Gesamtes Protokol
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 a auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung der Vorschriften zum diagnose-
orientierten Fallpauschalensystem für Kran-
kenhäuser und zur Änderung anderer
– Drucksache 15/3919 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Interfraktionell ist vereinbart, die für morgen vorgese-
hene erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Fallpauschalenände-
rungsgesetzes auf heute vorzuziehen. Eine Aussprache
soll heute nicht stattfinden. – Ich sehe, Sie sind mit der
Vereinbarung einverstanden.
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Wir kommen daher gleich zur Überweisung. Inter-
fraktionell wird vorgeschlagen, den eben genannten Ge-
setzentwurf auf Drucksache 15/3919 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
– Drucksache 15/3925 –
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur
Beantwortung steht Frau Parlamentarische S
tärin Iris Gleicke bereit.
Wir kommen zur Frage 1 des Abgeordnete
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11948 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Oktober 2004
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Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, gerade Ihre allerletzte Äuße-
rung belegt eigentlich, dass die Bundesregierung nicht
gewillt ist, den Tanktourismus in irgendeiner Weise zu
bekämpfen oder einzudämmen.
Deswegen möchte ich nachfragen, ob diese Problematik
nicht gerade wegen der Steuerausfälle, die mit dem
Tanktourismus verbunden sind – der Sachverhalt ist von
der Bundesregierung und auch von Ihnen schon einge-
standen worden –, eine umfassende innenpolitische An-
gelegenheit ist, damit ebenso einen innenpolitischen
Charakter hat wie das französische Anliegen und gerade
deshalb bei der EU-Kommission eine Ermächtigung zur
Staffelung der Mineralölsteuersätze in Deutschland be-
antragt werden sollte.
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Selbstverständlich verfolgen die betroffenen Ver-
bände in der Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel
der deutsche Mineralölwirtschaftsverband, dieses Anlie-
gen. Gleichwohl ist es naturgemäß kein rein innenpoliti-
sches Anliegen, weil der von Ihnen angesprochene
Tanktourismus immer in die Nachbarländer geht. Be-
rührt ist also immer ein mindestens bilaterales Verhält-
nis. Mit anderen Worten: Es handelt sich eben nicht um
ein innenpolitisches Anliegen – mögen damit auch in der
Bundesrepublik Deutschland entstehende Wünsche ver-
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as italienische Modell beinhaltet beispielsweise – Sie
issen, dass es ausläuft – eine Verlegung der Grenze um
0 Kilometer ins Binnenland. Dieses Modell gilt für die
renzregion zwischen Italien und Slowenien – es wurde
enehmigt, als Slowenien noch nicht zur Europäischen
nion gehörte – sowie zwischen Italien und der Schweiz
sie gehört nicht zur Europäischen Union –, aber nicht
ür die Grenzregion zwischen Italien und Österreich. In
inem Grenzraum von 30 Kilometern werden Bürgern
hipkarten ausgehändigt, sodass sie steuerermäßigt tan-
en können. Dadurch, dass die Grenze 30 Kilometer ins
innenland verlegt wird, hört der Tanktourismus aller-
ings nicht auf; die Probleme werden vielmehr einfach
ur verlagert.
Im Übrigen darf ich Sie noch einmal darauf hinwei-
en, dass der – zweifellos bestehende – Tanktourismus
urch eine Fülle von Motivationen zustande kommt.
infach ausgedrückt: Jemand fährt zum Tanken, geht an-
chließend zum Friseur und kauft danach vielleicht noch
ie erlaubte Menge Zigaretten. Es soll sogar schon Bür-
ermeister gegeben haben, die über die tschechische
renze zum Besuch von Bordellen gegangen sind.
iese Mischung von Motivationen wird man allein über
en Mineralölpreis nicht steuern können.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rupprecht.
Frau Staatssekretärin, kann es sein, dass die Bundes-egierung die Bevölkerung in den Grenzregioneneutschlands seit Jahren an der Nase herumführt? Dieon der Bundesregierung bis dato gegebenen Begrün-ungen, warum Vorschläge zur Beseitigung des Tank-ourismus stets abgelehnt wurden, waren stets europa-echtlich; man verwies immer wieder auf deniderstand der Europäischen Union. Das gilt auch fürhre Argumentation. Sie schrieben beispielsweise am2. Dezember 2003 an mich – ich zitiere –:Maßgeblich dafür ist insbesondere, dass die Euro-päische Kommission ein solches Anliegen nicht un-terstützt.
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Albert Rupprecht
Mittlerweile liegt ein Vorschlag der EuropäischenKommission für eine Differenzierung, die auch eine re-gionale Differenzierung ermöglicht, vor. Diesen Vor-schlag lehnen Sie ab. Wie wollen Sie der Bevölkerungerklären, dass Sie hier widersprüchlich agieren?D
Nein, Herr Kollege, ich agiere nicht widersprüchlich.
Ich bin auch weiterhin der Auffassung, dass der Vor-
schlag, den die Kommission auf Begehren von Frank-
reich gemacht hat, erheblichen europarechtlichen Be-
denken begegnet. Das habe ich in meiner Antwort auf
die Frage des Kollegen Ramsauer ausgeführt. Es liegt
der Bundesregierung daran, einmal erreichte Fortschritte
in der Steuerangleichung, wie wir sie in der Energie-
steuer-Richtlinie erreicht haben, nicht wieder aufzuge-
ben.
Es ist in der Tat richtig, dass die Bundesrepublik
Deutschland in Bezug auf alle Rechtsgebiete Wert da-
rauf legt, in Europa einmal erreichte Integrationsfort-
schritte nicht wieder aufzugeben. Das gilt auch für den
Energiesteuerbereich.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Scheuer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben Ihr Amt nicht in der
luxemburgischen, in der österreichischen oder in der
tschechischen Regierung, sondern in der deutschen. Wir,
Deutschland, sind von Ländern umzingelt, in denen Mi-
neralölprodukte billiger sind. Angesichts dessen drängt
sich mir die Frage auf, warum Sie fast fünf Jahre tatenlos
zugesehen haben. Die Unionsfraktion hat bereits viele
Initiativen gestartet, zum Beispiel eine Kleine Anfrage
vom Februar 2000. Ihnen sind die Steuerausfälle in
Höhe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, der Verlust von
5 000 Arbeitsplätzen und der Konkurs vieler mittelstän-
discher Unternehmen in der Grenzregion anscheinend
egal.
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Herr Kollege, zunächst weise ich das Wort „umzin-
gelt“ zurück. Unsere Nachbarn sind uns alle freund-
schaftlich verbunden. Es gibt im Übrigen durchaus auch
einzelne Nachbarstaaten, in denen die Preise höher lie-
gen, zum Beispiel ist das in Dänemark und den Nieder-
landen der Fall. Ich komme aus einer Gegend nahe der
niederländischen Grenze und kann das beurteilen. Da
profitieren die mittelständischen Tankstellen von einem
umgekehrten Tanktourismus. Das Gleiche gilt für
Schleswig-Holstein, wo Tankstellen viele dänische Kun-
den haben. Es gibt also in der Bundesrepublik Deutsch-
land selbstverständlich auch einen Tanktourismus in die
andere Richtung. Es ist nun einmal so, dass die Preise in
der Europäischen Union unterschiedlich hoch sind.
Wir haben aber – auch das muss ich deutlich sagen –
die letzten fünf Jahre natürlich nicht einfach tatenlos zu-
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Herr Kollege Hinsken, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin darauf ver-
iesen, dass es sich bei dieser Frage nicht um ein innen-
olitisches Anliegen handele. Ich prophezeie Ihnen, dass
s sehr bald eines werden wird. Die Bundesregierung
ann doch nicht längere Zeit zusehen, wie seit Einfüh-
ung der Ökosteuer jährlich mehr als 1,2 Milliarden Euro
ineralölsteuer in die angrenzenden Länder fließen.
etzt gibt es die Möglichkeit, dagegenzuhalten. Ist es
icht Ihre Aufgabe und zugleich Ihre Verpflichtung, jede
öglichkeit zu ergreifen und alles dafür zu tun, dass
elder und damit Steuern in der Bundesrepublik
eutschland verbleiben?
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Herr Kollege Hinsken, ich habe eingeräumt, dass dieselbstverständlich ein innenpolitisches Anliegen ist, esber nicht rein innenpolitisch angegangen werden kann,eil naturgemäß immer – wir reden vom Tanktourismusber die Grenzen – von dieser Fragestellung auch Nach-arländer tangiert werden. Insofern will ich in keinereise negieren, dass dieses ein Anliegen ist, welcheson den Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschlandit guten Gründen vorgetragen wird. Diese Sicht deretroffenen bestreite ich gar nicht.
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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara HendricksAllerdings handelt es sich bei den Zahlen, die Sie ge-nannt haben, um Schätzzahlen, die wir so nicht bestäti-gen können. Sie beruhen auf Schätzungen des deutschenMineralölwirtschaftsverbandes und nicht auf statistischdurchgeführten Erhebungen.
Abschließend haben Sie die Frage gestellt, ob es nichtmeine Aufgabe sei, alles zu tun, was in unserer Machtstünde, um solche Diskrepanzen zu vermeiden. Aufdiese Frage antworte ich Ihnen mit Ja. Ich habe Ihnenaber auch dargelegt, warum nicht mehr in unserer Machtsteht als das, was ich Ihnen eben gesagt habe.
Bei den Fragen 20 und 21 des Kollegen Albrecht
Feibel, der nicht im Saal ist, wird verfahren, wie in der
Geschäftsordnung vorgesehen ist.
Ich schließe damit den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Vielen Dank, Frau Staats-
sekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Fragen wer-
den von Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Rezzo
Schlauch beantwortet.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Manfred Kolbe
werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 24
und 25 des Kollegen Dirk Niebel. Ebenfalls schriftlich
beantwortet wird die Frage 26 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch.
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth auf:
Inwieweit sind die Bescheide, die nach der Arbeits-
marktreform, Hartz IV, ab 1. Januar 2005 von den durch die
kommunalen Träger und die Arbeitsagenturen gebildeten Ar-
beitsgemeinschaften erteilt werden, rechtlich anfechtbar und
wer haftet für fehlerhafte Bescheide?
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Frau Kollegin Dr. Flachsbarth, wenn Sie gestatten,
beantworte ich die Fragen 27 und 28 wegen ihres Sach-
zusammenhangs gemeinsam.
Dann rufe ich auch die Frage 28 auf:
Wer stellt im Falle des Ausscheidens von Mitarbeitern aus
diesen Arbeitsgemeinschaften mit welcher finanziellen Kon-
sequenz den nachfolgenden Mitarbeiter ein?
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Zur Frage 27: § 44 b Abs. 3 Satz 3 SGB II regelt, dass
die Arbeitsgemeinschaft „berechtigt“ ist, „zur Erfüllung
ihrer Aufgaben Verwaltungsakte und Widerspruchsbe-
scheide zu erlassen“. Die Bundesregierung geht davon
aus, dass von der Arbeitsgemeinschaft erlassene Be-
scheide insoweit nicht anfechtbar sind. Die Frage nach
einer Haftung stellt sich demnach nicht.
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Das ist fast unstrittig. Dieses Missmanagement ist, wennich es richtig sehe, nicht von den aktuellen Vorständender Unternehmen zu verantworten, sondern hat sich imLaufe von Jahren aufgebaut.edSKwddldEgbtdsgiibredgIudfnMasdpraSdlntrdGg3d9fpntnbsh
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Diese krisenhafte Zuspitzung bei Opel – als jemand,der aus dieser Region kommt, weiß ich natürlich, wiewichtig Opel für Bochum ist, insbesondere nach demRückzug des Bergbaus aus dieser Stadt und der ganzenRegion –, die ich in wirklich jedem Schritt nachvollzie-hen kann und die ich über viele Jahre auch begleitethabe, hat nichts mit dem Automobilstandort Deutsch-land zu tun. Der Automobilstandort Deutschland – umdas in aller Klarheit und Deutlichkeit zu sagen – ist welt-weit der beste und stärkste Standort.
