Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Zunächst eine ganze Reihe von Mitteilungen: DerKollege Jochen Welt hat am 22. Oktober 2004 auf seineMitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. AlsNachfolgerin hat die Abgeordnete Hildegard Wester am25. Oktober 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bun-destag erworben. Ich begrüße die Kollegin, die uns bereitsaus früheren Wahlperioden bekannt ist, sehr herzlich.
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat mit-geteilt, dass die Kollegin Antje Hermenau als ordentli-ches Mitglied aus dem Verwaltungsrat bei der Bundesan-stalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ausscheidet. AlsNachfolgerin wird die Kollegin Kerstin Andreae, diebisher stellvertretendes Mitglied war, vorgeschlagen.Neues stellvertretendes Mitglied soll die Kollegin AnjaHajduk werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann sind die KolleginAndreae als ordentliches Mitglied und die KolleginHajduk als stellvertretendes Mitglied für den Verwal-tungsrat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Redetaufsicht benannt.Sodann teile ich mit, dass die Fraktion der SPD alsNachfolger für den ehemaligen Kollegen Ernst Küchlerden Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger als Schriftführerbenannt hat. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höreauch hier keinen Widerspruch. Dann ist der KollegeDr. Hans-Ulrich Krüger als Schriftführer gewählt.Interfraktionell wurde vereinbart, die verbundene Ta-gesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführ-ten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUHaltung der Bundesregierung zur Einhaltung des europäi-schen Stabilitätspakts und des Grundgesetzeneuer Finanzlöcher im Bundeshaushalt undtenkasse sowie berichtete Begehrlichkeiten vEichel auf die höheren Einnahmen der Krank
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzpro-tokoll vom 4. Juni 2004 zum Abkommen vom 16. Juni1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland unddem Königreich der Niederlande zur Vermeidung derDoppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vomEinkommen und vom Vermögen sowie verschiedenersonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragenauf steuerlichem Gebiete– Drucksache 15/4026 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Küster,Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten GrietjeBettin, Jerzy Montag, Volker Beck , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Wettbewerb und Innovationsdynamik imSoftwarebereich sichern – Patentierung von Compu-terprogrammen effektiv begrenzen– Drucksache 15/4034 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionextAusschuss für Kultur und MedienZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: EU-Waffenembargo ge-genüber der Volksrepublik China– Drucksache 15/4035 –ZP 4 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksache 15/3923 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undhaft für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen für Bildung, Forschung undgenabschätzung für Tourismuss angesichts in der Ren-on Ministerenkassen in-ng)LandwirtscAusschussAusschussTechnikfolAusschuss
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Präsident Wolfgang ThierseZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Stünker,Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten JerzyMontag, Volker Beck , Irmingard Schewe-Gerigk, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Anwendung internationaler Rechnungsle-gungsstandards in Deutschland sachgerecht und transpa-rent fortentwickeln– Drucksache 15/4036 –
Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitFerner soll auch noch der Antrag der FDP-Fraktion aufDrucksache 15/4064 aufgesetzt und mit der Türkei-debatte aufgerufen werden. Von der Frist für den Beginnder Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen wer-den.Des Weiteren sind folgende Änderungen vorgesehen:Tagesordnungspunkt 7 soll mit Tagesordnungspunkt 11,Tagesordnungspunkt 24 mit 26 sowie Tagesordnungs-punkt 16 mit 17 getauscht werden. Nach Tagesordnungs-punkt 15 soll der bisher ohne Debatte vorgesehenePunkt 28 f – Anhörungsrügengesetz – mit 30 Minutenberaten werden. Bei Tagesordnungspunkt 10 wird stattdes vorgesehenen Berichts gemäß § 62 Abs. 2 der Ge-schäftsordnung die nunmehr vorliegende Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit bera-ten.Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisun-gen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 132. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlichdem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung über-wiesen werden.Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommenvom 18. November 2002 zur Gründung einerAssoziation zwischen der Europäischen Ge-meinschaft und ihren Mitgliedstaaten einer-seits und der Republik Chile andererseits– Drucksache 15/3881 –überwiesen:Auswärtiger Ausschuss
Der in der 133. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich demAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfezur Mitberatung überwiesen werden.Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker,Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta Däubler-Gmelin undder Fraktion der SPD sowie der AbgeordnetenUlrike Höfken, Thilo Hoppe, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ernäh-rung als Menschenrecht– Drucksache 15/3956 –überwiesen:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungI
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszum qualitätsorientierten und bedarfsgerech-ten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Wei-terentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe
– Drucksachen 15/3676, 15/3986 –
Erste Beschlussempfehlung und erster Berichtdes Ausschusses für Familie, Senioren, Frauenund Jugend
– Drucksache 15/4045 –Berichterstattung:Abgeordnete Caren MarksMarlene Rupprecht
Maria EichhornEkin DeligözJutta Dümpe-KrügerIna Lenkeb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. MariaBöhmer, Gerda Hasselfeldt, Maria Eichhorn,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUElternhaus, Bildung und Betreuung ver-zahnen– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der FDPSolides Finanzierungskonzept für den Aus-bau von Kinderbetreuungsangeboten fürunter Dreijährige– Drucksachen 15/3488, 15/3512, 15/4045 –Berichterstattung:Abgeordnete Caren MarksMarlene Rupprecht
Maria EichhornEkin DeligözIna Lenkec) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten CarenMarks, Christel Humme, Sabine Bätzing,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derSPD sowie der Abgeordneten Ekin Deligöz,Irmingard Schewe-Gerigk, Jutta Dümpe-
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Präsident Wolfgang ThierseKrüger, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENAusbau von Förderungsangeboten für Kin-der in vielfältigen Formen als zentralerBeitrag öffentlicher Mitverantwortung fürdie Bildung, Erziehung und Betreuung vonKindern– zu dem Antrag der Abgeordneten IngridFischbach, Maria Eichhorn, Dr. MariaBöhmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUAusbau und Förderung der Tagespflege alsForm der Kinderbetreuung in der Bundes-republik Deutschland– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPTagespflege als Baustein zum bedarfsge-rechten Kinderbetreuungsangebot – Bes-sere Rahmenbedingungen für Tagesmütterund -väter, Eltern und Kinder– zu dem Antrag der Abgeordneten KlausHaupt, Ina Lenke, Cornelia Pieper, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDPFaire Chancen für jedes Kind – Für einebessere Bildung, Erziehung und Betreu-ung von Anfang an– Drucksachen 15/2580, 15/2651, 15/1590,15/2697, 15/3036 –Berichterstattung:Abgeordnete Caren MarksIngrid FischbachEkin DeligözIna Lenked) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend zu dem An-trag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. MariaBöhmer, Antje Blumenthal, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der CDU/CSUFrauen und Männer beim Wiedereinstieg inden Beruf fördern– Drucksachen 15/1983, 15/3035 –Berichterstattung:Abgeordnete Christel HummeMaria EichhornIrmingard Schewe-GerigkIna LenkeZu dem Entwurf eines Tagesbetreuungsausbaugeset-zes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU vor. – Wieso heißt das eigentlich nicht Gesetzzum Ausbau der Tagesbetreuung? Es wäre schöner,wenn wir es so nennen würden; das könnte jeder sofortverstehen.dhmSHAhgDsaFuWnzhAihD24bW1dszgbzu
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundes-inisterin Renate Schmidt das Wort.
Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie,enioren, Frauen und Jugend:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenerren! Meine sehr geehrten Damen! Wir wollen denusbau der Tagesbetreuung nicht weiter verzögern. Des-alb haben wir den Teil der Reform des SGB VIII vor-ezogen, der den Ausbau der Betreuung für die unterreijährigen sicherstellt, der die Tagesmütter besser ab-ichert, ausbildet und damit aufwertet, der Kleinstkinderuch unterhalb des dritten Lebensjahres ergänzend zuramilie besser fördert und die Vereinbarkeit von Familiend Beruf erleichtert.
ir haben diesen Teil vorgezogen, damit die Kommu-en Planungssicherheit haben und dieses Gesetz gleich-eitig mit Hartz IV in Kraft treten kann.Im Bundesrat standen und stehen die Signale auf Ver-inderung. Wir wollen den Bundesrat nicht umgehen.ber wir können auch nicht zulassen, dass die Familienn Westdeutschland in puncto Kinderbetreuung weiter-in in einem Entwicklungsland leben.
as sind wir nämlich mit einer Versorgungsquote von,7 Prozent bei Plätzen in Einrichtungen und von rund,5 Prozent in Tagespflege.Der Versorgungsgrad hat sich im Zeitraum von 1994is 2002, also in acht Jahren, um 1,5 Prozent verbessert.enn wir keinen gesetzlichen Druck machen, würde es20 Jahre dauern, um den französischen, 160 Jahre, umen ostdeutschen, und 304 Jahre, um den dänischen Ver-orgungsgrad in den alten Ländern zu erreichen.
Einer der Sachverständigen fand, dass das im TAGum Ausdruck gebrachte Misstrauen, dass ein bedarfs-erechter Ausbau von selbst vonstatten gehe, mehr alserechtigt sei. In Westdeutschland wurden drei Jahr-ehnte lang Prioritäten zugunsten von Mehrzweckhallennd nicht zugunsten von Infrastrukturen für Kinder ge-
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Bundesministerin Renate Schmidtsetzt. Dies rächt sich heute in den auch für Kommunenfinanziell angespannten Zeiten. Dennoch kann und darfdas Thema nicht wieder vertagt werden. In der Experten-anhörung wurde ein eventuelles Scheitern als fatal be-zeichnet.Deshalb bitte ich herzlich darum, den Ausbau der Ta-gesbetreuung nicht zu einer reinen Finanzfrage verkom-men zu lassen.
Es geht nämlich um weitaus mehr: Es ist eine wichtigegesellschaftspolitische, eine zentrale familienpolitische,eine wichtige gleichstellungs- und bildungspolitischeund nicht zuletzt eine ökonomische Frage. Denn nied-rige Geburtenraten bedeuten schon heute ein geringe-res Wirtschaftswachstum. Das jüngste Gutachten desDeutschen Instituts für Wirtschaftsforschung macht denwirtschaftlichen Nutzen des TAG für Kommunen unddie öffentliche Hand deutlich.Es ist ein wichtiges bildungspolitisches Thema; denneine unterbliebene frühe Förderung von Kindern, ergän-zend zur Familie, bedeutet, dass bei uns weiterhin dieHerkunft eines Kindes mehr als irgendwo sonst in Eu-ropa über seine künftigen Bildungschancen entscheidet.Ich will natürlich auch etwas zu den Finanzen sagen.Bitte strapazieren Sie ein klein wenig Ihre Erinnerung,wenn es um diesen Bereich geht. Beim Rechtsanspruchauf einen Kindergartenplatz hat die damalige Regierungauf die Anfrage der damaligen Opposition, wie sie dieKosten, die daraus entstehen, ausgleichen wolle, geant-wortet – ich zitiere –:Die Mehrbelastung der Kommunen muss nach derKostenaussage im Gesetzentwurf in die Neurege-lung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Län-dern einfließen.Ich betone: muss.
Bis heute behaupten die Kommunen, damals nicht einenPfennig davon und auch weitestgehend nicht von demvorher beschlossenen höheren Mehrwertsteueranteil ge-sehen zu haben.Sie behaupten nun, das sei heute genauso wie zu IhrerRegierungszeit. Ich sage: Das stimmt nicht. Es stimmtdann nicht, wenn die Länder ihre Zusage einhalten, ihreEinsparungen durch Hartz IV, insbesondere beim Wohn-geld, an die Kommunen weiterzugeben. Von dieser Zu-sage wollen sie jetzt nichts mehr wissen.
Man kann doch nicht dem Bund anlasten, dass Abspra-chen auf der Länderseite nicht eingehalten werden.
Die Kosten sind im Übrigen seriös berechnet. Siewerden nach einem Gutachten der TU Dresden, bezogenanIußKfGu3vhgaSdbwEJddfdDmfetmHzwgjlbdIdbOtfbD
o viel zur Seriosität Ihrer Berechnungen.Die gesetzlichen Änderungen zur Weiterentwicklunger Jugendhilfe, die wir nicht auf die lange Bank schie-en wollen,
erden den Kommunen noch einmal rund 220 Millionenuro bringen. Insgesamt werden sie ab dem nächstenahr durch bundesgesetzliche Maßnahmen um 7 Milliar-en Euro entlastet – und dies mit steigender Tendenz inen Folgejahren. Hätten Sie bei unserer Gemeinde-inanzreform mitgemacht, dann wäre diese Entlastungeutlich höher.
eshalb ist die Forderung nach einer umfassenden Ge-eindefinanzreform in Ihrem Antrag schlicht und ein-ach scheinheilig.Den Entlastungen von 7 Milliarden Euro stehen imrsten Jahr 620 Millionen Euro für den Ausbau der Be-reuung der unter dreijährigen Kinder gegenüber. Dasüsste doch wirklich zu schaffen sein – auch vor demintergrund, dass wir zwar bis zum Jahr 2010 230 000usätzliche Plätze für die unter Dreijährigen erreichenollen, gleichzeitig aber bis 2010 aufgrund der niedri-en Geburtenrate 320 000 Plätze für die Drei- bis Sechs-ährigen entfallen. Es ist doch absolut unseriös, die Ent-astung durch die entfallenden Plätze nicht zuerücksichtigen und sich dann darüber zu beklagen, dassas TAG unfinanzierbar sei.
ch bin überzeugt: Wir werden es schaffen, dass West-eutschland nicht Entwicklungsland in Sachen Kinder-etreuung bleibt, und den guten Versorgungsstand instdeutschland erhalten.An erster Stelle ist das TAG aber für die Kinder wich-ig. Die dort verankerten Mindestbedarfe werden dazuühren, dass Kinder, deren Wohl es erfordert, eineessere Förderung erhalten werden. Wir geben ineutschland nicht nur zu wenig für Bildung aus, sondern
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Bundesministerin Renate Schmidtwir geben das Wenige auch noch falsch aus, nämlich vorallen Dingen für die Oberstufen der Gymnasien und amwenigsten für den vorschulischen Bereich.
Aber in diesem Alter sind die Kinder am bildungsfähigs-ten. Das ist kein Plädoyer – da sind wir uns fraktions-übergreifend einig – für eine Verschulung des Alltagsvon Kleinstkindern.
Wir wollen, wie es im TAG verankert ist, die Trias Be-treuung, Bildung und Erziehung zum Nutzen der Kin-der und der Familien praktizieren und mit Leben erfül-len.Ich möchte heute einmal mehr den Vorwurf zurück-weisen, wir sähen das Allheilmittel der Familienpolitikin der Kleinstkinderbetreuung. Diese schlichten Strick-muster haben wir doch eigentlich nicht mehr nötig.
Wir sollten in Deutschland endlich mit der Diskussionüber die einerseits angeblich verantwortungslose er-werbstätige Rabenmutter und andererseits die angeblichetwas depperte Nur-Hausfrau Schluss machen. Diesdient den Betroffenen nicht, sondern nur denjenigen, diemit Familie nichts im Sinn haben.
Für uns gilt: Die Politik hat den Menschen nicht vor-zuschreiben, wie sie leben sollen, sondern hat ihnen zuermöglichen, dass sie so leben können, wie sie es wol-len. Deshalb nehmen wir die Wünsche junger Menschenernst, die in ihrer erdrückenden Mehrheit eines wollen:Sie möchten Erfolg im Beruf haben und sie möchtenKinder haben. Das gilt für Männer und Frauen gleicher-maßen.Deshalb ist das TAG ein wichtiger – aber nicht dereinzige – Baustein, um diesen Wunsch zu erfüllen. Er istnicht der einzige, weil kein Elternpaar der Welt seinKind nach der Geburt in einer Krippe oder bei einer Ta-gesmutter abgeben will, um es dann mit 18 Jahren mitden vorher vereinbarten Qualitätsmerkmalen aus einerGanztagsschule abzuholen.
Eltern wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen undKinder brauchen Zeit mit ihren Eltern.
Deshalb gibt es die von mir gegründete Allianz fürdie Familie mit der Zielsetzung einer besseren Balancevon Beruf und Familie. Deshalb gibt es meine Initiative„Lokale Bündnisse für Familien“. Das 100. Bündniswird im November gegründet werden. Diese 100 re-pwAfeeazzndrtgsawals4UfuuksgSatueUlZhliMntebdsb
Dass Kinderbetreuung hilft, Kinderwünsche zu erfül-en, belegen diverse Umfragen, unter anderem die reprä-entative Onlineumfrage „Perspektive Deutschland“ mit50 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen. All diesemfragen kommen mit Zweidrittelmehrheiten der Be-ragten zu dem Ergebnis, dass Deutschland mehr Betreu-ngsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen brauchend dies die Entscheidung für Kinder erleichtern würde.Ihre Aussage, Sie stimmten unserem Anliegen zu,önnten aber – ohne eine Alternative aufzuzeigen – un-erem Gesetzentwurf nicht zustimmen, stellt Sie zu allenesellschaftlich relevanten Gruppen in einen Gegensatz.ie ist nicht nur fantasielos, sondern sie widersprichtuch den Interessen von Kindern und Familien.Wir werden Schritt für Schritt – das TAG ist ein wich-iger und großer Schritt – erreichen, dass sich auch beins junge Menschen ihre vorhandenen Kinderwünscherfüllen.Zum Schluss meiner Rede mache ich eines deutlich:nabhängig von all dem, was wir uns in der Familienpo-itik vornehmen, bedarf es im Hinblick auf Kinder deruversicht und des Optimismus. Wenn im Zusammen-ang mit Kindern auch in der Politik nahezu ausschließ-ch von materieller Last, von Armutsrisiko sowie vonühsal und Plage geredet wird, dann dürfen wir unsicht wundern, wenn vernünftige Menschen diese Las-n und Risiken nicht auf sich laden wollen.
Daher appelliere ich an uns alle, die wir Kinder ha-en, ein bisschen häufiger von Kindern als denen zu re-en, die sie für mich und für uns alle an erster Stelleind: eine Freude, für die es sich lohnt, zu leben, zu ar-eiten und Politik zu machen.
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Ich erteile Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ihr Umgang mit der Opposition ist unerträglich,meine Damen und Herren von Rot-Grün. In einer Nacht-und Nebelaktion haben Sie das ursprüngliche Gesetz inzwei Teile aufgeteilt, um das Verfassungsorgan Bundes-rat auszuhebeln.
Sie, Frau Ministerin, haben bereits am Dienstagnach-mittag Interviews gegeben. Der Opposition, die am Mitt-woch im Ausschuss darüber beraten sollte, ist die verän-derte Sachlage jedoch erst nach 20 Uhr über einenÄnderungsantrag per E-Mail mitgeteilt worden. So kannman mit uns nicht umgehen; unter Demokraten ist so et-was nicht üblich.
Frau Ministerin, dies ist keine Basis für eine gute Zu-sammenarbeit.Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits imJahre 1996 hat die unionsgeführte Bundesregierung denRechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durch-gesetzt. Für uns war und ist wichtig, allen Kindern abdrei Jahren einen Platz in einer Kinderbetreuungsein-richtung zu sichern. Bereits damals hatten wir zusätzlichformuliert, dass ein bedarfsbezogenes Angebot an Plät-zen für Kinder unter drei Jahren und für Kinder imschulpflichtigen Alter in Tageseinrichtungen vorzuhal-ten sei.Im Familienkonzept von CDU und CSU, das wir2001 verabschiedet haben, heißt es:Um Familie und Erwerbsleben besser miteinanderzu harmonisieren, wollen wir ein bedarfsgerechtes,flexibles, qualitativ hochwertiges und bezahlbaresAngebot an Kinderbetreuungseinrichtungen für alleAltersstufen …Dieses Angebot soll nach unserer Auffassung bis hin zuGanztagsangeboten gehen. Dabei ist uns der Bildungs-und Erziehungsaspekt ganz besonders wichtig. GroßenWert legt unser Konzept auf die Ausweitung von Betreu-ungsangeboten durch Tagesmütter sowie auf deren Qua-lifikation und soziale Absicherung.PISA hat bestätigt, wie wichtig die frühkindlicheFörderung ist. Daher ist neben dem quantitativen Aus-bau der Tagesbetreuung ein Ausbau qualifizierter Ange-bote dringend erforderlich. Dies hat nicht nur die Anhö-rung Ende September gezeigt, sondern auch zahlreicheGespräche mit Fachkräften aus Einrichtungen der Kin-ddurdpAslWVdtdhnlsbvdudsgPRGgnDtswJdSdnzEeubDt
Die Betreuung durch Tagesmütter hat in den letztenahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Gerade fürie ganz Kleinen ist dies die ideale Form der Betreuung.ie ist flexibel und kann individuell nach den Wünschener Eltern gestaltet werden.Zur Verwirklichung des Kinderwunsches sind jedocheben dem Ausbau der Kinderbetreuung auch die finan-ielle Förderung von Familien sowie die Stärkung derlternkompetenz unverzichtbar. Diese drei Säulen – Ver-inbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Förderungnd Stärkung der Elternkompetenz – haben wir in demereits erwähnten Familienkonzept von 2001 festgelegt.ieses Familienkonzept ist nach wie vor aktuell und gül-ig.
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Maria EichhornEine aktuelle Studie von Allensbach belegt: Fast dieHälfte der Kinderlosen gibt die hohen Kosten als Grundfür ihren Verzicht auf Kinder an. Genauso viele habendas Gefühl, dass sie den Anforderungen als Vater oderMutter nicht gewachsen sind. Deshalb dürfen wir nichtbeim Ausbau von Betreuungsangeboten stehen bleiben.
Die Unterstützung von Frauen und Männern bei der Ver-einbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit muss wei-tergehen. Dabei müssen wir die Eltern im Blick haben,die wegen der Kinder zunächst einige Zeit aus dem Be-ruf aussteigen, später aber an ihre berufliche Karriere an-schließen wollen. Dafür müssen wir genauso viel tun;das dürfen wir nicht vergessen.
Gerade vor dem Hintergrund der demographischenEntwicklung und dem sich abzeichnenden Fachkräfte-mangel kann man auf die gut ausgebildeten Frauen nichtverzichten. Wir sind auf sie angewiesen.
Notwendig sind daher nicht nur flexible Arbeitszeiten,sondern auch die Möglichkeiten für Arbeitnehmer, wäh-rend der Elternzeit Kontakt zum Betrieb zu halten. El-tern brauchen individuelle Zeitsouveränität. Daher müs-sen innovative, maßgeschneiderte Konzepte inZusammenarbeit mit Arbeitgebern entwickelt und geför-dert werden, damit der Wiedereinstieg gelingt. Wir war-ten auf Vorschläge von Ihnen, wie Sie Eltern beim Wie-dereinstieg helfen wollen. Wir haben Ihnen unsereVorschläge dazu in unserem Antrag vorgelegt. Sie brau-chen sie nur umzusetzen.
Kernpunkt unserer Familienpolitik ist die Wahlfrei-heit. In der Begründung des Gesetzentwurfes reden Sieviel davon und verweisen auf Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts. Im Gesetzentwurf selber jedoch richtenSie den Betreuungsbedarf einseitig auf Erwerbstätigkeitaus.
Aus unserer Sicht ist dies zu eng ausgelegt und schränktdie Wahlfreiheit in erheblichem Maße ein.Ein Ehepaar – er Arzt, sie Architektin – mit einemKind hat nach Ihrem Gesetzentwurf einen Anspruch aufein Angebot zur Kinderbetreuung. So weit, so gut. DasFacharbeiterehepaar jedoch mit fünf kleinen Kindern,bei dem die Frau zu Hause die Erziehungsarbeit leistetund natürlich sehr belastet ist, hat nach Ihrem Gesetzent-wurf keinen entsprechenden Anspruch. Das ist keineVerwirklichung des Anspruchs auf Wahlfreiheit.
Deswegen haben wir im Ausschuss einen entsprechen-den Änderungsantrag eingebracht, den Sie jedoch abge-lehnt haben.trVrzwFsnSzdnaKütNHghbSSwsSgudeinDicw
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Frau Eichhorn, ich habe mir gerade vor-estellt, wie sich wohl Mütter und Väter, die am Fernse-er oder hier oben auf der Tribüne Ihre Rede gehört ha-en, gefühlt haben.
ie haben gesagt, was Sie alles schon gemacht haben.ie haben ein bisschen kleinkrämerisch darüber geredet,as wir getan haben, damit dieses Gesetz besonderschnell in Kraft tritt.
ie haben hier heute eine der üblichen Sonntagsredenehalten. Sie hatte mit der Lebensrealität derjenigen innserem Land, die Kinder und insbesondere kleine Kin-er haben, überhaupt nichts zu tun.
Ich meine, wir sollten eines ganz klar sagen: Heute istin guter Tag für die Eltern und Familien, für die Kinder Deutschland.
aran gibt es nichts zu deuteln. Das ist ein Tag, auf denh lange gewartet habe und auf den viele viel zu langearten mussten.
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Katrin Göring-Eckardt
– Ja, auch unter unserer Regierung. Das ist völlig richtig,Frau Lenke. Sonst wäre es nämlich wieder nichts gewor-den; sonst hätten wir uns wieder Jahr für Jahr die Sätzevon Frau Eichhorn anhören müssen.
Das ist ein Tag, der in eine Reihe von anderen Tagenpasst, an denen wir wichtige Dinge gemacht haben. Seit1998 geben wir 20 Milliarden Euro mehr als 1980 fürKinder aus.
Das bedeutet durchschnittlich etwa 1 000 Euro mehr proKind im Jahr. Das ist auch unter Berücksichtigung derfinanziellen Transferleistungen eine große Leistung.Deswegen lassen wir uns in dieser Hinsicht auch keineVorwürfe von Ihnen machen;
es wird auch nicht dabei bleiben.Warum haben wir diesen Gesetzentwurf auf den Weggebracht? Was ist eigentlich das Problem? Die Gebur-tenrate in Deutschland ist eine der niedrigsten. Die Er-werbsquote von Frauen ist extrem niedrig. 1 MillionKinder lebt in Deutschland immer noch von der Sozial-hilfe. Schauen wir uns nur die Situation in Berlin an:Dort ist im letzten Jahr ein Schultest durchgeführt wor-den. Dabei kam heraus, dass ein Viertel der Kinder auf-grund mangelnder Sprachkompetenz nicht fähig war, dieSchule zu besuchen und dem Unterricht zu folgen.
Die Betreuungsquote von unter Dreijährigen stagniertin Westdeutschland bei 2,7 Prozent. In Ostdeutschlandist sie von 50 Prozent auf 37 Prozent gesunken. Umdiese Situation zu ändern, haben wir diesen Gesetzent-wurf erarbeitet. Sie sagen zwar, dass er nicht helfenwird. Aber ich sage Ihnen: Doch, er wird helfen.
Wir wollen, dass jedes Kind eine Chance hat, egal woheres kommt und wie dick das Portemonnaie der Eltern ist.
Es kann nicht sein – ich finde, das muss man wiederho-len –, dass in Deutschland nur 10 Prozent der Kinder ausArbeiterfamilien, aber 70 Prozent der Kinder aus Akade-mikerfamilien Abitur machen können. Dieser ZustandmkSS–wniBaksDzWBGgEsDsRmKwbSdwhlSnlDtd
Wir wissen längst, dass bereits ganz kleine Kinderprachkompetenz, motorische Kompetenz undozialkompetenz sehr früh einüben müssen. Natürlichin diesem Punkt stimme ich vielem, was hier gesagturde, zu – geschieht dies am allerbesten innerhalb ei-er Familie. Aber das Leben ist leider nicht so, dass dasn allen Familien funktioniert. Deswegen ist es für meineegriffe eine zutiefst soziale Aufgabe, diese Chancenuch denen zu geben, die sie von zu Hause nicht mitbe-ommen. Daher ist die Betreuung der unter Dreijährigeno wichtig. Dass viele bzw. immer mehr Kinder ineutschland von Armut betroffen sind, hat auch damitu tun, dass wir ihnen zu wenig Bildungschancen geben.ir müssen aus dem Teufelskreislauf „Armut, zu wenigildung, Entstehung neuer Armut“ heraus. Mit diesemesetz zum Ausbau der Betreuung der unter Dreijähri-en wollen wir ihn durchbrechen.
Nun zum lieben Geld.
s ist richtig, dass die Opposition dieses Thema an-pricht. Seit 1991 ist das Recht auf Betreuung von unterreijährigen Bestandteil des Kinder- und Jugendhilfege-etzes. Wir haben sehr lange darauf gewartet, dass diesesecht in die Realität umgesetzt wird. Sie haben es da-als eingeführt und die entsprechende Kompetenz denommunen und Ländern zugewiesen. Was passiert ist,issen wir. Die Realität zeigt uns: In Westdeutschlandeträgt die Betreuungsquote 2,7 Prozent. Renatechmidt hat in einem Interview darauf hingewiesen,ass es beim gegenwärtigen Tempo 175 Jahre dauernürde, bis wir eine bedarfsgerechte Betreuung erreichtätten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das dauert mir zuange.
o lange, bis das erreicht ist, können auch wir weiß Gotticht regieren.
Gemäß der Verabredung im Bundesrat sind 1,5 Mil-iarden Euro für den Ausbau der Betreuung der unterreijährigen zur Verfügung gestellt worden. Dieser Be-rag von 1,5 Milliarden Euro steht allerdings nicht aufem Papier.
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Katrin Göring-EckardtVielmehr heißt es in der Revisionsklausel, dass derBund, wenn es zu höheren Ausgaben kommt, mehr Mit-tel bereitstellen muss.
Das ist gerade in diesem Fall auch richtig.
300 000 Kindergartenplätze werden frei. Schauen Siesich einmal an, was die Länder tatsächlich unternehmen.Ich muss Ihnen sagen: Wir können wirklich nicht auchnoch dafür verantwortlich sein, dass dieses Geld in vie-len Ländern nicht weitergegeben wird. Das ist das Pro-blem, vor dem wir stehen. Frau Eichhorn, kümmern Siesich darum, dass dieses Geld in den Ländern weitergege-ben wird;
denn in Thüringen und vielen anderen Ländern geschiehtdas bisher nicht. Wenn die Länder das Geld weitergeben,wird es auch bei den Kommunen ankommen.Eines muss ich direkt an die Adresse der Kommunensagen: Ich glaube, es geht auch um Prioritätensetzung.Das DIW hat ausgerechnet, dass es sich für die Kommu-nen auch in finanzieller Hinsicht lohnt, in die Kinderbe-treuung zu investieren, weil dann in vielen anderen Be-reichen weniger Geld ausgegeben werden muss. ImGrunde genommen wissen wir das. Auch in den Kom-munen sollte man das wissen. Man sieht zwar landauf,landab überall neue Feuerwehrhäuser. Aber es wäre ganzschön, wenn nebenan auch einmal ein neuer Kindergar-ten oder eine neue Kinderkrippe entstehen würde.
Der dritte Grund, aus dem wir diesen Gesetzentwurferarbeitet haben, ist die Verbesserung der Vereinbarkeitvon Familie und Beruf. Es geht doch vor allen Dingenum die Wahlfreiheit. Niemand möchte den Eltern vor-schreiben, was sie tun sollen und wie sie leben sollen.
90 Prozent der Mütter sagen: Wir wollen berufstätigsein. Bei den Vätern sind es 100 Prozent. Die Wahlfrei-heit, das tun zu können, was man möchte, und Beruf undFamilie tatsächlich zu verbinden, sollten wir endlich her-stellen. Deswegen ist dieses Gesetz so wichtig.
Sie haben von der Ungleichbehandlung geredet unddie Facharbeiterfamilie mit fünf Kindern erwähnt. Siemüssen das Gesetz noch einmal lesen, den Passus, indem es um das Kindeswohl geht.SdeumsBSdeteWuWm3dkeefvpnLnhSbswddssvweug
elbstverständlich sollen auch Familien mit fünf Kin-ern und einer Mutter, die nicht berufstätig ist, Plätze ininer Kinderbetreuungseinrichtung zustehen. Es gehtns ja gerade darum, dass alle diese Möglichkeit bekom-en. Wir haben so hart gearbeitet und das Geld bereitge-tellt, damit im Jahr 2010 bedarfsgerecht Plätze für dieetreuung unter Dreijähriger vorhanden sind.
Man kann es auch ganz ökonomisch sehen. Schauenie sich die Länder an, in denen die Quote der Frauen,ie erwerbstätig sind, höher ist als bei uns: Dort gibt esin höheres Wachstum. Sie sagen ja immer, wir bräuch-n Wachstum, damit Arbeitsplätze geschaffen werden.enn die Quote der Frauen, die erwerbstätig sind, steigtnd Arbeitsplätze geschaffen werden, steigt auch dasachstum. Auch deswegen rechnet es sich.In Ostdeutschland steuern Frauen 50 Prozent zum Fa-ilieneinkommen bei, in Westdeutschland sind es0 Prozent. Ich finde, da könnte sich der Westen einmalem Osten angleichen.
Zum Schluss: Auch wenn sie ein bisschen nach Zu-unftsmusik klingt, möchte ich Ihnen eine Geschichterzählen, die ich neulich in Bielefeld gehört habe. Da hatine berufstätige Mutter in der Kindertagesstätte angeru-en und gesagt: Entschuldigung, ich werde mich etwaserspäten. Ich habe hier noch Stress und muss noch einaar wichtige Telefonate führen. Aber ich komme in ei-er Viertelstunde. – Die Erzieherin am anderen Ende dereitung sagte zu der Mutter: Wissen Sie was? Gehen Sieoch in Ruhe einkaufen und kommen Sie dann ungehetztierher. Ich lese Ihrem Sohn so lange noch etwas vor. –ie fand die beiden in trauter Eintracht auf dem Sofaeim Vorlesen. Mutter und Sohn hatten noch einen sehrchönen, sehr entspannten Abend.
Ich glaube, das ist keine Zukunftsmusik, sondern das,as wir anstreben sollten, nämlich dass es unseren Kin-ern tatsächlich gut geht – in der Familie und in der Kin-erbetreuungseinrichtung. Sie sollten aufhören, hier ge-chäftsmäßig darüber zu reden, ob die Finanzierungtimmt oder nicht, sondern sich mit uns anstrengen undor allen Dingen eines klar machen: Kinderbetreuung istichtig für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, sie istine der zentralen Zukunftsaufgaben. Machen Sie mitnd hören Sie auf, herumzumäkeln und vergangenheits-erichtete Reden zu halten!Vielen Dank.
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12288 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004
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Ich erteile das Wort Kollegin Ina Lenke, FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauGöring-Eckardt, seit 1998 sind Sie an der Regierung,doch erst heute, im Jahr 2004, legen Sie diesen Gesetz-entwurf vor. Von daher haben Sie das verzögert und nie-mand anders. Sie haben die Mehrheit hier im Haus.
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion willmehr Bildung, Betreuung und Erziehung von Anfang an.Zustimmen werden wir dem Gesetz von Rot-Grün nicht,weil die Finanzierung fehlt. Wir alle wissen, der Bedarfan Betreuung unter Dreijähriger in den Städten und Ge-meinden hätte nach dem KJHG, dem Kinder- und Ju-gendhilfegesetz, gedeckt werden müssen. Aber noch istBedarf vorhanden, er ist nicht gedeckt.Wer hat heute als Mutter oder Vater schon das Glück– sei es in Schleswig-Holstein, sei es in Hamburg oderBayern –, einen Krippenplatz zu ergattern?
Die Chancen dafür stehen ziemlich schlecht. Dies zu än-dern ist Aufgabe von CDU- und SPD-geführten Bundes-ländern; das muss man ganz deutlich sagen.
Viele Eltern, insbesondere Alleinerziehende und Akade-mikerinnen, die ihren Kinderwunsch realisieren wollen,erwarten von uns eine bessere Infrastruktur. Kinderbe-treuungsangebote – das wissen wir alle, darüber sind wiruns einig – sind der Schlüssel für die bessere Vereinbar-keit von Familie und Beruf.Ein gezielter Ausbau der Kinderbetreuung bringtlangfristig ökonomisch mehr ein, als er kostet. Er bringtVorteile für Mütter und Väter, hinsichtlich der demogra-phischen Entwicklung, für die Unternehmen und für denStaat, der Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversi-cherungsbeiträgen hat, wenn Mütter berufstätig sind.Diese Mittel fehlen heute in unseren Kassen. Die FDPwill ganz besonders viele allein erziehende Frauen mitKindern, die bisher auf Sozialhilfe angewiesen waren,dabei unterstützen, ihren Lebensunterhalt für sich undihr Kind eigenverantwortlich zu verdienen, damit sienicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sind.Das Ministerium hat errechnet, dass230 000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen.160 000 Krippenplätze sollen entstehen und 68 500 Plätzesollen durch Tagesmütter und -väter angeboten werden.Frau Ministerin, diese Aufteilung ist sehr vernünftig;denn im ländlichen Raum werden wir kaum viele Krip-pengruppen einrichten können.Sie binden die Tagesmütter zwar in ihr Konzept ein,haben es aber bis heute nicht geschafft, verlässlicheRvDbsucswvFlshBhg–hKbMüsMdpgkisfeüSinT–vdülev
ie FDP hat hier und heute einen Antrag vorgelegt. Ichitte Sie – das habe ich im Ausschuss schon gesagt –,ich den Antrag noch einmal sehr genau anzuschauennd in Ihrem Ministerium mit ihm etwas anzufangen.Erstens wollen wir für die Tagesmütter klare, einfa-he, unbürokratische und bundeseinheitliche steuer- undozialversicherungsrechtliche Regelungen. Zweitensollen wir die Befreiung von der gesetzlichen Renten-ersicherungspflicht, aber eine Pflicht zur Versicherung.rau Ministerin, drittens wollen wir, dass Sie die Förder-ücke zwischen dem zweiten und dem dritten Lebensjahrchließen. Weder von den Grünen noch von der SPDabe ich irgendetwas dazu gehört.
is zum zweiten Lebensjahr des Kindes gibt es Erzie-ungsgeld. Einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungibt es aber erst ab dem dritten Lebensjahr.
Nein, das tun Sie nicht. – Viertens wollen wir – davonabe ich heute auch nichts gehört – die Anerkennung derinderbetreuungskosten für Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer als Werbungskosten, wenn die Frauen bzw.änner berufstätig sind. Schreiben Sie von uns ab undbernehmen Sie die guten Vorschläge der FDP!
Meine Damen und Herren, die Bildung im vorschuli-chen Bereich hat für die FDP eine große Bedeutung.ein Kollege Klaus Haupt wird gleich noch darüber re-en. Auch Kinder, die zu Hause gut gefördert werden,rofitieren nachweislich von einer qualitativ hochwerti-en außerfamiliären Betreuung. Ich habe selbst drei En-elkinder und kann sehr gut nachvollziehen, dass das sot. Die FDP will deshalb bundesweit Mindeststandardsür Bildung und Betreuung. Ich glaube, wir alle sind unsinig, dass wir das nicht den Ländern und Kommunenberlassen sollten. Wir wollen, dass die Kinder beimchuleintritt die gleichen Bildungschancen haben.Warum stimmen wir dem TAG nicht zu, obwohl eshaltlich von uns sehr begrüßt wird und wir in vieleneilen Gemeinsamkeiten haben?
Ich erkläre es Ihnen, da Sie es noch nicht wissen. – Dieon der Regierung konstruierte Finanzierung der durchas Tagesbetreuungsausbaugesetz anfallenden Kostenber die erwarteten Einsparungen durch die Zusammen-gung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Rahmenon Hartz IV ist für uns unseriös und unglaubwürdig.
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Ina LenkeDie erforderlichen 1,5 Milliarden Euro werden nämlichnicht aus dem Bundeshaushalt bezahlt, sondern überHartz IV; viele Bürgerinnen und Bürger wissen dasnicht. Heute weiß aber niemand, ob den KommunenGeld in der Höhe übrig bleibt, die Sie errechnet haben.Das ist so, auch wenn Sie von der Regierungsbank sichnoch so sehr weigern, das anzuerkennen.Erinnern wir uns: SPD und Grüne haben vor derBundestagswahl 2002 wie 1998 auch mit dem Verspre-chen Hunderttausender neuer Betreuungsplätze ge-glänzt. Hier reden Sie die Frage der Finanzierung he-runter. Das finde ich nicht in Ordnung.
Wer den Kommunen hier aus dem Bundestag konkreteAufgaben zuweist, der muss auch dafür sorgen, dass dieFinanzierung sichergestellt ist. Das ist der große Pferde-fuß des Gesetzes. Diese Milchmädchenrechnung gehtnicht auf. Deshalb machen wir nicht mit.Obwohl ich die Ministerin wirklich bei jeder Aus-schusssitzung und bei jedem Gespräch gefragt habe, wodie nachprüfbaren Berechnungen sind, hat sie sie bishernicht vorgelegt. Sie hat immer nur gesagt, sie könne dieKosten quantifizieren, sie könne mir ganz genau sagen,wie viel es kostet. Nun, das eine ist die Kostenseite unddas andere ist die Seite, wie die Kosten bezahlt werden.Ich fasse zusammen: Inhaltlich stimmt die FDP demTAG zu. Da die Finanzierung nicht gesichert ist, werdenwir uns bei der Abstimmung aber enthalten.
Ich erteile das Wort Kollegin Nicolette Kressl, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
entscheiden heute darüber, ob Eltern in Zukunft endlich
Wahlfreiheit haben werden, ob sie Berufstätigkeit und
Familie miteinander vereinbaren oder für eine gewisse
Zeit zu Hause bleiben wollen.
Frau Eichhorn, Sie haben in Ihrem Redebeitrag be-
hauptet, wir täten das Gegenteil. Was für eine veraltete
Vorstellung von Wahlfreiheit haben Sie denn?
Wahlfreiheit heißt, dass Eltern, wenn sie sich für die Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf entscheiden, ein ent-
sprechendes Angebot erhalten. Für uns heißt das, dass
wir für die Bereitstellung des Angebots sorgen müssen.
Das bedeutet aber nicht, dass wir den Eltern die Ent-
scheidung aus der Hand nehmen. Für mich ist es die
Aufgabe der Politik, ein Angebot zu machen. Behaupten
Sie nicht, wir würden uns nicht um die Wahlfreiheit
kümmern.
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Ich will Ihnen noch etwas zu dem sagen, was mir bei
hrer Rede aufgefallen ist. Sie haben sich hier hingestellt
nd erklärt, Wahlfreiheit würde vor allem durch mate-
ielle Leistungen geschaffen, die Sie in Ihrer Regierungs-
eit auf den Weg gebracht hätten. Habe ich mich verhört
der verlesen? Hat es nicht mehrere Urteile des Verfas-
ungsgerichtes gegeben, die sich auf die materiellen De-
izite in Ihrer Regierungszeit bezogen und die wir jetzt
msetzen müssen? Wo bin ich eigentlich?
Kollegin Kressl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Eichhorn?
Aber natürlich.
Frau Kollegin Kressl, würden Sie zur Kenntnis neh-
en, dass es in meiner Rede beim Thema Wahlfreiheit
berhaupt keine Unterschiede zu dem gibt, was Sie ge-
agt haben? Sie unterstellen mir, dass es unterschiedliche
nsichten gibt. Lesen Sie bitte unsere Konzepte nach!
ir gehen von der Wahlfreiheit für alle Familien aus.
as bedeutet, dass diejenigen, die einer Erwerbstätigkeit
achgehen wollen, diese Möglichkeit auch erhalten sol-
en. Daher setzen wir uns für eine bedarfsgerechte Kin-
erbetreuung ein.
Aber wir wollen auch, dass diejenigen, die sich dafür
ntscheiden, eine gewisse Zeit zu Hause zu bleiben, ähn-
iche Möglichkeiten haben und dafür die entsprechenden
oraussetzungen geschaffen werden. Daher brauchen
ir den Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten und
inanzielle Förderung. Genau das ist unser Konzept.
em können Sie nicht widersprechen; denn das können
ie jederzeit nachlesen.
Sehr geehrte Frau Eichhorn, lassen Sie mich zu Ihrerrage einige Bemerkungen machen:Erstens. Wahlfreiheit für Eltern entsteht dann, wennirklich etwas getan wird und es nicht nur in Konzeptenteht. Das aber erleben wir bei Ihnen nicht.
Zweitens. Sie haben in Ihrer Rede behauptet, mit un-erem Konzept würden wir die Wahlfreiheit einschrän-en. Ich habe nur klargestellt, dass für uns die Wahlfrei-eit nur dann gegeben ist, wenn beides vorhanden ist:
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Nicolette Kressldie materielle Unterstützung, die wir in unserer Regie-rungszeit von 1998 bis 2002 in einem Maße ausgebauthaben, an das Sie nie gedacht haben, und die Infra-struktur.
Wahlfreiheit entsteht dann, wenn wir Eltern tatsächlichbeide Alternativen anbieten. Seien Sie so gut und redenSie nicht immer nur von Ihren Parteitagsbeschlüssen,sondern sagen Sie Ihren Kollegen in den Ländern, dasssie dem Ausbaukonzept zustimmen sollen!
Dann können wir miteinander darüber reden, wer wirk-lich etwas für Familien tut.
Wir wissen, dass frühkindliche Förderung ein ganzwichtiger Bestandteil von Kinder- und Jugendhilfe so-wie von Betreuungskonzepten ist. Auch da, FrauEichhorn, will ich auf einen Punkt eingehen, den Sievorhin angesprochen haben. Sie haben behauptet, mitunserem Konzept sei es nicht möglich, dass Eltern vonfünf Kindern Tagesbetreuungsangebote für unter Drei-jährige in Anspruch nehmen können.
Haben Sie vielleicht übersehen, dass als drittes Bedarfs-kriterium das Kindeswohl im Vordergrund steht? Selbst-verständlich wollen wir den Kommunen diesen Freiraumgeben. Ich bin davon überzeugt, dass in ganz vielenKommunen in diesem Fall für das Kindeswohl entschie-den wird. Ich habe sehr viel Vertrauen in das, was dieKommunen tun werden. Wenn Sie das nicht haben, istdas Ihr Problem. Diese Freiheit wollen wir den Kommu-nen geben; das Kindeswohl steht im Mittelpunkt.
Drittens. Wir entscheiden heute auch darüber, dass inZukunft Alleinerziehende eine echte Chance haben wer-den, einen Arbeitsplatz anzunehmen, weil sie die Kin-derbetreuung erhalten.
Schauen Sie sich den Armuts- und Reichtumsbericht an!Dort wird deutlich, dass die Armutsfalle, in der Allein-erziehende häufig sind, nicht darauf beruht, dass wir zuwenig soziale Transferleistungen haben, sondern darauf,dass die Alleinerziehenden keine Erwerbstätigkeit auf-nehmen können. Wir müssen einen entscheidendenSchritt in diese Richtung tun. Auch darüber entscheidenwir heute mit den Bedarfskriterien des Gesetzes.
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Frau Lenke, wenn Sie „endlich“ sagen, dann muss icharauf hinweisen, dass wir vier Jahre lang Ihre materiel-en Defizite ausgleichen mussten.
Es gab ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auf-rund dessen wir das Kindergeld erhöhen mussten. Wirussten auch bei den Freibeträgen nachbessern. Wirüssen dies Schritt für Schritt abarbeiten.Wir entscheiden im Übrigen heute auch darüber, dassir nicht immer nur über Vereinbarkeit von Familie underuf reden, sondern dass endlich auch die gesetzlichenahmenbedingungen geschaffen werden.
rau Ministerin Schmidt hat schon darauf hingewiesen,ie langsam sich ohne gesetzlichen Druck die Rahmen-edingungen zum Positiven verändern. Weil wir nichtmmer nur reden wollen, haben wir uns für die Auftei-ung des Gesetzes entschieden.
Was erstaunt Sie eigentlich daran? Was erstaunt Siearan, wenn uns in Meldungen angekündigt wird, dassie Union im Bundesrat verzögern und blockieren wird?
ir sind verpflichtet, uns darum zu kümmern, dass dieltern die gesetzlichen Rahmenbedingungen bekom-en. Das ist Verpflichtung und keine Trickserei.
Hätten Sie die Ablehnung nicht angekündigt, dannätten wir dieses Gesetz nicht aufteilen müssen.
Ich will den Kommunen deutlich sagen: Es war nichtnser Wunsch, das Gesetz aufzuteilen. Wir hätten dasusammenfügen der beiden Teile für sinnvoll gehalten,eil darin auch die Entlastung der Kommunen im Be-eich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes enthalten ist.er zweite Teil des Gesetzes, der den Bereich des Kin-er- und Jugendhilfegesetzes betrifft, wird von uns wei-r verfolgt werden. Sowohl die Weiterentwicklung inem Bereich als auch die finanzielle Entlastung derommunen ist uns wichtig. Wir werden das nicht liegen
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Nicolette Kressllassen, sondern nach ausführlicher Beratung weiter da-ran arbeiten. Wir hoffen, die Zustimmung des Bundesra-tes zu erhalten.Lassen Sie mich noch die Finanzierung ansprechen.Die Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro stehtnicht nur auf dem Papier; vielmehr hat der Vermittlungs-ausschuss eine Revisionsklausel beschlossen, mit derenHilfe sichergestellt wird, dass die Nettoentlastung tat-sächlich bei den Ländern ankommt. Die Länder müssendiese Entlastung an die Kommunen weitergeben. Wir le-gen Wert darauf, dass das geschieht; denn die Länder ha-ben sich im Vermittlungsausschuss dazu verpflichtet.
Besonders interessant ist, dass sich die Vertreterinnenund Vertreter der Union hier hinstellen und uns etwasvon unseriöser Finanzierung erzählen.
Ich erwarte von allen, dass sie sich einmal das Ge-samtkonzept der CDU/CSU anschauen:
Steuerentlastung, Streichung der Gewerbesteuer, Finan-zierung der geplanten Kopfpauschale im Gesundheitsbe-reich über Steuern in Höhe von 30 Milliarden Euro.
Ich erwarte, dass sich Ihre Familienpolitiker und Famili-enpolitikerinnen, statt Insellösungen zu fordern, vor Au-gen führen, was Ihr Gesamtkonzept für die Kommunenbedeutet. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Herr Götz– er ist der nächste Redner – den Kommunen die massi-ven milliardenhohen Steuerausfälle erklären will, zumalgleichzeitig die Kinderbetreuung ausgebaut werden soll.
Sie sollten an dieser Stelle nicht heucheln. Wir wollenwissen, wie Ihr Gesamtkonzept aussehen soll.Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Hinsicht-lich der Gewerbesteuer und der Finanzierung der Kom-munen wird deutlich, welche Entlastungen unsere Refor-men in diesem Bereich auf den Weg bringen.
In meinem Wahlkreis habe ich kürzlich eine Zeitungs-meldung über eine Stadt gelesen, die deutlich steigendeGewerbesteuereinnahmen zu verzeichnen hat. Die Mel-dung trug die Überschrift: Wir dürfen nicht zu schnelleuphorisch werden. Das ist sicherlich richtig – wir müs-sen das in der Tat beobachten –, aber die Behauptung,dass hier alles den Bach heruntergeht, ist absolut un-wahr. Ich bitte Sie, im Interesse der Familien bei derWahrheit zu bleiben, um diese nicht zu verunsichern.
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Wenn wir wissen, dass der Ausbau der Kinderbetreu-ng notwendig ist, dann sollten wir auch das Nötige tunnd dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich denke, Deutsch-and hat eine solche Haltung nach dem Motto „Eigent-ich wollen wir ja, aber wir können trotzdem nicht!“icht verdient. Das haben die Familien nicht verdient.ringen Sie die von Ihnen regierten Länder dazu, demesetzentwurf zuzustimmen! Geben Sie sich einen Rucknd stimmen Sie ebenfalls zu! Alle werden es Ihnen dan-en.
Ich erteile Kollegen Peter Götz, CDU/CSU-Fraktion,
as Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr geehrten Damen und Herren! Nach sechsahren Regierung hat Rot-Grün jetzt auch die Kinderntdeckt.
er gesellschaftliche Wandel hat das Leben der Familienn Deutschland geändert. Das hat auch Einfluss auf dieamilienpolitik. Es ist unstrittig, dass in Deutschland aufielen Gebieten Handlungsbedarf besteht. Das gilt auchür den wichtigen Bereich der Erziehung, Bildung undetreuung unserer Kinder.
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Peter GötzWie wir alle wissen, ist eine gute Erziehung im Eltern-haus die beste Grundlage für eine positive Entwicklungunserer Kinder.
Sie ist durch nichts zu ersetzen. Durch eine frühzeitigegute Erziehung und Bildung wird der Grundstein für dasspätere Leben gelegt.Unstrittig ist auch, dass in einigen Bundesländernbeim Ausbau der Kinderbetreuungsangebote Nachholbe-darf besteht. Die Anhörung im zuständigen Fachaus-schuss des Deutschen Bundestags hat aber deutlich ge-zeigt, dass einige Länder der Meinung sind, keinebundeseinheitliche Regelung zu brauchen, da sie bereitseigene Programme aufgelegt haben.
Wir sollten in der Diskussion berücksichtigen, welcheUnterschiede zwischen Ihrem Gesetzentwurf und unse-rem Ansatz bestehen.
Sie setzen auf eine institutionelle Lösung, die auf Bun-desebene organisiert und dann von den Kommunen um-gesetzt werden soll. Wir hingegen wollen individuelleLösungen mit einer großen Wahlfreiheit für die Men-schen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen.
Wir wollen aber auch die Familien stärken, die ihre klei-nen Kinder zu Hause erziehen wollen. Für uns steht ohneFrage das Wohl des Kindes im Mittelpunkt.
Sie versuchen, mit dem Gesetzentwurf auf untaugli-che Weise Symptome zu kurieren,
ohne die Ursache für die fehlenden Betreuungsangeboteanzugehen. Frau Ministerin, die Fragen, die wir unsvorab stellen müssen, lauten deshalb: Welches ist dieUrsache? Wo liegt die Wurzel für den unbefriedigendenZustand der Kinderbetreuung? Viele Städte und Gemein-den engagieren sich seit Jahren im Rahmen ihrer finan-ziellen Möglichkeiten für eine bessere Kinderbetreuung.
Dort ist schon sehr viel geschehen, aber ohne Zweifelnoch lange nicht genug. Wir wollen familienfreundlicheKommunen. Aber die Kommunen stehen finanziell mitdem Rücken an der Wand. Durch Ihre kommunalfeindli-che Politik seit sechs Jahren
befinden sich die Kommunen in ihrer schwersten Fi-nanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutsch-land. Das können Sie nicht leugnen.kBtkvszSszDkWbzKrsnWdEKlWnwwld
Die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpoliti-er, die viel enger und direkter mit den Bürgerinnen undürgern im Austausch stehen, würden gerne eine quali-ätsorientierte Betreuung der Kinder anbieten. Aber sieönnen es einfach nicht mehr. Meine Damen und Herrenon der Regierungskoalition, Sie haben innerhalb vonechs Jahren den Kommunen durch Ihre Politik die Luftum Atmen genommen.
eit sechs Jahren verteilt die Bundesregierung Wahlge-chenke im sozialen Bereich und lässt andere dafür be-ahlen.
as ist unanständig, um mit den Worten Ihres Bundes-anzlers zu reden.
ir wollen, dass der Grundsatz, der im „normalen“ Le-en gilt, auch in der Politik gilt: Wer bestellt, der be-ahlt.
Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Humme?
Ja.
Frau Humme, bitte.
Herr Götz, da Sie kommunalpolitischer Sprecher Ih-er Fraktion sind, verwundert mich besonders Ihre Aus-age, wir hätten sechs Jahre lang nichts für die Kommu-en getan. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen.arum verschweigen Sie, dass wir die Kommunenurch die Reform der Gewerbesteuer um 3 Milliardenuro entlasten? Warum verschweigen Sie, dass wir dieommunen durch Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro ent-asten?
arum verschweigen Sie, dass die Kommunen imächsten Jahr insgesamt um 7 Milliarden Euro entlasteterden? Warum verschweigen Sie – das scheint mir vielichtiger zu sein –, dass Sie es waren, die im Vermitt-ungsausschuss verhindert haben, dass den Kommunenurch eine Mindestgewinnbesteuerung mehr Geld zuge-
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Christel Hummeführt wird? Last, not least: Wenn wir zusammen mit Ih-nen das Steuervergünstigungsabbaugesetz im Vermitt-lungsausschuss durchbekommen hätten, hätten Bund,Länder und Kommunen 25 Milliarden Euro mehr. Wa-rum sollen wir es sein, die die Kommunen mit unsererPolitik alleine lassen? Wie sieht denn Ihre Politik aus?
Ich gebe Ihnen gerne eine Antwort. Die Kommunensind im Augenblick dabei, ihre Haushalte für das Jahr2005 aufzustellen. Die Ausgaben für soziale Leistungensteigen im kommunalen Bereich dramatisch,
und zwar auf ein Niveau, das es in Deutschland noch niegegeben hat, nämlich auf 30 Milliarden Euro in diesemJahr, Tendenz weiter steigend. In diesem Jahr haben diekommunalen Kassenkredite das Rekordniveau von18 Milliarden Euro erreicht, das heißt also, dass dieKommunen in diesem Jahr ihr Konto um diesen Betragüberziehen. Wenn Sie angesichts dessen behaupten, dassdas eine Ihrer tollen Leistungen sei, dann kann zumin-dest ich das nicht nachvollziehen. Das ist die erste Be-merkung.
– Frau Humme, bitte bleiben Sie stehen. Ich möchte IhreFrage vollständig beantworten. Sie müssen Geduld ha-ben.
Zweite Bemerkung, zu der von Ihnen angesprochenenGewerbesteuer. Es ist richtig, dass wir nicht wollen, dassdiejenigen Unternehmen, die Probleme haben, die Kre-dite aufnehmen müssen, weil sie kurz vor der Insolvenzstehen, die Zinsen für diese Kredite bei der Gewerbe-steuerschuld zusätzlich versteuern müssen. Das wolltenSie, aber nicht wir. Deshalb haben wir das abgelehnt.
Wir wollten auch nicht – deshalb haben wir das ebenfallsabgelehnt –, dass Freiberufler zur Gewerbesteuerzah-lung herangezogen werden. Das hätte nur dazu geführt,dass die Freiberufler Steuerberater beauftragt hätten, umdafür zu sorgen, dass keine Gewerbesteuer gezahlt wer-den muss.
Das wäre ein Nullsummenspiel bzw. ein Beschäfti-gungsprogramm für Steuerberater gewesen. Sie habensich in diesem Bereich oft selbst widersprochen.
–IBtigkglunndnimenmzteawSswhLliDsisPutHnEn
Sie haben in Ihrem Beispiel verschwiegen, dass einroßes Unternehmen dieser Stadt über viele Jahre Ver-stvorträge in Anspruch nehmen konnte und dass dasun beendet ist. Jetzt bekommt diese Stadt wieder Ein-ahmen aus der Gewerbesteuer. Viele Jahre gab es voniesem Unternehmen keine Gewerbesteuer. Das zeigt ei-es der Kernprobleme der Gewerbesteuer: Wir brauchen Bereich der Kommunalfinanzen Veränderungen, dieine nachhaltige, verlässliche Finanzierung der Kommu-en ermöglichen. Wenn das der Fall ist, haben die Kom-unen eine Chance, die Kinderbetreuung auf den Wegu bringen.
Die Grenze zur Handlungsfähigkeit ist in vielen Städ-n und Gemeinden schon lange überschritten: Schädenn Schulen werden nicht mehr repariert – ich weiß nicht,o Sie in Ihren Wahlkreisen unterwegs sind –,chwimmbäder werden geschlossen, das mittelständi-che Handwerk bricht weg. Es ist für Wirtschaftsent-icklung unseres Landes dringend notwendig, dass sichier etwas verändert, damit die Kommunen wieder in dieage versetzt werden, ihre Aufgaben eigenverantwort-ch wahrzunehmen.
as ist die Realität vor Ort, mit der wir uns auseinanderetzen.
Die Union will die Kinderbetreuung verbessern. Dast die einhellige Meinung unserer Fraktion, in unserenarteien, in CDU und CSU,
nd auf allen politischen Ebenen, angefangen im kleins-en Rathaussaal über die Landtage bis in dieses Hoheaus.Nur: Die kommunalen Haushalte müssen die kommu-alen Aufwendungen und Aufgaben bewältigen können.in erneuerter Verschiebebahnhof zulasten der Kommu-en löst das Problem nicht.
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Peter GötzDie Folge der Umsetzung Ihrer unseriösen Finanzie-rungsangebote wäre, dass die Kommunen gezwungenwären, die Betreuungskosten auf die Eltern abzuwälzen,weil sie das nötige Geld nicht haben.
Die Konsequenz wäre: Kinderbetreuung würde zu einemLuxusgut privilegierter Besserverdiener. Wenn das IhrePolitik ist, kann ich dies in keiner Weise nachvollziehen,Frau Ministerin. Wir von CDU und CSU wollen dasnicht. Wir wollen einen Ausbau der Kinderbetreuung füralle und nicht nur für Besserverdiener.
Die Menschen in unserem Land erwarten von uns al-len zu Recht, dass wir ihre Bedürfnisse erkennen unddiese Erkenntnisse in politisches Handeln umsetzen. Sieerwarten auch seriöse Berechnungen und sie erwartenkeine Tricksereien. Mehr Ehrlichkeit im Umgang mitZahlen, aber auch im Umgang untereinander schadetniemandem in diesem Hause. Ihr Gesetzentwurf gaukeltden Menschen eine Problemlösung bei der Kinderbe-treuung vor. Ohne eine seriöse Finanzierung machen Siedie Rechnung allerdings ohne den Wirt. Die Kommunen,die Eltern und die allein erziehenden Frauen zahlen letzt-lich die Zeche.Wir haben eine andere Vorstellung von Politik.
Wir wollen starke Städte und Gemeinden, die in derLage sind, eigenverantwortlich zu entscheiden. Wir wol-len eine starke kommunale Selbstverwaltung, und zwarohne bürokratische Vorgaben aus Berlin. Wir setzen aufdie Menschen, die vor Ort kommunalpolitische Verant-wortung tragen.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage
der Kollegin Marks von der SPD-Fraktion?
Herr Präsident, ich würde meinen Gedanken gern
noch zu Ende bringen.
Die Menschen vor Ort sind sehr wohl in der Lage, die
Prioritäten richtig zu setzen und bei Bedarf Tagesbetreu-
ung für Kinder anzubieten. Sie tun es schon heute.
Jetzt bitte ich um die Zwischenfrage.
Kollegin Marks, bitte.
Herr Kollege Götz, Sie verfehlen das Thema der heu-
tigen Debatte: Es geht um die Kinder in unserem Land.
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nd Sie schlagen mehr Haken, als es jemals ein Hase ge-
an hat. Nachdem Sie hier ausschließlich die Finanzfrage
ngesprochen haben, möchte ich einmal wissen, warum
ie nicht von Studien berichten – auch Sie kennen sie si-
herlich –, wonach sich jeder in den Ausbau der Kinder-
etreuung investierte Euro drei- bis vierfach rentiert, und
war durch höhere Steuer- und Sozialversicherungsein-
ahmen, durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, insbe-
ondere für Frauen, und durch eine bessere Integration
er Kinder und Jugendlichen in diesem Land. Ich denke,
ie sollten auch dieses Thema einmal behandeln.
Danke.
Frau Kollegin, ich bin für Ihre Frage dankbar.
ch weiß sehr wohl, dass Finanzierung bei Ihnen nichtum Thema gehört.
hr Kernproblem ist, dass Sie über Finanzierung nicht re-en wollen.Ich teile Ihre Einschätzung; die Ergebnisse dieser Un-ersuchungen sind so, wie sie sind. Auch ich sehe dieuswirkungen dieses Verhältnisses von eins zu drei.eshalb sind wir ja für den Ausbau der Kinderbetreu-ng. Aber Sie müssen denjenigen, die den Ausbau derinderbetreuung vorantreiben sollen, zunächst einmalie Chance geben, diesen einen Euro in die Hand zu neh-en, damit er 3 Euro auslöst.
ie haben die Kommunen so weit gebracht, dass sieeute dazu nicht mehr in der Lage sind.Deshalb ist unser politischer Ansatz – das gehört sehrohl zum Thema –: Ja zur Kinderbetreuung, aber aucha zur Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung,amit die Kommunen wieder in die Lage kommen, dieseufgabe eigenverantwortlich vernünftig und angemes-en wahrzunehmen. Das ist unsere Zielvorgabe. Wennie es mit dem Ausbau der Kinderbetreuung ernst undhrlich meinen, dann sollten Sie auf unsere Vorschlägeingehen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12295
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Peter Götz– Doch. Ich habe Ihnen vorgeschlagen, die Kommunalfi-nanzen zu verbessern. Sie müssen zuhören und dürfennicht weghören.
Lassen Sie uns gemeinsam die Situation der Städteund Gemeinden verbessern! Dann verbessern wir – diePrognose wage ich – auch die Kinderbetreuung in unse-rem Land.Herzlichen Dank.
Ich erteile Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Götz, Sie waren in der Anhörung im Fachausschuss
leider nicht dabei. Wären Sie dabei gewesen, hätten Sie
zur Kenntnis nehmen können,
dass sowohl Bürgermeister Schimke als auch die Vertre-
ter der Kommunalverbände sehr wohl gesagt haben, sie
wollten die Kinderbetreuung,
sie wollten alles tun, damit das Kinderbetreuungsgesetz
in Kraft tritt. Sie sehen es als einen Standortfaktor. Es ist
wichtiger denn je, dass dieses Gesetz so schnell wie
möglich in Kraft tritt.
Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass die Gewer-
besteuereinnahmen in Deutschland im ersten Halb-
jahr 2004 um 1,5 Milliarden Euro gestiegen sind. Damit
sind wir voll im Plan. Das ist die Wahrheit.
Die Eltern wollen, dass wir die Kinderbetreuung aus-
bauen. Sie wollen es für sich. Sie wollen es für ihre Kin-
der und es geht auch um Hartz IV. Wir wollen Armut in
diesem Land bekämpfen. Wir wollen, dass auch Mütter
und Väter arbeiten können. Eine Grundvoraussetzung
dafür ist die Betreuung der unter Dreijährigen. Wir kön-
nen nicht von den Menschen verlangen, erwerbstätig zu
sein, ohne ihnen die dafür notwendigen Rahmenbedin-
gungen zu bieten.
Es geht um Förderung und um Bildung von Kindern.
Es geht auch um Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
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Bitte schön.
Frau Kollegin nimmt mir die Arbeit ab. – Bitte schön,
rau Kollegin Eichhorn.
Frau Kollegin Deligöz, würden Sie zur Kenntnis neh-
en, dass gerade in meinem Heimatland Bayern – die
ituation dort kennen Sie vielleicht auch – seit dem Jahr
002 313 Millionen Euro ausgegeben werden, um jähr-
ich 1 000 Krippenplätze und 5 000 Betreuungsplätze im
chulbereich neu zu schaffen? Und da sagen Sie, in den
nionsregierten Ländern geschehe nichts!
Sie werden gleich auf die Ausgangssituation hinwei-
en. Dazu kann ich Ihnen sagen, dass in Bayern die Be-
reuungsquote der unter Dreijährigen um 2 Prozent-
unkte höher ist als in Nordrhein-Westfalen, Frau
eligöz.
Frau Kollegin, Ihr Heimatland Bayern ist auch meineimatland; ich komme aus Bayern. Ich muss aber fest-tellen, dass die Realität wohl doch eine andere ist. Ichehe jeden Samstag in München und Nürnberg die El-ernverbände auf der Straße demonstrieren, weil dieusgaben für die Jugendhilfe und für die Schulen
mmer weiter gekürzt werden.
s ist bei dem bayerischen Modell der Kinderbetreuungavon die Rede, dass mehr Betriebswirtschaftlichkeit inie Strukturen muss.
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Ekin Deligöz
Es ist davon die Rede, dass in Bayern innerhalb dernächsten zehn Jahre 9 000 Plätze in der Kinderbetreuungeingespart werden sollen, weil es sich nicht mehr be-triebswirtschaftlich rechnet.
Das ist doch die Realität: Die Eltern in Bayern gehen aufdie Straße!
Sie wollen in Bayern die Lehrmittelfreiheit abschaf-fen. Sie wollen die Eltern zur Kasse bitten. Sie sagen, dieEltern sollen es selber finanzieren, wenn sie Geld haben.All das läuft gerade in Bayern ab. Auch das sollten Siezur Kenntnis nehmen.
Gehen Sie einmal nach München, gehen Sie einmal nachNürnberg! Dann werden Sie sehen: Die Eltern in Bayerngehen auf die Straße für die Rechte ihrer Kinder.Bezüglich des Ausbaus der Kindertagesbetreuungmöchte ich festhalten: Die Länder hatten die Kompetenzdazu; sie hätten schon längst etwas tun können. Es istaber nichts passiert. Weil nichts passiert ist, bringen wirjetzt dieses Gesetz ein. Weil die Quote im Westen nur bei2,7 Prozent liegt – das ist verdammt wenig, meineDamen und Herren –, bringen wir das Gesetz ein. Wirwollen für Verbindlichkeit sorgen, indem es eine gesetz-lichen Verpflichtung, öffentliche Debatten und regel-mäßige Berichterstattung darüber gibt. Für uns ist eswichtig, dass dabei am Ende Kinderbetreuungsplätze he-rauskommen. Das ist unsere Botschaft.
Wenn der Bund keine Kompetenzen in diesem Be-reich hätte, gäbe es kein Recht auf einen Kindergarten-platz. Mit dem TAG haben wir unseren Willen demons-triert, dass mehr Krippenplätze eingerichtet werdensollen. Sie sollten hier keine Krokodilstränen über dasVerfahren oder Ähnliches vergießen; das ist gar nichtnotwendig. In Wahrheit wissen Sie doch, wie notwendigdas TAG ist. Es stellt einen wichtigen Bestandteil derFamilienpolitik dar. Sie selbst sprechen sich ja für mehrKinderbetreuungsplätze aus. Sobald es aber darum geht,das Ganze anzupacken, ducken Sie sich weg; dabei wol-len Sie nicht mitmachen und schieben irgendwelche Ar-gumente vor.
Ich halte das nicht für ehrlich von Ihnen. Ich kann dazunur sagen: Sie sollten aufhören, darüber zu reden. Siesollten es zusammen mit uns anpacken. Darauf kommtes nämlich an. Sie sollten etwas tun, um die Chancenvon Kindern in diesem Land zu verbessern.SawFeBdsdsdFLdPeBLbvGlmaLWskKSS
ie tun damit eher etwas für die Eltern in diesem Land,ls wenn Sie auf irgendwelche fiktiven Konzepte ver-eisen, die ich Ihnen nicht abnehmen kann.
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Haupt, FDP-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichrhöhe die Männerquote.
ildung von Anfang an muss das Motto sein, wenn wirie Zukunftsfähigkeit der hier in Deutschland aufwach-enden Kinder sichern wollen. Die wichtigste Botschafter Expertenanhörung lautete für mich: Wir sind es un-eren Kindern schuldig, endlich die frühkindliche För-erung in unserem Land zu verbessern.
aire Chancen für jedes Kind – darum geht es in ersterinie.Das Thema ist vor allem und zuallererst aus der Sichtes Kindes zu sehen. Es geht um einen umfassendenrozess der Entwicklung und Entfaltung der dem Kindigenen Fähigkeiten. Die Weichen für den Bildungs- underufsweg werden früh gestellt, das Fundament fürernmotivation und -fähigkeit wird in den ersten Le-ensjahren gelegt. Kindliches Lernen beginnt nicht mitier Jahren und auch nicht mit drei, sondern sofort ab dereburt.
Eines der dramatischsten Ergebnisse der internationa-en Vergleichsstudien der jüngsten Vergangenheit ist fürich die Tatsache, dass in Deutschland wie in keinemnderen Land Europas die soziale Herkunft über dieebens- und Zukunftschancen eines Kindes entscheidet.ir vernachlässigen frühkindliche Bildung, zementiereno soziale Ungleichheiten und verengen damit die Zu-unftsperspektiven unserer Kinder.
inder, die schon durch die Hypothek schlechterertartchancen belastet sind, dürfen nicht durch diechwerpunktsetzung staatlicher Bildungspolitik noch
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Klaus Hauptmehr belastet werden. Hier geht es um die Grundkompe-tenz gesellschaftlicher Teilhabe. Alle Kinder müssen dieChance haben, sich zu einer eigenständigen, selbstver-antwortlichen und autonomen Persönlichkeit zu entwi-ckeln.
Dazu bedarf es neben dem liebevoll fördernden Eltern-haus gerade angesichts der zunehmenden Zahl von Ein-Kind-Familien auch der Sozialerfahrung im Kreis ande-rer Kinder in Tagespflegegruppen, Krippen oder Kinder-gärten.In diesem Zusammenhang gilt der Satz, den auch Pro-fessor Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut inder Anhörung zitierte und den ich zum goldenen Satz derAnhörung erkläre: Vom Osten lernen heißt siegen ler-nen.
Bei der Tagesbetreuung für unter Dreijährige müssen wirim ganzen Land die quantitativen Ausstattungsstandardserreichen, die wir im Osten früher einmal hatten undzum Teil auch noch haben. In Europa einmalig ist dieBetreuungssituation in Sachsen-Anhalt, wo ein entspre-chender Rechtsanspruch für Kinder von null bis14 Jahren besteht.
Dieser ist vor 14 Jahren auf Initiative der FDP entstan-den.
Das heißt, das TAG könnte ein Startschuss für die westli-chen Bundesländer sein, ohne den östlichen Ländern zuschaden.
Den mit dem TAG angestrebten quantitativen Ausbauund die qualitative Verbesserung der Kindertagesbetreu-ung unterstützen wir; das hat meine Kollegin Lenke sehrausführlich und charmant dargestellt. Dass die FDP den-noch nicht zustimmt, liegt allein an der aus unserer Sichtungelöst scheinenden Finanzierung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stellehätte ich gern auch etwas Freundliches zu den übrigenvorgesehenen Änderungen des KJHG gesagt. Leider ha-ben Sie, Frau Ministerin, das ursprüngliche Gesetzespa-ket jetzt über Nacht aufgeschnürt. Das erweckt den Ein-druck, als hätten diese Gesetzesteile nur als taktischeManövriermasse gedient.
IBzDbdsSHKeImDghDsShU
Ich erteile das Wort Kollegin Marlene Rupprecht,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eute Morgen haben alle zumindest verbal bestätigt:inderbetreuung ist notwendig. Ich finde, das ist schonin Fortschritt.
m letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts konntean da noch ganz andere Töne hören.
eshalb ist das ein Fortschritt.Ich denke, einige von Ihnen haben § 1 des SGB VIIIelesen:Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderungseiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer ei-genverantwortlichen und gemeinschaftsfähigenPersönlichkeit.Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürli-che Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen ob-liegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht diestaatliche Gemeinschaft.So weit haben Sie gelesen; das waren die Aussageneute Morgen. Weiter haben Sie allerdings nicht gelesen.urchhalten beim Lesen scheint nicht mehr modern zuein; das zeigen auch die PISA-Ergebnisse. In § 80GB VIII, der sich mit der Jugendhilfeplanung befasst,eißt es nämlich:Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben imRahmen ihrer Planungsverantwortung … den Be-stand an Einrichtungen und Diensten festzustellen,… den Bedarf unter Berücksichtigung der Wün-sche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Men-schen und der Personensorgeberechtigten für einenmittelfristigen Zeitraum zu ermitteln …nd so fort.
