Jetzt haben wir insofern einen Fort-
schritt gemacht, als sich inzwischen auch die SPD in die-
ser Frage nicht mehr einig ist. Wir haben einen Bundes-
innenminister, der sich relativ unverhohlen – ich er-
wähne dies, weil Sie das Thema angesprochen haben,
Herr Kollege Schaaf – für einen allgemeinen Pflicht-
dienst ausgesprochen hat. Wir haben eine Parlamentari-
sche Staatssekretärin des gleichen Ministeriums, die öf-
fentlich davon ausgeht und es auch wünscht, dass die
Wehrpflicht abgeschafft wird.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Die verstehen sich nicht so besonders!)


Wir haben aber gleichzeitig auch den Bundesminister
der Verteidigung und einen Verteidigungspolitiker Ihrer
Fraktion, nämlich Reinhold Robbe, die sich vehement
für einen Erhalt der allgemeinen Wehrpflicht ausspre-
chen. Nun wäre mein Rat, dass Sie möglichst bald zu ei-
ner gemeinsamen Position finden – zunächst einmal als
SPD, aber auch als SPD-Bundestagsfraktion – und dies
nicht bis möglicherweise ins Jahr 2006 hinausschieben.

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(C (D Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ollegen Schaaf? (Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man ja nicht so stehen lassen!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514514500


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1514514600

Vom Kollegen Schaaf immer gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514514700

Bitte schön.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1514514800

In weiten Teilen stimmen wir ja überein, Herr
örflinger. Nur, würden Sie mir bitte bestätigen, dass ich
n meiner Rede ausdrücklich gesagt habe – ausdrücklich;
as ist sicherlich auch nachzulesen –, dass jenseits der
rage der Zukunft der Wehrpflicht und der Zukunft des
ivildienstes die Freiwilligendienste deutlich ausgebaut
erden müssen – so heißt es im Kommissionsbericht aus
rüssel zum Thema Zivilgesellschaft und das ist auch
or dem Hintergrund der demographischen Entwicklung
in Gebot – und dass dieser Antrag mit keinem Wort die
ehrpflicht oder den Zivildienst erwähnt, sondern sich
usdrücklich nur auf das Ziel des Ausbaus der Freiwilli-
endienste bezieht?


Thomas Dörflinger (CDU):
Rede ID: ID1514514900

Dass Sie das so gesagt haben, bestätige ich Ihnen

erne. Ich bestätige Ihnen aber auch gerne einen zweiten
unkt, und zwar dass in dem Antrag sehr wohl ein Zu-
ammenhang zwischen der allgemeinen Wehrpflicht und
em Zivildienst auf der einen Seite und dem Thema
reiwilligendienst auf der anderen Seite hergestellt wird.
n dem Antrag heißt es auf Seite 5:

Ein erster Schritt zur Transferierung von Zivil-
dienstmitteln in den Bereich der Freiwilligendienste
wurde mit der Änderung des Zivildienstgesetzes
2002 gemacht.

enn Sie einen ersten Schritt feststellen, dann gehen Sie
ffensichtlich auch von einem zweiten, einem dritten
der möglicherweise noch mehr Schritten aus.


(Nicolette Kressl [SPD]: Es geht um die Umschichtung, die sich sowieso ergibt!)


lso scheint es offensichtlich doch Mehrheitsmeinung
hrer Fraktion zu sein, dass wir von der Abschaffung von
ehrpflicht und Zivildienst auszugehen haben und dass

nsofern doch ein Zusammenhang besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist auch interessant, einen Blick auf die Genese
ieses Antrags zu werfen. Wir wurden als CDU/CSU-
undestagsfraktion vor wenigen Wochen interessanter-
eise von Verbandsseite darauf aufmerksam gemacht,
ass das zuständige Bundesministerium offensichtlich

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13487


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Thomas Dörflinger

etwas im Bereich generationsübergreifende Freiwilli-
gendienste plane. Mich hat das insofern erstaunt, als ich
zu diesem Zeitpunkt von dem Vorhaben nichts wusste.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das kann aber auch an Ihnen gelegen haben! – Ute Kumpf [SPD]: Sie sind halt nicht in der Community, Herr Dörflinger!)


Von Verbandsseite berichtete man, man sei ausdrücklich
aufgefordert worden, Projekte im Ministerium anzumel-
den, was mich zu der Frage veranlasst hat, wo denn die
Haushaltsmittel für diese Projekte veranschlagt sind. In-
teressanterweise tauchten in der Bereinigungssitzung
wie aus dem Nichts, wie Phönix aus der Asche,
10 Millionen Euro auf – wohlgemerkt: eine globale Min-
derausgabe, die nicht definiert ist, steht auch im Haus-
halt –, um diese Projekte zu finanzieren.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch geklärt, woher sie kommen!)


Ich halte das Verfahren insofern für merkwürdig, als
der zuständige Ausschuss des Deutschen Bundestages
mit dieser Frage nicht ordnungsgemäß befasst wurde,
sondern erst indem uns heute dieser Antrag vorgelegt
wird, nachdem Sie mit dem Haushalt aber bereits Fakten
geschaffen haben


(Nicolette Kressl [SPD]: Das Leben ist hart!)

und Sie mit denjenigen, die Sie sich möglicherweise als
Trägerinnen und Träger vorstellen können, zuerst reden,
bevor Sie im Deutschen Bundestag die Kolleginnen und
Kollegen mit dieser Sache konfrontieren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Man muss Kommissionsberichte ernst nehmen! – Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Daran sind wir mittlerweile gewöhnt!)


– Selbstverständlich habe ich den Kommissionsbericht
gelesen, Frau Kumpf.


(Nicolette Kressl [SPD]: Dann haben Sie ihn aber nicht verstanden!)


Darin und auch im letzten Protokoll des Unterausschus-
ses Bürgerschaftliches Engagement steht, dass man sich
mit der Frage befasse, aber nicht, dass man konkrete
Projekte plane, die in diesem Haushalt bzw. im Haushalt
des Jahres 2005 bereits Wirkung zeigen sollen. Das steht
nicht darin. Genau diesen Umstand habe ich kritisiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin der Auffassung, wir tun gut daran, den Antrag

zum Anlass zu nehmen, in der kommenden Beratung das
Thema Freiwilligendienste noch etwas umfassender in
den Blick zu nehmen, als das Gegenstand des Antrages
ist. Ich mache das an zwei Sachen fest:

Erster Punkt. Wir müssen uns auch im Interesse der
Freiwilligendienste und mit Blick auf das, was die Föde-
ralismuskommission gegenwärtig diskutiert, darüber
klar werden, und zwar fraktionsübergreifend, am besten
noch im Konsens mit den Ländern, wo das zukünftig

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(C (D essortieren soll, ob beim Bund, bei den Ländern oder ei beiden. Zweiter Punkt. Wir sollten eine Angelegenheit mit in en Blick nehmen, die die Freiwilligendienste im Ausand betrifft. (Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind alle in dem Antrag erwähnt!)


s gibt da ein Problem, welches begründet ist in unse-
em redlichen Bemühen, für eine soziale Absicherung zu
orgen, und der Definition eines Arbeitnehmerstatus in
inigen Ländern, in die wir Freiwillige entsenden. Hier
esteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Wir sollten
ie Chance nutzen, das im Beratungsverfahren mit den
etroffenen zu klären und möglicherweise einen ent-
prechenden Vorschlag zu unterbreiten.
Ich stehe einem Punkt in Ihrem Antrag sehr skeptisch

egenüber, und zwar dem Punkt, in dem es um die „Ver-
esserung der öffentlichen Wahrnehmung der Freiwil-
igendienste“ geht. Ich stelle gar nicht das redliche Be-
ühen in Abrede, dass Sie das verbessern wollen, aber
ie Erfahrung mit sämtlichen Öffentlichkeitstiteln in den
inzelplänen des Bundeshaushalts legt den Verdacht
ahe, dass es Ihnen bei der Verbesserung der öffentli-
hen Wahrnehmung weniger um das Projekt als viel-
ehr um die öffentliche Wahrnehmung des Bundesmi-
isters oder der Bundesministerin geht.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Tue Gutes und rede darüber!)


n dieser Stelle – das werden Sie uns nachsehen – sind
ir etwas skeptisch.
Ich bin der Auffassung – das gilt auch für meine Frak-

ion –, dass die beste Werbung für Freiwilligendienste
ie ist – darin sind wir uns wieder einig –, möglichst vie-
en jungen und möglicherweise auch älteren Menschen
ie Möglichkeit zu eröffnen, einen Freiwilligendienst zu
achen, um diese dann in die Lage zu versetzen, an-
chließend über ihre Erfahrungen zu berichten. Das ist
ie beste Werbung für Freiwilligendienste, die wir uns
orstellen können. Das ist wesentlich besser, als wenn
ir versuchen würden, dies werbetechnisch mit Hoch-
lanzbroschüren zu unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Interessant ist natürlich auch, dass Sie zum Schluss

es Antrages – wobei ich mir eine Bemerkung über das
erhältnis zwischen dem lyrischen Einführungsteil und
em Forderungskatalog verkneife – die Aufforderung an
ie Bundesregierung richten, zu prüfen und dann mögli-
herweise darüber zu berichten, was da zu tun ist. Ich
abe etwas Ähnliches schon einmal gelesen und mir den
ntsprechenden Abschnitt aus dem Internet gezogen.
amals hörte sich das etwas anders an:

Wir werden auf der Grundlage der Handlungsemp-
fehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“ prüfen,

diese Kommission hat ihre Arbeit abgeschlossen –

13488 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Thomas Dörflinger

wie der gesetzliche Rahmen für die Freiwilligenar-
beit weiter entwickelt werden kann und weitere Ini-
tiativen zur Verbesserung des freiwilligen Engage-
ments starten.

Das stammt aus der Koalitionsvereinbarung des Jah-
res 2002. Wenn Sie Ende 2004 die Aufforderung an die
Bundesregierung richten, das zu tun, was im Koalitions-
vertrag des Jahres 2002 steht, dann frage ich: Was ist ei-
gentlich in der Zwischenzeit, in den zwei zurückliegen-
den Jahren, geschehen, wenn Sie Ihre eigene Forderung
nach zwei Jahren wiederholen müssen?


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So lange kämpfen wir schon gegen Ihre Blockade! – Anton Schaaf [SPD]: Viel vorbereitende Arbeit!)


Meine Damen und Herren, ich betone noch einmal
ausdrücklich unsere Bereitschaft, an diesem Antrag kon-
struktiv mitzuwirken, um, wie beschrieben, möglicher-
weise ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. In die-
sem Sinne freue ich mich auf gute Beratungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514515000

Ich erteile jetzt der Kollegin Jutta Dümpe-Krüger,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514515100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Freiwilliges Engagement ist ein wesentliches Gestal-
tungselement moderner Demokratie und nachhaltiger
gesellschaftlicher Verantwortung. Mit unserem Antrag
stehen wir für eine neue Kultur der Freiwilligkeit in
Deutschland; denn unser Konzept integriert die Poten-
ziale aller Bürgerinnen und Bürger in unserem Land.

Unsere wichtigsten Forderungen sind folgende:
Erstens. Wir wollen die klassischen Jugendfreiwilli-

gendienste ausbauen, und zwar auf die 30 000 Plätze,
die uns die Träger angeboten haben. Wir wissen genau,
dass wir in diesem Bereich eigentlich noch viel mehr tun
könnten. Wir haben in unserem Antrag ausdrücklich die
Auslandsfreiwilligendienste berücksichtigt. Herr Dörflinger,
zur öffentlichen Wahrnehmung sage ich Ihnen: Wir wer-
den erst dann wieder dafür werben, dass sich mehr junge
Menschen bewerben, wenn wir mehr Plätze zur Verfü-
gung haben. Das würde im Moment überhaupt keinen
Sinn machen;


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Aber Ihre Broschüre!)


denn im Moment erleben wir, dass sich zwei bis drei Ju-
gendliche um einen Platz bewerben. Es sind also nicht
genug Plätze vorhanden, um das große Interesse abzude-
cken. Deswegen werden wir uns erst dann darum küm-
mern, wenn wieder genug Plätze für die jungen Leute
zur Verfügung gestellt werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


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(C (D Zweitens. Wir wollen Modellprojekte zum Aufbau euer, generationenübergreifender Freiwilligendienste. it dem Konzept der altersoffenen Freiwilligendienste ollen wir möglichst viele Menschen in unserem Land rreichen: ältere wie junge, die noch nicht engagiert ind, und solche, deren Engagement wir fördern und tärken wollen. Mit diesen Modellen – davon bin ich berzeugt – lässt sich auch Partizipation entwickeln. Wir önnen außerhalb bestehender Organisationen Austauschbenen schaffen. Dadurch können wir in Vereinen, Veränden und Initiativen für ein Klima sorgen, das ein ielfältiges und längerfristiges Engagement möglich acht; denn engagierte Freiwillige mit positiven Erfahungen werden als positive Multiplikatoren wirken. Meine Damen und Herren, bis heute haben sich mehr ls 300 000 Jugendliche in den klassischen Freiwilligeniensten engagiert. In den letzten zehn Jahren ist die achfrage ständig gestiegen. Seit 2002 erleben wir auch, ass sich in beiden Freiwilligendiensten mehr junge änner engagieren. Diese positive Entwicklung hängt nter anderem damit zusammen, dass das freiwillige soiale Jahr um die Einsatzfelder Kultur, Sport und Denkalpflege erweitert wurde. Wir stellen fest: Die Freiwilligendienste haben sich icht nur unter jugend-, sondern auch unter sozialund mweltpolitischen Aspekten bewährt. Sie müssen insgeamt deutlich an Anerkennung gewinnen. Diese Kultur er Anerkennung kann die Politik nicht verordnen. Aber ir können ihre Entwicklung fördern, zum Beispiel urch verbesserte Rahmenbedingungen, qualifizierte eugnisse oder Freiwilligendienstausweise. Seit der Änderung des Zivildienstgesetzes im ahre 2002 entschieden sich – ich finde das erfreulich – mmer mehr Kriegsdienstverweigerer, ein FSJ oder ein ÖJ, also ein freiwilliges ökologisches Jahr, und keinen ivildienst zu leisten. Rund 6 500 Kriegsdienstverweierer haben in den Jahren 2003 und 2004 nach § 14 c des ivildienstgesetzes ein FSJ oder ein FÖJ geleistet. Sie ngagieren sich in den Bereichen, die für den Zivildienst ypisch sind, wie Altenpflege, Behindertenhilfe und Retungsdienst. Das zeigt ganz deutlich: Hier ist bereits eine Konver ion ehemaliger Zivildienstplätze in Freiwilligendienstlätze zu beobachten. Das lässt sich auch in Zahlen festalten: Der Anteil der jungen Männer, die ein FSJ eisten, ist von 12 Prozent auf 24 Prozent gestiegen. eim FÖJ ist eine Steigerung von 27 Prozent auf 2 Prozent zu verzeichnen. Damit lässt sich doch festtellen: Mit der gesetzlichen Möglichkeit, die wir über 14 c ZDG geschaffen haben, ist eine Schnittstelle zwichen Pflichtdienst und Freiwilligendienst entstanden. iese gilt es weiter auszubauen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die Einsatzstellen beobachten darüber hinaus, dass
ie jungen Freiwilligen während ihres Dienstes eine zu-
ehmende Bereitschaft zu Engagement im Allgemeinen
ntwickeln. Das heißt, sie werden durch ihr FSJ und ihr
ÖJ dazu motiviert, sich weiterhin bürgerschaftlich zu

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13489


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Jutta Dümpe-Krüger

engagieren. Damit holen wir junge Menschen genau da
ab, wo sie sich befinden, und wir entwickeln gleichzeitig
eine starke Zivilgesellschaft und setzen Rahmenbedin-
gungen für eine neue Kultur der Freiwilligkeit.

Ich weiß nicht, ob Sie den Film kennen, in dem
250 Kinder und Jugendliche aus 25 Nationen zur Musik
von Strawinski tanzen; er heißt „Rhythm is it“. Er zeigt,
welches Potenzial Kinder und Jugendliche mit Migra-
tionshintergrund haben; sie müssen nur eine Chance be-
kommen, ihr Potenzial zu entfalten. Ich sage Ihnen, wa-
rum ich das erzähle: Dieser Film war in meinem
Bundesland Nordrhein-Westfalen der Anstoß für junge
Migranten einer technischen Berufsschule, gemeinsam
mit ihrem Lehrer zu sagen: Wir sind doch auch wer, wir
können doch auch was. Diese jungen Menschen wollen
jetzt gemeinsam mit Fachleuten in einer gelungenen Mi-
schung aus bürgerschaftlichem Engagement, Integration
und Kooperation mit Unternehmen eine Bürgerstiftung
gründen, die eine Grundlage dafür sein soll, dass jugend-
liche Migranten in Arbeit und Ausbildung kommen, in-
dem sie ein kleines Unternehmen aufbauen und dabei
auch noch etwas für die Umwelt tun: Sie wollen kleine
Blockheizkraftwerke und komplexe Regelungssysteme
bauen.

Das ist nur eine Idee für bürgerschaftliches Engage-
ment. Ich finde, es ist eine tolle Idee, es ist ein Leucht-
turmprojekt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es zeigt, welche Ressourcen in unserer Gesellschaft vor-
handen sind – wir müssen sie nur aktivieren. Es zeigt
Engagement, das auf gleichberechtigten und respektvol-
len Umgang miteinander setzt, trotz aller Verschieden-
heit. Wenn wir alle freiwilliges Engagement so verste-
hen, dann befinden wir uns, wie ich glaube, auf einem
guten Weg in eine offene und in eine tolerante Gesell-
schaft und auf dem Weg, diese offene und tolerante Ge-
sellschaft auch weiterzuentwickeln.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514515200

Das Wort hat nun die Kollegin Laurischk für die FDP-

Fraktion.


Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1514515300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ehrlich gesagt, passt der vorliegende Entwurf so gar
nicht in das Bild, das meine Fraktion bisher von der
recht guten Arbeit in diesem Bereich des zuständigen
Ministeriums unter Renate Schmidt hat. Wir mögen im
Detail anderer Auffassung sein, in der großen Linie sind
die Liberalen den Auffassungen der Ministerin oft näher
als ihre eigene Fraktion.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das müssen Sie belegen!)



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(C (D Denken Sie nur an das Thema Aussetzung der Wehrflicht; Herr Kollege Dörflinger hat es ja angeschnitten. Bürgerschaftliches Engagement und Freiwilligen ienste haben in der Öffentlichkeit einen sehr guten Ruf nd sind in einer Gesellschaft, die dem demographichen Wandel unterliegt, nicht zu unterschätzen. Wir haen diese Auffassung schon gehört – dem kann ich mich ur anschließen –: Wir müssen den Freiwilligendiensten rhebliche Aufmerksamkeit schenken. Allerdings müssen wir das dann auch mit der notwen igen Sorgfalt tun. Der Antrag, der uns hier in buchstäbich letzter Sekunde präsentiert wurde, wird dem Thema icht gerecht. Es wäre ja noch zu ertragen, dass er so urzfristig vorgelegt wird, wenn er das wichtige Politikeld substanziell bereichern würde. Leider ist das nicht er Fall: Dem Antrag ist anzumerken, dass er mit heißer adel gestrickt wurde. Aussagen wie „eine nicht genau ekannte Zahl von schätzungsweise rund“ – ich zitiere on Seite 2 – vermitteln einen Eindruck von der manelnden Sorgfalt bei der Redaktion des Antrags. Auch llgemeinplätze wie folgende Aussage helfen nicht: Die Freiwilligendienste als Lernort für bürgerschaftliches Engagement bieten einen Spielraum für Problemlösungen, die unterschiedlichsten Formen des Experimentierens und des Ausprobierens, Erfahrungsräume und Lernmöglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation. uch das steht auf Seite 2. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ja, das kann man sich auf der Zunge zergehen lassen!)

Es wäre sehr nett, wenn Sie mir zuhören würden.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das können wir trotzdem!)


Demzufolge kann ich nur hoffen, dass Form und Stil
ieser Vorlage nicht als erster Schritt für Ihre Forderung
ach „Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung der
reiwilligendienste durch Öffentlichkeits- und Informa-
ionsinitiativen“ zu verstehen sind, die auf Seite 5 Ihres
ntrages steht. Es ist auch schade, dass Sie die Ministe-
in so wenig fundiert in die Spur setzen wollen. Wir
rauen Frau Schmidt in diesem Bereich mehr zu, als Sie
ier vortragen.
Kommen wir zu einer der wenigen Aussagen im An-

rag. Sie fordern, dass im Rahmen der verfügbaren Haus-
altsmittel verbesserte Rahmenbedingungen für die Frei-
illigendienste zu schaffen sind. Abgesehen davon, dass
ie FDP unter verbesserten Rahmenbedingungen gesetz-
iche Regelungen beispielsweise zur Zertifizierung ver-
teht, was kaum haushaltsrelevant wäre, verstehen Sie
arunter anscheinend, die Anzahl der geförderten Plätze
rheblich zu erhöhen. Das wäre eine durchaus berech-
igte Forderung, wenn Sie uns gleichzeitig Ihre Vorstel-
ungen zur Gegenfinanzierung verraten würden.
Ebenso unverständlich bleibt, warum Sie den Ausbau

er Auslandsdienste und des Europäischen Freiwilligen-
ienstes berechtigterweise fordern und sich im Antrags-
itel nur auf Deutschland beziehen. Unverständlich ist

13490 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Sibylle Laurischk

auch, aus welchem Grund Sie die Einrichtung von Mo-
dellprojekten zum Aufbau generationsübergreifender
Freiwilligendienste fordern. Dies ist bereits beschlossen
und soll in 2005 umgesetzt werden.

Vollkommen unverständlich ist mir als Liberale, wa-
rum Sie wieder einmal einen Bericht einfordern wollen,
insbesondere deshalb, weil dies ein Bericht zu einem
Freiwilligendienstgesetz sein soll. Bereits am 26. Juni
2001 forderte die damalige Bundesministerin Christine
Bergmann anlässlich des Kongresses zur Zukunft der
Freiwilligendienste:

Wir müssen die Freiwilligendienste in unserer Ge-
sellschaft ausbauen und umstrukturieren.

Damit war eigentlich die Vorlage eines umfassenden
Freiwilligendienstgesetzes für das Internationale Jahr
der Freiwilligen im Jahr 2001 gemeint, welches dann nur
in der bekannten Rumpffassung verabschiedet wurde.
Wir brauchen keinen neuen Bericht hierüber, sondern die
erfolgten Vorarbeiten sind endlich in die Tat umzusetzen.

Auf Seite 3 Ihres Antrags ist von einem „Freiwilli-
gendienst für alle Jugendlichen“ die Rede. So um-
schrieben wäre der Dienst nicht mehr freiwillig, sondern
ein Pflichtdienst, wie Mitglieder der Bundesregierung
ihn bereits forderten. Die FDP lehnt jede Form des Frei-
willigendienstes, der für alle Jugendlichen verpflichtend
wäre, entschieden ab.


(Beifall bei der FDP – Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er soll für alle offen sein! Das ist ja überhaupt nicht mehr zu fassen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514515400

Ich erteile dem Kollegen Dr. Michael Bürsch, SPD-

Fraktion, das Wort.

Dr. Michael Bürsch (SPD):
Rede ID: ID1514515500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

brauchte jetzt die dreifache Zeit, um all die Irrtümer und
Missverständnisse auszuräumen, die die Kollegen beim
Lesen des Antrags in deutscher Sprache in diesen offen-
bar hineingedeutet haben.


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Ja, dann haben Sie ihn schlecht geschrieben!)


Ich nehme mir nur ganz kurz Zeit, um vier Punkte zu
nennen.

Frau Kollegin, es war keine heiße Nadel im Spiel. Wir
haben Jahre an dem Antrag gestrickt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Ergebnisse der dreijährigen Beratungen der En-
quete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen En-
gagements“


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Vorsicht, Ihre Nase wird lang!)


und die Empfehlungen der Enquete-Kommission „Im-
pulse für die Zivilgesellschaft“, die ihren Bericht Anfang
des Jahres abgegeben hat, sind darin enthalten.

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(C (D (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Scheuer [CDU/ CSU]: Herr Dr. Bürsch, bitte noch einen drauflegen!)


ch vergebe Ihnen gern, weil Sie in diesem Thema nicht
o drin sind wie wir. Das ist für mich Grund genug, Ih-
en vorzuschlagen, dass wir in ein Privatissimum gehen,
n dem ich Ihnen die 851 Seiten des Berichts der En-
uete-Kommission erkläre.


(Beifall der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


ch könnte Ihnen dann all das rauf- und runterbeten, was
n diesem hervorragenden Antrag enthalten ist.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Ist das auch ein Freiwilligendienst?)


err Kollege Dörflinger, Ihnen sage ich: Der Antrag hat
ichts mit der Wehrpflicht zu tun. Alles, was Sie in ihn
ineingedeutet haben, ist reine Kaffeesatzleserei. Auch
enn Sie die Buchstaben und Worte noch so sehr hin-
nd herwenden, es geht doch um die Freiwilligendienste.
s ist beileibe nicht das erste Mal, dass wir Gelder aus
em Zivildiensttitel umschichten.


(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das macht es aber nicht besser!)


enn Sie das in den letzten Jahren verfolgt haben, dann
issen Sie, dass die Zahl der Zivildienstplätze in den
ergangenen Jahren bereits mehrfach reduziert worden
st.


(Nicolette Kressl [SPD]: Eben! – Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Sie haben den Zivildienst kaputtgemacht!)


Es ist das Privileg einer großen Volkspartei, das abzu-
arten, was diese Partei in ihrer großen Weisheit im
ächsten Jahr entscheiden wird. Bis dahin gibt es jeden-
alls bei uns die Freiheit, sich zu äußern, ob man dafür
der dagegen ist. Das zeichnet uns aus. Wenn Sie das
icht so machen, ist das Ihre Sache.


(Beifall bei der SPD)

Herr Dörflinger, das ist keine PR-Maßnahme. Auch

a haben Sie einen Satz in Ihrem Sinne gedeutet, der das
ber gar nicht hergibt. Es geht darum, im Zuge der Ver-
esserung der öffentlichen Wahrnehmung für dieses
nstrument zu werben. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus
merika, das ich gerne anführe. Dort wird praktisch von
edem Schüler und jeder Schülerin in der elften Klasse
rwartet, dass er oder sie sich in einem Projekt engagiert
nd dies mitorganisiert, wofür zwei bis drei Stunden in
er Woche an Zeit investiert werden sollen. Am Ende
iefert er oder sie einen Bericht darüber ab, was sich im
eugnis niederschlägt. So etwas soll es bei uns im Rah-
en des freiwilligen Engagements geben, aber bisher
ibt es das noch nicht.
Ich werbe wie andere dafür, dass es bei dem Thema

reiwilligendienste wahrhaftig nicht nur um Staatsknete
eht, sondern dass wir zum Beispiel wie auch in anderen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13491


(A) )



(B) )


Dr. Michael Bürsch

Ländern die Wirtschaft mit ins Boot nehmen. Das ist die
Werbung für das Projekt Freiwilligendienste, die wir
meinen. Sie werden keine Hochglanzbroschüren bekom-
men.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Da würden wir gerne hineinschauen!)


Es wird darum gehen, dass wir für dieses wichtige Pro-
jekt gemeinsam mehr Mitstreiter finden.

Herr Dörflinger, das können Sie wahrscheinlich auch
nicht wissen: In den letzten zwei Jahren ist etliches pas-
siert, was die Freiwilligendienste betrifft. Es ist darauf
verwiesen worden, dass die Enquete-Kommission unter
meinem Vorsitz eine Reihe von Vorschlägen auch zu
dem Thema Freiwilligendienste gemacht hat. Wir haben
dann – das ist eine erstmalige Einrichtung – einen Unter-
ausschuss installiert, damit diese ganzen Empfehlungen
– so praktisch sie auch sind – nicht irgendwo im Bücher-
schrank verschwinden. Das ist mit dem Unterausschuss
„Bürgerschaftliches Engagement“ gelungen.

Ich lade Sie überaus herzlich ein: Kommen Sie alle
vier Wochen am Mittwoch zu uns, um zu sehen, was sich
bei jeder Sitzung praktisch verändert. Das Thema
„Schutz der Engagierten“ haben wir in den letzten an-
derthalb Jahren wirklich vorangebracht; allein dazu kann
ich Ihnen einen Meter an Material vorlegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Anton Schaaf [SPD]: Das kann ich bestätigen!)


Das betrifft auch die Freiwilligen im In- und Ausland.
Es ist also einiges passiert. Der Fortschritt ist zwar

– das wissen wir alle – eine Schnecke, aber sie bewegt
sich voran.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Vor allem unter Rot-Grün!)


Das Schönste ist, dass wir uns bei diesem Thema ins-
gesamt, wenn ich einmal diese manchmal etwas klein-
karierte Kritik außen vor lasse, einig sind. Bei den Frei-
willigendiensten muss etwas geschehen. Das Neue, das
in diesem Antrag enthalten ist – ich bitte Sie, dem Klub
beizutreten bzw. mit ins Boot zu kommen –, ist der gene-
rationenübergreifende Ansatz. Wir werden nur gesell-
schaftlich bestehen können, wenn wir bei der demogra-
phischen Entwicklung, die wir alle voraussehen können,
Jung und Alt zusammenbringen.

Es gibt hier viele gute Beispiele; die Kollegin
Dümpe-Krüger hat eins genannt. Mir ist ein anderes zur
Kenntnis gebracht worden. Bei der Kölner Initiative „Ju-
gendhilfe und Schule“ arbeiten deutsche Senioren mit
ausländischen Jugendlichen zusammen. Das ist ein wun-
derbares Projekt des gegenseitigen Kennenlernens und
des Diskutierens. Die Älteren geben ihre Erfahrungen
weiter und machen sich damit vertraut, wie junge aus-
ländische Menschen denken, die vielleicht etwas anders
sind. Umgekehrt hat dieser Austausch durchaus einen er-
hellenden Wert für die jungen Ausländer, wenn sie von
Älteren etwas lernen und ihnen im Rahmen ihrer Mög-
lichkeiten helfen. Von dieser Art gibt es viele Projekte.

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(C (D Wir haben einige Möglichkeiten, diesen Projekten echnung zu tragen. Heute Abend wird zum Beispiel in iner Feier der Preis der Sparkassen vergeben. Damit erden Projekte zum Thema Jung und Alt gewürdigt. ieses Stichwort durchzieht unsere ganze Arbeit und ieht sich wie ein roter Faden durch den Enquete-Bericht nd den Kommissionsbericht des Familienministeriums ber die Zivilgesellschaft. Was wir in der Tat tun müssen – Herr Dörflinger, das aben Sie am Anfang sehr schön gesagt –: Wir können icht oft genug anerkennen, was die 23 Millionen engaierten Menschen in Deutschland machen. Das ist wirkich ein Sozialkapital erster Güte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


n dieser Stelle zitiere ich gerne den alten Konfuzius:
an ahnt ja gar nicht, wie viel Lob man vertragen kann.
as sollten wir beherzigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514515600

Von vielen Geburtstagsfeiern weiß man, dass die Be-

roffenen ein erhebliches Volumen vertragen können.

(Heiterkeit)


Nun hat das Wort der Kollege Andreas Scheuer für
ie CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514515700

Hoch geschätzter Herr Präsident! Verehrte Kollegin-

en und Kollegen! Meine Damen und Herren!

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das fängt ja gut an!)

Das fängt gut an, Herr Kollege. – Der kommende
onntag ist der Tag des Ehrenamtes. Die CDU/CSU-
undestagsfraktion dankt sehr herzlich allen ehrenamt-
ich und freiwillig Engagierten. Die Aktiven leisten ei-
en unschätzbaren Dienst für unsere Gesellschaft. Sie
erkörpern eine solidarische Leistungsgesellschaft, in
er es ein Zusammenspiel von Rechten, aber auch
flichten für die Bürger gibt und in der mehr Verantwor-
ung und weniger Vollkaskomentalität mit staatlicher
undumversorgung vorherrschen. Wir als Unionsfrak-
ion wollen im Deutschen Bundestag mithelfen, das
lima für bürgerschaftliches Engagement weiter zu ver-
essern. Ich spreche auch im Namen von Klaus Riegert,
nseres Obmanns im zuständigen Unterausschuss, in
em wir fraktionsübergreifend in einem guten Klima zu-
ammenarbeiten.
Heute debattieren wir über einen besonderen Teil bür-

erschaftlichen Engagements, die Freiwilligendienste.
iele Menschen bringen ihre Potenziale in die Gesell-
chaft ein, ob Jüngere oder Ältere. Ich danke den Frei-
illigen jedes Alters für ihren Einsatz. Jugendfreiwilli-
endienste erfahren einen regelrechten Run. Es mag an

13492 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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(B) )


Andreas Scheuer

den Problemen in der Wirtschaft und auf dem Arbeits-
markt liegen – ausgelöst durch eine miserable Politik
von Rot-Grün –,


(Widerspruch bei der SPD – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das war nun überflüssig!)


dass junge Menschen hierin eine Chance sehen, wenn sie
keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bekommen ha-
ben.

Was ich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass es
so viele junge Bewerber für den Freiwilligendienst gibt.
Vielerorts hat sich das Image von Jugend über die Jahre
leider nicht verändert. Jeder kennt die Vorurteile, die he-
rumgeistern, und die Eigenschaften, die man jungen
Menschen zuschreibt. Hat sich etwas grundlegend seit
der babylonischen Toninschrift vor einigen Tausend Jah-
ren vor Christus geändert, die lautet: Jugend ist träge,
gottlos und faul und verachtet die Eltern? Das entspricht
nicht der Realität. Auch die Politik kann dabei mithelfen,
diese Vorurteile abzubauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Da hat er Recht! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das alte Babylon!)


– Ich bin richtiggehend überrascht, dass ich einmal von
der SPD Applaus bekomme.

Rund drei junge Bewerber auf einen Freiwilligen-
dienstplatz sprechen eine andere Sprache. Unsere Ju-
gend will sich in die Gesellschaft einbringen und mithel-
fen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion findet es Spitze,
dass sich junge Menschen für Ehrenamt und Freiwilli-
gendienst interessieren. Das ist eine Investition in die
Zukunft unserer Gesellschaft. Unser Staat wäre schlimm
dran, wenn es dieses Engagement nicht gäbe. Aber wir
müssen auch mithelfen, dass sich das Image und die An-
erkennungskultur verbessern. Die Fleißigen dürfen in
unserer Gesellschaft nicht die Dummen sein.

Jetzt flattert uns ein Antrag von Rot-Grün in die Bü-
ros. Ich sage das deshalb so flapsig, weil darin sehr viel
Prosa geboten wird. Den Text, meine Damen und Herren
von der Koalition, können Sie gut für Sonntagsreden be-
nutzen. Er ist windelweich, wenig verfänglich, wenig
konkret, aber er hört sich halt gut an. Viele Worte wie
„grundsätzlich bewährt“, „könnte“, „hätte“ und „sollte“
kommen darin vor. Was wollen Sie denn?


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das steht am Ende des Antrags!)


Werden Sie konkreter und mutiger! Wir nehmen gerne
Ihre Einladung an, Herr Kollege Schaaf, uns bei den fol-
genden Beratungen zusammenzusetzen, um eine Lösung
zu finden. Wenn wir bei den Inhalten zusammenkom-
men, helfen wir Ihnen auch gerne, den Antrag zu schrei-
ben, damit etwas Konkretes herauskommt.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Konjunktiv ist doch ein ehrenwerter Fall!)


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(C (D er ganze Themenkomplex spiegelt die Widersprüchichkeit von Rot-Grün wider. Es ist falsch, wenn man daei Wehrpflicht und Zivildienst ausblendet. Das gehört u einer Gesamtbetrachtung. Erstens. Bei der Wehrflicht haben wir zwei aufeinander zurasende Miniserien. Der Verteidigungsminister will die Wehrpflicht eibehalten, die Familienministerin will sie abschaffen. benso verhält es sich mit der SPD. Ein Teil ist für die ehrpflicht, ein Teil dagegen. Zu allem Überdruss zickt ier auch noch ein Koalitionspartner herum und will eine ntscheidung. Ich wünsche der Koalition viel Spaß daei, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Entscheiung zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr macht das ja alles untereinander selbst!)


Zweitens. Beim Zivildienst haben wir dasselbe He-
umeiern. Ständig gibt es Blockaden für die Träger, es
indet ein Hinauszögern und Auf-Zeit-Spielen statt. Da-
ei werden Strukturen zerstört.


(Anton Schaaf [SPD]: Na, na!)

Die Ministerin – sie hatte gestern ihren Auftritt bei
erner; vielleicht muss sie sich noch ausruhen, aber die
taatssekretärin kann es ihr mitteilen –


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du hast Zeit gehabt, es zu schauen!)


eht damit hausieren, dass die 800 Millionen Euro für
en Zivildienst auch bei einer Abschaffung den Trägern
ur Verfügung stehen, um diese zu beruhigen. Da wer-
en wir genau hinschauen müssen.
Drittens. Jetzt komme ich zum Freiwilligendienst.
atürlich gehören die Punkte zusammen, weil Rot-Grün
ie Abschaffung des Zivildienstes durch die Freiwilli-
endienste auffangen will. Aus dem vorliegenden An-
rag lese ich heraus, dass Sie, meine Damen und Herren
on der Koalition, vor allem den Ausbau der Jugend-
reiwilligendienste wegen der hohen Nachfrage garan-
iert bekommen wollen. Das ist grundsätzlich okay.


(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

ber wie soll man Folgendes bewerten? Im Internet
irbt das Ministerium vor allem mit den generations-
bergreifenden Freiwilligendiensten, also vor allem mit
er Zielgruppe ältere Menschen.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


ie Koalitionsfraktionen wollen mehr Jugendfrei-
illigendienste. Und der zuständige Staatssekretär
uhenstroth-Bauer führte dazu in der Sitzung des Bun-
esrates am 2. April 2004 aus:

Der mit der Entschließung geforderte Ausbau der
Jugendfreiwilligendienste wäre somit nicht zielfüh-
rend und angesichts der Lage der öffentlichen
Haushalte wohl auch kaum finanzierbar. Denn er
würde nicht nur auf Bundes-, sondern vor allem auf

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13493


(A) )



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Andreas Scheuer

Länderseite zusätzliche Haushaltsmittel vorausset-
zen …


(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Kehrtwende oder was?)


Da haben wir den Beweis doch schwarz auf weiß! Was
wollen Sie? Stellen Sie die Mittel für den Ausbau end-
lich bereit oder nicht? Bei dem Schlingerkurs soll sich
noch einer auskennen.


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Antrag vorgelegt, damit das passiert, Herr Scheuer! Sie haben ihn nicht gelesen! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sie zeichnen sich durch eine Leseschwäche aus!)


Sie laden uns ein, mitzumachen. Das ist in Ordnung.
Miteinander reden kostet nichts. Wir werden sehen, was
sich daraus ergibt. Die Opposition muss Ihnen wieder
einmal dabei helfen, aus Ihrer Vielstimmigkeit herauszu-
finden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Scheuer, Sie kommen doch aus Bayern! Sie haben ja Erfahrung mit Widerspenstigen in der CSU!)


Den im Antrag enthaltenen Prüfauftrag – er wurde
schon angesprochen –, inwieweit ein Bundesfreiwilli-
gendienstplan und ein Freiwilligendienstgesetz die Frei-
willigendienste nachhaltig sichern und fördern könnten,
können wir unterstützen; denn diese Forderung ist nicht
neu.


(Abg. Anton Schaaf [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514515800

Herr Kollege.

Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514515900

Lassen Sie mich noch den Gedanken zu Ende führen.
Dem Ministerium stehen Haushaltsmittel zur Verfü-

gung, um Modellprojekte im Freiwilligendienst durch-
zuführen.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Seehofer dazu?)


Ich möchte an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen,
aber es wurden in einer Hauruckaktion 10 Millio-
nen Euro sozusagen aus der Hüfte geschossen,


(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren 11 Millionen!)


die nicht im Haushaltsentwurf aufgeführt waren,

(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

sondern erst in einer Bereinigungssitzung eingebracht
wurden.

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(C (D Nun hat sich der Kollege Schaaf zu der vorbestellten wischenfrage gemeldet. Herr Kollege Schaaf hat sich die Frage schon lange berlegen können. Wenn meine Redezeit entsprechend erlängert wird, dann kann er sie gerne stellen. Was Ihre letzten Sätze angeht, wäre es sinnvoll, wenn s von Ihrer Redezeit abgezogen würde. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514516000
Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514516100
Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1514516200
ber lassen wir das beiseite.
Sehr geehrter Herr Kollege Scheuer, würden Sie mir
echt geben, dass sich das Zitat von Staatssekretär
uhenstroth-Bauer auf einen im Bundesrat eingebrach-
en Antrag des Bundeslandes Saarland zum Ausbau der
ugendfreiwilligendienste bezog und dass die Antwort
esagte, dass prioritär die generationsübergreifenden
reiwilligendienste aufgebaut werden müssen – weil
iese noch nicht existieren –, ohne die Jugendfreiwilli-
endienste zu gefährden, und dass die Koalition mitge-
eilt hat, dass sie Mittel im Haushalt eingestellt hat, dass
rste Projekte gemeldet worden sind, dass die generati-
nsübergreifenden Freiwilligendienste im kommenden
ahr anlaufen werden und dass im nächsten Haushalts-
ahr die Jugendfreiwilligendienste gestärkt werden sol-
en? Würden Sie konstatieren, dass sich die Antwort von
uhenstroth-Bauer hinsichtlich des Ausbaus der Freiwil-
igendienste auf den Antrag des CDU-regierten Saar-
ands bezog?


(Nicolette Kressl [SPD]: Sagen Sie einfach ja!)



Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514516300

Herr Kollege Schaaf, der Staatssekretär hat sich im
undesrat zu diesem Antrag geäußert. Er hat den weite-
en Ausbau der Jugendfreiwilligendienste abgelehnt.
as geht aus dem Protokoll hervor.


(Anton Schaaf [SPD]: Haben Sie auch zitiert, wann das war?)


nsofern ist es durchaus ein Kunstgriff – um zu meinem
orhin begonnenen Gedanken zurückzukehren –, in den
aushaltsberatungen plötzlich die 10 Millionen Euro in
en Haushalt einzustellen. Das ist soweit in Ordnung.
arüber müssen wir nicht diskutieren.


(Nicolette Kressl [SPD]: Warum reden Sie denn darüber? – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür sind wir doch im Bundestag, um den Haushalt aufzustellen!)


uch die Verpflichtungsermächtigung über weitere
Millionen Euro ist in Ordnung. Das Problem besteht
ber darin – das hat auch der Staatssekretär festgestellt –,
ass der weitere Ausbau der Freiwilligendienste nicht

13494 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Andreas Scheuer

zielführend ist. Wir prangern die Vielstimmigkeit zwi-
schen der Koalition und der Regierungsbank an.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Das war aber geeiert! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Fragen Sie die Regierungsbank! Die kann Ihnen das bestätigen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514516400

Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischen-

frage.


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514516500

Ich warte schon darauf.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514516600

Ich möchte aber wechselseitig um etwas Disziplin bit-

ten. Es muss nicht unbedingt sein, dass jeder, der ohne-
hin als Redner gemeldet war und bereits gesprochen hat,
noch eine Zwischenfrage stellt.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Aber wenn es doch der Wahrheitsfindung dient!)


– Wenn es der Wahrheitsfindung diente, dann wäre ich
weniger zurückhaltend, Herr Kollege.


Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514516700

Herr Kollege, ich würde Ihnen gerne eine Frage stel-

len, die hoffentlich der Wahrheitsfindung dient. Würden
Sie mir zustimmen, dass wir nicht 10 Millionen, sondern
11 Millionen Euro nicht gerade aus der Hüfte geschos-
sen haben, wie Sie es formuliert haben, sondern aus den
Mitteln des Zivildienstes in den Haushalt eingestellt ha-
ben, und zwar 1 Million Euro für die klassischen Ju-
gendfreiwilligendienste und 10 Millionen Euro für die
neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienste?


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Eine gute Frage!)



Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514516800

Herr Kollege Bürsch, das ist eine hervorragende

Frage ist; das kann ich nur bestätigen.
Frau Dümpe-Krüger, wir prangern das Vorgehen an.

Sie hätten schon im Haushaltsentwurf deutlich machen
können, dass Sie Geld aus dem Zivildiensttitel heraus-
nehmen. Es gibt keine Planungssicherheit auf diesem
Gebiet. Man muss sich ja nur vor Augen führen, welche
Meinung der Staatssekretär laut Protokoll vor ein paar
Wochen vertreten hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist ein Dreivierteljahr her! Das kann er doch gar nicht gewusst haben!)


– Bei euch ändert sich schnell etwas, auch die Meinun-
gen.

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(C (D Nun möchte noch der Kollege Riegert eine Zwischen rage stellen. Das ist die letzte Zwischenfrage, die ich uzulassen beabsichtige. Herr Präsident, wir können gerne noch ein bisschen eitermachen. Das mag ja sein. Bitte, Herr Riegert. Herr Kollege Scheuer, stimmen Sie mir zu, dass es ty isch für die Koalition und ihr Gebaren ist, dass wir in en Fachausschüssen – das gilt offensichtlich auch für en Sportund den Familienausschuss – nicht über solhe Anträge zu beraten haben, und dass es komisch ist, ass das, was in der Bereinigungssitzung des Haushaltsusschusses beschlossen wurde – der Kollege Dörflinger at ausgeführt, dass dieser Punkt bereits in der Koaliionsvereinbarung 2002 enthalten sei, und der Kollege ürsch hat richtigerweise gesagt, dass man an dem voriegenden Antrag jahrelang gearbeitet habe –, im Famiiensausschuss nicht beschlossen werden konnte? Herr Kollege Riegert, mit Abscheu und Empörung eise ich das Gebaren der Bundesregierung zurück. Daür gibt es schon mehrere Beispiele. Als stellvertretendes itglied des Haushaltsausschusses ist man öfter mit so twas betraut. Der anwesende Kollege Fricke wird siherlich bestätigen, dass erst gestern dem Haushaltsauschuss gut 1 Milliarde Euro kurz zur Kenntnis gegeben urde. So sieht das Gebaren der Bundesregierung aus. ch bedanke mich herzlich für Ihre Frage; denn sie hat ir Gelegenheit gegeben, das der deutschen Öffentlicheit klar zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514516900
Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514517000

(Heiterkeit)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514517100
Klaus Riegert (CDU):
Rede ID: ID1514517200

(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: So ist es!)

Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1514517300

Ich fahre fort. Die zentrale Frage ist: Darf der Bund
zw. die Ministerin die hier zur Diskussion stehenden
rojekte überhaupt weiter ausbauen? Wir unterstützen
en Prüfauftrag, weil dann endlich geklärt sein wird, ob
ie Ministerin das ausbauen darf, was sie ständig ankün-
igt. Wie heißt es in der „FAZ“ vom 30. November die-
es Jahres:

Eine Abschaffung des Zivildienstes sei „kein Pro-
blem“, wenn ein Teil des Geldes für die Freiwilli-
gendienste verwendet werde, sagte die für den Zi-
vildienst zuständige Ministerin.

ch weiß nicht, inwieweit die Ministerin das Grundge-
etz beachtet. Vielleicht geht sie ja nach dem Prinzip
or: Wenn schon der ganze Haushalt verfassungswidrig
st, dann spielt es ohnehin keine Rolle mehr, wie ich

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13495


(A) )



(B) )


Andreas Scheuer

– gleichsam als Kavaliersdelikt – meinen Haushalt hand-
habe.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sollten die Fußnoten des Kommissionsberichtes

lesen.

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oberlehrer!)

Auf Seite 11 befindet sich ein kleines Sternchen mit gro-
ßer Bedeutung – ich gebe zu, dass man bei Augenpro-
blemen eine starke Lesebrille braucht; aber ich helfe Ih-
nen –:

Eine Mitfinanzierung neuer Modellvorhaben durch
den Bund setzt bei der derzeitigen Haushaltslage
eine Gegenfinanzierung im jeweiligen Haushalts-
plan voraus. Für die Finanzierung von Mindeststan-
dards zu neuen generationsübergreifenden Freiwil-
ligendiensten hat der Bund grundsätzlich keine
Finanzierungskompetenz; denn selbst wenn eine
Gesetzgebungskompetenz des Bundes für neue ge-
nerationsübergreifende Freiwilligendienste bejaht
werden könnte – was bislang ungeklärt ist –, läge
doch die Finanzierungsverantwortung aufseiten der
Länder, die diese gesetzlichen Regelungen auszu-

(Art. 30 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 104 a Grundgesetz)


Was denn nun?

(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden jedenfalls bei Ihrer Parallelstrategie, den Zi-
vildienst langsam dahinsiechen und einschlafen zu las-
sen und gleichzeitig alternative Angebote aufzubauen,
sehr genau hinschauen.

Ich komme zum Schluss. Wir danken der Koalition
sehr herzlich dafür, dass sie in ihrem vorliegenden An-
trag gesellschaftspolitische Begriffe wie zum Beispiel
die „aktive Bürgergesellschaft“ aus den Programmen der
CDU/CSU übernommen hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir Ihnen zum Beispiel auch bei der Wertediskus-
sion Nachhilfeunterricht geben sollen, dann wenden Sie
sich bitte vertrauensvoll an uns. Wir haben damit kein
Problem. Nichtsdestotrotz kann das nicht über die offe-
nen inhaltlichen Fragen des vorliegenden Antrags hin-
wegtäuschen. Lassen Sie uns in den weiteren Beratun-
gen hart an einer Lösung arbeiten, damit vor allem die
jungen Menschen Raum bekommen, um sich zu enga-
gieren und einzubringen.

Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Mit dem letzten Satz sind wir einverstanden!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514517400

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ute Kumpf.

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(C (D Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle en! Auch ich werde versuchen, mich an meine Redezeit u halten, obwohl ich nach Ihren Ausführungen, Herr örflinger und Herr Scheuer, das Gefühl habe, Nachilfe leisten zu müssen. Auch wenn ich nicht oberlehrerinnenhaft sein möchte ich bin keine Lehrerin –, muss ich Sie einfach darum itten – Sie sind noch jung genug, um das ohne Brille zu un –, den Bericht der Enquete-Kommission und vieleicht auch andere Berichte zu lesen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Herr Scheuer ist beim Grundgesetz hängen geblieben!)

Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1514517500

Vor allem in Richtung der Fraktion der CDU/CSU
sie rühmt sich sonst immer so, dass ihre Mitglieder im
hrenamtlichen Bereich verankert sind – sage ich: Es
äre ganz ratsam, die Kontakte zu den jeweiligen Orga-
isationen zu halten, sodass man weiß, worüber disku-
iert wird. In Baden-Württemberg werden ehrenamtliche
portler am nächsten Wochenende zum ersten Mal strei-
en. Diese Sportler feiern ihre Landesregierung sonst
mmer; daher ist das ein bisschen seltsam. Es müsste Sie
igentlich ganz schön ärgern, dass die Landesregierung
n Baden-Württemberg den Zuschuss für Übungsleiter in
portvereinen streicht.


(Anton Schaaf [SPD]: Das kann passieren!)

Herr Riegert und Herr Dörflinger, wir geben am Tag

es Ehrenamtes keine schönen Worte von uns – solche
orte haben wir auch heute hier wieder gehört –; viel-
ehr setzen wir das, was wir in der Enquete-Kommis-
ion alle gemeinsam beschlossen haben, Stück für Stück
m.


(Anton Schaaf [SPD]: So ist das!)

in Beschluss ist, die Freiwilligendienste auszubauen.
Ich möchte eine weitere Anmerkung zu diesem

hema machen. Herr Scheuer, Sie gehen davon aus, dass
reiwilligendienste eine attraktive Alternative für junge
änner sind. Bislang waren Freiwilligendienste eine ty-
isch weibliche Angelegenheit. Der Freiwilligendienst
urde vor 40 Jahren von der Diakonie in Baden-Württem-
erg ins Leben gerufen, um Frauen eine Möglichkeit zu
eben, sich in die Diakonie einzubringen. Außerdem
urde der Freiwilligendienst geschaffen, weil es im so-
ialen Bereich einen riesigen Arbeitskräftemangel gab.
Bislang tummeln sich in den Freiwilligendiensten

och sehr wenige Männer. In den vergangenen 40 Jahren
aben insgesamt etwa 300 000 Menschen Freiwilligen-
rbeit geleistet. Der überwiegende Anteil dieser Men-
chen waren Frauen. Seit 2001, 2002 liegt der Anteil
unger Mädchen bei 23 Prozent und der Anteil der Män-
er bei 17 Prozent. Wir möchten ganz gern mehr Män-
ern eine Chance geben, im Bereich der neuen Freiwilli-
endienste zu arbeiten.
Bislang wurden Freiwilligendienste vor allem von äl-

eren jungen Menschen geleistet. Ich denke dabei an je-
anden, der gerade Abitur gemacht hat und auf der

13496 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )


)

Ute Kumpf

Suche nach seiner beruflichen Orientierung ist. Wir wol-
len, dass Freiwilligendienste auch Jüngeren möglich
sind. Sie sollen die Chance haben, einen Lernort vorzu-
finden und sich eine Freiwilligenkultur zu erschließen,
um auf diese Weise Erfahrungen zu machen und zu
wachsen.

Ganz wichtig ist Folgendes – das wissen Sie selbst –:
Derjenige, der Freiwilligenarbeit gemacht hat oder sich
in irgendeiner Art und Weise in die Freiwilligenarbeit
eingebracht hat, wird auch später bürgerschaftlich enga-
giert sein. Das zeigen Untersuchungen. Es muss uns ein
wichtiges Anliegen sein, die Bereitschaft, sich für die
Gesellschaft zu engagieren, zu fördern. Wir müssen die
entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen und die
notwendigen Maßnahmen ergreifen. Stichworte sind:
Ausbau der ehrenamtlichen Tätigkeitsfelder, generatio-
nenübergreifender Ansatz. Ich wiederhole: Wir müssen
dafür sorgen, dass die Freiwilligenarbeit von uns poli-
tisch begleitet und anerkannt wird.

Da immer wieder behauptet wird, die Jungen, die Äl-
teren oder die Menschen in den neuen Bundesländern
schwächelten,


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das hat keiner behauptet in der Diskussion!)


möchte ich Sie noch auf Folgendes hinweisen: Mittler-
weile liegt der „Zweite Freiwilligensurvey“ vor. Er be-
sagt – darüber dürfen wir uns alle freuen –, dass das En-
gagement und die Bereitschaft zum Engagement sowohl
der Jungen als auch der Älteren ungebrochen sind. Wir
können sogar einen Zuwachs feststellen, und zwar von
34 Prozent auf 36 Prozent.


(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das haben wir in unseren Reden auch bestätigt, Frau Kollegin! Daran hat keiner was kritisiert!)


Vor allem wollen sich junge Menschen freiwillig enga-
gieren und wollen entsprechende Angebote haben – die
Zahlen wurden vorhin schon genannt –, sodass wir gar
nicht damit nachkommen, die notwendigen Plätze be-
reitzustellen. In der letzten Zeit, seit 1999 – es hat ja im-
mer geheißen, die Senioren und Seniorinnen seien gar
nicht so aktiv, wie wir uns das eigentlich vorstellen –,
zeigen aber auch die Älteren – das sind die zwischen 56
und 65 – mehr Engagement. Anders als vielleicht nach
mancher Sichtweise des konservativen Lagers – da denkt
man, die Migranten und Migrantinnen seien bürger-
schaftlich gar nicht unterwegs – gilt das auch für die Mi-
granten und Migrantinnen.

