Protokoll:
15111

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 111

  • date_rangeDatum: 27. Mai 2004

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:19 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 15/111 Absetzung des Tagesordnungspunktes 26 a . . Tagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Arbeit – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Offensive für den Mittelstand – zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Hartmut Schauerte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Grundsätzliche Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik statt neue Sonderregeln – Mittelstand (Drucksachen 15/351, 15/349, 15/357, 15/752, 15/1134, 15/3221) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD) . . . . . . . . . Hartmut Schauerte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 10072 A 10021 C 10021 D 10024 B 10026 D 10028 D 10029 A 10029 C 10030 D 10032 D 10034 C 10035 C Deutscher B Stenografisc 111. Si Berlin, Donnerstag I n h a Nachruf auf den Abgeordneten Matthias Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung der neuen Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl der Abgeordneten Rita Streb-Hesse als stellvertretendes Mitglied der Parlamentari- schen Versammlung des Europarates . . . . . Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Hans-Peter Kemper, Wilhelm Schmidt (Salzgitter) und Gert Weisskirchen (Wiesloch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 13 und 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10019 A 10019 B 10019 C 10019 D 10019 D, 10128 C 10021 B umfassend stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms, undestag her Bericht tzung , den 27. Mai 2004 l t : Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Chancen für den Mittelstand – Rahmenbedingungen verbessern statt Förderdschungel aus- weiten – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Statistiken reduzie- ren – Unternehmen entlasten – Büro- kratie abbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Joachim Günther (Plauen), Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Modellregionen für Deregulierung und Bürokratieab- bau Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10037 A 10038 A 10039 B II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD) . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Arnold Vaatz, Werner Kuhn (Zingst), Ulrich Adam, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ostdeutschland eine Zu- kunft geben (Drucksache 15/3047) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundesna- turschutzgesetzes (Drucksachen 15/776, 15/2956) . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Nachhal- tiges Wachstum in Ostdeutschland sichern (Drucksache 15/3201) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Eberhard Otto (Godern), Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Ostdeutsch- land als Speerspitze des Wandels – Leitli- nien eines Gesamtkonzepts für die neuen Länder (Drucksache 15/3202) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Eberhard Otto (Godern), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Keine Kürzun- gen bei den Verkehrsprojekten in Ost- deutschland (Drucksache 15/3203) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Hilsberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister BMVBW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister BMVBW. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10041 A 10042 A 10043 C 10045 C 10045 C 10045 D 10045 D 10046 A 10046 A 10047 C 10048 D 10050 C 10050 D Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Milbradt, Ministerpräsident (Sachsen) Christoph Matschie (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernward Müller (Gera) (CDU/CSU) . . . . . . Siegfried Scheffler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Scheffler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU) . . . . . . . . Harald Wolf, Senator (Berlin) . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (Drucksache 15/2722) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- ten Gesetzes zur Änderung des Futter- mittelgesetzes (Drucksache 15/3170) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 14. Mai 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 15/3171) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 8. Juli 2003 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der mazedoni- schen Regierung über soziale Sicherheit (Drucksache 15/3172) . . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 14. Oktober 2003 über die Beteiligung der Tschechischen Republik, der Repu- blik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Re- publik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowaki- 10051 A 10053 D 10056 A 10059 C 10060 C 10062 A 10063 C 10064 C 10066 B 10066 C 10066 D 10068 C 10070 B 10072 B 10072 B 10072 B 10072 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 III schen Republik am Europäischen Wirt- schaftsraum (Drucksache 15/3173) . . . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaff- neten Konflikten (Drucksache 15/3176) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung (Drucksache 15/3147) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 7. April 2003 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit bei der Bekämp- fung von Straftaten von erheblicher Be- deutung (Drucksache 15/3177) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Wagniska- pital (Drucksache 15/3189) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Jürgen Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Den Tourismus stärken – Chan- cen der EU-Erweiterung nutzen (Drucksache 15/3192) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Annette Faße, Brunhilde Irber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Internationale Richtlinien für biologische Vielfalt und Tourismus- entwicklung zügig umsetzen (Drucksache 15/3219) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verschiebung des Zeitpunktes für das In-Kraft-Treten des Vierten Ge- setzes für moderne Dienstleistungen am 10072 C 10072 C 10072 D 10072 D 10073 A 10073 A 10073 A Arbeitsmarkt (SGB II) auf den 1. Ja- nuar 2006 (Drucksache 15/3105) . . . . . . . . . . . . . . . g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Selbstverpflichtungserklärung der Deutschen Post AG zur Erbringung be- stimmter Postdienstleistungen (Drucksache 15/3186) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Rechtsfragen hinsichtlich der Rechts- stellung von Angehörigen der Bundes- wehr bei Kooperationen zwischen der Bundeswehr und Wirtschaftsunterneh- men sowie zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 15/2944, 15/3124) . . . . . . . b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 2002 über die Vorrechte und Immunitäten des Internationalen Strafgerichtshofs (Drucksachen 15/2723, 15/3217) . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2003 zum Internationalen Übereinkommen von 1992 über die Er- richtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmut- zungsschäden (Drucksachen 15/2947, 15/3215) . . . . . . . d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften über die Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch See- schiffe (Drucksachen 15/2949, 15/3220) . . . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Ände- rung der Versatzverordnung und zur Zweiten Änderung der Deponieverord- nung (Drucksachen 15/2814, 15/2886 Nr. 1, 15/3141) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) – l) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 117, 118, 119, 120, 121, 122 und 123 zu Petitionen 10073 C 10073 C 10073 C 10074 A 10074 A 10074 C 10074 D IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (Drucksachen 15/3089, 15/3090, 15/3091, 15/3092, 15/3093, 15/3094, 15/3095) . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Den Rechtsweg in der Regu- lierung des Telekommunikationsmarktes ändern (Drucksache 15/3218) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Interna- tionalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicher- heitspräsenz (KFOR) und den Regie- rungen der Bundesrepublik Jugosla- wien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksachen 15/3175, 15/3235, 15/3236) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Werner Hoyer, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Status des Kosovo als EU-Treuhandgebiet (Drucksache 15/2860) . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Gernot Erler, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Ludger Volmer, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fortsetzung und Anpassung der Arbeit der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo (Drucksache 15/3204) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 10075 A 10075 C 10075 D 10076 A 10076 A Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Der Kosovo- politik eine Perspektive geben (Drucksache 15/3188) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU) . . . . . Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Siegfried Helias (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dietrich Austermann, Friedrich Merz, Steffen Kampeter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Umkehr in der Finanz- und Haushaltspolitik – Haushalts- sicherungsgesetz und Nachtragshaushalt jetzt (Drucksache 15/3096) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Nach- tragshaushalt und Haushaltssicherungsge- setz zur Korrektur der Bundesfinanzen notwendig (Drucksache 15/3216) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Austermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10076 B 10076 B 10078 A 10079 C 10079 D 10081 C 10082 C 10083 D 10085 A 10085 B 10085 B 10086 A 10087 A 10090 A 10087 B 10087 C 10087 D 10093 A 10096 C 10097 D 10099 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 V Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuordnung des Gentechnik- rechts (Drucksache 15/3088) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Er- nährung und Landwirtschaft zu dem An- trag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wahl- freiheit für die Landwirte durch Rein- heit des Saatgutes sicherstellen (Drucksachen 15/2972, 15/3209) . . . . . . . Renate Künast, Bundesministerin BMVEL . . Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Betriebsprämiendurchfüh- rungsgesetzes (Drucksachen 15/3046, 15/3223) . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ernährungs- und agrarpolitischer Be- richt 2004 der Bundesregierung (Drucksache 15/2457) . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Albert Deß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10100 D 10101 B 10101 D 10102 C 10103 C 10103 C 10103 D 10104 D 10104 B 10106 B 10108 B 10110 A 10111 C 10113 A 10113 D 10114 D 10116 C 10116 D 10117 A 10118 A 10118 D 10120 B Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Jella Teuchner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit – zu dem Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim Welthandel mit Dienstleistun- gen – GATS-Verhandlungen zügig voranbringen – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Internationale Rechtssicherheit und transparente Regeln für den Dienstleistungshan- del – GATS-Verhandlungen voran- bringen (Drucksachen 15/1008, 15/1010, 15/3101) . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit – zu dem Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Dagmar Wöhrl, Karl- Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern von Cancun konstruktiv und zügig voranbringen – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Markus Löning, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Doha-Runde bis 2005 zum Erfolg führen – Mehr Entwicklung, Armutsbekämpfung und Wohlstand durch Freihandel (Drucksachen 15/1567, 15/1931, 15/3222) . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der 10121 B 10122 C 10123 D 10125 A 10125 B 10126 C 10128 B 10128 B VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 CDU/CSU: Qualitätssicherung im Bil- dungswesen und kulturelle Vielfalt bei GATS-Verhandlungen garantieren (Drucksachen 15/1095, 15/1844) . . . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Passagier- datensammlungen und Datenschutzrechte – EU-Abkommen mit den Vereinigten Staa- ten von Amerika (Drucksachen 15/2761, 15/3120) . . . . . . . . . . Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Hofmann (Volkach) (SPD) . . . . . . . . . . Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anleger- schutzverbesserungsgesetz – AnSVG) (Drucksache 15/3174) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . . Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Simone Violka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Renate Gradistanac, Sabine Bätzing, Ute Berg, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ekin Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des 10128 C 10128 D 10129 D 10130 C 10131 D 10133 A 10133 B 10134 B 10136 C 10137 B 10138 A 10138 B 10139 C 10139 D 10140 D 10142 A 10143 A 10144 A 10145 A BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Kinder und Jugendliche wirksam vor sexueller Gewalt und Ausbeutung schützen (Drucksache 15/3211) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Gradistanac (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Klaus Haupt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Ursula Lietz, Anita Schäfer (Saalstadt), Christa Reichard (Dres- den), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Frauen und Familien in der Bundeswehr stärken und fördern (Drucksache 15/3049) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursula Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Heß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Karin Kortmann, Rudolf Bindig, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Un- terstützung der neuen Regierung Boli- viens bei der demokratischen Stabilisie- rung des Landes (Drucksache 15/2975) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Chance zum demokratischen Neubeginn in Haiti unterstützen (Drucksache 15/2746) . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Peter Weiß (Em- mendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Nach der Neuwahl in Argentinien: Entwicklungs- zusammenarbeit mit Argentinien und Uruguay zielgerichtet fortführen (Drucksachen 15/1015, 15/2706) . . . . . . . 10146 A 10146 B 10148 A 10149 C 10150 A 10151 B 10151 D 10153 A 10153 B 10155 A 10157 D 10159 A 10159 A 10159 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 VII Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Reckling- hausen), Günter Nooke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Das gemeinsame historische Erbe für die Zukunft bewahren (Drucksache 15/2819) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kul- turarbeit gemäß § 96 Bundesvertriebe- nengesetz in den Jahren 2001 und 2002 (Drucksache 15/2967) . . . . . . . . . . . . . . . . Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . . . Gisela Hilbrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Sehling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Julia Klöckner, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Dreizehntes Gesetz zur Ände- rung des Arzneimittelgesetzes für Tierärzte und Landwirte praxisgerecht und verbrau- cherfreundlich gestalten (Drucksache 15/3112) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Julia Klöckner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Lothar Mark, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Dr. Ludger Volmer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik (Drucksache 15/3205) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10159 C 10159 D 10159 D 10161 C 10162 D 10163 D 10165 A 10165 D 10166 A 10168 C 10169 C 10170 D 10172 A 10173 D 10174 B 10174 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Marianne Tritz, Werner Schulz (Berlin), Fritz Kuhn, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bremen), Undine Kurth (Quedlinburg), Josef Philip Winkler, Petra Selg, Christine Scheel, Jutta Dümpe-Krüger, Albert Schmidt (Ingol- stadt), Winfried Hermann, Cornelia Behm, Franziska Eichstädt-Bohlig, Thilo Hoppe, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, Dr. Ludger Volmer, Jerzy Montag, Grietje Bettin, Christa Nickels, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert, Hubert Ulrich, Winfried Nachtwei, Anna Lührmann, Hans-Christian Ströbele, Peter Hettlich und Markus Kurth (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) sowie Rüdiger Veit, René Röspel, Uta Zapf, Hans Büttner (Ingolstadt), Karin Kortmann, Dr. Cornelie Sonntag- Wolgast, Christoph Strässer und Eckhardt Barthel (Berlin) (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internati- onalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur mili- tärischen Absicherung der Friedensrege- lung für das Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkom- mens zwischen der Internationalen Sicher- heitspräsenz (KFOR) und den Regierun- gen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Ta- gesordnungspunkt 6 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationa- len Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Ge- währleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militäri- schen Absicherung der Friedensregelung für das Kosovo auf der Grundlage der Re- solution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der Internationalen Sicherheits- präsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Re- publik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesord- nungspunkt 6 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10175 A 10175 A 10175 D VIII Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim Welthandel mit Dienstleistungen – GATS-Verhandlungen zügig voranbringen – Internationale Rechtssicherheit und trans- parente Regeln für den Dienstleistungs- handel – GATS-Verhandlungen voranbrin- gen – Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern von Cancun konstruktiv und zügig voran- bringen – Doha-Runde bis 2005 zum Erfolg führen – Mehr Entwicklung, Armutsbekämpfung – Chancen zum demokratischen Neubeginn in Haiti unterstützen – Nach der Neuwahl in Argentinien: Ent- wicklungszusammenarbeit mit Argenti- nien und Uruguay zielgerichtet fortführen (Tagesordnungspunkt 19 a bis c) Karin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: 10179 D 10180 D 10182 B 10182 D und Wohlstand durch Freihandel – Qualitätssicherung im Bildungswesen und kulturelle Vielfalt bei GATS-Verhandlun- gen garantieren (Tagesordnungspunkt 10 a bis c) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD) . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Frauen und Familien in der Bundes- wehr stärken und fördern (Tagesordnungs- punkt 16) Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Unterstützung der neuen Regierung Boli- viens bei der demokratischen Stabilisie- rung des Landes 10176 C 10178 D – des Antrages: Das gemeinsame historische Erbe für die Zukunft bewahren – der Unterrichtung: Bericht der Bundesre- gierung über die Maßnahmen zur Förde- rung der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundes- vertriebenengesetz in den Jahren 2001 und 2002 (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Latein- amerika und der Karibik (Tagesordnungs- punkt 20) Lothar Mark (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Nolte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . 10183 C 10184 B 10186 C 10187 C 10189 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10019 (A) (C) (B) (D) 111. Si Berlin, Donnerstag Beginn: 9