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Marlene Rupprecht
Dafür hat es anscheinend nicht mehr gereicht; dennsonst müssten wir heute nicht über Kinderbetreuung re-den, sondern würden uns auf diesen Paragraphen überdie Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII beziehen – dasein sehr modernes Gesetz ist.
– Das ist unter Ihrer Regierung entstanden. Meine Hoch-achtung; da ist Ihnen ausnahmsweise einmal etwas wirk-lich gut gelungen. Da stimme ich Ihnen voll und ganzzu. Ich bin inzwischen so weit, dass ich das Gesetz adop-tiert habe und es als meines ansehe. Deswegen kämpfeich auch dafür. Aber dieser Paragraph zur Kinderbetreu-ung wird eben nicht umgesetzt.Wir wissen, dass Kinderbetreuung für die Familien,die Wirtschaft und den Standort Deutschland von Bedeu-tung ist; das ist bereits gesagt worden. Wichtig ist dieKinderbetreuung aber vor allem für die Kinder. Als Kin-derbeauftragte meiner Fraktion muss ich das ganz deut-lich herausstellen. Kinder brauchen Kinder. Denn unsereFamilienstrukturen und auch die gesellschaftlichenStrukturen haben sich verändert. Kinder müssen unterKindern aufwachsen, um sprechen zu lernen und sozialeKompetenz zu bekommen.
Sie sollten einerseits nicht so wie Erwachsene reden; siekommen nämlich nicht mit dem Abitur zur Welt. Wennsie andererseits nur vor die Glotze gesetzt werden, kön-nen sie das Sprechen nicht lernen. Kinder müssen alsomit anderen Kindern aufwachsen, damit sie emotionalreifen und damit sie, wie es in § 1 SGB VIII heißt, ge-meinschaftsfähige Persönlichkeiten werden.Studien aus den USA, von denen wir in letzter ZeitKenntnis bekommen haben, haben bestätigt, dass sichdie Folgen der Betreuung noch nach drei Jahrzehntennachweisen lassen. Kinder, die eine qualitativ gute Be-treuung erfahren hatten, hatten bessere Schulchancen,haben weniger in der Schule versagt, sind im Jugendalterweniger strafanfällig geworden, hatten eine bessere Be-rufsausbildung und eine größere Kontinuität in der Er-werbstätigkeit, waren seltener Bezieher von Transfer-leistungen und – wenn wir schon über Geld reden –stellten damit einen geringeren Kostenfaktor für dieKommunen dar.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Scheuer von der CDU/CSU-Fraktion?
Herr Scheuer, ich finde Ihre Frage wunderbar. Ichollte nämlich gerade auf den Punkt zu sprechen kom-en, dass Sie mit Zahlen, die Sie nicht nachweisen kön-en, argumentieren. Sie müssen private Unternehmen,ie Statistiken erstellen, fragen, wie es mit der Intensiv-ädagogik in Bayern aussieht; denn bis jetzt liegen keinentsprechenden Zahlen vor. Sowohl das betreffende Mi-isterium als auch das Landesjugendamt haben sich vonrgendwoher irgendwelche Zahlen beschaffen müssen,eil sie nicht genau wissen, was Fakt ist.
Weil wir diese Krux sehen – das Gesetz, das Sie da-als gemacht haben, ist in diesem Punkt nachbesse-ungsbedürftig und muss präzisiert werden –, müssenir die Fälle statistisch genau erfassen. Dann können wirielgenau handeln. In Bayern darf keine polemischeolitik auf Kosten derer betrieben werden, die entspre-hende Leistungen brauchen. Aus dem Grund – aus kei-em anderen – haben wir das Thema Kinder- und Ju-endhilfe abgespalten.
Alle Untersuchungen zeigen: Starke Eltern werdentarke Kinder haben und starke Kinder werden starke Er-achsene werden. Das trägt sehr zur Stabilität der Kom-unen und der gesamten Gesellschaft bei. Es ist dieeste Investition, die man machen kann. Dazu müssenir nach intelligenten Lösungen suchen. Es muss einmdenken stattfinden. Die Kommunen müssen vom an-ebotsorientierten Handeln weg und hin zum nachfrage-rientierten Handeln kommen. Wir müssen überlegen,as Kinder und Eltern brauchen. Man darf aber nichtinfach irgendein Angebot unterbreiten, egal ob es passtder nicht. Das ist eine Herausforderung an die kommu-ale Ebene. Ich denke aber, dass es sehr viele intelli-ente Kommunalpolitiker gibt, die diese Herausforde-ung meistern können.Weil wir die finanziellen Belastungen der Kommunenehen, haben wir eine Aufteilung des Gesetzes vorge-ommen. Genau das war der Grund. Sie könnten endlichinmal aufhören, das Schauermärchen im Lande zu er-ählen, die Kinder und Jugendlichen würden dank derinder- und Jugendhilfe nur auf Kosten anderer leben
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Marlene Rupprecht
und die Betreuung sei ein Luxus. Kehren Sie zu einersachlichen Diskussion zurück!
Darüber werden wir uns, nachdem dieses Kinderbetreu-ungsgesetz verabschiedet worden ist, noch heftig ausei-nander setzen.
Was machen Sie denn, Herr Scheuer? Im Bundesratwurde ein Gesetzentwurf eingebracht, das „KEG“ – dasist wirklich keck –,
„Kommunales Entlastungsgesetz“, heißt. Was steht da-rin? Dass Sie nur noch dann Leistungen gewähren wol-len, wenn das die jeweilige Kommune bezahlen kann.Im Umkehrschluss heißt das: Wenn in einer Kommune,in der es viele soziale Probleme gibt, kein Geld vorhan-den ist, bekommen die Betroffenen nichts und werdendahinvegetieren. Genauso läuft es bei Ihnen. Dieser Ge-setzentwurf ist übrigens von der Bayerischen Staatsre-gierung und nicht vom bayerischen Volk in den Bundes-rat eingebracht worden.
Der Herr Präsident hat vorhin unseren Gesetzentwurfvom Titel her als umfangreich bezeichnet. Es gibt inBayern seit September einen Entwurf, der folgenderma-ßen lautet: „Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehungund Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen
und in Tagespflege und zur Änderung anderer Gesetze –Bayerisches Gesetz für Kindertageseinrichtungen undTagespflege und Änderungsgesetz “. Ichkürze diesen Gesetzentwurf im Folgenden wie vorgese-hen ab. Was haben Sie denn im BayKiTaG vor? ImBayKiTaG haben Sie das vor, was wir mit dem TAG,dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, umsetzen wollen.Ich finde es schön, dass Sie in diesem Punkt lernfähigsind.Als ich dann aber zu Punkt D „Kosten und Nutzen“kam, fand ich folgenden Satz: „Die Umstellung des För-dersystems erfolgt kostenneutral.“
Da habe ich mir gedacht: Menschenskind, die Bayernsind intelligent. Wie machen die das? Die wollen dasumsetzen, ohne einen Cent auszugeben, während wir1,5 Milliarden Euro dazugeben und es Ihnen hier immernoch nicht reicht. Ich verstehe das nicht.
Dann habe ich weitergelesen – denn Lesen habe ichgelernt –:–ZsinbanSSdgmdsHdwwisKWmg–
ie können dem ja fachlich nichts dagegenhalten, son-ern sprechen nur von den Finanzen. Wenn ich kein Ar-ument mehr habe, dann führe ich das Totschlagargu-ent der Finanzen an.
Dazu sage ich Ihnen: Die Leute sind nicht so blöd,ass sie Ihren Gesetzentwurf in Bayern nicht durch-chauen und sehen, was dahintersteckt: Diejenigen, dieilfe bräuchten, werden nicht entlastet und diejenigen,ie dies bezahlen müssen, werden belastet. Aber unserfen Sie vor, wir würden die Kommunen belasten, ob-ohl wir 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Dast heuchlerisch.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich bin gleich am Schluss meiner Rede, danach gern.Die Menschen glauben Ihnen nicht, wenn Sie sagen:inder sind unsere Zukunft. Im Abschlussdokument deseltkindergipfels haben die Kinder gesagt: Ihr sagt im-er, wir sind eure Zukunft. Aber wir sind auch eure Ge-enwart. Schreibt euch das ins Stammbuch!Ich denke, das ist heute das Wichtigste.
Die haben wir von euch übernommen.
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Frau Kollegin, wollen Sie zum Schluss Ihre Redezeit
verlängern, indem Sie in diesem Fall eine Nachfrage zu-
lassen?
Gern.
Frau Kollegin, ich muss etwas richtig stellen; denn of-
fensichtlich haben Sie diesen Gesetzentwurf aus Bayern
nicht richtig gelesen.
Tatsache ist, dass Bayern gerade im Rahmen des von Ih-
nen zitierten Gesetzes 313 Millionen Euro zusätzlich
aufwenden will. Die dargestellte Kostenneutralität be-
zieht sich lediglich auf die Berechnung des für die neue
kindbezogene Förderung maßgebenden Basiswerts. Da-
bei geht es also um die Betriebskosten. Nur dies ist kos-
tenneutral und nicht die Auswirkungen des Gesetzes als
solche. Bayern gibt 313 Millionen Euro zusätzlich aus.
Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis!
Frau Eichhorn, diese Mehrkosten sind für die Bildung
und Fortbildung derer vorgesehen, die unterrichten und
für Bildung, Erziehung und Betreuung sorgen, nicht aber
für Betreuungsplätze und für Kommunen. Deswegen
kann man diese Summe in diesem Zusammenhang ver-
nachlässigen. Wenn Sie den Kommunen nichts geben,
dann ist Ihre „intelligente Lösung“ für uns nicht geeig-
net. Wir spielen gern mit offenen Karten, nicht mit ge-
zinkten Karten.
Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort Kollegin Maria Flachsbarth,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eines derbrennendsten Probleme unserer Zeit. Dies gilt zum einenvor dem Hintergrund, dass Gleichberechtigung nicht nurauf dem Papier stehen darf, zumal wir gerade den zehn-ten Jahrestag der Festschreibung der Gleichberechtigungals Staatsziel im Grundgesetz begehen. Nach wie vor istdie tatsächliche Beteiligung von Frauen, zudem vonFrauen mit Kindern, bei der Besetzung von Führungspo-sitionen in Politik, Wirtschaft und Forschung noch völligunzureichend. Zum anderen gibt die demographischeEntwicklung Anlass zu ernster Sorge: 52 Prozent derAsebwzbefbhPdr8deFZbsKs–fÜÜSDbragnuGbgceslzBWs
eshalb hat mich meine Fraktion gebeten, in dieser De-atte Stellung zu nehmen. Ich bitte Sie, den parlamenta-ischen Anstand aufzubringen, anzuhören, was ich Ihnenus Sicht einer Frau sage, die weiß, was sie dazu zu sa-en hat.
Die von mir eben genannte Studie zeigte im Einzel-en, dass nur für 14 Prozent der kinderlosen Frauen dienzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten derrund sind, auf eigene Kinder zu verzichten. Zudem ga-en 61 Prozent der Eltern an, dass sie das derzeitige An-ebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten für ausrei-hend hielten.Was sind nun laut Allensbach-Studie die Gründe fürine Kinderlosigkeit? Die Mehrheit gab an, dass manich für Kinder zu jung fühle, dass Kinder mit den beruf-ichen Plänen unvereinbar seien und dass Kinder einfachu teuer seien. Erlauben Sie mir dazu eine persönlicheemerkung:
ir brauchen neben vielen sinnvollen Lenkungsver-uchen durch die Politik auch in unserer Gesellschaft
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Dr. Maria Flachsbarthwieder eine neue Einstellung zum Kind. Kinder sindnicht nur künftige Beitragszahler in die sozialen Siche-rungssysteme. Ich kenne keinen Vater und keine Mutter,die sich aus diesem Grunde zu ihrem Kind entschlossenhätten. Kinder und Jugendliche sind – weit über diemateriellen Aspekte hinaus – unsere Zukunft.
Kinder geben dem eigenen Leben eine neue Perspektive,Kinder öffnen die Augen für Fragen, die eigentlichschon längst beantwortet waren, und Kinder stecken mitihrem Wissensdurst und ihrer Lust auf Zukunft an. Ge-nau dies brauchen wir in unserer Gesellschaft.
Die Diskussion über den Geburtenrückgang darf da-her, wie die Studie zeigt, nicht nur auf das Thema Kin-derbetreuung verengt werden. Vielmehr geht es auch umeine wirtschaftliche Besserstellung von Familien imRahmen des Familienlastenausgleichs. Daher sieht dievon uns vorgeschlagene Steuerreform die Einführung ei-nes Grundfreibetrags von 8 000 Euro pro Person – alsoauch für jedes Kind – vor.
Es geht ferner um die Erleichterung des Wiederein-stiegs von Männern und Frauen in den Beruf durch bes-sere Teilzeitangebote, flexible Arbeitszeiten oder be-triebsspezifische Weiterbildungsangebote. Dazu habenwir einen Antrag vorgelegt.Kernstück unserer Familienpolitik ist die Wahlfreiheitder Eltern. Wir müssen aufhören, den Eltern vorschrei-ben zu wollen, wie sie ihr Familienleben zu gestalten ha-ben.
Weder die Vollzeitarbeit von Berufstätigen noch die sichganz ihrer Familie widmenden Mütter und Väter solltenzum Idealbild erhoben werden. Wir sollten aufhören, dieLebensentscheidung von Eltern mit Ausdrücken wie„Rabenmutter“ oder „Nur-Hausfrau“ oder „Hausmann“zu diskreditieren.Aufgabe des Staates ist es, den Eltern möglichst vieleHandlungsoptionen für ihre Lebensgestaltung und fürdie Erziehung ihrer Kinder zu eröffnen. Dabei steht esfür uns außer Zweifel, dass Eltern die Erst- und Haupt-verantwortung für die Erziehung, Betreuung und Bil-dung ihrer Kinder haben.
Wir wollen keine „Lufthoheit des Staates über den Kin-derbetten“, sondern wir sehen den Staat in der Pflicht,Eltern zu beraten und bedarfsgerechte und bezahlbareAngebote in der Kinderbetreuung zu bieten.Die Kinderbetreuung darf nicht eine bloße Verwah-rung von Kindern sein. Zahlreiche Studien wie TIMSS,PISA und IGLU sowie neue Erkenntnisse der Erzie-hpuAsEfUbtbBdrüDfadkktknBptengzd2dsbdcz–mBSArara
as Land fördert mit fast 8 Millionen Euro die Sprach-örderung in Kindertagesstätten mit hohem Migranten-nteil.Besonders geeignet für die Betreuung von Kleinkin-ern ist nach unserer Auffassung die Tagespflege. Sieommt der familiären Betreuung am nächsten. Es gibtonstante Betreuungspersonen und individuelle Gestal-ungsmöglichkeiten für die Eltern. Wir haben unsereonkreten Vorstellungen dazu ebenfalls in einem eige-en Antrag vorgelegt. Bayern hat als unionsgeführtesundesland ein Modellprojekt mit Tagespflegestütz-unkten aufgelegt.Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-ion, wir sind inhaltlich eigentlich gar nicht so weit aus-inander, sondern eher nahe beisammen, aber wir kön-en Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil wir aufar keinen Fall die völlig unseriöse Finanzierung ak-eptieren können. Das ist bereits mehrfach gesagt wor-en. Sie versprechen eine Entlastung in Höhe von,5 Milliarden Euro, davon sollen 1,5 Milliarden Euro inen Ausbau der Kinderbetreuung fließen. Nach überein-timmenden Schätzungen der kommunalen Spitzenver-ände und der Konferenz der Landesjugendminister istie Summe von 1,5 Milliarden Euro völlig unzurei-hend. Das hat auch die Anhörung im Ausschuss ge-eigt.
Ich kann aber lesen. – Die Revisionsklausel, die Sieehrfach genannt haben, gilt ausdrücklich nicht für denereich Kinderbetreuung. Selbst das SPD-regiertechleswig-Holstein hat gemeinsam mit NRW in seinemntrag im Bundesrat die fehlende verlässliche Finanzie-ung kritisiert und betont, dass Länder und Kommunenngesichts der angespannten Haushaltslage keine weite-en Mehrbelastungen verkraften könnten.
Was wir unseren Kindern nun wirklich nicht weiterntun dürfen, sind noch größere Schuldenberge für die
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Dr. Maria FlachsbarthSteuerzahler von morgen. Ein solches Vorgehen ist über-haupt nicht nachhaltig, es ist in keinem Fall generatio-nengerecht.
Wenn Sie schon unseren Warnungen keinen Glaubenschenken, dann setzen Sie sich doch mit den Bedenkender SPD-geführten Bundesländer auseinander, damitKinderbetreuung nicht ausschließlich eine Sache fürReiche wird. So ist es beispielsweise in Berlin, wo einKita-Platz schon bis zu 460 Euro kostet und die Gefahrbesteht, dass Eltern aus Kostengründen ihre Kinder ausder Betreuung abmelden.
Damit allerdings stünde die Regierung vor einem wirkli-chen Fiasko. Ein solches Verfahren auf dem Rücken derFamilien auszutragen ist schlechterdings ein Skandal.Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf keineseriöse Basis für eine Verbesserung der Kinderbetreuungin Deutschland dar. Die Chance hierfür wurde vertan.Wir können dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmenund werden uns aufgrund der Vielzahl gemeinsamerZiele und respektabler Handlungsansätze – wenn manvon der Finanzierung absieht – bei der Abstimmung ent-halten.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Christel Humme,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Kolle-ginnen! Wer die heutige Debatte verfolgt hat, muss ei-gentlich ratlos sein und feststellen, dass Sie, meine Da-men und Herren von der Opposition, auf keinen Fall inder Lage sind, die Zukunftsaufgaben unseres Landes zulösen.
Sie sind offensichtlich nicht regierungsfähig; denn klarFarbe zu bekennen ist nicht Ihre Stärke. Bei Hartz IV ha-ben Sie sich in die Büsche geschlagen und jetzt, beimAusbau der Tagesbetreuung, schlagen Sie sich ebenfallsin die Büsche. Bei der Gesundheitsreform schlagen Siesich die Köpfe ein. Ich denke, das ist keine zukunftswei-sende Politik.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir handeln undgeben die richtigen Antworten für mehr Bildung und Be-treuung von Anfang an – das haben wir heute gehört –,für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für denWirtschaftsstandort Deutschland. Herr Götz, das alles istsolide finanziert. Ich freue mich auf das Ende des Mo-nats. Dann nämlich wird eine Studie des Deutschen In-stituts für Wirtschaftsforschung – sicherlich nicht SPD-niKvtstArbIfIFsfdnddIInSvwKsuwldbhBdtVs
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der Opposi-ion, an anderer Stelle engagieren Sie sich zum Beispieltark für einen flexiblen Ladenschluss. Ihre Devise lau-et: Einkaufen am besten rund um die Uhr.
ber was sagen Sie den Frauen und Männern, die wäh-end ihrer Arbeitszeit verlässliche Kinderbetreuungrauchen?
st etwa die von der baden-württembergischen CDU-ge-ührten Landesregierung in Auftrag gegebene Umfragehre Antwort darauf? Frau Eichhorn und auch Fraulachsbarth, Sie haben diese Studie zitiert. Dort wirduggeriert, Eltern bräuchten persönliche, berufliche undinanzielle Sicherheit, um sich für ein Kind zu entschei-en. Betreuung spielt dort kaum eine Rolle. Ich sage Ih-en: Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Erst wennie Betreuung gesichert ist, bedeutet das berufliche undaraus folgend finanzielle Sicherheit für die Familien.
ch glaube, dass Sie eine solche Umfrage benutzen, umhr eigentliches Ziel, nämlich die Betreuungsangeboteicht auszubauen, zu verstecken.
Was eindeutig fehlt – das haben wir heute von alleneiten gehört –, sind familienfreundliche Strukturenor Ort. Da könnten wir in der Tat, Herr Götz, schon vieleiter sein; denn das KJHG schreibt seit 1991 vor, dassommunen zum bedarfsgerechten Ausbau verpflichtetind. In Westdeutschland hat sich da – das wissen wirnd das haben wir heute Morgen gehört – leider viel zuenig getan. Im Interesse der Kinder und jungen Fami-ien müssen wir und werden wir daher handeln. Das ister eigentliche Grund, warum wir das TAG geteilt ha-en. Der Beratungsbedarf, den wir bei der Jugendhilfeaben, darf nicht zu einer Verzögerung des Ausbaus desetreuungsangebotes führen. Ich habe kein Verständnisafür, meine Kollegen und Kolleginnen von der Opposi-ion, wenn Sie das als ein unseriöses parlamentarischeserfahren bezeichnen. Wir haben das Bundesverfas-ungsgericht voll auf unserer Seite;
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Christel Hummedenn im Falle des Lebenspartnerschaftsgesetzes hat dasBundesverfassungsgericht die Trennung ausdrücklichbegrüßt und festgestellt – hören Sie an dieser Stelle ge-nau zu –: Der Bundesgesetzgeber soll Gesetze trennen,wenn er Regelungen in eigener Zuständigkeit umsetzenkann und ansonsten befürchten muss, dass aufgrund ei-ner Blockade im Bundesrat nichts passiert. Ich denke,wir haben hier die richtige Entscheidung getroffen.
Sie haben bisher nur Widersprüchliches von sich ge-geben. Herr Kauder sagt: ablehnen.
Frau Böhmer sagt: Enthaltung, aber eigentlich doch Zu-stimmung.
Glauben Sie denn wirklich, meine Kollegen und Kolle-ginnen von der Opposition, dass Ihre Politik von denjungen Menschen noch verstanden wird? – Mit Sicher-heit nicht. Die jungen Männer und Frauen wollen Lösun-gen sehen und wissen, dass sie von Ihnen, der CDU/CSU, nichts erhalten. Im Gegenteil. Von Ihnen, FrauEichhorn, hören wir wirre Vorwürfe, von Ihnen, FrauFlachsbarth, „Nacht-und-Nebel-Aktion“, von Ihnen,Herr Götz, „unseriöse Trickserei“. Wiederholt unterstel-len Sie unseriöse Kostenrechnung.
Gebetsmühlenartig kritisieren Sie die Finanzierung, ob-wohl Sie es besser wissen müssten.Ich sage Ihnen: Der Ausbau der Betreuungsangebotekann nicht länger warten. Tragen Sie, meine Damen undHerren von der Opposition, unser Projekt mit und schla-gen Sie sich an dieser Stelle nicht wieder in die Büsche!Schönen Dank.
Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.Frau Ministerin Schmidt möchte die Länder undKommunen im Westen der Bundesrepublik dazu bewe-gen, mehr Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren an-zubieten. Das ist gut und richtig. Denn alle, wirklich alleBundesregierungen haben die Kinderbetreuung in denletzten 55 Jahren sträflich vernachlässigt. Ein Frauen-bild, das von den drei K – Kirche, Küche, Kinder – ge-prägt war, trug zu dieser Situation bei.Seit 1990 steht die Bundesrepublik etwas besser da,da es im Osten eine sehr gute Ausstattung mit Krippen-ubkJteievKSsdgdzdlnDltsgsSZdlepsSimldEsGbpffZktgF
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Dr. Gesine Lötzsch– Bleiben Sie doch ruhig und warten Sie auf das Endemeiner Rede, Herr Schmidt.
Wenn wir als PDS Vorschläge machen, zum Beispieldie Friedensdividende für die Bildung zu nutzen, dannerklären Sie uns gerne und oft, dass solche Verknüpfun-gen haushaltstechnisch nicht möglich seien und dass un-ser Vorschlag ohnehin populistisch sei. Ich würde vor-schlagen, meine Damen und Herren von Rot-Grün:Messen wir mit gleicher Elle. Unterstützen Sie unserenVorschlag, das Geld, das zum Beispiel für die nicht flug-tauglichen Eurofighter bereitgestellt wird, lieber in dieBildung unserer Kinder zu stecken. Die Eurofighter sindbekanntlich nicht einsatztauglich. Sie sind vielleicht ge-rade noch gut genug, um terroristische Schläfer aus demSchlaf zu schrecken. Dafür sind diese Geräte allerdingswirklich zu teuer.
Das Geld wäre, wenn wir es in Bildung investierten, we-sentlich besser angelegt.Meine Damen und Herren, trotz unserer Kritik wer-den wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nichtverweigern und Ja sagen. Diese Zustimmung verbindeich allerdings mit der Hoffnung, dass die Regierungs-fraktionen bald unsere Konversions- bzw. Abrüstungs-vorschläge aufgreifen werden.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Wenn man als Letzte in einer so enorm langenListe von Rednern das Wort bekommt, hat man einenVorteil: Man hat alle Reden gehört. Ich hätte mich ge-freut, jetzt sagen zu können: Es ist alles gesagt worden.
– Dumme Zwischenrufe kommen von Ihnen immer,Herr Kollege Dreßen; das weiß ich, damit kann ich le-ben. Wenn wir in Ihren Redebeiträgen wenigstens hörenwürden, welche Antworten Sie geben, wenn es um dienotwendigen Bedürfnisse, die Familien heute haben, dieFrauen heute haben, geht, dann würde ich es noch ver-stehen. Aber wir haben keine Antworten gehört.
Sie haben leider – das macht mich betroffen – in allenIhren Redebeiträgen nur versucht, schwarz-weiß zu ma-len. Frau Humme, wie oft haben allein Sie gesagt, wirhpk–sedfDbfShdGKwsPuthvsg–ataldwvsATfuscs
Geht doch nicht: Ich kann doch nur einmal hinein-pringen, ohne wieder herauszukommen. Sie versuchenine Aufteilung in Gut und Böse: Die einen sind für Kin-erbetreuung, die anderen sind dagegen. Das ist absolutalsch.
ie familien- und kinderfreundlichen Entscheidungenisher sind unter der CDU/CSU/FDP-Regierung einge-ührt worden. Das können Sie drehen und wenden, wieie wollen; Sie können es abstreiten, aber es ist so. Wiraben diese Politik nicht kontinuierlich fortgeschrieben,a gebe ich Ihnen Recht. Aber die gute gesetzlicherundlage etwa für den Rechtsanspruch auf einenindergartenplatz geht auf uns zurück, nicht auf Sie.
Frau Ministerin, ich hätte mich gefreut, wenn wir unsirklich einmal in der Sache auseinander gesetzt und ge-chaut hätten, wo wir zusammenkommen, wo wir denroblemen der Frauen und der Familien gerecht werdennd uns zusammenfinden können; denn das wäre wich-ig gewesen. Die Leute draußen, die Zuschauer und Zu-örer in diesem Raum wollen nicht hören, was Sie unsorwerfen und was wir Ihnen vorwerfen. Sie wollen wis-en, welche Vorteile ihnen das bringt, die wollen Lösun-en sehen.
Dann gehe ich jetzt im Folgenden einmal auf eine Ihrerngeblichen Lösungen ein.Sie sagen: Wir streben – das ist heute mein Haupt-hema – einen Ausbau der Tagesbetreuung für Kindern. Frau Humme, ich weiß nicht, wie Sie durchs Lebenaufen, durch Ihren Wahlkreis, aber wie stellen Sie sichenn die Realisierung des Ausbaus und die Weiterent-icklung der Tagespflege ohne finanzielle Grundlagenor?
Mein Wahlkreis liegt in einer Kommune, in der manchon ziemlich weit ist, aber trotzdem brauchen wir zurkquirierung, zur Begleitung und zur Ausbildung deragesmütter und zur Weiterentwicklung der Tagespflegeinanzielle Grundlagen. Die sind nötig. Deswegen ist esnseriös, so zu tun, als würden wir nur auf die Finanzenchauen. Es ist unseriös, den Leuten etwas zu verspre-hen, was gar nicht finanziert ist; das muss man ehrlichagen können.
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Ingrid FischbachEs besteht doch allseits Konsens darüber, dass diefrühkindliche Förderung wichtig ist; darüber sind wiruns einig. Wir wissen auch, dass wir mehr Betreuungs-angebote brauchen; darüber sind wir uns ebenfalls einig.Denn es nützt nichts, den Eltern ein paar Mark mehr zugeben, wenn entsprechende Angebote nicht vorhandensind. Genauso nützt es nichts, Frau Ministerin, zu sagen,man wolle jetzt Infrastrukturangebote schaffen, wennman diese nicht bezahlen kann; das ist genauso unseriös.
Deswegen gehört beides zusammen: die Finanzen unddie Angebote. Das müssen wir hier ganz deutlich artiku-lieren.
Wenn wir den Schwerpunkt auf Tagesmütter setzen,darf ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: Tages-mütter sind nicht zum Nulltarif zu haben. Tagesmütterleisten eine ganz wichtige Aufgabe im Rahmen der Be-treuung, Erziehung und Bildung von Kindern. Diese dreiDinge gehören zusammen. Es geht nicht um das reineVerwahren, es geht darum, Kinder zu bilden, sie zu er-ziehen, sie sich zu gemeinschaftsfähigen Persönlichkei-ten entwickeln zu lassen.Da klaffen in Ihrem Gesetz, Frau Ministerin, An-spruch und Wirklichkeit leider auseinander.
Sie wollen mit Ihrem Gesetz die Ausbildung von Tages-müttern fördern. Dafür bedarf es aber natürlich entspre-chender Angebote. Das heißt, das, was Sie zu den Tages-einrichtungen schreiben, § 22 a – „Die Träger deröffentlichen Jugendhilfe sollen die Qualität der Förde-rung in ihren Einrichtungen durch geeignete Maßnah-men sicherstellen und weiterentwickeln“ –, müsste auchfür die Kindertagespflege, § 23, gelten. Hier sagen Sieüber die Tagespflegepersonen aber nur – ich zitiere jetztIhren Gesetzentwurf –:Sie sollen über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich derAnforderungen der Kindertagespflege verfügen, diesie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder inanderer Weise nachgewiesen haben.Was heißt denn „vertiefte Kenntnisse“? Das kann al-les und nichts heißen. Wenn man die Ausbildung wirk-lich verbessern will, dann braucht man Standards, dannmuss man über Qualität, Angebote und Geeignetheit re-den.
Die Tagespflege kann nur dann gleichwertig sein,wenn dort auch Standards ähnlich denen der öffentli-chen Einrichtungen eingeführt werden. Die Tagespflegeist – ich sage es zum zweiten Mal – keine Billigversiondes Kinderbetreuungsangebots.
––ndnrciWdemguuDIOdsrKnwswgtbleigwWb–dbmEudNd
Sie werden doch gar nicht konkret. „Vertiefte Kennt-isse“ – das kann alles und nichts heißen. Werden Sieoch konkret!Ich gehe auf den nächsten Punkt ein, bei dem Sieicht konkret werden, nämlich auf die Sozialversiche-ungs- und Steuerpflicht. Sie kennen die unterschiedli-he Behandlung der Tagesmütter, die davon abhängigst, ob sie im öffentlichen Auftrag oder privat arbeiten.o ist denn hier Ihr Angebot? Wo gehen Sie denn aufie Bedürfnisse der arbeitenden Tagesmütter vor Ortin? Dies wird unterschiedlich gehandhabt. Die Tages-ütter sind nicht alle sozialversicherungspflichtig.Sie können doch nicht von einem gleichwertigen An-ebot sprechen und gleichzeitig sagen: Das interessiertns nicht, das sollen die klären, die es tun, das ist nichtnsere Aufgabe. – Hier muss Tacheles geredet werden.as Problem muss gelöst werden. Hier erwarte ich vonhnen detaillierte Lösungen für die Probleme, die es vorrt gibt.
Frau Ministerin, es reicht nicht, dass Sie sagen, beier Unfallversicherung werde ein bestimmter Betrag er-tattet. Sie wissen doch, dass man heute mit einem Jah-esbeitrag von 75 Euro dabei ist. Die Übernahme dieserosten nützt wenig.Wenn wir wollen, dass Frauen die Tagespflege nichtur in Anspruch nehmen, um die Familie und ihre Er-erbsarbeit besser vereinbaren zu können, sondern dassie dies auch als Berufsangebot ansehen, dann müssenir natürlich auch dafür sorgen, dass ihre Altersversor-ung gesichert wird. Hier müssen wir wirklich Antwor-en auf die Fragen vor Ort finden.Sie haben davon gesprochen, dass von den Vorsorge-eiträgen für die Rente, die die Tagesmütter privat zah-en, die Hälfte erstattet wird. Das ist ein richtiger Schritt,r reicht aber nicht aus. In den Ausschusssitzungen hättech mir eine intensive Diskussion über diese Sachfragenewünscht. Stattdessen wurde nur gesagt, dass die einenas wollen und die anderen nicht. Es ist ganz wichtig:ir beide wollen qualifizierte und ergänzende Ange-ote.
Frau Humme, ich gehe jetzt auf Ihren Zuruf, dass wiroch zustimmen sollen, ein. Vielleicht unterscheiden wireide uns in der Auffassung darüber, wie wir hier Politikachen und mit welcher Verantwortung wir politischentscheidungen nach außen hin zu vertreten haben. Ichnterschreibe keine Gesetzesvorlage, von der ich weiß,ass deren Umsetzung schon jetzt gefährdet ist.Frau Humme, lassen Sie uns jetzt doch einmal überordrhein-Westfalen reden. Sie haben im Ausschussoch selbst schon vor Wochen mitbekommen, dass unser
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Ingrid Fischbachbeider Bundesland bezüglich der Herunterbrechung derFinanzen, das heißt bei der Weitergabe des Geldes an dieKommunen, im Moment ganz anders argumentiert alsfrüher. Nur dadurch, dass wir beide wach waren und unsin die Gespräche eingemischt haben – ich habe gehört,dass Sie das genauso wie ich getan haben –, überlegendie Länder, wie sie das Geld an die Kommunen weiter-geben.Ich kann dem Kollegen Götz wirklich nur Recht ge-ben: Es kann nicht sein, dass wir Gesetze verabschiedenund den Kommunen sagen, dass sie zusehen sollen, wiesie umgesetzt werden. Das geht nicht. Sie wissen, dassdas eine Totgeburt ist. Frau Ministerin, Sie wollen dasnicht und die CDU/CSU-Fraktion will das auch nicht.Wir wollen Lösungen und Angebote für die Menschen.Diese müssen seriös finanziert sein. Das sind sie nicht.Deswegen können und werden wir nicht zustimmen.
Frau Lenke hat es Ihnen bei dem qualifizierten Antragder FDP zur Tagespflege angeboten und wir bieten es Ih-nen auch an: Sie dürfen ruhig aus unseren Vorlagen ab-kupfern. Schreiben Sie ab, übernehmen Sie unsere Vor-schläge! Sie tun Ihnen gut. Wir werden keinePlagiatsklage einreichen. Wir würden uns freuen undwären zufrieden, wenn Sie das anwenden würden; dennbereits Neil Postman sagte:Kinder sind die lebenden Botschaften, die wir einerZeit übermitteln, an der wir selbst nicht mehr teil-haben werden.Lassen Sie uns die bestmöglichen Botschaften über-mitteln! Tun Sie es für uns, unsere Kinder und die Zu-kunft unserer Kinder! Dann haben Sie uns im Boot.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Tagesbetreu-ungsausbaugesetzes, Drucksachen 15/3676 und 15/3986.Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendempfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 15/4045, den Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung mit der neuen Überschrift „Entwurf einesGesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechtenAusbau der Tagesbetreuung für Kinder“ anzunehmen.Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – DerGesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der beiden fraktionslosenAbgeordneten bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktionund der FDP-Fraktion angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istmit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.sDßsdCllJBgesdldaudDushmCanskbBeSvmsrAfSsaBEWsenFd
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-chließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU aufrucksache 15/4063. Wer stimmt für diesen Entschlie-ungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmener Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/SU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion abge-ehnt.Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfeh-ung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen undugend auf Drucksache 15/4045 fort. Unter Nr. 2 seinereschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss den übri-en, heute nicht abgestimmten Teil des Gesetzentwurfsiner späteren Beschlussfassung vorzubehalten. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-ung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegenie Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktionngenommen.Tagesordnungspunkt 3 b: Der Ausschuss empfiehltnter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnunges Antrags der Fraktion der CDU/CSU aufrucksache 15/3488 mit dem Titel „Elternhaus, Bildungnd Betreuung verzahnen“. Wer stimmt für diese Be-chlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-ält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-en der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen derDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktionngenommen.Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ableh-ung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck-ache 15/3512 mit dem Titel „Solides Finanzierungs-onzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsange-oten für unter Dreijährige“. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wernthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit dentimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmenon CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion angenom-en.Tagesordnungspunkt 3 c: Wir kommen nun zur Be-chlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-en, Frauen und Jugend auf Drucksache 15/3036. Derusschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-ehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen derPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-ache 15/2580 mit dem Titel „Ausbau von Förderungs-ngeboten für Kinder in vielfältigen Formen als zentralereitrag öffentlicher Mitverantwortung für die Bildung,rziehung und Betreuung von Kindern“.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wertimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-mpfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-en gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und derDP-Fraktion angenommen.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnunges Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms15/2651 mit dem Titel „Ausbau und Förderung der Ta-gespflege als Form der Kinderbetreuung in der Bundes-republik Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend unter Nr. 3 seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/3036 die Ablehnung desAntrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1590mit dem Titel „Tagespflege als Baustein zum bedarfsge-rechten Kinderbetreuungsangebot – Bessere Rahmenbe-dingungen für Tagesmütter und -väter, Eltern und Kin-der“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-nen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltungder CDU/CSU-Fraktion angenommen.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Be-schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-tion der FDP auf Drucksache 15/2697 mit dem Titel„Faire Chancen für jedes Kind – Für eine bessere Bil-dung, Erziehung und Betreuung von Anfang an“. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Tagesordnungspunkt 3 d: Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend auf Drucksache 15/3035 zu demAntrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel„Frauen und Männer beim Wiedereinstieg in den Beruffördern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag aufDrucksache 15/1983 abzulehnen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmender CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion ange-nommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowieZusatzpunkt 6 auf:4 a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Wolfgang Schäuble, Dr. Friedbert Pflüger,Peter Hintze, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSUFür ein glaubwürdiges Angebot der EU an dieTürkei– Drucksache 15/3949 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZdnnCsloEbd2pdavrtAswZEhdedrEswng
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENDie Türkeipolitik der EU verlässlich fortfüh-ren und den Weg für Beitrittsverhandlungenmit der Türkei frei machen– Drucksache 15/4031 –P 6 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle,Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPZu der Empfehlung der EU-Kommission überBeitrittsverhandlungen der EuropäischenUnion mit der Türkei– Drucksache 15/4064 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-en Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-er dem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble von der CDU/SU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen-tand unserer heutigen Debatte ist in erster Linie eigent-ich nicht die Türkei, sondern die Europäische Unionder genauer die Vorstellung, die wir mit der politischeninigung Europas verbinden. Die europäische Einigungefindet sich in einer schwierigen Phase. Das Ringen umie institutionelle Vertiefung, die Erweiterung auf5 Mitgliedstaaten, der Bruch des beim Start der euro-äischen Währung gegebenen Stabilitätsversprechens,ie tief greifenden Meinungsunterschiede in zentralenußen- und sicherheitspolitischen Fragen – dies alles undieles mehr hat die Einstellung weiter Teile der Bevölke-ung in den meisten Mitgliedstaaten zur europäischen In-egration nicht eben gestärkt. Ich fürchte, dass auch dieuseinandersetzungen um die Bestätigung der Kommis-ion im Europäischen Parlament in diesen Tagen daranohl nichts verbessern werden.Das europäische Einigungswerk bleibt aber auf dieustimmung der Bevölkerung angewiesen. Wenn dieuropäische Union eine handlungsfähige politische Ein-eit werden soll, dann geht das nicht ohne das Vertrauener Menschen. Sie müssen sich dieser neuen, allmählichntstehenden Einheit anvertrauen. Das setzt ein Gefühler Zusammengehörigkeit und der Zugehörigkeit zu Eu-opa voraus, eine europäische Identität.
uropäische Identität entsteht aus Gemeinsamkeit in Ge-chichte und Kultur wie auch aus gemeinsamer Verant-ortung in einer Welt der Globalisierung. Wer das ver-achlässigt, der gefährdet die Vision eines politischeeinten und handlungsfähigen Europas.
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Dr. Wolfgang SchäubleDer Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche inDeutschland, Bischof Huber, hat vor kurzem darauf hin-gewiesen, dass ein Europa, bei dem die Erweiterung soeindeutig den Vorrang vor der Vertiefung bekomme undbei dem die Frage nach dem Verhältnis von kulturellenOrientierungen zu politischen Mechanismen nicht mehrgestellt werde, die Menschen nicht erreichen könne.Die Türkei ist seit langem verlässlicher Partner desWestens und sie ist mit Europa eng verbunden. Die Mit-bürger türkischer Abstammung in unserem Land sind zueinem großen Teil gut integriert und sie bereichern unsvielfältig. Die Türkei hat große Fortschritte in wirt-schaftlicher und politischer Hinsicht, als demokratischerRechtsstaat und in der Wahrung der Menschenrechte ge-macht. Auch wenn vor allem beim Schutz der Minder-heiten noch nicht alle Probleme gelöst sind, sollten wirdie erreichten Fortschritte und die Ernsthaftigkeit derBemühungen nicht in Zweifel ziehen.Zutreffend ist auch, dass die Türkei seit den 60er-Jahren nach der Mitgliedschaft in den EuropäischenGemeinschaften strebt und dass solchen Erwartungenvonseiten Europas nicht wirklich widersprochen wurde.Es wurde aber auch immer gesagt, dass es keinen Auto-matismus gebe, dass also die endgültige Entscheidungoffen bleibe. Auch jetzt übrigens werden unterschiedli-che Botschaften ausgesandt. In die Türkei wird vermit-telt, dass beim Europäischen Rat im Dezember die end-gültige Entscheidung falle, auch wenn es bis zumVollzug noch dauern werde,
wenn man nicht schon die Empfehlung der Kommissionals die eigentliche Entscheidung ausgegeben hat. Abergenau dieser Kommissionsbericht legt dar, dass es sichgerade nicht um Beitrittsverhandlungen in der bisherigenRoutine handeln könne, dass viele Fragen offen und Pro-bleme noch nicht gelöst seien und dass das Ergebnis derVerhandlungen offen bleiben müsse.
Klaus Hänsch, Sozialdemokrat und vor wenigen Jah-ren allseits geschätzter Präsident des Europäischen Par-laments, hat Ende August in einem Vortrag in SchlossNeuhardenberg ausgeführt:Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzu-nehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäi-schen Integration zu erhalten, stellt … einen sowohlfür die Union als auch für die Beitrittskandidatenwichtigen Gesichtspunkt dar, hat der EuropäischeRat 1993 in Kopenhagen festgelegt. Dieses Krite-rium hat 1997 beim Beschluss über die Aufnahmevon Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und ost-europäischen Staaten noch eine Rolle gespielt. Ausden Beschlüssen der Regierungschefs 1999 und2002 zur Türkei ist es jedoch verschwunden. Dasist ein Fehler.
Wir sollten diesen Fehler nicht fortsetzen,nzidekvgsMdAwVsk1wWdi–kndDcGdAdarIAsüiDdvTR
Man sollte das übrigens auch in Frankreich beden-en. Die französische Bevölkerung äußert sich mit nochiel größerer Mehrheit als die deutsche gegen eine Mit-liedschaft der Türkei. In der französischen Nationalver-ammlung plädieren Regierung wie Opposition für unserodell einer privilegierten Partnerschaft. Der Präsidenter Französischen Republik hat angekündigt, dass er derufnahme von Beitrittsverhandlungen zustimmenerde, dass aber am Ende der Verhandlungen eineolksabstimmung in Frankreich über eine Mitglied-chaft der Türkei entscheiden werde. Ob es für die Tür-ei wirklich besser sein wird, wenn nach weiteren zehn,5 Jahren ein Verhandlungsergebnis plötzlich abgelehntürde?
äre dann nicht die Gefahr eines Bruchs viel größer,en zu vermeiden im Interesse der Türkei genauso wiem Interesse Europas liegt?
Frau Kollegin Sager, ich finde, wir schulden der Tür-ei Offenheit. Dies heißt, dass wir unsere Überzeugungicht verschweigen, dass eine privilegierte Partnerschaftie richtige Lösung ist.
enn eine solche Partnerschaft gefährdet nicht die Chan-en einer politischen Einheit durch Überdehnung derrenzen und ermöglicht zugleich eine enge Verbindunger Türkei mit Europa. Das ist unsere Überzeugung.uch darüber muss verhandelt werden, nicht nur überen Wunsch der Türkei nach voller Mitgliedschaft.Natürlich gehört die Türkei zu einem Teil zu Europa,ber zu einem weitaus größeren Teil eindeutig nicht. Eu-opa reicht nicht bis an die Grenzen des Irans oder desraks. Keiner von uns würde sich dort in Europa fühlen.uch die Menschen in diesem Teil der Türkei glaubenelbst nicht, dass sie in Europa sind. Russland gehörtbrigens zu einem größeren Teil zu Europa und gewissn einem größeren Maße zur europäischen Geschichte.ennoch ist wohl eine Europäische Union, die bis Wla-iwostok reicht, als gelingende politische Einheit nichtorstellbar. Ich denke, die Antwort, die wir heute für dieürkei finden, muss auch halten, wenn eines Tagesussland einen entsprechenden Wunsch äußern sollte.
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Dr. Wolfgang SchäubleDeshalb müssen wir für Staaten, die nur teilweise zu Eu-ropa gehören und teilweise eben nicht, andere Lösungeneiner institutionellen Verbindung mit Europa finden alsdie volle Mitgliedschaft.Das so oft angeführte Argument der Brücke, die dieTürkei zwischen Europa und der islamischen Welt bil-den soll, spricht ebenfalls für eine privilegierte Partner-schaft. Eine Brücke gehört eben nicht nur zu einem Ufer.Wer auf die Wirkung der Türkei in der islamischen Weltals Vorbild auf dem Weg zu Demokratie, Rechtsstaat-lichkeit, zur Achtung der Menschenrechte, zum Aufbauvon Zivilgesellschaften und dergleichen mehr setzenmöchte, sollte einmal darüber überlegen, ob durch eineMitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Unioneine solche Wirkung in der islamischen Welt nichteher geschwächt als gefördert wird; denn wenn die Tür-kei Teil Europas ist, wird sie in der islamischen Welt we-niger als Vorbild angesehen werden, als wenn sie esnicht ist.
Im Übrigen muss man bei diesem Argument zwi-schendurch daran erinnern, dass die Türkei dies alles– Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung von Men-schenrechten, Aufbau von Zivilgesellschaften – imwohlverstandenen Eigeninteresse leistet und eben nichtnur, um sich die Mitgliedschaft in der EuropäischenUnion zu verdienen. Das gilt genauso für alle anderenStaaten, auch in der islamischen Welt: Demokratie,Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Aufbau von Zivil-gesellschaften sind aus Eigeninteresse richtig und nichtnur, um dadurch Mitglied in der Europäischen Unionwerden zu können.Übrigens, wenn auch die anderen Staaten der islami-schen Welt dem Vorbild der Türkei folgten, könnten siedeswegen wohl nicht Mitglied der Europäischen Unionwerden. Die Argumente sollten also ein bisschen ge-nauer auf ihren logischen Gehalt überprüft werden.
Nun wird gesagt, in Zeiten der Bedrohung durch deninternationalen Terrorismus könne die EuropäischeUnion aus strategischen Gründen gar nicht groß genugsein. Der Außenminister hat von seiner europapoliti-schen Rede an der Humboldt-Universität sogar aus-drücklich Abstand genommen. Damals, als Herr Fischerdiese Rede hielt, war er noch eher gegen eine Mitglied-schaft der Türkei. Das war übrigens ausdrücklich auchHerr Verheugen noch im November 2002. Wie unsicherunser Außenminister in Wahrheit noch immer ist, hat erin einem Gespräch, das in der „Frankfurter AllgemeinenZeitung“ vom 7. September 2004 wiedergegeben wurde,verraten. Ich zitiere:Er– Fischer –beteuerte ein weiteres Mal, die Entscheidung überdie Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sei nichtgleichbedeutend mit der Entscheidung über denBeitritt selbst.–GdHmWadNlÜDEdmdvmagddwB––gV
Dialog der Kulturen und Religionen, Partnerschaftit den verantwortlichen Kräften in der islamischenelt, Stärkung multilateraler Entscheidungsstrukturen,ll das ist richtig und wichtig; aber es kann doch nichtie Einverleibung in Europa zur Voraussetzung haben.ein, von strategischer Bedeutung in Europa ist das Ge-ingen der politischen Einigung. Sie wird durch eineberdehnung der Grenzen eher gefährdet als gefördert.ie Entwicklung einer einigen und handlungsfähigenuropäischen Union ist für uns Europäer unser entschei-ender Beitrag zu mehr Stabilität, mehr Frieden undehr Entwicklung in dieser enger zusammenwachsen-en und vernetzten Welt. Daran hat die Türkei ein wohl-erstandenes Eigeninteresse. Besser ist, wenn die Türkeiit einem politisch geeinten Europa eng verbunden ist,ls dass sie Mitglied in einer politisch handlungsunfähi-en Europäischen Union ist.Ich zitiere noch einmal Klaus Hänsch:Wenn die Mitgliedschaft der Türkei mit der Erosionder Union bezahlt würde, wäre das ein zu hoherPreis – übrigens nicht nur für die Union, sondernauch für die Türkei – und der darf nicht gezahltwerden.
„Abschied von Europa“ hat Stefan Ulrich in der „Süd-eutschen Zeitung“ am Dienstag seinen Leitartikel zuiesem Thema überschrieben. Die Europäische Unionächst in der Fläche und schrumpft in der Tiefe. Egonahr schrieb vor kurzem im „Spiegel“:Bayern Ministerpräsident Edmund Stoiber hatRecht, wenn er erklärt: Nimmt man die Türkei auf,dann ist das das Ende der Vision von der politischenUnion Europas.
Das hat Egon Bahr geschrieben.
Ja, gut, ist ja in Ordnung. Frau Kollegin Roth, ichlaube, Sie machen einen schweren Fehler, wenn Sieertiefung gegen Erweiterung austauschen.
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Dr. Wolfgang Schäuble
Eine handlungsunfähige Europäische Union dient derTürkei nicht, dient Europa nicht und dient der Stabilitätin der globalisierten Welt nicht. Deswegen ist das derfalsche Weg.
Aus all diesen Gründen stellen wir, die CDU/CSU-Fraktion, heute erneut, wie schon am 2. Dezember 2002vor dem Kopenhagener Gipfel, den Antrag, sich bei Ver-handlungen mit der Türkei nicht auf die Frage einerVollmitgliedschaft zu beschränken, sondern auch diebessere Lösung einer privilegierten Partnerschaft einzu-beziehen. Nur ein solches Verhandlungsmandat ist wirk-lich ergebnisoffen. Ein solches Verhandlungsmandatweist die Türkei nicht ab, beschädigt die Türkei nicht,bewahrt aber Europa zugleich die Chance, sich zu einerwirklichen politischen Einheit zu entwickeln. Darumgeht es. Es geht um die Zukunftsfähigkeit Europas undes geht um die Zustimmung der Menschen zu diesem eu-ropäischen Projekt.
Das Wort hat der Kollege Gernot Erler von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Absicht desBundeskanzlers, am 17. Dezember in Brüssel für dieAufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zustimmen, und sie tut dies einmütig.
Wir wünschen uns, dass diese Verhandlungen, dielange dauern werden, erfolgreich sind. Ziel der Verhand-lungen kann nur der Beitritt der Türkei zur EU sein.Über etwas anderes, Herr Kollege Schäuble, wird am17. Dezember nicht entschieden.Eine Automatik auf dem Weg zu diesem Ziel – auchdas steht im Bericht der Kommission – kann es in der Tatnicht geben. Der Entscheidung der europäischen Staats-und Regierungschefs am 17. Dezember werden Tau-sende von Einzelentscheidungen sowohl in der Türkeials auch in der EU folgen. Jetzt wird ein langer Prozessder Abwägung und der Vorbereitung abgeschlossen, zu-gleich aber ein langer und anstrengender Prozess vonReform und Transformation eröffnet. Er birgt nicht uner-hebliche Risiken, aber auch große Chancen für die EUund für Deutschland.Wir wollen, dass der Weg für diese Beitrittsverhand-lungen frei gemacht wird, weil diese Entscheidung imInteresse Deutschlands und im Interesse der EU liegt.EbriggssuvBfEicvgevsmsAdNwmTdhndISRsrgSEbMshtü
s liegt in unserem Interesse, dass die EU glaubwürdigleibt. Es liegt in unserem Interesse, dass der Verände-ungsprozess in der Türkei unumkehrbar gemacht undm Zuge des Verhandlungsprozesses konsequent fort-esetzt wird. Es liegt in unserem Interesse, dass dieesicherte Beitrittsperspektive den wirtschaftlichen Auf-chwung dieses für Deutschland so wichtigen Wirt-chaftspartners verstetigt und beschleunigt. Es liegt innserem Interesse, dass die 4 Millionen Türken in der EU,on denen 2,5 Millionen in Deutschland leben, mit dereitrittsperspektive ihre Integrationsbemühungen vertie-en und verstärken.
s liegt in unserem Interesse – Herr Kollege Schäuble,h glaube, da haben Sie mit dieser Brücke etwas falscherstanden –, dass die Türkei als eine große islamischeprägte Gesellschaft vor aller Welt den Beweis dafürrbringt, dass Islam und westliche Werte miteinanderereinbar sind, weil dies die denkbar beste und wirk-amste Antwort auf jene blutigen Strategen des Terroris-us ist, die den Kampf der Kulturen predigen.
Ich möchte etwas zum Stichwort Glaubwürdigkeitagen. Seit 81 Jahren gibt es die moderne, von Kemaltatürk gegründete Türkei. Ich möchte schon jetzt vonieser Stelle aus der türkischen Republik zum morgigenationalfeiertag, der in Berlin bereits heute gefeiertird, im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren.
Seit 41 Jahren hat die Türkei ein Assoziationsabkom-en mit Beitrittsperspektive. Seit neun Jahren hat dieürkei eine Zollunion mit der EU. Seit fünf Jahren istie Türkei offizielle Beitrittskandidatin. Vor zwei Jahrenat der Europäische Rat klare Bedingungen für die Auf-ahme von Verhandlungen formuliert. Das hat ein-rucksvolle Reformbemühungen in Ankara ausgelöst.ch bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Schäuble, dass auchie das anerkennen. Die Türkei hat in kürzester Zeit achteformpakete auf den Weg gebracht. Sie hat die Todes-trafe abgeschafft. Sie hat Folter und andere Menschen-echtsverletzungen verboten und verfolgt Verstöße dage-en, die es nach wie vor gibt. Die Türkei hat dietaatssicherheitsgerichte abgeschafft. Die Türkei hat deninfluss des Militärs auf Politik und Gesellschaft spür-ar reduziert. Sie hat angefangen, Kurden und andereninderheiten kulturelle Rechte zu geben, und sie hat Be-chränkungen bei der Meinungs- und Versammlungsfrei-eit aufgehoben.
Natürlich kann man sagen: Das reicht alles nicht. Na-rlich kann man sagen: Da fehlt noch etwas. Natürlich
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Gernot Erlerkann man sagen: Erlass eines Gesetzes bedeutet nichtgleich Umsetzung. All das ist zulässig. So ist die Euro-päische Kommission auch an die Sache herangegangen;sie hat all das berücksichtigt und sorgfältig abgewogen.Das Ergebnis ist in dem einen entscheidenden Satz derKommissionsempfehlung festgehalten, den ich hier zi-tieren möchte. Da heißt es:In Anbetracht der allgemeinen Fortschritte im Re-formprozess und unter der Voraussetzung, dass dieTürkei die oben genannten, noch ausstehenden Ge-setze in Kraft setzt, ist die Kommission der Auffas-sung, dass die Türkei die politischen Kriterien inausreichendem Maß erfüllt, und empfiehlt die Er-öffnung von Beitrittsverhandlungen.
Wir sagen: Ja, das überzeugt uns. Das ist eine verantwor-tungsvolle und faire Empfehlung am Ende einer Vorbe-reitungszeit von 41 Jahren. Deswegen wollen und wer-den wir dieser Empfehlung folgen.Wenn die EU nach dieser endlosen Reihe des Aufzei-gens von Perspektiven, der Unterbreitung von Zusagenund des Erhebens von Forderungen und nach den ein-drucksvollen Bemühungen von türkischer Seite, diesenlangen Weg mitzugehen und alle Forderungen zu erfül-len, im letzten Moment sagen würde: „Nein, Entschuldi-gung, jetzt treffen wir eine grundsätzlich völlig andereEntscheidung“, dann stellt sich doch die Frage, werkünftig dieser EU noch trauen und vertrauen soll.
Ich denke dabei nicht nur an die Türkei, deren Empö-rung dann alle verstehen würden, sondern an alle Län-der, denen die EU in der letzten Zeit Zusagen gemachthat: an die zehn neuen Beitrittsländer, an Bulgarien undRumänien, denen schon ein Beitrittstermin genanntwurde, an Kroatien, mit dem ab 2005 verhandelt werdensoll, an die vier anderen Westbalkanstaaten, denen einePerspektive eröffnet wurde, sowie an die Ukraine und13 andere Staaten, denen mit dem neuen Nachbar-schaftskonzept auch bestimmte Zusagen gemacht, wennauch keine Beitrittsperspektiven eröffnet wurden. Weralso sollte bei so einem Nein in letzter Minute nach41 Jahren Vorbereitung der EU überhaupt noch etwasglauben? Aber genau das, einen solchen Schwenk inletzter Minute, Herr Kollege Schäuble, empfiehlt dieCDU/CSU der EU.Da gibt es ein neues Zauberwort – auch Sie haben eshier mehrfach bemüht –: privilegierte Partnerschaft.Im Antrag der CDU/CSU, der ausgerechnet den Titel„Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei“trägt, sucht man vergeblich nach einer Definition oderwenigstens einer Beschreibung von privilegierter Part-nerschaft. Soll sie das umfassen, was die Türkei mit demAssoziationsabkommen seit 41 Jahren hat? Soll sie dasumfassen, was mit der Zollunion ausgedrückt wird, diemit der Türkei seit neun Jahren besteht? Soll es das sein,was im Rahmen des neuen Nachbarschaftskonzeptes an-geboten wird? In Ihrem Antrag findet man dazu keinerleiAuskunft. Stattdessen machen Sie es sich ganz leicht. InIdDkTsgdAd1scDwk–esMgebuwEDeM
lso etwas, von dem wir nicht wissen, was es ist, sollenie europäischen Staats- und Regierungschefs am7. Dezember der Türkei empfehlen.
Meine Damen und Herren, der Volksmund hat für einolches Angebot einen trefflichen Begriff: Mogelpa-kung.
as Hantieren mit einer Mogelpackung passt zu allem,as Sie in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Tür-eifrage tun.
Am vorletzten Wochenende war dem Kollegen Gloswas manchmal passiert – wohl langweilig. Deshalb hatr eine Kugel ins Rollen gebracht: das Thema Unter-chriftenaktion gegen den Türkeibeitritt. Parteichefinerkel traute sich nicht, dieses Spiel mit dem Feuerleich zu unterbinden, und erklärte es erst einmal fürine ganz gute Idee. Dann brach quer durch die Repu-lik, auch in Ihren Reihen, ein Sturm der Entrüstung losnd nach drei Tagen war der ganze Spuk vorbei. Das istahrlich Führungsfähigkeit, auf die Deutschland unduropa warten.
as ist ein wirklich verantwortungsvoller Umgang mitiner Schicksalsfrage, wie Sie es neuerdings nennen.an kann ja mal etwas andeuten, ins Rohr schieben, um
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Gernot Erlerzu testen, wie die Reaktionen sind. Weltpolitik als Über-raschungsei, das ist Ihr Umgang mit der EuropäischenUnion.
Jetzt hat sich Herr Glos etwas Neues ausgedacht,gestern nachzulesen in der „FAZ“. Die neue Paroleheißt: Bei einem EU-Beitritt der Türkei wird Deutsch-land von Türken überschwemmt und dabei untergehen,allerdings nicht aus Versehen, sondern ganz absichts-voll, weil die Linken, die jetzt Deutschland führen, dasso wollen. Wörtlich, Herr Kollege Glos, werden Sie sozitiert – ich darf das hier vortragen; Sie werden ja gernzitiert –:Diejenigen, die derzeit Deutschland führen, habenmit Deutschland überhaupt nichts am Hut. Manmacht Deutschland für einmalige Verbrechen in derVergangenheit als Land verantwortlich. Daher rührtauch so eine Art Deutschenhaß in manchen Krei-sen, weshalb man in Teilen der Linken hofft, daß esDeutschland nicht mehr gibt.
Wenn schon keine Unterschriftenaktion, dann maltman wenigstens die Pantürkisierung ganz Europas undden Untergang Deutschlands als Folge des Selbsthassesder linken Verhandlungsbefürworter an die Wand. Dasist auch für Ihre Verhältnisse, Herr Glos, eine unglaubli-che Entgleisung, die eigentlich Klärung fordert.
Sonst müssen Sie sich nicht wundern, wenn man Siedemnächst fragt, ob mit Ihnen noch alles in Ordnung ist.Oder, Herr Glos, liegt das etwa daran, dass Sie Ihreeigene Vergangenheit aufarbeiten müssen? Manchmalhilft ja ein gutes Archiv, um etwas zu erklären. Jeden-falls haben Sie am 17. Dezember 1997, direkt nach demEuropäischen Rat von Helsinki, eine interessante Pres-seerklärung herausgegeben. Aus dieser möchte ich dreiSätze zitieren.Erster Satz:Es ist nicht nur im deutschen, sondern im europäi-schen Interesse, die Türkei an Europa zu binden.
Zweiter Satz:Es dient nicht europäischen Interessen, wenn dieTürkei auf ihrem Weg nach Europa durch Übertak-tieren vor den Kopf gestoßen wird.
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Sie waren also offenbar schon einmal weiter alseute. Sie brauchten bloß Ihren eigenen Empfehlungenu folgen. Lassen Sie das Übertaktieren mit der privile-ierten Partnerschaft, machen Sie sich Ihren eigenen Ratu Eigen, dann sind Sie unterwegs und wir können nochoffnung haben!Auf jeden Fall, meine Damen und Herren, gehen wirit den unbestreitbaren Risiken dieses Integrationspro-esses und den daraus abgeleiteten Sorgen und Beden-en vieler Menschen anders um. Wir und auch die EU-ommission nehmen sie ernst. Das ist der Grund dafür,ass die Kommission für eine neue Konzeption der Ver-andlungen eintritt, mit einer viel strengeren Über-rüfung der Reformfortschritte als bisher, mit Sonder-egelungen bis hin zu eventuellen unbefristetenchutzklauseln etwa bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit,a sogar mit der Perspektive einer Aussetzung der Ver-andlungen bei ernsthaften Rückschritten bei den Zielenemokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Men-chenrechte.Das ist die seriöse Antwort auf die Fragen besorgterenschen in unserem Land. Das sind genügend Leit-lanken, um zu verhindern, dass der Integrationsgeleit-ug vom Wege abkommt. Wir werden dafür sorgen, dassiese Empfehlungen auch Beachtung finden.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir teilen auchie Meinung der Kommission: Bei aller Schwierigkeites Weges, den wir die nächsten anderthalb Jahrzehnteemeinsam mit der Türkei gehen werden – die Chancennd Vorteile für die EU und für unser Land überwiegen.as muss den Ausschlag geben, wenn die europäischentaats- und Regierungschefs am 17. Dezember ihre Ent-cheidung treffen werden.Wir unterstützen mit allem Nachdruck ein Ja für eineneginn der Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle
on der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die EU-Kommission hat für Beitrittsverhandlungenit der Türkei plädiert und sie im Charakter als ergeb-isoffen beschrieben. Diesem Vorschlag sollte sich dereutsche Bundestag aus Sicht der Freien Demokraten
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Dr. Guido Westerwelleanschließen. Wir sollten die Kommission beim Wortnehmen.
Es geht gegenwärtig um eine Entscheidung über Bei-trittsverhandlungen und nicht – diesen Eindruckkonnte man nach den beiden vorherigen Reden bekom-men – um einen Beitritt selbst. Erst am Ende der Ver-handlungen kann die Entscheidung über die Aufnahme,die Ablehnung oder auch eine differenzierte Position ste-hen.Wir sind mit beiden Haltungen, die bisher in den Re-den zum Ausdruck gebracht worden sind, nicht einver-standen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen gibt letzt-endlich eine Tendenz vor. Nach diesem Antrag sind dieBeitrittsverhandlungen quasi eine Übergangsstufe zu ei-nem Ergebnis, das – politisch gewollt – schon jetzt for-muliert wird. Die Unionsfraktion spricht sich in ihremAntrag gegen Beitrittsverhandlungen aus und unterstütztvon vornherein ein anderes Modell. Auch sie hat sichschon ihre politische Meinung gebildet und das Ergebnisvorweggenommen.Wir Freien Demokraten sind der Überzeugung, dasswir nur dann dem Votum der Europäischen Kommissiongerecht werden, wenn wir sie beim Wort nehmen. Ergeb-nisoffen heißt, dass am Ende eines Verhandlungsprozes-ses ein Ja, ein Nein oder auch eine differenzierte Posi-tion, also vielleicht eine privilegierte Partnerschaft,stehen kann. Aber niemand ist heute in der Lage, seriö-serweise vorauszusagen, wie die Türkei in 15 Jahrenaussehen wird oder wie die Europäische Union in15 Jahren aussehen wird.
Wir haben von Ihnen, Herr Kollege Schäuble, einebemerkenswerte Rede gehört. Auch das, was Sie, HerrKollege Erler, gesagt haben, ist in weiten Teilen, was dieAnalyse angeht – das ist oft so –, mit dem Wertekom-pass, den wir gemeinsam in diesem Hause haben, de-ckungsgleich. Letzten Endes geht es um die politischenSchlussfolgerungen an dieser Stelle. Es wird niemandenin diesem Hause geben, der beispielsweise die Men-schenrechte in der Türkei nicht genauso einfordernwürde wie Verbesserungen hinsichtlich der ökonomi-schen Entwicklung. Selbstverständlich wird auch dieLösung der Zypernfrage eine Rolle spielen. Das allessind Punkte, die wir gemeinsam in diesem Hause bespre-chen.Wir Freien Demokraten warnen aber vor Folgendem.Herr Kollege Schäuble, wenn Sie sagen, die Erweite-rung dürfe nicht gegen die Vertiefung ausgetauschtwerden, dann haben Sie nach unserer Auffassung Recht.Wir fügen aber hinzu: Die Erweiterung darf auch nichtgegen die Vertiefung ausgespielt werden.
Beides muss uns gelingen, wenn wir den europäischenWeg erfolgreich weitergehen wollen.VgghhdmmseEwkhDnsDFdkseFtehwEbudAisRtrtubSsTpdhPCisV
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Türkei ent-prechende politische Entwicklungen und Reformeningeleitet und durchgesetzt hat. Wer wollte denn dieortschritte der Türkei ernsthaft bestreiten? Die eingelei-ten Reformen dürfen aber nicht nur auf dem Papier ste-en, sondern müssen auch gesellschaftliche Realitäterden.
s ist zwar gut, wenn das Parlament der Türkei ein Ver-ot der Diskriminierung von Minderheiten verabschiedetnd dies formale Rechtslage ist. Es ist zwar gut, wennas Folterverbot formale Rechtslage in der Türkei ist.ber das reicht nicht aus. Nicht die formale Rechtslaget das Kriterium. Vielmehr muss die gesellschaftlicheealität das Kriterium für eine Überprüfung der Bei-ittsentscheidung in zehn oder 15 Jahren sein.
Deswegen legen wir Wert darauf, dass die Ausgestal-ng eines Verhandlungsmandates die Ergebnisoffenheitetont, so wie es übrigens ausdrücklich auch in denchlussfolgerungen der Europäischen Kommission vorge-ehen ist. Dass dies so ist, wird ja regelmäßig unter deneppich gekehrt. Es wird nachinterpretiert, was die Euro-äische Kommission gemacht hat, um der eigenen Ten-enz Vorschub und Nachdruck zu verleihen. Tatsächlichat die Europäische Kommission eine sehr differenzierteosition bezogen und ausdrücklich den ergebnisoffenenharakter von Beitrittsverhandlungen unterstrichen. Dast auch aus unserer Sicht richtig und notwendig.Ich will noch auf das zu sprechen kommen, was imorfeld dieser Debatte gesagt worden ist. Ich will
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Dr. Guido Westerwelleniemanden darüber im Unklaren lassen, dass wir FreienDemokraten es ausdrücklich begrüßen, dass die Unions-parteien von den Überlegungen einer Unterschriftenak-tion Abstand genommen haben.
Ich will hier aber genauso klar sagen: Heute wird aucheine Debatte darüber geführt – sie wird in Wahrheit ge-führt, um die Innenpolitik zu prägen, und nicht, um überden europa- und außenpolitisch richtigen Weg zudiskutieren –, ob ein Referendum bzw. Volksabstim-mungen beschlossen werden sollten. Wenn dies heutedie konkrete Forderung ist, dann sagen wir Freien De-mokraten dazu: Das ist aus unserer Sicht nicht möglichund in Wahrheit nur der innenpolitischen Auseinander-setzung geschuldet. Niemand ist heute seriöserweise inder Lage, die Entscheidung, die in zehn oder 15 Jahrenansteht, vorwegzunehmen. Niemand kann heute sagen,wie der konkrete Entscheidungsvorgang verfassungs-rechtlich in zehn oder 15 Jahren stattfinden soll. Hierfindet also in Wahrheit eine innenpolitische Auseinan-dersetzung und nicht eine Betrachtung der europäischenMaterie statt, um die es hier tatsächlich geht.
Sie als Regierung werden – auch das müssen wir hierfesthalten – dem Antrag der Koalitionsfraktionen folgen;Sie haben sich dazu erklärt und festgelegt. Dies istRegierungshandeln. Sie als demokratisch legitimierteBundesregierung werden im Dezember – daran gibt eskeinen ernsthaften Zweifel – der Aufnahme von Bei-trittsverhandlungen zustimmen. Eines will ich dazu klarsagen: Ganz egal wie man dann zu dieser Entscheidungsteht, diese Entscheidung bindet jede nachfolgende Re-gierung.
Das sage ich deshalb, weil ich es für völlig falsch hielte,wenn in Wahlkämpfen Nachhutgefechte stattfinden wür-den. Wenn Europa entschieden hat, dass es Beitrittsver-handlungen gibt, dann ist jede nachfolgende Regierungdaran gebunden und dann können noch so viele Unter-schriften gesammelt oder Proteste organisiert werden.Dann gilt die Zuverlässigkeit der deutschen Außenpoli-tik, für die die Freie Demokratische Partei steht.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Claudia Roth, Bünd-nis 90/Die Grünen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieTürkeidebatte, die wir gegenwärtig führen, ist im Kern– hier gebe ich Herrn Schäuble Recht – eine Debatteüber die Frage, in welchem Europa wir leben wollen undauf welche gemeinsamen Werte dieses Europa gründet.Sie ist eine Debatte über die Frage, in welchem Deutsch-lmgwAgsdDddmdrSrHAkkdtHdukrossuSn
Ich zitiere:Die Türkei gehört zu Europa. Die Türkei soll voll-berechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein. DieserWunsch und die Tatsache, dass wir in ihm mit unse-ren türkischen Freunden einig sind, sind derstärkste Ausdruck unserer Gemeinsamkeit.ies sagte nicht Romano Prodi vor zwei Wochen, son-ern Walter Hallstein, der damalige Kommissionspräsi-ent, anlässlich der Unterzeichnung des Ankara-Abkom-ens am 12. September 1963. Damit war Europa klarefiniert.Gernot Erlers Zitaten, mit denen er in Erinnerung ge-ufen hat, was Herr Glos dereinst sagte, füge ich einenatz hinzu, nämlich die Überschrift seiner Presseerklä-ung vom 17. Dezember 1997:Die Türkei darf auf dem Weg nach Europa nichtdiskriminiert werden.err Hintze, dazu müssten Sie jetzt auch klatschen. –ber genau dies tun Sie jetzt: Sie diskriminieren die Tür-ei.
Herr Glos, erlauben Sie mir folgenden Satz – ichomme ja auch aus Bayern –: Sie machen Politik nachem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von ges-ern?“.
eute hört sich nämlich alles, was Sie sagen, ganz an-ers an. Die CDU/CSU definiert die EU geographischnd kulturell ausgrenzend. Sie spricht von der nichtompatiblen Türkei. Aber die politischen Werte der Eu-opäischen Union sind nicht an eine bestimmte Religionder Kultur gebunden, sondern an die Achtung der Men-chenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechts-taatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechtend der Minderheitenrechte.Im EU-Verfassungsvertrag, Herr Glos und Herrchäuble – Herr Schäuble weiß dies, er hat es heute nuricht zitiert –, heißt es:Die Union steht allen europäischen Staaten offen,die diese genannten Werte achten und sich ver-pflichten, ihnen gemeinsam Geltung zu verschaf-fen.
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Also muss die Union auch einer demokratischen Türkeioffen stehen. Genau dies wollen und unterstützen wir.
Über 40 Jahre dauert der lange Weg der Türkei in dieEU. Immer wieder wurde versichert, bestätigt, beschlos-sen und bekräftigt, dass das Ziel die Vollmitgliedschaftsei. Was aber ist heute? War alles nicht so gemeint? Wares etwa nur so lange gemeint, wie die konkrete Perspek-tive in weiter Ferne lag? Ihre privilegierte Partnerschaft,Frau Merkel und Herr Bosbach, ist kein Angebot an dieTürkei, sondern eine Worthülse, wie Herr Rühe zu Rechtgesagt hat. Sie bedeutet Stillstand und die Festschrei-bung des Status quo. Aus diesem Grunde kann die Tür-kei diese Perspektive nicht ernsthaft akzeptieren.
Die Empfehlung der Kommission, Beitrittsverhand-lungen aufzunehmen, ist dagegen ein historisches Si-gnal, dem der Europäische Rat am 17. Dezember hof-fentlich zustimmen wird. Sie ist das wichtige Signal,dass die EU der Türkei die Tür nicht vor der Nase zu-schlagen und die ungeheure Dynamik der Veränderungnicht abbrechen darf. Dies riskieren Sie mit Ihrer privile-gierten Partnerschaft ganz bewusst. Wir wollen dieseDynamik fortsetzen, die natürlich vor allem etwas miteiner glaubwürdigen Beitrittsperspektive zu tun hat. DieAufnahme von Verhandlungen, die zum Erfolg geführtwerden sollen, ist ein wichtiger Schritt; dies wissen Sieganz genau. Aber es gibt keinen Beitrittsautomatismus.Das haben wir immer gesagt und dabei bleiben wir auch.Lassen Sie uns wirklich von unseren deutschen Inte-ressen sprechen.
– Ja, Herr Glos, Pawlow; wir reden jetzt von deutschenInteressen. – Wir haben ein ganz vitales Interesse an ei-ner demokratischen Türkei. Wenn wir dieses Interessehaben, dann dürfen wir den Reformprozess doch nichtabbrechen, wir dürfen kein Risiko eingehen,
sondern wir müssen die Dynamik fortsetzen.
Vor kurzem – nicht heute –, Herr Schäuble, haben Sieim Fernsehen von den Reformen in der Türkei als reineShow gesprochen. Ich halte das für Zynismus, HerrSchäuble. Ich finde es zynisch, davon zu sprechen, dassdie Abschaffung der Todesstrafe, das Folterverbot, dasZurückdrängen des Militärs, der Beginn der Anerken-nung der kurdischen Realität – all das, wovon GernotErler gesprochen hat – Show sein soll.dNwwhNmd–g–thNwSaaussm
Ja, gern.