Wir wollen mit unserem Antrag einen weiteren Bau-
stein in unserer erfolgreichen Förderung des bürger-
schaftlichen Engagements schaffen. Wir wollen es
nicht dabei belassen, dass wir den Versicherungsschutz
erweitert und das bundesweite Netzwerk initiiert haben.
Sie sind bei den Diskussionen leider nicht dabei; viel-
leicht wissen Sie nicht, was in der so genannten Engage-
ment-Community diskutiert wird. Auch durch die Grün-
dung des Unterausschusses, der diese Diskussion ständig
begleitet


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(C (D (Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ich bin Mitglied im Unterausschuss!)


Sie sind Mitglied; Sie werden diese Arbeit, denke ich,
ut begleiten –, werden wir dafür sorgen, dass das
hema „Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement“
icht auf ein Jahr oder auf eine Enquete-Kommission fo-
ussiert bleibt. Wir werden weiter dafür sorgen, dass die-
es soziale Kapital, das sich nicht verbraucht, wenn wir
ls Gesellschaft es gebrauchen, Anerkennung und Wert-
chätzung erfährt.
Nachdem das Ganze von Ihnen vorher sehr heftig de-

attiert und kritisiert worden ist, hoffe und wünsche ich,
ass das, was eingangs gesagt worden ist, für uns alle
utrifft: Wir wollen gemeinsam die Freiwilligenkultur in
ie Zukunft gerichtet konstruieren und begleiten. Wir la-
en Sie herzlich dazu ein.
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514517600

Frau Kollegin Kumpf, haben Sie Bedenken, wenn ich

ie Debatte jetzt schließe?

(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Vielleicht hat Anton Schaaf noch etwas zu sagen!)


öchten Sie vielleicht noch einen Satz hinzufügen? –
as ist nicht der Fall. Dann schließe ich hiermit die Aus-
prache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
rucksache 15/4395 zur federführenden Beratung an
en Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
owie zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss zu
berweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist
icht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 6:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Angela Merkel, Michael Glos, Siegfried
Kauder (Bad Dürrheim), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
– Drucksache 15/4285 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
en Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst

er Kollege Gehb für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Jürgen Gehb (CDU):
Rede ID: ID1514517700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner

angjährigen Tätigkeit als Richter, zuletzt am Hessischen
erwaltungsgerichtshof, habe ich nicht nur viele Urteile
ällen und begründen müssen, sondern noch viel mehr
olche von Kolleginnen und Kollegen lesen müssen. Wie

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13497


(A) )



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Dr. Jürgen Gehb

das in der Verwaltungsgerichtsbarkeit üblich ist, hat da-
bei natürlich so manche Institution und Behörde ihr Fett
abbekommen. Aber an keiner Stelle und von niemandem
habe ich einen auch nur annähernd so schwerwiegenden
Vorwurf lesen müssen wie den folgenden: Das war ein
kalter Putsch der politischen Leitung des Auswärtigen
Amtes gegen die bestehenden Gesetze.


(Beifall bei der CDU/CSU – Detlef Dzembritzki [SPD]: Was Richter so alles sagen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie uns jetzt schon 20-mal erzählt!)


Mit diesen harschen Worten hat der Vorsitzende Richter
am Landgericht Köln im Februar dieses Jahres bei der
Verkündung des Urteils gegen den Chef einer Schleu-
serbande die von der rot-grünen Bundesregierung um-
gestaltete Praxis der Visumerteilung geradezu gegei-
ßelt.

Die harschen Worte des Richters weisen auf einen un-
glaublichen Skandal hin, den die Bundesregierung zu
verantworten hat. Der Richter hat damit zutreffend be-
schrieben, was sich im Bereich der Einreisepolitik seit
dem Antritt der Regierung Schröder/Fischer im Oktober
1998 abspielt: Grüne Multikultiträume werden notfalls
auch schon mal gegen Recht und Gesetz verwirklicht.
Die Interessen unseres Landes und insbesondere auch
seiner Sicherheit müssen dahinter zurücktreten. Der In-
nenminister bläst die Backen auf, kann sich aber gegen
die vom Außenminister angeführten grünen Ideologen
nicht durchsetzen und der Bundeskanzler lässt alle ge-
währen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Sie sollten auswandern, Herr Kollege!)


Es geht um glatten Rechtsbruch, um politischen
Missbrauch und um Gefährdung unseres Landes: keine
schönen Vorwürfe, denen sich die Bundesregierung aus-
gesetzt sieht.


(Zurufe von der SPD)

Diese außerordentlich schwer wiegenden Vorwürfe be-
dürfen der Aufklärung. Daher ist dieser Untersuchungs-
ausschuss, der so genannte Schleuserausschuss, so not-
wendig und so berechtigt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Überflüssig wie ein Kropf!)


Das Handeln der politischen Leitung des Auswärtigen
Amtes vollzog sich dabei auch nicht im luftleeren Raum.


(Zuruf von der SPD: Herr Glos muss herkommen! Der Experte für Zuhälter!)


Sollte der Rechtsbruch vonseiten der Grünen systema-
tisch vorbereitet worden sein? Unter dem Vorwand,
Deutschland müsse weltoffener werden, wurde jeden-
falls unmittelbar nach der Regierungsübernahme damit
begonnen, die Visumerteilungspraxis grundlegend zu
verändern. Ziel war dabei nicht mehr primär die Ge-
währleistung der Sicherheit der Bundesrepublik

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(C (D eutschland, sondern der ungehemmte Zustrom in unser and. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!)


ieses Ziel verfolgen die Grünen bekanntlich seit ihrer
ründung. In allen Debatten, in denen es um die Begren-
ung der Zuwanderung ging, haben sie sich verweigert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Bleiben Sie sachlich!)


ir erinnern uns zum Beispiel an die Debatte um das
sylrecht, in der die Grünen nicht bereit waren, ange-
ichts eines Zustroms von mehr als 400 000 Asylbewer-
ern pro Jahr an der notwendigen Reform des Art. 16
es Grundgesetzes mitzuwirken. Es ging weiter mit der
oppelten Staatsangehörigkeit, die die Grünen prak-
isch uneingeschränkt zulassen wollten. Ein weiteres
eispiel ist das Zuwanderungsgesetz.


(Gernot Erler [SPD]: Ich glaube, er hat ein Feindbild!)


uch dort haben die Grünen der ungebremsten Einwan-
erung das Wort geredet.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlicher Unsinn!)


ekanntlich ist auch dieses Konzept, das Rot-Grün sogar
ithilfe eines Verfassungsbruchs – Wowereit lässt grü-
en – verwirklichen wollte, nicht Gesetz geworden.
ank CDU und CSU haben wir heute ein Zuwande-
ungsgesetz, das auch die Interessen unseres Landes be-
ücksichtigt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das alles passt Ihnen natürlich nicht, meine Damen

nd Herren von den Grünen. Und weil die Gesetze nicht
o geworden sind, wie Sie sich das vorgestellt haben,
erfallen Sie auf eine andere trickreiche Lösung. Warum
icht den Vollzug so ändern, dass die Ergebnisse, die Sie
uf der legislativen Ebene immer gewollt haben, auch
rzielt werden können?


(Gernot Erler [SPD]: Scheiße, er hat es gemerkt!)


arum sich neben der kreativen Buchführung nicht auch
uf eine kreative Rechtsauslegung einlassen? Warum
icht geltendes Recht dehnen, getreu dem alten Sponti-
pruch, – ohne mir die Diktion zu Eigen zu machen –: le-
al, illegal, scheißegal?


(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Pfui! – Gernot Erler [SPD]: Unglaublich!)


In der ersten rot-grünen Koalitionsvereinbarung von
998 ist die Rede davon, dass die illegale Einwande-
ung und insbesondere die Schleuserkriminalität be-
ämpft werden sollten. Getan haben Sie nachgerade das
egenteil. Besonders deutlich hat dies die damalige Eu-
opaabgeordnete der Grünen Ilka Schröder auf den
unkt gebracht, indem sie die „Subventionierung der
chleuserbranche an der EU-Ostgrenze“ forderte und die

13498 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Dr. Jürgen Gehb

Tätigkeit von Schleuserbanden als „humanitäre Maßnah-
men“ bezeichnete.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Unerhört!)

Diesen Weg der direkten Subventionierung von

Schleuserbanden haben Sie, meine Damen und Herren
von Rot-Grün, dann zwar nicht ausdrücklich beschritten.
Aber im Ergebnis lief Ihre Politik doch auf eine Förde-
rung dieser Gruppierungen hinaus. So wurden im Laufe
des Jahres 1999 bereits einige Erlasse des Auswärtigen
Amtes an die Auslandsvertretungen gerichtet, in denen
die Voraussetzungen zur Visumerteilung gelockert wur-
den. Das Ganze gipfelte dann in dem berüchtigten
Fischer/Volmer-Erlass vom 3. März 2000, mit dem der
vermeintlich hehre Grundsatz „Im Zweifel für die Reise-
freiheit“ – Sie wissen, dass ich gerne lateinisch rede,
also: in dubio pro libertate –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Der erste gute Satz!)


verkündet wurde. Die Folge war, dass Schleuserbanden
quasi mit staatlicher Hilfe ihr Unwesen treiben konnten.


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir eine Richterschaft!)


Treffender, als es der verurteilte Schleuserchef auf seiner
Homepage zum Ausdruck brachte, kann man es nicht
formulieren: www.visafabrik.de.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dank RotGrün!)


Statt, meine Damen und Herren, nach einem schmis-
sigen Begriff aus dem Volksmund zu suchen, mit dem
man den Ursachenzusammenhang zwischen der Wei-
sung des Außenministers und der massenhaften Einreise
von zweifelhaften Personen zutreffend beschreiben
könnte, will ich es juristisch ganz trocken auf die den
Rechtskundigen unter Ihnen geläufige und bekannte For-
mel der Conditio sine qua non bringen:


(Zurufe von der SPD)

Herr Fischer hat mit seiner Weisung „im Zweifel für die
Reisefreiheit“ eine Bedingung geschaffen, die nicht hin-
weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg, nämlich
die Einreise dieser zweifelhaften Personen, jedenfalls
dem Umfang nach, mit an Sicherheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit entfiele. Die Frage nach einer vorwerfba-
ren Schuld des Außenministers muss in diesem Schleu-
serausschuss mindestens mit geklärt werden. Wir können
davon nicht ablassen, selbst wenn Joschka Fischer neben
Dieter Bohlen, Boris Becker oder Daniel Küblböck jetzt
zu den Promis zählt, die man sehr, sehr lieb zu haben hat,


(Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja peinlich!)


jedenfalls wenn man zu den Lesern einer gewissen Bou-
levardzeitung gehört.


(Zuruf von der SPD: Das kann Ihnen nicht passieren! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Nur kein Neid! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der pure Neid!)


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(C (D rotz medialen Heiligenscheins und des Versuchs, ihn nter Denkmalschutz zu stellen: Herr Fischer ist und leibt der Chef des Auswärtigen Amtes (Gernot Erler [SPD]: Jawohl, das bleibt er! – Gegenruf von der CDU/CSU: Aber nur bis 2006!)


nd muss zur Verantwortung gezogen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)


ir können ja nicht wegen der geringeren Popularität
on Frau Künast oder Herrn Trittin


(Zuruf von der SPD: Oder von Frau Merkel!)

iese zum Gegenstand unseres Untersuchungsausschus-
es machen und ins Visier nehmen.
Meine Damen und Herren, ich will einige Sätze aus

er Begründung des Urteils des Landgerichts Köln zi-
ieren:

Als besonders stark wirkender Strafmilderungs-
grund wirkte sich aus, dass dem Angeklagten die
Begehung seiner Straftaten gegen das Ausländerge-
setz auf allen Ebenen von den zuständigen Behör-
den sehr leicht gemacht wurde. Der Angeklagte B.
handelte unter den Augen der staatlichen Stellen.

eiter heißt es:
Im Gegenteil wurden die Mitarbeiter der Visumab-
teilung der Botschaft in Kiew faktisch durch Er-
lasse der politischen Führung des Auswärtigen Am-
tes angewiesen …

ei dem Fehlverhalten der staatlichen Stellen handelte
s sich auch nicht um „Entgleisungen“ im Einzelfall.
ielmehr war das Versagen der mit den anstehenden Fra-
en beschäftigten Behörden „flächendeckend und allum-
assend“.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So etwas darf bei uns ein Richter schreiben!)


Mit dem Urteil ist der Komplex strafrechtlich aber
och gar nicht aufgearbeitet. Gegen mindestens fünf Be-
ienstete der Bundesregierung und gegen mehrere Bot-
chaftsbedienstete laufen weitere strafrechtliche Ermitt-
ungsverfahren.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind doch auch welche eingestellt worden! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS/90 DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU: Natürlich!)


Meine Damen und Herren, aus Zeitgründen sage ich
ur Folgendes: Wir beantragen heute die Einsetzung ei-
es Untersuchungsausschusses, der von der Presse schon
reffend als „Schleuserausschuss“ bezeichnet worden ist.
abei möchte ich klarstellen: Es geht nicht um die Mit-
rbeiter an den Botschaften. Es geht um das Fehlverhal-
en der politischen Leitung. Die Hinweise darauf sind
assiv.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13499


(A) )



(B) )


Dr. Jürgen Gehb

Wann, wenn nicht jetzt, nach einem solchen Urteil eines
Strafgerichts, sollte man überhaupt einen Untersu-
chungsausschuss einrichten?

Wir werden auch nicht klaglos eine Überweisung un-
seres in jeder Hinsicht eindeutigen und verfassungsmäßi-
gen Antrags in den Geschäftsordnungsausschuss hinneh-
men, die erkennbar eine verfassungswidrige Bepackung
zum Ziel hat. Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie
auch nur einen Deut von Ihren Missständen ablenken
können, wenn Sie zur Not noch die Visapraxis seit der
Kanzlerschaft Konrad Adenauers ins Auge fassen wol-
len.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit gehen wir nicht!)


Wir Christdemokraten stehen für Sicherheit und Welt-
offenheit. Freiheit und Weltoffenheit bedeuten keinen
Verzicht auf Kontrolle. Die Begriffe schließen sich nicht
aus; sie bedingen sich geradezu. So wollen wir Christde-
mokraten schon heute – gemäß dem Motto der WM
2006 –, dass „die Welt zu Gast bei Freunden“ ist. Doch
auf Kriminelle und Menschenhändler als Gäste und
Freunde können wir gern verzichten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514517800

Das Wort hat nun der Kollege Olaf Scholz für die

SPD-Fraktion.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Lebt denn der alte Holzmichl noch?)



Olaf Scholz (SPD):
Rede ID: ID1514517900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, Herr Gehb hat etwas missverstanden. In dem
Untersuchungsausschuss, den er beantragt, geht es nicht
um das, was er schon immer an den Grünen nicht leiden
konnte.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist über zwei wichtige gute Dinge zu berichten, die
Gegenstand des Untersuchungsausschusses werden sol-
len und die dazu führen, dass wir uns jetzt mit den Pro-
blematiken beschäftigen müssen und auch wollen.

Erstens. Wir leben in einem schönen Land. Deutsch-
land ist ein schönes Land. Es ist wirtschaftlich stark.
Seine Unternehmen haben weltweite Kontakte


(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache!)

und viele Menschen wollen mit diesen Unternehmen Ge-
schäftsbeziehungen haben. Dazu gehört, dass man einan-
der begegnet.

Wir sind ein gutes Land, was die Wissenschaft und
die Bildung betrifft; wir sind ein guter Wissenschafts-
standort. Das ist der Grund, warum viele Menschen in
dieses Land reisen:

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(C (D (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wir reden von Schleusern!)


ie wollen von unserer Bildung und unserer Wissen-
chaft profitieren. Wir brauchen weltweite Kontakte für
ie Wissenschaft dieses Landes.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gernot Erler [SPD]: Das soll auch so bleiben!)


Hier leben freundliche, gute Menschen, die auch be-
ucht werden wollen. Deshalb ist es wichtig, dass das ge-
chehen kann.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

eutschland ist ein Land, das sicher ist. Es gibt hier
eine No-go-Areas wie in anderen Ländern; Touristen
üssen nicht vor bestimmten Gegenden gewarnt wer-
en. Auch das ist ein Grund, warum viele Menschen
erne hierherkommen: Sie wollen das erleben, sie wol-
en dieses schöne, sichere und gute Land bereisen. Das
st der eine Grund, warum viele Menschen nach
eutschland kommen wollen.
Der zweite Grund ist ein Ereignis, das noch gar nicht

o lange zurückliegt, das wir uns aber immer wieder in
rinnerung rufen müssen: Die Spaltung der Welt in Ost
nd West wurde aufgehoben, der Eiserne Vorhang ist
erschwunden. Das hat dazu geführt, dass Bürger aus
ielen Staaten, die wegen der dortigen diktatorischen
egime festgehalten wurden und denen es unmöglich
emacht wurde, hierher zu kommen, wovon sie ein Le-
en lang geträumt haben, dieses Land jetzt bereisen wol-
en. Das ist seit 1989/90 ein Phänomen in Europa und
ir sind froh und glücklich darüber, dass die Freiheit in
ll diesen Ländern endlich Platz gegriffen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Endlich dürfen diese Menschen zu uns kommen. Des-
alb ist es seit 1989/90 die Aufgabe aller Bundesregie-
ungen, die gerade Verantwortung tragen, dafür zu sor-
en, dass die Menschen kommen können, indem dazu
eeignete und sinnvolle Verfahren entwickelt werden.
um Beispiel haben die Minister Kinkel und Kanther zu-
ammen mit dem ADAC ein Carnet de Touriste einge-
ührt, das vielen Bürgern aus einigen dieser Länder die
eise nach Deutschland möglich gemacht hat. Die Sache
st später problematisch geworden, aber das Grundanlie-
en war nicht falsch. Es stammt aus dem Jahre 1995 und
ir müssen uns mit den Schwierigkeiten, die dabei auf-
etreten sind, befassen. All die Dinge, die auch weiter-
in eine Rolle spielen – der Reiseschutzpass, das Travel
oucher, der Travel Care Pass der Hanse-Merkur Reise-
ersicherung –, liegen auf dieser Linie und müssen im
usammenhang betrachtet werden. Das gilt auch für die
rage des Reisebüroverfahrens, das aus der Zeit der frü-
eren Regierung Kohl/Kanther/Kinkel stammt und das
uch dem Motiv folgt, von dem ich eben berichtet habe.
Zwei schöne, wichtige Dinge sind also die Ursache

ür das, womit wir uns jetzt beschäftigen müssen.

13500 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Olaf Scholz

Es gibt einen weiteren Gesichtspunkt und der ist nicht

so schön. Wenn viele Menschen kommen, dann sind da-
runter auch welche, die wir hier nicht haben wollen,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Och!)

die die Sicherheit unseres – und nicht nur unseres –
Landes bedrohen. Wir müssen alle Vorkehrungen tref-
fen, dass ihnen das nicht gelingen kann.

Es gibt Leute, die einreisen wollen, um hier zu blei-
ben, oder sie wollen durchreisen, um etwa in ein anderes
Land innerhalb des Schengen-Bereiches zu gelangen
und dort zu arbeiten. Es gibt Menschen, die kriminelle
Handlungen planen. Sicherlich müssen wir immer da-
rauf achten, dass hier niemand einreist, der terroristische
Bestrebungen hat.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Im Zweiminutentakt!)


Aus meiner Sicht ist das ein ganz wichtiges und zen-
trales Anliegen, das sowohl die Regierung mit den Mi-
nistern Kinkel und Kanther zu verfolgen hatte als auch
die Minister, die jetzt Verantwortung für diesen Bereich
tragen, zu verfolgen haben. Ich glaube, dass gerade un-
ser weltweit so angesehenes und wirtschaftlich starkes
Land eigentlich so etwas wie eine Gemeinsamkeit der
politischen Parteien beim Vorgehen in dieser Frage be-
nötigt; denn wie wir das regeln, hängt auch davon ab,
wie wir die Wirtschaftskraft, die Attraktivität unseres
Landes im weltweiten Wettbewerb, aber auch im Wett-
bewerb um Vorbildliches, zum Beispiel mit Blick auf
unsere Demokratie, zum Tragen bringen können.

Deshalb ist es schon richtig, dass wir schauen, was
wir besser und anders machen können. Aber wir müssen
immer genau wissen, was wir tun. Das, was wir den Bür-
gern vieler Länder, auch derjenigen, über die ich gerade
gesprochen habe und die erst seit kurzem Freiheit erpro-
ben und erfahren können, an Reisebeschränkungen vor-
schreiben, wollten wir unseren Bürgern nicht bieten las-
sen, wenn sie in andere Länder reisen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil wir Sicherheitsprobleme haben, ist es richtig,
dass wir den Bürgern aus Ländern wie beispielsweise
der Ukraine die Einreise schwerer machen, als dies für
unsere Bürger gilt, die oft ohne große Formalitäten in
andere Länder reisen können. Wir müssen uns immer
wieder in Erinnerung rufen, dass wir schon jetzt diesen
Menschen – zu Recht – Schwierigkeiten zumuten, und
zwar solche, von denen wir nicht wollen, dass sie unse-
ren Bürgern zugemutet werden. Auch das gehört zu die-
ser Betrachtung, und das muss man gemeinsam bewälti-
gen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich in Orange
erscheinen soll. Gestern haben wir an dieser Stelle über
die ukrainische Demokratiebewegung gesprochen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


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(C (D ir haben darüber diskutiert, wie wir ihr helfen und wie ir sie unterstützen können. Das müssen wir gemeinsam un. Wir sehen an dieser Bewegung, welche Attraktivität emokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft, Bildungsstaat nd Sozialstaat – all das haben wir in Deutschland vorildhaft entwickelt – für andere Länder besitzen und elche Sogkraft von unserer Freiheit ausgeht und auf die anze Welt ausstrahlt. Im Übrigen bin ich im Gegensatz zu vielen anderen er Meinung, dass die Fähigkeit zur Demokratie keine rage der ethnischen Zugehörigkeit ist. Alle Menschen ind wie wir in der Lage, Demokratie zu entwickeln und afür zu sorgen, dass sich Freiheit entfalten kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Was sollen die Menschen in Kiew, die in Orange de-
onstrieren, denken, wenn wir ihnen sagen: Wir unter-
tützen euch zwar, aber es soll keiner von euch kom-
en?


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wieso denn keiner?)


as wäre eine schlechte Botschaft.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Was ist denn das für eine Botschaft? Wieso keiner? Ist das eine Debattenoder eine Büttenrede?)


Herr Kollege, mit einer Büttenrede haben Sie sich in
iesem Parlament dauerhaft verewigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Macht die Büttenrede nicht so schlecht!)


eil wir nicht sagen können, dass keiner von diesen
enschen kommen kann, müssen wir mit Schwierigkei-

en bei der Einreise rechnen.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Keiner oder alle: so ein Quatsch!)

uch die ehemaligen Minister Kanther und Kinkel hat-
en Schwierigkeiten damit. Diese Schwierigkeiten kann
an aber nicht leugnen. Wir müssen vielmehr darüber
iskutieren, was zu tun ist.
Meine Damen und Herren, ich habe drei Bitten.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Lieber Gott, lass die Zeit ablaufen!)


rste Bitte: Bleiben Sie gelassen!

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist gut! Die erfüllen wir!)

s ist wichtig, in einem Untersuchungsausschuss gelas-
en zu bleiben. Denn Gelassenheit ist notwendig, um
ich ohne Vorurteile mit einer Sache zu befassen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist kein Vorurteil! Das ist ein Strafurteil!)


an sollte nicht meinen, dass man schon vorher weiß,
ie es hinterher ausgehen wird. Man sollte eine gewisse
eugier und auch die Bereitschaft mitbringen, zu akzep-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13501


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Olaf Scholz

tieren, dass es vielleicht anders kommt, als man vorher
gedacht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage deswegen noch einmal: Bitte etwas mehr Gelas-
senheit! Weil Sie so gern lateinisch sprechen, will ich Ih-
nen sagen: Im Ausschuss geht es darum, dass wir uns der
Sache sine ira et studio widmen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Feiner Spruch! – Rainer Funke [FDP]: Sehr gut! Er hat in der Schule aufgepasst! – Zurufe von der SPD: Wir können auch! – Wenn wir wollen!)


Zweite Bitte. Wir sollten die Bereitschaft mitbringen,
dazuzulernen. Wir sollten gemeinsam herausfinden – das
sind wir unserem attraktiven Land schuldig –, wie wir
die Sicherheitsanforderungen möglichst effizient und
sorgfältig erfüllen können. Deshalb ist es wichtig, dass
man sich in einem solchen Ausschuss nicht nur Bekann-
tes sagt, sondern auch Schlussfolgerungen zieht, die zu
einer Verbesserung in der Praxis führen. Auch das ist
eine Bitte an Sie: Machen Sie dabei mit!

Dritte Bitte: Passen Sie auf!

(Zuruf von der FDP: Immer!)


Ein Untersuchungsausschuss ist ein wenig wie das Fi-
schen in einem Teich. Sie werfen eine Angel aus und
hoffen, dass ein Vorwurf gegen die Regierung anbeißt.


(Zuruf von der SPD: Ein alter Stiefel!)

Aber wie gesagt: Passen Sie dabei auf! Während Sie da-
von träumen, einen großen Fisch am Haken zu haben,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Von Fisch bis Fischer ist es nicht weit! – Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


landen plötzlich Kinkel und Kanther auf dem Teller.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514518000

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Hellmut

Königshaus das Wort.

Hellmut Königshaus (FDP):
Rede ID: ID1514518100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-

Fraktion steht der Einsetzung des Untersuchungsaus-
schusses, jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt, skep-
tisch gegenüber. Ich glaube, der bisherige Verlauf der
Debatte hat diese Skepsis sehr bestätigt.

Da kommt der Kollege Scholz und tut so, als gebe es
überhaupt keine Probleme.


(Olaf Scholz [SPD]: Steht das schon in Ihrem Manuskript?)


– Nein, das steht nicht in meinem Manuskript. Sie kön-
nen es gerne haben, wenn Sie einmal das Manuskript ei-
ner guten Rede haben wollen. – Der Kollege Dr. Gehb

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(C (D ut so, als seien die Vorwürfe, die er hier erhoben hat, chon erwiesen. Beides ist ersichtlich falsch. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ich habe es in Frageform formuliert!)


uch ich war einmal Richter. Ich weiß: Ein Richter kann
n der Tat – jedenfalls in der Urteilsbegründung und bis
ur nächsten Instanz – schreiben, was er will.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Manchmal ist es sogar falsch!)


araus Schlüsse zu ziehen ist allerdings etwas voreilig.
Eines ist allerdings auch klar: Der Volmer-Erlass ist

edenfalls in Teilen rechtswidrig. Davon kann man sich
berzeugen, indem man ihn liest. Aber dafür brauchen
ir keinen Untersuchungsausschuss.
Wir werden natürlich in diesem Untersuchungsaus-

chuss, wenn er denn eingerichtet wird, ganz konstruktiv
itarbeiten. Denn es ist in der Tat notwendig, dass wir
rüfen, ob bei der Visaerteilung Missstände geherrscht
aben, ob es Versäumnisse oder Missbräuche gab und ob
s sie womöglich – das wäre das Gravierendste – immer
och gibt. Aber wir hätten natürlich ganz gerne das Er-
ebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab-
ewartet. Denn wir wollen uns nicht an die Stelle eines
taatsanwaltes setzen, sondern uns auf die parlamentari-
che Kontrolle von Regierungshandeln konzentrieren
nd uns nicht in Kleinigkeiten verlieren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


ndividuelles Fehlverhalten von Einzelnen können Sie
ie ausschließen. Wenn wir in so einem Fall jedes Mal
it parlamentarischen Untersuchungsausschüssen rea-
ierten, hätten wir sehr viel zu tun.


(Lachen des Abg. Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ob es aber über den Volmer-Erlass hinaus – Herr
olmer, so lustig ist das nicht – politisch zu verantwor-
endes Fehlverhalten gibt, können wir noch nicht beur-
eilen. Das werden wir dann im Untersuchungsausschuss
äher feststellen können. Bisher kennen wir Eindrücke
iner Strafkammer. Das ist in Ordnung; das mag sich
ort so dargestellt haben. Das sind Behauptungen, Ver-
utungen, Verdächtigungen. Es gibt also Indizien. Wir
erden prüfen, ob es im Einzelfall über den Volmer-
rlass hinaus – ich nenne ihn jetzt einmal so – Fehlver-
alten gegeben hat.
Wir nehmen allerdings einen Vorwurf sehr ernst – der

as zuständige Gericht offenbar unmittelbar aus der
ündlichen Verhandlung gewonnen hat –: dass sich
uch hochrangige Angehörige des Auswärtigen Amtes
emüht hätten, zu täuschen, zu mauern, zu vertuschen,
urz: die Ermittlungen zu stören.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: „Wie der Herr, so’s Gescherr“, sagt man in Kassel!)


13502 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Hellmut Königshaus

Das können wir sicherlich nicht akzeptieren. Dem wer-
den wir auch im Untersuchungsausschuss nachgehen.
Wir werden ebenso versuchen – da können Sie sicher
sein –, den Sachverhalt in den übrigen Bereichen aufzu-
klären und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Der Versuch der Koalition – das will ich hinzufü-
gen –, das Untersuchungsthema auszuweiten,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wie wahr!)

ist eine Nebenkampflinie. Das können Sie gerne tun; es
ist aber vollkommen kontraproduktiv und nutzlos; denn
es geht uns darum – es geht ja um unser Land –, wie wir
in Zukunft etwaige Missstände beseitigen können, und
nicht darum, irgendwelche Schuldzuweisungen in Bezug
auf die Vergangenheit zu treffen.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben keine Angst vor Prüfungen; Sie können das
also gerne tun. Aber wir finden es nachgerade abwegig,
bei einem so ernsten Thema in kleinliches parteipoliti-
sches Gezänk abgleiten zu wollen. Das sehen wir als
eine unzumutbare Handhabung des Ganzen an.

Wir sehen auch die Gefahr, dass durch diese bisher
noch überhaupt nicht bewiesenen Verdächtigungen die
Mitarbeiter in den RK-Stellen der Auslandsvertretungen
verunsichert und zu einer restriktiven Handhabung ge-
drängt werden.


(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Das wäre in gleicher Weise schädlich, wie es im umge-
kehrten Fall das behauptete Fehlverhalten wäre.

Wir sind ein freies Land. Das haben Sie gesagt; da
gebe ich Ihnen ausnahmsweise wirklich Recht. Wir sind
ein freizügiges Land. Das wollen wir auch bleiben. Wir
wollen keine Einreisepolitik, die abschottet und gerade
diejenigen abschreckt, die wir eigentlich hier haben wol-
len.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn es sind gerade die Gutwilligen, die sich ab-
schrecken lassen. Jeder Straftäter sucht ein Schlupfloch
und findet in der Regel – das ist die bedauerliche Er-
kenntnis – auch eines.

Wir wollen den Tourismus, den wissenschaftlichen
Austausch und den Geschäftsreiseverkehr nicht behin-
dern. All dies ist schon gesagt worden; deshalb will ich
es nicht wiederholen. Die USA sind in diesem Punkt
wirklich ein warnendes Beispiel.

Eines ist mir besonders wichtig: Wir können es nicht
zulassen – egal von welcher Seite man das betrachtet –,
dass uns letzten Endes Schleuserbanden oder andere
Kriminelle diktieren, wie wir uns in der Einreisepolitik
verhalten. Denn wer Restriktionen verhängt und dies nur
tut, weil es diese Schleuserbanden gibt, ist im Grunde
genommen genauso von den Schleuserbanden abhängig
wie einer, der in Kenntnis von Schleuserbanden nichts
tut. Nein, meine Damen und Herren, wir als Liberale
wollen sicherstellen, dass Recht und Gesetz angewandt

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(C (D nd durchgesetzt werden – nicht mehr, aber übrigens uch nicht weniger. eshalb müssen wir uns sehr eingehend mit diesem weifelhaften Erlass befassen. Es kann nicht sein, dass elbst dann, wenn Zweifel bestehen, ob Sicherheitsbeange unseres Landes berührt sind – das steht unbestreitar darin –, in dubio pro libertate – auch ich kann atein – eine Entscheidung zugunsten der Einreise geroffen werden soll. Das war so schön, dass wir es wirklich im Protokoll anz dick ausdrucken sollten. Der Grundsatz „in dubio pro libertate“ wird hier er ichtlich falsch angewandt. Es ist doch ganz selbstvertändlich, dass sowohl Sicherheitsinteressen als auch die inreisepolitik einer Abwägung bedürfen, wobei im weifel dann eben tatsächlich auch einmal zugunsten es Einreiseverbotes entschieden werden muss. Dieses inund Herpendeln zwischen den Extremen, wie es ich nun in dem Chrobog-Erlass zeigt, verdeutlicht, wie erunsichert die politische Führung in diesem Hause ist. Denjenigen, die vor Ort verantwortungsvoll handeln nd unter schwierigen Bedingungen aufopferungsvolle rbeit leisten – das können wir hier ruhig einmal geeinsam sagen –, gilt unsere ausdrückliche Anerkenung; denn das ist ein Job, den wohl niemand machen öchte. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])


(Beifall bei der FDP)


(Rudolf Bindig [SPD]: Si tacuisses!)


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Selbstverständlich wollen wir auch der Frage nachge-
en, ob die Leitung des Auswärtigen Amtes die Mitar-
eiter in den RK-Stellen durch personelle Ausstattung
berhaupt in die Lage versetzt hat, ihre Arbeit ordnungs-
emäß zu erledigen. Dazu haben wir einiges gehört, was
ehr bedenklich stimmt. Ich erinnere daran, dass es in
er letzten Legislaturperiode gerade die FDP war, die
ich gegen globale Kürzungen bei genau diesen Stellen
ewehrt und übrigens auch durchgesetzt hat, dass sie da-
on ausgenommen wurden.
Meine Damen und Herren, wir teilen nicht die Auf-

assung, dass Mitarbeiter aus dem Bereich des BMI in
ie Auslandsvertretungen abgeordnet werden sollten,
ber wir können uns durchaus vorstellen, dass geeignete
itarbeiter aus diesem Bereich herausgelöst und an-
chließend in den auswärtigen Dienst übernommen wer-
en; denn dann könnte die Sachbearbeitung auf ent-
andte Mitarbeiter übertragen werden. Nur wenn mehr
ntsandte Mitarbeiter als Visaentscheider zur Verfügung
tehen und auftreten, kann die oftmals durchaus proble-
atische Betrauung von Ortskräften mit sicherheitsrele-
anten Aufgaben reduziert werden. Aber es macht kei-
en Sinn, wenn wir hier im Inland aufgrund eines
ersonalmangels an anderer Stelle Straftätern mit einem
ielfachen an Aufwand hinterherlaufen müssen. Wir
ordern deshalb Vorrang für die Prävention, notfalls

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13503


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Hellmut Königshaus

auch durch Umschichtung von Planstellen, aber nicht
durch Umschichtung von Zuständigkeiten.


(Beifall bei der FDP)

Ich komme zum Schluss: Alles dies werden wir im

Ausschuss, wenn er denn kommt, ohne Vorverurteilung,
aber selbstverständlich auch ohne Ansehen der Person
prüfen. Wir werden auch darauf achten, dass sich diese
Untersuchungen nicht in kleinliches Gezänk verirren,
wie es sich heute Morgen gezeigt hat. Die Sicherheit un-
seres Landes und übrigens auch der freiheitliche Charak-
ter unseres Landes sind uns viel zu wichtig; sie sind auch
viel wichtiger als dieser kleinliche Parteienstreit.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514518200

Bevor nun der fröhliche Wettbewerb in Latein weiter-

geht, weise ich auf unsere Geschäftsordnung hin, wo-
nach Reden im Deutschen Bundestag auch komplett in
deutscher Sprache vorgetragen werden dürfen.


(Heiterkeit bei der SPD)

Das Wort hat nun der Kollege Jerzy Montag, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was soll diese Multikultiseligkeit in dieser Debatte?)



Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514518300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kolle-

ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Opposition, die den
Antrag, über den wir heute beraten, unterschrieben ha-
ben, von Merkel und Glos bis Zeitlmann und Zöller,
wollen mit einem Visaausschuss Mitglieder unserer Re-
gierung des Rechtsbruchs bezichtigen und sie in die
Nähe von Prostitution, Menschenhandel und organisier-
ter Kriminalität rücken. Das ist unanständig und ver-
leumderisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Diese Verleumdungen weisen wir ganz entschieden zu-
rück. Wir werden auch im Untersuchungsausschuss da-
für sorgen, dass Sie auf diese Art und Weise nicht zum
Erfolg kommen können.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Bleiben Sie doch gelassen! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Gelassenheit ist angebracht!)


Sie wollen mit dem Visaausschuss Sachverhalte un-
tersuchen, die in diesem Hause schon dutzende Male be-
sprochen und erklärt worden sind. Ihre Anfragen und die
Antworten der Bundesregierung füllen bereits ganze Ak-
tenbände. Es gibt in der Visavergabepraxis des Auswärti-
gen Amtes nichts mehr aufzudecken, weil alle Fakten seit
Monaten bekannt sind. Kollege Volker Neumann hat in
der letzten Debatte zu diesem Thema, am 12. November,
einen vollständigen Abriss der Rechtslage und Verwal-

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(C (D ungspraxis gegeben. Also: Der Ausschuss ist eigentlich berflüssig. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist er immer!)


Sie wollen mit Ihrem Visaausschuss

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Schleuseraus schuss!)

n Wahrheit einen Keil zwischen Bundesaußenminister
ischer und Bundesinnenminister Schily treiben.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das brauchen wir doch gar nicht mehr! Der ist doch schon so groß! – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das steht schon in jeder Zeitung!)


a führt kein Weg hin. Mit dieser Leichtmatrosenmann-
chaft werden Sie bei diesem Vorhaben Schiffbruch er-
eiden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


ischer und Schily – das weiß jeder hier im Hause –, das
st ein ganz altes Gespann,


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Da passt kein Blatt Papier dazwischen!)


as Sie jedenfalls nicht auseinander bringen werden.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hatten wir schon einmal!)

Im Übrigen überschreiten Ihre Versuche in dieser
ichtung das Recht des Untersuchungsausschusses. Die
st verfassungswidrig, weil sie die geschützte Sphäre der
olitischen Meinungsbildung in der Bundesregierung
icht achten, sondern ausforschen wollen. Deshalb wer-
en wir Ihren Antrag heute in den Geschäftsordnungs-
usschuss überweisen,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wie immer!)

o er geprüft, vervollständigt und verfassungsfest ge-
acht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten bei der CDU/ CSU)


Sie wollen sich mit Ihrem Visaausschuss

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Schleuseraus schuss!)

inen Traum erfüllen: den seit Jahren beliebtesten Politi-
er in der Bundesregierung madig zu machen.
Herr Kollege Gehb, ich gratuliere Ihnen. Seit gestern

ind Sie designierter Obmann des Untersuchungsaus-
chusses in spe. Sie haben dies jedenfalls sehr schön in
er gestrigen Ausgabe der „Sächsischen Zeitung“ ausge-
ührt. Sinngemäß heißt es dort:


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Zitieren Sie wörtlich, nicht sinngemäß!)


13504 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Jerzy Montag

Wir werden Herrn Fischer in den Dunstkreis einer Fehl-
entscheidung stellen und nehmen billigend in Kauf, dass
dabei ein bisschen von seiner Popularität verloren geht.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das steht da nicht drin!)


Entlarvender kann man sich nicht äußern, als Sie es tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist infam!)


Sie werden sich überheben. Das Schwergewicht Fischer
– das meine ich diesmal ausschließlich politisch –


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


spielt in einer anderen Preisklasse. Da können Sie mit
Kreisverwaltungsreferenten aus München oder Impuls-
bolzen aus Hessen nicht kommen.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Diffamierung!)


Schließlich wollen Sie mit Ihrem Visaausschuss die
kommenden Wahlkampfzeiten erreichen. In Ihren Rei-
hen wird fortwährend über mögliche Untersuchungsaus-
schüsse verhandelt. Dabei ist die Hauptfrage nicht, was
man aufdecken kann, sondern: Womit können wir der
Bundesregierung am meisten schaden?


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo ist die Gelassenheit, von der Scholz gesprochen hat?)


Das Rennen hat jetzt der Visaausschuss gemacht, und
zwar offensichtlich, weil Sie in diesem das größte Skan-
dalisierungspotenzial sehen.

Sie haben sich mit dem Antrag aber – um den Aus-
schuss in die kommenden Wahlkampfzeiten zu platzie-
ren – sehr viel Zeit gelassen. Angeblich – Sie, Herr Kol-
lege Gehb, haben das heute hier gesagt – war das Urteil
des Landgerichts Köln der Auslöser für Ihre Entschei-
dung.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Unter anderem!)


Nur, das Urteil datiert vom 9. Februar und wir haben De-
zember.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ja und? Gut Ding will Weile haben!)


Der Kollege Gehb – so hat er sich gestern jedenfalls
geäußert – wurde durch das Urteil – Zitat – ganz hellhö-
rig und bei ihm gingen alle Alarmglocken an. Bei Ihnen,
Herr Kollege Gehb, haben diese Glocken jetzt zehn Mo-
nate lang geschrillt, ehe Sie auf die Idee mit dem Unter-
suchungsausschuss gekommen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber bei mir schrillen die Glocken wenigstens noch! – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


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(C (D Das Recht auf Einberufung eines Untersuchungsauschusses ist ein Minderheitenrecht. Und Sie sind eine inderheit; (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


lso werden Sie Ihren Ausschuss auch bekommen.
Aber dieser Untersuchungsausschuss wird sich um-

assend mit dem Thema der Anwendung des geltenden
usländerrechts und der Visaerteilungspraxis der deut-
chen Auslandsvertretungen insbesondere in den MOE-
nd GUS-Staaten beschäftigen müssen. Die Geschichte
er Visaerteilung und Visahandhabung für Osteuro-
äer fängt nicht im Oktober 1998 an. Sie glauben, die
hematisierung im Ausschuss auf den Zeitraum nach
998 begrenzen zu können. Mit dem Fall des Eisernen
orhangs, der Europa nach dem Ende des Zweiten Welt-
riegs in zwei gegnerische Teile geteilt hat, erhielten
illionen von Menschen die Reisefreiheit, die ihnen bis
ahin nicht vergönnt war. Sie nutzen diese Freiheit, so
ut sie können. Ihre Unterstellungen – seit Monaten sug-
erieren Sie in vielen Ihrer Reden, dass es sich hierbei
rößtenteils um Schwarzarbeiter, Prostituierte und Kri-
inelle handelt – sind durch und durch perfide.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Das hat niemand gesagt!)


Meine Damen und Herren, diese Menschen haben
irklich wenig Geld. Sie kratzen alles zusammen, was
ie haben, um sich die Reise in den Westen erlauben zu
önnen. Unter diesen Menschen gibt es auch solche, die
orübergehend schwarzarbeiten.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Aber nur zwei!)


uch gibt es Fälle von Zwangsprostitution und organi-
ierter Kriminalität; sie sind nicht zu dulden.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Und auch nicht zu fördern!)


amit beschäftigen sich die Sicherheits- und Strafverfol-
ungsorgane bei uns im Lande. Aber die meisten dieser
enschen wollten nur einmal erleben, was für uns seit
ahrzehnten selbstverständlich ist: die Welt sehen und
ich Neues anschauen. Danach wollten sie wieder in ihre
eimat zurückkehren.
Wir werden uns deshalb auch von Ihrem Antrag auf

insetzung eines Untersuchungsausschusses, der von
en Engstirnigen in Ihren Reihen unterstützt wird, nicht
avon abbringen lassen, dafür zu arbeiten, dass Deutsch-
and ein weltoffenes und gastfreundliches Land ist und
leibt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

o auf seine Nachbarn im Osten Europas zugeht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13505


(A) )



(B) )


Jerzy Montag

und dass Weltoffenheit und Humanität auch in Zukunft
wichtige, verpflichtende Elemente der Arbeit unserer
Auslandsvertretungen bleiben.


(Gernot Erler [SPD]: Sehr gut! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn Sie das ernst meinen, dann müssen Sie Ihre Visapraxis ändern!)


Gerade heute sind Ihre Angriffe auf Menschen aus der
Ukraine besonders heuchlerisch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Dabei beziehe ich mich ganz ausdrücklich auf das, was
mein Kollege Olaf Scholz dazu gesagt hat.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sie wollen einem doch nur die Worte verdrehen!)


Es ist unglaublich, dass Sie glauben, Sie könnten wohl-
feile Reden zugunsten der Demonstranten in Kiew und
Lwow halten und gleichzeitig die Masse der Ukrainer so
verleumden, wie Sie das tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Dummes Zeug! – Eine schäbige Behauptung! – Das ist doch fast schon Demagogie!)


Die schon am Anfang, besonders aber Mitte der 90er-
Jahre anschwellende Zahl von Visaanträgen führte bei
der Bearbeitung der Anträge tatsächlich zu großen Pro-
blemen. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurden sowohl
das Reisebüroverfahren als auch das Reiseschutz-
passverfahren eingeführt. Ersteres hat die Notwendig-
keit abgeschafft, persönlich bei der Visastelle vorzuspre-
chen, das Zweite hat für den Staat die Gewährleistung
einer unbürokratischen Ausfallbürgschaft für eventuelle
Kosten übernommen.

Es ist richtig: Schlepperringe haben sich dieser beiden
Instrumente bemächtigt und sie in vielen Einzelfällen
zur Täuschung der Auslandsvertretungen missbraucht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Ach nein! – Da kommen wir der Sache doch schon näher!)


Nur, meine Damen und Herren, das Reisebüroverfahren
und das Reiseschutzpassverfahren stammen nicht aus
unserer Regierungszeit, sondern sind von der Regierung
Kohl in den 90er-Jahren eingeführt worden.

Sie berufen sich immer auf das Urteil des Landge-
richts Köln vom 9. Februar dieses Jahres, zitieren es al-
lerdings völlig aus dem Zusammenhang gerissen und
verfälschen es komplett.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nein! Aber das haben Sie doch in Ihrer Presseerklärung gemacht!)


Ich habe mir vielleicht als einer der wenigen die Mühe
gemacht, das Urteil von A bis Z zu lesen. Darin wird auf
mehreren Hundert Seiten akribisch ausgeführt, dass der
Straftäter, der abgeurteilt worden ist, nicht den Volmer-
Erlass, den er wahrscheinlich gar nicht kannte, benutzt
hat, um nach Deutschland zu schleusen, sondern dass er
ausschließlich die beiden Instrumente, die in Ihrer Re-

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(C (D ierungszeit geboren worden sind – das Reisebüroverahren und das Reiseschutzpassverfahren –, missbraucht at, um in Deutschland seine Straftaten zu begehen. (Dr. Ludger Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


eswegen ist der in diesem Zusammenhang gegen die
undesregierung erhobene Vorwurf auch so zu verste-
en, dass er sich gegen Sie von der CDU/CSU richtet,
ie Sie mit erhobenem Finger auf die rot-grüne Bundes-
egierung zeigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Er hat ein anderes Urteil gelesen als wir!)


All diese Zustände, die im Einzelnen bekannt sind, sind
zwischen durch die Aktivitäten der Regierung und des
uswärtigen Amtes beendet worden. Am 3. August 2001
st zum Stichtag 1. Oktober 2001 die erste undichte
telle, das Reisebüroverfahren, gestopft worden. Im
ärz 2003 ist das andere Loch gestopft worden, indem
as Reiseschutzpassverfahren auf einen reinen Kranken-
ersicherungsnachweis zurückgeführt worden ist.
Was nicht abgestellt ist

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ist die Uhr! – Zuruf von der CDU/CSU: Das Mikrofon!)

nd was wir auch nicht abstellen wollen, meine Damen
nd Herren, ist die persönliche Einflussnahme von Ab-
eordneten der CDU/CSU auf die Visumserteilung für
iele Ukrainer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Da müssen Sie mit der Wahrheit ein bisschen genauer umgehen!)


er hat sich nicht alles für eine humane und men-
chenfreundliche Behandlung von Einreisewilligen
ingesetzt! An erster Stelle Herr Kollege Dr. Uhl,


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

ber viele andere Ihrer Fraktion auch. Sie alle haben um
ie Anwendung des Volmer-Erlasses gebeten:


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nein!)

itte nach Recht und Gesetz, aber doch nicht immer so
leinlich gegenüber denjenigen Reisewilligen, die sie zu
etreuen haben. Zu Hause im Wahlkreis warteten wohl
reunde auf Arbeitskräfte, auf Glaubensbrüder, auf Ge-
chäftspartner, auf Heiratswillige. Deswegen haben Sie
ich immer dafür eingesetzt.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch gut!)


ch kann nur noch einmal wiederholen: Sie wollen nicht
n die Wahrheit ran, Sie wollen an den Bundesaußenmi-
ister ran. Sie wollen mit Dreck werfen und hoffen, dass
twas hängen bleibt. Freuen Sie sich nicht zu früh.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Nein!)


13506 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Jerzy Montag

Lassen Sie es sich gesagt sein: Für Sie ist unser Außen-
minister Joschka Fischer wie eine Eiche:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/ CSU]: Was?)


An der können Sie sich wetzen und schuppern, bis Sie
bluten – die Eiche steht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am Ende der Ermittlungen des Untersuchungsausschus-
ses, den Sie jetzt durchsetzen wollen, werden Sie die
Scherben Ihrer Politik zu besichtigen haben. Sie sind un-
fähig zu guter Nachbarschaft in Richtung Osteuropa,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt kommen Sie mal langsam zum Ende!)


Sie können Sicherheit nur herstellen, indem Sie Frem-
denphobie und Ausländerangst schüren, und Sie setzen
die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands aufs Spiel: Sie
würden uns am liebsten von der Welt abschotten. Wir
werden uns anstrengen, dass Ihnen dies nicht gelingt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Mein Gott, muss der Mann Angst haben!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514518400

Ich erteile dem Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1514518500

Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kolle-

gen! Jerzy Montag aus München, Joschkas Ministrant
mit dem Weihrauchkästle in der Hand, das er betulich in
großer Sorge um seinen Außenminister schwenkt! Ha-
ben Sie doch keine Angst! Halten Sie es wie Herr
Scholz: Bleiben Sie ganz gelassen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden niemals versuchen, die geradezu sprichwört-
liche Geschlossenheit – bundesweit bekannt – zwischen
dem Exgrünen Schily und dem Obergrünen Joschka
Fischer zu stören. Wir wissen doch: Es passt kein Blatt
Papier zwischen die beiden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Hat keiner verstanden!)


Wir wollen Ihnen, Herr Montag, aber bei Ihrem neu-
erlichen Vorschlag, die Ukraine zu retten, indem wir den
Ukrainern Visa ausstellen, nicht folgen. Das machen wir
lieber nicht! Denn die Ukraine – mit Verlaub, das dürften
Sie wissen – hat die gleiche Bevölkerungsgröße wie
Frankreich. Wenn wir alle dort mit Visa ausstatten, damit
sie herkommen können, geht das vielleicht selbst
Joschka einen Schritt zu weit.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Einen kleinen!)


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(C (D ie benötigt und berechtigt dieser Schleuserunteruchungsausschuss ist, zeigen die hilflosen und geradezu benteuerlichen Bemühungen der Bundesregierung. (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Na, das wird ja ein Ausschuss!)


etzt wird Bundestagsabgeordneten der Union vorgehal-
en, sie hätten sich in mehreren Fällen für Visumsertei-
ungen ausgesprochen. Namen von Abgeordneten wer-
en von der Staatsministerin Kerstin Müller verlesen, so
ls hätte sie eigenhändig Ladendiebe erwischt und
önnte sie jetzt an den Pranger stellen.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Es geht um Aufrichtigkeit!)


Meine verehrten Damen und Herren, es ist und bleibt
as elementare Recht der Bürger, sich an ihren Abgeord-
eten zu wenden, und es ist unser Recht und auch unsere
flicht, Herr Scholz, mit diesen Petitionen an die Bun-
esregierung heranzutreten und um eine Überprüfung
es Sachverhalts zu bitten. Mich können Sie mit dieser
ethode jedenfalls nicht einschüchtern. In dem Fall, der
ier angeführt wurde, ging es um Folgendes: Das Baye-
ische Rote Kreuz führt seit Jahren Reisen für jugendli-
he Pfadfinder aus der Ukraine durch. Eines Tages gab
s Probleme mit dem Visum, kurz vor der Abreise; sie
atten ihre Rucksäcke schon gepackt. Ich habe mich
ann dafür eingesetzt, dass sie ihre Visa bekommen.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie alle so gut kannten! Weil Sie selber die Identität der Leute überprüft haben!)


Ja, ich bekenne mich dazu. Ich würde es wieder tun
nd ich hoffe doch sehr, dass auch Sie es tun würden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doppelzüngig ist das!)


Ich will Ihnen eines sagen, wovon Sie noch nichts
issen können: Ich habe gestern schon wieder in einem
isumsfall an das Auswärtige Amt geschrieben. Ein mir
eit 20 Jahren bekannter Perser mit – mittlerweile –
eutschem Pass hat eine schwere Krebsoperation vor
ich und will noch einmal Verwandtenbesuch aus Tehe-
an empfangen. Der Cousine und der Tochter wurde die
rteilung eines Visums abgelehnt, und zwar, wie mir
cheint, aus fadenscheinigen Gründen. Ich habe einen
rief geschrieben, weil mir der Mann bekannt ist, und
abe ausgeführt, wie der Fall wirklich liegt.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht haben Sie ein Sicherheitsrisiko geschaffen!)


ch habe mich dafür eingesetzt und werde mich auch
eiter dafür einsetzen. Ich hoffe sehr, dass auch Sie be-
eit sind, sich für solche humanitären Fälle einzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gilt also: im Zweifel für die Freiheit! – Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ihr könnt die Spreu nicht vom Weizen trennen!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13507


(A) )



(B) )


Dr. Hans-Peter Uhl


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514518600
Ich bitte
sie sehr, mit diesen perfiden Angriffen unverzüglich auf-
zuhören.


(Zuruf von der SPD: Wer ist hier perfide?)

Es wäre auch gut, wenn der eine oder andere Journalist
diese perfiden Angriffe nicht blindlings dümmlich ab-
pinseln würde.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts der politisch gewollten Praxis, die über

Jahre hinweg zu einem massenhaft unkontrollierten
Visamissbrauch – hunderttausendfach – geführt hat,
muss dieser Untersuchungsausschuss eingesetzt wer-
den. Die Visapraxis auf der Grundlage einer Weisung
des Außenministers Fischer von März 2000 verstößt ge-
gen den Geist des Schengen-Abkommens.

Wir haben mit schriftlichen Anfragen und mit Regie-
rungsbefragungen versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.
Die Bundesregierung hat präzise gestellte Fragen aber
nicht beantwortet. Sie hat Fakten dreist abgestritten und
Versäumnisse beschönigt. Das heißt, aus parlamentari-
schen Gründen müssen wir zum letzten denkbaren Mittel
des Untersuchungsausschusses greifen. Durch Zeugen-
vernehmungen und Aktenbeiziehungen werden wir
Licht in den Visaskandal bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Aufklärung durch diesen Ausschuss ist auch für

die Zukunft wichtig. Wir alle wissen, dass die Migra-
tionsströme nach Westeuropa und vor allem nach
Deutschland in den nächsten Jahren wachsen werden,
dass die Nachfrage nach Schengen-Visa von Jahr zu Jahr
größer werden wird und dass die Warteschlangen vor
den deutschen Visastellen noch länger werden. Das
heißt, wir müssen wissen, wie wir mit dieser Situation
umgehen können.

Wir müssen bedenken, dass es bei Monatsgehältern in
den GUS-Staaten in Höhe von 100 Euro gar nicht sein
kann, dass Hunderttausende von Menschen als Touristen
oder Geschäftsreisende hierher kommen. Wir wissen
ganz genau, dass die Mehrzahl dieser Menschen
Schwarzarbeiter und Billiglohnarbeiter sein müssen.
Meine Kollegen von der SPD, es wird Ihnen im nächsten
Jahr sehr zu schaffen machen – als Stichwort nenne ich
nur Hartz IV –, wenn Sie den Grünen die Hand für diese
Visapolitik reichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden es auch nicht zulassen, dass mit Visa ausge-
stattete Prostituierte in großer Zahl nach Deutschland,
insbesondere nach Berlin, kommen. Darüber wird noch
zu reden sein. Dies alles wird im Visa- bzw. Schleuser-
ausschuss geprüft werden.

