1) Anlage 8 2) Anlage 9
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13573
        (A) )
        (B) )
        heute das ERP-Wirtschaftsplangesetz 2005 in den Bun- ein besonderes Vermögen. Der Grund dafür liegt in der
        Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Wir bringen H
        aushaltsplan unter vielen, sondern ein gesondertes und
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung des Europarates
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über
        die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-
        Sondervermögens für das Jahr 2005 (ERP-
        Wirtschaftsplangesetz 2005) (Tagesordnungs-
        punkt 9)
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        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Bülow, Marco SPD 02.12.2004
        Bulmahn, Edelgard SPD 02.12.2004
        Fischbach, Ingrid CDU/CSU 02.12.2004
        Griese, Kerstin SPD 02.12.2004
        Hilbrecht, Gisela SPD 02.12.2004
        Irber, Brunhilde SPD 02.12.2004
        Kauder, Volker CDU/CSU 02.12.2004
        Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 02.12.2004
        Lehn, Waltraud SPD 02.12.2004
        Leibrecht, Harald FDP 02.12.2004
        Dr. Lucyga, Christine SPD 02.12.2004*
        Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        02.12.2004
        Raab, Daniela CDU/CSU 02.12.2004
        Scharping, Rudolf SPD 02.12.2004
        Schauerte, Hartmut CDU/CSU 02.12.2004
        Schily, Otto SPD 02.12.2004
        Schröder, Gerhard SPD 02.12.2004
        Seehofer, Horst CDU/CSU 02.12.2004
        Wohlleben, Verena SPD 02.12.2004
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        estag ein. Im Vergleich zu früheren Jahren ist dies sehr
        pät. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, dass mit
        en Vorstellungen der Bundesregierung zur Neuordnung
        er ERP-Wirtschaftsförderung ein längerer Diskussions-
        rozess um die Zukunft der Mittelstandsförderung und
        ie Zukunft des ERP-Sondervermögens begonnen hat.
        Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich die
        irtschaftsförderung aus dem ERP-Sondervermögen als
        inen der wichtigsten Bausteine zur Unterstützung von
        ründern und mittelständischen Unternehmen ansehe.
        Das sage ich nicht nur, weil ich den ERP-Unteraus-
        chuss schon lange Zeit als Vorsitzende leite, sondern
        eil sich die ERP-Förderung inzwischen über mehr als
        0 Jahre in der Praxis bewährt hat.
        Der ERP-Unterausschuss, der Ausschuss für Wirt-
        chaft und Arbeit des Deutschen Bundestages und der
        esamte Bundestag haben an der Umsetzung der ERP-
        örderung immer regen Anteil genommen, bildet doch
        er Hauptbegünstigte, die deutschen mittelständischen
        nternehmen, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft
        nd des deutschen Arbeitsmarktes.
        In den mehr als 50 Jahren haben die Schwerpunkte
        er Wirtschaftsförderung sich immer wieder geändert.
        ber auch angesichts wichtiger gewandelter Bedingun-
        en und neuer gewaltiger Herausforderungen wie der
        eutschen Einheit, ist das Grundprinzip immer gleich
        eblieben:
        Das ERP-Sondervermögen gibt Hilfe zur Selbsthilfe,
        as heißt subventioniert die für kleinere Unternehmen
        eutlich höheren Zinsen bei den Banken und gewährt
        uch Haftungsfreistellungen, um fehlendes Eigenkapital
        u ersetzen oder zu ergänzen bzw. eine Kreditgewährung
        berhaupt möglich zu machen. Das Kapital fließt in aller
        egel wieder zurück und kann erneut für die Förderung
        er mittelständischen Unternehmen und Gründer einge-
        etzt werden.
        Rund 115 Milliarden Euro an Krediten sind auf diese
        eise seit Bestehen des Vermögens zur Unterstützung
        er mittelständischen Wirtschaft geflossen.
        Bis heute sind unmittelbar circa 8 Millionen neue
        der bestehende Arbeitsplätze aus dem ERP-Sonderver-
        ögen gefördert worden. Auch in den neuen Bundeslän-
        ern hatten und haben ERP-Kredite positive Wirkungen.
        eit der Vereinigung wurde der Aufbau eines leistungs-
        ähigen Mittelstandes in den neuen Ländern massiv un-
        erstützt.
        Seit 1990 gab es dort 460 000 Kreditzusagen in einem
        esamtvolumen von 44 Milliarden Euro. Rund 1,7 Mil-
        ionen Arbeitsplätze wurden so geschaffen und 1,75 Mil-
        ionen bestehende Arbeitsplätze gesichert. 200 000 Exis-
        enzgründungen konnten vorgenommen werden, eine
        ilanz, die sich sehen lassen kann.
        Immer aber war das ERP-Sondervermögen kein
        13574 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Entstehungsgeschichte des Vermögens, dem Marshall-
        plan der USA für das kriegsverwüstete Europa und vor
        allem Deutschland.
        Es sei dahingestellt, ob es Klugheit war, oder ob dabei
        auch eine Portion Misstrauen des Siegers eine Rolle
        spielte, dass die Amerikaner darauf bestanden, dass
        diese Gelder nicht einfach ausgegeben, sondern immer
        wieder revolvierend eingesetzt werden mussten.
        Dieser revolvierende Mitteleinsatz hat sich in jedem
        Falle als Schlüssel für die erfolgreiche ERP-Förderung
        für unser Land herausgestellt. Denn dadurch wurden die
        Begehrlichkeiten der Finanzminister jahrzehntelang im
        Zaum gehalten.
        Dieses Prinzip ist schon im deutsch-amerikanischen
        Abkommen von 1949/50 niedergelegt und seit 1953
        auch im ERP-Verwaltungsgesetz verankert. Es gibt nur
        ein Land, in dem dies ebenso erfolgreich gehandhabt
        wurde, nämlich Österreich. Auch dort wirken die „ERP-
        Fonds“ genannten Mittel als dauerhaftes Förderelement
        nach wie vor segensreich zur Unterstützung der Wirt-
        schaft.
        Andere Länder beneiden uns und Österreich um ein
        solches Instrument und so manches Empfängerland be-
        dauert es heute, dass es mit seinen Marshallplanmitteln
        nicht etwas ähnliches geschaffen hat, sondern die Mittel
        – weil es die Freiheit dazu hatte – mit einer einmaligen
        Einbeziehung in den Staatshaushalt ausgegeben hat.
        Sie werden sicher verstehen, dass ich nachdrücklich
        dafür eintrete, dass dieses wichtige Instrument in seiner
        ganzen Förderkraft erhalten bleibt.
        Über neue Wege und Instrumente kann und muss man
        von Zeit zu Zeit nachdenken, zum Beispiel wie wir
        schnell wachsenden innovativen Unternehmen mit
        neuen Finanzierungsinstrumenten helfen können und die
        dramatische Eigenkapitalschwäche von Gründern über-
        winden, den Umweltschutz aktiv fördern und die schwä-
        cheren Regionen nicht zu kurz kommen lassen.
        Der Unterausschuss hat sich auch bemüht, sich in
        jährlichen Tagungen mit neuen Anregungen zu konfron-
        tieren und mit der dankenswerten Unterstützung der
        KfW mit hochrangigen Experten und den Verwaltern des
        Sondervermögens nach effektiveren Finanzierungs-
        instrumenten zu suchen.
        Dies ist auch in der Vergangenheit wiederholt im
        ERP-Unterausschuss konstruktiv von allen Fraktionen
        erörtert und immer mit guten Ergebnissen abgeschlossen
        worden. Am Grundsatz des Substanzerhalts der Mittel
        und damit der Förderkraft sollte, nein darf dabei nicht
        gerüttelt werden.
        Heute geht es aber vor allem um das ERP-Wirt-
        schaftsplangesetz 2005. Es steht also nicht die Frage
        grundsätzlicher Veränderungen auf der Tagesordnung,
        sondern der haushaltsmäßige Rahmen für die Kontinui-
        tät der Förderung auch im kommenden Jahr.
        Unzweifelhaft haben wir alle ein Interesse daran, dass
        die ERP-Wirtschaftsförderung auch im Jahre 2005 ohne
        Beeinträchtigungen weiter geht. Deshalb brauchen wir
        –
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        unabhängig von allen anderen Überlegungen – für
        005 ein ERP-Wirtschaftsplangesetz, weil das Handeln
        es ERP-SV ja eine haushaltsmäßige Grundlage haben
        uss.
        Zu Beginn des Jahres 2005 kann man zwar auf der
        asis einer vorläufigen Haushaltsführung arbeiten und
        ird dies auch tun müssen, wir sollten aber alles daran
        etzen, das Gesetz nach der heutigen ersten Lesung zü-
        ig in den Ausschüssen zu beraten und dann auch rasch
        u verabschieden.
        Der Wirtschaftsplan 2005 sieht wie der jetzt geltende
        in Fördervolumen von rund 4 Milliarden Euro vor. Er
        st wiederum darauf ausgerichtet, die Unternehmen in
        hrer deutlich schwieriger gewordenen Fihanzierungssi-
        uation zu unterstützen. Die richtigen Instrumente dafür
        ind im Wirtschaftsplan angelegt.
        Ich nenne hier zum Beispiel die Nachrangkapitalpro-
        ukte „ERP-Kapital für Gründer“ und das „ERP-Kapital
        ür Wachstum“ sowie die unmittelbar eigenkapital-wirk-
        amen Beteiligungsprogramme wie etwa der ERP/EIF-
        achfonds oder auch der neue ERP-Startfonds für junge
        nnovative Unternehmen.
        Die Nachfrage nach diesen Instrumenten ist im Jahre
        004 noch hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Wir
        ehen aber davon aus, dass die Nachfrage nach diesen
        örderprogrammen mit zunehmender Bekanntheit der
        rogramme und vor allem zunehmender Konjunkturer-
        olung anziehen wird
        Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die deut-
        chen Banken sich ihrer Aufgaben und ihrer hohen Ver-
        ntwortung für die Finanzierung des Mittelstandes be-
        usst werden. Staatliche Mittel können eine bewusste
        urückhaltung in der Kreditvergabe nicht ausgleichen.
        Sie, meine Damen und Herren von den deutschen
        anken und Sparkassen, dürfen die vielen zarten Pflänz-
        hen, die in einer gerade anspringenden, nicht einfachen
        innenkonjunktur sprießen, nicht vertrocknen lassen –
        onst sägen Sie am eigenen Ast und der Zukunft vieler
        rfolgreicher Firmen.
        Otto Bernhardt (CDU/CSU): Ich freue mich, dass
        ie Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über
        ie Feststellung des Wirtschaftsplanes des ERP-Sonder-
        ermögens für das Jahr 2005 nun nach einigen Verzöge-
        ungen vorgelegt hat und wir heute darüber in erster Le-
        ung beraten können.
        Seit einer Kabinettsitzung im Juni dieses Jahres ist
        as ERP-Sondervermögen massiv bedroht. Auf dieser
        abinettsitzung wurde offensichtlich beschlossen,
        Milliarden Euro der insgesamt 12,7 Milliarden Euro
        es ERP-Sondervermögens für die allgemeine Haus-
        altskonsolidierung, das heißt für das einmalige Stopfen
        on Haushaltslöchern, zu verwenden und den Restbetrag
        er Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Verstärkung ihres
        igenkapitals zur Verfügung zu stellen, dies nicht zu-
        etzt, um so die KfW in die Lage zu versetzen, noch
        ehr als bisher Aktienpakete des Bundes zu überneh-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13575
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        men, die zurzeit nicht für den gewünschten Preis am Ka-
        pitalmarkt abgesetzt werden können.
        Am 25. Oktober 2004 hat hierzu eine Expertenanhö-
        rung vor dem ERP-Unterausschuss stattgefunden. Ver-
        fassungsrechtler und die Wirtschaftsverbände haben den
        Plänen der Bundesregierung eine deutliche Absage er-
        teilt.
        Die Bundesregierung tritt mit ihrem Entwurf nicht
        nur deutsches Recht mit Füßen, sondern verstößt auch
        gegen deutsch-amerikanische Abkommen zur Wirt-
        schaftsförderung. Das internationale Abkommen zur
        Verwendung der Marshallgelder sieht ausdrücklich keine
        Schuldentilgung, wie jetzt von der Bundesregierung ge-
        plant, sondern ausschließlich Wirtschaftsförderung und
        die Pflege der transatlantischen Beziehungen vor. Das
        Substanzerhältungsgebot des ERP-Sondervermögens ist
        explizit im Abkommen mit den USA von 1949 festge-
        schrieben. Ein Verstoß würde die ohnehin strapazierten
        transatlantischen Beziehungen weiter schwächen.
        Wenn Rot-Grün daher die Zerschlagungspläne – an-
        gesichts der klaren Aussagen dieser Expertenanhörung –
        auch in Zukunft uneingeschränkt weiterverfolgt, unter-
        streicht sie ihre wirtschaftsfeindliche Politik ein weiteres
        Mal. Gleichzeitig geht der mittelständischen Wirtschaft
        dringend benötigtes Geld für Fördermaßnahmen in be-
        trächtlichem Umfang verloren.
        Hinzu kommt, dass durch die von Rot-Grün gefor-
        derte Übertragung der Marshallgelder an die KfW erheb-
        liche Demokratiedefizite einhergehen. Rot-Grün plant,
        die Einflussmöglichkeiten durch den Deutschen Bundes-
        tag auf das ERP-Sondervermögen auszuschalten. Geht
        es nach dem Willen der Bundesregierung, werden die
        Marshallgelder, die wesentlich zum Wiederaufbau der
        Bundesrepublik beigetragen haben, dem Parlament
        künftig dauerhaft entzogen. Der Verfassungsrechtler
        Professor Waldhoff sprach während der Anhörung in
        diesem Zusammenhang zutreffend von der „Enddemo-
        kratisierung des Vermögens“. Nach der Anhörung waren
        sich alle Beteiligten fraktionsübergreifend einig, die
        Pläne der Bundesregierung nicht mitzutragen.
        Ob die Bundesregierung aber wirklich ihre Pläne, das
        ERP-Sondervermögen zu zerschlagen, aufgegeben hat,
        kann nicht abschließend beurteilt werden. Laut Zei-
        tungsmeldungen denkt das Finanzministerium jetzt über
        andere Wege nach, um letztlich doch einen Teil des
        ERP-Sondervermögens für die allgemeine Haushaltsde-
        ckung in Anspruch zu nehmen. Die Vorlage des ERP-
        Wirtschaftsplangesetzes für das Jahr 2005 kann also
        nicht unbedingt schon als Entwarnung betrachtet wer-
        den.
        Insbesondere drei Faktoren haben dazu geführt, dass
        wir heute ein intaktes ERP-Sondervermögen in einer
        Größenordnung von fast 13 Milliarden Euro haben, das
        zum wichtigsten Wirtschaftsförderungsinstrument – ins-
        besondere für den Mittelstand – geworden ist und für das
        es eine effektive parlamentarische Kontrolle, insbeson-
        dere durch den ERP-Unterausschuss, gibt:
        Erstens, die Großzügigkeit der Amerikaner, die der
        Bundesrepublik im Frühjahr 1948 im Rahmen des so ge-
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        annten Marshallplans erhebliche Mittel zum Wieder-
        ufbau Deutschlands zur Verfügung gestellt haben und
        n einem Abkommen vom 15. Dezember 1949 auf eine
        ückzahlung eines wesentlichen Teils der gewährten
        redite verzichteten, zweitens, durch den Tatbestand,
        ass insbesondere die mittelständischen Firmen in
        eutschland ihre ERP-Kredite ordnungsgemäß verzinst
        nd getilgt haben und drittens, durch die Solidarität der
        itglieder des Unterausschusses für das ERP-Sonder-
        ermögen, in dem über die Grenzen der Fraktionen für
        ie ungeschmälerte Erhaltung des ERP-Sondervermö-
        ens gearbeitet, ja gekämpft wird.
        Ich gehe davon aus, dass es auch diesmal gelingt, ein
        instimmiges Votum im Bundestag für das Gesetz über
        en Wirtschaftsplan zu bekommen. Die angesprochenen
        berlegungen der Bundesregierung und ihre Konse-
        uenzen für das Sondervermögen können und werden
        ir im ERP-Unterausschuss diskutieren.
        Lassen Sie mich abschließend folgende Anmerkung
        achen: Wir halten die Regierungspläne zur Verwen-
        ung des Sondervermögens zur direkten bzw. indirekten
        eckung von Haushaltslöchern für verfassungsrechtlich
        nseriös und viertens wirtschaftsfeindlich. Anstatt gutes
        eld der Wirtschaftsförderung zu entziehen und in den
        nsoliden Bundesetat zu stecken, muss vielmehr die
        ittelstandsförderung weiter gestärkt werden, so wie es
        as geltende Recht vorsieht.
        Denn klar ist: Wir können uns nicht aus der Krise he-
        aussparen, sondern müssen aus der Krise herauswach-
        en. Hierfür sind bessere Rahmenbedingungen – insbe-
        ondere in der Mittelstandsfinanzierung – unerlässlich.
        ährend im Jahr rund 40 000 Unternehmen in die Insol-
        enz gehen und die Eigenkapitalquote bei 40 Prozent al-
        er Unternehmen in Deutschland gegen null tendiert, ist
        s nicht zu verantworten, insbesondere dem Mittelstand
        as wichtige Instrument der Wirtschaftsförderung zu
        ntziehen.
        Wenn eine effizientere Verwaltung und ein wirksame-
        er Einsatz der Marshallgelder daher möglich sind, dann
        üssen diese Effizienzgewinne ausschließlich dem Mit-
        elstand zugute kommen.
        Max Straubinger (CDU/CSU): Der eigentliche Ge-
        etzentwurf der Bundesregierung zur Feststellung des
        RP-Wirtschaftsplangesetzes 2005, der heute zur parla-
        entarischen Beratung ansteht, ist im Großen und Gan-
        en in Ordnung. Die Ziele, die seit dem ursprünglichen
        RP-Verwaltungsgesetz vom 31. August 1953 zu erfül-
        en sind, werden durch den vorliegenden Gesetzentwurf
        mgesetzt.
        Seit Bestehen des Gesetzes wurden 1,7 Millionen
        ördermaßnahmen durchgeführt, die bislang 8 Millionen
        rbeitsplätze geschaffen haben. Besonders herausstellen
        öchte ich auch, dass durch 33 000 Kreditvergaben mit
        inem Gesamtvolumen von circa 4,6 Millarden Euro
        wischen 1998 und 2003 allein Handwerksbetriebe in ih-
        en Expansionsbemühungen unterstützt wurden. Diese
        ahlen unterstreichen die segensreiche Entwicklung des
        RP-Sondervermögens für die deutsche Wirtschaft.
        13576 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
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        Leider haben aber die Beratungen zum Bundeshaus-
        halt für 2005 den vorliegenden Gesetzentwurf bereits zur
        Makulatur werden lassen. Finanzminister Eichel beab-
        sichtigt laut Bundeshaushalt, 2 Millarden Euro dem
        ERP-Sondervermögen, also den ehemaligen Marshall-
        plangeldern, als Privatisierungserlös zu entnehmen. Da
        bisher von der Bundesregierung noch keine gesetzliche
        Grundlage für die Umwandlung des ERP-Sondervermö-
        gens in den Bundestag eingebracht wurde, muss man lei-
        der vermuten, dass im Laufe des Jahres 2005 eine noch
        größere Entnahme aus dem Sondervermögen erfolgt.
        Dies ist eine unerhörte und unseriöse Finanzierung des
        Bundeshaushaltes zulasten des Mittelstandes und damit
        der Arbeitsplätze in Deutschland! Damit wird de facto
        das ERP-Sondervermögen zerschlagen. Der damals ver-
        antwortliche US-Außenminister George C. Marshall
        hatte das 1949 mit Sicherheit nicht so beabsichtigt.
        Mit diesem einzigartigen Vorgang beweist die Bun-
        desregierung einmal mehr, dass sie keinerlei historisches
        Gespür hat, denkt man an den unsäglichen Vorschlag
        desselben Ministers, den Tag der Deutschen Einheit
        ebenso wie jetzt offenbar auch noch das ERP-Sonderver-
        mögen dem kurzfristigen Stopfen von Haushaltslöchern
        zu opfern.
        Anstatt die Marshallgelder sinnlos zu verpulvern,
        sollte sich die Bundesregierung intensiver als bisher die
        Insolvenzzahlen der vergangenen Jahre sprechen leider
        für sich gerade jetzt um eine aktive Wirtschaftsförde-
        rung, wie es im Abkommen mit den USA von 1949 auch
        vereinbart wurde, kümmern. Das Ansinnen des Bundes-
        finanzministers offenbart leider erneut seine unsolide
        und verfassungsmäßig mehr als zweifelhafte Politik, wo-
        runter der ohnehin stark gebeutelte deutsche Mittelstand
        noch mehr zu leiden hat.
        Das sehen mittlerweile wohl auch einige Abgeordnete
        aus den Regierungsfraktionen genauso, hat doch die Kol-
        legin Skarpelis-Sperk in der „Börsenzeitung“ vom 8. Sep-
        tember dieses Jahres die Pläne des Finanzministers eben-
        falls als „finanzpolitisch unsolide“ und es als
        „wirtschaftspolitisch falsches Signal“ bezeichnet, „wenn
        beim Mittelstand abkassiert wird.“ Die Einschätzung
        hätte doch glatt auch von der Opposition sein können.
        Der Unterausschuss im Ausschuss für Wirtschaft und
        Arbeit stemmt sich zumindest momentan noch gegen
        eine teilweise oder komplette Auflösung des Vermögens,
        für die eine Änderung des ERP-Verwaltungsgesetzes
        notwendig wäre. Der Kollege Fell prophezeit dem Fi-
        nanzminister, dass es dafür keine rot-grüne Mehrheit im
        Deutschen Bundestag geben wird. Ich kann nur hoffen,
        dass das auch in Zukunft der Fall sein wird.
        Was plant Finanzminister Eichel und welche Pro-
        bleme hätte das zur Folge? Der Bundesfinanzminister
        plant, die ERP-Mittel der staatseigenen KfW-Banken-
        gruppe zu übertragen. Dabei sollen allerdings 2 Millar-
        den Euro herausgelöst werden und in den Bundesetat
        fließen. Die Bundesregierung und die KfW sind der
        Hoffnung, mit einem um 2 Millarden Euro geschmäler-
        ten ERP-Vermögen so effizient wirtschaften zu können,
        dass alle ERP-Programme zur Wirtschaftsförderung in
        gleicher Intensität fortgeführt werden. Der Bundesfi-
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        anzminister erhofft sich von dem Coup Synergieeffekte
        adurch, dass die KfW eine höhere Effizienz und Renta-
        ilität der Mittelverwaltung hat, als es das BMWA zu
        eisten vermag.
        Ob die KfW das im geplanten Fall reduzierte Ver-
        ögen durch eine deutlich höhere Verzinsung jedoch
        ompensieren kann, ist keinesfalls mit hinreichender Si-
        herheit gewährleistet. Die Gefahr besteht darin – unter-
        auert auch durch die Aussage der Bundesregierung –,
        ass die KfW nach der Übertragung das ERP-Sonderver-
        ögen risikoreicher anlegen darf, als es dem BMWA
        islang möglich war. Das hat die Bundesregierung als
        ntwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion
        uf Bundestagsdrucksache 15/3625 mitgeteilt.
        Es liegt selbstverständlich in der Natur der Sache,
        ass eine solch spekulative Anlage immer auch die Ge-
        ahr des Substanzverlustes birgt. Dann könnte der Bun-
        esfinanzminister zur Deckung von Haushaltslücken
        leich auf einen Lottogewinn hoffen. Zudem stellt sich
        ie Frage, ob der Bund bereit ist, aufgrund risikoreiche-
        er Anlagen mögliche Substanzverluste zu decken. Das
        ird jedoch nicht der Fall sein, denn sonst hätte der Fi-
        anzminister diesen Trick erst gar nicht aus der Motten-
        iste geholt! Und selbst wenn es zu den erhofften Effi-
        ienzgewinnen käme, wäre durch Abführung von
        Millarden Euro und deren Einstellung in den Bundes-
        aushalt 2005 das gemäß § 4 ERP-Verwaltungsgesetz
        echtlich bindende Substanzerhaltungsgebot in jedem
        all verletzt. Zudem möchte ich nochmals betonen, dass
        ögliche Effizienzgewinne bei der Verwaltung des Son-
        ervermögens nicht zum kurzfristigen Schließen von
        aushaltslöchern, sondern ausschließlich zur Erhöhung
        er Förderkapazitäten benutzt werden dürfen!
        Durch die angedachte Maßnahme von Finanzminister
        ichel werden wieder einmal kleine und mittlere Unter-
        ehmen stärker belastet und geraten noch weiter ins Hin-
        ertreffen gegenüber den größeren, die oberhalb der so-
        enannten Gruppenumsatzgrenze von 500 Millionen
        uro pro Jahr liegen. Hauptsächlich diese größeren Mit-
        elständler profitieren nämlich von den KfW-Förderpro-
        rammen. Das vermeintliche Effizienzargument von
        ichel greift auch deshalb nicht, weil im BMWA ledig-
        ich drei Mitarbeiter – also äußerst wirtschaftlich – mit
        er Verwaltung des ERP-Sondervermögens beschäftigt
        ind. Vor diesem Praxishintergrund und mangels Anga-
        en über den zusätzlichen Personalbedarf der KfW stellt
        ich die Frage, wo im Zuge der Vermögens und Kompe-
        enzübertragung auf die KfW Einsparpotenziale er-
        chlossen und zusätzliche Synergieeffekte erzielt wer-
        en. Aus Sicht der Wirtschaft haben sich die
        estehenden Strukturen im Zusammenhang mit der Ver-
        altung des ERP-Sondervermögens bewährt und als
        innvoll erwiesen, was auch im Rahmen der öffentlichen
        nhörung wieder deutlich wurde.
        An dieser Stelle möchte ich auf strukturelle Probleme
        inweisen, die sich aus der geplanten Umschichtung er-
        eben würden: Die Übertragung, und vor allem die teil-
        eise Überführung von ERP-Mitteln verstößt eindeutig
        egen die ursprüngliche Zweckbindung, dass das Ver-
        ögen ausschließlich revolvierend, das heißt immer
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13577
        (A) )
        (B) )
        wieder für neue Investitionen zu vergeben, eingesetzt
        werden darf. Außerdem würde das ERP-Sondervermö-
        gen durch diesen Schritt nicht mehr unabhängig vom üb-
        rigen Bundesvermögen verwaltet werden.
        Neben den strukturellen stellen sich auch einige ord-
        nungspolitisch relevante Fragen: Mit der geplanten
        Übertragung und Aufspaltung der ehemaligen Marshall-
        gelder an die KfW-Bankengruppe sowie in den Haushalt
        2005 des Bundesfinanzministers gibt die Bundesregie-
        rung dieses Förderinstrument erstmalig und dauerhaft
        aus der Hand. Das Parlament wäre in der Frage der Ent-
        scheidungsmacht über die Marschallgelder regelrecht
        ausgeschaltet. Die am 25. Oktober angehörten Verfas-
        sungsrechtler sprachen in diesem Zusammenhang von
        einem „demokratischen Defizit“, wenn die parlamentari-
        sche Kontrollfunktion über die ERP-Mittel entfällt.
        Des Weiteren spricht einiges dafür auch das wurde in
        der Anhörung Ende Oktober von den Verfassungsrecht-
        lern deutlich angesprochen –, dass der Bundesrat einer
        Änderung der gesetzlichen Grundlage zustimmen muss;
        denn zum einen wurden die zugrunde liegenden Gesetze
        – das Gesetz betreffend das Abkommen über die wirt-
        schaftliche Zusammenarbeit zwischen den USA und der
        Bundesrepublik Deutschland vom 15. Dezember 1949,
        bei In-Kraft-Treten am 31. Januar1950, und das ERP-
        Verwaltungsgesetz vom 31. August 1953 – jeweils mit
        Zustimmung des Bundesrates erlassen, zum anderen
        liegt, sobald der Gesamtstatus des Sondervermögens als
        solcher tangiert ist, das ERP-Sondervermögen in einer
        gesamtstaatlichen Verantwortung, das heißt Bund und
        Länder müssen einbezogen werden.
        Darüber hinaus hat laut „Financial Times Deutsch-
        land“ vom 26. November 2004 das Auswärtige Amt in
        einem internen Schreiben signalisiert, dass „die USA der
        Vermögensübertragung an die KfW aus völkerrechtli-
        chen Gründen zustimmen müssten.“ Der Bundesminister
        bestreitet das zwar, aber dazu wurde von verschiedenen
        Experten in der Anhörung angeführt, dass eine Abstim-
        mung mit den USA auch deshalb bereits angemessen sei,
        weil das Empfängerland die Verwaltung und Verwen-
        dung der Mittel gegenüber dem Spenderland politisch
        und rechtlich zu verantworten habe. Die Bundesregie-
        rung würde es allerdings in Kauf nehmen, die ohnehin
        angespannten transatlantischen Beziehungen dadurch
        weiter zu belasten.
        Lassen Sie mich zusammenfassend Folgendes bemer-
        ken: Die von Bundesfinanzminister Eichel geplante
        Maßnahme öffnet einem intransparenten Versickern von
        ERP-Mitteln leider Tür und Tor, nur um damit 2 Milliar-
        den Euro in den Bundeshaushalt zu bekommen. Aber
        eins ist klar: Nur der Erhalt des vollständigen ERP-Ver-
        mögens gewährleistet eine weitere effiziente Wirt-
        schaftsförderung und garantiert der Wirtschaft einen
        Mindestförderrahmen. Alles andere ist unseriös, Herr
        Bundesfinanzminister!
        Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
        ist eigentlich unglaublich, was sich rund um das ERP-
        Sondervermögen abspielt. Es ist das wichtigste Instru-
        ment, der Innovations-, Mittelstands- und Umwelttech-
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        ologieförderung und kaum einer kennt es. Dabei wer-
        en alleine 2005 mit dem ERP-Wirtschaftsplan
        ,8 Milliarden Euro bereitgestellt. In den neuen Bundes-
        ändern sind mittlerweile 169 000 Vorhaben im Bereich
        ründung und Festigung von Unternehmen gefördert
        orden. Der Aufbau dieser mittelständischen Unterneh-
        en wäre ohne die gezielten Finanzierungshilfen häufig
        icht möglich gewesen, wie der Subventionsbericht der
        undesregierung herausstreicht. Und wir wissen hier
        lle, dass die Mittelstandskreditförderung nie wichtiger
        ar als heute, da sich die Banken leider mehr und mehr
        om Mittelstand entfernt haben.
        Das ERP-Sondervermögen ist darüber hinaus ein
        mweltprogramm: In den letzten zehn Jahren wurden
        8 Milliarden Euro Förderkredite alleine für die ERP-
        mweltschutzförderung zugesagt, zum Beispiel für Ab-
        allwirtschaft, Abwasserreinigung, Luftreinigung oder
        nergieeinsparung.
        Mit ihrer Hilfe ist die Markteinführung einer Vielzahl
        on Umwelttechnologien gelungen. Hiervon haben so-
        ohl die Umwelt als auch der Arbeitsmarkt in erhebli-
        hem Maße profitiert; vor allem im Osten, in den alleine
        ast 7 Milliarden Euro flossen.
        Das ERP-Sondervermögen ist vor allem ein Innova-
        ionsprogramm! Es ist das wichtigste Instrument, wel-
        hes der Bundesregierung für ihre Innovationsoffensive
        ur Verfügung steht; denn es stellt genau dort Kapital zur
        erfügung, wo andere das Risiko scheuen. Ohne das
        RP-Sondervermögen mit Mut zu Investitionen wäre
        ede Innovationsoffensive zum Scheitern verurteilt. Ich
        ill das anhand der jüngsten Innovationsbausteine dar-
        tellen:
        Ohne das ERP-Sondervermögen gäbe es keinen
        achfonds für Venture Capital. Ohne diesen Dachfonds
        ürde das Kapital des European Investment Fonds nicht
        n Deutschland investiert werden. Ohne die Beteiligung
        es ERP-Sondervermögens gäbe es kaum eine Chance,
        as Venture-Capital in Deutschland wiederzubeleben.