Bitte schön, Herr Schäuble.
Würden Sie mir bitte eine Stelle nennen, die belegt,
o ich in irgendeiner Weise etwas von dem gesagt habe,
as Sie mir unterstellen? Nach meinem sicheren Wissen
abe ich nie etwas Derartiges gesagt.
Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN):
Ich kann Ihnen das gern sagen. Es ist eine Agentur-
eldung nach einer Fernsehsendung bei Frau Illner, in
er Sie über die Türkei gesprochen haben.
Wenn es nicht stimmt, Herr Schäuble, können Sie es
ern dementieren.
Ich kann es Ihnen belegen. Ich reiche es Ihnen unmit-
elbar nach der Debatte nach, Herr Schäuble.
Kolleginnen und Kollegen, bitte, Frau Kollegin Rothat das Wort.
Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-EN):Was ist daran schlimm? Was regen Sie sich auf? Icherde es belegen. Es ist umso besser, wenn Herrchäuble sagt, es ist keine Show. Dann muss man aberuch diesen Prozess fortsetzen. Genau das wollen wiruch,
nd zwar in dem Sinne, wie es Guido Westerwelle ge-agt hat. Nicht die Papierform der Gesetze entscheidet,ondern das, was implementiert wird. Weil wir imple-entieren wollen, unterstützen wir die Empfehlung der
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Kommission, in der gesagt wird, der Verhandlungspro-zess verstärkt den Reformprozess und sichert die Demo-kratisierung der Türkei ab. Es liegt genau in unserem In-teresse, den Demokratisierungsprozess unumkehrbar zugestalten.Wir sprechen von unseren Interessen. Ein fundamen-tales deutsches Interesse ist gerade nach dem11. September der Dialog der Kulturen und Religionen.Eine demokratische, säkulare, pluralistische Türkei miteiner muslimischen Mehrheitsbevölkerung, die in dieEuropäische Union integriert ist, ist natürlich ein welt-weites Signal, dass Islam und Demokratie kein Wider-spruch sind. Sie wäre damit auch für uns ein enormer Si-cherheitszugewinn.
Jetzt möchte ich noch etwas zum Wirtschaftsflügel inder Union sagen. Die Heranführung der Türkei an dieEuropäische Union liegt im unmittelbaren Interesse auchund gerade der deutschen Wirtschaft. Es ist die deut-sche Wirtschaft, die einen weiteren Ausbau der Bezie-hungen, strategische Partnerschaften und die Öffnungvon neuen Märkten erwartet. Die deutsche Wirtschaftsagt: Eine integrierte Türkei ist ein stabiler und sichererOrt für Investitionen. Hier liegt das Interesse der deut-schen Wirtschaft. Ihre Ablehnung, werte Kollegen vonder Union, ist ein dramatischer politischer Fehler. Ichhalte Ihre Position nicht nur für außenpolitisch ignorant,sondern auch für innenpolitisch polarisierend. Sie bringtnicht ein Mehr an Sicherheit, sondern sie gefährdet imKern Ihre eigenen ökonomischen Interessen.
Ich sage ihnen noch eines zum Abschluss: Herr Glosvon heute verbreitet den Mythos von der Andersartigkeitund benutzt das bitterböse Bild der Überschwemmung.Herr Schäuble, wenn Herr Glos solche Positionen äu-ßert,
ist das nicht das Ernstnehmen der Ängste der Menschen,
sondern das bewusste Schüren von Ängsten und Sorgen.
Das ist das Gegenteil von verantwortlicher Politik.
Frau Kollegin Roth, kommen Sie bitte zum Schluss.
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Sie betreiben nicht Integration, sondern Ausgrenzung.
ie können noch so viel hier herumschreien, das macht
hre Politik keinen Deut besser.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mitchreien, Kreischen und Verleumden, Frau Kolleginoth,
erden wir der historischen Bedeutung der Entschei-ung nicht gerecht, die hier zu treffen ist. Ich würde Ih-en zurufen: Mehr Kompetenz und weniger Emotionen!
Hans-Ulrich Wehler, ein Historiker aus Bielefeld,chreibt in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Aus Poli-ik und Zeitgeschichte“ unter der Überschrift „Verblen-etes Harakiri“: „Der Türkei-Beitritt zerstört die EU“.rofessor Heinrich August Winkler spricht von „Selbst-erstörung durch Überdehnung“.
ochen Hoenig ruft im „Handelsblatt“ dazu auf, das An-ebot zu widerrufen, den Beschluss zu korrigieren.
tefan Ulrich spricht vom „Abschied von Europa“. Wirassen uns nicht in eine Ecke drängen, in die wir nichtehören, wie Sie das eben versucht haben, Frau Kolleginoth.
CDU und CSU sind gegen eine Vollmitgliedschafter Türkei in der Europäischen Union; denn ein solchereitritt würde Europa und die Türkei überfordern. Nichtur wir, sondern auch Egon Bahr, Helmut Schmidt undiele andere prominente Sozialdemokraten im Land, inuropa und in der Welt warnen vor dieser Entwicklung.
hr Eintreten für den EU-Beitritt der Türkei, Herr Kol-ege Fischer, ist der Ausstieg aus der Integration, ist derbschied von der Humboldt-Rede: Humboldt ade.
Welche Auswirkungen oder Folgen hat die Aufnahmeer Türkei für die Europäische Union? Vertiefung undrweiterung, wie Sie es hier verkündet haben, gemein-am voranzutreiben, ist eine politische Lebenslüge. Sie
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Dr. Gerd Müllerkönnen nicht beides haben: die Erweiterung der Europäi-schen Union bis nach Kleinasien und die Vertiefung derpolitischen Strukturen hin zu einer politischen Union, zueiner politischen Regierung, zu einem politischen Sys-tem, wie wir uns das vorstellen.Professor Heinrich August Winkler bringt dies in ei-nem Aufsatz auf den Punkt – Sie wissen, er ist der Lieb-lingshistoriker von Bundeskanzler Schröder und seit40 Jahren SPD-Mitglied –:Wer glaubt, die EU könne neben dieser historischenHerausforderung– gemeint ist die Integration der neuen mittelosteuropäi-schen Beitrittsstaaten –auch noch die Integration der Türkei bewältigen,gibt sich einer Illusion hin. Ein Großeuropa vonLappland bis zu Euphrat und Tigris wäre ein Kolossauf tönernen Füßen, räumlich groß, aber politischhandlungsunfähig.
Sie sehen, international ist Ihr Kurs in Politik und Wis-senschaft höchst umstritten und umkämpft.Die Türkei ist unser Freund und Partner. Wir wollendiese Freundschaft zu einer privilegierten Partner-schaft weiterentwickeln. Wir wollen den Ausbau derWirtschaftsbeziehungen, den kulturellen Dialog, wirwollen den Ausbau der Sicherheitspartnerschaft. Mit derTürkei als NATO-Partner gibt es überhaupt keine Pro-bleme.Herr Außenminister, Sie haben ein neues Hilfsar-gument, den D-Day. Ich denke bei D-Day an etwas an-deres. Nach dem 11. September nehmen Sie jetzt denD-Day als Sicherheitsargument. Es gibt überhauptkeine Probleme bei der Zusammenarbeit mit der Türkeibezüglich der Bekämpfung des Terrorismus im Innerenund Äußeren. Dazu ist eine Vollmitgliedschaft nicht not-wendig.
Die Türkei erfüllt weder heute noch morgen die poli-tischen Kriterien,
die in Kopenhagen festgelegt worden sind. Wir habenuns eigentlich vorgegeben, dass es erst nach Erfüllendieser Kriterien zu Beitrittsverhandlungen kommenwird. Die für die Währungsunion vorgegebenen Krite-rien brechen Sie im Nachhinein. Hier brechen Sie dieKriterien bereits im Vorhinein.
Die Türkei gehört weder geographisch noch kulturellzur Europäischen Union.FDTKebAdvWcwehkl„tJdcwdzkiSWgAe
rau Roth, Ankara missachtet die Menschenrechte.
er Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieürkei diese Woche in drei Fällen verurteilt. Liebe Frauollegin Roth, ich erinnere mich noch daran, wie Sie vorinigen Jahren vor türkischen Gefängnissen geweint ha-en.
ngesichts der Berichte von Amnesty International wäreiese Empörung jetzt angemessen.
Lesen Sie das Interview, das die Generalsekretärinon Amnesty International, Frau Lochbihler, in dieseroche gegeben hat. Darin wurde Sie gefragt, in wel-hem Ausmaß in türkischen Gefängnissen gefoltertird. Herr Außenminister, dazu haben Sie gesagt, dasss in diesem Bereich wirklich große Erfolge gegebenabe; denn es sei keine Systematik der Folter mehr er-ennbar. Die Antwort von Frau Lochbihler allerdingsautete:
Da gibt es nur Schätzungen. Aber wir von Amnesty In-ernational wissen von 600 Fällen allein im vergangenenahr.“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, überiese Zustände sollten Sie sich empören!
Nun komme ich auf einen weiteren Punkt zu spre-hen. Seit dem Jahr 2003 kommen die meisten Asylbe-erber in Deutschland aus der Türkei. Nach Auskunftes Bundesinnenministeriums haben vom Jahr 2003 bisum August dieses Jahres 12 000 Menschen aus der Tür-ei Asyl in Deutschland beantragt. Ich frage Sie: Warumst das so? Lehnen Sie diese Asylanträge ab? Schickenie die türkischen Asylbewerber ab Dezember zurück?
enn es die von mir angesprochenen Verhältnisse nichtibt, dann bedarf es hier in Deutschland auch keinersylgewährung.
Herr Außenminister, Sie haben nicht verhindert, dasss durch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft
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Dr. Gerd Müllerdazu kam, dass heute 50 000 Türken illegal einen deut-schen Pass besitzen.
Herr Kollege Müller, einen Moment bitte. Frau Kolle-
gin Roth möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Er-
lauben Sie das?
Ja, bitte schön.
Bitte schön, Frau Roth.
Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Wir kennen uns ja schon lange. –
Herr Kollege Müller, haben Sie gehört, dass ich ge-
sagt habe, dass es zwar große Reformen gibt, dass sie
aber nicht ausreichen, wenn sie nur auf dem Papier ste-
hen? Jetzt geht es darum, sie auch zu implementieren.
Das Folterverbot muss bis in die letzte kleine Polizeista-
tion mit null Toleranz umgesetzt werden.
Ist Ihnen, Herr Kollege Müller, bekannt, dass sämtli-
che Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen – die
Menschenrechtsstiftung, der Menschenrechtsverein,
Amnesty International und andere – der Auffassung
sind, dass der weitere Prozess der Integration der Türkei
in die Europäische Union im Sinne einer Verbesserung
der Menschenrechtssituation dringend notwendig ist,
dass sie also genau das Gegenteil von dem sagen, was
Sie hier behauptet haben?
Frau Kollegin Roth, ich habe Sie an Ihre Vergangen-
heit erinnert,
als Sie vor türkischen Gefängnissen zu Recht geweint
haben.
Ich würde mir wünschen, dass Sie auf die Wirklichkeit
in der Türkei, die ich beschrieben habe, auch heute auf-
merksam machen.
Eines der Kopenhagener Kriterien ist die Einhaltung
der Standards der in der Europäischen Union gültigen
Menschenrechte. Dieses Kriterium ist eindeutig und
nachhaltig verletzt. Der Beschluss zur Aufnahme von
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Es ist der SPD zu trivial, über die Kosten des Bei-
ritts zu sprechen, die auf 30 bis 40 Milliarden Euro pro
ahr geschätzt werden. Aber die Menschen in unserem
and erwarten eine Antwort auf die Frage: Wer soll ei-
en möglichen Beitritt der Türkei bezahlen?
arüber hinaus müssen wir auch die Migrationsängste
er Menschen berücksichtigen.
Zum Schluss möchte ich noch einen anderen Punkt
nsprechen. Herr Außenminister, es ist eine Legende
an der Sie bereits heute im zuständigen Ausschuss stri-
ken und an der Sie auch in Zukunft stricken werden –,
enn Sie vor die deutsche Bevölkerung treten und sa-
en, dass lediglich ein Beschluss zur Aufnahme von Bei-
rittsverhandlungen getroffen worden sei. Meine Damen
nd Herren, im Jahre 1999 hat der Europäische Rat der
taats- und Regierungschefs innerhalb von nur drei Mi-
uten – das stelle man sich einmal vor, Herr Bundes-
anzler – den Beschluss gefasst, der Türkei den Status
ines Beitrittskandidaten zu verleihen.
ittlerweile sind fünf Jahre vergangen. Im Dezember
ird man nun den nächsten Schritt machen und dem
eutschen Volk verkünden: Es wird fünf, es wird zehn,
s wird 15, es wird 20 Jahre dauern, bis wir diesen
echsel einlösen wollen und müssen. Sie stricken da an
iner Legende! Wenn wir den nächsten Schritt gehen,
ann müssen wir auch glaubwürdig gegenüber der Tür-
ei bleiben; Herr Westerwelle hat dies angesprochen.
ann steht in fünf oder in acht Jahren der Beitritt bevor.
ie können diesen Irrweg jetzt im Dezember noch stop-
en. Gehen Sie diesen Weg nicht!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Angelica Schwall-
üren.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Koalitionsfraktionen begrüßen die Absichter Bundesregierung, am 17. Dezember 2004 im Euro-
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Dr. Angelica Schwall-Dürenpäischen Rat für den Beginn von Beitrittsverhandlungenmit der Türkei zu stimmen, Beitrittsverhandlungen mitdem eindeutigen Ziel, sie zum Erfolg zu führen.Wie ist die Haltung der CDU/CSU in dieser Frage?Sie bieten ein beschämendes Bild: widersprüchlich, po-pulistisch, unverantwortlich.
Trotz weitgehender Übereinstimmung in der strategi-schen Begründung für einen möglichen Beitritt der Tür-kei hat die CDU/CSU aus innen- und parteipolitischenGründen den gemeinsamen Weg verlassen. Der entschei-dende Dissens besteht zwischen Vollmitgliedschaft unddieser nebulösen „privilegierten Partnerschaft“. DieserMeinungswandel seitens der CDU/CSU ist nicht nur be-dauerlich, er bedeutet auch die Aufkündigung des inner-halb der Bundesrepublik bislang herrschenden europa-politischen Grundkonsenses. Die CDU/CSU untergräbtdie Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Politik,und das in einer Zeit, in der der wirtschafts- und gesell-schaftspolitische Wandel der Türkei so stark ist wie nieseit der Gründung der modernen Türkei durch KemalAtatürk.
Die CDU/CSU verabschiedet sich endgültig von derüberzeugenden europapolitischen Argumentation desehemaligen Bundeskanzlers Kohl, der 1997 zum Ab-schluss des Sondergipfels des Europäischen Rates in Lu-xemburg ausführte – ich darf zitieren –,dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, sehr da-mit einverstanden sind, dass die Türkei in der Per-spektive der Zukunft eine Chance hat, der Europäi-schen Union beizutreten.Heute stößt die CDU/CSU ausgerechnet die türkischePartei zurück, die die größten Reformschritte innerhalbkürzester Zeit vollzogen hat und die als konservativePartei der CDU/CSU nahe steht.Ich will nicht verhehlen, dass die CDU/CSU in ihremAntrag auch auf Risiken aufmerksam gemacht unddurchaus berechtigte Sorgen ausgedrückt hat. Bei nähe-rer Betrachtung können sie aber ausgeräumt werden.Denn wenn man Risiken zu sehr betont, verhindert man,dass man die Chancen nutzt. Die CDU/CSU vergisst dieChancen. Der Antrag der CDU/CSU weist zudem Wi-dersprüche auf. Aus Sicht der Opposition ist die Türkeiein bedeutender und verlässlicher Partner des Westens,ein wichtiges Mitglied der NATO und bereits heute engmit der EU verbunden, gleichzeitig eine wichtige Brückezur islamischen Welt und zum Nahen und Mittleren Os-ten.Es scheint die CDU/CSU gar nicht zu interessieren,was sie in ihrem eigenen Antrag geschrieben hat. Siefordert, dass die Türkei anstelle der Vollmitgliedschaftdiese „privilegierte Partnerschaft“ bekommen soll. Woist da die Logik? „Für den Fall, dass der Europäische Ratdie Aufnahme von Beitrittsverhandlungen dennoch be-schließen sollte“ – so die CDU/CSU –, sollen „dieseVmGvasamVwwhDwVDmmDgÄnASvsH
Meine Kollegen und Kolleginnen, ich muss noch ein-al auf Herrn Glos zurückkommen. Herr Glos hält eineolksabstimmung zu diesem Thema für nötig,
eil er meint, es handele sich um die Preisgabe dessen,as wir unter Deutschland verstanden haben und verste-en.
eutschtümelnd malt er eine riesige Einwanderungs-elle an die Wand und prophezeit eine noch raschereerlagerung von Arbeitsplätzen in die Türkei.
as ist eine Politik, die zur Verunsicherung führt und dieit der Angst der Menschen arbeitet. Herr Glos, dasüssen wir ganz entschieden zurückweisen.
er Kollege Erler ist auf diese Passage ja schon einge-angen.In diesen Minuten ging eine Ticker-Meldung über denther, in der sich Herr Glos zur morgigen Unterzeich-ung des Verfassungsvertrages äußert.
uch hier formuliert er:Es ist beschämend, dass die Bundesregierung prak-tisch keinerlei deutsche Interessen in die Verhand-lungen eingebracht hat.
ie behaupten, der größte Mangel dieses Verfassungs-ertrages bestehe darin, dass unklar sei, für wen er geltenolle.
err Glos sagte weiter:Wenn die Türkei … tatsächlich Mitglied der EUwird, würde der Grundgedanke Europas verraten …
Ein EU-Beitritt der Türkei wäre der Untergang derEuropäischen Union, wie wir sie bisher kennen.
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Dr. Angelica Schwall-DürenHerr Glos, das was Sie hier machen, ist unanständig undschürt die Fremdenfeindlichkeit. Das ist Wasser auf dieMühlen der Rechtsradikalen.
Was hat dagegen die Kommission getan? Die Kom-mission hat genau das getan, wozu sie beauftragt war.Ich glaube, wir sollten dem Kommissar Verheugen fürseine intensive Arbeit danken. Er hat den Fortschritts-prozess in der Türkei mit seinen Mitarbeiterinnen undMitarbeitern sorgfältig überprüft und ein sehr differen-ziertes und abgewogenes Urteil zum Ausdruck gebracht.Deswegen ist der qualifizierte Ja-Vorschlag der EU-Kommission zu begrüßen, der drei Säulen beinhaltet.Ich meine, dass insbesondere die dritte Säule sehrwichtig ist, nämlich die Einbeziehung der türkischen undder europäischen Gesellschaft in den wirtschaftlichen,sozialen und kulturellen Dialog; denn die bevorstehendeEntscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhand-lungen bringt auch die Frage nach den Konturen und derSubstanz der Europäischen Union auf die politischeAgenda.Herr Schäuble, die Kommission trägt mit ihrer Vor-lage den Bedenken einer Überforderung seitens der EURechnung. Worauf kommt es nämlich an? Es kommt inder Tat nicht nur darauf an, dass die Türkei ihre Refor-men durchführt, sondern es geht auch darum, dass dieEU unverzichtbare Veränderungen durchlaufen muss.Die Kopenhagen-Kriterien schließen ja die Stoßkraft dereuropäischen Integration ebenfalls mit ein.Es ist aber auch wichtig, zu sagen: Die Verstärkungder Integration der Europäischen Union ist zunächst völ-lig unabhängig von einem möglichen Beitritt der Türkeizu sehen; denn die Handlungsfähigkeit nach innen undnach außen muss auch im Rahmen der jetzigen25 Mitglieder gestärkt werden.
Deshalb brauchen wir die Ratifizierung des Verfassungs-vertrages unbedingt.
Die Verfassung ist aber nur die Grundvoraussetzung.Sie allein entscheidet nicht darüber, ob es zu einer weite-ren Integration kommt, geschweige denn, ob sich die EUzu einer politischen Union weiterentwickelt. Wir stehennach 50 Jahren vor der Aufgabe, auf dem Weg zu einererneuten Erweiterung wieder eine Vertiefung zustandezu bringen. Das wird uns sehr viel Kraft abverlangen.Wir werden diesen Weg im klugen Handeln Schritt fürSchritt gehen müssen. Dazu braucht es die ungeteilteKraft der Europäischen Union und eines jeden Mit-gliedstaates. Die Bundesregierung handelt hier in hohemMaße verantwortungsbewusst und zukunftsorientiert.wbneaGaunhssduhRzldkmdkUgndmlha
Die von der CDU/CSU anfänglich zögerlich, mittler-eile aber brutal vorgetragene Ablehnung eines Türkei-eitritts verhindert mehr und mehr die Herausbildung ei-es politischen Wir-Gefühls. Dies kann aber nurntstehen, wenn große Herausforderungen gemeinsamngenommen werden. Frau Merkel, Herr Stoiber, Herrlos: Stehlen Sie sich nicht aus dieser Verantwortung!
Auf das große deutsche und europäische Interessen einem Türkeibeitritt haben verschiedene Kollegennd Kolleginnen schon hingewiesen. Ich will noch ei-ige wenige Punkte nennen. Der Beginn der Beitrittsver-andlungen würde durch seine inklusive und nachbar-chaftliche Symbolik auch den politischen Extremismuschwächen, sowohl bei uns wie in der Türkei. Er würdeurch die ökonomische und soziale Entwicklung an Ortnd Stelle den Migrationsdruck senken; denn bisheraben alle Beitrittsperspektiven regelmäßig eher zuückwanderungs- als zu weiteren Zuwanderungstenden-en geführt. Diese Entwicklung würde dem Entwest-ichungstrend in Gestalt des neoosmanischen Islamismusurch Stärkung des laizistischen Staates entgegenwir-en.
In diesem Zusammenhang ist Dan Diner zuzustim-en, der 2002 formuliert hat:Zudem würden mit dem Beitritt der Türkei jeneElemente miteinander verwoben, für die das föde-rierte Europa einmal stehen dürfte: Für die Säkula-risierung historischer, einer kulturellen Traditionverpflichteter Gemeinwesen auf der Grundlage uni-verseller Menschenrechte, Pluralismus und Demo-kratie; für eine sich zunehmend als unteilbar erwei-sende Sicherheit; und natürlich für den allesmiteinander verknüpfenden Wohlstand.Unsere Bevölkerung fragt sich, ob die Probleme miter Größe der Türkei, ihrer finanziellen Leistungsfähig-eit und ihrer Fremdheit größer sind als die, die es immgang mit den jetzt beigetretenen Staaten zu lösenilt.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Das ist natürlich heuteoch nicht zu sagen. Aber die Mitgliedstaaten entschei-en entgegen dem, was Sie immer wieder behaupten, ge-einsam, wie viele Finanzmittel sie zur Verfügung stel-en können und wollen, um die Türkei weiter an die EUeranzuführen und die Unterschiede im Lebensstandardbzubauen.
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Frau Kollegin, ich hatte Sie gebeten, zum Schluss zu
kommen.
Ich bin wirklich bei meinem letzten Satz, Herr Präsi-
dent.
Sagen wir einmal, dem auf der vorletzten Seite.
Die Türkei ihrerseits springt auf einen fahrenden Zug
auf. Am 17. Dezember wird zwar nicht die Entscheidung
über einen Beitritt fallen. Aber wir wollen, dass die Bei-
trittsverhandlungen erfolgsorientiert geführt werden.
Auf diesem Weg muss viel geleistet werden, in der Tür-
kei und in der EU.
Machen wir uns an die Arbeit!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirreden heute über einen möglichen EU-Beitritt der Tür-kei. Wenn überhaupt, dann steht er real irgendwann zwi-schen 2015 und 2020 auf der Tagesordnung, also in15 Jahren. In 15 Jahren kann sehr viel passieren. Wer dasnicht glaubt, schaue doch einfach einmal 15 Jahre zu-rück. Damals entfaltete die so genannte Wende im OstenDeutschlands ihre Wirkung. Das war kaum vorhersehbarund somit auch schwer kalkulierbar. Ein Beitritt der Tür-kei zur EU aber wäre kalkulierbar und er wäre auch ge-staltbar.
Deshalb verstehe ich auch gar nicht die künstlicheAufregung, die von der CDU/CSU derzeit verbreitetwird.
Ich bin erleichtert, dass Sie von der Union wenigstensdie Unterschriftenaktion gegen den Beitritt der Türkeiabgeblasen haben. Aber wir wissen auch alle: Die CDUgehört zu den Rückfalltätern, wenn es darum geht, gegenAusländer Stimmung zu machen. Insofern stehen Sie un-ter Bewährung.
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Die PDS im Bundestag fordert seit langem mehr De-okratie. Insofern sind wir allerdings auch gespannt, obot-Grün mit seinen jüngsten Ankündigungen zu diesemhema diesmal Ernst machen wird.Nun zurück zum Thema der heutigen Debatte: Es istolitisch legitim und auch üblich, dass die einen für ei-en EU-Beitritt der Türkei plädieren – jedenfalls unterestimmten Bedingungen – und dass andere – ebenfallsegründet – dagegen sind. Nur eines geht nicht: Manann nicht alle Vierteljahre die Argumente wechseln, mitenen man dagegen ist. Genau das aber machen CDUnd CSU. Einmal ist die Türkei nicht europäisch genug,ann ist sie nicht christlich; einmal sind die türkischenerte falsch, ein anderes Mal die Geschichte. So ver-eddern Sie von der Union sich immer wieder in Wider-prüche.Erinnern wir uns: Als die Bundesrepublik schnell bil-ige Arbeitskräfte brauchte, da konnten die Türken nichtchnell genug kommen. Als aber später die Ostdeut-chen dazukamen, wurden die hier lebenden Kurden undürken in die dritte Reihe geschickt. Wenn es um dieATO geht, dann ist die deutsch-türkische Wertege-einschaft so groß und so inniglich, dass es völlig egalst, nach welcher Konfession die jeweiligen Militärseel-orger predigen.
Wenn es aber um die EU geht, dann scheinen die kul-urellen Differenzen unüberwindbar.
Diese Doppelzüngigkeit der CDU/CSU schafft nichtur außenpolitische Verstimmungen. Sie belastet auchas Miteinander hierzulande. Sie signalisiert Millionenürkischen Bürgern – mit deutschem oder ohne deut-chen Pass –: Ihr gehört eigentlich nicht dazu. Genau dasindet bei jenen Beifall, die Deutschland ohnehin überllen und allem wähnen, schon wieder oder immer noch.Natürlich gibt es handfeste Gründe, mit Skepsis aufie Türkei zu schauen. Die Missachtung von Bürger-echten gehört nach wie vor dazu, ebenso die vielfacheeringschätzung von Frauenrechten oder ungelösteonflikte mit dem kurdischen Volk. Ich finde, wir alle,uch Rot-Grün, müssen uns davor hüten, diese Problemeleinzureden.
Aber man darf nicht mit zwei Maßstäben wägen.enn es hierzulande um Bürger- und Frauenrechte geht,
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Petra Paudann sieht man die CDU/CSU ganz selten vorantraben,übrigens auch in der EU nicht. Im Gegenteil! Im Übri-gen hatte die Bundesrepublik einen CDU-Kanzler, alsvor nunmehr 40 Jahren der Türkei eine mögliche Mit-gliedschaft in der EU zugesagt wurde. Auch damals lagIstanbul am Bosporus und nicht irgendwo.
Wenn die Opposition zur Rechten nun sagt „Nicht mituns!“, dann wird sie wortbrüchig und schlägt ohne Noteine historische Tür zu. Das will die PDS im Bundestagnicht.Bleibt noch das Angebot der privilegierten Partner-schaft. Die CDU bietet sie der Türkei als Ersatz für eineEU-Mitgliedschaft an. Seit sie damit hausieren geht,stelle ich mir allerdings die simple Frage: Für welchesLand haben eigentlich CDU und CSU eine unprivile-gierte Partnerschaft in petto? Wie soll es also in den Be-ziehungen zu den Nachbarn weitergehen, ganz egal, obsie in der EU sind, hineinstreben oder auch nicht?
Außerdem hätte ich heute gern einmal gehört, wie dieprivilegierte Partnerschaft eigentlich aussehen soll.
Frau Merkel, wenn dieses Modell wirklich so gut ist, wa-rum probieren Sie es nicht einfach aus und leben es unsvor, zum Beispiel mit Herrn Stoiber oder Ihrer Schwes-terpartei CSU?
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-desregierung begrüßt den Bericht und die Empfehlungder EU-Kommission, zu klar definierten Bedingungendie Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zurEuropäischen Union aufzunehmen. Die Bundesregie-rung wird auf dem Europäischen Rat im Dezember derAufnahme der Verhandlungen über den Beitritt der Tür-kei zustimmen.Wer den Bericht gelesen hat, weiß, dass dieser Berichtallen Bedenken – vor allen Dingen, was die Schlussfol-gerungen über das weitere Verfahren betrifft – Rechnungträgt.
Ich meine, dass die Kommission damit hervorragendeArbeit geleistet hat, und möchte dem verantwortlichenKdDmkdmaKudEilgswngirdmGdürEdeWlF4NcaPftft
Wenn man der Debatte sorgfältig folgt und die Pole-ik beiseite lässt – auch wenn sich dazu vieles anmer-en ließe –, wird deutlich, dass es einen Konsens überie Bedeutung des Themas, unbeschadet der Frage nachöglichen Konsequenzen, gibt. Eigentlich bin ich davonusgegangen, dass es auch mit der CDU/CSU einenonsens über die Bedeutung der Türkei für Europand die europäische Sicherheit gibt.
Diese Bedeutung war die Grundlage für die 1963 iner Regierungszeit von Konrad Adenauer getroffenentscheidung von Walter Hallstein – sie wurde damalsn einer beeindruckenden Rede dargelegt –, der Türkeiangfristig auch die Vollmitgliedschaft in der damali-en Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu ver-prechen. Es war Michael Glos, der 1997 darauf hinge-iesen hat, dass sich nach dem Ende des Kalten Kriegesichts an dieser strategischen Bedeutung geändert hat.
Nach dem 11. September 2001 bin ich davon ausge-angen, dass wir gemeinsam die Position vertreten, dassm Kampf gegen den Terrorismus nicht nur die Zerstö-ung seiner Netzwerke im Zentrum stehen sollte, son-ern dass es vor allem um die Transformation deruslimisch-arabischen Welt geht, damit sie an denrundwerten der Moderne und an der sich globalisieren-en Weltwirtschaft teilhat und – statt sie als von außenbergestülpt zu empfinden – einen eigenen Modernisie-ungsweg einschlagen kann.
Ich war auch der Meinung, dass wir unbeschadet derntscheidung über die Vollmitgliedschaft hinsichtlicher Bedeutung der zukünftigen Entwicklung der Türkeiine gemeinsame strategische Position vertreten haben.enn dies aber der Fall ist, dann müssen Sie sich fragenassen, meine Damen und Herren von der Union undrau Vorsitzende Merkel, warum Sie jetzt, nach0 Jahren, in dem Wissen um die Konsequenzen einesein – ungeachtet dessen, wie Sie dieses Nein verpa-ken werden; ob als privilegierte Partnerschaft oder wieuch immer – diese Wende vornehmen, nachdem Ihreartei vier Jahrzehnte lang eine ganz andere Politik ver-olgt hat.
Lassen Sie mich auf die Konsequenzen dieser Hal-ung eingehen. Kollege Schäuble hat sinngemäß ausge-ührt – ich teile diese Auffassung nicht, aber ich akzep-iere, dass sie durchaus ernst gemeint ist –: Die Türkei
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Bundesminister Joseph Fischergehört nicht zu Europa; sie gehört weder kulturell nochpolitisch und historisch zu Europa.
– Meinetwegen auch geographisch. – Das ist doch derKern Ihrer Position. Ich teile sie nicht, aber sie mussernsthaft diskutiert werden.
Herr Kollege Schäuble, Sie wissen doch genau, wel-che Konsequenz es hätte, wenn wir Ihnen folgen wür-den: Wir würden die Verhandlungen nicht aufnehmen.Deswegen frage ich Sie noch einmal: Warum vertretenSie diese Position jetzt, nach 40 Jahren? Sie sprechen da-von, dass es jetzt ein glaubwürdiges Angebot gebensollte. Haben denn Konrad Adenauer und Helmut Kohlkeine glaubwürdigen Angebote vorgelegt?
Lassen Sie mich noch einmal auf die Geschichte zu-rückkommen. Gerade die politische Geschichte, die imWesentlichen durch die Kontinuität der Haltung derBundesregierungen geprägt wurde, spielt in diesem Zu-sammenhang eine entscheidende Rolle. Walter Hallsteinhat am 12. September 1963 gesagt:Getragen von den gleichen Vorstellungen, werdensie– die beiden Parteien, nämlich die Europäische Wirt-schaftsgemeinschaft und die Türkei –gemeinsam überlegen, wie sie diese im Rahmen derAssoziation verwirklichen können. Und eines Tagessoll der letzte Schritt vollzogen werden: Die Türkeisoll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaftsein. Dieser Wunsch und die Tatsache, daß wir inihm mit unseren türkischen Freunden einig sind,sind der stärkste Ausdruck unserer Gemeinsamkeit.Nun kommt das Argument, die heutige EuropäischeUnion sei eine andere. So wurde das von der KolleginMerkel vorgetragen, wenn ich mich richtig entsinne.Kollegin Merkel, ich weiß zwar im Moment nicht, obSie damals ad personam in der Regierung waren – daskann durchaus sein –, aber es war die Regierung Kohl, inderen 16 Jahren der Übergang von der EWG zur EU Ge-stalt angenommen hat und wesentlich geprägt wurde.Herr Schäuble war dabei in wechselnden Funktionen tä-tig. Hat dieser Übergang zu einer Änderung Ihrer Hal-tung geführt? Definitiv: Nein.
– Nein, das ist keine Rabulistik.
Nach Aufforderung durch den Europäischen Rat vonLuxemburg vom Dezember 1997 – das fällt also noch indie Zeit der Regierung Kohl – verabschiedete die Kom-mflshDrdWM–GC
leich werden Sie, meine Damen und Herren von derDU/CSU, hoffentlich wieder klatschen, wenn es heißt:Für Europa und die Türkei muss klar sein, dass eintürkischer Beitrittsantrag grundsätzlich an den glei-chen Kriterien gemessen wird wie der jedes ande-ren europäischen Staates.
Weiter heißt es:Angesichts der Dimensionen ist die Heranführungder Türkei an Europa sicher eine größere undschwierigere Aufgabe als in jedem anderen Fall.Das kann aber nur bedeuten, dass die Anstrengungen
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Bundesminister Joseph Fischergrößer, die Fristen großzügiger bemessen sein müs-sen. Am Ziel darf es keinen Zweifel geben.
Es ist vor allem im deutschen Interesse, die Türkeiin Europa zu sehen.
Herr Minister Fischer, darf ich Sie darauf hinweisen,
dass die vereinbarte Redezeit abgelaufen ist? Nach der
Verfassung und der Geschäftsordnung dürfen Sie natür-
lich länger reden. Dann haben aber die Fraktionen das
Recht, die Debatte wieder zu eröffnen.
Herr Präsident, ich weiß das.
Ich wollte Sie nur darauf hinweisen.
Herr Präsident, vielen Dank für diesen Hinweis.Es geht aber weiter,
weil die Geschichte wichtig ist. Die „FAZ“ hat Bundes-kanzler a. D. Dr. Helmut Kohl in einem Interview am22. Januar 2004 gefragt:Die eigentliche Frage aber bleibt die geographischeGrenze. Sie sagen, die Türkei könne Mitglied derEU werden, vorausgesetzt, sie erfüllt die Kriterien.
Antwort:Das haben wir immer gesagt.
– Ich sehe, dass Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU, unruhig sind. Es bleibt aber dabei: Das sindvier Jahrzehnte kontinuierlicher Türkeipolitik von CDU/CSU und den von ihr gestellten Bundesregierungen.Herr Kollege Schäuble, das ist keine Rabulistik. Viel-mehr haben Sie die Voraussetzungen dafür geschaffen– das ist wichtig –, dass die Türkei zu Recht die Fragestellt: Wenn wir alle Bedingungen – die beiden Teile derKopenhagener Kriterien – erfüllen, haben wir dann ei-nen Anspruch auf Vollmitgliedschaft oder nicht? Die Zu-sagen, die Sie gemacht haben, können Sie nicht einfachzurücknehmen. Das geht vielleicht in der Opposition.Wenn aber die Bundesregierung und die sie tragendeMehrheit dies machen würden, dann würde das Nein be-deuten. Das hätte – das wissen Sie auch – fatale sicher-hiKSZDlSdpKSDvvsKwlesaksBgsEeesk–WehdleAgKbf
Frau Merkel, Sie könnten mit dem Vorschlag, den dieommission gemacht hat, eigentlich leben.
ie können lediglich nicht damit leben, dass, was dasiel angeht, nicht ergebnisoffen verhandelt werden soll.ass der Entscheidung kein Automatismus zugrundeiegt, steht im Kommissionsbericht. Es sind genügendafeguards eingebaut. Sie wissen: Es geht nicht nur umas Verhandeln, sondern auch um das Umsetzen, das Im-lementieren, das heißt um reale Veränderungen in denöpfen und in der gesellschaftlichen Realität.
ie wissen: Es sind genügend Benchmarks eingebaut.as heißt in Bezug auf die Finanzfragen: Es ist dochöllig klar, dass man keine Eins-zu-eins-Übertragungornehmen kann, und das weiß die türkische Seite ange-ichts der Größe der Herausforderung.Es wird jährlich einen Bericht zur Erfüllung deropenhagener Kriterien geben. Durch diesen Berichtird bei der Umsetzung ein permanenter Druck, vor al-n Dingen was die Bereiche Menschenrechte, Gleich-tellung der Frauen, Justiz und gesellschaftliche Praxisngeht, ausgeübt. Es gibt also, was das Ergebnis angeht,einen Automatismus; aber im Hinblick auf das Zielind wir einig: Die Verhandlungen werden in Richtungeitritt und nicht in Richtung privilegierte Partnerschafteführt. So steht es im Bericht der Kommission.Wir haben diese Debatte oft genug geführt. Ich ver-tehe, dass es ernsthafte Einwände gibt. Ich teile dieseinwände zwar nicht; aber man muss sich mit ihnen aus-inander setzen. Sie können es sich allerdings nicht soinfach machen. Wenn ich die „FAZ“ heute richtig gele-en habe, dann sehe ich ein neues Problem auf Sie zu-ommen.
Nicht auf uns.
ir werden für die Ratifizierung der EU-Verfassungine Zweidrittelmehrheit brauchen. Die Kollegin Merkelat diese Verfassung und vor allen Dingen den Beitrag,en Ministerpräsident Teufel und Herr Altmaier dazu ge-istet haben, hier in verschiedenen Reden sehr gelobt.
uch Sie – auch Herr Altmeier – haben diese Verfassungelobt. Heute hören wir plötzlich, dass ein weitererurswechsel – sozusagen aus dem Überraschungsei –evorsteht. Das werden wir uns in Ruhe anschauen.Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Vertie-ung und Erweiterung, das ist keine Frage des Entwe-
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Bundesminister Joseph Fischerder-oder. Die Tatsache, dass sich die gesellschaftlicheRealität im internationalen Staatensystem mit dem11. September 2001 grundsätzlich verändert hat, ist jetztoffensichtlich geworden. Wir stehen vor einer großenBedrohung durch den internationalen Terrorismus.Nimmt man sämtliche Faktoren wie die Entwicklung imNahen und Mittleren Osten – im Iran droht eine neueKrise – und die Entwicklung des Terrorismus im Irak zu-sammen, erkennt man, dass ein Nein zum Beitritt derTürkei in dieser Situation extrem kurzsichtig und gegendie Interessen, auch die Sicherheitsinteressen, unseresLandes und Europas gerichtet wäre.Die Frage, ob Europa dies aushalten wird, werden wirdann zu entscheiden haben, wenn wir die Integrations-fortschritte Europas tatsächlich sehen. Eines ist aberklar: Wenn Sie der Verfassung nicht zustimmen, dannwerden Sie sich schon von einer Perspektive der Integra-tion der EU der 25 verabschieden. Deswegen glaube ichnicht, dass Sie dieser Verfassung nicht zustimmen wer-den. Die Fragen, die Sie hier aufwerfen, betreffen nichtdie Türkei, sondern die EU der 25. Sie müssen in diesemRahmen beantwortet werden.Wie eine europafähige Türkei aussieht, ob die Ängstevon Herrn Glos, die er in maßloser Überziehung dar-stellt, noch vorhanden sein werden, ob die Türkei zu Eu-ropa passen wird und wie dieses Europa aussehen wird,diese Fragen sind genau dann zu beantworten, wenn siesich stellen. Es gibt keinen Automatismus. Wir redenhier über eine Perspektive von zehn bis 15 Jahren. Manwird dann mit kühler Vernunft und auch auf der Grund-lage der europäischen Zusagen zu entscheiden haben.Ich persönlich bin mir sicher – das ist meine Überzeu-gung –: Wenn die Türkei diese Reformfortschrittemacht, dann wird es am Ende ein Ja geben. Wenn derProzess stagniert, dann kann die Kommission mit Mehr-heit beschließen, die Verhandlungen zu unterbrechen.Wenn der Prozess in die Gegenrichtung läuft, dann kön-nen die Verhandlungen sogar abgebrochen werden. FrauMerkel, unterm Strich könnten Sie diesem Beschlussdoch klar zustimmen. Allerdings würde dann Ihr Ladenauseinander fliegen und deswegen tun Sie es nicht.Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne hat
soeben Herr Parlamentspräsident Kosmo aus Norwe-
gen mit seiner Delegation Platz genommen.
Herr Präsident Kosmo, wir begrüßen Sie und Ihre Dele-
gation sehr herzlich, wünschen Ihnen einen aufschluss-
reichen Besuch im Deutschen Bundestag, auch wenn
dieser nur kurz sein wird, darüber hinaus einen schönen
Aufenthalt in Berlin und alles Gute für Ihr parlamentari-
sches Wirken in der Zukunft. Vielen Dank für Ihren Be-
such.
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Ich höre gerade, dass dies nicht auf die Zustimmung
er Geschäftsführer trifft. Dann bitte ich die Geschäfts-
ührer, eine Redezeitvereinbarung zu treffen.
ch kann das nicht von mir aus tun. Ich habe einen Vor-
chlag gemacht. Er wurde nicht akzeptiert.
Wir fahren dann zunächst in der Debatte fort. Das
ort hat der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSU-
raktion. Bitte schön, Herr Hintze.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Rede des Herrn Bundesaußenministers wareute in jeder Hinsicht aufschlussreich.
m interessantesten fand ich die Zitate über unserenollegen Michael Glos;
enn das, was Sie uns hier heute ausführlich vorgelesenaben, lieber Herr Bundesaußenminister, dokumentiertichts anderes als die Europa- und Türkeifreundlichkeitnseres Kollegen Michael Glos; die haben Sie damitachgewiesen.
Es geht also in der Debatte nicht um die Frage, ob je-and europafreundlich ist oder nicht, es geht nicht umie Frage, ob jemand türkeifreundlich ist oder nicht, son-ern es geht um die Frage: Wie können wir für die Tür-ei und für Europa den besten Weg zu einer guten Zu-ammenarbeit, zu einer guten Partnerschaft finden?arüber streiten wir uns, liebe Kolleginnen und Kolle-en.
Nun hat der Kollege Westerwelle eine interessanteinschätzung gegeben, die ich Ihrer Aufmerksamkeitnempfehle. Er hat hier vorgetragen, die Türkei sei heuteicht beitrittsfähig und die EU sei heute nicht aufnahme-ähig, aber man solle Beitrittsverhandlungen eröffnen.r hat damit die Hoffnung verbunden, dass sich das zumositiven ändern werde. Habe ich Sie da richtig verstan-en, Herr Kollege?
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Peter Hintze
– Gut.Wenn aber die Türkei heute nicht beitrittsfähig ist undwenn die Europäische Union heute nicht aufnahmefähigist,
dann fehlt nach Geist und Buchstaben des EU-Vertragsjede, aber auch jede Begründung dafür, sich in dieser Si-tuation in Beitrittsverhandlungen hineinzustürzen;
denn, verehrte Zwischenruferinnen Roth und Sager, dieAufnahmefähigkeit der Europäischen Union ist abso-lut Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsver-handlungen. Es wäre ein gefährliches politisches Experi-ment mit den Gefühlen der Türken und mit der realenSituation der Europäischen Union, wenn man sich ineine Verhandlung hineinbegäbe, an deren Anfang nochnicht einmal die Grundvoraussetzung, nämlich die prin-zipielle Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union,stünde.
Herr Kollege Hintze, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Westerwelle?
Gern.
Bitte schön, Herr Westerwelle.
Herr Kollege Hintze, Sie waren so freundlich, auf
meine Ausführungen Bezug zu nehmen. Sie haben ge-
sagt, wenn heute die Beitrittsfähigkeit nicht gegeben sei,
so dürften auch die Beitrittsverhandlungen nicht aufge-
nommen werden. Da Sie das in einen Zusammenhang
mit meinen Ausführungen gestellt haben, erlaube ich
mir, in einer Frage einen Widerspruch anzumelden. Kön-
nen Sie mir irgendein Land nennen, das der EU beigetre-
ten ist, zum Beispiel in diesem Jahr, das bereits zum
Zeitpunkt der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen bei-
trittsfähig war?
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er Kollege Westerwelle hat sich nämlich leider verhört.ch habe gesagt, die Aufnahmefähigkeit ist die Grundvo-aussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlun-en. Als wir mit Polen, Estland, Lettland, Slowenien undngarn verhandelt haben, war die Aufnahmefähigkeiter Europäischen Union für diese Länder voll gegeben.
eute sagen selbst Sie mit Blick auf die Türkei, die Auf-ahmefähigkeit sei noch nicht gegeben. Genau da liegter Unterschied, Herr Kollege Westerwelle.
Jetzt kommt der Bundesaußenminister und beschwörtie Kontinuität. Er hat uns dazu viel vorgelesen und sagtn Richtung unserer Vorsitzenden, wir hätten eine Wendeollzogen.
eine Damen und Herren, wenn eine politische Kraft iniesem Hause in der Türkeifrage eine Wende vollzogenat, dann ist das Rot-Grün, niemand anders. Das will ichetzt erläutern.
s wurden Adenauer und Kohl zitiert und es wurde aufahrzehntelange Kontinuität der Bundespolitik verwie-en. Herr Schäuble, Frau Merkel und andere sind ge-annt worden.
as haben denn alle früheren Regierungen gemacht? Alliese Regierungen haben erkannt, dass wir gute undreundschaftliche Beziehungen zur Türkei benötigen,ass aber eine Vollmitgliedschaft eine Überdehnung dar-tellen würde.
eswegen gilt von Adenauer bis Kohl und von Merkelis Schäuble – –
Ehe Sie hier schreien „Wo denn?“, lassen Sie mich erstinmal die Frage beantworten.In all den Jahrzehnten, die Sie für Ihre These der Kon-inuität anführen, sind andere Formen der Zusammenar-
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Peter Hintzebeit gewählt worden, nämlich von der Assoziierung biszur Zollunion,
und eben nicht die Vollmitgliedschaft. Die Ergebnissedes Luxemburger Gipfels, die Herr Fischer zitiert hat,hat er, wie bei ihm üblich, unvollständig zitiert. In Lu-xemburg wurde 1997 ein Aufnahmeantrag in die Euro-päische Union aus dem Jahre 1987 ablehnend beschie-den, genau wie im Jahre 1963 der Mitgliedsantrag ausdem Jahre 1957 abgelehnt wurde.
– Frau Roth, zu Ihnen komme ich auch noch. – Die Kon-tinuität deutscher Politik bestand darin, dass alle Regie-rungen – Bundeskanzler Helmut Schmidt hat uns ja nocheinmal daran erinnert, ihr Lieben –
erkannt haben, dass eine Vollmitgliedschaft Europaüberfordert und dass eine gute Partnerschaft auf anderemWege zu suchen ist.Das Modell einer privilegierten Partnerschaft – dieKollegen von der SPD und den Grünen wollten ja wis-sen, wie das aussieht; diesen Wissensdurst will ich gernestillen – liegt von uns übrigens ausbuchstabiert bis insLetzte vor, Herr Kollege Erler.
– Da brauchen Sie doch nicht zu schreien. Erst zitiertFrau Roth Herrn Schäuble falsch,
dann schreien Sie, wenn ich es Ihnen richtig darstelle.
Wir haben in unserem Antrag die privilegierte Partner-schaft als Verhandlungsziel genannt, aber darauf ver-zichtet, dem Europäischen Rat ein bestimmtes Modellvorzuschreiben, dass er eins zu eins übernehmen muss.Sie können doch nicht übersehen, dass in vielen Staa-ten Europas mittlerweile sogar Teile der politischen Lin-ken sagen: Das, was die CDU/CSU in Deutschland vor-geschlagen hat, ist für Europa und für die Türkei gut.Wenn sich der Herr Bundeskanzler beim Besuch vonHerrn Erdogan hinstellt und ausdrücklich jede andereForm der politischen Zusammenarbeit ausschließt undbeschwörungshaft formuliert, es dürfe nur um den Bei-tritt und um nichts anderes gehen, dann handelt er unver-antwortlich und schadet Deutschland.
WmRiHstgIddrlninKsltbaFwbdsEtnWdz
Ihre Rede, Frau Kollegin Roth, fand ich übrigens sehrnteressant. In früheren Zeiten haben Sie in diesemause, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen, dassich die Gesellschaft, die uns in der Türkei gegenüber-ritt, und die Gesellschaft, die wir in Europa kennen,rundlegend voneinander unterscheiden.
ch bin auch sehr erstaunt darüber, dass heute über allas, worüber immerhin die Medien in Deutschland nochankenswerterweise berichten, also über Zwangsverhei-atungen, Ehrenmorde, über die Situation und die Stel-ung der Frau, die Zahl der Folterungen auf Polizeistatio-en und andere Dinge – Kollege Müller hat hierzunteressante Ausführungen gemacht –, praktisch garicht mehr gesprochen wird.
Noch ein kurzer Hinweis zu dem Missverständnis desollegen Westerwelle: Die Beitrittsfähigkeit im wirt-chaftlichen Sinne muss nach den vertraglichen Grund-agen natürlich erst am Ende da sein; aber die Demokra-iefähigkeit muss schon am Anfang vorhanden sein.
In diesem Zusammenhang spielt eine Rolle, dass esei uns Tausende von Anträgen türkischer Staatsbürgeruf Asyl gibt.
ür die, die sich nicht ständig damit beschäftigen: Asylird als Schutz vor staatlicher Verfolgung gewährt.Außerdem gibt es andere Punkte, die in anderen De-atten in diesem Haus angesprochen werden. Wir befin-en uns zum ersten Mal in der Geschichte der Europäi-chen Union in der Situation, dass ein Staat Mitglied deruropäischen Union werden will, der mit seinen Solda-en und seinen Truppen völkerrechtswidrig einen Teil ei-es anderen Staates der Europäischen Union besetzt hält.
enn die Türkei Mitglied der Europäischen Union wer-en will, müsste das erste Kooperationszeichen der Ab-ug der Truppen aus Nordzypern sein.
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Peter Hintze– Ich freue mich, dass auch der Kollege Gerhardt im Na-men der FDP diesen Gedanken unterstützt.
Meine Damen und Herren, vielleicht kann ich ja imzweiten Teil der Debatte den zweiten Teil meiner Redevortragen.
– Die SPD hat es offenbar noch nicht verstanden. Das istauch nicht verwunderlich. – Aber ich hoffe, schon imersten Teil meiner Rede ist deutlich geworden, dasswir – –
Herr Kollege Hintze, Ihre Redezeit ist aber abgelau-
fen.
Dann, Herr Präsident, danke ich denen, die mir zuge-
hört haben,
und den anderen empfehle ich dringend, meine Rede
nachzulesen.
Schönen Dank.
Zunächst weise ich Sie darauf hin, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dass die Debatte um eine halbe Stunde
verlängert wird, wobei die Redezeitverteilung wie üblich
ist. Allerdings verzichtet die Union auf zwei Minuten
zugunsten der FDP, die dann fünf Minuten Redezeit hat.
Zweitens muss ich aufgrund des Protokolls feststel-
len, dass der Kollege Michael Glos die Kollegin Claudia
Roth während ihres Debattenbeitrages als „Verleumde-
rin“ bezeichnet hat.
Ich sehe mich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass es
unparlamentarisch ist, eine Kollegin oder einen Kolle-
gen des Hauses direkt herabzusetzen.
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as gehört nun einmal zu der Disziplin, der wir uns alle
u unterwerfen haben. Ich bitte, das damit zu beenden.
Jetzt setzen wir die Debatte fort. Der nächste Redner
st der Kollege Günter Gloser von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Herr Kollege Hintze, wie hoch muss Ihnen dasasser stehen, dass Sie eine solche Debatte nutzen, umerartige Drohszenarien zu entwerfen und mit Verun-limpfungen und Unterstellungen zu arbeiten! Ich kannas einfach nicht nachvollziehen.
Wenn ich die Vorsitzende Ihrer Partei und Fraktionehe, wie sie da neben ihren Männern sitzt, habe ichanchmal den Eindruck, dass sie denkt: Was soll ich daigentlich? Was geht da für ein Spiel ab?Das möchten wir heute demaskieren. Ich möchte hieramens der SPD noch einmal Folgendes deutlich ma-hen. Wir haben – wie bei allen anderen Prozessen derU-Erweiterung in der Vergangenheit – gesagt: Am An-ang können noch nicht alle Bedingungen erfüllt sein; esst ein Prozess, in dem sich die Dinge entwickeln. Soar es auch bei den osteuropäischen Ländern. In derwischenfrage des Kollegen Westerwelle ist das vorhinrwähnt worden. Sie erinnern sich, glaube ich, nichtehr an Nizza. In Nizza wollten wir eine nicht nur gra-uelle, sondern eine sehr intensive Vertiefung erreichen.u dem damaligen Zeitpunkt haben wir das leider nichteschafft. Trotzdem haben wir den osteuropäischen Län-ern, um sie nicht länger hinzuhalten, eine Perspektiveufgezeigt und ihnen als Datum das Jahr 2004 genannt.adurch ist der Prozess beschleunigt worden. Das warie richtige Strategie.
Alle hier im Hause – zumindest wir von der Koali-ion – warten auf die Vorstellung des Modells einer pri-ilegierten Partnerschaft.
as ist das eigentlich? Sie reden immer nur in Versatz-tücken. In einem Autohaus kann ich mir Modelle an-chauen. Sie aber stellen uns Ihr Modell nicht vor. Sieeden nur über den Begriff „privilegierte Partnerschaft“.ie Kollegin Pau hat vorhin zutreffend gesagt, dass Sieit diesem Ausdruck vielleicht nur Ihre Beziehung un-ereinander beschreiben wollen, aber nicht das, was Sien Bezug auf die Türkei konkret vorhaben.
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Günter Gloser
Ich wiederhole die Frage: Warum gab es während der16-jährigen Regierungszeit von Herrn Kohl zu keinemZeitpunkt eine Veränderung Ihrer Position? All das, waswir heute diskutieren, hat es damals in ähnlicher Formgegeben. Plötzlich – aufgrund einer für Sie anderen Si-tuation – greifen Sie dieses Thema auf.
Wir sagen ganz bewusst – ich will das deutlich he-rausstreichen –: Wir wollen, dass die Türkei auf demeingeschlagenen Weg vorangeht und den Prozess derDemokratisierung fortführt. Es kann von Ihnen doch inkeiner Weise geleugnet werden, dass sich im politischenund im gesellschaftlichen Bereich vieles verändert hat.Wenn Herr Müller immer davon spricht – Herr Müllerbeschreibt sozusagen von der Alm aus bestimmte Szena-rien; so kennen wir ihn mittlerweile
– nein, nichts gegen die Alm im Allgemeinen, aber ge-gen seine Alm –, was da alles noch passieren kann, dannmuss ich Sie fragen: Haben Sie nicht einmal zur Kennt-nis genommen, wie viele positiven Veränderungen esetwa im Bereich des Strafrechts in der Türkei gegebenhat?
Es hat in den letzten Monaten auch positive Veränderun-gen hinsichtlich der Rolle der Frau und der Sanktionenbei Ehrenmorden gegeben.Wir sind uns doch alle darin einig, dass es in diesenBereichen eine Nachhaltigkeit geben muss. Es kannnicht sein, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt einGesetz beschließt und vielleicht auch kommentiert, esaber nicht in die Praxis umsetzt. Ich denke, die Türkeiwird daran gemessen werden. Wir setzen die Hoffnungdarauf, dass es einen nachhaltigen Prozess gibt.Ich kann Ihnen auch aufgrund von Gesprächen mittürkischen Kolleginnen und Kollegen berichten – auchmit Kolleginnen und Kollegen Ihrer vielleicht künftigenSchwesterpartei AKP –, dass sie immer wieder betonen:Wir gestalten den Prozess in Richtung mehr Menschen-rechte für die Menschen in unserem Land und nicht inerster Linie deswegen, um gewisse Kriterien der Europäi-schen Union zu erfüllen. Denn auch die Bürgerinnen undBürger in der Türkei sollen Grundrechte besitzen. – Dasist ein ganz wichtiger Fortschritt.
Ich möchte noch auf einen Bereich zu sprechen kom-men, der nicht nur bei uns, sondern auch in benachbartenLändern eine Rolle spielt. Wir verbinden mit diesemProzess eben auch die Hoffnung – das ist seit Helsinkiund Kopenhagen deutlich geworden –, dass die Regie-rung der Türkei auch im Hinblick auf die Zypernfrageweiterhin eine aktive Rolle einnimmt. Dass sie das bis-hWlmtkasFgndGTgdmswßtepElgmvVZdsldwgrwuEMdewgtenz
Ich möchte in diesem Haus für das werben – manuss die betreffende Stelle im Protokoll einmal nachle-en, weil sie im Beifall vielleicht untergegangen ist –,as Herr Schäuble vorhin gesagt hat. Ich habe seine Äu-erung so verstanden, dass auch er eine Beitrittsperspek-ive sieht. Er hat nur die Schlussfolgerung gezogen, dasss möglicherweise eine wie auch immer ausgestalteterivilegierte Partnerschaft zwischen der Türkei und deruropäischen Union geben kann, wenn diese Verhand-ungen nicht zum Erfolg führen. Diese Haltung, den er-ebnisoffenen Prozess mitzugestalten, unterscheidet sicheines Erachtens wohltuend von den Äußerungen, dieon der CSU verbreitet worden sind.Herr Glos, abgesehen von Ihrem Ausrutscher und dererleumdung in der gestrigen „Frankfurter Allgemeineneitung“ frage ich mich manchmal: Warum haben Sieenn heute nicht das Wort ergriffen und verkündet: „Ichtehe zu dem, was ich 1997 gesagt habe“? Das ist näm-ich genau die Politik, die heute von dieser Koalition aufen verschiedensten Ebenen gemacht wird. Sie aberollen vergessen machen, was Sie vor wenigen Jahrenesagt haben. Es wäre natürlich ein Zeichen von Füh-ung, wenn die Fraktionsvorsitzende sagen würde: Ichill, dass meine Fraktion bei diesem Thema einmütig istnd sich zu einem solchen Prozess bekennt, wie ihn dieuropäische Union begonnen hat. Aber dazu ist Frauerkel nicht in der Lage.
Ich glaube, der Prozess, den die Europäische Unioner 25 am 17. Dezember dieses Jahres eröffnen wird, istin wichtiges Zeichen für die Türkei. Wir sollten, wieir das auch bei der letzten Erweiterung um zehn Länderetan haben, innenpolitische Ängste – diese gibt es na-ürlich – und Hinweise auf Risiken ernst nehmen. Abers ist Aufgabe der Politik, diese Ängste nicht noch durchicht vorhandene Argumente zu verstärken, sondern klaru sagen, was durch die Politik leistbar ist.
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Günter GloserHerr Müller, Sie können noch so häufig in diesemParlament von Mehrbelastungen des EU-Haushaltes inHöhe von 40 Milliarden bzw. 50 Milliarden Euro spre-chen. Eindeutig ist – das wird immer wieder gefordert –,dass sich die finanzielle Vorausschau der EuropäischenUnion für die Zeit nach 2006 verändern wird, dass dieSachpolitiken, zum Beispiel die Landwirtschafts- unddie Strukturpolitik, überprüft und andere Schwerpunktegesetzt werden müssen. Die Zahlen, die vorhin von derCDU/CSU genannt worden sind, werden dann nicht zu-treffen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.Sicherlich müssen wir auch unseren türkischenFreunden sagen – denn Sie schüren hier Zuwanderungs-angst –:
Ihr müsst die Binnenwanderung im eigenen Land in denGriff bekommen und genauso, wie wir es getan haben,bestimmte Regionen, die heute unterentwickelt sind, för-dern, damit die Wanderung innerhalb der Türkei nichtnur in Richtung Westen, nach Ankara und Istanbul, von-statten geht. Das ist eine wichtige Aufgabe. Dem istnicht mit Drohszenarien, Verleumdungen, Unwahrheitenund Unterstellungen zu begegnen, sondern mit Informa-tion und Aufklärung. Dazu wollen die SPD und die Ko-alition auf jeden Fall ihren entscheidenden Beitrag leis-ten.
– Sie, Herr Glos, haben nur eines im Sinn: zu vernebeln.Das liegt Ihnen besonders.Danke.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedbert Pflüger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wis-sen vom dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen,dass auch Joschka Fischer lange Zeit gegen eine türki-sche Vollmitgliedschaft in der EU war.
Ohne die übrigen EU-Partner zu informieren, hatteRasmussen während der dänischen Präsidentschaft imzweiten Halbjahr 2002 einem Fernsehteam erlaubt, beiallen Gelegenheiten zu filmen. Fast immer trug er einkleines Mikrofon an seinem Revers.
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Als der Beitrag darüber 2003 im dänischen Fernsehenief, war die Aufregung groß. Denn in dieser Fernsehsen-ung fragt der dänische Außenminister Møller seinenhef Rasmussen: Habe ich dir schon gesagt, dassoschka Fischer innerhalb von zwölf Stunden zumhema Türkei/EU drei verschiedene Meinungen verkün-et hat?
Weiter erfuhr die Öffentlichkeit, dass Fischer – jeden-alls zeitweise – die Auffassung vertreten habe, dass un-edingt die eine oder andere Form der Angliederung un-erhalb der EU-Mitgliedschaft – wir nennen dasrivilegierte Partnerschaft – gefunden werden müsse.
Herr Fischer, wenn wir heute eine privilegierte Part-erschaft verkünden, Sie aber ausweislich des Mikro-ons
iese Aussagen damals gemacht haben, dann kann das,as wir heute in dieser Debatte vertreten, nicht so ganzumm sein.
Meine Damen und Herren, es ist doch eindeutig – da-über besteht nirgendwo im Haus Streit; wir sollten ge-enüber der Türkei auch nicht so tun, als gäbe es darübertreit –: Wir alle wollen, dass die Türkei unser Freundnd Partner ist. Wir alle würdigen, was sie für uns in dereit des Kalten Krieges, aber auch jetzt bei der Stabili-ierung des Südostens von Europa geleistet hat. Wir alleollen und müssen hier mit den Türken friedlich zusam-enleben. Sie bereichern uns auf vielfältige Weise. Wirollen nicht polarisieren,
ir wollen die Türkei nicht wegstoßen, sondern wir wol-en sie im Gegenteil an uns, an Europa, anbinden, weilie geopolitische Stabilität, die von einer solchen Anbin-ung ausgeht, für uns alle wichtig ist. Darüber besteht iniesem Hause Einigkeit. Versuchen Sie nicht, hier einenünstlichen Streit über Dinge vom Zaun zu brechen, beienen wir alle einer Meinung sind! Diesen Eindruck derürkei zu vermitteln ist eine falsche Politik.
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Dr. Friedbert PflügerWir alle wollen freundschaftliche Beziehungen mitder Türkei. Die Frage ist nur, ob es der Maßstab einerehrlichen Freundschaft ist,
dass man möglichst bald für Verhandlungen über eineVollmitgliedschaft der Türkei eintritt. Dies scheint mirnicht der Fall zu sein. Vielmehr heißt der Maßstab, obman der Türkei ehrliche, überschaubare und präzise An-gebote für die nächsten Jahre macht. Jetzt anzubieten,dass man verhandelt und abwartet, wie es in 15 Jahrenaussehen wird, ist keine faire Politik gegenüber der Tür-kei. Dann werden nämlich 15 Jahre lang Erwartungenaufgebaut.
Anschließend gibt es in Frankreich ein Referendum unddie ganze Sache stürzt ab.Wir haben demgegenüber ein Modell entwickelt, dasneben dem Scheitern und der von Ihnen angestrebtenVollmitgliedschaft auch das Angebot einer privilegiertenPartnerschaft enthält. Warum nehmen Sie dieses Modellnicht an? Nur, weil es von der CDU/CSU kommt?
Inzwischen wird doch in ganz Europa darüber diskutiert.Die gesamte französische Nationalversammlung ist da-für. Schreiben Sie diesen Vorschlag doch in das Papierhinein und machen Sie ihn sich zu Eigen.
Es ist wichtig, dass wir die Türkei nicht irgendwannscheitern lassen. Vielmehr müssen wir sie auffangen.Dafür brauchen wir Institutionen. Hierfür ist der Ge-danke der privilegierten Partnerschaft genau der richtige.Warum sind denn die französischen Sozialisten dafür?Warum können nicht auch Sie dafür sein? Diese Politik,die Türkei nicht ins Leere stürzen zu lassen, wird viel-leicht einmal sehr wichtig sein, wenn wir nicht wollen,dass sie sich den Islamisten zu- und von Europa abwen-det. Daher sollten Sie die privilegierte Partnerschaft inden Beschluss des Rates hineinschreiben.Meine Damen und Herren, nicht nur wir von derUnion stellen kritische Fragen im Hinblick auf den bal-digen Verhandlungsbeginn. Giscard, Egon Bahr, HelmutSchmidt, Hänsch sowie aus Ihrer Fraktion Klose undMeckel haben völlig legitime und wichtige Fragen ge-stellt: Überfordern wir die EU mit dem, was wir hiertun? Wolfgang Schäuble, Peter Hintze und Gerd Müllerhaben dies vorhin schon zum Ausdruck gebracht.Die EU muss in der globalisierten Welt handlungsfä-hig sein. Wir wollen und müssen doch mit einer Stimmesprechen, wenn wir in der internationalen Politik Ge-wkSunfmWsgILLAbdihbffdmmddflemaUnrfaDweTteauvk
chon jetzt gibt es in der EU überall Desintegrations-nd Überdehnungstendenzen. Der Stabilitätspakt wirdicht mehr eingehalten. Es ist fraglich, ob wir den Ver-assungsvertrag in Europa unter Dach und Fach bekom-en. So vieles ist inzwischen in der EU fragil geworden!ir haben noch überhaupt keine Erfahrungswerte, wieich die Aufnahme der zehn neuen Länder auf den Inte-rationsprozess auswirkt.
n einer so unklaren Situation nicht einem Land wieitauen oder Luxemburg, sondern einem riesigen, stolzenand wie der Türkei ein immerhin sehr weit reichendesngebot zu machen scheint mir eine nicht verantwort-are Politik und ein schwerer Fehler zu sein.
Wahrscheinlich helfen Sie damit Herrn Erdogan inen nächsten ein, zwei Jahren. Es ist ein gutes Motiv,m bei seinem Reformprozess zu helfen. Aber wir ha-en die Sorge, dass sich die Türken langfristig enttäuschtühlen werden – spätestens nach dem französischen Re-erendum – und wir damit islamistischen Tendenzen iner Türkei Vorschub leisten werden. Der gesamte gut ge-einte Prozess würde kontraproduktiv, wenn die Isla-isten in der Türkei gestärkt und nicht geschwächt wer-en sollten.
Sie wollen mit dem Prozess der Integration in die EUen Reformprozess in der Türkei stabilisieren. Das istür sich genommen ein gutes Argument, natürlich wol-n wir das alle. Ist es aber auch ein ausreichendes Argu-ent für die Vollmitgliedschaft? Müssen wir nicht auchn unsere Interessen und an die Handlungsfähigkeit dernion denken? Haben Sie vielleicht einmal darüberachgedacht, ob der Integrationsprozess auch dazu füh-en kann, Destabilisierungstendenzen in der Türkei zuördern?Ich habe bei meinem Besuch in der Türkei im Maiuch mit Islamisten gesprochen.
ie Islamisten in der Türkei haben sehr klar gesagt: Wirollen alle, dass die Türkei in die EU kommt, damit wirndlich den Kemalismus und das Kopftuchverbot in derürkei überwinden können. Herr Gül, der Außenminis-r, verkündet das im türkischen Fernsehen und führtus: Wenn wir Verhandlungen mit der EU führen, kannns niemand mehr eine islamistische Partei in der Türkeierbieten.Das heißt, es könnte – natürlich ungewollt – umge-ehrt ablaufen. Der EU-Integrationsprozess könnte in
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Dr. Friedbert Pflügerder Türkei Auswirkungen haben, die wir nicht wollen, erkönnte den alten Laizismus in der Türkei, die Trennungvon Staat und Religion, erst infrage stellen. Deswegen,glaube ich, ist es völlig legitim, dass wir besorgte undkritische Fragen an Sie richten und nicht einfach sagen:Wir sind gute Menschen, wir wollen die Türkei und wirwollen Stabilität, deswegen nehmen wir sie auf. Wirmüssen sehr vorsichtig und verantwortungsvoll mit die-ser äußerst wichtigen Sache umgehen.
Das tut meine Fraktion und ich denke, das ist eine Auf-gabe für uns alle in diesem Parlament.Die Türkei ist unser Freund; daran wird nicht gerüt-telt. Deshalb sollten Sie in Ihrem eigenen Interesse oderin dem Interesse, das Sie zu haben vorgeben,
nicht die Mär verbreiten, dass wir irgendjemanden weg-stoßen und in Europa nicht dabeihaben wollen.
Das ist Unsinn, dagegen verwahren wir uns. Wir wolleneine stabile, gute und europaorientierte Türkei. Deswe-gen machen wir das Angebot der privilegierten Partner-schaft.
Schreiben Sie es doch einfach hinein und tun Sie das,was die Europäische Kommission sagt. Die Europäi-sche Kommission gibt Ihnen in ihrem Bericht eine guteVorlage.
Sie schreibt: Selbst wenn die Verhandlungen mit derTürkei scheitern sollten, muss die Türkei in europäi-schen Strukturen aufgefangen werden. Diese Aussagekann man ebenfalls in privilegierte Partnerschaft über-setzen. Die Türkei muss aufgefangen werden. Tun wirdas doch! Bereiten wir das jetzt schon für den Fall desScheiterns vor, sodass wir in diesem Fall ein eigenesModell haben. In diesem Sinne bitten wir Sie herzlichdarum, nicht zu polarisieren,
sondern ganz vernünftig und sachlich das Thema zu be-raten.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer.
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eil er Probleme ausgesessen hat und weil er eine rie-ige Staatsverschuldung aufgehäuft hat.
ir freuen uns darüber, dass wir dies 1998 geschafft ha-en.
Wir haben trotz der Fehler, die Helmut Kohl aus unse-er Sicht gemacht hat – die Ablösung der Regierungohl war historisch überfällig –, eines immer anerkannt:r war ein großer Europäer.
ir haben die Leistungen Helmut Kohls für Europa alsistorische Leistungen anerkannt. Die Türkeipolitik,ber die wir heute sprechen, war Teil der europäischenolitik Helmut Kohls.
eshalb reden wir heute auch über das Vermächtnison Helmut Kohl und ich kann die heutige Debatte nurn einem Sinne begreifen: Die CDU/CSU erbt den nega-iven Anteil der Ära Kohl, nämlich die Reformfeindlich-eit, und Rot-Grün erbt den positiven Anteil, nämlichie vorwärts weisende Europapolitik.
ies ist eine der Lehren dieser Debatte.Ich frage mich, warum es jetzt zu diesem Kurswech-el innerhalb der Union kommt. Er ist angesichts der In-ensität, mit der die Union 40 Jahre lang die richtige Po-itik betrieben hat, eigentlich gar nicht zu begreifen. Ichann mir das nur psychologisch erklären,
ämlich in dem Sinne, dass der Übervater in jeder Hin-icht in den Hintergrund gedrängt werden und man sichamit auch krampfhaft von den Politiken absetzen muss,ie eigentlich richtig gewesen sind. Warum geben Sieas positive historische Vermächtnis von Helmut Kohlreis und betreiben diese – letztlich auch innenpolitischotivierte – Politik gegen die Türkei? Das ist völlig un-erständlich.
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Dr. Ludger VolmerSie geben sie preis unter dem Scheinargument, mehr Op-tionen und mehr Verhandlungsoffenheit haben zu wol-len.Es mag ja sein – wir wissen um die Risiken desVerhandlungsprozesses –, dass sich zu irgendeinem Zeit-punkt herausstellt, dass es nicht geht. Dann sind viel-leicht Notlösungen gefragt. Wenn man aber bereits heuteüber Notlösungen und Trostpreise redet, ist das nichtsanderes, als dass man eine sich selbst erfüllende Prophe-zeiung in Gang setzt, und zwar mit dem heimlichen Wil-len, dass die Verhandlungen scheitern. Ich unterstelle Ih-nen: Sie wollen, dass der Verhandlungsprozess scheitert.Deshalb reden Sie sein Scheitern heute herbei. Deshalbreden Sie heute über Notlösungen und Trostpreise undtun so, als seien dies positive Perspektiven.