Es gibt auf der Welt keinen Standort – das gilt schon garnicht für die USA, aber auch nicht für Japan, jenes Land,das der Bundesrepublik Deutschland in dieser Hinsichtnoch am ehesten nahe kommt –, der eine höhere Kompe-tenz auf dem Automobilsektor aufzuweisen hat als wirhier in Deutschland. Daran sollten wir auch keinenZweifel lassen. Es gibt auch keinen Grund, das zu zerre-den.
Ich bin ohnedies der Meinung, dass wir uns endlichabgewöhnen sollten, diesen Standort permanent schlechtzu reden. Ich will jetzt gar nicht über die Bertelsmann-Studie reden, die ich alles andere als überzeugend finde.
Ich bitte darum, einmal das entgegenzusetzen, was kürz-lich die Agentur Ernst & Young als Ergebnis einer Um-frage bei 500 international agierenden Unternehmen dar-gestellt hat, dass nämlich der InvestitionsstandortDeutschland zurzeit der drittinteressanteste auf der Welt–ewfntittzgVrudtazkdgmdssfBvAgssImgArMhvsmdawagnd
Es ist übrigens auch bemerkenswert, dass die Unter-ehmen der Bundesrepublik Deutschland nach einer Un-ersuchung des World Economic Forums hinsichtlichhrer unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit interna-ional auf Platz drei stehen. Das ist eine sehr gute Posi-ion. In Deutschland haben viele Kostenreduzierungenulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt-efunden. Dafür musste oftmals die Allgemeinheit zurerfügung stehen. Ich denke nur an die Arbeitsagentu-en, die Veränderungen in der Arbeitslosenversicherungnd alles, was in dieser Hinsicht beizutragen ist.Ich will auch darauf hinweisen – wie auch die führen-en Wirtschaftsinstitute gestern in ihrem Herbstgutach-en aufgezeigt haben; diese folgen dem Grunde nach derllgemeinen Einschätzung –, dass wir in Deutschlandurzeit eine konjunkturelle Belebung haben, die etwasräftiger ist, als Anfang des Jahres prognostiziert wor-en ist, und dass diese wirtschaftliche Belebung weiter-ehen wird. Die Gutachter – das empfehle ich Ihrer Auf-erksamkeit – gehen trotz aller sonstigen Diskussionenavon aus, dass die Binnenkräfte in Deutschland ge-tärkt werden. Übrigens steigt auch die Nachfrage lang-am, aber sicher. Das zeigen Umfragen der Gesellschaftür Konsumforschung. Es ist sehr wichtig, dass wir dieinnenkräfte in Deutschland stärken.Es stimmt, dass der derzeitige Konjunkturaufschwungom Export getragen wird. Das ist kein Übel. Fast alleufschwünge in Deutschland haben mit einer Kräfti-ung des Exports begonnen. Unsere Exportwirtschaft istehr stark. Diese Kräfte können von der Binnenwirt-chaft aufgenommen und übersetzt werden.
ch glaube, dass wir – auch wenn es notwendig ist, nochehr Kräfte zu mobilisieren – insgesamt auf dem richti-en Weg sind. Das sagen uns auch die Gutachter.Auch hinsichtlich des Umbaus der Bundesagentur fürrbeit und der Agenturen für Arbeit sind wir auf demichtigen Weg. Sie wissen, dass die Agenturen amontag mit dem IT-Programm begonnen haben. Ichabe bis heute nicht verstanden, warum ich ausgerechnetom Vertreter der Arbeitgeber aufgefordert wurde, die-es Programm, das das modernste und größte E-Govern-ent-Programm in Europa ist, zurückzustellen. Es istas erste Mal, dass ich von einem Arbeitgebervertreterufgefordert wurde, einen solchen Schritt zu tun. Icherde dem nicht folgen. Wir gehen davon aus, dass wirm 3. Januar mit der Auszahlung beginnen werden. Ichehe davon aus, dass uns gelingt, was wir uns vorge-ommen haben.Im nächsten Jahr wird – auch dies dient der Stärkunger Konjunktur – die Arbeitsmarktreform fortgesetzt. Es
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Bundesminister Wolfgang Clementwird zudem einen weiteren Schritt im Rahmen derSteuerreform geben. Ab Januar werden Bürger und Un-ternehmen um Steuern in der Größenordnung von6,8 Milliarden Euro entlastet. Die Beiträge zu den Kran-kenversicherungen werden im nächsten Jahr weiter nachunten gehen – ganz besonders für die Unternehmens-seite –, und zwar bis auf etwa 13 Prozent. Insgesamt be-trachtet wird klar, dass wir die Konjunktur stärken.Wir brauchen insbesondere mehr Investitionen in For-schung und Entwicklung, Bildung und Wissenschaft. Eswäre allerdings wichtig, dass die Opposition den Wegfür den Abbau oder zumindest für eine Kürzung derEigenheimzulage im Bundesrat freigibt, weil dadurchdie Mittel, die wir für Schulen und Hochschulen, für Bil-dung, Wissenschaft und Forschung in Deutschland brau-chen, freigesetzt werden.
Das ist nämlich – das können Sie allen Gutachten ent-nehmen – die wichtigste Aufgabe, wenn man die Struk-turen in Deutschland in Ordnung bringen und die Kon-junktur noch stärker in Fahrt bringen will, als uns dasbisher gelungen ist. Ich hoffe dabei auf Ihre Unterstüt-zung.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, dass wir allein diesem Saal über die aktuelle Entwicklung bei Opelund Karstadt-Quelle zutiefst betroffen sind. Ich mussaber sagen: Das wird nur die Spitze des Eisbergs sein.Ob Opel, Karstadt, Schlecker oder Volkswagen – wohinman blickt, werden zurzeit Jobs abgebaut, Jobverlage-rungen angedroht und den Beschäftigten Opfer abver-langt, um Entlassungen zu vermeiden. Es gibt fast kei-nen Unternehmer mehr, der nicht in diese Richtungdenkt. Es gibt fast keinen Konzernchef mehr, der nichtsagt: Die bisherigen Standards sind nicht mehr zu vertei-digen. Klar ist, dass es in Zukunft nicht mehr darumgeht, neue Besitzstände zu verteilen; vielmehr wird manzusehen müssen, im Rahmen des immer härter werden-den Standortwettkampfs bestehen zu können.In diesem Jahr werden wir mehr als 40 000 Unterneh-menspleiten in unserem Land haben. Die meisten dieserUnternehmen werden ohne großes Medienecho unterge-hen. Viele Unternehmen, die ihre Türen schließen wer-den, weil es keine neuen Aufträge mehr gibt, werden inden Statistiken nicht erscheinen, weil sie keinen Insol-venzantrag stellen. Hinter all dem stehen, wie wir wis-sen, viele persönliche Schicksale – bei den Entlassenenwie bei deren Familien. Angesichts dessen müssen beiIhnen, meine lieben Damen und Herren von Rot-Grün,dmdwldshnbdlwüsgusnsddhwDmnptmmn7nhdAlwAWWssgwtgws
aher frage ich mich, was die viel gelobte Mitbestim-ung in diesen Bereichen noch wert ist. Denn es warenicht allein Managementfehler, sondern es war aucholitisches Missmanagement, das zur gegenwärtigen Si-uation beigetragen hat.Wenn eine Modellrechnung ergibt, dass man, wennan alle Produktionsstandorte von Opel von heute auforgen nach Frankreich verlegte, aufgrund der dortiedrigeren Lohnkosten und Sozialabgaben 500 bis00 Millionen Euro einsparen würde – das entspricht ge-au dem Betrag, der durch den Beschäftigungsabbauierzulande eingespart werden soll –, dann muss manoch feststellen, dass unsere Arbeitskosten zu hoch sind.uch das ist ein Grund für die gegenwärtige Misslage.Da wir nun einmal in einer globalisierten Wirtschafteben, muss man sich fragen: Wie wird unser Standortieder konkurrenzfähig? Wie schaffen wir wieder mehrrbeitsplätze? Wie schaffen wir wieder mehr Dynamik?ie schaffen wir es, dass wir endlich wieder ein höheresachstum als 1,5 oder 1,8 Prozent erreichen? Wir wis-en doch ganz genau – verschiedene Wirtschaftsfor-chungsinstitute haben es uns doch ins Stammbucheschrieben –, dass Deutschland, was das Wirtschafts-achstum betrifft, im nächsten Jahr wieder die rote La-erne bekommt und Letzter in Europa sein wird. Dasrößte Problem, das wir diesbezüglich haben, ist – lassenir alle Zahlen außen vor –, dass die Zahl der sozialver-icherungspflichtig Beschäftigten sinkt.
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Dagmar WöhrlWenn die Energiepreise im nächsten Jahr weiter stei-gen und sich in der Konsequenz der Welthandel ab-schwächen wird, sind wir – auch das ist uns von denWirtschaftsforschungsinstituten ins Stammbuch ge-schrieben worden – aufgrund unserer Exportabhängig-keit die ersten, die davon betroffen sind. Im nächstenJahr wird also auch das Bein, auf dem wir derzeit nochstehen können, zu lahmen beginnen. Die Binnenkon-junktur liegt sowieso am Boden; denn die Menschen ha-ben kein Vertrauen mehr. Sie sparen und haben netto zuwenig Geld in der Tasche. Sie glauben ihrer Regierungnicht mehr, dass sich die Situation verbessert, weil Sie esnicht verstehen, entsprechende Konzepte auf den Tischzu legen.
Sie lehnen sich zurück und verweisen auf dieAgenda 2010, nach dem Motto: Das ist genug, die Pro-bleme werden sich schon von selbst lösen.
Dem wird aber nicht so sein. Es ist noch vieles zu tun.Sie müssen einen Sanierungsplan für die Deutsch-land AG vorlegen.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Ludwig Stiegler für die
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habengerade wieder Kassandra gehört. Sie kann nur Trübsalblasen. Gehen Sie in Ihren Keller, machen Sie alle Fens-ter zu und bleiben Sie traurig. Lassen Sie uns aber arbei-ten!
Die SPD-Fraktion dankt dem Bundeswirtschafts-minister für seinen Einsatz;
denn er hat sich gemeinsam mit den Kollegen vor Ortund der Landesregierung sofort engagiert eingebracht.Dafür herzlichen Dank!
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Wir danken den Gewerkschaften und den Betriebsrä-en, die große Leistungen vollbracht haben. Wenn ichir die Gewerkschaftshetze vorstelle, die von Ihrer Seiteetrieben wird, und wenn ich mir vor Augen führe, dassie gerade in der jetzigen Zeit die Mitbestimmung unden Kündigungsschutz beseitigen wollen, frage ich michirklich: Wo würden die Menschen stehen, wenn Ihrecht gelten würde?
ie einsam wären die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-ehmer, wenn es keine rechtlichen Möglichkeiten gäbe,hre Belange einzubringen! Es ist schäbig, jetzt zu versu-hen, den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat dieerantwortung für das Missmanagement anzulasten.
ir wissen alle, wie viele Vorschläge gerade von denrbeitnehmern gekommen sind. Nehmen wir Opel: Dieanze Qualitätsoffensive war eine Erfindung der Be-riebsräte und der IG Metall und nicht dieses Manage-ents, das da im Karussell ab und zu in Rüsselsheim ge-arkt hat. Deshalb ist es so schäbig, die Krise jetzt alsorwand zu nehmen, um eine längst beabsichtigte Anti-itbestimmungs- und Antikündigungsschutzkampagneu führen. Wir brauchen mehr statt weniger Mitbestim-ung
nd die Kraft des Wissens der Belegschaften. Die Ar-eitnehmer wissen oft mehr über die Zukunft des Unter-ehmens und seine Probleme als mancher, der nur demhareholder Value verpflichtet ist und die Wirklichkeitberhaupt nicht mehr sieht.