        Ich komme zu dem jüngsten Spross, der ERP-Sonder-
        ermögen-Familie: der ERP-Startfonds. Er wird zu
        0 Prozent über das ERP-Sondervermögen finanziert.
        ieses war als einziges Vermögen bereit, soviel Geld in
        ie Hand zu nehmen, um Start-ups kozufinanzieren.
        elbst die durchführende KfW war nur zu eher symboli-
        chen 10 Prozent zu bewegen. Ohne das ERP-Sonder-
        ermögen gäbe es folglich auch keinen Startfonds und
        omit weit geringere Chancen für junge Technologieun-
        ernehmen, an Geld zu gelangen.
        Der ERP-Unterausschuss hat nicht nur mutig in die
        ukunft investiert; er hat dabei auch das Vermögen er-
        alten und das über Jahrzehnte hinweg. Mit diesem
        ermögen konnten zugleich dutzende Milliarden in die
        ukunft des Landes investiert werden.
        Da der ERP-Unterausschuss eine große Verantwor-
        ung für das ERP-Sondervermögen und damit auch für
        ie Zukunft unseres Landes trägt, muss er größten Wert
        arauf legen, wie das Geld angelegt wird. Hier muss
        elbstverständlich auch in der Zukunft das Substanzer-
        altungsgebot gelten. Ansonsten würden wir Gefahr
        13578 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        laufen, in eine Innovationsdefensive zu geraten. Der Ver-
        trag mit den USA bietet hierzu eine wichtige Gewährleis-
        tung; denn in diesen Vertrag ist die Substanzerhaltung als
        oberstes Gebot festgeschrieben. Die Substanzerhaltung
        spricht übrigens nicht dagegen, dass der Bundes-
        finanzminister 2 Milliarden Euro im Haushalt verwen-
        den kann. Den 2 Milliarden Euro müssen logischerweise
        nur Beteiligungswerte in gleicher Höhe entgegenstehen
        und schon sind zwei Fliegen mit einer Klappe geschla-
        gen: Verringerung der Neuverschuldung und Substanzer-
        halt des Sondervermögens. Diesen Weg gibt es und wir
        halten ihn für den richtigen und den einzigen gehbaren
        angesichts der internationalen Vertragslage.
        Neben dem Substanzerhaltungsgebot muss die Effi-
        zienz im Vordergrund stehen, mit der das Geld angelegt
        wird. Folgerichtig muss wie bei jeder Geldanlage vergli-
        chen werden, was der Markt anbietet. Wer das beste An-
        gebot macht, soll dann auch den Zuschlag erhalten. Dies
        ist ein selbstverständliches Vorgehen.
        Gudrun Kopp (FDP): Was uns seitens der Bundes-
        regierung und insbesondere durch den Bundesfinanzmi-
        nister in den letzten Wochen und Monaten zum Thema
        ERP-Sondervermögen zugemutet wurde, ist ein Possen-
        spiel, wie es das in der langen Geschichte der Marshall-
        planmittel noch nicht gegeben hat. Hier wird wie unter
        dem Brennglas deutlich, was auch schon Ergebnis der
        gerade vergangenen Haushaltswoche war: Die rot-grü-
        nen Koalitionäre haben die Kontrolle über den Bundes-
        haushalt vollständig verloren. Es macht sich Panik breit
        und der zuständige Minister, der permanent am Rande
        des Verfassungsbruches operiert – und in den letzten bei-
        den Jahren ist er sicherlich abgestürzt –, greift in seiner
        Verzweifelung zu buchstäblich jedem Mittel, um sich
        nicht der harten Realität stellen zu müssen und wirkli-
        che, strukturelle Reformen anzupacken. Da wird an Ta-
        felsilber verscheuert, was noch da ist – Stichwort Priva-
        tisierungserlöse –, da werden Wechsel auf die Zukunft
        aufgenommen – Stichwort Postpensionen – und da wird
        eben auch nicht vor Taschenspielertricks und gewagten
        Buchungsmanövern zurückgeschreckt, wie eben im
        Falle des ERP-Sondervermögens.
        Lassen Sie uns nur einmal kurz rekapitulieren. Das
        ERP-Sondervermögen ist aus den Wiederaufbaumitteln
        der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg – auch als
        Marshallplan bekannt – entstanden. Gedacht war es für
        die Wiedererrichtung wirtschaftlicher Strukturen in
        Deutschland. Daraus ist dann über die Jahrzehnte durch
        verantwortliches Wirtschaften – übrigens aller bisheri-
        gen Bundesregierungen – ein stolzes Vermögen von
        etwa 12 Milliarden Euro erwachsen, das zur gezielten
        Förderung des Mittelstandes eingesetzt wurde und dort
        viel Gutes bewirkt hat, insbesondere auch im Bereich
        der Innovationsförderung.
        Und genau hier legt jetzt der Bundesfinanzminister
        die Axt an die Wurzel – ohne dass vom zuständigen
        Fachminister, Bundeswirtschaftsminister Clement, auch
        nur ansatzweise Widerstand angemeldet würde. Wenn
        überhaupt, so scheinen auch in den Reihen der Regie-
        rungsfraktionen Bedenken nur von den Mitgliedern im
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        RP-Unterausschuss geäußert zu werden, was ich hier
        icht gering schätzen möchte.
        Aber vergegenwärtigen wir uns noch einmal den
        benteuerlichen Zick-Zack-Kurs, dessen Zeuge wir sein
        ussten: Natürlich geriet angesichts der selbst verschul-
        eten prekären Haushaltslage auch das üppige ERP-Son-
        ervermögen – wohlgemerkt also bitter benötigte För-
        ermittel, um wenigsten einigen Mittelständlern in
        eutschland noch einen Hoffnungsschimmer bieten zu
        önnen – in den Fokus der Begehrlichkeiten des Finanz-
        inisters. Zunächst plante er, den größten Teil des Ver-
        ögens, rund 8 Milliarden Euro, an die KfW zu übertra-
        en, wobei 2 Milliarden Euro in den Haushalt, sprich in
        en allgemeinen Konsum, fließen sollten. Plötzlich hatte
        an nämlich im Bundesfinanzministerium festgestellt
        und dieses Wissen hatte man offenbar auch dem zu-
        tändigen Wirtschaftsminister voraus –, dass die KfW
        uch mit 2 Milliarden Euro weniger das gleiche Förder-
        olumen generieren könne. Gleichzeitig war dies natür-
        ch auch eine günstige Gelegenheit, die Eigenkapitalun-
        rlegung der KfW zu stärken, damit diese dem
        inanzminister auch an anderer Stelle, nämlich beim Er-
        erb bundeseigener Aktienpakete wiederum zwecks
        aushaltssanierung, behilflich sein konnte. Unabhängig
        avon, dass diese ganze Argumentation völlig absurd ist,
        eil ja, selbst wenn man die Prämisse der höheren Effi-
        ienz bei der KfW akzeptiert, dann erst recht das ganze
        ermögen übertragen werden müsste, um die Mittel-
        tandsförderung in Deutschland intensivieren zu können,
        usste der Finanzminister schnell zurückrudern.
        Leider hatte man nämlich bei der ganzen Operation
        bersehen, was die diesbezügliche Sachverständigenan-
        örung im Wirtschaftsausschuss einmütig vor Augen
        ührte: Dieses Vorgehen verstößt nicht nur gegen das Ge-
        ot des Substanzerhaltes des ERP-Vermögens, es be-
        ürfte für die Übertragung an die KfW wohl auch der
        ölkerrechtlichen Zustimmung der US-Regierung zur
        weckentfremdung der Mittel. Nachdem dann kurzzeitig
        m Finanzministerium sogar die komplette Vereinnah-
        ung des ERP-Vermögens im Bundeshaushalt diskutiert
        urde, ist dann auch endlich der Bundeswirtschafts-
        inister aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und hat
        estgestellt, dass eine solche Mittelstandsförderung nach
        assenlage, welche die Folge gewesen wäre, wohl nicht
        u rechtfertigen sei.
        Und jetzt schließlich kommt Herr Eichel mit einer
        euen Variante, mit der er hofft, die angesprochenen
        lippen umschiffen zu können. Nunmehr sollen nach
        ie vor 2 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt flie-
        en, aber durch einen Austausch liquider Mittel des
        RP-Sondervermögens gegen illiquide Mittel des Bun-
        es bei der KfW – Rücklagen und Anteile. Aber auch
        ieser jüngste Bilanztrick des Ministers kann nicht da-
        über hinwegtäuschen, was hier beabsichtigt und rück-
        ichtslos verfolgt wird: Sie plündern das Tafelsilber des
        undes und die letzten verbliebenen effektiven Instru-
        ente der Mittelstandsförderung zur Sanierung ihres
        aroden Haushaltes oder – anders ausgedrückt – sie ver-
        rühstücken die Zukunft unserer Kinder, weil sie zu
        chwach sind, in der Gegenwart umzusteuern. Aber auch
        ieser Finanzcoup hat seine Tücken. Die Nichtübertra-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13579
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        gung der Gelder führt nämlich dazu, dass nunmehr die
        KfW zukünftig Nachrangdarlehen erhalten soll, auch
        dies also ein haushälterischer Wechsel auf die Zukunft.
        Die FDP wird diese durchsichtigen Manöver nicht
        mittragen und ich kann nur an alle Kollegen und Kolle-
        ginnen hier im Hause appellieren, den Panikaktionen
        dieses Finanzministers endlich eine Grenze zu setzen.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Naturschutz im Miteinander von
        Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Ent-
        wicklung (Tagesordnungspunkt 12)
        Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Wen interessiert
        Umwelt- und Naturschutzpolitik heutzutage? Finden nur
        die eingefleischten Ökos Fragen zum Natur- und Arten-
        schutz wichtig? Haben Wirtschaftslage, Arbeitsmarkt-
        und Sozialpolitik nicht absoluten Vorrang?
        Die Ergebnisse der neuesten, alle zwei Jahre stattfin-
        denden Umfrage zum Umweltbewusstsein der Deut-
        schen sind hochinteressant. Das Umweltbewusstsein der
        Deutschen ist und bleibt hoch. 92 Prozent der Bevölke-
        rung ist der Umweltschutz wichtig. In der Rangfolge der
        wichtigsten Probleme in Deutschland ist der Umwelt-
        schutz von Platz 4 sogar auf Platz 3 geklettert – gleich-
        rangig mit sozialen Aspekten und Gerechtigkeit. Beim
        Naturschutz sieht mittlerweile ein Viertel der Befragten
        große Fortschritte. Das sind 6 Prozent mehr als 2002. –
        Das ist ein Ergebnis, das die im CDU/CSU-Antrag ent-
        haltene negative Beurteilung unserer Naturschutzpolitik
        widerlegt. Dennoch hat es der sicher mit viel Fleiß erar-
        beitete Antrag verdient, diskutiert zu werden.
        Vor uns liegt ein Papier mit 22 Forderungen an die
        Bundesregierung. Da wir heute den 2. Dezember haben,
        liegt es nahe, den 22 Forderungen das Format eines „Ad-
        ventskalenders“ überzustreifen und dabei wohlmeinend
        den Heiligen Abend auszulassen. Wir können also Tür
        für Tür öffnen und schauen, was uns überrascht und was
        nicht, also was „dahintersteckt“.
        Ich habe dies natürlich schon gemacht – ohne Neu-
        gierde kann Politik nichts werden – und siehe da: Hinter
        den Türchen liegen drei Kategorien von Forderungen:
        erstens die Kategorie „schon erfüllt“, zweitens die Kate-
        gorie „schon angesprochen“ sowie drittens die Kategorie
        „schon abgelehnt“.
        Tür 1, also gestern: klare Perspektiven für eine auf die
        Zukunft ausgerichtete Natur- und Umweltschutzpolitik.
        Das gehört eindeutig zur ersten Fallgruppe: „schon er-
        füllt“.
        Tür 2, also heute: Konsequenzen ziehen aus dem
        CDU/CSU-Antrag auf Drucksache 14/9024. Das gehört
        zur dritten Kategorie: „schon abgelehnt“.
        Schauen wir beim dritten Advent nach, also beim
        12. Dezember: Schaffung eines Biotopverbundes, in
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        em dieser unter Einbeziehung der vorhandenen Schutz-
        ebiete durch langfristige vertragliche Vereinbarungen
        n den fachlich begründeten schützenswerten Gebietsku-
        issen geschaffen und weiterentwickelt wird. Sprachlich
        asst das zwar nur knapp in den Kalender, aber inhaltlich
        st das eine unterstützenswerte Forderung. Sie kann der
        ategorie „angesprochen“ zugeordnet werden, muss je-
        och ehrlicherweise eine Kommentierung erfahren: Wir
        ind im Naturschutz auf einem guten Weg, aber noch
        ange nicht am Ziel angekommen. Bis zum Ziel „Biotop-
        erbund“ haben wir noch eine gute Strecke vor uns.
        Das lässt mich zum Türchen 10 kommen – vom Ka-
        ender her hätte es keiner besonderen Erwähnung be-
        urft, aber vom Inhalt: Da fordern Sie in Ihrem Antrag,
        das nahezu nicht mehr durchschaubare Bündel an un-
        erschiedlichen Schutzgebietskategorien zu entflechten
        nd auf wenige klare Definitionen zu reduzieren“. Dies
        st eindeutig ein Fall der Kategorie 0. Das ist die Katego-
        ie „völlig daneben“. Wem sieben Schutzgebietskatego-
        ien schon undurchschaubar sind, dem sollten wir auch
        ei anderen Bewertungen des Naturschutzes keine be-
        ondere Urteilskraft einräumen.
        Aber, schauen wir doch einmal bei Nikolaus nach,
        eim 6. Dezember. Da finden wir folgenden Wortlaut:
        die politischen Rahmenbedingungen in Fachgesetzen
        u regeln, statt wahllos herausgegriffene Formulierun-
        en in der so genannten guten fachlichen Praxis zu defi-
        ieren“. Ist das ein Ruf nach mehr und neuen Gesetzen?
        st nicht bekannt, dass inzwischen der Begriff der guten
        achlichen Praxis zu einem Begriff der guten fachlichen
        raxis geworden ist? Ich finde, da hat der Nikolaus im
        uftrag der Opposition aber wirklich „wahllos herausge-
        riffen“, wie es im Text von Forderung Nr. 6 fälschli-
        herweise dem Gesetzgeber unterstellt wird.
        Eine letzte Stichprobe, der 22. Dezember. Hier for-
        ern sie internationales Engagement, besonders auf der
        U-Ebene. Hier gibt es von unserer Seite volle Zustim-
        ung und hier schauen wir ebenso freudig auf unsere
        uten Leistungen wie bisher.
        Die Forderungen, die sie hier erheben, um dem Natur-
        chutz zu der ihm zustehenden Bedeutung auch über die
        renzen Deutschlands hinaus zu verhelfen, könnten sie
        edoch ebenso als einen Forderungskatalog ihren Wirt-
        chaftspolitikern, ihren Europa- und Außenpolitikern an
        ie Hand geben. Nähmen diese ihn ernst, bekäme ihre
        irtschafts- und Außenpolitik ein völlig neues Gesicht.
        a dürfen wir gespannt sein. Aber freudige Erwartung
        ehört ja auch zum Advent.
        Lassen wir den Adventskalender nun beiseite. Am
        . März 2004 hat der Bundestag dem Antrag der
        egierungskoalition „Naturschutz geht alle an – Akzep-
        anz und Integration des Naturschutzes in andere Politik-
        elder stärken“ zugestimmt. Darin haben wir unsere Er-
        olge gelistet, unsere „offenen Posten“ dargelegt und
        nseren roten Faden für die noch anstehenden Natur-
        chutzentscheidungen entwickelt.
        Wir haben seinerzeit die Integration des Naturschut-
        es in andere Politikfelder und die Stärkung der Akzep-
        anz in den Mittelpunkt gestellt. Das ist der richtige Weg.
        13580 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
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        Ein erfolgreicher Naturschutz geht alle an, er muss von
        allen gesellschaftlichen Kräften getragen werden. Daran
        arbeiten wir. Wir streben die Entwicklung einer nationa-
        len Naturschutzstrategie als Segment der Nachhaltig-
        keitsstrategie an. Das ist richtig so. Wir räumen dem
        Problem der Flächeninanspruchnahme und ihrer notwen-
        digen drastischen Verringerung höchste Priorität ein.
        Das ist richtig so. Wir stellen den Erhalt von Artenviel-
        falt in den Mittelpunkt unserer Politik, national wie welt-
        weit. Und auch das ist richtig. Aber, meine Damen und
        Herren von der Opposition, wir wollen darauf keinen Al-
        leinvertretungsanspruch erheben. Trotz aller Unter-
        schiede gilt: Wir haben ein hohes Maß an Übereinstim-
        mung, was Naturschutz anbelangt, und deshalb sollten
        wir öfter zu gemeinsamen Positionen kommen. Ich
        schreibe das auf meinen – politischen – Wunschzettel.
        Vielleicht erfüllt er sich ja schon vor Weihnachten. In der
        letzten Plenarwoche dieses Jahres werden wir unseren
        Antrag zum Grünen Band hier diskutieren. Ich weiß,
        dass uns allen dieses Projekt ganz besonders wichtig ist.
        Bleibt noch die Notwendigkeit einer Anmerkung: Na-
        tur, Naturschutz und damit Naturschutzpolitik braucht
        lange Linien und große Zeiträume. Wenn Sie in Ihren
        Anträgen und Reden so sehr betonen, dass bis zum Ende
        Ihrer Regierungszeit 1998 die Natur so außerordentliche
        Chancen hatte, danach mit Rot-Grün Stillstand bzw.
        Rückschritt eingekehrt sei und erst mit Ihrer Mehrheit
        wieder Fortschritt in den Naturschutz komme, so habe
        ich dazu drei Hinweise: Erstens. Dieses „Stottern“ im
        Naturschutz gibt es nicht. Es lässt sich auch durch stän-
        diges Wiederholen nicht herbeireden. Zweitens. Guter
        Naturschutz baut auf Verlässlichkeit; die geben wir. Drit-
        tens. Wahlergebnisse 2006 können auch die Unken noch
        nicht vorhersehen.
        Cajus Julius Caesar (CDU/CSU): Naturschutz be-
        deutet für die CDU/CSU, unseren Kindern eine gesunde
        und lebenswerte Umwelt übergeben zu können. Dafür
        wollen wir alles tun. Das ist unser Ziel und dafür wollen
        wir uns mit aller Kraft einsetzen und uns von nieman-
        dem überholen lassen.
        Naturschutz kann aber nur gelingen, wenn der prakti-
        sche Bezug voran steht. Nicht verwalten, sondern prakti-
        zieren. Nicht immer nur neue Gesetze, Verordnungen,
        Richtlinien, Leitlinien und neue Papierstapel – es muss
        darum gehen, in der Natur selbst etwas zu erreichen. Ge-
        rade im Natur- und Umweltschutz sehen sich die Betrof-
        fenen aber einer überbordenden Bürokratie gegenüber.
        Wie sieht es vor Ort tatsächlich aus? Manch praxis-
        ferne und langatmige Landschaftsplanung verunsichert
        die Menschen, die etwas bewegen wollen. Immer
        umfangreichere Umweltverträglichkeitsprüfungen, ver-
        zögernde Genehmigungsverfahren, explodierende Pla-
        nungskosten stellen Investitionshemmnisse dar und brin-
        gen den Umweltschutz in Misskredit. Wir, die Union,
        wollen nicht, dass sich unsere Bürger im Paragraphen-
        dschungel aus Richtlinien, Gesetzen, Verordnungen, Sat-
        zungen usw. verlaufen. Macht es nicht Sinn, diesen Wust
        an Regelungen und Zuständigkeiten in einem überschau-
        baren Umweltgesetzbuch zu bündeln? Dort müssten
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        mweltschutz-, Natur- und Waldgesetzgebung gleichbe-
        echtigt integriert werden. Durchschaubarkeit und Pra-
        isnähe sind hier gefragt.
        Wir wollen ein Weniger an Bürokratie und an Verwal-
        ung. Stattdessen wollen wir die finanziellen Ressourcen
        n Projekte vor Ort investieren. Für den praktischen Ein-
        atz für Naturschutz und Artenvielfalt in der Natur selbst
        ill sich die Union einsetzen. Dafür machen wir uns
        tark.
        Wir fordern die Bundesregierung auf, für einen ge-
        echten Ausgleich aller Interessenslagen zu sorgen. Da-
        ei kommt der vertrauensvollen Zusammenarbeit eine
        esondere Bedeutung zu. Erfolge können nur erzielt
        erden unter Einbeziehung der ordnungsgemäßen Land-
        nd Forstwirtschaft, dem Tourismus und den vor Ort le-
        enden und arbeitenden Menschen.
        Naturschutz bedeutet auch nicht, einen Istzustand
        onservieren zu wollen. Die Natur ist ein sich entwi-
        kelndes und veränderndes System. Entscheidend sind
        och Artenvielfalt und Biodiversität. Beispielsweise hat
        ie umsichtige Waldwirtschaft der Verantwortlichen vor
        rt dazu geführt, dass wir heute viele wertvolle Biotop-
        ereiche gerade im Wald vorfinden.
        Die Union steht für ein Miteinander aller Beteiligten.
        ir setzen uns ein für die Beachtung der Belange der Ei-
        entümer, für echte Mitsprache aller Betroffenen sowie
        ür mehr Selbstverwaltung der Gemeinden in natur-
        chutzrechtlichen Verfahren. Miteinander bedeutet für
        ie Union auch, im Sinne einer sozialen und ökologi-
        chen Marktwirtschaft den Menschen durch Arbeits-
        lätze das Einkommen zum Lebensunterhalt zu sichern,
        leichzeitig aber der Gesunderhaltung unserer Umwelt
        ohe Bedeutung beizumessen. Wer intakte Landschaf-
        en, eine geeignete Infrastruktur und eine nachhaltige
        ändliche Entwicklung erhalten will, muss den Men-
        chen auch die notwendigen Freiräume lassen.
        Klimaschutz, Umweltschutz, Naturschutz und damit
        in gesundes Lebensumfeld für uns und unsere Kinder
        edeutet auch, sich international für die Reduzierung
        on Treibhausgasen einzusetzen. Nachdem endlich auch
        ussland das Kioto-Protokoll ratifiziert hat, sind die
        ereinigten Staaten aufgefordert, diesem Beispiel zu fol-
        en. Hier muss die Bundesregierung dringend tätig wer-
        en. Insbesondere durch die Schaffung und Anerken-
        ung von Senken ist dem Klimaschutz Rechnung zu
        ragen. Hier ist insbesondere Bundesumweltminister
        rittin aufgefordert, tätig zu werden und nicht nur allge-
        eine Aussagen zu machen, wie wir es inzwischen von
        hm gewöhnt sind. Die Bundesregierung ist hier im Ver-
        leich zu Europa rückständig und ideologisch fehlgelei-
        et.
        Gleiches gilt für den Erhalt der Tropenwälder. Zwei-
        inhalb Milliarden Euro jährlich für die Förderung der
        egenerativen Energien, Emissionshandelsverpflichtun-
        en für unsere Wirtschaft, gleichzeitig Tropenwaldver-
        ichtung in erheblichem Ausmaß – es passt nicht zusam-
        en, wenn hier mit erheblichem finanziellen Aufwand
        aßnahmen vorangetrieben werden, gleichzeitig aber an
        nderer Stelle, etwa durch die Urwaldzerstörung, die
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13581
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        Auswirkungen auf Klima- und Umwelt um ein Vielfa-
        ches größer sind. Wir fordern die Bundesregierung auf,
        hier endlich tätig zu werden.
        In anderen Erdteilen werden überlebenswichtige Re-
        genwaldgebiete illegal abgeholzt, während in Deutsch-
        land ein riesiges, aber nachhaltig zur Verfügung stehen-
        des Potenzial nicht genutzt wird. Wir fordern daher die
        Bundesregierung auf, den nachwachsenden Rohstoffen
        mehr Bedeutung zu widmen. Sie stehen nachhaltig zur
        Verfügung, das heißt, sie wachsen von alleine wieder
        nach und werden umweltfreundlich erzeugt. Sie dienen
        dem Klimaschutz, schonen endliche Ressourcen und si-
        chern Arbeitsplätze, insbesondere im ländlichen Raum.
        Das ist ein blendendes Beispiel dafür, wie man wirt-
        schaftliche Entwicklung und Umwelt und Naturschutz
        miteinander verbinden kann. Tun Sie etwas, um unser
        Land in diesem Bereich voranzubringen.
        Wir, die Union, stehen zur Förderung und zum Aus-
        bau regenerativer Energien – aber dort, wo sie ökono-
        misch und ökologisch Sinn machen. Sie hingegen wol-
        len die Windenergieanlagen in immer neuen und
        größeren Dimensionen unter Hinnahme von Beeinträch-
        tigungen der Landschaft und der Artenvielfalt und auch
        insbesondere in Beeinträchtigung der Gesundheit der
        Menschen bis auf den letzten Hügel und bis ans letzte
        Haus vorrücken lassen. Während bei der Biomasse die
        erzeugte Energie nachhaltig zur Verfügung steht, müssen
        bei der Windenergie noch Parallelkapazitäten mit weite-
        ren Kosten vorgehalten werden. Windenergie nur dort,
        wo sie aufgrund hoher Leistung auch finanziell effektiv
        ist, gleichzeitig mehr Einsatz für die nachwachsenden
        Rohstoffe hin zur Wirtschaftlichkeit – das täte unserem
        Land gut.
        Ein weiteres Feld, in dem wirtschaftliche Entwick-
        lung und Naturschutz im Miteinander unser Land voran-
        bringen würden, ist der Bereich von Großschutzgebieten
        und Tourismus. Nationalparke und Biosphärenreservate
        bieten uns große Möglichkeiten für das Miteinander von
        Umwelt- und Naturschutz im Miteinander von Mensch,
        Wald und touristischer Entwicklung. Unberührte Kern-
        zonen, ergänzt durch naturverträglich bewirtschaftete
        Produktionsflächen der Land- und Forstwirtschaft, ver-
        bunden mit einer touristischen Infrastruktur und der Len-
        kung der Erholung suchenden Bevölkerung, wären der
        richtige Weg zum Erfolg. Großschutzgebiete dürfen
        keine Arbeitsplatzvernichter sein; sie müssen ein Motor
        der wirtschaftlichen Entwicklung im ländlichen Raum
        werden.
        Der Bund muss bei der Ausweisung von National-
        parks seiner Verantwortung gerecht werden. Sie, die
        Bundesregierung, Sie von Rot-Grün sind gefordert, nicht
        durch einsame Beschlüsse, sondern durch fachlich be-
        gründete Schutzgebietsausweisungen unter Einbezie-
        hung der Anrainerstädte, -gemeinden und -kreise, unter
        Anerkennung der großen Verdienste des Forstpersonals
        und der Bewirtschafter vor Ort, nicht durch schwammi-
        gen Umgebungsschutz, sondern durch klar abgegrenzte
        Gebietskulissen und damit Vertrauen in der Flächenaus-
        weisung, und in besonderem Maße unter Berücksichtigung
        des Vertragsnaturschutzes, das heißt: Inanspruchnahme
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        on Privateigentum durch freiwillige Vereinbarungen,
        iese Großschutzgebiete im Miteinander aller Beteilig-
        en zu entwickeln.
        Nur, wer kennt unsere Nationalparks? Was tun Sie als
        undesregierung für das Image unserer Nationalparks
        nd Biosphärenreservate? Warum gibt es bei der Neu-
        inrichtung von Großschutzgebieten, die wir ja haben
        ollen, immer wieder große Widerstände in der Bevöl-
        erung? Das ist so, weil es nicht verstanden wird, die
        enschen einzubeziehen Hier gibt es viel zu tun. Hier
        ollte die Regierung endlich etwas vorweisen können.
        So bietet auch die Umsetzung der Flora-Fauna-Habi-
        at-Richtlinie in nationales Recht große Chancen, aber
        uch Verpflichtungen zugleich. Fachlich begründete
        chutzgebietsausweisungen sind richtig und dazu steht
        uch die Union; denn wir als Union wollen, dass FFH-
        ebiete erhalten, gepflegt und entwickelt werden. Doch
        iese Gebiete müssen auch von gemeinschaftlichem In-
        eresse sein. So will es die Richtlinie und so wollen es
        uch wir, die Union. Zum Schutz der FFH-Gebiete wer-
        en in Art. 6 der FFH-Richtlinie rechtliche, administra-
        ive und vertragliche Mittel als gleichwertig nebeneinan-
        er gestellt. Diese gilt es zu nutzen.
        Uns kommt es dabei darauf an, dass das Vertrauen der
        igentümer bei der Umsetzung von Natura 2000 nicht
        issbraucht wird. Deren nachhaltige Wirtschaftsweise
        at schließlich zu diesen erhaltungswürdigen Zuständen
        eführt. Den Eigentümern steht ein Ausgleich zu für
        aßnahmen, die über die ordnungsgemäße Bewirtschaf-
        ung hinausgehen.
        Vor allem aber muss sich die Bundesregierung an ih-
        en eigenen Aussagen messen lassen. Nichts ist schlim-
        er, als eigene Versprechen wieder einzukassieren. Ich
        rinnere an die Aussagen des Staatssekretärs Berninger
        m Hinblick auf Entschädigungen für FFH-Ausweisun-
        en. Mit der Gebietsausweisung verbundene Einschrän-
        ungen bei der Waldbewirtschaftung sollten entschädigt
        erden. Doch nichts dergleichen ist bis heute eingelöst
        orden. Dies trägt nicht zu einem Mehr an Vertrauen
        ei, sondern fördert das Misstrauen. Dies bedeutet ein
        eniger an Miteinander, dies bedeutet Stillstand und
        isserfolg. Dies ist kennzeichnend für die Politik der
        etzigen von Rotgrün geführten Bundesregierung.
        Wollen wir in der Umwelt- und Naturschutzpolitik er-
        olgreich sein, so kommt es wesentlich darauf an, sich
        uf europäischer Ebene, aber auch international dafür
        inzusetzen, Umweltstandards gleichermaßen zu formu-
        ieren und zu kontrollieren. Auch hier erwarten wir ein
        ehr an Einsatz der jetzigen Regierung. Eine wirkungs-
        olle Umweltpolitik braucht überzeugende Strategien.
        ir fordern die jetzige Bundesregierung auf, hierzu end-
        ich konkrete Schritte einzuleiten. Wir fordern eine
        leichwertige Beteiligung des ländlichen Raumes an der
        llgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Der ländli-
        he Raum muss attraktiver Wirtschaftsstandort sein,
        enn er alle seine Funktionen auch im Natur- und Um-
        eltschutz erfüllen soll. Wir, die Union, wollen Natur
        chützen, entwickeln und wiederherstellen – und dies im
        iteinander von Ökonomie, Ökologie und der sozialen
        13582 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Komponente. Dabei wollen wir die Menschen in unse-
        rem Lande einbezogen wissen.
        Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Der Schutz
        und die nachhaltige Nutzung der natürlichen Lebens-
        grundlagen stellt national wie international eine zentrale
        Aufgabe dar. Für die CDU/CSU-Fraktion bedeutet Na-
        turschutz, Verantwortung für die Schöpfung zu überneh-
        men und diese – im Sinne eines ökologischen Generatio-
        nenvertrags – für die kommenden Generationen zu erhalten.
        Die für Deutschland in weiten Teilen charakteristi-
        schen Kulturlandschaften, die Lebensräume für zahlrei-
        che Tier- und Pflanzenarten bieten, entwickelten sich
        durch die über Jahrhunderte erfolgte land- und forstwirt-
        schaftliche Bewirtschaftung. Viele Arten sind an agra-
        risch genutzte Ökosysteme gebunden; das heißt die land-
        wirtschaftliche Nutzung der Flächen ist aus Gründen des
        Naturschutzes unverzichtbar.
        Über 72 Prozent der Agrarräume weisen nach Anga-
        ben der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forst-
        wirtschaft ein gutes Verhältnis zwischen naturnahen
        Landschaftselementen und intensiv bewirtschafteten
        Flächen auf. Die unionsgeführten Bundesländer fördern
        daher den Vertragsnaturschutz und die von der EU ange-
        botenen Agrarumweltmaßnahmen durch Kofinanzierung
        in vorbildlicher Weise.