Wir brauchen den Ausschuss, um die behördlichen
Versäumnisse der letzten Jahre aufzudecken. Wir brau-
chen den Ausschuss, um die dafür Verantwortlichen fest-
zustellen. Wir brauchen den Ausschuss, um die beste-
hende Visapraxis an den deutschen Konsularabteilungen
zu überprüfen und zu verbessern. Ich füge hinzu – Herr
Montag, hier haben Sie uns ganz gezielt, bewusst und

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(C (D ewollt missverstanden –: Der Untersuchungsausschuss at nicht zum Ziel, Deutschland abzuschotten. Deutschland als Industriestandort und als Exportna ion Nummer eins kann niemals auf den freien Verkehr on Wirtschaftsund Geschäftsleuten sowie auf den reien Austausch von Wissenschaftlern, Studenten und rofessoren verzichten. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stellen bei Ihnen einen Rest an Vernunft fest! – Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Selbst der fehlt Ihnen!)


eutschland hat niemals versucht, irgendwelche Ver-
andtenbesuche zu verhindern, die aus humanitären
ründen gemacht werden sollten. Wir werden uns dafür
insetzen, dass es zu einem solchen Austausch in noch
rößerer Zahl als bisher kommen kann. Wir werden auch
älle vortragen, in denen dieser vernünftige und gute
ustausch von Wissenschaftlern, Studenten und Wirt-
chaftsleuten behindert wurde. Auch das wollen wir in
iesem Ausschuss zur Sprache bringen, sodass das zu-
ünftig nicht mehr möglich ist.
Herr Montag, darin unterscheiden wir uns von Ihnen

nd von den Grünen ganz allgemein: Wir wollen keine
inreise von illegalen Billiglohnarbeitern,


(Sebastian Edathy [SPD]: Das will doch niemand! Das können Sie doch nicht ernsthaft behaupten! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was Sie da sagen, ist doch Unsinn!)


ir wollen keine Einschleusung von Prostituierten und
ir wollen kein Einsickern von Kriminellen und schon
ar nicht von Terroristen, wie es bereits vorgekommen
st.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ungeheuerlich, was Sie da erzählen! Das ist ja unglaublich!)


Sie haben die Möglichkeit, zu sortieren. Die Bundes-
egierung hat eingespielte Verwaltungsapparate in den
isastellen. Fangen Sie ja nicht an, die Schuld auf die
pitzenbeamten der Konsularabteilung zu schieben. Die
chuld liegt bei der politischen Führung und nicht bei
en kleinen Beamten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

as Problem liegt ganz allein bei der grünen politischen
ührung, ihren Instruktionen und Erlassen, die wir Stück
ür Stück durchleuchten werden.
Verblendet von der eigenen Ideologie sitzen die Grü-

en nach wie vor in ihrem Kitschladen von Weltoffen-
eit und multikultureller Gesellschaft. Nicht einmal die
reignisse in Holland haben die Grünen wachgerüttelt.
ine realitätsbezogene Sicherheitspolitik, wie sie uns
orschwebt, ist mit den Grünen nicht zu machen.


(Sebastian Edathy [SPD]: Das machen wir seit sechs Jahren!)


s gibt die Gefahr des massenhaften Visamissbrauchs.
ies müssen Sie zur Kenntnis nehmen, aber das wollen

13508 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Dr. Hans-Peter Uhl

vor allem die Grünen nicht wahrhaben. Auch die Pro-
bleme der illegalen Einwanderung müssen Sie ernst neh-
men. Sie aber wollen sie verdrängen.

Der Untersuchungsausschuss wird zeigen – in dem
Wortlaut des Volmer-Erlasses wird in diesem Zusam-
menhang von Weltoffenheit schwadroniert –, wie ein-
gangs schon gesagt worden ist, ob der Bundesaußenmi-
nister Joschka Fischer die Visapraxis überprüft und
grundlegend geändert hat. Er will die Türen für ein welt-
offenes Deutschland nach dem Motto öffnen: Macht
hoch die Tür, die Tor macht weit.


(Gernot Erler [SPD]: Das haben Sie eben doch auch gemacht!)


Das ist grüne Zuwanderungspolitik pur. Diese grüne Zu-
wanderungspolitik ist gescheitert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie ist an den Zuständen vor der deutschen Botschaft in
Kiew gescheitert, die sprichwörtlich geworden und
durch die ganze Weltpresse gegangen sind.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie für eine Angst vor uns!)


Sie sind mit Ihrer multikulturellen, offenen Zuwande-
rungspolitik, die die Sicherheitsinteressen Deutschlands
negiert, gescheitert. Dies werden wir deutlich machen.
Dazu brauchen wir den Ausschuss, in dem dies offen ge-
legt werden wird. Was danach mit Joschka Fischer pas-
siert, werden wir schon sehen. Bleiben Sie gelassen,
Herr Montag.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514518700

Das Wort hat nun die Kollegin Monika Heubaum für

die SPD-Fraktion.


Monika Heubaum (SPD):
Rede ID: ID1514518800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum wie-
derholten Male haben wir nun heute Gelegenheit, uns in
diesem Hohen Hause mit dem Lieblingsthema einiger
Kollegen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu be-
schäftigen, nämlich mit dem ungeheuren Vorwurf, die
Bundesregierung leiste durch die Praxis ihrer Visaertei-
lung kriminellen Machenschaften Vorschub.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Landgericht Köln!)


Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich hat
die Opposition das Recht, mögliche Missstände oder
Fehlentwicklungen,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sehr großzügig!)


die in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung
fallen, aufzudecken oder zu untersuchen.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Schönen Dank auch!)


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(C (D llerdings sollte dieses Vorhaben mit einer gewissen eriosität betrieben und nicht zu vordergründigen popuistischen Zwecken missbraucht werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Entschuldigung, es soll nicht wieder vorkommen! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


Hunderte von Anfragen, mündlich, schriftlich, Große
nd Kleine Anfragen,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Dicke und dünne!)


at die Bundesregierung in der Zwischenzeit bearbeitet
nd beantwortet.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ich bin im Panoptikum!)


m 12. November dieses Jahres haben wir hier im
ause die Große Anfrage zum Verdacht der Förderung
er Schleuserkriminalität durch die Bundesregierung de-
attiert.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Der Verdacht hat sich erhärtet!)


as öffentliche Interesse an diesem Thema bleibt aller-
ings begrenzt.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das kann ich nicht sagen! Die Leute haben mich ganz häufig gefragt!)


iebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
önnen Sie mir denn Beispiele für das Medienecho nen-
en, das diese Debatte damals gefunden hat, die überdies
ur besten Sendezeit am Freitagvormittag übertragen
orden ist?


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ist das der Maßstab für die Wichtigkeit politischer Themen?)


önnen Sie mir irgendeinen Zeitungsartikel nennen, der
uf genuines Interesse der Medien schließen lässt und
icht aus Ihren Reihen unterfüttert worden ist?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Dann können wir uns nur noch mit Bohlen und Küblböck beschäftigen, wenn das der Maßstab ist!)


Nun werden wir uns also in den nächsten Wochen
eiterhin mit diesen Praktiken, die Sie anwenden, und
it diesem Thema beschäftigen dürfen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Müssen!)

n der letzten Woche, der Haushaltswoche, haben wir
us den Reihen der CDU/CSU schon einen kleinen Vor-
eschmack auf das bekommen, was uns in der nächsten
eit erwartet. Mit Worten, die ich besser nicht wieder-
ole, weil ich vom Bundestagspräsidenten nicht gerügt
erden möchte, wurde hier der Außenminister be-
chimpft. Ihm wurde vorgeworfen, er habe dazu beige-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13509


(A) )



(B) )


Monika Heubaum

tragen, dass Millionen von Ausländern illegal nach
Deutschland und in andere europäische Länder einge-
reist seien.

Trotz diverser Entschuldigungen wurden die perfiden
Vorwürfe in der Sache nicht zurückgenommen. Diese
Äußerungen insgesamt machen deutlich, um was es der
CDU/CSU mit diesem Untersuchungsausschuss über-
haupt geht: den Außenminister und die politische Füh-
rung des Auswärtigen Amtes zu diskreditieren,


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ist das Ihre einzige Sorge? Durch Wiederholung wird das nicht besser!)


nicht aber, um Aufklärung in der Sache zu betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass die Union dieses Ziel verfolgt, erkennt man an den
Äußerungen im Plenum. Ich denke hier nicht zuletzt an
den Kollegen Dr. Uhl, der den Staatsminister a. D.
Dr. Ludger Volmer einen einwanderungspolitischen
Triebtäter nannte.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Man erkennt es auch an den Formulierungen des Einset-
zungsantrags.


(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Daher kann die Vorlage der CDU/CSU in einem seriös
arbeitenden Parlament, wie wir es sind, nicht akzeptiert
werden und muss an den Geschäftsordnungsausschuss
überwiesen werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Reinigung! – Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Katharsis!)


Der Auftrag des Untersuchungsausschusses ist in dem
Antrag völlig unklar formuliert. Er bezieht sich nicht auf
Tatsachen und Fakten, sondern enthält Unterstellungen,
durch die die Mitglieder der Bundesregierung sowie ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verunglimpft, be-
schimpft und vorverurteilt werden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie ein Beispiel nennen?)


So wird etwa suggeriert, dass die Bundesregierung ge-
gen geltendes Recht und internationale Verpflichtungen
verstoßen habe, dass sie die organisierte Kriminalität
fördere und Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik
Deutschland und der Schengenstaaten gefährde.


(Gernot Erler [SPD]: Unglaublich! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das haben wir gar nicht gesagt!)


Ich möchte hier eindringlich darauf hinweisen, in
welch sensiblem Bereich sich die Visapolitik abspielt.
Deutschland ist, wie schon ausgeführt wurde, ein weltof-
fenes und gastfreundliches Land und wir haben ein gro-
ßes Interesse an dieser Offenheit, die unsere Gesell-
schaft nämlich erst zu der macht, die sie ist. Aus vielen

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(C (D ründen, seien sie wirtschaftlicher, kultureller, wissenchaftlicher, touristischer oder familiärer Natur, haben ir ein Interesse an ständigem und regelmäßigem perönlichem Austausch mit dem Ausland. Unsere Offeneit ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa in Spiegelbild der Freiheit unserer Gesellschaft. Auf iese Freiheit und damit auch auf die Offenheit gegenber Besuchern aus dem Ausland sind wir sehr stolz. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


ir müssen gerade angesichts terroristischer Bedrohung
eiterhin für sie kämpfen. Denn ohne sie verliert unsere
esellschaft nicht nur ihre einzigartige Anziehungskraft,
hne sie verlieren wir auch ein Stück unserer politischen
reiheit.
Aber wir müssen natürlich auch die Erfordernisse der

nneren Sicherheit berücksichtigen. Die Anschläge
om 11. September 2001 und vom 11. März 2004 in
adrid haben wohl am deutlichsten gezeigt, dass Offen-
eit auch Risiken für die Sicherheit mit sich bringt, vor
enen wir die Augen selbstverständlich nicht verschlie-
en. Das tun wir auch nicht. Sicherheitspolitik ist bei der
oalition in sehr guten Händen.


(Lachen bei der CDU/CSU – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da war Beifall vorgesehen!)


ir sind offen für legale Einreisen. Wir wehren uns ge-
en Versuche der illegalen Einreise nach Deutschland
nd Europa. Schleusertum, Zwangsprostitution, Drogen-
chmuggel – diesen Verbrechen müssen wir auch mit
nserer Visapolitik vorbeugen. Im Kontext der Globali-
ierung werden diese Probleme nicht weniger. Im Ge-
enteil: Sie begegnen uns in ganz neuen Dimensionen.
us diesem Grund dürfen die Sicherheitsinteressen
eutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger nicht
ernachlässigt werden. Wenn Fälle von Missbrauch und
orruption auch und gerade im Zusammenhang mit der
rteilung von Visa auftreten, dann müssen sie entschlos-
en bekämpft werden. Das tun wir auch.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Spannungsbereich von Sicherheit einerseits
nd dem Wunsch nach Offenheit andererseits arbeiten
ie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Visastellen
er deutschen Auslandsvertretungen. Sie haben eine ver-
ntwortungsvolle Aufgabe und werden ihr in ganz über-
iegendem Maße in hervorragender Weise gerecht.
Der rechtliche Rahmen hat sich dabei im Kern nicht

eändert: Sie sind gebunden an das deutsche Ausländer-
echt, das Schengener Durchführungsübereinkommen
nd an die Gemeinsame Konsularische Instruktion. Da-
it spielen im Visumsverfahren nicht nur die Sicher-
eitsbelange, sondern auch humanitäre Verpflichtungen
ine Rolle. Auch diesen Ansprüchen müssen wir bei der
rteilung von Visa gerecht werden und dürfen sie kei-
esfalls als Instrument zur Abschottung missbrauchen.
Dazu gibt es den Bereich der Ermessensentscheidun-

en, in dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
nserer Botschaften und Konsulate bewegen. Diese

13510 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Monika Heubaum

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hervorragende Ar-
beit leisten, werden sich nun bei der Union dafür bedan-
ken können, dass sie mit der Einsetzung eines Untersu-
chungsausschusses unter Generalverdacht geraten und
verunsichert werden.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Eben nicht!)

Wie sollen sie ihren Ermessungsspielraum für sachge-
rechte Entscheidungen noch wahrnehmen können, wenn
ihre Arbeit zum Spielobjekt parlamentarischer Profilie-
rung gemacht wird?

Sehr geehrte Damen und Herren von der Union, Sie
haben selbstverständlich das Recht, einen Untersu-
chungsausschuss zu beantragen. Es findet sich in Ihrem
Antrag jedoch kein einziger der vorgenannten Aspekte
wieder, die dem Untersuchungsausschuss wenigstens ein
bisschen Sinn verleihen würden. Aber wen wundert es?
Ihr Ziel ist es ja nicht, eine sachliche Debatte zu führen,
sondern das Ansehen der politischen Führung des
Auswärtigen Amtes und insbesondere das des Bundes-
außenministers zu beschädigen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wir schaben uns den Rücken an der Eiche der deutschen Regierung blutig!)


Daher muss, wie gesagt, der Antrag an den GO-Aus-
schuss überwiesen und dort überarbeitet werden.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514518900

Frau Kollegin, denken Sie bitte daran, dass Ihre Rede-

zeit abgelaufen ist.


Monika Heubaum (SPD):
Rede ID: ID1514519000

Ja. – Abschließend sage ich den Damen und Herren

von der CDU/CSU-Fraktion, dass sie ihr Ziel, das sie
mit dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsaus-
schusses verfolgen, nämlich den Außenminister und das
Auswärtige Amt zu diskreditieren, nicht erreichen wer-
den.


(Beifall bei der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Sie beschädigen sie durch Ihre dauernden Wiederholungen ja mehr, als wir uns träumen lassen können!)


Wir von der SPD-Fraktion sehen diesem Untersu-
chungsausschuss daher sehr gelassen entgegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Das merken wir an den Redebeiträgen! Wie sind Sie denn eigentlich, wenn Sie nicht gelassen sind?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514519100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Clemens

Binninger.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1514519200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Angesichts
der Debattenbeiträge von Rot-Grün in den vergangenen

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(C (D 0 Minuten habe ich den Eindruck, dass versucht wird, inen der größten ausländerrechtlichen Skandale in der eschichte der Bundesrepublik Deutschland mit der lealen Praxis der Visaerteilung zu verknüpfen, (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es ein bisschen kleiner!)


nd dass Sie selbst davor nicht zurückschrecken, die Be-
ühungen der demokratischen Opposition in der Ukra-
ne damit zu verknüpfen. Das ist beschämend!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Gernot Erler [SPD]: Das ist leider die Wahrheit!)


arum geht es weder in dieser Debatte noch bei dem
orgesehenen Untersuchungsausschuss.
Es geht auch nicht darum, Herr Montag, dass es in der

ergangenheit möglicherweise immer wieder einmal
robleme bei der Visaerteilung gegeben hat. Visamiss-
rauch mag es immer wieder gegeben haben.
Kriminalität ist leider unter allen Regierungen ein

hänomen, das nicht ganz ausgemerzt werden kann.
enn Kriminalität aber eine bestimmte Dimension er-

eicht hat, dann muss man nachfragen, wie das möglich
st. Es geht hier um die Tatsache, dass seit dem Jahr 2000
ie Zahl der illegalen Schleusungen sowie der Men-
chenhandel und die Prostitution – ich beziehe mich da-
ei insbesondere auf die deutsche Botschaft in der
kraine – in einem Maße wie noch nie zuvor in der Ge-
chichte dieses Landes zugenommen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das behaupten Sie nur!)


as steht in Zusammenhang mit dem Erlass, den das
ußenministerium unter Verantwortung des heute schon
iel zitierten Ministers Fischer – ich hätte ihn gar nicht
rwähnt; aber Sie selber reden ja dauernd von ihm – im
ahr 2000 verfügt hat. Der Fischer/Volmer-Erlass regelt
m Kern Folgendes: Im Zweifel ist bei der Visaerteilung
ie Reisefreiheit höher zu bewerten als die Sicherheit der
enschen in unserem Land. Allein das ist ein Skandal,
em man nachgehen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn! Sie haben ihn nie gelesen!)


Doch, ich habe ihn gelesen.
Seit In-Kraft-Treten dieses Erlasses sind die Zahlen

er erteilten Visa und auch der Missbrauchsfälle – das ist
er Zusammenhang – dramatisch gestiegen. Wenn man
ich den Erlass genau anschaut, dann stellt man fest, dass
it ihm zumindest das gefördert wurde, was wir vermei-
en wollen, nämlich dass Menschen illegal in unser
and kommen. Wenn man sich zudem die gesamte Ge-
chichte des Prozesses in Köln vor Augen führt, dann
uss man leider feststellen: Der Fischer/Volmer-Erlass
ar kein taugliches Instrument für eine vernünftige

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13511


(A) )



(B) )


Clemens Binninger

Visapolitik, sondern ein Weckruf für die organisierte
Kriminalität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte anhand von ein paar Fakten versuchen

– auch wenn Sie sich darüber genauso wie über die Ein-
setzung eines Untersuchungsausschusses heute schon
mehrfach empört haben –, der deutschen Öffentlichkeit
die Zusammenhänge aufzuzeigen. 1998 und 1999 – Herr
Erler, damals waren Sie schon an der Regierung – er-
teilte die deutsche Botschaft in der Ukraine im Durch-
schnitt 140 000 Visa pro Jahr. Sicherlich wird es auch in
dieser Zeit Missbrauchsfälle gegeben haben. Aber das
scheint das Normalmaß gewesen zu sein. Das kritisiere
ich nicht. Aber als im Jahr 2000 der Fischer/Volmer-Er-
lass in Kraft trat, stieg die Zahl der durch die deutsche
Botschaft in der Ukraine erteilten Visa schlagartig auf
über 200 000. Als es sich in der Szene herumgesprochen
hatte, wie leicht man hier an Visa kommen kann, ist im
folgenden Jahr die Zahl der erteilten Visa auf 300 000
gestiegen. Angesichts solcher Dimensionen ist es noch
nicht einmal im Ansatz möglich – da können die Mitar-
beiter noch so gut sein; allein mengenmäßig geht das
nicht mehr –, zu bewerten, ob der Antrag auf ein Visum
korrekt ist oder ob es sich um kriminelle Aktivitäten
handelt. 300 000 Visa in einem Jahr dank Ihres Erlasses,
in dem die Reisefreiheit im Zweifel höher bewertet wird
als die Sicherheit der Menschen in unserem Land! Das
sind die Fakten, die den Zusammenhang zwischen dem
Fischer/Volmer-Erlass und dem Anstieg der Zahl der
missbräuchlich erteilten Visa belegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD])


– Sicher nicht, Herr Kollege Hartmann. Dass wir uns alle
dafür verwandt haben, mag nur in Einzelfällen stimmen.
Aber den Zusammenhang zwischen dem Fischer/
Volmer-Erlass und den beschriebenen Dimensionen, die
seit In-Kraft-Treten dieses Erlasses erreicht wurden,
können Sie jedenfalls nicht wegdiskutieren.

Wenn dann in einem Gerichtsverfahren noch bekannt
wird, dass ein Verurteilter auf seiner Homepage mit der
Adresse www.visafabrik.de Werbung machen konnte,
dann zeigt das doch, welche Schleusen Sie mit diesem
Erlass geöffnet haben. Deshalb führen wir heute diese
Debatte und deshalb haben wir die Einsetzung eines Un-
tersuchungsausschusses beantragt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden im Untersuchungsausschuss verschiede-

nen Fragen nachgehen müssen, zum Beispiel der Frage,
wie es sein konnte, dass südeuropäische Nachbarstaaten
Deutschlands schon früher auf den Missbrauch aufmerk-
sam wurden und warum nichts passiert ist, nachdem das
BMI das Außenministerium informiert hatte. Herr
Montag, wir werden außerdem der Frage nachgehen
müssen, wie ein tschetschenischer Terrorist, der an dem
Anschlag auf das Moskauer Musicaltheater beteiligt war,
trotz angeblicher Warnhinweise des russischen Nach-
richtendienstes ungehindert mit einem von der deutschen

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(C (D otschaft in Moskau erteilten Visum nach Deutschland inreisen und auch wieder ausreisen konnte. Wir werden der Frage nachgehen müssen, wie es sein ann, dass sich das BMI und das Auswärtige Amt bei er Bundesdruckerei für den später Verurteilten verandt haben, ohne dabei versicherungsrechtliche Legitiationen hinreichend zu beachten. Außerdem werden ir der Frage nachgehen müssen, warum Außenminister ischer – jetzt erwähne ich ihn doch – diesem Treiben so ange zugesehen hat – ob informiert oder nicht, das wird er Untersuchungsausschuss klären –, durch das so viel riminelle Energie wie noch nie in unser Land und in achbarstaaten gekommen ist. Deshalb führen wir diese ebatte und deshalb beantragen wir die Einsetzung eines ntersuchungsausschusses. Wie notwendig die Einsetzung eines Untersuchungs usschusses ist, konnten die Kollegen im Innenauschuss gestern beim Auftritt des Vertreters des Auswärtien Amtes lebhaft erfahren. (Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich sehe, dass der Kollege Winkler etwas fragen
öchte.


(Heiterkeit)

enn Sie die Redezeit anhalten, dann lasse ich die Frage
u.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514519300

Das mache ich natürlich. Vielen Dank für die Unter-

tützung bei der Leitung der Sitzung.
Herr Winkler, bitte.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜEN)

Herr Kollege Binninger, Sie haben gerade sehr lange

nd ausführlich über die Situation in der Ukraine und
ber die in der dortigen Botschaft aufgetretenen Miss-
tände gesprochen. Sie haben das mit einem Erlass des
uswärtigen Amtes aus dem Jahre 2000 begründet.
Wie kann es Ihrer Meinung nach zu diesen Missstän-

en durch einen Erlass, der für – wohlgemerkt – alle
isastellen, also für alle konsularischen Abteilungen und
ür alle Botschaften, weltweit gilt, kommen, wenn er
och angeblich so gemünzt ist, dass jeder einigermaßen
ntelligente Verbrecher auf dieser Welt nichts anderes zu
un hat, als sich auf ihn zu berufen, ihn zu nutzen und
ach Deutschland alles einzuschleusen, was ihm irgend-
ie über den Weg läuft? Mir ist diese Deduktion noch
icht wirklich klar. Wie kommen Sie dazu, zu glauben,
ass es an diesem Erlass liegt, dass nur aus diesen Län-
ern vermehrt eingeschleust worden ist und dass es nur
urch wenige Fälle, die andere hier schon erwähnt ha-
en, aufgefallen ist?
Das kann doch nur daran liegen – ich bitte Sie, zu

agen, ob Sie mir da zustimmen –, dass es hier um

13512 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Josef Philip Winkler

kriminelle Einzelfälle geht und dass das Ganze mit dem,
was der Richter, der von seiner richterlichen Freiheit Ge-
brauch gemacht hat, in seinen Urteilsbegründungen an
Dummheiten geschrieben hat, überhaupt nichts zu tun
hat. Dieser Richter hat sich wohl geirrt. Er hat Politik ge-
macht und keine Sacharbeit vor Gericht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo war die Frage?)


– Stimmen Sie mir darin zu?

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1514519400

Kollege Winkler, ich könnte es mir ganz einfach ma-

chen und sagen: Nein, ich stimme Ihnen nicht zu.
Ich will aber den Versuch unternehmen – das liegt

vielleicht an meiner eigenen beruflichen Erfahrung –, Ih-
nen zu sagen, warum es gerade in der Ukraine oder in ih-
ren Nachbarstaaten zu Unregelmäßigkeiten gekommen
ist. Die Nähe zu Deutschland spielt für Kriminelle na-
türlich eine Rolle.


(Detlef Dzembritzki [SPD]: Das ist doch keine Antwort auf die Frage!)


Es ist in den Botschaften all derjenigen osteuropäischen
Länder, die nahe an Deutschland liegen und noch nicht
in der EU sind, zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Das
ist sicherlich ein Aspekt. Das Entscheidende aber ist:
Die Unregelmäßigkeiten haben zu einem Zeitpunkt ein-
gesetzt, als der Fischer/Volmer-Erlass in Kraft trat. Da-
ran kommen Sie nicht vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Kausalität!)


Ich will noch einen weiteren Grund dafür nennen, wa-
rum wir den Untersuchungsausschuss für so notwendig
halten. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes, Staats-
sekretär Chrobog, hat dafür gestern im Innenausschuss
ein paar treffende Beweise geliefert.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist das!)

Herr Chrobog war schon einmal vor zehn Monaten in
unserem Ausschuss und hat über die ganze Sache berich-
tet. Damals hat er laut Protokoll gesagt:


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau zuhören jetzt!)


In Kiew wurden 16 Ortskräfte wegen Korruption entlas-
sen. Gestern musste er auf Nachfragen einräumen, er
habe sich wohl getäuscht und es seien wohl sechs gewe-
sen. Das kann ja einmal passieren.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das haben wir schon geklärt!)


Er hat vor zehn Monaten gesagt, der Fischer/Volmer-
Erlass sei präzisiert worden, man habe die Sache mittler-
weile im Griff und die Korrekturmechanismen zeigten
Wirkung. Gestern hat er gesagt, die Erlasslage sei leider
verwirrend, man habe den Fischer/Volmer-Erlass mitt-
lerweile außer Kraft gesetzt und etwas Neues erlassen.

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(C (D or zehn Monaten hat er gesagt, die Korrekturmaßnahen hätten gegriffen und die Zahl der erteilten Visa sei ieder auf dem Niveau von 1999. Das wären 140 000. estern musste er einräumen, dass wir nach der Hälfte es Jahres 2004 schon fast wieder bei 100 000 sind, das eißt, dass es am Ende dieses Jahres wieder 200 000 isa sein werden. Er hat uns beschrieben, wie das Außenministerium ukünftig Missbräuche verhindern will. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen olmer? Gerne. (Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke, der hat Redeverbot! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Redeerlass jetzt!)

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514519500
Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1514519600


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514519700

– Darf ich im Plenum nicht mehr reden?
Herr Binninger, Sie haben gerade dargestellt, wie oft

ich die Erlasslage ändert. Herr Scholz hat in seinem
rsten Beitrag auch schon dargestellt, wie sich die
rlasslage seit 1989/90 immer wieder geändert hat. Da-
ei nehmen wir insbesondere auf die Umbrüche in Ost-
uropa und in ganz besonderer Weise auf die Umbrüche
n der Ukraine Bezug. Würden Sie angesichts dessen
olgendes zur Kenntnis nehmen?
Im Moment macht sich die Europäische Union Ge-

anken darüber, wie die Ukraine näher an Europa heran-
eführt werden kann. Es gibt einen so genannten Action
lan – Aktionsplan – zur Heranführung – –


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Gut, dass Sie es übersetzen! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ein notwendiger Hinweis!)


Ich kann nichts dafür, dass Sie kein Englisch sprechen;

(Lachen bei der CDU/CSU)


nglisch ist aber nun einmal die Umgangssprache in der
U. Ich muss den Text gleich ohnehin ins Deutsche
bersetzen, weil er mir nur in Englisch vorliegt.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1514519800

Herr Kollege Volmer, die Frage – –


Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514519900

Der Aktionsplan der Europäischen Union für die
kraine, Herr Binninger, enthält ein ganzes Maßnah-
enbündel.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Der soll eine Frage stellen!)


ürden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass das Maß-
ahmenbündel der Europäischen Union, erarbeitet im

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13513


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Dr. Ludger Volmer

Ausschuss für Osteuropa und Zentralasien, am
12. Oktober der Presse vorgestellt – –


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So geht es nicht! Schluss! Genug, das man sich mit dem Erlassmissbrauch rumschlägt! Jetzt auch noch das mit dem Missbrauch des Fragerechts!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514520000

Entschuldigen Sie. Einen Moment! – Ich darf einmal

Folgendes klarstellen – weil es diesen Zwischenruf so
oft gibt, wollte ich das den Kollegen der Opposition
schon häufig sagen –: Nach der Geschäftsordnung kann
man Zwischenfragen stellen oder auch Zwischenbemer-
kungen machen. Was hier passiert, ist also durchaus im
Rahmen der Geschäftsordnung. Deswegen behält der
Kollege Volmer jetzt auch weiterhin das Wort.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber eine halbe Stunde oder wie?)



Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514520100

Herr Binninger, es geht darum, dass sich die Wei-

sungslage besonders in Bezug auf die Ukraine immer
wieder verändert. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass
sich in dem neuesten Papier der Europäischen Union zur
Ukraine, in dem Aktionsplan zur Heranführung der
Ukraine an die Europäische Union, der Vorschlag findet


(Zuruf von der CDU/CSU)

– nun hören Sie zu! –: Wir sollten darüber nachdenken,
mehr Flexibilität in das existierende Visaregime einzu-
führen.


(Gernot Erler [SPD]: Hört! Hört! Das haben wir alle gemeinsam beschlossen! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das war eine tolle Sache!)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1514520200

Herr Kollege Volmer, Sie haben mit Ihrer Zwischen-

frage oder mit Ihrer Zwischenbemerkung eigentlich das
bestätigt, was ich zu Beginn meiner Rede gesagt habe.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Er hat nichts dazugelernt!)


Sie verknüpfen wieder einmal Legales und politisch Ge-
wolltes mit Illegalem.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es gibt nichts Illegales!)


Wir legen aber Wert darauf, dass man illegale Zustände
beendet, die Verursacher benennt, die Konsequenzen
daraus zieht und parallel dazu in allen legalen Bestre-
bungen nicht nachlässt. Das unterscheidet uns mögli-
cherweise. Das ist Ihr Fehler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich nehme noch einen dritten Anlauf, um über den

Auftritt von Staatssekretär Chrobog im Innenaus-
schuss zu berichten. Er wollte uns beschreiben, wie das
Außenministerium von Herrn Fischer zukünftig den

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(C (D isamissbrauch verhindern will. Er hat gesagt, seit neustem sei eine Einladerdatei im Einsatz, mit der die otschaften abgleichen könnten, wenn immer wieder die leichen Einlader, möglicherweise missbräuchlich, in rscheinung träten. Keine schlechte Idee; eine von uns mmer wieder erhobene Forderung. Daran hat uns aber etwas gestört. Wir haben ihn ge ragt, wie das sein könne, weil das für uns völlig neu sei. araufhin hat sich Herr Chrobog mit anderen beraten nd dann gesagt, er habe sich leider noch einmal geäuscht; die Einladerdatei werde erst ab 1. Januar 2005 ngewandt, wenn das Zuwanderungsgesetz in Kraft gereten sein werde. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Er hat sich etwas genauer ausgedrückt!)


uch da war die Freude nur kurz. Wir mussten ihm näm-
ich sagen: Das geht gar nicht, weil beim Zuwanderungs-
ompromiss zwar über die Einladerdatei gesprochen
urde, aber die Rechtsgrundlage dafür fehlt.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!)

Wenn das die Instrumente des Ministeriums von
errn Fischer sind, mit denen es Visamissbrauch be-
ämpfen will, nämlich Instrumente, die es noch gar nicht
ibt, dann tut der Untersuchungsausschuss mehr Not
enn je.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Untersuchungsausschuss wird zeigen, dass dieser

rlass, der mittlerweile nicht mehr in Kraft ist, in den
ahren 2000 bis 2004 ein Weckruf für die organisierte
riminalität war. Sie können so weit zurückgehen, wie
ie möchten: Aus dieser Verantwortung können Sie sich
icht stehlen. Der Untersuchungsausschuss wird genau
as zutage bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514520300

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael
artmann.

Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1514520400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Ich habe jetzt bei dieser wahrhaftig nicht sehr
urzen Debatte aufmerksam den Rednern von der Union
ugehört. Man muss ihnen eines attestieren: Sie haben
ich bemüht, sie haben sich angestrengt, sie haben ge-
appelt, sie haben gekrampft, aber sie haben nicht einen
rund nennen können, warum dieser Untersuchungsaus-
chuss wirklich notwendig sein soll.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Lieber Herr Kollege Hartmann, dann haben Sie etwas mit den Ohren!)


Vielleicht sind die Nachdenklichen unter Ihnen,
eine Damen und Herren, bereit, einen Moment tatsäch-
ich zuzuhören. Das Recht auf Einsetzung eines Untersu-
hungsausschusses ist eines der wichtigsten und höchs-
en parlamentarischen Rechte, die im Grundgesetz – in

13514 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Michael Hartmann (Wackernheim)


diesem Fall in Art. 44 – verbrieft sind. Es handelt sich
um ein zentrales Minderheitenrecht, dem wir als
Mehrheitsfraktion natürlich auch in diesem Falle hohe
Achtung entgegenbringen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Diese hohe Achtung merkt man!)


Diese hohe Achtung, Herr Dr. Gehb, verpflichtet uns,
mit besonderer Sorgfalt mit diesem rechtlichen Instru-
ment umzugehen, das der Kontrolle dient. Deshalb
appelliere ich in der Tat an Sie, insbesondere an die
Nachdenklichen unter Ihnen: Setzen Sie doch dann einen
Untersuchungsausschuss ein, wenn es wirklich gerecht-
fertigt und notwendig ist, und entwerten Sie nicht dieses
wesentliche parlamentarische Element.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wer beliebig damit umgeht, darf sich nicht darüber
beklagen – das beklagen ja auch wir in Talkshows,
Sonntagsreden und anderswo –, dass die Parlamente
nicht mehr ernst genommen werden, dass die Menschen
sich von uns abwenden und nichts mehr mit dem zu tun
haben wollen, was wir hier tun. Was Sie da machen,
stellt ein Beispiel dafür dar, wie man nicht vorgehen
sollte.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wie sollen denn die Menschen etwas erfahren haben, wenn noch nicht berichtet wurde?)


Es ist in der Tat so, dass es bei der Visaerteilung an
der Botschaft in Kiew zu Unregelmäßigkeiten kam und
dass vieles nicht so gelaufen ist, wie wir gemeinsam es
gerne wollten. Das haben Sie moniert und kritisiert. Sie
haben den Finger in die Wunde gelegt, indem Sie dafür
gesorgt haben, dass sich der Auswärtige Ausschuss da-
mit auseinander setzt, indem Sie zweimal den Innenaus-
schuss damit befasst haben und indem Sie eine Große
Anfrage, eine Kleine Anfrage und mehr als
100 Einzelfragen gestellt haben, die alle anständig, voll-
ständig und gründlich beantwortet worden sind.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das eben nicht!)


Deshalb ist es überflüssig, was Sie da heute aufziehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ CSU]: Fragen Sie einmal jemanden, der das weiß!)


Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns wechselsei-
tig skandalisieren. Wir kommen auch nicht weiter, wenn
wir einen parlamentarischen Stil an den Tag legen, der,
gelinde gesagt, Herr Kollege Dr. Uhl, in sich wider-
sprüchlich ist. Sie haben in der Debatte im März – wir
beschäftigen uns ja schon fast ein Jahr mit dem Thema –
auf den Hinweis des Kollegen Volmer, dass der Grund-
satz „in dubio pro libertate“ gelte, wörtlich folgenden
Satz gesagt:

Sie benutzen eine solche Formulierung, obwohl Sie
genau wissen, dass es um organisierte Kriminalität



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(C (D jetzt wird es besonders bemerkenswert –, um miesesten, finstersten Menschenhandel, um international organisiertes Schleusertum geht. erselbe Herr Dr. Uhl, der das gesagt hat, der will nun in neutraler Ausschussvorsitzender werden – wir weren schon genau darauf schauen, wie neutral Sie das andhaben –, und derselbe Dr. Uhl hat eben sogar zugeeben, dass er sich in Briefen in vielen Fällen dafür einesetzt hat, dass Menschen aus der Ukraine hierher komen dürfen. Lösen Sie einmal diesen Widerspruch auf: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


inerseits schüren Sie latent Misstrauen und unterstel-
en, dass Horden von Illegalen und Kriminellen zu uns
ommen, und andererseits stimmen Sie an Weihnachten
n den Ruf ein, dass die Unterdrückten und Verfolgten zu
ns kommen sollen. Das passt nicht zusammen.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Unglaublich! Er versteht es nicht!)


Wir sind der festen Überzeugung: Wenn man diese
orfälle anführt und wenn man sich tatsächlich damit
useinander setzen will, dann sollten wir es gründlich
nd anständig tun. Deshalb werden wir Ihren Antrag in
en Geschäftsordnungsausschuss überweisen, wohl be-
ründet und gut fundiert. Wenn etwas nicht in Ordnung
ar, muss man feststellen, wie es dazu kam. Man muss
um Beispiel die Zusammenarbeit mit dem ADAC und
as Aushandeln der Briefe durch Herrn Kanther und an-
ere Kollegen der damals unionsgeführten Regierung
enau überprüfen. Wenn Herr Kanther einmal fünf Mi-
uten Zeit hat – er ist ja noch anderswo beschäftigt –,
ören wir ihn vielleicht auch zu diesem Thema an.
chließlich ist er nun untersuchungsausschuss- und ge-
ichtserprobt.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist Ihre Form von Sachlichkeit!)


Herr Dr. Gehb, als Sie vorhin die wirklich unsägli-
hen Richteräußerungen zitiert haben, habe ich gedacht:
iese Äußerungen eines Richters sind wirklich starker
obak. Danach habe ich festgestellt, dass auch Sie Rich-
er waren. Dann erstaunt mich das allerdings nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Wir nehmen auch Herrn Wiefelspütz gegen diese Vorwürfe in Schutz! Der war auch Richter!)


Herrn Wiefelspütz braucht man nicht in Schutz zu neh-
en und genauso wenig muss man andere Personen aus
er Koalition in Schutz nehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nun

inmal wahr, dass wir ein weltoffenes, tolerantes Land
ein wollen und dass all jene zu uns kommen sollen und
ürfen, die sich an Recht und Gesetz halten. Wenn Ver-
ahren nicht in Ordnung sind, wenn Fehler gemacht oder
traftaten begangen werden, dann funktionieren unsere
echtsstaatlichen Verfahren gut genug, um all dem ein

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13515


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Michael Hartmann (Wackernheim)


Ende zu setzen, um all das zu unterbinden, wie der Pro-
zess und die Urteile gezeigt haben.

Anstatt also hier pharisäerhaft zu argumentieren, soll-
ten wir nach der letzten Sitzungswoche in die verdiente
Weihnachtspause gehen und uns mit der Stimmung der
Weihnacht überlegen, ob wir nicht auf diesen überflüssi-
gen Untersuchungsausschuss verzichten wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach dem so genannten Lügenausschuss und mit dem
von Ihnen nun beantragten Visaausschuss


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Schleuserausschuss!)


würde diese Legislaturperiode sonst in die Geschichte
eingehen als die Legislaturperiode mit den überflüssigs-
ten von der Unionsfraktion beantragten Untersuchungs-
ausschüssen. Bewahren Sie uns gemeinsam davor!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514520500

Es liegt ein Antrag zur Geschäftsordnung vor. – Bitte.


Dr. Peter Ramsauer (CSU):
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens

meiner Fraktion stelle ich den Antrag auf sofortige Ab-
stimmung über unseren Antrag.


(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wie es in der Verfassung und im Gesetz steht! – Zuruf von der SPD: Das entscheiden Sie doch nicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514520700

Eine weitere Wortmeldung zur Geschäftsordnung. –

Bitte.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1514520800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wi-

derspreche diesem Antrag. Es ist völlig unsinnig, über
diesen Antrag sofort abzustimmen, weil er weder in sei-
nem Inhalt noch in seinem Titel dem entspricht, was ei-
nem Untersuchungsausschuss angemessen wäre. Wir
sind deswegen der Auffassung, dass der Antrag im Ge-
schäftsordnungsausschuss sorgfältig geprüft werden
muss. Dahin werden wir diesen Antrag überweisen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514520900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Fraktion der

CDU/CSU wünscht sofortige Abstimmung in der Sache.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
wünschen Überweisung an den Ausschuss für Wahlprü-
fung, Immunität und Geschäftsordnung.

Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschuss-
überweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage

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(C (D eshalb zunächst: Wer stimmt für die beantragte Übereisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Das st eindeutig. Damit ist die Überweisung mit der Mehreit der Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die timmen von CDU/CSU und FDP beschlossen. Damit stimmen wir heute nicht über den Antrag auf rucksache 15/4285 ab. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 f sowie usatzpunkt 6 a und 6 b auf: 7 a)


und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Für eine Bekräftigung des absoluten Folter-
verbots
– Drucksache 15/4396 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf
Bindig, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Christa Nickels, Volker
Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Nepal – Menschenrechte schützen und Gewalt
beenden
– Drucksache 15/4397 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Ulrich Heinrich, Daniel Bahr (Münster),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Einhaltung der Menschenrechte in Nepal
– Drucksache 15/3231 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine zügige Zeichnung, Ratifizierung und
Umsetzung des Zusatzprotokolls zur UN-Anti-
Folter-Konvention
– Drucksache 15/3507 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

13516 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Holger

Haibach, Dr. Martina Krogmann, Melanie
Oßwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Presse- und Meinungsfreiheit im Internet
weltweit durchsetzen – Journalisten, Men-
schenrechtsverteidiger und private Internet-
nutzer besser schützen
– Drucksache 15/3709 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe (16. Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Bundesregierung
EU-Jahresbericht zur Menschenrechtslage
Ratsdok. 13449/03
– Drucksachen 15/2636 Nr. 2.16, 15/3001 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christa Nickels
Rudolf Bindig
Holger Haibach
Rainer Funke

ZP 6a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Werner Hoyer, Rainer Funke, Daniel Bahr

(Münster), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der FDP
Menschenrechte in der Volksrepublik China
einfordern
– Drucksache 15/4402 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ratifikation des 12. Zusatzprotokolls zur Eu-
ropäischen Menschenrechtskonvention
– Drucksache 15/4405 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Rudolf Bindig, der aber erst anfangen
wird, wenn hier Ruhe eingekehrt ist.

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(C (D Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle en! Der 10. Dezember ist der Internationale Tag der enschenrechte. Es ist gute Tradition, dass der Deutche Bundestag zum Jahresende die Aufmerksamkeit auf ie Menschenrechte lenkt. Menschenrechte sind jedoch eine freundliche Adventsgabe; sie taugen auch nicht für ippenbekenntnisse in politischen Schönwetterlagen. enschenrechte müssen sich gerade in politischen Kriensituationen bewähren. Es sind Rechte, die zu jeder eit allen Menschen zustehen, ob arm oder reich, ob in frika oder Europa, ob Frau, Mann oder Kind; sie sollen in Leben in Würde sichern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Rudolf Bindig (SPD):
Rede ID: ID1514521000

Nach der Hälfte der Legislaturperiode stellt sich die
ilanz der rot-grünen Menschenrechtspolitik positiv dar.
ir haben viel erreicht. Zunächst ist es erfreulich, dass
ie Stelle des Menschenrechtsbeauftragten im Aus-
ärtigen Amt wieder besetzt wurde. Mit Tom Koenigs
rhalten wir einen hervorragenden Mitstreiter, der im
osovo und zuletzt in Guatemala persönlich erfahren
onnte, wie wichtig die Menschenrechte für Frieden,
emokratie und Aussöhnung sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


ir wünschen ihm alles Gute für seine schwierige Auf-
abe. Zugleich danken wir der bisherigen Amtsinhabe-
in, Claudia Roth, für ihren engagierten Einsatz.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unsere Zwischenbilanz nach zwei Jahren kann sich
ehen lassen. Der nächste Menschenrechtsbericht der
undesregierung wird auf unsere Anregung hin erstmals
inen nationalen Aktionsplan enthalten und dadurch
icht nur über Ereignisse und Aktionen der beiden letz-
en Jahre informieren, sondern auch perspektivisch
läne und Projekte vorstellen. Mehrere Ratifizierungen
nternationaler Abkommen bzw. ihrer Zusatzprotokolle,
o das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention,
as sich mit Kindersoldaten befasst, wurden abgeschlos-
en bzw. auf den Weg gebracht.
Wir haben uns intensiv mit der menschenrechtlichen

erantwortung von Unternehmen auseinander gesetzt
nd werden weiterhin für die UN-Normen zur men-
chenrechtlichen Verantwortung und für ein Beschwer-
everfahren zum Sozialpakt eintreten. Seit kurzem gibt
s den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konflikt-
ösung und Friedenskonsolidierung“, der ein wichtiges
lement bei der Prävention von Menschenrechtsverlet-
ungen ist. Auch die Rechte der Frauen wurden weiter
estärkt. Unter anderem wurde vor wenigen Wochen ein
esetz gegen den Menschenhandel verabschiedet.
Ab Januar kann endlich das Zuwanderungsgesetz

mgesetzt werden, das wesentliche Verbesserungen für
lüchtlinge bringen wird, insbesondere für Opfer nicht
taatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung und

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13517


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Rudolf Bindig

für viele Personen, die in Deutschland bislang nur gedul-
det waren.

Wir haben uns ferner intensiv mit der Vereinbarkeit
von Menschenrechten und islamischem Recht ausei-
nander gesetzt und eine klare Grenzlinie zwischen inter-
kulturellem Dialog und Menschenrechtsdialog gezogen.
Wir haben bei jeder sich bietenden Gelegenheit innenpo-
litisch wie außenpolitisch darauf hingewiesen, dass es
im Kampf gegen den Terrorismus keinerlei Relativie-
rung der Menschenrechte geben darf.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Auch den Schutz bedrohter und verfolgter Menschen-
rechtsverteidiger haben wir gemeinsam gestärkt und in
diesem Kontext zum letztjährigen Tag der Menschen-
rechte die Aktion „Parlamentarier schützen Parla-
mentarier“ ins Leben gerufen. Ich danke allen Kolle-
ginnen und Kollegen, die sich daran aktiv beteiligt und
sich für gefährdete Politiker und Politikerinnen im Aus-
land eingesetzt haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Selbstverständlich haben wir uns regelmäßig mit
Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern be-
fasst. Nicht immer schlägt sich dies in unmittelbar vor-
zeigbaren Arbeitsergebnissen nieder, wie zum Beispiel
in einem Antrag, den wir heute zu Nepal vorgelegt haben.
Allerdings sind länderspezifische Anträge nicht immer
hilfreich, auch wenn sich die FDP dies mit ihrem Antrag
zur bevorstehenden Chinareise des Bundeskanzlers ein-
bildet. Manchmal ist ein kritischer Menschenrechtsdia-
log mit Regierungsvertretern und Parlamentskollegen
oder die Unterstützung einheimischer Menschenrechts-
organisationen und Menschenrechtsverteidiger eher ziel-
führend. Ich jedenfalls habe die Absicht, Menschen-
rechtsthemen direkt anzusprechen, wenn ich nächste
Woche den Bundeskanzler auf seiner Reise nach China
und Japan begleite.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies sind einige Punkte unserer Halbzeitbilanz. Nicht
weiter ausgeführt habe ich Problembereiche, die wir
über Jahre hinweg bearbeiten. Dazu gehören der Kampf
gegen die Genitalverstümmelung, die Diskriminierung
von Minderheiten, Straflosigkeit oder die EU-Asyl- und
-Flüchtlingspolitik.

Auch der Kampf gegen Folter zählt zu den men-
schenrechtlichen Kernthemen. Weil dieses Thema so
wichtig und momentan leider hochaktuell ist, haben wir
für die heutige Debatte einen Antrag dazu vorgelegt. Der
Titel „Für eine Bekräftigung des absoluten Folterver-
bots“ macht bereits klar, dass es nicht darum geht, etwas
Neues zu fordern, sondern darum, Bewährtes beizube-
halten. Seit dem 11. September 2001 nämlich bröckelt
das absolute Folterverbot, nicht nur an den Stammti-
schen dieser Welt, sondern auch in politischen und juris-
tischen Erörterungen.

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(C (D Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus cheinen Folter und andere grausame, unmenschliche der erniedrigende Behandlung oder Strafen eine unheilolle Renaissance zu erleben. Plötzlich wird von einigen olter als notwendige und legitime Präventivmaßnahme erechtfertigt, um durch die Erpressung lebensrettender nformationen gewaltsame Anschläge verhindern zu önnen. Plötzlich wird Folter als „robuste Verhörmehode“ bezeichnet, allenfalls verharmlosend „Rettungsolter“ genannt. Plötzlich soll es so etwas wie eine „gute olter“ geben. Heiligt in einem solchen Ticking-Bomb-Szenario der weck die Mittel? Der Ermessensspielraum ist groß und irft viele Fragen auf: Wer entscheidet über die lebensedrohende Brisanz einer Situation? Kann ein Verdächtier mit Gewissheit zum Feind erklärt und damit der Foler preisgegeben werden? Wer foltert – und wie? Darf ich ein Rechtsstaat auf eine Ebene begeben mit den Folerknechten dieser Welt? Die Antwort muss für uns alle indeutig sein: Nein, kein Staat darf foltern, erst recht icht ein Rechtsstaat. olter ist ein Anschlag auf die Würde des Menschen. icht umsonst ist das Folterverbot vielfach in internatioalen und regionalen Konventionen verankert und gilt bsolut. Ein Rechtsstaat, der zulassen würde, dass es inerhalb seiner Grenzen wieder Folterer und Gefolterte ibt, würde jede Legitimation und Glaubwürdigkeit verieren. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall im ganzen Hause)


In Deutschland ist Folter auch verfassungsrechtlich
eächtet. Wir sollten uns darin auch nicht durch einige
üngere rechtsphilosophische Äußerungen und Grundge-
etzkommentare verunsichern lassen. Deutschland sollte
ach innen und nach außen klar und konsequent Position
ür das absolute Folterverbot beziehen.
Aus der Vorbildfunktion heraus, die Deutschland in-

ernational in Menschenrechtsfragen einnimmt, wäre es
ünschenswert, dass wir so rasch wie möglich das Zu-
atzprotokoll zur UN-Anti-Folter-Konvention zeichnen
nd ratifizieren. Ich appelliere an jene unionsgeführten
änder, die noch Vorbehalte haben, den Weg für eine
atifizierung frei zu machen. Deutschland könnte damit
nternational ein wichtiges Signal setzen. Ich bin froh,
ass die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern er-
reulich verlaufen.
Lassen Sie uns alle dazu beitragen, dass der jahrhun-

ertelange Kampf gegen die Folter nicht vergeblich war!
assen Sie uns alle für das absolute Folterverbot eintre-
en! Den Kampf gegen den Terrorismus können und
erden wir auch mit rechtsstaatlichen Mitteln gewinnen.
avon bin ich überzeugt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


13518 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514521100

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Holger Haibach.


Holger Haibach (CDU):
Rede ID: ID1514521200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist inzwi-
schen gute Übung hier im Deutschen Bundestag, anläss-
lich des Tags der Menschenrechte eine Debatte zu füh-
ren. Erfreulich ist aus meiner Sicht die weitgehende
Einigkeit über viele Themen im Bereich Menschen-
rechte. Weniger erfreulich ist allerdings, dass wir uns mit
einer Fülle von menschenrechtlichen Problemen kon-
frontiert sehen, die in einer solchen Debatte kaum noch
vernünftig und sachgerecht behandelt werden können.

Wo stehen wir also im Jahr 2004, in einer Zeit der
Terrorismusbekämpfung und der Integrationsdebatte?
Wo stehen wir, was den Stellenwert der Menschenrechte
betrifft, zur Halbzeit dieser Legislaturperiode in
Deutschland sowie im Parlament und wo steht die Bun-
desregierung? Wo liegen neue Herausforderungen? Wel-
che Lösungen haben wir?

Das Zusammenrücken in einer globalisierten Welt
und die Medialisierung unserer Gesellschaft tragen dazu
bei, dass Krisen mehr und mehr erfahrbar werden. Nah-
ost, China, Kuba und zuletzt Sudan und Simbabwe wa-
ren dabei die geographischen Stichworte in der Men-
schenrechtsdebatte der letzten Jahre. Andererseits
drohen Konfliktregionen, die nicht im Fokus der Me-
dienöffentlichkeit stehen, leicht in Vergessenheit zu ge-
raten. Mit Ausnahme von Kolumbien ist Lateinamerika
ein gutes Beispiel hierfür.

Deshalb haben wir als deutsche Parlamentarier die
Aufgabe, Mechanismen zu fördern und zu entwickeln,
die dem Schutz und der Durchsetzung der Menschen-
rechte weltweit möglichst effizient dienen. Das Pro-
gramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“
– Kollege Bindig hat es schon angesprochen – war ein
richtiger und wichtiger Schritt in dieser Hinsicht und ein
erfolgreicher noch dazu. Zahlreiche Kolleginnen und
Kollegen haben die durch unseren Ausschuss aufgebaute
Datenbank bereits genutzt und sich über verfolgte Parla-
mentarier informiert. Da wir alle gemeinschaftlich die
Einrichtung dieses Programms beschlossen haben, sind
wir nun auch in der Pflicht, die gesammelten Informatio-
nen zu nutzen und uns für verfolgte Kolleginnen und
Kollegen einzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei der SPD)


Außerdem sollten wir noch mehr Anstrengungen un-
ternehmen, die Öffentlichkeit für dieses Vorhaben zu
sensibilisieren. Immerhin können wir darauf verweisen,
dass die erste Parlamentarierin, für die wir uns im Rah-
men einer Petition eingesetzt haben, die kurdische Abge-
ordnete Leyla Zana, inzwischen aus ihrem türkischen
Gefängnis entlassen worden ist. Es wäre vermessen, zu
behaupten, dass dies auf unser Programm zurückzufüh-
ren ist. Aber es ist, so meine ich, doch berechtigt, zu sa-

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(C (D en, dass wir mitgeholfen haben, die notwendige Auferksamkeit herzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Öffentliche Aufmerksamkeit gilt es auch beim Thema
enschenrechte in der Türkei insgesamt einzufordern.

ch will an dieser Stelle keinesfalls die Beitrittsdebatte
ühren; das ist sicherlich Thema einer anderen Debatte.
ch frage mich nur ab und an, ob die Bundesregierung
nd an ihrer Spitze der Kanzler deutlicher als bisher be-
eit sind, zu formulieren, dass ungeachtet aller unbe-
treitbaren Fortschritte die bisher durchgeführten Refor-
en bei weitem noch nicht im täglichen Leben der
enschen in der Türkei angekommen sind.
Ich will für die CDU/CSU-Fraktion deutlich machen,

ass wir nach wie vor Defizite sehen, vor allen Dingen
n der Behandlung der Religions- und Minderheiten-
echte. Noch immer sind gerade die christlichen Reli-
ionsgemeinschaften Behinderungen und Repressalien
usgesetzt.
So kann nach wie vor das 1971 geschlossene Pries-

erseminar auf der Insel Halki vor Istanbul seinen Be-
rieb nicht aufnehmen, obwohl seit zwei Jahren eine Lö-
ung versprochen ist. Bei der Rückerstattung von
rundstücken und Gebäuden an verschiedene Kirchen
ind von den circa 2 000 Anträgen etwa 300 deswegen
bgelehnt worden, weil die Liegenschaften unter dem
amen eines Heiligen registriert sind und dessen Zu-
timmungserklärung zur Umschreibung in das Grund-
uch fehlt, weil der Heilige umständehalber nicht zur
mschreibung erscheinen kann. Hinzu kommen Pro-
leme bei der Wahl von Stiftungsvorständen, der unge-
lärte Status von ausländischen Geistlichen und vieles
ehr.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Recht haben Sie, Herr Kollege!)