Wir brauchen auch und gerade die Verantwortung derapitalseite. Wer den Unternehmen über Jahre und Jahr-ehnte die Investitionen versagt, weil er in seiner Rendi-eerwartung maßlos ist, muss sich am Ende nichtundern, dass die Unternehmen nicht mehr wettbe-erbsfähig sind.
ier ist ein Umdenken erforderlich. Wie viele träumenlötzlich von Kapitalrenditen von 25 Prozent und mehr?
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Ludwig StieglerDas ist das Ende aller Investitionen. Jahrelang hat manden Arbeitnehmern Bescheidenheit gepredigt. Wo bleibtdie Bescheidenheit des Kapitals bei den Ansprüchen andie Erträge, Herr Ackermann und andere?
Wir stehen zu den Belegschaften und zu den Standor-ten, wir stehen auch zu den Zulieferern und werden allestun, was wir begleitend machen können. Wenn Sie schonnichts tun, außer mit Herrn Rogowski die Mitbestim-mung anzugreifen, sollten Sie wenigstens die Rahmen-bedingungen nicht schlecht reden: Wir werden im nächs-ten Jahr kein zurückgehendes Wachstum haben, sondernarbeitstagebereinigt wird sich ein beschleunigtes Wachs-tum einstellen – auch wenn es Ihnen nicht passt. Ihreganze Kassandra-Rederei hat Ihre Umfrageergebnissenicht befördert, sondern Ihre Werte gehen Gott sei Danknach unten.
Wir haben gute Aussichten, dass sich unser Standortbehauptet, wenn wir mit Forschung und Entwicklung,mit Technologietransfer und Investitionen dafür sorgen,dass sich der Standort Deutschland weltweit auch in derGüte seiner Unternehmen widerspiegelt. Das ist unserAuftrag und da sollten Sie mithelfen und nicht meinen,Sie könnten im Trüben fischen.Die Koalitionsfraktionen erklären ihre Solidarität mitden Belegschaften und den Städten und Gemeinden derStandorte. Wir fordern das Management auf, mit derBundesregierung, den Landesregierungen und den Be-triebsräten zu reden und offensiv in die Zukunft zu in-vestieren, anstatt vor den Problemen davonzurennen –damit wir uns insgesamt behaupten können!Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich dankedem Kollegen Stiegler, dass er so offen darlegt, wie dieFehlsteuerung rot-grüner Politik ist.Sie machen es sich zu einfach, Herr MinisterClement, wenn Sie sagen, dass ausschließlich Manage-mentfehler schuld an der Lage von Opel seien. Jawohl,Managementfehler wurden gemacht. Aber die paritäti-sche Mitbestimmung hat diese Fehler mitgetragen. Ichhabe nirgends erfahren, dass die Arbeitnehmervertreterund die Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsrätenden Kurs der Unternehmen nicht mitgetragen hätten. Inder Regel stimmen sie zu und wenn es anschließendschief geht, waren sie nicht dabei. So einfach können Siees sich nicht machen.
RbdgddMtkSWfAZbdASVusdCh2vDgBhdMvdSnhngdtssz
or dieser Verantwortung können Sie sich nicht drücken.
Entscheidend ist, dass die Produktivitätsentwicklungnd das Wachstum in Deutschland seit Jahren zuchwach sind. Wir kommen gerade aus der Anhörunger Sachverständigen im Wirtschaftsausschuss. Herrlement, die haben etwas ganz anderes erzählt, als Sieier vorgetragen haben. Danach wird nämlich bereits005 der Höhepunkt unserer Wachstumsentwicklung zuerzeichnen sein.
aneben ist die Einschätzung für die Zeit danach sehredämpft und pessimistisch. Sie wissen genau, dass dieeschäftigungsschwelle bei dem Wachstum, das wireute zu verzeichnen haben – das gilt selbst dann, wennie Prognose zutrifft –, nicht überschritten wird.
it diesem Wachstum ist fast kein Beschäftigungseffekterbunden. Das liegt in Ihrer Verantwortung. Sie habenie Rahmenbedingungen falsch gesetzt, wodurch dertrukturwandel und die Fehlentscheidungen des Ma-agements in diesem Land härter durchschlagen undärter greifen als in anderen Ländern.Warum ist denn die Arbeitslosenrate in Großbritan-ien nur halb so hoch wie in Deutschland? Auch dortibt es Missmanagement und Fehler und auch dort sindie Auswirkungen der Globalisierung und der Osterwei-erung zu spüren. Sie ist deshalb niedriger, weil dort bes-ere Rahmenbedingungen geschaffen wurden als in die-em Land. Diese Verantwortung müssen Sie sichurechnen lassen.
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Rainer BrüderleWenn Sie das nicht in Ihre Betrachtungen mit einbezie-hen, dann kann man nicht von redlicher Solidarität spre-chen. Sie sollten einen Kurswechsel betreiben, damitentsprechende Möglichkeiten vorhanden sind.Ich werde jetzt ganz konkret und spreche vom Tarif-kartell. Bei Opel wurden jahrelang 20 Prozent über Tarifgezahlt.
Ich gönne den Leuten das Geld. Die Folge der übertarif-lichen Bezahlung war aber, dass Arbeitsplätze beim Mit-telstand vernichtet wurden. Jetzt haben Sie ein Konzeptà la Holzmann, wonach unter Tarif bezahlt werden soll.Dies wird erneut dazu führen, dass Arbeitsplätze bei mit-telständischen Betrieben vernichtet werden: weil dieeben nicht die Chance haben, aus dem Tarifkartell in die-ser Weise auszusteigen. Diese Zusammenhänge spre-chen Sie nicht an; das ist nicht redlich. Hier gibt es eineSchieflage in Bezug auf den Jobmotor Nummer eins inDeutschland, nämlich den Mittelstand.Wir werden die Globalisierung nicht verhindern kön-nen; das wollen wir auch nicht. Sie hat aber natürlich zurFolge, dass die Unternehmen dort hingehen, wo siegünstiger produzieren können. Auch die Solidarnocs inPolen hat zwar aus Solidarität eine Fahne aufgestellt,aber es spricht doch Bände, wenn – wie gestern im Fern-sehen zu hören – polnische Arbeiter erklärten, sie seienzuverlässig, bei ihnen gebe es keine wilden Streiks, soetwas tue man nicht. Es ist also unvermeidlich: Die Ab-wanderung wird sich in Teilbereichen ein Stück fortset-zen. Wenn Sie eine Frau heiraten, die kein Vermögenhat, dann besitzen Sie nur noch die Hälfte. So ist das haltim Leben.
Wenn sie nach der Osterweiterung jetzt auch noch dieTürkei in die EU aufnehmen, deren Sozialprodukt proKopf im Vergleich zu uns bei 20 Prozent liegt, wird unsdas zunächst nicht reicher machen; das ist die Realität.In Ihrer Verantwortung liegt es, dass Sie nicht die Wei-chen dafür gestellt haben, dass Neues entsteht und dassmehr Produktivitäts- und Wachstumschancen vorhan-den sind. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass unserWachstumspotenzial deutlich geringer ist als das derVereinigten Staaten. Das Wachstumspotenzial der USAliegt bei 2,5 bis 3 Prozent, unseres bei 1 Prozent, wie dieSachverständigen in der Anhörung heute einhellig bestä-tigt haben. Dafür tragen Sie die Verantwortung, weil zuwenig in Forschung und Entwicklung investiert wurdeund weil im Bildungssystem durchgängige Schwächenexistieren: Es wird zu wenig investiert und es gibt zuwenig Human Capital.Darum sind die Chancen, neue Arbeitsplätze in die-sem Land entstehen zu lassen, zu gering. Deshalb wirkensich Missmanagement und Fehlentscheidungen gravie-render aus als anderswo. Das Umfeld ist eben nicht stim-mig. Es geht nicht, dass man die Weichen falsch stellt,eine falsche Wirtschaftspolitik betreibt und dann sagt,dd–rgenmawSKnknedwEbsDigvhBdDn
Herr Clement, wir wollen den Standort nicht schlechteden, Sie dürfen ihn aber auch nicht gesundbeten. Daslaubt Ihnen niemand. Sie sagen, es sei alles wunderbar,s gebe eine Dynamik, die sich noch verstärke, und imächsten Jahr fielen Arbeitsplätze wie Manna vom Him-el.Nein, es gibt viele Fehlsteuerungen. Das sagen Ihnenuch die Sachverständigen. Die Ich-AGs fallen weg,enn die Subventionen auslaufen. Dadurch verzerrenie nur den Wettbewerb.
Herr Kollege Brüderle!
Ich komme zum letzten Satz. – Selbst der Kollege
uhn hat im Ausschuss gehört, dass das so ist.
Das Wort hat nun die Kollegin Thea Dückert, Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eineleine Vorbemerkung, Herr Kollege Brüderle: Sie wärenach Ihrer Logik vielleicht nicht so arm dran, wenn Sieine reiche Frau geheiratet hätten. Ihre Rede bestätigtas, was wir jüngst in der Presse lesen konnten. Daurde auf den staatsinterventionistischen amateurhafteninsatz alter Schule von Herrn Brüderle verwiesen, derei der Krise von Karstadt nach dem Staat, nach einemtarken Kanzler und nach Subventionen gerufen hat.
abei wurde gefragt: Was ist ein Brüderle? Ein Brüderlest die kleinste populistische Einheit. Das wurde uns hiererade wieder vorgeführt.