Wir werden uns dieser sich selbst erfüllenden Prophe-zeiung entgegenstellen. Wir sind für einen hinsichtlichdes Ergebnisses festgelegten Prozess. Wir wollen, dassdie Türkei Mitglied der Europäischen Union wird. Wirwissen aber um all die Risiken. Darüber braucht uns nie-mand zu belehren. Gerade wir Grünen haben uns mit derMenschenrechtslage in der Türkei in den letzten20 Jahren, seit wir im Bundestag sind, sehr intensiv undkritisch auseinander gesetzt. Wir haben aber auch ge-lernt: Es bringt nichts, ein solches Land in die Isolationzu treiben.Es ist das Ergebnis einer integrativen Außenpolitik,dass die Türkei dabei ist, sich mit außerordentlich be-merkenswerten Schritten in Richtung Demokratie zuentwickeln. Diese Tendenz wollen wir weiter unterstüt-zen. Wir wollen dies auch im Hinblick auf Sicherheitsin-teressen, die nach dem 11. September 2001 stärker ge-worden sind. Dies ist nicht das prioritäre Motiv für denBeitritt der Türkei; aber es ist eine zusätzliche Motiva-tion. Wir können doch nicht über die desaströse Lage imIrak, über die Gefährdungen, die vom Iran ausgehen,über den immer noch ungelösten Nahostkonflikt reden,ohne uns Gedanken darüber zu machen, ob nicht die Eu-ropäische Union endlich eine dritte Dimension, einestrategische Dimension braucht, die sie in die Lage ver-setzt, als strategisch handelnder Akteur Einfluss aufdiese Regionalkonflikte zu nehmen. Wenn man überdiese dritte Dimension der europäischen Politik nach-denkt, über die strategische Dimension, begreift man so-fort, dass der Türkei dabei eine Schlüsselrolle zukommt.Deshalb gehört es zu den Schlüsselprojekten auch derdeutschen Sicherheitspolitik, die Türkei so weit in deneuropäischen Kontext bis hin zur Vollmitgliedschaft inder Europäischen Union zu integrieren, dass sie ihreScharnierfunktion, nämlich ein laizistischer, gleichwohlislamisch geprägter Staat und eine entsprechende Gesell-schaft zu sein, zwischen dem so genannten Westen undder arabisch-islamischen Welt wahrnehmen kann. EineTürkei an unserer Seite, eine Türkei eng verzahnt mituns, hat für uns unschätzbare sicherheitspolitische Vor-teile.dmdmrhDudIMebsTpFLegkrsa–WdGWNkatHmaDmhBwwg
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer für
ie FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch möchte, da wir schon die Gelegenheit haben, einigeinuten länger darüber zu diskutieren, auf einige Punkteingehen, die in dieser Debatte eine Rolle gespielt ha-en. Es ist über die Beitritt- und Aufnahmefähigkeit ge-prochen worden. Wer würde behaupten wollen, dass dieürkei heute beitrittsfähig wäre? Das ist weder unterolitischen noch unter wirtschaftlichen Kriterien derall.Betrachten wir die letzte Erweiterungsrunde, als zehnänder der Europäischen Union beitraten, und seien wirhrlich: Waren wir uns, aus heutiger Perspektive, zu Be-inn der Verhandlungen immer sicher, dass die Beitritts-andidaten alle politischen und wirtschaftlichen Krite-ien erfüllen? Die wirtschaftlichen Kriterien warenowieso nicht immer erfüllt, die politischen allerdingsuch nicht immer.Zur Aufnahmefähigkeit der Europäischen Unionauf dieses Kriterium hat auch mein Kollegeesterwelle aufmerksam gemacht – ist zu sagen, dassie Europäische Union heute insbesondere aus zweiründen zweifellos nicht aufnahmefähig ist: Erstens.ir arbeiten noch immer auf der Basis des Vertrages vonizza. Auf dieser Basis ist eine Mitgliedschaft der Tür-ei eindeutig nicht möglich. Deswegen – nicht nur, aberuch deswegen – brauchen wir die Verfassung. Zwei-ens. Ohne eine Reform der Europäischen Union anaupt und Gliedern, insbesondere hinsichtlich der Ge-einschaftspolitiken, ist die Europäische Union nichtufnahmefähig.
aher müssen wir diese Reform der Europäischen Unionit Engagement, Kraft und Ambition angehen.Meine Damen und Herren, wenn man Beitrittsver-andlungen aufnimmt, muss man ehrlich sein. Wenn dieedingungen, die man selbst stellt, erfüllt sind, undenn die Verhandlungskapitel erfolgreich abgeschlossenerden können – es mag viel Skepsis geben, ob das gelin-en wird –, dann darf man nicht die mentale Reservation
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Dr. Werner Hoyerhaben, dass man den Beitritt trotzdem nicht will. Ausdiesem Grunde heißen die Verhandlungen Beitrittsver-handlungen und nicht etwa Sondierungsverhandlungenüber die zukünftige Zusammenarbeit.
Jetzt ist es entscheidend, wie das Verhandlungsman-dat ausgestaltet wird. Ich hätte mir gewünscht, die Bun-desregierung könnte uns dazu schon etwas mehr sagen,denn das Verhandlungsmandat wird diesen Prozess inden nächsten 15 Jahren bestimmen. Wir werden uns da-ran orientieren müssen, wenn wir diesen Prozess beglei-ten.In diesem Zusammenhang sind mir folgende Aspektewichtig: Es müssen einige Bedingungen erfüllt sein, dieselbst dann relevant sind, wenn alle Verhandlungskapitelabgeschlossen sind. Die Themen Verfassung und Ge-meinschaftspolitiken habe ich bereits genannt. Aus-drücklich nenne ich auch das Thema Zypern; denn es istvöllig undenkbar, dass ein Land Mitglied der Europäi-schen Union wird, das in einem anderen Mitgliedslandgegen dessen Willen militärisch präsent ist.
Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns völlig einig.Das müssen die Türken wissen. Die Türkei kann sichnoch so demokratisch und marktwirtschaftlich entwi-ckeln, aber solange sie die völkerrechtswidrige Beset-zung Nordzyperns nicht aufgibt, wird es keinen Beitrittzur Europäischen Union geben.
Zusätzlich zur Erfüllung dieser Bedingungen brau-chen wir einen Prozess des Monitoring. Mir reichen dieFortschrittsberichte der Kommission, die eher ein Routi-neprozess sind, nicht aus. Das hat nichts mit ungleicherBehandlung zu tun; denn der Gleichheitsgrundsatz be-sagt, dass Ungleiches auch ungleich behandelt werdenmuss. Ich wünsche mir, dass das Europäische Parlamentund die Parlamente der Mitgliedstaaten in einen solchenMonitoringprozess einbezogen werden, damit wir amEnde der Verhandlungen nicht plötzlich vor unangeneh-men Überraschungen stehen.Lassen Sie mich noch etwas zur Ergebnisoffenheitsagen. Auf die Türkei kommen, wie auf jeden Beitritts-kandidaten, erhebliche Herausforderungen zu. Diese He-rausforderungen sind auch dann noch vorhanden, wennman eines Tages Mitglied der Europäischen Union ist.Ich glaube, darauf müssen wir die Beitrittsländer besservorbereiten. Das ist auch beim Beitritt der letzten zehnneuen Mitgliedstaaten nicht immer gut gelungen; das ha-ben wir im letzten Jahr, als es um die Verfassung ging,gemerkt.Meine Damen und Herren, die Europäische Union de-finiert sich nicht als ein Endzustand, in den man eintritt,sondern als ein Prozess, der weitergeht. Ein neues Mit-gliedsland darf sich selbst daher nicht als Garantie zurBlockade der Vertiefung der Integration in der Europäi-schen Union verstehen.IkssadbabtühnÜDfaswmFd
ch glaube, wir müssen unseren türkischen Freundenlar machen, dass sie, wenn sie Mitglied der Europäi-chen Union werden, wenn also alle Bedingungen erfülltind und wenn wir glauben, einen Beitritt der Türkei ver-ntworten zu können, Mitglied in einem Prozess sind,er seit den Römischen Verträgen als „ever closer union“eschrieben wird. Wir wollen nicht, dass dieser Prozessufgrund der Aufnahme eines einzelnen Mitglieds ab-richt. Diese Erwartung sollten wir gegenüber unserenrkischen Freunden, mit denen wir ergebnisoffen ver-andeln sollten, klar zum Ausdruck bringen, damit esicht eines Tages auf der türkischen Seite unangenehmeberraschungen gibt.Herzlichen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufrucksache 15/3949 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Interfraktionell wirduch Überweisung der Vorlagen auf den Druck-achen 15/4031 und 15/4064 an dieselben Ausschüsseie bei Tagesordnungspunkt 4 a vorgeschlagen. Sind Sieit diesen Überweisungen einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 n sowieie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:27 a) Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-scher Streitkräfte bei der Unterstützung dergemeinsamen Reaktion auf terroristische An-griffe gegen die USA auf Grundlage desArt. 51 der Satzung der Vereinten Nationenund des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowieder Resolutionen 1368 und 1373 (2001)des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen– Drucksache 15/4032 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschussgemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung von wegerechtlichen Vorschriften– Drucksache 15/3982 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschuss
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12335
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerc) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-setzes über das Wohnungseigentum und dasDauerwohnrecht– Drucksache 15/3423 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Rechtsausschussd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Än-derungsurkunden vom 18. Oktober 2002 zurKonstitution und zur Konvention der Interna-tionalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember1992– Drucksache 15/3879 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeite) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 30. September 2003 zwischender Regierung der Bundesrepublik Deutsch-land und der Regierung der Republik Bulga-rien über die Zusammenarbeit bei der Be-kämpfung der organisierten und der schwerenKriminalität– Drucksache 15/3880 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussf) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 14. Mai 2003 zwischen der Bun-desrepublik Deutschland und der RepublikIndonesien über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/3882 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussg) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Än-derungsprotokoll vom 26. August 2003 zu demVertrag vom 28. Februar 1994 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Repu-blik Moldau über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/3883 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussh) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 10. Juli 2000 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland undder Palästinensischen Befreiungsorganisationzugunsten der Palästinensischen Behörde über
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Än-derungs- und Ergänzungsprotokoll vom14. Mai 2003 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Polen zu demVertrag vom 10. November 1989 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Volksre-publik Polen über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/3885 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussj) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 27. März 2003 zwischen der Bundes-republik Deutschland und der RepublikTadschikistan über die Förderung und den ge-genseitigen Schutz von Kapitalanlagen– Drucksache 15/3886 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschussk) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-derung des Ehe- und Lebenspartnerschafts-namensrechts– Drucksache 15/3979 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendl) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum inter-nationalen Familienrecht– Drucksache 15/3981 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendm) Beratung des Antrags der Abgeordneten GüntherFriedrich Nolting, Helga Daub, Jörg van Essen,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPAngleichung der Ost-Besoldung an West-niveau– Drucksache 15/589 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
VerteidigungsausschussHaushaltsausschussn) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Daniel Bahr ,
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerHorst Friedrich , weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDPBessere Möglichkeiten im Kampf gegen Trun-kenheitsfahrten in der Seeschifffahrt schaffen– Drucksache 15/3725 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
InnenausschussRechtsausschussZP 2a)Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demDritten Zusatzprotokoll vom 4. Juni 2004 zumAbkommen vom 16. Juni 1959 zwischen derBundesrepublik Deutschland und dem König-reich der Niederlande zur Vermeidung derDoppelbesteuerung auf dem Gebiete derSteuern vom Einkommen und vom Vermögensowie verschiedener sonstiger Steuern und zurRegelung anderer Fragen auf steuerlichemGebiete– Drucksache 15/4026 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. UweKüster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag,Volker Beck , weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NENWettbewerb und Innovationsdynamik im Soft-warebereich sichern – Patentierung von Com-puterprogrammen effektiv begrenzen– Drucksache 15/4034 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und MedienEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Die Kolleginnen Petra Pau und Dr. Gesine Lötzschhaben zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortset-zung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräftebei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion aufterroristische Angriffe gegen die USA auf Druck-sache 15/4032 gemäß § 80 Abs. 4 der Geschäftsordnungbeantragt, vor der Ausschussüberweisung eine Ausspra-che durchzuführen. Zu diesem Antrag erteile ich der Ab-geordneten Dr. Gesine Lötzsch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung hat gestern in ihrer Kabi-
nettsitzung beschlossen, dem Bundestag einen Antrag
über die Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
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– Drucksachen 15/3783, 15/3985 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 15/4044 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Peter KemperClemens BinningerSilke Stokar von NeufornDr. Max StadlerDer Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/4044, den Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-ssmBduwgdBdtzdDw
und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeord-neten Franziska Eichstädt-Bohlig, IrmingardSchewe-Gerigk, Volker Beck , weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordne-ten Joachim Günther , Horst Friedrich
, Eberhard Otto (Godern), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDPPlanung und städtebauliche Zielvorstellun-gen des Bundes für den Bereich beiderseitsder Spree zwischen Marschallbrücke undWeidendammer Brücke vorlegen– zu dem Antrag der Abgeordneten GünterNooke, Dirk Fischer , Eduard
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerOswald, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSUPlanung und städtebauliche Zielvorstellun-gen des Bundes für den Bereich beiderseitsder Spree zwischen Marschallbrücke undWeidendammer Brücke vorlegen– Drucksachen 15/2981, 15/2157, 15/3939 –Berichterstattung:Abgeordnete Petra WeisGünter NookeDer Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-tionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, derCDU/CSU und der FDP auf Drucksache 15/2981 mitdem Titel „Planung und städtebauliche Zielvorstellun-gen des Bundes für den Bereich beiderseits der Spreezwischen Marschallbrücke und Weidendammer Brückevorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – DieBeschlussempfehlung ist einstimmig angenommen wor-den.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag derFraktion der CDU/CSU, Drucksache 15/2157, der dengleichen Titel trägt wie der Antrag, über den zuvor abge-stimmt wurde, für erledigt zu erklären. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ein-stimmig angenommen worden.Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen desPetitionsausschusses.Tagesordnungspunkt 28 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 153 zu Petitionen– Drucksache 15/3961 –Wer stimmt dafür? – Stimmt jemand dagegen? – Ent-haltungen? – Die Sammelübersicht 153 ist einstimmigangenommen worden.Tagesordnungspunkt 28 j:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 154 zu Petitionen– Drucksache 15/3962 –Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Die Sammelübersicht 154 ist ebenfalls einstim-mig angenommen worden.Tagesordnungspunkt 28 k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 155 zu Petitionen– Drucksache 15/3963 –haESdwgvSddfE
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
– Drucksache 15/3980 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungBerufsbildungsbericht 2004– Drucksache 15/3299 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wi-erspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstür die Bundesregierung die Frau Bundesministerindelgard Bulmahn.
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Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenHerren und Damen! Heute debattieren wir die umfas-sendste Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes seitmehr als 30 Jahren. Wir stellen damit die berufliche Bil-dung auf eine neue Grundlage, die die Berufsausbildungqualitativ verbessert und sie zukunftssicher macht.
Eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufga-ben ist es, jungen Menschen eine qualifizierte Erstaus-bildung zu ermöglichen.
Nur so sichern wir Jugendlichen gute Beschäfti-gungschancen und eine Teilhabe am Arbeitsleben. Einequalifizierte Berufsausbildung ist aber auch deshalb sowichtig, weil sich Unternehmen nur mit gut ausgebilde-ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im internatio-nalen Wettbewerb behaupten können.Wir müssen schon heute aufgrund der demographi-schen Kerndaten davon ausgehen, dass uns in zehn bis15 Jahren bis zu 3,5 Millionen Fachkräfte fehlen wer-den, wenn wir nicht gegensteuern. Das heißt, die Ju-gendlichen, über die wir heute sprechen, spielen für denErhalt der Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft eineganz besonders wichtige Rolle.
Daher haben sich die Bundesregierung und die Wirt-schaft im nationalen Ausbildungspakt verpflichtet, zu-sätzliche Ausbildungsplätze für junge Menschen inDeutschland bereitzustellen und ihnen damit die Chancezu eröffnen, eine gute Ausbildung zu erhalten.Angesichts der zum 30. September dieses Jahres nochfehlenden 31 000 Ausbildungsplätze steht der Pakt jetztvor der entscheidenden Bewährungsprobe. Es müssennun alle Potenziale für die Nachvermittlung genutzt wer-den,
damit es uns bis zum Jahresende gelingt, wirklich allenJugendlichen ein Ausbildungsplatzangebot machen zukönnen, ihnen so eine qualifizierte Ausbildungschancezu ermöglichen. Die Wirtschaft – ich will das noch ein-mal ausdrücklich sagen – ist auch in ihrem eigenen Inte-resse gefordert, alles dafür zu tun, damit dieses Ziel er-reicht wird.
Die Bundesregierung hat ihrerseits erhebliche An-strengungen unternommen, um die Ausbildungschancender Jugendlichen zu erhöhen. Speziell für die neuenLänder haben wir gemeinsam mit den Ländern das Aus-bildungsplatzprogramm Ost 2004 auf 14 000 Ausbil-dlduAddLdmAdntiDfAu2DDJwwsAvpmDdlDzszgrk
uch die Bundesagentur für Arbeit bietet 500 Ausbil-ungsplätze mehr an.Die Bundesregierung unterstützt das neue Instrumenter Einstiegsqualifizierung durch einen Zuschuss zumebensunterhalt der Jugendlichen und die Übernahmees pauschalierten Gesamtsozialversicherungsbeitragesit rund 270 Millionen Euro während der dreijährigenusbildungszeit. Darüber hinaus verdoppeln wir die För-erung des Programms „STARegio“, mit dem wir regio-ale Initiativen zur Verbesserung der Ausbildungsstruk-uren und des Angebots betrieblicher Ausbildungsplätzen den besonders schwierigen Regionen unterstützen.afür stellt mein Haus eine ganze Menge Mittel zur Ver-ügung.
Die Kammern – hier geht es um die beiden großenusbildungsbereiche Industrie und Handel, aber auchm das Handwerk – haben im Vergleich zum September003 rund 13 200 Ausbildungsverträge mehr registriert.as ist ein Plus von 3,1 Prozent.
as zeigt, dass der Ausbildungspakt bereits in diesemahr eine erhebliche Dynamik entfaltet hat und ersteichtige Erfolge erzielt werden konnten.
Ich will an dieser Stelle ausdrücklich das außerge-öhnliche Engagement der Wirtschaftsverbände, insbe-ondere der Kammern, und der Unternehmen sowie derusbildungsverantwortlichen vor Ort anerkennen.
Sie haben gezeigt, dass es möglich ist, einen negati-en Trend umzukehren und deutlich mehr Ausbildungs-lätze zu mobilisieren, wenn wirklich alle engagiert mit-achen und an einem Strang ziehen.
ie aktuellen Probleme auf dem Ausbildungsmarkt be-euten nicht, dass sich das System der dualen beruf-ichen Ausbildung überlebt hat. Ganz im Gegenteil.
as System der dualen beruflichen Bildung ist weltweitu Recht anerkannt. Es bietet im Kern allen jungen Men-chen die Chance, eine qualifizierte Beschäftigung auf-unehmen und damit ihr Leben selbstverantwortlich zuestalten. Gleichzeitig sichert das System der dualen Be-ufsausbildung der Wirtschaft die Fachkräfte der Zu-unft und trägt damit wiederum entscheidend zur Wett-
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Bundesministerin Edelgard Bulmahnbewerbsfähigkeit und zum Wohlstand Deutschlands bei.Damit das so bleibt, muss sich die duale Berufsausbil-dung den neuen Herausforderungen stellen. Der Gesetz-entwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, tut ge-nau dieses.
Ziel der Reform ist es, die Verbesserung der Ausbil-dungschancen der Jugendlichen sicherzustellen sowieeine hohe Qualität der beruflichen Ausbildung für alleJugendlichen unabhängig von ihrer sozialen oder regio-nalen Herkunft zu gewährleisten.
Wir geben mit diesem Gesetzentwurf keine Königs-wege vor, sondern wir bauen Flexibilität aus und ver-stärken sie. Diesem Leitgedanken folgt der von uns vor-gelegte Entwurf. In Zukunft können die Akteure vor Orteine stärkere Kooperation der betrieblichen und derschulischen Systeme vereinbaren, um die Ausbildungs-qualität zu steigern, alle Ausbildungskapazitäten optimalzu nutzen und damit auch strukturellen Veränderungenin der Wirtschaft besser gerecht zu werden.Durch die neue Kombination von betrieblicher undschulischer Ausbildung kann sowohl ein regionalerMangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen besser aus-geglichen werden als auch auf den in vielen Ausbil-dungsberufen steigenden Theorieanteil angemessener re-agiert werden. Dies wird dadurch möglich, dass das neueGesetz den Ländern die Möglichkeit eröffnet, sicherzu-stellen, dass schulische Berufsausbildungszeiten in aner-kannten Ausbildungsberufen genauso zählen wie be-triebliche Ausbildungszeiten.
Das entspricht im Übrigen auch dem Wunsch der Lan-desregierungen, und zwar unabhängig von der Parteizu-gehörigkeit. Von einem Paradigmenwechsel weg von derbetrieblichen hin zur schulischen Ausbildung, wie es ei-nige von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herrenvon der Opposition, gelegentlich unterstellen, kann hiernicht die Rede sein.
Ein solcher Paradigmenwechsel findet nicht statt.
Rund 500 000 Jugendliche befinden sich in schuli-schen Berufsausbildungsmaßnahmen, davon rund200 000 in vollzeitschulischen Berufsbildungsgängen,die zu einem beruflichen Abschluss führen.Mit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes eröffnenwir den Ländern die Option, diesen Jugendlichen überVereinbarungen mit den Kammern die Zulassung zurKammerprüfung zu erleichtern. Denn die Kammerprü-fung ist eine wichtige Voraussetzung für einen erfolgrei-chen Berufseinstieg. Die Länder haben diese Überlegun-gen im Bundesrat ausdrücklich begrüßt.irmmwmatwaMsdFseaqMlvahmwbebdfBegdggdwbDpmBvs
Das neue Berufsbildungsgesetz sieht außerdem vor,ass Ausbildungsabschnitte, die im Ausland absolvierterden, zu einem integralen Bestandteil der Berufsaus-ildung im dualen System werden.
as ist die logische Konsequenz der Entwicklung Euro-as zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum. Deshalbüssen wir auch dafür Sorge tragen, dass die Anteile dererufsausbildung, die im Ausland absolviert werden, inollem Umfang anerkannt werden.Ebenfalls neu ist die Möglichkeit, Zusatz- oder Auf-tiegsqualifikationen in Zukunft bereits während der
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Bundesministerin Edelgard BulmahnErstausbildung zu erwerben. Damit eröffnen wir leis-tungsstarken jungen Menschen neue Perspektiven für ihrberufliches Fortkommen und reagieren zugleich auf diesteigenden Qualifikationsanforderungen in einer globali-sierten Welt.Die Neuerungen im Bereich des Prüfungswesensermöglichen nunmehr die Durchführung von Abschluss-prüfungen in zwei Teilen. Prüfungsleistungen aus derBerufsschule können in die Bewertung der Prüfung miteinfließen.
Die neu gestaltete Erprobungsklausel eröffnet außerdemWege, Ausbildungsberufe an aktuelle Entwicklungen zü-giger anzupassen.Das neue Berufsbildungsgesetz knüpft an die bewähr-ten Strukturen des Berufsbildungsgesetzes von 1969 an.Es integriert aber auch die neuen und modernen Erkennt-nisse der Berufsbildungsforschung und passt den ord-nungsrechtlichen Rahmen an die Entwicklung der Be-rufsausbildung in den letzten Jahren an. Kurz gesagt:Die gesetzliche Grundlage stimmt also endlich mit denAnforderungen und Zielstellungen in der beruflichenAusbildung vollständig überein.
Wir haben zudem die Regelungen zur fachlichen Eig-nung in einem einheitlichen und transparenten Systemfür alle zusammengefasst.Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Sicherungeiner hochwertigen beruflichen Bildung eine wichtigeAufgabe bleibt. Mit der heute von uns vorgelegten No-velle machen wir in diesem Sinne einen weiteren wichti-gen Schritt. Ich möchte alle – die Betriebe, die Regio-nen, aber auch die Länder sowie die jungen Frauen undMänner – auffordern, sich dieser Aufgabe, dieser He-rausforderung kreativ und mit Mut zur Verantwortung zustellen. Das gilt natürlich genauso für den DeutschenBundestag.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Schummer.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! MeineHerren! Die duale Ausbildung ist ein StandortvorteilDeutschlands. Sie ist eng an der betrieblichen Praxisorientiert und ein idealer Einstieg in die Arbeitswelt. Soist die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland um etwa6 Prozent geringer als in den Ländern der EuropäischenUnion, die eine verschulte Berufsausbildung haben. Dasbedeutet, die praktische Ausbildung ist von großem Vor-teil.
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Was Sie umlegen wollen, müssen Sie den Betriebenrst einmal abnehmen. Deshalb handelt es sich um einebgabe.Die Zeit, die Sie vertan haben, hätten wir mit einerchnelleren Berufsbildungsreform besser genutzt. Die1 200 Schulabgänger, die momentan unversorgt sind,lso keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, sind dieeidtragenden einer Politik der langen Bank, auf die Sieie Novelle zum Berufsbildungsgesetz erst einmal ge-choben haben.
Bereits 1998 kündigte Bundeskanzler Schröder in sei-er Regierungserklärung eine Initiative zur Flexibilisie-ung und Modernisierung der Berufsausbildung an.
echs Jahre ist nichts passiert. Nachdem wir mit unserennitiativen das Tempo beschleunigt haben, können wirun produktiv diskutieren. Doch der Ausbildungspaktedarf der Ergänzung durch ein modernisiertes Berufs-ildungsgesetz. Das ist die andere Seite der Medaille.ie Reform muss vor allem die weitere Verschulungtoppen und stattdessen die betriebliche Ausbildung stär-en. Die Erosion der betrieblichen Ausbildung muss be-ndet werden.
elbst ein mäßiger betrieblicher Ausbildungsplatz istesser als die schönste Ersatzmaßnahme.
Das Berufsbildungsgesetz war 1969 – Herr Tauss, Sieissen das sicherlich aus Ihrem reichhaltigen Leben –ines der letzten Projekte der großen Koalition vonnion und SPD. Wir haben in letzter Zeit oft eine partei-bergreifende Regelung angeboten. Sie wäre auch in derradition des Berufsbildungsgesetzes. Wir wollen sehrachlich eine gemeinsame Linie herstellen. Aber Sieüssen sich erst einmal bewegen und vor allem Wider-prüche in Ihrem Gesetzentwurf beseitigen. So fordernie in Ihrem Gesetzentwurf die Verschlankung von Gre-ien und Bürokratieabbau. Gleichzeitig fordern Sieedoch die flächendeckende Gründung regionaler
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Uwe SchummerBerufsbildungskonferenzen ein. Wie Sie beide Ziele– Entbürokratisierung und neue Strukturen – gleichzeitigerreichen wollen, bleibt ein Mysterium Ihrer Politik.
Erst gestern schrieb Ihnen der Hauptausschuss desBundesinstitutes für Berufsbildung folgenden Beschlussins Stammbuch – ich zitiere –:Die im Gesetzentwurf vorgesehenen regionalenBildungskonferenzen sind nicht erforderlich, da de-ren Aufgaben von bestehenden Gremien und Insti-tutionen … wahrgenommen werden können.Auch das Stimmrecht der Lehrerseite in den Berufsbil-dungsausschüssen lehnt der Hauptausschuss, bestehendaus Vertretern des Bundes, der Länder, der Wirtschaft,der Wissenschaft und der Gewerkschaften, mit dem ges-trigen Beschluss eindeutig und klar ab. Es würde die Pa-rität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreternzu einer Drittelparität verändern.
Wenn 50 Prozent von Politik und Wirtschaft Psycho-logie ist, dann frage ich, ob es klug ist, dass bei der be-trieblichen Ausbildung die Arbeitgeberseite – zumindesttheoretisch – weitgehend ausgehebelt werden kann. DieMotivation zur Ausbildung wird hierdurch in den Betrie-ben sicher nicht steigen.
Es macht Sinn, die Berufsschulergebnisse beim theo-retischen Teil der Kammerprüfung zu berücksichtigen
oder zu überlegen, ob die Berufsschule den Theorieteilganz übernimmt. Nötig ist eine Langzeitbewertung, dienicht nur die dreitägige Kammerprüfung, sondern auchdie drei Jahre in der Berufsschule berücksichtigt.Ob und wie dies geschehen kann, das sollten wir nachder Expertenanhörung besprechen.
Baden-Württemberg hat dank seiner Abstimmung mitden Kammern die größte gemeinsame Prüfungserfah-rung. Generell gilt, dass die Prüfungen insgesamt ver-schlankt und auch entrümpelt werden müssen.Frau Bulmahn, bei der Stufenausbildung haben Siesich bewegt, aber leider zu wenig.
Vor dem Hintergrund von 1,2 Millionen Schulabgängernbis 29 Jahre, die keine berufliche Ausbildung haben, isteine Zwischenzertifizierung überfällig. Wir, die Union,sagen ein klares Ja zum Berufskonzept und zur dafürnotwendigen Breitenausbildung. Wer sagt: „Drei Jahreoder kein Abschluss, alles oder nichts“, der lässt zu, dassjährlich 100 000 junge Menschen vor dem beruflichenNwmtdsdgf9fkswADNw–sVIpegEgindgtelennes2shw–utbdd
Wir wollen deshalb, dass die Stufenausbildung voner Ausnahme zur Regel wird. In der Bauwirtschaft hatie nicht zur Schmalspurausbildung geführt, sondernazu, dass ein Einstiegskorridor für praktisch Begabteeschaffen wurde. Das saarländische Beispiel der Stu-enausbildung im Pflegebereich zeigt ebenso, dass über0 Prozent der Auszubildenden auch die zweite Stufe er-olgreich abschließen. Wer die erste Stufe schafft, derommt automatisch in die zweite Stufe und hat am Endeeinen Vollabschluss. Hauptschüler würden auch dortieder zugelassen, wo heute die mittlere Reife oder dasbitur zwingend gefordert werden. Uns geht es hier umifferenzierung und Flexibilisierung.
ötig ist, eine stärkere Betrachtung des Menschen so,ie er ist, und nicht, wie er nach Ihrem Bild sein sollte.Über Ausbildungsmodule könnte die zweite Stufedas ist ein weiteres Charakteristikum – auch zu einempäteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Eine stärkereernetzung von Aus- und Weiterbildung ist überfällig.m Zusammenhang mit dem europäischen Ausbildungs-ass, der ab 2005 in den Staaten der Europäischen Unioningeführt werden soll, würden diese Module auch dieegenseitige Anerkennung der Berufsausbildung in deruropäischen Union erleichtern.Ihr Entwurf hat die berufliche Weiterbildung kaumestreift. Frau Bulmahn, ich habe das Gefühl, Sie haben diesem Punkt vor Herrn Clement, der im Kabinett fürie Weiterbildung zuständig ist, kapituliert. Wir sindern bereit, Sie zu unterstützen, wenn auch bei der Wei-rbildung endlich neue Prioritäten gesetzt werden sol-n. Beraten Sie ruhig weiter; auch im Kabinett muss Ei-igkeit erzielt werden.Wir sind ebenfalls dafür, die Probezeit auf sechs Mo-ate zu verlängern, wenn es gewünscht wird. Das wärein gegenseitiger Schutz vor den Folgen einer Fehlent-cheidung. Nach dem Berufsbildungsbericht gibt es5 Prozent Ausbildungsabbrecher. Ein Drittel dieser Per-onen nennt für den Abbruch persönliche Gründe: Manabe den falschen Beruf oder den falschen Betrieb ge-ählt. Der Zeitraum der Probezeit von drei Monatenwobei in dieser Zeit noch ein sechswöchiger Block-nterricht absolviert werden muss – kann für beide Sei-en zu kurz sein, um zu entscheiden, ob die Ausbildungzw. der Auszubildende richtig ist.Zwei Drittel der Betriebe, die nicht ausbilden, tunies aus Kostengründen. Der größte Kostenfaktor sindie Ausbildungsvergütungen.
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Uwe SchummerEs gibt eine große Spannweite: Während beim Friseur-handwerk in Sachsen monatlich 250 Euro Ausbildungs-vergütung gezahlt werden, werden beim Bankgewerbe inHessen 900 Euro Ausbildungsvergütung gezahlt. Diedurchschnittliche Ausbildungsvergütung im Monat liegtbei 600 Euro.
Das zeigt, dass der größte Teil der Ausbildungsvergü-tungen im oberen Segment liegt. Die Definition einer„angemessenen Ausbildungsvergütung“ soll den Gestal-tungsspielraum für Tarif- und Betriebsparteien vergrö-ßern, Bündnisse für mehr Ausbildung einzugehen; Ab-weichungen von einem Drittel nach unten sollenmöglich sein. Richterrecht erlaubt den Tarifpartnern undBetriebsparteien heute schon, um bis zu 20 Prozent ab-zusenken. Wir wollen den Tarif- und Betriebsparteienletztlich mehr Spielraum geben.Es gibt ähnliche Tarifverträge in der Chemieindustrie,im Bauhauptgewerbe sowie im Metall- und Elektrobe-reich, die die Schaffung von weit über 1 500 neuenAusbildungsplätzen angereizt haben. Wer an die Kostenherangeht, sorgt also letztlich dafür, dass mehr Ausbil-dungsplätze bereitgestellt werden.
Wir wollen den Tarif- und Betriebsparteien etwasmehr Spielraum einräumen, als Sie das derzeit wollen.
Letztlich nehmen wir an den Tarifen Maß – das istentscheidend –, aber Spielraum muss auch sein, damitverstärkt betriebliche Bündnisse für Ausbildung ge-schaffen werden.
Der Regierungsentwurf macht aus der Not eine Tu-gend. Sie setzen damit im Kern auf eine stärkere Ver-schulung der Berufsausbildung.
Das Gegenteil ist notwendig. Wir brauchen eine stärkereKonzentration, um neue betriebliche Ausbildungsplätzezu schaffen. Hier müssen Sie nacharbeiten.
Wenn Sie nicht auf uns hören wollen oder dürfen,liebe Kolleginnen und Kollegen, dann hören Sie zumin-dest auf den Hauptausschuss des Berufsbildungsinstituts.Das Institut hat in ähnlicher Form wie wir argumentiert.Gestern hat man einen Beschluss im Hauptausschuss her-beigeführt. Die Vertreter von Wissenschaft, Gewerk-schaften, Wirtschaft, Bund und Ländern in diesem Insti-tut haben den richtigen Weg gewiesen. Wir sind bereit,pflAwumTKnktbargrtdSIzWAdPnfhddlTs
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Grietje Bettin.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Nach den langen und hitzigen Debatten über dieusbildungsplatzumlage bin ich ganz froh darüber, dassir mit der Modernisierung des Berufsbildungsgesetzesnd dem vorliegenden Berufsbildungsbericht heute zu-indest zwei politisch weniger umstrittene Punkte zumhema Ausbildung auf der Tagesordnung haben.
Das geschieht allerdings in einer Zeit, in der sich dasompetenzgerangel um Bildungszuständigkeiten auf ei-em Höhepunkt befindet. Ich hoffe, dass die Macht-ämpfe um Kompetenzen in diesem Bereich nicht zulas-en der Jugendlichen in unserem Land gehen.
Genauso wenig dürfen Partikularinteressen der Ar-eitnehmer- oder der Arbeitgeberseite für unsere Reformusschlaggebend sein. Deswegen begrüße ich, dass dieot-grüne Bundesregierung an dem politischen Ziel fest-ehalten hat, das Berufsbildungsgesetz zu modernisie-en. Ich appelliere an die Länder, Jugendliche und Be-riebe nicht als Faustpfand zu benutzen, wie sie eserzeit mit den Hochschulen machen.
ie von der Opposition wollen den Hochschulen liebernvestitionen vorenthalten, als die Eigenheimzulage ab-uschaffen. Diese Blockadepolitik kann ich beim bestenillen nicht verstehen.
Wie dringend Reformen sind, zeigt die Lage auf demusbildungsmarkt. Der Ausbildungsbericht weist ein-eutig darauf hin, dass immer weniger Jugendliche einenlatz in der dualen Berufsausbildung, einen Platz in ei-em Betrieb mit begleitendem Berufsschulunterricht,inden. Ein modernisiertes Berufsbildungsgesetz sollier Entlastung und mehr Flexibilität bringen.Auch benachteiligte Jugendliche – sie sind mir inieser Diskussion ganz besonders wichtig – sollen durchie Reform eine Chance erhalten. Sie sollen mit Teilqua-ifikationen Schritt für Schritt in ihrem individuellenempo einen vollen Beruf erlernen können.
Eine weitere Leitfrage ist dabei für uns: Wie kann diechleichende Auswanderung aus dem dualen System
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Grietje Bettinbeendet werden? Der freiwillige Pakt könnte ein Bau-stein dazu sein. Er muss aber erst noch Erfolg zeigen.Daher bleibt für uns Grüne weiterhin die „Stiftung Be-triebliche Bildungschance“, kurz „StiBB“ genannt, einwichtiges Angebot, das kreative und unbürokratischeLösungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmernermöglichen soll. Wir wollen eine solche Stiftung imRahmen des Pakts gründen. Sie soll nach unserer Auf-fassung besonders regionale und branchenspezifische Ini-tiativen unterstützen und in einem modernisierten Be-rufsbildungsgesetz integrieren.
Unsere Ziele dabei sind für die Auszubildenden nichtnur mehr, sondern auch bessere Ausbildung. Für dieAusbilder und Ausbilderinnen an beiden Lernorten wol-len wir Unterstützung bieten. Wir wollen sie praktischunterstützen, ihnen Fortbildungsmöglichkeiten eröffnenund damit ihren Beruf grundsätzlich attraktiver machen.Unser Ziel für die Arbeitgeber ist ganz klar: Sie sollengeschulte und motivierte Auszubildende bekommen.Auch dem Standort hilft es: Wir wollen alle motiviertenund fähigen Menschen in Bildung und Beruf bringen.Ein weiteres wichtiges Element für uns Grüne ist– das war ein Problem beim Umlagegesetz – die Koope-ration zwischen den Lernorten Betrieb und Schule.Diese Zusammenarbeit muss gerade auf regionalerEbene erleichtert und verbessert werden. Auch Berufs-schulen müssen die notwendige Autonomie erhalten, ummit den Betrieben und den Jugendlichen vor Ort mög-lichst optimale Lernbedingungen schaffen zu können.
Wie auch in allen anderen Bildungsbereichen wollen wirfür die Berufsschulen Erfolgsorientierung statt Input-steuerung. Bildungsstandards müssen in diesem Bil-dungsbereich eingeführt, genauso muss eine Qualitätssi-cherung etabliert werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen außer-dem eine stärkere Einbindung der Lehrerinnen und Leh-rer als Ausbildungsbegleiter. Der Übergang von derSchule in Betrieb und Berufsschule oder schulische Aus-bildung muss, auch im Interesse der jungen Menschen,fließender gestaltet werden. Eine positive Grundeinstel-lung zum Lernen, eine Bereitschaft, sich mit verändern-den Arbeitsbedingungen permanent weiterzuentwickeln –das ist das, was unser Bildungs- und Ausbildungssystemder jüngeren Generation unbedingt vermitteln muss.
Bedingung dafür ist für uns, dass gleiche Qualität undbundesweite Einheitlichkeit der Qualifikationen gesi-chert bleiben. Es spricht hier einiges dafür, eine natio-nale Qualitätsagentur einzurichten, aber bitte nicht anden Parlamenten vorbei. Diese Aufgabe per Staatsver-trag der KMK, die sich doch gerade verschlanken will,aufs Auge zu drücken, halten wir für keine gute Idee.
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as würde der Qualität der Ausbildungen massiv scha-en und die Mobilität einschränken. Auf mittlere Sichtäre dies das sichere Aus für die duale Ausbildung.Um es zu klar zu sagen: Ich finde es gut, wenn sichie Spielräume der Länderparlamente vergrößern. Schu-ische Modellversuche zum Beispiel sollten nicht mehron der KMK abgesegnet werden müssen. Auch dieusgestaltung der Ausbildung zwischen Betrieb undchule kann in den Ländern geregelt werden. Unabding-ar sind für mich nur bundeseinheitlich gestaltete Be-ufsbilder.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne wollen inachen Ausbildungsplatzlücke endlich eine dauerhafteösung finden. Der Vorschlag, nur vorübergehend schu-ische Ausbildungsgänge zu stärken, indem man dieammerprüfung befristet zulässt, ist meiner Meinungach nicht zielführend. Es ist nicht etwa so, dass es nurorübergehend einen Berg von Ausbildungswilligenibt, den wir in den nächsten Jahren mit besonderenaßnahmen untertunneln könnten, um danach wieder inen alten Trott zu verfallen. Die Geburtenrate allein istämlich kein Maßstab für den Bedarf an Ausbildung ineutschland. Wir müssen umgekehrt schauen, wie vieleut ausgebildete Menschen uns fehlen. Da müssen wiracharbeiten und sowohl die Weiterbildung im Beruftärken, als auch junge Menschen aus den unsäglichenarteschleifen holen.In den letzten Jahren – wenn nicht Jahrzehnten – ha-en Zehntausende von Jugendlichen keine qualifizierteerufsausbildung bekommen. Das müssen wir jetzt sochnell wie möglich nachholen – ohne Abstriche bei derualität. Deswegen halten wir die im Gesetzentwurforgesehene dauerhafte Zulassung vollzeitschulischerildungsgänge zur Kammerprüfung für einen wichtigennd richtigen Schritt, der vor allem auch der Durchläs-igkeit unseres Bildungssystems dient.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vonnfang an unsere Reform einer strengen Überprüfungnterziehen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung sollach unserer Vorstellung die Folgen für Jugendliche, Be-riebe und das gesamte System kritisch bewerten, amesten noch unterstützt durch eine internationale Institu-ion. Wir als Grüne wollen die Akzeptanz des dualenystems in Deutschland dadurch bewahren und europa-auglich machen, dass wir – wie ich schon gesagt habe –erufsbilder auch zukünftig bundesweit einheitlich re-eln. Neue Berufsbilder müssen schneller als bisher ent-ickelt werden. Daher muss das bisherige Anerken-ungsverfahren verschlankt werden. Gleichzeitig darf esach unserer Vorstellung nicht zu einer schleichendenntschulung der Ausbildung kommen. Die Forderungach mehr Flexibilität und Eingehen auf betriebliche Er-ordernisse darf nicht zu Schmalspurausbildungen füh-en. Auch die Unternehmen profitieren doch von eineroliden betrieblichen und schulischen Berufsausbildung.
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Grietje BettinDas kann man, wie ich finde, gar nicht oft genug wieder-holen.
Wir hoffen, dass die guten Ansätze des Entwurfs nunnicht durch Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund undLändern ausgebremst werden,
sondern dass sich alle miteinander in einen konstrukti-ven Wettbewerb zur Verbesserung der betrieblichen Bil-dung stürzen, sodass mehr Jugendliche eine bessereAusbildung bekommen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christoph
Hartmann, und zwar zu seiner vorerst letzten Rede hier,
weil er ins Saarland zurückgeht.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich freue mich, heute hier über ein Thema redenzu können, bei dem weitgehend Einigkeit herrscht: dieNotwendigkeit der Modernisierung des Berufsbil-dungsrechts. Deswegen bin ich dankbar, dass es diesenGesetzentwurf gibt. Er ist angesichts einer Lehrstellenlü-cke von über 31 000 notwendiger denn je. Es ist richtig,dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vorlegt.
Teile des Gesetzentwurfes gehen folglich in die rich-tige Richtung. Erleichterung von Teilen der Ausbildungim Ausland, Möglichkeit gestreckter Abschlussprüfun-gen, verbesserte Verwertbarkeit von erreichten Teilquali-fikationen und nicht zuletzt die Ermöglichung, die Aus-bildung in aufbauenden Stufen zu absolvieren – all dassind richtige und überfällige Schritte.
Aber, lieber Herr Tauss, Sie müssen sich ins Stamm-buch schreiben lassen, dass dieser Gesetzentwurf zu spätkommt und dass er nicht weit gehend genug ist.
Bereits vor Monaten hat es einen Entwurf der CDU/CSUund einen Entwurf der FDP gegeben, aber Sie bringenIwdrDsfEMskdESR–gmmsdgrhdWdBAsRebdBrb
er Weg war falsch; das wussten Sie damals schon. Sieind nach dem Motto vorgegangen: Der Weg ist zwaralsch, aber wir gehen ihn konsequent bis zum Ende. –s wäre besser gewesen, Sie hätten sich wirklich um dieodernisierung des Berufsbildungsrechts gekümmert,tatt Populismus zu betreiben.
Der Gesetzentwurf ist nicht ausreichend, weil er zuurz greift. Er erlaubt richtigerweise die Stufenausbil-ung.
r erlaubt; es ist eine Kannbestimmung. Warum machenie die Stufenausbildung, wenn sie richtig ist, nicht zuregel?
Herr Tauss, nun hören Sie doch wenigstens ein einzi-es Mal zu, und wenn es bei meiner letzten Rede ist!
Die regionalen Berufsbildungskonferenzen führen zuehr Bürokratie statt zu weniger. Sie führen theoriege-inderte Berufe ein, aber das sind bisher nur Trippel-chritte, denn das betrifft nur etwas mehr als 10 Prozenter Berufe. Das ist zu wenig. Gerade schwächere Ju-endliche brauchen eine Chance. Da müsste die Bundes-egierung schneller und konsequenter vorgehen als bis-er.Wir brauchen einen Bildungspass für jeden Auszubil-enden, in dem lebenslang die Berufsbildung und dieeiterbildung erfasst werden. Diesen Bildungspass for-ern übrigens nicht nur wir Liberale, sondern auch dasundesinstitut für Berufsbildung.Es fehlt der eindeutige Vorrang der betrieblichenusbildung. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass Ab-olventen vollzeitschulischer Ausbildung sogar einenechtsanspruch auf die Zulassung zur Kammerprüfungrhalten sollen. Das ist äußerst bedenklich, auch im Hin-lick auf die mögliche Abwertung der dualen Ausbil-ung. Unsere Meinung wird auch in diesem Fall vomundesinstitut für Berufsbildung geteilt.
Es gibt Ausbildungshemmnisse, an die Sie nicht he-angehen. Ein Beispiel ist die Angemessenheit der Aus-ildungsvergütung. Tarifungebundene Betriebe und
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Christoph Hartmann
Auszubildende sollen die Vergütung doch, bitte, frei ver-einbaren können. Denn – ich bleibe bei meiner Mei-nung – es ist besser, für 500 Euro ausgebildet zu werden,als für 700 Euro nicht ausgebildet zu werden.
Es gibt auch Ausbildungshemmnisse außerhalb desBerufsbildungsrechts, an die wir heranmüssen: diePflicht zur Übernahme von Angehörigen der Jugend-und Auszubildendenvertretung, die mangelnde Flexibili-sierung der Beschäftigungszeiten, insbesondere im Hin-blick auf das Hotel- und Gaststättengewerbe.
Die Bildungspolitik, lieber Herr Tauss, muss verbessertwerden. Jedes Jahr gibt es 90 000 Schüler ohne Ab-schluss, selbstverständlich auch im Saarland. Nach Aus-sage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkssind 15 Prozent eines Jahrgangs nicht in der Lage, dieGrundvoraussetzungen wie Lesen, Schreiben und Rech-nen zu erfüllen.
Nicht zuletzt muss auch die Wirtschaftspolitik verbessertwerden, vor allem angesichts des drohenden Rekords beiden Insolvenzen im dritten Jahr hintereinander. Da kannich nur sagen: Wer pleite ist, kann nicht ausbilden.
Es wäre fatal, wenn man der Meinung wäre, mit derModernisierung des Berufsbildungsrechtes hätte manseine Hausaufgaben gemacht und den Jugendlichen bzw.den Auszubildenden geholfen. Nein, das reicht nicht.Die Modernisierung des Berufsbildungsrechts kann nurein Schritt sein, jedem Jugendlichen in Deutschland eineAusbildungsstelle zu verschaffen.Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen eigenen Ge-setzentwurf vorgelegt, der die Mängel Ihres Gesetzent-wurfs behebt und in dem weitere Vorschläge gemachtwerden. Wir werden am 22. November eine Expertenan-hörung haben. Die Experten werden Ihnen sagen, dass esgut ist, dass Ihr Gesetzentwurf vorliegt, dass es aberdeutliche Nachbesserungen im Sinne und im Interesseder Auszubildenden und der Ausbildung geben muss.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist heute meine
vorerst letzte Rede im Deutschen Bundestag. Am
5. September gab es Landtagswahlen im Saarland. Die
FDP hat den Wiedereinzug in den Landtag geschafft.
– An dieser Stelle brauchen Sie auch nicht zu
klatschen. – Wenn man gewählt ist, dann muss man den
nächsten Schritt gehen. Deswegen nehme ich das Man-
dat an, auch wenn es mir – das gebe ich gerne zu –
schwer fällt.
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Danke schön.
Ich habe jetzt die Aufgabe, eine Drei-Mann-Land-
gsfraktion zu führen. Ich drohe hiermit eines an: Wenn
ir das zu unübersichtlich oder zu schwierig wird, dann
omme ich wieder. Ihnen alles Gute.
Vielen Dank.
Ich wünsche Ihnen auch im Namen des Hauses alles
ute für Ihre Zukunft. Wir wissen, dass drei Liberale
chwieriger zu regieren sind als andere.
lles Gute für Sie.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter
rasedieck.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Herr Hartmann, auch ich wünschehnen alles Gute für Ihre Arbeit in der Dreierfraktion.Herr Schummer, Sie haben in Ihrer Rede viele Berei-he aufgezeigt, in denen wir mit Ihnen übereinstimmennd in denen die großen Fraktionen den gleichen Wegehen. Aber man muss doch feststellen, dass Sie etwaschwarz gemalt haben.Zum einen lehnen Sie das Stimmrecht der Berufs-chullehrer im Berufsbildungsausschuss ab. Sprechenie einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen vomundesrat, die bekanntlich dort die Mehrheit haben! Sienterstützen diesen Vorschlag ausdrücklich und haben Jaazu gesagt.Zum anderen fordern Sie bei der Festlegung der Aus-ildungsvergütung mehr Spielraum für die Tarifpartner.
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Dieter GrasedieckHerr Schummer, die Tarifpartner haben bei uns dengrößten Spielraum. Sie bestimmen das ganz alleine.
Wir wollen die Tarifhoheit natürlich nicht abbauen.Jeffrey Immelt, der Chef-Manager von General Elec-tric, sagte in der Fernsehsendung „Christiansen“:Unsere Firma ist nach Deutschland gekommen,weil die Deutschen sehr gut ausgebildet und inno-vativ sind.Ferner sagte er, dass er hier gut ausgebildete IT-Fach-leute findet. Deshalb sei seine Firma nach Deutschlandgekommen.
Das sind natürlich positive Aussagen. Das ist eine Re-klame von einem Amerikaner. Auch die Oppositionsollte das einmal zur Kenntnis nehmen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft ergänzt dieseAussage. Das duale Ausbildungssystem ist absoluteSpitze, so schreibt es. Betrachten Sie einmal die Un-terschiede: 70 Prozent in der Altersgruppe der 20- bis30-Jährigen haben entweder eine Berufsausbildung ab-geschlossen oder das Abitur. In Amerika sind es 47 undin Spanien 28 Prozent. Das sind natürlich enorme Unter-schiede. Genau deshalb sieht bei uns die Lehrstellen-und Arbeitsmarktsituation der Jugendlichen besser ausals die in anderen europäischen Staaten. Herr Schummer,genau darauf haben Sie hingewiesen. Bei uns ist dieJugendarbeitslosigkeit am geringsten. Man muss zu-dem feststellen: Seit 1998 wird sie geringer. Die Situa-tion heute ist besser als die vor 1998.
Diesen Standortvorteil will die Frau Ministerin mitihrem Gesetzentwurf ausbauen. Denn jeder von unsweiß: Der Beruf ist das Rückgrat des Lebens. Geradedeshalb brauchen wir in einer globalisierten Welt guteAngebote sowohl für leistungsschwächere Jugendlicheals auch für leistungsstärkere Auszubildende. Daransollte die Industrie ein starkes Interesse haben.
Wir brauchen die Facharbeiter, heute und in der Zukunft.Die Industrie müsste das begleiten und weiter unterstüt-zen; denn der demographische Wandel – die Frau Minis-terin hat es vorhin angesprochen – wird sich auch indiesem Bereich auswirken. Die Zahl der sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigten nimmt dramatisch ab. Dasmuss gesehen werden. Genau deshalb ist unsere dualeAusbildung eine Zukunftsinvestition in die Industrie,aber natürlich auch in unsere Gesellschaft.
Ich sagte es vorhin schon: Angesichts steigender Qua-lifikationserfordernisse – nicht jeder Jugendliche schafftdas – brauchen wir ein gutes Angebot auch für die leis-tungsschwachen Auszubildenden. Schon in den 70er-JtmDefsWcStdhSsAegldanddfmfhzzHlufdsbUAkHA
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Lensing.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach denusführungen, die heute gemacht worden sind, beginne
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Werner Lensingich mit einer persönlichen Bemerkung. Frau MinisterinBulmahn – entschuldigen Sie, dass ich Ihren Dialogstöre –, es wird Sie vermutlich nicht treffen, aber es trifftund betrifft mich: Ich bin traurig.
Jawohl, ich bin traurig über das, was Sie heute in IhremGesetzentwurf nach unserer Vorgabe vorgelegt undmündlich dargestellt haben.
Es reicht einfach nicht, um den aktuellen Herausforde-rungen gerecht zu werden.
Die Novellierungsvorschläge von CDU/CSU und FDPboten Ihnen Anlass, unser gutes Gedankengut in den Ge-setzentwurf einzubringen. Was jetzt allerdings im Detaildaraus geworden ist, reicht – zumindest zum Teil – nichtaus.Ich nenne einen weiteren Grund, warum ich unter die-ser Situation leide: Bereits vor 2 200 Tagen haben wirerfahren, dass die SPD „in einer Ausbildungsoffensivedie Modernisierung und Verbesserung der Attraktivitätder beruflichen Bildung vorantreiben“ will. Zuvor wollteKanzlerkandidat Schröder sogar ein „Deutschland alsIdeenfabrik durch Verdoppelung der Investitionen in Bil-dung, Forschung und Wissenschaft“.
Was ist daraus geworden? Gerade so viel, dass einMitglied des Bundestages, das die wesentlichen Aussa-gen meistens nicht versteht, an dieser Stelle nochklatscht.
Es gibt keine ausreichende Handlungsoption, lediglichviel Gejammer in hoher Tonlage und immer wiederkeh-rende Versuche, eigene Verantwortung auf andere abzu-schieben.Dokument dieses augenscheinlichen Versagens,meine Damen und Herren, ist der jährlich wiederkeh-rende und uns gerade vorgelegte Berufsbildungsbe-richt, der auf entlarvende Weise dokumentiert, dass auf-grund der inzwischen sechs Jahre andauerndenPolitikpleite der rot-grünen Bundesregierung die Wirt-schaft – hier vor allem der Mittelstand – trotz größterAnstrengungen nicht mehr in der Lage ist, eine ausrei-chende Zahl von Ausbildungsplätzen für die Jugend zurVerfügung zu stellen. Dies ist nicht allein eine Frage gu-ten Willens.
Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufs-bildung hat nicht von ungefähr dies in aller DeutlichkeitijdaAggdGlfnDbtddmkssswrvwnssSZdodarsSshAuew
nd verbaute so vielen jungen Menschen den Zugang zuiner ordentlichen Ausbildung. Ich nenne das unverant-ortlich und traurig.
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Werner LensingIch gebe Dieter Grasedieck, dem Kollegen der SPD,Recht, der gesagt hat, dass eine solide Ausbildung dieGrundvoraussetzung für eine erfolgreiche Teilhabe amArbeitsmarkt darstellt.
Sie, Frau Ministerin Bulmahn, haben seinerzeit er-klärt, unser Gesetzentwurf sei zu „schlicht“. Das magaus Ihrer Perspektive so richtig sein, gleichwohl ist esfalsch, und zwar total falsch; denn wer wie Rot-Grün al-les nur von oben regeln will, dem ist unser kompakter,auf Eigenverantwortung gestützter und an der konkretenBasis orientierter Entwurf natürlich zu schlicht.Welche Überregulierung hingegen der Regierungs-entwurf betreibt, kann ich Ihnen mindestens anhand vondrei Punkten nachweisen. Ich mache das aber in allerKürze, weil wir auf diese Themen schon im Laufe dieserDebatte zwangsläufig eingegangen sind. Es geht zumErsten um die Kammerprüfung. Dazu will ich nur zi-tieren, was der Hauptausschuss des Bundesinstitutes fürBerufsbildung gestern in einer gemeinsamen Stellung-nahme von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Vertreternder Länderseite formuliert hat – der Kollege Schummerhat bereits darauf hingewiesen –:Entscheidungen über die Gleichstellung von Bil-dungsgängen müssen im Einvernehmen mit den zu-ständigen Stellen und Sozialpartnern getroffen wer-den. Entscheidend sind die inhaltliche und zeitlicheGleichwertigkeit des schulischen Bildungsgangesmit einem anerkannten Beruf und die Einbeziehungder betrieblichen Praxis.Wenn das keine neutrale Stellungnahme ist! Genau daswar auch immer unsere Auffassung.Ein zweites Thema ist der Gestaltungsspielraum beider Vergütung. Dieses Thema taucht wiederholt auf,weil es existenziell notwendig ist. Dazu möchte ich sa-gen, dass der meist verehrte – nicht: der am meisten ver-ehrte, sondern: der ab und zu verehrte – Kollege Brasedas letzte Mal erklärt hat: Er glaube nicht daran, dass dieAusbildungsvergütungen einen Einfluss auf die Anzahlder zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze hätten.
Das ist ein Irrtum.
Das ist deswegen ein Irrtum, weil sich nach der Befra-gung vieler Betriebe dieses herausgestellt hat: Grund fürdie rückläufigen Ausbildungsstellenangebote sind für73 Prozent der Betriebe die hohen Ausbildungskosten.Deswegen müssen wir an dieser Stelle etwas machen.
Das gilt natürlich, drittens, auch für die regionalenBildungskonferenzen. Warum eigentlich? Diese sindunsinnig, weil sich die jeweils relevanten Akteure in denRegionen bereits kennen und ohnehin seit langem er-folgreich zusammenarbeiten. Darüber hinaus kann kon-sdddbletepfgdlidgleUflivMtiAWgGdücbdRidviGEbwv–bn
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Auch deshalb waren wir übrigens für eine gesetzlicheAusbildungsumlage und nicht für einen fragwürdigenAusbildungspakt.
Wenn wir nun den gesetzlichen Rahmen für die Be-rufsausbildung erneuern, dann natürlich mit klaren An-sprüchen. Wir wollen Chancengleichheit für alle Ju-gendlichen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrerKonfession oder ihrer sozialen Lage. Wir wollen einequalifizierte Grundausbildung, die gute Arbeitschancenund Weiterbildungswege eröffnet. Wir wollen Fachleute,die im Leben bewandert, sozial kompetent und demokra-tisch engagiert sind. Wir wollen schließlich Abschlüsse,die in allen Regionen – daheim, aber auch in anderenLändern Europas – anerkannt werden.
Davon sind wir in der Bundesrepublik bisher weit ent-fernt.Der DGB spricht sogar von einer Ausbildungskrise.Er meint damit nicht nur die fehlenden Ausbildungs-plätze und die damit fehlende Chancengleichheit für vielzu viele Jugendliche. Er meint auch die inhaltlichen Sei-ten der Berufsausbildung. Ich finde, zu Recht.Das führt uns zwangsläufig zu der Frage, ob die vor-geschlagenen Reformen gut und weit reichend genugsind, um aus der Krise herauszukommen. Die PDS imBundestag glaubt, dass das nicht der Fall ist. Das will ichzum Schluss an einem Streit illustrieren, der im Bundes-rat stattgefunden hat. So reklamieren die Bundesländermehr Kompetenzen für sich. Zugleich wollen sie die Ko-ordinierungsrechte des Bundes beschneiden. Vielfaltkann gut und förderlich sein. Sie kann aber auch zu ei-nem babylonischen Sprachgewirr verkommen, das nie-mand mehr versteht. Ich will, dass ein Ausbildungsab-schluss aus Mecklenburg-Vorpommern auch in Bayerngilt und dass ein Zeugnis aus Bremen auch „sachsen-tauglich“ ist. Das gehört zur angestrebten Chancen-gleichheit.
Derselbe Anspruch hat auch seine internationale Ent-sprechung. Es ist gut, wenn Ausbildungsabschlüssewechselseitig anerkannt werden und wenn JugendlicheTeile ihrer Berufsausbildung auch im Ausland absolvie-ren können. Aber die Angleichung internationalerStandards darf nicht nach unten erfolgen. Sie muss mo-dernen Anforderungen genügen.Ausbildungsabschnitte sollen künftig als Module an-geboten werden, die sich zu einer Komplettausbildungsummieren. Das kann gut sein und Jugendlichen, denenihre Ausbildung schwerer als anderen fällt, zusätzlicheAGzstdgGctDedGdWLgRWEggAeDwgsKdhodsrS
Das betrifft übrigens auch die praxisnahe Vorberei-ung auf die Berufsausbildung. Auch hier wünschen sichie Bildungspolitikerinnen und -politiker der PDS weiterehende Reformen. Das betrifft übrigens auch dieleichbehandlung spezifischer und dennoch beachtli-her Gruppen. Ich nenne nur Jugendliche mit Migra-ionshintergrund oder Jugendliche mit Behinderungen.er DGB hat den Gesetzentwurf in diesen Fragen alsnttäuschend bezeichnet. Es bleibt also noch viel zu tun;enn, wie eingangs gesagt, mit der Umsetzung diesesesetzentwurfs geht es um die Jugend, um Bildung undamit um Zukunft.
Danke schön. – Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
illi Brase.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!iebe Kolleginnen und Kollegen! Das Berufsbildungs-esetz, über das wir heute reden, ist 35 Jahre alt. Alleedner haben betont, dass seitdem einiges passiert ist.ir begrüßen ausdrücklich die Novellierung des BBiG.benso ausdrücklich begrüßen wir, dass die Bundesre-ierung dies zu einem bildungspolitischen Schwerpunktemacht hat.
Das duale System ist immer noch eine Erfolgsstory.lle EU-Länder mit dualer Berufsausbildung können aufine niedrige Jugendarbeitslosigkeit verweisen.eutschland ist hier durchaus Vorbild. Ganz kurz sei er-ähnt: In Ländern mit dualer Ausbildung gibt es weni-er arbeitslose Jugendliche und diese sind zudem we-entlich kürzer arbeitslos.
Trotzdem führen wir eine Debatte, in der von einerrise und von Symptomen der negativen Veränderunges dualen Systems gesprochen wird. Seine Attraktivitätat teilweise gelitten. Welche Symptome sind also zu be-bachten? Nur noch 25 Prozent aller Unternehmen bil-en aus. Vor 20 Jahren waren es noch 35 Prozent. Ge-tatten Sie mir die Randbemerkung: Es war durchausichtig, dass wir über diese Frage im Frühjahr an anderertelle intensiver diskutiert haben.
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Willi BraseDie Ausbildungsquote ist auf 5 Prozent gesunken.Wenn wir uns den Berufsbildungsbericht 2004 ansehen,können wir das nachlesen. Das Durchschnittsalter derJugendlichen im dualen System hat sich von 16 auf19 Jahre erhöht. Die Konjunkturabhängigkeit der beruf-lichen Bildung ist in den letzten Jahren ständig gestie-gen. Das, was man als „Krise der dualen Ausbildung“beschreibt, hat also konjunkturelle und strukturelle Ursa-chen.Lassen Sie mich etwas zu den strukturellen Ursachensagen: Erstens. Es findet eine Spezialisierung der Be-rufe statt. Die Folge ist, dass die Breite der Ausbildungs-berufe abnimmt. Es gibt immer mehr überspezialisierteAusbildungsberufe. Ich glaube, dass solche Berufe nichtdie Zukunft haben, die wir dringend brauchen. In einemfür das Bundeswirtschaftsministerium erstellten Gutach-ten wurde eine Liste von 30 neuen Berufen dargestellt,zum Beispiel der Beruf der Fachkraft für Sonnenstudios.Ich halte dies nicht für zielführend und meine, wirmüssen die Vielzahl von Ausbildungsberufen reduzierenund schrittweise moderne – weil flexible und dynami-sche – Kernmodule schaffen, mit einer hinlänglichenBandbreite der Kompetenzen. Ich glaube, das ist wichtigfür die Wirtschaft und für die Jugendlichen.Zweitens. Nicht zuletzt aufgrund des internationalenKonkurrenzdrucks konnten vor allem kleine und mittel-ständische Betriebe immer häufiger das notwendigeAusbildungsspektrum nicht mehr vollständig anbieten.Das ist der tiefere Grund, warum wir viel stärker als bis-her Verbundausbildung und Ausbildungspartnerschaftenfördern müssen. Ich plädiere dafür, diesen kooperativenFormen der Ausbildung im BBiG einen eigenen Stellen-wert beizumessen. Wir brauchen eine Offensive für Ver-bundausbildung, für Ausbildungsmanagement und Aus-bildungspartnerschaften, und zwar über die gesamteBreite der Akteure, nicht nur aufseiten des Bundes, der jamit dem STARegio-Programm den Startschuss dazu ge-geben hat.
Drittens. Der große Vorteil des dualen Systems, dieNähe zum Arbeitsprozess, wird in doppelter Weise ge-fährdet. Einerseits durch stärker verschulte Elemente inder betrieblichen Ausbildung selbst: Das Lernen im Ar-beitsprozess ist auch im Betrieb in der Defensive. Ichverweise hier nur auf die wachsende Kritik an den Aus-bildungs- und Lehrwerkstätten, die von den konkretenArbeits- und Geschäftsprozessen weitgehend losgelöstsind. Andererseits durch die wachsende Konkurrenzvollzeitschulischer Ausbildung: Die staatliche Form derBerufsausbildung hat in den letzten Jahren drastisch zu-genommen.
Dies ist meist nur eine Reaktion auf fehlende Ausbil-dungsplätze in den Betrieben
und – ich will es deutlich sagen – auf eine mangelndeAusbildungsleistung der Unternehmen. Sie können imBmajgDfINg2asZnsdMsMdedvvdeSSEthtfddkrRhsdwbu
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12353
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– Und der Wirtschaft.Lassen Sie mich noch drei kurze Bemerkungen ma-chen. Zum Stichwort Föderalismus nur dies: Wer dieZuständigkeit für die berufliche Bildung sozusagen aufdem Basar den Ländern übergeben will, muss mit ent-schiedenem Widerstand der Koalitionsfraktionen rech-nen.
Man kann nicht auf der einen Seite bei den Bundeskom-petenzen in Bildungsfragen nichts abgeben wollen undauf der anderen Seite den Ländern die Regelung dervollzeitschulischen Ausbildung übertragen. Ich finde, eswürde Sinn machen, nach der Anhörung in Ruhe darüberzu diskutieren, wie wir damit umgehen.
Zur Berufsausbildungsvorbereitung und damit zumThema Warteschleifen. Hier haben wir ebenfalls Diskus-sionsbedarf. Manche stehen kritisch zum Ausbildungs-pddbqtwrtendhDFdDuqmdsrAWoQtsordisdrkK
Mit Blick auf die Attraktivität des Berufsbildungssys-ems für die Jugendlichen geht es schließlich auch umine wesentlich verbesserte Durchlässigkeit des Systemsach oben. Hier sind wir ganz originär auch auf die Län-er angewiesen. Herr Schummer, wenn wir es schaffen,ier im Bundestag gemeinsam zu beschließen, dass dieseurchlässigkeit des dualen Systems gerade auch für dieacharbeiterinnen und Facharbeiter und für die ausgebil-eten jungen Menschen gilt, dann müssen wir auchruck auf die Länder machen, dass sie das entsprechendmsetzen.Bildung und Forschung sind die zentralen Standort-ualitäten im Hochlohnland Deutschland. Deshalbuss die Auszehrung des dualen Systems gestoppt wer-en. Das duale System ist kein Relikt der Industriege-ellschaft und schon gar nicht der korporatistischen Inte-essen der Sozialpartner. Bei allen notwendigennstrengungen im Bereich Hochschulen und Forschung:enn wir der weiteren Verlagerung von Betriebsstand-rten ins Ausland begegnen wollen, dann müssen wir dieualifikation der so genannten Mittelqualifizierten kräf-ig ausbauen und der Ausbildung im Arbeitsprozesswis-en sowie der Durchlässigkeit des dualen Systems nachben eine viel größere Bedeutung zuweisen.
Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit.
Herr Präsident, ich denke daran. – Die Modernisie-
ung der beruflichen Bildung muss zentrales Moment
er Innovationsoffensive der Bundesregierung werden.
Ich hoffe, dass wir uns in der kommenden Anhörung
m Ausschuss und mit dem Bundesrat darüber austau-
chen können und dass wir zu einem Gesetz kommen,
as den Innovationsanforderungen in unserem Lande ge-
echt wird und den Jugendlichen eine vernünftige Zu-
unftsperspektive bietet.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist derollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.
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12354 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin
Bulmahn, lassen Sie mich Ihnen erst einmal dafür dan-
ken, dass Sie heute die richtigen Worte gewählt und der
Wirtschaft sowie den Unternehmen für die Ausbil-
dungsleistung und die Nachbesetzung der Ausbildungs-
plätze gedankt haben.
Diese wichtige Leistung müssen wir hier immer wieder
hervorheben. Als wir vor einiger Zeit über die Ausbil-
dungsplatzabgabe diskutiert haben,
hat es sich noch etwas anders angehört. Wir sind daher
auf einem halbwegs guten Weg.
– Ich hoffe, dass auch Sie froh sind, Herr Tauss, dass die
Wirtschaft
unter großen Anstrengungen noch immer bereit ist, Aus-
bildungsplätze bereitzustellen.
Hätten Sie sich schon vor Monaten mehr an das ge-
halten, was wir Ihnen gesagt haben, dann wären wir ei-
nen großen Schritt weiter. Das wäre auch für die Wirt-
schaft und die Ausbildungsplätze in Deutschland gut
gewesen.
Wir haben Ihnen schon vor Monaten gesagt, dass die
Schaffung von Ausbildungsplätzen allein nicht ausrei-
chen wird. Wir müssen die Rahmenbedingungen ent-
sprechend gestalten, das Berufsausbildungsgesetz än-
dern und es an die Anforderungen der Wirtschaft
anpassen.
Mehr Ausbildungsplätze für die jungen Menschen in
Deutschland zu schaffen ist die Aufgabe, die wir erledi-
gen müssen. Das heißt in erster Linie: Die Ausbildung
muss in hohem Maß flexibler und kostengünstiger wer-
den. Neue Berufsbilder müssen schneller entwickelt
werden. Auch muss die Anzahl der ausbildungsfähigen
Betriebe gesteigert werden. Das sind die richtigen Lö-
sungsansätze, um aus der Ausbildungsmisere herauszu-
kommen. Die Forderung, die die IG Metall und Verdi
heute wieder vertreten, die Ausbildungsumlage einzu-
führen, hilft uns nicht weiter.
Anstatt die von uns dargelegten Maßnahmen zu prü-
fen, legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der zu nachhalti-
gen Qualitätsverlusten in der Berufsausbildung, zusätzli-
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Jetzt wollen Sie den Weg gehen, die schulische Be-
ufsausbildung zur Kammerprüfung zuzulassen. Ich
age Ihnen: Das ist der Anfang vom Ende des dualen
ildungssystems. Das führt zu einer fortlaufenden Aus-
öhlung dieses Systems. Im Ergebnis machen Sie es den
etrieben leicht, ihre Verantwortung, die die Betriebe in
eutschland zweifelsohne in hohem Maße für unsere
ngen Menschen haben und der sie auch nachkommen
ollen, Zug um Zug an den Staat abzugeben.
Herr Kollege Dobrindt, der Kollege Tauss möchte
hre Redezeit durch eine Zwischenfrage gerne verlän-
ern.
Darüber freue ich mich.
Bitte schön, Herr Tauss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, Sie tun gerade so, als ob es für dentaat ein Vergnügen wäre, 200 000 Jugendliche in über-etrieblichen Ausbildungsgängen zu schulen. Würdenie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass es mirnd, wie ich hoffe, allen hier im Raum am allerliebstenäre, wenn der Staat überhaupt keine schulische Ausbil-ung anbieten müsste, aber dass denjenigen, die aufgrunder Verantwortungslosigkeit von Teilen der Wirtschaftich rede nicht von denen, die ihrer Verantwortungachkommen – keinen Ausbildungsplatz haben und inolchen Ausbildungsgängen sind, keine Steine in deneg gelegt werden sollten? Würden Sie nicht auch dieuffassung teilen, dass wir uns gemeinsam bemühenollten, für diese Jugendlichen etwas zu tun?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12355
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Herr Tauss, Sie machen nicht das, was Sie hier for-
dern. Sie fördern die schulische Berufsausbildung und
weigern sich, festzustellen, dass Sie dadurch eine klare
Fehlsteuerung innerhalb des Wirtschaftssystems verursa-
chen.
Die Menschen werden nach einer solchen Ausbildung
keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben und müssen
danach von der Bundesagentur für Arbeit für viel Geld
weitergebildet oder umgeschult werden.
Darf nun auch der Kollege Niebel eine Zwischenfrage
stellen?
Bitte schön.
Vielen Dank. – Nachdem der Kollege Tauss, der frü-
her hauptamtlich bei der IG Metall gearbeitet hat, über
Anspruch und Wirklichkeit gesprochen hat,
frage ich Sie: Wenn Sie die Ausbildungsquote des DGB
von 0,3 Prozent, von Verdi von 0,4 Prozent und IG Me-
tall von 0,9 Prozent zur Kenntnis nehmen, sind Sie dann
mit mir der Meinung, dass Anspruch und Wirklichkeit
zwischen der Forderung und der praktischen Wahrneh-
mung der Ausbildungsverpflichtung etwas auseinander
klaffen, selbst wenn wir uns nicht unbedingt wünschen
sollten, dass die jungen Menschen bei den Gewerkschaf-
ten ausgebildet werden?
Herr Niebel, das klafft nicht nur etwas auseinander,
sondern eklatant. Sie haben ebenso wie ich die Gewerk-
schaftsfunktionäre in der Diskussion über die Ausbil-
dungsplatzabgabe gehört. Damals hieß es: Wir sind
keine Unternehmen, wir müssen uns daran nicht beteili-
gen. Für uns gilt das alles nicht. – Das ist die Wirklich-
keit derer, die dort drüben sitzen.
Ab sofort hat hauptsächlich der Kollege Dobrindt das
Wort.
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Sie schaffen überflüssige Bürokratie. Die Betroffe-en arbeiten in aller Regel hervorragend zusammen, undwar besser, als wenn Sie dies gesetzlich verordnen.Ich fordere Sie deswegen auf: Prüfen Sie doch ein-al, ob Sie wirklich das wollen, was in diesem Gesetz-ntwurf steht. Herr Tauss, ein Wunsch an Sie persönlich:olen Sie doch die Ministerin aus diesem Bürokratie-schungel heraus!
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Alexander DobrindtEs reicht schlichtweg nicht, immer wieder zu sagen,dass die nicht vorhandenen Ausbildungsplätze von heutedie nicht vorhandenen Fachkräfte von morgen sind. DieBundesregierung hat die Verantwortung dafür, dass diejungen Menschen in Deutschland eine Zukunft und eineChance auf Ausbildung und Arbeit haben. Dazu gehörtder Ausbildungspakt. Das ist richtig. Dazu gehören abervor allem ausreichende Rahmenbedingungen. Die Ände-rung des Berufsbildungsgesetzes ist eine der notwendi-gen Rahmenbedingungen. Gehen Sie einen gemeinsa-men Weg mit uns! Dann haben wir eine echte Chance,Flexibilisierung, weniger Bürokratie und mehr Lehrstel-len in Deutschland zu schaffen.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/3980 und 15/3299 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-
Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Reibungslose Umsetzung von Hartz IV im In-
teresse der Betroffenen sicherstellen
– Drucksache 15/3803 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Nach einer Vereinbarung der Fraktionen ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu
gibt es offensichtlich keinen Widerspruch. Dann haben
wir das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Johannes Singhammer für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir, die Union, wünschen dem Großprojekt der Zu-sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vielErfolg. Deshalb haben wir dieser Reform zugestimmt.
Für die pünktliche und gerechte Umsetzung dieses Vor-habens trägt allerdings alleine die Bundesregierung dieVerantwortung.