Darüber redet der Bundeskanzler aber leider nur aus-
esprochen selten in der Öffentlichkeit. Ein offenes
ort, wie er es auch bei anderen Gelegenheiten unter
reunden für sich beansprucht, wäre auch an dieser
telle mehr als angebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

ie Voraussetzung dafür, ein offenes Wort sprechen zu
önnen, ergibt sich logischerweise nur dann, wenn man
uch die Gelegenheit dazu hat.
In diesem Zusammenhang will ich auf eine neue, aus
einer Sicht sehr Besorgnis erregende Entwicklung hin-
eisen: auf die Einschränkung der Meinungsfreiheit
m Internet, die wir als CDU/CSU-Fraktion heute mit
inem eigenen Antrag zum Thema der Debatte gemacht
aben. In der Türkei zum Beispiel werden Internetseiten
ensiert oder blockiert sowie Internetcafes überwacht.
ber es gibt neben der Türkei noch viele andere Länder,
ie dabei noch wesentlich restriktiver vorgehen und das
echt auf freie Meinungsäußerung in den neuen Medien
inschränken. Diese Tatsache wiegt umso schwerer, als
ie Zahl der Internetnutzer und damit die Bedeutung des

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13519


(A) )



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Holger Haibach

Internets für die Gewinnung von Informationen immer
größer wird.

Hinzu kommt, dass das Internet gerade für diejenigen,
deren Bewegungsfreiheit entweder aufgrund staatlicher
Repression oder aus Mangel an Geld oder wegen der Ge-
fahr von bewaffneten Konflikten eingeschränkt ist, oft
die einzige Möglichkeit zur Meinungsäußerung oder zur
Information bietet. So nimmt es denn auch nicht wunder,
dass gerade die Staaten, die ohnehin für schwere Men-
schenrechtsverletzungen bekannt sind, insbesondere auf
diesem Feld große Anstrengungen unternehmen, um In-
ternetjournalisten, Menschenrechtsaktivisten und nor-
male Internetnutzer zu behindern und ihnen den Zugang
zum Internet entweder ganz zu verwehren oder diesen
passend zur jeweiligen Ideologie einzuschränken.

Einige Beispiele dafür haben wir in unserem Antrag
aufgelistet. Aufgrund der Kürze der Redezeit will ich
hier nur eines davon nennen: In China ist nicht nur der
Zugang zum Internet und zu E-Mails zensiert und regle-
mentiert; darüber hinaus befinden sich zurzeit 60 oder
61 Cyber-Dissidenten – die Zahl schwankt etwas – we-
gen Verstoßes gegen die Zensurmaßnahmen in Haft.
Vorgestern meldete der „Spiegel“ in seiner Online-Aus-
gabe, dass China den Zugang zur Nachrichtenseite der
Internetsuchmaschine Google gesperrt hat, obwohl sich
Google von vornherein zur Selbstzensur entschlossen
und erklärt hat, keine gegenüber dem Regime in China
kritischen Seiten zu veröffentlichen.

Gerade wir, die wir in Deutschland nach unserer Er-
fahrung im letzten Jahrhundert über Sensibilität verfü-
gen und auch eine entsprechende Gesetzgebung haben,
sind in der Verantwortung, diesen Entwicklungen in aller
Schärfe entgegenzutreten.


(Beifall im ganzen Hause)

Der Bundestag und insbesondere die Regierung sind hier
gefordert. Das ist einer der vielen Punkte, die der Bun-
deskanzler und auch Herr Bindig – wenn er mitreist,
freut mich das sehr –, ansprechen sollten, wenn sie dem-
nächst zu einer Reise nach China aufbrechen. Hoffent-
lich tun sie das dann auch und hoffentlich ist der Bun-
deskanzler in seiner Wortwahl ebenso deutlich wie die
Mitglieder seiner Koalition oder der ehemalige Bundes-
präsident Johannes Rau, wenn es um andere Fragen hin-
sichtlich der Menschenrechte geht: die Diskriminierung
religiöser Minderheiten wie der Christen oder der Falun-
Gong-Anhänger, die Repression gegenüber ethnischen
Minderheiten, die Unterdrückung der kulturellen Auto-
nomie der Tibeter oder auch die exzessive Verhängung
der Todesstrafe oder die Anwendung von Folter.

Man kann den Kolleginnen und Kollegen der FDP
nur zustimmen, dass seitens der Regierung und des
Kanzlers nicht von dem auch durch seine eigene Koali-
tion vorgegebenen Weg bezüglich des Waffenembargos
abgewichen werden darf.

Glaubwürdigkeit – das ist eine Binsenweisheit – ent-
steht durch vorbildliches Handeln im eigenen Haus. Wir
können nur dann in der Welt auftreten und zum Beispiel
Misshandlungen und Folter in China geißeln, wenn wir
uns auch in Deutschland ganz klar zu diesem Thema äu-

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(C (D ern. Deshalb begrüßen es auch CDU und CSU, dass es ach langem Ringen so scheint, als könnten die Ratifiierung und die Umsetzung des Zusatzprotokolls zur N-Anti-Folter-Konvention bald vonstatten gehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


leichzeitig müssen wir aber auch deutlich machen,
ass in Deutschland kein Platz für Folter sein kann, we-
er in der Gesellschaft noch bei der Polizei, auch nicht
ei unseren Streitkräften.


(Beifall im ganzen Hause)

eutschland sollte hier weiterhin seiner Vorreiterrolle
erecht werden.
Wenn wir jetzt Resümee ziehen und uns die Frage

om Beginn meiner Rede nochmals vornehmen, wo wir
enn eigentlich stehen, dann sehen wir, dass wir alle
war auf dem Weg sind, aber noch viel vor uns haben.
nsbesondere diese Bundesregierung, die es sich nun
inmal zum Anspruch gemacht hat, Menschenrechtspo-
itik als Querschnittsaufgabe zu definieren, hat noch ei-
en sehr weiten Weg vor sich.
„Deutsche Menschenrechtspolitik: widersprüchlich

nd entwicklungsfähig“ – so urteilt etwa das Forum
enschenrechte nach zwei Jahren Rot-Grün in der zwei-

en Amtszeit. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirk-
ichkeit bleibt erkennbar. Amt gewordenes Symbol für
iese Kluft ist die Position des Menschenrechtsbeauf-
ragten der Bundesregierung, ein „Posten mit großem
itel und wenig Einfluss“. Damit Sie nicht glauben, das,
as ich hier sage, sei das übliche Oppositionsgenörgle,
ill ich Ihnen gern gestehen, dass diese Formulierung
icht mir, sondern der „Frankfurter Rundschau“ einge-
allen ist, die nun wahrlich nicht in dem Verdacht steht,
ine Hauspostille von CDU, CSU oder FDP zu sein.


(Rudolf Bindig [SPD]: Eine der wenigen!)

n ihrer Ausgabe vom 25. Oktober 2004 schreibt diese
eitung anlässlich des Ausscheidens von Claudia Roth
us diesem Amt, der ich übrigens bei dieser Gelegenheit
och einmal recht herzlich für ihre wichtige und enga-
ierte Arbeit danken will:


(Beifall im ganzen Hause)

Das ihr

Frau Roth –
Mögliche habe sie aus dem Amt herausgeholt. Das
„Mögliche“ ist schon von Amts wegen klein: ein
kleiner Arbeitsstab, geringe Kompetenzen und noch
dazu muss sich der oder die Menschenrechtsbeauf-
tragte oft auf die Zunge beißen … Denn die „harte“
Außenpolitik machte ohnehin der Minister.

Möge es dem Nachfolger von Frau Roth, Tom
oenigs, gelingen, seinerseits das Mögliche oder viel-
eicht sogar das Unmögliche aus dem Amt herauszuho-
en, und möge es uns in den nächsten Jahren gemeinsam
elingen, einen Beitrag zur Durchsetzung der Men-
chenrechte in unserem Lande und weltweit zu leisten.

13520 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Holger Haibach

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514521300

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christa Nickels.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514521400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Debatte über Folter möchte ich nicht das wieder-
holen, was meine Kollegen aus den verschiedenen Frak-
tionen bereits völlig zu Recht vorgetragen haben. Ich un-
terstreiche jeden einzelnen Satz.

Wir bringen in diese Debatte zum Tag der Menschen-
rechte aus gutem Grund einen Antrag ein, der die abso-
lute Gültigkeit des Folterverbots bekräftigt. Es ist eine
fatale Entwicklung, dass im Kampf gegen den Terro-
rismus sicher geglaubte Grundwerte plötzlich infrage
gestellt werden sollen. Folterstaaten verweisen mit
Häme und Genugtuung darauf, dass sich – ihrer Mei-
nung nach – der freie Westen das Prinzip der unveräu-
ßerlichen Menschenrechte offenbar nur zu Schönwetter-
zeiten leisten will und im Zweifel nur für seine eigenen
Bürger. Doch das Folterverbot gilt notstandsfest und ab-
solut.

Darum bin ich froh, dass Deutschland eine sehr wich-
tige Rolle bei der Ausarbeitung des 2002 verabschiede-
ten Zusatzprotokolls zur UN-Anti-Folter-Konvention
geleistet hat. Jetzt ist es umso wichtiger, dass die Bun-
desrepublik dieses Zusatzprotokoll auch zeichnet und
ratifiziert. Das Besondere an diesem Protokoll ist die
Einrichtung eines nationalen, unabhängigen Kontroll-
gremiums, das regelmäßig Besuche in den Einrichtun-
gen durchführt, in denen Menschen die Freiheit entzo-
gen wird, sei es im Bereich der Polizei und Justiz, sei es
in geschlossenen Abteilungen von Heimen und Psychia-
trien.

Hier werden Länderzuständigkeiten berührt. Deshalb
müssen die Länder der Ratifizierung des Protokolls zu-
stimmen. Ich begrüße es sehr, dass Bund und Länder in-
zwischen konstruktiv an einer pragmatischen Lösung ar-
beiten. Ich kann nur betonen, wie wichtig eine rasche
Zeichnung und Ratifizierung wäre, um eine innen- und
außenpolitischen Signalwirkung zu erzielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben gestern den Appell der Vereinten Natio-
nen, mehr Mittel für die humanitäre Arbeit aufzubrin-
gen, unterstützt. Herr Morris, der Direktor des World
Food Programm, war anwesend und hat uns noch einmal
nachdrücklich auf die wieder schlechter werdende Situa-
tion von Hunderttausenden von Menschen in Darfur auf-
merksam gemacht. Unsere Regierung setzt sich auf die-
sem Gebiet sehr beispielhaft ein. Ich möchte daher noch
einmal darauf hinweisen, dass es absolut wichtig ist,
dass die sudanesische Regierung als deutliches Zeichen
ihres Willens, diese Krise zu beenden und für das Wohl
der Menschen zu sorgen, statt guter, starker Worte, die

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(C (D erlässliche und konsequente Umsetzung der VNund U-Beschlüsse angeht. Wir brauchen dringend eine Öffnung und einen unittelbaren, ungestörten Zugang aller humanitären Oranisationen zu den Menschen in Darfur. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


ir brauchen eine effiziente Zusammenarbeit der suda-
esischen Regierung mit der Afrikanischen Union und
en Vereinten Nationen. Wir brauchen endlich eine Ent-
affnung der Janjawid und die Festnahme der für Ver-
rechen, für Massenvergewaltigung, Vertreibung und
ord Verantwortlichen. Diese Verbrechen sind gerade in
er letzten Woche wieder aufgeflammt. Tausende Men-
chen waren diesen Verbrechen ausgesetzt und sind ih-
en zum Opfer gefallen. Es wäre ein ganz wichtiges Zei-
hen, wenn einer der berüchtigtsten Milizenführer der
anjawid, Musa Hilal, der in Khartum frei umhergehen
nd seinen Geschäften nachgehen kann, endlich festge-
ommen, vor Gericht gestellt und zur Verantwortung ge-
ogen würde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Ich möchte mit Blick auf Darfur noch einmal darauf
inweisen, dass im April dieses Jahres in diesem Haus
ehr viele Appelle dahin gehend formuliert wurden, dass
ir alle, zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda,
ufgerufen sind, alles uns Mögliche zu tun, um solch ka-
astrophale Situationen und Massenmorde zu verhin-
ern. Ich glaube, dass gerade vor diesem Hintergrund die
nstrengungen für die Menschen in Darfur verstärkt
erden müssen.
Auch glaube ich, dass wir in Vorbereitung des zehn-

en Jahrestags des Massakers von Srebrenica im Juli
ächsten Jahres sehr viel tun müssen, damit der Aktions-
lan „Krisenprävention“, den Bundesregierung und Par-
ament beschlossen haben, umgesetzt wird und effizient
irken kann. Statt ständig zu klagen, müssen wir mit all
nseren Möglichkeiten dazu beitragen, dass solche Mas-
enmorde nicht noch einmal geschehen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zur Halbzeitbilanz unseres Ausschusses gehört für
ich, auch auf eigene Aktivitäten hinzuweisen, die wir
m Bereich der Innenpolitik durchführen. Für uns ist es
ine Daueraufgabe, auch dafür zu sorgen, dass den
lüchtlingen in Deutschland ein vernünftiger und siche-
er Aufenthalt gewährt wird. Ich möchte an Afghanistan
rinnern; denn Deutschland fördert den Aufbau der dor-
igen Polizei in großem Umfang. Trotzdem ist die Si-
herheitslage bisher nicht entscheidend verbessert wor-
en. Die Situation ist noch nicht stabil. In einigen
egionen ist sie sehr fragil oder hat sich sogar ver-
chlechtert.
Darum sehe ich den Beschluss der letzten Innenmi-

isterkonferenz vom November dieses Jahres mit Sorge,
ass ab dem 1. Mai nächsten Jahres afghanische Flücht-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13521


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Christa Nickels

linge in großer Zahl mit Zwang zurückgeführt werden
sollen. Denn ich glaube, dass diese Entscheidung nicht
nur eine Zumutung für die betroffenen Menschen ist,
sondern dass sie auch die Stabilität in Afghanistan nicht
stärkt, sondern eher unterminiert. Diese Menschen wer-
den in eine sehr unsichere Situation zurückgeführt. Sie
haben keine Arbeit, sind nicht sicher und müssen Gefah-
ren für ihr eigenes Leben auf sich nehmen.

Das gilt auch für die Rückführung der Minderheiten
in das Kosovo. Mir ist unbegreiflich, warum die Innen-
ministerkonferenz den seit vielen Jahren hier geduldeten
afghanischen Flüchtlingen, die gut integriert sind, nicht
endlich eine Zukunftsperspektive in Form eines Aufent-
haltsrechts zugesteht. Dann könnten sich diese Men-
schen tatsächlich auf freiwilliger Basis entscheiden, ob
und wann sie es sich und ihrer Familie, vor allen Dingen
den weiblichen Angehörigen ihrer Familie, zumuten
können, nach Afghanistan zurückzukehren, dort wieder
Fuß zu fassen und zu leben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Weitere rund 150 000 Ausländerinnen und Ausländer
leben seit mehr als fünf Jahren hier in Deutschland, weil
sie wegen rechtlicher bzw. tatsächlicher Abschiebungs-
hindernisse nicht nach Hause zurückkehren können. Sie
erhalten vielfach über Jahre hinweg eine Duldung, ohne
dass eine abschließende ausländerrechtliche Entschei-
dung getroffen wird.

Ich sehe mit Sorge, dass die problematische rechtli-
che Situation von Geduldeten durch die Regelungen
des Zuwanderungsgesetzes nur ansatzweise gelöst wird.
Der überwiegende Teil der Geduldeten wird seinen Sta-
tus nicht verbessern können. Die im Zuwanderungsge-
setz vorgesehene Härtefallregelung kann die Situation
der langjährig Geduldeten nicht substanziell verbessern,
weil die Einrichtung von Härtefallkommissionen im Er-
messen der Länder liegt und deshalb ein einheitliches
Verfahren nicht gesichert ist. Außerdem werden die Här-
tefallkommissionen bei einer großen Anzahl von Anträ-
gen überfordert sein.

Ich möchte als durchaus positiven Aspekt unserer Ar-
beit die Aktion „Parlamentarier schützen Parlamenta-
rier“ vorstellen. Kollege Haibach, ich finde, dass wir
hier einiges erreicht haben. Uns liegen sehr viele Anfra-
gen von Kollegen in unserem Parlament vor, aber auch
von Kollegen aus den Länderparlamenten und von Mi-
nisterpräsidenten. Unser gesamtes Präsidium hat sich da-
für eingesetzt. Es ist auch ein Verdienst von Bundestags-
präsident Thierse, der auf seiner Reise in die Türkei im
April dieses Jahres, noch einmal ausdrücklich auf unsere
Petition zugunsten von Leyla Zana und vier weiteren
Abgeordneten hingewiesen hat. Ich glaube, das war ein
wichtiger Beitrag dazu, dass diese Abgeordneten im Juni
dieses Jahres aus dem Gefängnis entlassen wurden.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich daran erinnern,
dass viele Menschen in unserem Land einen ganz prakti-
schen Beitrag zur Sicherung der Menschenrechte leisten
können. Ich höre immer wieder, dass viele Menschen
gerne Geld spenden, dass sie aber, wenn sie vom

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(C (D chrecklichen Schicksal vieler Menschen auf der Welt ören, voller Ohnmacht und Zweifel sind und nicht wisen, was sie tun können. Hier gibt es eine ganz praktische Möglichkeit. Das ündnis „fair spielt“, dem verschiedene Städte, zum eispiel Nürnberg, kirchliche Organisationen wie Miseeor und Bürgerinitiativen angehören und das es seit ber zehn Jahren gibt, hat durch jahrelange, zähe Arbeit rreicht, dass sich zahlreiche deutsche Spielzeughersteler in China für die Einhaltung des Mindeststandards für anderarbeiter in Spielzeugfabriken einsetzen. Desween können alle diejenigen, die in der Adventsbzw. orweihnachtszeit Spielzeug für ihre Kinder und Famiien kaufen wollen, um ihnen eine Freude zu machen, ein lares Signal setzen: Wir stellen nicht nur unsere eigene amilie in den Mittelpunkt, sondern wir kaufen auch so in, dass Menschen am anderen Ende der Welt ebenfalls twas davon haben. Ich begrüße deshalb sehr, dass unere Verbraucherschutzministerin bei ihrer letzten Reise ach China hier ein Signal gesetzt hat, indem sie eine pielzeugfabrik besucht hat, wo internationale Mindesttandards zum Schutz der dort Arbeitenden eingehalten erden. Schönen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514521500

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1514521600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Men-

chenrechtsfragen haben im Moment in den Augen der
eltöffentlichkeit, aber auch bei uns in Deutschland
ochkonjunktur; leider überwiegend aus wenig erfreuli-
hem Anlass. Deshalb zunächst einmal zum Positiven:
ie Menschen in der Ukraine gehen zu Hunderttausen-
en auf die Straße und kämpfen für die Demokratie und
uch für die Menschenrechte in ihrem Land. Sie verdie-
en und brauchen unsere volle Unterstützung und Soli-
arität.


(Beifall im ganzen Hause)

ichtig ist jetzt, dass die Entwicklung in der Ukraine

riedlich bleibt und dass der übermächtige Nachbar
ussland ein wirklich demokratisch zustande gekomme-
es Ergebnis akzeptiert.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Danach sieht es nicht aus!)


Es wäre gut, wenn Bundeskanzler Schröder auf sei-
en Freund Präsident Putin in dieser Richtung einwirken
önnte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

islang hat der Bundeskanzler seitens des russischen
räsidenten alles geschluckt: die Menschenrechtsverlet-
ungen und die Wahlfarce in Tschetschenien, die Unter-
tützung für Lukaschenko in Belarus, den rechtsstaatlich

13522 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Rainer Funke

zweifelhaften Jukos-Prozess, die Beschneidung der
Pressefreiheit und die Entmachtung der Gouverneure,
der unabhängigen Abgeordneten der Duma und der klei-
neren Parteien. Jetzt, mit Blick auf die Demokratiebewe-
gung in der Ukraine, hat selbst der Bundeskanzler offen-
sichtlich erkannt, dass es Zeit ist für das oft zitierte
„offene Wort unter Freunden“.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundeskanzler wird auf seiner Chinareise in der
nächsten Woche, auf der ich ihn zusammen mit dem
Kollegen Bindig begleiten darf, gefordert sein, eine
Lanze für die Menschenrechte zu brechen. Der Deutsche
Bundestag hat die Bundesregierung vor einem Monat
aufgefordert, sich erst und nur dann für eine Aufhebung
des EU-Waffenembargos gegenüber China einzusetzen,
wenn sich die Menschenrechtslage in China wirklich
nachhaltig verbessert hat. Der Bundeskanzler sollte sich
in Peking an diesen Parlamentsbeschluss halten. Wir,
Herr Kollege Bindig, werden ihn daran erinnern, wenn
er mit unseren chinesischen Gesprächspartnern spricht.
Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, in dem diese
beiden Forderungen des Deutschen Bundestages an den
Bundeskanzler nochmals unterstrichen werden. Gerade
im Hinblick auf die Reise ist dieser Antrag notwendig,
Herr Kollege Bindig.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, auch in Deutschland

selbst sind die Menschenrechte in den letzten Wochen
leider ins Gerede gekommen. Angestoßen durch die Vor-
gänge in den Niederlanden und vor dem Hintergrund der
Bedrohung durch den islamischen Terrorismus machen
sich viele Menschen in Deutschland große Sorgen da-
rüber, ob und wie der Islam und die Menschenrechte
miteinander vereinbar sind und was das für das Zusam-
menleben und die Integration islamischer Mitbürger in
Deutschland bedeutet. Wir haben uns im letzten Jahr im
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
schwerpunktmäßig mit diesem Thema auseinander ge-
setzt. Wir haben in vielen Fachgesprächen und in einer
großen Anhörung erfahren, dass der Islam durchaus eine
Religion ist, die auch auf Versöhnung ausgerichtet ist:
Einflussreiche islamische Theologen haben beispiels-
weise nachgewiesen, dass die von uns zu Recht immer
wieder kritisierte Steinigung eigentlich unislamisch ist;
ich erinnere an die Gespräche mit den Ajatollahs. Wir
müssen in Deutschland, aber auch weltweit, unbedingt
dazu übergehen, zwischen dem islamistischen Funda-
mentalismus und dem Islam sorgfältiger zu differenzie-
ren.


(Beifall im ganzen Hause)

Natürlich müssen wir auch in den islamischen Ländern
weiterhin die Beachtung der Menschenrechte anmah-
nen. Wir dürfen aber keine antiislamischen Stimmun-
gen – schon gar nicht unter dem Deckmantel der Men-
schenrechte – bei uns oder im Ausland schüren.


(Beifall im ganzen Hause)


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(C (D Natürlich wurde in Deutschland in den letzten Wohen auch intensiv über die Folter geredet. Meine Voredner haben schon alles gesagt, was zu sagen war. Ich ann das alles nur unterstützen: Die Folter darf kein Mitel der Verfolgung und Durchsetzung angeblicher Rechte es Staates sein. Wir in Deutschland müssen gerade aufgrund unserer ergangenheit nationaler und internationaler Vorreiter ür den Schutz der Menschenrechte sein. Das gilt insbeondere auch für internationale Menschenrechtsabkomen, deren Ratifizierung wir bei anderen Ländern gerne autstark einfordern, bei der wir uns aber selbst oft chwer tun. Deshalb werben wir heute auch für eine Raifizierung des 12. Zusatzprotokolls zur Europäischen enschenrechtskonvention, mit dem ein eigenständiges iskriminierungsverbot etabliert und durchgesetzt weren soll. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie end Claudia Roth ebenfalls sehr für ihr engagiertes Einreten für die Menschenrechte danken. Die Zusammenrbeit mit ihr war ausgezeichnet. Sie war immer im usschuss, wenn wir sie brauchten. Vielen Dank dafür. (Beifall der Abg. Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


(Beifall im ganzen Hause)


ein Dank gilt aber auch Christa Nickels für die hervor-
agende Leitung des Menschenrechtsausschusses.
Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514521700

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph

trässer.


Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1514521800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Her-

en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht
er Europäischen Union zur Menschenrechtslage 2004
n Europa ist bereits der sechste dieser Art. Dieser Be-
icht soll aufzeigen, wie die gemeinsamen Werte der EU
n der praktischen politischen Umsetzung in den Men-
chenrechtsbereich Eingang finden.
Des Weiteren verdeutlicht dieser Jahresbericht aber

uch vorhandene Defizite und damit auch einen Hand-
ungsbedarf für die europäische Menschenrechtspolitik.
nter zwei Gesichtspunkten ist die Darstellung der Men-
chenrechtslage im Bericht 2004 allerdings von beson-
erer Bedeutung:
Zum Ersten ist dieser Bericht der erste seiner Art, der

ie Zusammenarbeit von 25 Mitgliedstaaten der Euro-
äischen Union beschreibt, also auch die mit den zehn
euen Mitgliedstaaten, die in dem Bericht insgesamt
her kritisch bewertet werden. Ich denke auch an die in
nserem Antifolterantrag genannten Länder im Balti-
um, die noch bestimmte Abkommen ratifizieren müs-
en, um gewisse Kriterien erfüllen zu können. Der Be-
icht beinhaltet eine breitere Diskussionsgrundlage und

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13523


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Christoph Strässer

verleiht dem europäischen Streben nach universeller
Einhaltung der Menschenrechte noch mehr Gewicht in
der Welt.

Zum Zweiten hat sich im Berichtszeitraum leider wie-
derum gezeigt, dass die terroristische Bedrohung vor
Europa als Anschlagsziel keinen Halt gemacht hat. Ins-
besondere die Anschläge in Madrid zu Beginn dieses
Jahres haben uns mehr als deutlich vor Augen geführt,
wie verletzlich unsere offenen demokratischen Gesell-
schaften tatsächlich sind. Die EU hat am 25. März 2004
die Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus gebil-
ligt. Die Erklärung macht unmissverständlich deutlich,
dass terroristische Handlungen Anschläge gegen die
Grundwerte der Union sind. Die Union hat zudem versi-
chert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um im Ein-
klang mit den Grundprinzipien und den Verpflichtungen
im Rahmen der Resolution 1373 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen alle Formen des Terrorismus zu be-
kämpfen.

Dem stimmen wir natürlich ausdrücklich zu. Die
große Herausforderung, die sich der deutschen und der
europäischen Menschenrechtspolitik in dieser schwieri-
gen weltpolitischen Lage und gerade in Zeiten dieses
globalen Terrorismus aber stellt, ist die Verteidigung der
Menschenrechte. Die Preisgabe oder auch die unverhält-
nismäßige Einschränkung von Menschenrechten wären
bereits ein Sieg der Terroristen über den Rechtsstaat, zu
dessen Verteidigung gerade wir aufgerufen sind.

Deshalb sage ich bei allem Grundkonsens über die
Bedeutung präventiv wirkender Maßnahmen im eigenen
Land und in der EU, gerade auch mit Blick auf die jüngst
bekannt gewordene Entscheidung des Ministerrates der
Innenminister über die Einführung so genannter bio-
metrischer Daten in die Pässe von mehr als
450 Millionen EU-Bürgern: Bei all diesen Maßnahmen
muss die Balance zwischen Sicherheitsaspekten und der
Bewahrung der Freiheitsrechte gewahrt bleiben. Eine
Ausuferung auch in unseren eigenen Ländern, wie bei-
spielsweise die durch das Bundesverfassungsgericht ge-
rügte Abhörpraxis durch Behörden, oder die Beschnei-
dung der Rechte nationaler Parlamente und auch des
EU-Parlaments selbst dürfen wir als Menschenrechts-
politiker und Parlamentarier gerade in diesen höchst sen-
siblen Bereichen nicht klaglos hinnehmen. Das sollten
wir an dieser Stelle auch in Zukunft deutlich machen.

Wir unterstützen nachhaltig die Forderung des
Berichts der Kommission, dass die Bekämpfung des Ter-
rorismus niemals mit einer Missachtung der Menschen-
rechte einhergehen darf. Die Terrorismusbekämpfung
muss entsprechend internationaler Menschenrechtsvor-
schriften vorgehen. Gerade hier besteht die existenzielle
Gefahr der Aufweichung rechtsstaatlicher Grundprinzi-
pien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Tschetschenien, Guantanamo und andere Problemfel-
der sprechen eine deutliche Sprache. Wie ich gehört
habe, fahren Herr Funke und Rudolf Bindig mit nach
China. Nicht nur aus diesem Grunde bin ich ganz sicher,

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(C (D ass der Bundeskanzler in China die Probleme der Menchenrechtsverletzungen in diesem Land offensiv und ffen ansprechen wird. Was uns vor allem sehr stark rifft, ist die hohe Zahl der dort willkürlich vollstreckten odesurteile. Ich finde, wir sollten an dieser Stelle auch einen ande en Umstand ansprechen, durch den diese menschenechtsverachtende Politik in China unterstützt wird, ämlich die Lieferung von mobilen Hinrichtungsstellen ach China aus einem befreundeten Land, mit denen inrichtungen praktiziert werden, wie wir das in unseem Ausschuss gesehen haben und wie es auch in der ffentlichkeit dargestellt worden ist. Leider hat dies icht zu einem Aufschrei in der Öffentlichkeit geführt, uch wenn ich dies für einen menschenrechtlichen Skanal erster Güte halte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aufgrund der weltpolitischen Lage und der damit ver-
undenen Angst der Menschen stehen sicher geglaubte
echtsprinzipen und Menschenrechte zur Disposition.
s wird der unbegreifliche Versuch unternommen, Leid
egen Leid aufzuwiegen. Diese Entwicklung macht auch
ie derzeitige innenpolitische Folterdebatte sehr fühlbar,
u der an dieser Stelle bereits alles Nötige gesagt worden
st.
Das Bestreben der EU, den Kampf gegen Rassismus,
iskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz
eiter voranzutreiben, wird von uns ohne Abstriche un-
erstützt. Dies gilt gerade für einen Bereich, der dankens-
erterweise im Bericht angesprochen wird, nämlich die
ituation ethnischer Minderheiten, insbesondere von
oma und Sinti, in Beitrittsländern, aber auch im
osovo und in Serbien. Ich konnte mir anlässlich einer
eise für den Menschenrechtsausschuss ein sehr persön-
iches Bild der Situation in Teilen dieser Länder machen,
o Menschen seit 1999 in Camps mehr vegetieren als le-
en, deren Lebenssituation nur als desaströs bezeichnet
erden kann, und wo von einer Einhaltung menschen-
echtlicher Standards, unabhängig von der Sicherheits-
age, wirklich nicht mehr geredet werden kann.
Deshalb ist mein Fazit dieser Reise – ich werde das

och an anderer Stelle ausführlich darstellen – sehr klar
nd eindeutig – das sage ich bei vollem Bewusstsein und
erstand –: Aus menschenrechtlicher Sicht sind Rück-
ührungen solcher Minderheiten unter den obwaltenden
edingungen in Lagern wie in Obilic, Mitrovica, Vush-
ri, Nis und in Novi Sad, die sich in der Wojwodina ver-
chärfen, jetzt und in absehbarer Zeit nicht zu verant-
orten. Das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])


In diesem Sinne möchte ich meinen Beitrag mit dem
unsch beenden, dass die höhere Anzahl von Mitglied-

taaten der EU, die sich diesen menschenrechtlichen
tandards verpflichtet haben, tatsächlich zu einer

13524 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Christoph Strässer

Stärkung der Menschenrechte in der Welt insgesamt bei-
tragen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Rainer Funke [FDP])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514521900

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Melanie Oßwald.


Melanie Oßwald (CSU):
Rede ID: ID1514522000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine

Heimatstadt Nürnberg ist die Stadt der Menschenrechte.
So freue ich mich besonders, dass wir heute eine Debatte
zum Tag der Menschenrechte führen und ich an dieser
Debatte mitwirken kann.

Wir sollten uns immer wieder aufs Neue die Bedeu-
tung der Menschenrechte in Erinnerung rufen. Wir müs-
sen uns bewusst werden, in wie vielen Regionen dieser
Erde Menschenrechte immer noch massiv missachtet
werden. Menschenrechte kommen jedem Menschen al-
lein aufgrund seines Menschseins zu, also unabhängig
von der ethnischen und sozialen Zugehörigkeit, der
Staatsangehörigkeit und dem Geschlecht. Zum Schutz
der Menschenrechte wurde unter dem Dach der UNO in
den vergangenen 60 Jahren ein beeindruckendes Netz
von Menschenrechtsverträgen entwickelt. Um die Ein-
haltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen in diesem
Bereich zu überwachen, entstand zusätzlich ein umfang-
reiches Schutzsystem. Allen Verträgen und Kontrollme-
chanismen zum Trotz werden dennoch täglich weltweit
Menschenrechte verletzt.

Am Beispiel Nepals wird dies deutlich. Obwohl die
nepalesische Regierung verschiedene Menschenrechts-
pakte der Vereinten Nationen unterzeichnet und ratifi-
ziert hat, kommt es immer wieder zu massiven Verstö-
ßen gegen die Menschenrechte. Die hohen Erwartungen
an die demokratische Revolution von 1990 wurden hier
leider nicht erfüllt. Es wurden zwar einige Verbesserun-
gen im Bereich der Menschenrechte erreicht, aber der
seit fast acht Jahren anhaltende Konflikt zwischen der
Regierung und den Maoisten hat die Lage der Men-
schenrechte in den letzten Jahren wieder massiv ver-
schlechtert.

In dieser Zeit forderte dieser Konflikt mehr als
10 000 Menschenleben. Seit der Auflösung des Parla-
ments 2002 gibt es zudem keine demokratisch gewählte
Volksvertretung mehr. Stattdessen regieren vom König
eingesetzte Vertreter. Die maoistischen Aufständischen
fordern eine Abschaffung des Königtums und eine Um-
wandlung Nepals in eine kommunistische Volksrepublik.
Seit dem Ende des Waffenstillstandes im vergangenen
Jahr häufen sich Verstöße gegen die Menschenrechte auf
beiden Seiten. So werden Maoisten für zahlreiche
Tötungen und Hinrichtungen von Sicherheitskräften ge-
nauso wie von Zivilisten verantwortlich gemacht. Auch
Entführungen und Folter von Gefangenen und Entführ-
ten gehen auf ihr Konto. Laut Amnesty International
kommt es aufseiten der Maoisten regelmäßig zu Entfüh-

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(C (D ungen von 15bis 18-jährigen Jugendlichen, um sie als indersoldaten zu rekrutieren. So sollen in den westlihen Landesteilen Hunderte von Jugendlichen, teilweise ogar ganze Schulklassen aus ihrer Schule verschleppt nd von den Maoisten vorübergehend zur Indoktrinieung in Gewahrsam genommen worden sein. Aber auch die Sicherheitskräfte der Regierung be ehen regelmäßig Verstöße gegen die Menschenrechte. azu gehören illegale Hinrichtungen von Maoisten oder ogar Zivilisten, die im Verdacht stehen, mit den Rebelen zu sympathisieren. Zusätzlich häufen sich Fälle von erschwindenlassen. In den letzten beiden Jahren war epal das Land mit der weltweit höchsten Anzahl von erschwundenen Personen. Nach dem Scheitern der affenruhe verschwanden Berichten zufolge mehr als 50 Menschen. Viele von ihnen werden vermutlich in rmeekasernen ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gealten. Teilweise bleiben Gefangene bis zu einem Jahr in aft, ohne Zugang zu einem Anwalt oder zu Familienngehörigen. Laut Berichten soll es in nepalesischen Geängnissen täglich zu Folter kommen. Dies muss aufs chärfste verurteilt werden. Folter ist kein rechtsstaatlihes Mittel. Darin sind wir uns alle einig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)


Die VN-Anti-Folter-Konvention wurde von der nepa-
esischen Regierung unterzeichnet und ratifiziert. Die
undesregierung muss endlich die nepalesische Regie-
ung nachdrücklich an die daraus entstehenden Ver-
flichtungen erinnern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Funke [FDP])


inzu kommen Menschenrechtsverletzungen wie Ver-
ammlungs- und Demonstrationsverbote, Diskriminie-
ungen von Angehörigen bestimmter Kasten und von
rauen. Ein großes Problem stellt zudem der ausge-
rägte Menschenhandel mit Frauen und Mädchen nach
ndien dar. Besonders die Pressefreiheit lässt zu wün-
chen übrig. Wie die Organisation „Reporter ohne Gren-
en“ berichtet, wurden 2003 in keinem Land der Welt so
iele Journalisten verhaftet wie in Nepal.
Es ist erschreckend, dass der gewalttätige Konflikt

wischen Regierung und Maoisten und die damit einher-
ehenden Verletzungen der Menschenrechte internatio-
al kaum Beachtung finden. Ich möchte die heutige De-
atte dazu nutzen, um darauf aufmerksam zu machen.
ie massive Verschlechterung der Menschenrechtssitua-
ion in Nepal wird eklatant unterschätzt und verharmlost.
eshalb ist es wichtig, die internationale Aufmerksam-
eit wieder auf diese Region zu richten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Die Bundesregierung muss in diesem Konflikt end-
ich aktiv werden und gemeinsam mit den EU-Partnern
uf eine Vermittlung zwischen der nepalesischen Regie-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13525


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Melanie Oßwald

rung und den Maoisten drängen. Sie hat es bisher auch
versäumt, sich intensiv für die Wiederherstellung der de-
mokratischen Grundsätze einzusetzen. Die seit zwei Jah-
ren aufgeschobenen Neuwahlen zu einem demokrati-
schen Parlament müssen endlich durchgeführt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung sollte gezielt die deutsche Ent-
wicklungshilfe nutzen, um diesen Prozess zu fördern.
Die Menschenrechte sind zu wichtig, als dass wir deren
Einhaltung dem Zufall überlassen dürften.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514522100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Graf.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1514522200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre
Hilfe hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder
regionale und inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. So ha-
ben uns zum Beispiel die Entwicklungen nach dem
11. September 2001 nicht nur zu einer nachhaltigen Be-
schäftigung mit der Situation in Afghanistan veranlasst,
sondern auch zu der Auseinandersetzung mit dem The-
menbereich „Menschenrechte und Islam“. Ich erinnere
an die exzellente Anhörung, die wir in diesem Zusam-
menhang durchgeführt haben. Herr Funke hat sie bereits
erwähnt. Sie hat sich durch ihre wissenschaftliche Sach-
lichkeit wohltuend von der oft sehr oberflächlichen und
populistischen Sichtweise mancher Medien abgehoben.

Im Jahr 2004 hat sich der Ausschuss schwerpunktmä-
ßig mit der Entwicklung in Afrika befasst. Auch hierzu
wurde eine viel beachtete Anhörung zum Thema „Die
menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen
im Kontext von Gewaltökonomien in Afrika“ durchge-
führt. In dieser Anhörung wurde das Verderben brin-
gende Zusammenspiel von international subventionier-
ten Diktaturen, der Implosion staatlicher Strukturen, der
privaten Bereicherung durch verbrecherische Netzwerke
und dem Entstehen neuer Kriege deutlich gemacht. Die
Verantwortung international agierender Wirtschaftsun-
ternehmen wurde überdeutlich. Viele Erkenntnisse aus
dieser Anhörung lassen sich leider auch auf andere Re-
gionen übertragen. Das Protokoll aller Anhörungen kann
übrigens im Internet auf der Ausschusswebsite abgeru-
fen werden.

Die Anträge, die wir im Menschenrechtsbereich bear-
beiten, beschäftigen sich aus gutem Grund selten mit der
Situation in einzelnen Ländern. Viele Menschenrechts-
verletzungen müssen unter globalen Aspekten themati-
siert werden. Das machen nicht nur die erwähnten Anhö-
rungen deutlich, sondern auch der Antrag der Union zur
Presse- und Meinungsfreiheit im Internet, auf den ich
heute wegen der Kürze der Redezeit leider nicht näher
eingehen kann. Aber es gibt Ausnahmen von der Regel.
Eine davon war aus nachvollziehbaren Gründen Afgha-
nistan. Die Situation der Frauen dort hat uns in den letz-
ten Jahren mehrfach beschäftigt.

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(C (D Licht und Schatten liegen oft eng beieinander. Heute tehen zwei Anträge über Nepal auf der Agenda; der ine ist von der Koalition und der andere von der FDP orgelegt worden. Nepal ist ein Land mit großen soziaen Problemen, das bei Trekking-Touristen – und nicht ur bei diesen – wegen des Himalaja und vieler Kulturüter von unglaublicher Schönheit berühmt ist. Wir eden heute auch über die Bekräftigung der UN-Antiolter-Konvention. Kollege Bindig zum Beispiel ist beeits sehr ausführlich darauf eingegangen. An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Vor wenigen agen meldete die BBC aus Katmandu, die Anzahl der ekannt gewordenen Folterfälle in Nepal habe sich seit em Jahr 1996 – dem Beginn des Aufstandes der Maoisen – jährlich verdoppelt. Einzelheiten über die politiche Situation und ihre Hintergründe können Sie dem oalitionsantrag und dem Antrag der FDP entnehmen. eide Seiten – die Aufständischen und die Vertreter der taatsmacht – bedienen sich vermehrt der Folter, obwohl epal die Anti-Folter-Konvention – ebenso wie die EDAW-Konvention, die sich gegen die Diskriminieung von Frauen richtet – unterschrieben hat. Trotzdem erden Frauen und Mädchen unter den Augen der Beörden in Bordelle nach Indien verschleppt. Das Zentrum für Folteropfer in Nepal berichtet von 800 Folterfällen allein in diesem Jahr. Insgesamt seien er Organisation 17 000 Fälle bekannt. Das sei aber nur ie Spitze eines Eisbergs. Der Direktor der Organisation, err Dr. Sharma, berichtet, dass die meisten Opfer aus rmen Bevölkerungsschichten kämen und oft zu Unrecht nter dem Verdacht stünden, den maoistischen Rebellen nzugehören. Eine internationale Fact-Finding-Mission tellte schon 1994 – also noch vor dem Aufstand – fest, ass in den Gefängnissen circa 75 Prozent aller Gefanenen gefoltert worden waren. Es hat sich seitdem offensichtlich nichts zum Positi en verändert. Amnesty International berichtete gestern, ass nirgendwo auf der Welt so viele Menschen verchwinden wie in Nepal. 622 Fälle von Verschwindenassen durch staatliche Akteure – nicht 150, wie Sie geagt haben, Frau Oßwald – führt die Organisation für die etzten sechs Jahre auf. Mehr als die Hälfte davon datiert eit dem August 2003. Damals waren die Friedensverandlungen zwischen den aufständischen Maoisten und er Regierung gescheitert. Hinzu kommen Tausende Ziilisten und Militärangehörige, die durch die Rebellen ntführt wurden. Man spricht auch von der Rekrutierung on Kindersoldaten. Die Züge rasen mit unverminderter Heftigkeit aufein nder zu. Die Mitte Oktober dieses Jahres in Kraft getreene Verschärfung des Antiterrorgesetzes ermöglicht s den staatlichen Sicherheitskräften, eine so genannte räventivhaft von bis zu einem Jahr – ich betone: bis zu inem Jahr – ohne Anklage und Gerichtsverfahren zu erhängen. Für mich ist klar: Zu mehr Rechtsstaatlicheit, Menschenrechtssicherheit und Demokratie wird das icht führen. Dennoch und gerade deshalb ist es wichtig, m Sinne der in den Anträgen erhobenen Forderungen olitisch Druck auf die Kombattanten in Nepal zu mahen und zum Beispiel über die deutsch-südasiatische 13526 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 Angelika Graf Parlamentariergruppe den Kontakt zu den demokratischen Kräften in Nepal zu halten. Ich möchte hier einen Zusammenhang zu dem Antrag auf Bekräftigung des absoluten Folterverbotes herstellen. Mit welchem Recht träten wir dort für mehr Menschenrechte ein, wenn wir selber auch nur im Traum daran dächten, in bestimmten Fällen ein bisschen zu foltern? Darüber sollten wir ernsthaft nachdenken, wenn wir solche Diskussionen führen. Mit welchem Recht würden wir dann Herrn Dr. Shestra im Krankenhaus in Dhulikhel den Rücken stärken, wenn er und sein Team unter extrem schwierigen Bedingungen, sozusagen zwischen den Fronten, die gesundheitliche Versorgung für circa 500 000 Menschen, unter ihnen auch Folteropfer, sicherstellen? Das Krankenhaus wurde übrigens – so viel zum Thema Einsatz von Entwicklungshilfe, Frau Oßwald – mit einer Anschubfinanzierung der GTZ gebaut und wird mit Spenden aus Deutschland gesponsert. Auch die Mittel des BMZ sind dort gut eingesetzt. Nepal ist schließlich einer der Schwerpunkte. Zum Schluss noch einen Satz zu dem China-Antrag der FDP, der schon von fast jedem Redner angeführt wurde. Unser Ausschuss steht dafür, Menschenrechtsverletzungen mutig anzusprechen. Unser Kollege Rudolf Bindig ist für sein großes diesbezügliches Engagement europaweit bekannt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Holger Haibach [CDU/CSU]: Weltweit!)


(A) )


(B) )


(Beifall im ganzen Hause)


– „Weltweit“ haben Sie gesagt, Herr Haibach. Aber es
stimmt. – Er wird – da bin ich ganz sicher – den Bundes-
kanzler auf seiner Chinareise mit diesen Themen kon-
frontieren, wenn er ihn begleitet. Ich nehme an, dass
auch Herr Funke und Frau Vollmer dies tun werden.
Herr Haibach, ich denke daher, dass Ihr geäußertes
Misstrauen nicht ganz gerechtfertigt ist, insbesondere
was das Engagement unserer Kolleginnen und Kollegen
in diesem Bereich betrifft.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514522300

Danke schön. – Jetzt hat der Abgeordnete Klaus-

Jürgen Hedrich als letzter Redner in dieser Debatte das
Wort.


Klaus-Jürgen Hedrich (CDU):
Rede ID: ID1514522400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Graf, Sie
haben es uns jetzt schwer gemacht, am Schluss Ihrer
Rede zu klatschen; ich hatte mich gerade darauf vorbe-
reitet. Aber ich fand Ihre Ausführungen sehr angemes-
sen; das wollte ich Ihnen gesagt haben.

Die gängige These lautet, dass es bei Menschenrech-
ten keine Kompromisse geben sollte. Aber wie sehen ei-

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(C (D entlich die politische Praxis und die Wirklichkeit aus? ch kann als Maßstab nur einen Doppelstandard festtellen. Wie es passt und hinhaut, legen wir im jeweilien Fall den einen oder den anderen Maßstab an. Der egelfall ist: Je unwichtiger das Land – gemessen an unerer eigenen Interessenlage – ist, desto strenger achten ir auf die Erfüllung unseres Anspruchs auf Durchsetung der Menschenrechte. Je wichtiger das Land ist, esto zurückhaltender sind wir. Dafür kann ich eine beliebige Anzahl von Beispielen ennen. Beispielsweise verhängt die EU scharfe Sankionen gegen Burma. Kein Mensch würde auf die Idee ommen, gegen China Sanktionen zu verhängen, obohl dieses Land den Rekord hält, was Verstöße gegen enschenrechte angeht. Burma hingegen behandeln wir anz anders. Ein für uns wirtschaftlich wichtiges Land st Saudi-Arabien – einer der Terrorstaaten dieser Welt. ein Mensch würde auf die Idee kommen, gegen Saudirabien Sanktionen zu verhängen. Für die politische Führung von Burma, besonders für en Staatspräsidenten, den Diktator Than Shwe, besteht dafür habe ich bis zu einem gewissen Maße durchaus erständnis; Petra Ernstberger und ich durften in dieses and vor kurzem nicht einreisen – ein Einreiseund ein evisenverbot. Fidel Castro kann sich auf dieser Erde agegen frei bewegen. Worin besteht der Unterschied wischen Than Shwe und Castro? An diesen Fällen ollte ich nur deutlich machen, dass wir in unseren Vorehensweisen doch sehr ambivalent sind. Natürlich ist es wichtig, dass wir den Finger immer ieder in die Wunde legen, wie es hier von allen Kolleen gemacht worden ist. Ich glaube, wir beurteilen Läner nicht völlig gerecht, wenn wir uns nicht jeden Einelfall sorgfältig anschauen und analysieren, ob sich die inge verbessert haben oder nicht. Das Vietnam des Jahes 2004 ist völlig anders als das des Jahres 1994. Das exiko von heute ist völlig anders als das der PRI vor 0 Jahren. Bei der Bewertung der Einhaltung von Menchenrechten, von Rechtsstaatlichkeit, von freiheitlicher emokratie und von Pressefreiheit muss man – bei aller ritischen Bewertung von aktuellen Entwicklungen – mmer im Auge behalten, ob sich Dinge verbessert haen oder nicht. Das heutige Simbabwe Mugabes ist in eier viel schlechteren Situation als zu der Zeit, als Muabe sein Amt antrat. Eine Einzelfallbetrachtung gehört u einer fairen und soliden Bewertung von Menschenechten. Ein besonderer Fall ist – das wurde auch im Men chenrechtsbericht deutlich – Kuba. Ich möchte hier erst inmal der Bundesregierung ein Kompliment und einen ank aussprechen: Bisher vertritt die Bundesregierung inen sehr deutlichen Standpunkt, zum Beispiel was die inladung der Dissidenten angeht. Wir hören jetzt immer wieder, dass die spanische Re ierung eine Änderung dieser Politik anstrebt. Auch ich in der Auffassung, dass man gegenüber welchem Reime auch immer gesprächsbereit sein muss, um besteende Gesprächskontakte aufrechtzuerhalten. Aber im all Kuba müssen eigentlich nicht wir den ersten Schritt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13527 Klaus-Jürgen Hedrich tun, sondern die kubanische Diktatur. Das ist gegenwärtig nicht erkennbar. Die Taktik Kubas ist manchmal sogar perfide: Personen werden willkürlich verhaftet, für mehrere Monate eingesperrt, dann freigelassen und das wird dann als ein Zeichen der Verbesserung der innenpolitischen Verhältnisse ausgegeben. Um es deutlich zu sagen: Kuba ist da übrigens kein Einzelfall. Wir sollten uns durch solche Tricks von Diktatoren nicht irreführen lassen. Deshalb ist es wichtig, dass wir deutlich machen: Sowohl diejenigen, die in einem konkreten Fall, als auch diejenigen, die weltweit für Demokratie eintreten, genießen unsere Sympathie. Hier könnten wir ein sehr deutliches Zeichen setzen. Eine der beeindruckendsten Persönlichkeiten, die gegenwärtig für Freiheit und eine demokratische Ordnung in ihrem Lande eintreten und im Lande wohnen und bleiben wollen, ist Oswaldo Payá. Er ist schon mehrmals für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden. Die Entscheidungen der letzten beiden Jahre halte ich für richtig, aber vielleicht nehmen Kollegen aus diesem Gremium diesen Fall zum Anlass – es wird dazu eine fraktionsübergreifende Initiative geben –, Oswaldo Payá im nächsten Jahr für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Der Deutsche Bundestag würde damit ein Zeichen der Verbundenheit mit einem Bürger setzen, der für die Freiheit seiner Mitbürger eintritt, der stellvertretend für die Freiheitsbewegung in seinem Land steht. Herzlichen Dank. Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 15/4396 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den Innenausschuss, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/4397 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss und den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden. Die Vorlagen auf den Drucksachen 15/3231, 15/3507, 15/3709, 15/4402 und 15/4405 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie mit alldem einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf Drucksache 15/3001 zu dem EU-Jahresbericht zur Menschenrechtslage: Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 15/2636 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? – D m w A W d g g a d a w d w h j d e U L G w z m l F B (C (D as ist nicht der Fall. Die Beschlussempfehlung ist dait mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen orden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Irmgard Karwatzki, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Tatsächliche Gleichberechtigung durchsetzen – Zehn Jahre Novellierung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes – Drucksache 15/4146 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Einen iderspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst ie Abgeordnete Annette Widmann-Mauz. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle en! Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Verganenheit blättern. Es ist gerade einmal zehn Jahre her, als m 15. November 1994 die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 es Grundgesetzes in Kraft trat: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Wie alle großen Schritte der Gleichberechtigung ist uch dieser den Frauen nicht geschenkt worden. Es urde im Zuge der Verfassungsreform sehr deutlich, ass wir Frauen Eindrucksvolles erreichen können, enn wir gemeinsam Ziele verfolgen und zusammensteen. Dafür möchte ich an dieser Stelle sehr herzlich denenigen danken, die sich seinerzeit ganz besonders für iese Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes ingesetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ursula Männle war es nicht!)


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(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall im ganzen Hause)

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514522500
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1514522600

Für unsere Fraktion seien stellvertretend genannt:
rsula Männle, die heute Mitglied des Bayerischen
andtags ist – sie ist sehr wohl zu nennen, Frau Schewe-
erigk –, Irmgard Karwatzki, die heute noch sprechen
ird, Susanne Rahardt-Vahldieck, die Berichterstatterin
u Art. 3 des Grundgesetzes in der damaligen Gemeinsa-
en Verfassungskommission, Claudia Nolte, die dama-
ige frauen- und jugendpolitische Sprecherin unserer
raktion, Maria Böhmer, die damals Vorsitzende des
undesfachausschusses Frauenpolitik war und heute

13528 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Annette Widmann-Mauz

stellvertretende Vorsitzende unserer Fraktion im Deut-
schen Bundestag ist, aber eben auch und ganz selbstver-
ständlich unsere Partei- und Fraktionsvorsitzende
Dr. Angela Merkel, die damals Bundesministerin für
Frauen und Jugend war.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christel Humme [SPD]: Jetzt verstehe ich einiges!)


Sie alle haben sich damals mit sehr viel Herz, Mut und
Durchsetzungskraft für unsere Sache eingesetzt.

Erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte
wurde mit dieser Ergänzung der Staat verpflichtet, aktiv
die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung
von Frauen und Männern zu fördern. Erstmals wurde es
ihm zur Aufgabe gemacht, von sich aus auf die Beseiti-
gung bestehender Nachteile hinzuwirken.

Rot-Grün hat den zehnten Jahrestag dieser wichtigen
Ergänzung des Grundgesetzes in diesem Jahr wohl
schlicht vergessen.


(Christel Humme [SPD]: Wir reden jeden Tag darüber! – Elke Ferner [SPD]: Sagen Sie das einmal Ihren Ministerpräsidenten!)


Das finde ich sehr schade, weil gerade dieses Datum für
uns Frauen insgesamt ein sehr wichtiges ist. Wir Frauen
von der Union haben dieses Jubiläum in unseren Reihen
durchaus begangen. Wir haben im besten Sinne des Wor-
tes in der Vergangenheit geblättert und Zukunftsperspek-
tiven diskutiert.