Wir haben die Gutachter, die für das Herbstgutachtenerantwortlich sind, heute im Ausschuss gehört. Sie alleaben übereinstimmend deutlich gemacht, Herrrüderle, dass Deutschland ein sehr guter Standort fürie Automobilindustrie ist.
ie Krise bei Karstadt und Opel – das müssen Sie ernstehmen und Sie dürfen sich nicht wegdrücken – sind die
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Dr. Thea DückertFolgen jahrelanger gravierender Managementfehler. Daszeigt sich darin, dass es andere Unternehmen inDeutschland am gleichen Standort geschafft haben:Kaufhof ist an Karstadt vorbeigezogen, Mercedes hat esgeschafft, Ford hat Opel in den Schatten gestellt.Was hat Opel in den letzten Jahren gemacht? Es hatdie Manager wie die Trainer bei einem Fußballvereinausgewechselt. Flächendeckend wurde dort jahrelangauf Mittelmaß gesetzt. Gerade bei der Produktivitätsent-wicklung ist dies an einem hoch qualifizierten Standortmit hoch qualifiziertem Personal und einem entspre-chenden Angebot nicht möglich. Auch in der Produkt-und Modellentwicklung hat Opel auf Mittelmaß gesetzt.Das sind Managementfehler. Das einzig Gute daran ist,dass man diese Managementfehler ausgleichen kann undes für diesen Standort Konzepte gibt. Darauf kommt esjetzt an. In diesen Prozess müssen wir eintreten. Das istdurch die Verhandlungen geschehen. Ich bin froh, dassin Bochum die Bänder heute wieder angelaufen sind.Die Situation gerade auch in Bochum ist wie ein Rittauf einer Rasierklinge. Es ist völlig klar, dass die Beleg-schaft Angst hat und wütend ist, wenn sie aus der Zeitungwie eine absolutistische Verkündung erfährt, dass Zehn-tausende von Arbeitsplätzen in Deutschland gestrichenwerden sollen. Dass aus dieser Wut eine Reaktion ent-steht, ist verständlich. Aber heute wird wieder gearbeitet.Wir wissen, dass nun alle gemeinsam, der Gesamtbe-triebsrat, die Beschäftigten, aber auch die Konzern- undUnternehmensleitung, mithilfe der Moderation aus derPolitik – mit Herrn Clement, mit Politikern von den Grü-nen, aber auch mit Oppositionspolitikern – in einen erns-ten Prozess der Weiterentwicklung treten. Das ist wich-tig. Die positive Entwicklung, die bei Karstadt auf denWeg gebracht wurde, kann und muss auch bei Opel ein-geleitet werden; denn deutsche Standorte wie Bochumund Rüsselsheim können Produktionsorte bleiben, wenndas Management und die Konzeption stimmen.Was macht die Opposition? Zu Herrn Brüderle habeich schon etwas gesagt; das reicht an dieser Stelle. Ichmöchte gerne etwas zur Union sagen. Wie gehen Sie mitdieser Situation um? Als Lösungsvorschlag werden wie-der die alten Konzepte angeführt, die aus zwei Elemen-ten bestehen. Das erste Element ist die Attacke auf dieMitbestimmung und das zweite Element die Attacke aufdie Arbeitnehmerrechte. Ich kann Ihnen nur eines sagen:Die Abkürzung CDU wird dadurch für mich zu einemneuen Begriff, nämlich zu „Crassestem Denkbaren Un-sinn“. Das hat sich während der Krise bei Opel undKarstadt gezeigt.
Frau Kollegin, Sie greifen damit der Rechtschreib-
reform kühn vor.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
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etzen Sie sich mit der Situation in Deutschland aus-
inander! Wir brauchen Investitionen – der Minister hat
arauf hingewiesen – in Bildung, in Wissenschaft und in
orschung.
iese Standortvorteile müssen wir erhalten. Dazu brau-
hen wir Ihre Hilfe.
ir brauchen keine weiteren Attacken auf die Mitbe-
timmung und den Kündigungsschutz.
Danke schön.
Ich erteile dem Kollegen Hartwig Fischer, CDU/
SU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ein-elhandelsumsatz aufgrund privater Konsumausgabenat von 1999 bis 2003 um circa 7,5 Prozent abgenom-en. Der nominale Einzelhandelsumsatz wies 2001 ge-enüber 2000 noch ein Plus von 1,3 Prozent auf, nahmann im Jahr 2002 um 1,5 Prozent ab, sank im Jahr 2003m 0,8 Prozent und ist im Jahr 2004 weiter rückläufig.1999 lag die Zahl der Insolvenzen in der Bundesrepu-lik Deutschland bei 26 000. Im Jahr 2003 stieg die Zahluf 39 000. Dieses Jahr haben wir weit über 40 000 In-olvenzen. Es gibt Tausende von Insolvenzen im Einzel-andel.
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Hartwig Fischer
– Herr Brandner, schauen Sie sich einmal den Saldo vonGeschäftsaufgaben und Neugründungen im Einzelhan-del an! Im vergangenen Jahr gab es über 10 000 und imvorvergangenen Jahr über 9 000 Betriebe weniger. – ImJahre 2002 hatten wir 21 000 Privatinsolvenzen, im Jahr2003 33 000. Hinzu kommen die steigende Arbeitslosig-keit und der Verlust von 870 000 versicherungspflichti-gen Beschäftigungsverhältnissen.Allein die Ökosteuer beläuft sich für den Bürger auf206 Euro pro Jahr. Das beeinträchtigt die Binnenkon-junktur, weil nicht genug Nachfrage vorhanden ist.Wenn wir in den letzten drei Jahren ein Wachstum wieGroßbritannien mit 6,2 Prozent, die USA mit 5,8 Prozentoder wie das trudelnde Japan mit 2,6 Prozent gehabt hät-ten, dann hätten wir ein Plus beim Bruttoinlandsproduktvon mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Das sind dieRahmenbedingungen, denen sich die deutsche Wirt-schaft und insbesondere der Handel stellen müssen. DieKonsequenz daraus ist, dass Vertrauen in politischesHandeln verloren gegangen ist. Das führt zu Zukunfts-angst, zur Sorge um den Arbeitsplatz und dazu, dass pri-vate Rücklagen für schwierige Situationen, eventuell fürdas Alter, gebildet werden. Das bedeutet echtes Angst-sparen.Herr Clement, Sie haben gestern Abend im „heute-journal“ von Managementfehlern gesprochen, die zwarnicht aktuell, aber in der Vergangenheit stattgefundenhätten. Damit versuchen Sie Absetzbewegungen von dereigenen Verantwortung für diese Rahmenbedingungenzu machen.
Mit solchen Äußerungen entzieht sich jemand derVerantwortung, der die Situation besser kennen müsste.Sie waren Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.Viele haben von Ihrem Sachverstand in punkto Wirt-schaft und Handel gesprochen. Ich war elfeinhalb JahreBetriebsratsvorsitzender bei Karstadt. Ich war im Wirt-schaftsausschuss des Gesamtkonzerns und habe mit demVorstand Gespräche führen können. Ich habe die Verant-wortung mittragen müssen. Als seinerzeit das Kartellamtden Zusammenschluss von Karstadt und Neckermannverhindern wollte, hat der SPD-Bundeskanzler HelmutSchmidt dringend darum gebeten, die Übernahme durch-zuführen. Wir haben damals Neckermann integriert undüber acht Jahre hinweg Geld hineingebuttert und dafürgesorgt, dass 20 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden.Das haben nicht Sie gemacht. Sie sind nicht dabei gewe-sen. Wir haben damals mit dem Vorstand verhandelt.Wir hatten damals mit Dr. Deuss und Uwe Lorenzen ei-nen Vorstand, bei dem der Mensch im Mittelpunkt derGeschäftspolitik stand. Mit denen konnte man verhan-deln. Da wurden die Zahlen auf den Tisch gelegt. Da wa-ren die Mitarbeiter nicht nur Kostenstellen wie im Jahr2000, als sich das geändert hat.
– Das sage ich Ihnen gleich. – Im Jahr 2000 hat es einenVorstandswechsel gegeben. Damals ist eine Bilanz über-geben worden, die umgerechnet einen Gewinn vor Er-ts1shsuJ–cHrrbGlhomdsdri–minWagVfDrsKBWwsD
Herr Kollege Brandner, Sie können gerne nachher mitir einen Kaffee trinken. Aber Ihre Informationen habech in den zwei Jahren, seit ich im Bundestag bin, ken-en gelernt. – Wir müssen mit offenem Visier kämpfen.ir müssen die Kollegen ernst nehmen, aber wir müssenuch darauf setzen, dass es Unternehmensleitungen ge-eben hat und in weiten Bereichen noch gibt, die ihreerantwortung ernst nehmen, mit den Betriebsräten of-en zu diskutieren.
as bleibt aber leider bei den neuen Unternehmenskultu-en in Teilbereichen aus. Damals haben sich die Men-chen als „Karstädter“ gefühlt. Heute fühlen sie sich alsostenstellen eines Vorstandes.
Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn man einen Blick auf die Reihen der CDU/CSUirft, fragt man sich, warum eigentlich der neue wirt-chaftspolitische Sprecher Pofalla nicht an einer solchenebatte teilnimmt.
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Fritz KuhnSie haben sich eine Woche bemüht, einen neuen Spre-cher zu finden. Heute geht es um eine existenzielleFrage, die die deutsche Wirtschaft wie auch die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer heftig beschäftigt. Istder neue wirtschaftspolitische Sprecher noch dabei, sicheinzuarbeiten, oder wie soll ich das verstehen, was Sieheute aufbieten? Ich würde Ihnen raten, besser auf IhrPersonal zu achten, wenn solche Debatten stattfinden.Ich will zum Inhalt Folgendes ausführen: HerrBrüderle, wenn man die Differenz beispielsweise zwi-schen Karstadt und Kaufhof oder zwischen Ford undOpel betrachtet, ist festzustellen, dass es auf Qualität,neue Konzepte, die Produktpalette und auf Produktivitätankommt. Ich glaube, diesen Aspekt kann man in derDebatte nicht unberücksichtigt lassen. Eine Schuldzu-weisung an Rot-Grün ist billig. Sie sind im Übrigen mitdieser einfachen These zur Volksverdummung, die Sieverbreiten wollen, auch nicht durchgekommen.
Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. WennSie die Schuld bei der Mitbestimmung suchen – viel-leicht auch beim Kündigungsschutz, der auch zu IhrerPalette gehört; den haben Sie bei Ihren Ausführungenvergessen –, dann halte ich angesichts des vergangenenhalben Jahres fest, dass die Lösungen, die man beiDaimler, Siemens und Karstadt gefunden hat und dieman bei Opel hoffentlich finden wird, ohne eine gut ver-ankerte Mitbestimmung in Deutschland nicht in dieserWeise möglich gewesen wären.
Deswegen halten wir von den Grünen es für eine Un-verschämtheit, wenn just in dem Moment, in dem eineklatantes Managerversagen offenbar wird, eine Groß-kampagne des BDI gegen die Mitbestimmung inDeutschland gefahren wird. Ohne diese wären die Lö-sungen nicht zustande gekommen und wir müssten jetztmit staatlichen Eingriffen versuchen, die Betriebe undArbeitsplätze zu erhalten. Das sollte die Union berück-sichtigen, ehe sie weiterhin dieselben Schallplatten ab-spielt, die sie in der Vergangenheit immer wieder aufge-legt hat. Ihre Vorschläge haben bisher nicht geholfen undwerden auch in Zukunft nichts bringen.