        Land- und Forstwirte gehen in der Regel sehr scho-
        nend mit den natürlichen Ressourcen um. Das ist vor al-
        lem eine Folge der traditionellen Weitergabe der land-
        wirtschaftlichen Familienbetriebe an die kommende
        Generation. Der ländliche Raum hat zudem eine eigene
        Kultur und lebendige soziale Strukturen, die durch ein
        vielfältiges Vereinswesen, Nachbarschaftshilfe und Bür-
        gersinn geprägt sind.
        Unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Be-
        wirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe ist jedoch
        ihr wirtschaftlicher Erfolg. Dafür sind europaweit ein-
        heitliche Produktionsbedingungen auf dem gemeinsa-
        men Agrarmarkt und die Möglichkeit, modernste Pro-
        duktionsmethoden anzuwenden, unbedingt erforderlich.
        Das Verständnis der Union von nachhaltiger Nutzung
        der Natur geht somit konform mit dem Nachhaltigkeits-
        begriff der Agenda 21, denn es berücksichtigt sowohl
        ökologische als auch soziale und ökonomische Aspekte.
        Natur- und Umweltschutz in einem dicht besiedelten und
        in weiten Teilen agrarisch geprägten Industrieland wie
        Deutschland ist eben mehr als „nur“ Gebiete unter rigo-
        rosen Schutz zu stellen. Das kann partiell eine richtige
        Maßnahme sein, wichtiger ist jedoch oft, die Vereinbar-
        keit von Ökologie mit den ökonomischen Erfordernissen
        der ortsansässigen Menschen und deren sozialen Bedürf-
        nissen zu ermöglichen.
        Doch zurück zur nachhaltigen Flächenbewirtschaf-
        tung: Für die Landwirtschaft bedeutet das zum Beispiel,
        die jeweils modernsten Methoden zur Einsparung von
        Dünger und Bioziden einzusetzen, um möglichst um-
        weltschonend produzieren zu können. Deswegen sagen
        wir Ja zum Einsatz von gentechnischen Züchtungsver-
        fahren, wie zum Beispiel dem BT-Mais. Die Bundesre-
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        ierung musste in ihrer soeben erfolgten Antwort auf die
        leine Anfrage der FDP über die Bekämpfung des Mais-
        urzelbohrers – Bundestagsdrucksache 15/4226 – selbst
        ugeben, dass der Einsatz einer resistenten Maissorte ein
        irksames und umweltgerechtes Mittel zur Bekämpfung
        ieses Schadinsekts darstellt. Trotzdem legt sie der Gen-
        echnik Steine in den Weg, wo es nur geht.
        Zudem musste die Bundesregierung in dieser Antwort
        ugestehen, dass das europäische Zulassungsverfahren
        ür Gentechnik. eine für den Verbraucher und die Um-
        elt ausreichende Sicherheit bietet. In der Tat erfüllt der
        m letzten Jahr gefundene europäische Rechtsrahmen
        öchste Standards. So unterliegen gentechnisch verän-
        erte Pflanzen einer strengen und mehrjährigen Sicher-
        eitsüberprüfung unter Beteiligung mehrerer deutscher
        nd europäischer Behörden und Institute. Die Entschei-
        ung über die Zulassung erfolgt dabei in enger Zusam-
        enarbeit zwischen wissenschaftlichen und politischen
        remien. Darüber hinaus ist noch zusätzlich die übliche
        ortenzulassung nach dem Saatgutverkehrsgesetz not-
        endig.
        Auch die Wahlfreiheit der Verbraucher ist durch eine
        trenge Kennzeichnungspflicht gewährleistet. Von Kriti-
        ern wird dabei leider häufig vergessen, dass die Kenn-
        eichnungspflicht grundsätzlich ohne Schwellenwert gilt.
        er bekannte und in den Medien immer wieder zitierte
        chwellenwert von 0,9 Prozent ist lediglich für Lebens-
        ittel vorgesehen, die unbewusst mit GVO vermengt
        urden, zum Beispiel durch Auskreuzungen oder unge-
        ollte Vermischungen im Lager.
        Ein fachgerechter Einsatz der Grünen Gentechnik
        chadet auch der Biodiversität nicht. Dies ist nicht zu-
        etzt das Ergebnis der Farm-Scale-Evaluation, die im
        erbst letzten Jahres erschien und seitdem immer wieder
        erne von Gentechnikkritikern zitiert wird. Ziel der Stu-
        ie war es, die Auswirkungen auf die Unkrautbekämp-
        ung beim Anbau ausgewählter GVOs darzustellen.
        Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei herbi-
        idresistenten Raps und Zuckerrüben weniger Unkräuter
        nd bei Mais zunächst mehr Unkräuter gibt als bei ent-
        prechender Behandlung durch Herbizide. Doch gerade
        ies ist das Ziel beim Anbau von Kulturpflanzen: Diese
        ollen in Monokultur mit möglicht hohen Ertragsaus-
        ichten wachsen. Bei der Einhaltung von Ackerrand-
        treifen und ausreichenden Refugialflächen leidet die
        iodiversität nicht.
        Das eigentliche Problem ist dagegen, dass Deutsch-
        and sich an der internationalen Diskussion über den
        achgerechten Umgang mit der Grünen Gentechnik in
        ukunft nicht mehr ausreichend beteiligen kann. Dieses
        st die Folge des von der Bundesregierung erlassenen
        Gentechnikverhinderungsgesetzes“. Die Standards wer-
        en nunmehr andere Länder festlegen und Deutschland
        ann nur der Entwicklung hinterherlaufen. Damit ist in
        eutschland nicht nur eine Chance für eine innovative
        echnologie, sondern auch auf ein nachhaltiges Mit-
        inander von Interessen des Naturschutzes und der Na-
        urnutzung vertan worden.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13583
        (A) )
        (B) )
        Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Im „Living Planet Report 2004“ hat der
        WWF festgestellt, dass die Artenvielfalt in den letzten
        30 Jahren um 30 Prozent gesunken ist. Vor dem Hinter-
        grund derartig gravierender Veränderungen in der Natur
        diskutieren wir heute abschließen den Antrag von CDU/
        CSU.
        Uns allen sollte es wichtig sein, dass wir nicht dabei
        stehen bleiben, derartige Zahlen achelzuckend zur
        Kenntnis zu nehmen. Vielmehr muss es uns allen darum
        gehen, sie als Abbild von Prozessen zu verstehen, die
        mit uns unmittelbar zu tun haben, die nicht nur „ir-
        gendwo da draußen“ passieren, sondern die wirkliche
        Veränderungen unserer Lebensgrundlagen bedeuten.
        Verlust an Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes ist
        Verlust an unseren ureigenen Lebensgrundlagen. Wir
        wissen heute noch nicht, von welcher Verlustrate an
        diese Prozesse für den Menschen direkt gefährlich wer-
        den. Wir sind aber sicher gut beraten, nicht auf jenen
        Punkt zu warten, ab dem wir das Rad nicht mehr zurück-
        drehen können.
        Ihr Antrag stellt zwar fest, dass der Schutz der natürli-
        chen Lebensgrundlagen national und international eine
        zentrale Aufgabe darstelle und dass es in den 90er-Jahren
        hier nennenswerte Erfolge gegeben habe. Leiser sei diese
        positive Entwicklung – man staunt und hält den Atem
        an – justament im Jahre 1998, also mit der Regierungs-
        übernahme von Rot-Grün, zum Erliegen gekommen. –
        So viel dann zu dem von Ihnen immer weder beschwore-
        nen unideologischen Herangehen an die wichtigen Fra-
        gen des Naturschutzes.
        Auch Ihr Credo zur Lösung der Probleme des Natur-
        schutzes ist übersichtlich: Weniger Staat, weniger Büro-
        kratie und mehr marktwirtschaftliche Instrumente wer-
        den sich positiv auf den Umweltschutz auswirken.
        Amen. – Wenn es doch so einfach wäre, liebe Kollegin-
        nen und Kollegen: mehr vertragliche Vereinbarungen,
        weniger staatliche Vorschriften und Aktivitäten im Na-
        turschutz – und schon ist alles wieder im Lot. Vertragli-
        che Vereinbarungen sind nicht die einzig richtige Lösung
        für den Naturschutz; überall dort, wo sie die zweitbeste
        Lösung sind, sind sie eben nicht die beste Lösung. Ver-
        tragliche Vereinbarungen zum Dogma zu erheben bringt
        uns nicht weiter und wird auch der Komplexität der Pro-
        bleme im Natur- und Artenschutz nicht annähernd ge-
        recht.
        Dass wir Ihren Antrag ablehnen müssen, haben die
        Beratungen in den Ausschüssen noch einmal untermau-
        ert. Bei Ihnen ist leider kein konzeptioneller Ansatz zu
        erkennen. Sie binden einen großen Strauß bunter Forde-
        rungen, ohne dass eins zum anderen passt.
        Ich möchte an dieser Stelle lobend die Arbeit im Par-
        lamentarischen Beirat für Nachhaltigkeit erwähnen, wo
        es gelungen ist, sich mit allen Fraktionen auf wichtige
        Grundsätze der Natur- und Artenschutzpolitik zu ver-
        ständigen:
        Erstens die Erkenntnis: Natur- und Artenschutz geht
        alle an. Er muss als kontinuierliche Querschnittsaufgabe
        aller Ressorts betrieben werden. Das Ziel ist der Erhalt
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        er natürlichen Vielfalt und der Aufnahme- und Regene-
        ationsfähigkeit der Umwelt. Dies ist Voraussetzung für
        achhaltiges Wirtschaften. Zudem: Intakte Landschaften
        ind ein wichtiger Standortfaktor geworden.
        Zweitens die Feststellung: Wichtiges Aufgabenfeld
        es Naturschutzes ist der Arten- und Biotopschutz, wie
        r in Naturschutzgebieten, Flora-Fauna-Habitat-Gebie-
        en und durch Einrichtung des nationalen Biotopverbun-
        es, Biotopkartierungen und Erarbeitung Roter Listen
        ealisiert wird.
        Drittens die Erfahrung: Zunehmend finden menschli-
        he Nutzungsinteressen Berücksichtigung. Der koopera-
        ive Naturschutz soll weiter gestärkt werden. Beispiele
        afür sind der Vertragsnaturschutz und die Arbeit der
        andschaftspflegeverbände.
        Auf dieser Grundlage ist eine Verständigung möglich.
        Erfreulich in der Diskussion zu Ihrem Antrag ist das
        roße Interesse aller Fraktionen an einer Weiterentwick-
        ung des Grünen Bandes entlang der früheren innerdeut-
        chen Grenze. Die Verhandlungen zur kostenlosen Über-
        ragung von Bundesflächen im Grünen Band an die
        änder sind weit fortgeschritten und wir appellieren
        och einmal an alle Seiten, hier zügig zu einem Ergebnis
        u kommen, sodass im Zusammenwirken von Bund und
        ändern das Grüne Band als ökologisches Denkmal und
        ls Erinnerungsstätte an die Teilung Deutschlands gesi-
        hert werden kann.
        Wichtig für einen erfolgreichen Naturschutz ist die
        ichtige Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund,
        ändern und Kommunen, also das, was die Beratungen
        ur Neuordnung unserer bundesstaatlichen Ordnung
        ierzu als Ergebnis zeitigen werden. Dass Natur- und
        rtenschutz nur länderübergreifend funktionieren kann,
        edarf eigentlich keiner näheren Begründung. Ökologi-
        che Probleme sind schließlich nur in bio-geographi-
        chen Grenzen lösbar; denn Pflanzen und Tiere kennen
        eine administrativen Grenzen.
        Renommierte Umweltrechtler verweisen auf die
        norme Schwächung des Naturschutzes, wenn die Ge-
        etzgebungskompetenz des Bundes in diesem Bereich
        icht gestärkt, sondern geschwächt würde. Gerade bei ir-
        eversiblen Gemeinschaftsgütern sollten wir nicht Ge-
        ahr laufen, Zugriffsrechte der Länder zu definieren, die
        inen Wettkampf um das schwächste Naturschutzrecht
        ördern.
        Auch die EU-rechtlichen Entwicklungen erfordern
        mmer häufiger eine ganzheitliche, bundesweite Be-
        rachtung und Erfüllung von Aufgaben. Dies zeigt exem-
        larisch der bundesweite und europaweite Vernetzungs-
        edarf hinsichtlich des europäischen Biotopverbundes
        atura 2000.
        Bundeseinheitliche Regelungen würden die Länder
        uch hinsichtlich der deutlich zugenommenen Verwal-
        ungsaufgaben entlasten. Damit wäre auch die Einspa-
        ung von Kosten verbunden.
        Schließlich ist zu bedenken, dass durch die derzeit un-
        bersichtliche Rechtslage aufgrund der verflochtenen
        und/Länder-Zuständigkeiten Investoren von der
        13584 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Vornahme von wichtigen, landesübergreifenden Investi-
        tionen abgehalten werden. Bundeseinheitliche Regelun-
        gen sorgen demgemäß für die Erleichterung der Durch-
        führung von Investitionsvorhaben.
        Wir setzen deshalb darauf, dass mit der möglichen
        Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung bessere
        Möglichkeiten geschaffen werden, die Grundprobleme
        bei der Sicherung unseres nationalen Naturerbes zu lö-
        sen und die möglichen Vorteile optimal zu nutzen.
        Angelika Brunkhorst (FDP): In Deutschland kann
        man sich mitunter fragen, ob wir den Menschen per Ge-
        setz von der Natur ausschließen wollen. Wenn die Natur
        heute durch verschiedene Nutzungsansprüche des Men-
        schen Schaden nimmt, dann auch deshalb, weil er sich
        des ungeheuren Wertes des Naturerbes nicht immer be-
        wusst ist. Eine Vergrößerung der Distanz zwischen
        Mensch und Natur führt zu weniger Natur- und Umwelt-
        bewusstsein und somit zu einer weiteren Geringschät-
        zung von Tieren, Pflanzen und den natürlichen Lebens-
        räumen.
        Die FDP ist sich hier mit der CDU/CSU und aus-
        nahmsweise auch mit dem Präsidenten des Bundesamtes
        für Naturschutz, Herrn Vogtmann, einig: Nur wer die
        Natur kennt, weiß sie auch zu schätzen und zu schützen!
        Viele Punkte im Antrag der Union zum Miteinander im
        Naturschutz greifen dabei liberale Positionen auf. An
        vorderster Stelle ist zu nennen, dass neben der Ökologie
        gerade auch ökonomische und soziale Aspekte die
        Grundlage einer gemeinsamen Naturschutzstrategie sein
        müssen.
        Der Antrag der CDU/CSU stellt ganz richtig fest, dass
        seit 1998 die positive Entwicklung beim Schutz der na-
        türlichen Lebensgrundlagen ins Stocken geraten ist. Bei
        der Umsetzung der FFH-Richtlinie drohte die EU bereits
        mehrfach mit Sanktionen. Es ist nicht richtig, zu behaup-
        ten, das läge an der schwarz-gelben Landesregierung in
        Niedersachsen. Bei der Sicherung der Vogelschutzge-
        biete gibt es bekanntlich schon ein Defizitverfahren.
        Länder wie Österreich oder die Niederlande haben trotz
        einer höheren Bevölkerungsdichte hier ihre Hausaufga-
        ben schon erfüllt.
        Ein Trauerspiel ist, dass wir leider wieder lesen muss-
        ten, der deutsche Wald liege weiterhin im Krankenbett
        und sein Zustand habe sich im letzten Jahr sogar deutlich
        verschlechtert. Hier hilft nur liberale Medizin! Das hat
        auch Staatssekretär Matthias Berninger – BMVEL – am
        30. Oktober gegenüber der „Berliner Zeitung“ erklärt:
        Dem Wald würde am besten eine verstärkte Holznutzung
        helfen, um seinen Zustand zu verbessern. Man müsse
        den Wald kommerzieller nutzen, um ihn zu schützen.
        Eine intensivere Forstwirtschaft also, ein verstärktes
        Miteinander von Mensch und Natur. Er hat sogar noch
        viel mehr gelernt. Dazu seine Aussage in derselben Zei-
        tung zum Wildbestand erwähnt: Es gäbe zu viel Wild in
        den Deutschen Wäldern, die jungen Triebe der Bäume
        bekämen keine Chance zu wachsen. Es ist ein Aufruf an
        alle Jäger, mehr für den Wald zu tun, ein verstärktes Mit-
        einander von Ökonomie und Ökologie auf eine gesell-
        schaftlich anerkannte Basis zu stellen.
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        Die FDP unterstützt das Ziel, die Produktion und den
        bsatz von Holz in Deutschland zu steigern. Dies setzt
        ine effizientere Bewirtschaftung der Wälder und der zur
        erfügung stehenden Aufforstungsflächen voraus. Das
        otenzial und die Konkurrenzfähigkeit der Biomasse un-
        er marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten sind im Ein-
        elfall aber nachzuweisen und dürfen nicht vorreguliert
        erden. Auch die Biomasse kann nur einer Verwertung
        ienen und nicht gleichzeitig als Baustoff, Wärmeträger
        nd zur Strom- oder Kraftstoff Produktion dienen.
        Die FDP fordert wie die Union ein Weniger an Geset-
        en und Verordnungen und ein Mehr an Eigenverantwor-
        ung. Die Kompetenzen des bereits vorhandenen Perso-
        als in Forst- und Landwirtschaft sollte gestärkt werden.
        er Vertragsnaturschutz ist das beste Beispiel dafür. Im
        iteinander und vor allem in der Mitverantwortung von
        kteuren wie Land- und Forstwirten, den Erholungssu-
        henden und Sporttreibenden liegt der Schlüssel zu ei-
        em sozial und ökonomisch sinnvollen Ausbau des Na-
        urschutzes.
        Angesprochen wird im vorliegenden Antrag auch ein
        iotopenverbund entlang der ehemaligen innerdeut-
        chen Grenze, das „Grüne Band“. Bisher stellt sich die-
        er nur in Puzzleteilen dar. Die Bundesregierung hat es
        ersäumt, hier neben ihrer Verantwortung gegenüber
        em Landschaftsschutz auch ihrer Verantwortung gegen-
        ber internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden.
        as „Grüne Band“ innerhalb der Bundesrepublik ist nur
        in Teil des geplanten Verbundes von Schutzgebieten
        uer durch Europa entlang des ehemaligen Eisernen Vor-
        angs.
        In der Koalitionsvereinbarung für die 15. Legislaturpe-
        iode haben SPD und Grüne angekündigt, 100 000 Hektar
        kologisch wertvoller Flächen an die neuen Bundeslän-
        er zu übertragen. Dieses könnte auch dem „Grünen
        and“ zugute kommen. Weiterhin war vorgesehen, dass
        aturschutzflächen zur Sicherung eines nationalen Na-
        urerbes vorrangig den Naturschutzbehörden der Länder
        nd Naturschutzverbänden zum Kauf anzubieten.
        chade, dass beides bislang nur ungenügend umgesetzt
        urde. Hingegen muss sich die Regierung vom Deut-
        chen Naturschutzring vorwerfen lassen, Ihre Verspre-
        hen nicht einzuhalten.
        Aus gesicherter Quelle ist uns bekannt, dass die Bun-
        esregierung mittlerweile der EU-Kommission mitge-
        eilt hat, nur noch eine Fläche von 32 000 Hektar anstatt
        er angekündigten 100 000 Hektar aus der Hoheit der
        odenverwertungs- und -verwaltungs GmbH BVVG un-
        ntgeltlich an die Länder zu übertragen. Selbst bei den
        aturschutzverbänden formiert sich großer Widerstand.
        as BMU spricht dabei allerdings seelenruhig noch im-
        er von einem großen Erfolg der Bundesregierung bei
        er Sicherung des nationalen Naturerbes. Das ist rot-
        rüne Scheinheiligkeit!
        Naturschutz bedarf einfach auch eines gesunden
        enschenverstandes. Das heißt, dass es nicht zwanghaft
        m den Erhalt des Status quo gehen kann. Natur ist im
        luss, und auch frühere Eingriffe des Menschen in die
        atur gelten heute als besonders schützenswerte Land-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13585
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        schaften. Stellvertretend steht dafür die Kulturlandschaft
        der Lüneburger Heide.
        Vielleicht sollten wir mal einen PISA-Test mit dem
        Thema „Umwelt- und Naturkunde“ beantragen. Mal
        schauen, wie Deutschland da abschneidet. Umweltbil-
        dung in den Schulen ist ein wichtiges Element, um unser
        Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen
        Mensch und Natur zu stärken. Nur wer den Wert der Na-
        tur schätzen kann, ist bereit, sie zu schützen!
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung über den Entwurf eines Gesetzes
        zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratie-
        abbau und Deregulierung aus den Regionen
        und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vor-
        schriften (Tagesordnungspunkt 13)
        Dr. Rainer Wend (SPD): „Die Menschen sind sehr
        offen für neue Dinge, solange sie nur genau den alten
        gleichen.“ – Dieser Satz stammt von Charles F.
        Kettering, einem amerikanischen Industriellen, der bei
        General Motors für Forschung und Entwicklung zustän-
        dig war. Dennoch hat die Bundesregierung am 1. Sep-
        tember 2004 einen großen Schritt in Richtung Verände-
        rungen in Deutschland getan: Das Gesetz zur Umsetzung
        von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung
        aus den Regionen und zur Änderung wohnungsrechtli-
        cher Vorschriften ist ein Zeichen dafür.
        Was wird sich durch dieses Gesetz konkret ändern?
        Gerichtsverfahren werden beschleunigt, weil die Regie-
        rungen der Länder ermächtigt werden, zukünftig einem
        Amtsgericht eine Abteilung für Handelssachen zuzuwei-
        sen.
        Es werden Dokumentationspflichten gestrichen: So
        müssen private Erzeuger keine Abfallwirtschaftskon-
        zepte und Abfallbilanzen mehr vorlegen. Auch Unter-
        nehmen mit Umweltmanagement-System können nun
        unter bestimmten Voraussetzungen von der Abgabe ge-
        sonderter Emissionserklärungen befreit werden. Makler
        und Bauträger müssen Immobilieninserate nicht mehr
        aus Dokumentationsgründen aufheben.
        Aber auch innovative Techniken für die Abfallver-
        wertung werden durch das Gesetz gefördert, indem eine
        generelle Ausnahmebestimmung von dem Verbot, Che-
        mikalien in den Verkehr zu bringen, gestrichen worden
        ist.
        Im Bereich des Immissionsschutzrechts ist zukünftig
        der Erhalt einer Genehmigung und eines Vorbescheides
        auf einem einfacheren und schnelleren Weg möglich:
        Nun können sogar natürliche und juristische Personen,
        die die Anlage nicht selbst errichten oder betreiben wol-
        len, einen Antrag stellen.
        Das Personenförderungsgesetz erfährt ebenfalls eine
        Änderung, die den Einbau von Mobilfunkanlagen an-
        stelle von Funkanlagen in den jeweiligen Fahrzeugen er-
        leichtert.
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        Darüber hinaus wird das Gaststättenrecht liberalisiert.
        ine stärkere Gewichtung des Services in den Dienst-
        eistungsbranchen und im Handel ermöglicht es, dass
        uch dort den Kunden in größerem Maße Getränke und
        leine Speisen angeboten werden können.
        Die Gewerbeordnung und das Gaststättengesetz er-
        alten so genannte Experimentierklauseln: Sie ermögli-
        hen es, Berufsausübungsregelungen befristet außer
        raft zu setzen, um deren Auswirkung auf die Praxis zu
        ntersuchen. Bei positiven Erfahrungsberichten ließe
        ich später sogar eine vollständige Aufhebung begrün-
        en.
        Doch wie kam es zu diesem Gesetz? Wir erinnern
        ns: Im Sommer 2003 hat das Bundesministerium für
        irtschaft und Arbeit in Zusammenarbeit mit der
        ertelsmann-Stiftung das Projekt „Innovationsregionen
        ür Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch De-
        egulierung und Entbürokratisierung“ begonnen. Drei so
        enannte Modellregionen – Bremen, Ostwestfalen-
        ippe und Westmecklenburg – wurden auserkoren, da-
        it sie neben Vorschlägen zu kommunalen Regelungen
        nd Landesvorschriften auch Ideen für eine Entbürokra-
        isierung und Erleichterung der Vorschriften auf Bundes-
        bene unterbreiten.
        Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind durch
        ie bürokratischen Vorschriften stark belastet; das ist
        chon lange bekannt. Max Weber verstand unter dem
        egriff „Bürokratie“ noch „die reinste Form der legalen
        errschaft“. Max Weber hat die Bürokratie als wichtigen
        nd bewährten Organisationstyp in modernen Industrie-
        esellschaften untersucht. Er hat ihr drei charakteristi-
        che Merkmale zugeschrieben: kühle Sachlichkeit, in ih-
        er Wirkungsweise entpersönlicht, verlässlich und
        räzise, sowohl für den Dienstherrn als auch für den
        usführenden und Interessenten. Im Grundsatz lässt sich
        em wohl auch heute nichts entgegensetzen. Mit einem
        lick auf all die Vorschriften, die heute im täglichen Le-
        en, vor allen Dingen im Geschäfts- und Wirtschaftsle-
        en, einzuhalten sind, ist unschwer zu erkennen, dass sie
        ie Wirtschaft „lahm legen“. Etwa 70 000 Gesetze und
        erordnungen beschäftigen nach Angaben des BMWA
        ie Unternehmen in Deutschland.
        Die Modellregionen haben zahlreiche Ideen präsen-
        iert. Die Bundesregierung hat nun 29 dieser Vorschläge
        ls bundesweite Regelungen aufgegriffen. Zehn davon
        inden sich im Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen
        u Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regio-
        en und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften
        ieder. Die übrigen Anregungen wurden beziehungs-
        eise werden noch umgesetzt.
        Die Zusammenarbeit mit den Regionen, die als „Be-
        roffene“ ihre praktischen Erfahrungen in die Vorschläge
        nd Weiterentwicklung gesetzlicher Vorschriften haben
        inbringen können, ist in einem ganz neuen Verfahren
        rfolgt. Diese Einbindung in den Gesetzgebungsprozess
        erleiht den Regionen einen besonderen Stellenwert. Die
        usarbeitung der Vorschläge ist auf ihr Engagement, ih-
        en Ideenreichtum zurückzuführen. Dafür möchte ich
        en einzelnen Regionen, denjenigen, die die Arbeit maß-
        eblich mitgetragen haben, meinen Dank aussprechen.
        13586 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Trotz dieser ersten Erfolge, die in Form eines Geset-
        zes nun vorliegen, ist der Prozess des Bürokratieabbaus
        und der Deregulierung selbstverständlich noch lange
        nicht abgeschlossen. Die Enttäuschung der Regionen
        darüber, dass nicht alle Vorschläge in das Gesetz Ein-
        gang gefunden haben, verstehe ich und ich teile sie so-
        gar. Dennoch möchte ich an dieser Stelle betonen, wie
        schwierig es ist, das Thema der Entbürokratisierung tat-
        sächlich in Angriff zu nehmen. Ich erinnere noch einmal
        an Charles F. Kettering und seine treffende Aussage über
        die Gewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger und ihr
        ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis.
        Allgemeine Forderungen nach Veränderungen und
        Vereinfachungen auszusprechen, fällt leicht. Ihre Umset-
        zung hingegen stößt dennoch vielfach auf Skepsis, sogar
        auf Widerstand. Es sind die konkreten Maßnahmen, die
        den einen oder anderen, der die Forderung nach Büro-
        kratieabbau einst formuliert hat, selber betreffen. Wie
        heißt es so schön? Man soll nicht mit dem Finger immer
        nur auf andere Leute zeigen, sondern immer erst bei sich
        selber anfangen! Dieser Satz trifft wohl den Nagel auf
        den Kopf.
        Sobald in der Planung oder Umsetzung etwas schief
        läuft, Probleme auftreten, sind die Folgen bereits vorher
        abschätzbar. Was passiert nämlich? Natürlich: Es werden
        Prozesse vor den Gerichten angestrengt und es werden
        Kampagnen in den Medien gestartet. Schließlich muss
        ein Schuldiger und der Beweis dafür, dass eine Idee ein-
        mal mehr gescheitert ist, gefunden werden.
        Dennoch: Ohne Risikobereitschaft ist dieser Erneue-
        rungsprozess, der für unsere Wirtschaft, vor allen Din-
        gen für unseren Mittelstand und unsere Wettbewerbsfä-
        higkeit unerlässlich ist, nicht zu schaffen. Vorbildlich im
        Vorantreiben dieses Prozesses ist das Land Nordrhein-
        Westfalen. Mit dem In-Kraft-Treten des Bürokratieab-
        baugesetzes am 19. April 2004 ist Ostwestfalen-Lippe
        die erste Modellregion für Bürokratieabbau auf Landes-
        ebene. Durch das Gesetz werden dort ausgewählte Lan-
        desvorschriften für drei Jahre befristet außer Kraft
        gesetzt. Der erste Vorschlag, die schnellere Ausnahme-
        genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit, wurde von
        der Bezirksregierung Detmold bereits in die Tat umge-
        setzt. Dadurch konnten in Ostwestfalen-Lippe mehrere
        tausend Arbeitsplätze in der Automobil- sowie der
        Kunststoff verarbeitenden Industrie gesichert und neue
        Jobs geschaffen werden.
        Der Bund ist mit dem Gesetz zur Umsetzung von Vor-
        schlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den
        Regionen und zur Änderung wohnungsrechtlicher Vor-
        schriften als erstem Schritt noch lange nicht am Ende an-
        gelangt. Einige Bereiche, die besonders durch bürokrati-
        sche Vorschriften belastet sind, bleiben zunächst noch
        unverändert. Es wird sich ein Weg finden, Innovations-
        fähigkeit zu beweisen und die Bürgerinnen und Bürger
        auf diesem Weg mitzunehmen. Auch die Hürden können
        und müssen wir beseitigen. Vielleicht lässt sich dann ir-
        gendwann der Zusatz in meinem Anfangszitat streichen,
        sodass nur noch der Satz übrig bleibt: Die Menschen
        sind sehr offen für neue Dinge!
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        Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Man kennt den
        atz: „Besteht ein Personalrat aus einer Person, so ent-
        ällt die Trennung nach Geschlechtern.“ Bill Gates be-
        ann in einer Garage. Da wäre er bei uns schon am Ge-
        erbeaufsichtsamt gescheitert. Einem Fotografen wollte
        an in seiner Dunkelkammer ein Fenster vorschreiben.
        egründung: Die dort Beschäftigten müssten mit ausrei-
        hend Licht versorgt werden. Man könnte sich totlachen,
        enn es nicht so traurig wäre. Das erste Beispiel berührt
        a nur die Sprache, bei den beiden anderen stehen leider
        ogar Existenzen auf dem Spiel. Alle drei vereint das
        tichwort Bürokratie; ihr will die Bundesregierung mit
        em vorliegenden Gesetzentwurf an den Kragen gehen.
        Dieser Gesetzentwurf ist wieder einmal ein Artikelge-
        etz. Die Form des Artikelgesetzes scheint die bevor-
        ugte Form der Koalition zu werden, denn darin kann
        an so schöne Dinge verpacken, die miteinander nichts
        der nicht viel zu tun haben. Und es hat für die Regie-
        ung den Charme, dass sie einen unumstrittenen Artikel
        ls trojanisches Pferd benutzt, um andere, umstrittenere
        it durchzuziehen: Die Änderungen wohnungsrechtli-
        her Vorschriften sind Ergebnis der Beratungen des Ver-
        ittlungsausschusses. Es handelt sich überwiegend um
        llgemeine Klarstellungen, mit denen die Union keine
        robleme hat. Diese Klarstellungen sind notwendig und
        achen Sinn. Allenfalls ist zu beklagen, dass diese Än-
        erungen nicht zügiger erfolgt sind, denn der 1. Januar
        st nicht mehr weit. Was nun diese Klarstellungen aber in
        inem gemeinsamen Gesetzentwurf zu suchen haben,
        er regelt, ob ein Ladenbesitzer einen Stuhl und einen
        isch aufstellen darf, damit seine Kunden einen Kaffee
        rinken können, ist mir nicht ersichtlich. Es ist offenkun-
        ig so, dass versucht wird, mit der erwarteten Zustim-
        ung der Opposition zu dem einen Teil des Gesetzent-
        urfs gleich noch ein paar andere mit durchzuziehen,
        ie ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren offensicht-
        ich scheuen müssen.