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hören Sie zu, Frau Dückert! –, der vor zwei Wochenrklärt hat,
ber die Software sei eine richtige Ausrechnung der An-prüche auf das Arbeitslosengeld II derzeit nicht mög-ich.Andere Mitglieder dieses Aufsichtsgremiums äußernich ähnlich. Selbst der Chef der Bundesagentur, Herreise, räumt mittlerweile nicht nur ein, dass andere Re-ormbaustellen – er meint beispielsweise Hartz III – erstinmal zu kurz kommen, sondern auch, dass die Vermitt-ungsquoten Anfang nächsten Jahres zurückgehen wer-en.In diesen Zusammenhang passt eine Agenturmel-ung, die uns vor wenigen Stunden erreicht hat. Danachagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit am heu-igen Donnerstag, die Hälfte der 180 Arbeitsagenturenabe am Mittwoch nicht mehr auf die Datenbank zugrei-en können. Das Computerprogramm sei erstmals abge-türzt. Die Computerexperten der Bundesagentur hättenen Fehler allerdings in einer Nachtschicht beheben kön-en.
Von Sozialamtschefs werden bereits Notfallpläneiskutiert. In Berlin beispielsweise spricht der Neuköll-er Sozialstadtrat Michael Böge von Notfallplänen, nachenen die künftigen Hilfeempfänger möglicherweisebschlagszahlungen bekommen könnten.Fast 3,5 Millionen Menschen sind in Sorge, ob sie tat-ächlich zum 1. Januar Arbeitslosengeld II erhalten wer-en. Viele verzweifeln beim Ausfüllen des 16-seitigenragebogens, der völlig missglückt ist. Zudem hat diensägliche Diskussion zwischen Rot und Grün darüber,b im Januar kommenden Jahres bei der Auszahlung einonat übersprungen werden soll, das Vertrauen man-her in die Umsetzung des Programms erschüttert.Vor diesem Hintergrund frage ich die Bundesregie-ung, Herr Staatssekretär – die Menschen in Deutschlandollen das wissen –: Erstens. Besteht die Gefahr einerruchlandung, ja oder nein? Ich fordere Sie auf, heuteier im Deutschen Bundestag eine Garantieerklärungbzugeben: Können die 3,5 Millionen betroffenen Men-chen und ihre Familienangehörigen damit rechnen, dassie zum 2. Januar kommenden Jahres die Auszahlungenrhalten? Welche Einschätzungen lassen die Erfahrun-
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Johannes Singhammergen mit dem neuen Computerprogramm zum gegenwär-tigen Zeitpunkt – Ende Oktober – zu? Trifft es beispiels-weise zu, dass statt der 40 000 Mitarbeiter derBundesagentur, die eigentlich Zugriff auf das neue Sys-tem haben sollten, derzeit nur 16 000 darauf Zugriff ha-ben, weil das Programm immer noch nicht in der Lageist, größere Kapazitäten zu bewältigen? Wie viele An-träge sind derzeit gestellt worden? Wie viele Anträgemüssten in der verbleibenden Zeit – das sind 47 Arbeits-tage – bis zum Januar kommenden Jahres täglich bear-beitet und beschieden werden, um alle Anträge abzu-arbeiten?Zweitens. Kann die Bundesregierung garantieren,dass den Kommunen und den Landkreisen alle zuge-sagten Finanzmittel auch tatsächlich zur Verfügung ge-stellt werden?
Drittens. Hat die Bundesregierung alles getan, damitdie Zusammenarbeit zwischen den Kommunen, Land-kreisen und der Arbeitsverwaltung reibungslos funktio-nieren kann? Es gibt zunehmend Meldungen, dass es umdie Zusammenarbeit nicht zum Besten bestellt ist. Zumeinen sollen die Landkreise unter Druck gesetzt werden,sich den von den Arbeitsagenturen zentral gesteuertenArbeitsgemeinschaften zu unterwerfen. Zum anderen er-reichen uns Meldungen, dass die Zugriffsmöglichkeitender Sozialverwaltungen auf die Datensätze der Arbeits-agenturen nicht gegeben seien, dass Stellungnahmen derDatenschutzbeauftragten geltend gemacht würden, dassdies alles zu einer Verzögerung des Abgleichs der Daten-sätze führe und dass letztlich die Arbeit nicht in dem ge-wünschten Maße vorankomme.An dieser Stelle möchte ich den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern der Arbeitsagenturen, der Arbeitsgemein-schaften und der Sozialbehörden, die mit der Umsetzungvon Hartz IV, diesem gewaltigen Programm, beschäftigtsind, ein großes Kompliment für ihre Einsatzbereit-schaft, für den Verzicht auf Urlaub und für viele Über-stunden aussprechen. An den Mitarbeitern all dieserÄmter und ihrer Einsatzbereitschaft liegt es nicht, wennes zu Problemen bei der Umsetzung kommt.Nun komme ich zum entscheidenden Punkt.
– Es gibt viele Punkte. – Können den erwerbsfähigenAnspruchsberechtigten tatsächlich Jobangebote unter-breitet werden? Das ist das eigentliche Anliegen vonHartz IV und der Ausgangspunkt der ganzen Reform. Essoll ja besser werden. Mehr Menschen sollen die Chancehaben, wieder in Arbeit zu kommen.
Hartz IV kann nur gelingen, wenn es auch Jobs gibt, indie Arbeitslose vermittelt werden können. Wenn zwardie Mitarbeiter der Arbeitsagenturen künftig wie dieWeltmeister vermitteln, aber die politischen Akteure derBundesregierung amateurhaft vorgehen und die Jobma-sESrdmlra1fD1wHsduJklAIdmmVtKAhmmHtrfota
ch fordere die Bundesregierung auf: Sorgen Sie dafür,ass das Arbeitslosengeld II pünktlich im Januar kom-enden Jahres ausgezahlt wird! Stellen Sie den Kom-unen und den Kreisen die zugesagten Finanzmittel zurerfügung! Sorgen Sie für eine reibungslose Koopera-ion der Arbeitsagenturen mit den Kommunen und denreisen! Kümmern Sie sich vor allem darum, dass dierbeitslosen endlich wieder eine Chance auf einen Jobaben!
Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Parla-
entarische Staatssekretär Gerd Andres.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Herr Singhammer, der von Ihnen vorgelegte An-rag „Reibungslose Umsetzung von Hartz IV im Inte-esse der Betroffenen sicherstellen“ stellt eines klar – dasinde ich gut –: Die größte Oppositionsfraktion stehthne jeden Vorbehalt hinter dieser Reform. Es ist wich-ig, das festzuhalten, weil es im Sommer schon einmalnders klang.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir wer-
den am 2. Januar keine Leistungen auszahlen, weil das
ein Sonntag ist. Ich möchte noch etwas klarstellen
– dazu brauchen wir weder diese Debatte noch eine Ak-
tuelle Stunde noch Ihre, wie ich persönlich finde, etwas
dürftige Rede –: Die Bundesregierung wird sicherstel-
len, dass jeder seine Leistung erhält. Ich sage es ganz
drastisch – ich habe es schon gestern in einer anderen
Veranstaltung so gesagt –: Notfalls zahlen wir die Leis-
tungen per Hand oder mit dem Hammer aus.
Jeder bekommt seine Leistung. Daran gibt es überhaupt
keinen Zweifel.
Ich halte es für angemessen, mich mit einigen Positio-
nen dieses Antrages auseinander zu setzen. Dieser An-
trag ist eigentlich überholt. Wenn man sich ihn einmal
genauer anschaut, erkennt man, dass er außerordentlich
dürftig ist.
Erstens: der Zeitdruck. Für den von Ihnen angeführ-
ten Zeitdruck trägt nicht allein die Bundesregierung die
Verantwortung. Wir sitzen hier alle im gleichen Boot.
Letztlich waren zwei Vermittlungsverfahren notwendig,
um die gesetzlichen Voraussetzungen für die von Ihnen
gewünschte kommunale Option zu schaffen. Deshalb lag
die Einigung erst Ende Juni, Anfang Juli vor. Seitdem ist
die Umsetzung in vollem Gang.
Sie haben gesagt, bei uns liege die alleinige Verant-
wortung. Daher will ich gleich hinzufügen: Auch das ist
Unsinn.
Manche Kommunen – es sind genau 69 – haben sich ent-
schieden, dieses Vorhaben allein zu schultern. Dement-
sprechend liegt die Verantwortung nur bei ihnen. Gerade
weil ich weiß, was das im Einzelnen bedeutet und was
das mit sich bringt, nötigt mir diese Entscheidung gro-
ßen Respekt ab. Ich wiederhole: Ich habe großen Re-
spekt vor denen, die optiert haben.
Anerkennen möchte ich auch den Einsatz von Kom-
munen und von den örtlichen Arbeitsagenturen zur Bil-
dung von Arbeitsgemeinschaften. Sie alle wissen, dass
im Regelfall örtliche Arbeitsagenturen und die Kommu-
nen in Form von so genannten Arbeitsgemeinschaften
kooperieren. Vielleicht ist dieses Vorhaben sogar noch
schwieriger als die Option; denn es geht hier um die Fu-
sion zweier völlig unterschiedlicher Kulturen.
Zur reibungslosen Umsetzung sind wir also alle auf-
einander angewiesen. Wir alle stehen in der Verantwor-
tung. Gerade Sie, die Unionsparteien, waren es doch, die
für eine eigene Verantwortung der Kommunen gestritten
haben: eine eigene Verantwortung, die wir jetzt in Form
von Arbeitsgemeinschaften und zugelassenen kommu-
nalen Trägern verwirklichen.
Damit das – Zitat aus Ihrem Antrag – „enorm wich-
tige Reformprojekt“ gelingt, sollten wir alle Kraft auf
die Umsetzung konzentrieren und nicht in Schwarzer-
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– Er schaut gerade im Kalender nach, ob der 2. Januarwirklich ein Sonntag ist. Ich traue ihm auch das zu.Zum Punkt 2: Zusammenarbeit mit den Kommu-nen. Viele notwendige Dinge sind auf den Weg ge-bracht. Ich habe bei der Beantwortung der Zwischen-frage gerade einiges genannt. Für die zugelassenenkommunalen Träger haben wir verlässliche Rahmenbe-dingungen geschaffen, um eine reibungslose Zusammen-arbeit zwischen Kommunen und Arbeitsverwaltung si-cherzustellen. Per Rechtsverordnung wurden EndeSeptember die kommunalen Träger zugelassen. Im Rah-men einer Informationsveranstaltung in der vorigen Wo-che in unserem Ministerium wurde mit ihnen über alleoffenen Fragen diskutiert. Wir leisten alle Unterstützung.77 Prozent der Kommunen wollen eine Arbeitsge-meinschaft gründen und 25 Prozent haben dies zusam-men mit der Bundesagentur bereits schriftlich fixiert.Punkt 3. Das ist auch Gegenstand Ihres Antrags undwar ebenfalls Gegenstand der Rede vorhin. Wir sind beider Bereitstellung der zugesagten Sach- und Verwal-tungskosten auf einem guten Weg. Die notwendige Ver-ordnung soll nach Verabschiedung des Haushalts end-gültig in Kraft treten. Auch was die Kosten derUnterkunft angeht, ist gewährleistet, dass sich der Bundmit mindestens 29,1 Prozent beteiligt. Wohlgemerkt: DieKommunen bleiben hierfür selbst zuständig. Über dieBeteiligung wollen wir aber sicherstellen, dass die Kom-munen die zugesagte Entlastung von 2,5 Milliarden Europro Jahr auch wirklich erhalten. Wir haben zwei Revi-sions- oder Überprüfungstermine für das kommendeJahr vorgesehen.Ich will gleich hinzufügen: Auch die Länder sind ver-pflichtet, ihre Entlastungen beim Wohngeld an die Kom-munen weiterzugeben. Sie hier können sich darum küm-mern, dass das auch in den von Ihnen regierten Länderngeschieht.
Die Mittel stehen bereit. Gleiches gilt auch für dasPersonal. Es gibt keine Defizite bei der Personalbereit-stellung zur Organisation der Datenerhebung, wie imAntrag behauptet wird.
Uns liegen keine Anfragen nach zusätzlichem Personalvor. Die seit langem eingeplanten Zusatzkräfte sowie dasStammpersonal sind längst mit der Dateneingabe be-sSSSaNSmmekDkFwVdeslkwVwStsvVehggelEGnMIMss
alte ich für unter aller Würde; das sage ich Ihnen hieranz offen.
Zur rechtzeitigen Auszahlung habe ich schon etwasesagt.Jetzt komme ich zum letzten Punkt, weil ich nur nochine Minute Zeit habe. – Ihren Antrag müsste man in al-en Zeitungen abdrucken.
r ist so was von dürftig! Er ist von Frau Merkel, Herrnlos und anderen unterschrieben. Man muss sich ihn ge-au anschauen. Er ist sozusagen nicht mehr up to date.an benutzt ihn, um hier eine Debatte zu veranstalten.ch kann Ihnen sagen: Vorhin waren der Vorstand, derinister, eine ganze Riege von Leuten im Haushaltsaus-chuss und haben über alles berichtet, was mit der Um-etzung zusammenhängt.
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Parl. Staatssekretär Gerd AndresWir berichten regelmäßig, wir berichten immer, wennSie das möchten.
Wir führen hier auch jeden Tag eine Parlamentsdebatte.Ich würde Ihnen nur empfehlen, das mit besseren Argu-menten als denen zu tun, die Sie hier vorgetragen habenund die, wie ich finde, außerordentlich dürftig waren.Herzlichen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel für die FDP-
Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lieber Herr Staatssekretär Andres,Sie hätten gestern von den Vorgängen im EuropäischenParlament lernen können, dass nur ein begrenztes Maßan Arroganz gegenüber einem Parlament sinnvoll undhilfreich ist, um zum Ziel zu kommen.
Die Freien Demokraten haben bereits vor vier Jahrenhier in diesem Hause die Zusammenlegung von Arbeits-losen- und Sozialhilfe beantragt, weil es aus vielen gutenGründen, über die wir oftmals diskutiert haben, sinnvollist, diese beiden steuerfinanzierten Leistungen zusam-menzulegen. Das Entscheidende an dieser notwendigenReform ist aber, dass sie funktioniert. Deswegen sageich mit gutem Recht: Alle Risiken, die im Antrag derUnion aufgeführt werden, sind durchaus realistisch undernst zu nehmen.
Ich sage dazu aber auch: Die Einzigen, die sich hier da-rüber aufregen könnten, sind die Freien Demokraten.Dass die Union versucht, sich klammheimlich aus derVerantwortung zu stehlen, ist nämlich überdeutlich.
Die einzige Partei, die dem Optionsgesetz in diesemHause nicht zugestimmt hat, ist die Freie DemokratischePartei gewesen. Wir waren und sind nämlich überzeugt,dass dieses so genannte Kommunale Optionsgesetz inder jetzigen Form nicht greifen kann. Genau dieses Pro-blem werden die Menschen im nächsten Jahr ausbadenmüssen.
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ich traue Ihnen nicht zu, Herr Andres, dass Sie multi-askingfähig sind; Ihnen nicht, dem Rest der Regierungielleicht – von der Bundesregierung diesem Hause vor-elegt wurde, hat kein Optionsgesetz beinhaltet. Es han-elte sich um ein Organleihegesetz, auf dessen Grund-age die Kommunen, die optieren wollen, als Organ, alsols Bestandteil der Bundesagentur, diese Aufgabe hättenurchführen sollen. Als kommunaler Mandatsträger, derin bisschen was auf sich hält, sage ich Ihnen: Keinommunaler Mandatsträger, der ein bisschen was aufich hält, würde sich freiwillig in die Fänge der Bun-esagentur begeben und sich von ihr sagen lassen, wanner Laden auf- bzw. zugemacht werden müsste. Deswe-en hatte dieses Bundesgesetz im parlamentarischenerfahren keine Chance.Es kam ein neues Vermittlungsverfahren, für das Sieie Verantwortung tragen, weil Sie den Vermittlungs-pruch nicht umgesetzt hatten. In diesem neuen Vermitt-ungsverfahren hat die Union – deswegen sagte ich zueginn, sie stiehlt sich klammheimlich aus der Verant-ortung für dieses Optionsgesetz – wider besseres Wis-en einem billigen Kompromiss zugestimmt. Wir alle,uch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von dernion, wissen, dass die Bundesagentur nicht geeignetnd nicht kompetent genug ist, um Aufgaben für Sozial-ilfeempfänger wahrzunehmen – das hat selbst der ehe-alige Vorstandsvorsitzende Herr Gerster im Vermitt-ungsverfahren gesagt –, nicht etwa, weil die Mitarbeiterumm wären, sondern weil sie noch nie zuvor diesenersonenkreis betreuten. Hierbei sind nämlich Dinge zueachten, die über Fragen des Verlustes des Arbeitsplat-es hinausgehen. Sie von der Union haben diesen Kom-romiss mitgemacht. Jetzt haben wir ein Sammelsurium:uf der einen Seite Arbeitsgemeinschaften und auf dernderen Seite Kommunen, die im Rahmen einer Experi-entierlösung dafür optiert haben, in alleiniger Träger-chaft ihre eigenen Aufgaben wahrzunehmen.Es gibt ein EDV-Programm, Herr Staatssekretär, beiem von den geplanten 40 000 Zugriffen gerade nur ma-imal 16 000 gleichzeitig möglich sind. Ich bin Stadtratn Heidelberg. Wir streben eine Arbeitsgemeinschaft an.ir wollen, dass diese notwendige Reform umgesetztird. Wenn wir aber von 35 beantragten Zugriffsberech-igungen, um die Daten einzupflegen, nur acht aus der
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Dirk NiebelAngst heraus genehmigt bekommen, dass das Systemabstürzen könnte, dann bekommen wir allein aufgrundder Zahlen bis zum 31. Dezember die Daten nicht in dieEDV eingepflegt, selbst wenn wir im Zweischichtver-fahren und am Wochenende arbeiten. Deswegen wirdunser Sozialamt wie auch andere Sozialämter nach ei-nem Notplan vorgehen. Auch die Bundesagentur wirdn
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Not zahlen wir bar aus oder mit dem
Hammer. Ich würde gerne einmal sehen, wie Sie, Herr
Staatssekretär, mit dem Hammer auszahlen. Auf solche
Weise ist kein geordnetes Verfahren mehr möglich.
Es geht hier um die Existenz von Millionen von Men-
schen. Das Problem ist doch nicht, dass der politische
Wille zu dieser Reform fehlt; das Problem ist, dass diese
Regierung die Menschen von Anfang an nicht anständig
informiert hat, obwohl sie in anderen Fragen die Propa-
gandamaschine sofort anwirft. Das Problem ist, dass ein
Wust an Anträgen, die eine Vielzahl von Menschen aus
dem betroffenen Personenkreis gar nicht verstehen
konnten, viel zu spät verschickt wurde.
Sie haben auch andere Fragen nicht geklärt. Ich be-
kam vom Wirtschaftsministerium die Auskunft, ich solle
in zwei Wochen noch einmal anrufen, weil man sich bis
dahin vielleicht eine Meinung gebildet habe. Wie verhält
es sich denn mit den über 58-Jährigen, mit denen Sie
einen Vertrag geschlossen haben, dass sie nicht mehr ar-
beiten müssen und ihre Arbeitslosenhilfe bis zum Ren-
teneintritt bekommen? Sie müssen zwar auch in Zukunft
nicht mehr arbeiten, bekommen aber dann nur das
ALG II. Als sie den Vertrag geschlossen haben, sind sie
von einem Betrag in Höhe der Arbeitslosenhilfe ausge-
gangen. Das Bundeswirtschaftsministerium sagt, dazu
habe man sich abschließend noch keine Meinung gebil-
det; rufen Sie doch in zwei Wochen noch einmal an. So
kann ich in diesen schwierigen Fragen doch nicht mit
den Menschen umgehen.
Die Menschen haben Angst, was ich auch verstehe. Wir
haben die Aufgabe, ihnen diese Angst zu nehmen. Das
können wir nur, indem wir den Verfahrensablauf ver-
nünftig gestalten und zumindest alle möglichen techni-
schen Fehler und Gefahrenpunkte von vornherein aus-
merzen.
Deshalb glaube ich immer noch: Wenn Sie es nicht
schaffen, Herr Staatssekretär, dafür zu sorgen, dass das
Ganze reibungslos funktioniert – es wird irgendwo ha-
ken, das ist klar, aber zumindest im Großen und Ganzen
reibungslos funktioniert –, sollten Sie überlegen, ob es
nicht gefährlicher und auch demokratiegefährdender ist,
ein schlechtes System einzuführen, das die Reformbe-
reitschaft breiter Bevölkerungsschichten auf lange Zeit
gen null tendieren lässt, als drei oder sechs Monate zu
warten, bis alle personellen, technischen und rechtlichen
Voraussetzungen für die Umsetzung dieser Reform ge-
schaffen sind.
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as trifft genau auf Ihren Antrag zu.
Frau Kollegin, darf ich nur der Vollständigkeit halber
inzufügen, dass es sich bei dem zitierten Herrn
engsbach nicht um einen Weihbischof, sondern einen
eibhaftigen Kardinal gehandelt hat, was man an der
ualität des Zitats auch mühelos erkennen kann.
Ich danke, Herr Präsident. Ich weiß, dass ich Ihnenicht widersprechen darf, obwohl es natürlich darauf an-ommt, wann er diese Worte gesagt hat.
Ich will aber zu dem Antrag kommen, denn wir müs-en uns damit auseinander setzen. Was wird dort festge-tellt? Erste Feststellung: Die Zusammenlegung vonrbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist ein notwendigerchritt. – Das ist richtig. Guten Morgen, meine Damen
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Dr. Thea Dückertund Herren von der Union! Dass dieses Hartz-Gesetz,diese Zusammenlegung eine der größten Sozialreformenund Arbeitsmarktreformen ist, das wissen wir doch alle.Wir haben lange darüber diskutiert. Es war notwendig– das haben wir über Jahre gesagt –, die Betreuung derLangzeitarbeitslosen in eine Hand zu legen, es ist wich-tig, dass die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfe-empfänger bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik nichtweiterhin außen vor bleiben, und viele andere Dinge.Auch das ist richtig. Ich bin froh, dass Sie das merken.Sie stellen zweitens fest, dass eine große Mehrheit die-sem Gesetz zugestimmt habe. Auch das ist richtig; esmusste ja im Bundesrat und im Bundestag verabschiedetwerden. Der Zwang, es mit Ihnen zusammen zu verab-schieden, hatte allerdings seinen Preis für die Langzeit-arbeitslosen. Zum Beispiel wurden die Zumutbarkeitsre-gelung und die Zuverdienstmöglichkeiten verschlechtert.Davon liest man in Ihrem Antrag nichts.Ich denke, dass der Hinweis auf die große Mehrheitetwas ganz anderes bedeuten soll: Er soll wieder einmalverschleiern und einen schwarzen Mantel des Schwei-gens über die Tatsache decken, dass Ihre Ministerpräsi-denten, zum Beispiel Herr Milbradt oder auch HerrBöhmer, im Sommer durch die Lande gezogen sind undglauben machen wollten, dass sie nicht zugestimmt hät-ten.
– Sehen Sie, da bekommen wir diese Fehlmitteilungschon wieder!
Sie haben im Dezember, als es um die Verabschiedungder Zumutbarkeitsregelung, der Zuverdienstregelungusw. ging, zugestimmt. Im Juli, als es um die Finanzver-teilung ging, haben sie allerdings dagegen gestimmt. Ge-nau das ist Ihre Politik und das machen Sie auch in Ih-rem Antrag: Sie stehlen sich aus der Verantwortung.
Schlimmer noch: In Ihrem Antrag unterstellen Siezum Beispiel – lesen Sie es einmal nach; man glaubt eskaum –, dass die Wahlerfolge der Rechtsextremistendirekt von der Informationspolitik der Bundesregierungabzuleiten seien. Angesichts der Wahlergebnisse für dieRechtsextremisten – 9,2 Prozent für die NPD in Sachsenund 6,1 Prozent für die DVU in Brandenburg – frage ichSie: Wo waren Ihre Oberwahlkämpfer, Herr Milbradtund Herr Schönbohm, als es darum ging, gegen die Paro-len „Hartz muss weg“ und „Hartz ist ein Griff in die Ta-sche von jedem“ Stellung zu beziehen?
Ich frage Sie: Wo waren Sie, als den Menschen Angstgemacht wurde, indem ihnen beispielsweise gesagtwdkHtiFdk–memRtISÄeegswhwh–IBai–Ssh
err Milbradt wollte sogar noch an diesen Demonstra-onen teilnehmen. Sie machen sich einen schlankenuß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja, gerne. Bitte schön.
Frau Kollegin, ehe Sie sich jetzt in Ihrer Schelte gegen
ie Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer, die be-
anntermaßen ein unterschiedliches Parteibuch haben –
Herr Platzeck hat es anders gemacht.
und die im Bundesrat aus guten Gründen dem Kom-
unalen Optionsgesetz nicht zugestimmt haben, weiter
reifern, möchte ich Sie fragen: Wie gehen Sie eigentlich
it den Gegnern der Hartz-IV-Reform in Ihren eigenen
eihen um?
Der Kollege Ströbele hat an der Montagsdemonstra-
ion in meinem Wahlkreis in Halle nicht teilgenommen.
ch weiß zwar nicht, warum das so gewesen ist. Aber der
logan „Hartz IV muss weg“ ist verglichen mit seinen
ußerungen, die im Vorfeld kolportiert wurden und die
ine fundamentale Kritik an der Hartz-IV-Reform waren,
in zahmer Ausdruck. Da Sie sich in Ihrer Kritik an den
ewählten Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer
o ereifern, würde mich einfach einmal interessieren,
ie Sie mit den Leuten in Ihren eigenen Reihen umge-
en.
Wie gesagt, Herr Platzeck hat sich anders verhalten,as sich übrigens im Wahlergebnis niedergeschlagenat.
Gemach, gemach. Ich bedanke mich ausdrücklich fürhre Frage. Ich will Ihnen gerne schildern, wie ich zumeispiel mit meinem Kollegen Christian Ströbele oderuch mit Montagsdemonstranten umgehe. Ich habe mithnen geredet und diskutiert.
Hören Sie zu! Seien Sie nicht so aufgeregt! – Christiantröbele hat mir versichert, dass er erstens mit den Men-chen auf den Montagsdemonstrationen darüber geredetat, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
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Dr. Thea Dückertund Sozialhilfe kommen muss. Er hat ihnen zweitensdargelegt, dass sich unsere gesamte Fraktion und auchder Koalitionspartner mit Schwierigkeiten und Proble-men bei der Umsetzung auseinander zu setzen haben.Wir mussten beispielsweise auf die verschärften Zumut-barkeitsregeln, die Ihre Partei und Ihre Fraktion ins Ge-setz hineingebracht haben, Antworten finden, damit dieLangzeitarbeitslosen darunter nicht leiden müssen.
Ich möchte noch auf andere Punkte Ihres Antrageseingehen. Sie haben zum Beispiel die Verunsicherungder Menschen beklagt. Es ist richtig, dass dies ein großesProblem gewesen ist. Aber wir haben eine sehr intensiveInformationsarbeit geleistet. Was Herr Singhammereben gesagt hat und was man in Ihrem Antrag nachlesenkann, ist nichts anderes als eine Fortsetzung der Verunsi-cherung der Menschen.
Sie, Herr Singhammer, sprechen hier und heute davon,dass Millionen von Menschen damit rechnen müssen, imJanuar ihre Leistungen nicht zu bekommen. Sie wissen,dass das falsch ist.
Sie wissen auch, dass nur Menschen, die ihre Anträgenicht rechtzeitig abgeben, Probleme bekommen können.An dieser Stelle möchte ich Sie, Herr Singhammer undviele andere Kollegen von der CDU/CSU, fragen: Wowaren Sie in den letzten Monaten, als Initiativen Sozial-hilfeempfänger aufgefordert haben, ihre Anträge nichtabzugeben, obwohl es sich um Menschen handelt, diebedürftig sind und die ihr Geld brauchen? Wir müssendiese Menschen informieren. Da sind Sie aber nicht her-vorgetreten, Herr Singhammer. Sie setzen nur die Politikder Verunsicherung fort.
Sie müssen bitte zum Schluss kommen, Frau Kollegin
Dückert.
Das sehe ich genauso. Ich habe aber den Eindruck,
dass Herr Singhammer das anders sieht.
Den Eindruck habe ich zwar auch. Aber da ich die
Verlängerung angemeldeter Redezeiten nach abgelaufe-
ner Redezeit nicht durch Zwischenfragen mutwillig be-
fördern will, kann ich diese Zwischenfrage selbst dann
nicht zulassen, wenn Sie sie gerne beantworten würden.
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ann kann ich dazu nur sagen: Wir haben eine Revi-
ionsklausel eingebaut. Sie ist sicher; das haben Ihre ei-
enen Leute gesagt. Bitte sorgen Sie dafür, dass die von
er Union geführten Landesregierungen in Baden-
ürttemberg, Niedersachsen und Sachsen – und wo sie
onst noch alle sind – nicht ihre klebrigen Finger auf das
ohngeld halten und es den Kommunen nicht zukom-
en lassen!
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollegetröbele.
Herr Kollege Bergner, erstens bestätige ich, dass dieollegin Thea Dückert weder gesagt noch gemeint hat,ass in unserer Fraktion Auseinandersetzungen per Ba-kenstreich ausgetragen werden.
Zweitens möchte ich mich noch einmal beim DGBalle dafür bedanken, dass ich zur Montagsdemonstra-ion eingeladen war. Ich bin deshalb nicht hingegangen,eil ich als Abgeordneter leider Pflichten hier im Hauseatte – es war ja eine Sitzungswoche – und nicht fehlenonnte.Aber ich kann Sie drittens darüber informieren, wasch dort gesagt hätte; das hätten Sie sich dann in Halleuf der Straße anhören können. Es trifft zu, dass ich zuast allen Montagsdemonstrationen, die bisher in Berlintattgefunden haben, gegangen bin und dass ich den De-onstranten das gesagt habe, was ich auch in meinerraktion im Deutschen Bundestag immer wieder erkläre:ch halte die Hartz-IV-Reform, insbesondere die Zusam-enlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, so wieie gestaltet worden ist, grundsätzlich für notwendig undichtig. Daran kommen wir nicht vorbei. Ich habe aller-ings auf den Demonstrationen auch erklärt, dass es inen Hartz-IV-Gesetzen einige Punkte gibt, die unter an-erem durch die Union in der Auseinandersetzung imermittlungsausschuss bzw. über den Bundesrat in dieseesetze hineingezwungen worden sind, und dass icheshalb im Deutschen Bundestag mit einigen andereneiner Kollegen gegen diese Gesetze gestimmt habe.Das heißt, ich stehe für Wahrheit und Klarheit und fürie direkte Auseinandersetzung mit der Bevölkerung aufer Straße. Ich bedauere es außerordentlich, dass keineertreter Ihrer Fraktion auf den Montagsdemonstrationen
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Hans-Christian Ströbelewaren und sich dieser Auseinandersetzung gestellt ha-ben. Insbesondere haben Sie den Menschen auf derStraße nicht erklärt, wie es kommen kann, dass Sie imDeutschen Bundestag und im Vermittlungsausschuss,der zwischen Bundestag und Bundesrat vermittelt, miterheblichem Druck und zum Teil nach Mitternacht dafürsorgen, dass diese Gesetze zulasten vieler sozialschwach gestellter Personen erheblich verschärft wordensind, und dass Sie sich dann in der Öffentlichkeit er-dreisten, dagegen vorzugehen und zu versuchen, auf eineallgemeine, populäre Meinung in der Bevölkerung zusetzen. Sie drücken sich vor der Verantwortung, scheuendie Verantwortung und tun dann noch so, als seien Siegegen diese Gesetze gewesen.Das ist nicht hinnehmbar und unanständig. Das ist un-parlamentarisch und unverantwortlich.
Herr Kollege Bergner, wenn Sie antworten wollen,
haben Sie sofort die Möglichkeit dazu. Dann hat der
Kollege Singhammer um eine Kurzintervention gebeten.
Ich bitte darum, insgesamt ein bisschen zu berück-
sichtigen, dass, wann immer in einer Debatte irgendje-
mand persönlich angesprochen wird, was für parlamen-
tarische Debatten nicht völlig unüblich ist, das nicht
gleich zur Inanspruchnahme des gesamten Instrumenta-
riums der Geschäftsordnung genutzt werden muss.
Den Präsidenten beschwert dies eigentlich am allerwe-
nigsten. Nur, anschließend kommen die Kollegen und
beklagen sich über das maßlose Überziehen der vorher
angemeldeten Redezeiten.
Bitte schön, Herr Kollege Bergner.
Herr Kollege Ströbele, wenn die Betroffenen eine De-
batte, wie wir sie hier führen, beobachten würden, würde
es sie zunächst einmal wenig interessieren, ob Sie den
Vorwurf, es sei im Vermittlungsausschuss durch die
Union zu einer Verschärfung gekommen, oder wir den
Vorwurf machen, Sie würden sich davonschleichen und
würden den Eindruck erwecken, als ob die Grünen ge-
wissermaßen frontal gegen Hartz IV gewesen seien.
Ich habe übrigens nach Demonstrationen – bewusst
nicht in Demonstrationen – auf einer großen Veranstal-
tung im Magdeburger Dom zusammen mit SPD-Kolle-
gen den Demonstranten zur Verfügung gestanden. Dort
hatte ich den Eindruck, dass man für meine Position, die
sich gar nicht an der Frage der Zumutbarkeit festmacht,
wie Sie uns immer vorwerfen, Verständnis hatte. Vor
dem Hintergrund des ostdeutschen Arbeitsmarktes ist Ihr
Vorwurf geradezu irrelevant; denn es ist mit großer Ge-
schwindigkeit und mit großem Zeitdruck eine Operation
durchgezogen worden, die sehr viel mehr Sorgfalt erfor-
dert hätte. Diese Kritik hat auch in dem Antrag, der
heute diskutiert wird, ihren Niederschlag gefunden.
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Herr Kollege Singhammer.
Frau Kollegin Dückert, Sie haben in Ihrem Beitrag
ehauptet, ich erwartete, dass die Bezieher von
rbeitslosengeld II die ihnen zustehenden Leistungen
icht bekämen. Dies ist völlig falsch. Vielmehr habe ich
arauf hingewiesen, dass 3,5 Millionen Menschen in
orge darüber sind, ob sie diese Leistungen bekommen.
eil wir diese Sorgen aufgreifen, führen wir diese De-
atte. Wenn Sie sich hier als die Sauberfrau des Deut-
chen Bundestages, als die Deutsche im weißen Kleid,
ebärden, sollten Sie zumindest das Erinnerungsvermö-
en der Beteiligten nicht allzu sehr strapazieren. Ihre
arstellung war jedenfalls schlichtweg falsch.
Frau Kollegin Dückert.
Herr Kollege Singhammer, ich halte es für einen Ihrer
ophistischen Tricks, die Sie offenbar auf Ihrer Partei-
edeschule lernen, wenn Sie zitieren, dass sich andere
eute Sorgen machten, ob sie die ihnen zustehenden
eistungen auch ausgezahlt bekämen. Damit stehlen Sie
ich sogar für dieses Argument aus der Verantwortung.
enn nach Ihrer Ansicht Schwierigkeiten für die Bezie-
erinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II zu erwar-
en sind, dann sollten Sie, Herr Singhammer, bitte dabei
elfen, die Menschen dahin gehend zu beraten, dass sie
ie Anträge gut ausfüllen können, die Sie in Ihrer Rede
orhin als völlig unausfüllbar klassifiziert haben. So, wie
ie gerade auf die Debatte geantwortet haben, haben Sie
iederum Nebelkerzen geworfen. Hilfreich wäre es,
enn Sie zu Ihrer Verantwortung stünden.
Das Wort hat die Kollegin Veronika Bellmann, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Zunächst gehe ich auf die Ausführungen vonrau Dückert ein. Klebrige Finger haben unsere Landes-egierungen ganz bestimmt nicht. Beispielsweise gibt esn Sachsen bereits Vereinbarungen mit dem Städte- undemeindetag und mit dem Landkreistag im Hinblick aufie Weitergabe der entsprechenden Gelder. Dies kannan von der Bundesregierung ganz und gar nicht sagen;enn der Entwurf des § 13 SGB II wurde mitnichten miten kommunalen Spitzenverbänden abgesprochen.Dann sind Sie wieder mit Ihrer alten Leier von Argu-enten und Inhalten gekommen. Heute reden wir aberber die Umsetzung, die viele Fragen aufwirft, wie wirlle wissen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12365
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Veronika BellmannWahrscheinlich hat man sich in den Kreisen der Bundes-regierung schon an Umsetzungsprobleme gewöhnt, da esseit dem Antritt der rot-grünen Regierung an der Tages-ordnung ist, dass die Umsetzung von Gesetzen ziemlichmangelhaft abläuft.Ich stelle klar, dass die Union die Arbeitsmarktreformmitgetragen und damit konstruktive Oppositionsarbeitgeleistet hat. Auch wenn viele Abgeordnete Bedenkengegen die Reform hatten und haben, war uns bewusst,dass dieser Schritt prinzipiell notwendig ist. Für die kon-krete Umsetzung sind aber nicht wir Parlamentarier ver-antwortlich – gleichwohl helfen wir den Menschen beimAusfüllen ihrer Anträge –, sondern einzig und allein dieBundesregierung und die beauftragten Behörden.
– Hätten Sie richtig zugehört, meine liebe Kollegin, hät-ten Sie bemerkt, dass ich gesagt habe: und die beauftrag-ten Behörden.Neben Kommunikationsfehlern gab und gibt es auchfaustdicke handwerkliche Fehler, mit denen zum einendie Hilfeempfänger, zum anderen aber auch die Mitar-beiter der Bundesagentur und der betroffenen Kommu-nen zurechtkommen müssen. Sie müssen die Versäum-nisse der Regierung ausbaden, und zwar innerhalbkürzester Zeit.Die zentralistische Führung der BA ist manchmal fastunerträglich. Über sämtliche Arbeitsschritte muss Nürn-berg informiert werden. Alle Vereinbarungen der Ar-beitsgemeinschaften müssen mit Nürnberg abgeglichenwerden, was die Zusammenarbeit unendlich verzögert.Laut Städtetag scheint die BA zwar ihre bisherige Blo-ckadehaltung, vor allem den optierenden Kommunen ge-genüber, etwas aufzuweichen; aber eine reibungsloseZusammenarbeit im Sinne der Hilfe für Langzeitarbeits-lose ist das leider noch lange nicht. Die Kooperationder Bundesagentur für Arbeit mit den Kommunen –ob in der Option oder in einer so genannten Arge, alsoeiner Arbeitsgemeinschaft – ist aber unerlässlich. Sostellt denn auch der Landrat des Kreises Düren zu Rechtfest, dass mangelnde Zusammenarbeit „Chaos für dieBetroffenen“ bedeutet.Die Bundesagentur sollte sich nicht zum Handlangerder Regierung aufschwingen. Dass die Regierung dieOption nicht will und schon gar nicht deren Erfolg, zeigtsich deutlich beim Thema „Datenerhebung und -vermitt-lung“. Unter dem Vorwand des Datenschutzes war dieBundesagentur bisher nur sehr zögerlich bereit, den op-tierenden Kommunen mehr Informationen zuzugeste-hen.Das Programm A2LL, das heute schon angespro-chen wurde, ist zwar seit dem 18. Oktober hochgefahren.Aber selbst BA-Chef Weise gibt zu, dassdie Zeit für die Einführung der Software eigentlichzu kurz ist, dass wir Tests, die man üblicherweisemacht, nicht machen konnten.Es sei mit mehr Fehlern als üblich zu rechnen. Nunkönnte ich sagen: Auf die Tests können wir getrost ver-zensnssmaingtisvAngWghbgbMKSgd9zdnloDlodnz1szePnfDisUE
eshalb ist die Fallzahl um mindestens 200 000 Arbeits-senhilfeempfänger zu gering bemessen. Das heißt, derurchschnittliche Betrag für aktive Eingliederungsmaß-ahmen von bislang 160 Euro pro Kopf und Monat redu-iert sich auf 132 Euro, die Verwaltungspauschale von03 Euro auf 70 Euro. Der vorgesehene Betreuerschlüs-el kann so nicht gewährleistet werden. So ist das Kern-iel der verbesserten Vermittlung und Förderung nicht zurreichen.Die Bundesregierung muss den Kommunen endlichlanungssicherheit geben und die Budgets für 2005achhaltig erhöhen, und zwar nicht erst mit Beschluss-assung über den Bundeshaushalt.
ie so genannte Revisionsklausel, die noch zu erarbeitent und die sich auf den Bundesanteil an den Kosten dernterkunft bezieht, damit zu überfrachten wäre meinesrachtens nicht sachgemäß, ganz zu schweigen von den
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Veronika Bellmannnoch zu liefernden Rechtsverordnungen zu dem berühm-ten § 13 SGB II.Ich habe hier nur einige Probleme ansprechen kön-nen, die sich jedoch nicht auf den Inhalt, sondern auf dieUmsetzung beziehen. Aber selbst dieser kurze Überblickzeigt, dass es trotz der kurzen Zeit noch ein langer Wegbis zur praktischen Einführung des Arbeitslosengeldes IIist. Diesen Weg können wir als Parlamentarier allenfallsbegleiten. Für die Ausführung und Umsetzung könnenwir uns nicht in Haftung nehmen lassen,
was aber nicht heißt, dass wir den ganzen Prozess un-kontrolliert und unkommentiert lassen; wir im Osten oh-nehin nicht, da Probleme bei der Umsetzung der Reformin Regionen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit beson-ders schwerwiegende Konsequenzen haben. Wir müssenalso in den neuen Bundesländern bei den laufenden Ver-fahren besondere Sorgfalt aufwenden, um einen gesell-schaftlichen Kollaps zu vermeiden.Deshalb fordern wir in unserem Antrag neben derpünktlichen Auszahlung der Hilfen im Januar 2005, derSicherstellung der Finanzierung gegenüber den Kommu-nen, den angemessenen Kooperationen zwischen derBundesagentur für Arbeit und den Kommunen unter an-derem einen umfassenden Bericht der Bundesregierungzum Stand der Umsetzung von Hartz IV, und zwar nichtnur im Haushaltsausschuss, sondern vor dem gesamtenParlament; denn das sind Sie der Demokratie schuldig.
– Sie nehmen das so leicht und sagen „Oh, là, là“. Das istsehr wichtig.Ich hoffe, dass die Bundesregierung diesen Berichtnicht etwa zurückhält, weil er möglicherweise ähnlichunangenehme Wahrheiten wie der Bericht des Rech-nungshofes zur LKW-Maut enthält. Eine dieser unange-nehmen Wahrheiten könnte zum Beispiel sein, dass Siemit den 400 000 bis 600 000 1-Euro-Jobs nur die Ar-beitslosenstatistik bereinigen. Wenn Ihnen in diesem Be-richt Fehler, Fahrlässigkeiten oder gar Vorsätzlichkeitennachgewiesen werden, haben Sie auch dafür geradezu-stehen, nicht die Opposition und schon gar nicht dieHilfebezieher, die auf Gedeih und Verderb Ihrem Regie-rungshandeln ausgeliefert sind.Danke schön.
Zum Schluss dieser Debatte erhält die Kollegin Karin
Roth für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist schon sehr merkwürdig, Frau Bellmann,dass Sie, bevor das Gesetz in Kraft getreten ist, prognos-tizieren, wie wir mit diesem Gesetz umgehen werden.IngDsauS–dddisDaMgElt–wdwitnggtshtuddS
Wir alle wissen ganz genau, dass die Zusammenle-ung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe nicht einfach ist.as steht auch in Ihrem Antrag. Wir wissen auch, dassehr viele Menschen davon betroffen sind, nämlich mehrls 4 Millionen. Dass das eine große Verantwortung fürns alle bedeutet, ist auch klar. Es geht aber nicht, Herringhammer, dass Sie hier den Eindruck erweckenauch mit Ihrem Antrag –, dass die Regierung nicht iner Lage ist, Hartz IV umzusetzen. Wir haben im Ausschuss und auch hier im Parlamentargelegt, in welchen Schritten und in welcher Weise wiries tun werden. Deshalb wird es nicht besser, wenn Siemmer wieder sagen: Die Reform ist gut, aber die Um-etzung ist schlecht.
ie Umsetzung funktioniert und – was wichtig ist – aufllen Ebenen wird mit Hochdruck gearbeitet. All dieenschen, die zurzeit an der Umsetzung beteiligt sind,eben ihr Bestes.
s ist nicht angemessen, diesen Menschen zu unterstel-en, dass sie nicht in der Lage sind, mit komplexen Ma-erien umzugehen.
Ja, das war die Variante nach dem Motto „Da war nochas“.Deshalb habe ich ein wenig Zweifel daran, ob Sie iner Lage sind, nachzuvollziehen, was in diesem Gesetzirklich verankert worden ist. Sie haben offensichtlichn der Zwischenzeit erkannt, dass das, was wir vorberei-et haben, auch funktioniert. Denn es kann doch wohlicht wahr sein, dass wir in diesem Parlament das Gesetzemeinsam beschließen, im Vermittlungsausschuss eini-es zu unseren Lasten umformuliert wurde, wir aberrotzdem nicht abtauchen, wenn es so weit ist, und Sieich dann kurz vor In-Kraft-Treten des Umsetzungsplansier hinstellen und sagen: Wir haben die große Befürch-ung, dass das alles nicht klappt. Das ist scheinheilig
nd verunsichert die Menschen. Außerdem wird dadurchas nötige Vertrauen in die Umsetzung der Reformen,as wir brauchen, unterlaufen.
Ich mahne Sie also auch ein Stück weit, Herringhammer, Ihren Populismus, den Sie hier gerne ver-
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Karin Roth
breiten, ein wenig zurückzunehmen; denn am Endeschadet das der Glaubwürdigkeit des ganzen Hauses undnicht nur der Opposition.
Ich bin froh, dass die Bundesregierung in der Zwi-schenzeit im Rahmen einer sehr sachlichen Informa-tionskampagne deutlich gemacht hat, welche Leistungendie Menschen bekommen. Sie hat die Fehlinformationenausgeräumt, die auch von Ihrer Seite verbreitet wordenwaren. Ich freue mich auch, dass nun das geschieht, wasgeschehen muss: Die Menschen geben ihre Anträge beider Agentur für Arbeit ab, weil sie wissen, dass sie,wenn sie das nicht tun, am 1. Januar nächsten Jahreskein Geld bekommen. Das ist, wie ich meine, eine guteBotschaft.1,8 Millionen Menschen haben ihre Anträge inzwi-schen abgegeben. Das entspricht 73 Prozent aller ver-schickten Anträge. Jetzt können sie bearbeitet werden.Ich bin davon überzeugt, dass in den nächsten Tagen einGroßteil der noch nicht abgegebenen Anträge eingehenwird. Aber wir müssen vor Ort dafür werben, dass dieMenschen ihre Anträge abgeben. Wir dürfen diese Re-form nicht durch überflüssige Bedenken blockieren.
Um es auch in diesem Haus klar zu sagen: Wer seinenAntrag nicht oder nicht rechtzeitig abgibt, der wird amEnde auch keine Leistung bekommen und schneidet sichsozusagen ins eigene Fleisch. Das wollen wir nicht. Aberwir müssen damit aufhören, die Menschen zu verunsi-chern. Deshalb ist es notwendig, den Betroffenen vonhier aus zu sagen: Geben Sie Ihre Anträge rechtzeitig ab,damit Sie am 1. Januar 2005 Ihre Leistung bekommen!Das liegt in der Verantwortung der betroffenen Men-schen.Die Bildung von Arbeitsgemeinschaften ist ein gro-ßes Thema. Immer wieder haben sich von allen SeitenBedenkenträger geäußert. Heute kann man feststellen:Auch hier gibt es Fortschritte. Allerdings weiß ich, dassviele Landesregierungen auch in diesem Bereich Sandins Getriebe gestreut haben. Immerhin haben sich77 Prozent aller Kommunen für Arbeitsgemeinschaftenausgesprochen. Darüber hinaus gibt es 79 so genannteoptierende Kommunen.
Die Vorbereitungen sind also in vollem Gange. Ich habeden Eindruck, dass das Thema Anträge inzwischen ge-klärt ist.Hinzu kommt – das ist für uns wichtig –, dass wir dieSchaffung von Arbeitsgelegenheiten vorziehen und be-reits jetzt über 100 000 Eingliederungsmaßnahmen fürdie Menschen realisiert haben. Wir machen mit dieserSache Ernst. Indem wir in diesem Jahr diese zusätzli-chen Arbeitsgelegenheiten schaffen, geben wir den Men-schen die Chance, wieder in Arbeit zu kommen.ddZam2uetgr6V3BNlDmHhBlcnFwbnEwDzszKm
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zur Finanzie-ung sagen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir rund,35 Millionen Euro für Eingliederungsmaßnahmen zurerfügung stellen. Für Personal werden wir,3 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um, Frauellmann – sie redet gerade ganz intensiv mit ihremachbarn –, auch die notwendige Betreuung zu gewähr-eisten.
as versuchen wir. Wichtig ist dabei Folgendes: Wirüssen jetzt das Ziel erreichen, das wir auch mitartz IV verbunden haben: die Umverteilung der Mittelin zu den Kommunen. Es kann nicht sein, dass derund die kommunale Ebene um 2,5 Millionen Euro ent-astet und die Landesregierungen dieses Geld einste-ken, um damit ihre Haushalte zu sanieren. Das gehticht. Das kann nicht sein.
Das bedeutet, bezogen auf die Revisionsklausel, ohnerage, dass der Bund verantwortlich ist. Beim Bundeiß man, was Sache ist. In Baden-Württemberg wirdeispielsweise Ministerpräsident Teufel um 132 Millio-en Euro entlastet. Davon leitet er aber nur 33 Millionenuro an die Kommunen weiter. 99 Millionen Euro ver-endet er für seinen Haushalt. Das ist nicht in Ordnung.ieses Geld brauchen wir für Betreuung und Kinderer-iehung. Dieses Geld ist notwendig, um auch dieses Ge-etz, das wir heute im Bundestag verabschiedet haben,u realisieren.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Niebel zu?
Ja, klar. Von Herrn Niebel immer, der ist ja für Ver-ischtes zuständig.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. Das heißt wohl, dass ich
ziemlich vielseitig einsetzbar bin.
Frau Kollegin, Sie haben gerade die baden-württem-
bergische Situation angesprochen. Tatsächlich werden
Baden-Württemberg vom Bund 133 Millionen Euro zu-
geordnet, weil die Regelungen des Bundesgesetzge-
bers – –
– Die Frage kommt gleich. Ganz locker bleiben!
Baden-Württemberg bekommt also 133 Millionen
Euro vom Bund.
132 Millionen Euro, aber das macht nichts.
Ja. Weil der Bundesgesetzgeber mit seinem Gesetz
die ostdeutschen Bundesländer aufgrund der Erwerbs-
biographien der Menschen mehr belastet hat als die
westdeutschen, haben sich die Bundesländer entschie-
den, dies dadurch zu kompensieren, dass 1 Milliarde
Euro zusätzlich an die ostdeutschen Länder geht. Wür-
den Sie mir zugestehen, dass gemäß dem Schlüssel des
Bund-Länder-Finanzausgleiches 100 Millionen Euro von
dieser Zuweisung nicht im baden-württembergischen
Haushalt verbleiben, sondern den ostdeutschen Ländern
zugeführt werden, weil der Bund dieser Verpflichtung
nicht nachkommt?
Herr Niebel, es ist ganz einfach: Im Vermittlungsaus-
schuss sind die so genannten A- und B-Länder – in dem
Fall Baden-Württemberg auf der einen Seite und Sach-
sen und die anderen auf der anderen Seite – vertreten. Im
Rahmen des Vermittlungsausschusses wurde von allen
Ministerpräsidenten akzeptiert, dass eine solche Lösung
hinsichtlich der Verteilung vorgenommen wird. Die Mi-
nisterpräsidenten wussten also, dass damit der Transfer
von 1 Milliarde Euro von Westen nach Osten verbunden
ist.
Wenn nun Solidarität eingefordert wird – die ostdeut-
schen Ministerpräsidenten haben zu Recht darauf hinge-
wiesen, dass die Situation im Osten anders ist –, dann
kann man als westliches B-Land im Vermittlungsaus-
schuss zu diesem Vorschlag entweder Nein sagen oder
aber man steht zur Solidarität mit dem Osten.
Aber man kann in dieser Republik nicht auf der einen
Seite ständig die Solidarität mit den neuen Bundeslän-
dern proklamieren, wenn es Ernst wird, aber sagen: Das
interessiert uns nicht, das holen wir uns von unseren
Kommunen zurück. So geht es nicht.
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Zum Schluss: Ich gehe davon aus, dass die Kreise und
ommunen diese Mittel bei ihren Ländern einfordern
erden. Ich gehe davon aus, dass die Länder und die
andkreise und Kommunen auf der Hut sind und dieses
eld auch einsetzen werden. Ich hoffe und wünsche,
ass es uns gelingt, in den ersten Monaten nach dem
. Januar 2005 mit Hartz IV eine bessere und positivere
timmung im Land zu erzeugen, und dass die Miesma-
her, die heute gesprochen haben, dann verstummen
erden.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/3803 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu stelle ichinvernehmen fest. Dann ist die Überweisung so be-chlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier,Sabine Bätzing, weiteren Abgeordneten und derFraktion der SPD sowie den AbgeordnetenIrmingard Schewe-Gerigk, Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines … Straf-rechtsänderungsgesetzes – §§ 180 b, 181 StGB
– Drucksache 15/3045 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 15/4048 –Berichterstattung:Abgeordnete Erika SimmUte GranoldSiegfried Kauder
Irmingard Schewe-GerigkJörg van Essen
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höreich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstfür die Bundesregierung die Bundesministerin BrigitteZypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs,am 7. Mai dieses Jahres, haben die Vertreter aller Par-teien in diesem Haus deutlich gemacht, wie wichtig dieBekämpfung des Menschenhandels und der Zwangs-prostitution ist. Ich möchte in Anbetracht der knappenZeit gerne darauf Bezug nehmen und das alles nichtnoch einmal ausführen. Wir leisten mit diesem Gesetz-entwurf einen Beitrag dazu, diesen internationalen Ver-brecherringen – in der Regel auch Bordellbesitzern unddem Zuhältermilieu – Einhalt zu gebieten.Zum einen enthält dieser Gesetzentwurf neue Straf-vorschriften, vor allen Dingen gegen den Menschenhan-del, durch den die Arbeitskraft ausgebeutet wird; zumanderen setzen wir damit den Rahmenbeschluss zur Be-kämpfung des Menschenhandels des Rates der Europäi-schen Union um. Auch darüber war schon in der erstenLesung die Rede. Das ist nämlich auch der Grund dafür,weshalb dieser Gesetzentwurf von den Koalitionsfrak-tionen eingebracht wurde. Die Zeit läuft uns davon.Wir haben die gesamten Strafvorschriften sehr vielübersichtlicher gestaltet und hoffen, dass sie auch des-halb in Zukunft für die Praxis sehr viel leichter handhab-bar sein werden. Die verschiedenen Strafrahmen sindebenfalls neu geordnet worden. In Zukunft gibt es nurnoch zwei Strafrahmen: Bei Grundfällen beträgt er zwi-schen sechs Monaten und zehn Jahren und bei schwerenFällen haben wir die Verbrechenstatbestände mit einemJahr bis zu zehn Jahren belegt.Mit diesen Verbrechenstatbeständen werden vor al-lem die Fälle erfasst, in denen der Täter das Opfer nichtnur zur Prostitution zwingt, sondern es auch nochschwer misshandelt oder in Todesgefahr bringt oderwenn er auch noch im Rahmen der organisierten Krimi-nalität handelt. Zu diesen Verbrechenstatbeständen ge-hören aber auch die leider nicht seltenen Fälle, in denenein Kind das Opfer ist, mit anderen Worten: wenn es sichbei den Opfern um Personen unter 14 Jahren handelt. Esliegt uns ganz besonders am Herzen, gerade die Kinderund die jungen Frauen zu schützen. Deswegen haben wirauch das allgemeine Schutzalter bei 21 Jahren belassen.Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurffassen wir auch die Zwangsheirat strafrechtlich eindeu-tiger. Das Strafgesetzbuch wird so erweitert, dass in Zu-kunft eine Strafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahrendroht, wenn man einen anderen zur Eheschließung nö-tigt. Das ist gerade auch bei uns erforderlich; denn wiralle wissen, dass es auch in Deutschland noch zahlreicheFälle von Zwangsheiraten gibt. Es ist keineswegs so,dass das etwas mit Tradition zu tun hat und deshalb zuscvrwvwrdwDdbegfnwssigedswzdlemmfdvkMlistiumrwGgledw
Der Gesetzentwurf liegt Ihnen heute in einer Fassungor, die das Ergebnis der Sachverständigenanhörung be-ücksichtigt. Ich möchte das gerne deutlich sagen, weilir mit den zahlreichen Änderungen aufgrund der Sach-erständigenanhörung auch den häufig geäußerten Vor-urf widerlegen können, dass Sachverständigenanhö-ungen immer nur l’art pour l’art sind und dass nichtsabei herauskommt. Ganz im Gegenteil: Hier hat sieirklich etwas gebracht.
as möchte ich gerne positiv hervorheben.Zum einen haben wir einen noch besseren Aufbauer Strafvorschriften erreicht, zum anderen haben wireim Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung auf dasinschränkende Tatbestandsmerkmal „seines Vermö-ensvorteils wegen“ verzichten können. Das heißt, esällt künftig weg. Das bedeutet, dass sich jemand nichtur strafbar macht, wenn er sich einen materiellen Ge-inn davon verspricht, sondern auch dann, wenn er bei-pielsweise nur eine billige Haushaltshilfe sucht. Schließlich werden Handlungen, mit denen der Men-chenhandel gefördert wird, aufgrund der Vorgaben, diem Rahmenbeschluss gemacht werden, künftig in eineresonderten Vorschrift erfasst. Das heißt, dass man nichtrst dann, wenn ein Werbeversuch erfolgreich war undie Person nach Deutschland transportiert wurde, be-traft werden kann, sondern bereits dann, wenn man An-erbeversuche unternimmt, ohne am Ende erfolgreichu sein.Zunächst nicht aufgegriffen haben wir den Antrager CDU/CSU, auch für Freier, die vorsätzlich oderichtfertig ein Opfer des Menschenhandels sexuellissbrauchen, einen Straftatbestand einzuführen. Dazuuss natürlich auch etwas gesagt werden. Ich halte dasür einen wichtigen Ansatz, den wir unbedingt weiteriskutieren müssen. Dem will ich mich überhaupt nichterschließen. Ich meine jedoch, dass wir sorgfältig dis-utieren müssen. Damit würden wir nämlich zum erstenal so etwas wie eine Fahrlässigkeit bei den Sexualde-kten einführen. Das kennen wir derzeit nicht. Wir müs-en darüber mit den Sachverständigen sorgfältig disku-eren. Das ist der eine Gesichtspunkt.Der andere Gesichtspunkt ist der: Ich meine, dass wirnbedingt die Praxis dazu anhören müssen; denn esacht überhaupt keinen Sinn, Straftatbestände einzufüh-en, die man hinterher nicht verfolgen kann. Damitürde man das Strafsystem diskreditieren. Aus diesemrund haben wir so etwas auch an anderer Stelle nichtetan. Ich meine, das gilt hier ebenfalls.Wir sollten das also weiter besprechen und uns über-gen, wie wir das sinnvoll tun können. Das heißt nicht,ass wir uns diesem Antrag als solchem vollständig ver-eigern.
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12370 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004
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Bundesministerin Brigitte ZypriesLassen Sie mich noch einen Aspekt kurz ansprechen.Das Strafrecht ist ein wichtiger Punkt, um den Men-schenhandel zu bekämpfen; das ist überhaupt keineFrage. Es ist aber eben nur ein Punkt, um Menschenhan-del, Zwangsprostitution, sexuelle Ausbeutung und Hei-ratstourismus in den Griff zu bekommen. Wir müsseninsbesondere ausländische Mädchen und Frauen wirk-sam schützen. Dafür ist es vor allen Dingen erforderlich,dass wir die Prävention und den Opferschutz stärken, dieinternationale Strafverfolgung verbessern, die internatio-nale Zusammenarbeit sicherstellen und die Hilfs- undBeratungsangebote für betroffene Frauen in einem aus-reichenden Maße bereitstellen.Ich meine, dass wir gerade in diesem Bereich weiterzusammenarbeiten sollten, und zwar interdisziplinär.Das machen wir in dieser Art und Weise auch in denGremien der Europäischen Union, ein Aspekt, der ge-rade durch die Erweiterung der Europäischen Union umdie Staaten Osteuropas ganz besonders wichtig gewor-den ist.
Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Wieder einmal oder, besser gesagt, wieimmer behandeln wir ein wichtiges rechtspolitischesThema unter Zeitdruck. Ein Rahmenbeschluss des Ratesder Europäischen Union vom 19. Juli 2002 ist umzuset-zen und die Umsetzungsfrist ist seit August 2004 abge-laufen.Wir wissen aus den Verhandlungen im Rechtsaus-schuss, dass wir in dem einen oder anderen Punkt durch-aus noch Diskussionsbedarf gehabt hätten. Ich erwähnehierzu die Vorschrift des neuen § 233 a StGB, in demBeihilfehandlungen zu einem eigenständigen Straftatbe-stand erhoben worden sind. Ich glaube, nicht nur wir vonder CDU/CSU sind der Auffassung, dass damit die Türfür die Strafbarkeit viel zu weit aufgemacht wird. Hinzukommt, dass die Versuchsstrafbarkeit eingeführt wurde.Uns wurde entgegengehalten, dass man daran nichtsändern kann, weil wir europäisches Recht umzusetzenhaben. So einfach ist das nicht. Es geht nicht darum, eu-ropäisches Recht umzusetzen, das gottgewollt von obenkommt. An diesen europäischen Richtlinien und Rah-menbeschlüssen hat die Regierung im Rat Teilhabe. Be-schlüsse im Rat sind einstimmig zu fassen. Nicht Sie,Frau Ministerin, sondern Ihre Vorgängerin war bei derDiskussion in Brüssel dabei, als diese Richtlinie verab-schiedet worden ist. Das heißt, wir haben nun auf natio-naler Ebene das auszubaden, was die Regierung aufeuropäischer Ebene nicht richtig gemacht hat.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12371
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Kauder, es ist bekannt, dass die CDU/CSUimmer etwas langsamer ist. Sie sprechen von Zeitdruck,aber es liegt ein halbes Jahr zwischen der ersten und derdritten Lesung dieses Gesetzentwurfs. Ich glaube schon,dass ein halbes Jahr eine ausreichende Zeit ist.
Allen bayerischen Unkenrufen zum Trotz liegt derEntwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes im Bereichdes Menschenhandels und der Zwangsverheiratungheute vor. Insbesondere durch die Änderungsanträge, dieRot-Grün als Folge der Sachverständigenanhörung for-muliert hat, wird der EU-Rahmenbeschluss umfassendin deutsches Recht umgesetzt. Die Zahlen sind hinläng-lich bekannt – Sie haben sie gerade erwähnt –: Bis zu500 000 Frauen werden jährlich aus Osteuropa nachWesteuropa verbracht. Das Geschäft ist lukrativ, dasRisiko, als Täter verurteilt zu werden, ist gering.Menschenhandel ist ein Ermittlungsdelikt. Dort, wowegen Personalmangels nicht ermittelt wird, kann auchnicht angeklagt und nicht verurteilt werden. Hinzukommt, dass vielfach Verfahren eingestellt werdenmussten, oft aufgrund von mangelnden Beweisen, aberauch weil Opferzeuginnen aus Angst die Aussage ver-weigerten, häufig aber auch wegen der bisherigen Defi-nition.Mit dem heutigen Strafrechtsänderungsgesetz verbes-sern wir den strafrechtlichen Schutz der Opfer vonMenschenhandel, wir erleichtern die Strafverfolgungund schließen Strafbarkeitslücken. Wir geben auch eineAntwort auf die Tatsache, dass der Menschenhandel fa-cettenreicher ist, als er vom Gesetz bisher erfasst wurde.Zwar stellt die Zwangsprostitution das häufigste Deliktdar, aber die Ausbeutung findet auch in anderen Berei-chen statt, etwa in Peepshows, zur Herstellung pornogra-pbAhASSlBhKssarrCpssra„bfsdkwsrnTtdttWddrS–ard
Doch zurück zum Menschenhandel: In der Sachver-tändigenanhörung wurde eine Reihe von Verbesse-ungsvorschlägen gemacht, die sich in den Änderungs-nträgen wiederfinden. Durch den neuen TatbestandFörderung des Menschenhandels“ werden nun aucheihilfeartige Handlungen wie das Beherbergen oder Be-ördern von Opfern erfasst. Erst dadurch können wirt-chaftlich profitierende Hintermänner bzw. Personen ausem kriminellen Umfeld bestraft werden, denen bisherein Menschenhandel im engeren Sinne nachzuweisenar. Ich halte das für einen sehr wichtigen Schritt.Ich bin auch sehr froh darüber, dass für den Tatbe-tand der sexuellen Ausbeutung nicht länger die Vo-aussetzung gelten soll, dass der Täter durch die Tat ei-en Vermögensvorteil erlangt. Wie wir wissen, muss dasäterverhalten nicht immer durch Vermögenswerte mo-iviert sein.Das Schutzalter, bei dem Menschenhandel auch ohneas Ausnutzen einer Zwangslage strafbar ist, wird wei-erhin bei 21 Jahren liegen, auch wenn dies in rechtssys-ematischer Hinsicht vielleicht keine saubere Lösung ist.ir meinen aber, dass dadurch ein wirksamerer Schutzer Opfer gegeben ist, die überwiegend der Altersgruppeer 18- bis 21-Jährigen angehören und deren Unerfah-enheit ausgenutzt wird.
Diese Änderungen werden den strafrechtlichenchutz der Opfer stärken und die Täter und Täterinnenvereinzelt handelt es sich auch um Frauen – zur Ver-ntwortung ziehen. Um aber eine effiziente Verbesse-ung zu erzielen, sind weitere Schritte nötig. Dabei spieltas Zeugnisverweigerungsrecht für Fachberatungsstellen
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Irmingard Schewe-Gerigkeine zentrale Rolle. Das werden wir im Rahmen derStrafprozessordnungsreform regeln.Ich glaube, wir wären gut beraten, eine prozentualeBeteiligung an den eingezogenen Gewinnen als Unter-stützung für die Arbeit der Fachberatungsstellen vorzu-sehen. Auch aufenthaltsrechtliche Änderungen trügenim gleichen Maße zum Opferschutz und zur Ermittlungder Täter bei. Dabei handelt es sich um einen Knack-punkt, über den wir gerne mit der CDU/CSU diskutierenwürden.Lassen Sie mich noch etwas zu der von Ihnen gefor-derten Freierbestrafung anmerken, Herr Kauder. Es istwirklich sehr schade, dass die Union ihre Zusage ausdem ansonsten sehr guten Berichterstattergespräch nichteingehalten und den Antrag jetzt doch zur Abstimmunggestellt hat. Wir waren uns darin einig, eine genaue Prü-fung möglicher Strafbarkeitslücken vornehmen zu wol-len. Wir wollen auch verhindern, dass Freier die Hilflo-sigkeit der Opfer von Menschenhandel ungestraftausnutzen können. Der Antrag der Union hat sich abernicht ausreichend mit den praktischen und juristischenSchwierigkeiten dieses Vorhabens auseinander gesetzt.
Für diesen Wunsch nach einer Zwischenfrage gilt lei-
der das Gleiche, das ich vorhin schon angeführt habe: Da
Ihre Redezeit bereits überschritten ist, kann ich sie nicht
zulassen.
Dann werde ich mich nach meiner Rede à deux mit
dem Kollegen Kauder zusammensetzen, um diese Frage
zu besprechen.
Gestatten Sie mir einen letzten Satz: Wir werden ju-
ristisch, aber auch mithilfe von Fachleuten aus der Pra-
xis prüfen, ob und wo es noch Lücken gibt und wie wir
sie schließen können. Daneben müssen wir aber die Ge-
sellschaft und insbesondere die Männer weiter sensibili-
sieren. Denn Gesetze alleine helfen nicht weiter. Wir als
Gesetzgeber und Gesetzgeberinnen wollen das Unsere
dazu tun.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, ich nehme den Vor-
schlag zur bilateralen Beilegung vermeintlicher Mei-
nungsverschiedenheiten als innovativen Beitrag zur Ver-
kürzung unserer Parlamentsdebatten dankbar auf
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derollege Kauder hat sehr viele – wie ich finde: berech-igte – kritische Bemerkungen zu dem heute zu verab-chiedenden Gesetzentwurf gemacht. Frau Kolleginchewe-Gerigk, er hat auch berechtigte Kritik daran ge-ußert, dass die zeitliche Frist zur Umsetzung über-chritten worden ist. Das Parlament hat zwar schnelleraten. Aber die Bundesregierung hat einen entspre-henden Gesetzentwurf viel zu spät eingebracht.
Trotzdem denke ich, dass heute ein außerordentlichositiver Tag ist, und zwar deshalb, weil sich gezeigt hat,ass die parlamentarischen Beratungen zu einer erhebli-hen Verbesserung geführt haben. Ich bin wie die Kolle-in Schewe-Gerigk der Meinung, dass das Schutzalteron 21 Jahren genau richtig ist; denn wir wissen aus derraxis, dass die Gruppe der 18- bis 21-Jährigen beson-ers häufig Opfer von Menschenhändlern ist.In der Debatte ist bereits mehrfach – zu Recht – da-auf hingewiesen worden, dass es nicht allein bei straf-echtlichen Vorschriften bleiben darf, sondern dass vielendere, zusätzliche Anstrengungen notwendig sind. Ichöchte einen Aspekt ansprechen, der mir besondersichtig ist. Wir alle wissen, dass es insbesondere einenenschenhandel mit jungen Frauen von Osteuropaach Westeuropa gibt. Durch den Wegfall von Grenzenst das Ganze zusätzlich erleichtert worden. Mir bereitetabei erhebliche Sorge, dass in vielen osteuropäischentaaten noch immer Korruption in der politischen Elite,ber auch in der Polizei ganz wesentlich dazu beiträgt,ass solche Machenschaften möglich sind. Wir solltendas gehört für mich zum Thema der heutigen Debatteazu – die Regierungen insbesondere der Staaten, dieer Europäischen Union vor kurzem beigetreten sind,uffordern, hier durchzugreifen und dafür zu sorgen,ass diese schrecklichen Praktiken nicht länger mit staat-icher und insbesondere nicht mit polizeilicher Unter-tützung möglich sind.
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Jörg van EssenIch bin sehr froh, dass wir in den letzten Wochen undMonaten sehr viel intensiver über das Thema „Zwangs-verheiratung“ sprechen. Die Diskussion hat gezeigt, dasssie gerade in unserem Land sehr viel häufiger üblich ist,als es von uns akzeptiert werden kann. Wir haben heuteVormittag über die Aufnahme von Beitrittsverhandlun-gen mit der Türkei gesprochen. Ich denke, dass eine Be-endigung der unerträglichen Praxis der Zwangsverhei-ratung zu den Forderungen gehört, die wir an diejenigenStaaten stellen müssen, die Mitglied der EuropäischenUnion werden wollen. Auch das ist nach meiner Auffas-sung ein ganz wichtiges Signal, das von der heutigenDebatte ausgeht.
Herr Präsident, ich glaube, ich habe gerade einePunktlandung hingelegt und meine Redezeit genau ein-gehalten.Es gäbe zwar noch viele Punkte anzusprechen. Aberich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass alle Fraktionendes Bundestages dem Gesetzentwurf zustimmen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Erika Simm, SPD-
Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Im Laufe des Beratungsverfahrens hat sich– darauf ist schon hingewiesen worden – eine Reihe vonÄnderungen an dem Gesetzentwurf ergeben, den wirheute, wie ich hoffe, gemeinsam verabschieden werden.Sie folgten aus dem Ergebnis der Sachverständigenanhö-rung. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, den Sie,Herr Kauder, heute schon angesprochen haben und aufden ich in den Beratungen des Rechtsausschusses auchbereits hingewiesen habe. Wir hatten ein gewisses Pro-blem mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses desRates der Europäischen Union; denn dieser ist so de-tailliert und geradezu perfektionistisch formuliert, dasswir von Sachverständigen mahnend darauf hingewiesenwurden, an der einen oder anderen Stelle hätten wir die-sen Beschluss nicht zu 100 Prozent – ich erlaube mir zusagen: zu 150 Prozent – umgesetzt. Das hat die Sachenicht gerade leichter gemacht. Ich erwähne das nur, ummeinem Wunsch einen gewissen Nachdruck zu geben,dass man in Zukunft den nationalen Gesetzgebern etwasmehr Spielraum einräumt. Man sollte sich von demMisstrauen gegenüber den nationalen Gesetzgebern freimachen, wenn es um die ordnungsgemäße Umsetzungeuropäischer Beschlüsse geht. Dieses Misstrauen kommtfür mich in dem Versuch zum Ausdruck, möglichst allesauf europäischer Ebene zu regeln.
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Das ist natürlich etwas anderes. Man muss es an derichtigen Stelle tun.
Noch ein Wort zur Freierbestrafung: Auch wenn dieDU/CSU ihren Änderungsantrag formal nicht zurück-enommen hat – ich habe ein gewisses Verständnis da-ür, weil ein Berichterstatter so etwas nicht immer alleinntscheiden kann –, so hat es doch eine Verständigungarüber gegeben, dass sich daran in den Beratungen imusschuss kein Konflikt entzünden soll, weil wir unsehr oder weniger stillschweigend darüber einig sind,ass wir es mit einem schwierigen Vorhaben zu tun ha-en, wenn wir versuchen, die Freier strafrechtlich zu fas-en.Im Prinzip bin ich der Meinung, dass die Ausnutzunger Zwangslage von Opfern des Menschenhandelsin strafwürdiges Verhalten ist. Ich weiß aber auch, dassir ein Legalitätsprinzip im Bereich der Strafverfolgungaben mit dem Ergebnis: Wenn wir Strafgesetze ma-hen, muss die Polizei verfolgen, muss umsetzen undersuchen, der Täter habhaft zu werden. Wir befindenns hier in einem schwierigen Bereich hinsichtlich dereweisführung. Denn natürlich werden die Täter be-treiten, gewusst zu haben oder eine Möglichkeit gehabtu haben, zu erkennen, dass die Prostituierte, mit der sies zu tun hatten oder zu tun haben wollten, Opfer einesenschenhandels ist.Von daher ist uns nicht sehr geholfen, wenn wir aufen Leichtfertigkeitstatbestand ausweichen, zumal die-er – Frau Ministerin hat das schon gesagt – unserem Se-ualstrafrecht fremd ist. Dennoch bin ich der Meinung,
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Erika Simmdass wir uns die Mühe machen sollten, dies sorgfältig zuprüfen. Wir sind bereit – für die Kollegen von der SPD-Fraktion kann ich dies sagen –, an dem Versuch, eine ad-äquate Lösung zu finden, mitzuwirken.
Frau Kollegin Simm, darf der Kollege Kauder Ihnen
eine Zwischenfrage stellen?
Gern.