Es ist klar, dass, wenn wir bei der Produktivität zumBeispiel in der Automobilindustrie Fortschritte machenwollen, über bestimmte Privilegien, die in den letztenJahren geschaffen worden sind, nachgedacht werdenmuss. Wer aber soll das effektiv umsetzen, wenn nicht dieBetriebsleitungen zusammen mit aufgeklärten und am In-teresse des gesamten Betriebs orientierten Belegschaf-ten? Sie sagen, im Ausland wird die deutsche Mitbestim-mung nicht verstanden. Dann erklären Sie sie doch!Wenn sie nicht verstanden wird, kann man doch etwastun. Wir können doch in Deutschland vieles erklären.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Vorgänge bei Opel und Karstadt sind keine sin-ulären Ereignisse, sondern sie sind in eine Gesamtent-icklung eingebunden und sind letztendlich auch dasesultat falscher Politik. Ich möchte aus aktuellem An-ass kurz zu dem Herbstgutachten der Wirtschaftsfor-chungsinstitute Stellung nehmen, um den Gesamtzu-ammenhang darzustellen.Sie haben gerade – dazu gehören auch Sie, Herrrandner – ein weiteres Mal die wirtschaftspolitischerfolglosigkeit der Bundesregierung deutlich vor Augeneführt. Konjunktur und Wachstum sind in Deutschlandm geringsten in ganz Europa. Während 2003 das Wirt-chaftswachstum beispielsweise in Spanien bei,5 Prozent, in Großbritannien bei 2,2 Prozent und in Ir-and sogar bei 3,7 Prozent lag – diese Aufzählung ließeich fortführen –, ging das Bruttoinlandsprodukt ineutschland um 0,1 Prozent zurück. Das zeigt ganz of-ensichtlich, dass Deutschland – bei ähnlichen Rahmen-edingungen in Europa – weniger erfolgreich ist alseine Nachbarländer.Woran liegt das? Ich möchte das einmal am Beispieler Energiepreise deutlich machen. In dem heute veröf-entlichten Herbstgutachten wird festgestellt, dass derlpreisanstieg die Konjunktur dämpft – das ist richtig –,nd es wird davon ausgegangen, dass bei einem nachhal-igen Anstieg des Ölpreises um 10 Prozent das Wirt-chaftswachstum im Euroraum um 0,3 Prozent geringerusfällt. Die Gutachter haben heute auf Nachfrage deut-ich gemacht, dass Deutschland am wenigsten von allenuropäischen Ländern von den hohen Energiepreisen be-roffen ist – das ist positiv –, weil es uns seit den 70er-ahren gelungen ist, die Energieeffizienz zu erhöhen undas Wirtschaftswachstum von den Energiepreisen weit-ehend zu entkoppeln. Trotzdem ist das Wachstum ineutschland in diesem Jahr wieder am geringsten.Herr Clement, ein Grund dafür ist, dass Sie keine ver-ässlichen Rahmenbedingungen für Investitionen schaf-en. Um das wieder am Beispiel der Energiepolitik
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Dr. Joachim Pfeifferdeutlich zu machen: In diesem Land stehen Investitionenin Höhe von 30 Milliarden bis 40 Milliarden Euro fürden Ersatz und die Erneuerung des Kraftwerkparks an.Diese werden aber verschoben, weil die Rahmenbedin-gungen unklar sind. Sie werden nicht angegangen, weilSie beispielsweise nicht in der Lage waren, rechtzeitigeinen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energie-wirtschaftsgesetzes einzubringen. Zu allem Überflussschieben Sie das auch noch der Opposition in dieSchuhe. Sie hätten das bis zum 1. Juli dieses Jahres um-setzen sollen. Aber nichts ist geschehen. Sie haben dasnicht getan und das Ganze verschoben. Das sind dieRahmenbedingungen, die Investitionen in Deutschlandverhindern und zu schlechten Ergebnissen führen. Dasist wachstumshemmend und hausgemacht und nicht vonaußen induziert.Herr Clement, Sie haben von der Stärkung der Bin-nenkräfte gesprochen. Nehmen wir wieder den Energie-bereich als Beispiel. 1998, als Sie die Regierung über-nommen haben, gab es im Bereich der Strompreise eineadministrative Belastung in Höhe von 2 Milliarden Euro.Heute, im Jahr 2004, beträgt die administrative Belas-tung 15 Milliarden Euro. So viel zur Stärkung der Bin-nenkonjunktur. Diese Gelder fehlen selbstverständlichden privaten Haushalten, insbesondere den Familien,und der Wirtschaft. Das alles ist wachstumshemmendund hausgemacht.Ich möchte nun auf die Beschäftigungseffekte zusprechen kommen. Die hohen Energiepreise in Deutsch-land führen zu einer Vertreibung der energieintensivenUnternehmen. 600 000 Arbeitsplätze in der energiein-tensiven Produktion sind in Gefahr. Nehmen wir denBundeshaushalt als Beispiel. Während Sie von Haus-haltskonsolidierung sprechen, werden zusätzlich 16 Mil-liarden Euro für die Subventionierung der Steinkohle inNordrhein-Westfalen eingestellt.Im Bereich der Kernenergie gibt es ein Hin und Herbei der Endlagerdiskussion. 3 Milliarden bis 7 Milliar-den Euro wird der nicht nachvollziehbare Umstieg in eintechnisch nicht realisierbares Ein-Endlager-Konzept die-ses Land kosten.Hemmnis Nummer eins in Deutschland ist nicht derÖlpreis, ist nicht die Unfähigkeit des Managements, sindnicht Verschwörungen aus den USA, wie der KollegeMüller dieser Tage kundgetan hat, ist auch nicht das– vermeintliche – Schlechtreden durch die Oppositionund ist schon gar nicht der Klassenkampf, Herr Stiegler,sondern Wachstumshindernis Nummer eins ist die Poli-tik von Rot-Grün.
Machen Sie Ihre Hausaufgaben in der Energiepolitik!Entideologisieren Sie die Energiepolitik! Schaffen Sieverlässliche Rahmenbedingungen, Herr Clement, sagenSie nicht immer nur: „Wir sollten, wir müssten“, sondernmachen Sie endlich etwas und überdenken Sie Ihr stän-diges Drehen an der Steuerschraube im Energiebereich!Nur so schaffen Sie Wachstum und Beschäftigung.
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nschließend nichts anderes tun, als in kleinster Münzearteipolitisch zurückzugeben, dann ist das ein Niveauon Politik, für das ich mich mit schäme,
eil alle politischen Parteien für das in Haftung genom-en werden, was Sie hier bieten. Es ist ein Skandal,eine Damen und Herren!
Wenn wir uns Gedanken über das machen, was beipel passiert ist, dann kommen wir aus meiner Sicht zuem Ergebnis, dass es einen Dreiklang gibt. Erstens iston Managementfehlern gesprochen worden. Dabei tuech mich schwer, weil das immer danach riecht, dass dieine Seite der jeweils anderen die Verantwortung zu-chiebt.
Wenn wir über Opel reden, müssen wir auf zweiinge hinweisen. Erstens sind bei der Produktpalette inen 90er-Jahren Fehlentscheidungen getroffen worden.weitens – das ist für mich noch wichtiger, weil es auchtwas mit der Standortdebatte zu tun hat – wurden Mo-ernisierungsinvestitionen in den Standort Bochum ver-chleppt, obwohl Gewerkschaften, Betriebsräte und Ar-eitnehmervertreter in den Aufsichtsräten sie dringendngemahnt haben. Nicht Arbeitnehmervertreter habenersagt, sondern die Anteilseignerseite hat bei der Auf-abe versagt, Modernisierungsinvestitionen durchzufüh-en.
Das ist sehr problematisch. In Gliwice – jetzt bin ichei der Standortfrage – betragen die Lohnkosten5 Prozent der Lohnkosten in Bochum. Damit konntean eine Reihe von Jahren deshalb leben, weil die Pro-uktivität in Deutschland so hoch war und die Lohn-tückkosten deshalb so niedrig waren. Von daher konntean die unterschiedlichen Stundenlöhne verkraften.Weil aber in Bochum die Erneuerungsinvestitionennterblieben sind, ist der Produktivitätsvorteil in Bo-
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Dr. Rainer Wendchum zurückgefallen mit der Folge, dass es massive Pro-bleme dabei gibt, in der Globalisierung im Wettbewerbmit anderen Standorten noch mitzuhalten. Das ist einer-seits ein Standortproblem – darauf komme ich gleichnoch einmal –, andererseits aber auch wieder das Versa-gen der Anteilseignerseite, weil sie nicht verstanden hat,dass sie im internationalen Wettbewerb auf Innovation,Erneuerung und Produktivitätsfortschritt setzen mussund nicht auf Stillstand setzen darf.Nächster Punkt – das ist aus meiner Sicht der viel-leicht wichtigste; darüber ist noch nicht gesprochen wor-den –: Was ist eigentlich mit der Struktur los? Wie sinddie Unternehmen in Deutschland stark geworden? DieUnternehmen waren mittelständisch geprägt, idealer-weise eigentümergeführt mit der Folge, dass eine Inves-titionspolitik betrieben wurde, die sich nicht in erster Li-nie an kurzfristigen Profitinteressen orientierte, sondernneben Gewinninteressen – solche waren immer da; dasist auch gut so – die Sozialpartnerschaft im Auge hatteund auch, dass sich Investitionen mittel- und langfristigrentieren. Wir haben es heute im Konzernbereich mit ei-ner zunehmenden Anonymisierung auf Anteilseigner-seite zu tun. Fonds und Ähnliche legen auf Sozialpart-nerschaft und auf gesellschaftliche Verantwortungweniger, auf kurzfristige Profitinteressen – das ist meinSchwerpunkt – aber mehr Wert. Man denkt von einerAktionärsversammlung zur nächsten und – da man aus-schließlich kurzfristige Profitinteressen im Blick hat –verpasst Investitionen, die sich erst in drei, fünf oderacht Jahren auszahlen. Bei Opel, aber auch bei anderenBetrieben wird für mich eine neue Situation deutlich.Wenn es uns in der Globalisierung nicht gelingt, dieserEntwicklung auch das europäische Sozialstaatsmodellentgegenzusetzen – es wünscht Unternehmensgewinne,aber auch Sozialpartnerschaft und gesellschaftliche Ver-antwortung –, dann werden wir Wohlstand in unsererRepublik auf Dauer nicht sichern können.Ich nenne zum Abschluss folgende Stichworte: Mit-bestimmung, Kündigungsschutz, Steuern. Wir haben inunserer Regierungszeit die Körperschaftsteuern von45 Prozent auf 25 Prozent, den Spitzensteuersatz von53 Prozent auf 42 Prozent und den Eingangssteuersatzvon 26 Prozent auf 15 Prozent gesenkt. Außerdem habenwir die Möglichkeit geschaffen, die Gewerbesteuer mitder Einkommensteuer zu verrechnen. Das alles sinddoch Entwicklungen, die für den Standort Deutschlandsprechen. Es ist gut so, dass wir bei der Wettbewerbsfä-higkeit deutscher Unternehmen so gut dastehen.
Die Diskussion über den Standort Deutschland istnicht nur eine Kostendebatte – die müssen wir auch füh-ren –; Standort Deutschland heißt vielmehr auch: Quali-tät, Ausbildung, Innovation, neue Technologien undauch Sozialpartnerschaft. Das kann man am BeispielOpel sehen. Diejenigen, die vor Ort die Verantwortungtragen, waren bis heute noch nicht einmal in der Lage,den Arbeitnehmervertretern und den Arbeitnehmern ge-genüberzutreten. Sie hatten weder den Mut noch denAnstand, ihnen zu sagen, was Sache ist. Das ist kein Zei-cwWrtkvSgcmbhIbWMfVfnadsBewtVgbwKsmwOfawwawlnAA
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Wir, die PDS, sind mit den Arbeitern und Angestell-en von Opel solidarisch und unterstützen ihren Arbeits-ampf. Wir haben kein Verständnis für die Äußerungenon Bundesminister Clement und Ministerpräsidentteinbrück, die sich gegen die Arbeitsniederlegung aus-esprochen haben. Herr Clement, Sie werden sich si-herlich der Meinung des Betriebsrates anschließenüssen, dass gerade die entschiedenen Proteste der Ar-eiter und Angestellten die Verhandlungen erzwungenaben und ein wichtiger Anstoß auf dem Weg der vonhnen mittlerweile gelobten Verhandlungen waren.Es wurde in den letzten Tagen und auch in dieser De-atte viel über Managementfehler bei Opel gesprochen.ir wissen, dass viele Manager – nicht nur bei Generalotors – überbezahlt sind, sowohl hinsichtlich ihrerachlichen Kompetenz als auch bezogen auf ihre sozialeerantwortung, die sie unzureichend wahrnehmen. Dochür Managementfehler sind weder Bundesregierungoch Opposition zuständig und sie werden es hoffentlichuch nicht sein.Lassen Sie uns über die Zuständigkeit der Politik re-en. Auf einer Anti-Hartz-Demonstration in Klingenthalagte zum Beispiel eine von Hartz IV betroffene Frau:ald werden wir 1-Euro-Jobs haben. Aber wo werdenigentlich die 1-Euro-Autos hergestellt? Henry Ford I.ollte damals, dass sich jeder Arbeiter einen Ford leis-en kann und schuf mit der Ford-Serienproduktion eineoraussetzung für preiswerte Autos. Oft wird aber ver-essen, dass damals gleichzeitig die Einkommen der Ar-eiter in den USA stiegen. Genau das ist der Punkt: Wasir jetzt erleben, sind die Vorboten von Hartz IV. Opel,arstadt/Quelle, Volkswagen, alle haben viele unter-chiedliche Probleme; aber sie haben auch ein gemeinsa-es Problem: Hartz IV.Die Binnennachfrage ist in Deutschland so schlechtie noch nie und das Arbeitslosengeld II – 331 Euro imsten bzw. 345 Euro im Westen – wird die Binnennach-rage weiter schwächen. Peter Hartz selbst hat sich anbenteuerliche politische Reformen gewagt, die ihn jetztie ein Bumerang als Volkswagenmanager selber treffenerden. Denn schon jetzt ist klar, dass die Opelkriseuch den Druck auf Volkswagen erhöhen wird. Jetztird vielen Menschen, die noch einen Job haben, deut-ich, dass Hartz IV gar nicht so weit weg ist und dass sieach kurzer Zeit selbst betroffen sein könnten.Die Bundesregierung muss endlich einsehen, dass diegenda 2010 Gift für die Binnennachfrage ist. Diegenda 2010 schafft keine Arbeitsplätze, sondern
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Dr. Gesine Lötzschvernichtet sie, wie wir nicht nur bei Opel in diesen Tagenbeobachten müssen.Die Bundesrepublik braucht Reformen, die das Landvoranbringen. Die Agenda 2010 ist dazu augenschein-lich nicht geeignet.