Die Zeiten haben sich verändert, aber die Grundpro-
bleme sind doch dieselben geblieben. Der Zeitgeist ist
zwar schon lange nicht mehr so kämpferisch frauenbe-
wegt, wie das früher der Fall war. Gleichberechtigte
Partnerschaft lautet heute das Schlüsselwort. Die meis-
ten Frauen möchten sich nicht mehr gegen die Männer
emanzipieren, sie wollen partnerschaftliches Miteinan-
der, und dies auf Augenhöhe. Junge Frauen formulieren
ihre Probleme heute nicht mehr so grundsätzlich, wie es
ihre Mütter taten. Sie haben häufiger eine qualifizierte
Ausbildung oder Hochschulbildung und qualifizierte
Jobs, die denen ihrer männlichen Altersgenossen nur
noch im Verdienst nachstehen, und stellen sich deshalb
die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
durchschnittlich immer später oder eben – das beweist
die hohe Zahl kinderloser Akademikerinnen – leider oft
gar nicht mehr.

Irgendwann kommt fast immer der Punkt, an dem
Ziele und Vorstellungen auf die altbekannten Reibungs-
punkte stoßen, nämlich ungleiches Gehalt, Beschrän-
kung auf typische Frauenbereiche, keine ausreichend
guten Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Erwerbstä-
tigkeit und Familie, gläserne Decken auf dem steinigen
Weg in Führungspositionen und viel zu wenig Familien-
freundlichkeit. Trotz einiger Bereiche, in denen junge
Frauen spektakuläre Erfolge erzielen – so beim Bil-
dungs- und Ausbildungsniveau oder beim Einstieg ins
Berufsleben –, hat bislang noch immer kein wirklicher
Wandel in den Machtstrukturen und in der Arbeitsplatz-
organisation stattgefunden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


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(C (D ufgrund der aktuellen schlechten ökonomischen Lage rscheinen die Hindernisse in manchen Fällen noch unberwindbarer als früher. Die katastrophale Lage auf em Arbeitsmarkt gefährdet die Fortschritte der leichstellungspolitik mehr als alles andere. Dies gilt im brigen gerade eben auch für ältere Frauen, die zum eispiel nach der Familienphase wieder ins Erwerbsleen einsteigen wollen oder ihre Erziehungsund Pflegeeiten angemessen bei der Rente berücksichtigt wissen ollen. Neue Zeitumstände also, aber alte Probleme. Frauen eben auch im Jahr 2004 weiter zwischen Wunsch und irklichkeit. Die Politik der Bundesregierung konnte in en letzten sechs Jahren daran nichts Wesentliches änern. Dabei sind viele ihrer Ansätze – das sagen wir anz bewusst – redlich und richtig, wie zum Beispiel das etzen auf Freiwilligkeit bei der Durchsetzung der hancengleichheit von Frauen in der Privatwirtschaft der das Befördern der Familienfreundlichkeit in Unterehmen aus volkswirtschaftlichen und betriebswirtchaftlichen Aspekten. Ich glaube wirklich, dass sich inisterin Renate Schmidt auf vielen Feldern abmüht. ber sie kann gar nicht erfolgreich im Sinne der Frauen gieren, wenn der ganze wirtschafts-, sozial-, arbeitsarktund finanzpolitische Rest bei Rot-Grün nicht timmt. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)


Wir von der CDU/CSU teilen die Zielsetzungen der
tärkung der Frauenerwerbstätigkeit oder des Ausbaus
on Möglichkeiten zur ganztägigen Kinderbetreuung.
och, meine Damen und Herren, der Weg zum Ziel ist
ntscheidend: Er muss gangbar, realistisch und finan-
ierbar sein, denn wir wollen unsere Zukunft nicht auf
and bauen. Sie hängen teilweise leider jedoch nach wie
or gesetzgeberischen Wunschträumen nach und haben
eine schlüssigen Finanzierungskonzepte, was am Ta-
esbetreuungsausbaugesetz wieder einmal deutlich
urde.
Außerdem müssen unterschiedliche Lebensentwürfe

on Frauen besser berücksichtigt werden. In den Koali-
ionsfraktionen neigt man immer noch dazu, Frauen, die
ich ausschließlich um die Familie kümmern, am Weges-
and stehen zu lassen. Das wird es mit der Union nicht
eben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514522700

Achten Sie bitte auf die Zeit. Es wäre jetzt Zeit für

en Schlusssatz.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1514522800

Jawohl. – Wie damals brauchen wir heute passgenaue

nd zeitgemäße Konzepte. Moderne Gleichstellungspo-
itik ist gestern wie heute eine gesamtgesellschaftliche
ufgabe. Es gilt, die Strukturen zu verändern und über-
olte Rollenbilder zu hinterfragen, jedoch nicht um den
reis, diese durch neue, quasiverbindliche Rollenbilder
u ersetzen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13529


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Annette Widmann-Mauz

Die Herausforderungen moderner Gleichstellungspo-

litik können zudem nur im Geschlechterkonsens erfolg-
reich gemeistert werden. Darauf sollten wir uns in Zu-
kunft stärker konzentrieren. Lassen Sie uns gemeinsam
die Gleichstellungspolitik aus ihrer Nische herausholen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514522900

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Humme.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt die moderne Gleichstellungspolitik, wie wir sie machen!)



Christel Humme (SPD):
Rede ID: ID1514523000

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-

nen! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der CDU/
CSU, Sie legen heute einen Antrag vor, der mir tatsäch-
lich Hoffnung für Ihre Fraktion gibt. Schließlich haben
Sie in Ihrer Fraktion mit nur 23 Prozent immer noch den
geringsten Frauenanteil. Auch das könnten Sie mithilfe
Ihres Antrags ändern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber dafür die meisten in Spitzenpositionen!)


– Die haben wir auch. Das ist gar keine Frage.
Leider muss ich Ihnen, Frau Widmann-Mauz, sagen,

dass die heutige aktuelle Nachricht lautet: Herr Oettinger
und nicht Frau Schavan liegt in Baden-Württemberg
vorn. Das ist auch ein Beispiel dafür, wie stark das
Gleichstellungskonzept in der CDU/CSU wirkt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber bitte keine Männerdiskriminierung!)


Aber jetzt zur Sache und zu Ihrem Antrag, Frau
Widmann-Mauz: Viele der Forderungen und Analysen
aus Ihrem Antrag kann ich durchaus teilen und unterstüt-
zen. Aber wie so oft ist Papier sehr geduldig und wie bei
vielen anderen Ihrer Politikfelder vermisse ich ein biss-
chen Fleisch in der Suppe und frage: Wie kann man das,
was Sie in Ihrem Antrag fordern, eigentlich umsetzen?
Was ist Ihr Konzept?


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Es kommen ja noch zwei!)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der CDU/
CSU, Sie fordern eine konsequente Umsetzung von
Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, das heißt einen höhe-
ren Stellenwert der Gleichstellungspolitik in der Gesell-
schafts- und Wirtschaftspolitik. Das unterstreichen wir
dreimal. Das empfinden wir genauso.

Weiter heißt es – das ist für die CDU/CSU ein Riesen-
fortschritt –: Wir möchten Gender Mainstreaming als
Konzept umsetzen. Dazu sagen wir: Gut so! Weiter so!


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Was machen Sie denn?)


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(C (D Beim zweiten Blick auf Ihren Antrag erkennt man ber ganz deutlich, dass Ihr Mut zur Veränderung nur albherzig ist. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen ufzeigen. Sie haben gerade in Ihrer Rede gesagt, Frau idmann-Mauz, und im Antrag auch geschrieben: Wir ollen Gleichstellungspolitik nur im Geschlechterkonens. as heißt das? Hört Ihr Anspruch auf Gleichstellung uf, wenn der Mann nicht mehr mitmachen möchte? as kann es doch wohl nicht sein. Hätten die Frauen imer auf das Einverständnis der Männer gewartet, wäre s zum Beispiel der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert chon vor 50 Jahren nicht gelungen, den Art. 3 überaupt in die Verfassung zu bringen. Und vor zehn Jahren ätte es die Ergänzung nicht gegeben, die Anlass für die eutige Debatte ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(Elke Ferner [SPD]: Das geht nicht!)


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der CDU/
SU, Sie fordern die Umsetzung von Gender Mainstrea-
ing. Das ist wunderbar. Aber Sie schreiben gleichzei-
ig, dass Sie es „angemessen“ und ohne „Bürokratie“
msetzen möchten.


(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nicht so viel von allem!)


as bedeutet das im Zusammenhang mit dem Thema
leichstellung? Gender Mainstreaming heißt, dass wir
edes Gesetz, das wir auf den Weg bringen, darauf über-
rüfen, wie es auf Männer und Frauen wirkt, ohne eine
er beiden Gruppen in irgendeiner Form zu benachteili-
en. Ist das für Sie Bürokratie? Gender Mainstreaming
ird in die Personalpolitik der Bundesbehörden aufge-
ommen und die Mitarbeiter werden geschult, damit sie
ach diesem Prinzip überhaupt handeln können. Ist das
ür Sie Bürokratie?
In Ihrem Antrag stellen Sie eine Menge richtiger For-

erungen, aber gleichzeitig schränken Sie Ihre Forderun-
en wieder ein. Ihr Antrag erinnert mich ein bisschen an
ie Echternacher Springprozession: ein Schritt vor und
wei Schritte zurück. Das brauchen Männer und Frauen
uf keinen Fall. Was sie brauchen, sind konsequente
chritte nach vorn, hin zu mehr Gleichstellung. Wir sind
iese Schritte gegangen, liebe Kollegen, liebe Kollegin-
en.
Seit 1999 gibt es das Programm der Bundesregierung

Frau und Beruf“.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Auf dem Papier, in der Realität leider nicht!)


ender Mainstreaming ist seitdem in der Geschäftsord-
ung der obersten Bundesbehörden verankert. Seit 2001
ilt dieses Prinzip dank unseres Gleichstellungsdurchset-
ungsgesetzes auch für den öffentlichen Dienst des Bun-
es und seit der letzten Woche gibt es das Gleichstel-
ungsgesetz für die Bundeswehr. All das sind ganz

13530 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Christel Humme

konkrete und konsequente Schritte hin zu mehr Gleich-
stellung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Herren und Damen von der CDU/CSU, mit Ih-
rem Antrag fallen Sie leider hinter unsere tatsächliche
Gleichstellungspolitik zurück. „Rolle rückwärts“ ist of-
fensichtlich das Konzept. Das möchte ich Ihnen bewei-
sen. In Ihrem Antrag fordern Sie weiterhin „die Wahl-
freiheit von Frauen und Männern zwischen Beruf und
Familie“. Das klingt erst einmal gut. „Wahlfreiheit“ ist
ein schöner Begriff. Aber uns reicht das auf keinen Fall.
Denn wir wollen nicht die Entscheidung „zwischen Be-
ruf und Familie“.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das steht auch nicht drin!)


Diese Entscheidung hatten Männer und Frauen in den
letzten 50 Jahren schon immer – in der Regel mit dem
Ergebnis: Die Frau bleibt zu Hause und versorgt die Kin-
der; der Mann hat den Beruf.

Wir wollen eine echte Wahlentscheidung für Beruf
und Familie, für Frauen und Männer.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das ist der Unterschied zu Ihrem Antrag.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist die alte Schublade, die Sie bedienen!)

– Wir sind damit in der Realität, Frau Widmann-Mauz.

Wir wissen: 80 Prozent der jungen Männer und
Frauen und 71 Prozent der Frauen mit Kindern wollen
beides, Beruf und Familie.


(Hannelore Roedel [CDU/CSU]: Wo sind die Arbeitsplätze?)


Wir schaffen die Rahmenbedingungen, damit Männer
und Frauen ihre Lebensentwürfe verwirklichen können.

Darum haben wir einen Anspruch auf Teilzeit für
Männer und Frauen durchgesetzt. Sie haben das abge-
lehnt. Wir haben das Tagesbetreuungsausbaugesetz für
Kinder unter drei Jahren auf den Weg gebracht.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie wissen genau, dass wir für Kinderbetreuung und Betreuung der Pflegebedürftigen sind!)


Wir werden schauen, wie Sie sich im Bundesrat verhal-
ten werden. Werden Sie wieder ablehnen? Warum sper-
ren Sie sich die ganze Zeit gegen unser Ganztagsschul-
programm, für das wir den Ländern 4 Milliarden Euro
zur Verfügung stellen?


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wenn Sie es einmal machen! Wenn das Geld einmal ankommt!)


Hier zeigt sich wieder einmal, wie widersprüchlich Ihre
Politik eigentlich ist.

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(C (D Das Recht auf Teilzeit für Frauen und Männer, die lexibilisierung der Elternzeit und qualitativ gute Ganzagsbetreuung sind die wichtigen Rahmenbedingungen, ie Männern und Frauen die Vereinbarkeit von Familie nd Beruf erst möglich machen. Das sind unsere konseuenten Schritte nach vorn in Richtung zu mehr Gleichtellung von Männern und Frauen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich uss leider feststellen: Sie blockieren diese Rahmenbeingungen aus rein taktischen Länderinteressen im Bunesrat. (Hannelore Roedel [CDU/CSU]: Mangels Geldes!)


lockade, das scheint Ihre Politik zu sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, meine Damen und
erren von der CDU/CSU, Gesetze und Rahmenbedin-
ungen reichen nicht aus – das wissen wir alle –, um für
leichstellung von Männern und Frauen zu sorgen. Wir
üssen – das gehört dazu – Mentalitäten ändern, für eine
ndere Unternehmenskultur werben und Frauen ermuti-
en, sich gegen Benachteiligungen zur Wehr zu setzen.
ie Umsetzung der europäischen Gleichstellungsrichtli-
ien in einem Antidiskriminierungsgesetz wird im
ächsten Jahr dafür sorgen, dass Frauen ihre Rechte
ahrnehmen können. Das ist ein wichtiger Meilenstein,
en wir nächstes Jahr setzen werden. Das sind die nächs-
n konsequenten Schritte, die wir gehen, um Gleichstel-
ng von Frauen und Männern zu verwirklichen.
Neben den verbesserten Rahmenbedingungen brau-

hen wir Veränderungen in den Köpfen. Lassen Sie uns
afür gemeinsam kämpfen! Nicht länger darf das männ-
iche Lebensmodell der Maßstab sein, an den sich die
rauen anzupassen haben. Das schwingt in Ihrem Antrag
eider immer noch ein bisschen mit. Wir brauchen neue
ebensmodelle, die Männern und Frauen die gleichen
echte geben. Dann sind wir einen ganz wichtigen
chritt zur Gleichstellung hin weitergekommen. An die-
er Stelle, Frau Widmann-Mauz, nehme ich gerne Ihren
ntrag auf. Kämpfen wir darum weiter, und zwar ge-
einsam!
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514523100

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sibylle Laurischk.

Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1514523200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Vor zehn Jahren hat der Deutsche Bundestag mit
er Novellierung von Art. 3 des Grundgesetzes zum
usdruck gebracht, dass es mit der reinen Feststellung
Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ nicht getan
st. Die Forderung nach „Durchsetzung der Gleichbe-
echtigung“ und Hinwirken auf „die Beseitigung beste-
ender Nachteile“ brachte zum Ausdruck, dass Struktur-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13531


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Sibylle Laurischk

veränderungen zur Erreichung des Ziels der
Gleichberechtigung von Männern und Frauen notwendig
sind. Eine Bestandsaufnahme über die Auswirkungen
von Art. 3 Abs. 2 ist also sinnvoll.


(Beifall bei der FDP)

Trotz guter Ausbildungen schaffen es nach wie vor

nur unterdurchschnittlich wenige Frauen in die Füh-
rungsetagen großer Unternehmen. Auch an den Univer-
sitäten bleiben sie weiter im so genannten Mittelbau hän-
gen und sind bei den Ordinarien unterdurchschnittlich
vertreten. Im internationalen Vergleich mit Frankreich,
den skandinavischen Ländern, aber auch den USA sind
wir in dieser Hinsicht weit abgeschlagen.


(Beifall bei der FDP)

Nicht zuletzt die politischen Parteien sind gefordert,

Frauen mit mehr Selbstverständlichkeit zur Mitarbeit zu
motivieren. Da nehme ich meine eigene Partei nicht aus.
Als Badenerin beobachte ich natürlich den Wettbewerb
der beiden Kandidaten um das Amt des Ministerpräsi-
denten in Baden-Württemberg und die sich daraus mög-
licherweise ergebenden Folgen für die Positionierung
von Frauen in Spitzenämtern in der Union.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Auch im Erwerbsleben muss sich der Gleichberech-
tigungsgedanke widerspiegeln. Hier sind die Tarifpar-
teien in besonderer Weise gefordert, indem gleiche oder
gleichwertige Arbeit auch gleich zu bezahlen ist und
keine unterschwellige Ausgrenzung von Frauen mehr
stattfinden darf. Parallel hierzu sind eine gute berufliche
Ausbildung und eine Veränderung des betrieblichen Kli-
mas auch für Frauen bzw. für Eltern, die nach einer
Phase der Kinderbetreuung wieder in den Beruf zurück-
kehren wollen, Voraussetzung für die Verbindung von
Elternschaft und Berufstätigkeit.

Die rückläufige Geburtenrate in Deutschland ergibt
sich nicht nur aus der Tatsache, dass 40 Prozent aller
Akademikerinnen keine Kinder mehr haben, sondern
auch aus der noch höheren Zahl von Männern, die sich
entscheiden, keine Kinder haben zu wollen. Zum einen
wäre eine verlässliche Kinderbetreuung auch für Kinder
unter drei Jahren und im Schulalter, die staatlicherseits
Angebot, aber für die Eltern nicht Verpflichtung ist, eine
wesentliche Voraussetzung für die Teilhabe von Eltern
am Erwerbsleben. Ich verweise auf die jetzt auch seitens
der OECD attestierte gute Infrastruktur der Kinderbe-
treuung in den neuen Bundesländern, ein Faktor, wes-
halb in der Umgebung Berlins Familien mit Kindern be-
vorzugt wohnen.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])


Im Rahmen der anstehenden Unterhaltsrechtsreform
wird es notwendig sein, die wirtschaftliche Eigenverant-
wortung von Frauen zu stärken. Die gerade von Män-
nern beklagte Belastung mit Unterhaltsverpflichtungen
ist dann änderbar, wenn Frauen und Mütter eine eigene
berufliche Erwerbsperspektive haben und die dafür not-
wendigen Voraussetzungen im Rahmen der Kinderbe-
treuung geschaffen werden.

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(C (D in belastbares Angebot öffentlicher und privater Träger ur Kinderbetreuung würde es auch berufstätigen Väern, die für ihre Kinder sorgen wollen, ermöglichen, Elernarbeit zu übernehmen. Hier sind Strukturveränderunen notwendig, die im Antrag der Union leider nicht onkret genug aufgezeigt werden. Die FDP hat in den vergangenen Jahren im Interesse er Gleichstellung von Frauen und Männern verschieene Initiativen ergriffen, die ich hier noch einmal klar kizzieren möchte. Wir fordern die Abschaffung der für rauen diskriminierenden Steuerklasse V, dieses unsinigen Relikts aus Zeiten, in denen der Verdienst des annes in einer Ehe etwas galt und der Lohn der Ehe rau als Zubrot unbedeutend war. Dies ist eine ganz uninnige Regelung, die gerade Frauen in Trennungssituaionen zu spüren bekommen. Weiter fordern wir die Kinderbetreuung ohne eine erpflichtung der Eltern, sie wahrnehmen zu müssen. ir fordern ferner die Entlastung von Eltern bei der Bei ragszahlung zur Pflegeversicherung und die Sicherung on Kindererziehungszeiten durch eine kapitalgedeckte entenversicherung, um diese Zeiten nicht im großen opf untergehen zu lassen. Wir fordern eine ausgewoene und eine nicht geschlechterdifferenzierende Geundheitspolitik für Frauen und Männer. Aber auch die Gleichstellung von Frauen und Män ern aus anderen Kulturkreisen, die in Deutschland leen, ist uns wichtig. Neben Integrationsmaßnahmen forern wir die Strafbarkeit der Zwangsheirat bei leichzeitiger Bereitstellung von Schutzräumen. Gender Mainstreaming wird die Methode zur Durch etzung der Gleichstellung sein. Dies ist international ohl schon weiter verankert als in Deutschland. Meine Damen und Herren, Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz leibt uns allen Auftrag, sozusagen als Pfahl im Fleisch er Gleichstellungsgegner. Nächste Rednerin ist die Kollegin Irmingard Scheweerigk, Bündnis 90/Die Grünen. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜEN)


(Beifall bei der FDP)


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514523300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Män-

er und Frauen sind gleichberechtigt.“ Für diesen
cheinbar so selbstverständlich klingenden Satz in Art. 3
es Grundgesetzes haben die Mütter des Grundgesetzes
nd allen voran die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert
art kämpfen müssen. Waschkörbe voller Briefe aus der
ivilgesellschaft waren nötig, damit dieser Satz 1949 in
as Grundgesetz aufgenommen wurde.
1994 gelang es ein zweites Mal, Frauenrechte im
rundgesetz zu verankern. Die tatsächliche Durchset-
ung der Gleichberechtigung als Staatsziel wurde festge-
chrieben. Auch diesmal war dies nur durch die Zusam-
enarbeit der Frauen innerhalb und außerhalb des

13532 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Irmingard Schewe-Gerigk

Parlamentes möglich. Ohne Frauen ist eben kein Staat zu
machen.

Das musste letztendlich und sehr spät auch die dama-
lige Frauenministerin Angela Merkel einsehen, obwohl
sich die Sprecherin der Frauen der CDU/CSU, Ursula
Männle, vehement gegen die Festschreibung als Staats-
ziel aussprach. Frau Karwatzki, die hier ist, hatte – da-
rauf will ich hinweisen – eine andere Position. Parado-
xerweise bedurfte es der Unterstützung von CDU-Män-
nern wie Christian Wulff, um in letzter Minute gemein-
sam mit den Frauen den Durchbruch zu erreichen.

Ob es auch daran liegt, dass Sie in Ihrem Antrag einen
so verklärten Blick auf die Vergangenheit haben? Sie be-
haupten, entscheidende Weichenstellungen in der
Frauen- und Familienpolitik würden Ihre Handschrift
tragen und seit der Übernahme der Regierung durch Rot-
Grün stagniere diese Entwicklung.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist doch richtig!)


– Kein Mensch glaubt Ihnen das, Frau Widmann-Mauz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich finde dies schon ziemlich dreist. Wenn ich mir

Ihre Weichenstellungen in 16 Jahren Regierungszeit so
ansehe, finde ich das, was Sie durchgesetzt haben, ziem-
lich mager. Ich erkenne ja an, dass Sie gesetzliche Rege-
lungen im Hinblick auf die Gleichberechtigung einge-
führt haben. Das alles war aber doch sehr halbherzig,
weil Sie die konservativen Kräfte Ihrer Fraktion nicht
hinter sich bringen konnten.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist Ihre Lesart!)


Das ist natürlich auch ein Problem. Nicht umsonst haben
die Frauen 1998 und 2002 Rot-Grün zum Erfolg verhol-
fen. Sie identifizierten sich mit dem Gesellschaftsbild
von Rot-Grün und lehnten Ihre damalige Heim-und-
Herd-Politik ab. Wir wollen eine moderne Geschlechter-
politik; Sie wollen einen modernen Herd.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Das, was Sie gemacht haben, war stark reformbedürf-
tig. Nehmen wir das Zweite Gleichberechtigungsgesetz.
Es war so unverbindlich, dass es seine Wirkung ver-
fehlte. 1998 waren zwar 45 Prozent der im Bundesdienst
Beschäftigten Frauen. Auf der Leitungsebene aber wa-
ren sie seltene Exemplare. Unser 2001 in Kraft getrete-
nes Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz – es könnte
einen schöneren Namen haben; das finde auch ich – ent-
hält demgegenüber verbindliche Instrumente wie zum
Beispiel die Leistungsquote. Sie hat dafür gesorgt, dass
schon vier Jahre nach In-Kraft-Treten der Anteil der Re-
feratsleiterinnen von 10 auf 16 Prozent und der der Ab-
teilungsleiterinnen von 2 auf 12 Prozent anstiegen. Ich
füge hinzu: Die Quote gilt nur bei gleicher Eignung,
Leistung und Befähigung. Also, keine Sorge, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP,
besser qualifizierte Männer werden auch weiterhin ein-
gestellt und befördert. Es gibt sie ja auch tatsächlich.

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(C (D In der letzten Woche haben wir zudem die Gleichstelung von Soldatinnen und Soldaten beschlossen. Erreulicherweise hat die CDU/CSU trotz Quote zugetimmt; es geht also. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie haben ja Gott sei Dank noch etwas geändert! Sie haben es eingesehen!)


Auch die Regelungen zur Elternzeit haben wir mo-
ernisiert. Die von Ihnen im Antrag geforderte Wahlfrei-
eit existiert schon. Sie ist durch einen Rechtsanspruch
uf Reduzierung der Arbeitszeit für Väter und Mütter
ährend der dreijährigen Elternzeit abgesichert. Nur
üssen die Männer das auch annehmen, was wir ihnen
ier anbieten.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist das Problem!)


ch sehe aber einen Silberstreif am Horizont: 1998, als
ir die Regierung übernahmen, waren es 1,6 Prozent der
änner, die Erziehungszeit nahmen. Jetzt, nach der Ge-
etzesänderung, sind es 5 Prozent. Das ist mir natürlich
iel zu wenig; aber wenn Sie die Prozente hochrechnen,
st es ja doch schon viel.
Zwar hatten Sie damit begonnen, Erziehungs- und
flegezeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung an-
uerkennen. Dass eine Mutter, die wegen der Kinderer-
iehung teilzeitbeschäftigt ist oder ein niedriges Ein-
ommen hat, jetzt bis zum zehnten Lebensjahr des
indes den durchschnittlichen Rentenversicherungsbe-
rag auf ihr eigenes Rentenkonto angerechnet bekommt,
at aber Rot-Grün durchgesetzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


ir haben auch dafür gesorgt, dass eine Frau, die bis zu
rei Jahre ein Kind betreut, jetzt einen Anspruch auf
rbeitslosengeld sowie auf alle Arbeitsfördermaß-
ahmen hat. Auch der Anteil der Wissenschaftlerinnen
n den Universitäten, die Sie in Ihrem Antrag auch er-
ähnen, hat sich seit 1998 stark erhöht. Allerdings sind
eitere gesetzliche Regelungen gerade für die außeruni-
ersitären Forschungseinrichtungen notwendig; denn sie
erfahren noch nicht so richtig nach dem Gesetz.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn

ie behaupten, das Prinzip von Gender Mainstreaming
ei in der Praxis bisher wirkungslos geblieben, so frage
ch mich, ob Sie die vielen Verbesserungen nicht kennen
der nicht kennen wollen. Ich nenne nur einige: die Ver-
esserungen für behinderte Frauen hinsichtlich einer
eruflichen Tätigkeit, die Riester-Rente, das Betriebs-
erfassungsgesetz, den Aufbau einer bundesweiten
ründerinnenagentur und das Gender Kompetenzzen-
rum. Das alles sind Maßnahmen, die die Situation der
rauen in bestimmten Politikfeldern ganz besonders be-
ücksichtigen. Derzeit prüfen wir, wie Gender Budgeting
ls besondere Form des Gender Mainstreaming in den
aushalt des Bundes eingeführt werden kann.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Gender Budgeting gibt es seit vielen Jahren!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13533


(A) )



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Irmingard Schewe-Gerigk

Immer noch verdienen Frauen im Durchschnitt deut-

lich weniger als Männer und der Anteil von Frauen in
Führungspositionen hinkt europaweit hinterher, aber es
ist nicht einfach, die festgefahrenen Strukturen zu lo-
ckern.

Hinsichtlich der freiwilligen Vereinbarung zwischen
der Regierung und den Arbeitgeberverbänden zur Förde-
rung der Chancengleichheit in der Privatwirtschaft hatte
ich nie die Illusion, sie werde wirklich etwas bewegen.
Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Rezzo
Schlauch, sieht es so – ich zitiere mit Genehmigung der
Präsidentin –:

Die freiwillige Selbstverpflichtung der Privatwirt-
schaft, die beruflichen Chancen von Frauen zu ver-
bessern, ist gescheitert. Das Gleichstellungsgesetz
muss wieder auf die Agenda.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Ich komme zum Schluss: Die rechtliche Gleichstel-

lung haben wir in den letzten Jahren weitgehend er-
reicht. Bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann
und Frau bedarf es aber noch großer Anstrengungen. Es
wäre schön, liebe Kolleginnen von der CDU/CSU, wenn
Sie sich daran beteiligten. Ich rufe Ihnen zu: Kommen
Sie in der Gegenwart und in der Realität der Frauen an!
Das beste Beispiel dafür – ich habe gerade solche Poli-
tikfelder angeführt – –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514523400

Frau Kollegin, Sie müssen wirklich zum Schluss

kommen. Es darf auch keine Beispiele mehr geben.

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Nein. – Kollege Rüttgers aus Nordrhein-Westfalen

wird zum Bundesparteitag einen Änderungsantrag mit
der Begründung einbringen, er wolle ein neues Frauen-
bild für die CDU/CSU. Damit, dass es dafür endlich Zeit
wird, hat der Mann vollkommen Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Lesen Sie mal den Antrag!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514523500

Das Wort hat die Kollegin Irmgard Karwatzki, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1514523600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit
einer kleinen Episode beginnen. In der vorigen Woche
machte ein junger Kollege auf die Frage, ob auch Frauen
im Parlamentarischen Rat gewesen seien, einen halblau-
ten Zwischenruf: Eine! Freundschaftlich korrigierte ich
ihn, es seien vier gewesen.

Wenn er heute hier wäre, könnte er lernen, wer diese
vier gewesen sind: zwei von der SPD, die schon ge-
nannte Elisabeth Selbert und Friederike Nadig, sowie
Helene Wessel vom Zentrum und Helene Weber von den

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(C (D hristdemokraten. Diesen vier Frauen haben wir, die wir eute Verantwortung tragen, viel zu verdanken. Sie haen den Grundstein für unser Engagement gelegt. Ich in der Meinung, man soll bei der Betrachtung von Zeitäumen von zehn Jahren immer versuchen, die Kolleginen zu benennen, die vor uns schon Verantwortung geragen haben. Das tue ich auch heute gern. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schon damals waren sich unsere Vorgängerinnen be-
usst, dass die Frage der Gleichberechtigung selbstver-
tändlich zum Komplex der Menschenrechte gehört. Sie
ämpften um ihren Standpunkt – dies hat die Kollegin
chewe-Gerigk gerade ausgeführt – und erreichten fol-
ende Verfassungsregelung im Grundgesetz:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
ber es blieb ein mühevoller Kampf; wir wissen, wie
chwierig der Weg zur tatsächlichen Teilhabe war. Man-
he Gesetze wurden im Bürgerlichen Gesetzbuch zu-
unsten der Frauen geändert. Aber was nützen die
chönsten Rechtsnormen, wenn sich in den Köpfen und
erzen der Mehrheit derer, die in den Machtzentren sit-
en, nichts oder nur wenig verändert?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir hatten das große Glück der Wiedervereinigung. Im

usammenhang damit wurde im Einigungsvertrag festge-
chrieben, eine gemeinsame Verfassungskommission
on Bundesrat und Bundestag einzusetzen. Viele, die
edenken in Bezug auf das alte Grundgesetz hatten, sa-
en jetzt die Möglichkeit, ihre Begehrlichkeiten festzu-
chreiben. Aber auch wir, die Frauen in allen Parteien
nseres Parlaments, erkannten darin die Stunde für eine
eränderung. Von den Kolleginnen aus den Fraktionen
urde bereits darauf hingewiesen. Unser damaliger Vor-
chlag wurde Verfassungswirklichkeit. Es trifft zu, dass
s bezüglich der Festschreibung unterschiedliche Mei-
ungen gab; aber es ist gelungen. Die jetzige Formulie-
ung ist ein sehr guter Kompromiss:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat
fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichbe-
rechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf
die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich meine, wir alle sollten einmal schauen, was da-

aus geworden ist. Zehn Jahre nach der Ergänzung des
rt. 3 des Grundgesetzes stellt sich uns heute die Frage,
ie diese Präzisierung in der Praxis aussieht und welche
efizite es gibt. Nachgegangen werden muss unter ande-
em der Frage, ob nicht auch die Zuwanderinnen aus
nderen Kulturkreisen an dem hiesigen Gleichberech-
igungsprozess zu beteiligen sind und warum sich Paral-
elgesellschaften bilden.


(Elke Ferner [SPD]: Selbstverständlich, Frau Karwatzki!)


Ja. Ich darf das aber ausführen. Wenn wir uns gleich
lle einig sind, ist das eine tolle Sache. Ich muss meine

13534 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Irmgard Karwatzki

Überlegungen aber ausführen dürfen. Ich sage das ja
nicht vorwurfsvoll an eine Adresse.


(Elke Ferner [SPD]: Ich dachte nur, dass es für Sie infrage steht! Entschuldigung!)


– Nein, überhaupt nicht. Wenn ich einen Punkt setze, ist
das keine Frage. Lassen wir das jetzt so stehen. Sie wer-
den gleich merken, was ich sagen will.

Vor dem Hintergrund einer starken Zunahme von Fa-
milien mit Migrationshintergrund kommt der Frage der
Umsetzung des Gleichberechtigungsgebots des Grund-
gesetzes eine große Bedeutung zu. Tausende Muslimin-
nen leben in Deutschland unter dem Zwang des Patriar-
chats, eingesperrt in der Wohnung, hilflos gegen
männliche Gewalt und Zwangsverheiratung. Ohne
Chance auf Integration verschwinden sie in einer Paral-
lelwelt, die von fundamentalistischen Männern domi-
niert wird.

In einigen wichtigen Bereichen, in denen zurzeit Dis-
kussionen stattfinden, haben wir die Chance, gemeinsam
etwas für diese Frauen zu tun. Ich nenne den Kopftuch-
streit, die Zwangsverheiratung und die Situation, dass
türkische Eltern ihren Töchtern den Zugang zum Sport-
und Sexualunterricht in der Schule verweigern können.
Diese Fragestellungen dürfen wir nicht übersehen. Wir
müssen sie angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 2 des Grundge-

setzes gilt für alle, ungeachtet der Herkunft und der Reli-
gion. Frauen in Deutschland sollen nirgendwo diskrimi-
niert werden: nicht im Bildungsbereich, nicht im
Berufsleben, nicht im Gesundheitswesen und nicht in al-
len anderen Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen
Lebens, nicht in der Ehe und nicht in der Familie. Verbo-
ten sind auch – darauf müssen wir immer wieder hinwei-
sen – Frauenhandel und Ausbeutung von Frauen durch
Prostitution. Wir alle müssen unser Augenmerk zukünf-
tig noch mehr auf diese Faktoren richten. Wir alle sind
diesen Frauen zur Solidarität verpflichtet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bitte Sie alle – das sage ich auch an unsere
Adresse – gemeinsam etwas für die Frauen auf den Weg
zu bringen, damit im Interesse von Frauen und Kindern
ein wenig mehr Frieden in die Familien einkehren kann.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514523700

Das Wort hat die Kollegin Renate Gradistanac, SPD-

Fraktion.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1514523800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Anfang des Jahres 1995 schreibt eine Leser-

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(C (D riefschreiberin im „Schwarzwälder Boten“ – ich itiere –: Ich bin Gegnerin der Gleichberechtigung der Frau. Eine echte Frau will geliebt werden und welcher Mann kann eine Frau lieben, die Gleichberechtigung von ihm verlangt? Außerdem ist sie nicht gottgewollt. Man lese in der Bibel nach. Eva wurde aus einer Rippe des Adam gebildet. Wie kann sie da gleichberechtigt sein? as war vor zehn Jahren. Vieles hat sich seither veränert, für die Frauen positiv entwickelt. Frau Widmann-Mauz, gemeinsam mit vielen anderen rauen sind wir auf dem Plakat „Zeit für aten – 10 Jahre neues Grundgesetz“ zu sehen, das auf ine Initiative des baden-württembergischen DGB zuückgeht. Bei aller so genannten Frauensolidarität gibt es sicher icht nur gemeinsame Ziele, sondern auch Trennendes; as will ich nicht verschleiern. Wenn ich mir den vorlieenden Antrag der CDU/CSU durchlese, fällt mir auf, ass Sie sich nicht mit dem Thema „Gewalt gegen rauen“ auseinander setzen bzw. auseinander setzen ollen. Als Vorsitzende der CDU-Frauenunion in Baen-Württemberg müssten Sie für das Thema „Gewalt egen Frauen“ doch sensibilisiert sein. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Frau Gradistanac, Sie kennen doch unsere Anträge aus dieser Legislaturperiode!)


enn Ihre Spitzenpolitikerinnen haben leider häufig da-
it zu kämpfen. Frau Schavan wird unterstellt, sie sei les-
isch. Frau Merkel wird seit Jahren auf ihr Äußeres ange-
prochen. Für mich bzw. für uns ist das diskriminierend.


(Beifall bei der SPD – Annette WidmannMauz [CDU/CSU]: Für uns auch!)


Das Spektrum der Gewalt gegen Frauen ist breit. Es
eicht von Übergriffen im Berufsleben und Belästigun-
en auf der Straße über vielfältige Formen der Missach-
ung, der Misshandlung und der sexuellen Ausbeutung
is hin zu Vergewaltigungen und Tötungen. Die SPD-
eführte Bundesregierung hat die Rechte der Frauen
eutlich gestärkt. Beispielhaft nenne ich das Programm
Frau und Beruf“, den Aktionsplan zur Bekämpfung der
ewalt gegen Frauen und das Aktionsprogramm zum
chutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung. Als wich-
ige Bestandteile des Aktionsprogramms zum Schutz der
rauen vor Gewalt sind die Prävention, das Strafrecht,
as Gewaltschutzgesetz sowie Beratungs- und Hilfsan-
ebote zu nennen. Bei den letztgenannten Beispielen be-
arf es gewaltiger Anstrengungen vor Ort.
Drei wichtige Studien sind kürzlich veröffentlicht
orden: eine Pilotstudie zur Gewalt gegen Männer, eine
egleitforschung der Interventionsprojekte gegen häusli-
he Gewalt und die erste repräsentative Untersuchung zur
ewalt gegen Frauen. Sie zeigt auf, dass 40 Prozent der
efragten Frauen körperliche und/oder sexuelle Gewalt
rlebt haben. Mindestens jede vierte Frau im Alter von
6 bis 85 Jahre, die in einer Partnerschaft gelebt hat, hat
örperliche und/oder sexuelle Übergriffe durch aktuelle
der frühere Partner ein- oder mehrmals erfahren.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13535


(A) )



(B) )


Renate Gradistanac

Gewalt im häuslichen Bereich ist leider immer noch

die am weitesten verbreitete Gewaltform. Von ihr sind vor
allem Frauen und Kinder betroffen. Wenn die Polizei in
Stuttgart wegen Gewalttaten alarmiert wird, befindet sich
der Tatort bei drei von vier Streifenwageneinsätzen im
häuslichen Bereich. Unser Gewaltschutzgesetz zeigt Wir-
kung: Wer schlägt, fliegt raus, wird der Wohnung verwie-
sen! Im Kreis Freudenstadt im Schwarzwald wurden von
der Polizei in den vergangenen vier Jahren 49 Platzver-
weise wegen häuslicher Gewalt ausgesprochen. Die Täter
waren nur Männer. In fast allen Fällen wurden anschlie-
ßend keine weiteren Gewalttätigkeiten bekannt.

Durch unser Gewaltschutzgesetz haben die Frauen
die Wahl: Sie können in ihrer Wohnung bleiben oder ins
Frauenhaus gehen. Leider sind Frauenhäuser immer wie-
der von Mittelkürzungen oder Schließungen bedroht
oder sie werden sogar geschlossen.


(Sibylle Laurischk [FDP]: Leider wahr!)

Frau Widmann-Mauz, Ihre CDU-Kollegin Karen Koop,
frauenpolitische Sprecherin in Hamburg, hält die Schlie-
ßung eines Frauenhauses für vertretbar. Das konnte ich
im „Hamburger Abendblatt“ vom 22. Juli 2004 nachle-
sen. Zeit für Taten? Aber doch bitte nicht gegen, sondern
für die Frauen!

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Sibylle Laurischk [FDP]: Und was ist in Berlin?)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514523900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Hannelore Roedel,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Hannelore Roedel (CSU):
Rede ID: ID1514524000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Frauen, es geht voran!“ – Das berichtete das
Familienministerium im September dieses Jahres den
Vereinten Nationen. Auf dem Papier ist die Gleichstel-
lung der Geschlechter in Deutschland auf einem guten
Weg. Das tröstet diejenige Frau, die beim beruflichen
Aufstieg an die berühmte gläserne Decke stößt, natürlich
ungemein! Bevor sie sich den Kopf einrennt bei dem
Versuch, in die Chefetage vorzustoßen, kann sie ja zu
diesem Regierungsbericht greifen und nachlesen, dass
mit der Vereinbarung zur Förderung der Chancengleich-
heit von Frauen und Männern in der Wirtschaft ein wich-
tiger Schritt vollzogen sei. – Vollzogen wurde bisher nur
eines: nichts Nachvollziehbares. Aber das ist ja nichts
Neues bei dieser Regierung, scheint doch besonders in
der Frauenpolitik das Motto von Rot-Grün „Mehr Schein
als Sein“ zu lauten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht fair!)


Blicken wir einmal gemeinsam zurück. Ein langer
Weg liegt hinter uns: von der Weimarer Verfassung über
das Grundgesetz von 1949 bis zur Festschreibung der
Gleichberechtigung als Staatsziel vor zehn Jahren, 1994.

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(C (D o stehen wir heute? Immer noch am Anfang. Die leichberechtigung von Frauen ist immer noch keine ealität. (Renate Gradistanac [SPD]: Ja, vor allem in Bayern!)


ie Bundesregierung hat zwar viele wohlklingende Ak-
ionsprogramme gestartet, etwa „Frauen und Beruf“ oder
Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesell-
chaft des 21. Jahrhunderts“, doch – das müssen Sie zu-
eben – die damit angestrebten Ziele sind eben nicht er-
eicht.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist das!)


akt ist – das müssen Sie zur Kenntnis nehmen –: Die
ahl der Arbeitslosen ist auf Rekordniveau und eine
rendwende ist nicht in Sicht. Das ist eindeutig die
olge der falschen Wirtschafts- und Sozialpolitik die-
er Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

ach wie vor verdienen Frauen bei gleicher Arbeit im
urchschnitt 30 Prozent weniger als Männer. In Wissen-
chaft und Forschung sind Frauen weiterhin unterreprä-
entiert. Obwohl mehr Frauen als Männer Hochschulab-
chlüsse haben, sind nur knapp 10 Prozent aller
rofessuren von Frauen besetzt. An den außeruniversitä-
en Forschungseinrichtungen ist sogar nur jede 20. Füh-
ungskraft weiblich. Tatsachen! Auch in der Wirtschaft
iegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen unter
0 Prozent und damit unter dem europäischen Durch-
chnitt. In nur einem der 100 größten börsennotierten
nternehmen sitzt eine Frau im Vorstand.


(Elke Ferner [SPD]: Dann fragen Sie doch einmal die Wirtschaft! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gute Beziehungen zur Wirtschaft!)


Diese Situation ist paradox: Noch nie gab es so viele
ut ausgebildete Frauen – noch nie so viele Ministerin-
en in einem Kabinett –, doch trotz dieser Voraussetzun-
en haben es Frauen heute schwerer als je zuvor,


(Elke Ferner [SPD]: Das stimmt ja nicht!)

rbeit zu finden. Ohne die stärkere Beteiligung von
rauen am Arbeitsmarkt wird es aber keinen Auf-
chwung in Deutschland geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


n Anbetracht des demographischen Wandels werden
rauen als gut ausgebildete Fachkräfte eine immer be-
eutendere Rolle spielen. Diese Erkenntnis muss sich
uch in der Wirtschaft durchsetzen. Frauenförderung
arf sich nicht auf Sonntagsreden beschränken, sondern
uss bereits bei der Einstellung stattfinden und muss
ich beim Aufstieg fortsetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Gradistanac [SPD]: Wie sieht das bei Ihren Parteikadern aus?)


13536 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Hannelore Roedel

Was die politischen Rahmenbedingungen angeht, ha-

ben Sie, meine Damen und Herren von der Regierung,
die Zeichen der Zeit leider nicht erkannt. Denn wesentli-
che Elemente der von Ihnen beschlossenen Reformen
vergrößern die Benachteiligung von Frauen. Nehmen
wir zum Beispiel Hartz: Neuerdings heißt es „Agentur“
statt „Anstalt“, „Jobcenter“ statt „Ämter“, „Fallmana-
ger“ statt „Sachbearbeiter“ und der Arbeitslose ist jetzt
„Kunde“. Klingt alles modern, doch haben Sie Änderun-
gen festgestellt? Die Personal-Service-Agenturen, das
Herzstück von Hartz, sollten 850 000 Stellen im Jahr
bringen. Tatsächlich vermittelt wurden 15 000 Arbeit-
suchende – leider die wenigsten davon Frauen. Auch in
den Agenturen selbst beträgt der Anteil der Frauen an
den Beschäftigten lediglich 30 Prozent. Mit Hartz IV
wurden die Weiterbildungsmittel gekürzt. Als Resultat
dieser Kürzungen mussten die Anbieter von Weiterbil-
dungsmaßnahmen Personal entlassen – überwiegend
weibliches, versteht sich. Auch bei der Vergabe von
Weiterbildungsgutscheinen werden Männer als so ge-
nannte teure Arbeitslose bevorzugt und die Frauen kom-
men zu kurz.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Besonders die für Berufsrückkehrerinnen wichtigen
Weiterbildungsmaßnahmen in Teilzeit werden fast über-
haupt nicht mehr durchgeführt. Damit wird diesen
Frauen der erneute Zugang zum Arbeitsmarkt fast un-
möglich gemacht. Man darf es fast nicht sagen, aber das
„Risiko Kind“ kommt hier voll zum Tragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine weitere Fehlentscheidung in der Arbeitsmarkt-

politik dieser Regierung zulasten von Frauen war die ge-
setzliche Verankerung des Anspruches auf Teilzeit.
Was nützt ein Anspruch auf Teilzeit, wenn Frauen nicht
einmal die Einladung zum Bewerbungsgespräch bekom-
men? Unternehmen ziehen den Bewerber vor, von dem
sie vermuten können, dass er später keine Teilzeitwün-
sche äußert. Diesen Nachweis haben wir.


(Elke Ferner [SPD]: Lädt die Bundesregierung oder laden Ihre Arbeitgeberfreunde ein?)


Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, das Problem der
Frauen lässt sich – anders, als Sie denken – nicht alleine
mit dem Ausbau der Kinderbetreuung lösen. Frauenpoli-
tik ist nämlich nicht nur Familienpolitik. Mehr Kinder-
betreuung allein schafft noch keine Arbeitsplätze für
Frauen. Erkennen Sie die Frauenpolitik doch endlich als
Querschnittsaufgabe an!


(Christel Humme [SPD]: Frauen sind nicht das Problem, Frauen sind die Lösung!)


Um eine wirkliche Gleichberechtigung von Frauen und
Männern durchzusetzen, bedarf es mehr als theoretischer
Ansätze. Auch wenn sich Gender Mainstreaming auf
dem Papier gut anhört und Ihren Gesetzentwürfen den
Anschein formaler Gleichberechtigung gibt, reicht dies
nicht aus.

Die notwendigen Maßnahmen finden Sie in unserem
Antrag. Frau Staatssekretärin, ein guter Anfang wäre,

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(C (D it den antiquierten Ansichten Ihrer Kabinettskollegen um Thema Gleichberechtigung aufzuräumen. Ich nenne ur den von Herrn Clement im Zusammenhang mit artz IV geäußerten Wunsch, Frauen entweder mit Miijobs abzuspeisen oder an den Herd zu verbannen. Dies st doch chauvinistisch. Unsere Unterstützung dazu haen Sie. Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin lke Ferner, SPD-Fraktion. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ie Situation im Jahre 1995 haben die Kolleginnen eben chon gewürdigt. Vor zehn Jahren gab es auch eine roße außerparlamentarische Bewegung. Wir im Parlaent waren dabei nicht alleine. Ich denke, wir sollten an ieser Stelle noch einmal den Gruppierungen „Frauen in esserer Verfassung“ und „Frauen vom Runden Tisch“ owie den Gewerkschaftsfrauen und den Frauen aus den irchlichen Frauenorganisationen für ihre Unterstützung anken; denn ohne sie hätten wir es wahrscheinlich nicht o weit gebracht. Für die Sozialdemokratische Partei waren Jutta imbach, Lore Peschel-Gutzeit, Heidi Alm-Merk, isela Böhrk, Ulrike Mascher, Edith Niehuis, Christel iemann-Hanewinckel und Konstanze Wegner in der erfassungskommission. Sie haben sich für die Fraktion nd für die SPD hauptsächlich darum gekümmert. Naürlich haben auch wir als Frauen in der Fraktion die Poitionen gestärkt, wenn es um Art. 3 Grundgesetz ging. Ich möchte heute noch einmal daran erinnern, warum ir das damals überhaupt getan haben und weshalb die ebatte aufgekommen ist. Sie kam auf, weil die Gleichtellungsgesetze in den Ländern und die Frauenförderläne in den Kommunen reihenweise beklagt worden ind und einige Gerichte es für richtig gefunden haben, as Gleichstellungsgebot hinter das Diskriminierungserbot zu stellen. Ich muss sagen, ich bin froh, dass es ns geglückt ist, die Ergänzung im Grundgesetz zu erreihen, auch wenn die Vorstellungen der SPD an dieser telle weiter gehend waren. Ich möchte jetzt noch kurz auf ein oder zwei Forde ungen in Ihrem Antrag eingehen. Sie fordern die Bunesregierung auf, die gesellschaftliche Repräsentanz und ie Berücksichtigung von Frauen bei der Besetzung on Gremien zu fördern. Ich glaube, diese Forderung ollten Sie besser an Ihre eigene Partei richten. s gab nämlich noch nie so viele Ministerinnen und Paramentarische Staatssekretärinnen wie in dieser Bundesegierung. Wir haben die Staatsministerin Christine Weiß itgezählt und kommen auf insgesamt sieben Ministeinnen und sieben Minister sowie elf Parlamentarische Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13537 Elke Ferner Staatssekretärinnen und 15 Parlamentarische Staatssekretäre. Lediglich bei den beamteten Staatssekretärinnen ist noch sehr viel aufzuholen. Ich hoffe, dass das irgendwann der Fall sein wird. Ich muss sagen: Einen so hohen Frauenanteil hat es zu Ihren Regierungszeiten nie gegeben. Dort, wo Sie Verantwortung tragen, werden die Frauen sogar noch abgesägt. Im Kabinett Ihres Ministerpräsidenten Müller ist nach der Regierungsumbildung von vormals drei Ministerinnen gerade einmal eine als Feigenblatt im Kabinett übrig geblieben. (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist die Innenministerin! – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist die einzige Innenministerin in Deutschland!)


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514524100

(Beifall bei der SPD)

Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1514524200

(Beifall im ganzen Hause)


(Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD])


(A) )


(B) )


(Beifall bei der SPD)


Von insgesamt 249 Abgeordneten in der Bundestags-
fraktion der SPD sind 94 Frauen. In der CDU/CSU-
Fraktion sind es 57 von 247. Ich glaube, wenn man diese
Zahlen sieht, dann erkennt man, dass weder wir noch die
Bundesregierung von Ihnen Nachhilfeunterricht bei der
Frauenförderung brauchen.


(Beifall bei der SPD)

Natürlich sind die Erfolge noch nicht so groß, wie wir
uns das wünschen. Es geht aber voran.

In Ihrem Antrag fehlt die Forderung nach bedarfsge-
rechten Ganztagsbetreuungseinrichtungen für Kinder al-
ler Altersgruppen völlig. Ich habe zumindest nichts ge-
funden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Dann haben Sie nicht zugehört!)


Wenn man das in Verbindung mit Ihrer Forderung bringt,
durch geeignete Maßnahmen eine bessere Wahlfreiheit
für Frauen und Männer zwischen Beruf und Familie zu
fördern, dann wird klar, wo das hingehen soll.


(Erika Lotz [SPD]: Hört! Hört!)

Sie wollen weiterhin, dass sich Frauen und Männer zwi-
schen Beruf und Familie entscheiden.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist Ihre Interpretation!)


Wir wollen, dass sie sich für beides entscheiden können.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Frau-
enpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage ausdrücklich: Frauen wollen sich nicht nur
zwischen Familie und Beruf entscheiden, sondern
Frauen wollen heute mehr, als nur einen Beruf auszu-
üben. Da sie alle eine gute Ausbildung haben, wollen sie
im Beruf Karriere machen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Wer bestreitet das? Wir wollen, dass sie in Spitzenpositionen kommen!)


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(C (D ch finde, das sollte man deutlich machen. Zum Thema Ganztagsbetreuung möchte ich Folgen es sagen: Im Saarland, wo Sie Verantwortung tragen ich nehme wieder das Beispiel Saarland –, ruft die andesregierung trotz der dort herrschenden Finanznappheit von den 16 Millionen Euro, die für das letzte nd dieses Jahr zur Verfügung stehen, gerade einmal ,5 Millionen Euro ab. Das ist der Abrufstand von vor wei Wochen. Da fragt man sich schon, was das soll. Soar ein Land wie Baden-Württemberg ist da weiter. (Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das Saarland hat die besten Leistungen! Drittes Kindergartenjahr!)


Frau Böhmer, Sie wissen genau, dass die Aktion mit
em kostenlosen dritten Kindergartenjahr viel Geld kos-
et, das besser für die Ganztagsbetreuung ausgegeben
erden sollte. Sie können aber zum dritten Kindergar-
enjahr gerne eine Zwischenfrage stellen.


(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Die haben dort die besten Leistungen für Familien erbracht!)


Dort, wo Sie Verantwortung tragen, wird ganz deut-
ich, was für Sie wichtig ist. In diesen Ländern ist näm-
ich der Versorgungsgrad mit Plätzen an Ganztagsschu-
en am schlechtesten. Das zeigt, wo die Reise hingeht.
Ich hätte noch gerne etwas zu dem Thema Frauen in

er Wissenschaft gesagt. Aber das schaffe ich aufgrund
einer knappen Redezeit nicht mehr.
Einen Punkt möchte ich doch noch anmerken. Eben

st von einem Frauenproblem gesprochen worden. Das
st wieder ein gravierender Unterschied zwischen uns:
ir sehen Frauen nicht als Problem. Für uns sind Frauen
ie Lösung. Das macht Ihre Haltung deutlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich gibt es noch viel zu tun. Hier wurde eben
uch die Privatwirtschaft angesprochen: Ich mache kei-
en Hehl daraus, dass mir ein Gleichstellungsgesetz für
ie Privatwirtschaft deutlich lieber gewesen wäre als
iese Vereinbarung. Wir werden das in einiger Zeit zu
ewerten haben und sehen, wie es weitergeht. Ich würde
ich sehr freuen, Sie dann an unserer Seite zu sehen.
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514524300

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/4146 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
o beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

13538 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-

(ERPWirtschaftsplangesetz 2005)

– Drucksache 15/3596 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Die Redner Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Max
Straubinger, Otto Bernhardt, Hans-Josef Fell und
Gudrun Kopp haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/3596 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? Gibt es anderweitige Vorschlä-
ge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Norbert Schindler, Peter H.
Carstensen (Nordstrand), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Reform des EU-Zuckermarktes ausgewogen
gestalten – Perspektiven für die deutsche
Landwirtschaft und die Erzeuger der Ent-
wicklungsländer sicherstellen
– Drucksache 15/4145 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Ulrich Heinrich, Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Marktwirtschaftliche Reform der europäi-
schen Zuckermarktordnung mit Augenmaß
erforderlich
– Drucksache 15/4399 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

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g1) Anlage 2

(C (D Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege orbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist otwendig, dass wir heute über die Zuckermarktordnung er Zukunft reden. Für die Rübenwirtschaft in Deutschand und die Zuckerindustrie in Europa könnte man anesichts des ersten Advents sagen: Schöne Bescherung. Die Umsetzung der Vorschläge, die uns die Kommis ion im Juli vorgelegt hat, nämlich eine Mengenund reisreduzierung, hätte gerade bei der Hauptfrucht im ckerbau katastrophale Auswirkungen. Man kann natürich geteilter Auffassung sein. Wir kritisieren ganz deutich, dass der damalige Agrarkommissar, Herr Franz ischler, voreilig und ohne Not einen solchen Vorschlag emacht hat. Diese Vorschläge der EU-Kommission könnte man it den WTO-Verhandlungen und der GAP-Reform erlären. Diese müssen aber in Einklang mit dem Anbau er Ackerbaufrüchte gebracht werden; sonst gerät man n Zugzwang. Auf der anderen Seite ist der Druck der rnährungsindustrie, vor allem der Zucker verarbeitenen Industrie, immer wieder zu spüren. Mit einem geissen Wohlwollen könnte man die Überlegung anstelen: Wie weit kommt die Europäische Union unseren eutschen Verbraucherinteressen, aber auch den berechigten Interessen der Entwicklungsländer entgegen? So weit, so gut. Aber die Vorschläge von Fischler ge en dahin, in zwei Stufen den jetzigen Preis um 37 Proent zu reduzieren und eine Mengenbeschränkung vorunehmen. Das heißt schlicht und ergreifend, dass die uropäischen Rübenanbauer – das sind über 250 000 – nd die 130 Zuckerfabriken in Europa den Gürtel nicht ur enger schnallen müssten, sondern – sollte die Euroäische Kommission Erfolg haben – die Hälfte des euroäischen Zuckersektors erledigt wäre. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn erledigt?)

Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1514524400

Ich will in diesem Zusammenhang an die Standort-
olitik, die in Europa im Verlauf der letzten 20 bis
0 Jahre betrieben wurde, erinnern. In diesen Tagen wird
tahl unter anderem deswegen so knapp, weil – auch in
eutschland – in den letzten Jahren viele Stahlwerke ge-
chlossen und Kapazitäten abgebaut wurden. Wir haben
icht vorhergesehen, dass die wirtschaftliche Entwick-
ung von Ländern wie China oder Indien zu einem er-
öhten Stahlverbrauch führen würde. Ich wage voraus-
usagen,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zucker!)


ass dies auch bei dem wichtigen Nahrungsmittel Zu-
ker der Fall sein wird, falls wir Produktionsstandorte in
eutschland aufgeben. Dies sage ich vor dem Hinter-
rund, dass sich Deutschland in den letzten zwei bis drei

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13539


(A) )



(B) )


Norbert Schindler

Jahren zum Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen
entwickelt hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Uns wird vorgerechnet, dass die Belastung eine Grö-

ßenordnung von 3 bis 6 Milliarden Euro erreicht. Man
weiß aber, dass die Europäische Union Haushaltsmittel
in Höhe von nur 200 Millionen bis 400 Millionen Euro
für die Zucker verarbeitende Industrie ausgibt, um den
Wettbewerbsnachteil für bestimmte Produkte, die mit
europäischem Zucker hergestellt und auf dem Weltmarkt
verkauft werden sollen, auszugleichen. Man kann also
nicht von einem Nachteil der Zucker verarbeitenden In-
dustrie sprechen. Ein struktureller Nachteil in diesem
großen Verbrauchermarkt von 400 Millionen ist nicht zu
erkennen. Die Argumente sind nicht nachzuvollziehen.

Was ist in einer so schwierigen Lage zu tun? Natür-
lich sieht auch die Union ein, dass man aufeinander zu-
gehen muss. Ein Kompromiss darf aber nicht zur Ver-
nichtung von vielleicht 30 000 oder 40 000 bäuerlichen
Existenzen allein in der Bundesrepublik Deutschland
führen. Das geht einfach nicht. Das ist einfach nicht zu
machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Fischler war im Juli in vorauseilendem Gehor-

sam unterwegs und hat starke Akzente gesetzt. Das
macht es uns nicht einfacher.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einer von euch!)


Er hat auch nicht das Panel bzw. die Entscheidung abge-
wartet, die vor einigen Wochen getroffen wurde. Wir ha-
ben in der Anhörung am 8. November und vor zwei Ta-
gen in Brüssel im Europäischen Parlament die
berechtigten Sorgen hören können. Deswegen muss man
nicht nur in Brüssel, sondern auch hier in Berlin ein Re-
sümee ziehen. Die deutliche Mehrheitsmeinung bei der
Anhörung war: So kann man die Vorschläge absolut
nicht akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Berninger, Sie geben vielleicht

nachher in Ihrer Rede eine Antwort auf meine Frage.

(Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär: Sicher!)

Welchen Standpunkt vertritt die Bundesrepublik
Deutschland? Vertreten Sie etwa die Auffassung, die vor
einigen Tagen im Europäischen Rat formuliert wurde,
nämlich dass die Vorschläge noch nicht weit genug ge-
hen? Darauf hätte ich gern eine Antwort.


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Wir auch!)

Es besteht die Notwendigkeit, heute im Bundestag da-
rüber zu reden, wie die Bundesregierung zu diesem
Thema steht.

Was wird vonseiten Berlins gegenüber Brüssel getan,
um auch in der deutschen Wirtschaft bestehende Exis-
tenzfragen so zu beantworten, dass die Antwort nicht nur
die Bauern, sondern auch die Zuckerrübenfabrikanten

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(C (D ufrieden stellt? Auch das, was Herr Möllenberg als Geerkschaftsvorsitzender auf der großen Kundgebung vor inigen Tagen in Berlin an Loyalität und Unterstützung um Ausdruck gebracht hat, bedarf einer Antwort. Was tun wir, wenn wir uns damit auseinander setzen? ass wir uns innerhalb der ersten Stufe der Reform aufinander zubewegen müssen, wäre zu überlegen, statt rst in der letzten Runde um zwei Uhr nachts, wenn es u den berühmten Brüsseler Kompromissen kommt. enn eine Ausgleichsregelung notwendig werden ollte, weil wir in Deutschland beim besten Willen nicht it Brasilien konkurrieren können, dann müssten die uoten und Garantiemengen, über die ein Betrieb zum eitpunkt des Beginns der Reform verfügt, die Berechungsgrundlage bilden. Es sollte keine Rückrechnung ür das Jahr 2000 oder das Jahr 2002 erfolgen, weil der trukturwandel viel zu weit fortgeschritten ist. Des Weiteren ist es – egal in welcher Stufe in den Ver andlungen mit Brüssel – zwingend notwendig, dass ach wie vor ein Mengenregime eingehalten wird. Die tzigen Vorschläge von Herrn Fischler bedeuten, dass ucker aus Brasilien über den Balkan oder über Maurius sozusagen durch die Hintertür, aber trotzdem legal n die Europäische Union kommt. Wenn – egal in welher Stufe der Reform – versäumt wird, ein Mengenreime einzuziehen, dann gibt es in zehn Jahren keine euopäische Zuckerwirtschaft mehr. Das geht nicht an. Deswegen bitte ich Sie alle, in den nächsten Wochen nd Monaten – voraussichtlich wird die Kommission im pril wieder zu dem Thema Stellung nehmen – gemeinam und kraftvoll die deutschen Interessen zu vertreten. Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen. Es geht um viele Existenzen, und zwar nicht nur der übenbauer, sondern auch der Arbeitnehmer in unserer uckerwirtschaft. Danke schön. Das Wort hat der Kollege Gustav Herzog, SPD-Frak ion. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! icht erst seit den vielfältigen Aktivitäten der Zuckerrüenbauern, den Aufforderungen, zu den Demonstratioen in die Zuckerfabriken zu kommen, und den vielen esprächen, die die Kolleginnen und Kollegen aus der GG mit uns geführt haben, wissen wir – heute Abend ind überwiegend Fachpolitiker anwesend –, dass von en Entscheidungen, die in Europa zu treffen sind, Zehnausende von Menschen in ihrer Existenz betroffen sind. 13540 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 Gustav Herzog Es geht dabei um sehr viele Landwirte, aber auch um die Arbeitnehmer in den Zuckerfabriken. Aber seien wir ehrlich: Wer über den Kreis der Eingeschworenen hinaus weiß, was die Zuckermarktordnung ist? Wir wissen es und werden noch im Ausschuss und in den weiteren Anhörungen über A-, Bund C-Zucker, LDC und EBA, die Quote und anderes mehr diskutieren. Aber ich denke, wir sollten die Gelegenheit nutzen, um die Öffentlichkeit zu informieren. Denn für unser gemeinsames Anliegen sind wir auf Informationen, Verständnis und Unterstützung über den Kreis der Betroffenen hinaus angewiesen, um die Herausforderungen bewältigen zu können. Deswegen will ich für alle Zuhörer, die nicht vom Fach sind, versuchen, mit wenigen Worten die Zuckermarktordnung zu beschreiben. Sie stellt ein europäisches System von festgelegten Mengen und Preisen für den Rübenanbau und die Zuckerfabriken dar, das den Erzeugern einen sicheren Ertrag, aber den verarbeitenden Betrieben leider auch einen aus ihrer Sicht zu hohen Preis garantiert. Die Marktordnung konnte Übermengen bisher nicht wirksam verhindern. Dazu kommen Mengen, die wir aufgrund internationaler Verpflichtungen abnehmen müssen. Beide Mengen zusammen müssen wir mithilfe von Steuergeldern und Abgaben auf den deutlich niedrigeren Weltmarktpreis heruntersubventionieren und auf dem Weltmarkt verkaufen (Zuruf von der FDP: Das ist wie bei der Steinkohle!)


(Beifall bei der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514524500
Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1514524600

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514524700
Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1514524800

(A) )


(B) )


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Wir wissen es!)


mit der Folge, dass wir den Weltmarktpreis noch weiter
drücken und andere Zuckerproduzenten behindern.


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Denken Sie mal an Kaffee!)


Wir haben bereits ein erstes Schiedsverfahren vor der
Welthandelsorganisation verloren. Hinzu kommt, dass
die ärmsten Länder der Welt – weil wir im Rahmen der
Europäischen Union unseren Verpflichtungen nachkom-
men – von 2009 an unbegrenzt Zucker nach Europa ex-
portieren dürfen. Damit ist klar: Die Zuckermarktord-
nung ist in sich und aufgrund äußerer Einflüsse nicht
zukunftsfest.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Entscheidungen, die wir hier und in Europa tref-

fen, haben Auswirkungen auf die ganze Welt. Das wis-
sen wir spätestens, seit Kolleginnen und Kollegen der
Gewerkschaft der Zuckerarbeiter aus Malawi und Mo-
sambik den Weg zu uns gefunden haben, um mit uns zu
reden. Aber dazu wird mein Kollege Reinhold Hemker
noch einiges sagen.

Ich habe mit meinen Kollegen Dr. Wilhelm
Priesmeier und Dr. Sascha Raabe am Dienstag dieser
Woche an einer Anhörung unserer Kolleginnen und
Kollegen vom Europäischen Parlament teilgenommen.
Es war sehr eindrucksvoll, als dort die europäische Di-
mension der Entscheidung aufgezeigt wurde. 25 Länder
sowie die Anbauverbände haben dort ihre unterschiedli-

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(C (D hen Meinungen kundgetan. Kollege Schindler, es ist ineressant, dass der Vertreter des finnischen Bauernverandes gesagt hat: Wir in Finnland haben keine berproduktion. Wir sind für die Probleme nicht verantortlich. Warum sollen wir also den Vorschlag der Komission annehmen – dieser wird von uns durchaus posiiv gesehen –, einen Quotentransfer vorzunehmen? Herr Schindler, Sie sehen, dass es noch eine ganze enge zu tun gibt. Allein die Tatsache, dass die überiegende Mehrheit die Vorschläge der Kommission abehnt, bedeutet noch lange nicht, dass man eine gemeiname Position finden wird. Es wird wichtig sein, in iesem Prozess Übereinstimmungen zu finden. Es wäre ut, wenn wir das auch im Bundestag schaffen würden. Wir sind der Auffassung, dass das Ziel einer solchen eform eine nachhaltig gesicherte Zuckerproduktion aus uropäischen Zuckerrüben sein muss. Ich glaube, darin nterscheiden wir uns sehr deutlich von dem, was die DP unter anderem in ihrem Antrag fordert. Ich greife as auf, was der Kollege Schindler gesagt hat: Eine geisse Eigenversorgung ist auch immer ein Schutz für iejenigen, die sich jetzt über zu hohe Preise beschween; denn dadurch haben sie eine garantierte Versorgung it einem qualitativ hochwertigen Produkt. Wir sind ebenfalls der Auffassung, dass die Reform rst im Zuckerwirtschaftsjahr 2006 beginnen sollte, und war mit deutlich verlängerten Übergangsfristen, dass ür eine Überprüfung mehr Zeit notwendig ist, um Plaungssicherheit für die Landwirte und die Zuckerfabrien zu schaffen, und dass der auf dem europäischen Binenmarkt zu erzielende Preis für unsere Landwirte uskömmlich sein muss und gleichzeitig den Ländern, ie nach Europa exportieren, keine falschen Anreize bieen darf. Wir werden außerdem darauf achten müssen, ass die Selbstversorgung deutlich reduziert wird, um ie Möglichkeit zu haben, zusätzliche Mengen aus den ändern, für die wir international Verantwortung haben, ufzunehmen. Kollege Schindler, ich glaube, darin stimmen wir berein: Der Königsweg wäre, ein gemeinsames Menenund Preisgerüst für all diejenigen Länder zu finden, ie nun aus ganz unterschiedlichen Gründen das Recht aben, nach Europa zu exportieren. Manches ist nur aus er Historie zu erklären und hat nicht unbedingt etwas it Gerechtigkeit zu tun. Ich denke, dass auch der zu eistende finanzielle Ausgleich in das System der Direktahlungen zu überführen ist, wobei wir über den Weg orthin sicherlich noch streiten müssen. Wir stimmen überein: Es geht um viele Arbeitsplätze n der Landwirtschaft und in den Zuckerfabriken – damit st es uns sehr ernst –, aber auch um den ländlichen aum und unsere Vorstellungen von einer multifunktioalen Landwirtschaft. Ich hoffe, dass wir uns auf geeinsame Ziele und auf einen gemeinsamen Weg vertändigen werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(Beifall bei der SPD)


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Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514524900

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Michael

Goldmann, FDP-Fraktion.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1514525000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich denke, wir sind uns darüber im Kla-
ren, dass es bei der Zuckermarktreform nicht mehr um
das Ob, sondern um das Wie geht. Wir, die FDP, sind der
Meinung, dass die Vorschläge, die der ehemalige Kom-
missar Fischler für die Kommission vorgelegt hat und
die nun von der neuen Kommissarin weiter verfolgt wer-
den, im Grundsatz in die richtige Richtung gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wird darum gehen, die Preise zu senken und die
Quote zu reduzieren.

Herr Schindler, ich möchte jetzt nicht zu spitz wer-
den. Aber ich glaube, dass Sie an der gestrigen Aus-
schusssitzung nicht teilgenommen haben, als wir mit
dem Vertreter der WTO über die auf europäischer Ebene
anstehenden Dinge diskutiert haben. Die europäische
Ebene weist zu Recht darauf hin, dass wir mit dem, was
Herr Fischler vorgeschlagen hat, bei weitem nicht hin-
kommen, wenn das zum Tragen kommt, was schon jetzt
Panelurteil ist.


(Reinhold Hemker [SPD]: So ist es!)

Wir sollten im Umgang miteinander so ehrlich sein,

uns gegenseitig nicht abzusprechen, dass wir uns Sorgen
um die Existenz der Rübenbauern und der Arbeitnehmer
in den Zuckerfabriken machen.


(Reinhold Hemker [SPD]: Da hat er Recht!)

Wir sollten vernünftig zusammenarbeiten und versu-
chen, die Frage „Wie können wir das abfedern?“ zu be-
antworten.

Auf dem Markt gibt es einige Bausteine, mit denen
wir uns intensiv beschäftigen können. Niemand will
doch ernsthaft den Zucker aus der Gesamtreform des
Agrarbereichs herausnehmen. Zuckerrübenbauern be-
kommen ab dem 1. Januar 2005 eine Prämie auf ihre
Produktionsfläche. Wenn wir mit dieser Problematik
vernünftig umgehen, dann haben Zuckerrübenbauern die
Chance, einen erheblichen Ausgleich zu bekommen.
Deutsche Zuckerrübenbauern werden dann die Chance
haben, die Zuckerquote von anderen, jetzt noch produ-
zierenden Ländern der EU und damit bestimmte Liefer-
rechte zu erwerben.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Diese Palette sollte zusammengestellt werden. Wir
sollten darüber nachdenken, wie wir mit Modulations-
mitteln, mit Krediten, die die KfW und andere geben
können, die Zukunftsweichen stellen können. Wenn das
geschieht, dann haben wir durchaus eine Chance, zu ei-
ner guten Lösung in diesem Bereich zu kommen.


(Beifall bei der FDP)


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(C (D Die Zuckermarktreform ist ungeeignet, denjenigen ändern der Welt, denen es sehr schlecht geht, eine beondere Hilfe zu geben. Auch da müssen wir ehrlich ein. Schauen wir doch einmal genau hin, welche Länder on den derzeitigen Regeln profitieren! Gestehen wir ns ein, dass diese Länder mit unseren Problemen überaupt nichts zu tun haben. Unsere Probleme werden ielmehr von Brasilien mit verursacht. Deswegen meine ch: Etwas mehr Ehrlichkeit und etwas mehr Sachlicheit bei diesem Thema sind gut geeignet, um die Proleme der Zuckermarktreform zu lösen, wodurch unterehmerischen Landwirten Chancen eröffnet werden. Ich will noch ein Reizwort aufgreifen, das uns – für ich ist das nicht ganz erklärlich; das sage ich ganz ofen – um die Ohren gehauen wird. Es kann doch nicht ngehen, dass wir – ich kann wieder nur bedauern, dass ie gestern nicht dabei waren, als der Vertreter der WTO as im Ausschuss dargelegt hat – einen Bereich in der alen Situation von Schutz und Hilfe verharren lassen, dass ir also in einem Bereich an der Quotensituation festhalen, während wir den Landwirten in allen anderen Bereihen den Weltmarkt – wir streben die Liberalisierung der ärkte an – zumuten. Das ist doch nicht gerecht. Meiner einung nach ist das nicht zu rechtfertigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Beifall bei der FDP)


Wir von der FDP sind gerne bereit, über Lösungen
achzudenken und an Lösungen mitzuarbeiten, die hel-
en, Arbeitsplätze zu sichern, und die Landwirten eine
nternehmerische Zukunft geben. Aber wir müssen auch
lipp und klar sagen, dass wir dafür eintreten, in dieser
iskussion gegenüber den Landwirten ehrlich zu sein,
amit sie wissen, worum es geht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514525100

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
atthias Berninger.

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514525200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen

ie mich zu Beginn aus dem Antrag der Unionsfraktion
itieren. Die Bundesregierung wird in diesem Antrag un-
er anderem aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass

die EU in den laufenden WTO-Verhandlungen in
den Bereichen der internen Stützung, des Marktzu-
gangs und des Exportwettbewerbs nur solche Zuge-
ständnisse macht, die den Landarbeitern und den
Kleinbauern in den Entwicklungsländern zugute
kommen.

Damit wir uns nicht missverstehen: Die Bundesregie-
ung verfolgt im Rahmen der laufenden Welthandels-
unde ganz klar das Ziel, gerade die Interessen der

13542 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Parl. Staatssekretär Matthias Berninger

Kleinbauern und der Landarbeiter stärker zu berücksich-
tigen und die neue Handelsrunde zu einer Entwicklungs-
runde zu machen. Aber stellen wir uns einmal vor, Länder
forderten, Deutschland dürfe seinen industriellen Markt
nur für Handwerker mit weniger als drei Beschäftigten
öffnen. Keiner in diesem Saal kann doch ernsthaft glau-
ben, eine solche Position hätte in den Verhandlungen auch
nur eine Minute Bestand. Ich glaube nicht, dass Angela
Merkel eine solche Position ernsthaft unterstützen würde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD – Reinhold Hemker [SPD]: Ein sehr gutes Beispiel!)


Wenn wir über die Reform der Zuckermarktordnung
reden, dann haben wir es an vielen Stellen mit Bigotterie
zu tun. Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen
– Zitat –:

Aber wir müssen auch besonders dafür arbeiten,
dass die Globalisierung den Armen dieser Welt zu-
gute kommt.
Dies wird nur gelingen, wenn sich die Industrielän-
der, also auch Deutschland, in ihrem Verhalten än-
dern und vor allem ihre Märkte für die Entwick-
lungsländer öffnen. Doch das heißt dann eben auch,
dass wir Wettbewerb und Strukturwandel anneh-
men müssen.

Dieses Zitat stammt aus der Antrittsrede des Bundes-
präsidenten Horst Köhler, die er am 23. Mai dieses Jah-
res hier gehalten hat, nachdem die CDU/CSU-Fraktion
den neuen Bundespräsidenten gemeinsam mit der FDP
gewählt hatte.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Bei diesen Sätzen hat das ganze Parlament geklatscht.
Wenn wir den Präsidenten und seine Rede ernst nehmen,
dann – der Meinung bin ich – kann ein Antrag wie der,
der hier von der Union vorliegt, in diesem Parlament zu-
mindest keine Mehrheit finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich denke, dass der Bundespräsident damit vollkommen
Recht hat; die Bundesregierung ist sich mit ihm darin
völlig einig. Den Armen eine Chance zu geben bedeutet,
dass auch wir in Deutschland Strukturreformen ma-
chen müssen. Diese Strukturreformen müssen wir auch
dann machen, wenn es schmerzhaft wird.

Eine Reihe der Abgeordneten, die hier in Berlin am
23. Mai bei der Rede des Bundespräsidenten geklatscht
haben, geht in die Bauernversammlungen, verspricht
dort – ich erlebe das bei diesen Versammlungen – den
Landwirten im wahrsten Sinne des Wortes das Blaue
vom Himmel


(Otto Fricke [FDP]: Nein, nicht alle!)

und glaubt, diese mit großen starken Worten in einer Si-
cherheit wiegen zu können, die absolut nicht mehr be-
steht.

Der Abgeordnete Schindler – Norbert, du hast da
wirklich eine detaillierte Kenntnis – hat darauf hinge-

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(C (D iesen, dass die Europäische Union vor der WTO erolgreich verklagt wurde und die Zuckermarktordnung urch den Schiedsspruch der WTO massiv in Gefahr ist. ir werden in dem Antrag aufgefordert, uns dafür einusetzen, dass die Europäische Union gegen diesen chiedsspruch in die Berufung geht. Die Europäische nion hat das längst getan. Die Berufung wird aber ahrscheinlich nichts daran ändern, dass die Zuckerarktordnung unter Druck gerät. Das ist wie bei den großen Agrarreformen. Wiegen ie die Landwirte doch nicht in einer Sicherheit, die es icht mehr gibt! Sonst gucken sie am Ende in die Röhre nd sind auf die Reformen nicht vorbereitet. Genau diees Vorgehen sollte im Parlament keine Mehrheit finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Meine Damen und Herren, das sollte Ihnen eine Lehre
ein: Bei den Luxemburger Beschlüssen hat die FDP
esagt, die Unionsposition sei völlig unrealistisch. Der
ollege Goldmann hat Ihnen hier wieder ins Stammbuch
eschrieben, dass Sie auf dem falschen Dampfer sind.
ernen Sie doch einmal daraus! Sie haben in der Vergan-
enheit einer Reform immer erst dann zugestimmt, wenn
m Grunde schon alles klar war.
Ich habe noch ein drittes Beispiel aus dieser schönen

angen Kette. Das ist ein Botschaftsvermerk. Er ist an-
onsten vertraulich, aber etwas darf ich Ihnen heute hier
icht vorenthalten. Der bayerische Agrarminister Miller
ar in Budapest in Ungarn und hat in einer Supermarkt-
ette eine Woche mit bayerischen Spezialitäten eröffnet.
o weit in Ordnung. Danach hat er ganz offiziell Gesprä-
he mit dem ungarischen Agrarminister geführt. In die-
en Gesprächen – so der Botschaftsbericht – hat er die
ngarische Seite gebeten, die bayerische Position auf
U-Ebene mit zu vertreten, weil die Bundesregierung
ies nicht tue.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist ja unglaublich! – Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Das ist nichts Neues!)


Ich will nur auf Folgendes hinweisen: Die bundes-
taatliche Ordnung sagt, dass die Bundesregierung die
eutsche Position nach außen vertritt. Das, liebe Frau
ortler, haben Sie dem Kollegen Miller ebenfalls mitzu-

eilen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Miller lag immer komplett daneben, wenn es um

ie Reformen in Brüssel geht. Wären Leute wie Miller in
er Verantwortung, hätten die deutschen Bauern auch
ei den Luxemburger Beschlüssen in die Röhre geguckt.


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Wollen Sie ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen oder was? Wollen Sie Miller ausweisen?)


iese Form von einseitiger Parteinahme halte ich für
icht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Artur Auernhammer [CDU/ Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13543 Parl. Staatssekretär Matthias Berninger CSU]: Das liegt nicht an Miller, sondern an Ihrer Politik!)


(A) )


(B) )


– Es liegt nicht an unserer Politik. Auch Herr Miller hat
sich an die Sitten zu halten, die in diesem Lande herr-
schen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Bundesre-
gierung erkläre ich klar: Die Reform der Zuckermarkt-
ordnung wird erhebliche Einschnitte mit sich bringen.
Aber die Bäuerinnen und Bauern haben die Möglichkeit,
auch andere Produkte zu produzieren. Wir können ihnen
nicht betriebsbezogene Ausgleichszahlungen bis zum
Sankt-Nimmerleins-Tag zahlen. Es wird zu erheblichen
Einschnitten kommen, aber es gibt eben genug Produk-
tionsmöglichkeiten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht wahr!)


Da kann man gemeinsam mit den Landwirten Zukunft
bauen. Ich nehme nur den Bereich der Bioenergie als ein
Beispiel. Wir sollten hier gemeinsam daran arbeiten,
diese neue Welt auch für die Landwirte aufzubauen.

Vor 15 Jahren ist der Eiserne Vorhang verschwunden.
Das heißt, der Sozialismus hat in Europa keine Zukunft.
Das gilt auch für die Zuckermarktordnung.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514525300

Das Wort hat die Kollegin Christa Reichard, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Christa Reichard (CDU):
Rede ID: ID1514525400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Zucker ist wie kein anderes Agrarprodukt ein
Weltmarktprodukt. Mit dem Rohrzucker begann vor
250 Jahren die Kolonialisierung der Karibik, Lateiname-
rikas und des Pazifiks. Erst mit der Kontinentalsperre
von Napoleon begann das Zeitalter der Zuckerrübe in
Europa.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Napoleon ist ja an allem schuld!)


Die Zweiteilung des Weltagrarhandels in Rohr- und Rü-
benzucker und die sich daraus ergebene Konkurrenzsi-
tuation ist auch heute noch ein bestimmender Teil des
Nord-Süd-Konfliktes.

Es ist nicht nur ein Gebot der christlichen Nächsten-
liebe, sondern liegt in unserem ureigenen Interesse, die
Armut in den Entwicklungsländern zu bekämpfen. Hun-
ger und Armut in der Dritten Welt gehen oft mit sozialer
Destabilisierung und Perspektivlosigkeit einher – in die-
ser Kombination eine gefährliche Brutstätte für radikale
Kräfte und terroristische Strukturen. Etwa 70 Prozent der
Armen dieser Welt leben in ländlichen Gebieten und ver-
dienen ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise in der
Landwirtschaft. Die Stärkung des landwirtschaftlichen
Sektors in Entwicklungsländern und der faire Zugang zu

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(C (D roduktionsmitteln und Boden sind wesentliche Vorausetzungen für die Linderung von Armut. Zugleich rauchen wir in Zukunft ein Handelssystem, von dem uch die Armen dieser Welt besser profitieren können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dafür müssen die Verhandlungspartner in der WTO
eiter aufeinander zugehen. Auf beiden Seiten sind Zu-
eständnisse gefragt, sowohl aufseiten der Industrielän-
er als auch aufseiten der Entwicklungsländer. Das gilt
uch für die Reform der EU-Zuckermarktordnung.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die nun vorlie-

enden Vorschläge der Europäischen Kommission weder
nseren Zuckerproduzenten in Europa noch den Produ-
enten in den meisten Entwicklungsländern nützen. Ich
lädiere deshalb dafür, die Interessen der Entwicklungs-
änder, die beim Zuckerexport vom bisherigen EU-Sys-
em profitieren, stärker als bislang zu berücksichtigen.


(Zuruf von der FDP: Wie denn?)

er weiß denn schon, dass die EU mit jährlich rund
,3 Millionen Tonnen der weltweit größte Importeur von
ucker aus Entwicklungsländern ist?


(Manfred Helmut Zöllmer [SPD]: Stimmen Sie jetzt gegen Ihren Antrag?)


iese erhalten dafür die garantierten Preise der EU; das
ntspricht einer jährlichen Entwicklungshilfe in Höhe
on etwa 560 Millionen Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit der geplanten Reform der Zuckermarktordnung

teht dies auf dem Spiel, meine Damen und Herren. Wer
ie vollständige und schnelle Liberalisierung des Zu-
kermarktes fordert, muss wissen, dass er Kleinbauern in
frika Chancen zum Lebensunterhalt raubt. Schließlich
rofitiert eine Vielzahl von afrikanischen und karibi-
chen Staaten von dem bevorzugten Zugang zum EU-
uckermarkt.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

eder einheimische Landwirte noch Kleinbauern in
ntwicklungsländern können in einem völlig liberali-
ierten System mit dem auf riesigen Plantagen zum Teil
nter Ausbeutung von Mensch und Umwelt erzeugten
ucker aus Brasilien konkurrieren.


(Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Eben!)

ir können doch unsere eigenen Bauern oder die Klein-
auern Afrikas nicht zugunsten weniger Zuckerbarone
n Brasilien ärmer machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

udem ist zu befürchten, dass weitere Regenwaldflä-
hen Brasiliens dem Zuckerrohranbau weichen müssen
nd der unkontrollierte Chemikalieneinsatz zunimmt.


(Gustav Herzog [SPD]: Das ist aber ein altes Klischee! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]: Nein! Guck doch beim Kaffee, was da passiert ist!)


13544 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Christa Reichard (Dresden)


Natürlich sind marktwirtschaftliche Reformen im Zu-

ckermarkt zwingend notwendig, aber Reformen müssen
für die Erzeuger und Verarbeiter bei uns und in den Ent-
wicklungsländern verkraftbar sein.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514525500

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Raabe?


Christa Reichard (CDU):
Rede ID: ID1514525600

Ich bin am Schluss meiner Rede. – Vor diesem Hin-

tergrund erwartet die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
von der Regierung, dass sie sich stärker für sachorien-
tierte und längerfristige Lösungsansätze einsetzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514525700

Das Wort hat der Kollege Reinhold Hemker, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1514525800

Ich gehe einmal davon aus, liebe Frau Kollegin, dass

wir auf das diffizile Problem, das sich aus den Unter-
schieden zwischen einem Großproduzenten wie Brasi-
lien und Kleinproduzenten ergibt, in den Fachdebatten
noch einmal eingehen werden. Um das auseinander zu
setzen, braucht man nämlich längere Zeit, die wir in die-
ser Debatte hier nicht haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegin! Frau Präsidentin!
Die Debatte hat meiner Ansicht nach schon gezeigt, was
eigentlich nicht geht, lieber Kollege Schindler: auf der
einen Seite eine möglichst große Besitzstandswahrung
– so will ich das einmal bewerten – für die, denen es ma-
teriell gut geht, und auf der anderen Seite so schnell wie
möglich – auch das steht in Ihrem Antrag – Armutsredu-
zierung als globale Aufgabe auf der Basis der Zusagen
anlässlich des Millenniumsgipfels. Das eine scheidet
aus, wenn das andere so betont werden soll, wie Sie es
gemacht haben.

Vor allem aber muss deutlich werden: Wer für den
globalen Zusammenhang Gerechtigkeit erreichen will,
der kann keine Versprechungen machen, wie sie in den
letzten Wochen gegeben wurden, nach dem Motto: Wir
machen eure Forderungen zu unseren Forderungen und
damit zum vordringlichen Anliegen unserer politischen
Initiative. Das ist nicht möglich. Ich stelle mir ein sol-
ches Vorgehen für die Weiterführung der WTO-Verhand-
lungen im Blick auf die Einstufung bzw. Bewertung von
so genannten sensiblen Produkten vor. Wir haben in
diesen Tagen im Fachausschuss auch mit dem Vertreter
der WTO darüber gesprochen. Würden alle diejenigen,
die sich als Hauptproduzenten bestimmter Produkte ver-
stehen, zu denen auch Zucker gehört, sagen, das seien
sensible Produkte, käme das für mich einem Fußball-
spiel gleich, bei dem mehrere Spieler mit unterschiedli-
chen Bällen versuchen, das Spiel zu gewinnen.

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(C (D (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Idee!)


ass das nicht geht, ist nicht nur bezogen auf den Sport,
ondern auch in Bezug auf die Politik verständlich.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man kann bei Beharrung auf eigenen Interessen
darüber haben wir auch bei der Zuckermarktordnung
u diskutieren – nicht Zukunftsfähigkeit fordern und
leichzeitig für ganze Flächen dieser Welt durch die an-
ewandten Methoden Zukunftsfähigkeit verneinen.
Eine weitere politische Methode hilft uns ebenfalls

icht: Wir können nicht in unseren Anträgen Maßnah-
en für die Ärmsten der Armen fordern, die nicht im
ahmen der Marktordnungsverhandlungen, sondern im
ahmen der Entwicklungszusammenarbeit erfolgen sol-
en, damit ganz eindeutige Nachteile für uns selbst, wie
um Beispiel notwendige Quotenkürzungen, Subventi-
nsabbau usw., eingeschränkt und verhindert werden
önnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht
icht.
Für den Gesamtzusammenhang ist es wichtig, noch

inmal die Frage zu stellen: Woran ist Cancún eigentlich
escheitert?


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Nicht an den Bauern!)


ie verschiedenen Verhandlungsgruppen haben sich ge-
enseitig blockiert, die Neuordnung des Weltagrarsys-
ems stand immer im Vordergrund und es gab im Vorfeld
icht die klaren Positionen, die die Doha-Runde hätte
eiterführen können. Das waren die tieferen Gründe für
as Scheitern von Cancún, lieber Kollege Schindler.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

ir wollten und wir wollen auch heute, ausgehend von
ieser gescheiterten Konferenz, eine Entwicklungs-
unde mit zumindest im Vorfeld relativ gleichen Chan-
en für alle Teilnehmer an den Verhandlungen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In diesem Zusammenhang, lieber Kollege Berninger,

anke ich der Bundesregierung dafür, dass sie nun
chritt für Schritt konstruktiv versucht, auf die Vor-
chläge der EU-Kommission einzugehen und bereits im
orfeld deutlich zu machen, in welche Richtung be-
timmte Reformvorhaben wie zum Beispiel bei der Zu-
kermarktordnung gehen müssen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514525900

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schindler?

Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1514526000

Gerne, bei Norbert Schindler immer.

Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1514526100

Herr Kollege, sogar Frau Künast hat feststellt – wie

iele andere Besucher, die, anders als ich, in Cancún wa-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13545


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Norbert Schindler

ren und sich im Nachhinein entsetzt darüber unterhalten
haben –, dass die NGOs das Cancún-Ergebnis im Vor-
hinein kaputt gemacht haben. Es waren andere Themen
als die Agrarfragen, die Cancún damals zum Scheitern
brachten. Es ist sowohl meine Erkenntnis als auch die
Erkenntnis Ihrer Fraktionskollegen sowie von Frau Mi-
nisterin Künast, dass die Konferenz nicht an Agrarfragen
gescheitert ist. Das Scheitern immer wieder darauf abzu-
stellen ist etwas billig und nicht glaubwürdig. In Cancún
waren es wirklich die anderen Themen, die diese Welt
bewegen.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)



Dr. Reinhold Hemker (SPD):
Rede ID: ID1514526200

Fakt ist, lieber Kollege Schindler, dass sich insbeson-

dere Entwicklungsländer, die wir zu den ärmsten zählen,
vor Cancún, aber auch noch am Rande von Cancún und
in Cancún zusammengeschlossen und die Verhandlun-
gen blockiert haben. Bei bestimmten Fragestellungen
aus dem Agrarbereich und natürlich auch aus dem Be-
reich der Ernährungswirtschaft, in dem sie sich heute
langsam weiterentwickeln können, haben sie gesagt: Wir
blockieren und machen nicht mehr weiter.

Natürlich ging es nicht nur um die Agrarfrage. Aber
sie hat eine Rolle gespielt.

Zurzeit versuchen wir, im Vorfeld der Verhandlungen
auf diejenigen einzuwirken, die sich zusammengeschlos-
sen haben. Stichworte dazu sind die Baumwolle und die
jetzt vor dem Panel laufenden Verfahren, die – so hoffe
ich zumindest – im Frühjahr zum Abschluss kommen.

Meine Bewertung ist nicht einseitig. Ich habe diesen
Zusammenhang als Beispiel dafür genannt, wie solche
Blockaden in solchen Konferenzen wirken: Es kommt zu
keinen Ergebnissen. Das darf meiner Ansicht nach in der
Nachfolge von Cancún nicht wieder passieren. Es ist gut,
dass heute hier solche Aussagen wie vom Kollegen
Goldmann und wie von Matthias Berninger für die Bun-
desregierung gemacht werden, die den richtigen Weg an-
zeigen.


(Beifall bei der SPD)

Das werden wir wie schon bei den letzten Diskussionen
im Fachausschuss zum Ausdruck bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von daher haben
wir jetzt eine gute Verhandlungsgrundlage. Die Gesprä-
che, die in den letzten Wochen mit Vertretern von FAO
und WTO in den Fachausschüssen, nicht nur im Aus-
schuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft, gelaufen sind, gingen in die richtige Richtung.
Wenn wir im Frühjahr das Panel-Urteil zu den Frage-
stellungen haben, die Matthias Berninger hier vorgetra-
gen hat, haben wir eine gute Grundlage für die Vorberei-
tung der Nachfolgekonferenz in Genf und an anderen
Stellen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


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(C (D Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen uf den Drucksachen 15/4145 und 15/4399 an die in der agesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den usschuss für die Angelegenheiten der Europäischen nion vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – as ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so bechlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bauund Wohnungswesen – zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Gerold Reichenbach, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock, Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Sicherheit vor der deutschen Küste verbessern – Küstenwache optimieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen Fischer der Fraktion der CDU/CSU Schaffung einer nationalen Küstenwache – zu dem Antrag der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514526300

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

und der Fraktion der FDP
Nationale Küstenwache schaffen
– Drucksachen 15/3322, 15/2337, 15/2581,
15/4153 –

Berichterstattung:
Abgordnete Annette Faße
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-

in Annette Faße, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Annette Faße (SPD):
Rede ID: ID1514526400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ilhelm von Humboldt hat einmal gesagt: „Ohne Si-
herheit ist keine Freiheit.“ Das Zitat ist heute aktueller
enn je. Das Thema Sicherheit ist für unsere freie Ge-
ellschaft von existenzieller Bedeutung.
Mit der Terrorismusgefahr ergab sich die Notwendig-

eit, auch den Seeverkehr den gestiegenen Sicherheits-
nforderungen anzupassen. Unser Antrag weist hier ei-
en richtigen Weg. Er bündelt im Einsatzfall alle Kräfte

13546 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Annette Faße

des Bundes und der Länder. Er stellt sie unter eine klare
Führung mit kurzen Entscheidungswegen. Das ist der
Kern unseres Anliegens. Wir können uns im Einzelfall
keine langen Kompetenzdiskussionen und Abstim-
mungsrunden leisten.

Wir können uns genauso wenig jahrelange Diskussio-
nen über eine Grundgesetzänderung leisten. Es geht um
die Optimierung bestehender Küstenwache im Alltags-
betrieb und im Ernstfall. Da müssen wir das Rad nicht
neu erfinden. Wir können uns an den geschaffenen
Strukturen des Havariekommandos orientieren.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!)


Der Antrag weist den Weg, die Küstenwache inner-
halb der bestehenden Strukturen zu stärken. Mit „inner-
halb der bestehenden Strukturen“ meine ich, dass wir es
uns ersparen, vorher ewige Verfassungsfragen zu klären,
und zwar aus einem einfachen Grund: weil es nicht sein
muss. Es gibt keinen Grund, eine Bundesküstenwache
mit eigener Rechtspersönlichkeit zu schaffen.

Es sind zum Teil sehr unterschiedliche Aufgaben mit
hoch spezialisierten Fahrzeugen und entsprechendem
Personal zu erledigen. Denken Sie dabei nur an die War-
tung der Seezeichen, eine Routineaufgabe der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung, an die grenzpolizeiliche
Sicherung, eine originäre Aufgabe des Bundesgrenz-
schutzes, oder an die Kontrollen beim Fischfang, eine
Hauptaufgabe der Fischereischutzboote.

Eine neue nationale Behörde würde hier sicher mehr
neue Probleme schaffen als bestehende Probleme lösen.
Die Einrichtung einer Bundesküstenwache würde be-
währte Strukturen und Ressorts aufbrechen, und das nur,
damit neue Strukturen und Ressorts mit denselben Auf-
gaben und denselben Zuständigkeiten wieder aufgebaut
würden.

Der heutige Koordinierungsverbund Küstenwache,
auf den Sie, meine Damen und Herren der Opposition,
zu Ihrer Regierungszeit sehr stolz waren, hat sich im
Grunde bewährt. Dies wird Ihnen jeder, der sich die Si-
tuation vor Ort angesehen hat, gerne bestätigen. Kolle-
gen, die vor Ort waren, haben richtigerweise das Hava-
riekommando und dessen Zusammenarbeit mit der
Küstenwache gelobt.

Die bestehende Zusammenarbeit zwischen Küsten-
wache und Havariekommando funktioniert, wie gesagt,
gut. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit der Bun-
deswehr. Gemeinsame Übungen haben stattgefunden
und werden weiter stattfinden. Die Akteure kennen sich
und arbeiten partnerschaftlich zusammen.

Dennoch werden wir die bestehenden Strukturen der
Küstenwache zu einer neuen, noch effektiveren Küsten-
wache ausbauen. Dabei sollen die bisherigen Strukturen
gestärkt und Synergieeffekte genutzt werden. Das sollte
eigentlich auch die Opposition begrüßen; denn zumin-
dest in Sicherheitsfragen haben wir das gleiche Ziel,
auch wenn der Weg in diesem Fall unterschiedlich ist.
Man weiß noch nicht genau, was die CDU im Lande
will. Auf Bundesebene strebt sie eine Grundgesetzände-

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(C (D ung an. Die Landesregierung von Niedersachsen hingeen lehnt das generell ab. Daran sieht man schon, dass es in sehr langer Weg wäre. Das ist für uns nicht verantortbar. Am 11. November dieses Jahres fand in Hamburg die rste Sitzung mit Vertretern von Bund und Küstenlänern statt. Es wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die ach dem Grobkonzept jetzt das Feinkonzept erarbeiten oll. Die Strukturen zwischen Bund und Ländern werden innvoll gefestigt. Es ist unser erklärtes Ziel, unter einem ach alles zusammenzubringen: die neue Küstenwache, as Havariekommando und natürlich auch den Point of ontact. (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Wie bei „Big Brother“: alle in einen Container und dann mal gucken, was passiert!)


ir gehen davon aus, dass die Verhandlungen über den
auf des Gebäudes noch in diesem Jahr abgeschlossen
erden. Die Minister haben sich auf den Standort Cux-
aven verständigt, worüber ich mich als örtliche Abge-
rdnete natürlich nur freuen kann.
Es geht weiterhin um mehr Sicherheit auf den deut-

chen Küstengewässern. Lassen Sie uns das Gute ver-
essern, indem wir die erforderlichen Einsatzstrukturen
ür den Notfall schaffen, ohne den Alltagsbetrieb auf den
opf zu stellen! Dazu brauchen wir keine wissenschaft-
iche Untersuchung, denn wir wissen, wovon wir reden.
Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514526500

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen, CDU/
SU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1514526600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Während wir hier in den Abendstunden über ein
ehr an Seesicherheit debattieren, sorgen Tausende von
rauen und Männern unseres Landes rund um die Uhr
afür, dass Schutz und Vorsorge für Mensch und Meer,
üste und Kümos tatsächlich gewährleistet werden. Ih-
en gebührt unser gemeinsamer Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieser Dank gilt auch für die ehren- und hauptamtli-
hen Angehörigen der Deutschen Gesellschaft zur Ret-
ung Schiffbrüchiger. Ich finde es anerkennenswert,
ie sich hier gemeinnütziges Handeln von mehr als
000 Einsatzkräften manifestiert. Allein im letzten Jahr
ind mehr als 270 Menschen gerettet worden und hat es
50 Maßnahmen der Rettung aus kritischen Situationen
egeben. Das bedeutet, dass vor Ort Seesicherheit ge-
ährleistet wird.
Im kommenden Jahr hat die DGzRS ein Jubiläum. Sie
ird 140 Jahre alt. Gut 66 000 Menschen sind in dieser

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13547


(A) )



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Wolfgang Börnsen (Bönstrup)


Zeit gerettet worden, oftmals unter lebensbedrohlichen
Bedingungen. Wir sollten dieser Gesellschaft zum Jubi-
läumsjahr 2005 und darüber hinaus die Unterstützung
des gesamten Deutschen Bundestages garantieren.

Doch seit der Gründung der DGzRS im Jahre 1865
sind aus den Gefahren auf und durch die See unermessli-
che Bedrohungen geworden – und dies nicht nur für die
Küstenbewohner und die Ökosysteme von Nord- und
Ostsee. Nein, terroristische Anschläge auf Seeschiffe
können in Häfen und auf Ölplattformen zu Katastrophen
führen, können Handelswege über Jahre blockieren und
sind ein Erpressungspotenzial, das ein ganzes Land tref-
fen und auf lange Zeit lahm legen kann.

Viele haben vergessen, dass es bereits vor dem
11. September 2001 terroristische Angriffe auf See mit
Toten und Verletzten gegeben hat: am 7. Oktober 1985
beim Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro“, am 11. Juli 1988
beim Ausflugsdampfer „City of Poros“, am 12. Oktober
2000 auf dem amerikanischen Kriegsschiff „USS Cole“,
am 6. Oktober 2002 beim französischen Öltanker „Lim-
burg“ und wenige Monate später im Hafen von Umm
Qasr, wo es in letzter Minute gelang, Terroristen zu stop-
pen.

Noch ist Europa, noch ist unser Land verschont ge-
blieben. Aber wie lange noch? Sind wir eigentlich aus-
reichend gegen diesen Seeterrorismus geschützt? Im
Ernstfall würde bei uns der BGS See eingreifen, auch
wenn dessen Boote unzureichend sind. Nicht einmal
Maschinengewehre dürfen die BGS-Boote mitnehmen.
Die Bundesmarine, optimal ausgerüstet, darf, bedingt
durch die Verfassungslage, nicht bei Terror auf See ein-
greifen. Die Bundesregierung hat sämtliche Anträge der
Union dazu abgewiesen. Das ist falsch, das ist fahrlässig
und das ist verantwortungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist widersinnig, was hier praktiziert wird. Die Bun-

desmarine betreibt am Horn von Afrika den Einsatz ge-
gen Terrorismus. Vor Hamburg und Wilhelmshaven, vor
Kiel und Rostock jedoch wird sie ausgegrenzt. Es wird
verhindert, dass die Bürger im eigenen Land einen opti-
malen Schutz erfahren. Das ist falsch. Kein anderes
Land in Europa, kein anderer Staat in der Welt vernach-
lässigt den Heimatschutz so, wie es die Bundesregie-
rung zurzeit tut. Mit Millionen von Euro betreibt sie im
Ausland Terrorabwehr, doch sie versagt in ihrer Verant-
wortung vor Ort.


(Annette Faße [SPD]: Das ist falsch!)

Hier muss ein Umdenken erfolgen und neu gehandelt
werden.

Das gilt auch für die Schaffung einer schlagkräftigen
deutschen Küstenwache.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Solange noch vier Bundesminister und 16 Behörden,
fünf Landesumweltminister und fünf Landesinnenminis-
ter über eigene Kompetenzen in der Seesicherheit verfü-
gen, bleibt die Konstruktion eines maritimen Sicher-

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(C (D eitszentrums nur Stückwerk. Die Einsatzfähigkeit der emeinsamen Einsatztruppe ist zwar im Vorfeld mögich; bei einer Havarie ist sie aber mehr Wunsch als irklichkeit. Die Politik von Bund und Ländern, das Zentrum der üstenwache, die Wasserschutzpolizei und das Havarieommando unter einem Dach zu bündeln, suggeriert eineitliches Vorgehen, garantiert es jedoch nicht. Jede ienststelle bleibt ihrem Dienstherrn gegenüber verflichtet. Die räumliche Zusammenfassung in Cuxhaven st additiv und nicht integrativ. Auch hier verhindert wieer eine fehlende Rechtsgrundlage, auf die Notwendigeit einer eigenständigen deutschen Küstenwache zu regieren. Obwohl die Bundesländer über einen Mangel an Geld lagen, sind sie zu einer Abgabe von Aufgaben an den und nicht bereit. Obwohl die vier zuständigen Bundesinister über Finanzkürzungen klagen, sind sie zu einer usammenlegung ihrer Behörden nicht bereit. Was für en Notfall erforderlich ist, sorgt bereits im Alltag für rger und Unmut auf See. Erst vor kurzer Zeit erfuhr ein usländischer Frachter, der den Weg in die Flensburger örde nahm, fünf Kontrollen von fünf verschiedenen Siherheitsbehörden. Zuerst brachte ein Boot der Bundesmarine den Cheikalientanker auf, später ein BGS-Schiff; dann folgten och der Zoll, die Fischereiaufsicht und, als es im Hafen nlegte, die Wasserschutzpolizei. Das alles geschah inerhalb weniger Stunden, weil jede Behörde ihren eigeen Richtlinien zu folgen hat und weil bei uns Safety nd Security nicht wie sonst überall in der Welt in einer and sind. ein Land in Europa, kein Staat in der Welt leistet sich in solches Nebeneinander von Kontrollund Sichereitskräften. Berechtigte Zweifel daran bestehen: Wenn ereits im Alltag Ressortdenken und -handeln dominieen, was geschieht dann erst im Notfall? Herr Kollege Börnsen, Sie müssen zum Ende komen. (Renate Blank [CDU/CSU]: Schade! Wir hätten noch länger zugehört!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514526700


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1514526800

Danke; ich komme zum Ende. – Ich mache darauf

ufmerksam, dass wir nur durch eine veränderte Rechts-
rundlage – auch zur Sicherheit der Mitarbeiter in Cux-
aven – zu einer deutschen Küstenwache kommen, die
etzt und auf jeden Fall für die Zukunft notwendig ist.
Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514526900

Das Wort hat der Kollege Rainder Steenblock, Bünd-

is 90/Die Grünen.

13548 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zwischen November 2002 und Januar 2004 gab
es sechs Schiffsunfälle in der Ostsee. Im Jahr 2001 gab
es 390 Ölteppiche auf der Ostsee und 596 auf der Nord-
see. Diese Zahlen zeigen deutlich, welchen Gefahren un-
sere Küsten und unsere Meere durch Unfälle, aber auch
– das sage ich sehr deutlich – durch die alltäglichen Be-
lastungen aufgrund der illegalen Schiffsreinigungen und
durch die Ölplattformen in jedem Jahr ausgesetzt sind.
Sie zeigen, dass wir dringend etwas für den Schutz unse-
rer Meere, der Küsten und der Menschen, die dort leben,
tun müssen; denn diese Gefahren nehmen zu. Allein in
der Ostsee wird es durch die russischen Ölexporte
– Russland hat gesagt, dass diese Ölexporte bis 2010
verdoppelt werden – immense neue Gefährdungspoten-
ziale geben. Deshalb unterstützen wir die Bundesregie-
rung, auf dem EU-Russland-Gipfel gerade in Fragen der
Schiffssicherheit keine Zugeständnisse zu machen und
die Russische Förderation aufzufordern, die Standards
der EU auf diesem Gebiet einzuhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)


Für mehr Schiffssicherheit, Hafensicherheit und Si-
cherheit der Seeverkehrswege vor natürlichen, techni-
schen, aber auch terroristischen Gefahren müssen wir
das Nebeneinander der auf Bund und Länder verteilten
Kompetenzen beseitigen und die Strukturen neu ordnen.
Ziel muss es sein, alle beteiligten Kräfte dauerhaft in ei-
ner einheitlichen Struktur zu bündeln.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Nur auf diese Weise können wir die Schutzaufgaben ef-
fizienter und effektiver erledigen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, der schles-
wig-holsteinische Landtag hat vor einem Jahr mit den
Stimmen aller Fraktionen vernünftige Vorschläge für
den Aufbau einer neuen, effektiven Struktur der Küs-
tenwache gemacht


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Interessant!)

und sie der Innenministerkonferenz der norddeutschen
Küstenländer vorgelegt. Diese Initiative – dies muss
man dann auch sehr deutlich sagen, Herr Kollege
Goldmann – ist am Widerstand der unionsgeführten
Küstenländer gescheitert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Davon dürfen wir doch nicht ausgehen!)


Insbesondere die CDU/FDP-Koalition in Niedersachsen
hat dieses Verfahren platt gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D eshalb ist es nicht lauter, wenn die CDU und die FDP lauben, heute hier eine Struktur durchsetzen zu können, ie in den Ländern nicht mehrheitsfähig ist. Auch der Hinweis auf die Föderalismuskommission rägt nicht; ich habe dies dort vorgeschlagen. Die Länder aben deutlich gemacht, dass sie diesen Weg nicht mitehen werden. Der vehemente Widerstand insbesondere on Innenminister Schünemann aus Niedersachsen, der ine neue Küstenwache für überflüssig und für eine neue ammutbehörde hält, die keinen Sinn macht, zeigt sehr eutlich, wo wir in Wirklichkeit stehen. Lieber Herr Kollege Börnsen, jetzt ist zwar bald eihnachten, aber das politische Leben ist kein unschkonzert; vielmehr müssen wir uns an den Wirk ichkeiten orientieren; darum geht es. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist hart, aber wahr!)


Angesichts der Gefahren ist es richtig, Schritte in
iese Richtung zu unternehmen. Ich habe immer dafür
lädiert, dass wir in Deutschland eine einheitliche Küs-
enwache brauchen. Angesichts der Gefahren, denen die
enschen und die Natur an der Küste ausgesetzt sind,
rauchen wir mehr als eine Leitstelle der Wasserschutz-
olizei. Das mag ein richtiger Schritt sein; es kann aber
uch ein Schritt sein, der weitergehende Strukturverän-
erungen verhindert. Deshalb müssen wir das weiterhin
m Auge behalten.
Lieber Kollege Börnsen, die Frage, ob wir tatsächlich

ine Grundgesetzänderung zur Lösung dieser Struk-
urfragen benötigen, ist aus meiner Sicht nicht aktuell.
ie Entscheidungen der Küstenländer sind so, wie sie
ind. Das mögen wir bedauern oder begrüßen. Deshalb
ilt es aber zunächst, die praktischen Schritte zu unter-
ehmen, die zu einer größeren Konzentration der Kräfte
ühren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! Jetzt wird es richtig!)