        Es geht bei diesen Artikeln im Kern um den Bürokra-
        ieabbau. Bürokratieabbau ist gut; Beifall von allen Sei-
        en ist bei diesem Thema sicher. Auch die Union ist für
        en Bürokratieabbau und hat diesbezüglich vielfältige
        ktivitäten entwickelt. Das unionsgeführte Saarland
        teht hier besonders gut da. Der Bundesrat hat am ver-
        angenen Freitag ein ganzes Paket von Maßnahmen be-
        chlossen, das unter anderem den Bürokratieabbau be-
        onders in der Arbeitswelt voranbringen soll. Gerade
        ier ist das wichtig, denn die Bürokratie ist ursächlich
        afür verantwortlich, dass viele Arbeitsplätze nicht ent-
        tehen. Die Bürokratie ist hierzulande ein Problem ge-
        orden, das sich als Schleier wie Mehltau über die
        olkswirtschaft und damit die Arbeitsplätze legt. Sie ist
        ach meiner Überzeugung mittlerweile eine der wirkungs-
        ollsten Bremsen für die wirtschaftliche Entwicklung in
        eutschland geworden. Das Problem ist so schwerwie-
        end, das richtigerweise der Wirtschafts- und Arbeitsmi-
        ister den Bürokratieabbau zur Chefsache erklärt hat.
        ine Erklärung ist aber nur so viel wert, wie ihr auch Ta-
        en folgen. Aber daran hapert es gewaltig.
        Die vorgelegten zehn Artikel betreffen nun wirklich
        ur einige wenige kleine Pflänzchen des munter wach-
        enden Bürokratie-Urwaldes. Diesem Urwald droht der
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13587
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        Wirtschaftsminister vollmundig seit Jahren mit der Ma-
        chete, mit diesem Gesetzentwurf hat er aber noch nicht
        einmal eine Schneise geschlagen. Eindrucksvoller Beleg
        für die „Erfolge“ beim Bürokratieabbau der Regierung
        ist die Änderung bei Art. 7 Personenbeförderungsgesetz,
        der regelt, dass nun nicht mehr „per Funk“, sondern auch
        „fernmündlich“ gehandelt werden darf. Interessant die
        Begründung der Regierung zu dieser fundamentalen Än-
        derung.
        Mit der Änderung wird der Entwicklung bei den
        Übermittlungstechniken Rechnung getragen. Neben
        Funk kann jetzt auch das Mobiltelefon treten.
        Dass das Mobiltelefon physikalisch auch eine Funk-
        übertragung ist, scheint der Regierung dabei entgangen
        zu sein.
        Nun könnte man sagen: Kleine Maßnahme – große
        Wirkung. Das wäre optimal. Ich bestreite das aber bei
        den Maßnahmen dieses Gesetzentwurfes vehement. Es
        sind die sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein.
        Jede von der Regierung vorgeschlagene Änderung ist für
        sich durchaus nachvollziehbar und zu begrüßen, denn
        alle verbessern im Detail immerhin die Lage der Betrof-
        fenen oder sie berücksichtigen den inzwischen eingetre-
        tenen technischen Fortschritt. Sie sind in Zusammenar-
        beit mit den Modellregionen entstanden. Wenn ich mir
        aber die jeweiligen Datumsangaben der zu ändernden
        Gesetze anschaue, dann fällt auf, dass sie alle noch gar
        nicht so alt sind. Teilweise haben sie die letzte Fassung
        erst 2004 erhalten. Es sind also keine Ladenhüter, die
        noch im Schreibmaschinenzeitalter beschlossen worden
        sind.
        Das eben zitierte Personenbeförderungsgesetz, das
        jetzt also auch Mobiltelefone zulässt, ist beispielsweise
        zuletzt am 29. Dezember 2003 geändert worden, also
        noch nicht einmal ein Jahr alt. Ich denke, das Mobiltele-
        fonzeitalter hat wesentlich früher begonnen. Alle Abge-
        ordneten sollten mehr Obacht geben, dass unsere Ge-
        setze solider und nachhaltiger erarbeitet werden, sodass
        solche Korrekturen wie in diesem Gesetzentwurf über-
        flüssig werden. In erster Linie ist natürlich die Regie-
        rung gefragt, aber auf die Idee mit den Mobiltelefonen
        hätten wir auch in den Ausschüssen kommen müssen.
        Das sage ich durchaus selbstkritisch.
        Der vorliegende Gesetzentwurf macht deutlich, dass
        beim Bürokratieabbau noch viel Arbeit vor uns liegt und
        dass die Regierung im Grunde noch nicht einmal die
        Spitze des Eisbergs angekratzt hat. Im Gegenteil: Sie
        lässt die Kältemaschinen auf Hochtouren laufen, damit
        der Eisberg eher noch größer wird. Allein in den ersten
        zwölf Monaten ihrer zweiten Amtszeit hat die Regierung
        fast 50 Gesetze beziehungsweise Gesetzesänderungen
        und über 400 Verordnungen beziehungsweise Verord-
        nungsänderungen erlassen. Dagegen wurden im gleichen
        Zeitraum nur 13 Gesetze und 98 Rechtsverordnungen
        außer Kraft gesetzt.
        Das Institut für Mittelstandsforschung hat festgestellt,
        dass die bürokratischen Kosten in den vergangenen Jah-
        ren nicht gesunken sondern sogar gestiegen sind. Für
        2003 schätzt das Institut die Belastung auf 46 Milliarden
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        uro, etwa ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren.
        wischen sechs und 64 Stunden müssen die Unterneh-
        en je nach Größe im Jahr und pro Beschäftigtem dafür
        ufbringen. Das Schlimme daran ist, dass insbesondere
        ie kleinen Unternehmen mit besonders hohen Kosten
        elastet werden, da sie die Berichtspflichten und sonsti-
        en bürokratischen Anforderungen nicht so rationalisie-
        en können wie die großen Betriebe. Bei den Unterneh-
        en von ein bis neun Beschäftigten fallen, so hat das
        nstitut ermittelt, im Durchschnitt 63,8 Stunden Büro-
        ratiebelastung je Beschäftigtem und Jahr an. Umge-
        echnet sind das 4 361 Euro je Beschäftigtem und Jahr.
        as ist Geld, das für Investitionen fehlt, also für die
        chaffung von Arbeitsplätzen. Es fehlt natürlich auch
        en Leuten in der Lohntüte. Eines wollen wir auch nicht
        ergessen: Bürokratie kostet nicht nur Geld, sondern
        uch Nerven.
        Jeder, der hierzulande ein Unternehmen gründen will,
        chlägt sich mit einem Wust von Antragsformularen he-
        um und läuft sich die Füße wund. Für das in Art. 8 die-
        es Gesetzentwurfes geregelte Aufstellen von Tisch und
        tuhl als gastronomische Ergänzung von Dienstleis-
        ungsunternehmen sollte ein Berliner jede Menge Pa-
        ierkram abliefern: Bauvorlagen in fünffacher Ausferti-
        ung, Grundriß 1 : 100, Angaben zur farblichen
        estaltung, zur geplanten Raumtemperatur und ob Lie-
        eräume für Frauen geplant seien. Wir regen uns auf,
        ass Brüssel angeblich das Krümmungsmaß einer Ba-
        ane festlege, und lassen selber eine Gewerbeidee daran
        cheitern, dass der Keller zwei Zentimeter zu niedrig ist.
        Zum Schluss komme ich noch einmal auf die Arbeits-
        arktpolitik zurück. Gerade dieser Bereich ist derart
        berreguliert, also bürokratisiert, dass die hohe andau-
        rnde Arbeitslosigkeit zu wesentlichen Teilen ein Ergeb-
        is der herrschenden Bürokratie ist. Sie drückt sich in
        eschäftigungs- und Einstellungshürden aus. Wenn es
        nzwischen leichter ist, eine Ehe zu scheiden, als einen
        rbeitnehmer zu entlassen, wenn es im Betrieb nicht
        äuft, dann zeigt sich hier dringender Handlungsbedarf.
        Es ist doch so: Jede Regelung bedeutet heruntergebro-
        hen auf den Betrieb Kosten. Ob es das Teilzeitarbeits-
        echt, die Mitbestimmung, das Arbeitssicherheitsgesetz
        der die Arbeitsstättenverordnung ist, alles ist dicht re-
        uliert, um ja jeden denkbaren Fall zu erfassen, und er-
        tickt damit Eigenverantwortung und vernünftiges Han-
        eln. Das ist kontraproduktiv für Beschäftigung. Das
        lockiert den Arbeitsmarkt. Die Union hat mit ihrem
        ntrag „Bürokratische Hemmnisse beseitigen – Bessere
        ahmenbedingungen für Arbeit in Deutschland“ auf
        rucksache 15/4156 Möglichkeiten aufgezeigt, wo und
        ie das Dickicht gelüftet werden muss. Ich bin
        berzeugt, nur wenn man die Bürokratiemauern einreißt,
        chafft man auf Dauer neue Arbeitsplätze.
        Birgit Homburger (FDP): Gemessen an den wieder-
        olten großartigen Ankündigungen von Bundeswirt-
        chaftsminister Wolfgang Clement zum Bürokratieabbau
        st der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf ein Sammelsurium
        on Petitessen. Die angekündigten Vereinfachungen
        um Beispiel im Gaststättenrecht, im Gewerberecht, im
        13588 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Abfallrecht oder im Wohnungsrecht sind Kleinigkeiten
        im Vergleich zum Berg an Bürokratielasten die jährlich
        auf die Unternehmen zukommen. Die enormen Kosten
        komplizierter Steuer- und Abgaberegelungen, des zu
        starren Arbeitsrechts, umfangreicher statistischer Melde-
        pflichten und eines hoch komplizierten Umweltrechts
        bremsen weiterhin Wachstum und Beschäftigung aus.
        Das Institut für Mittelstandsforschung hat errechnet,
        dass zwischenzeitlich die jährliche Belastung der Unter-
        nehmen bei 46 Milliarden Euro liegt. Der größere Teil
        davon entfällt auf die zuvor genannten großen Kosten-
        blöcke. In diesem Bereich tut sich mit diesem Gesetzent-
        wurf weiterhin nichts.
        Angesichts der Tatsache, dass dieser Gesetzentwurf
        die Vorschläge der von Bundeswirtschaftsminister
        Clement eingerichteten so genannten Testregionen für
        Innovationsregionen umsetzen soll, ist der Gesetzent-
        wurf eine Blamage. Da wurden mit großem Aufwand in
        drei Testregionen tausend Vorschläge erarbeitet, von de-
        nen jetzt einige wenige, und davon dann auch noch die
        nicht ganz wesentlichen, im Gesetz umgesetzt werden.
        Der Gesetzentwurf offenbart erneut, dass sich Herr
        Clement in der Bundesregierung nicht durchsetzen kann.
        Wie sonst ist es zu erklären, dass die von ihm im Zusam-
        menhang mit der Umsetzung dieser Initiativen angekün-
        digte Liberalisierung der Ladenschlussregelungen wie-
        der nicht enthalten ist? Warum schafft er nicht die
        Pflichtrestmülltonne für Gewerbeabfälle ab? Und warum
        warten die Unternehmen immer noch auf die generelle
        Umstellung der Umsatzsteuervorauszahlung auf die Ist-
        besteuerung? Auch die großmundige Ankündigung, die
        geltende Arbeitsstättenverordnung drastisch zu vereinfa-
        chen und damit erhebliche Kosten für die Betriebe ein-
        zusparen, ist nach wie vor nicht realisiert. Diese Maß-
        nahmen würden wenigstens zu einer spürbaren
        Kostenentlastung führen. Stattdessen enthält der Gesetz-
        entwurf einige wenige Vereinfachungen ohne große
        Kostenrelevanz.
        Vor diesem Hintergrund wird die FDP-Bundestags-
        fraktion ihre „Initiative Bürokratieabbau“ weiter fortset-
        zen und in jeder Sitzungswoche einen konkreten Vor-
        schlag zum Abbau von Bürokratie unterbreiten. Das
        Prestigeprojekt des Bundeswirtschaftsministers, „Mas-
        terplan Bürokratieabbau“, ist furios gescheitert.
        Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär im Bundes-
        ministerium für Wirtschaft und Arbeit: Deregulierung
        und Entbürokratisierung haben zwei Feinde. Der erste
        Feind will keine Veränderung. Er will, dass alles so
        bleibt, wie es ist. Veränderungen sind ihm ein Gräuel.
        Wie heißt es so schön in England: Die einzigen, die Ver-
        änderungen mögen, sind Babys in nassen Windeln! Die-
        ser Gegner der Veränderungen ist ein starker Gegner. Al-
        lerdings wird sein Widerstand zu überwinden sein. Die
        Notwendigkeit von Veränderungen muss auch er letzt-
        lich anerkennen.
        Dann gibt es den anderen Feind von Veränderung. Er
        ist in der Tat viel schwieriger zu besiegen, denn er for-
        dert bei Deregulierung und Entbürokratisierung immer
        mehr. Er ist maßlos und sattelt drauf. Jeder Vorschlag,
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        en irgendjemand gemacht hat, ist für ihn zwar ein
        chritt in die richtige Richtung, aber natürlich nicht aus-
        eichend. Die Schritte sind ihm zu klein, zu unbedeu-
        end, sodass er gleich alles ablehnt. Er erreicht damit,
        ass sich letztlich nichts, aber auch gar nichts bewegt.
        Dies vorweggeschickt, möchte ich zum Stand der
        msetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und
        eregulierung aus den Regionen und zur Änderung
        ohnungsrechtlicher Vorschriften kommen, bei denen
        ch viele Schritte in die richtige Richtung sehe, welche
        ie konstruktive Unterstützung der Opposition verdie-
        en. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
        atte im Sommer 2003 in Kooperation mit der Bertels-
        ann-Stiftung das Projekt „Innovationsregionen für
        irtschaftswachstum und Beschäftigung durch Deregu-
        ierung und Entbürokratisierung“ begonnen. Ziel des
        rojektes war die Ermittlung von Hemmnissen für die
        irtschaft durch gesetzliche Vorschriften und deren
        ollzug.
        In einer ersten Runde waren die Regionen Freie Han-
        estadt Bremen, Ostwestfalen-Lippe und Westmecklen-
        urg beteiligt. Sie erarbeiteten unter der Einbeziehung
        on Praktikern aus Wirtschaft und Verwaltung neben
        orschlägen zu kommunalen Regelungen und Landes-
        orschriften auch Vorschläge zur Entbürokratisierung
        nd Erleichterung bundesrechtlicher Vorschriften. Hier-
        ei handelt es sich insbesondere um verfahrensrechtliche
        orschriften, die die verschiedensten Rechtsgebiete,
        um Beispiel Umweltrecht, Baurecht, Verkehrsrecht,
        ewerberecht, Arbeitsschutz, betreffen und in die Zu-
        tändigkeit mehrerer Bundesressorts fallen.
        Das Bundeskabinett hat sich im April 2004 mit diesen
        orschlägen befasst und einer sofortigen bundesweiten
        msetzung zugestimmt. Auf Initiative von Bundesmi-
        ister Clement hin wurde auf die ursprünglich vorgese-
        ene mehrjährige Testphase verzichtet. Dadurch kom-
        en die Erleichterungen kurzfristig allen zugute. Die
        nterministeriell abgestimmten Vorschläge wurden am
        2. Mai 2004 vom Bundeskabinett beschlossen.
        Der unter Federführung des BMWA erarbeitete Ent-
        urf eines Gesetzes zur Umsetzung von Vorschlägen zu
        ürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen
        nd zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften
        iegt Ihnen heute zur ersten Lesung vor. Er enthält Geset-
        esänderungen zur Umsetzung eines großen Teils dieser
        orschläge aus den beteiligten Regionen.
        Enthalten sind beispielsweise die Beschleunigung
        on Gerichtsverfahren durch die überörtliche Einrich-
        ung von Abteilungen für Handelssachen an Amtsgerich-
        en, die Aufhebung der Verpflichtung zur Erstellung und
        orlage von Abfallwirtschaftskonzepten und Abfallbi-
        anzen für private Erzeuger, die Erleichterung der Be-
        ichts- und Dokumentationspflichten für Unternehmen
        it Umweltmanagement-Systemen – EMAS – sowie
        ine Liberalisierung im Gaststättenrecht. In Zukunft
        ird es vor allem in Dienstleistungsbranchen und im
        andel möglich sein, Kunden Getränke und kleinere
        peisen erlaubnisfrei anzubieten. Des Weiteren sollen
        ie Erlaubnisfreiheit im Beherbergungsgewerbe auf Be-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13589
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        triebe bis zwölf Betten erhöht und Erleichterungen für
        kleine Imbissbetriebe geschaffen werden.
        Zudem ist eine allgemeine Experimentierklausel für
        Bestimmungen der Gewerbeordnung – GEWO – und des
        Gaststättengesetzes – GastG – enthalten. Eine solche Er-
        probungsklausel ermöglicht, Berufsausübungsregelun-
        gen befristet aufzuheben, um deren Auswirkungen auf
        die Praxis zu untersuchen. Bei letztlich positiver Bewer-
        tung der Maßnahme bietet es sich dann an, diese Bestim-
        mungen insgesamt aufzuheben.
        Ferner ist eine Reduzierung von Prüf- und Aufbewah-
        rungspflichten für Makler und Bauträger enthalten. Wei-
        tere Vorschläge der Vorschlagsliste werden durch Ände-
        rungen der Spezialgesetze durch die jeweils zuständigen
        Ressorts umgesetzt.
        Auch der Bundesrat hat sich intensiv mit diesen Vor-
        schlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung befasst.
        Da ihm zum gleichen Zeitpunkt auch Gesetzesinitiativen
        verschiedener Länder zum Bürokratieabbau, teilweise zu
        den gleichen Regelungsbereichen vorlagen, bot sich de-
        ren gemeinsame Behandlung an. In seiner Stellung-
        nahme hat der Bundesrat eine ganze Reihe von Empfeh-
        lungen zu dem Gesetzentwurf abgegeben.
        Zum Gesetzentwurf allgemein teilt die Bundesregie-
        rung die Auffassung des Bundesrates, dass die Eigenver-
        antwortung von Wirtschaft und Bürgern zu stärken und
        bürokratische Überreglementierungen zu beseitigen
        sind. Sie betrachtet dies ebenfalls als eine Daueraufgabe
        und verweist in diesem Zusammenhang auf die „Initia-
        tive Bürokratieabbau“ mit einer Vielzahl konkreter Pro-
        jekte. Die Änderungsvorschläge des Bundesrates sind im
        Wesentlichen auf noch umfangreichere Entlastungen ge-
        richtet. Besonders zu den Vorschlägen im Umweltbe-
        reich und hier insbesondere zur Erweiterung der Privile-
        gierungen für EMAS-zertifizierte Betriebe hat der
        Bundesrat eine Vielzahl von weiteren Änderungen und
        Ergänzungen vorgeschlagen. Die Bundesregierung kann
        diesen Vorschlägen nur in geringem Umfang zustimmen,
        da vielfach praktische, fachrechtliche oder europarecht-
        liche Gründe entgegenstehen.
        Des Weiteren gab es sehr viele, allerdings auch sehr
        widersprüchliche Anträge der Länder zu den vorgesehe-
        nen Änderungen im Gaststättenrecht. Diese reichten von
        der Ablehnung jeder Änderung des geltenden Rechts bis
        hin zu ganz radikalen Änderungen. Daran wird deutlich,
        dass sich die Länder über die Zielrichtung erforderlicher
        Änderungen noch nicht einig sind.
        Mehrheitlich angenommen wurden die weitgehends-
        ten Anträge, die zur vollständigen Befreiung der Beher-
        bergungsbetriebe von der Erlaubnispflicht und zu einer
        Reduzierung der Gaststättenerlaubnis auf die Abgabe
        von alkoholischen Getränken führen würden. Dies kann
        von der Bundesregierung so nicht mitgetragen werden.
        Abgelehnt wurde vom Bundesrat die vorgesehene Erpro-
        bungsklausel im Gewerbe- und Gaststättenrecht, die den
        Ländern ein befristetes Abweichen von Berufsaus-
        übungsregelungen ermöglichen soll. Die Bundesregie-
        rung hält in der Gegenäußerung an dieser Vorschrift fest,
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        umal derartige Klauseln auch Forderungen der Länder
        m Rahmen der Föderalismusreform entsprechen.
        Wie Bundeswirtschaftsminister Clement bereits ange-
        ündigt hat, soll in Kürze eine weitere Deregulierungs-
        unde folgen. Wir haben aus den Erfahrungen der ersten
        unde gelernt und wollen deshalb in Zukunft jede Re-
        ion, die mitarbeiten will, beteiligen. Wir werden die je-
        eils zuständige Industrie- und Handelskammer bitten,
        as Projekt in ihrer Region zu begleiten. Damit die Qua-
        ität der Vorschläge und nicht nur eine große Quantität
        on Vorschlägen im Vordergrund steht, sollen die Regio-
        en ihre Vorschläge nach Prioritäten ordnen. Wir werden
        ie Länder bitten, sich aktiv in diese Projekte einzubrin-
        en. Auch die beteiligten Städte und Gemeinden werden
        ich beteiligen müssen, indem sie eigene Vorschriften zu
        rüfen haben.
        Was uns zuweilen aber noch fehlt, ist die Bereitschaft
        er Opposition, wichtige und notwendige Reformvorha-
        en konstruktiv zu begleiten und nicht reflexartig jede
        eränderung abzulehnen.
        Ich appelliere deshalb an die Opposition, diesen Weg
        itzugehen. Goethe hat einmal gesagt, „es ist nicht ge-
        ug zu wollen, man muß auch tun!“ Ich appelliere des-
        alb an die Opposition, ihr Tun unter Beweis zu stellen,
        ndem sie nicht immer die Schritte der Bundesregierung
        ls zu klein kritisiert, sondern mitarbeitet, damit wir mit
        ielen kleinen Schritten unserem gemeinsamen Ziel, der
        ürokratie in Deutschland Paroli zu bieten, ein Stück nä-
        er kommen.
        nlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Weltbevölkerung und Entwicklung – zehn
        Jahre nach Kairo
        – Weltbevölkerungspolitik zehn Jahre nach
        Kairo
        (Tagesordnungspunkt 15 a und b)
        Karin Kortmann (SPD): Während wir uns in
        eutschland, in den Industrieländern große Gedanken
        achen, wie wir angesichts der demographischen Ent-
        icklung – wir verzeichnen ein Bevölkerungswachstum
        on 0,1 Prozent – unsere sozialen Sicherungssysteme
        erändern müssen, wir Antworten suchen, wie wir mit
        iner zunehmend alternden Gesellschaft leben werden,
        ie Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern kön-
        en, sieht es in den Entwicklungsländern ganz anders
        us: Sie verzeichnen ein Wachstum von 1,7 Prozent.
        amit findet das Wachstum fast ausschließlich in den
        ntwicklungsländern statt. 1950 lebten noch 68 Prozent
        er Bevölkerung in den weniger entwickelten Ländern,
        ür das Jahr 2050 sehen die Prognosen einen Anstieg auf
        8 Prozent. Und damit steigen auch die Probleme bei der
        eltweiten Armutsreduzierung, lassen Sie mich dazu
        wei Beispiele der Ressourcenknappheit benennen:
        13590 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
        (B) )
        Nach dem jüngsten Datenreport der Deutschen Stif-
        tung Weltbevölkerung leben bereits heute über 600 Mil-
        lionen Menschen in Ländern, in denen Wasser eine Man-
        gelware ist. Im Jahr 2005 wird die Zahl auf
        752 Millionen ansteigen und für 2025 wird eine Zahl
        von 2,6 bis 3,2 Milliarden Menschen prognostiziert. Der
        Kampf um die Lebensgrundlage Wasser wird sich regio-
        nal, wirtschaftlich und politisch verschärfen.
        Ähnlich dramatisch ist der Verlust von verfügbarem
        Ackerland. Bei der im vergangenen Jahr stattgefundenen
        UN-Konferenz zur Bekämpfung der Wüstenbildung
        wurde die Dramatik der Verödung und des Verlustes von
        kostbarer Nutzfläche beschrieben. Jedes Jahr, so hat das
        Worldwatch Institute geschätzt, verlieren die Kontinente
        24 Milliarden Tonnen Oberboden. Während der vergan-
        genen zwei Jahrzehnte ist weltweit Boden in der Grö-
        ßenordnung der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflä-
        che der Vereinten Nationen verloren gegangen.
        Vor zehn Jahren hat die Weltbevölkerungskonferenz
        in Kairo den Zusammenhang von Bevölkenungswachs-
        tum und Entwicklung in den Fokus der politischen Dis-
        kussion gestellt. Weltbevölkerungspolitik wurde erst-
        mals nicht isoliert betrachtet, sondern in den
        Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen, ökologi-
        schen und kulturellen Fragen gestellt. Der dort verab-
        schiedete Aktionsplan benannte als zentrale Zielsetzun-
        gen: die Beseitigung der Armut; ein nachhaltiges
        Wirtschaftswachstum im Rahmen einer tragfähigen Ent-
        wicklung; Bildung, insbesondere für Mädchen; die
        Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter
        sowie den Schutz und die Förderung der Familie.
        Zu feiern gibt es zum zehnten Jahrestag des Beschlus-
        ses wenig. Viele der formulierten Ziele stehen heute
        dringender denn je auf der „Agenda der Notwendigkei-
        ten“. Die Vereinten Nationen haben dies auch in ihrer
        Millenniumserklärung mitbedacht und deshalb greifen
        vier der acht Millennium Development Goals Kernziele
        des Kairoer Aktionsprogramms auf:
        Erstens: die Förderung der Gleichheit der Geschlech-
        ter, die Stärkung der Frauen.
        Zweitens: die Senkung der Kindersterblichkeit.
        Drittens: die Verbesserung der Gesundheit von Müt-
        tern.
        Viertens: die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria
        und anderer Krankheiten.
        Ob die Weltbevölkerung im Laufe des nächsten Jahr-
        hunderts auf 8,9 oder 12,8 Milliarden Menschen an-
        wächst, hängt nicht nur von der Politik in den Entwick-
        lungsländern, sondern auch entscheidend vom
        politischen Handeln der Industrieländer und der Aus-
        richtung ihrer Entwicklungszusammenarbeit ab. Maß-
        geblichen Einfluss können hierbei nicht nur bevölke-
        rungspolitische Programme, sondern auch Programme
        zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit haben.
        Noch immer gelten in wenig entwickelten Regionen
        viele Nachkommen als Alterssicherung. Hohe Geburten-
        raten mit schnell aufeinander folgenden Schwanger-
        schaftszyklen bedeuten jedoch eine hohe Sterblichkeits-
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        ate für Kinder und Mütter. Und noch immer werden
        ädchen verheiratet, deren Leben durch zu frühe
        chwangerschaft besonders gefährdet ist.
        Wir fordern deshalb, den Zugang zu denjenigen Fa-
        ilienplanungsmethoden zu fördern, die vor dem Hin-
        ergrund der jeweiligen soziokulturellen, religiösen und
        ndividuellen Lebensbedingungen der betroffenen Be-
        ölkerung akzeptiert und angewendet werden können.
        ch wende mich energisch gegen staatliche Zwangsmaß-
        ahmen zur Geburtenkontrolle, wie sie in China mit der
        in-Kind-Politik umgesetzt wurden.
        Einen Appell richte ich an den Vatikan. Das Kairoer
        ktionsprogramm schließt Abtreibungen explizit als
        ittel der Familienplanung aus. Es ist aber dennoch un-
        rlässlich, dass wir die medizinische Versorgung von
        rauen verbessern, die unter den Folgen von unsachge-
        äß durchgeführten Abtreibungen leiden. Helfen Sie
        it dabei, Menschen aufzuklären und sie bei ihrer Fami-
        ienplanung zu unterstützen! Auch Bushs Fundamental-
        pposition gegen den Kairoer Konsens können wir in der
        eltweiten Armutsbekämpfung nicht als hilfreich be-
        eichnen.
        Für die Entwicklungsländer bedeutet anhaltendes Po-
        ulationswachstum ein beträchtliches Entwicklungshin-
        ernis. Die das Wirtschaftswachstum vieler Entwick-
        ungsländer überholende Zuwachsrate der Bevölkerung
        ührt zu steigender Massenarbeitslosigkeit vor allem un-
        er Jugendlichen mit der Folge von Verelendung und
        erspektivlosigkeit. Wir müssen die Entwicklungsländer
        ei der Schaffung von notwendigen Rahmenbedingun-
        en unterstützen. Dazu gehört eine Verbesserung der
        echtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Stellung der
        rau, also sie im Bildungs- und Ausbildungsbereich zu
        nterstützen. Dazu gehört aber vor allem, tragfähige
        irtschaftliche Strukturen zu ermöglichen, den Aufbau
        on sozialen Sicherungssystemen und Konzepten der
        ltersversorgung als Alternative zur Alterssicherung
        urch Kinderreichtum zu unterstützen.
        Das Kairoer Aktionsprogramm hat für uns in der Eu-
        opäischen Union durch die Osterweiterung eine Fort-
        chreibung erfahren. In der EU bestehen erhebliche Un-
        erschiede beim Zugang zu Diensten der reproduktiven
        esundheit, was sich unter anderem in einem einge-
        chränkten bzw. fehlenden Zugang zu Verhütungsmitteln
        iderspiegelt. Aufgrund fehlender Investitionen ver-
        chlechtert sich die Infrastruktur. Gestern, am Welt-
        idstag, wurden die dramatischen Zuwachszahlen bei
        en HIV-infizierten Menschen wieder einmal erhöht. Al-
        ein im Jahr 2003 gab es 4,8 Millionen Neuinfektionen.
        ir haben nicht zuletzt im Rahmen unserer Haushalts-
        eschlüsse zum BMZ-Haushalt weitere bilaterale
        inanzmittel zur HIV/Aidsbekämpfung und weitere
        0 Millionen Euro für den Globalen Fond zur Bekämp-
        ung von HIV, Aids, Tuberkulose und Malaria bereitge-
        tellt. Aids ist nicht mehr eine Krankheit, die sich in ei-
        igen Regionen der Welt verbreitet; die alarmierenden
        ahlen aus Asien und Osteuropa belegen, dass Aids uns
        lle angeht!
        Ich bin dankbar, dass es uns im Ausschuss für wirt-
        chaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gelungen
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13591
        (A) )
        (B) )
        ist, zu einer gemeinsamen Beschlussempfehlung von
        SPD, Grünen und Unionsparteien zu kommen, die par-
        teiübergreifend deutlich macht, welche Anstrengungen
        wir gemeinsam bewältigen wollen, um das Bevölke-
        rungswachstum in Einklang mit der Armutsreduzierung
        zu bekommen. Lediglich die FDP hat diese Notwendig-
        keit noch nicht begriffen.
        Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Als sich vor zehn Jah-
        ren gut 11 000 Teilnehmer aus über 180 Staaten dieser
        Welt zur „Internationalen Konferenz über Bevölkerung
        und Entwicklung“ in Kairo zusammensetzten, taten sie
        dies aus einem Motiv heraus: Sie wollten einen Plan er-
        arbeiten, der einen Wendepunkt in der Diskussion um
        die immer dringlicher werdenden Weltbevölkerungsfra-
        gen darstellen sollte.
        Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass nicht nur
        die Zukunft der menschlichen Gesellschaft von die-
        ser Konferenz abhängt, sondern auch die Wirksam-
        keit der wirtschaftlichen Ordnung auf dem Plane-
        ten, auf dem wir leben.
        Das habe natürlich nicht ich gesagt, sondern der da-
        malige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali in
        seiner Eröffnungsrede zu dieser Konferenz. Er gab le-
        diglich wieder, was den Teilnehmern ein großes Anlie-
        gen war: die Probleme zu bewältigen, die mit und durch
        das rasante Weltbevölkerungswachstum der letzten
        100 Jahre entstanden waren.
        Das war auch angebracht: In den letzten 100 Jahren
        hat sich die Weltbevölkerung nahezu vervierfacht.
        Gleichzeitig sank die Kindersterblichkeit und stieg die
        Lebenserwartung von Menschen auf allen Kontinenten.
        Zeitgleich lebten und leben jedoch immer mehr Men-
        schen in Armut, haben Frauen und Mädchen in patriar-
        chalisch geprägten Gesellschaften kaum Chancen auf ein
        eigenbestimmtes Leben, breitet sich HIV/Aids weiter ra-
        sant aus, sterben Frauen an den Folgen von Schwanger-
        schaft und Geburt. Diese Reihe könnte man immer wei-
        ter fortsetzen, aber ich will genau hier verharren.