Das Wort hat der Kollege Michael Müller, SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! UnserLand braucht vor allem Menschen, die Probleme durch-dringen und nicht alles durch die parteipolitische Brillesehen. Es ist schlimm, dass auch das jetzt wieder in die-ser Debatte hier stattfindet.
Aus meiner Sicht ist der Fall Opel ein Beispiel füreine fehlgeleitete, sich leider global ausdehnende Unter-nehmensstrategie, bei der die kurzfristigen Gewinneüber den Erhalt von Substanz und Produktivität gestelltwerden. Hier scheint mir der eigentliche Kern des Pro-blems zu liegen.
Man hat es – da stimme ich George Soros völlig zu – inder Gier nach schnellem Geld versäumt, sich um die ei-gentlichen Aufgaben eines Unternehmens zu kümmern,nämlich um Innovationen und Investitionen. Hier liegtdas eigentliche Problem; das gilt nicht nur für die natio-nale Ebene, sondern für das weltweite Handeln von Ge-neral Motors. Das Abmelken von Gewinnen war wichti-ger als der Schutz bzw. der Neuaufbau von Substanz.Darin liegt der Grund für den Konflikt. Deshalb kann ichnur sagen, um es auf den Punkt zu bringen: Die Blau-männer sind uns lieber als die Ackermänner.
Meine Damen und Herren, es ist auch falsch, die Pro-blemanalyse allein auf Opel zu reduzieren. Schauen wiruns einmal genau an, was bei General Motors passiert.General Motors ist aufgrund der unglaublichen Auszeh-rung des Kapitals – hier liegt, wie ich glaube, der eigent-liche Kern des Problems – von den Ratingagenturenenorm abgewertet worden. GM hat große Probleme, weilsowohl der Autoumsatz eingebrochen als auch ihre un-ternehmerische Strategie – in der Vergangenheit habensie vor allen Dingen über Hypotheken- und Finanzge-schäfte Gewinne zu erzielen versuchtt – nicht aufgegan-gen ist. Deshalb wurde General Motors beispielsweisebei dem Investmentgrade von Standard & Poor’s auf denvorletzten Platz der Ratingrangfolge gesetzt. Was istdann passiert? General Motors hat kurzfristig und hyste-risch auf diese Einstufung reagiert und die Schuld hier-für vor allen Dingen den europäischen KonzerntöchterngnSsKdsbwnlukmsfmOBdAeskwsteFvmduwpmteUIrDPMndmswnddR
Hinzu kommt ein weiterer Punkt: General Motors hatie Zeichen der Zeit verkannt. Es hat weiter auf großeutos gesetzt und erleidet vor allen Dingen deshalb jetztinen Absatzeinbruch, weil sparsamere Autos gefragtind, die General Motors nur bedingt anbietet. Hinzuommen natürlich Probleme in Deutschland; das wollenir gar nicht wegdiskutieren. So hat Opel beispielsweiseehr unzureichend auf die Entwicklung in der Diesel-chnologie reagiert, im Bereich der Kleinwagen enormeehler gemacht, viel zu spät den Vectra gebracht undieles andere mehr. Es bleibt aber dabei: Das Unterneh-en hat in einem Kernbereich unternehmerischen Han-elns versagt, indem es nicht auf Innovationen gesetztnd keine Investitionen getätigt hat.Deshalb müssen wir uns bei den Diskussionen, dieir hier zu führen haben, auch mit einer Unternehmens-hilosophie auseinander setzen, die glaubt, Kapital-arktmanagement sei die wichtigste Aufgabe eines Un-rnehmens. Nein, die eigentliche Aufgabe einesnternehmens ist es, für die Zukunft vorzusorgen undnnovationen in Form von neuen Produkten und Verfah-en zu entwickeln, um damit besser als andere zu sein.as ist die Kernaufgabe eines Unternehmens. In diesemunkt ist der Grund für die Krise von Opel und Generalotors zu suchen. Deshalb ist es richtig, auch das Ma-agement massiv zu kritisieren. Jede Argumentation, dieie Probleme auf die Bereiche Betriebsrat, Mitbestim-ung etc. reduziert, stellt vor diesem Hintergrundchlichtweg eine Heuchelei dar.
Ich glaube, dass wir auch darüber diskutieren müssen,as in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Aus mei-er Sicht werden die beiden großen Herausforderungener Zukunft lauten: schneller bei Innovationen zu wer-en und vorausschauend auf die knapper werdendenessourcen zu reagieren. Das werden die beiden großen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Oktober 2004 11967
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Michael Müller
Herausforderungen für industrielle Unternehmen sein.Wer glaubt, auf eine solche Situation mit einer Unterneh-mensphilosophie von gestern oder vorgestern reagierenzu können, statt im Gegenteil die schöpferischen Kräfteeines Arbeitnehmers, die Teamfähigkeit eines Betriebs,die kreativen Fähigkeiten eines Menschen zu fördern,hat versagt.
Wir müssen nach vorne schauen, anstatt diesen alten,überholten Strategien weiter anzuhängen. Gerade fürOpel ist das der richtige Weg.
Nächster Redner ist der Kollege Johannes
Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Seit nunmehr sechs Tagen streiken
und demonstrieren Zehntausende von Beschäftigten mitihren Angehörigen vor den Werkstoren von Opel in Bo-chum.
Seit sechs Tagen nehmen sie Entbehrungen auf sich undseit sechs Tagen rufen sie auch die Politik an und fragen:Könnt ihr etwas für uns tun, gibt es irgendwelche Hilfe?Auf der anderen Seite haben wir hier eine Debatte miteiner, wie gerade eben, Vorlesung in Ökonomie und miteinem Beitrag von Frau Dückert, der in einem billigenWitzchen über das, wofür ihrer Meinung nach die Ab-kürzung CDU steht, gipfelte. Ist das die Hilfe, die Siediesen Menschen anbieten? Dann kann ich nur sagen:Darauf kann sich niemand verlassen!
Die Lage ist doch viel ernster, als sie hier dargestelltwird, und eignet sich nicht für Schmonzetten und irgend-welche Lustigkeiten. Deutschland braucht – das wissenwir alle – sehr viel mehr Mut, Zuversicht und Vertrauen;das Vertrauen muss wachsen. Aber wenn ich in die Ge-sichter der demonstrierenden Menschen schaue, dannsehe ich nur eines, was wächst: Zorn und Angst, abernicht Zuversicht.Wenn jetzt schon im Kernbereich, im Herzbereich derdeutschen Industrie, in der Automobilindustrie, bei ei-nem Traditionsunternehmen wie Opel, massenhaft Ar-beitplätze bedroht sind, dann empfinden das auch dieBeschäftigten in anderen Branchen als ein Menetekel,das ihnen möglicherweise ebenfalls droht. So ist dieLage. Viele fragen sich: Wer ist der Nächste, wer kommtnoch dran, wenn es sogar bei Opel so schief gelaufen ist?
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Ich warne vor der Einschätzung, dass dies ein singulä-es Ereignis sei, das ausschließlich mit Managementfeh-ern, die es natürlich gegeben hat, zu erklären sei. So ists nicht.Weil gerade gestern das Herbstgutachten der wirt-chaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vorge-tellt worden ist, möchte ich auf eine entscheidende Zahlingehen, die unterstreicht, wo das Problem liegt. Daserbstgutachten der renommiertesten deutschen Insti-ute hat, was den Substanzverlust an Arbeit in Deutsch-and betrifft, festgestellt, dass das Arbeitsvolumen seitem Jahr 2000 bis in das Jahr 2004 um 3 Prozent abge-ommen hat. Das sind rund 1,7 Milliarden Arbeitsstun-en, die in Deutschland weniger geleistet wurden.Das zeigt, dass Opel kein Einzelfall ist, sondern alsymbol für viele andere Betriebe steht, in denen die Ar-eitsplätze bedroht sind.
Die Konkurrenz wächst natürlich. Die Konkurrenz fürpel sitzt in Europa beispielsweise in Gleiwitz in Polen,o für nur ein Fünftel der Bruttostundenarbeitskostenes Werkes in Bochum gearbeitet wird. Während in dereutschen Automobilbranche durchschnittlich 33 Euron der Stunde gezahlt werden, sind es in Polen derzeitur rund 6 Euro in der Stunde. In der Türkei – falls Sieuch das interessiert – ist die durchschnittliche Brutto-rbeitsstunde derzeit für 1 Euro zu haben.Nun kann es Ihnen ja gar nicht schnell genug gehen,ass die Türkei endlich der EU beitritt. Ich frage Sie anieser Stelle nur: Glauben Sie, dass durch einen Beitritter Türkei die Arbeitsplätze in Deutschland sicherererden? Ich sage Ihnen voraus, dass wir noch viele Bo-hums in Deutschland erleben werden, wenn Sie deneitritt der Türkei durchpauken.
Viele, die um ihre Arbeitsplätze zittern, fragen, wasie Politik überhaupt tun kann.
an muss feststellen, dass die Politik nicht allzu viel tunann. Was Herr Bundesminister Clement vorhin gesagtat, unterstreicht dies. Ich glaube, es ist ganz entschei-end, dass wir die Rahmenbedingungen grundsätzlichndern, damit sich das, was jetzt in Bochum geschieht,icht wiederholt. Ich nenne dazu fünf Punkte: etwas
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Johannes Singhammerlängere Arbeitszeiten und – auch wenn es unangenehmklingt – etwas weniger Urlaub, etwas weniger Steuernund etwas weniger Abgaben, etwas weniger Macht fürKonzern- und Gewerkschaftszentralen, etwas mehr Ver-antwortung für die Betriebe vor Ort sowie etwas mehrVertrauen und Mut in die eigenen Fähigkeiten, die dieMenschen in unserem Land Gott sei Dank haben.