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    1) Anlage 8 Berichtigung 110. Sitzung, Seite 9999 (B), erster Absatz, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „Nicht nur Simbabwe, son- dern auch der Sudan ist jetzt zur Nagelprobe für Afrikas Bekenntnis zur Einhaltung der Menschenrechte, zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geworden.“ Seite 10007 (B), erster Absatz, der zweite Satz ist wie folgt zu lesen: „Unsere Regierung und auch der Deutsche Bun- destag tun das seit langem, nämlich seit dem letzten Jahr, Kollege Büttner.“ (D) (B) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10175 (A) (C) (B) (D) Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Fortsetzung der Deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Marianne Tritz, Werner Schulz (Berlin), Fritz Kuhn, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Ulrike Höfken, Marieluise Beck (Bremen), Undine Kurth (Quedlinburg), Josef Philip Winkler, Petra Selg, Christine Scheel, Jutta Dümpe-Krüger, Albert Schmidt (Ingol- stadt), Winfried Hermann, Cornelia Behm, Franziska Eichstädt-Bohlig, Thilo Hoppe, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, Dr. Ludger Volmer, Jerzy Montag, Grietje Bettin, Christa Nickels, Alexander Bonde, Dr. Thea Dückert, Hubert Ulrich, Winfried Nachtwei, Anna Lührmann, Hans-Christian Ströbele, Peter Hettlich und Markus Kurth (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) sowie Rüdiger Veit, René Röspel, Uta Zapf, Hans Büttner (Ingolstadt), Karin Kortmann, Dr. Cornelie Sonntag- Wolgast, Christoph Strässer und Eckhardt Barthel (Berlin) (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo zur Gewährleis- tung eines sicheren Umfeldes für die Flücht- lingsrückkehr und zur militärischen Absiche- rung der Friedensregelung für das Kosovo auf Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Barthle, Norbert CDU/CSU 27.05.2004 Borchert, Jochen CDU/CSU 27.05.2004 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 27.05.2004 Haack (Extertal), Karl Hermann SPD 27.05.2004 Hagemann, Klaus SPD 27.05.2004 Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 27.05.2004 Dr. Rexrodt, Günter FDP 27.05.2004 Scheuer, Andreas CDU/CSU 27.05.2004 Schröder, Gerhard SPD 27.05.2004 Anlagen zum Stenografischen Bericht Abkommens zwischen der Internationalen Si- cherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Repu- blik Serbien vom 9. Juni 1999 (Tagesordnungs- punkt 6 a) Wir erklären: Angesichts der dramatischen Entwick- lung in den vergangenen Wochen und der gezielten An- griffe gegen Minderheitenangehörige im Kosovo sind deren Leben und Grundrechte im Kosovo massiv gefähr- det. Es ist zu gezielten Übergriffen auf Rückkehrersied- lungen von ethnischen Minderheiten im Kosovo gekom- men. Für uns ergibt sich daraus die Konsequenz, dass auf absehbare Zeit alle Rückführungsmaßnahmen unter- bleiben müssen. Wir begrüßen daher die Entscheidung von UNMIK, seit dem 17. März 2004 alle Abschiebun- gen von ethnischen Minderheiten zu stoppen. Aus unserer Sicht kommt es bei der Frage der Rück- kehr von Minderheitenangehörigen ins Kosovo darauf an, ob Gefahren für Leib und Leben ausgeschlossen wer- den können. Dies wird übereinstimmend von UNMIK, UNHCR, OSZE für die nahe Zukunft verneint. Sowohl KFOR als auch UNMIK verweisen darauf, dass es in der angespannten Lage sicherheitspolitisch kontraproduktiv wäre, ethnische Minderheiten in das Kosovo zurückzu- führen und damit möglicherweise die ethnischen Span- nungen zu verschärfen. Die Bundesregierung unter- nimmt größte Anstrengungen, die Lage im Kosovo zu stabilisieren und dauerhaft zu verbessern. Die Absicht von Landesinnenministern, aus innenpolitischen Erwä- gungen Abschiebungen in das Kosovo durchzuführen, ist nicht nur menschlich, sondern auch sicherheitspoli- tisch fatal. Damit würde deutsche Innenpolitik außen- politische Ziele konterkarieren. Die Konsequenz sollte nunmehr – nach Jahren der Duldungen für den Personenkreis der Minderheitenange- hörigen aus dem Kosovo – die Gewährung eines recht- mäßigen Aufenthaltes und damit die Ermöglichung einer Zukunftsperspektive sein. In diesem Sinne sollte sich der Bundesinnenminister intensiv gegenüber seinen Länder- kollegen und der Innenministerkonferenz einsetzen. Weiterhin fordern wir das BMI auf, gegenüber dem Bundesamt für Flüchtlinge klarzustellen, dass unverzüg- lich die Praxis der generellen Einleitung von Widerrufs- verfahren gegen anerkannte Flüchtlinge aus dem Kosovo eingestellt wird. Die neuerliche Gewalteskalation im Kosovo zeigt, dass an eine Beendigung des Flüchtlings- schutz-Status noch lange nicht zu denken ist. Ist eine Rückkehr nicht zumutbar, dann darf der Flüchtlingssta- tus nicht widerrufen werden. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) zur 10176 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedenregelung für das Ko- sovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch- Technischen Abkommens zwischen der Interna- tionalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Ta- gesordnungspunkt 6 a) Ich werde der Fortsetzung der deutschen Beteiligung im Kosovo zustimmen, auch wenn ich dazu erhebliche Bedenken habe. Seit dem Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo hat die deutsche Außenpolitik keine nennenswerten Aktivi- täten übernommen, damit der Einsatz im Kosovo poli- tisch erfolgreich abgeschlossen werden kann. Dazu hätte gehört, alle diplomatischen Möglichkeiten auszuschöp- fen und alle Kräfte zu bündeln, damit eine Aussöhnung stattfinden kann. Viele Zusagen, die Bundesaußenminister Fischer in seinem Wortbeitrag am 11. Juni 1999 gegenüber dem Deutschen Bundestag gemacht hat, sind nicht erfüllt worden. Der Wille, diese Zusagen zu erfüllen, ist nicht erkennbar. Die Bundesregierung bleibt auch den deut- schen Soldaten im Kosovo die Antwort schuldig, wie lange dieser Einsatz zeitlich noch dauern soll. Bundesaußenminister Fischer hatte versprochen, dass der Frieden im Kosovo dann eintreten wird, wenn die in- ternationale Friedenstruppe im Kosovo steht. Seit fünf Jahren ist die internationale Friedenstruppe im Kosovo präsent und Frieden ist immer noch nicht eingekehrt. Der vom deutschen Außenminister versprochene Frie- densprozess für den Kosovo ist nach fünf Jahren militä- rischem Einsatz immer noch weit entfernt. Diese negative Bilanz ist leider auch auf eine deut- sche Außenpolitik zurückzuführen, deren Interesse für das Kosovo längst nur noch auf ein Minimum be- schränkt ist. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: – Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim Welthandel mit Dienstleistungen – GATS-Verhandlungen zügig voranbringen – Internationale Rechtssicherheit und trans- parente Regeln für den Dienstleistungshan- del – GATS-Verhandlungen voranbringen – Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern von Cancun konstruktiv und zügig voran- bringen – Doha-Runde bis 2005 zum Erfolg führen – Mehr Entwicklung, Armutsbekämpfung und Wohlstand durch Freihandel – Qualitätssicherung im Bildungswesen und kulturelle Vielfalt bei GATS-Verhandlun- gen garantieren (Tagesordnungspunkt 10 a bis c) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, GATS, ist zweifelsohne eine der wichtigsten Vertrags- verhandlungen, die im letzten Jahrzehnt international ini- tiiert wurden. Dienstleistungen sind ein wichtiger Wirt- schaftszweig mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten und stetig steigendem Anteil am Welthandel. Wie hoch der Anteil sein wird, hängt wesentlich von den Inhalten und Modalitäten der GATS-Verhandlungen ab. Beim GATS geht es dabei nicht allein um private, wirtschaftsnahe Dienstleistungen. Es geht auch um Bil- dung, medizinische und soziale Dienstleistungen, Um- weltdienste, Kultur und Sport. Nur die „in Ausübung ho- heitlicher Gewalt“ erbrachten Dienstleistungen sind ausgenommen – aber was die sind, darüber gibt es kei- nen weltweiten Konsens. Bei den Verhandlungen geht es entscheidend darum, was an Leistungen künftig öffentlich erbracht wird bzw. erbracht werden darf und welche Kriterien außer der rei- nen Gewinnerzielung Geltung haben sollen. Gerade in der Daseinsvorsorge, bei den Leistungen, die in unseren Städten und Gemeinden erbracht werden, sind die Fra- gen existenziell, wie viel Gestaltungsspielraum die öf- fentliche Hand noch haben wird, wie viel Zuschüsse noch erlaubt sind bzw. ob jeder private Anbieter ebenso Anspruch auf öffentliche Subventionen hat wie gemein- nützige Organisationen. Beim GATS geht es mit einer internationalen Markt- ordnung für Dienstleistungen nicht nur um eine neue Ordnung des globalen Arbeitsmarktes, sondern es wird eine neue globale, soziale Ordnung vorgezeichnet, die tief in die bisherigen politischen, sozialen und kulturel- len Wertvorstellungen und Ordnungssysteme der meis- ten Nationalstaaten eingreift und die schon bisher die Handlungsspielräume für politische Gestaltung in der Vergangenheit eingeschränkt hat und zukünftig erheb- lich einschränken kann. Dies ist in der nationalen und in- ternationalen Debatte immer mehr bewusst geworden. Das GATS ist nur scheinbar ein exotisches Spezialthema – in Wirklichkeit geht es uns alle an. Das Scheitern der WTO-Verhandlungen in Cancun hatte auch zu einem weit gehenden Stillstand der GATS- Verhandlungen geführt. Auf den ersten Blick scheint der Verhandlungsprozess wieder da, wo er vor einem Jahr bereits stand. Allerdings wurden – von der Öffentlichkeit weitgehend unbe- merkt – die GATS-Verhandlungen mit einer Sondersit- zung des WTO-Dienstleistungsrates am 2. April wieder aufgenommen. Damit stellt sich die Frage, ob wir, die Industrieländer, die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung aus dem Scheitern in Mexiko und der öffentlichen Debatte in unserem Land die nötigen Leh- ren gezogen haben. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10177 (A) (C) (B) (D) Aus Sicht von uns Sozialdemokraten waren die Gründe für ein Scheitern lange absehbar gewesen: Die fragile Lage der Weltwirtschaft zeigt zwar milde Zei- chen von Erholung, dies jedoch regional begrenzt. Ganze Kontinente wie Lateinamerika und Afrika konn- ten und können von den positiven Impulsen der Welt- konjunktur nicht profitieren, auch in Europa sind die Perspektiven eher mäßig. Dies erlaubt vielen Regierungen nicht, großzügige Handelszugeständnisse im Verhandlungsprozess zu ma- chen – schon gar nicht wenn sie vor bedeutsamen Wah- len stehen wie zum Beispiel den Präsidentschaftswahlen in den USA. Die US-Debatte macht auch deutlich, dass die Beant- wortung der Frage, was mehr Welthandel und Marktöff- nung wirklich für Arbeitsplätze und Wohlstand bringen, unausweichlich ist und von der Politik beantwortet wer- den muss. Die optimistischen Aussagen der Opposition entsprechen jedenfalls nicht den Tatsachen. Dass bisher in der WTO die soziale Dimension völlig und die ökologische nahezu völlig gefehlt haben, war und ist für die Handelsexperten kein Grund zur Beunru- higung – wohl aber für Hunderte von Millionen Men- schen. Ohne die soziale Frage wird es aber keine „Glo- balisierung mit menschlichem Gesicht“ geben, sondern Globalisierung wird ein Prozess bleiben bzw. werden, der auf dem Rücken breiter Schichten zugunsten Weni- ger durchgesetzt wird. Wenn man sich die hier eingebrachten und zur Ab- stimmung gestellten GATS-Anträge der CDU/CSU- so- wie der FDP-Fraktion ansieht, ist klar zu sehen, dass sie eine Globalisierung auf dem Rücken der Menschen zu- gunsten weniger Reicher durchsetzen wollen. In Ihren hier vorliegenden Anträgen tauchen erneut die gleichen weltpolitisch gescheiterten, neokonservativen Forderun- gen auf, wie sie schon vor Cancun von Ihnen zu hören waren. Es sind die gleichen Allgemeinplätze zu Proble- men, die vielfältiger sind, als Sie sie wahrzunehmen be- lieben. Dass Handel die Weltprobleme löst, ist für große Regionen der Welt eine Schimäre oder besser ein trojani- sches Pferd, in dessen Gefolge sich Deindustrialisierung und Sozialdumping verbreitet haben. Dass im Vorfeld einer neuen Liberalisierungsrunde, zunächst tief greifende Reformen der WTO hin zu mehr Gleichberechtigung der verhandelnden Staaten, zu einer sozialen und ökologischen Dimension im Mittelpunkt stehen müssen, diese Erkenntnis ist an Ihnen vorbeige- gangen. Der in dem Antrag der FDP-Fraktion eröffnete Forde- rungskatalog lässt darüber hinaus einen geradezu leicht- sinnigen Umgang mit den Interessen unseres Landes er- kennen. Sie behaupten zum Beispiel, dass das GATS keinerlei Implikationen für hoheitlich erbrachte Dienstleistungen habe, und versuchen damit, Bedenken bei der öffentli- chen Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit und Kultur zu zerstreuen. Das heißt, sie haben entweder nicht verstanden, dass das GATS keine hinlängliche Defini- tion für hoheitlich erbrachte Dienstleistung enthält, oder Sie haben es bewusst ignoriert. Sie wissen doch, dass gerade bei uns viele Leistungen öffentlich finanziert und reguliert sind, die in anderen Ländern privat erbracht oder outgesourced sind: vom Gefängnisbetrieb bis zum Gefangenenverhör, die bei uns klassisches Gewaltmonopol des Staates sind und bleiben müssen. Wer mit soviel Dilettantismus zu Werke geht und gleichzeitig lauthals das konzeptionelle Ende dieser Re- gierung verkündet, hat fundamentale Probleme mit der Wahrnehmung von Realität. Wo wir gerade bei Realität sind: Der FDP-Antrag geht zudem noch völlig am politischen Konsens in der EU vorbei. Dort war bisher Gott sei Dank Einigkeit da- rüber, dass die wesentlichen Bereiche der Daseinsvor- sorge wie zum Beispiel Bildung, Gesundheit und Kultur von der Liberalisierung ausgeklammert werden und eben nicht, wie von Ihnen gefordert, den Interessen einiger großer Dienstleistungskonzerne geopfert werden. Sie ha- ben mit Ihren Ansichten weder in der EU-Kommission noch im Europäischen Parlament noch in diesem Lande die Mehrheit. Viel gravierender ist jedoch die FDP- und CDU/CSU- Forderung, keine Sozialstandards im GATS, aber auch bei der WTO zu verankern. Lassen Sie es sich gesagt sein: Der Arbeitsmarkt ist kein Markt wie jeder andere. Und wenn Sie so tun, als sei zwischen Menschen, die ihre Arbeit verkaufen, und dem Handel mit Socken oder Kartoffelchips kein Unterschied, dann zeigt das einen Zynismus, der dem Kapitalismus vergangener Jahrhun- derte entstammen könnte. Das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit, Lohn- sklaverei, gewaltsamer Unterdrückung der Koalitions- freiheit und der massiven Diskriminierung von Frauen und zum Beispiel Andersfarbiger soll auf dem Altar des „Freihandels um jeden Preis“ geopfert werden. Selbst die großen multinationalen Konzerne – zumindest die mit Sitz im kontinentalen Europa – sind da schon deut- lich weiter. Ihr Hinweis, Sozial- und Arbeitsstandards sollten doch bitte von der Internationalen Arbeitsorganisation – der ILO – durchgesetzt werden, ist nur noch zynisch. Sie wissen doch genau, dass die ILO im Gegensatz zur WTO über keinerlei wirksame Durchsetzungsmittel verfügt. In Wirklichkeit wollen Sie nur verhindern, dass es weltweit durchsetzbare und einklagbare Arbeitneh- merrechte und Sozialstandards gibt, damit der Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen in Deutschland an- hält. Sie verstehen die WTO offenbar nur als einen Club, der völlig frei von Rücksichtnahme auf die ökologische und soziale Dimension des Wirtschaftens, lediglich als „Sesam, öffne Dich!“ für die großen Unternehmen auf den Weltmärkten wirken soll. Wir Sozialdemokraten stehen für eine weltoffene, ex- portstarke Wirtschaft; Ihr einseitiges und verengtes Ver- ständnis von Globalisierung können wir nicht akzeptieren. 10178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) Die historische Wahrheit ist im letzten Bericht der ILO- Weltkommission nachzulesen; sorgfältig geprüft und vorbereitet von Unternehmen, Wissenschaftlern und Po- litikern. Dort wurde festgestellt, dass in der bisherigen Form, das heißt ohne Gewährleistung von Arbeitnehmerrech- ten, Liberalisierung und Globalisierung eben nicht zu mehr Wohlstand und Arbeitsplätzen geführt haben und auch nicht führen werden. Vielmehr sind im Zuge dieser Art von Globalisierungsprozessen verstärkt Sozial- und Ökologiedumpings zu beobachten. Im Gegensatz zu Ih- nen haben die rot-grünen Koalitionsfraktionen erkannt und mit ihren im Parlament verabschiedeten Anträgen klargestellt, dass die GATS-Verhandlungen eine einma- lige Gelegenheit bieten, nicht nur ökonomische Perspek- tiven für Unternehmen völkerrechtlich zu öffnen, son- dern gleichzeitig grundlegende ökologische und soziale Standards in der internationalen Welthandelsordnung zu verankern. Die ILO-Arbeitsnormen bilden dafür einen ersten Anfang, eine von den meisten Völkern der Welt ratifizierte Ausgangsbasis. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir bei den derzeitigen GATS-Verhandlungen drei Prioritäten: Ersten. Im Gegensatz zur CDU/CSU und insbeson- dere zur FDP sehen wir gerade jetzt – im Zuge der Ost- erweiterung der Europäischen Union – grundsätzlich keinen Bedarf für eine allgemeine Öffnung der Dienst- leistungsmärkte, auch nicht für grenzüberschreitende, zeitlich befristete Dienstleistungen für Selbstständige oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ausnah- men im Bereich von Managern, Geschäftsreisenden, Wissenschaftlern und Forschern sowie bei der Weiterbil- dung von Akademikern sehen wir dagegen als eher un- problematisch an. Was würde es auch für einen Sinn ma- chen, bis zu siebenjährige Übergangsfristen für die völlige Freizügigkeit auf dem europäischen Arbeits- markt aus Arbeitsmarktgründen durchzusetzen und in- ternational quasi über die Hintertür einen kaum kontrol- lierbaren Zustrom zuzulassen, wie es die FDP fordert und dem die CDU/CSU offensichtlich nicht wider- spricht? Zweitens. Wir wollen im Rahmen von allen Handels- abkommen soziale, ökologische und Verbraucherstan- dards systematisch einbezogen sehen. Und es darf auf keinen Fall – über welches Kleingedruckte auch immer – ein Zwei- oder Dreiklassensystem von Beschäftigten ge- ben. Das entsteht aber fast zwangsläufig, wenn nicht von Anfang an klargestellt wird, dass auf unserem Boden das Arbeitsverhältnis nach deutschem Recht geregelt ist. Wir wollen keine Lohnsklaven zum Beispiel aus Entwick- lungsländern in der Europäischen Union und in Deutsch- land, die unter unsäglichen Arbeitsbedingungen und zu Minimallöhnen bei uns arbeiten, wie das zum Beispiel in den Golfstaaten der Fall ist. Das, was sich heute schon in Deutschland auf vielen Baustellen abspielt, ist schlimm genug – eine Ausweitung darf es nicht geben. Und die Gefahr ist nicht gering. Denn in Deutschland gibt es keine verbindlichen Mindestlöhne wie in den meisten europäischen Ländern und – außer im Baubereich – keine Entsenderichtlinie, die Mindestlöhne und Mindest- standards verbindlich regelt. Drittens. Wir wollen den Bereich der öffentlichen Da- seinsvorsorge im weiteren Sinne nicht in die Liberalisie- rung des Dienstleistungshandels einbeziehen. Deswe- gen ist es gut, dass die Europäische Kommission in den Bereichen Bildung, audiovisuelle Dienstleistungen, Ge- sundheit sowie Wasser, um nur einige Bereiche zu nen- nen, keine Angebote gemacht hat. Dabei soll es im Laufe des GATS-Verhandlungsprozesses auch verbindlich blei- ben. Wir sollten uns hier auf eine möglichst weite Defi- nition der Public Services und der öffentlichen Daseins- vorsorge einigen, um bei Streitigkeiten im Rahmen der WTO klarzustellen, dass diese Bereiche allein der politi- schen Entscheidung der souveränen Staaten vorbehalten sind und bleiben. Das muss auch Umweltdienstleistun- gen und den Verkehrsbereich mit einschließen. Für die Entscheidung über Qualität und ihre Sicherung sowie die Frage der Gewährung öffentlicher Subventionen muss das Gleiche gelten. Wir befinden uns als Deutscher Bundestag erst am Anfang der Diskussion darüber, wie wir Globalisierung sozial, ökologisch und fair gestalten können. Die An- träge der Opposition haben dazu leider weder neue Er- kenntnisse noch Anregungen gebracht. Im Gegenteil, sie zeigen Wegmarkierungen in eine Richtung, die wir poli- tisch nicht gehen wollen: in eine Welt, die in Arm und Reich gespalten ist, in der die Reichen noch reicher wer- den sollen und die souveränen Nationalstaaten als Nachtwächter und Bereitsteller von Polizisten, Armeen sowie Infrastruktur gerade noch zugelassen sind – aber schon kaum mehr als Schiedsrichter zwischen den gro- ßen weltweiten Konzernen. Diese Rolle übernehmen ja immer mehr die hinter verschlossenen Türen tagenden Schiedsgerichte der WTO. Ein solches Modell einer weltweiten sozialen Eiszeit lässt uns schaudern. Wir wollen eine andere, eine so- ziale, ökologische und faire Welt. Dies ist dringend und auch möglich – nur offensichtlich nicht mit Ihnen. Ihre Anträge lehnen wir deswegen entschieden ab. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Frauen und Fami- lien in der Bundeswehr stärken und fördern (Tagesordnungspunkt 16) Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Förderung von Frauen und die Verbesserung der Verein- barkeit von Beruf und Familie ist für uns ein zentrales Anliegen. Dieses Anliegen forcieren wir Grünen inten- siv und seit langem in allen gesellschaftlichen Bereichen und natürlich auch in der Bundeswehr. Die Stärkung und Förderung von Frauen und Fami- lien in der Bundeswehr ist ein wichtiges Thema. Inso- fern kann ich die Initiative der CDU/CSU begrüßen. Al- lerdings kommt Ihr Antrag leider einige Zeit zu spät. Vielleicht haben Sie gedacht: Besser spät als nie. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10179 (A) (C) (B) (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU; ich finde es ja ganz wunderbar, dass sie sich gerade jetzt dieses Themas annehmen. Wir alle wissen, dass ein ent- sprechender Gesetzentwurf des Verteidigungsministe- riums zur Durchsetzung der Gleichstellung von Solda- tinnen und Soldaten bereits die Endabstimmung zwischen den beteiligten Ressorts passiert hat. In Kürze wird der abgestimmte Entwurf im Bundestag zur Bera- tung vorliegen. Aber Ihr Antrag zur Stärkung und Förderung von Frauen und Familien in der Bundeswehr kommt auch aus einem anderen Grund zu spät. Ihre Forderungen hät- ten letztes Jahr vielleicht noch Sinn gemacht, sie sind aber heute leider absolut überholt. Die wesentlichen For- derungen der CDU/CSU haben sich längst erledigt, weil sie heute schon Realität oder mit dem neuen Gleichstel- lungsgesetz auf dem Weg der Realisierung sind. Erstens. Es wird ein Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr geben. Zweitens. Es wird Teilzeitarbeit und Verbesserungen für Alleinerziehende und Soldatinnen und Soldaten mit Kin- dern geben. Drittens. Auch die Verkürzung der Auslands- einsätze ist längst beschlossen. Sie sind leider etwas spät dran. Es macht wenig Sinn, über Dinge zu sprechen, die bereits Realität sind. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen von der CDU/ CSU, scheint ein Frauenbild durch, das ich bedenklich finde. Da zeigt sich die verengte Sichtweise. Denn Ihnen scheint es doch wieder nur darum zu gehen, Frauen über ihre Rolle als Mutter zu definieren und also auch in die- sem Sinne zu fördern. Bei Ihnen geht es hauptsächlich darum, dass Soldatinnen Mütter sind und wie sie Dienst und Kinder besser miteinander vereinbaren können. Die Frage ist jedoch, ob dies derzeit wirklich das Hauptpro- blem ist oder ob wir uns nicht zuvorderst darum küm- mern müssen, dass Frauen in alle Strukturen der Bundes- wehr vollständig integriert werden? Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht auch in dieser Frage ganz oben auf der Agenda. Aber gleichzeitig sollten wir auch die Förderung der gleichberechtigten Integration von Frauen in die Bundeswehr nicht aus dem Blick verlieren. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen will ein modernes Gleichstellungsgesetz für die Bundeswehr. Es soll unsere beiden Hauptzielrichtungen miteinander ver- binden: erstens die Integration von Frauen in der Bun- deswehr verbessern und zweitens die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Der zweite Punkt, die Verein- barkeit von Dienst und Familie, betrifft aber nicht nur die Mütter unter den Soldatinnen, sondern ausdrücklich auch die Väter unter den Soldaten. Hierzu gehören neue Angebote von familiengerechten Arbeitszeiten. Wir wollen, dass Soldaten und Soldatinnen mit Fami- lienpflichten die Möglichkeit bekommen, ihren Dienst als Teilzeitbeschäftigung auszuüben. Auch Soldaten sol- len die Chance haben, sich an der Erziehung der Kinder zu beteiligen. Mit der Einrichtung der Teilzeit schaffen wir dafür die Grundlage. Wir Grünen unterstützen vor allem flexible Regelungen. Denn die diversen privaten und familiären Situationen der Soldaten lassen sich nicht in zwei oder drei Schubladen einsortieren. Wir hören hin, wo der Schuh am meisten drückt. Aus dem Jahres- bericht des Wehrbeauftragten wurde insbesondere das Problem der Länge der Auslandseinsätze deutlich. Ge- rade weil Auslandseinsätze durch das veränderte Ein- satz- und Aufgabenspektrum der Bundeswehr immer mehr zur Normalität des Dienstes werden, wird die Ver- kürzung der Einsatzdauer der Auslandseinsätze von sechs Monate auf nunmehr vier Monate die Soldaten und Soldatinnen diesbezüglich ein großes Stück entlasten. Neben den Verbesserungen für Dienst und Familie set- zen wir uns aber auch ein für Gesetze und Regelungen, welche die Bundeswehr speziell für Frauen attraktiver macht. Vorbild für das Soldatinnen und Soldaten- Gleichstellungsgesetz ist das Bundesgleichstellungsge- setz für den öffentlichen Dienst. Viele Regelungen zur Gleichstellung und Förderung von Frauen können aus diesem Gesetz übernommen werden. Allerdings gibt es auch Bereiche und besondere Anforderungen an den mi- litärischen Dienst bei der Bundeswehr, denen besonders Rechnung getragen werden muss, zum Beispiel keine Teilzeit bei Auslandseinsätzen und auf Schiffen. Wir müssen eine Brücke schlagen zwischen den besonderen Erfordernissen bei den Streitkräften auf der einen Seite und den Belangen von Frauen und Familien auf der an- deren Seite. Frauen leisten erst seit dem 1. Januar 2001 freiwillig Dienst in der Bundeswehr. Seitdem stehen ih- nen auch dort alle Laufbahnen offen. Nur etwa 9 000 Soldatinnen sind bei der Bundeswehr, lediglich etwa die Hälfte, 43 Prozent, ist im Truppendienst. Es gibt nicht nur relativ wenige Frauen, sondern wegen der späten Öffnung auch erst wenige Jahrgänge bei den nor- malen Verwendungen. Deshalb müssen wir auch weiter- hin Erfahrungen sammeln, um den speziellen Bedürfnis- sen der Frauen tatsächlich Rechnung tragen zu können. Keinesfalls dürfen wir die Integration der erst wenigen Frauen bei der Bundeswehr durch zu viele Regelungen gefährden und die betroffenen Frauen überfrachten und überfordern. Wir werden dem Prozess der Integration weiterhin hohe Aufmerksamkeit widmen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Unterstützung der neuen Regierung Boli- viens bei der demokratischen Stabilisierung des Landes – Chancen zum demokratischen Neubeginn in Haiti unterstützen – Nach der Neuwahl in Argentinien: Entwick- lungszusammenarbeit mit Argentinien und Uruguay zielgerichtet fortführen (Tagesordnungspunkt 19 a bis c) Karin Kortmann (SPD): Als wir am 15. Januar hier im Parlament über die jüngsten Entwicklungen in Boli- vien debattierten, waren wir gemeinsam der Auffassung, dass der neu gewählte bolivianische Präsident Carlos 10180 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) Mesa der besonderen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bedürfe, um das krisengeschüttelte arme Land regieren zu können und ihm soziale und wirtschaft- liche Perspektiven zu geben. In den letzten vier Monaten blieben aber die erhofften Befriedigungen der inneren Unruhen aus. Die politische Lage hat sich weiter verschärft. Während der Karnevals- zeit kursierte in Bolivien gar eine Frage, die die Destabi- lität der Regierung offenbart: Was haben Präsident Mesa und der Fasching gemeinsam? Die Antwort: No se sabe, cuando cae. Man weiß nie, auf welches bzw. an welchem Datum er fällt. Der Verlust des Vertrauens in die Demokratie, die ge- ringe Anerkennung parteipolitischer Arbeit in der Bevöl- kerung, Korruption, Klüngel und mangelnde Transpa- renz der Abgeordneten haben Bolivien auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schweren Schaden zugefügt. Das weiß auch Carlos Mesa, der nicht einem der etablierten Parteiengeflechte entstammt und der weiß, wie dünn das Fundament der parlamentarischen Unterstützung für seine Regierungsarbeit ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung gibt in jüngsten Umfragen die Meinung wieder, auch ohne Parlament und ohne Par- teien zurechtzukommen. Sie erteilen einer zentralisti- schen Regierungsführung, wie sie sie bis zum Amtsan- tritt von Präsident Mesa erfahren haben, eine klare Absage. Sie plädieren für regionale transparente Ent- scheidungsprozesse. Die prekäre Haushaltslage schränkt den ohnehin ge- ringen Gestaltungsspielraum der Regierung bedrohlich ein. Es fehlt an Geldern für die soziale Sicherung, die Gehälter der Lehrer, die Altersversorgung der Men- schen. Carlos Mesa hat einen defizitären Staatshaushalt übernommen, den die Vorgängerregierung durch Auf- nahme von großen Krediten dahin geführt hat, dass Boli- viens Auslandsverschuldung heute fast wieder die Ver- schuldungsrate erreicht hat wie vor dem Schuldenerlass. Die unkonditionierten Mittel, die beim multilateralen Schuldenerlass frei wurden, sollten in Bildung, Gesund- heit investiert werden, also im partizipativen Prozess die Bevölkerung erreichen. Stattdessen warteten die Munizi- pien, die Kommunen, vergeblich auf die zugesagten Haushaltsmittel. Das Geld wurde nicht investiert, son- dern für die Deckung der Staatsschulden verbraucht. Al- lein für das erste Quartal des Jahres 2004 fehlen bereits 60 Millionen US-Dollar, um den laufenden Haushalts- verpflichtungen, der Auszahlung von Renten und Gehäl- tern nachzukommen. Die groß angelegte Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Erstellung von Bürgerhaushalten ist damit zur Farce geworden. Der Verlust an Glaubwürdigkeit ist so schnell nicht zurückzugewinnen, aber dennoch so ent- scheidend für die Demokratie. Das Militär tut ein Weiteres, den Ordnungsrahmen zu verlassen. Die politische Analystin Maria Teresa Zegada warnt gar davon, dass die Haltung des Militärs die De- mokratie bedrohe. Grundlage für diese Aussage ist, dass sich die Armeeführung gegen die Entscheidung des Ver- fassungsgerichts wehrt, das eine Rechtsprechung des Militärgerichts aufgehoben hat, in dem vier wegen Mor- des angeklagte Offiziere freigesprochen wurden. Nach- dem das weitere Verfahren in die Zuständigkeit der Zi- vilgerichte gelegt wurde, riefen die Generäle ihre Soldaten Anfang Mai in die Kasernen zurück und ver- setzten die Armee in Alarmbereitschaft. Fast zu ähnlich drastischen Maßnahmen haben sich Rentner zusammengeschlossen, um ihre Rentenansprü- che durchzusetzen. Ihr Protest, mit Selbstmordattentä- tern bekräftigt, hat die Regierung gezwungen, den Ren- tenhöchstsatz abzusenken. Ehemalige Richter des Obersten Gerichtshofes sollen bis zu 3 506 Dollar mo- natlich an Rente erhalten haben – ein Betrag, der zwan- zigmal höher ist als der Mindestlohn von monatlich 50 Dollar. Korruptionsbekämpfung und gerechte Alters- versorgung, Einführung sozialer Sicherungssysteme sind die zentralen Erwartungen der Bevölkerung an ihre Re- gierung. Die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenar- beit hat Bolivien zu ihrem Schwerpunktland und zum Pi- lotland des Aktionsprogramms 2015 erklärt. Damit sind besondere Erwartungen und wirksame Unterstützung verbunden. Die Erlasszusagen von bilateralen und multi- lateralen Schulden in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden US-Dollar und weiteren 347 Millionen Euro aus Deutschland waren ein erster wichtiger Schritt, der aber mit einer klaren Konditionierung wirkungsvoller hätte sein können. Mit unserem Antrag legen wir einen umfassenden Katalog für die weitere Schwerpunktsetzung in der ent- wicklungspolitischen Zusammenarbeit vor, der die mit der bolivianischen Regierung vereinbarten Schwer- punkte – Verwaltungs- und Justizreform, Unterstützung der Zivilgesellschaft, Wasser- und Abwasserentsorgung und nachhaltige Landwirtschaft – umfasst. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Lateiname- rika steht nicht im Mittelpunkt des Interesses einer breiten internationalen Öffentlichkeit. Die rot-grüne Bundesre- gierung gibt zudem zu erkennen, dass Lateinamerika nicht zu den Prioritäten ihres außen- und entwicklungs- politischen Handelns gehört: Die deutsche Entwicklungs- zusammenarbeit mit den Staaten Lateinamerikas ist in den letzten Jahren stark zurückgefahren worden. Das ma- nifestiert sich in gesunkenen Haushaltsmitteln. Es sind zahlreiche Goethe-Institute in Lateinamerika geschlossen worden. Das Hörfunkprogramm der Deutschen Welle für Lateinamerika ist – trotz bestehenden Interesses an deut- schen Medienangeboten – eingestellt worden. Deshalb zuallererst: Wenn wir uns heute über Latein- amerika unterhalten und die Koalitionsfraktionen in ih- rem Antrag am Vorabend des EU-Lateinamerikagipfels tönend von der Intensivierung der Beziehungen mit La- teinamerika sprechen, dann zeigt dagegen ein Blick auf die Realitäten: Lateinamerika ist zum haushälterischen Steinbruch der deutschen Entwicklungszusammenarbeit geworden. Der Abwärtstrend bei den sektoralen Mitteln in der finanziellen und der technischen Zusammenarbeit weist jetzt schon deutlich genug darauf hin, dass Ihnen Lateinamerika, wenn es wirklich darauf ankommt, nicht so sehr am Herzen liegt, wie Sie uns hier und heute glau- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10181 (A) (C) (B) (D) ben machen wollen. Diesen Trend müssen Sie schleu- nigst umkehren, denn allein Ihre schönen Worte helfen in Südamerika niemandem. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl gewichtiger Gründe, Lateinamerika und die Karibik zu einem vordringlichen Handlungsfeld der Außen-, Entwicklungs- und Sicher- heitspolitik Deutschlands zu machen. Erstens. Lateinamerika ist für uns in Europa ein natür- licher Partner. Gemeinsame ideelle Wurzeln und eine eng verbundene Geschichte machen die Länder Latein- amerikas und Europas zu einer Wertegemeinschaft. Wir stehen in der Politik vor der zentralen Frage, wie wir die Globalisierung nach diesen gemeinsamen Wertmaßstä- ben gestalten wollen. Mit dem Blick auf diese Heraus- forderung können wir es uns nicht leisten, mit Latein- amerika auf einen wichtigen Verbündeten zu verzichten und ihn stattdessen nur als einen armen Verwandten am Katzentisch sitzen zu lassen. Aufseiten der Europäischen Union, die in der Zusam- menarbeit mit Lateinamerika die zentrale Rolle spielen muss, sind die Voraussetzungen für eine enge Zusam- menarbeit ausbaufähig. Allerdings ist eine umfassend denkende Lateinamerikapolitik so lange erschwert, wie die Karibik nach dem AKP-Vertrag und Lateinamerika nach der ALA-Richtlinie in den Zuständigkeitsbereichen von zwei unterschiedlichen Kommissaren liegen. Zweitens. Lateinamerika ist für uns ein wichtiger Wirtschaftspartner. Der Mercosur, der Andenpakt und die San-Jose-Gruppe sind neben den direkten Wirt- schaftsverflechtungen deutscher Unternehmen interes- sante Anknüpfungspunkte für engere Wirtschaftsbezie- hungen zwischen Europa und Lateinamerika. Im weltweiten Wettbewerb riskieren wir nicht zuletzt eigene wirtschaftliche Nachteile, wenn wir Lateinamerika nur der wirtschaftlichen und politischen Einflusssphäre der USA überlassen. Drittens. Auch in sicherheitspolitischer Hinsicht sind die Staaten Lateinamerikas wichtige Partner. Der Terro- rismus ist eben nicht nur die Sache muslimischer Länder. In Lateinamerika ist der Terrorismus tagtägliche brutale Realität. Der Zufall will es, dass sich genau heute vor 40 Jahren – am 27. Mai 1964 – die so genannten „Revo- lutionären Streitkräfte Kolumbiens“ zusammengeschlos- sen haben. Tausende Zivilisten sind ihrem Terror seither zum Opfer gefallen. Abertausende wurden verschleppt. Die FARC-Terroristen und andere vernetzen sich immer mehr mit der international operierenden Drogenmafia. Unter dem Einfluss von Drogenanbau und -handel, von Geldwäsche und Korruption geraten viele Staaten La- teinamerikas zunehmend unter Druck und werden desta- bilisiert. Die unselige Allianz zwischen den kriminellen Guerilleros und dem großen Drogengeschäft ist auch ganz unmittelbar unser – Europas – Nachteil. Unsere Verantwortung für Lateinamerika ist beson- ders groß – sowohl aufgrund der Erfahrungen mit der Zusammenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten als auch aufgrund der jüngsten zum Teil dramatischen Destabilisierungstendenzen. Für uns muss es ganz ent- schieden darum gehen, Lateinamerika im Hinblick auf seine soziale, wirtschaftliche und politische Stabilisie- rung nicht zu vernachlässigen. Die Zusammenarbeit mit Lateinamerika ist vor allem und zuerst auch im deut- schen Interesse. Handlungsbedarf für diese Zusammenarbeit ist in vielfältiger Weise gegeben. Die Krisen und Gefährdun- gen demokratischer Systeme in Lateinamerika gehören zu den wichtigsten Ansatzpunkten. Unzureichende Ge- waltenteilung, mangelnde Institutionalisierung und poli- tische Ineffizienz sind augenscheinliche Merkmale des politischen Lebens. Korruption, die lückenhafte Aus- übung der Staatsgewalt und gewaltbereite außerparla- mentarische Gruppen schwächen die demokratischen In- stitutionen ganz erheblich. Die unklare und konzeptionslose Politik der rot-grü- nen Bundesregierung wird beispielhaft durch die heute zu behandelnden Anträge verdeutlicht: Erstens. Die so genannte Konzentration der deutschen Entwicklungszusammenarbeit durch Rot-Grün führt dazu, dass eine Reihe von Staaten Lateinamerikas von deutscher Entwicklungskooperation gänzlich abge- schnitten werden, darunter ein so großes und bedeuten- des Land wie Argentinien. Wenn Armutsbekämpfung weiterhin ein zentrales Ziel deutscher Entwicklungszu- sammenarbeit ist, dann müsste man wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der in Armut lebenden Menschen in Argentinien als Folge der Krisen der ver- gangenen Jahre drastisch zugenommen hat. Deshalb ha- ben wir beantragt, die Entwicklungszusammenarbeit mit Argentinien und dem ebenfalls betroffenen Uruguay über 2004 hinaus fortzuführen. Rot-Grün lehnt dies lei- der ab. Zweitens. Geradezu absurd gestaltet sich die rot- grüne Politik in der Karibik. Es ist bezeichnend, mit wel- cher Inbrunst über Jahre hinweg Bundesministerin Wieczorek-Zeul den greisen kubanischen Diktator Fidel Castro unter Missachtung der angeblich weiter geltenden Kriterien deutscher Entwicklungspolitik direkte staatli- che Hilfe aus Deutschland andienen wollte, bis dieser von sich aus absagte. Gleichzeitig soll Haiti, das ärmste Land der Region, sogar den Status eines potenziellen Kooperationslandes verlieren. Frankreich, das für Haiti eine besondere Verpflichtung empfindet, hat die Mit- gliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert, die politische und wirtschaftliche Konsolidierung und Ent- wicklung Haitis zu unterstützen. Ich fordere Sie auf: Schließen Sie sich dem französischen Vorstoß an! Hel- fen Sie Haiti aus seinem Chaos, das nicht erst durch die Überschwemmungen dieser Tage eine Katastrophe für das Land und seine Menschen ist. Drittens. Am 15. Januar 2004 wurde im Plenum der Antrag der CDU/CSU zu Bolivien diskutiert. Die Koali- tion kündigte damals einen eigenen Antrag an, der jetzt vorliegt. Gemeinsam wollen wir den neuen Präsidenten Carlos Mesa und seine Politik unterstützen. Aber ein Antrag zum jetzigen Zeitpunkt hätte angesichts aktueller Entwicklungen doch ein paar klare Worte erfordert. Wir wollen gemeinsam, dass im angeblichen Muster- land der HIPC-Entschuldung die frei gewordenen Mittel 10182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) ausschließlich den Armen und der Entwicklung des Lan- des zugute kommen. Der entscheidende Punkt ist, dass dies nicht nur für die international, sondern auch für die bilateral, zum Beispiel von Deutschland, erlassenen Schulden gelten muss. Darüber bestand in Bolivien Dis- sens. Und deshalb sollte der Deutsche Bundestag sich klar für eine einheitliche Behandlung des Schuldenerlas- ses und einen wirksamen Kontrollmechanismus ausspre- chen. Gas kann zu einer neuen bedeutenden Einkommens- quelle für Bolivien werden. Deshalb sollten wir zum Gasexport Boliviens ein klares Ja sagen. Aber gleichzei- tig ist davor zu warnen, wegen des Gasexportes einen neuen Regionalkonflikt um die Grenzziehung zwischen Chile, Peru und Bolivien anzuzetteln. Nur um Mehrhei- ten beim angekündigten Referendum über den Gas- export zu erzielen, darf nicht mit dem Feuer gespielt werden. Angesichts der Tatsache, dass der bolivianischen Op- positionsführer Evo Morales sich als Patron der Drogen- bauern versteht, bedarf es einer klaren Positionierung als Bedingung für unsere Hilfe, dass wir auf einer eindeuti- gen Anti-Drogen-Politik bestehen. Lateinamerika wartet auf eindeutige Signale aus Europa. Ob Rot-Grün diese aber auszusenden gewillt ist, ist mehr als fraglich. Beweisen Sie, dass es Ihnen Ernst ist mit der Intensivierung der Beziehungen zu Latein- amerika! Weisen Sie dieser Region in Ihrer Politik die Bedeutung zu, die ihr auch nach allen objektiven Ge- sichtspunkten zukommt, und überzeugen Sie uns davon, dass sogar Ihre Entwicklungspolitik mehr sein kann als Schall und Rauch! Harald Leibrecht (FDP): Unser neu gewählter Bun- despräsident Horst Köhler hat vor wenigen Tagen, von dieser Stelle aus gesagt – ich zitiere –: Wir sollten uns bewusst werden, dass die Globalisierung den Armen die- ser Welt zugute kommt. „Dies wird nur gelingen, wenn sich die Industrieländer, also auch Deutschland, in ihrem Verhalten ändern und vor allem ihre Märkte für die Ent- wicklungsländer öffnen.“ Heute Abend debattieren wir über drei Länder, die ei- nen Neuanfang machen und ihren Weg zu mehr Freiheit und Demokratie beginnen oder weiterentwickeln. Deutschland und die EU müssen ihren Beitrag zum Er- folg dieser Länder beisteuern. Dass die Staatengemeinschaft hierbei Hilfe leisten muss, zeigt sich am Beispiel Haitis. Haiti gehört heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Aus eigener Kraft kann es die neue Regierung nicht schaffen, das Land po- litisch und wirtschaftlich zu stabilisieren. Die zum Teil traumatisierten Menschen dort brauchen dringend eine Lebensperspektive, sonst stürzt dieser Staat weiter ab und es besteht die Gefahr, dass Haiti zu einem so ge- nannten failed state wird. Die Sicherheitslage in Haiti ist katastrophal, die Wirtschaft am Boden. Soziale Unruhen und ein weit gehend rechtsfreier Raum sind die Wurzeln neuer Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Eine Verlängerung des Mandats der internationalen Schutz- truppe wird unvermeidlich sein; drei Monate sind ein- fach viel zu kurz. Im Vergleich zu Haiti ist die Entwicklung in Bolivien – auch Dank internationaler Bemühungen – ein Erfolg. Dank des Schuldenerlasses bleibt mehr Geld im eigenen Land und trägt zum Wirtschaftswachstum bei; das Land hat sich seitdem auch politisch stabilisiert. Allerdings dürfen wir den Blick für die gesamte Re- gion nicht verlieren. Zwar ist im rot-grünen Antrag von regionalen Lösungen oder der gemeinsamen Bekämp- fung des Drogenanbaus die Rede. Umgesetzt werden sollen jedoch weiterhin nur Insellösungen, die oft das Problem von einem Land in das andere verschieben. Be- kämpft ein Land den Drogenanbau effektiv, verlagert sich der Anbau über die grüne Grenze ins Nachbarland. Dies kann nicht die angestrebte Lösung sein. Ein richti- ger Lösungsansatz wäre, dass die Länder dieser Region endlich im Kampf gegen die Drogen enger zusammen- arbeiten. Diese Länder müssen dann aber auch die Chance bekommen, ihre Produkte auf dem Weltmarkt absetzten zu können. Protektionismus hilft uns da nicht weiter. Wir Außen- und Entwicklungspolitiker haben dies längst erkannt. Politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum in Haiti und Lateinamerika können nur im gegenseitigen Einvernehmen gelingen. Lateinamerika wird in Zukunft eine wichtige Rolle im Welthandel spielen. Leisten wir deshalb unseren Beitrag zur demokratischen Entwick- lung dort. Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Morgen beginnt in Guadalajara das 3. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU, Lateinamerikas und der Karibik. Bundeskanzler Schröder selbst ist zu diesem Treffen nach Mexiko gereist und unterstreicht damit die besondere Bedeutung, die die Bundesregie- rung den Beziehungen zu Lateinamerika beimisst. Schon dies ist ein klarer Beleg dafür, dass die gegenteilige Kri- tik der Opposition, wie sie in ihrer kleinen Anfrage zur Bilanz deutscher Lateinamerikapolitik zum Ausdruck kommt, unzutreffend ist. Im Gegenteil: Europa und die Länder Lateinamerikas und der Karibik unterhalten ein enges Geflecht politi- scher, wirtschaftlicher, entwicklungspolitischer und kul- tureller Beziehungen, einschließlich der Zusammen- arbeit zwischen den Zivilgesellschaften. Die strategische Partnerschaft zwischen beiden Re- gionen ist gekennzeichnet durch eine beispiellose Dichte umfassender biregionaler Abkommen und Begegnun- gen, zu denen auch das Treffen in Guadalajara gehört. Insgesamt sind dort in Mexiko 58 Staaten vertreten, also fast ein Drittel aller Mitglieder der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung sieht die fortschreitende regio- nale Integration in Lateinamerika als eine richtige Ant- wort auf die Globalisierung. Sie unterstützt daher die Schaffung effektiver Regionalorganisationen, unter an- derem durch Förderung von Regionalabkommen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10183 (A) (C) (B) (D) Wir, die Bundesregierung, machen uns die Aussage einer vermeintlichen „Erschöpfung der Demokratie“ in Lateinamerika nicht zu Eigen. Gerade die von Ihnen an- geführte UNDP-Studie belegt: 43 Prozent der befragten Lateinamerikaner befürworten uneingeschränkt die De- mokratie, weitere 30,5 Prozent befürworten sie unter Vorbehalt. Dies ist deutlicher Beleg für die erfolgreiche Überwindung der Militärdiktaturen der 80er-Jahre. Den- noch unterstützen wir auch weiterhin Maßnahmen, um den Zuspruch zur Demokratie noch zu vergrößern. Konkret heißt das: Wir führen einen politischen Dia- log, wir fördern Maßnahmen der Armutsbekämpfung und der Menschenrechtspolitik, wir leisten Hilfe beim Aufbau moderner Rechtsstaatlichkeit, der Förderung der Gleichstellung der Frau und dem Schutz von marginali- sierten bzw. sozial schwachen Gruppen, wir bieten poli- tische Beratung zur Erweiterung der Partizipation von Zivilgesllschaft an, und wir helfen bei Reformen von Verwaltung und Justiz in den Zielländern. Wie und mit welchen Maßnahmen das im Einzelnen geschieht, hat die Bundesregierung gerade in ihrer Ant- wort auf die Kleine Anfrage dargelegt. Lateinamerika und die Karibik sind durch eine Mi- schung aus armen Entwicklungsländern und fortge- schrittenen Schwellenländern gekennzeichnet. Unsere Entwicklungspolitik, die auf Nachhaltigkeit angelegt und an Armutsbekämpfung orientiert ist, berücksichtigt diese unterschiedlichen Entwicklungsstadien beim Ein- satz ihrer Instrumente. Zum Beispiel in Argentinien und Uruguay: Seit An- fang 2003 erholt sich Argentiniens Wirtschaft wieder spürbar; die wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken, die von Argentinien auf die Mercosur-Staaten und das übrige Lateinamerika ausgehen, haben sich verringert. Die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit läuft aus, was in Argentinien übrigens erst nach 2006 zum Tragen kommt. In Zukunft sind also neben den nichtstaatlichen vor allem die regionalen Förderansätze von Bedeutung. Denn in diese sind beide Länder weiter- hin einbezogen, insbesondere im Kontext des Mercosur. In Bolivien kommt es trotz seines Reichtums an Bo- denschätzen immer wieder zu gewalttätig aufflammen- den sozialen Konflikten, wie zuletzt am vergangenen Wochenende. Die Bundesregierung trägt dieser Situation Rechnung, denn Bolivien ist Schwerpunktland unserer Entwicklungszusammenarbeit und derzeit größter Emp- fänger deutscher Leistungen in Südamerika. Zusammen mit dem von der Weltbank eingeleiteten Konsultativpro- zess und der auf US-Initiative gegründeten „Bolivia Support Group“, ist unsere Kooperation auf mittel- und langfristige strukturelle Reformen ausgerichtet und aus- drücklich armutsorientiert. Haiti ist das ärmste Land der westlichen Halbkugel. Eine Wiederaufnahme unserer Entwicklungszusammen- arbeit ist notwendig; aber dies setzt zunächst eine wei- tere Stabilisierung der Sicherheitslage und dann auch ein national wie international abgestimmtes Autbaukonzept voraus. Zurzeit bewertet in Haiti eine Evaluierungsmis- sion die dringendsten Bedürfnisse und erarbeitet darauf aufbauend tragfähige Perspektiven. Die momentane Ent- wicklung gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus und Hoffnung auf einen echten politischen Neubeginn. Deutschland wird – gerneinsam mit seinen europäischen Partnern – zu diesem Aufbau Haitis mit beitragen. Die- ser Aufbau kann aber nur gelingen, wenn die Haitianer selbst ihn tragen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – des Antrags: Das gemeinsame historische Erbe für die Zukunft bewahren – der Unterrichtung: Bericht der Bundesre- gierung über die Maßnahmen zur Förde- rung der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundes- vertriebenengesetz in den Jahren 2001 und 2002 (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zuerst möchte ich der Bundesregierung für den vorge- legten Bericht über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengeset- zes danken. Der Bericht zeigt, dass viele wichtige Vorha- ben aus der „Konzeption zur Erforschung und Präsenta- tion deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa“ umgesetzt werden konnten. Die Kulturarbeit in Osteuropa wurde neu und besser geordnet – vor allem wurde die bestehende Institutionenlandschaft straffer or- ganisiert, damit Dopplungen bei der Bearbeitung einzel- ner Themen vermieden werden. Dies war dringend notwendig. Die institutionellen Änderungen, die Einfüh- rung des Regionalprinzips und die effizientere Vertei- lung der Gelder wirken sich positiv auf die inhaltliche Gestaltung der Kulturarbeit aus. Dadurch, dass die Mu- seen gestärkt und besser organisiert wurden, kann die deutsche Kultur Osteuropas jetzt zugänglicher und öf- fentlichkeitswirksamer präsentiert werden. Das öffentli- che Interesse hat sich erhöht, die Zuschauerzahlen bei vielen Ausstellungen zeigen das. Auch die Umsetzungsprobleme in einzelnen Fällen ändern nichts daran, dass die Neugestaltung der Kultur- förderung in Osteuropa überfällig war. Deshalb kann ich die pauschale und polemische Kritik in dem vorliegen- den CDU/CSU-Antrag überhaupt nicht verstehen. Wenn Sie, liebe Kollegen von der CDU/CSU, in Ihrem Antrag allen Ernstes die – wenn auch vorübergehende – Rück- kehr zu den alten Regelungen vor 2000 fordern, dann verkennen Sie die Situation grundlegend. Ich habe den starken Verdacht, dass dahinter eher wahltaktisches Kalkül als ein ehrliches Interesse am Thema steckt. So fordern Sie zum Beispiel eine stärkere Rolle der Vertrie- benenverbände. Dabei war doch die Selbstbezüglichkeit in der Kulturarbeit der Vertriebenengruppen ein zentra- les Problem, das wir bei der Neukonzeption im Jahr 2000 angehen mussten. Deshalb wird nun stärker mit Trägern der allgemeinen Kulturarbeit kooperiert. 10184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) Selbstverständlich werden jene Vertriebenenorganisatio- nen, die eine engagierte Verständigungsarbeit mit unse- ren östlichen Nachbarn leisten, weiterhin großzügig ge- fördert. Aber: Viele Vertriebenengruppen wenden sich immer noch nur an ihre eigene, immer kleiner werdende Klientel – anstatt sich für eine größere Öffentlichkeit zu öffnen. Einige der geförderten Einrichtungen mussten deshalb neu konzipiert werden, denn nur durch eine zeit- gemäße Präsentation können auch junge Menschen für das Thema „Deutsche Kultur in Osteuropa“ interessiert werden. Dazu trägt übrigens auch die verstärkte kultu- relle Jugendarbeit bei. Die Neukonzeption der Kulturför- derung macht das Thema auch für zukünftige Generatio- nen attraktiv – und erfüllt damit in einem viel tieferen Sinn die CDU/CSU-Forderung nach einer „in die Zu- kunft ausgerichteten Neuausrichtung der Kulturpflege“. Wenn die Kollegen von CDU und CSU schlichtweg ignorieren, dass ein anderes Selbstverständnis der Ver- triebenengruppen und eine andere Außendarstellung der Vertriebenenkultur und -geschichte notwendig ist, dann schaden sie damit genau genommen sich selbst. Die De- batte um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ zeigt es ja deutlich: In einem gemeinsamen Europa kann man das Thema der kulturellen Erinnerung nicht durch unilate- rale Kampagnen vorantreiben. Damit beschädigt man nicht zuletzt das große Interesse, das die Menschen aus osteuropäischen Ländern längst an deutscher Kultur ent- wickelt haben. Die kürzlich eingereichte Entschädi- gungsklage von Sudetendeutschen vor dem Europäi- schen Gerichtshof für Menschenrechte zeigt zudem, dass das legitime Eintreten für die eigene Kultur und Ge- schichte immer wieder zur Tarnung zweifelhafter politi- scher Forderungen missbraucht wird. Nicht zuletzt weil er all diese Probleme nicht benennt, lehne ich den CDU/CSU-Antrag und die Forderung nach einer Neukonzeption der Kulturarbeit ab und unterstütze ausdrücklich die Position der Bundesregierung. Denn die Kulturarbeit in Osteuropa darf nicht für durchsich- tige Interessenpolitik missbraucht werden, sondern muss das kulturelle Erbe Deutschlands wahren und der Aus- söhnung und Verständigung zwischen den Völkern die- nen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union, Lateinamerika und der Karibik (Tagesord- nungspunkt 20) Lothar Mark (SPD): Morgen treffen sich in Guadala- jara/Mexiko zum dritten Mal die Staats- und Regierung- schefs Lateinamerikas, der Karibik und der Europäi- schen Union. Erstmalig werden die zehn Repräsentanten der neuen Beitrittsländer der EU dabei und somit insge- samt 58 Staaten vertreten sein. Wenn man sich vor Augen hält, dass damit über ein Viertel der Staaten der Welt an diesem intensiven Pro- zess teilnimmt, ist dies allein schon als Erfolg zu werten: Mit keiner anderen Weltregion außerhalb Europas und der Gruppe hoch entwickelter Industrieländer unterhält die EU einen derart umfassenden Dialog. Die Gipfeltref- fen