        Jede Minute stirbt irgendwo auf der Welt eine Frau an
        den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. In 99 Pro-
        zent aller Fälle stammt diese Frau aus einem Entwick-
        lungsland. Diese Zahl erscheint zu Recht erschütternd.
        Wenn auf dieser Konferenz also die Rede von morali-
        schem Handlungsbedarf und Solidarität mit gegenwärti-
        gen und zukünftigen Generationen war, dann erscheint
        dies durchaus berechtigt.
        Weltbevölkerungsfragen sind kein Thema, das für
        sich alleine steht. Es ist ein Querschnittsthema und be-
        trifft uns alle. Redet man vom Kairoer Aktionspro-
        gramm zur Weltbevölkerung, dann redet man von einem
        umfassenden Papier zur reproduktiven Gesundheit, das
        eine Vielzahl von Instrumenten umfasst. Es umfasst Se-
        xualaufklärungs- und Familienplanungsprogramme für
        Jugendliche und Familien – Männer wie Frauen wohl-
        gemerkt –, beinhaltet Gesundheitsvorsorge für Frauen
        und Mädchen vor, während und nach einer Schwanger-
        schaft sowie Aufklärung über und Behandlung von HIV/
        Aids und anderen Geschlechtskrankheiten. Es beinhaltet
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        icht Schwangerschaftsabbruch als Mittel der Familien-
        lanung! Wenn von Abtreibung die Rede ist, dann geht
        s darum, sie dort „sicher“ zu machen, wo sie legal sind,
        nd mangelhaft durchgeführte Abtreibungen zu vermei-
        en; sie wird aber niemals als Mittel der Familienpla-
        ung beschrieben.
        So weit zum reproduktiven und gesundheitsbezoge-
        en Teil des Aktionsprogramms. Der ergänzende Teil
        mfasst mehr als nur Ergänzungen! Er beinhaltet An-
        ätze zur Bildung und Ausbildung von Frauen und Mäd-
        hen, zu Maßnahmen, die zu ihrer Gleichberechtigung
        eitragen sollen, zu ihrer Involvierung in gesellschaftli-
        he, politische, rechtliche und wirtschaftliche Entschei-
        ungsprozesse. Der Begriff „Empowerment“ war hier
        egweisend. Es geht um die Erkenntnis, dass man
        rauen die Macht geben muss, über ihre Leben selbst zu
        ntscheiden und sie mit den entsprechenden Möglichkei-
        en auszustatten, um die Lebensqualität aller zu steigern.
        Was bedeutet das Kairoer Aktionsabkommen also ge-
        au? Kairo bedeutet vor allem Sexualaufklärung für alle!
        Für alle“ heißt, dass nicht nur Frauen und Mädchen auf-
        eklärt werden müssen, sondern auch Männer und Jun-
        en. Erwachsenen wie Jugendlichen muss deutlich ge-
        acht werden, welche Möglichkeiten sie im Bereich der
        amilienplanung haben und wie sie diese wahrnehmen
        önnen.
        Kairo bedeutet auch, die Gesundheitsversorgung für
        rauen und Mädchen zu verbessern. Die Entwicklungen
        n Europa haben gezeigt, dass durch geringere Säug-
        ings- und Kindersterblichkeit auch die Zahl der Kinder
        nd der Abstand zwischen den Geburten sinken. Ein
        eiterer positiver Effekt dabei ist, dass die Lebenserwar-
        ung und -qualität der Mütter steigt.
        Kairo bedeutet auch eine steigende Zunahme von
        IV/Aids-Präventions- und Behandlungsprojekten.
        ,9 Millionen Menschen haben sich allein im letzten
        ahr mit HIV infiziert. Das sind 13 425 Infizierungen
        äglich oder auch 560 pro Stunde bzw. neun pro Minute.
        n Afrika ist Aids inzwischen zur häufigsten Todesursa-
        he geworden. Weltweit steht es als Todesursache an
        ierter Stelle. Zeitgleich hat die Angst vor und auch das
        issen über HIV/Aids mit den Jahren stark nachgelas-
        en, was fatale Folgen hat: Allein in Afrika südlich der
        ahara ist jeder zehnte Erwachsene HIV-positiv! Das hat
        assive Folgen für die Familien in dieser Region, auf
        ie Gesellschaft und die Wirtschaft der einzelnen Län-
        er.
        Und auch in Asien, Lateinamerika und Osteuropa
        reitet sich die Immunschwäche weiter aus, zum Teil
        ast noch schneller, als wir uns vorstellen können. Allein
        n Osteuropa und Zentralasien hat es im letzten Jahr
        60 000 Neuinfektionen gegeben. 50 000 Menschen
        tarben, während 1,5 Millionen infiziert sind. Mehr als
        0 Prozent der HIV-Infizierten ist unter 30 Jahre alt. Die
        olgen können wir alle uns selbst ausmalen, das brauche
        ch nicht genauer darlegen.
        Das ABC-Konzept zur HIV/Aids-Prävention, gekop-
        elt mit Aufklärungsprogrammen, ist für die Umsetzung
        es Kairoer Aktionsprogramms daher genauso wichtig
        13592 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
        (B) )
        wie Programme zur Behandlung von HIV/Aids. Bei dem
        ABC-Konzept setzt man auf die drei Faktoren: A wie
        Abstinenz, B wie „be faithful“, also „sei treu“, und C
        wie „Condoms“ oder Kondome. Die Erfahrung zeigt
        – das leuchtet jedem ein –, dass alle drei Faktoren nach
        wie vor der beste Schutz vor Infektionen mit HIV bzw.
        Geschlechtskrankheiten sind. Und zwar in dieser Rei-
        henfolge: Abstinenz, Treue, Kondome. Wir müssen bei
        der Diskussion über die einzelnen Faktoren jedoch da-
        rauf achten, dass wir realitätsnah arbeiten, weil ansons-
        ten alle Bemühungen am Ziel vorbeigehen.
        Besonders Frauen infizieren sich zumeist über unge-
        schützten Sex. Die Rate der infizierten Frauen, gerade in
        Afrika und Osteuropa, die von ihrem Männern ange-
        steckt werden, ist hierbei enorm, ebenso die Zahl der bei
        Vergewaltigungen oder unfreiwilligem Geschlechtsver-
        kehr infizierten Frauen. Genau hier bietet Treue eben
        keine Hilfestellung mehr. Hier muss man mit Kondomen
        arbeiten. Das geht aber nur, wenn die Frauen stark genug
        sind, dies durchzusetzen. Daher ist es besonders wichtig,
        Frauen und Mädchen in eine Position zu setzen, die ih-
        nen ermöglicht, ihre Forderungen gegenüber dem ande-
        ren Geschlecht auch durchzusetzen. Stichwort ist hier
        „Empowerment“: Frauen muss die Macht gegeben wer-
        den, sich selbst, ihre Stellung und ihre Meinung in der
        Gesellschaft zu behaupten. Dies funktioniert eben nicht
        nur durch gesetzliche Regelungen, sondern muss auch
        durch Projekte gefordert werden.
        Kairo bedeutet also auch, Frauen, zum Beispiel durch
        Bildung, die Möglichkeit zu geben, sich über ihre eige-
        nen Wünsche und Bedürfhisse klar zu werden, einen Job
        oder Fähigkeiten zu erlernen, die ihnen ermöglichen,
        sich und ihre Familie zu ernähren und frei darüber zu be-
        stimmen, wie viele Kinder sie in welchen zeitlichen Ab-
        ständen haben möchten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass
        mit dem steigenden Bildungsgrad einer Gesellschaft die
        Geburtenrate sinkt. Wenn Gesellschaften lernen, dass
        nicht Kinder allein als Garant für eine sichere Zukunft
        dienen, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung ge-
        tan. Flankierende Maßnahmen können hier Mikrokredit-
        systeme sein, die Frauen mit den finanziellen Mitteln
        ausstatten, um sich selbstständig zu machen, aber auch
        Netzwerke, innerhalb derer Frauen Erfahrungen austau-
        schen und Mut schöpfen können.
        Nur wenn die Stellung der Frau und des Mädchens in
        der Gesellschaft gefestigt werden kann, werden grau-
        same und unmenschliche Handlungen gegenüber Frauen
        und Mädchen zu bekämpfen sein. Ich denke hier zum ei-
        nen an massenhafte Abtreibungen und die Ermordung
        von Mädchen zum Beispiel in Indien – diese „Politik“
        hat in Indien inzwischen dazu geführt, dass etwa 20 bis
        25 Millionen Frauen und Mädchen zu wenig vorhanden
        sind – oder an die Ein-Kind-Politik in China. Nur durch
        die Stärkung der Rolle der Frauen und Mädchen in der
        Gesellschaft wird es uns möglich sein, solche grausamen
        Vorgehensweisen zu verhindern.
        Ich denke aber auch an die schrecklichen Lebenszu-
        stände von Frauen in patriarchalisch geprägten Ländern.
        Wir müssen – und da spielt das Kairoer Abkommen eine
        bedeutende Rolle – die Stellung der Frauen und Mäd-
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        hen nachhaltig so stärken, dass Genitalverstümmelun-
        en, Todesstrafen für vergewaltigte Opfer und Ehren-
        orde oder auch das totale Ausschalten jeglicher
        ersönlicher Freiheit in Privatleben wie Beruf bald Ver-
        angenheit sind. Auch das bedeutet Kairo.
        Was ist also passiert seit diesem wegweisenden Kon-
        ress in Kairo im Jahre 1994? Was hat sich verändert für
        ie Menschen in aller Welt? Nicht viel! Man könnte
        uch sagen, die Ergebnisse sind niederschmetternd. Das
        eltbevölkerungswachstum hat seither nicht nachgelas-
        en, eher im Gegenteil: Lebten 1987 noch 5 Milliarden
        enschen auf diesem Planeten, waren es 1999 schon 6
        illiarden; der Trend hält an. Auch der Gesundheitssek-
        or verheißt keine großen Erfolge: Zwar ist die Kinder-
        nd Säuglingssterblichkeit gesunken, aber immer noch
        terben zu viele Frauen und Mädchen an unterlassener
        esundheitsvorsorge. Auch die Armut in der Welt
        onnte nicht bedeutend reduziert werden. Die Anzahl
        er Menschen, die täglich weniger als einen Dollar zur
        erfügung haben, ist zwar von 29 auf 24 Prozent gesun-
        en; aber dass bis 2015 eine Halbierung des Ausgangs-
        ertes erzielt werden kann, ist mehr als unwahrschein-
        ich.
        Die Zahl der HIV/Aids-Infizierten steigt immer wei-
        er. Zwar gibt es inzwischen einige Medikamente, die
        ur Behandlung eingesetzt werden können, aber auch
        ier dürfen wir uns nichts vormachen: Weder ist HIV/
        ids heilbar, noch haben alle Menschen Zugang zu Mit-
        eln zur Prävention und bzw. oder zur Behandlung!
        Auch die Bildungsbemühungen des Kairoer Aktions-
        rogramms konnten nicht so erfolgreich umgesetzt wer-
        en wie erhofft. Immer noch gibt es zu viele Analphabe-
        en, die meisten davon in den Entwicklungsländern. Der
        nteil der Frauen, die weder lesen und schreiben kön-
        en, ist dabei der größte. Auch die Bemühungen, die
        tellung der Frauen und Mädchen zu stärken, sind nur
        eilweise von Erfolg gekrönt. Zwar haben einige Länder
        n Afrika inzwischen Gesetze beschlossen, die Genital-
        erstümmelungen verbieten, aber das hat wenig an der
        ituation der Frauen und Mädchen in der Gesellschaft
        eändert. Vielfach sind Frauen und Mädchen immer
        och die Leidtragenden, die weder Zugang zu Bildung
        och zu Aufklärung, Beruf, Besitz oder einfach nur ei-
        em Stück persönlicher Freiheit erlangen können.
        Woran liegt das nun? Der Wille, etwas zu verändern
        ar doch 1994 ganz offensichtlich vorhanden! Die
        80 Länder, die in Kairo zusammentrafen – Industrie-
        taaten wie Entwicklungsländer – haben weit weniger
        inanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, als 1994 ver-
        inbart. Insgesamt wird jährlich nur gut ein Drittel der
        ereinbarten Summe bereitgestellt.
        Die USA haben ihre Zahlungen an den Fond der
        NFPA sogar gänzlich gestoppt. Grund dafür ist ihr
        enerelles Problem mit den Faktoren „Aufklärung“ so-
        ie „Kondom“ des ABC-HIV/Aidspräventionskonzep-
        es und dem Thema Schwangerschaftsabbruch, auch
        enn es sich hierbei nur um Leistungen handelt, die sie
        sicher“ machen, dort, wo sie legal sind.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13593
        (A) )
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        Vielfach fehlt aber nicht nur das leidige Geld. An vie-
        len Orten fehlt auch die notwendige „Manpower“. Ich
        denke da an ein Beispiel aus der eigenen Erfahrung: In
        Sambia ist genügend Geld vorhanden, um Maßnahmen
        zum Kairoer Aktionsprogramm durchzuführen. Dort
        mangelt es aber vor allem an einem: an ausgebildetem
        Personal für Krankenhäusern, für Beratungsstationen zu
        Aufklärung, Familienplanung und HIV/Aidsberatung,
        für Schulen und Ausbildungsstationen und für den Bau
        von Infrastruktur, um entlegene Dörfer an Gesundheits-
        und Bildungsstrukturen sowie sonstige Strukturen anzu-
        binden.
        All dies ist unvorstellbar, aber wahr. All dies erscheint
        wie ein Hohn für die Beteiligten der Konferenz von 1994
        und aller derer, die sich für Weltbevölkerungsbelange
        einsetzen. Dies muss sich ändern!
        Der Deutsche Bundestag muss sich vehement für die
        Umsetzung des Kairoer Aktionsprogramms einsetzen.
        Nur so können die 1994 festgelegten Ziele erreicht wer-
        den.
        Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schon
        in der Überschrift des Antrags, dem wir den Titel „Welt-
        bevölkerung und Entwicklung – zehn Jahre nach Kairo“
        gegeben haben, zeigt sich die Verbindung von wirt-
        schaftlicher und sozialer Entwicklung. Genau darin lag
        der Verdienst der Konferenz in Kairo 1994, der „Interna-
        tional Conference on Population and Development“. Da-
        mit wurde von einem Begriff oder einer Idee von „Be-
        völkerungspolitik“ Abschied genommen, der in Teilen
        der Welt historisch belastet war und in anderen Teilen
        der Welt mit repressiven Maßnahmen verbunden war.
        Entwicklung und Wachstum der Weltbevölkerung wer-
        den also nicht isoliert betrachtet, vielmehr wird der Zu-
        sammenhang von wirtschaftlichen, sozialen, ökologi-
        schen und kulturellen Fragen hergestellt.
        Der Aktionsplan von Kairo formuliert also gewisser-
        maßen die Vorbedingungen, die gegeben sein müssen,
        wenn Einfluss auf das Wachstum der Bevölkerung ge-
        nommen werden soll. So werden folgerichtig als zentrale
        Zielsetzungen benannt: die Beseitigung der Armut; ein
        nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Rahmen einer
        Entwicklung, die auch die Einführung solidarischer
        Sozialversicherungssysteme vorsieht; Bildung, insbe-
        sondere für Mädchen; die Gleichstellung und Gleichbe-
        rechtigung der Geschlechter sowie der Schutz und die
        Förderung der Familie.
        Es haben sich seit Kairo durchaus Fortschritte für die
        soziale und wirtschaftliche Lage in Entwicklungsländern
        ergeben. So haben zwei Drittel der Länder, die an der
        Konferenz teilnahmen, politische und gesetzgeberische
        Initiativen zur Verbesserung der Gleichstellung von
        Frauen und Männern ergriffen. Fragen der Bevölke-
        rungsentwicklung werden systematischer, beispielsweise
        in Programme der Armutsbekämpfung – PRSP –, inte-
        griert. Gleichwohl bedarf es weiterhin einer langfristig
        angelegten Kooperation auf unterschiedlichen Feldern,
        um mit politischen Mitteln auf die Entwicklung der Be-
        völkerung Einfluss zu nehmen.
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        Auch wenn die Weltbevölkerungsentwicklung von re-
        ionalen Unterschieden gekennzeichnet ist, lässt sich ein
        berragender Trend feststellen: Die Bevölkerung in In-
        ustrieländern stagniert weitgehend und die Bevölke-
        ung in Entwicklungsländern wächst. Nach Zahlen der
        eltbank leben heute von den mehr als 6 Milliarden
        enschen etwa 5 Milliarden in Entwicklungsländern.
        an wird annehmen dürfen, dass die Herausforderungen
        n der Zukunft nicht geringer werden. So geht die Welt-
        ank in den nächsten 25 Jahren von einer Zunahme der
        eltbevölkerung auf 8 Milliarden Menschen aus.
        Wie schnell und wie human sich dieser Prozess voll-
        ieht, wird von der Politik der Entwicklungsländer und
        er Industrieländer abhängen. So wurde in Kairo zu
        echt darauf hingewiesen, welche Bedeutung die Frauen
        ür die Entwicklung haben, sei es bezogen auf die Erzie-
        ung, auf die Schaffung von Einkommen oder auf die Si-
        herung der Grundbedürfnisse. Die Bundesregierung hat
        ieses Potenzial erkannt und fördert seit Jahren die Aus-
        ildung von Frauen und Mädchen, den verbesserten Zu-
        ang zu Gesundheitsdiensten, Aufklärungsprogramme.
        ie unterstützt Entwicklungsländer beim Aufbau des Ge-
        undheitssystems, der Sicherstellung notwendiger Ge-
        undheitsvorsorge. Dazu gehören auch Maßnahmen zur
        erbesserung der Hygiene und der medizinischen Ver-
        orgung von Mutter und Kind.
        In den Jahren 1994 bis 2002 hat die Bundesregierung
        nsgesamt über 1 Milliarde Euro für die Umsetzung des
        airoer Aktionsplans zur Verfügung gestellt. Sie hat in
        ehr als 150 Projekten Maßnahmen unterstützt. Heute
        ördert die Bundesregierung nationale Programme in
        6 Ländern, drei Regionalprogramme und fünf überregio-
        ale Projekte. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Es
        st sehr zu hoffen, dass sich auch andere leistungsstarke
        ndustrienationen, die ihre Beiträge für den Kairoer Ak-
        ionsplan in den letzten Jahren leider sehr zurückgefah-
        en haben, wieder stärker engagieren.
        Außerdem unterstützt die Bundesregierung in mehre-
        en Entwicklungs- und Schwellenländern die Einführung
        ines solidarischen Kranken- und Altersversicherungs-
        ystems. Leider gilt noch immer in vielen Ländern die
        austregel: Wenn du im Alter über die Runden kommen
        illst, musst du es bis dann geschafft haben, mindestens
        rei gesunde Söhne großzuziehen. Erst die Einrichtung
        iner funktionierenden Altersversorgung, die nicht auf
        inderreichtum basiert, kann ein überdimensioniertes
        evölkerungswachstum stoppen. Maßnahmen der Ge-
        urtenkontrolle allein reichen nicht aus.
        Ulrich Heinrich (FDP): Obwohl das rasante Wachs-
        um der Weltbevölkerung, das im 20. Jahrhundert na-
        ezu zu einer Vervierfachung geführt hat, sich verlang-
        amt hat, rechnet man in den nächsten 50 Jahren mit
        inem weiteren Anwachsen auf 9 bis 13 Milliarden Men-
        chen weltweit. Von diesen Menschen werden 88 Prozent
        n den Entwicklungsländern leben. Diese Zahlen sind so
        larmierend, dass die Industrieländer ganz entschei-
        ende Mitverantwortung bei der Frage tragen, ob in der
        ntwicklungszusammenarbeit die Entwicklungsländer
        13594 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
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        in die Lage versetzt werden, verantwortungsbewusst die
        notwendigen Bevölkerungsprogramme durchzuführen.
        Auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo vor
        zehn Jahren ist es gelungen, die bislang oft isoliert be-
        trachtete Problematik des Wachstums der Weltbevölke-
        rung in einem Zusammenhang mit wirtschaftlichen, so-
        zialen, kulturellen und ökologischen Fragestellungen
        und anderen Aspekten nachhaltiger Entwicklung zu be-
        trachten. Die logische Folge war ein entsprechendes Ak-
        tionsprogramm über Bevölkerung und Entwicklung zu
        erarbeiten und zu unterzeichnen. Die wichtigsten Ziel-
        setzungen möchte ich hier noch einmal erwähnen: Besei-
        tigung der Armut, denn es besteht unbestreitbar ein di-
        rekter Zusammenhang zwischen der Armut eines Landes
        und seinem Bevölkerungswachstum; ein nachhaltiges
        Wirtschaftswachstum zu ermöglichen unter Einschluss
        der Gründung von sozialen Sicherungssystemen; Bil-
        dung, insbesondere für Mädchen, denn dadurch können
        Mädchen und Frauen ihre soziale und wirtschaftliche
        Stellung in der Gesellschaft nachhaltig verbessern; die
        Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter
        sowie den Schutz und die Förderung der Familie.
        Das Recht auf individuelle Familienplanung gehört
        zum Menschenrecht auf Gesundheit. Ich lege außeror-
        dentlichen Wert auf die Prinzipien der Freiwilligkeit, der
        Freiheit von Zwang und der Nichtförderung von Abtrei-
        bung als Familienplanungsinstrument. Es kann jedoch
        wegen fehlender Information zur Familienplanung, man-
        gelnder sexueller Aufklärung und absenten Angeboten
        reproduktiver Gesundheit oft nicht ausgeübt werden. So
        kommt es zu ungewollten Schwangerschaften, die einer-
        seits oft unter unhygienischen Bedingungen abgebro-
        chen werden und andererseits zum Wachstum der Bevöl-
        kerung beitragen. Viele Länder haben dies bereits
        erkannt, aufgrund von fehlenden Geldmitteln kommt es
        jedoch häufig nicht zur Umsetzung.
        Ich möchte einige Rahmenbedingungen für die Um-
        setzung nationaler Bevölkerungsprogramme nennen:
        Zunächst muss, wie schon erwähnt, die rechtliche, so-
        zialle und wirtschaftliche Situation der Frau verbessert
        werden. Frauen brauchen mehr Rechte und die Möglich-
        keit, diese auch durchzusetzen. Es ist nicht hinnehmbar,
        dass in vielen Entwicklungsländern die Gewalt gegen
        Frauen nicht strafrechtlich sanktioniert ist. Vergewalti-
        gungen, Geschlechtsverstümmelung und Missbrauch
        dürfen nicht straffrei bleiben. Das Selbstbewusstsein der
        Frauen in den Entwicklungsländern muss gestärkt wer-
        den. Frauen müssen das Recht und den Zugang zu Besitz
        und Eigentum, sowohl Land als auch Kapital, und somit
        zu unabhängigen Einkommen haben. Die positiven Er-
        fahrungen bei der Rückzahlung von Mikrokrediten zei-
        gen, dass Frauen äußerst effizient wirtschaften können.
        Daneben müssen die Bildungschancen von Mädchen
        und Frauen wesentlich verbessert werden. Zur Bildung
        gehört auch eine frühe sexuelle Aufklärung von Mäd-
        chen und Jungen unter Einbeziehung der Aspekte der
        Familienplanung. Des Weiteren ist der Aufbau von so-
        zialen Sicherungssystemen zur Alters- und Gesundheits-
        vorsorge notwendig. Wichtig ist, dass die Entschei-
        dungsträger einer Gesellschaft, also die politischen,
        religiösen und kulturellen Verantwortlichen die Zusam-
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        enhänge der Demographie erkennen und danach han-
        eln.
        Ein paar Sätze will ich noch zu HIV/Aids sagen. Das
        hema kommt in dem Antrag ein wenig zu kurz, obwohl
        erade wir in unseren Projekten in den Entwicklungslän-
        ern immer wieder den Zusammenhang zwischen repro-
        uktiver Gesundheit und HIV/Aids herstellen. Beratun-
        en zur Familienplanung sollten stets auch mit der
        ufklärung über HIV/Aids einhergehen. Genauso kön-
        en Menschen, die zu einem HIV-Test oder zur Behand-
        ung kommen, über Zusammenhänge der reproduktiven
        esundheit informiert werden. Die Kondome, die eine
        nfektion mit dem HI-Virus verhindern, können auch un-
        ewollte Schwangerschaften verhindern. So wird jede
        amilienberatungsstelle auch zu einer Anlaufstelle im
        ampf gegen HIV/Aids. An dieser Stelle möchte ich das
        m 29. April diesen Jahres gegründete Parlamentarische
        orum für sexuelle und reproduktive Gesundheit und
        echte lobend erwähnen. Das Ziel dieses Forums, insbe-
        ondere Parlamentarierinnen und Parlamentariern zur
        nterstützung der Umsetzung des Kairoer Aktionspro-
        ramms aufzufordern und die Kooperation und Debatten
        er Parlamente zu fördern, verdient auch unsere ver-
        tärkte Aufmerksamkeit.
        Die Forderungen im vorliegenden Antrag werden von
        ns ausdrücklich unterstützt. Ich möchte am Schluss
        wei Empfehlungen aussprechen, die mir besonders am
        erzen liegen. Zum einen die reproduktive Gesundheit:
        ier müssen in den Entwicklungsländern mehr finan-
        ielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, gesundheit-
        iche Infrastrukturen werden benötigt und die sexuelle
        ufklärung der Jugend muss intensiviert werden. Damit
        ängt auch meine zweite Empfehlung zusammen: Es be-
        arf einer Schulpflicht für alle Kinder. Der Schulbesuch
        ollte gerade in den Entwicklungsländern kostenlos sein;
        enn ohne Bildung werden wir die Ziele des Kairoer
        ipfels zur Weltbevölkerung nicht erreichen. Aus allen
        ben genannten Gründen stimmen wir dem Gemeinsa-
        en Antrag selbstverständlich zu.
        nlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Abriss des Palastes
        der Republik nicht verzögern (Tagesordnungs-
        punkt 16)
        Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        n dieser Stelle wurde am 4. Juli 2002 mit überraschen-
        er und Aufsehen erregender Klarheit der Wiederaufbau
        es Berliner Stadtschlosses an ursprünglicher Stätte be-
        chlossen. Dieser Beschluss steht und es lässt sich nichts
        ehr an ihm rütteln! Gerade deswegen kommen mir die
        mmer neuen Parlamentsbeschlüsse, die die Kollegen
        on der CDU/CSU anstreben, ziemlich kontraproduktiv
        or. Und nicht nur das: Mit der wiederholten Bekräfti-
        ung längst gefasster Beschlüsse entwerten wir frühere
        bstimmungen, anstatt sie aufzuwerten. Das hat etwas
        on ständig vorgebrachten Liebesbekundungen, bei de-
        en ja auch der Verdacht entstehen kann, dass der Spre-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13595
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        cher sich über seine eigenen Zweifel hinwegreden will –
        so als ob er sich selber nicht so recht traue.
        Aber es sollte keinen Zweifel an der Richtigkeit und
        demokratischen Autorität des Bundestagsbeschlusses
        zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses geben!
        Aus diesem Grund, nicht aus inhaltlichen Gründen,
        lehne ich den vorliegenden Antrag ab. Bis auf die Forde-
        rung eines Einheits- und Freiheitsdenkmals auf dem So-
        ckel des alten Nationaldenkmals – meines Erachtens
        eine unnötige und illusorische Verkomplizierung des
        Verfahrens – stimme ich dem Antrag inhaltlich in vielen
        Punkten zu. Nur ist in der derzeitigen Situation die Bun-
        desregierung der absolut falsche Adressat für die berech-
        tigte Beschwerde, dass die Umsetzung des Bundestags-
        beschlusses zu langsam vorangeht. Wie wir alle wissen,
        hängt das Verfahren in den Berliner Landesbehörden
        fest. Das liegt an einer Mischung aus Verwaltungsfeh-
        lern und Unwillen: Der Fehler beim nun rechtsstreitig
        gewordenen Vergabeverfahren für den Abriss des Palas-
        tes der Republik ist nur einer von vielen handwerklichen
        Fehlern des Berliner Senats. Man muss kein Verschwö-
        rungstheoretiker sein, um sie in Zusammenhang mit den
        nostalgischen Äußerungen des Berliner Kultursenators
        zu stellen, wonach der Palast der Republik ein „utopi-
        sches Zukunftsmodell“ sei; denn dass im Berliner Senat
        auch sonst sehr lax mit dem Bundestagsbeschluss umge-
        gangen wird, ließ sich auch aus Zeitungsmeldungen der
        letzten Tage über die vom Förderverein Berliner Schloss
        e. V. beantragte und privat finanzierte Infobox entneh-
        men: Offenbar zeigt der Berliner Senat hier keinen Ko-
        operationswillen, obwohl beim Bundestagsbeschluss
        2002 die Notwendigkeit privater Spenden für den Wie-
        deraufbau des Berliner Schlosses ausdrücklich betont
        wurde. Ich verstehe nicht, wie man in Berlin in diesem
        Fall mit bürgerschaftlichem Engagement umgeht, und
        auch nicht, wie man die touristische Attraktivität einer
        solchen Informationsstätte ignorieren kann.
        Zu den Verzögerungen hat auch der Hauptstadtkultur-
        fonds einiges beigetragen: Mit der Förderung eines Kes-
        sels voller bunter Szene-Events im Palast der Republik
        hat er diesen Bau aufgewertet und praktisch versucht,
        den Bundestagsbeschluss zu unterlaufen. Doch der kul-
        tige Zeitgeist neigt sich nun dem Ende entgegen: Selbst
        die „taz“ – eine Zeitung, die jener „Szene“ nahe steht, in
        deren Namen der Hauptstadtkulturfonds und der „Verein
        Zwischenpalastnutzung“ zu handeln behaupten – stellt
        fest, dass der Neuigkeits- und Qualitätsstandard bereit
        sinkt. Ich zitiere die „taz“ vom 11. November 2004:
        In den enormen Ausmaßen des Hauses schrumpfte
        so manch aufgeplustert angekündigtes Kunstwerk
        zum Kunstzwerg … Die Kunst wirkte jedoch meist
        wie eine Mücke, die einen Elefanten zu stechen
        versucht. Am besten funktionierte der Palast als
        Großraumdisko oder Event-Location. Der Mythos
        des Ortes hatte sich schon nach kurzer Zeit ver-
        braucht.
        Der Artikel schließt, indem er die historische Absurdität
        dieser Kulturevents beim Namen nennt: „1990 wählte
        die DDR die D-Mark und Helmut Kohl. Jetzt wollen
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        estler Honeckers Palast als Symbol der deutschen
        auptstadt erhalten.“
        Also können wir uns nun endlich primär um die ver-
        altungsmäßige Umsetzung des Bundestagsbeschlusses
        ümmern. Dazu brauchen wir nicht ständig neue Ab-
        timmungen, sondern vor allem den Willen der Berliner
        andesregierung, sich verantwortungsbewusst an den
        indeutigen, nun zweieinhalb Jahre zurückliegenden
        undestagsbeschluss zu halten!
        Petra Pau (fraktionslos): Die CDU/CSU hatte vor
        er Sommerpause auf einen zügigen Abriss des ehemali-
        en Palastes der Republik gedrängt. Dann kreiste der
        ntrag durch drei Ausschüsse. Nun ist er wieder im Ple-
        um, mit der jeweils mehrheitlichen Empfehlung, ihn
        icht anzunehmen. Die PDS im Bundestag unterstützt
        as. Wir werden den CDU/CSU-Antrag also erneut ab-
        ehnen.
        Wir lehnen den Antrag übrigens nicht nur wegen der
        alast-Frage ab, auf die ich gleich zurückkomme. Im sel-
        en Antrag begehren ehemalige Bürgerrechtler der DDR
        in Einheits- und Freiheitsdenkmal in eigener Sache. Sie
        aben inzwischen in der CDU ihre Heimstatt. Andere
        ürgerrechtler – aus der DDR und der BRD – wollen das
        icht, sie halten das sogar für höchst peinlich, und – wie
        ch finde – aus besseren, weil nachvollziehbaren Grün-
        en.