Unser Antrag bietet daher eine vernünftige Basis für
ine Entwicklung in Richtung Realismus und Pragmatis-
us. Nur so können wir, ohne Traumtänzer zu sein, un-
ere Verantwortung tatsächlich wahrnehmen und mehr
icherheit für die Schifffahrt, die Natur und die Men-
chen an unseren Küsten schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


as ist Wahrnehmung von Verantwortung. Wir verkün-
en keine Illusionen; denn damit würden wir nur Erwar-
ungen wecken, die keiner erfüllen kann. Lassen Sie uns
ealistisch sein und gemeinsam für mehr Sicherheit sor-
en.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Rechtssicherheit ist wichtig!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13549


(A) )



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Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514527000

Das Wort hat der Kollege Michael Goldmann, FDP-

Fraktion.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1514527100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das, was wir bundespolitisch wollen, wird
– das ist doch nichts Neues – von den eigenen Partei-
freunden vor Ort manchmal anders gesehen. Ich war
froh, als der Innenminister Schünemann von der CDU
besonders ins Gespräch kam. Die Frage ist doch: Ist das,
was vonseiten der SPD und der Grünen heute beschlos-
sen wird, das, was Sie sich die ganze Zeit gewünscht ha-
ben? Bringt das mehr Sicherheit, mehr vernetztes Tun?


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Nein! – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein richtiger Schritt!)


– Was heißt, das ist ein richtiger Schritt? Herr
Steenblock, ich erinnere mich noch an die „Pallas“. Sie
erinnern sich sicher auch schmerzlich. Damals waren
wir uns doch einig. Wir haben damals eine Kommission
gebildet. Herr Grobecker, der Leiter der Kommission,
hat gesagt, wir brauchen eine nationale Küstenwache.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Genau richtig! Der wusste, wovon er sprach!)


Wir haben uns auf den Weg gemacht, die nationale
Küstenwache zu realisieren. Glauben Sie nicht, dass das
immer Spaß gemacht hat. Ich komme auch aus Nieder-
sachsen und ich schätze die Arbeit des Havariekomman-
dos in Cuxhaven außerordentlich.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Das ist überhaupt keine Frage.


(Beifall bei der FDP)

Über eines sind Sie sich doch im Klaren: Ein Havarie-
kommando ist keine Küstenwache. Es verfolgt nicht die
Ziele, die Sie selbst und Ihre Parteifreunde in Schleswig-
Holstein beschlossen haben.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann setzen Sie es doch einmal in dem Land durch, wo Sie regieren!)


Deshalb dürfen wir uns nicht damit zufrieden geben
und heute einfach etwas beschließen. Das mag pragma-
tisch sein, weil es vielleicht ein Stück weit mehr ver-
netzt. Das ist doch aber ganz eindeutig nicht die Lösung
des Problems. Sie wissen das doch ganz genau.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann überzeugen Sie Ihre Landesregierung!)


– Wissen Sie, es interessiert mich eigentlich herzlich we-
nig, ob die Landesregierung in Niedersachsen in dieser
Frage einen anderen Standpunkt einnimmt.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre mir schon wichtig!)


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(C (D ch bin davon überzeugt, dass wir eine nationale Küstenache einsetzen müssen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Landesregierung kann aus regionalen Gründen
nderer Meinung sein. Die Kollegin Faße, die aus Cux-
aven kommt, hat eben deutlich gemacht, dass sie das
avariekommando gut findet.


(Annette Faße [SPD]: Ja!)

Annette, dann sagst du auch noch, dass du Ahnung da-
on hast und weißt, wovon du redest. Ich respektiere
eine Aussage. Nimm aber bitte zur Kenntnis, dass alle
nderen, die an der Küste agieren, anderer Meinung sind
ls du. Alle maritimen Organisationen an der Küste sa-
en: Wir brauchen eine nationale Küstenwache.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

lle sagen das, nur du meinst: Ich weiß Bescheid; ein
avariekommando reicht aus.
Ein solcher Umgang miteinander macht nicht viel

inn. Ich weiß, was passieren wird. Ich will es nicht be-
chwören, aber ich weiß, was passiert, wenn das nächste
al an der Küste etwas passiert: Dann stehen wir wieder
lle hier und sagen: Oh Gott! Oh Gott! Wie konnte das
ur passieren? Wir werden hier Reden halten und sagen,
s muss sich etwas ändern. Wir machen dann mobil, stel-
n Forderungen und bilden wahrscheinlich wieder eine
ommission.
Du hast vorhin gesagt, wir bräuchten keine wissen-

chaftliche Untersuchung – in meinem Text war bisher
on einem Forschungsauftrag die Rede –, weil wir das
lles wissen. Das wissen wir aber nicht. Warum habt ihr
iese Untersuchung verweigert? Warum konnten wir
icht gemeinsam einen Weg finden, der keine grundge-
etzliche Änderung erforderlich macht? In unserem An-
ag wird eindeutig belegt, dass wir keine grundgesetzli-
he Änderung brauchen, um entscheidende Schritte zu
achen.
Aber wir können – Kollege Börnsen hat das vorhin

lar gesagt – eine Menge mehr tun, um Safety und Secu-
ity zusammenzuführen. Das wird durch euer Verhalten
dieser Frage leider scheitern; das ist schade.
Ich sage es jetzt ziemlich direkt: Ich werde dich hin-

ichtlich deiner fachlichen Kompetenz und deiner
laubwürdigkeit in eine gewisse Form persönlicher Haf-
ng nehmen,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh, auch das noch!)


enn uns die nächste Katastrophe an der Küste ereilt
nd wir genau wissen, dass das aus den Gründen gesche-
en ist, die Herr Börnsen vorhin genannt hat. Das muss
an sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514527200

Herr Kollege, Sie können sich leider nichts mehr auf

er Zunge zergehen lassen;

13550 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN)

denn Ihre Redezeit ist deutlich überschritten.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1514527300

Frau Präsidentin, wenn Sie wüssten, was mir heute

Abend noch alles auf der Zunge zergehen wird! Aber ich
werde Sie damit nicht weiter erfreuen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514527400

Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach, SPD-

Fraktion.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1514527500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das Problem der unterschiedlichen Zustän-
digkeiten für die Küste ist alt. Es war auch der Vorgän-
gerregierung bekannt. Bei dem Versuch, daran etwas zu
ändern, sind Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
von Union und FDP, zumindest nach Ihrer heutigen Ein-
schätzung nicht sehr weit gekommen. Jetzt versuchen
Sie, die Optimierung des Küstenschutzes zu einer Ver-
fassungsdebatte aufzublähen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ach!)

Was wir aber brauchen, sind pragmatische Schritte vor
Ort, durch die die Küstenwache effektiver und die Küste
sicherer wird.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das haben wir doch schon lange gemacht!)


Die jetzige Regierung hat in diesem Bereich einiges
vorzuweisen. Im vergangenen Jahr haben wir das Hava-
riekommando in Cuxhaven eingerichtet. Wir haben aus
zwei Stellen eine gemacht und die beiden Küstenwach-
zentren zusammengelegt. Wir sind dabei, das neu errich-
tete einheitliche Küstenwachzentrum in Cuxhaven wei-
ter auszubauen. Wir haben die unterschiedlichen
Behörden in einem Küstenwachzentrum vereint.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein! Das ist nicht richtig, was Sie sagen!)


Sie stimmen sich kontinuierlich ab und bilden gemein-
sam eine Einsatzleitung, in der die Bundeszuständigkeit
für die gesamte Küste liegt.

Hinzu kommt die Zusammenführung mit dem Hava-
riekommando und künftig auch mit dem Point of Con-
tact. Das wird dazu führen, dass es auf Bundesebene ein
praxisbezogenes Führungs- und Einsatzinstrument
geben wird, durch das alle beteiligten Stellen durch eine
auch räumlich enge Zusammenarbeit eingebunden wer-
den. Das sollten Sie nicht gering schätzen.

Aus Sicht der Innenpolitiker wäre es sinnvoll, dass
diejenige Organisation, die über die entsprechende Füh-
rungserfahrung verfügt, der BGS, dauerhaft die Leitung
übernimmt.

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(C (D (Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


em stehen fachliche Einwände der beteiligten Ressorts
ntgegen; Kollegin Faße hat sie deutlich dargelegt. Aber
ür den Krisen- und Einsatzfall muss es eine vorher
xakt definierte besondere Aufbauorganisation mit kla-
er Leitung und Führung geben. Dies fordern wir in un-
erem Antrag. Wir werden es auch umsetzen.


(Beifall bei der SPD)

Wichtig ist nun, dass sich auch die Länder in diesen
echanismus einbinden, sowohl was die Wasserschutz-
olizeien der Länder als auch – Sie haben sie ja aufge-
ählt – die anderen beteiligten Behörden, etwa im Um-
eltbereich, angeht. Wir werden auch die Frage der
inbindung der Bundeswehr angehen,


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


nd zwar für die Fälle, die die Polizei des Bundes oder
ie der Länder nicht mit eigenen Mitteln bewältigen
ann.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Warum denn nicht schon jetzt?)


Das Luftsicherheitszentrum in Kalkar, in dem alle be-
iligten Stellen eng zusammenwirken, kann hier durch-
us als Vorbild dienen. Dort arbeiten alle beteiligten
essorts in einem Raum zusammen, tauschen Daten un-
ereinander aus und operieren und agieren in der glei-
hen Lage. Dafür haben wir mit der Zusammenführung
er beiden Küstenwachzentren und dem Havariekom-
ando auch für die Küste die realen Grundlagen gelegt.
ir werden, ähnlich wie beim Luftsicherheitsgesetz,
uch die gesetzlichen Grundlagen schaffen.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Nun zur Frage einer generellen Zuständigkeit des
undes für die gesamte Küste. Die Übertragung der
2-Meilen-Zone an den Bund – Sie haben dieses Thema
ngesprochen – müsste in der Föderalismuskommission
iskutiert werden; aber genau das haben Ihre Länderin-
enminister abgelehnt. Das Problem der Einbindung der
änder in ein Küstenwachzentrum wäre aber auch damit
icht aus der Welt. Selbst dann, wenn der Bund für das
esamte Küstengebiet zuständig wäre, gäbe es auch wei-
rhin eine Schnittstellenproblematik; denn dann würden
ich zum Beispiel in den Häfen und an den Küstenlinien
chnittstellen ergeben. Das heißt, dass unabhängig von
ieser Frage nach wie vor die Kooperationsbereitschaft
er Länder gefordert ist.
Wir optimieren das Konzept für eine effiziente Küs-
nwache. Damit realisieren wir das, was notwendig und
öglich ist. Während Sie hier eine Verfassungsände-
ung zur Voraussetzung für eine Verbesserung hochstili-
ieren – ich kann es Ihnen nicht ersparen –, erzählen Sie
den Bundesländern das genaue Gegenteil.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansMichael Goldmann [FDP]: Sie müssen unseren Antrag lesen!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13551


(A) )



(B) )


Gerold Reichenbach

Ihr Kollege, der niedersächsische Innenminister Uwe
Schünemann, will nämlich von der Schaffung einer Küs-
tenwache unter der Leitung des Bundes überhaupt nichts
wissen.


(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Der sitzt nicht im Bundestag, der sitzt im niedersächsischen Landtag!)


– Herr Schröder, ich kann Ihnen nicht ersparen, mit Ge-
nehmigung der Präsidentin aus dem Protokoll des nie-
dersächsischen Landtags vom 11. März 2004 zu zitieren.
Damals hat Herr Schünemann zu Ihrem eigenen Antrag
ausgeführt:

Die Schaffung einer Küstenwache unter Leitung
des Bundes würde eine Grundgesetzänderung erfor-
derlich machen, ohne dass ein Sicherheitsgewinn
… eintreten würde.


(Zuruf von der SPD: So ist das!)

Die Landesregierung sieht derzeit keinen Anlass,
die verfassungsmäßige Kompetenzverteilung zwi-
schen Bund und Ländern … in Frage zu stellen und
Zuständigkeiten der Polizei …

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die Wasser schutzpolizei in Niedersachsen ist gut!)

ohne zwingende Notwendigkeit auf eine Bundesbe-
hörde zu übertragen.

Auf Bundesebene hü, auf Landesebene hott!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Offenbar herrscht bei Ihnen in der Sicherheitspolitik
das gleiche Chaos wie in der Gesundheitspolitik.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was wollen Sie denn?)


Oder handelt es sich dabei um ein kalkuliertes Spiel: auf
Bundesebene fordern und zu Hause genau diese Forde-
rung blockieren?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das kostet die anderen Geld!)


Solche Spielchen ziehen sich nämlich wie ein roter Fa-
den durch Ihre Vorstellungen von Sicherheitspolitik und
Katastrophenschutz. Das Thema Sicherheit eignet sich
aber nicht für Spielchen oder, wie der Bundesinnenmi-
nister kürzlich in diesem Hause treffend feststellte, für
„sicherheitspolitische Dampfplaudereien“. Mit Ihrem
Pingpongspiel können Sie die Bürgerinnen und Bürger
in diesem Lande nicht beeindrucken. Wir arbeiten in un-
serer Bundeszuständigkeit konsequent die notwendigen
Schritte zur Verbesserung der Sicherheit an unseren Küs-
ten ab und Sie können sicher sein, dass wir dies auch in
den anderen Bereichen zum Schutz unserer Bevölkerung
tun werden: bei der Polizei, beim Katastrophenschutz
und bei der Terrorabwehr.

Es stellt sich die Frage, ob Sie Ihren Worten im Bun-
destag dort, wo Sie in den Ländern Verantwortung ha-
ben, auch Taten folgen lassen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


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(C (D Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege r. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion. (Jörg Tauss [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass er auch davon etwas versteht!)

Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514527600


Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1514527700

Bei uns reden die Leute von der Küste, Herr Tauss. –

rau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her-
en! Fast ein Jahr ist vergangen, seit wir von der CDU/
SU-Fraktion den Antrag zur Schaffung einer nationa-
en Küstenwache eingebracht haben. Wir wollen damit
ehr Sicherheit auf See für die Menschen und die Um-
elt erreichen. Liebe Kollegen von der SPD und den
rünen, ich begrüße ausdrücklich, dass auch Sie sich in-
erhalb dieses Jahres Gedanken gemacht haben, dass bei
hnen zumindest ein Problembewusstsein entstanden ist.
uch Sie haben inzwischen einen Antrag eingebracht;
as begrüße ich ausdrücklich.
Wie sehen die Strukturen zur Gefahrenabwehr auf See

us? Im Jahre 2004 führen auf See insgesamt fünf Bun-
esbehörden, der BGS, der Zoll, die Wasser- und Schiff-
ahrtsverwaltung, die Bundesanstalt für Landwirtschaft
nd Ernährung sowie die Marine und fünf Küstenländer
it ihrerseits 15 Behörden 16 Aufgaben auf See durch.
eit 50 Jahren versuchen wir nun, diese unterschiedli-
hen Kompetenzen durch Kooperationsvereinbarungen
u koordinieren. Mittlerweile gibt es 25 Staatsverträge.
as Ergebnis ist ein Nebeneinander von Einheiten und
uständigkeiten, das selbst von Experten nicht mehr
urchschaut wird.


(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Genauso ist das!)


Betrachten wir einmal die Abwehr von Gefahren
urch Terror und organisierte Kriminalität. Für diese
ufgaben verfügen der BGS und die Wasserschutzpoli-
ei über hervorragend ausgebildetes Personal und her-
orragend ausgestattete Boote. Auch die Marine ist bei
er Terrorismusabwehr unverzichtbar. Besonders kri-
isch ist hier der Faktor Zeit; hier spielen Stunden, wenn
icht Minuten eine entscheidende Rolle. Klare Befehls-
trukturen mit eindeutigen Handlungsbefugnissen sind
ntscheidend, um solche Krisen zu bewältigen. Genau
aran mangelt es.


(Beifall der CDU/CSU)

Betrachten wir den Schutz vor Unfällen und
mweltkatastrophen, wenn Öl ausläuft, wenn Vögel
u verenden drohen. Hier sehen wir das letzte Kapitel
er unendlichen Koordinierungsgeschichte: das Havarie-
ommando. Es soll beim Eintritt eines so genannten
omplexen Schadenfalles die Führung übernehmen. Die
eleistete gute Arbeit des Havariekommandos verdan-
en wir einem hervorragenden Leiter und sehr motivier-
en Mitarbeitern. Frau Faße, das Havariekommando leis-
et diese Arbeit aber nicht aufgrund der vorhandenen
trukturen, sondern trotz der vorhandenen Strukturen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


13552 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Dr. Ole Schröder

Es fehlen eben klare Befehlsstrukturen; sie existieren
nicht. Auch für den Fall einer so genannten komplexen
Schadenslage fehlen dem Leiter des Havariekommandos
die notwendigen Kompetenzen. Genau deshalb brauchen
wir eine Grundgesetzänderung.


(Annette Faße [SPD]: Falsch!)

Betrachten wir schließlich den Alltagsbetrieb. Hier

ist es schon aus Kostengesichtspunkten erforderlich, alle
Patrouillenfahrten aufeinander abzustimmen.


(Annette Faße [SPD]: Das machen wir doch heute schon!)


Dabei geht es nicht nur um die Patrouillenfahrten zwi-
schen den Booten des Bundes, sondern auch zwischen
den Booten der Länder und des Bundes.


(Annette Faße [SPD]: Das läuft schon!)

Wenn ein Schiff auf hoher See kontrolliert wird, dann

können sowohl Grenzdelikte, Umweltdelikte als auch
Zolldelikte aufgedeckt werden. Frau Faße, die Fischerei-
aufsicht wird zum Teil schon jetzt vom BGS und von
den Wasserschutzpolizeien durchgeführt.


(Annette Faße [SPD]: Das finde ich gut!)

Es ist also möglich, Spezialaufgaben von einer Behörde
auszuführen. Sie haben in Ihrer Rede etwas anderes ge-
sagt.


(Annette Faße [SPD]: Aber nicht alle Aufgaben!)


Das Problem liegt hier zum einen bei den Bundesmi-
nisterien, die nicht optimal zusammenarbeiten, zum an-
deren an der Kompetenzverteilung zwischen dem Bund
und den Ländern. Anders als im Luftraum ist der Bund
eben nicht für die gesamte Gefahrenabwehr zuständig.
Daraus folgt diese absurde Aufgabenverteilung. Der
Bund ist beispielsweise dafür zuständig, zu kontrollie-
ren, dass kein Schweröl aus Schiffen ausläuft. Wenn
doch einmal Schweröl ins Meer fließt, dann hat der
Bund plötzlich keine Kompetenzen mehr.


(Annette Faße [SPD]: Das ist auch falsch!)

Aufgrund der gegebenen Kompetenzlage müssen die
Bundesbeamten die entsprechenden Landesministerien
anrufen und fragen, ob sie nicht ein Schiff vorbeischi-
cken können.


(Annette Faße [SPD]: Das ist doch falsch! – Gerold Reichenbach [SPD]: Wieso sind Sie für eine Grundgesetzänderung? Ihre Innenminister haben schon erklärt, dass sie sie im Bundesrat ablehnen werden!)


Erklären Sie das doch bitte einmal den Bürgerinnen und
Bürgern an der Küste.

Liebe Kollegen der SPD und der Grünen, genau diese
ineffizienten Strukturen wollen Sie nun fortschreiben.
Sie sehen in Ihrem Antrag keinerlei wesentlichen struk-
turellen Änderungen vor. Im Gegenteil: Sie planen ein
weiteres, nämlich das 26. Kapitel der gescheiterten Ko-
operationsversuche. Sie planen die Fortsetzung des insti-
tutionellen Chaos und eine räumliche Konzentration, die

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(C (D ber auch nicht darüber hinwegtäuschen wird, dass die efehlsstrukturen und Kompetenz so bleiben, wie sie ind. (Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer noch besser als die Verweigerungshaltung der CDU in Niedersachsen!)


Lieber Rainder Steenblock, Ihr Vorgehen besteht ein-
ach darin, alle in einen Raum zu stecken und zu hoffen,
ass sie sich verstehen. Frau Faße, das kann klappen, das
uss aber nicht klappen. Das klappt nur, wenn die ent-
prechende Kooperationsbereitschaft der handelnden
kteure vor Ort gegeben ist.


(Annette Faße [SPD]: Das ist sie doch!)

as ist das Prinzip Hoffnung.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


ufgrund der möglichen Schadenslage, die eintreten
ann, sollten wir uns aber nicht auf das Prinzip Hoff-
ung verlassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen speziell von der

PD-Fraktion, Ihr schleswig-holsteinischer SPD-Innen-
inister, Klaus Buß, hat in einer Sitzung des Landtages
um Thema „Nationale Küstenwache“ Folgendes gesagt
ich zitiere ihn –: Vorweggehen muss der Bund. Ich
offe, dass die SPD-Fraktion des Bundestages dem An-
rag der CDU/CSU-Fraktion zustimmt und dass auf Bun-
esebene etwas in Gang gesetzt wird, was wirklich ein
roßer Schritt hin zu einer einheitlichen Küstenwache
äre.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514527800

Herr Kollege.

Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1514527900

Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, tun

ie etwas! Wagen Sie mit uns gemeinsam einen wirkli-
hen großen Schritt!


(Gerold Reichenbach [SPD]: Sie sind im Bundesrat doch dagegen!)


egen Sie Ihren Antrag beiseite und stimmen Sie unse-
em Antrag für mehr Sicherheit an den Küsten zu!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gerold Reichenbach [SPD]: Sie sind im Bundesrat doch dagegen!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1514528000

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

chusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf
rucksache 15/4153. Der Ausschuss empfiehlt unter
r. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An-
rags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13553


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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Die Grünen auf Drucksache 15/3322 mit dem Titel „Si-
cherheit vor der deutschen Küste verbessern – Küsten-
wache optimieren“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/2337 mit dem Titel „Schaffung einer na-
tionalen Küstenwache“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthaltung
der FDP angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2581 mit dem
Titel „Nationale Küstenwache schaffen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/
CSU und der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Cajus Julius Caesar, Dr. Maria Flachsbarth, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Naturschutz im Miteinander von Mensch,
Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Entwick-
lung
– Drucksachen 15/2467, 15/4018 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Cajus Julius Caesar
Undine Kurth (Quedlinburg)

Angelika Brunkhorst

Die Redner Gabriele Lösekrug-Möller, Cajus Julius
Caesar, Dr. Maria Flachsbarth, Undine Kurth und
Angelika Brunkhorst haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1)

Wir kommen deshalb zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit auf Drucksache 15/4018 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Naturschutz im
Miteinander von Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftli-
cher Entwicklung“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 15/2467 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU
und der FDP angenommen.

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1) Anlage 3 2)

(C (D Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 15/4231 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus Die Redner Dr. Rainer Wend, Dr. Hermann Kues, irgit Homburger und der Parlamentarische Staatssekreär Rezzo Schlauch haben ihre Reden zu Protokoll gegeen.2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 15/4231 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
azu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
ann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter

Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Ernst-
Reinhard Beck (Reutlingen), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung
– Drucksache 15/4261 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Vera Lengsfeld, Josef
Philip Winkler und weiterer Abgeordneter
Die Einheit der deutschen Sprache bewahren
– Drucksache 15/4249 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Aussschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
DP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
erspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
ünter Nooke, CDU/CSU-Fraktion.


Günter Nooke (CDU):
Rede ID: ID1514528100

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

iebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche

Anlage 4

13554 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Günter Nooke

Bundestag hat in seiner bisher einzigen Befassung mit
der Rechtschreibreform vor sechs Jahren festgestellt:
„Die Sprache gehört dem Volk.“ An diesem kurzen Satz
zeigt sich das ganze Dilemma, das uns heute beschäftigt.
Das Thema Rechtschreibreform ist bekannt. Es dürfte
keinen im Land geben, den es nicht betrifft. Ich kann mir
also eine Zusammenfassung der Ereignisse ersparen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, uns allen!)

Mir ist wichtig, festzuhalten – hören Sie zu, Herr

Tauss –, dass sich die Unionsfraktion im Deutschen
Bundestag mit einem Antrag deshalb zu dem Thema zu
Wort meldet, weil die Verunsicherung in der Bevölke-
rung erschreckend ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Weil Sie sie verunsichert haben! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Nooke ist die allgemeine Verunsicherung!)


– Hören Sie zu, Herr Kollege Küster, dafür sind Sie zu-
ständig. Die Tatsache, dass es im Bundestag möglich ist,
dass zwei Anträge zum gleichen Thema in verschiedener
Rechtschreibung erscheinen, ist legislative Schizophre-
nie. Unser Antrag fordert daher genau das, was der Titel
verspricht: Klarheit für eine einheitliche Rechtschrei-
bung; nicht mehr, aber auch nicht weniger.


(Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir doch!)

Um es ganz klar zu sagen: Es war ganz sicher keine

gute Idee, die Formulierung von Rechtschreibregeln zur
Sache der Politik zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Stellen Sie doch keine Anträge! Das ist überflüssig, was Sie machen!)


Was schon im Jahre 1995/96 auf der Konferenz der Kul-
tusminister begann, hat in den vergangenen acht Jahren
ein unglaubliches Chaos angerichtet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Politik darf nicht Verwirrung stiften, sondern muss Ver-
lässlichkeit erzeugen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Der Deutsche Bundestag befasst sich angesichts der jet-
zigen Situation also zu Recht mit der Rechtschreibre-
form.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein!)

Der Notfall ist eingetreten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auch nicht!)


Unser Antrag verhindert, dass der Eindruck entstehen
könnte, der Deutsche Bundestag sei an Klarheit und Ein-
heitlichkeit der deutschen Orthographie nicht interes-
siert. Zugleich sage ich aber noch einmal, dass das Auf-
stellen von Rechtschreibregeln nicht Aufgabe des
Staates ist. Die Sprache gehört dem Volk.


(Beifall bei der CDU/CSU)


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(C (D Folgerichtig maßt sich unser Antrag nicht an, den undestag aufzufordern, Entscheidungen über die Komasetzung zu treffen; wir bitten vielmehr die Kultusmiister der Länder, eine verbindliche Regelung herbeiuführen und das Nebeneinander verschiedener uffassungen und Schreibweisen zu beenden. Wir richen uns an die Kultusminister, weil wir die Lage realisisch einschätzen, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Sie es doch direkt und nicht über uns!)


icht etwa weil wir die Adressaten für die richtigen hal-
en. „Realistisch“ meint: Die Kultusminister sind ange-
prochen, weil sie sich die Zuständigkeit angeeignet ha-
en. Sie haben sich in politischer Regelungswut am
eiligsten einer Kulturnation vergriffen: der Sprache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ach du lieber Gott!)


ie müssen jetzt die Größe haben, ohne Ansehen der ei-
enen Person, wieder einen gemeinsamen Sprachnenner
u finden. Das müssen sie ein für allemal tun und dann
üssen sie ein für allemal die Finger davon lassen, die
prache noch einmal durch politische Eingriffe zu re-
eln.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Mein lieber Schwan!)


Man interpretiert unseren Antrag nicht falsch, wenn
an die Erwartung herausliest,


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Da steht doch gar nichts drin!)


hör doch mal zu! – dass der Rat für deutsche Recht-
chreibung Kompetenz und Möglichkeit haben muss,
as Dilemma zu beenden. Dass dies nur möglich ist,
enn er tatsächlich alle relevanten Stimmen bündeln
ann, ist selbstverständlich. Das Ziel kann nicht sein, so
eiter zu machen wie bisher, nur mit neuen Gremien.
er designierte Vorsitzende des geplanten Rates für
eutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Der war selber Kultusminister!)


orderte richtigerweise, dass sich die Politik in Zukunft
us der Debatte über die neuen Schreibregeln heraushal-
en solle.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Was heißt denn „in Zukunft“?)


icht mehr die Politik, sondern der Rat wird die Reform
egleiten. Das Gremium soll die Einheitlichkeit der
echtschreibung im deutschen Sprachraum bewahren
nd das orthographische Regelwerk weiterentwickeln.
Ich habe meine Bemerkungen zu den Länderminis-

ern schon gemacht. Es ist wichtig, hinzuzufügen, dass
ich die Weiterentwicklung der Orthographie an der gu-
en Lesbarkeit der deutsch geschriebenen Texte orien-
ieren muss und nicht etwa daran, wie es gelingen
önnte, dass Schüler weniger Fehler beim Schreiben ma-
hen. Dieses falsche Denken, dieses Missverständnis ist
it dafür verantwortlich, dass man die Kultusminister

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13555


(A) )



(B) )


Günter Nooke

für die Rechtschreibreform zuständig hielt. Wäre damals
im Deutschen Bundestag die Frage gestellt worden, ob
eine groß angelegte Reform notwendig sei und, wenn ja,
ob die Kultusminister sich ihr widmen sollten, wäre die
Antwort ein eindeutiges Nein gewesen.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Mit derselben Klarheit, mit der ich diese Frage da-
mals beantwortet hätte, muss ich aber heute sagen: Es ist
geradezu absurd, zu denken, der Rechtschreibung in
Deutschland und im deutschen Sprachraum sei am bes-
ten gedient, wenn es jetzt das Kommando „Zurück zur
alten Rechtschreibung!“ gäbe.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich sehe das anders!)


Politik hat die Aufgabe – immer dann, wenn sie am er-
folgreichsten ist, macht sie das und nimmt sich die Frei-
heit –, in jeder neuen Situation neu nachzudenken. Dabei
müssen wir uns, ob wir nun betroffen sind oder nicht, ob
wir beteiligt waren oder nicht, die Entscheidung der letz-
ten Jahre bewusst machen und diese berücksichtigen. Ich
mache keinen Hehl daraus, dass es keine Werbeveran-
staltung für Politik wäre, wenn eine alternde Politikerge-
neration, die vielleicht noch selbst eine ganze Schülerge-
neration in die neue Rechtschreibung getrieben hat, jetzt
sagte: Es gilt wieder alles, was vor zehn Jahren richtig
war. – Übrigens müsste man sich auch in Österreich und
der Schweiz erst an solche deutsche Sprunghaftigkeit ge-
wöhnen.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann hören Sie doch auf mit dem Unfug!)


Als Kultur- und Medienpolitiker muss ich noch auf
eines hinweisen, nämlich dass zwar „FAZ“, „Bild“, „Die
Welt“ sowie andere Medien des Springer-Verlages die
alte Rechtschreibung verwenden, aber – das ist interes-
sant für manchen Abgeordneten – die Nachrichtenagen-
turen und sämtliche Lokalzeitungen bis auf eine die
neue;


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das stimmt nicht von den Nachrichtenagenturen! Das ist eine alte Meldung! Das hat sich geändert!)


von den Schulen und den staatlichen Einrichtungen, für
die die neue Regelung verbindlich ist, ganz zu schwei-
gen.

Also noch einmal zusammenfassend: Wir wollen mit
unserem Antrag einfach Druck machen und eine
schnelle und tragfähige Lösung einfordern. Wir halten es
für unverantwortlich, dass Schüler in Deutschland im
Deutschunterricht über Kommentare aus Zeitungen spre-
chen, für die es seit dem Sommer bezogen auf die Recht-
schreibung die Note „ungenügend“ geben würde. Dass
sich für die Schüler und Lehrer noch einiges ändern
muss und vielleicht zurückgenommen werden kann,
halte ich für zumutbar. Für den Erhalt der Vielfalt der

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(C (D chönen deutschen Sprache halte ich das auch für notendig. Aber auch manche Zeitungen haben die Kraftprobe it der Politik vielleicht zu zeitig gesucht. Der „Spiegel“ st sehr schnell wieder in Deckung gegangen. Angesichts dieser Situation bin ich der Meinung, dass ich der Deutsche Bundestag der Frage der Rechtschreiung nicht verschließen kann und dass er in dem geschilerten Rahmen auch zuständig ist. Zuständig ist er chon deshalb, weil die Rechtschreibung der Sache nach inheitlich sein muss und nicht in das Belieben einzelner änder gestellt werden kann. Unzweifelhaft ist auch die uswärtige Kulturund Bildungspolitik Sache des Bunes. Fazit: Wer sich dem wichtigen entschiedenen und ntscheidenden Appell der CDU/CSU-Bundestagsfrakion verschließt, verkennt die Situation. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So viele scheinen ja auch bei Ihnen nicht begeistert zu sein!)


(Jörg Tauss [SPD]: Sommertheater!)


Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine Anmerkung
n eigener parlamentarischer Sache. Herr Tauss, Sie ha-
en sich hier so vehement eingesetzt. Es ist völlig unbe-
reiflich, warum die Führung Ihrer Fraktion mit großem
hrgeiz die gewählten Vertreter mündiger Bürger im
eutschen Bundestag entmündigt, indem die Parole aus-
egeben wurde, die Anträge der Opposition nicht zu un-
erstützen. Dieser aufgesetzte und an Künstlichkeit kaum
u überbietende Fraktionszwang in der Frage der
echtschreibung macht das Parlament als Ganzes un-
laubwürdig.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach was!)

n dieser Frage, in der die richtungweisende Kraft des
arlaments – nicht der Exekutive – offensichtlich ist,
assen Sie sich Ihre Meinung vorschreiben, sehr geehrte
olleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktio-
en. Das kann ich nicht glauben.
Sie haben die Chance verpasst, sich mit einem eige-

en Antrag zu diesem drängenden Thema zu Wort zu
elden. Mit Ihrer vorgeschriebenen Ablehnung unserer
nträge können Sie nichts anderes als Ihr Desinteresse
eigen. Das ist, wie Sie selbst gut wissen, nicht nur un-
ngemessen, sondern auch verantwortungslos.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihr Aktionismus ist verantwortungslos!)


ei einem Thema, das alle interessiert, nichts anderes als
esinteresse zu zeigen, ist sicherlich nicht der richtige
eg. Das werden die Zeitungen in Ihren Wahlkreisen,
enen das Thema durchaus nicht gleichgültig ist, zu
ommentieren wissen, und zwar – wie es aussieht – in
iner Rechtschreibung, zu der Sie offenbar keine Mei-
ung haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war nun wirklich ein völliges Durcheinander!)


13556 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514528200

Das wird der Kollege Eckhardt Barthel, dem ich nun

das Wort für die SPD-Fraktion erteile, vermutlich zu ei-
nem großen Teil zurückweisen.


(Jörg Tauss [SPD]: Er wird es schärfstens zurückweisen! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt bin ich aber gespannt!)



Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1514528300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der

Rede von Herrn Nooke habe ich immer an eine kleine
weiße Maus denken müssen, die sich im Laufrad be-
wegt. Es ist erstaunlich, mit welchem Pathos Sie hier et-
was vertreten haben, das es gar nicht gibt.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Der Wille zur Einheit!)


– Ja, der Wille zur Einheit.
Ich möchte erst einmal jemandem viel Erfolg für

seine Arbeit wünschen, und zwar Herrn Zehetmair, der
höchstwahrscheinlich am 17. Dezember den Vorsitz im
Rat für deutsche Rechtschreibung übernehmen wird.
Er ist auch unser Kollege in der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“. Ich glaube, er braucht Unter-
stützung und vor allem Erfolg. Er selbst gehört zu denen,
die genauso wie ich vieles kritisch sehen. Wir sollten ihn
in dem Versuch unterstützen, die Gegner und die Anhän-
ger der Reform irgendwie zusammenzubringen und das
zu erreichen, was auch Sie wollen, nämlich Einigkeit.
Das ist nur auf diesem Weg möglich. Alles andere be-
deutet ein Vortäuschen falscher Realitäten.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben Herrn Zehetmair zitiert, Herr Nooke. In der
„Welt“, die Ihnen sicherlich nahe steht, Herr Nooke, lau-
tet die letzte Frage an Herrn Zehetmair: Was halten Sie
davon, dass sich der Bundestag der Rechtschreibung
noch einmal annehmen will? – Die Antwort ist eindeu-
tig: Das ist ein Irrweg.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie schon Herrn Zehetmair zitieren, dann bitte
richtig!

Wir beraten heute zwei Anträge. Ich kann zusammen-
fassend feststellen: In dem Antrag der CDU/CSU steht
nichts Neues – er enthält nämlich nichts anderes als das,
was mit dem Rat bereits umgesetzt worden ist – und in
dem anderen Antrag wird zu viel gefordert und das auch
noch – das muss ich an dieser Stelle hinzufügen – viel zu
spät.

Erlauben Sie mir noch eine kurze Fußnote. In der
Presse wurde darüber berichtet, dass der eine Antrag in
der alten Rechtschreibung formuliert wurde und der an-
dere in der neuen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)


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(C (D ch habe mich gefragt, welcher das ist. Ich gestehe, dass ch es beim Lesen nicht habe feststellen können. Vielicht bin ich der Einzige. Erklären Sie es mir! (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dreimal darfst du raten!)


Ich bin zwar voll gegen den Gruppenantrag, weil sein
nhalt falsch ist. Aber er ist ehrlicher als der Antrag der
DU/CSU; denn im Gruppenantrag wird mit der Forde-
ung nach völliger Rücknahme der Rechtschreibreform
lar Position bezogen. Angesichts der aktuellen Födera-
ismusdebatte finde ich es aber ein bisschen anmaßend,
ie Sie auf Bundesebene den einheitlich gefassten Be-
chluss der Ministerpräsidenten, die dafür zuständig
ind, quasi aufheben wollen. Herr Otto, ich finde es ein
isschen happig, wie weit Sie dort gehen. Ich möchte Ih-
en folgenden Satz aus einem Urteil des Bundesverfas-
ungsgerichts zur Zuständigkeit zitieren: Regelungen
ber die richtige Schreibung für den Unterricht in den
chulen fallen in die Zuständigkeit der Länder.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber die Sprache ist nicht nur in der Schule!)


Wir wollen doch – genauso wie Sie in Ihrem Antrag –
ie Einheitlichkeit der Sprache gewährleisten. Wer das
ill, kann nicht fordern, dass nur der Bund zuständig
ein soll.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wir reden doch nicht über die Schulen, sondern über die gesamte deutsche Sprache!)


Eben, Herr Otto, wir wollen aber eine einheitliche
eutsche Sprache. Darüber sollten wir uns doch einig
ein.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Aber dafür haben die Kultusminister keine Kompetenz!)


Der Rechtschreibreform einige Zähne zu ziehen – in
er Tat gibt es mehrere Stellen, an denen man sich fragt,
ie das zustande gekommen ist – wird die Aufgabe des
ates für deutsche Rechtschreibung sein; das ist die ein-
ige Chance. Wenn er es nicht schafft, ist der Zug abge-
ahren. Deshalb unterstütze ich den Rat und nicht Schau-
nträge. Wenn die Anträge, die wir heute überweisen,
us den Ausschüssen irgendwann zurückkommen, dann
at der Rat – so hoffe ich jedenfalls – einen großen Teil
einer Arbeit schon erfolgreich erledigt.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Schauen wir mal!)


ie wärmen sich die Hände an einem populistischen
euer. Mehr ist das nicht, was Sie hier machen.
Lassen Sie mich zum Schluss den Deutschen Kultur-

at zitieren, der wohl auch etwas mit Sprache zu tun hat:
Man kann nur hoffen, dass die unendliche Ge-
schichte Rechtschreibreform nach der Kultusminis-
terkonferenz jetzt nicht auch noch den Deutschen
Bundestag dauerhaft beschäftigen wird.

em ist nichts hinzuzufügen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13557


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Eckhardt Barthel (Berlin)


Danke schön.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514528400

Herr Kollege Barthel, schon die Redezeitbegrenzung

steht der dauerhaften Beschäftigung des Bundestages
wirkungsvoll im Wege.

Nun hat der Kollege Hans-Joachim Otto für die FDP-
Fraktion das Wort.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514528500

Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, dass
sich die Sprache im Gebrauch durch die Bürgerin-
nen und Bürger, die täglich mit ihr und durch sie le-
ben, ständig und behutsam organisch weiterentwi-
ckelt. Mit einem Wort: Die Sprache gehört dem
Volk.

Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat dieses Hohe
Haus im März 1998 mit Mehrheit beschlossen.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau hiergegen verstößt die Rechtschreibreform und
genau hier liegt der Kardinalfehler.


(Beifall des Abg. Ernst Burgbacher [FDP] sowie der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/CSU] und der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es war ganz sicher ein Fehler, zu glauben, dass man
die sensible, dynamische Struktur einer Sprache in
eine staatliche Verordnung zwängen könnte.

Ausgerechnet derjenige, der dies sagte, ist jetzt beauf-
tragt, die deutsche Sprache in eine staatliche Verordnung
zu zwängen. Es ist der designierte Vorsitzende des Rates
für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair. An dem
jahrhundertelang in Deutschland, aber auch in den aller-
meisten anderen europäischen Kulturnationen bewährten
Gebot einer behutsamen und organischen Sprach- und
Rechtschreibentwicklung durch das Volk haben sich die
Bürokraten der zwischenstaatlichen Kommission ver-
sündigt.


(Jörg Tauss [SPD]: Sind die Schweiz und Österreich keine Kulturnationen? Da gibt es überhaupt keine Debatte!)


Sie folgten bewusst oder unbewusst der Ideologie eines
Initiators der Reform, des SED- und PDS-Mitglieds
Dieter Nerius, der die Rechtschreibreform wörtlich be-
zeichnete als „eine Maßnahme der Sprachlenkung, die
nur vom Staat durchgesetzt werden kann“.


(Jörg Tauss [SPD]: Quark!)

Staatliche Sprachlenkung ist genau das, was die Unter-
zeichner des Gruppenantrags jetzt und für alle Zukunft
verhindern möchten.



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(C (D (Jörg Tauss [SPD]: Die zwischenstaatliche Kommission bestand nur aus Wissenschaftlern, Herr Otto!)


Lieber Herr Tauss, Sie sollten lieber schweigen.
Es sind weit mehr Kolleginnen und Kollegen, die den

nhalt dieses Gruppenantrags unterstützen. Ich nenne
ier die Kollegin Dr. Vollmer und den Kollegen Winkler
on den Grünen – ich hoffe, ich schade ihnen nicht –, die
iese Position inhaltlich teilen.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

ine nicht geringe Zahl von Kollegen aus Ihrer Fraktion,
ieber Herr Tauss, haben mir gesagt, sie würden diesen
ntrag gern unterstützen, sähen sich daran aber durch
en Druck Ihrer Fraktionsführung gehindert. Das ist ein
rmutszeugnis für die Fraktionsführung.


(Günter Nooke [CDU/CSU] an die SPD gewandt: Doch, doch! Das müsst ihr schon einsehen!)


Es gab in der deutschen Geschichte schon einmal ei-
en Versuch staatlicher Sprachlenkung, nämlich die
echtschreibreform von 1876. Schon damals scheiterte
er Versuch nachhaltig. Auch die jetzige Rechtschreib-
eform ist grandios gescheitert. Sie hatte zwei zentrale
iele:
Erstens: die einfachere Erlernbarkeit. Das Gegen-

eil ist eingetreten. Nach einer jüngst veröffentlichten
ntersuchung hat die Rechtschreibreform das Erlernen
er Orthographie nicht etwa vereinfacht, sondern, im
egenteil, erschwert. Die Anzahl der Regeln hat nicht
b-, sondern zugenommen.
Zweitens: die Einheit der deutschen Sprache. Die-

es Ziel ist – das ist nun wirklich unbestreitbar – wirk-
ich völlig verfehlt worden. Das Gros der Schriftsteller,
arunter die Nobelpreisgewinner Günter Grass und
lfriede Jelinek, die führenden Buchverlage, die bedeu-
endsten Zeitungen und Zeitschriften, die gesamte deut-
che Schreibkultur, nicht zuletzt zwei Drittel des deut-
chen Volkes – Sie wollen doch noch immer eine
olkspartei sein – haben sich von der Neuschreibung mit
rausen abgewandt.


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)

er die Einheit der deutschen Sprache will – wir wollen
ie –, der muss von einer staatlich verordneten Schlecht-
chreibreform konsequent Abstand nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Günter Nooke [CDU/CSU]: Das heißt aber nicht zur alten zurück!)


Abschließend möchte ich noch auf einige Einwände
ingehen:
Der Bundestag ist – Herr Schmidt, das sagen Sie

och immer – unzuständig. Ich frage Sie, warum die
undesregierung das entscheidende Dokument, näm-
ich die „Wiener Absichtserklärung“, mit unterzeich-
et hat. Die Bundesregierung hat mit verhandelt und

13558 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


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Hans-Joachim Otto (Frankfurt)


mit unterzeichnet. Wir Bundestagsabgeordneten sind in
jedem Fall berechtigt, einen Appell an die KMK zu
richten.

Abwegig ist auch der Hinweis auf angebliche Mehr-
kosten: Selbst die glühendsten Verfechter der Reform


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zum Beispiel die hier nicht anwesenden FDP-Mitglieder!)


wollen nochmals nachbessern. Die Schulbücher müssen
also ohnehin umgeschrieben werden.

Nun zum Hinweis auf die Schüler, die die neuen Re-
geln bereits gelernt haben.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut sogar!)

Antje Vollmer hat völlig Recht: Wir müssten uns bei den
Schülern entschuldigen,


(Jörg Tauss [SPD]: Warum?)

sie das Falsche gelehrt zu haben. Unsere Bereitschaft,
aus Fehlern zu lernen und sie für die Zukunft zu korri-
gieren, hat im Übrigen Vorbildfunktion, vor allem für
Kinder.

Zum Abschluss noch ein Wort zum viel zitierten Rat
für deutsche Rechtschreibung. Dass dies eine bloße
Alibiveranstaltung ist,


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

in der sich die Bürokraten eine satte Mehrheit gesichert
haben, belegt der wohl begründete Rückzug des
P.E.N.-Zentrums und der Deutschen Akademie für Spra-
che und Dichtung. Den designierten Vorsitzenden dieses
Rates, den von mir wirklich sehr geschätzten Hans
Zehetmair, möchte ich an seine eigene Erkenntnis vom
vergangenen Jahr erinnern.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514528600

Sie müssen sich jetzt aber sehr beeilen. Ich hoffe, das

ist Ihnen klar, Herr Kollege.

Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514528700

Das tue ich. Ich zitiere noch Herrn Zehetmair und

dann bin ich fertig.
Zehetmair sagte:
Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen
dürfen. Die Politik darf sich nicht anmaßen, die
Sprache zu reglementieren.

Lieber Hans Zehetmair, auch der Rat darf sich nicht an-
maßen, die Sprache zu reglementieren. Geben Sie die
Sprache dem Volk zurück! Verzichten Sie auf eine staat-
lich verordnete Rechtschreibreform.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war völlig daneben!)


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(C (D Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen inkler das Wort. (Jörg Tauss [SPD]: Kollege Winkler, nun stellen Sie das mal richtig! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt wird es auch nicht besser!)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514528800


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜEN)

Das werden wir ja gleich sehen, Herr Schmidt. – Herr

räsident! Da mich der Kollege Otto hier unerhörter-
eise angesprochen hat, muss ich jetzt zu meinem Ver-
alten, was den Antrag betrifft, doch Stellung nehmen.
Zum einen ist es so – auch Sie haben das schon erle-

en können –: Das Verhalten eines Abgeordneten einer
egierungsfraktion wird manchmal mehr in geordnete
ahnen gelenkt, als man es sich als frei gewählter Abge-
rdneter wünscht. In diesem Fall war es so, dass die Vor-
tände beraten und sich darauf geeinigt haben, diese Ab-
timmung nicht freizugeben. Vermutlich hat man
edacht, Ihrem Antrag, Herr Kollege Otto, werde ge-
olgt, wenn man die Abstimmung darüber freigibt. Dem-
ntsprechend habe ich mich dazu hinreißen lassen,
eine Unterschrift zurückzuziehen, obwohl ich Ihren
ntrag vollinhaltlich unterstütze. Das will ich hier noch
inmal sagen.


(Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Zum anderen sagen die Befürworter, man dürfe es
en Kindern nicht antun, die Reform jetzt wieder zu-
ückzunehmen. Das ist, finde ich, eine perfide Argumen-
ation; denn die, die von Anfang dagegen waren, haben
erade der Kinder wegen davor gewarnt, diese kom-
lette Umstellung vorzunehmen. Das ist eine Verdre-
ung der Tatsachen.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Der Herr Zehetmair gehört auch zu denen, die die Re-
orm gegen die breite Öffentlichkeit in Deutschland
urchgepeitscht haben. Es ist ein Treppenwitz der Welt-
eschichte, wenn der, der das gegen den Widerstand der
reiten Öffentlichkeit durchgesetzt hat, jetzt den Vorsitz
bernimmt und sagt, es sei ein Irrweg, wenn sich der
undestag damit befasse.


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP] – Günter Nooke [CDU/CSU]: So ist es!)


as ist überfällig. Es ist eine Schande, dass Herr
ehetmair diesen Vorsitz übernimmt. Die Zusammen-
etzung des Gremiums ist völlig inakzeptabel. Meiner
einung nach ist es richtig, dass sich die Reformgegner
icht darauf einlassen, da mitzuarbeiten.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13559


(A) )



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Josef Philip Winkler

Wenn die Anglizismen, deren Übernahme immer wie-

der heftig kritisiert worden ist, der GAU waren, dann ist
die Rechtschreibreform der Super-GAU der deutschen
Sprache.

Herzlichen Dank.

(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP] und der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/CSU])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514528900

Das war eine bemerkenswerte Kurzintervention, die

insbesondere wegen der subtilen Hinweise auf das gele-
gentliche Spannungsverhältnis zwischen individueller
Meinungsbildung und Absichten der eigenen Fraktion
keiner Erwiderung des Angesprochenen bedarf,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig!)


was uns Redezeit spart.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Es wäre schon interessant, wie er abstimmt! – HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wo der Präsident Recht hat, hat er Recht! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Der Präsident hat meist Recht! – Zuruf von der CDU/CSU: Er formuliert das immer so schön!)


– Nach der Geschäftsordnung hat er immer Recht. Damit
können wir das abschließen.

Nun hat die Kollegin Grietje Bettin das Wort.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514529000

Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Ehrlicherweise muss ich wohl sagen, dass ich an
der Rechtschreibreform ebenso wenig Freude hatte, wie
ich Freude an der Diskussion habe, die wir heute führen,
nämlich an der Diskussion darüber, sie wieder rückgän-
gig zu machen.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist humorlos!)


Es war schon damals ein öffentliches Ärgernis. Kaum
jemand in Deutschland konnte so richtig verstehen,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig! So weit ist das richtig!)


warum die Reform überhaupt notwendig war. Entspre-
chend negativ war dann auch die öffentliche Stimmung.

Doch damit nicht genug: In meinem Heimatland
Schleswig-Holstein wurde die Reform der Rechtschrei-
bung durch einen Volksentscheid gestoppt,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Richtig! Stimmt!)


aber nur für ein Jahr; denn im Sinne der gesamtstaatli-
chen Verantwortung und der nationalen Identität, die in

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(C (D en heute vorliegenden Anträgen vielfach beschworen erden, musste die Landesregierung ein Jahr später gemeinsam übrigens mit der CDU-Opposition – diesen ntscheid missachten. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das war echte Basisdemokratie!)


ie erklärte gegen den entschiedenen Willen der Bevöl-
erungsmehrheit die Rechtschreibreform wieder für ver-
indlich. Man hatte keine andere Wahl. Der Schaden für
ie schleswig-holsteinischen Schülerinnen und Schüler,
ie Schulen und nicht zuletzt auch die Schulbuchverlage
äre einfach zu groß gewesen. Auf die Schlussfolgerun-
en aus diesem unerfreulichen Beispiel für die föderale
rdnung will ich hier nicht zu sprechen kommen.
Absurd waren allerdings manche Abwehrversuche

er Reformgegner. Eltern klagten im Namen ihrer Kin-
er dagegen, dass ihre Sprösslinge die neue Rechtschrei-
ung in der Schule erlernen – mit dem Ergebnis, dass
iese für die Dauer des Deutschunterrichts die Klasse
erlassen mussten, um in einem Extraraum ganz allein
inen gesonderten Unterricht zu genießen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist unglaublich!)

ffektiver kann man ein Kind nicht zu einem Außensei-
er stempeln.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Eine simple Kehrtwende zur alten Rechtschrei-
ung mehr als ein halbes Jahrzehnt nach der Einführung
er neuen Rechtschreibung halte ich politisch für absolut
icht verantwortbar. Diejenigen, die mit der neuen
echtschreibung Schwierigkeiten haben und am lautes-
en „Zurück!“ rufen, haben früher in der Schule die alte
echtschreibung gelernt und haben einfach keine Lust,
ich umzustellen. Das ist verständlich; das geht mir zum
eil auch so.


(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD] und des Abg. Jörg Tauss [SPD])


öllig unverständlich aber ist, dass nun gerade den be-
roffenen Schülerinnen und Schülern zugemutet werden
oll, nach wenigen Jahren noch einmal umzulernen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Die müssen doch sowieso umlernen! Die Regeln werden doch umgeschrieben!)


ir als Abgeordnete können schreiben, wie wir wollen;
ber Schülerinnen und Schüler haben keine Wahl.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Nein! Die Gesetzblätter können nicht erscheinen, wie sie wollen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der entschei-
ende Punkt, der in diesem Gruppenantrag leider kaum
erücksichtigung findet: Die Leidtragenden – –

13560 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



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Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514529100

Frau Kollegin Bettin, Ihr Hinweis, dass Abgeordnete

schreiben könnten, wie sie wollten, veranlasst den Kolle-
gen Otto zu einer Zwischenfrage.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514529200

Bitte, Herr Kollege Otto.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])

– Wir kontrollieren in Zukunft mal, wie er schreibt.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514529300

Liebe Frau Kollegin Bettin, nachdem Sie eben ge-

warnt haben, dass die Schüler noch einmal umlernen
müssten, möchte ich Sie fragen, welche Funktion der
Rat für deutsche Rechtschreibung überhaupt haben
soll, wenn er nicht neue Änderungen einführen soll?


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das ist ein Prozess, Herr Kollege!)


Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass die Schüler
und auch die deutsche Öffentlichkeit ohnedies erneut ge-
zwungen werden sollen, zum fünften Mal mit neuen Än-
derungen an der Reform, mit einer Reform der Reform
umzugehen? Müssen die Schüler nach dieser Murksre-
form nicht sowieso erneut umlernen?


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1514529400

Es ist so, dass sich Sprache permanent weiterentwi-

ckelt und wir auch immer wieder neu dazulernen müs-
sen. Wir haben immer klar gesagt, dass man da in vielen
Bereichen keine Vorschriften machen kann. Nichtsdesto-
trotz ist es jetzt so, dass die Schulbücher gemäß den
Vereinbarungen der neuen Rechtschreibung angepasst
wurden. Daran müssen wir jetzt festhalten.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sie müssen wieder umgeschrieben werden!)


– Sie müssen nicht in der Form umgeschrieben werden,
wie es bei Einführung der neuen Rechtschreibung der
Fall war. Der Ehrlichkeit halber sollten wir uns schon
eingestehen, dass es nicht zu substanziellen Veränderun-
gen durch Vorschläge dieses Rates kommen wird.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ob das Herrn Zehetmair gefällt?)


– Das weiß ich nicht. Es geht aber hier nicht darum,
Herrn Zehetmair zu gefallen.