sind somit ein in dieser Art einzigartiges biregionales Forum, welches den traditionell engen, auf einer Werte- gemeinschaft basierenden Beziehungen zu den Ländern Lateinamerikas und der Karibik Ausdruck verleiht. Unter den Leitthemen „Effektiver Multilateralismus“ und „soziale Kohäsion“ soll die auf dem ersten Gipfel 1999 in Rio de Janeiro ins Leben gerufene Strategische Partnerschaft zwischen beiden Regionen weiter ausge- baut werden. Lateinamerika/Karibik ist für Europa keine prioritäre Region. Der Fall des Eisernen Vorhangs und das Ende des Kalten Kriegs haben einschneidende Veränderungen mit sich gebracht, die sich natürlich auf die Außenbezie- hungen Deutschlands bzw. der EU ausgewirkt haben: Die Öffnung Europas nach Osten und die konsequente Hinwendung zu den Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes haben vermehrt Ressourcen gebunden. Auch die weltpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre haben bewirkt, dass wir verstärkt gen Osten und nicht so sehr über den Südatlantik geblickt haben. Dies spiegelt sich in den Wirtschaftsbeziehungen deutlicher wider als in anderen Bereichen: Bis 1989 gin- gen zwei Drittel aller deutschen Direktinvestitionen au- ßerhalb der G-7-Länder nach Lateinamerika, heute sind es weniger als ein Drittel. Wenngleich in Lateinamerika ein gewisses Verständnis für diese Prozesse vorhanden ist, so wachsen doch die Erwartungen gerade in Anbe- tracht der strategischen Partnerschaft erneut. Mit dem vorliegenden Antrag sprechen sich die Koa- litionsfraktionen dafür aus, das enorme Potenzial einer intensivierten Zusammenarbeit mit der Region Latein- amerika/Karibik auszuschöpfen. Die Voraussetzungen dafür sind denkbar günstig: Zu keiner anderen Weltre- gion unterhält Deutschland ein derart enges und vielfälti- ges Beziehungsgeflecht unterhalb der staatlichen Ebene, wie zum Beispiel über die Parteien, Kirchen oder Nicht- regierungsorganisationen. Auf dem letzten Gipfeltreffen in Madrid 2002 haben die Teilnehmer vereinbart, den politischen Dialog auf staatlicher Ebene zu intensivieren. So sollen die europäi- schen und lateinamerikanischen Positionen vor interna- tionalen Konferenzen künftig besser abgestimmt wer- den. Wenn dies in den letzten zwei Jahren auch noch nicht zur Zufriedenheit geschah, so sind doch Europa und Lateinamerika im Vorfeld und im Verlauf des Irak- kriegs wieder enger zusammen gerückt. Dies gilt insbe- sondere für das „alte Europa“, das für Lateinamerika ein zunehmend attraktiver Partner wird. Es steht für ein Wertesystem, das sich von dem der USA unterscheidet, nämlich durch eine stärkere Akzentuierung von Dialog- förderung, ein starkes internationales Recht, Wandel durch Engagement oder friedliche Konfliktbeilegung und Krisenprävention. Zusammen machen die beiden Regionen einen be- achtlichen Stimmenanteil in der Generalversammlung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10185 (A) (C) (B) (D) der Vereinten Nationen aus, fast 30 Prozent. Daraus er- gibt sich ein nicht zu unterschätzendes Gestaltungspo- tenzial für eine künftige friedlichere und sozial gerech- tere globale Ordnung. Lateinamerika und Europa müssen hier unserer Meinung nach noch aktiver als mä- ßigende und konstruktive Kräfte in Erscheinung treten. Beide haben zum Beispiel die gleiche Auffassung über die Notwendigkeit eines starken Multilateralismus, wie er ja deshalb auch als eines der Leitthemen für den Gip- fel gewählt wurde. Wir befürworten eine internationale Rechtsordnung, die in dem Internationalen Gerichtshof und dem Internationalen Strafgerichtshof institutionali- siert ist. Wir haben ähnliche Vorstellungen von einer Re- form der Vereinten Nationen und ihrer zukünftigen Rolle. Unserer Auffassung nach müssen Europäer und Lateinamerikaner dieses politische Pfund noch mehr in die Waagschale werfen. Bei all den angeführten Argumenten lässt sich aber auch nicht übersehen, dass die Erwartungen an die stra- tegische Partnerschaft auf beiden Seiten des Atlantiks nicht einheitlich sind. Dies lässt sich kaum besser aufzei- gen als anhand des zweiten gewählten Leitthemas „so- ziale Kohäsion“: Die europäische Seite möchte diese Thematik vorwie- gend vor dem Hintergrund eines biregionalen politischen Dialogs um „gute Regierungsführung“ und Stärkung der staatlichen Institutionen verstanden wissen. Dieser soll dazu beitragen, die Korruption zu bekämpfen, die latein- amerikanischen Eliten auf das Gemeinwohl zu verpflich- ten und somit die Teilhabe breiter Bevölkerungsschich- ten am Wohlstand zu gewährleisten. Die lateinamerikanische Seite möchte diesen Begriff der „sozialen Kohäsion“ aber auch im Zusammenhang mit verstärktem Handel mit und Investitionen aus Euro- pa ausgelegt sehen. Das damit einhergehende Wirt- schaftswachstum und die folgenden Beschäftigungsim- pulse werden als eigentliche Voraussetzung für soziale Entwicklung und Armutsbekämpfung angesehen. In den vergangenen Monaten, insbesondere seit dem Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Cancún und der Bildung der G 20 unter der Führung Brasiliens, ist deutlich ge- worden, dass die lateinamerikanischen Partner nun be- ginnen, das einzufordern, was ihrer Ansicht nach auch eine strategische Partnerschaft ausmacht: nämlich privi- legierte Handelsbeziehungen und Marktzugänge. Beide Seiten argumentieren nachvollziehbar. Wir Eu- ropäer müssen uns in der Tat fragen, ob wir die diesbe- züglichen Forderungen aus Lateinamerika ernst genug nehmen. So geben wir einerseits Anreize dazu, dass die Volkswirtschaften der lateinamerikanischen und karibi- schen Länder sich industrialisieren. Andererseits aber schotten wir unsere Märkte mit umso höheren Zolltari- fen ab, je höher die Verarbeitungsstufe eines Produktes ist. Auf diese Weise wird Deutschland zu einem der größten Produzenten gerösteten Kaffees, ohne überhaupt nur eine Kaffeebohne anzubauen. Die lateinamerikani- schen Länder werden aber auf die Rolle der Rohstoffpro- duzenten festgelegt. Wir haben daher in unserem Antrag die Bundesregie- rung dazu aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die nach wie vor bestehenden Marktzugangsbeschränkun- gen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Lateinamerikas schnellstmöglich, über die WTO-Verein- barungen hinausgehend, abgebaut werden. In diesem Zusammenhang möchte ich meine Hoff- nung zum Ausdruck bringen, dass nun – nach acht Jah- ren zäher Verhandlungen – das Assoziationsabkommen mit dem Mercosur bis zum kommenden Oktober einen für alle zufrieden stellenden Abschluss findet. Dieses Abkommen ist für beide Seiten von strategischer Bedeu- tung: Mercosur ist der mit Abstand wichtigste Partner der EU in Lateinamerika. Die Hälfte ihres gesamten Wa- renaustausches mit dieser Region wickelt die Europäi- sche Union mit den Mercosur-Mitgliedstaaten ab; dort- hin fließen zudem etwa 60 Prozent der europäischen Direktinvestitionen in Lateinamerika. Für Mercosur ent- fällt rund ein Viertel seines Gesamthandels auf die EU. Noch – ist man geneigt zu sagen, wenn man sich den ra- santen Aufschwung des lateinamerikanischen Handels mit Fernost, insbesondere mit China, vergegenwärtigt. Im Zeitraum 2002 bis 2003 konnte der Mercosur seine Exporte nach China beispielsweise um 96,5 Prozent stei- gern. Allein Brasilien exportierte in 2003 für 4,5 Milliar- den US-Dollar Waren dorthin, was China zum zweit- wichtigsten Abnehmer werden lässt. Ein Assoziierungsabkommen zwischen Mercosur und der EU ist also mehr als überfällig. Bisher waren die Verhandlungen am Interessenkonflikt im Agrarsektor gescheitert, in den circa 50 Prozent der Mercosur-Ex- porte fallen. Wir alle wissen um die Reformbedürftigkeit der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik. Erste Schritte wurden in diesem Jahr eingeleitet. Umso weni- ger ist es für mich nachvollziehbar, dass ein Abkommen, welches von eminenter Wichtigkeit für die Wettbewerbs- fähigkeit der europäischen Wirtschaft ist, womöglich zu- gunsten eines wirtschaftlich vergleichsweise unbedeu- tenden Sektors geopfert wird. In diesem Zusammenhang haben wir uns im Antrag auch dafür ausgesprochen, zügig Verhandlungen über Assoziierungsabkommen mit der Andenregion und den Ländern Zentralamerikas in Aussicht zu stellen. Auf diese Weise können die Integrationsprozesse in diesen Regionen beschleunigt und kann ihre Einbindung in die Weltwirtschaft vorangetrieben werden. Gleichzeitig wird der deutschen und europäischen Wirtschaft ein verlässli- cher Rahmen geboten, in dem sie ermuntert wird, sich noch stärker in Lateinamerika zu engagieren. Denn meiner festen Überzeugung nach ist wirtschaft- licher Austausch die beste Hilfe zur Entwicklung und kann einen großen Anteil zur Armutsbekämpfung beitra- gen. In den vergangenen Jahren ist die Entwicklungs- schere in der Region weiter auseinander gegangen. Noch immer ist Lateinamerika die Region mit der ungerech- testen Einkommensverteilung der Welt. Dies hat einer- seits ganz sicher mit dem Versagen der Verteilungsme- chanismen zu tun. Ansprechen möchte ich in diesem Zusammenhang auch eine in vielen Ländern überfällige Landreform. Andererseits muss man aber auch sehen, dass dort, wo wenig zu verteilen ist, wenig Spielraum für soziale Akzente bleibt. Viele Staaten der Region sitzen 10186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) tief in der Schuldenfalle: Sie wenden teilweise bis zu 40 Prozent ihres Haushalts auf, um ihren Rückzahlungs- verpflichtungen nachzukommen. In Brasilien machten 2003 die Zinszahlungen allein auf Auslandsverbindlich- keiten eine Summe aus, die 60 Prozent der Exporterlöse entsprach. Die öffentliche Verschuldung gemessen am BIP betrug hier 58,2 Prozent. Gerade die internationalen Finanzinstitutionen fordern von diesen Staaten aber eine strenge Sparpolitik, sodass wenige Ressourcen für Bil- dung und Forschung, Sozialpolitik und Infrastruktur üb- rig bleiben. Angesichts der Tatsache, dass im vergangenen Jahr mehr als 40 Prozent der Lateinamerikaner unterhalb der Armutsgrenze lebten, also mit etwa zwei US-Dollar am Tag auskommen mussten, ist es meines Erachtens haar- sträubend, dass wir zum Beispiel jedes europäische Rind mit über zwei US-Dollar am Tag subventionieren. Diese Vergleiche, von denen sich unzählige anstellen ließen, machen deutlich, dass auch wir unsere Strukturreformen entschlossener angehen müssen. Lassen Sie mich also nochmals auf das zweite Leit- thema „soziale Kohäsion“ zurückkommen: Wenn als Er- gebnis des morgigen Gipfels die lateinamerikanischen Staaten ihre politische Verantwortung akzeptieren und noch größere Anstrengungen als bisher zugunsten einer Lösung der sozialen Probleme und zum Erreichen von sozialer Kohäsion unternehmen und wenn wir Europäer diese Anstrengungen nicht nur durch politischen Dialog, Erfahrungsaustausch und verstärkte Entwicklungszu- sammenarbeit, sondern darüber hinaus auch durch unse- ren notwendigen Beitrag zu gerechteren Handelsbezie- hungen zwischen unseren beiden Regionen leisten wollen, dann haben wir die strategische Partnerschaft entscheidend belebt. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag daher auf, durch wirtschafts-, handels-, finanz- und ent- wicklungspolitische Weichenstellungen – auch innerhalb der EU – viel versprechende Ansätze demokratischer und sozial ausgerichteter Regierungsführung in Latein- amerika zu fördern. Sind diese erfolgreich, so wirken sie modellbildend für die gesamte Region. Dies scheint umso nötiger, als zahlreiche Staaten derzeit eine tief greifende Krise ihrer politischen Institutionen erleben und populistische, autoritäre Führer verstärkt Zulauf fin- den. Wie eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms jüngst feststellte, würden 55 Prozent der Befragten ein autoritäres Regime anstelle einer demokratisch gewähl- ten Regierung unterstützen, wenn dieses ihre wirtschaft- lichen und sozialen Probleme lösen würde. Auch für Lateinamerika gilt, dass die regionale Inte- gration ein Weg hin zu Frieden, politischer Stabilität, wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand ist. Deshalb sollte die EU die Integrationsprozesse in Lateinamerika nach Kräften fördern. Kein Integrationsansatz verspricht derzeit so viel Erfolg wie der Mercosur, der sich stark am europäischen Vorbild orientiert. Seit den Regierungs- wechseln in Brasilien und Argentinien hat sich im Mercosur eine neue Dynamik entfaltet, die auf eine Ver- tiefung und Erweiterung der Wirtschaftsgemeinschaft abzielt. Brasilien mit der immer noch hohen Glaubwür- digkeit seines Präsidenten Lula da Suva wird immer mehr zum Gravitationszentrum Lateinamerikas. Diese Entwicklung verdient die besondere Sympathie und Un- terstützung Europas. Lassen Sie mich abschließend noch ein Thema an- sprechen, das im Vorfeld zum Gipfel hohe Wellen ge- schlagen hat. Die geplante Einstellung des spanischspra- chigen TV-Programms der Deutschen Welle halte ich vor dem Hintergrund der geschilderten Notwendigkeit, die Beziehungen zu Lateinamerika zu intensivieren, für absolut fatal und kontraproduktiv. Es würde eine wich- tige Brücke zwischen Deutschland, Europa und über 330 Millionen spanischsprachigen Lateinamerikanern abbrechen. Das Bekanntwerden der Streichpläne hat be- reits großen Schaden angerichtet. Ich hoffe sehr, dass es der Leitung des Senders und dem Rundfunkrat gelingt, andere Einsparpotenziale zu heben, um die Fortführung des Programms zu gewährleisten. Ich werde weiterhin für den Erhalt des spanischsprachigen DW-TV-Pro- gramms kämpfen. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus den vorgetragenen Gründen um Zustimmung zu unserem Antrag. Claudia Nolte (CDU/CSU): In dem Antrag der Koalitionsfraktionen zum 3. Gipfel von Lateinamerika, Karibik und EU steht nicht viel Falsches. Das ist schon einmal gut. Ich bin auch davon überzeugt, dass Sie nicht selber glauben, in der Sache damit neue Impulse zu set- zen. Man könnte diesen Antrag eher als einen höflichen Begleitantrag bezeichnen. Schon die Analyse ist in meinen Augen zu schnell nach Schema F runtergeschrieben worden. Es geht bei den Beziehungen zwischen Lateinamerika und der EU um eine strategische Partnerschaft. So zumindest ist es in Rio vereinbart worden. Woran kann man das denn nun erkennen? Versteht man nicht unter „Strategie“ ein lang- fristig gezieltes Vorgehen, gegenseitig die jeweiligen Vorzüge nutzend, um gemeinsam vereinbarte Ziele zu erreichen? Das heißt dann aber, dass man sich genau im Klaren darüber ist, wo die jeweiligen Vorzüge liegen, aufwelchen Gebieten man welche Ziele vereinbart und in welcher Weise man miteinander vorgeht. Für Deutschland müsste das bedeuten, dass wir unsere Akti- vitäten daran anpassen. Ich verzichte aufgrund der Kürze der Redezeit darauf, zu betonen, was uns alles mit Lateinamerika verbindet. Da gibt es in diesem Hohen Hause auch keinen Dissens. Schauen wir einfach auf einige Dinge, wie sie im Mo- ment nun einmal sind: Verstärkung der Kulturarbeit Deutschlands in Latein- amerika – so haben Sie es sogar in Ihrem Antrag gefor- dert. Richtig, das könnte solch ein Gebiet der Zusam- menarbeit sein. Die Realität ist: Die Deutsche Welle beschließt die Einstellung ihres spanischsprachigen Pro- gramms. Begründung: keine strategische Bedeutung. Und da die Mittel knapp sind, kann darauf verzichtet werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10187 (A) (C) (B) (D) Im Januar hat das Ibero-Amerikanische Forschungs- seminar der Universität Leipzig zusammen mit anderen Experten auf eine weitere alarmierende Entwicklung hingewiesen: Deutschland ist dabei, seine traditionsrei- che Lateinamerika-Kompetenz und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu verspielen. Lateinamerikanische Lehrstühle werden an den deut- schen Unis gestrichen. Offensichtlich hat auch in der Po- litik Lateinamerika keine Priorität mehr. So das Fazit der Professoren. Vor dem WTO-Gipfel in Cancun wurde zu Recht mit unserem strategischen Partner im Norden Amerikas ge- sprochen und eine Linie vereinbart, aber nicht mit dem Süden. Dass sich die Länder dort ausgeschlossen fühl- ten, ist nur verständlich. Bei wichtigen außenpolitischen Fragen wie im Vor- feld zum Irakkrieg war es nicht einmal möglich, inner- halb Europas zu einer gemeinsamen Haltung zu kom- men, ganz zu schweigen von Gesprächen mit den strategischen Partnern. Sie schreiben in Ihrem Antrag: In der bilateralen Ent- wicklungszusammenarbeit ist Lateinamerika keine Schwerpunktregion. Mir fällt dazu nur ein: Genau das Gefühl hat man. Eben fand unter anderem die Debatte zu Argentinien statt. Hat es mit unserem Verständnis von Partnerschaft zu tun, dass man anhand verengter Krite- rien Entwicklungshilfe einstellt und damit den Übergang über die Schwelle erschwert? Hier ist doch vielmehr eine angepasste Form der Zusammenarbeit für Schwellenlän- der nötig, um Fortschritte nicht zu gefährden. In diesem Zusammenhang erscheinen mir Ihre Aussa- gen zu Argentinien in Ihrem Antrag ein wenig zu positiv. Mir sind jedenfalls keine nennenswerten Reformen der Regierung Kirchner, die die Wirtschaft oder die Sozial- und Steuersysteme betreffen, bekannt. Allerdings finde ich es erstaunlich, wenn bis heute noch nicht eine ein- zige Kabinettsitzung stattgefunden hat. Das sind nur einige Schlaglichter zum Istzustand. Wir müssen zum einen deutlich sehen, dass Lateinamerika und die Karibik keine homogene Region darstellt. Das macht eine strategische Partnerschaft per se schon schwer. Zum anderen haben wir sehr unterschiedliche Entwicklungsgrade unserer Volkswirtschaften und somit in Teilen auch unterschiedliche Interessen und Möglich- keiten. Deshalb gehört es zur ehrlichen Debatte, genau zu analysieren, auf welchen Feldern wir wie zusammen- arbeiten wollen und welchen Beitrag Deutschland leisten kann. Ich denke, wenn wir die strategische Partnerschaft mit Leben erfüllen wollen, muss das Treffen von Guadala- jara konkrete Ergebnisse hervorbringen. Es ist wichtig, dass ergebnisorientierte Gespräche geführt werden, die in konkrete Projekte zum Ausbau der Beziehungen mün- den. Die beiden Themenschwerpunkte Multilateralismus und soziale Kohäsion sind ganz sicher wichtige Themen. Der Begriff „soziale Kohäsion“ ist dabei allerdings et- was schwammig, weil jeder etwas anderes darunter ver- steht. Es muss schon noch zu einer Konkretisierung kommen, wobei es sicher vor allem um die Überwin- dung der Armut gehen muss. Entscheidend ist für mich, dass vor allem die Regierungen in den lateinamerikani- schen und karibischen Ländern erkennen, dass es ihre politische Aufgabe ist, Lösungen für die Armutsbe- kämpfung zu finden. Die Themen sind natürlich vor allem auf Wunsch der EU auf der Tagesordnung. Aber auch die lateinamerika- nischen Länder haben Erwartungen, vor allem im Hin- blick auf Handelsliberalisierung und Subventionsabbau. Es wird notwendig sein, auch diesen Fragen Raum zu geben. Der politische Dialog ist für eine strategische Partner- schaft unabdingbar. Es kann nicht ausreichen, sich nur alle Jahre zu einem Gipfel zu treffen, zumal durch die EU-Erweiterung der Kreis noch größer geworden ist. Meines Erachtens ist es unabdingbar, Formen zu entwi- ckeln, die einen kontinuierlichen Dialog ermöglichen. Themen für ein strategisches Zusammenarbeiten gibt es: beispielsweise die Erarbeitung von Vorschlägen für Re- formen der multilateralen Organisationen, der Erfah- rungsaustausch über Integrationsprozesse, Fragen zu Wirtschafts- und Handelsbeziehungen bis hin zu Bil- dungsfragen und Kulturaustausch. In diesem Sinne wün- schen wir dem Gipfel viel Erfolg. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Latein- amerika hat in den vergangenen 20 Jahren Bemerkens- wertes geleistet. Der Subkontinent konnte sich seiner Diktatoren entledigen und demokratische Institutionen aufbauen und festigen. Dies ist umso bewundernswerter, als diese großen politischen Fortschritte nicht durch wirtschaftliche Erfolge begleitet waren. Im Durchschnitt verdienen die Menschen in Lateinamerika heute kaum mehr als im Jahr 1980, die Zahl der Armen ist auf 227 Millionen angewachsen und die Einkommensvertei- lung hat sich weiter verschlechtert. Die EU hat dagegen durch schrittweise Erweiterun- gen die Integration des Kontinents vorangetrieben und war damit sowohl wirtschaftlich als auch politisch er- folgreich. Wenn sich die EU der 25 an diesem Freitag mit den Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas und der Ka- ribik trifft, dann sind dort Repräsentanten von 58 Staaten vertreten. Es gilt das einzulösen, was der erste EU-LA- Gipfel in Rio 1999 versprochen hatte: eine „strategische Partnerschaft für das 21. Jahrhundert“. Der dritte Gipfel in Guadalajara muss zeigen, ob La- teinamerika für Europa heute überhaupt noch „zeitge- mäß“ ist. Ist die EU in der Lage ihren Blick vom Osten – Osterweiterung – und vom Nahen Osten – Terroris- musbekämpfung – noch in eine andere Richtung zu wen- den? Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel daran, dass sie dies tun sollte. Und es gibt eine Reihe guter Gründe für eine substanzielle strategische Partnerschaft mit Latein- amerika. Auf der politischen Ebene ziehen die EU und die Ländern Lateinamerikas als entschiedene Unterstüt- zer eines multilateralen Systems am gleichen Strang. 10188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 (A) (C) (B) (D) Dies hat sich in den vergangenen Jahren sowohl in der Umwelt- als auch in der Sicherheitspolitik immer wieder gezeigt. Im Umweltbereich, beim Schutz der tropischen Regenwälder, ist Deutschland im Rahmen des Pilotpro- gramms der G 7 an vorderster Stelle in Brasilien aktiv. Viele Länder vor allem in Südamerika sind durch die deutsche, italienische und polnische Migration aus dem 19. und 20. Jahrhundert geprägt. Ganz zu schweigen von dem jahrhundertealten schweren Erbe der Eroberung durch die Spanier und Portugiesen. Es gibt eine kultu- relle Nähe zu Europa, die sich nicht auf die Vergangen- heit beschränkt. Für viele Entscheidungsträger der Me- cosur-Staaten strahlt das europäische Integrationsmodell eine enorme Anziehungskraft aus. Nur, aus dieser politi- schen Anziehungskraft allein lässt sich noch keine „Jahr- hundertpartnerschaft“ begründen. Dafür liegt die Mess- latte höher. Und diese Messlatte ist vor allem ökonomischer Art. Der wirtschaftliche Druck, unter dem die Regierungen in Lateinamerika, vor allem in den großen Ländern Brasi- lien und Argentinien, stehen, ist vergleichbar mit dem ei- nes Heizkessels kurz vor der Explosion. Ohne populisti- sche Heilsversprechen sind deren Regierungsführer gewählt worden, um die Region aus einer lang anhalten- den wirtschaftlichen Misere herauszuführen. Brasilien verzeichnet seit 20 Jahre kein signifikantes Wachstum mehr und Argentinien befindet sich seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre im freien Fall, der erst mit der Re- gierung Kirchner abgebremst wurde. Die katastrophale Wirtschaftsentwicklung nahm ihren Ausgang Anfang der 80er-Jahre mit der Schuldenkrise. Die von den internationalen Finanzorganisationen ver- ordneten Rezepte haben die Lage teilweise noch ver- schlimmert. Der Washington-Konsensus mit seinem „li- beralisiere umfassend, privatisiere alles und beschneide den Staatshaushalt, wo immer du kannst“ ist gescheitert. Er war speziell für das schuldengerüttelte Lateinamerika erfunden worden. Für die Musterschüler hat sich die Wundertüte aus dem Norden als Mogelpackung heraus- gestellt. Die negativen Ergebnisse der Politik des Washingtoner Konsenses haben in vielen Ländern zu po- litischen Umbrüchen und zu Regierungswechseln ge- führt, von denen sich die Menschen eine effektive Ar- mutsbekämpfung durch eine neue Wirtschaftspolitik versprechen. In diesem Umfeld ist es von besonderer Bedeutung, durch die europäische Politik einen Beitrag zu Entwick- lung und wirtschaftlichem Wachstum in der Region zu leisten. Ziel muss es sein, die wirtschaftliche und finan- zielle Stabilität, ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftsmodell und die Konsolidierung der demokra- tischen Institutionen zu fördern. Der Beitrag besteht kurz zusammengefasst darin, durch Erleichterungen im Schuldenmanagement und bei der Entschuldung finanziellen Spielraum zu schaffen und im internationalen Handel kurzfristig Zugeständ- nisse zu gewähren, die sich dann mittel- und langfristig auch für Europa bezahlt machen. Zur Entschuldung: Vor wenigen Wochen hat bei einem Studientag der Kirchen zur Finanzsituation Argentiniens der Vertreter einer Interessengemeinschaft von An- leiheninhabern einen bestechenden Vorschlag gemacht. Er setzte, sich im Rahmen der Umschuldungsverhandlun- gen für die Ausgabe einer BIP-indexierten Anleihe ein, deren Inhaber damit zu Aktionären Argentiniens werden. Diese profitieren am meisten, wenn es dem Land gut geht. Der Vorschlag steht in klarem Kontrast zur Finanzmarkt- spekulation mit staatlichen Anleihen. Anleger kaufen sie, weil sie im Vergleich zu US- oder europäischen Staats- titeln eine um 10 bis 20 Prozent höhere Verzinsung brin- gen. Die Länder geben die Finanztitel aus, weil ihnen das Wasser bis zum Halse steht. Nachdem die internationalen Anleger über Jahre die Sahne abgeschöpft haben, rufen sie bei Zahlungsunfähigkeit nach der Hilfe des IWF. An der EU liegt es, sich konstruktiv an der Entwick- lung von fairen und transparenten Verfahren zur Bewäl- tigung akuter Verschuldungskrisen in hoch verschulde- ten lateinamerikanischen Ländern zu beteiligen. Es gilt ein Konzept der Schuldentragfähigkeit zu unterstützen, das die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leis- tungsfähigkeit erlaubt und die sozialen Lebensbedingun- gen der Menschen berücksichtigt. Beim Handel besteht die große Herausforderung da- rin, dass sich die EU schrittweise für wettbewerbsstarke Agrarprodukte aus Lateinamerika öffnet, ohne diese Öff- nung gleich wieder durch noch umfangreichere Zu- geständnisse der anderen Seite bei Investitionen, Dienstleistungen und öffentlichem Beschaffungswesen zunichte zu machen. Nur so kann eine positive Außenbi- lanz der schwächeren Länder zu deren finanziellen Stabilität beitragen. Wir sollten alle Anstrengungen un- ternehmen, dass das seit 1999 verhandelte EU-Merco- sur-Assoziierungsabkommen noch in diesem Jahr er- folgreich abgeschlossen werden kann. Schließlich sollte die EU neben den ökonomischen Haurausforderungen aber auch den Erwartungen gerecht werden, die an sie als Friedensmacht gestellt werden. Dies ist insbesondere in Hinblick auf den kolumbiani- schen Konflikt von großer Bedeutung. Präsident Uribe setzt einseitig auf militärische Aktio- nen und auf Zugeständnisse an die Paramilitärs. Soll ein tragfähiger Frieden und keine Friedhofsruhe geschaffen werden, dann führt der Weg nur über Verhandlungen mit allen Konfliktparteien. Die EU sollte sich hier aktiver einschalten, politisch und finanziell. Wenn Krisenprävention und Friedensentwicklung er- folgreich sein wollen, dann müssen die Gemeinden und die zivilen Akteure in den Konfliktregionen in die Pla- nung und Durchführung von Friedensmaßnahmen einbe- zogen werden. Unterstützungsprogramme sollen auf zu- kunftsfähige und ökologisch nachhaltige Entwicklung in den Regionen zielen. Durch ein unabhängiges Monito- ring gilt es Transparenz und effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten. Als Garcia Marquez 1982 den Nobelpreis für Litera- tur erhielt, unterstrich er die Eigenverantwortung des Subkontinents: „Die maßlose Gewalt und der maßlose Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 10189 (A) (C) (B) (D) Schmerz unserer Geschichte sind das Ergebnis von jahr- hundertealten Ungerechtigkeiten und Bitternissen ohne Zahl und nicht eine dreitausend Meilen von unserem Haus entfernt ausgeheckte Verschwörung“. Die Verantwortung Kolumbiens für eine Landreform, für eine Säuberung der Sicherheitsorgane, für Steuerge- rechtigkeit und den Schutz der indigenen Völker kann nicht nach außen verlagert werden. Gleiches trifft für eine verantwortungsvolle Regierungsführung in allen anderen lateinamerikanischen Ländern zu. Gleichzeitig bedarf es aber der internationalen Unterstützung, einer konstruktiven Solidarität, die Spielraum für die Erledi- gung der eigenen Hausaufgaben lässt. Europa sollte klare Zeichen dafür setzen, dass Carlos Fuentes Unrecht hat, wenn er düster befürchtet: „Niemand denkt an LA, niemand interessiert sich dafür. Würden wir hundert Prioritäten aufstellen, stünde LA an letzter Stelle“. Dr. Claudia Winterstein, (FDP): Es ist mittlerweile fünf Jahre her, dass auf der Konferenz von Rio eine neue „strategische Partnerschaft“ zwischen der EU einerseits und den lateinamerikanischen Ländern und der Karibik – künftig: Lateinamerika – andererseits beschlossen worden ist. Diese sollte eine breite Grundlage für die In- tensivierung und Weiterentwicklung der beiderseitigen Beziehungen schaffen. Die Euphorie war zunächst groß, aber die Ernüchte- rung folgte bald. Die praktische Umsetzung gemeinsa- mer Projekte bleibt bescheiden; daran konnte auch die Folgekonferenz 2002 in Madrid nichts ändern. Bis heute existiert keine kohärente Lateinamerikastrategie der EU; eine entsprechende Resolution des Europäischen Parla- ments aus dem Jahr 2001 ist bisher ungehört geblieben. Lateinamerika findet leider in der europäischen, aber auch in der deutschen Politik so gut wie nicht statt. Da- bei ist die soziale und politische Stabilität in Lateiname- rika unabdingbar für Frieden und Sicherheit weltweit. Aus anderen Regionen der Welt ist uns der fatale Zusam- menhang zwischen Drogenanbau und -handel, organi- sierter Kriminalität bis hin zum Terrorismus und man- gelnder Rechtsstaatlichkeit schon bekannt. Gerade deshalb ist es im außenpolitischen Interesse Deutsch- lands, dass die in Rio 1999 beschworene und in Madrid 2002 bestätigte strategische Partnerschaft endlich Ge- stalt annimmt und dass die Zusammenarbeit zwischen Europa und Lateinamerika und der Karibik zu einer zen- tralen Säule der transatlantischen Beziehungen wird. Ich sehe sowohl die EU als auch die Bundesregierung in der Pflicht, auf dem Gipfel von Guadalajara darauf hinzuwirken, das bisher Versäumte endlich nachzuholen. Erstens. Der Gipfel findet zu einer Zeit statt, in der viele Staaten der Region eine schwere Krise ihrer demo- kratischen Institutionen erleben. Mangelnde Gewalten- teilung, fehlende Transparenz demokratischer Prozesse, Korruption, Ungleichheit und Armut mit der Folge des Ausschlusses breiter Bevölkerungsschichten von der Teilhabe am politischen und wirtschaftlichen Leben schwächen die Demokratie und bedrohen Frieden und Stabilität. Eine Umfrage des UNDP belegt, dass bei gro- ßen Teilen der Bevölkerung das Vertrauen in die demo- kratischen Institutionen und in demokratisch gewählte Politiker bereits tief erschüttert ist. Es wird eine der vor- dringlichen Aufgaben des kommenden Gipfels sein, den lateinamerikanischen Staaten bei der Überwindung die- ser Krise der demokratischen Institutionen und Verfah- ren zu helfen. Ich sehe uns Europäer hier in einer besonderen Ver- antwortung. Wir haben in den 90er-Jahren die lateiname- rikanischen Länder beim Aufbau der demokratischen In- stitutionen unterstützt. Dass wir es unterlassen haben, gleichzeitig ebenso nachdrücklich auf den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen hinzuwirken und die jungen Demokratien auch über die ersten Schritte hinaus weiter- hin zu fördern und zu unterstützen, rächt sich heute bit- ter. Diese Erfahrung sollte uns für die Zukunft Latein- amerikas und anderer Länder der Welt, wie zum Beispiel Afghanistans und des Irak, eine Lehn; sein. Zweitens. Selbstverständlich liegt der Schlüssel zum wirklichen Wandel in den Händen der lateinamerikani- schen Staaten selbst. Dennoch gibt es einiges, was die EU tun kann. In der extremen Armut und Ungleichheit liegt eine oft unterschätzte politische Sprengkraft. La- teinamerika weist das größte soziale Gefälle aller Regio- nen der Welt auf. Der Gipfel von Guadalajara wird sich mit diesem Problem auseinander setzen, und es ist zu hoffen, dass es diesmal nicht bei schönen Worten allein bleibt. Die von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des sozialen Zusammen- halts gesammelten Erfahrungen, ihre Arbeitsmethoden und Konzepte könnten für Lateinamerika von großem Nutzen sein. Zum Austausch von Know-how und Erfah- rungen sollte insbesondere die Zusammenarbeit zwi- schen den für diese Politikbereiche zuständigen öffentli- chen Verwaltungen intensiviert werden. Die noch unzureichende regionale Integration stellt ebenfalls eine maßgebliche Hürde für die Entwicklung der Region dar. Sie erschwert nicht nur die Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika, sondern hindert die Region auch, sich besser gegen ex- terne wirtschaftliche Schocks zu wappnen und diese bes- ser aufzufangen. Die Vertiefung der regionalen Zusam- menarbeit wird die Region in die Lage versetzen, ihr wirtschaftliches Potenzial voll auszuschöpfen und die Eingliederung der einzelnen Länder in die internationa- len Märkte erleichtern. Auch in diesem Bereich sollte die Zusammenarbeit zwischen der EU und den bestehen- den subregionalen Initiativen – Mercosur, Andenge- meinschaft, Zentralamerika –, zum Beispiel durch tech- nische Hilfe und den Aufbau von Humankapital, erheblich verstärkt werden. Die konkreteste Hilfe leisten die europäischen Staaten über die Entwicklungszusammenarbeit. Noch vor den USA ist Europa der größte Geber von Entwicklungshilfe für die Region. In der Entwicklungszusammenarbeit der Kommission nimmt die Region allerdings den letzten Rang ein – weit hinter den AKP-Staaten. Hier sind Kor- rekturen dringend erforderlich. Diese müssen einherge- hen mit einer engeren Zusammenarbeit der EU bei den notwendigen Strukturreformen und einer noch stärkeren (A) (C)Koppelung der Hilfe an Good Governance, die Beach- tung der Menschenrechte und Programme zur Armutsbe- kämpfung. Drittens. Eine intensivere Zusammenarbeit ist aber auch im Sicherheitsbereich in beiderseitigem Interesse. Internationaler Terrorismus, die Verbreitung von Mas- senvernichtungswaffen und das Problem zerfallender Staaten sind Bedrohungen, denen sich kein Staat alleine stellen kann. Auf dem Gipfel in Guadalajara wird das Thema „effektiver Multilateralismus“ deshalb einer der Schwerpunkte der Beratungen sein. Die Voraussetzun- gen für eine enge biregionale Kooperation sind günstig. Europa und Lateinamerika bilden eine Werte- und Inte- ressengemeinschaft, die mit einer Übereinstimmung in wichtigen sicherheitspolitischen Fragen einhergeht. Ein effektives multilaterales System, mit den Vereinten Na- tionen im Zentrum ist gemeinsames Ziel. Bereits in der Abschlusserklärung des Gipfels von Madrid haben die Teilnehmer eine breite Übereinstimmung erklärt, was die Themen Sicherheit, Abrüstung, Terrorismus, Be- kämpfung des Drogenhandels und des organisierten Ver- brechens sowie die Ächtung von Kleinwaffen angeht. Es mangelt jedoch immer noch an belastbaren Strukturen, die es uns ermöglichen, eine gemeinsame Antwort auf diese Herausforderungen zu geben. Hier müssen auf dem Gipfel Initiativen ergriffen werden. Langfristiges Ziel muss die Schaffung einer euro-lateinamerikani- schen Sicherheitspartnerschaft sein. Viertens. Der Gipfel von Guadalajara wird in einem wirtschaftlich günstigeren Klima stattfinden als der Gip- fel von Madrid 2002. Dies lässt hoffen, dass in die wirt- schafts- und handelspolitische Zusammenarbeit beider Regionen endlich neuer Schwung kommt. Nach fast neunjährigen Verhandlungen ist es immer noch nicht ge- lungen, ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, unserem mit Abstand wichtigsten Handelspartner in La- teinamerika zu unterzeichnen. Dies liegt zum einen an der nicht hinreichenden regionalen Integration im Block der Mercosur-Staaten. Der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital muss zum einen intraregio- nal gewährleistet sein, bevor interregional dazu verhan- delt werden kann. Ein erfolgreicher Abschluss der Ver- handlungen setzt zum anderen aber auch Zugeständnisse der EU im Agrarbereich voraus. Solche werden von den Mercosur-Staaten berechtigterweise als notwendige Ge- genleistung für die Öffnung ihrer Industrie- und Dienst- leistungsmärkte gefordert. Wir können uns nicht welt- weit für Freihandel einsetzen, den eigenen Markt aber abschirmen. Ein Ziel des Gipfels in Guadalajara muss es deshalb sein, ein günstiges Klima für eine rasche und er- folgreiche Beendigung der Doha-Runde der WTO-Ver- handlungen zu schaffen. Der erfolgreiche Abschluss des Abkommens mit den Mercosur-Staaten ist auch für die deutsche Wirtschaft von strategischem Interesse, da er uns langfiistig – ebenso wie der mittelfristig geplante Abschluss von As- soziationsabkommen mit der Andengemeinschaft und Zentralamerika, den Zugang zum zukünftigen, von den USA angestrebten gesamtamerikanischen Markt, FTAA, erleichtern wird. sellschaft mbH, Amsterdamer Str. 19 (B) 2 (D) 10190 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 nd 91, 1 2, 0, T 2 111. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. Mai 2004 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511100000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich zu

erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)


Am 17. Mai ist unser Kollege Matthias Weisheit ge-
storben. Er wollte gerade eine Dienstreise antreten, als
ein Herzanfall ihn aus unserer Mitte riss.

Matthias Weisheit wurde am 18. Dezember 1945 in
Leipzig geboren. In Ravensburg machte er das Abitur
und in Weingarten absolvierte er sein Studium an der Pä-
dagogischen Hochschule. Auch nach dem Studium blieb
er dem Bodenseeraum und seinen Menschen verbunden.
20 Jahre arbeitete er hier als Realschullehrer an ver-
schiedenen Schulen.

Nicht allein durch die verschiedenen Funktionen, die
er in der Sozialdemokratischen Partei auf örtlicher und
regionaler Ebene und als Mitglied der Sozialistischen
Bodensee-Internationale innehatte, sondern ebenso in
seiner Tätigkeit in zahlreichen Vereinen haben viele

Rede
Menschen Matthias Weisheit als einen außerordentlich
kontaktfreudigen, aufgeschlossenen Menschen kennen
und schätzen gelernt.

Auch sein Auftreten und Wirken im Ausschuss für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, wo er
seine Fraktion als Obmann vertrat, war gekennzeichnet
von seiner Tatkraft und seiner offenen, direkten Art, auf
Menschen zuzugehen und Probleme ohne Umschweife
anzusprechen. Selbst Schicksalsschläge wie der Tod sei-
nes Sohnes im Jahr 1999 haben ihn nicht mutlos werden
lassen. Seiner Frau und seiner Tochter sprechen wir unser
tief empfundenes Beileid aus. Wir werden ihm ein ehren-
des Andenken bewahren. – Ich danke Ihnen

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nac
den verstorbenen Kollegen Weisheit hat d
nete Elvira Drobinski-Weiß am 18. Mai 2004 die Mit-
tzung

, den 27. Mai 2004

.30 Uhr

gliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich be-
grüße die neue Kollegin sehr herzlich.


(Beifall)

Die Fraktion der SPD teilt mit, dass die Kollegin

Erika Lotz als stellvertretendes Mitglied aus der Parla-
mentarischen Versammlung des Europarates ausschei-
det. Nachfolgerin soll die Kollegin Rita Streb-Hesse
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist die Kollegin Rita Streb-Hesse als
stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Ver-
sammlung des Europarates gewählt.

Sodann möchte ich noch drei Kollegen nachträglich
zum 60. Geburtstag gratulieren. Es sind dies die Kolle-
gen Hans-Peter Kemper, Wilhelm Schmidt und Gert
Weisskirchen. Im Namen des Hauses spreche ich die
besten Glückwünsche aus.


(Beifall)

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene

Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufge-
führten Punkte zu erweitern:

1 Vereinbarte Debatte zur humanitären und menschenrecht-
lichen Situation und internationalen Verantwortung im
westlichen Sudan (siehe 110. Sitzung)


text
2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Im West-
sudan (Darfur) eine humanitäre Katastrophe verhindern
– Drucksache 15/3197 –

(siehe 110. Sitzung)


3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltiges Wachstum
in Ostdeutschland sichern
– Drucksache 15/3201 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

ss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ss für Bildung, Forschung und
folgenabschätzung
ss für Tourismus
ss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
.
hfolgerin für
ie Abgeord-

Ausschu
Ausschu
Technik
Ausschu
Ausschu

Haushaltsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Günther


(Plauen), Eberhard Otto (Godern), Dr. Karlheinz Guttmacher,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Ostdeutschland als Speerspitze des Wandels – Leitlinien
eines Gesamtkonzepts für die neuen Länder
– Drucksache 15/3202 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich

(Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Eberhard Otto (Go-

dern), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Keine Kürzungen bei den Verkehrsprojekten in Ost-
deutschland
– Drucksache 15/3203 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Haushaltsausschuss

6 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 26)

a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Ent-

wurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Bundes-
notarordnung
– Drucksache 15/3147 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
7. April 2003 zwischen der Regierung der Bundes-
republik Deutschland und der Regierung der Tunesi-
schen Republik über die Zusammenarbeit bei der Be-
kämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung
– Drucksache 15/3177 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Förderung von Wagniskapi-
tal
– Drucksache 15/3189 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Klimke,
Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Den Tourismus stär-
ken – Chancen der EU-Erweiterung nutzen
– Drucksache 15/3192 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Lösekrug-Möller, Annette Faße, Brunhilde Irber, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge-
ordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Franziska
Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN: Internationale Richtlinien für biologische Viel-
falt und Tourismusentwicklung zügig umsetzen
– Drucksache 15/3219 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel,
Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der FDP: Verschiebung des
Zeitpunktes für das In-Kraft-Treten des Vierten Ge-
setzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt

(SGB II) auf den 1. Januar 2006

– Drucksache 15/3105 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Selbstverpflichtungserklärung der Deutschen Post AG
zur Erbringung bestimmter Postdienstleistungen
– Drucksache 15/3186 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

7 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 27)

Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Den
Rechtsweg in der Regulierung des Telekommunikations-
marktes ändern
– Drucksache 15/3218 –

8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gernot Erler, Gert
Weisskirchen (Wiesloch), Rainer Arnold, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Nachtwei, Dr. Ludger Volmer, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Fortsetzung und Anpassung der
Arbeit der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
– Drucksache 15/3204 –

9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger,
Dr. Christian Ruck, Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Der Kosovopolitik
eine Perspektive geben
– Drucksache 15/3188 –

10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt,
Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP: Nachtragshaushalt und Haushaltssiche-
rungsgesetz zur Korrektur der Bundesfinanzen notwendig
– Drucksache 15/3216 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Wolfgang Thierse

Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner,
Dr. Werner Hoyer, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP: Für einen Helsinki-Prozess für
den Nahen und Mittleren Osten
– Drucksache 15/3207 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss

12 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Europäische Verfas-
sung beschließen – der erweiterten Union ein solides Fun-
dament für die Zukunft geben
– Drucksache 15/3208 –

13 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine qualitätsorien-
tierte und an den regionalen Bedürfnissen ausgerichtete
Ausschreibungspraxis von arbeitsmarktpolitischen Maß-
nahmen
– Drucksache 15/3213 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen,
Rainer Funke, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Jugendstrafvollzug verfassungsfest
gestalten
– Drucksache 15/2192 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Ferner sollen die Debattenpunkte nach Tagesord-
nungspunkt 12 wie folgt aufgerufen werden: Tagesord-
nungspunkt 17 – Kinder- und Jugendschutz –, Tagesord-
nungspunkt 16 – Frauen und Familien in der
Bundeswehr –, Tagesordnungspunkt 19 – Südamerika-
politik –, Tagesordnungspunkt 14 – Historisches Erbe –,
Tagesordnungspunkt 18 – Tierarzneimittel – und dann
Tagesordnungspunkt 20 – Beziehungen der Europäi-
schen Union zu Lateinamerika und der Karibik. Außer-
dem sollen der Tagesordnungspunkt 13 – Hochwasser-
schutz – und der Tagesordnungspunkt 15
– Flächendeckende Postdienstleistungen – abgesetzt
werden. Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit

(9. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Offensive für den Mittelstand

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dagmar
Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Hartmut
Schauerte, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Grundsätzliche Kehrtwende in der Wirt-
schaftspolitik statt neue Sonderregeln –
Mittelstand umfassend stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Dr. Hermann Otto Solms, Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Neue Chancen für den Mittelstand – Rah-
menbedingungen verbessern statt Förder-
dschungel ausweiten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Rainer Funke, Rainer Brüderle,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Statistiken reduzieren – Unternehmen ent-
lasten – Bürokratie abbauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit
Homburger, Joachim Günther (Plauen),
Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Modellregionen für Deregulierung und Bü-
rokratieabbau
– Drucksachen 15/351, 15/349, 15/357, 15/752,
15/1134, 15/3221 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Lange (Backnang)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion.


Klaus Brandner (SPD):
Rede ID: ID1511100100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Noch zu keiner Zeit sind so viele den
Mittelstand strukturell unterstützende Reformen in so
kurzer Zeit ergriffen,


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

auf den Weg gebracht und umgesetzt worden






(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

wie zu Beginn der 15. Legislaturperiode.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Da muss er selber lachen! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Welche?)


– Ihre Freude zeigt, dass Sie vielleicht ein eher schlech-
tes Gewissen haben,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ein Mittelstandsvernichtungsprogramm!)


wenn Sie den Reformstau im Mittelstand beklagen. Sie
werden am Ende erleben, welch positive Bilanz wir vor-
zulegen haben.

Wir lassen uns bei unserer Arbeit von den Zielen und
Grundsätzen, die der Bundeskanzler in seiner Regie-
rungserklärung am 14. März des vergangenen Jahres an-
lässlich der Erläuterungen zur Agenda 2010 formuliert
hat, leiten. Es geht dabei nicht um ein Konjunktur- und
Beschäftigungsprogramm, das uns nur kurzfristig Er-
leichterung schaffen würde, es geht bei der Agenda 2010
um weit reichende Strukturreformen, die Deutschland
bis zum Ende des Jahrzehnts wieder an die Spitze bei
Wohlstand und Arbeit bringen werden.

Ich gebe zu: Zurzeit wirken diese Reformen noch
nicht so, wie sie wirken werden, wenn sich die konjunk-
turelle Lage verbessert hat. Mit der Agenda 2010 verfü-
gen wir aber über ein klares, stimmiges Konzept, bei
dem der Stärkung und der Förderung des wirtschaftli-
chen Mittelstands eine ganz besondere Rolle zukommt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Realitätsverweigerung!)


Wenn ich mir dagegen die Anträge der Oppositions-
parteien ansehe, kann ich ein vergleichbares Konzept
nicht entdecken. Hier wird vielen vieles versprochen;
meist ist es ein Sammelsurium von Ankündigungen, die
dann bei der konkreten Entscheidung – zum Beispiel im
Vermittlungsausschuss – keine Beachtung mehr finden.

Meine Damen und Herren, kleine und mittlere Unter-
nehmen haben es in unserem Lande zurzeit schwer, teil-
weise sehr schwer.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)


Drei Jahre Stagnation haben tiefe Spuren hinterlassen.
Doch es ist nicht nur die konjunkturelle Durststrecke, die
den Mittelstand plagt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Auch die Bundesregierung! – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Rot-Grün! – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Die Plage hat einen Namen!)


Der Wettbewerbsdruck auf den heimischen Märkten
nimmt zu und er wird weiter zunehmen. Die Plage ist
Ihre Blockadepolitik, das müssen wir ganz deutlich se-
hen, das werden die Menschen in diesem Land auch
nach wie vor feststellen. Da nutzt es auch gar nichts,
dass Sie ablenken wollen. In der Tat können wir uns
nichts vormachen: Wenn Sie weiterhin wichtige Reform-
schritte behindern, wird es dem Mittelstand auch in der
Zukunft nicht besser gehen können.


(Beifall bei der SPD)

Ich will auf ein anderes Thema hinweisen: Die deut-

sche Bankenlandschaft zum Beispiel befindet sich in ei-
nem Prozess der Reorganisation. Die großen Privat-
banken ziehen sich aus dem Finanzierungsgeschäft mit
dem Mittelstand zurück. Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken, die traditionellen Kreditgeber der kleinen
und mittleren Unternehmen, befinden sich selbst in einer
schwierigen Konsolidierungsphase. Wir haben auf diese
Situation im Bankensektor reagiert. Nur, eines ist klar:
Der Staat kann diese teilweise tief greifenden Umstruk-
turierungsprozesse in unserer Wirtschaft, in unserem
Bankensektor nicht vollständig kompensieren.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Er verursacht sie!)


Er kann ihre negativen Auswirkungen auf Investoren al-
lein nicht auffangen, Herr Schauerte. Auch hier gilt: Der
Staat kann nicht alles richten; er soll und darf es auch
nicht. Das ist vornehmlich eine unternehmerische Auf-
gabe, hier ist die schöpferische Kraft des Unternehmers
und der Unternehmerin gefragt. Hier vonseiten der Poli-
tik falsche Erwartungen zu wecken, wie Sie es teilweise
tun, ist fahrlässig und unverantwortlich.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wir warten darauf, dass Sie sagen, was Sie gemacht haben!)


Es ist schon merkwürdig, meine Damen und Herren:
Häufig sind diejenigen, die lautstark übermäßigen
Staatseinfluss bedauern, nach immer weniger Staat, im-
mer stärkerer Deregulierung und Entbürokratisierung ru-
fen, diejenigen, die als Erste staatliche Hilfen und staatli-
che Regulierung fordern, wenn sie ihre eigenen
Interessen gefährdet sehen.

Meine Damen und Herren von der Union und von der
FDP, da klaffen Anspruch und Wirklichkeit häufig mei-
lenweit auseinander. Ich kann Sie nur auffordern, in die-
sem Zusammenhang mehr Redlichkeit zu zeigen, als Sie
in der Vergangenheit an den Tag gelegt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich wiederhole meine Eingangsfeststellung: Zu keiner
Zeit wurden so viele Reformen für den Mittelstand auf
den Weg gebracht wie in dieser Legislaturperiode.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Welche denn?)