        Nun zum eigentlichen Kern: Letztlich geht es ja da-
        um, den Palast der Republik zu schleifen und stattdes-
        en einen Neubau in der Kubatur des Berliner Schlosses
        u errichten. Wir kennen das Pro und Kontra. So wurde
        s aber am 4. Juli 2004 im Bundestag mit Mehrheit be-
        chlossen. So weit, so gut oder schlecht. Interessant ist
        twas anderes: Die CDU/CSU preist sich gern als bester
        assenwart Deutschlands. Ausgerechnet in der Palast-
        ebatte straft sie ihr Selbstlob Lügen.
        Alle, in Berlin und im Land, wissen: Niemand hat lo-
        ker vom Hocker zig Millionen Euro überflüssig, um
        anz schnell den Palast zu schleifen. Und niemand hat
        ie Beträge in dreistelliger Millionenhöhe für eine
        chloss-Attrappe. Nur die CDU/CSU tut so, als gäbe es
        as Problem nicht. Das aber drängt zu dem Schluss: Es
        eht der CDU/CSU gar nicht so sehr um das reale Pro-
        ekt „Ich bau dir ein Schloss!“. Es geht der CDU/CSU
        ielmehr um das ideologische Projekt „Der Palast muss
        eg!“. Frau Lengsfeld schickt ähnliche geladene Pam-
        hlete durch die Welt.
        Damit dürften sie sich aber zunehmend weniger
        reunde machen. Übrigens auch die Fraktion Bünd-
        is 90/Die Grünen nicht, die sich im Ausschuss ebenfalls
        ber die Zwischennutzung des Palastes empört hat.
        berraschend viele Berlinerinnen und Berliner sehen
        as anders. Seit der sanierte Rohbau als „Volkspalast“
        m Sommer wiedereröffnet und mit vielfältiger Kultur
        enutzt wird, kamen über 50 000 Besucherinnen und Be-
        ucher. Das zeigt: Das Zwischennutzungskonzept lebt.
        arum also wollen sie unbedingt aktive Sterbehilfe leis-
        en, noch dazu gegen den Willen der Patienten?
        13596 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Mein Schlusssatz stammt von den „Einstürzenden
        Neubauten“, einer Berliner Band, die jüngst im „Volks-
        palast“ ein gefragtes Konzert gab. Der Sänger wurde ge-
        fragt, ob die Musiker – als „Einstürzende Neubauten“ –
        für den Palast-Abriss spielen. Seine Antwort: „Ich bin
        für den Abriss des noch nicht wieder aufgebauten
        Schlosses!“
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Apothekengesetzes (Tagesord-
        nungspunkt 17)
        Dr. Marlies Volkmer (SPD): Eine wesentliche Säule
        jeder medizinischen Behandlung ist eine sichere und
        wirksame, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche
        Arzneimitteltherapie. Sie gehört zu den Kernkompeten-
        zen der deutschen Krankenhäuser. Die Patientinnen und
        Patienten vertrauen einer hochwertigen medizinischen
        Versorgung im Krankenhaus, und dies zu Recht. Dass
        dies auch zukünftig so bleibt, ist ein wichtiges Anliegen
        der Koalition.
        Die Novellierung des Apothekengesetzes ist nötig,
        denn die Europäische Kommission hat bereits ein EU-
        Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik
        eingeleitet. Wir kommen mit dem Gesetzentwurf einer
        Klage zuvor, die den deutschen Steuerzahler viel Geld
        kosten würde.
        Die ortsgebundene Arzneimittelversorgung der Kran-
        kenhäuser verstößt gegen europäisches Recht. Gleich-
        wohl hat sich diese Praxis bewährt. Wir müssen daher
        mit unserem Gesetz dafür sorgen, dass Anbieter nicht
        von der Versorgung der Krankenhäuser ausgeschlossen
        werden und dass die hohe Qualität der bisherigen Arz-
        neimittelversorgung gewährleistet bleibt.
        Der Koalition war und ist die Tätigkeit des Apothe-
        kers im Krankenhaus sehr wichtig. Dies hat sie im Jahr
        2000 mit der Novellierung der Approbationsordnung für
        Apotheker unter Beweis gestellt. Seitdem ist die Klini-
        sche Pharmazie Pflicht- und Prüfungsfach. Wegzuden-
        ken aus dem Klinikalltag ist der Krankenhausapotheker
        auch in Zukunft nicht – lediglich die Rahmenbedingun-
        gen für seine Tätigkeit werden sich ändern.
        Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung erhält
        jeder Apotheker des europäischen Wirtschaftsraumes
        das Recht, deutsche Krankenhäuser mit Arzneimitteln zu
        versorgen. Die Krankenhäuser können Verträge mit
        Apotheken im In- und Ausland abschließen. Diese Ver-
        träge müssen strengen gesetzlichen Anforderungen ge-
        nügen. Ob die Bedingungen erfüllt werden, muss von
        den Länderbehörden vor der Genehmigung des Vertra-
        ges geprüft werden. Wichtige Aufgaben, insbesondere
        die Beratung des Klinikpersonals, müssen ausdrücklich
        auch weiterhin von einem Apotheker wahrgenommen
        werden.
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        Im Detail werden wir darüber zu diskutieren haben,
        b die Präsenz der Versorgerapotheke im Krankenhaus
        n jedem dringenden Fall sichergestellt ist. Und wir wer-
        en erörtern müssen, ob die hohen deutschen Anforde-
        ungen an die Arzneimittelsicherheit gewährleistet sind,
        enn für die Vertragsapotheke im Ausland die Maßstäbe
        hres Herkunftslandes gelten.
        Sicher ist: Auch weiterhin wird qualifizierter pharma-
        eutischer Sachverstand in das Klinikgeschehen und in
        ie Therapiekonzepte eingebunden sein. Die Koalition
        st im Interesse der Patientinnen und Patienten verpflich-
        et, die hohe Qualität der Arzneimittelversorgung im
        rankenhaus weiterhin zu gewährleisten.
        Michael Hennrich (CDU/CSU): Die Bundesregie-
        ung hat mit vorgelegtem Gesetzentwurf in vorauseilen-
        em Gehorsam auf eine von der EU-Kommission einge-
        eichte Klage gegen Deutschland gehandelt. Die
        ationale Regelung des Apothekengesetzes über die
        rtsgebundene pharmazeutische Krankenhausversor-
        ung ist der Stein des Anstoßes. Die EU-Kommission
        irft Deutschland vor, durch Anwendung des Regional-
        rinzips der Krankenhausversorgung (in § 14 des Apo-
        hekengesetzes verankert), gegen die EG-Vorschrift über
        reien Warenverkehr zu verstoßen, weil es Apotheken
        us anderen EU-Mitgliedstaaten von der Arzneimittel-
        ersorgung deutscher Krankenhäuser ausschließt.
        Dazu muss man wissen: Die Initiative der Kommis-
        ion geht auf die Beschwerde eines großen deutschen
        rankenhauskonzerns zurück, der über Tochtergesell-
        chaften mehrere Krankenhäuser betreibt und sich durch
        14 ApoG an einer konzernübergreifenden Arzneimit-
        elbeschaffung über eine einzige Apotheke gehindert
        ieht.
        Ich erinnere an das „Doc-Morris-Urteil“ des EuGH
        om vergangenen Jahr: Damals hat Deutschland auch
        icht das Urteil des EuGH abgewartet, sondern in vo-
        auseilendem Gehorsam aus Angst vor einer drohenden
        erurteilung durch den EuGH auf die Aufhebung des
        eutschen Versandhandelsverbotes für Arzneimittel ge-
        rängt. Letztendlich entschied der EuGH, dass nationale
        erbote des Versandhandels mit Arzneimitteln nur dann
        em Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufen, wenn es sich
        abei um auf dem deutschen Markt zugelassene und
        icht verschreibungspflichtige Mittel handelt. Bezüg-
        ich verschreibungspflichtiger Medikamente ist nach
        em Urteil ein nationales Versandhandelsverbot durch-
        us möglich. Der EuGH begründet diese Differenzierung
        it einer gesteigerten Missbrauchsgefahr und der da-
        it verbundenen bestehenden Gesundheitsgefahren.
        eutschland aber hat im Vorfeld des Urteils aufgrund
        er Verabschiedung des Gesundheitsmodernisierungsge-
        etzes ab Januar 2004 den Versandhandel grundsätzlich
        rlaubt. Ich will an dieser Stelle gar nicht verschweigen,
        ass die Union das Gesetz mitgetragen hat. Wir haben
        eshalb dafür selbstverständlich auch Verantwortung zu
        bernehmen. Es muss aber deutlich betont werden, dass
        erade die Bundesregierung auf die Aufhebung des Ver-
        andhandelsverbotes gedrängt hat und dies maßgeblich
        orangetrieben hat. Das Resultat ist, dass in Deutschland
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13597
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        die langjährige, gut funktionierende Apothekenstruktur
        zerschlagen wird – und das völlig ohne Not.
        Deswegen hätte ich erwartet, dass die Bundesregie-
        rung im vorliegenden Fall erst einmal das EuGH-Urteil
        abgewartet hätte. Es gäbe genügend Beispiele zu nen-
        nen, wo Deutschland sich nicht vor Auseinandersetzun-
        gen mit der EU-Kommission scheut. Nehmen wir nur
        die Verletzung des Stabilitätspaktes durch Deutschland.
        In seiner Not windet sich Finanzminister Eichel, redet
        die finanzielle Situation schön und die Risiken klein. In
        einer unglaublichen Art wird versucht, sich über die
        Runden zu retten. Hier zeigt die Bundesregierung ein di-
        ckes Fell, allen Warnungen zum Trotz.
        Deshalb frage ich Sie heute: Warum warten wir im
        jetzigen Fall nicht erst einmal das Urteil des EuGH ab?
        Warum wieder ein Schnellschuss? Für mich liegt gerade
        durch dieses Beispiel klar auf der Hand, dass die Bun-
        desregierung für die Apotheker und gerade für die mit-
        telständischen Apotheker nichts übrig hat. Dieser Vor-
        gang ist ein mehr als bedauerliches Zeichen.
        Noch etwas: Selbst wenn eine nationale Regelung ge-
        gen die Warenverkehrsfreiheit verstößt, kann sie ge-
        meinschaftsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies ist zum
        Beispiel der Fall, wenn die Maßnahme sich auf einen der
        in Art. 30 EG-Vertrag verankerten Ausnahmegründe
        stützen kann, insbesondere wenn sie zum Schutze der
        Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren
        gerechtfertigt ist. Der EuGH zählt zu diesen Ausnahmen
        zum Beispiel das Ziel der Aufrechterhaltung einer quali-
        tativ hochwertigen, ausgewogenen sowie allen zugäng-
        lichen ärztlichen Versorgung, soweit es zur Erzielung
        eines hohen Gesundheitsschutzes beiträgt. Diese Not-
        wendigkeit hätte die Bundesregierung in den von der
        Kommission geforderten Stellungnahmen sicher auch
        deutlicher herausstellen können. Wir haben nämlich in
        Deutschland das Regionalprinzip Anfang der 80er-Jahre
        eingeführt als Mittel, welches ausschließlich der Qualität
        der Arzneimittel dienen soll. Mit der Einführung des Re-
        gionalprinzips wurde bewusst auf die negativen Erfah-
        rungen reagiert, die mit Arzneimittellieferungen an
        Krankenhäuser über weite Entfernungen und mit einer
        unkontrollierten Lagerung auf den Stationen der Kran-
        kenhäuser gemacht wurden.
        Vorschriften, die der Qualität der Arzneimittelversor-
        gung dienen, dienen zugleich dem Schutz der Gesund-
        heit von Menschen. Dem Regionalprinzip kommt eben
        diese Aufgabe zu, da es eine räumliche Beziehung zwi-
        schen dem zu versorgenden Krankenhaus und der ver-
        sorgenden Apotheke gewährleistet. Erst durch diese
        räumliche Nähe wird eine Arzneimittelversorgung mög-
        lich. Der Begriff der „Arzneimittelversorgung“, den
        Art. 14 ApoG in der geltenden Fassung für die Kranken-
        hausversorgung zugrunde legt, geht nämlich weit über
        die bloße Bereitstellung bzw. Lieferung eines Arzneimit-
        tels hinaus. Hierzu zählen die besondere berufliche Qua-
        lifikation, die nahe therapeutische Zusammenarbeit, die
        auf besondere Bedingungen zugeschnittene Präparate-
        auswahl, die sachgerechte Information und Produktkon-
        trolle, die Akutversorgung und vieles mehr. Die Qualität
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        er Krankenhausversorgung mit Arzneimitteln ist unmit-
        elbar davon abhängig, dass ein verantwortlicher Apo-
        heker über alle pharmazeutischen Fragen im Kranken-
        aus vollständig informiert ist. So ist es ihm möglich,
        rfahrungen unmittelbar in Auswahl- und Beschaffungs-
        ntscheidungen sowie seine Beratung des Krankenhaus-
        ersonals und der Patienten einfließen zu lassen. Werden
        ukünftig Regelbelieferung, Akutversorgung und phar-
        azeutische Dienstleistungen in möglicherweise drei
        erschiedene Hände gelegt, sind Qualitätseinbußen vor-
        rogrammiert.
        Eine Vielzahl internationaler Studien belegt zudem
        und ich verstehe nicht, warum das von der Bundesre-
        ierung nicht beachtet wurde –, dass die klinische Phar-
        azie, der Apotheker vor Ort, die Qualität der Arznei-
        ittelversorgung und deren ökonomische Effizienz
        essbar fördert. Aus diesem Grund regeln einzelne Mit-
        liedstaaten die Pflicht zur Anwesenheit von Apothe-
        ern in Krankenhäusern sogar deutlich strenger, als es
        m deutschen Recht bislang vorgesehen ist.
        Der nun vorgelegte Gesetzentwurf sieht vor, dass zu-
        ünftig pharmazeutische Dienstleistungen über elektro-
        ische Medien oder Telefon gewährleistet werden. Des
        eiteren ist es für ein Krankenhaus völlig inakzeptabel,
        enn eine im EU-Ausland beheimatete Apotheke zwar
        erpflichtet sein soll, unverzüglich für die Akutversor-
        ung zu liefern, es aber völlig offen ist, wann die Arznei-
        ittel die Klinik tatsächlich erreichen. Außerdem ist zu
        efürchten, dass wegen der zukünftig möglichen neben-
        inander existierenden europaweiten Bezugsquellen der
        mfang von Arzneimittelproblemen sowie Arzneimit-
        elfälschungen zunehmen wird.
        Ich möchte an dieser Stelle auch auf die Resolution
        es Marburger Bundes hinweisen, in der eindringlich
        or einer Reduzierung der Arznei – und Patientensicher-
        eit durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung ge-
        arnt wird. Im Übrigen hat am gestrigen Mittwoch der
        undesrat nicht nur mit den Stimmen der B-Länder, son-
        ern auch mit Unterstützung der meisten A-Länder den
        esetzentwurf abgelehnt.
        Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregie-
        ung sich entschlossen hat, ein gut funktionierendes
        ystem, das neben einem Gewinn an Sicherheit auch
        osteneinsparungen gebracht hat, zulasten der Quali-
        ätssicherung für unsere Bürger aufzugeben. Die Bun-
        esregierung hat voreilig und damit nachlässig im Sinne
        er eigenen nationalen Interessen gehandelt. Ich sage es
        bschließend noch einmal: Man hätte ohne Zeitdruck das
        uGH-Urteil abwarten können, zumal Art. 30 des EU-
        ertrages Beschränkungen im Sinne des Gesundheits-
        chutzes zulässt und eigene nationale Regelungen ge-
        roffen werden können. Das Abwarten des EuGH-Urteils
        öte die Möglichkeit, auf Grundlage der aktuellen ge-
        einschaftsrechtlichen Rechtsprechung nationale Rege-
        ungen zu schaffen, die auf das Gemeinschaftsrecht zu-
        eschnitten sind und größtmöglichen Patientenschutz
        nd bestmögliche Versorgungssicherheit für die Kran-
        enhäuser gewährleisten.
        13598 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
        (B) )
        Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): Gestatten Sie mir bitte
        einige allgemein-politische Bemerkungen, bevor ich auf
        den eigentlichen Inhalt des Gesetzentwurfes eingehe.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unternimmt die
        Bundesregierung zum wiederholten Mal den Versuch,
        sowohl Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern als auch
        den deutschen Mittelstand im Allgemeinen und freibe-
        rufliche Strukturen im Besondern zu schwächen. Wenn
        man sich in diesem Zusammenhang an die Äußerung des
        Bundeskanzlers vom März dieses Jahres erinnert, als er
        den Aufruf der deutschen Wirtschaft zur Jobverlagerung
        ins Ausland als „unpatriotisch“ bezeichnete – die „Welt“
        vom 23. März 2004 –, so heißt das doch letztendlich
        nichts anderes, als dass die Bundesregierung das Gegen-
        teil von dem tut, was sie sagt. Ich bin gespannt, wie die
        Bundesregierung mit diesem Spagat fertig werden will.
        Das Gleiche gilt für den Mittelstand. Einerseits ver-
        kündet der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung
        Rezzo Schlauch im Bundestag: „Wir haben die Situation
        des Mittelstandes verbessert und werden sie auch weiter-
        hin verbessern“ – Protokoll vom 27. Mai 2004 –, ande-
        rerseits schafft sie, zum Beispiel mit diesem Gesetz, die
        Voraussetzungen dafür, dass mittelständische Strukturen
        in Deutschland vernichtet werden.
        Was nutzen großartig angelegte und öffentlichkeits-
        wirksam aufgezogene Ausbildungsoffensiven, wenn die
        Bundesregierung ohne zwingende Notwendigkeit dem
        Wirtschaftszweig in unserem Land schadet, der die
        meisten Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, nämlich
        dem Mittelstand. Oder ist der Bundesregierung ein-
        schließlich der sie tragenden Fraktionen entgangen, dass
        neben den Krankenhausapotheken vor allem die kran-
        kenhausbeliefernden Apotheken davon betroffen sind,
        wenn die Krankenhausbelieferung mit Arzneimitteln aus
        dem Ausland erfolgt?
        Aber nicht nur Arbeitsplätze in Deutschland und der
        deutsche Mittelstand bleiben auf der Strecke, sondern
        auch wichtige Aspekte der Arzneimittelversorgung.
        Nicht umsonst hat sich der Marburger Bund am 6. No-
        vember dieses Jahres gegen den Gesetzentwurf ausge-
        sprochen und festgestellt, dass die „vorgesehene Tren-
        nung der pharmazeutischen Beratung von der
        Arzneimittellieferung unweigerlich zur Reduzierung der
        Arzneimittel- und Patientensicherheit führen würde,
        weil dem Krankenhausarzt ein wichtiges Instrument für
        seine Therapieentscheidung verloren geht und damit sein
        Verantwortungsrisiko erhöht wird.“
        Und damit sind auch die größten Schwachstellen des
        Gesetzentwurfes genannt: Die Vernachlässigung der
        pharmazeutischen Beratung und der Arzneimittelsicher-
        heit. Arzneimittelsicherheit in Krankenhäusern kann
        doch nicht dadurch erreicht werden, dass ein Apotheker
        einmal im Monat einen Besuch in einem Krankenhaus
        abstatten muss. Arzneimittelsicherheit in Krankenhäu-
        sern kann auch nicht dadurch erreicht werden, dass ein
        Apotheker in dringlichen Einzelfällen erst innerhalb von
        24 Stunden für eine persönliche Beratung zur Verfügung
        stehen muss.
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        Interessant ist, dass eine SPD-geführte Bundesregie-
        ung jetzt das zurücknehmen will, was eine ebenfalls
        PD-geführte Bundesregierung eingeführt hat. Erinnern
        ir uns an die Regierungszeit von Helmut Schmidt, in
        ie die Einführung des Regionalprinzips bei der Kran-
        enhausbelieferung mit Arzneimitteln fällt. In der Be-
        ründung der Novelle zum Apothekengesetz aus dem
        ahr 1977 ist nämlich zu lesen: „Durch die Beschrän-
        ung der Versorgung auf einen abgegrenzten räumlichen
        ereich wird eine schnelle Zustellung der Arzneimittel
        rmöglicht und die zuständige Behörde in die Lage ver-
        etzt, einen Überblick über den Versorgungsbereich ei-
        er Krankenhausapotheke zu behalten.“
        Also halten wir fest: Die SPD-geführte Bundesregie-
        ung will eine „schnelle Zustellung“ und ermöglicht da-
        er auch eine Belieferung zum Beispiel aus Malta oder
        stland. Die SPD-geführte Bundesregierung will den
        Überblick“ gewährleisten und meint, dass das ein Apo-
        heker leisten kann, der einmal im Monat zum Beispiel
        us Zypern eingeflogen wird. In diesem Fall sollten ei-
        ige Mitarbeiter in unseren Krankenhäusern vorsorglich
        chon einmal Griechisch lernen. Zwar stand im Referen-
        enentwurf noch, dass Deutschkenntnisse erforderlich
        ind, im vorliegenden Gesetzentwurf ist dieser Passus al-
        erdings gestrichen worden. Einzig und allein ein kurzer
        inweis in der Begründung ist übrig geblieben: „Vom
        orliegen der erforderlichen deutschen Sprachkennt-
        isse für die jeweilige Beratung wird ausgegangen. Sie
        ind gegebenenfalls durch den Träger des jeweiligen
        rankenhauses verifizierbar.“
        Was den Gesetzentwurf in Gänze angeht, hat ja inzwi-
        chen auch der Gesundheitsausschuss des Bundesrates
        eine mehrheitliche Ablehnung signalisiert, und zwar
        icht nur mit den Stimmen der B-Länder, sondern auch
        it der Mehrheit der SPD-geführten Bundesländer. In
        er Begründung heißt es unter anderem: „Die bestehen-
        en, auf regionalen Strukturen basierenden Regelungen
        ur Arzneimittelversorgung von Krankenhäusern haben
        ich in Bezug auf Versorgungsqualität und Versorgungs-
        icherheit eindeutig bewährt. Es besteht daher kein
        rund, diese bewährten Regelungen vorschnell zuguns-
        en von Bestimmungen zu ändern, die sich nachteilig auf
        ie Akutversorgung von Krankenhäusern auswirken
        önnen.“
        So bleibt mir zum Schluss nur, der Bundesregierung
        nd den Regierungsfraktionen den guten Rat zu geben,
        en vorliegenden Gesetzentwurf zurückzuziehen und im
        inne der Empfehlung des Gesundheitsausschusses des
        undesrates zu handeln, die da lautet: „Ein Abwarten
        es EuGH-Urteils bietet die Möglichkeit, auf der Grund-
        age der aktuellen gemeinschaftsrechtlichen Rechtspre-
        hung nationale Regelungen zu schaffen, die auf das Ge-
        einschaftsrecht zugeschnitten sind und größtmöglichen
        atientenschutz und bestmögliche Versorgungssicherheit
        ür die Krankenhäuser gewährleisten.“ Und dass natio-
        ale Regelungen durchaus möglich sind, hat der EuGH
        n seinem Versandhandelsurteil festgestellt.
        Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus-
        öser der vorliegenden Änderung des Apothekengesetzes
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13599
        (A) )
        (B) )
        ist ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen
        Union gegen die Bundesrepublik Deutschland. Es be-
        steht somit konkreter und zeitnaher Handlungsbedarf.
        Die bisherige Regelung, wonach dort, wo keine Kran-
        kenhausapotheken existieren, nur Apotheken aus dem
        eigenen oder einem angrenzenden Landkreis ein Kran-
        kenhaus versorgen können, wird von der EU als nicht
        mit Art. 28 – freier Warenverkehr – vereinbar angese-
        hen. Im Gegensatz zum Gesundheitsausschuss des Bun-
        desrates sind wir nicht der Meinung, man solle erst eine
        Verurteilung im Vertragsverletzungsverfahren abwarten,
        bevor man handelt. Diese Art des Aussitzens ist nicht
        unsere Politik. Auch in der Sache spricht nichts dafür,
        wettbewerbsfeindliche Regelungen in der Arzneimittel-
        versorgung zu verteidigen.
        Halten wir uns vor Augen, welche Ziele damals zu
        dieser Regelung geführt haben. Es waren die zeitnahe
        Lieferung von Medikamenten und die Möglichkeit der
        ortsnahen Beratung von Krankenhausstationen sowie
        Ärzten und Ärztinnen. Diese beiden Ziele sind auch zu-
        künftig handlungsleitend. Aus grüner Sicht kann ich
        nicht erkennen, wieso ein Versorgungsmonopol einer zu-
        fällig ortsansässigen Apotheke dafür das richtige Instru-
        ment sein sollte. Wettbewerb sorgt für Qualität und Wirt-
        schaftlichkeit, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
        Das vorliegende Gesetz wählt eine Lösung, bei der
        die pharmazeutische Logistik und Beratung getrennt
        werden können. Dies erscheint uns sinnvoll. Nationaler
        und EU-weiter Wettbewerb bei der Belieferung von
        Krankenhäusern mit Medikamenten wird dadurch mög-
        lich, die zeitnahe und abgestimmte Belieferung der
        Krankenhäuser mit den benötigten Arzneimitteln bleibt
        gewährleistet. Um eine möglichst optimale und indivi-
        duelle pharmazeutische Versorgung der Krankenhauspa-
        tienten und -patientinnen sicherzustellen, ist darüber hi-
        naus eine Hand in Hand gehende pharmazeutische
        Beratung der Ärzte und Ärztinnen notwendig. Medizini-
        sches und pharmazeutisches Wissen müssen sich bei der
        Behandlung der Patienten und Patientinnen ergänzen.
        Der Blick ins europäische Ausland, zum Beispiel Groß-
        britannien und die Niederlande, zeigt, dass dort eine en-
        gere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Ärztinnen
        und Pharmazeuten und Pharmazeutinnen Praxis ist. Wir
        werden im parlamentarischen Verfahren prüfen, ob die
        vorgesehen Regelungen im Sinne des Schutzes von Pati-
        enten und Patientinnen ausreichen oder für die pharma-
        zeutische Beratung genauere Vorgaben notwendig sind.
        Zusammengefasst: Der Handlungsbedarf im Hin-
        blick auf die Arzneimittelversorgung im Krankenhaus
        steht außer Frage. Wettbewerbliche Öffnung ist notwen-
        dig. Über die Rahmenbedingungen werden wir beraten.
        Detlef Parr (FDP): Der Gesetzentwurf dient dem
        Ziel, zukünftig die Belieferung von Krankenhäusern
        durch jede europäische Apotheke vom Grundsatz her zu
        ermöglichen. Die Bundesregierung argumentiert damit,
        dass der Bundesrepublik anderenfalls ein EU-Vertrags-
        verletzungsverfahren vor dem EuGH drohen würde, weil
        das bundesdeutsche Apothekengesetz vorsieht, dass
        Krankenhäuser nur von Apotheken beliefert werden dür-
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        en, die im selben oder im benachbarten Landkreis lie-
        en. Hintergrund dieser Regelung ist die Befürchtung,
        ass anderenfalls keine Ordnungsmäßigkeit der Liefe-
        ungen garantiert werden könnte. Dies ist ein Aspekt, der
        or dem Hintergrund der immer stärker um sich greifen-
        en Arzneimittelfälschungen nicht aus dem Auge verlo-
        en werden darf. Die Sicherheit von Arzneimitteln muss
        berste Priorität haben. Das gilt ganz besonders für die
        rzneimittel, die bei schweren Erkrankungen in den
        rankenhäusern eingesetzt werden.
        Die CDU/CSU-geführten Bundesländer haben ange-
        eutet, dass sie zunächst ein Verfahren vor dem EuGH
        bwarten wollen, um in Erfahrung zu bringen, in wel-
        hen Punkten ganz konkret die EU Änderungsbedarf
        ieht. Es spricht einiges dafür, so zu verfahren. Auf jeden
        all halten wir eine Anhörung im Gesundheitsausschuss
        u dieser Thematik für erforderlich. Dort muss geklärt
        erden, ob ohne jeden Zweifel belegt werden kann, dass
        ie Arzneimittelsicherheit durch die angestrebte Rege-
        ung wie bisher gewährleistet werden kann.
        Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei
        er Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Siche-
        ung: Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Apothe-
        engesetzes beweist die Bundesregierung einmal mehr
        ntschlossenes Handeln. Die Opposition zeigt kurz nach
        em gesundheitspolitischen Offenbarungseid der Union
        rneut: Bei ihr herrscht Konfusion in der Gesundheitspo-
        itik.
        Unser Gesetzentwurf sieht vor, die Versorgung der
        rankenhäuser mit Arzneimitteln an das europäische
        echt anzugleichen. Bisher wurden die Krankenhäuser
        ntweder von eigenen Krankenhausapotheken mit Medi-
        amenten versorgt oder sie haben dafür Verträge mit
        potheken vor Ort abgeschlossen, die diese Versorgung
        bernommen haben. Diese Praxis der ortsgebundenen
        rzneimittelversorgung hat sich bewährt. Nur leider ver-
        tößt sie nach Ansicht der EU-Kommission gegen gel-
        endes Recht, nämlich gegen die Freiheit des Warenver-
        ehrs im europäischen Wirtschaftsraum.
        Eines geht es aber nicht: Man kann sich nicht ständig,
        ie die Opposition das tut, hinstellen und sagen: „Die
        undesregierung missachtet europäisches Recht!“ oder
        Wir sind die besseren Europäer!“ Das schwingt immer
        o ein bisschen bei der Opposition mit, vor allem bei den
        enigen Damen und den vielen Herren der Union. Dann
        ber, wenn die Regelungen der EU für die eigene Klien-
        el unangenehm werden, betrachten Sie das europäische
        echt nicht mehr als bindend. Diese Art der Rosinen-
        ickerei lassen wir nicht zu.
        Unser Gesetzentwurf beruht auf einer Verständigung,
        ie wir mit der Kommission gefunden haben. Weil wir
        as Gespräch gesucht haben, können wir die Sorgen der
        rankenhäuser und der Apotheker im Gesetz berück-
        ichtigen. Unser Entwurf ist deshalb besser für die deut-
        chen Apotheker und auch für die Patientinnen und Pati-
        nten im Krankenhaus, als es ein Urteilsspruch des
        uropäischen Gerichtshofs je sein könnte; denn vor die-
        em hätte unser jetziges System keinen Bestand. Des-
        alb wäre es der falsche Weg, eine Klage abzuwarten.
        13600 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
        (B) )
        Die würde den Steuerzahlern im Übrigen Kosten in Mil-
        lionenhöhe bescheren.
        Der Regierungsentwurf stärkt die hohe Qualität der
        Medikamentenversorgung im Krankenhaus. Er sorgt für
        mehr Wirtschaftlichkeit auch in diesem Teil des Gesund-
        heitswesens. Er sorgt für Patientensicherheit, indem er
        für die Länder eine Genehmigungspflicht der Versor-
        gungsverträge vorsieht. Unser Gesetz ist Leistungsan-
        bietern und Patienten gegenüber gleichermaßen verant-
        wortungsvoll.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Neuordnung des Pfandbriefrechts (Tagesord-
        nungspunkt 18)
        Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die SPD-Frak-
        tion begrüßt den Entwurf der Bundesregierung für ein
        Gesetz zur Neuordnung des Pfandbriefrechts. Damit ge-
        lingt eine Öffnung des Pfandbriefgeschäftes für neue
        Emittenten bei Wahrung und sogar Verschärfung der
        strengen Anforderungen an den Pfandbrief. Dies wird
        den Finanzplatz Deutschland stärken.
        Es ist von großer Bedeutung, dass es in den kommen-
        den Beratungen im Vergleich zu den derzeit geltenden
        Regeln keine Verwässerung der gesetzlichen Anforde-
        rungen oder gar Einbußen an der Qualität des Pfand-
        briefs gibt. Denn es gilt, den hervorragenden Ruf des
        Pfandbriefs an den internationalen Finanzmärkten im In-
        teresse des Wirtschaftsstandorts Deutschland ohne Ab-
        striche zu festigen sowie das Vertrauen der Anleger zu
        erhalten und sogar zu stärken. Der deutsche Pfandbrief
        ist schon heute das größte Marktsegment des europäi-
        schen Rentenmarktes und Vorbild für zahlreiche Pro-
        dukte nach ausländischen Rechtsordnungen.