Frau Kollegin Simm, sind wir uns darüber einig, dass
die Menschenhandelsvorschriften nicht in die Sexualde-
likte eingegliedert sind, sondern dass Menschenhandel,
so, wie die Regierung ihn formuliert hat, auch die Aus-
nutzung der Arbeitskraft bedingt und somit eher ein Ge-
waltdelikt und weniger ein Sexualdelikt ist, sodass sich
die Frage nach einer fahrlässigen Bestrafung unter dem
Gesichtspunkt eines Sexualdeliktes so nicht stellt?
Sie haben Recht. Wir haben es jetzt in den Bereich
des 18. Abschnittes eingeordnet. Dieser beinhaltet die
Straftaten gegen den freien Willen. Aber durch die An-
knüpfung bei der Prostitution besteht schon ein doppel-
ter Bezug. Ganz außerhalb des Bezuges zu den Sexual-
straftaten bewegen wir uns also nicht.
Für mich ist das auch nicht das Entscheidende. Für
mich ist entscheidend, eine Strafvorschrift zu formulie-
ren, die für die Polizei und für die Strafverfolgungsbe-
hörden handhabbar ist und tatsächlich zu Verurteilungen
führen kann, wenn es mit der nötigen Sorgfalt und mit
Nachdruck verfolgt wird.
Ich komme zum Schluss. – Als ostbayerische Abge-
ordnete, die relativ nah an der tschechischen Grenze
wohnt, weiß ich aus eigener Anschauung, was dort in
Grenznähe im Bereich der Prostitution passiert. Ich
würde mir ganz dringend wünschen, dass die tschechi-
schen Behörden nachdrücklicher versuchen würden, die
Vorgänge dort, jedenfalls soweit sie kriminellen Bezug
haben, zu unterbinden. Dann täten wir uns bei Diskus-
sionen, wie wir sie zum Beispiel über die Bestrafung der
Freier führen, ein Stück leichter.
Ich bedanke mich.
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Ute Granold, CDU/CSU-Fraktion.
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Wir Umweltpolitiker haben über Partei- und Frak-tionsgrenzen hinweg ein gemeinsames Ziel, das kurz ge-sagt darin besteht, die uns umgebende Natur in all ihrenFacetten, in Form von Pflanzen und Tieren, Landschaft,Wasser und Luft, für uns und unsere Nachkommen sau-ber, gesund und lebenswert zu erhalten. Es ist ein StückVerantwortung vor Gott und den Menschen, wie es inunserem Grundgesetz heißt.Auf den Wegen hin zu diesem Ziel kommen wir aller-dings recht schnell zu unterschiedlichen Auffassungen.Wir müssen die Wege in das demokratische Systemeinpassen und sie in Abwägung und Relation zu Wirt-schaftlichkeit, Effektivität, Kosten usw. umsetzen. DieHauptfrage aber entscheidet sich in der Regel an demParameterpaar Ökonomie und Ökologie. Diese kannman zum einen als eng verbundene Einheit sehen oderzum anderen als weit auseinander liegende gegensätzli-che Pole. Zwischen den beiden gibt es einen breitenSpielraum unterschiedlicher Nähe zur Ökologie auf dereinen Seite bzw. zu den ökonomischen Wirkungen aufder anderen Seite.Bei der Beratung der Oppositionsanträge ist zunächstzu erwähnen, dass das Pflanzenschutzgesetz mit all sei-nen Auflagen unter der Ägide der CDU/CSU imMai 1998 im Bundestag beschlossen wurde. Es ist einBundesgesetz und für die Kontrolle seiner Einhaltungsind die Pflanzenschutzämter der Länder zuständig.
Bundesseitig haben wir das Umweltbundesamt, das un-ter anderem auch für die Weiterentwicklung des Um-weltschutzes zuständig ist, das Wege für die Lösung vonUmweltproblemen aufzeigen und dem BMU und auchanderen Ministerien diesbezügliche fachliche Konzeptevorschlagen soll.Im Rahmen dieser Aufgaben sah es das Umweltbun-desamt als notwendig an, Daten zu sammeln, um diePraktikabilität der Anwendung des Pflanzenschutzgeset-zes zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern. Dadie Daten der Pflanzenschutzämter der Länder dem Um-weltbundesamt nicht vorlagen, griff das UBA auf denWeg der verdeckten Feldbeobachtung zurück, der viel-leicht besser als Ausweg zu bezeichnen ist. Gedacht sinddLsszKazadzDwwLvvrnvssärFhdkvzDisnDz
onnte man das Pferd nicht auch von der anderen Seiteufzäumen? Konnte man das nicht konstruktiv angehen,um Beispiel indem Sie über den Bundesrat – Sie sind jan einigen Regierungen beteiligt – die Länder aufgefor-ert hätten, dem UBA die gesammelten Daten der Pflan-enschutzämter zur Verfügung zu stellen?
Es kann doch wohl nicht sein, dass die Länder dieaten auch nach Aufforderung nicht herausgeben, ob-ohl der Bund für die Lebensmittelsicherheit verant-ortlich ist.
iegen dem UBA ausreichend Daten vor, braucht keineerdeckte Feldbeobachtung durchgeführt zu werden. Bisergangenen Montag lagen weder dem Umweltministe-ium noch dem Ministerium für Verbraucherschutz, Er-ährung und Landwirtschaft gelieferte Daten vor.Besonders kess geht die CDU/CSU in ihrem Antragor. Sie nimmt die Feldbeobachtung zum Anlass, wirk-ame Kontrollen gleich ganz auszuhebeln. Das Pflanzen-chutzgesetz soll ihrer Meinung nach dahin gehend ge-ndert werden, dass eine Kontrolle nur nach vorherigerechtzeitiger schriftlicher Ankündigung in angemessenerrist durchgeführt werden darf. Was hier „angemessen“eißt, lassen Sie aber offen. Auf alle Fälle wollen Sieem Landwirt reichlich Zeit geben, alles, was eine Er-enntnis über ein eventuelles ungesetzliches Ausbringenon Pestiziden und Düngemitteln bringen könnte, weg-uräumen und zu sortieren.
a Sie auch die Wohnräume zum Tabu erklären wollen,st das noch leichter zu bewerkstelligen. Dort, wo Ge-chäfts- und Wohnräume zusammenliegen, dürfte garicht kontrolliert werden.Für wen betreiben Sie eigentlich Lobbypolitik?
en Landwirten, die ihren Grund und Boden geset-estreu, kostenbewusst und ökologisch vernünftig
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Renate Jägerbewirtschaften, dienen Sie mit diesem Antrag bestimmtnicht, im Gegenteil.
Sie schüren dadurch Misstrauen im gesamten Berufs-stand, als ob es hier eine ganze Menge zu verbergengäbe.Wir lehnen diese beiden Anträge ab.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Gitta Connemann,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen Siesich einmal vor: Sie sind zu Hause, vor sich eine TasseOstfriesentee – so wäre es jedenfalls bei uns –, sicher indem Gefühl „My home is my castle“. Plötzlich steht einTeam von Ermittlern vor Ihrer Tür und verlangt den Zu-tritt zu Ihrer Wohnung, um zu überprüfen, ob Sie IhrenBlumendünger vorschriftsmäßig verwahrt haben. Siesind natürlich aufgebracht und pochen – „Meine Woh-nung ist unverletzlich“ – auf Art. 13 Grundgesetz. DieErmittler weisen darauf hin, dass dieses Grundrecht fürSie nicht greift. Also: Türen auf, Schränke auf.Unmöglich, sagen Sie? Weit gefehlt, meine Damenund Herren. Genau diese Szene kann für unsere Land-wirte jeden Tag Wirklichkeit werden.
– Ich komme noch darauf zu sprechen, Herr KollegeHerzog. – Denn § 38 Pflanzenschutzgesetz macht esmöglich. Die zuständigen Behörden dürfen die Räumebesichtigen und untersuchen, und zwar ohne dringendenTatverdacht. Dabei handelt es sich nicht nur um die Be-triebsräume, nein, auch um die Privaträume. Denn fürlandwirtschaftliche Betriebe ist das Grundrecht auf Un-verletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt.Diese Regelung – das ist richtig – wurde 1986 einge-führt.
Zielrichtung war der Betriebsinhaber, der gegen das Ge-setz verstößt. Denn niemand von uns will einen Missetä-ter schützen. Die damalige Bundesregierung konnte abersicher sein, dass die zuständigen Landesbehörden vondieser Ermächtigung nur im Verdachtsfall Gebrauch ma-chen würden.
Wer aber hätte ahnen können, dass es jemals einen Mi-nister Trittin geben würde? Sein Klimabeitrag bestehtdujegIutsmdidDKLgswwdwWdmtbWPAwwmhGblWShhbL
oll die Einhaltung der Anwendung von Pflanzenschutz-itteln erfasst, Landwirte und Gärtner beobachtet wer-en.Mittel und Ziel des Vorhabens lassen an einen Filmm Geheimdienstmilieu eines John le Carré etwa nachem Motto „Der Spion, der aus der Uni kommt“ denken.
enn mit der Beobachtung sind Studenten beauftragt.enntnisse über Pflanzenschutzmittel und Geräte, dieandwirte und Gärtner in sehr zeitintensiven Pflichtlehr-ängen erlernen, sollen den Studenten der Kunstge-chichte, der Jurisprudenz etc. im Crashkurs vermittelterden. Dann auf zur Feldbeobachtung!Es ist nicht so, dass es dafür keine Experten gebenürde, Frau Jäger. Aber wen interessiert schon, dass esafür Mitarbeiter bei Landesbehörden gibt, die die not-endige fachliche Qualifikation und Eignung haben?en interessiert schon, dass der Bund gar nicht zustän-ig ist? Jedenfalls nicht diese Bundesregierung. Daacht es dann auch nichts, dass Planung und Vorberei-ung des Projekts bereits 300 000 Euro verschlungen ha-en.
ir haben’s ja!Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über dieseosse beinahe lachen.
ber sie trifft einen ganzen Berufsstand ins Mark. Land-irte und Gärtner werden kriminalisiert. Denn ihnenird per Generalverdacht unterstellt, Vorschriften zuissachten. Dabei sollte dieser Berufsstand eigentlichohes Ansehen genießen. Die deutschen Bauern undärtner versorgen uns mit hochwertigen gesunden Le-ensmitteln. Sie pflegen und umsorgen unsere Kultur-andschaft. Dabei stehen sie mit dem Rücken an derand.Wenn der Herr Minister, die Frau Ministerin und auchie, Herr Kollege Herzog und Frau Kollegin Jäger, sicheute die Mühe gemacht hätten, die Demonstration deressischen Milchbauern vor dem Brandenburger Tor zuesuchen, hätten Sie einmal bemerkt, wie verzweifelt dieage unserer Bauern ist.
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Gitta Connemann14 Betriebe sterben pro Tag in Deutschland. Anstatt denBauern Hilfe zuteil werden zu lassen, werden ihnenBeobachter aufs Feld geschickt.
Das finde ich unerträglich.
Wir, die Opposition, und die Öffentlichkeit stehen mitdieser Kritik nicht allein. Ich zitiere aus der „Bild amSonntag“ vom 13. Juni 2004 den Kollegen FriedrichOstendorff, einen Parteifreund des Ministers:Welcher Teufel reitet die Verantwortlichen eigent-lich? Das Projekt gehört schleunigst abgeblasen!Der Kollege Wilhelm Priesmeier, übrigens ein Mitgliedder SPD-Fraktion, stellt fest:Trittin muss das ganze Verfahren sofort stoppen.Wie wahr, meine Damen und Herren von der Koali-tion. Beenden Sie endgültig dieses Drama! Nehmen Siezur Kenntnis: Unsere Landwirte leben von der Natur.Die Vorstellung, jeder Bauer verfahre beim Pflanzen-schutzmitteleinsatz nach der Methode „Viel hilft viel“,ist völlig absurd.
Wenn Sie schon den Landwirten jede Moral abspre-chen, lassen Sie sich vielleicht von Kostenargumentenüberzeugen. Mein Bruder hat einen Hof. Der Pflanzen-schutzmitteleinsatz bei Getreide kostet ihn aktuell circa170 Euro pro Hektar. Er kann 6 bis 10 Tonnen pro Hek-tar bei einem Preis von circa 100 Euro pro Tonne ernten.Glauben Sie denn im Ernst, dass er es sich bei diesenMargen überhaupt leisten könnte, Pflanzenschutzmittelüber Bedarf einzusetzen?Das weiß auch das Umweltbundesamt und fühlt sichoffensichtlich nicht wohl bei diesem Projekt. So erklärtePräsident Troge vor dem Bauernverband vor zwei Wo-chen, am 11. Oktober 2004 – ich zitiere –:Die Landwirtschaft hat im Umweltschutz bei Luft,Wasser und Boden in den vergangenen Jahren eineMenge getan und viel erreicht …Der Zustand der Gewässer habe sich dank des Einsatzesder Landwirtschaft enorm verbessert. Weitere Anstren-gungen müssten gemeinsam angegangen werden.Gemeinsam, das ist das Zauberwort. Selbst MinisterinKünast hat das inzwischen erkannt. Morgen wird ihrMinisterium ein Reduktionsprogramm zum chemi-schen Pflanzenschutz vorstellen. Diese Reduktion ist– um es hier ganz klar zu sagen – im Interesse aller, ins-besondere auch im Interesse der Bauern. Für dieses Pro-gramm wurde der Dialog mit allen Beteiligten, also mitden Landwirten, den Behörden auf Landesebene und denHerstellern von Pflanzenschutzmitteln, gesucht. Offen-bar waren die Gespräche auf dieser Ebene durchaus po-sitiv. Allerdings bleibt abzuwarten – das ist dann derÜberraschungseffekt –, ob sich die am Dialog Beteilig-ten tatsächlich in dem Programm wiederfinden werden.WWBSuuONrtsmSdpisgftnzwtddmeVSOddnsww
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-en! Zu dem Antrag der CDU/CSU mit dem Titel „Ver-rauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit zwi-chen Landwirtschaft und Umweltschutz stärken“öchte ich sagen: Dieser Titel ist gut; der Rest ist Mist.
ie wissen, dass ich mich zu dem in dem Projekt der ver-eckten Feldbeobachtung des Umweltbundesamtes ge-lanten Verfahren sehr ablehnend geäußert habe. Dennch halte es für den Dialog, den wir mit der Landwirt-chaft im Rahmen des Pflanzenschutzreduktionspro-rammes führen wollen, für nicht dienlich. Deshalbände ich ein Verfahren falsch, das Heckenschützenmen-alität und Denunziation möglicherweise fördern könnte.
Aber Sie wissen auch, dass das Umweltbundesamtach längerem Streit bereit ist, auf die eigene Erhebungu verzichten,
enn die Länder die Ergebnisse der Anwendungskon-rollen liefern. Die Pflanzenschutzämter sind jetzt gefor-ert. Mögliche wissentliche oder unwissentliche Anwen-ungsfehler beim Einsatz von Pflanzenschutzmittelnüssen untersucht werden. Ich weiß nicht, was dagegeninzuwenden wäre.
Frau Connemann, man muss zwischen dem Ziel desorhabens und dem Verfahren differenzieren. Das tunie leider nicht. An dem Ziel kann man nichts aussetzen.der wollen Sie den Menschen allen Ernstes erklären,ass es der Landwirtschaft leider nicht zuzumuten sei,ass der Umgang mit immerhin giftigen Substanzen ge-au kontrolliert werde, weil das, wie Sie in Ihrem Antragchreiben, „den Leistungen und Verdiensten der Land-irtschaft in Deutschland in keiner Weise gerechtird“?
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Friedrich OstendorffSie behaupten, schon die Überprüfung der Einhaltungvon Gesetzen sei eine Kriminalisierung des gesamtenBerufsstandes. Meine Damen und Herren, was ist denndas für ein Rechtsverständnis? Sie plädieren dafür, garnicht zu kontrollieren,
und begründen das damit, dass ein deutscher Bauer we-der wissentlich noch unwissentlich etwas tun würde, wasnicht erlaubt ist.
Kollegin Connemann hat in der ersten Lesung diesesAntrages wörtlich gesagt:Niemand will denjenigen schützen, der wissentlichgegen Gesetze verstößt.
Aber gerade die Landwirte tun dies nicht und habendeshalb unser Vertrauen verdient.
Woher, Frau Connemann, wissen Sie das?
Haben Sie vielleicht eigene, heimliche Kontrollendurchgeführt? Gerade weil es um Vertrauen geht, ist esdoch wichtig, mögliche Anwendungsfehler einzugren-zen. Das schwächt das Vertrauen nicht, sondern stärkt es.Eine Kriminalisierung stellte es dar, mögliche Fehlerunter den Tisch zu kehren oder gegen alle wenden zuwollen. Es ist kein Angriff auf alle Berufskollegen, wennman offen ausspricht, dass es Verstöße gibt. Warumsollte es ausgerechnet unter uns Landwirten keineschwarzen Schafe geben? Auch wenn Ihr Weltbild damitzusammenbricht, Frau Connemann: Natürlich gibt esVerstöße, wissentlich wie unwissentlich begangene.
Wir haben nach wie vor Probleme mit der richtigen An-wendung von Pflanzenschutzmitteln. Allein im Regie-rungsbezirk Unterfranken mussten in diesem Jahr20 Verfahren im Zusammenhang mit der Nutzung vonPflanzenschutzmitteln eingeleitet werden. Daran müssenwir arbeiten.
Dies tun wir bereits, zum Beispiel mit dem Pflanzen-schutzreduktionsprogramm, das die Ministerin mor-gen vorstellen wird. Hier geht es um einen konstruktivenund sachlichen Dialog, der von Anwendern, Kontrollin-stanzen, Naturschützern und anderen kritischen Gruppengeführt wird. Sie hingegen tragen mit Ihrem Antrag dieDiskussion in eine falsche und, wie ich meine, schädli-cMWCKddfLjesespKwsdehglaORtrW–TlöTgzaläsHK
issen Sie, was Sie damit herbeireden, Frauonnemann? Nichts als Misstrauen, Diskreditierung undriminalisierung. Ich kenne außer Ihnen niemanden, deras Pflanzenschutzgesetz, das übrigens in der Dienstzeiter Ex-Umweltministerin Angela Merkel entstanden ist,ür einen Ausdruck tiefen Misstrauens gegenüber derandwirtschaft hält. Aber ich kann Sie beruhigen: Nichtde Kontrolle in diesem Land ist Ausdruck eineschlechten Charakters des Kontrolleurs. Vielmehr istine Kontrolle in der Regel ein ganz normaler Vorgang.Dieser Antrag der CDU/CSU ist ein typisches Bei-piel Ihrer bekannten Politik der großen Allgemein-lätze, die wörtlich so klingen:Dies wird den Leistungen und Verdiensten derLandwirtschaft in Deutschland in keiner Weise ge-recht.önnen Sie mir dies erklären? Ich bin gern bereit, dieirklichen Leistungen und Verdienste der Landwirt-chaft gebührend zu würdigen. Wir von Rot-Grün tunies im Übrigen in einer Art und Weise, von der die Bäu-rinnen und Bauern viel mehr als von Ihren Sprüchenaben: durch aktive Förderung der besonderen Leistun-en der Landwirtschaft, etwa beim Erhalt der Kultur-ndschaft. Aber ich bin nicht bereit, die Kollegen derpposition hier wegen jeden Kleinkrams im Kostüm desächers der unterdrückten Bauern und Bäuerinnen zu er-agen, der mit gespielter Entrüstung gegen den bösenolf zu Felde zieht.
Frau Mortler, ich muss Ihnen sagen: Das ist albernesheater, das bei den Zuschauern nur Kopfschütteln aus-st.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns beimhema Pflanzenschutzmittel auf einem sehr vernünfti-en Weg. Sie sind herzlich eingeladen, diesen Weg mit-ugehen. Wenn Sie ihn nicht mitgehen, werden wir ihnllein gehen; auch dies werden wir aushalten. Aber be-stigen Sie uns bitte nicht weiter mit Anträgen wie die-em.
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Christel
appach-Kasan für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ollege Ostendorff, das Projekt „Bauernspione“ oder
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Dr. Christel Happach-Kasan„Verdeckte Feldbeobachtung“, wie es in der Aus-schreibung hieß, ist kein Kleinkram gewesen. Es war ge-rechtfertigt, dass die FDP sich dagegen gewandt hat, undich bin stolz darauf, dass wir damit insoweit Erfolg ge-habt haben, als dieses Projekt nicht in der ursprünglichgeplanten Form durchgeführt wird. Dies ist ebenso gutfür die Bauern wie für das Umweltbundesamt, das damitgezeigt hat, dass es einsichtsfähig ist, was die Vorausset-zung dafür ist, dass es weiterhin gute Arbeit leisten kann.In einem Gespräch mit Hans-Michael Goldmann undmir hat Herr Troge zugesichert, dass keine Bauernspioneüber die Felder der Landwirte streifen werden. Ich setzedarauf, dass das Wort des UBA-Präsidenten gilt.Zugleich fordert die FDP die Bundesregierung auf,das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Minister Trittin,Ministerin Künast und UBA-Präsidenten Troge zu been-den und die politische Verantwortung zu übernehmen.Ministerin Künast ist gefordert, sich endlich einmal vordie Bauern zu stellen und die weit überwiegende Mehr-heit, die in hoher Verantwortlichkeit ihre Felder bewirt-schaftet, vor ungerechtfertigten Vorwürfen zu schützen.
Erinnern wir uns: Als die Ausschreibung des Um-weltbundesamtes bekannt wurde, waren wir alle scho-ckiert. Heute bin ich dankbar, feststellen zu können, dasssich alle Kolleginnen und Kollegen im Agrarausschussdavon distanziert haben. Dies gilt sowohl für HerrnOstendorff, der diesen Vorgang eben noch einmal öffent-lich gemacht hat, als auch für den inzwischen verstorbe-nen Matthias Weisheit und für Peter Harry Carstensen.Aber es ist ein Trauerspiel, dass Rot-Grün offensichtlichvon Februar bis heute gebraucht hat, um diesen Skandalzu beenden, und dass sich keiner der Verantwortlichenbis jetzt von dem Projekt distanziert hat. Die Reputationdes Umweltbundesamtes und seines Präsidenten hat er-heblich gelitten. Wir von der FDP-Bundestagsfraktionfordern ihn auf, sich zu entschuldigen.Es gibt nur wenige Alternativen zur Anwendung vonPflanzenschutzmitteln. Eine Alternative sind krank-heitsresistente Pflanzen. Rot-Grün hat gerade möglicheFortschritte bei der Züchtung resistenter Sorten durchAnwendung gentechnischer Methoden per Gesetz ver-hindert. Sie haben damit die Verminderung des Einsatzesvon Pflanzenschutzmitteln verhindert. Die Züchtung re-sistenter Sorten wäre das beste Programm gewesen.
Die Methoden des Ökolandbaus sind nicht flächende-ckend umsetzbar. Denn es gibt keinen Markt für die Pro-dukte. Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass die Ver-wendung von Kupferhydroxiden anstelle von modernen,schnell abbaubaren Fungiziden, die von Betrieben desÖkolandbaus praktiziert wird, zum Eintrag von Schwer-metallen ins Grundwasser führt. Auch das ist bekannt;die Umwelt wird geschädigt – nichts öko.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004 12381
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– Sie hätten sich einmal durchsetzen können! Sie könnendoch nicht verlangen, dass ich von der Opposition IhreRegierungsgeschäfte betreibe. Was soll das denn? Dashätten Sie doch endlich einmal machen können. Warummachen Sie das denn nicht? Sie sind doch wohl Mannsgenug, so etwas in die Wege zu leiten. Das müssen Sienicht von einer einzelnen Oppositionsabgeordneten ver-langen. Das ist doch wohl Blödsinn.
Frau Kollegin, Ihnen ist wahrscheinlich entgangen,
dass Ihre Redezeit inzwischen zu Ende ist.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Damit können wir festhalten: Erst der massive Ein-
spruch der FDP hat das Anliegen des Umweltbundesam-
tes auf einen Erfolg versprechenden Weg gewiesen,
nämlich die Daten der Länder heranzuziehen. Ich habe
Präsident Troge vorgeschlagen, uns zu loben. Ich finde,
Sie könnten das auch tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Um das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kolle-
gin Probst gebeten. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Beitrag der Kollegin Happach-Kasan war
dazu angetan, dass Missverständnisse im Raum stehen
bleiben. Deshalb möchte ich richtig stellen, dass es bis-
her wirklich keinen Grund gibt, von der Konzeption die-
ses Projektes abzuweichen.
Es ist richtig, dass wir ein großes Interesse daran
haben, Doppelarbeiten zu vermeiden und qualifizierte
Daten, die den Ländern vorliegen, mit auszuwerten.
Bis heute aber hat kein einziges Land Daten geliefert.
Jetzt sind die Länder – das hat Herr Ostendorff richtig
gesagt – am Zuge. Solange keine qualifizierten Daten
bzw. überhaupt keine Daten vorliegen, werden wir an
unserem Vorhaben festhalten. Es geht uns nicht darum,
die Landwirte in irgendeiner Weise zu kriminalisieren
oder in die Ecke zu stellen, wie Sie das in den Raum ge-
stellt haben. Es geht vielmehr um eine vernünftige An-
wendung der Pflanzenschutzmittel im Sinne des Gewäs-
ser- und des Umweltschutzes. An diesem Ziel werden
wir festhalten.
Zur Beantwortung, Frau Happach-Kasan.
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s ist schon interessant zu hören, wie Sie das immeranz geschickt verknüpfen können.Der Antrag der FDP beinhaltet ein Verbot der Unter-uchung von Defiziten bei der Anwendung von Pflan-enschutzmitteln. Der Antrag der CDU/CSU beinhaltetin Verbot von unangekündigten und damit effektivenontrollen. Der Ausschuss empfiehlt in beiden Fällenindeutig Ablehnung und das ist eine gute Empfehlung.Eigentlich haben wir bereits in der Debatte vom. Mai dieses Jahres alles Wesentliche gesagt. Die Oppo-ition hat es aber offenbar nicht geschafft, sich in diesereit etwas mehr mit den Fakten auseinander zu setzen,och einmal nachzulesen und endlich aufzuhören, ihrennsinn zu verbreiten. Da Sie das heute wieder gemachtaben, Frau Kollegin Connemann, will ich einmal aushrem Antrag zitieren:Durch diese Maßnahme scheint das Umweltbun-desamt die Einhaltung der guten fachlichen Praxisder Land- und Forstwirte grundsätzlich infrage stel-len zu wollen. Denn nur wer glaubt, dass Recht undGesetz unterlaufen werden …
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Gustav HerzogFrau Kollegin Connemann, das ist keine Frage desGlaubens. Wir wissen, dass es Verstöße gibt, sei es beab-sichtigt oder unbeabsichtigt. Das werden Sie wohl nichtin Abrede stellen.
Wir wissen, dass die gute fachliche Praxis hinsicht-lich der Abstandsregelungen, der Wartezeit, der Indika-tion und zum Beispiel auch der Reinigung der Feld-spritze auf dem Acker – das wird noch zu häufig aufdem Hof gemacht – nicht immer eingehalten wird. Esgibt sogar eine gemeinsame Initiative von Umweltbun-desamt und Bauernverband, die versucht, das Problemdurch Information und Beratung zu beseitigen.Das sind keine Erfindungen von Rot-Grün. Sie allewissen, dass es Fälle von Überschreitungen der Höchst-mengen gibt. Sie wissen auch, dass nicht zugelasseneMittel verwendet werden. Sie kennen auch die Ergeb-nisse der Analysen von Proben aus Oberflächengewäs-sern und Grundwasser. Manchmal reicht auch ein einfa-cher Spaziergang, um festzustellen, dass nicht immer amAckerrand Schluss war, sondern der Bauer noch einStückchen weiter gefahren ist.Wir wissen auch, dass unser Bemühen um mehr Ein-zelfallgerechtigkeit zu einem nahezu unanwendbarenRegelwerk geführt hat. Darin stimmen wir, glaube ich,überein. Deswegen sollte es unser gemeinsames Zielsein, das Regelwerk einfacher zu gestalten und es da-durch besser zu machen. Für die SPD-Fraktion sage ichnoch einmal sehr deutlich: Nach unserer Auffassungkann der Großteil der deutschen Landwirtschaft nichtauf chemischen Pflanzenschutz verzichten.Ein Motiv des UBA war, die Landwirte bei der Be-obachtung zu fragen, warum sie eventuell gegen die eineoder andere Regelung verstoßen haben. Es ist einfachfortgesetzte Böswilligkeit, wenn hier von einer Krimina-lisierung gesprochen wird. Es wird kein Acker betreten,ohne zu fragen. Das ist kein Hausfriedensbruch. Es wer-den keine Stasimethoden angewendet. Das UBA hetztkeine Nachbarn gegeneinander auf und es findet keineDenunziation statt.Frau Kollegin Connemann, Sie haben aus der Aus-schreibung zitiert. Daher werde auch ich daraus zitieren,was das Betreten eines Ackers betrifft: Dies kann nurnach Absprache mit dem Landwirt erfolgen. – Sie soll-ten in Kürschners Volkshandbuch über den DeutschenBundestag eine zusätzliche Angabe zu Ihrer Person auf-nehmen lassen: Märchenerzählerin. Für eine Partei, vonder ich es gewohnt bin, dass sie in der Regel jeden Bahn-hof und jede Straßenecke per Videoüberwachung kon-trollieren will, ist es schon verwunderlich, dass Sie hiersolch eine Aufregung verursachen.
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Es ist bedauerlich, dass eine solche Studie in unsereredienlandschaft eine derartige Aufregung verursachenann. Konstruktive Kritik ist zwar immer willkommen.ber diese Studie ist nicht geeignet, die Verbraucherufzuklären oder das Verhalten der Landwirte zu verbes-ern.
m schlimmsten Fall können solche Schlagzeilen sogarazu führen, dass es dem Verbraucher letztendlich egalst, was er isst, weil er denkt, dass sowieso alle Nah-ungsmittel versaut sind. Dieser Fatalismus ist eine Be-trafung all jener Landwirte, die verantwortungsvollochwertige Nahrungsmittel in einer ökologisch intaktenmwelt produzieren.Mehrfach angesprochen wurde bereits das Reduk-ionsprogramm, das die Frau Ministerin morgen vor-tellen wird. Dabei handelt es sich um einen umfassen-en Katalog von Vorschlägen und Maßnahmen. Ich kannir die Kritikpunkte, die vonseiten der Umweltverbändeagegen vorgebracht werden, schon vorstellen. Diesenerbänden sage ich: Liebe Freunde, es kommt nicht da-auf an, die radikalsten Forderungen und die schärfstenuflagen in die Welt zu setzen, sondern es geht darum,ür uns alle auf breiter Front konkrete Erfolge zu erwir-en.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Artur Auernhammer,DU/CSU-Fraktion.
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Verehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich von
der Ausschreibung des Umweltbundesamtes gehört
habe, war ich praktizierender Landwirt. Zu diesem Zeit-
punkt war ich noch kein Mitglied dieses Hohen Hauses.
Als es um die so genannte verdeckte Feldbeobachtung
ging – ich finde den Begriff „Bauernspionage“ wirklich
treffend –, habe ich mich gefragt: Bin ich eigentlich
Landwirt oder Mitglied einer kriminellen Vereinigung?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie sieht
das in der Praxis aus? Im kommenden Frühjahr werde
ich Pflanzenschutzmaßnahmen durchführen und meine
Weizen- und Braugerstenbestände mit Pflanzenschutz-
mitteln behandeln, wie ich es seit Jahrzehnten mache.
– Sie werden es nicht glauben, verehrte Kollegin, aber
ich betreibe den Beruf des Landwirts seit meinem
15. Lebensjahr.
Sehen Sie, das ist eben der Unterschied: Es reden hier
viele mit, die von der Praxis keine Ahnung haben. Jetzt
redet einer, der aus der Praxis kommt.
Wenn ich die Pflanzenschutzmaßnahmen dann durch-
führe, fahre ich mit meinem Schlepper über das Feld – in
Zukunft wahrscheinlich mit noch teurerem Agrardiesel –
und muss befürchten, dass hinter jeder Hecke, hinter je-
dem Baum ein kleiner Trittin sitzt, der mich mit dem
Feldstecher bei der Arbeit beobachtet und beim gerings-
ten Verdacht eines Fehlverhaltens mit aller Härte des Ge-
setzes durchgreift. „Verdeckte Feldbeobachtung“ nennen
Sie das
– wird diese Vorgehensweise in der Fachsprache ge-
nannt –, für mich ist und bleibt es Bauernspionage.
Mit dieser Ausschreibung des Umweltbundesamtes
dokumentiert die Bundesregierung, welches Vertrauen
sie in unsere Landwirtschaft hat: nämlich überhaupt
keins. Mich als Landwirt und all meine Berufskollegen
– auch die Berufskolleginnen und -kollegen aus Hessen,
die heute um Mitternacht zur Demonstration vor dem
Brandenburger Tor losgefahren sind – betrifft es sehr,
wie diese Bundesregierung mit uns umgeht, auch wenn
bereits von einer Rücknahme gesprochen worden ist.
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
denn der Gedanke sitzt tief und fest.
Wen wundert es, dass mehr als 50 000 Landwirte in
unserem Land von heute auf morgen ihren Betrieb
schließen würden, wenn sie einen außerlandwirtschaftli-
chen Arbeitsplatz fänden? Über die arbeitsmarktpoliti-
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Ich frage mich: Wenn wir auf den Import von Nah-
ungsmitteln angewiesen sind, wo bleiben dann die
ontrollmaßnahmen von Frau Künast und Herrn Trittin?
ann ist wahrscheinlich alles erlaubt, Hauptsache, der
reis stimmt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deut-
chen Bäuerinnen und Bauern gehen verantwortungsbe-
usst mit der Natur um, auch beim Umgang mit Pflan-
enschutzmitteln. Der Einsatz von Pflanzenschutz-
itteln ist in Deutschland nach den strengsten Vorschrif-
en geregelt. Anwender, sprich Landwirte – auch ich –,
üssen ihre Sachkenntnis nachweisen. Pflanzenschutz-
eräte werden regelmäßig einer TÜV-Untersuchung un-
erzogen. Die Landwirtschaftsämter führen Kontrollen
urch. Ich habe den Eindruck, in der Landwirtschaft
ird schon mehr kontrolliert und überwacht als produk-
iv gearbeitet. Ich finde, wir sollten uns in Deutschland
ieder etwas mehr auf das Produzieren zurückbesinnen
nd nicht nur kontrollieren und überwachen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Auernhammer, das war Ihre erste Redem Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gra-uliere. Alle guten Wünsche für Ihre weitere Arbeit!
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-irtschaft auf Drucksache 15/3545. Der Ausschuss emp-iehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung dieblehnung des Antrages der Fraktion der FDP aufrucksache 15/2668 mit dem Titel „Projekt des Um-eltbundesamtes zur so genannten verdeckten Feldbe-achtung stoppen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-ehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –ie Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenom-en.Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnunges Antrages der Fraktion der CDU/CSU aufrucksache 15/2969 mit dem Titel „Vertrauensvolle und
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Vizepräsident Dr. Norbert Lammertkonstruktive Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaftund Umweltschutz stärken“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich der Stimme? – Auch diese Beschlussempfeh-lung ist mit der Mehrheit der Koalition gegen dieStimmen der Opposition angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes– Drucksache 15/3278 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Kultur und Medien
– Drucksache 15/4046 –Berichterstattung:Abgeordnete Monika GriefahnBernd Neumann
Dr. Antje VollmerHans-Joachim Otto
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Kultur und Medien
– zu dem Antrag der Abgeordneten MonikaGriefahn, Eckhardt Barthel , DetlefDzembritzki, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der AbgeordnetenDr. Antje Vollmer, Claudia Roth ,Volker Beck , weiterer Abgeordneterund der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN50 Jahre Deutsche Welle – Zukunft und Mo-dernisierung des deutschen Auslandsrund-funks– zu dem Antrag der Abgeordneten BerndNeumann , Günter Nooke, RenateBlank, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU50 Jahre Deutsche Welle – Perspektiven fürdie Zukunft– Drucksachen 15/1214, 15/1208, 15/4046 –Berichterstattung:Abgeordnete Monika GriefahnBernd Neumann
Dr. Antje VollmerHans-Joachim Otto
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst derStaatsministerin für Kultur und Medien, Frau Dr. Weiss,das Wort.kHdzShndJMDfdgdwndDeRddzWSNldmLtstnSSLDsdtDmbLzas
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Deutsche Welle soll die Stimme Deutschlands iner Welt sein, eines modernen Deutschlands, eineseutschlands, das wir als europäische Kulturnationbenso verstehen wie als freiheitlich-demokratischenechtsstaat. Ich bin den Fraktionen des Deutschen Bun-estages sehr dankbar, dass sie sich insbesondere aufiesen wichtigen Passus der Generalklausel des Geset-es verständigt haben; denn die Angebote der Deutschenelle, also Hörfunk, Fernsehen und Internet, sind keinelbstzweck und die Deutsche Welle ist kein bloßerachrichtensender. Sie soll die Kulturnation Deutsch-and in all ihren Facetten abbilden. Das wollen wir mitiesem Bundesgesetz bewirken. Dies ist ein Novum mitedien- und kulturpolitischer Bedeutung.
assen Sie mich auch sagen, dass es sehr gut zum Auf-akt des Schiller-Jahres 2005 passt.Vor wenigen Wochen hat sich die Enquete-Kommis-ion „Kultur in Deutschland“ dafür ausgesprochen, Kul-ur als Staatszielbestimmung ins Grundgesetz aufzu-ehmen. Dieses Bekenntnis zur Kultur erfordert einelbstbewusstwerden im Sinne von Novalis, auch iminne der deutschen Aufklärung. Wir müssen in unseremand einen neuen Dialog darüber beginnen, was uns alseutsche eigentlich ausmacht und wie weit der ideenge-chichtliche Bogen reicht. Dieser Dialog muss jedochie Geschichte unseres Landes genauso im Blick behal-en wie unsere Gegenwart im vereinten Europa. Daseutsche-Welle-Gesetz hat also für die geistige und de-okratische Verfasstheit unseres Gemeinwesens eineesondere Bedeutung, auch wenn der Sender in ersterinie im Ausland zu hören ist.Meine Damen und Herren, mit dem neuen Gesetz prä-isieren und befestigen wir die Autonomie des Sendersls staatsunabhängiger Sendeanstalt. Wir haben uns die-er Frage gemeinsam besonders zugewandt; denn das
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Staatsministerin Dr. Christina Weissneue Gesetz ist Ausdruck unseres freiheitlichen Staatesund somit unseres kulturellen Selbstverständnisses.Der Sender ist aber nicht auf sich selbst gestellt. Erwird verpflichtet, seine Vierjahresplanungen transparentzu machen und von Jahr zu Jahr zu präzisieren. Im Dia-log mit den beiden Verfassungsorganen Bundestag undBundesregierung wird der Intendant gemeinsam mit demRundfunkrat und dem Verwaltungsrat die Zielgebiete,die Zielgruppen, die Verbreitungswege und die Ange-botsformen darstellen und mit einer Kalkulation der Be-triebs- und Investitionskosten verbinden. In einem darfes allerdings keine Kompromisse geben – da sind wiruns sicherlich einig –: in der Unabhängigkeit und in derFreiheit des Journalismus, der dem Impetus der General-klausel vorangeht.Das Innovative an dem neuen Gesetz ist, dass dieSelbstverpflichtung des Senders vor der Öffentlichkeitjedem Einblick in seine Relevanz und Arbeitsweise gibt.Vor allem ist die Öffentlichkeit in den Sendegebieten aufallen Kontinenten aufgefordert, sich an der Diskussionder Aufgabenplanung des Gesetzes und dessen Effekti-vität zu beteiligen.Ich bin sicher, dass der Bundeszuschuss, der vom Par-lament im jährlichen Haushaltsgesetz zur Verfügung ge-stellt wird, den globalen Anforderungen dieses moder-nen und weltweit geschätzten Senders zunehmendpräziser entsprechen wird. Die Probleme bei der Finan-zierung der Deutschen Welle sind bekannt. Für Bun-desregierung und Bundestag geht es einmal mehr darum,die Kunst des Möglichen zu praktizieren und die Hori-zonte des Wünschbaren nicht aus dem Blick zu verlie-ren. Im Haushaltsausschuss wurde ein Antrag der CDU/CSU, die Finanzausstattung um 5,1 Millionen Euro zusenken, zum Glück abgelehnt.
Ich bin allen Fraktionen im Deutschen Bundestagdankbar, dass sie noch einmal zum Ausdruck gebrachthaben, die seit 1999 praktizierte Bereitstellung der Bun-desmittel zur Selbstbewirtschaftung fortsetzen zu wol-len. Dies entspricht der besonderen rundfunkrechtlichenStellung des deutschen Auslandssenders. Zu dankenhabe ich auch dem Intendanten der Deutschen Welle, derhier der Debatte folgt, und seinen Aufsichtsgremien,dass es möglich war, in einer langen Periode der Abstim-mungen und der Kooperationen ein Gesetz zu entwi-ckeln, das im Wesentlichen im Konsens mit dem Senderentstanden ist.Die Deutsche Welle ist eine Angelegenheit aller Frak-tionen im Deutschen Bundestag und aller Bürgerinnenund Bürger in unserem Land. Uns kann nicht gleichgül-tig sein, wie diese wichtige ARD-Sendeanstalt aus Bonnund aus Berlin berichtet. Der Sender bedarf der weiterenpolitischen und auch finanziellen Unterstützung. Er be-darf der Ermutigung und der konstruktiven Begleitungseines Sendeauftrages. Im Kosovo, in Afghanistan undin anderen Brennpunkten der Welt ist die DeutscheWelle eine wichtige Stimme der Freiheit. Der SendermKudSgfmumtvCLbzlDdszmupIsmrrmDddgLrSdICBtDnD
Das Wort hat der Kollege Bernd Neumann, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieseregislaturperiode findet nun zum dritten Mal eine De-atte über die Deutsche Welle statt. Heute wird zumweiten Mal über den von der Bundesregierung vorge-egten Gesetzentwurf debattiert. Ich hatte bereits in derebatte zur ersten Lesung am 17. Juni unsere Positionargestellt, eine insgesamt positive Bewertung der Ziel-etzung des Gesetzentwurfs vorgenommen und gleich-eitig vier Änderungsvorschläge unterbreitet. Ichöchte heute Wiederholungen weitgehend vermeidennd deshalb zum Abschluss eines langen Diskussions-rozesses – Sie haben diese Novellierung schon 1998 inhrer Regierungserklärung versprochen; sie ist jetzt nachechs Jahren vollzogen – noch einige grundsätzliche Be-erkungen zum Stellenwert der Deutschen Welle gene-ell und zu ihrem Stellenwert in der rot-grünen Regie-ungskoalition machen.Die Deutsche Welle ist die einzige wahrnehmbareediale Stimme Deutschlands in allen Teilen der Welt.ie Einzigartigkeit dieser Rolle begründet gleichzeitigie Unverzichtbarkeit der Deutschen Welle, insbeson-ere wenn man bedenkt, dass Deutschland die zweit-rößte Industrienation in der Welt und das bedeutendsteand in der EU ist.Die Frage lautet: Wird die Politik der Bundesregie-ung diesem Stellenwert der Deutschen Welle gerecht?ie, Frau Staatsministerin Weiss, wird nicht verwundern,ass wir diese Frage mit einem klaren Nein beantworten.ch komme gleich auf Ihre Einlassung zum Antrag derDU/CSU zurück. Dass nun gerade Sie, die Sie dieseundesregierung, wenn auch erst seit zwei Jahren, ver-reten, eine mögliche Reduzierung von Mitteln für dieeutsche Welle in einer Größenordnung von 5,1 Millio-en Euro beklagen, andererseits aber den Etat dereutschen Welle seit 1999 um 17 Prozent – das sind
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Bernd Neumann
75 Mil-lionen Euro – ohne Aufgabenveränderung redu-ziert haben, ist in der Tat ein Stück Scheinheiligkeit.
Wie sehen andere den Stellenwert, den die DeutscheWelle bei der rot-grünen Bundesregierung hat? Ichkönnte mehrere Zitate bringen, beziehe mich aber auf ei-nen Artikel aus der „FAZ“ vom Juli dieses Jahres. Dortheißt es:Ihre erste Regierungszeit verbrachten SPD undGrüne damit, die Deutsche Welle schlechtzureden… Das diente nicht zuletzt dem Kampf mit und ge-gen einen der CDU angehörenden Intendanten, …Nun, da dieses „Problem“ durch die Neubesetzungdes Intendantenpostens „gelöst“ ist, geht die Politikmit der Deutschen Welle freundlicher um … Aberman könnte meinen, die Bundesregierung wissePrioritäten zu setzen. In der Außenpolitik hat sie inden vergangenen … zwei Jahren so getan, als er-finde sie die Rolle Deutschlands in der Welt geradeneu. Heute ist sie „wild entschlossen“, für Deutsch-land einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zuerreichen: Dieses Vorhaben unterstreiche die ge-wachsene internationale Bedeutung unseres Lan-des.Sie merken da indirekt den Ton von AußenministerFischer.Es heißt weiter in diesem Artikel mit der Überschrift„Deutschlands Stimme flüstert“:Die deutsche und die mit ihr verwobene europäi-sche Politik der übrigen Welt zu erklären ist jedochdie vornehmste Aufgabe der Deutschen Welle. Dassieht die Bundesregierung genauso … Die Deut-sche Welle solle also viel tun, heißt es immerzu.Doch mit welchen Mitteln soll sie das tun?Wie die Entwicklung der Mittel ist, habe ich eben ge-sagt.
Deswegen auch die zusammenfassende Bewertung inder „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“:Substanz wird in dem Sender jetzt zerstört, ist inden vergangenen Jahren schon zerstört worden, vorallem bei den Kernkompetenzen eines Auslands-senders, den Fremdsprachenprogrammen.
– Hören Sie ganz ruhig zu! –Die Bundesregierung scheint dies nicht begriffen zuhaben. Man kann nicht einerseits von wachsenderBedeutung und Verantwortung reden, andererseitsaber Instrumente deutscher Außenpolitik systema-tisch schwächen.DtsPI1kgddfbvisnvksDdhDeddbwaIedaddgsssmbtdtKnr
Jetzt komme ich zu dem Punkt, den Frau Weiss wahr-cheinlich meinte. Er betrifft die Diskussion über einrojekt, welches im Jahr 2002 gestartet wurde.
ch meine den von der Bundesregierung mit bisher5 Millionen Euro unterstützten zusätzlichen Auslands-anal German TV, den Deutsche Welle, ARD und ZDFemeinsam betreiben. Leider ist dies kein Erfolg gewor-en. Die Abonnentenzahlen kommen nicht annähernd inen Bereich, in dem sich – wie geplant – das Programminanziell selbst tragen kann. Deshalb ist es nicht vertret-ar, weitere Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen,or allem wenn man weiß, dass es beendet wird. Das giltnsbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass die Deut-che Welle schon jetzt unterfinanziert ist und ihre origi-ären Aufgaben reduzieren muss.Mir liegt der von Ihnen zitierte Antrag vor. Ich kannerstehen, wenn Haushälter, die mit unseren Ausgabenritisch umgehen müssen, für ein Projekt, das als ge-cheitert gilt, keine weiteren Mittel bewilligen wollen.er Antrag, der im Haushaltsausschuss eingebracht wor-en ist, bezieht sich ausschließlich auf diesen Sachver-alt.
arüber hinaus wird in der Begründung des Antrags An-rkennung für die Arbeit der Deutschen Welle ausge-rückt und festgestellt, dass die finanziellen Mittel fürie Deutsche Welle in ihrem originären Auftrag nicht zueeinträchtigen sind. Das kann ich verstehen. Wer sonst,enn nicht die Haushälter, soll die kritische Messlattenlegen, um misslungene Experimente zu erkennen?
nsofern ist in dem Punkt keine Kritik vorzubringen.Ich möchte abschließend noch etwas zu dem Gesetz-ntwurf anmerken. Ich habe bereits ausgeführt, dass wirie Zielsetzung des Gesetzentwurfs, der sich übrigensngenehm von den vielfältigen Entwürfen abhebt, die inen vergangenen Jahren aus Ihrem Hause vorgelegt wur-en, positiv bewerten. Ich hatte in der letzten Debatte an-ekündigt, dass wir zu vier Punkten Änderungsanträgetellen werden. Dies ist inzwischen geschehen. Drei die-er Anträge schienen nach den Debattenbeiträgen insbe-ondere der Kollegin Griefahn konsensfähig zu sein, zu-al sie sich auf den Referentenentwurf aus dem BKMezogen, also die eigentliche Meinung der Staatsminis-erin Weiss darstellten.Die Kollegen von SPD und Grünen – insofern waries die Konsequenz Ihres Debattenbeitrags – verschick-en vor der betreffenden Sitzung des Ausschusses fürultur und Medien Änderungsanträge zur Unterzeich-ung an CDU, CSU und FDP. Entscheidende Inhalte wa-en die Anträge, die ich in der Tendenz auch angekün-
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digt hatte. Darin ging es um folgende Punkte: erstensVerankerung des Prinzips der Selbstbewirtschaftungfür die Deutsche Welle, also flexible Wirtschaftsführungund überjährige Verfügbarkeit der Mittel, und zweitensfinanzielle Planungssicherheit über mehrere Jahre. Dasist in Anbetracht der Erfahrungen aus zurückliegendenLegislaturperioden fürwahr ein wichtiger Punkt.Unmittelbar vor der Sitzung zogen die rot-grünen Ab-geordneten ihre eigenen Anträge zurück; das ist schonbemerkenswert. Aber als wir dann seitens der CDU/CSUgenau die gleichen Anträge einbrachten, stimmten siesogar dagegen.
Das war peinlich und wirft ein bezeichnendes Bild aufIhre Courage und Standfestigkeit beim Einsatz für dieDeutsche Welle.
Herr Kollege Neumann, darf der Kollege Barthel eine
Zwischenfrage stellen?
Ja, mit dem üblichen Zusatz, dass sie nicht auf meine
Redezeit angerechnet wird.
Dieser Zusatz ist ebenso üblich wie unnötig.
Bitte schön, Herr Kollege Barthel.
Herr Kollege Neumann, Sie haben vorhin die Haus-
hälter dafür gelobt, dass sie aus ihrer Sicht Streichungen
vorgenommen haben, die wir als Kultur- und Medienpo-
litiker nicht wollten. Stimmen Sie mir zu, dass in der
Frage der Selbstbewirtschaftung die Punkte, über die
wir diskutieren und in denen es in der Tat einen Konsens
zwischen den Kultur- und Medienpolitikern gab, von
den Haushaltspolitikern – und zwar nicht nur vonseiten
der Regierungskoalition, sondern auch von Ihrer Frak-
tion – teilweise sozusagen mit Schaum vor dem Mund
abgelehnt wurden? Stimmen Sie mir zu, dass Sie ein fal-
sches Spiel spielen, indem Sie feststellen, dass wir dies
abgelehnt haben, obwohl Ihre Haushälter, wie Sie wis-
sen, dasselbe getan haben? Insofern ist es keine Angele-
genheit zwischen den Regierungsfraktionen und der Op-
position, sondern eine Entscheidung der jeweiligen
Ausschussmitglieder.
Herr Kollege Barthel, Sie kommen den nächsten Sät-zen meines Redebeitrages zuvor; denn darauf wollte ichegpbPnwdßisvAtnFnzbharueEmlddgfVlrFvwtdvK
ber warum versuchen wir, die wir Mitglieder des Kul-urausschusses sind und von der Sache mehr verstehen,icht, den Oberbuchhaltern eine ebenso geschlosseneront entgegenzusetzen und gleichzeitig unsere Fraktio-en von unseren Positionen zu überzeugen?
Wir dürfen die Argumente, die Sie in die Knie ge-wungen und die Ihnen sämtlichen Mut genommen ha-en, nicht akzeptieren. Das gängige Argument der Haus-älter ist, mit solchen Regelungen werde ein Präjudiz fürlle anderen Zuwendungsempfänger im öffentlichen Be-eich geschaffen. Dieses Argument ist nicht tragfähignd lässt auf Unkenntnis der Aufgabe und der Funktioniner Rundfunkanstalt schließen.
ine Rundfunkanstalt wie die Deutsche Welle ist nichtit einer „normalen“ Behörde oder einer anderen öffent-ichen Einrichtung gleichzusetzen, wie zum Beispielem Bundesamt für Karthographie und Geodäsie oderem Ausgleichsamt. Eine Rundfunkanstalt arbeitet unteranz anderen, journalistischen Kriterien, die Meinungs-reiheit und Staatsferne als oberstes Gebot beinhalten.erfassungsrechtlich ist entschieden, dass diese natür-ich auch für die Deutsche Welle gelten. Den öffentlich-echtlichen Rundfunkanstalten ist Planungssicherheit inorm einer Bestands- und Entwicklungsgarantie sogarom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zuerkanntorden.
Wenn man die Maßstäbe, die für ARD und ZDF gel-en – einschließlich ihrer finanziellen Entwicklung inen letzten Jahren –, mit denen für die Deutsche Welleergleicht – Frau Griefahn, hierfür hat die rot-grüneoalition Verantwortung –,
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Bernd Neumann
kommt man leider zu dem Ergebnis, dass der deutscheAuslandsfunk von Rot-Grün in den letzten Jahren mehrals stiefmütterlich behandelt wurde. Von der rot-grünenMehrheit wurden, wie gesagt, Ihre Anträge abgelehnt,weil Sie sozusagen kein Stehvermögen in der eigenenFraktion hatten. Positiv bewerte ich, dass wir, die Abge-ordneten, in dem Bericht des Ausschusses, der auchGegenstand der Debatte ist, interfraktionell unsere Über-zeugung zum Ausdruck gebracht haben – das ist schonetwas –, dass die Selbstbewirtschaftung auch in Zu-kunft unverzichtbar ist und dass die Deutsche Welle Pla-nungssicherheit braucht.
Ich gehe davon aus, dass das auch alle anderen Abgeord-neten des Parlaments nicht nur zur Kenntnis nehmen,sondern auch befürworten.Letzter Satz: Nach Abwägung aller Argumente pround kontra haben wir uns entschlossen, dem Regierungs-entwurf zuzustimmen. Das soll weniger eine Geste andie Regierungskoalition sein, die sich in diesen Fragenin der Vergangenheit weiß Gott nicht mit Ruhm bekle-ckert hat, als an die Deutsche Welle und ihre Mitarbei-ter, –
Herr Kollege, letzter Satz!
– die trotz widriger Umstände, mit denen sie in der
Vergangenheit zu kämpfen hatten, ihre Arbeit vorbild-
lich geleistet haben und für die es im Prinzip eine Unter-
stützung ist, –
Herr Kollege, ein Satz, bitte!
– wenn dieses Haus mit breiter Mehrheit ein sie be-
treffendes Gesetz beschließt.
Vielen Dank.
Danke schön. – Ich frage Sie, ob Sie damit einver-
standen sind, dass wir die Rede der Abgeordneten Antje
Vollmer zu Protokoll nehmen.1)
Ich denke, Sie sind damit einverstanden.
Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete
Hans-Joachim Otto.
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1) Anlage 2
ass das ein Kernelement der Reform sein sollte.Ferner waren wir uns darüber einig, liebe Frauriefahn – das hat Kollege Neumann gerade völlig zuecht dargestellt –, dass wir dies auch im Gesetz fest-chreiben wollen. Deswegen gab es gemeinsame An-räge aller vier Fraktionen. Sie sind von diesen Vorstel-ungen abgerückt, obwohl es nach wie vor mutmaßlichhierbei spreche ich auch die Frau Vorsitzende als Ab-eordnete an – in der Sache bei den Kulturpolitikern bisum heutigen Tage Übereinstimmung gibt. Das wäre einirksamer Beitrag gewesen, um die Deutsche Welle zutärken.
Darum geht es. Es nützt nichts, wenn wir große deut-che Denker und Dichter zitieren und einen riesigen An-pruch formulieren. Die nüchternen Zahlen und der Um-ang mit der Deutschen Welle sprechen eine andereprache. Im Jahr 1999 gab es noch einen Etat von umge-echnet 325 Millionen Euro für die Deutsche Welle. Füras Haushaltsjahr 2005 sind es nur noch 261 Millionenuro. In einer Zeit, in der ARD und ZDF rundMilliarden Euro Einnahmen erhalten und diese fasterdoppelt haben, ist der Etat der Deutschen Welle von25 auf 261 Millionen Euro zurückgegangen. An diesenahlen sollte man es messen.Weil die Deutsche Welle so hat bluten müssen – sieat auch unter dem Privatkrieg von Herrn Naumann ge-en den damaligen Intendanten Weirich gelitten –, habenir es für notwendig angesehen, dass jetzt mit diesemesetz ein Beitrag zur Stärkung des deutschen Aus-andsrundfunks geleistet wird. Deswegen kann ich michollegen Neumann nur anschließen. Ich bedaure es zu-iefst, dass die Kulturpolitiker trotz besseren Wissenseine Auseinandersetzung mit den Haushaltspolitikernewagt haben und nicht gesagt haben: In diesem einenunkt ist es notwendig, dass man die finanzielle Unab-ängigkeit und Flexibilität des Senders steigert.
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Hans-Joachim Otto
– Lieber Herr Kollege Barthel, Sie wollen doch nicht dieZustimmung der FDP-Fraktion zu diesem Gesetzentwurfriskieren. Ich muss Ihnen sagen: Ich persönlich habemich wirklich sehr schwer getan, diesem Gesetzentwurfdie Zustimmung zu erteilen, weil das, was von uns ge-meinsam als Kern der Reform angesehen wurde, heraus-gestrichen wurde. Ich will ganz deutlich in Anwesenheitdes Intendanten sagen – er möge das an seine Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter weitergeben –: Wir stimmen ei-nem amputierten Gesetzentwurf zu. Wir tun es, weil esuns um die wichtige Funktion der Deutschen Welle gehtund weil ein mit allen Stimmen des Hauses angenomme-ner Gesetzentwurf einen Beitrag dazu liefern soll, dieStimme Deutschlands in der Welt und die DeutscheWelle zu stärken.Einen letzten Satz möchte ich noch zu German TVanfügen. Es wäre von der Natur der Sache sehr viel bes-ser und überzeugender, wenn es nicht dieses Nebenein-ander eines gebührenfinanzierten Inlandrundfunks undeines steuerfinanzierten Auslandrundfunks geben würde.Das Nebeneinander zeigt sich darin, dass das, was fürviel Geld und hohe Gebühren für den Inlandsrundfunkproduziert wird, aus urheberrechtlichen und sonstigenGründen für den Auslandsrundfunk praktisch nicht ver-wendet werden kann.Die Idee von German TV war gut und wir haben sieam Anfang getragen. Da dies jetzt nachhaltig gescheitertist – die Anzahl der Abonnenten ist desaströs –, sehenauch wir keine andere Möglichkeit, als dieses Experi-ment einzustellen.Folgende Perspektive nenne ich: Wir müssen uns da-rüber Gedanken machen, wie die aufwendig produzier-ten Sendungen für ARD und ZDF in höherem Maße alsbisher genutzt werden können, um sie im Programm vonDeutsche Welle TV zeigen zu können. Wir haben bishergeglaubt, dass wir das nur über das Projekt German TVmachen können. Das ist jetzt gescheitert. Auch wir sindder Auffassung, dass wir das Projekt beenden sollten.Das heißt, ein neuer Reformschritt ist notwendig. Ichappelliere an Sie, die Kolleginnen und Kollegen von denFraktionen der SPD und der Grünen, dass wir uns jetztGedanken darüber machen, wie wir der Deutschen Wellehelfen und die Programme von ARD und ZDF leichterund in höherem Umfang als bisher im regulären Pro-gramm von Deutsche Welle TV zeigen können.
Das wäre, glaube ich, ein guter Beitrag.Wir sind uns im Ziel einig. Wir wollen die DeutscheWelle stärken. Aber dieses Gesetz können wir wirklichnur mit sehr großen Bauchschmerzen, mit sehr großenBedenken mittragen. Wir tun dies allein zugunsten derDeutschen Welle.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Monika Griefahn.
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ir haben sie eingeführt. Seit 1999 wird sie de factourchgeführt.
ie bleibt erhalten. Wir haben im Ausschuss zum Aus-ruck gebracht, dass das auch unser gemeinsamerunsch ist. Der Ehrlichkeit halber sollte man hier dochinmal zugeben, dass das bei uns eingeführt wurde.
Zweiter Punkt. Wenn 5,1 Millionen Euro gestrichenerden sollen, lieber Herr Neumann, dann müssen Sie,enn Sie Ihrer Systematik folgen, gleichzeitig den An-rag stellen, diese 5,1 Millionen Euro zusätzlich für dieeutsche Welle bereitzustellen.
en Antrag habe ich nicht gesehen. Was Sie sagen, istlso ein bisschen scheinheilig, wenn gleichzeitig ein An-rag auf Kürzung gestellt wird.
Ich bin ja freundlich, lieber Eckhardt.Dritter Punkt. Wenn wir uns über German TV und dieooperation mit ZDF und ARD unterhalten, dann kannch nur sagen: Gott sei Dank haben wir durch das Projekterman TV jetzt endlich die Kooperation mit ARDnd ZDF.
ie ist denn die Situation? Die Deutsche Welle hat vor-er für Produktionen von ARD und ZDF, weil diese ge-ührenfinanziert sind, Lizenzgebühren zahlen müssendas ist zum Teil auch jetzt noch so –, und das nicht zunapp, nämlich über 600 Euro die Minute.
ie ist es in der Kooperation mit German TV? WeilRD und ZDF mit dabei sind und man das gemeinsamacht, zahlt man nur 2,20 Euro die Minute. Da kannan doch nicht einfach sagen, das sei nichts. Das istoch ein tolles Ergebnis.
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Monika Griefahn
Natürlich ist die Frage: Wie bekommt man es hin, daseine auf das andere zu übertragen? Jedes Geschäft – dasist doch ganz klar – ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.Natürlich haben ARD und ZDF ein Interesse daran ge-habt, auch im Ausland präsent zu sein. Das sind sie mitGerman TV. Da muss man natürlich schauen, wie die In-teressen von beiden zu verwirklichen sind, und da kannman nicht einfach sagen: Wir schaffen das jetzt ab; eswird sich schon ergeben, dass wir von ARD und ZDFauch weiterhin Programme für 2,20 Euro die Minutekaufen können. – So einfach, denke ich, wird das nichtsein.
Wir müssen damit natürlich sehr sorgfältig umgehen.
Wir müssen sehen, dass wir da nicht irgendwelches Por-zellan zerschlagen. Ich bin wirklich dafür, dass wir esversuchen.
Zu sagen: „Jetzt schaffen wir das ab und es wird schonso weitergehen“ – so einfach wird das nicht gehen. Wirmüssen ein bisschen schauen, wie sich die Zusammenar-beit in Zukunft gestaltet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?
Natürlich, gern.
Liebe Frau Kollegin Griefahn, wollen Sie nicht zur
Kenntnis nehmen, dass wir alle gemeinsam, alle Fraktio-
nen dieses Hauses, German TV nur zeitlich begrenzt zu-
gelassen haben und dass die Frist jetzt ausläuft? Wie
können Sie uns da sagen, wir wollten dieses Projekt zer-
schlagen? Das Projekt ist von vornherein nur zeitlich be-
grenzt gewesen. Die Frist läuft jetzt aus. Es wäre also ein
Beschluss notwendig, um das Projekt zu verlängern.
Diesen Beschluss wollen wir nicht fassen.
Ich habe den Antrag der CDU/CSU so verstanden,dass man es sofort, auf der Stelle, beenden will. Dannwäre es nicht möglich, einen Übergang zu schaffen, umdas hinzubekommen, was alle wollen, nämlich dass dieKooperation mit ZDF und ARD tatsächlich weiterläuft,und zwar in einer anständigen Form der Zusammenar-bn––vpvhiEh1dSoWwtdhnlidLsddrswdlssMztSngGsdGaDAVa
Nein, die CDU/CSU will es vorzeitig beenden.
Wir müssen das doch jetzt auswerten, wie wir es unsorgenommen haben. Das machen wir zu dem Zeit-unkt, zu dem wir es uns vorgenommen haben, nämlichor Ablauf der Frist.Wir sollten noch einmal auf das Gesetz eingehen. Wiraben wirklich ein tolles Gesetz hinbekommen, findech. Es ist ein modernes Gesetz. Es ist ein großer Wurf.s hat sich gelohnt, dass wir lange darüber diskutiertaben. Die Arbeit des Intendanten und aller rund500 Mitarbeiter aus der ganzen Welt trägt dazu bei,ass zu verschiedenen Zeiten in rund 30 verschiedenenprachen Informationen aus Deutschland und aus Eur-pa, eben aus einer europäischen Kulturnation, in dieelt gebracht werden. Mit dem neuen Gesetz kommenir darüber hinaus – wie in der auswärtigen Kulturpoli-ik – viel stärker zu dem Modell der Zweibahnstraße, in-em wir in ihm zum Beispiel die Telemedien verankertaben. Durch sie wird es möglich, tatsächlich auch in ei-en Dialog mit den Menschen zu treten.Die Deutsche Welle hat es darüber hinaus bewerkstel-igt, in Afghanistan einen Fernsehsender aufzubauen undm Kosovo Familien zusammenzuführen. Das heißt,urch sie wird wirklich Informationsfreiheit in vielenändern garantiert, also ein Stück Demokratie und Men-chenrechte durch Informationsmöglichkeiten gesichert,ie in diesen Ländern ansonsten nicht existieren. Das istas Positive, was wir gemeinsam feststellen können. Da-um werden wir – dafür bin ich sehr dankbar – das Ge-etz hier gemeinsam verabschieden. Es leistet einenichtigen Beitrag dazu, dass sich Deutschland in verän-erter Form in der Welt präsentiert. Ich bin sehr glück-ich darüber, dass nicht wie im alten Gesetz nur die Prä-enz Deutschlands in der Welt als Aufgabe definiert ist,ondern dass wir jetzt auch in den Dialog mit denenschen treten können. Auch dass die seit 1999 prakti-ierte Mittelzuweisung zur Selbstbewirtschaftung wei-erhin durchgeführt wird, wird der rundfunkrechtlichentellung der Deutschen Welle gerecht und schafft Pla-ungssicherheit. Das war ja unser gemeinsames Anlie-en. Wir setzen dieses am besten um, wenn wir dasesamtpaket, also das Gesetz zusammen mit der Be-chlussempfehlung und dem Bericht, verabschieden;enn das, was alle angemahnt haben, ist darin enthalten.Für wichtig halte ich auch, dass es dank des neuenesetzes möglich wird, dass wir auch die Ansichten dernderen erfahren und gleichzeitig unsere Sichtweise imialog vermitteln können. So stelle ich mir modernenuslandsrundfunk vor. Hierzu trägt insbesondere dieerankerung der Telemedien bei. Dieses Vorgehen istuch wegweisend für die öffentlich-rechtlichen Medien,
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Monika Griefahndie ja sehr darum ringen müssen, um über Telemedienmit ihrem Publikum in Kontakt zu treten. Indem wir dasin diesem Gesetz realisieren, geben wir der Rundfunk-anstalt ein zeitgemäßes, der Lebenswirklichkeit nahekommendes Image; alles andere wäre nur ein verstaubtesImage, mit dem wir junge Leute nicht erreichen. Gerademit ihnen und auch mit Multiplikatoren in den Ländernmüssen wir in Kontakt treten. Hierfür ist der Auftritt inTelemedien wie dem Internet sehr wichtig. Das ist näm-lich die Informationsquelle und das Dialogmedium vie-ler junger Leute, und zwar in allen Ländern der Welt.Alle Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Weltumgeschaut haben, konnten das sehen. Selbst im Iranströmen junge Frauen in Internetcafés, um sich dort zuinformieren. Hier eröffnen sich uns also ganz neue Per-spektiven.Für die krisenpräventive Arbeit der Deutschen Welleist nicht nur der Hörfunk von Bedeutung, sondern auchdas Internet, denn darüber ist der direkte Austauschmöglich. So können Informationen aus einer Region füreine Region, aber verbunden mit deutscher oder europäi-scher Sichtweise, vermittelt werden. Auch das ist, wieich finde, eine ganz wichtige Sache, weil das die starreBerichterstattung der nationalen Sender in vielen Län-dern aufbricht.Von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Ar-beit der Welle – dieser Punkt betrifft insbesondere unshier – ist die engere Zusammenarbeit mit den Verfas-sungsorganen. Das Beteiligungsverfahren wird neu ge-ordnet. Bisher war es so, dass die Deutsche Welle ihreAufgabenplanung dem Deutschen Bundestag zukommenließ. Damit war der Prozess auch schon beendet. Jetztwird dieser Prozess transparenter: Wir erhalten einenVorschlag bezüglich Zielgruppen, Aufgabenplanung,Sendegebiete und Vertriebswege und unterbreiten dazunach Konsultationen im Bundestag und mit der Bundes-regierung unsere Anregungen. So kann ein Diskussions-prozess in der Öffentlichkeit stattfinden. Ich halte das fürzielführend und wünschte mir, dass woanders ähnlichverfahren würde. Ich bin sehr froh, dass wir so etwas In-novatives mit der Deutschen Welle praktizieren.Die Deutsche Welle soll die notwendigen Mittel be-kommen. Das Parlament wird ihre Arbeit weiter wohl-wollend begleiten und noch stärker in die politische Dis-kussion mit dem Sender einsteigen. Es steht außer Frage,dass wir einen leistungsfähigen Auslandsrundfunk brau-chen. Dessen Aufgaben werden nicht weniger, sondern,wenn wir die Krisenregionen in den Blick nehmen, ehermehr. Da sind die Vermittlung von Demokratie undMenschenrechten und die praktische Umsetzung geradein medialer Hinsicht ganz besonders wichtig. Bei denWahlen in Afghanistan zum Beispiel war es wichtig,dass überhaupt über die Wahlen und die Kandidaten in-formiert wurde. Dazu braucht man die Medien.Mit der Umstellung auf die digitale Kurzwelle wirdein ganz neues Feld eröffnet. Der Empfang wird nichtimmer unterbrochen und man kann vielleicht sogar dasAutoradio benutzen, um sich zu informieren. Auch dasist sicherlich ein wichtiger Punkt, der in Zukunft eineRolle spielt.DfsdAmhddtEwlwdbaDKfkdsbrwuwDbsrb–Cls
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Rose.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Mir bleibt zum Schluss nur eine Redezeit vonünf Minuten, die ich auch ohne Manuskript bewältigenann. Ich möchte vor allen Dingen noch einmal betonen,ass wir wirklich darum bemüht waren, eine gemein-ame Verabschiedung des Gesetzentwurfes zustande zuringen, und zwar nicht um der Bundesregierung bei ih-en zum Teil schwierigen Versuchen zu helfen, sonderneil wir Respekt vor der Arbeit der Deutschen Wellend deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben undeil uns ihre Aufgabe wichtig und richtig erscheint.eshalb wollten wir die Deutsche Welle stärken.
Ich erinnere daran, dass es vor gut 50 Jahren – wir ha-en ja im vergangenen Jahr den 50. Geburtstag der Deut-chen Welle gefeiert – eine CDU/CSU-geführte Bundes-egierung war, die sich um die Auslandskulturarbeitemüht und diese in die Tat umgesetzt hat.
Die FDP nehme ich noch hinzu. Ich habe gesagt:DU/CSU-geführte Bundesregierung, lieber Herr Kol-ege von der FDP. – Wenn man ein Kind in die Weltetzt, dann sollte man sich anschließend nicht von ihm
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Dr. Klaus Rosedistanzieren. Wir haben die Deutsche Welle über dieJahrzehnte auf ihrem Weg begleitet. Wir haben mitSchmerzen festgestellt, dass die rot-grüne Bundesregie-rung in ihrer ersten Legislaturperiode der DeutschenWelle und vor allen Dingen ihrem Intendanten gegen-über nicht immer vornehm aufgetreten ist.Weil Herr Bettermann da ist, möchte ich ihm sagen:Sie haben Glück; da wir uns schon sehr lange kennen,haben Sie die Unterstützung der Opposition. Geben Sieunseren Dank an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterweiter! Wir möchten der Deutschen Welle helfen, damitsie eine gute Zukunft hat.
Was im Gesetzentwurf steht, führt allerdings – das hatdie Debatte gezeigt – doch zu gewissen streitigen Über-legungen, auch wenn wir alle zustimmen werden. Vordem Hintergrund der Beratungen des Auswärtigen Aus-schusses möchte ich sagen: Wir haben zwar am Schlussinsgesamt zugestimmt, aber uns auch über die Kürzun-gen informiert, sowohl bei den Stellen wie auch beimGeld; die 17 Prozent sind heute schon einmal erwähntworden, aber es sind auch zahlreiche Stellen eingespartworden. Wir haben uns über die neue Zielrichtung derDeutschen Welle, vor allen Dingen die notwendige Kon-zentration auf gewisse Regionen der Welt, unterhalten.Wir haben uns natürlich auch über die Veränderung inder modernen Medienwelt unterhalten, wo es nicht nurum Radio und Fernsehen geht, sondern auch das Interneteingesetzt wird. Dabei spielt auch die sprachliche Um-setzung deutscher Sendungen eine Rolle. Wir habenWert darauf gelegt – das möchte ich noch einmal beto-nen, weil es sonst vielleicht nicht beachtet wird –, dassin diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal der Begriff derKulturnation auftaucht.
Das ist gegen große Widerstände erfolgt. Wir sind derMeinung, dass wir Deutschen nicht schlechter dastehensollten als die Briten oder die Franzosen, die sich auf fürsie charakteristische Weise in der Welt darstellen. Dassollten auch wir tun.Ich könnte als ehemaliger langjähriger Haushälter na-türlich Verständnis für Haushaltskollegen zeigen, dieGeld für ein Projekt streichen wollen, wenn sie entde-cken, dass es gescheitert ist. Wenn es kein neues Projektgibt, dann muss man dieses Geld zunächst einmal weg-nehmen. Ich könnte sarkastisch hinzufügen: Man kannnicht ohne weiteres gutes Geld einer schlechten Sachenachwerfen.Im Übrigen trifft das auf die Inhalte der Bundespolitikinsgesamt zu. Die Deutsche Welle soll die Bundesrepu-blik Deutschland im Ausland gut verkaufen. Das tut siemit ihren Mitteln. Aber wenn die Politik in Deutschlandnicht stimmt, dann ist es natürlich sehr schwierig, einpositives Deutschlandbild in der Welt zu zeichnen. Auchdas muss einmal gesagt werden.wBgrmiwMauDWMfdrKBsbscgeuweeglsBdnDssmatmfsg
Weil von der Frau Kollegin Griefahn stolz erwähnturde, dass die Selbstbewirtschaftung bzw. die flexibleudgetierung von Ihnen eingeführt wurde, will ich sa-en: Ja, es ist richtig, dass sie 1999, als wir nicht mehregiert haben, eingeführt worden ist. Aber das Instru-ent der flexiblen Budgetierung war Jahre vorher schonn verschiedenen anderen Ministerien von uns eingeführtorden. Ich kann das aus eigener Erfahrung von deministerium sagen, in dem ich gearbeitet habe. Das istlso nichts Neues.Lassen wir diesen Streit aus zurückliegenden Zeitennd schauen wir lieber in die Zukunft! Wir brauchen dieeutsche Welle. Es gibt eine große Konkurrenz in derelt. Wir können mit neuen Instrumenten und mit vielenenschen, die uns positiv gewogen sind, etwas Gutesür unser Land erreichen.