Das Wort hat nun der Kollege Axel Schäfer, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ichkomme aus Bochum. Deshalb will ich dem KollegenSinghammer direkt antworten. Er hat keine Ahnung vonder betrieblichen Wirklichkeit. Er weiß nicht, was vorOrt in der Automobilindustrie vor sich geht. Außerdemkann er Lohnkosten und Lohnstückkosten sowie Produk-tion und Produktivität nicht unterscheiden.
Leider sind in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nurnoch sechs von 248 Mitgliedern bekennende Gewerk-schafter.
Von nichts kommt nichts.Lassen Sie mich berichten, was in Bochum passiertist. Die Konzernleitung von GM hat den großen Ham-mer geschwungen und drauf geschlagen. Aber die Ar-beitnehmer wissen seit 150 Jahren, dass Menschen nichtAmboss sein wollen, sondern dass wir uns alle auf glei-cher Augenhöhe begegnen.
Deshalb haben sich die Beschäftigten bei Opel gewehrt.An unserem Aktionstag nahmen gestern europaweitüber 50 000 Menschen teil,
erstmals auch am Standort des Saab-Werks in Trollhät-tan. In Bochum hatte das Management nämlich nicht denMut, sich zusammen mit dem Betriebsrat offen vor dieBelegschaft zu stellen und diese zu informieren. Deshalbhat es permanente Informationsveranstaltungen gegebenund deshalb ist es zu einer Unterbrechung der Produk-tion gekommen.In dieser aktuellen Auseinandersetzung geht es umMenschen und um Arbeitsplätze, aber auch darum, wiewir in Europa die Kultur unseres Sozialmodells erhalten.Der Konflikt ist ein doppelter: Es gibt tatsächlich Struk-tur- und Absatzprobleme in der Automobilindustrie. Esgibt aber gleichzeitig eine Konzernzentrale in Detroit,dmshgsGsSccsib1d-mWtsADkPPutWsbdzWhzggtmsdOsw
Ich will Ihnen die Dimension deutlich machen. In Bo-hum wurde in den vergangenen 14 Jahren die Beleg-chaft um 10 000 Mitarbeiter reduziert. Jetzt sollennnerhalb von 14 Monaten auf einen Schlag 3 000 Ar-eitsplätze vernichtet werden, und dann noch einmal000. Dabei kann niemand unternehmensintern klararlegen, welche verschiedenen Kostenrechnungen undberechungen zugrunde gelegt werden, weil alles im ge-einsamen GM-Etat verrührt wird.Die jetzige Auseinandersetzung zeigt uns zweierlei.ir brauchen erstens eine neue Form von globaler Poli-ik in einer globalisierten Ökonomie. Wir brauchen einetärkere europäische und internationale Absicherung vonrbeitnehmervertretern in multinationalen Konzernen.ie Euro-Betriebsräte sind ein erster Schritt.
Wir brauchen zweitens eine lokale Perspektive für zu-unftsfähige Arbeitsplätze. Dabei ist die industrielleroduktion in Deutschland unverzichtbar. Das ist dieosition, die ich mit meinen Kollegen Gustav Herzognd Gerold Reichenbach an den Standorten Kaiserslau-ern, Rüsselsheim und Bochum gemeinsam vertrete.Ich will noch speziell zu meiner Stadt etwas sagen.ir haben im Ruhrgebiet eine besondere Mentalität: Wirind offen. Fremde werden hier zu Freunden. Wir sindeharrlich, stehen mit beiden Beinen fest auf dem Bo-en, sind mit dem Kopf bei der Arbeit und mit dem Her-en beim VfL, manche auch bei Schalke oder Dortmund.ir haben Mut und keinen Übermut.Lassen Sie mich etwas Persönliches hinzufügen: Ichabe vor 30 Jahren als Sprecher einer Jugendvertretungum ersten Mal an einer Solidaritätsaktion bei Opel teil-enommen. Jetzt bin ich der von fast 100 000 Menschenewählte Bundestagsabgeordnete. Ich war seit Donners-ag morgens, mittags, abends und teilweise nachts beieinen Kolleginnen und Kollegen. Ich habe mit den Be-chäftigten, den Vertrauensleuten, den Betriebsräten under Werksleitung geredet. Ich weiß tatsächlich, was vorrt los ist. Ich habe erlebt, wie Rentner kamen und ge-agt haben: Ich spende aus Solidarität 500 Euro, damitir gemeinsam durchkommen.
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Axel Schäfer
Wir werden da gemeinsam durchkommen. Wir habenheute mit mehr als 70 Prozent der Belegschaft die Ent-scheidung getroffen, dass gearbeitet wird und die Ver-handlungen beginnen können. Klar ist, dass der Standortzu erhalten ist, es keine betriebsbedingten Kündigungengeben darf und dass sozialverträgliche Regelungen ge-troffen werden.Als Bochumer sage ich Ihnen auch: Wir sind stolz aufunsere Stadt. Hier gab es den ersten Stahlformguss derWelt und das erste Automobilwerk im Ruhrgebiet. Hierist die erste Adresse für deutsches Sprechtheater und hierfand die erste Universitätsneugründung der Region nachdem Zweiten Weltkrieg statt. Herbert Grönemeyer hateinmal gesagt:Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt, ist es bes-ser, viel besser, als man glaubt.Das ist Bochum. Glück auf!
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Meckelburg,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Der Titel dieser Aktuellen Stunde ist verführerisch.Er lautet: „Kampf um Arbeitsplätze unterstützen, Unter-nehmenskrisen meistern, Beschäftigungspotenziale er-halten – Restrukturierungsanstrengungen bei Karstadt-Quelle und GM/Opel stärken“. Ich habe mich zunächstgefragt, was das soll. Heute ist mir klar geworden: Hierhaben eine Menge Solidaritätskundgebungen stattgefun-den. Gerade den letzten Beitrag hätten Sie gestern undvorgestern in Bochum dreimal halten können.
Aber wenn sich der Bundestag mit diesem Thema be-schäftigt, dann kann man von der Fraktion, die diese Ak-tuelle Stunde beantragt, erwarten, dass sie etwas Kon-kretes dazu sagt, was getan werden soll.
Stattdessen habe ich heute Morgen im Frühstücksfernse-hen unseren geschätzten Ausschussvorsitzenden, HerrnWend, gehört, der wörtlich gesagt hat: Aus der Politik zuraten kann fast nur falsch sein. – Wenn Sie Ihre meinen,haben Sie völlig Recht. Sie haben gesagt: Ich glaube,man kann direkt nichts tun.
Deswegen die Frage: Warum reden wir darüber? Ichhabe nichts dagegen, wenn wir angesichts der derzeiti-gen Beispiele – sie sind eigentlich nur die Spitze des Eis-berges – feststellen, dass wir uns in Deutschland in ei-nem Umstrukturierungsprozess befinden und wir alle esbsbsmmdn–dlDRewhmmsxgimDdRssdRm–lilah„„
Von mir aus, Herr Stiegler, auch „in erster Linie“. Aberies hier ist nicht der Platz, an dem Sie alte Kampfparo-en aus den 70er- und 80er-Jahren herausholen sollten.
ie passen nun wirklich nicht mehr in diese Zeit. Ihreede, Herr Stiegler, war entlarvend.
Managementfehler gab es sicherlich. Das ist leicht zurklären: Wenn man bei Opel ständig das Personal aus-echselt und die Produktpalette nicht so ganz im Griffat, dann besteht in dieser Hinsicht keine Frage. Aberan muss natürlich die Frage stellen, ob allein Manage-entfehler für die derzeitige Krise verantwortlich sind.Bei Karstadt ist lange Zeit auch seitens der Gewerk-chaften keine Bereitschaft vorhanden gewesen, zu fle-ibleren Lösungen zu kommen. Jetzt, in der gegenwärti-en Situation, hat sich Gott sei Dank etwas bewegt. Manst bereit, über Dinge zu reden, um zu Lösungen zu kom-en.
as heißt, wir müssen anhand dieser Beispiele generellarüber reden, wie die Politik in unserem Lande dieahmenbedingungen verändern soll.
Ich finde es sinnvoll, an diesem Tag auch einen Zu-ammenhang zum Herbstgutachten der Wirtschaftsfor-chungsinstitute herzustellen. Ich lese Ihnen einmal nurie Überschriften aus diesem Herbstgutachten vor – dieedezeit in einer Aktuellen Stunde reicht ja nicht fürehr –, die charakterisieren, wo wir stehen.
Das geht ganz kurz und ist auch für jemanden verständ-ch, der keine langen Sätze versteht. – Die Überschriftenuten: „Exportmotor mit verringerter Drehzahl“ – Sieaben eben gesagt, dass Export dem Aufschwung hilft –,Verzögerter Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen“,Bauinvestitionen bleiben schwach“,
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Wolfgang Meckelburg„Nur leicht bessere Aussichten für den privaten Kon-sum“. An dieser Stelle muss viel getan werden, da beiden Menschen verständlicherweise große Zurückhaltungvorherrscht, und sie das Geld nicht so schnell ausgeben,weil sie nicht wissen, wohin Ihre Politik sie führt.
Weitere Überschriften sind: „Moderate Zunahme derProduktion“, „Lage am Arbeitsmarkt bessert sich nur zö-gerlich“, „Finanzpolitik verfehlt Defizitziel“. Das sinddie Überschriften im Herbstgutachten über die Politiker-wartung für das nächste Jahr.Wir suchen nach konkreten Antworten. Der Ministerist die Antwort auf die Fragen schuldig geblieben. Wosind Ihre Antworten bezüglich mehr Flexibilität im Ar-beits- und Tarifrecht? Dort gibt es doch zurzeit Bewe-gung, die wir brauchen. Wir werden auch bei Opel da-rüber reden müssen.
– Ich glaube schon, dass wir darüber reden müssen. Ichglaube nicht, dass sich das Unternehmen angesichts ei-ner übertariflichen Bezahlung in einer Größenordnungvon 20 Prozent – diese Ehrlichkeit gehört dazu – eineLösung ohne eine gewisse Bewegung auch auf Arbeit-nehmerseite vorstellen kann. Wir werden sehen, wie sichdas entwickelt.Wo ist Ihre Antwort auf die Frage, die heute MorgenKarl-Josef Laumann gestellt hat: Wo ist eigentlich Ihrwirtschaftspolitisches Konzept nach Hartz IV? Damitmeine ich nicht die Frage: Wann kommt Hartz V? DieFrage ist vielmehr: Wo sind die entscheidenden Dinge,die den Arbeitsmarkt wirklich nach vorn bringen?
Wo sind die Konzepte, die Wirtschaftswachstum brin-gen? Wo sind die Konzepte, um die Lohnnebenkosten zusenken?Zum Schluss sage ich Ihnen, was im Herbstgutachtendazu ausgeführt ist:Ein schlüssiges Konzept für eine wachstumsför-dernde Politik ist von der Bundesregierung bislangnicht vorgelegt worden. Vielmehr bleibt der Ein-druck, es handele sich überwiegend um Einzelmaß-nahmen, die darüber hinaus zum Teil nur deshalbergriffen wurden, weil sich die Haushaltslage im-mer weiter zugespitzt hat.