        Der Nominal-Umlaufbetrag der „öffentlichen Pfand-
        briefe“ und der „Hypothekenpfandbriefe“ betrug Ende
        2003 fast 1 100 Milliarden Euro, davon wurden von pri-
        vaten Hypothekenbanken rund 60 Prozent, von öffent-
        lich-rechtlichen Kreditinstituten rund 40 Prozent bege-
        ben.
        Der Brutto-Nominal-Absatz von „öffentlichen Pfand-
        briefen“ und „Hypothekenpfandbriefen“ betrug in 2003
        zusammen 211 Milliarden Euro; davon sind wiederum
        rund 60 Prozent von privaten Hypothekenbanken und
        rund 40 Prozent von öffentlich-rechtlichen Kreditinstitu-
        ten begeben worden. Für die letztgenannte Instituts-
        gruppe wird der Pfandbrief im Zuge des Wegfalls von
        Anstaltslast und Gewährträgerhaftung als kostengünsti-
        ges Refinanzierungsinstrument noch deutlich an Bedeu-
        tung gewinnen.
        Am deutschen Rentenmarkt ist der Pfandbrief mit ei-
        nem Marktanteil von 36 Prozent – das war das Umlauf-
        volumen Ende 2003 – vor den Anleihen der öffentlichen
        Hand und sonstigen Bankschuldverschreibungen das
        meistbegebene Wertpapier. Das Gewicht des Pfandbriefs
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        eigt sich auch im Vergleich mit dem Ausland. Von den
        nde 2003 im Umlauf befindlichen, in der Europäischen
        nion begebenen gedeckten Schuldverschreibungen mit
        inem Volumen von insgesamt über 1 500 Milliarden
        uro stellten deutsche Pfandbriefe mit fast 1 100 Mil-
        iarden Euro den größten Anteil dar, fast 70 Prozent. Ins-
        esondere bei den öffentlichen „Pfandbriefen“ über-
        iegt das deutsche Produkt ganz eindeutig, aber auch
        er deutsche Hypotheken-Pfandbrief ist klarer europäi-
        cher Marktführer. Die schon jetzt bedeutende Rolle des
        fandbriefs an den nationalen und internationalen
        inanzmärkten spiegelt das Vertrauen der Anleger in ge-
        etzliche Rahmenbedingungen wider.
        Jedoch ruft der Erfolg bekanntermaßen immer auch
        ettbewerber auf den Plan. In anderen Rechtsordnungen
        ind verstärkt Bemühungen erkennbar, nach dem Vorbild
        es deutschen Pfandbriefs Konkurrenzprodukte zu
        chaffen. So sind seit Ende der 90er-Jahre in nahezu je-
        em Mitgliedstaat in der EU Gesetze über gedeckte
        chuldverschreibungen verabschiedet worden. Darüber
        inaus werden in Großbritannien, wo kein einschlägiges
        esetz besteht, über besondere Vertragskonstruktionen
        fandbriefähnliche Produkte strukturiert und auf den
        arkt gebracht.
        Mit dem neuen Pfandbriefgesetz werden die deut-
        chen Kreditinstitute in diesem Wettbewerb bestens po-
        itioniert und müssen die Konkurrenz nicht fürchten.
        ir begrüßen auch, dass es gelungen ist, eine bisher auf
        rei Gesetze verteilte Rechtsmaterie, nämlich das Hypo-
        hekenbankgesetz – HBG –, das Gesetz über die Pfand-
        riefe und verwandten Schuldverschreibungen öffent-
        ich-rechtlicher Kreditanstalten – ÖPG – und das
        chiffsbankgesetz in einem insbesondere für die Anle-
        er, die Rating-Agenturen sowie die neu auf den Markt
        ommenden Pfandbriefemittenten gut verständlichen
        esetz zu regeln. Dadurch wird es erleichtert, das Ver-
        rauen der Marktteilnehmer zu gewinnen oder zu festi-
        en und es dürfte allen Fraktionen leicht fallen, diesem
        esetz begeistert zuzustimmen.
        Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Der Pfand-
        rief hat sich im vergangenen Jahrzehnt von einem deut-
        chen Wertpapier mit langer Tradition zu einem weltweit
        efragten Anlageinstrument entwickelt. Heute ist er ei-
        er der wenigen Exportartikel des deutschen Finanz-
        arktes und mit einem Volumen von weit über 1 Billion
        uro eines der größten Segmente des internationalen
        ixed-Income-Marktes.
        Die Neugestaltung des Pfandbriefgesetzes muss also
        n einer Weise erfolgen, die den hohen Qualitätsstandard
        es Pfandbriefs in keiner Weise infrage stellt, gleichzei-
        ig aber zukunftsfähig und international konkurrenzfähig
        st. Mit dem neuen Pfandbriefgesetz werden die notwen-
        igen Schritte eingeleitet, um den ordnungspolitischen
        ahmen für den Finanzplatz Deutschland weiter zu ver-
        essern und die bereits hohe Akzeptanz des deutschen
        fandbriefes noch weiter zu vertiefen.
        Nach derzeitiger Rechtslage ist die Emission von
        fandbriefen im Wesentlichen nur den privaten Hypo-
        hekenbanken und den öffentlich-rechtlichen Kreditinsti-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13601
        (A) )
        (B) )
        tuten vorbehalten. Durch den nun vorliegenden Gesetz-
        entwurf soll künftig allen für das Pfandbriefgeschäft
        geeigneten Kreditinstituten die Möglichkeit eröffnet
        werden, Pfandbriefe zu emittieren, sofern das Kreditin-
        stitut die gesetzlich noch festzulegenden Mindestanfor-
        derungen einhält. Die Modernisierung des Kapitalmarkt-
        rechts in diesem Bereich wird von uns ausdrücklich
        begrüßt.
        Das internationale Geschäft ist auch für deutsche Kre-
        ditinstitute in zunehmendem Maße eine wichtige Stütze
        in der Geschäftsbilanz. Die vorgeschlagene Regelung
        des § 13 sieht vor, dass lediglich Forderungen aus Mit-
        gliedstaaten der EU, des EWR sowie aus der Schweiz in
        die Pfandbriefdeckung genommen werden können. For-
        derungen aus den USA, Kanada und Japan bleiben dem-
        gegenüber weiterhin nicht deckungsfähig.
        In den weiteren Beratungen werden wir zu klären ha-
        ben, inwieweit diese Differenzierung sachlich noch ge-
        rechtfertigt ist. Immobilienmärkte funktionieren heute
        zunehmend international, sie sind also nicht mehr in
        streng abgegrenzte nationale Marktsegmente unterteilt.
        Dem müssen auch die Anbieter von Finanzierungslösun-
        gen Rechnung tragen, indem sie ihren Kunden in neue
        Märkte folgen.
        Auch der Frage der Indeckungnahme von Pfandbrie-
        fen werden wir nachzugehen haben, insbesondere im In-
        teresse der Qualität der deutschen Pfandbriefe. Die be-
        fürchteten negativen „Kaskaden“-Effekte sind so leicht
        nicht von der Hand zu weisen. Letztlich könnte dies zu
        einer Aufblähung des Pfandbriefvolumens führen, wie
        von einigen beteiligten Verbänden bereits angedeutet.
        Inwieweit dies durch verschiedene Regelungen vermie-
        den werden könnte, sollten wir diskutieren.
        Ein weiteres Problem stellt sich im Zusammenhang
        mit der Ermittlung des Beleihungswertes. Der Belei-
        hungswert ist ein nachhaltiger und dauerhafter Wert, der,
        wenn er einmal ermittelt ist, keinen gravierenden
        Schwankungen unterliegt und in der Regel die Verände-
        rungen des Marktwertes nicht nachvollzieht. Es gibt je-
        doch Situationen, in denen es unerlässlich sein wird, eine
        Neubewertung vorzunehmen, um die Sicherungsfunk-
        tion des Pfandbriefes nicht ins Leere laufen zu lassen.
        Die gegenwärtig vorgesehenen Vorschriften zur Be-
        leihungswertermittlung in § 16 PfandBG-E setzen wie
        die geltende Vorschrift des § 12 Hypothekenbankgesetz,
        HBG, an der Bewertung des einzelnen Ojektes an. Diese
        Vorgabe könnte in manchen Fällen an Grenzen stoßen,
        zum Beispiel dort, wo anstelle der traditionellen Ausrei-
        chung von Einzelkrediten der Erwerb von Kreditportfo-
        lien erfolgt. In diesen Fällen ist, insbesondere wenn es
        sich um ein großes Portfolio handelt, eine Bewertung je-
        der einzelnen Kreditforderung aus praktischen Gründen
        unmöglich.
        Die Beratungen zum Pfandbriefgesetz müssen im
        Sinne eines starken Finanzplatzes Deutschland den An-
        forderungen an Klarheit und Rechtssicherheit gerecht
        werden. Nur so können wir auch weiterhin im interna-
        tionalen Wettbewerb, dem auch die Finanzmärkte ausge-
        setzt sind, bestehen.
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        Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Der deutsche Pfand-
        rief ist seit über hundert Jahren eine Erfolgsgeschichte.
        eute entfallen zwei Drittel des Pfandbriefmarktes auf
        fandbriefe „made in Germany“. Und dabei stellen
        fandbriefe mit über 1,5 Billionen Euro noch vor Staats-
        nleihen das größte Segment im Bereich der festverzins-
        ichen Wertpapiere. Wir alle haben ein gemeinsames In-
        eresse daran, diese Erfolgsgeschichte fortzuschreiben!
        Zu diesem Zweck ist aus zwei Gründen eine Reform
        es Pfandbriefrechts notwendig: Erstens gilt es, die Fol-
        en des Wegfalls von Gewährträgerhaftung und An-
        taltslast für die öffentlichen Banken im Juli nächsten
        ahres zu berücksichtigen. Zweitens müssen wir unseren
        orsprung gegenüber den europäischen Wettbewerbern
        alten und ausbauen. Ich bin überzeugt, dass wir unser
        iel erreichen werden, wenn wir den vorliegenden Ge-
        etzentwurf noch an einigen Stellen optimieren.
        Was muss unser Leitgedanke bei dieser Optimierung
        ein? Unser Leitgedanke muss sein, dass wir exakt so
        iel Regulierung erreichen müssen, wie nötig ist, um die
        ualität des Markenprodukts Pfandbrief zu erhalten,
        hne dabei Marktwettbewerb zwischen verschiedenen
        mittentengruppen zu beeinträchtigen. Unter dieser Ma-
        ime gilt es, die Interessen der einzelnen Emittenten-
        ruppen – das heißt konkret: der einzelnen Bankengrup-
        en – gegeneinander abzuwägen. Vor allem aber muss
        ie Investorenseite gehört werden. Denn schlussendlich
        ind es die großen, institutionellen Anleger, deren Ver-
        rauen wir mit diesem Gesetz noch weiter für den Pfand-
        rief gewinnen müssen.
        Auf Anbieterseite verläuft die Trennungslinie zwi-
        chen den Banken vor allem zwischen dem öffentlich-
        echtlichen Lager auf der einen sowie den privaten und
        en genossenschaftlichen Banken auf der anderen Seite.
        as ist kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass
        ie Pfandbriefgeschäfte dieser Gruppen bisher auf unter-
        chiedlichen Rechtsgrundlagen beruhten, die nun verein-
        eitlicht werden sollen. Da ist es selbstverständlich, dass
        lle Betroffenen gerne ihre bisherigen Praktiken fortfüh-
        en möchten und sich entsprechende gesetzliche Rege-
        ungen wünschen. Unsere Aufgabe habe ich vorhin in
        einem Leitgedanken klar gemacht: Wir müssen festle-
        en, wo Unterschiede erhalten bleiben können. Und wir
        üssen festlegen, wo dies nicht möglich ist, ohne die
        kzeptanz des Pfandbriefs bei den Investoren zu gefähr-
        en.
        Mit Blick auf den vorliegenden Gesetzentwurf lassen
        ich meiner Ansicht nach vier Hauptstreitpunkte zwi-
        chen privaten und öffentlichen Banken unterscheiden:
        er erste dürfte der wichtigste Streitpunkt sein: Die Fra-
        en, wie die Deckungsmassen der Hypothekenpfand-
        riefe in Zukunft zu bestimmen sind. Hintergrund ist,
        ass die privaten Emittenten von Hypothekenpfandbrie-
        en ihre Deckungsmassen bisher nach dem Beleihungs-
        ertverfahren ermitteln, während öffentliche Banken zu
        iesem Zweck das Verkehrswertverfahren nutzen. Im
        ntwurf des neuen Pfandbriefgesetzes ist nur noch das
        eleihungswertverfahren vorgesehen. Die privaten
        mittenten argumentieren, dass ein einheitliches Bewer-
        ungsverfahren nötig sei, um die Position des deutschen
        13602 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Pfandbriefes nicht zu gefährden. Aufgrund seiner größe-
        ren Exaktheit komme hierfür nur das Beleihungswert-
        verfahren infrage. Die öffentlichen Banken bestreiten
        nicht, dass das Beleihungswertverfahren exakter sei. Al-
        lerdings weisen sie darauf hin, dass die im Gesetzent-
        wurf vorgesehene Umstellung auf das Beleihungswert-
        verfahren bei Neuemissionen ab dem 19. Juli 2005 dazu
        führen würde, dass die öffentlich-rechtlichen Kreditinsti-
        tute für längere Zeit keine Neuemissionen durchführen
        könnten. Dies wäre der Fall, da der dann nötige Aufbau
        neuer Deckungsmassen einige Zeit in Anspruch nehmen
        würde. Aus diesem Grund fordern die Öffentlich-Recht-
        lichen, in § 16 des Pfandbriefgesetzes die Bewertung der
        Deckungsmassen unter Hinweis auf § 194 BauGB zu er-
        möglichen. Gleichzeitig sollte ihrer Ansicht nach in der
        Übergangsvorschrift des § 46 des neuen Pfandbriefge-
        setzes festgelegt werden, dass alte Deckungsmassen
        auch zukünftig verwendet werden dürfen, soweit sie den
        Ergebnissen des Beleihungswertverfahrens „wirtschaft-
        lich“ entsprächen. Wir werden – nicht zuletzt im Rah-
        men einer Anhörung – genau zu prüfen haben, inwieweit
        wir in der Frage der Bewertung von Deckungsmassen
        den öffentlichen Anbietern von Pfandbriefen entgegen-
        kommen können, ohne die Qualität des Pfandbriefs zu
        gefährden. Dies gilt ebenso für den zweiten Hauptstreit-
        punkt: Die Frage des notwendigen Risikomanagements.
        Die öffentlich-rechtlichen Institute haben sich sehr kri-
        tisch zum Umfang der geplanten Vorschriften zum Risi-
        komanagement geäußert und Einschränkungen gefor-
        dert. Die privaten Banken hingegen stellen sich gegen
        dieses Petitum. Auch hier müssen wir sehen, welches
        Niveau nötig ist, um die Investoren zu überzeugen.
        Auch die Frage, welche Transparenzvorschriften not-
        wendig sind, wird von den Bankengruppen unterschied-
        lich bewertet. Dies ist also der dritte Hauptstreitpunkt.
        Während die Vertreter des öffentlichen Lagers gerne auf
        Quartalsveröffentlichungen verzichten würden und be-
        stimmte Größenklassen in den Veröffentlichungen wei-
        ter fassen möchten, betrachten die privaten Akteure
        Quartalsveröffentlichungen für unverzichtbar. Zudem
        möchten sie die Publikationspflicht hinsichtlich der ört-
        lichen Belegenheit von Sicherheit noch weiter auffä-
        chern – etwa nach Bundesländern und Regionen. Ich
        verweise noch einmal auf den oben genannten Leitge-
        danken.
        Dieser muss uns auch beim vierten Hauptstreitpunkt
        als Stütze dienen. Die Frage nämlich, ob man Pfand-
        briefe auf Pfandbriefe begeben dürfen sollte, ist schluss-
        endlich nur von den Anlegern zu beantworten. Der Deut-
        sche Sparkassen- und Giroverband, der diese
        Möglichkeit anstrebt, mag in seiner objektiven wirt-
        schaftlichen Analyse Recht haben. Diese Analyse be-
        sagt, dass keine ungedeckten Kaskaden entstünden, da
        am Ende immer das ursprünglich besicherte Objekte
        liege. Allerdings denke ich, dass das Problem eher ein
        subjektives auf Seite der Anleger sein wird. Gerade die
        für den Markt wichtigen internationalen Investoren be-
        vorzugen eine direkte Verbindung ihres Pfandbriefes zur
        darunter liegenden Sicherheit. Von daher stehe ich hier
        der Idee des DSGV skeptisch, aber ohne festgelegte
        Meinung gegenüber.
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        Sehr sicher bin ich mir jedoch in einem anderen
        unkt: Ich bin überzeugt, dass wir für kleine Pfandbrief-
        anken, die teilweise seit über hundert Jahren die Ent-
        icklung des Pfandbriefes mitbestimmt haben, eine dau-
        rhafte Ausnahme von den Kernkapitalforderungen des
        fandbriefgesetzes schaffen sollten. Geeignet scheint
        ir hierfür eine Ausnahme für Institute, die bereits vor
        inem bestimmten Stichtag bestanden.
        Sicherlich gibt es noch weitere Punkte, die im Gesetz-
        ebungsverfahren zu diskutieren sein werden. Ich nenne
        ier die Frage der Luftfahrzeugpfandbriefe oder die
        rage des Mitverschlusses, ebenso die Frage, ob die
        SA, Kanada und Japan in den Kreis der deckungsfähi-
        en Länder aufgenommen werden sollten.
        In Anbetracht der kurzen Redezeit habe ich mich je-
        och auf ausgewählte Punkte konzentriert.
        Ich bin überzeugt, das wir ein neues Pfandbriefrecht
        ntwickeln werden, das die deutsche Position in diesem
        arkt sichert. In diesem Sinne freue ich mich auf eine
        onstruktive Zusammenarbeit im Finanzausschuss des
        eutschen Bundestages im Interesse des Finanzplatzes
        eutschland.
        Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        ie Entstehung des Pfandbriefsystems in Deutschland
        ird oft mit dem Namen des Berliner Kaufmanns
        duard Diederich Ernst Bühring in Verbindung ge-
        racht. Dieser reichte im Jahre 1767 dem Preußenkönig
        riedrich dem Großen eine Denkschrift ein, in der zur
        ehebung der Kreditnot der Landwirtschaft die Ausgabe
        on Hypothekenbriefen angeregt wurde. 1825/1826
        urden mehrere noch heute existierende Institute ge-
        ründet, welche die Ausgabe von Pfandbriefen und de-
        en Entwicklung als Geschäftsfeld hatten. Seither hat
        ich dieses Produkt bewährt und durchgesetzt: Der deut-
        che Pfandbrief ist ein Exportschlager geworden. Er bil-
        et das größte Segment am europäischen Rentenmarkt.
        as Umlaufvolumen beläuft sich auf 1,1 Billionen Euro.
        Öffentlich-rechtliche Kreditinstitute wie Sparkassen
        onnten bisher in Bezug auf die Sicherheit ihrer Pfand-
        riefe auch auf die Anstaltslast und Gewährträgerhaf-
        ung verweisen. Beide entfallen zum 1. Januar 2005. Da-
        it wird eine Neuregelung zur rechtlichen Grundlage
        er Ausgabe von Pfandbriefen fällig. Wir haben gehan-
        elt: Das vorliegende neue Gesetz ersetzt HBG und ÖPG
        owie mehrere Verordnungen, die komplett entfallen.
        esentliche Neuerung ist, dass nun alle Banken, die be-
        timmte Anforderungen erfüllen, Pfandbriefe ausgeben
        ürfen. Das entspricht auch der Idee des Wettbewerbes
        n Europa. Damit wird durch den Wegfall von HBG und
        PG das so genannte Spezialbankprinzip aufgehoben,
        ach welchem bestimmte Banken per Gesetz auf be-
        timmte Geschäftsfelder spezialisiert waren. Nun kön-
        en alle Banken ihre Geschäftsfelder frei wählen und da-
        it auch Pfandbriefe begeben. Mehr Freiheit für die
        nternehmen – bei gleichzeitig höchstmöglicher Quali-
        ät. Deshalb wird das Pfandbriefgesetz in der vorliegen-
        en Form weithin sehr begrüßt, auch von den betroffe-
        en Verbänden. Es entspricht der Idee eines offenen,
        ezüglich der Qualitätsstandards und des Marktzuganges
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13603
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        staatlich beaufsichtigten Wettbewerbs. Der Ersatz der
        beiden bisherigen Gesetze bedeutet eine Vereinfachung,
        die wir immer einfordern. Hier setzen wir diese Forde-
        rung um.
        Unsere wichtigste Botschaft an die Finanzwelt lautet:
        Das Gesetz der rot-grünen Koalition wird die Sicherheit
        und Qualität des Pfandbriefs bewahren und ausbauen.
        Deshalb ist ein zentraler Bereich des Gesetzes die geson-
        derte Verwahrung der Werte, die einem Pfandbrief ge-
        genüberstehen. Im Falle einer Insolvenz eines Institutes,
        das Pfandbriefe begeben hat, sind die so genannten De-
        ckungsmassen von vornherein der Konkursmasse entzo-
        gen.
        Durch Marktzugangskriterien und exakte Vorschriften
        über die Zulassung und Überwachung der Institute, die
        im Pfandbriefgeschäft tätig sein wollen, wird ein hoher
        Qualitätsstandard sichergestellt. Nicht jede Bank darf
        Pfandbriefe begeben: Sie muss eine bestimmte Größe
        nachweisen. Die Bank muss auch darstellen können,
        dass sie über genügend Know-how verfügt, um im
        Pfandbriefgeschäft tätig sein zu können. Und noch mehr:
        Sie wird daraufhin überprüft, ob sie sich nachhaltig und
        dauerhaft am Pfandbriefgeschäft beteiligt – wer über
        Jahre keinen Pfandbrief begibt, um dann plötzlich wie-
        der einsteigen zu wollen, ist nicht mehr im Geschäft.
        Eine solche Bank könnte in der Zwischenzeit das nötige
        Wissen und die nötigen Fachkräfte für dieses Geschäfts-
        feld verloren haben – das könnte für die Sicherheit des
        Pfandbriefes zu Risiken führen. Diese Risiken minimiert
        unser Gesetz.
        Für sämtliche Pfandbriefbanken wird es darüber hi-
        naus verpflichtend, bei hypothekarischen Beleihungen
        einen am nachhaltigen Ertrag einer Immobilie orientier-
        ten Beleihungswert zu ermitteln. Das war bisher nicht
        für alle Banken so. Von diesem Beleihungswert dürfen
        nur 60 Prozent als Deckung für einen Pfandbrief ver-
        wendet werden. Das wiederum generiert höchstmögliche
        Sicherheit. Die BaFin bestellt Treuhänder für diese Im-
        mobilien. Sie fuhrt auch so genannte Deckungsprüfun-
        gen durch, die untersuchen, ob noch genügend Werte mit
        100-prozentiger Sicherheit den Pfandbriefen gegenüber-
        stehen. Als zusätzlichen Anreiz zurQualitätssicherung
        sollen die Pfandbriefbanken dazu verpflichtet werden,
        ausführliche und transparente Informationen über die
        Qualität und Zusammensetzung der Deckungsmassen zu
        veröffentlichen.
        Damit schaffen wir die bestmöglichen Wettbewerbs-
        bedingungen für dieses hervorragende Produkt, das in
        unserem Land gleichsam erfunden wurde. Es stimmt
        also nicht, dass deutsche Ideen immer nur im Ausland
        vermarktet werden: Der Pfandbrief hat sowohl Tradition
        wie auch Potenzial. Unser Gesetz bereitet den Weg, die
        Erfolgsgeschichte des Pfandbriefes fortzusetzen.
        Rainer Funke (FDP): Der deutsche Pfandbrief ist
        ein Exportschlager. Vom Witwen- und Waisenpapier,
        vom „Huhn, das goldene Eier legt“, so die volkstümliche
        Werbung der 60er- und 70er-Jahre, entwickelte er sich
        zu einem Star an den internationalen Kapitalmärkten.
        Der deutsche Pfandbrief dominiert den Markt der fest-
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        erzinslichen Wertpapiere in Europa. Seine Bedeutung
        st seit Einführung des Euro nochmals deutlich gewach-
        en. Der deutsche Pfandbrief ist heute so erfolgreich,
        ass viele europäische Staaten ihrerseits die Vorausset-
        ungen für ein vergleichbares Kapitalmarktprodukt ge-
        chaffen haben. In diesem Umfeld muss der deutsche
        fandbrief auch zukünftig seine Spitzenstellung behaup-
        en. Der deutsche Pfandbrief muss Benchmark für ver-
        leichbare Produkte anderer Marktteilnehmer bleiben.
        ies ist der Maßstab, an dem das neue Pfandbriefgesetz
        u messen ist.
        Der Gesetzentwurf ist die Antwort auf aktuelle ge-
        chäftspolitische Entwicklungen und neue Rahmenbe-
        ingungen, insbesondere den Wegfall der staatlichen Ga-
        antien für öffentlich-rechtliche Institute ab Juli 2005.
        ukünftig soll das Pfandbriefgeschäft grundsätzlich je-
        em Kreditinstitut offen stehen, welches die im Interesse
        er Pfandbriefsicherheit unabdingbaren Zugangsvoraus-
        etzungen erfüllt.
        Hiermit verbunden ist die Abkehr vom Spezial-
        ankprinzip. Das klingt nach Revolution. Bei Lichte be-
        rachtet werden jedoch nur die Verhältnisse am Markt
        achgezeichnet. So hat das Spezialbankprinzip Univer-
        albanken nicht daran gehindert, sich an privaten Hypo-
        hekenbanken zu beteiligen. Im öffentlichen Bereich ist
        er deutsche Pfandbrief schon immer von Universalban-
        en aufgelegt worden. Landesbanken und Sparkassen
        urften allein auf Grund ihrer Garantie durch den Staat
        fandbriefemittenten sein. Die Aufgabe des Spezial-
        ankprinzips wird den Markt daher nicht durcheinander
        ringen, sondern im Gegenteil neu ordnen. Die Abkehr
        om Spezialbankprinzip ist auch ordnungspolitisch zu
        egrüßen. Letztlich war hiermit stets auch eine Ein-
        chränkung der Gewerbefreiheit verbunden.
        Einen uneingeschränkten Zugang zum Pfandbriefge-
        chäft darf und wird es jedoch nicht geben, anderenfalls
        eriete die hohe Qualität des Pfandbriefs in Gefahr.
        Als Kompensation für die Aufgabe des Spezialbank-
        rinzips sieht der Gesetzentwurf ein strenges Lizenzver-
        ahren, ein professionelles Risikomanagement der De-
        kungsmassen sowie hohe Transparenzanforderungen
        or. Die FDP-Bundestagsfraktion wendet sich gegen alle
        estrebungen, in diesen Bereichen Abstriche zu machen.
        trenge Anforderungen an die Wertermittlung von Im-
        obiliensicherheiten, ein differenziertes Risikomanage-
        ent und eine regelmäßige Berichterstattung sind für die
        ahrung der hohen Qualität des deutschen Pfandbriefs
        nverzichtbar. Das mag man als konservativ ansehen,
        ber in diesem Sinne bin ich gerne konservativ.
        Auch halte ich nichts davon, Pfandbriefe zur Deckung
        on Pfandbriefen zuzulassen. Dies führte zu einer Ver-
        ässerung der Deckungsmassen. Der Pfandbrief würde
        eine klare Natur als durch Immobilienwerte oder Staats-
        orderungen gedecktes Wertpapier verlieren.
        Hingegen ist nicht einzusehen, warum die zur
        eckung von Hypothekenpfandbriefen zulässigen Hy-
        otheken nicht auch auf Grundstücken in den Vereinig-
        en Staaten von Amerika, Kanada und gegebenenfalls
        apan lasten dürfen. Die dortigen Rechtssysteme sind so
        13604 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        (A) )
        (B) )
        gefestigt, dass ein Ausschluss dieser Staaten weder sach-
        lich noch politisch gerechtfertigt erscheint.
        Richtig ist, dass die strengen Anforderungen, auf de-
        ren Einhaltung die FDP-Bundestagsfraktion großen Wert
        legt, gegenwärtig insbesondere von solchen Emittenten
        erfüllt werden, für die bisher das HBG galt. Die FDP
        verkennt jedoch nicht, dass es für den Fortgang der Sa-
        che schädlich wäre, wenn sich eine Emittentengruppe als
        Verlierer betrachten müsste. Allerdings sind wir der Auf-
        fassung, dass durch die vorgesehenen Übergangsfristen
        alle Institute, die schon bisher mit der Emission von
        Pfandbriefen befasst sind, ausreichend Zeit haben, sich
        auf die neuen Anforderungen einzustellen. Dass es hier-
        bei zu einem gewissen Konsolidierungsprozess kommen
        wird, ist im Interesse der Stabilität und Solidität des Fi-
        nanzplatzes Deutschland hinzunehmen.
        Lassen Sie mich mit einer fachlichen und einer per-
        sönlichen Bemerkung schließen: Die Aufnahme von
        Luftfahrzeugpfandbriefen lehne ich ab. Flugzeuge mit
        Schiffen zu vergleichen ist wie Äpfel mit Birnen zu ver-
        gleichen. Schiffe sind die nach Grundstücken langlebigs-
        ten Investitionsgüter. Die Lebensdauer von Flugzeugen
        ist wesentlich kürzer bemessen. Flugzeuge erfordern
        zudem einen erheblichen Pflegeaufwand. Die Berück-
        sichtigung eines solch hochsensiblen und Schwankun-
        gen unterworfenen Anlageguts würde den Pfandbrief
        verwässern und die Anleger verwirren. Auch besteht für
        die Aufnahme von Flugzeugen kein volkswirtschaftli-
        ches oder auch nur betriebswirtschaftliches Bedürfnis.
        Für die Flugzeugfinanzierung sind funktionierende
        Märkte vorhanden.
        Zum Schluss möchte ich mein persönliches Bedauern
        darüber zum Ausdruck bringen, dass das Pfandbrief
        recht nunmehr in der Federführung des Bundesministeri-
        ums der Finanzen liegt. Bisher lag es beim Bundesminis-
        terium der Justiz in guten Händen. Die Gründe für den
        Wechsel erschließen sich mir nicht. Für mich als Rechts-
        politiker bedeutet dies, Abschied zu nehmen von einer
        Materie, die mir in all den Jahren als Abgeordneter und
        Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium
        der Justiz immer sehr am Herzen lag.
        Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
        Bundesminister für Finanzen: Der Ihnen vorliegende
        Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbrief-
        rechts regelt ein für den Finanzplatz und den Wirt-
        schaftsstandort Deutschland bedeutsames Finanzmarkt-
        produkt: den deutschen Pfandbrief.
        Der deutsche Pfandbrief ist ein weltweit gefragtes
        Anlageinstrument und ein echtes Vorzeigemodell an den
        internationalen Finanzmärkten. Er verschafft den Emit-
        tenten aufgrund seiner Sicherheit günstige Finanzie-
        rungsbedingungen und ist – da diese Finanzierungsvor-
        teile auch an die Kreditnehmer weitergereicht werden
        können – von großer Bedeutung für die deutsche Wirt-
        schaft.
        Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung ih-
        ren schon in der Vergangenheit praktizierten Kurs der
        stetigen Modernisierung des Pfandbriefrechts fort.
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        Der Gesetzentwurf enthält ein Pfandbriefgesetz,
        urch das die drei bisherigen Gesetze, die das Pfand-
        riefgeschäft regeln, abgelöst werden sollen, sowie eine
        eihe von Folgeänderungen. Aufgehoben werden das
        ypothekenbankgesetz, das Gesetz über die Pfandbriefe
        nd verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-
        echtlicher Kreditanstalten, abgekürzt ÖPG, und das
        chiffsbankgesetz.
        Das neue Pfandbriefgesetz hat zwei Hauptziele: Es
        oll einerseits die hohe Qualität des Pfandbriefs, die sei-
        en Erfolg an den Kapitalmärkten begründet hat, wahren
        nd für die Zukunft stärken. Anderseits wird die Befug-
        is zur Pfandbriefemission auf alle Kreditinstitute ausge-
        ehnt, die bestimmten Mindestanforderungen zum
        chutz des Pfandbriefgeschäfts genügen und eine ent-
        prechende aufsichtliche Erlaubnis nach dem Kreditwe-
        engesetz erhalten. Nach geltendem Recht dürfen Pfand-
        riefe nur begeben werden durch Hypothekenbanken,
        chiffsbanken und öffentlich-rechtliche Kreditinstitute,
        ofern Letzteren die Pfandbriefemission durch die jewei-
        igen Landesgesetze gestattet ist.