Vielen Dank. Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-ung des Deutsche-Welle-Gesetzes. Der Ausschuss fürultur und Medien empfiehlt unter Buchstabe a seinereschlussempfehlung auf Drucksache 15/4046, den Ge-etzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-chussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-hen. – Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltun-en? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratunginstimmig angenommen worden.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,enn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gibts Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-ntwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen desesamten Hauses angenommen worden.Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh-ung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Druck-ache 15/4046 fort. Der Ausschuss empfiehlt unteruchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Antrager Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü-en auf Drucksache 15/1214 mit dem Titel „50 Jahreeutsche Welle – Zukunft und Modernisierung des deut-chen Auslandsrundfunks“ für erledigt zu erklären. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-en? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istngenommen worden.Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss, den An-rag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1208it dem Titel „50 Jahre Deutsche Welle – Perspektivenür die Zukunft“ ebenfalls für erledigt zu erklären. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmerlung ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-nommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie denZusatzpunkt 3 auf:10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, SabineLeutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der FDPGegen eine Aufhebung des EU-Waffen-embargos gegenüber der Volksrepublik China– Drucksachen 15/2169, 15/4047 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Michael FuchsZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENEU-Waffenembargo gegenüber der Volks-republik China– Drucksache 15/4035 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Christian Müller.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will vorausschicken: Die Ereignisse von Peking vom4. Juni 1989, die letztendlich zu dem bekannten Em-bargo führten, waren natürlich auch für unsere ostdeut-sche Demokratiebewegung besonders im Herbst 1989ziemlich bedeutsam. Aber nicht nur deshalb war die Ver-hängung eines Waffenembargos in der Folge des EU-Ratsbeschlusses vom 26./27. Juni 1989 eine notwendigeReaktion. Es gab in dieser Zeit vor 15 Jahren Tage, andenen zu befürchten war, interessierte Kreise könntenauch in der im Aufbruch befindlichen DDR eine Artchinesische Lösung bevorzugen. Aber das ist eine an-dere Geschichte.15 Jahre danach ist es sicher angemessen, dass dieMaßnahme gegenüber China in der Europäischen Unioneiner Überprüfung unterzogen wird; denn China befin-det sich seit einiger Zeit in einem tief greifenden Prozessder wirtschaftlichen Umgestaltung und bestimmt auch ineinem gesellschaftlichen Veränderungsprozess, bei demebenfalls Anzeichen für politische Reformen sichtbarsind. Inwiefern dies zu einer durchgreifend verbessertenMenschenrechtssituation führt oder bereits geführt hat,muss beurteilt und an den in Europa gültigen Kriteriengemessen werden, die unter anderem im EU-Verhaltens-kodex festgehalten werden. Die Situation ethnischerMinderheiten oder die politischen Verhaltensmuster imUmgang mit Taiwan sind darin eingeschlossen.Daher ist unsere Aufforderung an die Bundesregie-rung, nachlesbar im vorliegenden Antrag der Koalition,dBzFvsüosdEPauefggvBnGdofdtnnKvegWdfgDRvAraddturKTgdb
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Uhl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Im Jahre 1989 haben sich die Staaten derheutigen Europäischen Union auf ein striktes Waffenem-bargo gegenüber China verständigt. Jetzt scheint ausge-rechnet die rot-grüne Bundesregierung entschlossen zusein, dieses Waffenembargo auf europäischer Ebene an-zutasten. Bundeskanzler Schröder hat im Dezembervergangenen Jahres bei seinem Staatsbesuch in Chinasogar offen erklärt, er trete für eine Aufhebung diesesEmbargos ein. Dieses Embargo sei ein „Relikt des Kal-ten Krieges“ und heute „nicht mehr zu rechtfertigen“.China habe sich die Aufhebung „verdient“.Dies ist wirklich verwunderlich, zumal es zuvor kei-nerlei erkennbare Abstimmung mit den Partnern der Eu-ropäischen Union gegeben hat. An dieser Stelle erinnereich nur an die schrillen Angriffe, die hochmoralische Po-litiker von Rot-Grün auf Bundeskanzler Kohl gerichtethaben, als dieser 1995 einen Staatsbesuch in China ab-hielt. Zum Protokoll gehörte damals auch ein Besuch beieinem Infanterieregiment. Angelika Beer warf ihm da-raufhin unter anderem vor, „zur Imagepflege einer Un-terdrückungsarmee“ beigetragen zu haben. Auch kannich Ihnen in Erinnerung rufen, wie sich der Oppositions-abgeordnete Joschka Fischer 1996 zu diesem Thema ge-äußert hat:Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinasnicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen aufdas Geschäft setzen. … Deswegen müssen wir mitden Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte,über tibetische Kultur und über den Schutz vonMinderheiten in China sprechen. Wenn das Auf-träge kostet, dann kostet es eben Aufträge.So sprach 1996 der stramme Menschenrechtler JoschkaFischer. Zugegeben, es ist acht Jahre her. Wer will schongern an Reden von vor acht Jahren erinnert werden, vorallem dann, wenn er solche Wandlungen durchgemachthat, wie es bei Joschka Fischer der Fall ist?
Meine Damen und Herren, nach einem zunächst pein-lichen Schweigen im rot-grünen Lager in Bezug auf dieAuftritte von Bundeskanzler Schröder im Dezember hatman sich jetzt wohl formiert. Einzelne Politiker von SPDund Grünen drohten sogar, dem FDP-Antrag zuzustim-men.
hAgwhlrseb–sswwdawdwfsoCmmWeZMgnbshbjlsIssb
Ich gebe zu, das Wort „basta“ stammt nicht von Anda,ondern von Schröder und wurde von mir in diesen Zu-ammenhang gestellt.Das Verfallsdatum dieses Antrags ist vorhersehbar. Esird mit dem 5. Dezember anzusetzen sein, denn dannird Schröder erneut nach China reisen und wiederumie Aufhebung des Waffenembargos – in welcher Formuch immer – fordern. Dann wird er sich möglicher-eise an diesen Antrag nicht mehr erinnern können.
Doch lassen Sie mich kurz auf die Sache eingehen. Iner Tat ist China eine Weltmacht, die auch in der Welt-irtschaft eine immer bedeutendere Rolle einnimmt undür Deutschland ein wichtiger Handelspartner ist. Wirollten natürlich die Wirtschafts- und Wissenschaftsko-peration mit China fortsetzen.Wir sollten auch anerkennen, welche Entwicklunghina durchgemacht hat. Auch sollten wir als Europäerit einer gewissen Offenheit feststellen, dass es im Rah-en der universellen Menschenrechte verschiedeneege zur Demokratie gibt und dass auch China seinenigenen Weg dorthin finden muss.Wir sollten uns aber davor hüten, mit ausgestrecktemeigefinger die chinesische Politik sozusagen auf demarktplatz an den Pranger zu stellen. Wir sollten alsoanz klar sagen, dass wir in der Europäischen Union ei-en Verhaltenskodex zum Umgang mit Waffenexporteneschlossen haben, und hinzufügen, dass wir neben die-em europäischen Kodex auch eine nationale Regelungaben, die zu dem gleichen Ergebnis führt. Bei dieseneiden Entscheidungsparametern wollen wir bleiben.Aus diesem Grunde passt es überhaupt nicht in dieetzige Zeit – in der die Taiwan-Frage wieder auf gefähr-iche Weise eskaliert –, durch Waffenexporte einen deut-chen Beitrag zu leisten. Ich halte dies für falsch.
ch meine, wir sollten bei unserer Linie bleiben. Wirollten auch unter den europäischen Partnern keine fal-chen Signale aussenden und keinen falschen Wettlaufei Rüstungsexporten nach China auslösen.
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Dr. Hans-Peter UhlWir meinen, dass der Antrag von SPD und Grünendurch seine bewusst weichen und schwammigen Formu-lierungen eher irritiert. Deswegen wollen wir diesen An-trag ablehnen. Wir müssen uns vor falschen Signalen hü-ten: gegenüber dem Bundeskanzler, gegenüber deneuropäischen Freunden, aber auch gegenüber China.Als Helmut Kohl 1995 aus China zurückkam, sagteRudolf Scharping – Sie erinnern sich an ihn –,
bei dem Truppenbesuch in China sei Kohl erneut zum„Meister der falschen Symbole“ geworden. Ich meine,wenn jemand zum „Meister der falschen Symbole“ ge-worden ist, dann ist es der amtierende Bundeskanzlermit seiner Äußerung zu Rüstungsexporten. Diese lehnenwir ab.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der An-
lass für das EU-Waffenembargo war das Massaker auf
dem Platz des Himmlischen Friedens.
Das ist lange Zeit her, aber damit nicht vorbei. Man kann
keinen Schlussstrich ziehen. Wir sind auch nicht der
Meinung, dass Argumente, wie man sie manchmal aus
China hört, nämlich dass die Angelegenheit verjährt sei,
akzeptabel sind.
Dennoch muss es erlaubt sein, hin und wieder zu
überprüfen, ob dieses Embargo noch Sinn macht. Die
heutige Führung in China zumindest trägt keine unmit-
telbare Verantwortung mehr für das Massaker vor
15 Jahren. Aber sie trägt Verantwortung dafür, dass
China ab sofort und in aller Zukunft eine demokratische
Entwicklung nimmt, die die Menschenrechte berück-
sichtigt.
Wenn man die chinesische Führung mit dieser Frage
der Menschenrechte konfrontiert, hält sie sofort umfang-
reiche Referate darüber, dass sie es geschafft hat, die so-
zialen Menschenrechte zu erfüllen, und zwar vielleicht
besser als so manches andere Land. Dieses Argument
kann man nicht ohne weiteres von der Hand weisen.
Man muss anerkennen, dass China es geschafft hat, ein
Sechstel der Weltbevölkerung aus dem absoluten Elend,
aus der absoluten Armut herauszuführen und dem größ-
ten Teil dieses Riesenvolkes zumindest das Existenzmi-
nimum zu sichern. Das ist eine Erfüllung von sozialen
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n diesem Sinne ist es nicht besserwisserisch, sondern
infach der Ausdruck unseres eigenen Interesses, dass
ir einen intensiven Dialog über die Menschenrechtsfra-
en mit China begonnen haben. Wir begrüßen und
öchten daran erinnern, dass es die rot-grüne Bundesre-
ierung war, die den Rechtsstaatsdialog mit China auf-
enommen hat, einen Dialog, der viele positive Ergeb-
isse gebracht hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Rose?
Immer.
Herr Kollege, da Sie gerade von der – von uns sehr
ewünschten – demokratischen Entwicklung in China
esprochen haben: Bezeichnen auch Sie es als unver-
tändlich bzw. als unter Demokraten sogar nicht akzep-
abel, dass an der Südküste des chinesischen Festlandes
00 Raketen gegen Taiwan – zweifellos ein friedlicher
achbar, denn Taiwan greift nicht an – gerichtet sind?
m Sinne der von uns vertretenen Ein-China-Politik
üssen wir konstatieren, dass diese Raketen sogar gegen
in eigenes Land gerichtet sind. Wie stellen Sie sich
azu, dass man dort eine solche Drohkulisse aufbaut?
Lieber Herr Rose, genau darum geht es in derchlusspassage meiner Rede. Ich möchte Sie bitten, sichoch etwas zu gedulden. Ich bin mir sicher, wir sind unsn der Frage völlig einig.
Gut, nehmen wir die Taiwan-Frage vorweg.Wir haben in unserem Antrag deutlich gemacht: Be-or es zu einer Aufhebung aller Restriktionen und zu ei-er völligen Normalisierung der Beziehungen kommen
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Dr. Ludger Volmerkann, müssen mehrere Kriterien erfüllt sein, und zwarauch auf europäischer Ebene, nicht nur auf der Ebeneder deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Ein we-sentliches Kriterium ist die Taiwan-Frage.Erinnern wir uns zurück an die Zeit vor dem 11. Sep-tember 2001: Im ersten Jahr der Amtszeit von PräsidentBush – ich will das jetzt aber nicht Präsident Bush zu-schreiben – hatten wir hier öfters Debatten über sich stei-gernde transpazifische Dispute. Wir alle hatten Angst,dass diese Dispute zu einem massiven Konflikt eskalie-ren könnten. Im Zentrum der Dispute stand die TaiwanFrage. Von daher ist es auch in unserem Sicherheitsinte-resse, dass keine Waffen an China geliefert werden, ers-tens damit der transpazifische Konflikt nicht eskaliertund zweitens damit wir uns nicht durch europäischeWaffenlieferungen in eine Gegend, die möglicherweisewieder spannungsgeladen sein könnte, in einen Interes-sengegensatz zu unserem Partner und NATO-FreundUSA begeben. Das ist für uns ein ganz wesentlicherPunkt, den wir auch in unserem Antrag so formuliert ha-ben.
– Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns auch einig.Ich hoffe, wir sind uns auch in den anderen Punkteneinig. Kollege Müller hat schon darauf hingewiesen,dass wir jetzt natürlich nicht einen riesigen Katalog vonEinzelforderungen, die wir an die chinesische Politikstellen, zur Voraussetzung für eine Normalisierung ma-chen können. Es gibt viele Punkte, die uns nach wie vorSorgen machen: die extensive Anwendung der Todes-strafe, die Lagerhaft, die Administrativhaft, das Fehlenvon Parteiendemokratie. Was wir aber von der chinesi-schen Seite fordern können, ist, dass endlich der VN-Pakt für die politischen und bürgerlichen Rechte ge-zeichnet und ratifiziert wird. Vor allen Dingen dies stehtaus. Darüber werden wir mit der chinesischen Seite nochreden wollen.
Genauso werden wir mit der chinesischen Seite nochdarüber reden wollen, dass die weit reichenden Verfas-sungsänderungen, die vorgenommen worden sind unddie wir sehr begrüßen, auch in Verwaltungshandelnumgesetzt werden. Das betrifft etwa die Einführung de-mokratischer Strukturen und des Privateigentums.Der dritte wesentliche Prüfungspunkt ist der Umgangmit den ethnischen und regionalen Minderheiten inChina selber. Die Stichworte kennen Sie: Tibet,Xinjiang. Es muss darauf hingewirkt werden, dass dieseEthnien, dass diese Völker ein Großmaß an substanziel-ler Autonomie bekommen. Modernisierungsstrategien,die von Peking aus dort vorangetrieben werden, mögen,was die Infrastruktur usw. angeht, ihren Sinn machen;wenn diese Strategien aber dazu führen, dass diese tradi-tionellen Kulturen, die mit zum Beeindruckendsten ge-hören, was die Menschheit auf diesem Globus im Mo-mvdaoehEwnPasddkfnddzdcdWtMIkapiesKihuFda
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer.
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-en und Kollegen! Ich finde, heute ist ein guter Tag füras Parlament. Gestern hat das Europäische Parlamenteutlich gemacht, dass es nicht die Absicht hat, als Tigeru starten und als Bettvorleger zu landen. Heute zeigter Deutsche Bundestag Flagge. Das ist für manche si-herlich schmerzhaft; das anerkenne ich. Aber es isteutlich geworden, dass der Bundeskanzler für seineaffenexportpolitik und für seine Menschenrechtspoli-ik gegenüber China im Deutschen Bundestag keineehrheit hat. Ich finde, das ist ein großer Fortschritt.
ch weiß, dass es für Abgeordnete der Koalition sehr hei-el ist, in einer so wichtigen Frage eine andere Positionls die Regierung einzunehmen. Davor habe ich Res-ekt.Dieser Vorgang hat einen Vorlauf, an den zu erinnernst. Der Bundeskanzler hatte seine Ankündigung vor gutinem Jahr in China gemacht, und zwar zum großen Er-taunen und zur Verärgerung vieler Kolleginnen undollegen hier im Hause wie auch von Regierungschefsn der Europäischen Union. Das Europäische Parlamentat dann noch im Dezember 2003 klar Position bezogennd die Forderung des Bundeskanzlers abgelehnt. DieDP-Fraktion hat im Dezember 2003 einen Antrag inen Deutschen Bundestag eingebracht, in dem sie sichufgrund der Punkte, die hier schon genannt worden
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Dr. Werner Hoyersind, gegen eine Aufhebung des Waffenembargos gegen-über China ausgesprochen hat.Dieser Antrag ist dann in den mitberatenden Aus-schüssen behandelt worden. Er hat im Ausschuss fürMenschenrechte und im Auswärtigen Ausschuss – mitden Stimmen einer Reihe von Kolleginnen und Kollegender Koalition – eine Mehrheit bekommen. Dass er dannim Wirtschaftsausschuss, der federführend war, nichtaufgerufen und dass seine Behandlung immer wiederverschleppt worden ist, hatte natürlich gute Gründe.Deswegen haben wir die Möglichkeiten der Geschäfts-ordnung bemühen müssen, um diese Debatte heute hierstattfinden zu lassen. Ich freue mich, dass die Abgeord-neten der Koalition daraufhin einen Ausweg gefundenhaben.Natürlich bleiben wir bei unserem Antrag; denn er istklarer und präziser.
Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über denAntrag der Koalition enthalten. Aber als im Plenum dieBlamage für die Koalition drohte, haben die Kollegenaus den Koalitionsfraktionen ihre Linie, die sie in Men-schenrechtsfragen immer geradezu wie eine Monstranzvor sich hergetragen haben, beibehalten. Das anerkenneich.Meine Damen und Herren, im Antrag der Koalitions-fraktionen werden, ebenso wie auch im Antrag der FDP,die Kriterien genannt, von deren Erfüllung man dieAufhebung des Embargos abhängig machen müsste. Dasgilt übrigens für eine europäische Betrachtung genausowie für eine nationale Bewertung dessen, was der Bun-deskanzler im Europäischen Rat zu tun gedenkt. Es gehtalso um die Menschenrechtslage und um die Minderhei-ten in China, um die Lage in und um Tibet und um dieFrage der Konfliktentschärfung an der Straße von Tai-wan. Ich denke, wir sind uns einig, dass gegenwärtigkeines dieser Kriterien erfüllt ist und dass eine Aufhe-bung des Waffenembargos gegenüber China daher nichtinfrage kommt.
Ich schließe mit einem Zitat. Kollege Uhl hat ja be-reits ein hinreißendes Zitat genannt. In derselben De-batte ist gesagt worden:Sie müssen sich vorwerfen lassen, daß die Bundes-regierung beim Besuch des Bundeskanzlers inChina, im Umgang mit der chinesischen Führungden Eindruck erweckt hat, daß sie zwar an den Prin-zipien der Menschenrechte festhält, daß sie dieseaber im Zusammenhang mit der Geschäftsentwick-lung zwischen der Bundesrepublik Deutschlandund China weit in den Hintergrund rückt.So äußerte sich der jetzige Außenminister JosephFischer in der diesbezüglichen Debatte im Jahr 1996.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Uta Zapf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich muss erst einmal Herrn Hoyer an zwei Stellen be-ichtigen: Erstens. Sie haben gesagt, Bundeskanzlerchröder habe für seine Menschenrechtspolitik keineehrheit bei der Koalition.
as ist schlicht und ergreifend nicht richtig. Hier istchon mehrfach zitiert worden, dass der Menschen-echtsdialog zum Rechtsdialog hinzugekommen ist, alsoören Sie mit dieser Argumentation auf! Dass es andereonflikte in der Frage der genauen, differenzierten Ein-chätzung des EU-Waffenembargos gegenüber Chinaeben mag, hat sich ja erwiesen. Nur glaube ich, dassan nicht so dramatisieren und von einem Konflikt spre-hen sollte: Wir führen einen ernst zu nehmenden Dis-urs über Fragen, bei denen wir ein großes Maß an Ei-igkeit haben. Ich werde nachher noch auf ein paarunkte kommen, bei denen Sie sich doppelbödig verhal-en haben.Außerdem ist Ihr Antrag nicht besser und das werdech jetzt gleich am Anfang begründen.
Ich habe ihm im Ausschuss zugestimmt.
Das ist doch ein offenes Geheimnis, ich bitte Sie!Trotzdem ist Ihr Antrag nicht besser. Unser Antrag istifferenzierter; die Kriterien sind sehr viel konkreter auf-eführt. Das äußert sich nicht etwa in vorangestellter Ly-ik, sondern findet seinen Niederschlag auch hinten beien Forderungen.Was ich an Ihrem Antrag bemerkenswert finde, ist,ass Sie die Bundesregierung auffordern,das EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepu-blik China als verbindlich zu betrachten, keine Al-leingänge vorzunehmen und nur im Einvernehmenmit den anderen Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion in dieser Frage zu handeln.
ieser Satz ist eigentlich eine Frechheit, lieber Herroyer, und das müssten Sie wissen. Schließlich warenie einmal an verantwortlicher Stelle im Ministerium tä-ig und wissen sehr wohl, dass EU-Ratsbeschlüsse für
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Uta Zapfalle so lange bindend sind, bis sie wieder einstimmigaufgehoben werden. Antworten dieses Inhalts sind inFragestunden hier im Plenum mindestens fünfmal wie-derholt worden. Sie haben es nicht akzeptieren wollen.Jetzt scheint darüber möglicherweise Konsens zu herr-schen; wir haben es ja oft genug gesagt.Natürlich ist es richtig, dass China eine Großmacht istund ein sich stürmisch entwickelndes Land, gerade inwirtschaftlicher Hinsicht, ein Land, das sich öffnet undReformen einleitet, ein Land, um das sich nicht nur Bun-deskanzler Schröder – aus gutem Grund – bemüht, son-dern um das sich auch frühere Bundeskanzler bemühthaben. Wir führen seit 1998 einen Rechtsstaatsdialog,der jetzt um einen Menschenrechtsdialog erweitertworden ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das istdoch kein Pipifax, sondern das ist ein großer Schritt nachvorne, wenn man die Bemühungen anderer – in der Ver-gangenheit – um Menschenrechte betrachtet.
– Ja, da kann man ruhig einmal klatschen, eine solcheErmunterung ist ja immer ganz nett.
China ist ein politischer Faktor in der internationalenPolitik und China öffnet sich auch hier. Ich finde, auchdas muss einmal bemerkt werden: China ist nicht mehrnur das Land mit der Großen Mauer, sondern Chinanimmt beispielsweise zum ersten Mal an internationalenMissionen der UNO teil und beteiligt sich an der Gestal-tung im Rahmen des UNO-Sicherheitsrates. Wir bemü-hen uns um dieses Land, um es in seiner demokratischenEntwicklung zu unterstützen. Wir bemühen uns um die-ses Land natürlich auch, weil es ein wichtiger Wirt-schaftspartner ist. Wenn der Kanzler das nicht täte, dannwürde er diese Kritik verdienen. Aber einen potenziellguten Wirtschaftspartner wird man ja wohl pflegen dür-fen!
Ich sage noch etwas dazu, was ich mit „Doppelbödig-keit“ meine: Herr Ramsauer von der CSU
hat in der Aktuellen Stunde zum Verkauf der HanauerPlutoniumanlage nach China am 10. Dezember 2003 ge-sagt, dass China „weltpolitisch und strategisch“ einwichtiger Partner sei, „eines unserer wichtigen Partner-länder“ – in dieser Doppelung! Anschließend hat er unsgescholten, dass wir die Lieferung der Hanauer Anlagenicht einhellig begrüßt haben. Sie haben sich in diesemZusammenhang nur auf Klimaschutz und Entwicklungs-politik bezogen und bejammert, dass wir diese Techno-logie nicht transferieren wollen, obwohl sie doch sowichtig sei. Den Aspekt der Proliferation genau diesesHandels haben Sie mit keinem Wort erwähnt. Das nenneich doppelbödig.WasfsddeddkRtabwicmlugwgDrDHdglHVhwd„g
ir schulden es uns – insofern nehme ich auch Ihr Lobn, Herr Hoyer –, dass wir so etwas im Bundestag zwi-chen den Fraktionen, aber auch im Dialog strittig, öf-entlich und kontrovers diskutieren, wenn wir unter-chiedliche oder abgestufte Meinungen haben.
Ich möchte noch etwas zur EU sagen. Auch innerhalber EU gibt es sehr unterschiedliche Anschauungen überen Umfang und die Empfängerstaaten von Rüstungs-xporten. Herr Hoyer, das wissen Sie ganz gut, weil Sieas jahrelang mitgemacht haben. Sie wissen auch, dassieser Beschluss nur einstimmig aufgehoben werdenann und dass er an die restriktiven Kriterien unsererüstungsexportlinien sowie an die Kriterien des Verhal-enskodex der EU, bei dem die Menschenrechte unduch die Spannungsgebiete eine große Rolle spielen, ge-unden ist.Es ist richtig, dass wir darüber diskutieren. Umsoichtiger ist es aber, dass wir die Forderungen, die auchn unserem Antrag mit aufgeführt sind, nämlich bürgerli-he und politische Rechte gemäß dem UN-Übereinkom-en, die Einhaltung der Menschenrechte und die fried-iche Lösung der Taiwan-Frage, verfolgen undnterstützen. Auch müssen wir die zivilen Entwicklun-en, die es in China erfreulicherweise gibt, unterstützen,o immer wir das können.Ich glaube, das wäre eine vernünftige Politik. Ich be-reife, dass die Opposition so etwas natürlich aufgreift.as hätten wir genauso getan. Lassen Sie uns aber lieberational darüber reden.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
r. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Präsi-entin, ich erlaube mir, gleich aus dem noch unkorri-ierten Protokoll des Bundespresseamtes von gestern an-ässlich der Pressekonferenz von Herrn Anda zu zitieren.err Kollege Müller und vor allem Herr Kollegeolmer, als ich mir das gestern ein wenig angeschautabe, habe ich wirklich nicht mehr verstanden, worüberir heute diskutieren.Auf eine Frage von Herrn Middel – wer auch immeras ist –:
Herr Anda, der Bundeskanzler hat in der jüngsten Ver-angenheit häufig gesagt, dass er sich für die Aufhebung
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Dr. Michael Fuchsdes Waffenembargos gegen China aussprechen werde.Wie reagiert der Kanzler auf die Entscheidung der Ko-alitionsfraktionen, das Waffenembargo nicht aufzuhe-ben?“ sagte Staatssekretär Anda: „Sie spielen auf einenAntrag der Bundestagsfraktion an, der einige Kriterienfeststellt, was die Aufhebung des Waffenembargos anbe-langt. Diese Kriterien werden in die Meinungsfindungeinfließen.“ Schön. Aber dann: „Was den Bundeskanzleranbelangt: Sie haben seine Haltung richtig wiedergege-ben. Die Auffassung ist bekannt und er wird sie auchnicht ändern.“Das heißt also, der Bundeskanzler hat eine völlig an-dere Auffassung, als Sie, meine Damen und Herren, siehier gerade darstellen.
Dies sollten wir einmal sagen. Ich finde es eigenartig,dass der Bundeskanzler so wenig Respekt vor seiner ei-genen Bundestagsfraktion hat. Oder war das wieder ei-ner der üblichen Schröder-Chinakracher bzw. -Chinaböl-ler? Seine Fraktion distanziert sich öffentlich von ihm.Da sollte dem Bundeskanzler eigentlich eine rote Warn-lampe angehen. Anscheinend ist ihm das egal.Dieses Herumlavieren in der Menschenrechts- und inder Außenwirtschaftspolitik, das wir von Ihnen immerwieder erleben, ist wieder einmal ein Beweis für diegroße Diskrepanz zwischen Ihrem Anspruch und derWirklichkeit.
– Herr Tauss, beweisen Sie mir das Gegenteil! Es tut mirLeid, wenn Sie nicht in der Lage sind, dieser Debatte zufolgen. Sie wären besser früher gekommen, dann hättenSie von Ihren eigenen Kollegen gehört, dass Sie in dieserFrage eindeutig in Distanz zum Bundeskanzler stehen.
China ist selbstverständlich ein großes und dynami-sches Weltwirtschaftszentrum und wahrscheinlich diedynamischste Volkswirtschaft, die es zurzeit auf derWelt gibt. Es ist klar, dass wir eine Gratwanderung zumachen haben. Es ist ebenso selbstverständlich, dass wirkühl und pragmatisch vorgehen müssen. Bitte verhaltenSie sich aber nicht wieder so, wie wir das von Ihnen ge-wohnt sind.Wenn die FDP – dafür ist ihr zu danken – diesen An-trag nicht gestellt hätte, dann hätte diese Debatte nichtstattgefunden; denn damit hatten Sie schon genug Pro-bleme.
Wir finden, dass der FDP-Antrag deutlicher und kla-rer als Ihrer formuliert ist. Frau Zapf, da können Sie mirerzählen, was Sie wollen. Das erkennt man schon an derÜberschrift. Die Überschrift Ihres Antrags lautet: „EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik China“.Aufheben oder verstärken? Die Überschrift des FDP-Antrags heißt: „Gegen eine Aufhebung des EU-Waffen-ewIrsTlsHgnCdvdnrGbskdsdFCanmtEowKFmdfnDAg
Erstens. Die SPD und die Grünen setzen meiner Mei-ung nach völlig falsche Zeichen. Ich halte es für richtig,hina unter Druck zu setzen. Zwar ist das Massaker aufem Tiananmenplatz 1989 gewesen, aber solche Dingeerjähren für mich nicht in 15 Jahren. Eine Aufhebunges Embargos, wie sie der Bundeskanzler bereits vor ei-em Jahr öffentlich gefordert hat, würde die Menschen-echtslage in China nicht verbessern, sondern eher dasegenteil bewirken; davon können Sie ausgehen.Zweitens. Die Bundesregierung betont, bei Aufhe-ung des EU-Embargos würden Exporte nach deut-chen Richtlinien weiterhin unmöglich sein. Daherann ich nun wirklich nicht nachvollziehen, warum sicher Bundeskanzler, der auch die Interessen der deut-chen Wirtschaft zu vertreten hat, dafür einsetzt, dassas EU-Embargo aufgehoben wird. Will er nur seinemreund Chirac helfen, damit die Franzosen mehr nachhina exportieren können? Er möchte das EU-Embargoufheben, aber aus Deutschland darf nach wie vor nichtsach China exportiert werden? Der Bundeswirtschafts-inister muss mir einmal erklären, welche Logik dahin-er steckt. Ich habe sie nicht verstanden. Entweder ganzuropa kann nicht exportieren – damit auch wir nicht –der alle dürfen es, was dann die logische Konsequenzäre.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Volmer?
Das gibt mir mehr Redezeit. Danke.
Herr Kollege, da Sie sich am Beispiel der Taiwanrage als Sicherheitspolitiker darzustellen versuchen,öchte ich Sie etwas fragen. Sie haben bemängelt, dassie Politik des Bundeskanzlers nicht deutschen, sondernranzösischen oder Waffenexporten anderer Länder die-en könnte.Würden Sie bitte Folgendes zur Kenntnis nehmen:ie chinesische Seite – das versicherte der Auswärtigeusschuss aus China, der letzte Woche hier war – willar keine Waffen importieren. Falls China Waffen
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Dr. Ludger Volmerbrauche, wolle es diese selber herstellen, sodass es nichtabhängig werde. China komme es auf die politischeGeste an, nämlich ob es auf der Embargoliste stehe odernicht. Es geht also gar nicht um materielle Lieferungen.Von daher kann der Bundeskanzler, bezogen auf dieseFrage, keine falsche Politik machen.
Herr Kollege Volmer, ich halte das, was Sie dem Par-
lament weiszumachen versuchen, für sehr blauäugig.
Wenn wir das EU-Waffenembargo aufheben, bedeutet
das in der Konsequenz, dass die Chinesen jederzeit An-
träge auf Waffenlieferungen stellen können. Es kann
zwar sein, dass sie heute keine Waffen brauchen. Aber es
kann morgen jederzeit passieren, dass sie irgendeine
Technologie benötigen. Herr Kollege, so blauäugig soll-
ten wir mit diesem schwierigen und vor allem für die
Menschenrechte wichtigen Thema nicht umgehen.
Für mich stehen die Äußerungen des Bundeskanzlers
im klaren Widerspruch zu den Äußerungen der Koalition
und dem, was wir heute von allen Kollegen gehört ha-
ben. Für mich ist es erstaunlich, dass Sie auf einmal
ohne große Probleme über diese Dinge hinweggehen
können. Ich kann das nicht nachvollziehen. Deswegen
halte ich Ihre gesamte Einstellung zu diesem Thema für
sehr widersprüchlich. Das gilt gerade für Sie, Herr Kol-
lege Volmer, der Sie nun lange Staatsminister gewesen
sind und vorher eine völlig andere Haltung vertreten ha-
ben.
Drittens. Es ist wieder einmal erstaunlich, dass der
Bundeskanzler das Handeln im Geiste Europas völlig
durcheinander wirft.
In Europa sind weit mehr als die Hälfte der Länder ge-
gen eine Aufhebung des EU-Embargos. Was machen
Sie? Sie versuchen, mit Frankreich eine bilaterale Al-
lianz zu bilden, und wollen darüber die gesamte EU in
eine Richtung bringen. Das halte ich für falsch. So etwas
sollten wir auch nicht tun. In meinen Augen ist das, was
hier gelaufen ist, Scharlatanerie. Wir sollten gemeinsam
immer im Blick auf die Menschenrechte solche Regelun-
gen nicht dulden. Das Embargo muss bleiben.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeitauf Drucksache 15/4047 zu dem Antrag der Fraktion derFDP mit dem Titel „Gegen eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber der Volksrepublik China“.Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache15/2169 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitiongegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP ange-nommen.FabfggaZZ
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurNeuregelung des Energiewirtschaftsrechts– Drucksache 15/3917 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten DagmarWöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. JoachimPfeiffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUKlaren und funktionsfähigen Ordnungsrah-men für die Strom- und Gasmärkte schaffen– Drucksache 15/3998 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten GudrunKopp, Rainer Brüderle, Birgit Homburger, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPFür mehr Wettbewerb und Transparenz in derEnergiewirtschaft durch klare ordnungspoliti-sche Vorgaben– Drucksache 15/4037 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionP 4 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes– Drucksache 15/3923 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-minister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftund Arbeit:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir wollen heute Abend in erster Lesung einaußerordentlich wichtiges Gesetzesvorhaben beraten,nämlich den neuen Rechtsrahmen, den nach den europäi-schen Binnenmarktvorgaben die Strom- und Gasversor-gung in Deutschland erhalten soll und erhalten muss. Esgeht darum, 1 700 Betreiber von Strom- und Gasnetzeneiner staatlichen Aufsicht zu unterwerfen und – das istunstreitig – die Regulierungsbehörde für Telekommuni-kation und Post mit dieser zusätzlichen Aufgabe zubetrauen. Wir wollen diesen Weg gemeinsam mit allerEntschlossenheit gehen. Es geht darum, einen diskrimi-nierungsfreien und effizienten Zugang zu den Netzen zuschaffen, und zwar zu Bedingungen, die für jedermanntransparent und durchschaubar sind.Wir handeln unter hohem Zeitdruck. Wie auch diemeisten anderen Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion werden wir von Brüssel gemahnt und gedrängt.Ich denke aber, dass auf der anderen Seite klar ist, dasses sich hier um ein sehr komplexes und sehr anspruchs-volles Gesetzesvorhaben handelt.Der Gesetzgeber steht heute und die Regulierungsbe-hörde steht später vor der Aufgabe, den Weg für nied-rige Netzentgelte zu ebnen, ohne das in Deutschland ge-wohnte hohe Niveau der Versorgungssicherheit undZuverlässigkeit zu gefährden. Diese Sicherheit derStromversorgung gibt es natürlich nicht zum Nulltarif.Für die Netzbetreiber müssen sich Investitionen in denUnterhalt und den Ausbau von Netzen auch in Zukunftrechnen. Dabei stellen beispielsweise der weitere Aus-bau der Windkraft und der grenzüberschreitende Aus-tausch die Netzbetreiber vor neue, auch finanzielle He-rausforderungen.Ich kann sagen, dass die Bundesregierung mit ihrergestern beschlossenen Gegenäußerung zu der Stellung-nahme des Bundesrates die Signale auf Grün gestellt hat,um dieses Gesetzesvorhaben in einem möglichst breitenKonsens zum Abschluss bringen zu können. Ich habeschon bei der Beratung des Regierungsentwurfs im Bun-desrat und bei anderen Gelegenheiten betont, dass wirfür Änderungsvorschläge offen sind und dass wir Ände-rungsvorschläge ideologiefrei allein unter dem Gesichts-punkt der Effektivität und der Funktionsfähigkeit einersolchen Regulierung prüfen werden.Wir haben angekündigt, Gespräche mit den Län-dern zu führen, und haben das eingehalten. Das Ergeb-nezuskaWgdpGdaeEag1wwaecavbuhddbZdwaeDttShtbzeBr
ir schlagen deshalb nunmehr vor, dass solche Netzent-elterhöhungen, wie sie angekündigt worden sind, voner Regulierungsbehörde nachträglich – das heißt exost – überprüft werden müssen. Ab In-Kraft-Treten desesetzes soll nach unseren Vorstellungen gelten, dass je-er Netzbetreiber künftig im Vorhinein – das heißt exnte – von der Regulierungsbehörde grünes Licht fürine Erhöhung seiner Entgelte bekommen muss. Diesex-ante-Prüfung soll sich nach unserem Vorschlaguf beabsichtigte Erhöhungen von Tarifen beziehen; eseht dabei nicht um die Überprüfung aller700 Netzbetreiber von Anfang an. Ich hatte immerieder darauf hingewiesen, dass der bürokratische Auf-and für diese Überprüfung zu groß wäre; ich habe aberuch gemeint, dass eine Überprüfung sinnvoll ist, wennin entsprechender Anlass gegeben ist. Dementspre-hend sehen wir in unserem Gesetzentwurf im Falle be-bsichtigter Erhöhungen der Entgelte eine Überprüfungor.Ich denke, das neue Maßnahmenpaket trägt dazu bei,erechtigte Verbraucherinteressen in der Übergangs-nd Startphase der Regulierungsbehörde zu sichern. Ichabe den Eindruck, dass wir damit den Netzbetreiberneutliche Signale geben können, sodass sie – das gilt fürie gesamte Branche – dies bei ihrem weiteren Vorgeheneachten und insbesondere davon absehen werden, ineiten des Umbruchs noch rasch Preiserhöhungenurchzusetzen.
Im Übrigen bleibt es dabei: Die Regulierungsbehördeird kurzfristig eine kompakte und starke Missbrauchs-ufsicht aufbauen und hierfür ein neues Benchmarking,in Vergleichssystem, für die Netzentgelte erarbeiten.ieses Benchmarking bietet die Grundlage, um ein har-es Vergleichsverfahren durchführen zu können. Das bie-et der Regulierungsbehörde die Möglichkeit, schwarzechafe sehr rasch zu identifizieren. Netzbetreiber, dieöhere Entgelte als der Durchschnitt vergleichbarer Un-ernehmen verlangen, bekommen dann sofort ein Pro-lem mit der Regulierungsbehörde. Ich bin davon über-eugt, dass dies die effektivste und am schnellsteninsetzbare Form der Missbrauchskontrolle ist, um eineeruhigung im Bereich der Preisgestaltung zu erreichen.
Zentraler Punkt der Gegenäußerung der Bundesregie-ung ist, dass wir den Fahrplan bis zur Einführung der
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Bundesminister Wolfgang Clementvon uns allen gewollten Anreizregulierung verbindlichfestlegen. Unser Ziel ist, mit der Anreizregulierung spä-testens zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zubeginnen. Zu den vorrangigen Aufgaben der Regulie-rungsbehörde wird es gehören, rasch ein für die deut-schen Verhältnisse taugliches System der Anreize zu ent-wickeln.Als Anreiz zur Effizienzerhöhung des Netzbetriebslegt die Regulierungsbehörde nach Anhörung der Netz-betreiber nach unseren Vorstellungen für eine bestimmteDauer, längstens für fünf Jahre, bestimmte Vorgabenfür die Netzentgelte fest. Die Bundesregierung wirddazu im weiteren Gesetzgebungsprozess noch einen Ver-fahrensvorschlag unterbreiten.Wir haben, wie ich meine, mit unserer Gegenäuße-rung das Tor für einen breiten Konsens in den materiel-len Fragen der Netzregulierung geöffnet. Ich denke, dasist ein sehr wichtiger Schritt. Es liegt mir daran, dass beiallen sonstigen Auseinandersetzungen zur Kenntnis ge-nommen wird, dass es auch möglich ist, aufeinander zu-zugehen.
Ich bin nämlich davon überzeugt, dass es nicht im Inte-resse des Standorts Deutschland läge, wenn wir uns indiesem Bereich noch eine lange Hängepartie leisten wür-den. Deshalb haben wir meiner Meinung nach rasch aufdie Einwände des Bundesrates und andere Einwände re-agiert.Damit die Vorgaben möglichst effizient umgesetztwerden, haben wir vorgeschlagen, die Aufsicht über dieEnergieversorgungsnetze bundesweit bei einer Behörde,nämlich der Regulierungsbehörde in Bonn, zu konzen-trieren. Sie hat bei der Telekommunikation und der Postbereits nachgewiesen, dass sie dazu in der Lage ist unddie Instrumente beherrscht. Das spricht dafür, ihr auchdie Aufsicht über die Strom- und Gasnetze anzuver-trauen.Wir haben die Position, die Aufsicht bei einer Bun-desbehörde einzurichten, im Lichte des anders lautendenVotums der Mehrheit der Länder nochmals überprüft.Aber wir sind in diesem Punkt zu keinem anderen Er-gebnis gekommen.
Auch als ehemaliger Wirtschaftsminister eines Bundes-landes, und zwar nicht des unwichtigsten, der für diefachliche Aufsicht verantwortlich war, kann und will ichnicht bestreiten, dass in den Ländern durchaus fachlicheKompetenz vorhanden ist. Ich bin aber ebenso über-zeugt, dass jetzt im Zuge der europäischen Entwicklungeine eindeutige Zuweisung dieser Aufgabe notwendigist. Nur durch eindeutige Zuweisung an eine Behördekann nach unserer Überzeugung sichergestellt werden,dass in der Regulierungspraxis die Netzbetreiber undihre Kunden tatsächlich mit einer Elle gemessen werden.
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Die Strom- und Gasversorgung in der Europäischennion wird in Zukunft noch stärker durch europäischeorgaben geprägt werden. In dieser Situation wäre esus meiner Sicht nicht mehr angemessen, wenn wir beier Aufsicht über den Netzbetrieb gewissermaßen inine Regionalisierung gehen würden. Wir brauchen eineegulierung aus einem Guss und aus einer Hand, um aufuropäischer Ebene zu bestehen. Ich sage das übrigensuch ein bisschen mit Blick auf die Föderalismusdis-ussion in Deutschland. Es wäre kaum verständlich zuachen, warum wir eine Aufsplittung der Aufsicht überen Netzbetrieb in Kauf nähmen, obwohl wir gleichzei-ig – zu Recht – über eine Entzerrung der Aufgaben ineutschland diskutieren.
ch sage das mit aller Vorsicht, weil ich weiß, dass dasin sensibles Thema ist. Die Kompetenzen beispiels-eise im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministe-ium, in meinem früheren Verantwortungsbereich, undm bayerischen Wirtschaftsministerium sind, wie gesagt,ehr unterschiedlich entwickelt. Ich weiß, dass es hiermpfindlichkeiten gibt. Aber ich bitte die Landesregie-ungen, den jetzt eingeschlagenen Weg mitzugehen.Insgesamt haben wir mit unserem Gesetzentwurf unden Vorschlägen in der Gegenäußerung der Bundesre-ierung ein Konzept vorgelegt, das im Sinne der spezifi-chen deutschen Interessen eine schlanke und effizienteegulierung der Strom- und Gasnetze ermöglicht. Dereg zur Anreizregulierung wird nach unserem Vor-chlag konsequent beschritten. Das wird im Ergebnis be-euten, dass die Netzkosten sinken. Davon werden diendustrie sowie die gewerblichen und die privaten Ver-raucher in gleichem Maße profitieren.Meine Bitte ist, dass wir gemeinsam alle Anstrengun-en unternehmen, das Gesetz möglichst zügig in Kraftu setzen, damit es rasch seine Wirkung entfalten kann.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Rolf
ietmann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen undollegen! Herr Minister, Sie haben mit Recht darauf
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Dr. Rolf Bietmannhingewiesen, dass man für Änderungsvorschläge offensein muss. Die Union hat eine Vielzahl von Änderungs-vorschlägen präsentiert. Sie haben sich im Ansatz unse-ren Änderungsvorschlägen angenähert, wenn Sie sagen,dass bei Preiserhöhungen eine Ex-ante-Prüfung erfolgenmuss. Wir stimmen mit Ihnen darin überein und hoffen,dass Sie die Richtigkeit weiterer Änderungsvorschlägeder Union nachvollziehen und sich auf den Weg bege-ben.Das, was bisher als Entwurf eines Energiewirtschafts-gesetzes vorgelegt wurde, reicht aber bei weitem nichtaus, um der deutschen Wirtschaft das zu geben, was siebraucht, nämlich einen rechtlich hinlänglich klaren Rah-men für das Wirtschaften sowie für Netznutzung undFestsetzung der Netzentgelte. Mit Ihrem Energiewirt-schaftsgesetz wollen Sie den Netzzugang verbessern undeiner staatlichen Kontrolle unterstellen. Sie wollen wirk-samen Wettbewerb auf den vor- und nachgelagertenMärkten im Netzbereich ermöglichen. Aber die Begriffe„Entflechtung“, „Netzzugang“ und „Netzzugangsent-gelte“ bedürfen hierzu einer klaren Definition im Gesetz.
Um die dringend notwendige Rechtssicherheit her-zustellen, ist eine hinreichend präzise, normative Ausge-staltung der gesetzlichen Vorgaben notwendig. Demwird der vorliegende Gesetzentwurf in keiner Weise ge-recht. Statt eindeutige inhaltliche Vorgaben für die Ent-flechtung und die Kontrollbefugnisse des Regulierers zuformulieren, weichen Sie im Gesetzentwurf auf Verord-nungen aus. Bezeichnend ist § 21 des geplanten Energie-wirtschaftsgesetzes – schauen Sie sich den einmal genauan! –, der die Bedingungen und die Entgelte für denNetzzugang regelt. Nach Abs. 2 sollen die Entgelte aufder Grundlage einer energiewirtschaftlich rationellenBetriebsführung gebildet werden. So lautet der Geset-zestext. Dieser Grundgedanke wird dann aber sofortwieder eingesammelt, weil in einer Rechtsverordnungnach § 24 eine Abweichung von der kostenorientiertenEntgeltbildung bestimmt werden kann. Über den Wegder Rechtsverordnung wird der Versuch gestartet, amParlament vorbei Inhalte verwaltungstechnisch zu re-geln, die eigentlich unmissverständlich im Gesetz stehenmüssten.Bis heute, Herr Minister, liegen die wesentlichen Ver-ordnungen für Netzzugang und Netzregulierung im Gas-bereich nicht vor. Eine ordnungsgemäße Beratung desvorliegenden Entwurfs ist aber nur möglich, wenn auchdie Verordnungsentwürfe in Gänze vorgelegt werden.Denn ohne diese macht die Beratung überhaupt keinenSinn.
Die für die deutsche Energiewirtschaft entscheidendeFrage nach den Maßstäben für die Bewertung derNetznutzungsentgelte wird im Gesetzentwurf nichtbeantwortet. Bereits der Bundesrat hat in seinerStellungnahme darauf hingewiesen, dass eine an Kosten-gesichtspunkten orientierte Festsetzung von Netznut-zungsentgelten in die falsche Richtung geht. Eine solcheRrEDnsrBSdmLsrdCdwrDmldisdDsnDphimsNeidmEnFsgKs
as zeigt doch, dass mit sehr unterschiedlichen Argu-enten operiert wird, aber gesetzestechnisch nicht zu-ässig gearbeitet wird.
Auf welcher Grundlage soll eigentlich beraten wer-en? Vor dem Hintergrund dessen, was wir heute wissen,st der vorliegende Entwurf Makulatur und einer ab-chließenden Bewertung nicht zugänglich. Angesichtser Bedeutung der Energiewirtschaft für den Standorteutschland ist dieser Entwurf Ausdruck einer politi-chen Hilfs- und Konzeptionslosigkeit, wie ich sie langeicht erlebt habe.Wir können uns eine solche Politik am Standorteutschland im Interesse Hunderttausender Arbeits-lätze nicht länger erlauben. Die Bundesregierung ist da-er aufzufordern, ihre neuen Überlegungen unverzüglichn Gesetzesform zu präsentieren, damit eine ordnungsge-äße Beratung durch den Deutschen Bundestag undeine Ausschüsse überhaupt möglich wird.Wer glaubt, durch Entflechtung und Regulierung vonetzzugang und Netzentgelten werde automatisch fürine Kostensenkung bei den Energiepreisen gesorgt, derrrt ebenfalls gewaltig. Natürlich ist Entflechtung unbe-ingt notwendig, um Wettbewerb im Bereich des Netzesöglich zu machen. Andererseits werden durch diesentflechtung Unternehmensstrukturen verändert und Sy-ergien, die erfolgreich erzielt wurden, aufgehoben. Dieolgen hiervon können höhere Kosten und damit ein An-tieg von Netznutzungsentgelten sein.Ein weiterer Anstieg wird auch durch die von der Re-ierung geplante Kostentragungspflicht erfolgen. Dieosten der Regulierungsbehörde sollen den beauf-ichtigten Unternehmen im Wege einer Sonderabgabe
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Dr. Rolf Bietmannauferlegt werden. Dies ist ein klassisch falscher Weg an-gesichts der Höhe der Energiekosten in Deutschland.
Neben verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen Be-denken vor allem dagegen, dass die Regulierungsbe-hörde ihre Kosten selbst festsetzt – das muss man sicheinmal vorstellen! – und dann von den Netzbetreibernerhebt.
Dies weckt Begehrlichkeiten, sodass selbst ein schlankgestarteter Regulierer über die Jahre schwerfällig undträge werden kann. Mit der Union ist das nicht zu ma-chen. Das ist systemwidrig, ordnungspolitisch falsch undverfassungsrechtlich problematisch.
Mit Erstaunen habe ich zur Kenntnis genommen, dassüber § 32 Abs. 2 des EnWG-Entwurfs – Art. 1 des Re-gierungsentwurfs – heimlich ein Verbandsklagerechtaufgenommen worden ist. Die Einführung der Verbands-klage unter anderem durch Verbraucherschutzverbändewird dazu führen, dass die Gerichte zunehmend zum Er-satzregulierer werden. Im Ergebnis werden die Gerichte– und nicht der Regulierer – die Netzentgelte festsetzen.Damit wird die Unsicherheit in der Energiewirtschaftweiter geschürt. Dass die Gerichte aufgrund der Unfä-higkeit des Gesetzgebers zu klarer Formulierung nunauch im Bereich des Energiewirtschaftsrechts zum Er-satzgesetzgeber werden, kann vom Deutschen Bundes-tag doch nicht ernsthaft gewollt sein.
Ich warne davor, durch den Verzicht auf klare Rege-lungen und den Einbau von Verbandsklagebefugnissendie Gerichte an die Stelle des staatlichen Regulierers zusetzen. Dass der Bundesgerichtshof zum Hauptreguliererdes Energiewirtschaftsrechts wird, wäre ein folgen-schwerer Fehler.Mit dem vorgelegten Entwurf zur Novellierung desEnergiewirtschaftsrechts hat die Bundesregierung ihreHausaufgaben nicht gemacht, Herr Minister. Einem sol-chen Gesetzentwurf können wir unsere Zustimmungnicht geben. Die Bundesregierung ist vielmehr aufzufor-dern, die Tatbestände, um die es geht, im Gesetz undnicht in einer Fülle von nicht prüfbaren Verordnungenkonkret zu regeln, um Rechtssicherheit zu gewährleis-ten. Wir können es uns in Deutschland nicht länger er-lauben, die Handlungsfreiheit der Energiewirtschaftohne einen klaren Ordnungsrahmen zu beschränken.Eine solche Politik schadet der Wirtschaft, der Umweltund den Verbrauchern.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt,
Bündnis 90/Die Grünen.
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Es ist so selbstverständlich, dass das jetzt gemachtird, dass wir also die Vorschläge bald auf den Tisch be-ommen und sie im Zuge des parlamentarischen Bera-ungsverfahrens einarbeiten, dass eine Aufforderungazu wirklich ziemlich albern ist.
Wir brauchen mehr Wettbewerb im Energiebereich.ir brauchen ihn, weil das Netz ein natürliches Mono-ol ist und deswegen die Tendenz vorherrscht, dass dieurchleitungspreise zu hoch sind. Deshalb brauchen wirine neue Behörde, die als starker Schiedsrichter hin-chaut und die Interessen der Verbraucher und der Indus-rie vertritt.Wir brauchen mehr Wettbewerb im Energiebereich,eil wir eine Phase vor uns haben, in der die Hälfte derraftwerkskapazitäten in Deutschland ersetzt werdenuss. Die Voraussetzung dafür, dass in Deutschland in-estiert wird, und zwar nicht nur von den vier Großen,ondern auch von ausländischen Investoren oder von an-eren Industrieunternehmen, ist natürlich der freie Zu-ang zu den Netzen und die Möglichkeit, zu fairen underechten Preisen durchzuleiten.Wir brauchen auch Wettbewerb im Gasbereich. Wennir die Abhängigkeit von Russland und Norwegen redu-ieren wollen und perspektivisch auch auf LNG setzenollen, dann muss der freie Zugang zu den Gasnetzenewährleistet sein. Das ist die beste Voraussetzung, umei den Möglichkeiten der Gasbeschaffung zu diversifi-ieren.Nachdem wir gesehen haben, dass die Verbändever-inbarung gescheitert ist, war es längst überfällig, jetzten Paradigmenwechsel vorzunehmen, eine Wettbe-erbsbehörde als starken Schiedsrichter einzuführen,as Marktgeschehen zu fördern und das Unbundlingoch deutlich zu verschärfen.Natürlich müssen wir den Gesetzentwurf nach deregenäußerung der Bundesregierung weiter entwi-keln. Das werden wir im parlamentarischen Verfahrenuch tun. Der Entwurf ist, glaube ich, die richtige Ant-ort der Bundesregierung auf die zurückliegenden Er-ignisse gewesen. Die Stromkonzerne wollten das Va-uum ausnutzen. Sie haben die Preise deutlich erhöht.ie waren nicht bereit, zu warten, bis ein Regulierer tat-ächlich kontrollieren kann, ob die Preiserhöhung ge-echtfertigt ist. Deswegen ist der Weg richtig, der jetztegangen wird. Es wird eine nachträgliche Kontrolle
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Michaele Hustedtstattfinden. Für jede Preiserhöhung wird eine Ex-ante-Genehmigung notwendig. In zwei Jahren wird es eineAnreizregulierung, wahrscheinlich mit flächendecken-der Ex-ante-Genehmigung, geben. Dieser Weg ist gutund richtig.
Ich warne davor, jetzt sozusagen zu radikalisieren undzu fordern, man wolle sofort eine Anreizregulierung.Es ist, wie ich glaube, völlig richtig, der Wettbewerbsbe-hörde zunächst einmal zwei Jahre Zeit zu geben, um dieentsprechenden Methoden zu entwickeln. Niemand, we-der die FDP noch die CDU noch die Länder bzw. derBundesrat, kann ein konsistentes Konzept einer Anreiz-regulierung vorlegen, wodurch sichergestellt wird, dasseinerseits die Netze effizient betrieben werden und nichtdie durchschnittliche, sondern die effizienteste Nutzungden Maßstab darstellt, und andererseits nicht überzogenwird, sondern genug Spielraum gelassen wird, damitweiter investiert wird. Hier muss man punktgenau lan-den. Das ist die Herausforderung bei der Umsetzung desKonzeptes einer Anreizregulierung.
Da reicht es nicht, einfach Schlagworte in den Raum zuwerfen. Die neu zu schaffende Behörde, die auf tolleFachleute zurückgreifen kann – das zeigt sich schon jetztanhand der Bewerbungslage –, ist genau der richtige Ort,um in Gesprächen mit der Wirtschaft, der Industrie undden Verbraucherverbänden eine Anreizregulierung zuentwickeln.Stichwort Verbraucher: Ich verstehe die Haltung derOpposition in diesem Punkt nicht. Während der Ver-handlungen über die Verbändevereinbarung saßen dieVerbraucher am Katzentisch und hatten kaum Einfluss.Das hatte zur Folge, dass sich für die Verbraucher amwenigsten Vorteile durch den Wettbewerb ergeben ha-ben. Jetzt besteht die Chance, dass mit der Einrichtungeiner Wettbewerbsbehörde tatsächlich auch ein Anwaltder Verbraucherinteressen installiert wird. Deswegenverstehe ich überhaupt nicht, warum die B-Länder imBundesrat das Ziel Verbraucherschutz aus § 1 streichenwollen. Ich verstehe auch nicht, warum Sie die Möglich-keit zur Verbandsklage streichen wollen. Das können wirnicht akzeptieren; da werden wir nicht mitmachen. ImZuge des jetzt anstehenden Paradigmenwechsels werdennämlich nicht nur die Großindustrie, sondern auch dieVerbraucher ihre Interessen artikulieren können.
Ich glaube nicht, dass das zu massenhaften Klagen führt.Die Verbraucherverbände und erst recht einzelne Ver-braucher haben doch gar nicht das Geld und die Kraft,die Gerichte massenhaft mit Klagen zu überziehen.
Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt ihnen aber immerhinein Instrument an die Hand, dann, falls grober Miss-bDrMawemDkmerinWßbsGzPtwvbAdsEdMdwlajeuTtuwliteErwrrrBslipd–
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Wir haben in der Föderalismuskommission festgestellt,dass Mischverantwortung zu mehr Bürokratie und un-gleichen Bedingungen im Markt führt. Das ist für diedeutsche Wirtschaft nicht zuträglich. Deswegen solltenwir, wenn wir jetzt ein neues System einführen, dieChance für Veränderungen nutzen und zeigen, dass wiraus unseren eigenen Fehlern gelernt haben. Deshalb bitteich, dass Sie sich das in diesem Bereich noch einmal gutüberlegen.Wie gesagt: Ich hoffe, dass wir eine ernsthafte Kom-promisssuche aufnehmen. Das würde allen nützen: derEnergiewirtschaft, der Industrie, aber auch den Verbrau-chern.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!Wir diskutieren heute über das Energiewirtschaftsgesetz.Ich glaube, man kann sagen, dieses Gesetz wird dasGrundgesetz für die Energiewirtschaft der Zukunft sein.Wir werden mit diesem Gesetz über Investitionsbereit-schaft und -fähigkeit am deutschen Markt und darüberentscheiden, wie sich Energie in Deutschland für Ver-braucher und Wirtschaft darstellt. Es handelt sich alsoum ein insgesamt sehr wichtiges Werk.Liebe Frau Kollegin Hustedt, auch wir als FDP-Bun-destagsfraktion legen großen Wert darauf, dass die Ver-braucher profitieren.
Ich verweise in diesem Zusammenhang noch einmalausdrücklich darauf, dass durch die von dem damaligenBundeswirtschaftsminister Rexrodt initiierte Liberalisie-rung auf dem Energiemarkt Liberalisierungsgewinne inHöhe von 7,5 Milliarden Euro erwirtschaftet wordensind. Diese sind inzwischen, wie man so schön sagt, ver-frühstückt. Wodurch? In erster Linie durch Lasten, diedie rot-grüne Bundesregierung durch Steuern, Abgabenund Umlagen verursacht hat – das macht 41 Prozent desdUspmusDNstgParnnbwDgnWKbskwnmWkggSrhfvsnZnfKd
Fünftens. Auch wir Liberale sagen ganz klar: Dieosten für die Regulierung können nicht umgelegt wer-en. Es handelt sich um eine staatliche Aufgabe. Diese
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Gudrun Koppstaatliche Aufgabe ist aus dem Haushalt zu finanzieren.An dem Personalaufbau, der jetzt stattfindet, kann manerkennen, dass die Regulierungsbehörde völlig freieHand hat, sich entsprechend zu positionieren und Kostenzu verursachen, ohne dass es eine Kostendeckelung gibt.Wo bleibt da die Kontrolle? Wo bleibt da der Anreiz fürdie Regulierungsbehörde, kostengünstig und effizient zuarbeiten? Ich finde, dieser Zustand ist nicht akzeptabel.
Sechstens. In diesem Punkt stimmen wir mit Bundes-wirtschaftsminister Clement überein. Herr Minister, esist richtig, dass die Regulierung bundeseinheitlich erfol-gen muss. Es darf keine Splittung der Aufgaben geben.Die Föderalismuskommission müht sich redlich, in klei-nen Schritten die Mischzuständigkeiten und die darausresultierenden Mischfinanzierungen aufzudröseln. Wennwir aber sofort beim nächsten Gesetz in den alten Fehlerverfallen und Mischzuständigkeiten installieren, dann istdas ein falscher Weg, den wir nicht mitgehen werden.
Siebtens. Herr Minister, es kann nicht sein, dass wirdas EnWG diskutieren, ohne die vier wichtigsten Ver-ordnungen auf dem Tisch liegen zu haben. Das ist nichtakzeptabel. Es ist die Rede davon, dass es bis zu 20 oder25 Verordnungen insgesamt geben wird. Niemand kenntderzeit die genaue Zahl. Um diesen Gesetzentwurf hin-sichtlich seiner inhaltlichen Ausrichtung und in Bezugauf seine rechtliche Klarheit wirklich beurteilen zu kön-nen – diesen Punkt hat auch Herr Bietmannangesprochen –, müssen wenigstens die vier wichtigstenVerordnungen vorliegen. Ich hoffe, dass Sie hier Druckmachen und schnellstens Klarheit schaffen.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird den gesamtenBeratungsprozess in den nächsten Wochen kritisch undkonstruktiv verfolgen und begleiten. Wir haben Ihnenheute einen Antrag vorgelegt, in dem skizziert wird, inwelche Richtung wir gehen möchten. Wir setzen darauf,dass Sie zügig, aber doch mit großer Sorgfalt die Bera-tungen durchführen – wir haben schon in Kürze die ersteAnhörung – und dass wir recht bald diesen Prozess ab-schließen können. Eigentlich hätte diese Regulierungschon am 1. Juli dieses Jahres in Kraft sein müssen. Wirsind also in Verzug.Ich möchte noch einen Punkt erwähnen, der auch voneinigen Kollegen angesprochen wurde. Die Ankündi-gungen von großen Energieunternehmen am StandortDeutschland, die Preise zu erhöhen, werden derzeit vomBundeskartellamt geprüft. Das Bundeskartellamt wirduns recht bald sagen, ob es der Meinung ist, dass die zu-sätzlichen staatlichen Belastungen der Energiepreise, dieSie als rot-grüne Bundesregierung verursacht haben, tat-sächlich berechtigt sind. Dann wollen wir einmal sehen,wie sich die Preisdebatte hier darstellt. Ich glaube, es hatviel Wind um wenig wirkliche Substanz gegeben.Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Sehen Sie zu, dassSie den Verbrauchern und der Wirtschaft nicht immerwzktgwmrebEeNsmFtu–nkssonIdnIGwngwwgaht
ur das eine oder das andere geht; beides passt nicht zu-ammen.Ich finde, dass das Angebot der Bundesregierung,öglichst offen und konsensual eine so entscheidenderage wie die der künftigen Energiepolitik zu bearbei-en, sehr gut ist, dass wir daher in der Sache diskutierennd keinen Popanz aufbauen sollten.Dazu gehört aus meiner Sicht auch folgende Fragedas erkläre ich noch einmal für die SPD –: Wir werdenatürlich darauf dringen, dass es bei den Verordnungenein Ausweichen gibt, sondern dass das Parlament voll-tändig einbezogen wird, notfalls auch durch eine Zu-timmung des Parlaments in Form eines Artikelgesetzesder wie auch immer. Auf jeden Fall müssen die Verord-ungen politisch abgesegnet werden. Das ist übrigens imnteresse der Bundesregierung ebenso wie im Interesseer anschließenden Rechtssicherheit durch diese Verord-ungen.
nsofern sehe ich auch darin kein zentrales Problem.anz im Gegenteil: Da sind wir auf einem guten Weg.Man muss sagen – deswegen wäre ich mit Kritik et-as vorsichtig –, dass das, was wir heute korrigieren,atürlich auch Ausdruck dessen ist, dass man im Ener-iewirtschaftsgesetz von 1998 bewusst auf eine Wettbe-erbs- bzw. Regulierungsbehörde verzichtet hat. Michundern manche Aussagen von Leuten, die sich jetztanz besonders für einen Regulator einsetzen, die manber in der Vergangenheit immer nur als Bremser erlebtat.Bringen Sie also bitte nicht zu viel politischen Oppor-unismus ein! Vielmehr sollten wir jetzt gemeinsam ver-
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Michael Müller
suchen, eine vernünftige, sachgerechte Form der Regu-lierung zu finden. Denn Tatsache, Frau Kopp, ist auch,dass das, was nach 1998 passiert ist, mit Wettbewerbteilweise wenig zu tun gehabt hat. Das war ein enormerVerdrängungswettbewerb im Sinne einer unglaublichenKonzentration in Teilbereichen, aber nicht das, was manunter einem vernünftigen funktionsfähigen Wettbewerbverstehen musste. Ganz im Gegenteil!
Damals ist aus meiner Sicht das Fundament für einenTeil der Probleme, die wir heute haben, gelegt worden;denn wir haben keinen vernünftigen Übergang von denGebietsmonopolen in einen funktionierenden Wettbe-werb geschaffen, sondern im Gegenteil eher einen Un-ternehmenswettbewerb initiiert.Die Wettbewerbsbehörde hat aus unserer Sicht an ers-ter Stelle das Ziel, große Transparenz und mehr Sauber-keit in der Preisbildung zu schaffen. Natürlich muss vorallem die Verbraucherseite gestärkt werden. Für unsgehört zu einer funktionierenden marktwirtschaftlichenOrdnung immer auch die Verbraucherseite.
Deshalb muss sie auch Rechte haben; sonst funktioniertdas nicht. Das kann nicht nur das Recht auf Transparenzsein. Wir finden es beispielsweise sehr interessant, wel-che Modelle in Großbritannien existieren, zum Beispieldie so genannten Watchdogs. Wir schauen uns das an.Wir sagen zwar nicht, dass wir diese Modelle überneh-men; aber man muss auch für solche Ansätze offen sein,die von vornherein – da hat die Kollegin Hustedt völligRecht – mehr Seriosität und Kontrolle in den Prozessbringen. Es ist ja ein interessantes Phänomen, dass in allden Ländern, in denen es wie in Deutschland das Instru-ment der Verbandsklage gibt, die Zahl der Prozesse zu-rückgegangen ist, weil im Vorfeld viel solider und sorg-fältiger abgewogen worden ist. Insofern sollte man keineAngst vor der Demokratie haben. Im Gegenteil: Wir be-grüßen das.Einer der wichtigen Punkte ist auch die Auseinander-setzung um Ex-post- und Ex-ante-Regelungen. Unab-hängig davon, dass natürlich erhebliche Unterschiede imVorgehen bestehen, ist für uns trotzdem das Entschei-dende, dass die Instrumente selbst sehr wirksam sind. Je-der muss wissen – wir alle unterstützen das –, dass eineEx-ante-Regelung natürlich nicht mit einer absolutschlanken Verwaltung zu machen ist. Sie muss vielmehrentsprechend qualifiziert ausgerüstet werden – und dasbesonders dann, wenn sie schnell agieren soll. Eine Ex-ante-Regelung bedeutet in der Konsequenz also aucheine gewisse Weichenstellung für das Personal. Eineschlecht besetzte Regulierungsbehörde wird nicht aus-reichen. Aus meiner Sicht passt es nicht zusammen, aufder einen Seite immer Steuersenkungen zu fordern undauf der anderen Seite die Kosten solcher Aufgaben, dieim Grunde genommen im Interesse sowohl der Allge-meinheit als auch der Wirtschaft liegen, dem Staat zuündskdubdKnrdMwPbdgbagmzdaDRBndkbscDtüUInghgrwpckje
Meine Damen und Herren, wichtig ist im Hinblick aufie Transparenz vor allem, dass etwas aufhört, waschon heute ein großes Problem ist: dass vielfach nichtlar ist, ob in die Preisbildung für Strom die Kosten fürie Kraft-Wärme-Kopplung, für erneuerbare Energiensw. eingerechnet werden. Wir verhehlen nicht, dass wirei manchen Unterschieden in der Strompreisbildungen Eindruck haben, dass recht lasch operiert wird undosten eingerechnet werden, die dort eigentlich nicht hi-eingehören. Dies beenden wir aus gemeinsamem Inte-esse; in diesem Zusammenhang weise ich darauf hin,ass die Änderung des EEG von einer sehr viel größerenehrheit als der der Regierungsfraktionen beschlossenird. Wir müssen diese Klarheit haben, damit bei derreisbildung nicht getrickst wird. Damit wird auch etwaseendet, was heute aus meiner Sicht nicht sauber ist:ass man Kosten anlastet, bei denen zumindest ein Fra-ezeichen angebracht ist, ob sie gerechtfertigt sind.
Wir halten es für außerordentlich richtig, dass es eineundesstaatliche Regelung gibt. Teilweise war die Ex-nte-Forderung eine Forderung einiger Länder, die weni-er etwas mit der Ex-ante-Position selber als vielmehrit der Verlagerung der Zuständigkeit auf Landesebeneu tun hatte. Wir halten eine solche Regelung für falsch;enn wir brauchen gerade angesichts der Entwicklunguf den Energiemärkten eine starke Bundesbehörde.ies ist gewährleistet. Insoweit ist die bundesstaatlicheegelung für uns einer der unverzichtbaren Eckpunkte.ei dieser Regelung werden wir keine Veränderung vor-ehmen; auch wissen wir, wie wir sie im Zweifelsfallurchsetzen können.Regulierung und Wettbewerb allein machen nocheine Energiepolitik aus. Es wäre eine Illusion, zu glau-en, dass wir mit einer Regulierung, die lediglich Preis-enkungsmechanismen im Auge hat, Energiepolitik ma-hen könnten, so wichtig dies auch ist. Einenumpingwettbewerb werden wir nicht mitmachen. Na-rlich müssen in den Preisbildungen auch Aspekte wiemweltschutz, Versorgungssicherheit und frühzeitigennovationsfähigkeit enthalten sein. Von daher wird esicht nur einen Wettbewerb bei den Preisen nach unteneben. Vielmehr müssen wir eine qualifizierte und nach-altige Energiepolitik betreiben, die ihren Preis hat. Eseht uns um eine saubere Preisbildung, aber nicht da-um, dass Energie auf jeden Fall billig sein muss. Diesiderspräche einer verantwortungsbewussten Energie-olitik. Wir werden alles tun, um Preiseffizienz zu errei-hen; aber es wird keine Billiger-Jakob-Lösung gebenönnen. Dies gilt auch für die Wettbewerbsbehörde.
Meine Damen und Herren, das Dreistufenmodell, dastzt entwickelt worden ist, ist aus unserer Sicht gut. Hier
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Michael Müller
wird im Übrigen, Frau Kopp, die Frage des Monitoringsim Verfahren selbst gelöst. Die erste Stufe sieht vor, dassUnternehmen, die die Preise bereits erhöht haben, vonder Regulierungsbehörde mit besonderer Aufmerksam-keit betrachtet werden. Im Zentrum der zweiten Stufesoll eine Ex-ante-Prüfung stehen. Die dritte Stufe enthältAnreizmechanismen. Damit sind Prozesse ständigenLernens und ständigen Monitorings gewährleistet, dawir eine Anreizregulierung nur erreichen werden, wennwir die Prozesse permanent auswerten, auf ihre Wirkun-gen hin kontrollieren und effizienter machen. Insofernist Ihrer Forderung nach mehr Monitoring aus dem Pro-zess heraus Rechnung getragen. Dies ist auch einer derwesentlichen Punkte, warum wir in der Frage der Ver-ordnungen offen sind. Als Parlament können wir immerdann Verbesserungen vornehmen, wenn es notwendigist.Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz werdenwir das nachvollziehen, was wir zugegebenermaßen frü-her hätten tun können. Allerdings besteht hier kein An-lass zu Rechthaberei. In der Vergangenheit wollten rela-tiv wenige Mitglieder dieses Hauses eine Wettbewerbs-und Regulierungsbehörde haben; lange Zeit waren sie inder Minderheit. Dass wir jetzt diese Einigkeit erreichen,soll gar nicht im Nachhinein kritisiert werden. Es ist einguter Schritt hin zu eine leistungsfähigen Energiepolitik,die nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch undtechnologiepolitisch für uns wichtig ist.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Kurt-Dieter Grill, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Kollege Müller, Sie haben den KollegenBietmann aufgefordert, sprachlich abzurüsten. FrauHustedt hat sich in geradezu absurde Formulierungenverstiegen. Wenn Sie es für richtig halten, Solidaritätund Zusammenarbeit mit Koalition und Regierung ein-zufordern, dann sollten Sie sich nicht gleichzeitig überSprache aufregen und mit Kritik an der Opposition allesandere als sparsam umgehen.1998 haben wir als CDU/CSU-FDP-Koalition gegenden Widerstand der heutigen Koalition den neunten An-lauf gemacht, aus den Monopolen auszubrechen. DieMonopole waren der Hauptgrund der Kritik der linkenSeite. Wir haben mit der Einführung des Wettbewerbssowohl auf europäischer Ebene wie in Deutschland Fak-ten geschaffen.
Wenn Sie von der SPD-Fraktion sich darüber unter-halten, auf welcher Seite des Hauses die Befürworter desWettbewerbs gesessen haben, dann wäre ich Ihnen sehrdankbar, wenn Sie uns heute Abend mitteilen würden,otddußEwkEAgvSFESzungnvsvdMtNghdFEDEgbadsosah
ber vielleicht haben Sie das ja inzwischen zurückgezo-en.Sie sprechen von kleinen und großen Verbrauchern,on Konzernen, Monopolisten und Oligarchen. Ich willie nur daran erinnern, dass diese Koalition die größteusion in diesem Lande genehmigt hat, nämlich die vonon und Ruhrgas.
ie sollten sich an dieser Stelle nicht allzu sehr als Kon-entrationsverhinderer aufspielen. Das ist vollkommennangemessen.Genauso unangemessen war es – das sage ich nichtur in Richtung Koalition, sondern durchaus auch eini-en Leuten aus unseren Reihen –, wie Herr Kurth vor ei-em Jahr auf die Bühne sprang und sich als Reguliererorstellte. In seiner letzten Pressekonferenz hat er ge-agt, die Erwartung, dass mit ihm die Preise sänken, seiollkommen falsch. Das ist ein Versuch, sich rechtzeitigem politischen Druck zu entziehen, den eine Reihe vonenschen, die in diesem Lande politische Verantwor-ung tragen, dadurch erzeugt haben, dass sie aus demetzzugangsregulierer einen Preisregulierer und Preis-enehmiger gemacht haben, jedenfalls verbal.Ich gebe zu, dass der Regulierer vielleicht schon frü-er hätte eingesetzt werden können. Ich persönlich hatteazu eine andere Meinung; aber das ist eine andererage. Aber der Regulierer ist nur für ein Drittel desnergiepreises zuständig.
er Rest unterliegt nicht der Regulierung.
rwecken Sie – das sage ich auch einigen aus unseren ei-enen Reihen – doch draußen nicht den Eindruck, wirräuchten nur einen Regulierer; dann sänken die Preiseb morgen.Sie haben im Übrigen eine interessante Bemerkungazu gemacht, was man alles bei den Preisen berück-ichtigen müsse. Ich könnte auch die Frage diskutieren,b sich nicht diejenigen zu Preishütern und Verbraucher-chützern machen, die – Frau Kopp hat das hier schonngesprochen – mit der Ökosteuer manche Preiserhö-ung gewollt haben.