Die Antwort auf die Frage, was die Politik wirklichtut, um die Situation zu ändern, sind Sie heute schuldiggeblieben. Das ist die Kernfrage, die uns hier beschäfti-gen sollte.Sns–sfk2lrusbiwwEFbzDnDRBgaDvrGSOiv
Das Wort hat nun der Kollege Gerold Reichenbach,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich binicht nur als Wahlkreisabgeordneter, sondern auch per-önlich betroffen: Mein Vater hat bei Opel geschafftwie wir in Hessen sagen –, mein Großvater hat dort ge-chafft und vieler meiner Schulkameraden und Wegge-ährten arbeiten noch heute dort.Gestern waren 15 000 oder 20 000 Menschen – keinerennt die genaue Zahl – in Rüsselsheim auf der Straße.0 000 waren es in Bochum. Europaweit haben die Kol-eginnen und Kollegen von General Motors ihre Solida-ität bekundet, weil die Menschen dort – in Rüsselsheimnd Bochum – Angst nicht nur um ihren Arbeitsplatz,ondern um die ganze Region haben.Die Art und Weise, wir hier in diesem Hause und ins-esondere von Ihnen, von der FDP und der CDU/CSU,n der Aktuellen Stunde über dieses Thema diskutierturde, ist den Ängsten der Menschen nicht gerecht ge-orden.
Herr Pfeiffer hat die falsche Rede, nämlich die zumnergiewirtschaftsgesetz, eingepackt. Herr Brüderle undrau Wöhrl, die inzwischen gar nicht mehr hier ist, ha-en nichts anderes zu sagen gewusst, als alte Ideologienu verbraten. Von der PDS kam das Thema Hartz IV.as hat mit Opel und der Krise bei Opel wenig oder garichts zu tun.
em einen oder anderen von Ihnen gebe ich den Rat:eden Sie doch erst mit Betriebsräten, bevor Sie überetriebsräte reden.
Zu der Gesamtsituation von General Motors ist vielesesagt worden. Ihr Bemühen, die Bundesregierung fürlles verantwortlich zu machen, ist geradezu lächerlich.ie Bundesregierung hat nicht die Unternehmenspolitikon General Motors in den USA bestimmt. Die Bundes-egierung ist garantiert auch nicht dafür zuständig, dasseneral Motors in Mittelamerika und den Vereinigtentaaten selber Probleme und Einbrüche hat.Die Bundesregierung hat auch nicht Herrn Lopez beipel eingestellt, der dafür verantwortlich ist, dass Opeln den 90er-Jahren in die Krise geraten ist. Statt in Inno-ationen zu investieren, hat man schon damals die Kos-
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Gerold Reichenbachtenschraube nach unten gedreht. Mit anderen Worten:Man hat möglichst billige Produkte eingebaut. Die Ope-laner, die immer stolz auf die von ihnen gebauten Autoswaren, konnten die Produkte – ich sage es einmal dras-tisch – so gut montieren, wie sie wollten: Wenn Billigeseingekauft wurde, dann wurde billig Eingekauftes zwargut montiert; das wurde den Qualitätsansprüchen derKunden aber nicht gerecht. Das hat Opel in die Krise ge-bracht.Mit dem Argument der Flaute in der Automobilbran-che, die natürlich vorhanden ist, kommen Sie hier nichtweiter. Der Einbruch des Marktanteils von Opel von20 auf 11 Prozent ist in den 90er-Jahren passiert. Auchdas können Sie schlechterdings kaum dieser Bundes-regierung in die Schuhe schieben.
Die Krise bei Opel hat auch etwas damit zu tun, dassman auf ein falsches Marktsegment gesetzt hat. Es gibtnämlich keine Krise der Automobilbauer in Deutsch-land; viele machen noch gute Geschäfte. Bei der Beleg-schaft von Opel ist natürlich die Angst vorhanden, dassdiese Krise ähnlich wie damals ausgetragen wird unddass wieder, ohne Innovation anzustoßen, nur die Kostenreduziert werden sollen – und diesmal allein auf demRücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.Inzwischen gibt das General-Motors-Managementselbst zu, Managementfehler begangen zu haben. Dasind sie weiter als Sie, Herr Brüderle.Ich komme zum Thema Mitbestimmung. Wenn wir indieser Republik ein Beispiel suchen, bei dem Mitverant-wortung und Mitbestimmung im Interesse des Unterneh-mens funktioniert haben, dann ist es Opel. Ihr Versuch,die Opfer falscher Unternehmensentscheidungen teil-weise zu Tätern zu machen, ist nicht nur intellektuell un-redlich, sondern den Betroffenen gegenüber geradezuzynisch.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Sie zeichnen eineSchimäre von inflexiblen Gewerkschaften, die nicht be-reit sind, das Gehaltsniveau, das bei 20 Prozent über Ta-rif liegt, zu senken. Das stimmt doch überhaupt nicht.Das jetzt zur Debatte stehende Werk, das vor zwei Jah-ren eingeweiht wurde, ist zum großen Teil von den Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Opel selbst fi-nanziert worden, weil sie künftige Tariferhöhungenangerechnet haben. Auch das Qualitätsmanagementpro-gramm Olympia, das den Turnaround bewirkt hat – Opelhat heute wieder hervorragende Wagen auf dem Markt,die fast jeden Wettbewerb gewinnen –, wurde von derArbeitnehmerschaft angeregt und von ihr durch den Ver-zicht auf übertarifliche Maßnahmen begleitet.
Die Kolleginnen und Kollegen von Opel haben in derAbsatzkrise zu Beginn dieses Jahres gesagt: Um Arbeits-plätze zu halten, machen wir das Programm „30 plus“.DWewDhizdRllDbRsgtvbossisfkdnzsUvs
Sie haben Polen erwähnt. Schauen wir uns das Werkn Rüsselsheim einmal an. Momentan ist es zu 60 Pro-ent ausgelastet. Es ist das modernste Automobilwerker Welt.
Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit.
Rechnen Sie einmal: Selbst wenn die Opelaner in
üsselsheim für 0 Euro arbeiten würden, bei dieser Aus-
astung käme das Werk momentan nicht in den Rentabi-
itätsbereich hinein.
ie Polen mussten 15 Prozent unter dem Tariflohn blei-
en, um die Produktion des Zafira, die die Auslastung in
üsselsheim nicht bringen würde, zu erhalten. Hinterher
tellte sich heraus, dass es sich um ein Kompensations-
eschäft in Sachen Rüstung handelte. Und Sie behaup-
en, der Lohnkostenanteil sei entscheidend gewesen.
Nein, die Betriebsrätinnen und Betriebsräte handeln
erantwortlich, wenn sie im europäischen Konzernver-
und verhandeln. Sie dürfen sich zwischen den Stand-
rten Bochum und Kaiserslautern nicht gegenseitig aus-
pielen lassen. Sie wollen ihren Beitrag leisten. Sie
agen: „Natürlich leisten wir unseren Beitrag. Wichtig
st, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt.“
Herr Kollege!
Damit komme ich zum Schluss. Die Standorte müs-
en erhalten bleiben. Nur mit Innovationen kann man da-
ür sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen eine Zu-
unft haben. Das ist der richtige Weg.
Was kann die Bundesregierung machen? Den Weg,
en der Bundeswirtschaftsminister einschlägt, ist richtig,
ämlich dafür zu sorgen, dass im europäischen Konzert
usammengearbeitet und der Kontakt mit den schwedi-
chen Kollegen aufgenommen wird. Das ist die richtige
nterstützung. Das hilft den Kolleginnen und Kollegen
or Ort, nicht Ihre Ideologie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, entgegen einerpontanen Vermutung bin ich bei der Bemessung der
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertRedezeiten und der Interpretation der Geschäftsordnungnicht besonders penibel, sondern besonders großzügig.
Nun hat als letzter Redner in dieser Debatte der Kol-lege Gerald Weiß für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.Gerald Weiß (CDU/CSU):Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolle-ginnen und Kollegen! Die Opel-Stadt Rüsselsheim istmeine Heimatstadt. Die gesamte Region – ich glaube so-gar, die ganze Nation – macht sich Sorgen um die Ar-beitsplätze in Rüsselsheim, Bochum und Kaiserslautern;aber nicht nur um die Arbeitsplätze dort. Denn es gibt4,3 Millionen Arbeitslose. Das ist der höchste Wert seit14 Jahren.Für diejenigen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatzmachen müssen – diese Sorgen verstehen wir –, gab esheute – das stimmt, Herr Clement – eine gute Nachricht.Diese gute Nachricht lautet, dass die Arbeitsniederle-gung bei Opel beendet ist,
dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem guten Dia-log stehen und gemeinsam versuchen, die Automobil-werke an den Standorten Rüsselsheim und Bochum, wiees heißt, so weit wettbewerbsfähig zu machen, dass sieüber das Jahr 2010 hinaus erhalten werden können. Dasist das Ziel.Herr Stiegler, wenn man insbesondere Ihre trivialePolitökonomie bzw. Ihren gruftigen Klassenkampf erlebthat,
fragt man sich: Was müssen die Menschen über die Qua-lität der Auseinandersetzung angesichts der Sorgen undNöte bezüglich ihrer Arbeitsplätze denken?
Was die Regierungsfraktionen hier geboten haben, wardie Abwesenheit eines jeden Handlungskonzeptes, An-gesichts der kollektiven Ratlosigkeit
der Rednerriege, die hier für Rot-Grün aufmarschiert ist,muss man wirklich Angst haben, weil Ihnen wirtschafts-politische Verantwortung in die Hand gegeben ist.Natürlich haben Sie versucht, Opel und Karstadt alsEinzelfälle, in denen es Managementfehler gegeben hat,darzustellen. Gestern und schon vorgestern gab esManagementversagen, das sich heute rächt. Das lässtsich auch anhand des gesunkenen Marktanteils, der sichlangsam wieder stabilisiert, messen.mupEsbvSrhaiiDutbhDHstnDtlIIkgaiDvuk
n Deutschland um 30 Prozent höher als beispielsweisen Schweden sind, dass die Bruttoarbeitskosten ineutschland um 30 Prozent höher als in Schweden sind
nd dass es ein negatives Verhältnis zwischen den Brut-oarbeitskosten und dem, was die Arbeitnehmer heraus-ekommen, gibt, das ein Ausmaß wie nirgendwo sonstat.
as sind die Ursachen der Krisen.
Dazu zählt auch die Wachstumskrise. Wie es imerbstgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsin-titute heißt, werden wir in Deutschland auch im nächs-en Jahr nur mit einem Wachstum von 1,5 Prozent rech-en können.
as bedeutet erneut mit Abstand die Schlusslichtposi-ion in Europa. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Dasiegt in Ihrer Verantwortung.
hre Politik schlägt sich in den Unternehmenskrisen, imnvestitionsverhalten und im Kaufverhalten nieder.Ich meine die Kaufkraftzurückhaltung und die Re-ordsparquote, die das Angstsparen aufzeigt. Wie ichehört habe, beträgt die Sparquote in dem Bundesland,us dem Sie, Herr Brüderle, kommen, 15 Prozent. Dasst die Rekordsparquote in Deutschland.
as ist ein Ausdruck von Zukunftsangst. Meine sehrerehrten Damen und Herren von Rot-Grün, Sie könnenns doch nicht erklären, dass Ihre Politik für diese Zu-unftsangst nicht verantwortlich ist.
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(C)
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Gerald Weiß
Deshalb müssen Sie die Rahmenbedingungen verbes-sern. Der Keil zwischen Bruttoarbeitskosten und Netto-arbeitserträgen, die Energiekosten, die Ökosteuer undder ins Wahnsinnige gehende Benzinpreis, das offen-sichtliche Fehlen eines Steuerkonzeptes und einer gro-ßen Steuerreform, das alles sind schlechte Rahmenbe-dingungen für Deutschland.
Die müssen Sie, die Sie politische Verantwortung tragen,in Ordnung bringen. Dann werden die Beschäftigungs-aussichten und die Zahlen auch in den Konzernen wiederbesser werden, die Sie heute als Einzelfälle, in denen esManagementfehler gegeben hat, darzustellen versuchthaben.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Ta-
gesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 21. Oktober 2004, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.