        Genauso wichtig ist es aber, zu betonen, dass es auch
        ielsetzung der Bundesregierung ist, mit diesem Gesetz
        ie herausgehobene Stellung des Pfandbriefs an den na-
        ionalen und internationalen Kapitalmärkten weiter zu
        estigen und auszubauen.
        Nach dem Zeitplan ist vorgesehen, das Gesetz im
        rühjahr 2005 zu verabschieden. Damit könnten Pfand-
        riefe nach Wegfall der Gewährträgerhaftung am 19. Juli
        005 auf einer neuen Gesetzesgrundlage emittiert wer-
        en.
        Lassen Sie mich die Kernpunkte des Gesetzentwurfs
        urz skizzieren. Zunächst wird das Pfandbriefgeschäft
        ls Bankgeschäft im Sinne des § 1 des Kreditwesen-
        esetzes, KWG, definiert, dessen Betrieb eine ent-
        prechende Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanz-
        ienstleistungsaufsicht nach den Vorschriften des
        reditwesengesetzes voraussetzt. Die Institute haben so
        ereits im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nachzuwei-
        en, dass sie bestimmte, für das Pfandbriefgeschäft un-
        bdingbare Mindestanforderungen erfüllen. Zugleich
        ird es der Aufsicht ermöglicht, sämtliche pfandbriefe-
        ittierenden Institute – nach der Terminologie des neuen
        esetzes also die „Pfandbriefbanken“ – und auch deren
        missionstätigkeit selbst in der hierfür erforderlichen
        rt und Weise zu beaufsichtigen.
        Im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen des
        fandbriefemissionsgeschäftes werden die Erlaubnisvo-
        aussetzungen des Kreditwesengesetzes im Pfandbrief-
        esetz teilweise strenger gefasst, teilweise aber auch ver-
        ieft geregelt. Vorgesehen ist unter anderem, dass die
        rlaubnis nur bei einem Kernkapital von mindestens
        5 Millionen Euro erteilt wird, dass aus dem im Erlaub-
        isverfahren vorzulegenden Geschäftsplan die Absicht
        es Kreditinstituts hervorgehen muss, das Pfandbriefge-
        chäft regelmäßig und nachhaltig zu betreiben und dass
        as Kreditinstitut nachweist, über geeignete Regelungen
        nd Instrumente zur Steuerung, Überwachung und Kon-
        rolle der Risiken für die Deckungsmassen und das da-
        auf gründende Emissionsgeschäft zu verfügen.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13605
        (A) )
        (B) )
        Diejenigen Elemente der Qualitätssicherung, die sich
        bewährt haben, teilweise aber bislang nicht in allen ab-
        zulösenden Gesetzen vorgeschrieben waren, werden bei-
        behalten und zukünftig auf sämtliche Pfandbriefemitten-
        ten angewendet. Dazu gehören eine nennwertige und
        barwertige Deckung der Ansprüche der Pfandbriefgläu-
        biger zuzüglich einer 2-prozentigen Überdeckung; die
        Insolvenzvorschriften, die Figur des Sachwalters für die
        Deckungsmassen sowie die Möglichkeit der vollständi-
        gen oder teilweisen Übertragung der Pfandbriefver-
        bindlichkeiten und Deckungsmas sen auf andere Pfand-
        briefbanken; Ermittlung eines Beleihungswertes bei
        hypothekarischen Beleihungen und eine Beleihungs-
        grenze in Höhe von 60 Prozent des Beleihungswertes;
        die Figur des Treuhänders und Deckungsprüfungen
        durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsauf-
        sicht. Daneben sollen die Vorschriften über die Transpa-
        renz der Deckungsmasse verbessert werden.
        Auf die unterschiedlichen Gruppen der bisherigen
        Pfandbriefemittenten wie auch auf die Kreditinstitute
        ohne Pfandbriefemissionsprivileg wird sich das Gesetz
        in unterschiedlicher Weise auswirken: Hypothekenban-
        ken und Schiffspfandbriefbanken erhalten eine maßgeb-
        liche Erweiterung des bisher erlaubten Geschäftsrah-
        mens. Für die öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten
        ergeben sich strengere Anforderungen an das Pfand-
        briefgeschäft und die Ausgabe von Pfandbriefen selbst.
        Neu ist die Möglichkeit, das Schiffspfandbriefgeschäft
        aufzunehmen. Bedeutende Auswirkungen wird das Ge-
        setz für die große Mehrheit der privatrechtlich organi-
        sierten Kreditinstitute haben, die nicht Hypothekenban-
        ken sind. Denn diese erhalten erstmals unmittelbaren
        Zugang zum Pfandbriefgeschäft. Das betrifft auch das
        Schiffspfandbriefgeschäft.
        Das hohe Ansehen des als relativ homogen wahrge-
        nommenen Pfandbriefs an den internationalen Kapital-
        märkten beruht auf strengen gesetzlichen Vorschriften.
        Mit dem Gesetzentwurf werden die Voraussetzungen ge-
        schaffen, die Maßstabsfunktion des Pfandbriefs als be-
        sonders sicheres Investment für nationale und internatio-
        nale Investoren zu festigen.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts: Vorschlag für eine Verordnung des
        Europäischen Parlaments und des Rates zur
        Einführung eines Europäischen Mahnverfah-
        rens (Tagesordnungspunkt 19)
        Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Zur Schaffung eines
        Raumes der Freiheit und des Rechts in der Europäischen
        Union gehören viele Bausteine, einer davon ist das
        Europäische Mahnverfahren. Deshalb ist es gut, dass die
        EU-Kommission mit einem Verordnungsentwurf die
        Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tam-
        pere im Oktober 1999 weiter umsetzt.
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        Der vorgeschlagene Rechtsakt zur Einführung eines
        uropäischen Mahnverfahrens soll den Gläubigern ein
        chnelles und wirksames Instrument zur Titulierung un-
        treitiger Forderungen zur Verfügung stellen. Die An-
        endung des Verfahrens soll fakultativ ausgestaltet sein,
        odass die Gläubiger auch jede andere nationale Vorge-
        ensweise wählen können, die innerstaatlich zulässig ist.
        Das vorgesehene Europäische Mahnverfahren ähnelt
        n seiner Grundstruktur durchaus dem deutschen Mahn-
        erfahren: Zahlungsaufforderung und Zahlungsbefehl
        rgehen ohne inhaltliche Prüfung des Anspruchs, Der
        chuldner hat zweimal Gelegenheit, die Forderung zu
        estreiten.
        Zielsetzung und Grundstruktur des Europäischen
        ahnverfahrens werden aus den genannten Gründen in-
        oweit unterstützt. Der Anwendungsbereich der Verord-
        ung wird dagegen kontrovers diskutiert. Während die
        uropäische Kommission und vier Mitgliedstaaten
        Spanien, Portugal, Italien und Belgien – die Anwend-
        arkeit dieses Rechtsaktes auch auf innerstaatliche Fälle
        rstrecken wollen, favorisiert die Mehrheit der Mitglied-
        taaten eine Beschränkung auf grenzüberschreitende
        älle.
        Auch die SPD-Bundestagsfraktion ist dieser Auffas-
        ung. Ansonsten wäre zu befürchten, dass unser in
        eutschland bewährte Mahnverfahren nicht mehr wie
        isher eine automatisierte Erledigung von immerhin
        ,5 Millionen Fällen im Jahr leisten könnte. Eine Beein-
        rächtigung dieses bisher erzielten Beschleunigungsef-
        ekts würde jeden Gläubiger treffen; daneben kämen
        uch auf die Länder unabsehbare Mehrkosten zukom-
        en, weil die nach der Verordnung wohl erforderliche
        videnzkontrolle nur durch Richter oder Rechtspfleger
        u leisten wäre.
        Der Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/
        ie Grünen sowie CDU/CSU und FDP liegt inhaltlich
        m Ergebnis auf einer Linie mit der Auffassung der Bun-
        esregierung. Indem die EU-Kommission aber auch rein
        nnerstaatliche Sachverhalte regeln will, geht sie über
        as erforderliche Maß weit hinaus. Diese unsere Positio-
        en wird auch vom Juristischen Dienst des Rates geteilt.
        Das Europäische Parlament befasst sich in Kürze mit
        em Vorschlag; es bleibt abzuwarten, welche Haltung es
        u der Frage des Anwendungsbereiches einnehmen
        ird. Hier sollten wir in unseren europäischen Parteifa-
        ilien bilateral die Verbindungen im Meinungsbildungs-
        rozess und damit auch die Bindungen zwischen den
        arlamenten stärken, was zugleich eine gemeinsame eu-
        opäische Identität fördert.
        Denn die Schaffung eines Raums zur Freiheit und des
        echts in der Europäischen Union hat sowohl eine the-
        atisch-fachspezifische Dimension als auch eine demo-
        ratisch-strukturelle. Wenn wir in der EU zu gemein-
        chaftlichen Regelungen in der vorliegenden Materie
        ommen, bedeutet das Integration statt dann Koopera-
        ion, bedeutet das den Wechsel von der dritten in die
        rste Säule, bedeutet das nicht Einstimmigkeit, sondern
        ualifizierte Mehrheit im Rat.
        13606 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        Das hat strategische Konsequenzen für Politik, auch
        für deutsche Europapolitik. Wir müssen in sensiblen Fra-
        gen, die in einer unterschiedlich ausgeprägten Rechts-
        kultur begründet sind, Mehrheiten für unsere Positionen
        gewinnen, Blockadedrohungen wären falsch und liefen
        nicht nur ins Leere, sondern würden sich auch gegen uns
        wenden. Deshalb ist der heutige Beschluss auch ein Ver-
        handlungsrahmen mit Handlungsoptionen für die Bun-
        desregierung im Rat und zugleich die Selbstverpflich-
        tung des Bundestages, europäische Politik als deutsche
        Innenpolitik stärker ins Bewusstsein zu bringen und
        auch praktische Konsequenzen zu ziehen.
        Christoph Strässer (SPD): Wir begrüßen grund-
        sätzlich die vorgeschlagene Verordnung zur Einführung
        eines europäischen Mahnverfahrens, die sich eine rasche
        und effiziente Eintreibung voraussichtlich unbestrittener
        Forderungen zum Ziel setzt.
        Die rasche Eintreibung von Forderungen ist für die
        Wirtschaftsbeteiligten in der EU von besonderer Bedeu-
        tung und verdient unsere Förderung. Dabei bedarf es ei-
        nes flexiblen, verständlichen und transparenten Verfah-
        rens. Wir wollen es deshalb auch als Erfolg betrachten,
        dass der Vorschlag des Europäischen Parlaments und des
        Rates im Großen und Ganzen an die Regelungen des
        deutschen Mahnverfahrens angelehnt ist.
        Das deutsche Mahnverfahren hat sich besonders be-
        währt, genießt hohe Akzeptanz bei den Beteiligten und
        funktioniert beispielhaft. Wir haben gute Erfahrungen
        mit unserem Mahnverfahren gemacht, das Parteien ein
        zügiges und kostengünstiges Verfahren zur Titulierung
        einer Forderung an die Hand gibt. Das deutsche System
        bietet sich daher auch als gesamteuropäisches Modell
        an.
        Doch gerade weil es innerstaatlich so reibungslos
        funktioniert, sind wir uns in einem weiteren Punkt einig:
        Die europäischen Regelungen für das Mahnverfahren
        sollten nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem
        Bezug Anwendung finden. Soweit ein einheitliches eu-
        ropäisches Verfahren für Sachverhalte mit grenzüber-
        schreitendem Bezug angestrebt wird, können die Ziele
        auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden. Eine ein-
        heitliche Regelung wird befürwortet, weil sie im Beson-
        deren dem angestrebten Ziel der Vereinfachung und Be-
        schleunigung dienen würde.
        Für rein innerstaatliche Fälle besteht aber weder
        Handlungs- noch Regelungsbedarf. Die Regelung entfal-
        tet zumindest für Deutschland auch keinen Mehrwert.
        Ich gehe aber noch einen Schritt weiter und möchte
        – wie meine Kollegen – feststellen, dass, soweit die Re-
        gelungen über ein europäisches Mahnverfahren für reine
        Inlandsangelegenheiten gelten sollen, keine Zuständig-
        keit der Europäischen Gemeinschaft besteht. Es mangelt
        also schon an der Zuständigkeit für eine gemeinschaftli-
        che Regelung. Nach Art. 65 des EG-Vertrages müssen
        Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen betrof-
        fen sein. Eine nur theoretische grenzüberschreitende
        Wirkung reicht nicht aus, geschweige denn eine rein in-
        nerstaatliche Wirkung. Auch wenn die Unterscheidung
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        wischen grenzüberschreitenden und innerstaatlichen
        achverhalten im Einzelfall problematisch sein kann, er-
        ibt sich daraus noch nicht zwangsläufig die Kompetenz
        ür eine europäische Regelung.
        Auch der Bundesrat stellte deshalb in seiner Empfeh-
        ung fest, dass die im Verordnungsvorschlag ausdrück-
        ich vorgesehene Einbeziehung rein innerstaatlicher An-
        elegenheiten durch den gezogenen Rahmen des Art. 65
        GV nicht mehr gewahrt bleibe, auch wenn auf lange
        icht einige Gründe für eine Harmonisierung der Mahn-
        orschriften auch für Inlandssachen innerhalb der Euro-
        äischen Gemeinschaft sprechen sollten. Unter dem Ge-
        ichtspunkt der Gleichbehandlung ist nämlich allen
        eilnehmern am Rechts- und Geschäftsverkehr der glei-
        he und effektive Rechtsschutz zu gewährleisten. So be-
        teht zum jetzigen Zeitpunkt weder die Zuständigkeit der
        uropäischen Gemeinschaft für eine solche Regelung
        och würde sie mit dem Grundsatz der Subsidiarität in
        inklang stehen.
        Mit dieser Auffassung befinden wir uns in bester Ge-
        ellschaft. Die Mehrheit der Mitgliedstaaten lehnt ein
        uropäisches Mahnverfahren für rein nationale Sachver-
        alte ab und will die Anwendbarkeit der Verordnung auf
        renzüberschreitende Sachverhalte beschränken. Erst
        enn sich diese Regelung bewährt hat, lässt sich über
        eitere Schritte nachdenken.
        Wir sind uns daher einig, dass wir die Bundesregie-
        ung auffordern, in den weiteren Verhandlungen darauf
        inzuwirken, dass der Anwendungsbereich der vorge-
        chlagenen Verordnung vorerst tatsächlich auf grenz-
        berschreitende Fälle beschränkt und nicht auf inner-
        taatliche Angelegenheiten ausgedehnt wird. Wir
        erden sehr sorgfältig darauf achten, dass dies auch ge-
        chieht.
        Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Es ist erfreulich,
        ass die Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens
        m Grundsatz breite Unterstützung findet. Die Kommis-
        ion hat mit ihrem Vorschlag erstmals die Initiative dafür
        rgriffen, dass in einem gemeinschaftsrechtlichen Ver-
        ahren eine vollstreckbare Entscheidung erwirkt werden
        ann. Soweit es dabei um grenzüberschreitende Sach-
        erhalte geht, macht es durchaus Sinn, ein schnelles und
        irksames Verfahren zur Beitreibung unbestrittener For-
        erungen in Zivil- und Handelssachen bereit zu stellen.
        Begrüßenswert ist insbesondere, dass sich die vorge-
        chlagenen Regelungen für das EU-weit einheitliche
        erfahren eng am deutschen Mahnverfahren orientieren
        nd nur fakultativ Anwendung finden sollen. Damit
        leibt es dem Gläubiger selbst überlassen, ob er zur
        urchsetzung seiner Ansprüche das Europäische oder
        as deutsche Mahnverfahren wählt. Letztlich wird ohne-
        in er am besten beurteilen können, welches Verfahren
        m konkreten Fall für ihn das praktikabelste ist.
        Das Ansinnen der Kommission allerdings, den An-
        endungsbereich des Europäischen Mahnverfahrens auf
        ein innerstaatliche Angelegenheiten auszudehnen, stößt
        uf unseren entschiedenen Widerstand. Es muss daher
        ie unabdingbare Voraussetzung für eine Zustimmung
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13607
        (A) )
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        Deutschlands im Ministerrat sein, dass der Verordnungs-
        vorschlag auf Fälle mit grenzüberschreitenden Bezügen
        beschränkt wird. Die entsprechende Verhandlungsposi-
        tion der Bundesregierung unterstützen wir mit Nach-
        druck.
        Ich danke den Kolleginnen und Kollegen von SPD,
        Bündnis 90/Die Grünen und FDP, dass wir zu dieser
        Frage eine gemeinsame Stellungnahme an die Bundesre-
        gierung beschließen können. Wir machen damit vor der
        deutschen und europäischen Öffentlichkeit deutlich, dass
        der Deutsche Bundestag in fraktionsübergreifender Ein-
        mütigkeit nicht bereit ist, Kompetenzüberschreitungen
        der EU und damit eine Beschneidung unseres eigenen
        Entscheidungsspielraums hinzunehmen.
        Das Vorgehen der Kommission fordert ja Wider-
        spruch geradezu heraus. Obwohl die in Bezug genom-
        mene Rechtsgrundlage – Art. 65 des EG-Vertrags – im
        Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen
        lediglich Maßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezü-
        gen zulässt, hindert dies die Kommission nicht im Ge-
        ringsten daran, dennoch rein innerstaatliche Sachver-
        halte mit zu regeln. In der Begründung zu ihrem
        Verordnungsvorschlag meint sie sogar feststellen zu
        müssen, dass die Unterscheidung zwischen grenzüber-
        schreitenden und innerstaatlichen Szenarien „unweiger-
        lich bis zu einem gewissen Grad willkürlich“ wäre.
        Kann man die Missachtung des ausdrücklichen Vertrags-
        wortlauts deutlicher zum Ausdruck bringen?
        Die Kommission beeindruckt einmal mehr auch
        durch die Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgt.
        Immerhin hatten sich sowohl eine Mehrheit der Mit-
        gliedstaaten als auch das Europäische Parlament dafür
        ausgesprochen, den Anwendungsbereich des Europäi-
        schen Mahnverfahrens auf grenzüberschreitende Sach-
        verhalte zu beschränken, noch bevor die Kommission ih-
        ren Verordnungsvorschlag vorgelegt hat. Dass die
        Kommission gleichwohl an ihrem Vorhaben festhielt,
        belegt: Was immer man von Brüsseler Beamten halten
        mag – an Mut gebricht es ihnen wahrlich nicht.
        Nun liegt es an der Bundesregierung und an unseren
        Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament,
        eine Ausdehnung des Europäischen Mahnverfahrens auf
        rein innerstaatliche Angelegenheiten zu verhindern. Bei-
        den geben wir mit unserer interfraktionellen Entschlie-
        ßung Rückenwind für ihre Beratungen. Wenn Minister-
        rat und Europäisches Parlament an ihren bisherigen
        Positionen festhalten, sollte die Beschränkung des An-
        wendungsbereichs der Verordnung auch zu erreichen
        sein.
        Dennoch verbleiben uns einige Aufgaben, die über
        die Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens weit
        hinausreichen. Der Verordnungsvorschlag zeigt exem-
        plarisch, dass wir die Vorgehensweise der Kommission
        sehr sorgfältig im Auge behalten müssen. Wir tun daher
        gut daran, dieses Beispiel zum Anlass zu nehmen, unsere
        eigene Funktion in der Beratung von Angelegenheiten
        der Europäischen Union neu zu überdenken und unsere
        Handlungsmöglichkeiten künftig noch wirksamer wahr-
        zunehmen.
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        Je mehr Gesetzgebung von Berlin nach Brüssel verla-
        ert wird, desto intensiver müssen wir auch als Bundes-
        agsabgeordnete das dortige Geschehen konstruktiv be-
        leiten. Das betrifft unsere Zusammenarbeit mit dem
        uropäischen Parlament und unsere Kontrollfunktion
        egenüber dem Verhalten der Bundesregierung im Mi-
        isterrat ebenso wie die öffentliche Debatte über Vorha-
        en der EU im Deutschen Bundestag.
        Dabei ist es unsere ureigenste Aufgabe, unsere eige-
        en Möglichkeiten der Mitwirkung zu sichern und zu
        utzen. Eine Vorbedingung hierfür ist, dass wir Kompe-
        enzüberschreitungen, Verstöße gegen das Prinzip der
        ubsidiarität und gegen den Grundsatz der Verhältnis-
        äßigkeit systematisch prüfen und konsequent rügen.
        er Vorschlag der Kommission zur Einführung eines
        uropäischen Mahnverfahrens ist dafür ein geeigneter
        nwendungsfall. Mit unserer gemeinsamen Entschlie-
        ung bringen wir das klar und unmissverständlich zum
        usdruck.
        Die Wahrnehmung dieser Kontrollfunktion wird uns
        udem auch der Vertrag über eine Verfassung für Europa
        berantworten. Mit der Einführung eines Frühwarnme-
        hanismus und der Möglichkeit, im Wege einer Klage
        or dem Europäischen Gerichtshof die Beachtung des
        ubsidiaritätsprinzips einzufordern, werden wir unsere
        igenen Kompetenzen als nationales Parlament hoffent-
        ich noch wirkungsvoller bewahren können.
        Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie wir der nach-
        erade zelebrierten Ignoranz, mit der sich die Kommis-
        ion über ihre beschränkten Befugnisse hinwegsetzt,
        esser begegnen können. Offenkundig reicht eine noch
        o sorgfältige Formulierung der Kompetenzgrundlagen
        icht aus. Wir sollten uns daher verstärkt darum bemü-
        en, die von der Kommission gern genutzten Hintertüren
        u schließen und insbesondere die so genannte Flexibili-
        ätsklausel, die immer wieder für ausufernde Rechtset-
        ungsvorhaben in Anspruch genommen wird, abzu-
        chaffen. Schließlich genügt es nicht, wie ich meine, die
        bgrenzung von Kompetenzen alleine auf dem Papier
        orzunehmen. Sie muss auch in der Praxis durchgesetzt
        erden, und zwar nicht nur im Nachhinein durch den
        uGH, sondern bereits im Vorfeld durch eine entspre-
        hend restriktive Zuweisung von Haushaltsmitteln.
        Auf diesem Weg ist es ein Fortschritt, wenn wir uns in
        iesem Haus fraktionsübergreifend darin einig sind,
        icht nur die Tätigkeit der Kommission einer kritischen
        rüfung und einer öffentlichen Debatte zu unterziehen,
        ondern auch unsere eigenen Vorstellungen in einen
        örmlichen Beschluss zu fassen. In diesem Sinne hoffe
        ch, dass wir auch künftig eine enge Abstimmung pfle-
        en, wenn wir durch EU-Vorhaben in unseren eigenen
        echten als nationales Parlament betroffen sind.
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        uropäische Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
        echts wächst beständig. Im Bereich des europäischen
        trafrechts hat der Deutschen Bundestag bereits mehr-
        ach parlamentarische Diskussionen geführt und sich in-
        altlich positioniert. Ich erinnere hier zum Beispiel an
        13608 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
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        die Entschließung zur europäischen Beweisanordnung
        im Strafverfahren. Heute nun gilt es, auch beim europäi-
        schen Zivilrecht die Diskussion zu intensivieren. Denn
        es ist das Zivilrecht, mit dem die Bürger alltäglich in Be-
        rührung kommen – zunehmend auch mit grenzüber-
        schreitenden Bezügen. Menschen und Unternehmen
        verschiedener europäischer Länder bieten grenzüber-
        schreitend ihre Waren und Dienstleistungen an. Men-
        schen gehen in andere EU-Länder, um dort zu arbeiten
        und zu leben. Diese Entwicklung ist es, die die Men-
        schen Europas einander näher bringt und die Vision „Eu-
        ropa“ mit Leben füllt.
        Wo Menschen über Grenzen hinweg privatrechtlich
        miteinander zu tun haben, muss es auch Regelungen ge-
        ben, die, wenn es zur gerichtlichen Klärung von Ansprü-
        chen kommt, den grenzüberschreitenden Besonderheiten
        Rechnung tragen. Denn dies unterstützt die Menschen
        darin, von den Möglichkeiten, die Europa ihnen eröffnet,
        auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Deshalb ist es gut
        und richtig, dass die Kommission einen Vorschlag für
        eine Verordnung zur Regelung des Europäischen Mahn-
        verfahrens vorgelegt hat.
        Der Richtlinienentwurf ist inhaltlich stark an dem im
        deutschen Recht seit Jahren bewährten Mahnverfahren
        ausgerichtet, wird also qualitativ keine Verschlechterung
        bedeuten: Der Schuldner wird auf jeder Stufe des zwei-
        stufigen Verfahrens die Möglichkeit haben, die Forde-
        rung zu bestreiten und dem Erlass eines vollstreckbaren
        Titels entgegenzuwirken. Damit ist das europäische Ver-
        fahren dem deutschen zur Erwirkung eines Mahn- bzw.
        Vollstreckungsbescheides angelehnt. Die gerichtliche
        Entscheidung erfolgt auch hier ohne Prüfung der Schlüs-
        sigkeit des Anspruches und ohne Vorlage von Beweis-
        mittel, ermöglicht also ein schnelles und effizientes Ver-
        fahren.
        Dies ist – wie gesagt – seit langem bewährter Stan-
        dard in Deutschland. Ich möchte an dieser Stelle zusätz-
        lich darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten des Gläu-
        bigers mit dem Europäischen Mahnverfahren nicht
        beschränkt, sondern – im Gegenteil – erweitert werden.
        Der Gläubiger wird dann wählen können, ob er seine
        Forderung mittels Europäischen Mahnverfahren oder
        lieber nach nationalen Regelungen titulieren möchte.
        Gleichwohl ist sowohl im Bundesrat als auch im Un-
        terausschuss Europarecht des Rechtsausschusses Kritik
        am geplanten Anwendungsbereich der Richtlinie erho-
        ben worden. Nach den Vorstellungen der Kommission
        soll die Richtlinie nicht nur auf Angelegenheiten mit
        grenzüberschreitendem Bezug Anwendung finden, son-
        dern darüber hinaus auch die Rechtsgrundlage für rein
        innerstaatliche Verfahren bilden können. Für einen so
        weiten Anwendungsbereich fehlt es dem europäischen
        Gesetzgeber jedoch an einer Regelungskompetenz. Er-
        mächtigungsgrundlage zum Erlass der Richtlinie bildet
        Art 61 c), Art. 65 EGV. Danach dürfen Maßnahmen im
        Bereich der justiziellen Zusammenarbeit nur in Zivilsa-
        chen mit grenzüberschreitenden Bezügen getroffen wer-
        den, sofern dies für das reibungslose Funktionieren des
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        innenmarktes erforderlich ist. Daran fehlt es bei rein
        nnerstaatlichen Sachverhalten.
        In der Begründung der Kommission wird darauf ver-
        iesen, dass die Abgrenzung zwischen rein innerstaatli-
        hen und grenzüberschreitenden Bezügen im Einzelfall
        chwierig sein könne und deshalb eine solche Beschrän-
        ung der Richtlinie nicht sinnvoll wäre. Ich möchte über
        iese Bedenken nicht leichtfertig hinweggehen. Es kann
        atsächlich schwierig sein, zum Beispiel beim Autoun-
        all zwischen zwei Deutschen in Frankreich zu entschei-
        en, ob es sich hier um eine rein innerstaatliche oder
        renzüberschreitende Angelegenheit handelt. Dies darf
        ber nicht dazu führen, auf diese Zuständigkeitsvoraus-
        etzung einfach zu verzichten. Denn es gibt auch unstrei-
        ig innerstaatliche Sachverhalte, die von der Erlasskom-
        etenz nach Art. 65 EGV gerade ausgeschlossen werden
        ollten. Ziel muss es vielmehr sein, taugliche Parameter
        u entwickeln, um den Begriff des „grenzüberschreiten-
        en Bezuges“ inhaltlich zu füllen und damit die Rechts-
        nwendung des Art. 65 EGV zu sichern.
        Zudem spricht auch eine rechtspraktische Überlegung
        egen die Ausweitung der Richtlinie auf innerstaatliche
        achverhalte. In diesem Fall gäbe es in Deutschland
        lötzlich zwei parallele Mahnverfahrensmöglichkeiten,
        it zwar inhaltlich ähnlichen, jedoch nicht deckungs-
        leichen Voraussetzungen. Dies stiftete bei allen Betei-
        igten mehr Verwirrung als Erleichterung und wäre daher
        uch in der Sache nicht förderlich.
        Abschließend möchte ich noch eines betonen: Die
        ntschließung des Deutschen Bundestages, die von allen
        raktionen mitgetragen wird, dient nicht dem Ziel, den
        uropäischen Einigungsprozess zu behindern, sondern
        ringt allein auf klare Strukturierung und Wahrung der
        uständigkeit beim Erlass europäischer Rechtakte. Dies
        ird den europäischen Einigungsprozess fördern und
        tärken und damit einen wichtigen Beitrag leisten, Ver-
        tändnis und Vertrauen in europäische Regelungen auf-
        ubauen und sie positiv im Bewusstsein der Beteiligten
        u verankern.
        Sibylle Laurischk (FDP): Das europäische Mahn-
        erfahren ist ein weiterer Schritt zur Umsetzung der
        chlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tam-
        ere. Nachdem es zwischenzeitlich einen europäischen
        ollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen gibt,
        oll die Rechtsharmonisierung auch für ein Erkenntnis-
        erfahren eingeführt werden. Der Europäische Mahn-
        escheid ist ein erster Schritt auf dieser Ebene und wird
        oraussichtlich gerade im grenznahen Bereich den
        renzüberschreitenden Rechtsverkehr erleichtern.
        Das Mahnverfahren hat sich in Deutschland bewährt
        ls ein Instrument zur Titulierung von Forderungen, das
        n einer Vielzahl von Fällen die Gerichte entlastet und
        wischen den betroffenen Parteien Rechtsklarheit
        chafft. Die nicht erforderliche inhaltliche Prüfung ist
        ennzeichnend für dieses Verfahren, sehr im Unter-
        chied zu Mahnverfahren in anderen Europäischen Län-
        ern. Deshalb ist es auch ein besonderes Anliegen der
        DP, dieses griffige Instrument zur Schaffung von
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004 13609
        (A) (C)
        (B) (D)
        Rechtsklarheit inhaltlich durch die Einführung des euro-
        päischen Mahnverfahrens nicht zu verändern. Dies ist
        eine Voraussetzung zu unserer Zustimmung zum euro-
        päischen Mahnverfahren. Wir sind sicher, dass gerade
        durch diese rein formale Vorgehensweise im Mahnver-
        fahren ohne inhaltliche Prüfung das europäische Mahn-
        verfahren gut angenommen werden wird.
        Als Abgeordnete aus einem an Frankreich angrenzen-
        den Wahlkreis ist mir aus meiner Praxis als Anwältin
        deutlich, in wie vielen Fällen ein unkomplizierter Weg
        wie das europäische Mahnverfahren sinnvoll wäre, um
        die wechselweisen Kontakte zwischen Frankreich und
        Deutschland auch auf rechtlicher Ebene unbürokratisch
        gestalten zu können. So wird dies in der Anwendung des
        europäischen Mahnverfahrens im grenzüberschreitenden
        Rahmen in Europa insgesamt gerade für die mittelständi-
        sche Wirtschaft ein Fortschritt sein.
        Der Entwurf der Kommission, das europäische Mahn-
        verfahren auch für rein innerstaatliche Fälle anzuwenden,
        stößt jedoch auf unsere strikte Ablehnung. Hier hat sich
        das Mahnverfahren nach deutschem Recht bewährt, eine
        zusätzliche Installierung eines zweiten Mahnverfahrens
        wäre eine unnötige bürokratische Aufblähung dieses In-
        struments und würde zu Rechtsunsicherheit und man-
        gelnder Klarheit, welches Verfahren zur Anwendung
        kommen soll, führen. Wir halten eine Einführung des eu-
        ropäischen Mahnverfahren ausschließlich für Angelegen-
        heiten mit grenzüberschreitenden Bezügen für vertretbar.
        145. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9