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Kurt-Dieter GrillSie sind doch diejenigen, die in der generellen politi-schen Debatte die Auffassung vertreten, Energie müsseteurer werden, damit die Leute draußen Energie sparen.Es sind doch nicht wir, die diese These vertreten.
Deswegen glaube ich, dass Sie in der Frage der Preise– so wie Frau Hustedt das hier dargestellt hat und so wieSie das dargestellt haben – ganz vorsichtig sein sollten.Herr Müller, Sie haben Großbritannien angesprochen.Wenn Sie sich die Entwicklung in Großbritannien ange-schaut haben, dann konnten Sie beobachten, dass dasNichtvorhandensein einer Öl-Gas-Preisbindung dazu ge-führt hat, dass das Gas in Großbritannien mittlerweile80 Prozent teurer ist als im letzten Jahr. Die britische Re-gulierungsbehörde Ofgem konnte diesen Preisanstiegnicht mehr aufhalten. Sie hat am Anfang den Fehler ge-macht, zu sagen: Niedrige Preise sind die richtige Regu-lierung. Sie ist in den Fragen der Infrastruktur, des Sub-stanzerhalts und der Versorgungssicherheit gescheitert.Jetzt will die Ofgem offensichtlich einen europäischenRegulierer. Herr Minister, wir können sicherlich nochlange über die Frage der Zuständigkeit von Bund undLändern diskutieren. Wir wollen aber nicht – ich bitteSie, dies in Brüssel rechtzeitig klar zu machen –, dass inBrüssel ein europäischer Regulierer sitzt und die natio-nalen Parlamente dann überhaupt nichts mehr zu sagenhaben.
Ich will noch eine kritische Bemerkung machen. Siehaben für sich in Anspruch genommen – von der Sacheher kann man das auch –, ein komplexes und anspruchs-volles Gesetzeswerk vorzulegen. Wir als Opposition ha-ben Anfang dieses Jahres aber erlebt, wie der Zeitplander Europäischen Kommission für den Emissionshandelsklavisch umgesetzt wurde, unter Vernachlässigung desRechts des Parlaments auf eine geordnete Beratung desEmissionshandels. Das Gesetz zum Emissionshandelwar für die Frage der Energiepreise in Deutschland min-destens so wichtig wie das, was Sie jetzt vorlegen.
Damals haben Sie unsere Mitspracherechte beschnit-ten.Deswegen denke ich, dass wir die Verordnungenvorgelegt bekommen sollten, und zwar mit den mögli-cherweise bestehenden Einwendungen. Wir könnennicht noch einmal von uns aus die Verordnungen dengleichen Anhörungen unterziehen, wie Sie das jetzt imMinisterium machen; das kann ein Parlament im Grundegenommen nicht leisten. Wir sollten uns also über einVerfahren verständigen, wie die Fraktionen den Entwurfder Verordnungen mit den wichtigsten Einwendungenbekommen, damit wir Ihren Meinungsbildungsprozessnachvollziehen können.
EsozwsStdingsfgedzTIwdhusIdnbdMainAaKgcsgw–zdW
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Herrüller hat schon darauf hingewiesen, dass in Preisenuch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung be-haltet sein müssen. Da kann ich Ihnen zustimmen.ber wir regulieren nur das Netz, nicht die Forschungs-usgaben.
Ich habe heute in der „Zeit“ etwas gefunden, was dieoalition, zumindest aber die Grünen, unglaublichlaubwürdig macht; denn Sie haben in den letzten Wo-hen einen bestimmten Eindruck erweckt. Meine Mit-treiterin Michaele Hustedt hat auf einer Veranstaltungesagt, dass die Energiepreise um 25 Prozent sinkenerden.
Das war im Juni letzten Jahres auf dem EBC, wo wirusammen mit Rolf Hempelmann waren. Dort haben Sieas stolz angekündigt.
ir waren unabhängig voneinander eingeladen.
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Kurt-Dieter GrillAls ich heute die „Zeit“ vom 28. Oktober dieses Jah-res zur Hand genommen habe, habe ich gesehen, dassdiejenigen, die hier darüber reden, dass die Position desVerbrauchers gestärkt werden muss und dass mit Blickauf den Standort Deutschland die Preise gesenkt werdenmüssen,
gemeinsam mit prominenten Beteiligten wie HerrnLoske und Herrn Bütikofer den Plan verfolgen, die Steu-ern auf Heizöl jährlich um 2 Cent pro Liter und die Steu-ern auf Kraftstoffe um 3 bis 5 Cent pro Liter zu erhöhen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich will
Ihnen nur eines sagen: Sich hier zum Hüter des Verbrau-
chers und zum Anwalt des kleinen Mannes zu machen
und gleichzeitig die nächste Erhöhung der Ökosteuer zu
planen, das ist an Chuzpe nicht mehr zu überbieten.
Herzlichen Dank.
Ich gebe dem Kollegen Loske das Wort zu einer
Kurzintervention.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Eigentlich ist es überflüssig, zumal ich Ihrer Rede
nicht gefolgt bin. Aber die Wahrheit sollte schon auf den
Tisch. Die Wahrheit ist, dass wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben, im Jahre 2004 zu überprüfen, wie wir
die ökologische Steuerreform weiterentwickeln.
Zu diesem Zweck ziehen wir jetzt den bundesweit ver-
fügbaren Sachverstand zusammen und besprechen die-
ses Vorhaben mit Experten. Ansonsten haben wir über-
haupt keine Festlegungen getroffen. Herr Grill
verwechselt da wieder etwas, weil er nicht genau hin-
guckt.
In dem Artikel, den auch ich eben erst gelesen habe,
wird darauf hingewiesen, dass der Förderverein Ökolo-
gische Steuerreform seinerseits ein Konzept vorgelegt
hat. Vertreter des Fördervereins Ökologische Steuerre-
form sind natürlich auch bei den Treffen zu Gast, auf de-
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Herr Kollege Grill, Sie können antworten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich weiß
icht, wofür ich mich entschuldigen muss.
Herr Kollege Stiegler, ich kann nur sagen, was hier
teht. Das wissen Sie genauso gut wie ich.
Wenn Sie meine Äußerungen als falsche Anschuldi-
ungen und üble Nachrede betrachten, dann weiß ich
icht, was ich zu manchen Ihrer Äußerungen in der Ver-
angenheit sagen soll. Das sollten wir lieber lassen.
ch werde nie versuchen, Sie zu überbieten, was falsche
nschuldigungen betrifft. Das können Sie mir glauben.
Herr Kollege Loske, zwei Bemerkungen zu Ihnen.
rstens. Ich habe das vorgelesen, was hier geschrieben
teht: dass Sie offensichtlich einen solchen Plan verfol-
en.
Ich weiß, was hier steht.
Das Wort hat der Kollege Grill.
Herr Kollege, es ist nett, dass Sie sich so aufregen.Zweitens. Lieber Herr Loske, so, wie Sie in der Ver-angenheit argumentiert haben, bleibt nur der Schluss,ass Sie die nächste Erhöhung der Ökosteuer planen.enau das ist der Punkt. Was die Energiepreise betrifft,aben Sie keinerlei Glaubwürdigkeit mehr zu verlieren;enn durch Ihre Steuererhöhungen sind die Energie-reise gestiegen. Sie haben Ihre Glaubwürdigkeit aufiesem Gebiet längst verloren.
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Kurt-Dieter GrillSie haben den Eindruck erweckt, dass Sie sich im In-teresse der Verbraucher für Preissenkungen einsetzen.Sie sind aber diejenigen, die jede Steuererhöhung durch-drücken, um, angeblich im Interesse des Umweltschut-zes und des Energiesparens, die Energiepreise nach obenzu treiben.
Das ist die Wahrheit.
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Lieber Kurt-Dieter Grill, dein Auftritt eben hatmich an unsere besten Zeiten in der Enquete-Kommis-sion „Nachhaltige Energieversorgung“ erinnert: Kon-fliktvermeidungsstrategie war nie dein Ding.
Das ist auch in Ordnung so. Aber ich muss ganz ehrlichsagen: Deine Erinnerung an 1998 mag ja noch begründ-bar sein mit Verklärungstendenzen, die gelegentlich auf-treten können, wenn man weiter in die Vergangenheitzurückblickt. Aber wenn du auch bei dem Jahr 2003 Er-innerungslücken hast, dann wird das doch langsam pro-blematisch. Ich habe nie behauptet, dass Preissenkungs-spielräume in diesen Größenordnungen gegeben seien,im Gegenteil.
Ich bitte dich, meine letzte Plenarrede nachzulesen;das war anlässlich der angekündigten Strompreiserhö-hungen und der sehr emotionalisierten öffentlichen De-batte. Darin habe ich nämlich sehr deutlich gemacht,dass mit Preissenkungen in diesen Größenordnungennicht zu rechnen ist, weil die Netzentgelte eben nur einDrittel des Gesamtpreises ausmachen und es andereKostenfaktoren gibt – zum Beispiel bei der Erzeugung,bei den Primärenergiekosten und beim Bau neuer Kraft-werke –, die dafür sprechen, dass es eher Preiserhöhun-gen geben wird und wir diese durch entsprechendesVorgehen bei den Netzentgelten bestenfalls teilkompen-sieren können; da sollte man der Wahrheit durchaus wei-terhin die Ehre geben.Ansonsten möchte ich eigentlich positiv beginnen– so hatte ich mir das jedenfalls vorgenommen – und ersteinmal deutlich machen, dass ich mich freue, dass sichnach – man darf sagen – durchaus schwierigen Verhand-lungen in einer nun einmal wichtigen Materie die Res-sBvteddMhbnlewkItebmdDbddbdliVdradmsWgmhaisznhdsAuazsdAwsr
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Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! Die erste Lesung eines sol-hen Gesetzes dient natürlich auch dazu, Gegensätzeufzuzeigen, die im Beratungsgang abgearbeitet werdenüssen. Das, was streitig ist, muss genannt werden. Ichalte auch den Hinweis, den Frau Kopp und Prof.ietmann gebracht haben und der von Kurt-Dieter Grillnterstützt wurde, für richtig: Man muss überlegen, wel-he Unterlagen man braucht, um dieses Gesetz umfas-end beurteilen zu können. Welcher Kanon, welcherernbestand an Verordnungen, muss also vorgelegt wer-en, damit man dieses ganze Gesetzeswerk beurteilenann? Das muss neben der Frage, welchen Zeitraum sicher Kollege Hempelmann vorstellt, selbstverständlichbgearbeitet werden.Ich will die Gelegenheit nutzen, als letzter Debatten-edner nicht nur auf die Streitpunkte einzugehen, dieiele Kolleginnen und Kollegen vorher gut und richtigerausgearbeitet haben. Vielmehr will ich einerseits daserbindende darstellen, andererseits aber auch deutlichachen, dass wir einen Aspekt nicht unberücksichtigtassen dürfen, nämlich den Umweltschutz. Der Umwelt-chutz hat mit diesem Thema eine gemeinsame Schnitt-enge. In den noch anstehenden Beratungen müssen wiruch diesen Gesichtspunkt berücksichtigen.
Was ist der Kernpunkt unserer Aufgabe? Wir müssenie Chance wahrnehmen, die Defizite auf dem Energie-arkt, die wir in Deutschland unbestritten haben, zueheben und den gesetzlichen Rahmen für eine wirt-chaftliche, verlässliche und umweltfreundliche Energie-ersorgung zu schaffen.An dieser Stelle kann man durchaus als positives Si-nal verstehen – das will ich auch gerne erwähnen, Frauustedt; das begrüßen wir –, dass die Bundesregierungestern im Kabinett eine Neupositionierung zur Neure-elung des Energiewirtschaftsrechts vorgenommen hat.err Minister, damit bauen Sie eine Brücke. Diese Neu-ositionierung ist zwar aus unserer Sicht noch nicht so
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Dr. Peter Paziorekweit, wie dies vielleicht notwendig wäre. Aber manmuss am Ende einer solchen Debatte durchaus konzedie-ren, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist unddass man die Chancen, die sich auf diesem Weg ergeben,nutzen muss.Dass es hierzu unterschiedliche Positionen gibt, istklar und deutlich. Die Möglichkeit, dass wir zu einervernünftigen Lösung kommen, besteht. Da es inDeutschland leider an einem Energiekonzept fehlt, mussin diesem Hause das Ziel herausgearbeitet werden, dasswir eine sichere, bezahlbare und umweltverträglicheEnergieversorgung wollen.Ich komme zu dem ersten Punkt, der vorhin streitigdiskutiert worden ist: Muss das Ziel der Verbraucher-freundlichkeit besonders erwähnt werden? Der Bundes-rat – durch meine Partei ist er maßgeblich parteipolitischbestimmt – ist der Ansicht, dass man diesen Punkt strei-chen könnte. Ich persönlich habe als umweltpolitischerSprecher unserer Fraktion keine Bedenken, den Ge-sichtspunkt der Verbraucherfreundlichkeit als Zielvor-stellung zu unterstreichen. Die Stromkennzeichnung istdann die logische Konsequenz dieser Verbraucher-freundlichkeit. Jemand wie ich, der durchaus dafür ist,dass man die Kernenergie für die Stromproduktion fried-lich nutzt, hat überhaupt keine Bedenken, die Strom-kennzeichnung auch auszuweisen.Umgekehrt stellt sich die spannende Frage: Wie weitgehen wir bei der Verbraucherfreundlichkeit? Wirddamit auch automatisch ein Verbandsklagerecht er-möglicht? Ich gehöre in unserer Fraktion zu den Um-weltpolitikern, die nicht von vornherein gegen ein Ver-bandsklagerecht sind. Ich habe beim Naturschutzgesetzdazu eine differenzierte Meinung gehabt. Wenn es zu ei-nem Verbandsklagerecht käme, dann stellen Sie sich ein-mal den Druck auf die Verbraucherverbände vor Ort vor.Das kann dazu führen, dass Verbraucherverbände bei je-der angedachten Preiserhöhung den Klageweg beschrei-ten müssen.
Würden wir den Verbraucherverbänden damit nicht eineMöglichkeit eröffnen, die sich langfristig als ein Nach-teil erweisen könnte? Darüber müssen wir diskutieren,auch wenn man der Aufnahme der Verbraucherfreund-lichkeit in die Zielvorstellung positiv gegenübersteht.Der zweite Punkt, der im Rahmen der Zielvorstellun-gen diskutiert werden könnte, ist die Energieeffizienz.Die Energieeffizienz entscheidet wesentlich darüber mit,wie wir die Zukunftsfähigkeit des WirtschaftsstandortsDeutschland bewältigen können.
Aber ich weiß natürlich, dass es durchaus methodischberechtigte Bedenken gibt, die Energieeffizienz als Ziel-vorstellung ausdrücklich auszuweisen; denn die Energie-effizienz ist methodisch automatisch ein Bestandteil derZiele Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit.Man kann natürlich darüber nachdenken, ob diese bei-den Begriffe die Energieeffizienz umfassend berücksich-tigen.agSukvEewBzkmbssuCezbsdvsdkswUwcclgddwzsgsbnaebbWS
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Dr. Peter PaziorekEs wird unsere Aufgabe sein, diesen Aspekt bei den Be-ratungen nicht zu vernachlässigen. Wir müssen die posi-tive Rolle der örtlichen Stromversorger sehen. Das halteich für ganz wichtig.
Der nächste Gesichtspunkt: Wir müssen auch Sorgedafür tragen, dass im Rahmen dieses Gesetzes dieVoraussetzungen dafür geschaffen werden, dass dieEnergienetze langfristig leistungsfähig bleiben;
denn eine verlässliche Energieversorgung ist ein ganzwichtiger Standortfaktor. Das ist entscheidend. DieNetze müssen verlässlich bleiben.
– Ja, natürlich. Ich will nur ausformulieren, wo Pro-bleme stecken könnten. Ich stimme Ihnen, Herr Stiegler,zu. Ich habe auch § 1 gelesen. Probleme werfen die wei-teren Paragraphen auf, auch bezüglich des Einsatzes dererneuerbaren Energien.Die erneuerbaren Energien leisten – das ist unbestrit-ten – viel. Das ist von Herrn Müller gesagt worden undist die gemeinsame Position hier im Hause. Es gilt diegemeinsame Zielvorstellung aller Fraktionen, den Anteilder erneuerbaren Energien an der Gesamtstromerzeu-gung auf 12,5 Prozent zu erhöhen. Aber man muss auchdie Probleme sehen, die wir bei den erneuerbaren Ener-gien haben. Die entsprechenden Regelungen beispiels-weise zur Windenergie stehen im EEG. Aber wenn wirdie erneuerbaren Energien fördern sollen, dann müssendie Stromerzeuger im Bereich der erneuerbaren Ener-gien, also auch der Windenergie, die Konsequenz tragenund ihren Beitrag zur Stabilisierung des Netzes leisten.Das betrifft zum Beispiel die Frage, wann die Anla-gen abgeschaltet werden, wenn plötzlich zu viel einge-speist wird. Dazu reichen die Regelungen des EEG viel-leicht nicht aus. Wir müssen uns Gedanken machen, obwir hier eventuell einen Ansatzpunkt haben, über dievertraglichen Regelungen hinauszugehen.Ich sage der rot-grünen Regierungsmehrheit aberauch: Man spricht heute schon darüber, dass in fünf Jah-ren ein bestimmter Prozentsatz der Energie durch Off-shoreanlagen in der Nordsee produziert werden kann.Ich weiß aber aus der Praxis, dass wir heute noch nichteinmal wissen, wie wir die Leitungsprobleme dieserdann in der Nordsee oder der Ostsee isoliert stehendenWindparks und Windfarmen lösen. Es reicht nicht aus,dass wir sie bauen; sie können nur dadurch finanziertwerden, dass der Strom über Leitungen in das Netz ein-gespeist wird. Deshalb muss man auch über unser Pla-nungsrecht sprechen, das gerade im sensiblen Bereichdes Wattenmeers sehr strikt ist. Es gibt Planungszeitenvon zehn bis 15 Jahren. Da stellt sich für mich die Frage,was wir tun können, um einen ordnungspolitischen Rah-men zu schaffen, damit wir nicht die Chance verpassen,evnmsPaacbvetiDvJCa1A1ssrNsüDs
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagenuf den Drucksachen 15/3917, 15/3998, 15/3923 und5/4069 an die in der Tagesordnung aufgeführtenusschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache5/4037 soll federführend an den Ausschuss für Wirt-chaft und Arbeit und zur Mitberatung an den Innenaus-chuss, den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-ung und Landwirtschaft, den Ausschuss für Umwelt,aturschutz und Reaktorsicherheit und an den Aus-chuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionberwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? –as ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-chlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung der Richtlinie 2002/87/EG desEuropäischen Parlaments und des Rates vom
– Drucksache 15/3641 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 15/4049 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Hans-Ulrich KrügerOtto Bernhardt
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerDie Redner Dr. Hans-Ulrich Krüger, Otto Bernhardt,Jutta Krüger-Jacob, Carl-Ludwig Thiele und die Par-lamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendrickshaben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Wir kommendeshalb zur Abstimmung über den von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurf eines Finanzkonglomerate-richtlinien-Umsetzungsgesetzes, Drucksache 15/3641.Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-fehlung auf Drucksache 15/4049, den Gesetzentwurf inder Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hausesangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen desganzen Hauses angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung der EG-Richtlinie über dieBewertung und Bekämpfung von Umgebungs-lärm– Drucksachen 15/3782, 15/3921 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 15/4024 –Berichterstattung:Abgeordnete Petra BierwirthFranz ObermeierWinfried HermannMichael KauchDie Redner Petra Bierwirth, Franz Obermeier, EnakFerlemann, Winfried Hermann und Michael Kauch ha-ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Wir kommendeshalb zur Abstimmung über den von der Bundesregie-rung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung derEG-Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung vonUmgebungslärm, Drucksachen 15/3782 und 15/3921.Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 15/4024, den Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.uGWwSJSPmeVasDsdwhrmuGWwg1) Anlage 32) Anlage 4 3)
ung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetz-ntwurf zur Vereinfachung und Vereinheitlichung dererfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehren-mtlicher Richter, Drucksache 15/411. Der Rechtsaus-chuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 15/4016, den Gesetzentwurf in der Aus-chussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, dieem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-altungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-atung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-en.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-urf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen desanzen Hauses angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationa-les Steuerrecht und zur Änderung anderer
– Drucksachen 15/3677, 15/3789, 15/3922 – Anlage 5
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastnera) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-nanzausschusses
– Drucksache 15/4050 –Berichterstattung:Abgeordnete Lydia WestrichGeorg Fahrenschon
– Drucksache 15/4065 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterWalter SchölerAnja HajdukOtto FrickeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Lydia Westrich, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu später Stunde – sonst am Nachmittag oder im Laufedes Abends – beraten wir wieder einmal die Steuerge-setze. Mit dem Richtlinien-Umsetzungsgesetz kommendie Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ihrerVerpflichtung nach, verschiedene vom Rat der Europäi-schen Union verabschiedete Richtlinien und andereRechtsakte bis zum 1. Januar 2005 in nationales Rechtumzusetzen. Weiterhin haben wir nationale Rechtsvor-schriften an die europarechtliche Entwicklung anzupas-sen. Dazu einige Stichworte: Wir setzen die Fortent-wicklung der so genannten Mutter-Tochter-Richtlinie,die Richtlinie betreffend Gas und Elektrizität, das EG-Beitreibungsgesetz, die Richtlinie zur Harmonisierungder Fahrzeugpapiere sowie Teile der 6. EG-Richtlinie,die die Umsatzsteuer betreffen, in nationales Recht um.Ein kleines Bonbon für Kulturschaffende ist dabei: AuchSolisten wird zukünftig der ermäßigte Steuersatz ge-währt. So weit, so gut.Wir reichern – the same procedure as every year – dashoffentlich letzte Steuergesetz des Jahres 2004 mit derRegelung verschiedenster Vorgänge an, deren Rege-lungsbedarf sich in den letzten Monaten ergeben hat, obdurch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes,des Bundesfinanzhofes, durch Entdeckung von unge-wollten Steuerschlupflöchern, Forderungen des Bundes-rates oder durch Wünsche von uns Parlamentariern. FrauWülfing, das ist ein ganz normaler Vorgang, mit dem wiruns normalerweise immer kurz vor Weihnachten herum-plagen. Diesmal sind wir etwas eher dran; denn wir wol-len ja Rechtssicherheit. Das ist das Mindeste, was dieBürgerinnen und Bürger von uns in Ausübung der unsauferlegten Sorgfaltspflicht erwarten können.
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Es sind keine einfachen Vorschriften – unter anderemetreffen sie die Zwischengewinnbesteuerung und dieehrfachabführung aus vororganschaftlicher Zeit –, dieir an dieses Gesetz angehängt haben; das will ich gerneugeben. Aber das Schließen von Steuerschlupflö-hern, in denen sich einige schon gemütlich auf Kostennderer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingerichtetaben, ist immer mit Schmerzen und Protesten verbun-en. Schließlich soll Menschen etwas, an das sie sich ge-öhnt haben bzw. das ihnen lieb geworden ist, wegge-ommen werden, auch wenn es beispielsweise nur fürin Jahr ist. Hier heißt es, standhaft zu bleiben.Wenn Interessenvertreter schreiben, dass für sie fiska-sche Gründe bei der Änderung eines Gesetzes nichtählen, dann ist das aus ihrer Rolle heraus durchaus zuerstehen. Aber dass Sie, meine Damen und Herren voner Opposition – ich richte mich hier besonders an Herrnichelbach –, am gestrigen Mittwoch einen Tanz auf-ühren, weil die Steuereinnahmen zusammenbrechenürden und weil der Haushalt angeblich nicht zu finan-ieren sei, und heute, einen Tag später, Gesetzesänderun-en ablehnen, die Mindereinnahmen in Milliardenhöheerhindern, beweist Ihre mangelnde Regierungsfähig-eit; das ist ganz klar.
as ist ein ganz unmöglicher Vorgang. Wir sind das imarlament leider schon gewöhnt. Aber dadurch wird esicht besser. Mit Ihrer Ablehnung halten Sie Leuten dietange, die nichts anderes im Sinn haben, als Profite aufosten ehrlicher Steuerzahler zu machen.
ieses Verhalten zu belohnen bringt uns nicht nur umteuereinnahmen, sondern schwächt auch die Moral al-r anderen noch willigen Steuerzahler und Steuerzahle-innen. Das ist viel schlimmer.
Verantwortliche Politik kann das nicht mitmachen.ir, Rot-Grün, machen das auf keinen Fall mit. Nur,eil wir als Koalitionsfraktionen so verantwortlich
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Lydia Westrichvorgehen, können wir Menschen helfen, zum Beispielden Gartenbaubetrieben mit ihren großen Flächen un-ter Glas, indem wir die Gültigkeit der Regelungen, dieihnen kleine Vergünstigungen zur Erhaltung ihrer inter-nationalen Wettbewerbsfähigkeit sichern, hiermit umzwei Jahre verlängern, weil das Geld dazu vorhanden ist.Das tun wir mit diesem Gesetz.
– Das ist unser gemeinsamer Antrag. Das ist einer derwenigen Punkte, auf die wir uns einigen konnten. Das istganz klar.
Aber wir hätten es nicht machen können – das wissenSie genau, Herr Fahrenschon –, wenn wir Verlängerun-gen an anderen Stellen nicht abgelehnt hätten. Man kanndas Geld der Steuerzahler nicht einfach so ausgeben.Die ursprünglich geplanten Änderungen zum Steuer-beratungsgesetz haben wir aus zwei Gründen wiederaus dem Paket herausgenommen:Zum Ersten hat sich der zustimmungspflichtige Bun-desrat bereits einstimmig dagegen ausgesprochen. Wirwissen, was das bedeutet.Zum Zweiten wird im nächsten Jahr ein eigenständi-ges Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Berufs-rechts notwendig. So können wir in aller Ruhe – ichhoffe gemeinsam, Herr Müller – die notwendigen Erneu-erungen des Steuerberatungsrechts aus einem Guss ma-chen.
Wir haben uns selbst verpflichtet, dieses Gesetz nochim nächsten Jahr zu einem guten Ende zu bringen. Wennwir dahinter stehen, wird uns das auch gelingen. Da-durch können wir die berufsrechtlichen Regelungen derSteuerberater mit den Regeln für Rechtsanwälte abstim-men und die EU-Richtlinie über die Anerkennung vonBerufsqualifikationen einbeziehen. Dieses Vorgehen istwesentlich erfolgversprechender für die Wünsche allerBeteiligten.
Frau Kollegin, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.
In diesem Gesetzentwurf geht es nicht nur um Klei-
nigkeiten, sondern um drohende massive Einbrüche in
die Steuerbasis von Bund, Ländern und Gemeinden.
Wenn Sie es mit der Verantwortung für unser Land ernst
meinen, dann können Sie zu diesem Gesetzentwurf nicht
Nein sagen.
Vielen Dank.
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Ziel soll eigentlich sein, Hemmnisse im Unterneh-ensteuerrecht zu beseitigen. Der europäische Binnen-arkt soll in Bezug auf das Steuerrecht reibungsloserunktionieren. Das wäre eigentlich eine Chance für dierößte Volkswirtschaft in Europa mit 82 Millionen Men-chen in einem Binnenmarkt mit 450 Millionen Men-chen, die Grundlagen dafür zu legen, dass sich die deut-chen Unternehmer – durch ihr Steuerrecht unterstützt –urchsetzen können. Das wäre eine echte Chance. Dieseat Rot-Grün vertan.
Allein schon die Tatsache, dass Sie die Umsetzungieses Steuerrechts mit Änderungen am Berufsrecht ver-inden, zeigt doch, wer hier taktisch spielt. Wenn Sie mitinem Finger auf uns zeigen, zeigen die restlichen Fin-er der Hand auf Sie, liebe Frau Kollegin Westrich. Ihresetz ist ein Sammelsurium an Korrekturen, Detailre-elungen und Kurzschlussreaktionen.
ichts anderes versteckt sich dahinter. Eine einheitlicheinie ist nicht zu erkennen, es sei denn, dass Sie Kasseachen wollen.Das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz ist ein Omni-us, nur leider nimmt der rot-grüne Omnibus vieleinge mit, die man besser stehen lassen sollte, und an-ere befördert er in eine Richtung, in die sie nicht gehö-en.Stichwort Nr. 1: Sie schließen Steuerschlupflöcher,chießen aber weit über das Ziel hinaus. Durch viel zueit reichende Eingriffe in geltendes Steuerrecht verur-acht die Bundesregierung erhebliche Kollateralschäden.ie räumen beim Steuerrecht nicht auf; sie verschlimm-essern es auf dramatische Weise. Der Investitionsstand-rt Deutschland wird durch eine solche Politik auchoch massiv beschädigt.
Ein Beispiel muss man ganz deutlich herausarbeiten.och in der Debatte zum Investmentmodernisierungsge-etz am 7. November des letzten Jahres lobte die Frau
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Georg FahrenschonStaatssekretärin Barbara Hendricks das Erreichte: Es istuns gelungen, gemeinsam – ich zitiere –die Wettbewerbsfähigkeit des FinanzplatzesDeutschland zu fördern und einen attraktiven Marktauch für ausländische Anbieter von Investmentpro-dukten zu schaffen.Da hatte Frau Hendricks Recht.
Wir haben dieses Gesetz gemeinsam gemacht.Die vor einem Jahr im Zuge des Investmentmoderni-sierungsgesetzes abgeschaffte Zwischengewinnbesteu-erung bedeutet für Fondsgesellschaften und Anlegerwirklich eine erhebliche Vereinfachung. Nur leider solldiese Zwischengewinnbesteuerung nach nicht einmalzwölf Monaten jetzt wieder eingeführt werden.
Die Logik dieser Politik ist niemandem klar. Sie ver-komplizieren das Steuerrecht dort wieder, wo wir geradegemeinsam eine Vereinfachung erreicht haben. Dafürgibt es nur ein Wort: Inkonsequenz.
Sie gehen sogar noch weiter. Durch die Ausweitungder Regelung, nach der pauschal 10 Prozent der Wer-bungskosten als nicht abzugsfähig gelten, machen Sie ei-nem typisch deutschen Anlageinstrument, dem Spezial-fonds, über das Steuerrecht nun endgültig den Garaus.Damit schaden Sie dem Finanzplatz Deutschland. Sieverspielen in diesem zentralen strategischen Bereich jeg-liches Vertrauen in eine zuverlässige, langfristig ange-legte Politik.Stichwort Nr. 2 zu dem Omnibus unter CheffahrerHans Eichel: Die Unternehmensteuern – das müssenwir doch endlich erkennen – können wir nicht mehr al-lein national definieren. Wir müssen uns bei Diskussio-nen über die Reform deutscher Unternehmensteuern aneuropäischen Gesichtspunkten orientieren. Deutschlandals stärkste Volkswirtschaft muss endlich eine aktivereRolle bei der Gestaltung des EU-Rechts spielen. Geradeim steuerlichen Bereich darf sich Deutschland nicht da-rauf beschränken, nur zu reagieren und EuGH-Entschei-dungen abzuwarten. Wir warten darauf, dass die Bun-desregierung endlich gezielte Vorstellungen für dieNeuorientierung des deutschen Unternehmensteuer-rechts einbringt und versucht, die Diskussion entschei-dend mitzubestimmen, anstatt immer nur zu warten. Siebrauchen klare Ziele und Vorstellungen. Dafür fehlt Ih-nen aber finanzpolitisch schon lange die Kraft.
Stattdessen herrscht ein beispielloses Chaos. MancheVorschriften wurden unter Rot-Grün schon zwei- bisdreimal neu geschrieben. So wurden 2001 die RegelnzljeMdvdsElseicDahgsnldgsghnksedmmAwD§nS
Wissen Sie, was das Ergebnis ist? Große, internatio-al tätige Konzerne und insbesondere die Holdings ver-egen ihre Standorte ins Ausland. Die kleinen mittelstän-ischen Unternehmen gucken in die Röhre und machenanz leise, ganz ohne Schlagzeilen dicht. Da dürfen Sieich nicht wundern, wenn wir Arbeitsplätze verlieren.
Ich will hier noch nicht einmal auf die Fragestellun-en bezüglich der Mittelstandsfinanzierung und das ver-eerende Ergebnis Ihrer Änderungen bezüglich dereuen Aufzeichnungspflichten eingehen, weil das zuompliziert ist. Aber ein Punkt ist mir noch wichtig. Wirprechen in Sonntagsreden zwar immer darüber, dass wirin verständlicheres Steuerrecht wollen, haben uns je-och erneut die Chance entgehen lassen, tatsächlich for-al, sprachlich und grammatikalisch bessere Gesetze zuachen. Es ist doch bitter, wenn die Fachleute in dernhörung den Vorwurf erheben, dass der Regierungsent-urf einfach nicht zu verstehen sei.
ie Union hat ja einen Formulierungsvorschlag zu15 a Umsatzsteuergesetz gebracht, den ich gerneoch einmal zitieren möchte:Der ursprüngliche Vorsteuerabzug ist zu berichti-gen, wenn sich die dafür maßgebenden Verhältnissenachträglich geändert haben.ie machen daraus – ich zitiere wiederum –:Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nureinmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendetwird, … die für den ursprünglichen Vorsteuerabzugmaßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalender-jahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berich-tigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder
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Georg FahrenschonHerstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträgevorzunehmen.Meine Damen und Herren, das ist ein Unterschied wieTag und Nacht.
Ich komme deshalb zum Schluss gerne noch einmalauf das Bild des Omnibusses mit dem Cheffahrer HansEichel zurück: Meine Damen und Herren von der Regie-rung und den Koalitionsfraktionen, Ihr Bus ist voll ge-stopft mit Bürokratie. Er fährt ohne Ziel. Er hält an denfalschen Haltestellen und ist immer zu spät. Ihre Steuer-gesetzgebung ist mit einer Geisterfahrt zu vergleichen.Das EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz ist ein Bus mitdem einzigen, rein fiskalischen Ziel, neues Geld in dieleeren Kassen des Bundesfinanzministers zu spülen. Dafahren wir einfach nicht mit.
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Fahrenschon, als ich Ihre Rede hörte,konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass wir amMittwoch in der gleichen Veranstaltung waren. Bis zumMittwoch haben wir ja in diversen Runden zusammen-gesessen und versucht, dieses Gesetz gemeinsam auf denWeg zu bringen. Es war nicht so, dass Sie sich von An-fang an hingestellt und gesagt haben, das Gesetz sei inden und den Punkten falsch,
sondern es war durchaus so, dass wir zusammen ver-sucht haben, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen,
und Sie erst ganz spät, nämlich kurz vor dem Ziel – ichbehaupte, entgegen Ihrem Rat, sondern nur aufgrund ei-nes taktischen Rates –, den Sinneswandel vollzogen ha-ben, diesem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Eswar also nicht so, dass Sie generell alles abgelehnt ha-ben.
– Sie wissen ganz genau, dass wir uns in einer fiskalischschwierigen Situation befinden.Sie sagen an dieser Stelle immer, wir hätten ein steu-erliches Problem im Vergleich zu den osteuropäischenLhwkGwsnasgDhsrbmsbWdwameaUwHfDsswrf2Gdbdm
ir haben ein Problem damit, dass sich aus der Möglich-eit der Verlustverrechnungen ein riesiges Potenzial zurestaltung der Steuerschuld ergibt. Immer dann, wennir Möglichkeiten nutzen, Steuerschlupflöcher zuchließen und Elemente, die dazu beitragen, dass derje-ige, der Gewinne macht, auch Steuern zahlt, einführen,lso für eine gewisse Geradlinigkeit sorgen, stellen Sieich hin und sagen, es handele sich um Steuererhöhun-en.
as ist falsch. Es geht hier nicht um eine Steuererhö-ung, sondern hier werden Steuerschlupflöcher ge-chlossen und steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten ver-ingert, natürlich auch mit dem Ziel, Fiskalpolitik zuetreiben, also Einnahmen zu erzielen.
Es ist natürlich richtig, dass es künftig nicht mehröglich ist, dadurch, dass man eine Personengesell-chaft zwischen Kapitalgesellschaften schaltet, Gewer-esteuern zu sparen. Das wird im Übrigen auch aufunsch der Länder jetzt so gemacht. Diese erhalten jaie entsprechenden Nachrichten aus den Kommunen undissen von daher, wie die großen Unternehmen vor Ortgieren. Die Kommunen werden es uns danken, dass wirit dem von uns gewählten Weg diese Möglichkeiteninschränken.Ein weiteres Beispiel ist die Vermeidung von Steuer-usfällen in zweistelliger Milliardenhöhe. Wenn dasrteil des EuGH gegen uns genauso ausfallen würdeie das kürzlich gegen Finnland ergangene, würde unseraushalt in einer Größenordnung belastet, die wir unsiskalpolitisch nicht leisten können.
ass einmal vom EuGH erklärt werden würde, dass einolches Anrechnungsverfahren gegen EU-Recht ver-tößt, ist schon seit langer Zeit absehbar. Deshalb habenir im Rahmen der großen Steuerreform 2000 das An-echnungsverfahren abgeschafft. Es ist richtig, dass jetztür eine Folgewirkung gesorgt wird, damit nicht dieMilliarden Euro fehlen.
Aber auch wenn die Union heute im Bundestag denesetzentwurf ablehnt: Es gibt eine Vereinbarung miten Ländern. Frau Westrich hat das ausgeführt. Wir ha-en beim Thema Steuerberaterrecht das Signal vonen Ländern erhalten, dass wir dieses Gesetz ohne Ver-ittlungsverfahren durchbekommen werden.
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Kerstin Andreae
Ich bin mir sehr sicher, dass die Union ihre Strategie,im Bundestag abzulehnen und im Bundesrat über dieLänder zuzustimmen, nicht lange wird fahren können.Mir persönlich kann das ja egal sein; aber ich halte dasfür eine Strategie, die langfristig nicht aufgehen wird.Sie werden den Gesetzentwurf heute hier ablehnen undin ein paar Wochen werden die unionsgeführten Länderim Bundesrat zustimmen.
Dann werden wir dieses Gesetz auf den Weg bringen.Aber wir zahlen dafür natürlich einen hohen Preis,auch aus grüner Sicht. Wir sind beim Steuerberaterrechteinen großen Schritt gegangen. Ich finde es richtig, dassuns im ersten Halbjahr 2005 eine Bund/Länder-Arbeits-gruppe Ergebnisse vorlegen wird, die uns aufzeigen wer-den, wie wir im Bereich Beratungsrecht weiter vorgehensollen.
Trotzdem hätten wir schon jetzt in ein paar Punkten ganzentscheidende Schritte gehen können. Ich finde esschade, dass wir, wenn es um berufsständische Rechtegeht, immer wieder zurückzucken. Das war beim Hand-werksrecht so und das ist auch jetzt bei den Steuerbera-tern so. Ich kann nur hoffen, dass wir irgendwann einmalden Mut finden, Entscheidungen zu treffen,
die wirklich im Sinne der betroffenen Personen und derUnternehmer sind.
Wir haben wenigstens bei der Ausweitung der Bera-tungsbefugnisse der Lohnsteuerhilfevereine erreicht,dass die Lebenswirklichkeit der Menschen Berücksichti-gung findet.
Manche Menschen haben heutzutage Haushaltshilfenangestellt, manche sind ehrenamtlich tätig. In diesen Fäl-len hatten die Lohnsteuerhilfevereine bisher nicht dieMöglichkeit, beratend tätig zu werden. Der notwendigenÄnderung haben Sie wunderbar zugestimmt; dafür binich auch dankbar. Aber wir sind froh, dass es weiterhinBewegung gibt, was die Beratungsbefugnisse der Lohn-steuerhilfevereine angeht.Noch einen Satz zur FDP. Sie agieren hier aus meinerSicht als Fundamentalopposition. Sie haben am Mitt-woch im Finanzausschuss den Antrag gestellt, das ganzeGesetz fallen zu lassen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Wissing.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir als FDP können dem Gesetzentwurf für ein Richtli-ien-Umsetzungsgesetz wahrhaftig nicht zustimmen.
ir haben erhebliche Zweifel, dass die Hektik, die Sie,eine Damen und Herren von Rot-Grün, in das Gesetz-ebungsverfahren gebracht haben, der Komplexität deshemas auch nur ansatzweise gerecht wird. Es stimmtchon bedenklich, wenn wir heute etwas beschließenollen, was mit dem Gesetzentwurf, der in der Anhörungeraten wurde, nicht mehr viel zu tun hat. Eine Anhö-ung, meine Damen und Herren von der Regierungskoa-ition, in der nicht das beraten wird, was später Gegen-tand des Gesetzes sein soll, ist nicht sinnvoll. Eineolche Anhörung ist eine Farce.
Ihre rot-grüne Kreativität entfaltet sich offenbar im-er erst kurz vor Toresschluss. Die Folge dieses Aktio-ismus sind unzureichende Gesetzentwürfe, deren Kon-equenzen die Menschen in diesem Land tragen müssen.as machen wir nicht mit.Ich habe den Verdacht, dass das EU-Richtlinien-msetzungsgesetz hier vor allem als Schubladenleereres Bundesministeriums der Finanzen dienen soll.llein die Bezeichnung „EU-Richtlinien-Umsetzungs-esetz“ ist eine Mogelpackung. Mit diesem Gesetz wer-en nicht vorrangig EU-Richtlinien umgesetzt, sonderns geht Ihnen überwiegend um nationale Vorhaben undiese haben es durchaus in sich.
m Grunde genommen legen Sie uns hier ein Jahressteu-rgesetz zur Abstimmung vor, das unter dem Deckmän-elchen EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz verkauft wer-en soll.
Denken Sie doch nur einmal an die Neuregelung zuororganschaftlichen Verlusten bei der Körper-chaftsteuer. Ich wage zu bezweifeln, dass Sie sich gutberlegt haben, was Sie da vorhaben.Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sind auf Re-ordhöhe; die Zahl der Insolvenzen steigt unter Ihrer Re-ierung ständig an. Aber Ihnen fällt nichts Besseres ein,
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Dr. Volker Wissingals die Übernahme von krisenbehafteten Unternehmenzu erschweren. Nichts anderes ist es nämlich, wenn Siees den Unternehmen nicht mehr gestatten, die Verlustedes Übernahmekandidaten geltend zu machen.
Diese Regelung ist nun wirklich nicht sinnvoll, nichteinmal für den Fiskus. Denn das größte Risiko für dieStaatsfinanzen ist die Massenarbeitslosigkeit. Wenn Un-ternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten,besteht oftmals die einzige Möglichkeit zur Rettung vonArbeitsplätzen in einer Übernahme. Genau diese er-schweren Sie mit diesem Gesetz.Die Bereitschaft wirtschaftlich gesunder Unterneh-men, sich auf das riskante Unterfangen einer Übernahmeeines Insolvenzkandidaten einzulassen, sinkt ganz er-heblich, wenn die Verlustvorträge nicht übernommenwerden können. Das wissen Sie ganz genau. Ich habe dieBefürchtung, dass Ihre Regelung ein echtes Problemwerden wird.Das ist nur ein Kritikpunkt von vielen. Auch die vonIhnen betriebenen Änderungen zur Bemessungsgrund-lage für den Eigenverbrauch bei der Umsatzsteuer oderzur erweiterten Kürzung nach § 9 Gewerbesteuergesetzlehnen wir ab. Über die Wiedereinführung der Zwi-schengewinnbesteuerung haben wir von Herrn Kolle-gen Fahrenschon deutliche Kritik gehört, die ich vollund ganz teile.Die Wiedereinführung der Zwischengewinnbesteue-rung ist ein Rückschlag für die dringend erforderlicheNeuordnung der Besteuerung privater Kapitalanlagen.Sie hätten, wie damals bei der Abschaffung der Zwi-schengewinnbesteuerung angekündigt, besser einen Ge-setzentwurf zur Einführung einer Zinsabgeltungsteuereinbringen sollen.
Die Wiedereinführung der Zwischengewinnbesteue-rung ein Jahr nach ihrer Abschaffung ist kein Fortschritt.Es ist kein modernes und kein zeitgemäßes Gesetz. Eslässt nur erkennen, wie unzuverlässig die Finanzpolitikder rot-grünen Bundesregierung ist. Wir können einemsolchen Gesetz wahrhaftig nicht zustimmen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gabi Frechen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Schwerpunkt des vorliegenden Gesetzent-wurfs bildet, wie auch der Name schon sagt, die Umset-zung von EU-Richtlinien in nationales Recht. Gleichzei-tig wird mit dem Gesetz auf Entscheidungen desEuropäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofsreagiert. Hier zeigen sich auch gleich die unterschiedli-chen Auffassungen der Fraktionen.Während wir von der Koalition überprüfen, inwieweitdiese Entscheidungen der Intention des Gesetzes entge-gOEgDesac–lmwzdwhRBdnasnzhaIShG
abei ist es geradezu die Pflicht von uns Parlamentari-rn, Steuervermeidungs- und Steuerumgehungstatbe-tände zu beseitigen, damit nicht findige Rosinenpickeruf Kosten der Allgemeinheit Steuersparmodelle entwi-keln, von denen nur wenige Auserwählte profitieren.
Frau Wülfing, wenn Sie etwas zu sagen haben, dannassen Sie sich doch von Ihrer Fraktion Redezeit einräu-en. Jetzt spreche ich.Eine BFH-Entscheidung, die hier schon angesprochenorden ist, betrifft die Vorauszahlungen auf Erbbau-insen. Das Gesetz schließt hier ein Steuerschlupfloch,as die Entscheidung des BFH offen gelegt hat. Der Ein-and der unechten Rückwirkung zieht meines Erachtensier ebenfalls nicht. Denn Vertrauensschutz auf einückwirkungsverbot kann nur dann bestehen, wenn dieetroffenen das Risiko nicht kennen. Das ist hier ein-eutig nicht der Fall.Das Urteil wurde nie veröffentlicht. Allen Betroffe-en war damit klar, dass der Gesetzgeber eine Änderungnstrebt. Die beteiligten Anbieter und Anleger wissenehr wohl, auf was sie sich einlassen, wie das Fazit zu ei-em Kurzbeitrag in der Zeitschrift „Die Steuerberatung“eigt:In allen Fällen sind Mandanten auf die drohendeGefahr der Nichtanerkennung der steuerlichen Ge-staltung hinzuweisen.Wie wichtig diese gesetzliche Regelung ist, die wireute hier verabschieden, möchte ich mit einem Auszugus der „Medical Tribune“ bestätigen:Galt der geschlossene deutsche Immobilienfondsfrüher als das Steuersparmodell schlechthin unterÄrzten, bringt er mittlerweile nur noch 20 ProzentVerlustzuweisungen. Seit Juni scheinen jedoch wie-der paradiesische Zustände für Steuerfüchse zuherrschen: Die ersten hiesigen Immobilienfonds mit70-prozentigen Verlusten sind auf dem Markt. IhrKonzept – das so genannte Erbbaurechtsmodell –ist ebenso clever wie umstritten.ch denke, das sagt alles.
Dass die Opposition ein großes Herz für kreativeteuergestaltung zum Zwecke der Steuervermeidungat, zeigt auch ihr Verhalten bei den Regelungen, die dieewerbesteuer betreffen. Im vorliegenden Gesetzent-
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Gabriele Frechenwurf sind Regelungen für die Anwendung des Halbein-künfteverfahrens bei der Gewerbesteuer von Personen-gesellschaften vorgesehen. Hiermit wird vermieden,dass durch ein bloßes, willkürliches Wechseln der Unter-nehmensform Verluste immer genau dort geltend ge-macht werden, wo sie steuerwirksam sind, also von derganzen Gemeinschaft getragen werden, und dass Ge-winne selbstverständlich nur dort realisiert werden, wosie steuerunwirksam bleiben.Ebenfalls der Vermeidung von allzu kreativer Steuer-gestaltung dient die Vorschrift über die Behaltefrist beider Übertragung von Grundstücken. Es kann nicht sein,dass Grundstücke einzig und allein zum Zwecke derSteuergestaltung für einen kurzen Zeitraum in einegrundstücksverwaltende Personengesellschaft eingelegtwerden, weil sie von dort steuerfrei veräußert werdenkönnen. Der Steueroptimierung durch eine steuerplaneri-sche Gestaltung auf dem Rücken der Kommunen musshier ganz entschieden entgegengewirkt werden.
Beiden Regelungen, die verhindern, dass den Kom-munen dringend benötigte Gewerbesteuereinnahmenentzogen werden, versagt die Opposition
durch ihre Ablehnung die Unterstützung. Damit, liebeKolleginnen und Kollegen von der Opposition, machenSie einmal mehr deutlich, dass bei Ihnen die Kommunennur in Sonntagsreden vorkommen – und auch da in ers-ter Linie zu Wahlkampfzwecken.
Die FDP findet hier keine Beachtung,
da sie bereits seit langem zum Wohle ihrer Wählerklien-tel die völlige Abschaffung der Gewerbesteuer und so-mit das Ende der kommunalen Selbstverwaltung undSelbstverantwortung fordert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Thiele?
Wenn meine Redezeit dadurch verlängert wird, gerne.
Die wird nur um die Zeit verlängert, die Sie benöti-
gen, um zu antworten. Dann ist sowieso Schluss.
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Herr Thiele, der ersten Hälfte Ihrer Frage hätte ichielleicht noch zustimmen können. Bei der zweitenälfte fällt es mir natürlich sehr schwer. Denn Sie wis-en genauso gut wie ich, dass die Kommunen damit ebenicht einverstanden sind
nd dass sie im letzten Sommer Sturm für die rot-grüneemeindefinanzreform gelaufen sind. Das, was Sie vor-aben, ist das Ende der Selbstverwaltung.
amit ist keine Kommune einverstanden.
Die vororganschaftliche Anrechnung oder Nichtan-echnung von Mehrabführungen ist nicht neu. Das habenicht wir erfunden; darauf weisen BMF-Schreiben ausen Jahren 1996 und 1997 hin. Hier korrigieren wir alsoandwerkliche Fehler
er schwarz-gelben Vorgängerregierung. Im vorliegen-en Gesetzentwurf wird nur klargestellt, was es mit dererrechnung von vororganschaftlichen Minder- oderehrabführungen auf sich hat.
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Gabriele FrechenDie Zwischengewinnbesteuerung kann ich nicht mehransprechen. – Ich traue mich gar nicht, die Frau Präsi-dentin anzuschauen.
Genau!
Trotz aller Differenzen und trotz Ihres Wortbeitrages,
Herr Fahrenschon, möchte ich mich für die gute Atmo-
sphäre und die sachliche Gestaltung der Beratung dieses
Gesetzentwurfes bedanken. Wir waren ganz nah dran,
aber leider nur ganz nah.
Schließen möchte ich mit einem Zitat von Marie von
Ebner-Eschenbach:
Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines
Irrtums von gestern sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der anschließen-
den Abstimmung haben Sie die Gelegenheit, dieser
Weisheit Rechnung zu tragen.
Ich sage es ja immer: Spät abends und am Freitag-
nachmittag kommt der ganze Literaturschatz zutage.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Stefan Müller.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Streng genommen bin ich in der Situation, zu dem Teildes Gesetzes zu sprechen, den es gar nicht mehr gibt. Ichkann es Ihnen gleichwohl nicht ersparen, meiner Redezuzuhören, bedanke mich an dieser Stelle aber ganzherzlich bei den Regierungsfraktionen, dass sie unserenAnregungen im Teil Berufsrecht gefolgt sind. Wir ha-ben zumindest im Hinblick auf diesen Bereich die Hoff-nung, das eine oder andere gemeinsam machen zu kön-nen. Dass wir dem Gesetz heute nicht zustimmen, hatnicht damit zu tun, dass wir in den Ausschussberatungenüber das Berufsrecht diskutiert haben, sondern hängtschlicht und ergreifend an den steuerrechtlichen Bestim-mungen, die wir, wie bereits deutlich wurde, nicht unter-stützen können.Im Finanzausschuss haben wir gestern gemeinsambeschlossen, den berufsrechtlichen Teil, also die vorge-schlagenen Änderungen des Steuerberatungsgesetzes,aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf herauszunehmenund stattdessen im kommenden Jahr eine umfassendeReform des Berufsrechts für den Steuerberater in An-griff zu nehmen. Wir hoffen, dass im nächsten Jahr auchErgebnisse aus der Bund/Länder-Arbeitsgruppe vorlie-gen.frnwksrmawertwgBkrbbsddEwdBlwdAsgvdgbstggdaeBd
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und
zur Änderung anderer Vorschriften. Der Finanzaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der
Drucksache 15/4050, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der gesamten Opposition angenom-
men.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn
Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Lesung angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 f auf:
– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Joachim Stünker, Hermann
Bachmaier, Sabine Bätzing, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion der SPD sowie den Ab-
geordneten Jerzy Montag, Irmingard Schewe-
Gerigk, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck
, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung
– Drucksache 15/3706 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung
– Drucksache 15/3966 –
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em können wir jetzt alle gemeinsam abhelfen.
Wir setzen nämlich einen Auftrag des Bundesver-assungsgerichts um: Verletzt ein Richter den Anspruchines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör, soeicht es nicht, den Betroffenen auf eine Verfassungsbe-chwerde zu verweisen. Dem Verstoß muss im fachge-ichtlichen Verfahren abgeholfen werden.Der Entwurf sieht vor, dass die Überprüfung von Ver-tößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor-angig im vorhandenen Rechtsmittelzug stattfindet.enn es gegen eine Entscheidung keinen Rechtsbehelfibt oder der Rechtsmittelzug erschöpft ist, so kann sicher Betroffene künftig mit der Anhörungsrüge wehren.Die nunmehr für alle Verfahrensordnungen vorgese-ene Anhörungsrüge orientiert sich am Vorbild des bis-erigen § 321 a Zivilprozessordnung, der allerdingseinerseits erweitert werden musste. Das Bundesverfas-ungsgericht selbst hat dem Gesetzgeber diese Regelungusdrücklich als mögliches Modell bei Anhörungsver-tößen genannt.Die Anhörungsrüge ist unter anderem wie folgt aus-estaltet: Es handelt sich um einen außerordentlichenechtsbehelf. Die Erhebung der Rüge verhindert nicht,ass die angefochtene Entscheidung rechtskräftig wird.ie Rüge ist bei dem Gericht zu erheben, das die gerügtentscheidung erlassen hat. Ist sie erfolgreich, so wirdas Verfahren in der Lage fortgesetzt, in der es sich vor
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Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbachder Entscheidung befunden hat. Die Entscheidung überdie Anhörungsrüge ist ihrerseits nicht anfechtbar.Wir haben die Anhörungsrüge ausdrücklich in dieverschiedenen Verfahrensordnungen aufgenommen. Da-mit wird der Forderung des Bundesverfassungsgerichtsnach Rechtsmittelklarheit Rechnung getragen. Darauserklärt sich der Umfang des hier vorliegenden Entwurfs.Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein ganzwichtiges Grundrecht.
Erst die Gewährung ausreichenden rechtlichen Gehörsermöglicht eine faire und richtige Entscheidung. Wo esdarum geht, nachträglich Abhilfe wegen eines Verstoßesgegen dieses Grundrecht zu schaffen, müssen aber auchdas Interesse des Prozessgegners an einer abschließen-den Entscheidung in angemessener Zeit, das in demebenfalls mit Verfassungsrang versehenen Grundsatz derRechtssicherheit seinen Ausdruck findet, und auch dasGemeininteresse an einer funktionierenden Justiz be-rücksichtigt werden.Der Entwurf nutzt den Spielraum, den uns das Bun-desverfassungsgericht eingeräumt hat, und kommt so zueiner ausgewogenen Regelung. Nennen möchte ich denEintritt der Rechtskraft trotz Rügemöglichkeit, die Ver-fahrens- und Formvorschriften und die Unanfechtbarkeitder Entscheidung über die Rüge. Ergebnis einer sorgfäl-tigen Abwägung ist es auch, dass der Entwurf die Fristzur Erhebung der Rüge an die Kenntnis vom Anhörungs-verstoß knüpft und sie nicht mit der Zustellung oder Be-kanntgabe der Entscheidung beginnen lässt; denn in vie-len Fällen erfolgt überhaupt keine Zustellung. DieseLösung entspricht dem rechtskraftdurchbrechenden Cha-rakter des Rechtsbehelfs, ermöglicht dem wirklich Be-troffenen die rechtzeitige Einlegung des Rechtsbehelfsund verhindert im Übrigen, dass die Gerichte mit ledig-lich zur Fristwahrung erhobenen Rügen oder mit queru-latorischen Rügen überzogen werden.Wie sich die Einführung einer Anhörungsrüge auf dieArbeitsbelastung der Gerichte, vor allem der Instanz-gerichte, auswirken wird, lässt sich kaum prognostizie-ren. Wir wissen aber, dass § 321 a ZPO nicht zu einernennenswerten Mehrbelastung geführt hat; allerdings hatder nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung er-forderliche Rechtsbehelf einen deutlich größeren An-wendungsbereich.Lassen Sie uns heute dem Bundesverfassungsgerichttreu dienen und diesen Entwurf rechtzeitig zum1. Januar 2005 umsetzen. Ich bitte um Ihre Zustim-mung – ich glaube, ich bekomme sie auch.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Gehb,
CDU/CSU-Fraktion.
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ann kann ich zwar nicht mit von Ebner-Eschenbachufwarten; ich sage es aber einmal so: Quod licet jovi,on licet bovi. Für die Absolventen der Gesamtschule:as dem Herren erlaubt ist, das ist dem Ochsen nochange nicht erlaubt. Meine Damen und Herren, unter die-em Gesichtspunkt könnte man die Entscheidung desundesverfassungsgerichts verstehen, mit der wir aufge-ordert werden, das Anhörungsrügengesetz heute zu ver-bschieden; denn schon im 49. Band auf Seite 148 ff.wer es genau nachlesen will: ab Seite 165 – hat dasundesverfassungsgericht den Fachgerichten instammbuch geschrieben, dass Rechtsmittelzulassungs-estimmungen nicht zur Selbstregulierung vonrbeitsbelastung dienen dürfen. Nun ist ja signifikantdas gebe ich auch gerne zu –, dass das Bundesverfas-ungsgericht geradezu überhäuft wird mit Anhörungs-ügen. Es ist daher verständlich, dass sich das Bundes-erfassungsgericht auf dieser Baustelle gerne selbstntlasten möchte.Ich möchte aber einige Takte dazu sagen, warum dasuf der anderen Seite zu einer Mehrbelastung führt. Esst doch ganz klar: Die Schaffung und die Öffnung vonechtswegen und Rechtsmitteln führt automatisch zu ei-er Mehrbelastung der Gerichte. Die Tatsache, dass wireit langem bestrebt sind, die Verfahrensarten zu mini-ieren und die Verfahrensdauer zu straffen, dass wir so-ar überlegen, ob wir ganze Fachgerichtsbarkeiten zu-ammenlegen, um auch Personalressourcen zu sparen,nd dass jede Bestrebung des Gesetzgebers darauf hin-irkt, auch personalfinanziell und justizfiskalisch zuparen, wird doch mit der Schaffung eines eigenständi-en Rechtsbehelfs geradezu konterkariert.Man sollte sich über eines nicht täuschen: Die Ab-icht des Bundesverfassungsgerichts, sich selbst zu ent-asten, ist ein Schuss, der auch nach hinten losgehenann. Denn wer einmal gesehen hat, was für Beschwer-eführer das Bundesverfassungsgericht mit der Rüge an-ufen, in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletztu sein, der weiß ganz genau, dass man nicht davon aus-ehen kann, dass diese Beschwerdeführer keinerlei Nei-ung verspüren werden, auch noch das Bundesverfas-ungsgericht anzurufen, bloß weil sie mit dernhörungsrüge bei den Fachgerichten scheitern.
Meine Damen und Herren, welcher Anlass besteht ei-entlich zu dieser Änderung? Mehr als ein halbes Jahr-undert lang hat es das Bundesverfassungsgericht aus-rücklich für verfassungsgemäß gehalten, wenn nichtie Fachgerichte mit einer Anhörungsrüge angerufenerden können, sondern das Bundesverfassungsgerichtarüber entscheidet.
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Dr. Jürgen GehbZu diesem Zweck ist die so genannte Urteilsverfassungs-beschwerde ausdrücklich eingerichtet worden, nämlichfür die Fälle, in denen nicht ein Akt öffentlicher Gewaltgerügt wird, sondern in denen es um fehlerhafte Anwen-dung des Rechts durch die Gerichte geht.Meine Damen und Herren, wenn man sieht, dass wirdas Personalbudget nicht weiter ausdehnen können– die Landesjustizhaushalte sind, ähnlich wie der Bun-desjustizhaushalt, förmlich ausgelutscht –, dann gibt esnur zwei Möglichkeiten: Entweder lässt die Qualität derEntscheidung nach oder die Dauer der Verfahren wirdimmer länger.Weil eben, als es um den Anspruch auf rechtlichesGehör ging, so sehr geklatscht worden ist, sage ich Ih-nen: Den Anspruch auf rechtliches Gehör will niemandin Abrede stellen.
Mit dem vermeintlichen Mehr an Rechtsschutz unterdem Blickwinkel des Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz istgleichzeitig möglicherweise eine Einschränkung des ef-fektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4Grundgesetz für diejenigen verbunden, die darauf war-ten, ihre Urteile vollstrecken zu können. Das ist dochganz klar.Ich muss Sie, Herr Staatssekretär, und die gesamteMinisterialbürokratie dafür loben, wie toll Sie das umge-setzt haben.
Das meine ich nicht ironisch. Es ist nämlich eine Sisy-phusarbeit, die ZPO, die VwGO, die StPO und sämtlicheVerfahrensordnungen durchzugehen und zu ändern. Ei-nen Wermutstropfen muss ich trotzdem vergießen: WennSie schon so minutiös und expressis verbis die Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, lesenSie einmal den letzten Satz. Da steht, dass die Antrags-frist mit der Zustellung der Entscheidung und nicht etwamit ihrer Kenntnisnahme zu laufen beginnt. Das führtsonst dazu, dass man ein Jahr lang das Damoklesschwerteiner durchbrochenen Rechtskraft über sich spürt.
Derjenige, der gerne vollstrecken würde, muss solangewarten. Auch das muss man sehen. Es geht doch auchdarum, dass ein Verfahrensbeteiligter endlich den An-spruch auf Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hat.Übrigens haben diese Gebote Verfassungsrang. Odertäusche ich mich da? Ich glaube, Sie haben das ebenselbst gesagt. Die Durchbrechung von Rechtskraft undmöglicherweise ein Missbrauch durch querulatorischveranlagte Beschwerdeführer, die es bei diesen Verfah-rensarten durchaus geben soll,
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as Bundesverfassungsgericht schreibt auch uns gele-entlich ins Stammbuch, dass die eine oder andere ge-etzliche Vorschrift nicht mit dem Grundgesetz verein-ar ist.
em stimmen wir dann auch zu. Aber diese Zustim-ung darf nicht dazu verleiten, dass wir klaglos alle Ent-cheidungen durchwinken; denn wir sind der Gesetzge-er.
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Dr. Jürgen Gehb
Ob irgendwann einmal jemand darauf hinweist, dass derGesetzgeber mit der geballten Faust in der Tasche aufeine Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts re-agiert hat, das spielt überhaupt keine Rolle mehr. Wirsind der Gesetzgeber und sollen das auch bleiben.
Es hat mich ein bisschen gewundert, Herr Staatsse-kretär, dass Sie eben gesagt haben, Ihr Geschäftsführerbeklage, dass es nach 22 Uhr wird; es wird vor 22 Uhr.Als Fazit will ich sagen: Ich denke, dass die Streitkul-tur in unserem Hause durch eine solche Debatte – selbstüber ein Gesetz, das an so versteckter Stelle daher-kommt – durchaus keinen Schaden nimmt, wenn wirdarüber debattieren, ob und aus welchen Beweggründenwir als Gesetzgeber einer Aufforderung des Bundesver-fassungsgerichts Folge leisten. Das bitte ich auch dieje-nigen zu akzeptieren, die vielleicht von der politischenKonkurrenz sind;
denn heute Abend gilt nicht die Schlachtordnung „Oppo-sition gegen Regierung“.Ich habe gerne eingeräumt, dass Sie die Änderungengeradezu puristisch und sauber umgesetzt haben, aller-dings mit dem kleinen Wermutstropfen, dass Sie statt aufZustellung und Bekanntgabe auf die Kenntnisnahme ab-stellen. Ansonsten aber gibt es gar nichts zu erinnern. Ichfinde, das ist eine ordentliche Debatte. Ich bin gespannt,was die anderen Redner noch sagen werden.Weil Sie, Frau Präsidentin, und auch die anderen sogerne Zitate hören, vielleicht noch dieses – auch für dieOberrealschülerinnen –: Quidquid agis, prudenter agaset respice finem!Vielen Dank.
Das haben wir natürlich alle im Auge.Das Wort hat jetzt der Abgeordnete ChristianStröbele.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Dafür haben Sie uns nun heute hierbehalten und un-sere Reden nicht zu Protokoll geben lassen:
um zwölf Minuten zu nutzen – oder zu missbrauchen –,ulzGgdddwtcsSsenBmksdDRtFSomshkhdnrtsdskkkkwR
umal Sie zum Abschluss gesagt haben, dass Sie diesemesetz zustimmen. Sie haben also überhaupt nichts ge-en das Gesetz, über das wir hier reden, sondern Sie fin-en es gut und richtig gemacht.
Ich kann Ihnen dazu nur Folgendes sagen: Seien Sieoch dem Bundesverfassungsgericht dankbar! Ich binem Bundesverfassungsgericht immer wieder dankbar,enn wir alle paar Wochen, alle paar Monate den Auf-rag bekommen, die Bundesrepublik noch rechtsstaatli-her zu gestalten. Die Entscheidung des Bundesverfas-ungsgerichts, die Sie zitiert haben, ist ein wichtigerchritt auf dem Weg dorthin; denn das Bundesverfas-ungsgericht hat uns ja nichts anderes aufgegeben, alsine gesetzliche Regelung in möglichst alle Prozessord-ungen aufzunehmen, nach der die Bürgerinnen undürger immer dann, wenn das rechtliche Gehör – im-erhin ein Verfassungsrecht – verletzt ist, die Möglich-eit haben, das geltend zu machen,
ich darauf zu berufen und nicht warten zu müssen, bisas Bundesverfassungsgericht darüber entscheidet.iese Möglichkeit gibt es dann nicht, wenn keineechtsmittel gegeben sind. Wir alle, die als Anwälte tä-ig gewesen sind, kennen doch eine ganze Reihe vonällen, in denen Bürgerinnen und Bürger – seien estrafgefangene, seien es Beschuldigte im Strafverfahrender im Zivilverfahren – als Mandanten zu uns gekom-en sind und gesagt haben: Hier bin ich mit einer Ent-cheidung völlig überrascht worden. Ich hatte ja über-aupt nicht die Möglichkeit, mich dazu zu äußern. – Dasann bis zu strafrechtlichen Verurteilungen und Frei-eitsstrafen gehen, bei denen sich der Rechtsanwalt oderer Strafverteidiger verzweifelt fragt: Was kann ich daoch machen?
Der Kollege Hartenbach hat als Richter, der den Be-uf jetzt nicht ausübt, im Ausschuss gesagt: Auch Rich-er wären manchmal dankbar – auch sie sind nur Men-chen –, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben würde, aufie Rüge hin, dass ein Gericht es unterlassen oder über-ehen hat, einem Beschuldigten rechtzeitig die Möglich-eit rechtlichen Gehörs zu geben, das Verfahren zu ver-ürzen und möglicherweise eine Entscheidung zuorrigieren, sodass das Verfahren fortgeführt werdenann und dem Beschuldigten zu seinem Recht verholfenerden kann. Heute ist diese Möglichkeit für einenichter, der sein Urteil einmal gefällt hat und das
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Hans-Christian Ströbeledadurch rechtskräftig geworden ist, nicht gegeben. Da-gegen kommt er selber nicht mehr an.
Dieses Gesetz eröffnet jetzt diese Möglichkeit. Es sollnur für die Fälle gelten, in denen die jeweiligen Prozess-ordnungen keine Rechtsbehelfe vorsehen. Es trifft im-mer in den Fällen zu, in denen der Bürger oder die Bür-gerin darauf angewiesen ist, das Fehlen des rechtlichenGehörs auf diese Weise geltend zu machen.Dass das Bundesverfassungsgericht dadurch entlastetwird, ist ja richtig. Wir alle wollen, dass die Entschei-dungen des Bundesverfassungsgerichts nicht erst nachJahren oder manchmal sogar erst nach einem Jahrzehntoder noch länger gefällt werden können. Das heißt, es istrichtig und gut, dass das Bundesverfassungsgericht uns,dem Gesetzgeber, aufgegeben hat, hier eine Regelung zuschaffen, die den Bürgern möglichst schnell zu ihremAnspruch auf rechtliches Gehör verhilft.Um das auch einmal auf Latein auszudrücken: Wiralle sollten „mea culpa“ sagen, dass wir das nicht schonlange gesehen haben, dass wir nie darangegangen sind,das zu regeln, und dass es erst dieser Entscheidung desBundesverfassungsgerichts bedurfte, um dem Gesetzge-ber auf die Sprünge zu helfen.
Wir begrüßen dieses Gesetz und sind dankbar für dieArbeit, die im Justizministerium geleistet worden ist.Wir denken, wir haben hier ein gutes Gesetz, durch dasvielen Bürgerinnen und Bürgern zu ihrem Recht verhol-fen wird. Das ist gut so. Deshalb sind wir alle für diesesGesetz.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Funke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrStröbele, ich trete Ihren Ausführungen voll bei und kannSie nur sehr unterstützen; denn vor Gericht hat jeder-mann Anspruch auf rechtliches Gehör.
Dieses Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Grundgesetzist eines der tragenden Elemente unseres Rechtsstaats-prinzips.
In einem gerichtlichen Verfahren ist jedermann dieGelegenheit zu geben, sich vor Erlass einer abschließen-den Gerichtsentscheidung zu äußern. Auf der GrundlagedsdRgDdwEhnDs–RSAmw–aDmwnersgLikgww
Es passiert aber natürlich immer mal wieder. Auchichter und im Übrigen auch Anwälte, Herr Kollegetröbele, sind Menschen.
uch ein Anwalt kann bei einem Prozess vielleicht ein-al mit darauf achten, ob rechtliches Gehör gewährtorden ist oder nicht.
Das ist richtig: Manchmal sind auch keine dabei. – Wirlle sind Menschen und machen deswegen auch Fehler.as gilt im Übrigen auch für Bundestagsabgeordnete.
Die Bundesregierung hat diesen Auftrag angenom-en und ich meine, er ist ordnungsgemäß umgesetztorden. Für diese Arbeit ist der Bundesregierung zu-ächst zu danken.
Mit dem Gesetzentwurf wird die Anhörungsrüge alsigenständiger Rechtsbehelf geschaffen. Die Einfüh-ung eines neuen Rechtsbehelfs führt bei den unter-chiedlichen Organen der Justiz und Rechtspflege natur-emäß zu unterschiedlichen Beurteilungen. Dieandesjustizverwaltungen sind darüber natürlich nichtmmer glücklich, weil dadurch mehr Kosten entstehenönnen. Auch die Anwälte waren mit der Regelung nichtanz glücklich, weil die Begründungsfrist nicht wie ge-ünscht verlängert worden ist.Mit Ausnahme der eben erwähnten „Mängel“ sind dieesentlichen Organe zufrieden. Deshalb meine ich, dass
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Rainer Funkees ein ordentlicher Kompromiss ist. Wir werden diesenKompromiss mittragen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manzewski.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-
battieren heute abschließend über das so genannte Anhö-
rungsrügengesetz der Koalition. Dieses Gesetz musste
gemacht werden – das ist schon erwähnt worden –, weil
das Bundesverfassungsgericht für Fälle der Verletzung
des rechtlichen Gehörs weiteren Gesetzgebungsbedarf
sah. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
gibt es derzeit nach geltendem Recht weder innerhalb
des allgemeinen Rechtsbehelfssystems noch mit einem
ausdrücklich dafür vorgesehenen Rechtsbehelf hinrei-
chende Möglichkeiten dazu. Ein Regelungsbedarf be-
steht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
insbesondere bei letztinstanzlichen Entscheidungen und
in den Fällen, für die es nach geltendem Recht eben
keine Rechtsmittel gibt.
Ich muss ganz deutlich sagen: Anders als der Kollege
Ströbele habe ich selbst meine Probleme mit dieser Ent-
scheidung. Ich finde es zum Teil sehr merkwürdig, wie
das Urteil so ergangen ist. Man tut gerade so, als ob der
Untergang des Abendlandes gedroht hat. Zumindest zu
meiner Zeit als Richter habe ich dieses Gefühl nicht ge-
habt.
Was mich ein bisschen gestört hat – das sage ich ganz
deutlich –, ist, wie dezidiert dieses Mal die Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts sind. Im Grunde ge-
nommen – das sage ich im Hinblick auf die Debatte, die
wir auf dem Juristentag in Bonn geführt haben –, dass
der zu beschließende Gesetzestext vom Bundesverfas-
sungsgericht gleich mitgeliefert wird. Hier werden wir in
der Zukunft aufpassen müssen;
denn auch das Bundesverfassungsgericht hat sich an die
Gewaltenteilung zu erinnern. Kollege Ströbele, man
sollte ruhig mehr Vertrauen in uns Parlamentarier setzen,
dass wir vernünftige Gesetze machen.
Sei es, wie es sei. Wir haben die Kritik des Bundes-
verfassungsgerichts zu akzeptieren – daran führt kein
Weg vorbei – und diese auch umzusetzen. Der Entwurf
der Regierungskoalition hält sich dabei eng an den Ple-
numsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts und ver-
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Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächstber den von der Bundesregierung eingebrachtenntwurf eines Anhörungsrügengesetzes. Der Rechtsaus-chuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 15/4061, den Gesetzent-urf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitteiejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-ung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt esegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfst damit in zweiter Beratung angenommen worden.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge-etzentwurf ist damit auch in dritter Lesung mit dentimmen des ganzen Hauses angenommen worden.Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 15/4061 empfiehlt der Rechtsausschuss, denntwurf eines Anhörungsrügengesetzes der Fraktionenon SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache5/3706 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –ie Beschlussempfehlung ist damit einstimmig ange-ommen worden.
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerIch rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENFür eine konsequente und vollständige Umset-zung des Ohrid-Abkommens in Mazedonien– Drucksache 15/4033 –Die Abgeordneten Zapf, Helias, Tritz und Stinner ha-ben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu kön-nen.1) – Dem stimmen Sie gerne zu.Dann kommen wir gleich zur Abstimmung über den An-trag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/DieGrünen. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit denStimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünengegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP ange-nommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-entwicklung der Berufsaufsicht über Ab-schlussprüfer in der Wirtschaftsprüfer-
– Drucksache 15/3983 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
FinanzausschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungDie Abgeordneten Lange, Mayer , Schulz
, Funke und der Parlamentarische Staatssekretär
Andres haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zukönnen.2) – Sie sind einverstanden. Dann verfahren wirso.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 15/3983 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esandere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 29. Oktober 2004,9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.