Ich möchte noch auf einen entscheidenden Punkt ein-
gehen, der auch im Gruppenantrag nicht berücksichtigt
wurde. Die Leidtragenden einer Rechtschreibreform sind
nicht „FAZ“-Leserinnen und -Leser und einige große Zei-
tungsverlage, auch wenn sich diese als besonders gebeu-
telt hinstellen und vor Selbstmitleid fast zerfließen. Die-
ses Verhalten der Verlage hat maßgeblichen Anteil an
der derzeitigen Verunsicherung der Bevölkerung. Die

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(C (D nabgestimmte und teilweise reißerisch begleitete Rückehr zur alten Rechtschreibung zeugt nicht gerade von erantwortungsbewusstsein in den Chefredaktionen. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Starker Tobak!)


as muss ich auch als Medienpolitikerin leider feststel-
en.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)


Die Betroffenen einer Rücknahme der Reform wären
ie Schülerinnen und Schüler, vor allem diejenigen,
ie das Schreiben und Lesen erst noch lernen müssen.
iesen Aspekt in der Argumentation außen vor zu las-
en, zeugt von Ignoranz gegenüber der PISA-Erkenntnis,


(Beifall bei der SPD)

emäß der deutschen Schülerinnen und Schülern das Er-
ernen von Lesen und Schreiben in der Schule ohnehin
icht besonders leicht fällt. Ich halte deshalb ein Ein-
nicken und ein Zurück zur alten Rechtschreibung für
ildungspolitisches Abenteurertum, übrigens auch aus
ostengründen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Ernst Burgbacher [FDP])


llein für neue Schulbücher müssten dreistellige Mil-
ionenbeträge ausgegeben werden. Dieses Geld würde
n anderer Stelle fehlen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist doch Quatsch! Die müssen sowieso geändert werden!)


n Niedersachsen und im Saarland, wo es keine Lehrmit-
elfreiheit mehr gibt, müssten die Eltern wieder neue Bü-
her bezahlen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Dünne Argumentation!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Bil-
ungsbereich wirklich Wichtigeres zu tun,


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

ls Geld für eine sich ständig ändernde Orthographie zu-
ammenzukratzen. Wir brauchen das Geld dringend für
esseren Unterricht, für mehr Ganztagsschulen und viel
rühere Förderung. Die in den letzten Tagen erschienene
ECD-Studie zu den Kindergärten sagt uns doch ein-
eutig, wohin die Reise gehen soll.
Natürlich darf der Bundestag über solch ein Thema

on nationaler Bedeutung auch dann beraten, wenn er
elbst hierfür keine Gesetzgebungskompetenz hat.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich danke Ihnen! Das ist doch wirklich großzügig!)


er Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Klarheit
ür eine einheitliche Rechtschreibung“ greift durchaus
inige wichtige Punkte der Debatte auf. Einige Teile der
arin enthaltenen Analyse sind meines Erachtens durch-
us treffend formuliert.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13561


(A) )



(B) )


Grietje Bettin


(Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Danke!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, meiner Meinung
nach steht die KMK hier in der Verantwortung und muss
im Interesse der Schülerinnen und Schüler handeln. Ich
hoffe, alle Beteiligten und insbesondere die Medien neh-
men ihre Verantwortung für die nachfolgende Genera-
tion wahr, indem sie zu einer konstruktiven Lösung des
Problems beitragen. Auch wir als Abgeordnete haben
grundsätzlich diese Verantwortung wahrzunehmen. Ich
finde, dass diese Debatte bisher reichlich rückwärts ge-
wandt war.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Vorwärts gewandt!)


Deshalb hoffe ich, dass wir bei der Diskussion in den
Ausschüssen doch gemeinsam zu einer Lösung des Pro-
blems kommen.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Wir beerdigen dort die Anträge!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514529500

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin

Steinbach das Wort.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein! Das muss doch nicht sein! Wenn sie keine Redezeit bekommt, ist das doch nicht unser Bier!)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1514529600

Liebe Kollegin, man muss schon sagen, Ihre Argu-

mente hinken auf beiden Beinen. Sie haben aus Schles-
wig-Holstein berichtet und wollten damit plausibel ma-
chen, warum man eine Rechtschreibreform, die erst
einmal probeweise eingeführt worden ist, nach Ende der
Probezeit auf keinen Fall mehr rückgängig machen
könnte. Sie sagten, das Ganze würde keinen Sinn ma-
chen.

Dann darf man die Reform nicht probeweise einfüh-
ren, sondern muss sie von Anfang an endgültig einfüh-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens. Wir können als Politiker natürlich tagtäg-

lich prachtvoll über die Meinung unserer Bürger hinweg-
regieren und -agieren. Ob das besonders klug ist, möchte
ich mit drei Fragezeichen versehen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Und das gerade von den Grünen! Basisdemokratie!)


Es kommt noch eines hinzu: Die gesamte intellektu-
elle schreibende Zunft hat sich gegen diese Recht-
schreibreform gewandt. Gestern Abend erst hat Günter
Grass im Nachbargebäude der Dresdner Bank gesagt, er
sei empört über diese Rechtschreibreform. Er hat auch

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(C (D eine Gründe dargelegt. Günter Grass ist nun kein Nieand, sondern er hat ein profundes Wissen. Meine lieben Freunde, es wird immer mit dem, was ie Kinder schon gelernt haben, argumentiert. Die überroße Mehrheit in unserem Lande schreibt nach den alen Rechtschreibregeln oder ist inzwischen so irritiert, ass sie überhaupt nicht mehr richtig schreiben kann. Zu ieser Gruppe gehöre ich inzwischen. Es ist alles sehr ompliziert. Man kann eigentlich nur noch mit Goethe agen: Oh glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. Was man nicht weiß, das eben brauchte man, und was man weiß, kann man nicht brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514529700

In der Zwischenzeit hat der Kollege Schmidt mir mit-

eteilt, er fühle sich wie alle anderen Kollegen von dieser
urzintervention persönlich unmittelbar angesprochen,
erzichte aber nach gutem Zureden des Präsidenten auf
ie Möglichkeit einer Erwiderung. Das möchte ich aus-
rücklich lobend festhalten.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vielen Dank, Herr Präsident! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Selbstlobend festhalten!)


Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Heinrich-
ilhelm Ronsöhr für die CDU/CSU-Fraktion.


(Jörg Tauss [SPD]: Goethe hätte jetzt antworten können, aber der hätte Sie verrissen!)



Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU):
Rede ID: ID1514529800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Ich glaube, auch nach den beiden Kurzinterven-
ionen, dass es Not tut, in dieser Debatte endlich ein
tück weit ehrlicher zu werden. Wenn wir an der Reform
berhaupt nicht rütteln dürften, Frau Bettin, gäbe es ja
en Rat für deutsche Rechtschreibung mit dem desi-
nierten Vorsitzenden Herrn Zehetmair nicht.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist es!)


etztlich sehen doch auch diejenigen, die die Recht-
chreibreform eingeführt haben, Reformbedarf, weil sie
anches für nicht plausibel halten.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ein Prozess!)

Ich habe Frau Bettin angesprochen, weil sie das nach-
altig bestritten hat. – Ich finde es falsch, jetzt damit zu
rgumentieren, die Schulbücher müssten neu gestaltet
erden. Die müssen auch neu gestaltet werden, wenn
err Zehetmair und seine Kommission ihre Arbeit abge-
chlossen haben; denn er hat schon einigen Änderungs-
edarf angekündigt.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist es!)


13562 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Heinrich-Wilhelm Ronsöhr

Wir sollten bitte ehrlich zugeben, dass die Recht-

schreibreform viele Verwirrungen hinterlassen hat. Spra-
che, auch die geschriebene Sprache, soll faszinieren.
Nach meinem Eindruck ist das Einzige, was in Deutsch-
land noch fasziniert, die Verwirrung über die Recht-
schreibreform.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] und Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer erzeugt die denn?)


Insofern hoffe ich wirklich – das hoffe ich gemeinsam
mit Ihnen, Herr Barthel –, dass der Rat für deutsche
Rechtschreibung erkennt, wie wichtig unsere Aufgabe
ist.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Haben wir keine anderen Themen als solch läppischen Kram?)


Ich lege ja nicht, wie Herr Zehetmair in der „Welt“ un-
terstellt hat, ein Regelwerk für die Rechtschreibung fest,
sondern ich mache meine Sorge deutlich, dass es zu ei-
ner uneinheitlichen Rechtschreibung in Deutschland
kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Dann erzählen Sie das dem „Spiegel“, der „Frankfurter Allgemeinen“ oder sonst wem!)


Natürlich kann man sagen: Die Schüler müssen so
schreiben, wie es die Kultusminister festgelegt haben.
Das ist richtig. Aber wenn die Schüler die Einzigen sind


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist das!)


und Verlage oder Schriftsteller nach den alten Regeln
schreiben – Frau Steinbach hat eben zu Recht darauf hin-
gewiesen –, dann lernen die Schüler nur für die Schule,
aber nicht für das Leben. Deshalb gilt es, die Recht-
schreibregeln wieder mit mehr Akzeptanz zu versehen.
Wir können die Reform nur dann noch erfolgreich ge-
stalten, wenn wir Herrn Zehetmair und seine Kommis-
sion befähigen, das Reformwerk so auszugestalten, dass
es zu einer größeren Akzeptanz der Regeln kommt. Ich
denke zum Beispiel an die verwirrenden Regeln bei
Trennungen oder bei eingedeutschten Anglizismen, auf
die Sie zu Recht hingewiesen haben und aus denen man-
che Fehler herrührt. Oft weiß man wirklich nicht, wes-
halb ein Begriff so und nicht anders geschrieben wird.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sollten eine Quotenregelung einführen!)


In der Rechtschreibreform fehlt es an einer Plausibili-
tätskontrolle. Das zu verbessern und zu verändern, aber
andererseits eine Einheitlichkeit bei der Rechtschreibung
zu erhalten, ist, glaube ich, ungemein wichtig. Von daher
ist unser Antrag sinnvoll.

Meine Damen und Herren, wenn der Bundestag sich
bei der Sprache nicht einmal dieses Themas annehmen
darf, dann verstehe ich unsere Aufgabe nicht richtig.

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(C (D ann können wir auch den Kulturausschuss gleich wieer einstampfen. Denn ich glaube, dass Sprache ein ganz ichtiges Anliegen des Kulturausschusses und damit uch des Deutschen Bundestages ist. Ich finde es von daer richtig, dass der Bundestag sich heute dieser Diskusion annimmt, vielleicht auch mit unterschiedlichen Akenten. Hoffentlich gelingt es wirklich, die unterschiedlichen tränge wieder zusammenzuführen. Für mich ist es unemein wichtig, dass wir das Sinnvolle an der Reform rhalten, aber das Sinnlose beseitigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der FDP und der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


(Beifall des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU])


ass es Sinnloses gibt, geben doch inzwischen alle zu.
un wir doch nicht so, als wenn wir das noch bestreiten
üssten! Dass es manches Sinnlose zu beseitigen gibt,
st auch in der Rede von Herrn Barthel deutlich gewor-
en. Das hier zu bestreiten ist doch falsch. Wenn wir das
ritisch hinterfragen, stellen wir fest, dass wir da gar
icht so weit voneinander entfernt sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Doch, ziemlich!)

etonen wir auch einmal die Gemeinsamkeiten!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie müssen nicht solch einen Popanz aufbauen!)

Wir bauen keinen Popanz auf. Ich glaube, dass es kein
opanz ist, über Sprache, Sprachentwicklung und Recht-
chreibung zu sprechen. Wenn Rechtschreibung nur
och etwas mit Recht-haben-Wollen zu tun hat – –


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wer will denn Recht haben?)


Dann kann ich nicht verstehen, was die Kultusminister
emacht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass es zu eini-
en Korrekturen kommt und dass Herr Zehetmair die ei-
ene Reform so korrigieren kann, dass sie eine größere
kzeptanz in der deutschen Bevölkerung und im
eutschen Sprachraum findet. Diese Akzeptanz anzu-
treben ist ungemein wichtig. Wenn uns das durch diese
ebatte gelingt, dann tragen alle dazu bei, auch diejeni-
en, die sich von der neuen Rechtschreibung wieder ent-
ernt haben und zur alten zurückgekehrt sind. Dann ha-
en auch sie etwas Sinnvolles für unser ganzes deutsches
olk geleistet.
Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514529900

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist

er Kollege Jörg Tauss für die SPD-Fraktion.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13563


(A) )



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Vizepräsident Dr. Norbert Lammert


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Drei Minuten von seiner Redezeit hat er schon durch Zwischenrufe verbraucht! – Heiterkeit)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514530000

Nein, lieber Kollege Otto, diesen Gefallen tue ich Ih-

nen heute nicht.
Lieber Herr Präsident! Frau Landesvorsitzende!

Heute beenden wir das Sommertheater, das hier begon-
nen worden ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514530100

Sie fangen aber so an, als wollten Sie es fortsetzen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514530200

Wir reden hier übrigens über 0,5 Prozent des Wort-

schatzes, um einmal die Dimension klar zu machen.
Es ist interessant, einmal aufzurollen, wie das Som-

mertheater begonnen hat. Ausgangspunkt waren zwei
Unionsleute: ein Ministerpräsident, ein Möchtegern-Mi-
nisterpräsident. Beide sind mit ihrem Anliegen als Bett-
vorleger gelandet.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache, bitte!)


Von Tigern ist nicht die Rede.
Interessant ist aber die Historie. Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen von FDP und CDU/CSU, 1988
wurde die Debatte in Gang gesetzt, zu Ihrer Regierungs-
zeit. Der KMK-Beschluss erfolgte 1996, zu Ihrer Regie-
rungszeit. Damals war übrigens Herr Rüttgers Bildungs-
minister. In dieser Zeit hat man von ihm überhaupt
nichts zu diesem Thema gehört.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist aber eine sehr kleine parteipolitische Münze!)


Erst als er Oppositionsführer in NRW war, hat er sich ge-
dacht, er müsse zu diesem Thema reden.

Er war übrigens nicht einmal zuständig. Interessanter-
weise war das damals Herr Kanther. Warum ausgerech-
net Herr Kanther für die Rechtschreibreform zuständig
war, weiß ich nicht. Vielleicht hat er sich mehr mit
schwarzen Koffern beschäftigt, als die Probleme, die Sie
alle beklagen, aufgetaucht sind.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das war eine so schöne Debatte, Herr Tauss! Das wird jetzt nichts mehr!)


Aber er veranstaltete eine Anhörung, zu der ich übrigens
noch komme.

Die zweite illustre Gruppe waren die Chefredakteure
von „Spiegel“, „FAZ“ und „Bild“, die einmal Politik ma-
chen wollten. Dass ausgerechnet das Gaga-Blatt „Bild“
als Hüterin der deutschen Sprache auftritt, ist eigentlich
eine Peinlichkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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(C (D rau Kollegin Vollmer, Sie wissen, dass ich Sie sehr chätze. Aber dass Sie sich heute von der „Bild“-Zeitung ür Ihren Beitritt zu diesem Antrag haben feiern lassen, inde ich schade. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dritte Gruppe ehme ich ernst: Die Schriftsteller äußern sich in großer orge um die deutsche Sprache. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wenigstens das!)


ber diese Schriftstellerinnen und Schriftsteller sind
berhaupt nicht betroffen; denn sie haben die künstleri-
che Freiheit, zu schreiben, wie sie wollen. Wenn sie
ollen, können sie Schifffahrt und den Pfiff des Schiffes
der eines Zuges mit fünf „f“ schreiben.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das zum Stichwort „Einheit der deutschen Sprache“!)


So weit zur Einheit der deutschen Sprache.
Lieber Kollege Ronsöhr, zu dem Minnesang möchte

ch Folgendes sagen.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514530300

Herr Kollege Tauss, sind Sie bereit – wenn ja, in wel-

her Reihenfolge –, Zwischenfragen der Kollegin
engsfeld und des Kollegen Bergner zu beantworten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514530400

Ich würde die Fragen in dieser mir sympathischen
eihenfolge zulassen.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514530500

Frau Lengsfeld, bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514530600

Erinnern Sie mich bitte daran, dass ich mit dem Min-

esang fortfahre.

Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1514530700

Herr Kollege Tauss, Sie haben sicherlich Recht, wenn

ie sagen, dass die Schriftsteller nach wie vor schreiben
önnen, wie sie wollen. Ist Ihnen aber bewusst, dass es
ine Verordnung gibt, nach der nur Texte in Schulbü-
hern abgedruckt werden dürfen, die in der neuen
echtschreibung verfasst sind? Beispielsweise würden
exte des Schriftstellers Reiner Kunze, der in der DDR
erfolgt wurde und der seit Jahren ein sehr engagierter
ämpfer für die alte Rechtschreibung ist, aus den Schul-
üchern verschwinden, nur weil sie in der alten Recht-
chreibung verfasst wurden. Finden Sie das wirklich an-
emessen?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Gute Frage!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514530800

Liebe Frau Kollegin, Sie irren sich.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Nein, sie irrt sich nicht!)


13564 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Jörg Tauss

Sowohl der Minnesang, über den ich vorhin sprechen
wollte, als auch die Stücke von Goethe – denken Sie bei-
spielsweise an den Urfaust – sind selbstverständlich in
der damaligen Rechtschreibung abgedruckt. Probleme
tauchen nur auf, wenn im Unterricht Texte aus Zeitungen
behandelt werden. Da würde ich den Schulen empfehlen,
nur die Zeitungen für den Unterricht heranzuziehen, die
sich vernünftigerweise der neuen Rechtschreibung be-
dienen.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Das war jetzt eine Ausrede, Herr Tauss!)


Jetzt ist der Kollege Bergner an der Reihe.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1514530900

Herr Kollege Tauss, ich möchte an die Frage von Frau

Lengsfeld anschließen. Wir sind nun beide Mitglieder
des Bildungsausschusses. Halten Sie es tatsächlich für
pädagogisch sinnvoll, wenn wir Schülern in den Schul-
büchern eine andere Rechtschreibung vermitteln, als sie
in der Literatur zu finden ist?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Auch eine gute Frage! Es wird immer besser!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1514531000

Lieber Kollege Bergner, auch diese Frage zielt ein

bisschen am Problem vorbei,

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt eine Antwort!)

weil im Unterricht Literatur verwendet wird, die in der
Tat die unterschiedlichsten Formen der Rechtschreibung
aufweist. Es kommt darauf an, zu welcher Zeit die Lite-
ratur verfasst worden ist.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich lese auch die Bibel mit alter Rechtschreibung! Wo ist das Problem?)


Das gilt übrigens auch für Theaterstücke.
Eine Hauptschullehrerin aus meinem Wahlkreis sagte

mir heute – ich musste wegen einer Beerdigung heute
Mittag dorthin fahren –, dass die Schülerinnen und
Schüler mit der neuen Rechtschreibung bestens zurecht-
kommen. Diese Lehrerin hat mich gebeten, heute Abend
meinen Kolleginnen und Kollegen auszurichten, dass es
im Unterricht mit der neuen Rechtschreibung weniger
Probleme gibt als mit der von Ihnen so geschätzten alten
Rechtschreibung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Deswegen haben die Schüler so viele Fehler in den Diktaten!)


Ich möchte noch eine Bemerkung zu den Journalis-
tinnen und Journalisten sowie zu den Schriftstellerin-
nen und Schriftstellern machen.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Zum Minnesang!)


Herr Kanther hatte 1996 zu einer Anhörung eingeladen
und um eine Stellungnahme zur Rechtschreibreform ge-

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(C (D eten. Keine der Gruppen der Schriftsteller und Publizisen, die um eine Stellungnahme gebeten wurden, hat sich eäußert: weder die beiden PEN-Zentren in Ost und est noch der Deutsche Journalisten-Verband oder die eutsche Gesellschaft für Publizistikund Kommunikaionswissenschaft. Ich halte es zum Teil für heuchlerisch, enn sich heute diese Gruppen zum Wortführer aufchwingen. Sie haben in den vergangenen Jahren „geennt“. Erst als die Entscheidung gefallen war, haben sie ich gemeldet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


ch sage noch einmal, dass wir uns über nur 0,5 Prozent
es Wortschatzes aufregen.
Herr Kollege Otto, ich weise Ihren Vorwurf, der nicht

air ist, zurück. Was müssen Sie für ein Politikverständ-
is haben, dass Sie hier die Politik rügen? Politik darf
nd muss Entscheidungen fällen. Wir sollten uns deswe-
en nicht gegenseitig beschimpfen. Hier ist aber zu sa-
en, dass das Regelwerk nicht von der Politik erarbeitet
orden ist.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was ist mit der Kulturministerkonferenz?)


as Regelwerk ist von der zwischenstaatlichen Kom-
ission erarbeitet worden, die aus fachlich ausgewiese-
en Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissen-
chaftlern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
estand und die ab 1988 im Auftrag der KMK und des
MI gearbeitet hat.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Halten Sie das Zustandekommen für demokratisch?)


In dem Antrag der Unionsfraktion werden die Kultus-
inister der Länder aufgefordert, schnellstmöglich dafür
u sorgen, dass der unbefriedigende und verunsichernde
ustand durch eine klare Entscheidung beendet wird. Ich
leibe dabei – mit meinem Zwischenruf habe ich es vor-
in schon zum Ausdruck gebracht –, dass die Verunsi-
herung allein durch diejenigen verursacht wird, die seit
em Sommer diese Debatte über die Rechtschreibreform
ühren.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Lachhaft!)


ie war im Grunde genommen nahezu abgeschlossen.

(Beifall bei der SPD)


Wenn Sie, Herr Kollege Otto, sagen, dass Sie sich von
ürokraten nicht vorschreiben lassen, wie Sie zu schrei-
en haben, dann kann ich nur sagen: Dieses Argument
ätte mir früher als Schüler einfallen müssen. Was wäre
ohl passiert, wenn ich das meiner Lehrerin entgegen-
eschmettert hätte? Wo sind wir denn überhaupt?


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Im Bundestag!)


elbstverständlich brauchen wir Regeln im Unterricht,
ach denen gearbeitet werden kann.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13565


(A) )



(B) )


Jörg Tauss

Die Kollegin Bettin hat die Frage der Kosten ange-

sprochen. Ich kann daher darauf verzichten, dies aus-
führlich darzustellen.

Eines tröstet mich: Die „FAZ“, die sich mit an die
Spitze der Bewegung gegen die Rechtschreibreform ge-
stellt hat, titelte, wie ich kürzlich gelesen habe, über ei-
nen Beitrag – ich glaube, es ging um Fußball – nur ein
Wort: „Albtraum“. Sie schrieb Albtraum mit „b“.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist richtig!)


Das heißt, selbst die Gegner der Reform haben die Re-
form schon so verinnerlicht, dass sie auf die bewährten
neuen Reformvorschriften zugreifen. Das tröstet mich.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist doch Unsinn!)


Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Hans-Joachim Otto [Frank furt] [FDP]: Das ist doch völlig falsch!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514531100

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir nun – –

(Jörg Tauss [SPD]: Albtraum schreibt sich mit „b“, Herr Kollege Otto! Der alte Alptraum schrieb sich mit „p“! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sie sind kein Deutschlehrer, oder? – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das ist sächsisch, Herr Otto!)


– Kann ich denn nun die Aussprache schließen?

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Vorübergehend!)

Dann erlaube ich mir drei knappe Bemerkungen, be-

vor wir die diskutierten Vorlagen vermutlich an die vor-
gesehenen Ausschüsse überweisen.

Erstens. Dass der Deutsche Bundestag ein Thema auf
seine Tagesordnung setzt, das die deutsche Öffentlich-
keit ganz offensichtlich intensiv beschäftigt und das von
deutschen Klassenzimmern bis zu deutschen Akademien
manche Aufregungen erzeugt hat, ist gewiss nicht zu be-
anstanden, auch wenn es für solche Initiativen neben
freundlichen auch unfreundliche Kommentare gegeben
hat.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Es wäre besser gewesen, wir hätten früher darüber debattiert und nicht erst um 21.45 Uhr!)


Zweitens. Ich finde im Angesicht vieler Aufregungen
um die Rechtschreibreform die Erfahrung eher tröstlich,
dass es in diesem Lande offenkundig noch Dinge gibt,
die sich politischen Gestaltungsabsichten entziehen, völ-
lig gleichgültig, ob es sich um exekutive oder legislative
Versuchungen handelt.

Drittens. Es wäre schön, wenn die Vorlagen, die wir
gleich überweisen, anschließend das Plenum mit einer
Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses
wiedersehen würden, die diesen Einsichten Rechnung
trägt.

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(C (D (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sehr schön! Schauen wir mal! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Welchen?)


Nun frage ich, ob Einvernehmen besteht, die Vorlagen
uf den Drucksachen 15/4261 und 15/4249 zur federfüh-
enden Beratung an den Ausschuss für Kultur und Me-
ien und zur Mitberatung an den Innenausschuss sowie
n den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
bfolgenschätzung zu überweisen. Gibt es dazu ander-
eitige Vorschläge? –


(Jörg Tauss [SPD]: Am liebsten würde ich es ablehnen!)


öchte jemand den Haushaltsausschuss beteiligen? –
uch das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisun-
en so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Weltbevölkerung und Entwicklung – zehn
Jahre nach Kairo

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Annette
Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Weltbevölkerungspolitik zehn Jahre nach
Kairo

– Drucksachen 15/3812, 15/3798, 15/4041 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Kortmann
Sibylle Pfeiffer
Thilo Hoppe
Markus Löning

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollte über
iese beiden Anträge insgesamt 30 Minuten diskutiert
erden. Die Kolleginnen und Kollegen Karin Kortmann,
ibylle Pfeiffer, Thilo Hoppe und Ulrich Heinrich haben
hre vorbereiteten Reden zu Protokoll gegeben.1) – Auch
azu erhebt sich kein Widerspruch.
Dann können wir damit die Aussprache für beendet

rklären und zur Abstimmung über die Beschlussemp-
ehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammen-
rbeit und Entwicklung auf Drucksache 15/4041 zu die-
en Anträgen kommen. Der Ausschuss empfiehlt in
einer Beschlussempfehlung, die beiden genannten An-
räge zusammenzuführen und in der Ausschussfassung
nzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
ung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
timme? – Dann ist diese Beschlussempfehlung bei

Anlage 5

13566 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Stimmenthaltung der gesamten FDP-Fraktion mit großer
Mehrheit angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(21. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen),
Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Abriss des Palastes der Republik nicht verzö-
gern
– Drucksachen 15/3315, 15/3887 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Barthel (Berlin)

Günter Nooke
Dr. Antje Vollmer
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)


Hierzu liegt ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion
vor.

Auch hierüber soll eine halbe Stunde diskutiert wer-
den. – Darüber besteht offensichtlich Einvernehmen.
Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Eckhardt Barthel für die SPD-Fraktion das Wort.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Aber du redest jetzt nicht elf Minuten? – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das verspreche ich dir!)


– Vielleicht geht der Abriss ja schneller.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1514531200

Meine Damen und Herren! Das ist nun der fünfte

Aufbruch zum selben Thema. Ich zitiere sonst nicht
große Leute, aber bei Nietzsche heißt es, Geschichte sei
eine ewige Wiederkehr des immer Gleichen. Irgendwie
passt das zu diesem Thema: Es wird immer wieder das-
selbe gesagt und dies dummerweise von denselben Leu-
ten.

Ich komme ganz kurz zu der Situation, aufgrund de-
ren ich meine, dass dieser Antrag total überflüssig ist.
Wir haben am 4. Juli 2002 den Beschluss gefasst, den
Palast abzureißen und das Schloss aufzubauen,


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Ein guter Beschluss!)


und ein Nutzungskonzept, das gerade gestern im Kultur-
ausschuss von Herrn Lehmann noch einmal sehr plas-
tisch und sehr angenehm vorgetragen wurde, sowie Vor-
schläge zur Platzgestaltung vorgelegt. Dieser Beschluss
steht; dennoch wird er immer wieder infrage gestellt und
dauernd wird noch einmal untersucht, ob dabei nicht
noch etwas schief gehen könnte. Das sollten wir sein las-
sen. Ein Beschluss des Deutschen Bundestages ist ein
Beschluss des Deutschen Bundestages ist ein Beschluss
des Deutschen Bundestages. Dabei sollte es auch blei-
ben.



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(C (D (Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Wann wird der Beschluss ausgeführt?)


Dazu komme ich gleich.
Im Sommer ist leider Gottes eine blöde Sommerloch-

iskussion entstanden, weil einige Leute, die dem An-
rag damals zugestimmt hatten, angesprochen haben,
ass Ding stehen zu lassen, solange nicht klar sei, dass
as Schloss gebaut wird. Ich habe das für falsch gehalten
nd halte es weiterhin für falsch. Aber auch dies ist in-
wischen vom Tisch.
Ebenso ist bekannt, dass wir im vorigen Jahr ein
oratorium für zwei Jahre beschlossen haben, das zur
lanung und meiner Meinung nach auch für den Abriss
enutzt werden sollte. Wir wissen, dass dahinter auch
ie Frage stand, wie wir das Geld zusammenbekommen.
70 Millionen Euro sind bestimmt kein Pappenstiel. Es
st doch recht schwierig, bestimmten Bevölkerungsgrup-
en zu vermitteln, dass in dieser Zeit für so viel Geld ein
chloss gebaut werden soll.
Was den Abriss angeht, müssen wir uns darüber klar

ein, dass es hier nicht um eine Datsche geht. Dies ist ein
chwieriges Unterfangen: Die Statik ist schwierig, der
rund ist schwierig. Es besteht Angst, dass andere Bau-
en davon negativ beeinflusst werden könnten. Auch
ind die Probleme in Bezug auf das Grundwasser noch
icht gelöst. Es gibt sehr viele unterschiedliche Meinun-
en, wie es weitergehen soll. Ich kann nur hoffen, dass
s bei dem bisher Gesagten bleibt, wonach die Kosten
ür den Abriss 20 Millionen Euro nicht überschritten,
ber ich bin skeptisch, ob dies einzuhalten ist.
Nun will ich zu der Frage kommen, wann dieses Vor-

aben beginnt. Wir haben eine feste Planung auch für
en Abriss.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Die ist mehrfach über den Haufen geworfen worden!)


Eine Sekunde. – An dieser Stelle muss man ehrlicher-
eise sagen: Bedauerlicherweise – meinetwegen auch
einlicherweise – ist es beim Berliner Senat bei der Aus-
chreibung zu einem Fehler gekommen.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Vorsätzlich!)

Das würde ich so nicht sagen, weil ich Menschen so et-
as nicht zutraue.


(Zurufe von der CDU/CSU)

Sie können sagen, was Sie wollen. Das stimmt aber
icht.
Das Angenehme ist, dass das Ingenieurbüro, das Be-

chwerde beim Kammergericht eingereicht hatte,

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Die Klage zurückgenommen hat!)

iese jetzt zurückgezogen hat. Das ist gut, weil es damit
einen Gang gehen kann. Heute ist die Nachricht gekom-
en, dass in neun Monaten mit dem Abriss begonnen
erden kann.
Ich hoffe allerdings, dass bis dahin klar ist, dass nicht

ur etwas abgerissen wird. Vielmehr muss auch das da-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13567


(A) )



(B) )


Eckhardt Barthel (Berlin)


hinter Liegende, insbesondere der Dom, gesichert wer-
den. Einige denken wohl nur daran, dass jemand einen
Fehler gemacht hat. Dahinter steckt mehr als nur ein
kleiner Abriss. Insofern bin ich froh, dass es sich jetzt
nur noch um eine begrenzte Zeit handelt, die jeder auf
seine Art – mit Schimpfen oder mit Freude – genießen
kann.

Eigentlich wäre ich jetzt schon am Ende meiner Rede,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wunderbar!)


weil der Antrag der CDU/CSU-Fraktion nichts weiter
hergibt. Aber das einzig Spannende an dieser Geschichte
ist der Änderungsantrag der FDP-Fraktion. Er bringt
eine neue Note in die Debatte. Das halte ich für höchst
spannend. Den Kollegen, die zurzeit nichts anderes le-
sen, darf ich die Passage vorlesen:

Der Bund wird keine weiteren Mittel für eine Zwi-
schennutzung des Palastes der Republik zur Verfü-
gung stellen. Davon ausgenommen sind Mittel für
eine Ausstellung, die sich objektiv und wissen-
schaftlich fundiert mit der gesellschaftlichen, politi-
schen und architektonischen Geschichte des Bau-
werks auseinander setzt.

Das ist in der Tat eine neue Note. Ich finde das span-
nend, weil somit zu der Frage, was in der Zeit bis zum
Abriss mit dem Palast passiert, zwei Positionen vorlie-
gen. Es sind zwar nur neun Monate,


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das werden schon noch mehr als neun Monate!)


aber die Beschäftigung mit dieser Frage ist offensicht-
lich sehr intensiv.

Wir haben zwei Positionen. Eigentlich müssten Sie
sich einmal einig werden. Die CDU/CSU fordert in ih-
rem Antrag, dass der Palast überhaupt nicht bespielt
wird, es sei denn – das muss ich einschränkend hinzufü-
gen –, er wird von kleinen Institutionen wie dem BDI,


(Renate Blank [CDU/CSU]: Die es ja bezahlen! Das sind ja keine Bundesmittel!)


der das Geld mitbringt und nicht auf öffentliche Mittel
angewiesen ist, genutzt. Solche Organisationen dürfen
den Palast nutzen, ansonsten soll keiner hinein. Die FDP
will, dass der Palast weiter bespielt wird, und würde da-
für auch öffentliche Mittel einsetzen, aber es soll nur das
gespielt werden, was die FDP will. Das ist sehr interes-
sant.


(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt kommen wir noch zur Grundsteuer!)


Trotzdem gibt es eine faszinierende Gemeinsamkeit
zwischen den Anträgen. Beide wollen verhindern, dass
freie Gruppen den Palast nutzen können. Der eine ver-
sucht es über ein Verbot, der andere will eine bestimmte
Ausstellung zeigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Über dieses Verständnis kann ich nur staunen.


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(C (D (Abg. Günter Nooke [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Herr Nooke, ich hatte versprochen, früher Schluss zu
achen. Das können Sie mir nachher erzählen.
Ich will nicht die Qualität der einzelnen Gruppen be-
erten. Das steht mir nicht zu. Das könnte ich auch gar
icht, weil ich nicht alle gesehen haben. Darum geht es
ber auch gar nicht. Das Thema lautet: Dürfen Projekte
m Palast durchgeführt werden, auch wenn sie als Pro-
ekt, nicht wegen des Spielortes, vom Hauptstadtkul-
urfonds finanziert werden? Das ist die Kernfrage bei-
er Anträge.
Ich will meine Position dazu ganz deutlich darstellen,

m mich vom Ideologieverdacht zu befreien: Ich bin
das habe ich schon mehrfach gesagt – für einen zügi-
en Abriss. Solange der Palast mit seinem morbiden
harme des Untergangs aber noch steht, möchte ich,
ass er genutzt werden kann. Künstler möchten hinein
nd sie haben ein Publikum hinter sich stehen. Es han-
elt sich um einen Zeitraum von – wenn das stimmt –
eun Monaten. Wir sollten die ganze Angelegenheit da-
er nicht zu hoch hängen.
Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen.
ie derzeitige Debatte über den Palast in Verbindung mit
em Hauptstadtkulturfonds bereitet mir ein bisschen
orge. Weil der Hauptstadtkulturfonds derzeit von meh-
eren Seiten auf so unangenehme Weise angeschossen
ird, habe ich Angst, dass dieser Fonds, eine der wich-
igsten Säulen unserer Hauptstadtkulturförderung, be-
chädigt wird. Das möchte ich verhindern.
Ihre Anträge werden Sie nicht zurückziehen; das ist

lar. Wir werden sie ablehnen. Ich bitte Sie aber, im Um-
ang mit dieser Frage, auch was den Hauptstadtkultur-
onds angeht, ein bisschen Zurückhaltung zu üben, weil
as eine ganz schwierige Geschichte ist.
Ich bedanke mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514531300

Herr Kollege Barthel, der Kollege Manfred Grund hat

ich durch Ihre Bemerkung „der Grund ist schwierig“
ersönlich angesprochen, um nicht zu sagen: angegriffen
efühlt.


(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


ch habe ihn davon überzeugt, dass dies kein persönli-
her Angriff, sondern eine streng am Grundstück orien-
ierte Bemerkung war. Damit entfällt die Möglichkeit ei-
er persönlichen Erwiderung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Kolleginnen Antje Vollmer und Petra Pau haben

hre Reden zu Protokoll gegeben.1) Sie sind ein

Anlage 6

13568 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )


)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

leuchtendes Beispiel für den folgenden Redner, Hans-
Joachim Otto für die FDP-Fraktion.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– Entschuldigung, wir wollen streng in der Reihenfolge
bleiben. Zunächst hat die Kollegen Renate Blank für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1514531400

Herr Präsident! Dass Sie die CDU/CSU vergessen, ist

natürlich ein unverzeihlicher Fehler. Zu später Stunde ist
das aber kein Problem.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514531500

Ich bitte untertänigst darum, diesen Irrtum nicht in der

Fraktion zu verbreiten.

Renate Blank (CSU):
Rede ID: ID1514531600

Kollege Barthel, die Diskussion findet zu später

Stunde, im Schutz der Dunkelheit statt. Sie ist aber sehr
wichtig. Es zeigt sich, dass wir mit unserem Antrag be-
stimmte Dinge angestoßen haben. Außerdem wollen wir
die Kontrolle darüber haben, was zwischen dem Bund
und dem Land Berlin passiert. Wenn wir unseren Antrag
nicht gestellt hätten, wäre das Land Berlin heute noch
gegen den Abriss des Palastes.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Kollege Barthel, das Verwirrspiel um diesen Abriss

verdient es wirklich, dass wir im Parlament darüber dis-
kutieren. Denn eine Versenkung dieses sich zum Trauer-
spiel entwickelnden Abrissprojektes im schriftlichen
Protokoll, wie es von Ihnen gewünscht war, wäre dem
Palast der Republik, über den die Meinungen geteilt
sind, nicht angemessen.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Schon fünfmal dasselbe!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ab
und zu werden Aussagen, die Sie noch im Sommer 2004
gemacht haben, von der Realität widerlegt oder sie sind
überholt.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, dann wird abgebrochen!)


So hat Kollege Barthel gesagt, dass die Rückbauarbeiten
im Frühjahr 2005 beginnen können. Kollegin Vollmer
sagte, es sei unerheblich, ob der Abriss Anfang Mai oder
Anfang Juli 2005 beginne. Diese Zeiträume sind keines-
falls zu halten, obwohl die Firma – Sie haben es er-
wähnt – ihren Widerspruch gegen die Ausschreibungs-
vergabe zurückgezogen hat.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Was war denn der Grund?)


Die Verhandlung vor dem Kammergericht hätte eigent-
lich heute stattfinden müssen. Aus unserer Sicht wird
sich der Beginn der Abrissarbeiten wahrscheinlich bis
zum Frühjahr 2006 hinziehen. Der Vertreter des Baumi-
nisteriums konnte im Ausschuss keine Antwort auf die
Frage nach dem Zeitraum geben.

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(C (D arum Sie von neun Monaten sprechen, ist mir durchus schleierhaft. Kollege Barthel, das Verfahren wird nach Auskunft es Bauministeriums wieder aufgenommen. Nur die ufgabenstellung wird im Ausschreibungsverfahren eu definiert. Es braucht Zeit, wenn die Aufgabenstelung neu definiert wird. Das bedeutet, dass es verschieene Projektszenarien gibt. Eine Möglichkeit ist, dass eile der vorhandenen Tiefgeschosse zunächst im Boden erbleiben. Diese Version wird vom Bauministerium faorisiert, obwohl sie im Ausschreibungstext nicht vorgeehen war. (Jörg Tauss [SPD]: Das war aber der technische Stand!)


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Ja! Richtig!)


er Berliner Senat sieht das anders und will eine Perfo-
ierung der Fundamentplatte. Das weitere Vorgehen wird
eigen, welche der Möglichkeiten zum Tragen kommt.
reiswerter wäre eine Erhaltung des Kellers.


(Beifall des Abg. Günter Nooke [CDU/CSU])

Im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
urde gestern mitgeteilt, dass alle Missverständnisse
wischen dem Bund und dem Land Berlin, die es, wie
en Medienberichten ständig zu entnehmen war, gab,
usgeräumt seien.


(Jörg Tauss [SPD]: Wunderbar!)

as wurde allerdings schon des Öfteren berichtet. Es
ehlt uns langsam der Glaube.


(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)

enn nach wie vor habe ich den Eindruck, dass der Ber-
iner Senat den Abriss verzögern will, obwohl der Regie-
ende Bürgermeister sich deutlich dazu geäußert hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Haben Sie Vertrauen! – Gegenruf der Abg. Vera Lengsfeld [CDU/ CSU]: Zu wem? Etwa zu Ihnen?)


as war der Bauteil.
Jetzt sage ich einige Worte zur Zwischennutzung.
ollege Barthel, hören Sie mir zu: Ich habe nichts gegen
ine Zwischennutzung, unter der Bedingung, dass dort
eine öffentlichen Mittel hineinfließen werden.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Dann also doch nur der BDI!)


ollege Barthel, das waren einmal Ihre Worte.

(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Für das Haus! Nicht für Projekte! – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: So ist es!)


ir bleiben bei unserer Meinung: keine Bundesmittel
ür die Zwischennutzung des Palastes der Republik bis
u seinem Abriss.
Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds sind öffentliche
ittel.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Die werden für Projekte vergeben!)


(B)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13569


(A) )



(B) )


Renate Blank

Aus diesem Grund sollen auch keine Mittel des Bundes
über den Hauptstadtkulturfonds für eine Ausstellung
über den Palast im Palast zur Verfügung gestellt werden.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch Projektförderung! – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Jetzt enttäuschst du mich aber!)


Die Jury hat dieses Projekt scheitern lassen; also brau-
chen wir darüber, auch wenn der Kultursenator des Lan-
des Berlin noch nicht aufgibt, nicht weiter zu diskutie-
ren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, manchmal führt ein
offener Krieg zwischen zwei Frauen zu einer Entschei-
dung, die uns als Opposition sehr entgegenkommt.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Abrüstung beginnt mit der Sprache!)


Damit aber keine Missverständnisse entstehen, sage ich:
Dem Chef des DHM, Herrn Ottomeyer, würden wir eine
korrekte Aufarbeitung des Themas bescheinigen. Das
sage ich nur, damit es nicht zu irgendwelcher Legenden-
bildung kommt.

Zum Abschluss noch eine pikante Sache: Herrn von
Boddien, der sich mit seinem Förderverein um den Wie-
deraufbau des Berliner Schlosses verdient macht, wurde
die Genehmigung zur Errichtung eines Informations-
und Ausstellungspavillons zum Berliner Schloss versagt.
Zur Information: Weder auf den Bund noch auf das Land
Berlin kämen Kosten zu.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das macht sehr misstrauisch!)


Die entstehenden Kosten würden nämlich vom Förder-
verein getragen. Wie kleinkariert vom Bezirksamt Mitte
von Berlin!


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Wer ist denn da der Bürgermeister in Mitte?)


Aber vielleicht fehlt die Akzeptanz des Bezirkes Mitte
für den Beschluss des Deutschen Bundestages. Hier
sollte das Bezirksamt Mitte von Berlin noch einmal
gründlich nachdenken. Zumindest wir wollen bürger-
schaftliches Engagement. Deshalb, Kollege Barthel, war
unser Antrag absolut nicht überflüssig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Jawohl! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Sache mit den zwei Frauen war überflüssig!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514531700

Nun hat der Kollege Hans-Joachim Otto das Wort.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514531800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich be-

schränke mich auf drei Erwiderungen auf den Kollegen
Barthel.

Die erste: In neun Monaten geschieht zwar normaler-
weise viel,


(Jörg Tauss [SPD]: Mit Hand und Fuß!)



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(C (D mit Hand und Fuß –, aber ich gebe hier zu Protokoll, ass ich angesichts der bisherigen Erfahrungen außerorentlich skeptisch bin, dass mit den Abbrucharbeiten in eun Monaten, vom heutigen Tag an gerechnet, begonen wird. Ich biete Ihnen, Herr Kollege Barthel, öffentich eine Wette an: (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie viel?)


enn in neun Monaten damit begonnen wird, bekom-
en Sie von mir eine wunderschöne Flasche Rotwein.


(Jörg Tauss [SPD]: Eine? Eine Kiste!)

Ihr wollt alle mittrinken? Nur mein Freund Eckhardt
arthel! Aber er wird sich über den Fall noch Gedanken
achen müssen, dass in neun Monaten erwartungsge-
äß nicht damit begonnen wird.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Ich biete eine gute Flasche Frankenwein! Machst du da auch mit? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Kollege Wiefelspütz hat einmal sein Monatsgehalt geboten!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514531900

Herr Kollege, ich möchte eigentlich nur ungern zulas-

en, dass hier mit politischen Überzeugungen Geschäfte
etrieben werden.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514532000

Das muss auch einmal zulässig sein; ich bin doch aus

iner marktwirtschaftlichen Partei.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514532100

Ich empfehle deswegen, dieses Angebot außerhalb

es Protokolls zu machen.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514532200

Nun steht es drin.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Kollege Otto, können Sie nicht wenigstens die anwesenden Kolleginnen und Kollegen in ihrer Gänze einbeziehen?)


Jetzt kommt meine zweite Bemerkung: Die Kollegin
lank hat eben den Kollegen Barthel auf eine Aussage
ufmerksam gemacht, die er getroffen habe. Er hat das
estritten.


(Jörg Tauss [SPD]: Das war missverständlich! Es geht um Projektmittel!)


a ich geahnt habe, dass das hier bestritten werden wird,
abe ich mir das herausgeschrieben und möchte hier
iedergeben, was im Protokoll der 19. Sitzung des Aus-
chusses für Kultur und Medien auf Seite 10 geschrieben
teht: Solange der Palast noch stehe, habe er nichts ge-
en eine Zwischennutzung – unter der Bedingung, dass
eine öffentlichen Mittel dort hineinfließen würden.


(Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Ja, natürlich: Nicht für den Palast! Es geht aber um Projekte! – Widerspruch bei der CDU/CSU!)


13570 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) )



(B) )


Hans-Joachim Otto (Frankfurt)


– In die Zwischennutzung, das heißt es doch von der Lo-
gik her! Lieber Herr Kollege Barthel, ein bisschen miss-
verständlich war die Aussage doch. Wir haben das da-
mals alle anders verstanden.


(Jörg Tauss [SPD]: Gut, dass Sie nachfragen!)

Aber jetzt kommt der entscheidende Punkt: Der Kollege
Barthel hat es als eine spannende Frage bezeichnet und
hat uns finstere Absichten unterstellt, dass wir für diese
Ausstellung im Palast der Republik eintreten. Wir be-
kennen uns dazu: Unsere unendliche Begeisterung für
die Staatsministerin Christina Weiss hat uns veranlasst,


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] und des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


den Vorschlag aufzugreifen; sie hat nämlich diesen Vor-
schlag gemacht. Ich halte ihn für sinnvoll.


(Günter Nooke [CDU/CSU]: Schleimer!)

Wenn überhaupt öffentliche Mittel in die Zwischennut-
zung fließen, dann für diese Ausstellung; dieser Über-
zeugung bin ich und deswegen haben wir diesen Antrag
gestellt.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Nun begründen Sie doch einmal, warum!)


Deshalb ist es erstaunlich, dass Sie meinem Antrag nicht
zustimmen wollen. Lieber Kollege Barthel, ich gebe Ih-
nen jetzt die Gelegenheit, zu reden; ich erteile natürlich
nicht das Wort, aber ich werde der Frage des Präsiden-
ten, ob ich eine Zwischenfrage zulasse, zustimmen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514532300

Ich muss Sie beide enttäuschen: Weil Ihre Redezeit

jetzt zu Ende ist, kann ich leider keine Zwischenfrage
mehr zulassen.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1514532400

Lieber Herr Kollege Barthel, ich hoffe sehr, dass Sie

dem Änderungsantrag der FDP-Fraktion, der ja gerade
der Unterstützung von Frau Dr. Weiss dient, zustimmen
werden.


(Beifall bei der FDP – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Sie ist damit zur Jury gegangen, die dafür zuständig ist! Das ist der Unterschied!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514532500

Das Wort hat nun die Kollegin Vera Lengsfeld für die

CDU/CSU-Fraktion.


Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1514532600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Kollege Barthel, es wäre ja wirklich wun-
derbar, wenn ein Beschluss des Bundestages ein Be-
schluss des Bundestages wäre und wenn die Bundesre-
gierung dem auch folgen würde. Aber Sie wissen doch
genauso gut wie ich, dass der Beschluss schon vor zwei
Jahren gefasst wurde und dann ein Jahr lang nichts pas-

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(C (D ierte. Im vorigen Jahr haben wir uns gezwungen geseen, noch einmal nachzufragen. Seitdem ist wieder ein ahr vergangen; wieder ist nichts passiert. Immer noch erunziert diese Ruine die Mitte von Berlin. Nun hat sich noch etwas anderes entwickelt: Im reise der Gegner des Abrisses des Palastes ist die Idee er Zwischennutzung entstanden. Ich sage gleich etwas dazu. – Ich nehme an, die Protaonisten dieser Zwischennutzung haben nicht nur mit ir und mit Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, sondern uch mit Ihnen gesprochen. Sie haben immer wieder ersichert, dass sie erstens den Palast nur 1 000 Tage utzen wollen und dass sie zweitens auf gar keinen Fall rgendwelche staatlichen Gelder in Anspruch nehmen erden. Dass die Projekte dieser Befürworter einer Zwichennutzung jetzt aus dem Hauptstadtkulturfonds geponsert werden, ist ein Etikettenschwindel und eine Ireführung der Öffentlichkeit. Das ist für mich wirklich eine Petitesse. Es ist für mich auch ein Etikettenschwindel, dieses anze Projekt Volkspalast zu nennen; denn mit einem olchen Titel wird natürlich die Geschichtsklitterung der ED/PDS fortgesetzt, die immer wieder behauptet hat, an dürfe diesen Palast nicht abreißen, weil er zur Idenität der Ostdeutschen gehöre und weil er immer ein Paast für das Volk gewesen sei. Ich möchte an dieser Stelle as wiederholen, was ich schon oft gesagt habe: Dieser alast der Republik ist nie ein Palast des Volkes geworen und er wird auch nachträglich nicht dazu, indem an das Zwischennutzungsprojekt Volkspalast nennt. Zu DDR-Zeiten gab es immer wieder geschlossene esellschaften im Palast, wenn die SED, der FDGB oder ie FDJ ihre Partys feierten und das Volk weiträumig usgesperrt war. Auch unter dem Etikett Volkspalast gibt s jetzt wieder geschlossene Gesellschaften. Herr Kolege Tauss, Sie können jetzt wirklich einmal zuhören, (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das fällt ihm schwer!)


(Jörg Tauss [SPD]: BDI!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


enn jetzt kritisiere ich den BDI, McKinsey und den
Focus“,


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gut!)

ie sich diesen Zwischennutzungsprojekten mit ihren ge-
chlossenen Gesellschaften angedient und dort ihre Par-
ys veranstaltet haben. Dadurch ist eine Gruppierung le-
itimiert worden, die aus ihrer Vergangenheitsfixierung
inen Hype macht.


(Jörg Tauss [SPD]: Sehen Sie es mal so: Das ist der Triumph dieses Kapitalismus!)


Ich bezeichne das einfach als den Triumph des
chlechten Geschmacks oder der Geschichtsvergessen-
eit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Das ist identisch!)


Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13571


(A) )



(B) )


Vera Lengsfeld

Es stellt sich die Frage, wie lange es in der Mitte von

Berlin so weitergehen soll und wie lange noch Steuer-
mittel im Palast versenkt werden sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wäre doch endlich einmal an der Zeit, statt ein un-
übersehbares Symbol des Scheiterns der DDR in Form
einer Ruine mitten in Berlin zu lassen, sich den Zu-
kunftsprojekten zuzuwenden.


(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/ CSU])


Dafür gibt es eine ganze Menge Vorschläge.
Ich finde, man sollte einmal darüber nachdenken, ob

nicht der Vorschlag des Herrn von Boddien angenom-
men werden sollte, in der Zeit zwischen dem Abriss des
Palastes der Republik und dem Beginn des Baus des
Schlosses nach dem Vorbild des Zukunftsthemenparks
der Expo 2000 einen Humboldt-Themenpark für
Zukunftsfragen in der Mitte Berlins zu installieren.
Dann gäbe es in der Mitte Berlins, auf dem Schlossareal,
endlich einmal einen Publikumsmagneten, der sich mit
Zukunftsfragen und nicht mit der Vergangenheit be-
schäftigt und der in die Zukunft gerichtet ist. Das wäre
einmal ein positiver Beitrag.

Es gibt europäische Hauptstädte, die so etwas schon
mit Erfolg praktiziert haben. Zum Beispiel hat Wien im
Zuge der Umwidmung des ehemaligen Messegeländes
ein solches Projekt, das auf ein sehr großes Interesse ge-
stoßen ist, erfolgreich durchgeführt. Es ist schade, dass
es innovative Ideen und Privatinitiativen in unserem
Lande nach wie vor schwer haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dazu gehört natürlich auch die Ablehnung des Bezirks-
amts von Berlin-Mitte, auf dem Schlossplatz eine Info-
box aufzustellen. Mit dieser Infobox soll über den Auf-
bau des Schlosses informiert werden. Es sollen Einzel-
heiten über das zukünftige Baugeschehen vermittelt
werden. Damit soll auch die Möglichkeit geschaffen
werden, Spenden für die Schlossfassade zu sammeln.
Man sollte sich einem solchen Projekt wirklich nicht
verschließen.

Die Dresdner haben es uns schließlich vorgemacht,
wie man mit viel Eigeninitiative und Willen ein Gebäude
buchstäblich aus Ruinen wiedererstehen lassen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das kann man nicht vergleichen!)


Ich finde, es ist wirklich mehr als eine Posse, dass Berlin
lieber an seiner Ruine festhält, statt beherzt etwas Neues
zu schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1514532700

Ich schließe die Aussprache.

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(C (D (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist ein guter Vorschlag!)


Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
chusses für Kultur und Medien auf Drucksache 15/3887
u dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
Abriss des Palastes der Republik nicht verzögern“. Zu
em Antrag auf Drucksache 15/3315 liegt ein Ände-
ungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zu-
rst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag
uf Drucksache 15/4411? – Wer stimmt dagegen? – Wer
öchte sich der Stimme enthalten? – Das hat tatsächlich
icht gereicht. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck-

ache 15/3315 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
chlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
ält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mehr-
eitlich angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Apothekengesetzes
– Drucksache 15/4293 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Die dazu vorgesehene Debattenzeit wird nicht benö-
igt, weil die Kolleginnen und Kollegen Dr. Marlies
olkmer, Michael Hennrich, Dr. Wolf Bauer, Birgitt
ender, Detlef Parr und die Parlamentarische Staatsse-
retärin Marion Caspers-Merk ihre Reden zu Protokoll
eben.1)


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wie schade!)


Damit schließe ich die nicht eröffnete Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 15/4293 an den Ausschuss für Ge-
undheit und Soziale Sicherung vorgeschlagen. – Dazu
telle ich Ihr Einvernehmen fest.
Damit kommen wir gleich zum Tagesordnungs-

unkt 18:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung des Pfandbriefrechts
– Drucksache 15/4321 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

Auch dieser Punkt hätte eine halbe Stunde diskutiert
erden sollen, was aber durch die Entscheidung der
olleginnen und Kollegen Lothar Binding, Stefan
üller, Leo Dautzenberg, Kerstin Andreae, Rainer
unke und der Parlamentarischen Staatssekretärin

Anlage 7

13572 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004


(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Barbara Hendricks unnötig wird, die ihre Reden zu
Protokoll geben wollen.1)

Die Aussprache ist damit eröffnet und geschlossen.
Interfraktionell wird auch hier die Überweisung des

Gesetzentwurfs an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sollen diese allesamt verle-
sen werden? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Einfüh-
rung eines europäischen Mahnverfahrens
KOM (2004) 173 endg.; Ratsdok. 7615/04
– Drucksachen 15/3135 Nr. 2.14, 15/4415 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Strässer
Thomas Silberhorn
Jerzy Montag
Sibylle Laurischk

Auch hierzu gibt es eine Reihe von gemeldeten Red-
nern, die ihre Reden zu Protokoll geben wollen: Axel

Schäfer, Christoph Strässer, Thomas Silberhorn, Jerzy
Montag und Sibylle Laurischk. 2)

Wir kommen dann sofort zur Beschlussempfehlung
des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung über einen Vorschlag für eine Verord-
nung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur
Einführung eines europäischen Mahnverfahrens auf
Drucksache 15/4415. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Das ist eine wunderschöne Übereinstim-
mung am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt können wir getrost nach Hause gehen!)


Ich bedanke mich bei allen, die zu diesem guten Ende
beigetragen haben.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 3. Dezember 2004,
9 Uhr, ein.

Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen allen für
den Rest des Abends noch einige angenehme Stunden.