Was haben wir versprochen? Was haben wir gehalten?
Was bleibt noch zu tun? Dazu habe ich mir zehn Punkte
notiert:

Erstens. Wir haben die Finanzierungsbedingungen für
die mittelständische Wirtschaft nachhaltig verbessert
und werden sie weiter verbessern. Der Spitzensteuer-
satz wurde von uns um 11 Prozentpunkte auf 42 Prozent
gesenkt. Wir erinnern uns, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen insbesondere von der Union und der FDP: Damals
lag er bei 53 Prozent.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Petersberg!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

Der Eingangssteuersatz betrug im Jahr 1998 25,9 Pro-
zent; heute sind es 15 Prozent. Der Körperschaftsteuer-
satz wurde von 30 Prozent für ausgeschüttete und von
40 Prozent für einbehaltene Gewinne einheitlich auf
25 Prozent gesenkt. Insgesamt werden die mittelständi-
schen Unternehmen ab dem 1. Januar 2005 jährlich um
gut 17 Milliarden Euro entlastet. Das müssen Sie einmal
zur Kenntnis nehmen und dürfen es nicht nur schlecht
machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die größte Steuerstrukturreform, die es in
Deutschland je gegeben hat. Sie hilft vor allem dem von
Personengesellschaften geprägten Mittelstand. Unser
Ziel ist es, die Finanzierung von Investitionen durch die
Einbehaltung von Gewinnen aus steuerlicher Sicht at-
traktiver zu machen. Das ist unsere Antwort auf die Fi-
nanzierungskrise mittelständischer Unternehmen.

Zweitens. Wir haben mit unserer Politik der strikten
Haushaltskonsolidierung für anhaltend niedrige Zinsen
und damit für günstige Finanzierungskosten der Unter-
nehmen gesorgt. Was hilft der mittelständischen Wirt-
schaft mehr als niedrige Finanzierungskosten?

Drittens. Nach dem dramatischen Anstieg der Lohn-
nebenkosten unter der unionsgeführten Bundesregierung
haben wir den Einstieg in die Konsolidierung der Kran-
ken-, Pflege- und Rentenversicherung geschafft. Zu Ih-
rer Erinnerung die Zahlen: Von 1982 bis 1998 sind die
Sozialversicherungsbeiträge von 34 Prozent um ganze
8 Prozentpunkte auf 42 Prozent gestiegen. Damit haben
wir Schluss gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wem nutzt die Senkung der Lohnnebenkosten mehr als
den kleinen und mittleren Unternehmen? Insbesondere
diese Unternehmen werden davon profitieren.

Viertens. Wir haben mit den Hartz-Reformen für
mehr Effizienz und mehr Mobilität auf dem Arbeits-
markt gesorgt. Wir haben für Neueinstellungen den Kün-
digungsschutz gelockert. Unternehmen können jetzt
schneller und leichter Arbeitskräfte rekrutieren.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)


Fünftens. Wir haben das Gesetz zur Intensivierung
der Bekämpfung der Schwarzarbeit auf den Weg ge-
bracht. Jahrzehntelang haben Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, bei diesem Problem wegge-
schaut, was fatale Folgen für die Steuer- und Abgaben-
belastung in unserem Land hatte. Die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer hatten das letztlich durch höhere
Beiträge mit zu finanzieren. Niemand sieht sich durch
die Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft aber mehr in
seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet als kleine und
mittlere Unternehmen.

Sechstens. Wir haben mit dem neuen Ladenschluss-
gesetz die Chancen des Einzelhandels für mehr Umsatz
und Beschäftigung verbessert.
Siebtens. Wir haben nach 50 Jahren das Handwerks-
recht entrümpelt und haben dadurch mehr Chancen für
die im Handwerk Beschäftigten, für Existenzgründer, für
Gesellen und für Meister eröffnet. Wir haben das Hand-
werksrecht europatauglich gemacht.

Achtens. Wir haben alle Förderaktivitäten des Bundes
im Kredit- und Beteiligungsbereich in der KfW-Mittel-
standsbank zusammengefasst. Das Förderangebot wurde
gebündelt und gestrafft. Gleichzeitig wurde die Förder-
politik weiterentwickelt und neu ausgerichtet, zum Bei-
spiel mit der neuen Produktfamilie des Unternehmerka-
pitals.

Neuntens. Wir machen ernst mit dem Bürokratieab-
bau. Deregulierung und Vereinfachung der Verwal-
tungsabläufe sind in Arbeit.

Zehntens. Wir haben bei der Innovations- und Außen-
wirtschaftsförderung den Schwerpunkt auf die Förde-
rung kleiner und mittlerer Unternehmen gelegt.

Meine Damen und Herren, Johannes Rau hat in seiner
letzten großen Berliner Rede die Frage gestellt, ob wir
uns nicht inzwischen selber so schlecht geredet haben,
dass wir uns nichts mehr zutrauen. Ich zitiere den Bun-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1511100200


Ich wüsste kein Land, in dem so viele Verantwortli-
che und Funktionsträger mit so großer Lust so
schlecht, so negativ über das eigene Land sprechen,
wie das bei uns in Deutschland geschieht.

Der Bundespräsident warnt:
Das bleibt nicht ohne Folgen.

Drei Beispiele dazu aus der jüngsten Vergangenheit:
Erstens. Unser Sozialsystem steht nicht vor dem Zu-

sammenbruch. Das zu behaupten wäre abstruser Unsinn.
Trotzdem wird so getan, als wäre es so. Viele wollen das
dazu nutzen, das Sozialsystem völlig auf den Kopf zu
stellen und dem Mittelstand angeblich zu helfen. Gerade
der Mittelstand ist auf gute Sozialbeziehungen angewie-
sen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zweitens. Der Aufbau Ost ist weder gescheitert noch
sind die Hilfen von über 1000 Milliarden Euro sinnlos
und wirkungslos versickert. Der Aufbau ist vielmehr ein
Ruhmesblatt der neueren deutschen Geschichte, auf das
alle Deutschen stolz sein können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Heinrich [FDP]: Gesundbeterei!)


Enttäuscht kann nur der sein, der auf die Lügen derjeni-
gen hereingefallen ist, die behaupteten, die deutsche Ein-
heit könne aus der Portokasse bezahlt werden, und die
den Menschen blühende Landschaften in nur wenigen
Jahren versprachen.


(Beifall bei der SPD)

Drittens. Der Industriestandort Deutschland steht

nicht vor dem Niedergang. Das Gegenteil ist richtig.

(Lachen des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/ CSU])







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Brandner

Wir sind im weltweiten Wettbewerb einer der aktivsten
Standorte für Investoren. Das wissen offenbar aber nur
die ausländischen Investoren. Bei Ihnen wird das auf
taube Ohren stoßen. Das ist traurig genug; denn richtig
ist: Unsere Probleme sind lösbar und sie werden von die-
ser Bundesregierung zurzeit Schritt für Schritt gelöst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Drei Schritte zurück!)


Der entscheidende Reformschritt, den wir dabei ge-
gangen sind, ist die Agenda 2010. Das bestätigen uns
alle internationalen Institutionen von Belang, seien es
der Internationale Währungsfonds, die Europäische
Kommission oder die OECD. Alle bestätigen, dass wir
auf dem richtigen Weg sind. Wir brauchen mehr Zuver-
sicht, Mut und Entschlossenheit, aber auch mehr Verant-
wortung und Disziplin, um die notwendigen Reformen
zu bewältigen.

Wir sind mit den Reformen noch nicht am Ende.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sind am Ende!)

Der mit der Agenda 2010 eingeleitete Reformprozess
muss und wird weitergeführt werden. Ich würde mir für
unser Land wünschen, dass diejenigen in der öffentli-
chen Debatte mehr Beachtung fänden, die sich mit rea-
listischen Veränderungsvorschlägen sowie mit offener
Dialog- und fairer Kompromissbereitschaft hervortun.
Wir brauchen, wie Johannes Rau es empfiehlt, in unse-
rem Lande wieder eine Kultur der Zuversicht und der Er-
mutigung. Dazu rufe ich uns alle auf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist bei dieser Regierung schwer!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511100300

Ich erteile Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Frak-

tion, das Wort.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1511100400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Lieber Kollege Brandner, wenn man Ihnen eben zuge-
hört hat, dann bekam man wirklich das Gefühl, dass der
Realitätsverlust schon sehr weit fortgeschritten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihr Wort in Gottes Ohr, aber die Fakten schauen leider
anders aus.

Während dieser Debatte, also allein in diesen
90 Minuten, werden irgendwo zwischen Flensburg und
Passau sieben Betriebe offiziell Insolvenz anmelden; das
wissen Sie. Sie wissen auch, dass, während wir hier
sprechen – in diesen 90 Minuten –, 100 sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wegbrechen
und Familien in Existenzängste geraten. In diesen ein-
einhalb Stunden wird es auch wieder ein paar Spitzen-
kräfte geben, die sich überlegen, unserer Heimat den Rü-
cken zu kehren, um nicht hier, sondern in unseren
Nachbarländern Arbeitsplätze, Wohlstand und Wachs-
tum zu schaffen. Das sind die Tatsachen, lieber Herr
Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn ich mir unseren Antrag anschaue, der heute zur

Debatte steht und den wir schon vor 15 Monaten einge-
bracht haben, dann stelle ich fest, dass er genauso aktuell
wie damals vor 15 Monaten ist.


(Klaus Brandner [SPD]: Da kann man mal sehen, wie langsam Sie sind!)


Wir brauchen eine grundsätzliche Kehrtwende. Diese
Kehrtwende ist unter Ihrer Regierung nicht eingetreten.
Eines muss ich Ihnen sagen: Die Lage ist seit 2003 noch
dramatischer geworden, als sie sowieso schon gewesen
ist. Hier nützen auch die medienwirksamen Worte Ihres
Kanzlers nichts, der ausgeführt hat, dass die Trendwende
endlich geschafft ist. Wo ist denn die Trendwende ge-
schafft? Das haben Sie mit Ihren Worten nicht ausge-
führt.

Genauso wie wir haben auch Sie den zweiten Mittel-
standsbericht der führenden Wirtschaftsverbände zur
Kenntnis genommen. Darin wurde die Entwicklung von
1,6 Millionen Betrieben mit 12,5 Millionen Beschäftig-
ten analysiert. Was wird dort ausgesagt? Dort steht, dass
das Wiederanspringen des Mittelstandes und damit der
Binnenkonjunktur für die mittelständischen Unterneh-
men lediglich ein Hoffnungswert bleibt. Es regiert in
diesem Land also das Prinzip Hoffnung und sonst über-
haupt nichts.

Die Geschäftslage hat sich verschlechtert, nicht ver-
bessert. In dem Bericht wird auch ausgeführt, dass wir
nicht normale zyklische Schwankungen haben, sondern
dass dies der Ausdruck massiver Strukturdefizite ist.
Diese müssen angegangen werden. Aber mit Ihrer Poli-
tik passiert gar nichts.

Wir sehen es doch: Nach den Zahlen, die gestern die
GfK zum Konsumklima veröffentlichte, ist der Kon-
sumklimaindikator auf 4,7 Prozent gesunken. Wir wis-
sen von dieser lähmenden Konsumneigung. Die Men-
schen haben Angst und sind durch Ihre Politik
verunsichert. Besondere Angst haben sie – das ist inte-
ressant – vor weiteren Steuererhöhungen dieser Regie-
rung, wie es in der gestrigen Veröffentlichung der GfK
deutlich wurde.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


Hören Sie doch auf die Bundesbank! Die Bundesbank
schreibt in ihrem Bericht vom März, dass die Staats-
schulden ohne Reformen in den nächsten zehn Jahren
von über 60 Prozent, die wir schon jetzt haben, auf dann
140 Prozent steigen werden. Sie wissen ganz genau, dass
wir in einem hoch verschuldeten Staat leben. Dies ist
auch Ergebnis Ihrer Politik. Inzwischen wird für Zinsen
mehr ausgegeben als für Forschung und Entwicklung.
Das heißt, Sie finanzieren die Vergangenheit, nicht die
Zukunft. Sie gehen hier den falschen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl

Der Grund dafür ist nicht, dass die Steuereinnahmen

wegbrechen. Vielmehr steigen die Steuereinnahmen.
1998 lagen die Steuereinnahmen noch bei 175 Milliar-
den Euro. Bei uns aber lag die Investitionsquote bei
12,5 Prozent. Das ist für den Mittelstand wichtig. Inzwi-
schen sind die Steuereinnahmen auf über 190 Milliarden
Euro gestiegen; aber die Investitionsquote ist auf unter
10 Prozent gesunken. Das schadet dem Mittelstand.

Schauen wir uns einmal das Jahr 2003 an, Herr
Brandner, das Sie gerade so hervorgehoben haben. Es ist
ein Paradebeispiel dafür, wie man Vertrauen verspielt
und wie es aufgrund des mangelnden Vertrauens zu im-
mer weniger Investitionen von Unternehmen kommt.
Ihre Mittelstandsoffensive haben Sie immens medien-
wirksam angekündigt. Was ist dabei herausgekommen?
Ein so genannter Small Business Act. Er war nämlich
sehr „small“ und leider gab es auch wenig „business“,
wie wir inzwischen festgestellt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ging aber weiter. Sie sind unwahrscheinlich kreativ

beim Erstellen von neuen Masterplänen und Offensiven,
die aber wenig bringen. Sie haben dann einen Master-
plan Bürokratieabbau aufgelegt. Was ist dabei herausge-
kommen? Inzwischen haben wir mehr Bürokratie als
damals. Sie bringen ein Gesetz nach dem anderen auf
den Weg, das noch mehr Bürokratie nach sich zieht.
Wenn Sie keine bürokratischen Gesetze auf den Weg
bringen, dann schaffen Sie neue bürokratische Behör-
den, und zwar eine nach der anderen. Das ist Ihre Politik.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Stichwort Gesellschafterfremdfinanzierung!)


Der Beweis dafür ist, dass die Unternehmen inzwi-
schen 46 Milliarden Euro für Bürokratie aufbringen müs-
sen. Allein der Mittelstand zahlt davon 84 Prozent. Wir
müssen uns schon fragen: Warum ist es nicht möglich, für
jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung, die gemacht
werden, zwei abzuschaffen? Warum haben Sie dazu nicht
den Mut? Warum werden nicht von nun an nur noch be-
fristete Gesetze gemacht? Warum wird nicht festgelegt,
dass die Altvorschriften in bestimmten Fristen überprüft
werden und die Regierung dann nachweisen muss, dass
die Vorschriften überhaupt notwendig sind?

Herr Kollege Brandner, Sie haben vorhin die Hand-
werksordnung angeführt. Die Reform der Handwerks-
ordnung war als der große Wurf angedacht. Was haben
Sie gemacht? Sie haben versucht, die Handwerksord-
nung zu zerschlagen und sie durch staatlich hoch sub-
ventionierte Ich-AGs zu ersetzen. Das war Ihre Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie schon vergessen, was wir als gemeinsames Gesetz gemacht haben, Frau Wöhrl?)


Sie wissen doch ganz genau, dass Innovation und
Wachstum nicht durch diese Kleinstunternehmen entste-
hen. Diese können gerade für sich selbst sorgen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Machen Sie sich keinen schlanken Fuß, Frau Wöhrl!)

Neue Ideen werden nur dort geboren, wo Menschen zu-
sammenkommen und Ideen kreativ vorangebracht wer-
den. Das ist im Mittelstand der Fall.


(Klaus Brandner [SPD]: Es klingt nicht sehr glaubwürdig, Frau Wöhrl, wenn Sie Gesetzen zustimmen und anschließend erklären, dass Sie das gar nicht gewollt haben! Das spricht nicht für Sie!)


Dann kam noch etwas Neues in Form einer Innovati-
onsoffensive, als Sie das Thema Innovation für sich ent-
deckt hatten. Das ist schon wieder drei Monate her. Aber
außer vollmundigen Erklärungen und Expertenrunden,
die Sie in der Presse übrigens sehr gut verkauft haben
– das muss ich neidvoll anerkennen –, kam nichts. Es
fehlt eine ernsthafte Konkretisierung dieses Projekts.

Sie kündigen immer nur an.

(Klaus Brandner [SPD]: Es passiert auch etwas, weil wir den Menschen Mut gemacht haben! Schauen Sie die Existenzgründungen an!)


Sie kündigen vollmundig Programme an, die – das muss
ich zugestehen – nicht schlecht klingen, aber inhaltlich
nichts bringen. Sie haben bis jetzt nichts realisiert und
auf den Weg gebracht, was uns in diesem Bereich nach
vorne gebracht hätte. Auf das Mautdebakel


(Klaus Brandner [SPD]: Das Mautdebakel hat die SPD gemacht?)


und die dadurch ausbleibenden Verkehrsinvestitionen,
wovon viele kleine und mittlere Betriebe betroffen sind,
will ich hier gar nicht näher eingehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unser Land steht vor allem seit dem Mai dieses Jah-

res vor neuen Herausforderungen. Das wissen Sie. Wie
haben Sie uns auf diese neuen Herausforderungen vorbe-
reitet? Fakt ist, dass nicht nur die Großunternehmen Ar-
beitsplätze verlagern, sondern inzwischen auch die klei-
neren und mittleren Betriebe Arbeitsplätze zukünftig in
den Beitrittsländern schaffen. Das geschieht nicht, weil
sie vaterlandslos sind, wie einige von Ihnen behaupten.
Sicher ist die Verlagerung für die Markterschließung
wichtig und sicher werden damit auch Arbeitsplätze bei
uns gesichert. Fakt ist aber auch, dass der Grund nicht
nur weniger Steuern und weniger Abgaben sind. Wissen
Sie, was es dort gibt? Unternehmerische Freiheit.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da, wo es um Freiheit geht, sind Sie doch dagegen!)


Das ist es, was viele kleine und mittelständische Be-
triebe bewegt, nicht mehr hier zu investieren, sondern in
unseren Nachbarländern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier müssen Sie ansetzen. Aber was machen Sie? Sie
kürzen überproportional die GA-Förderung, ausgerech-
net das Förderinstrumentarium, das kleine und mittel-
ständische Betriebe zu Investitionen anregt. Das tun Sie
nur, um den Steinkohlebergbau abzusichern. Sie müssen
sich einmal überlegen, ob das die richtige Mittelstands-
politik ist, die Sie auf den Weg bringen.






(A) (C)



(B) (D)


Dagmar Wöhrl


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Immer die alte Leier!)

– Lieber Herr Kollege, wenn Sie keine andere Politik
machen, dann kann ich auch keine andere Leier spielen.
Machen Sie eine andere Politik, dann werde ich hier
auch anders reden!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie nehmen das ja alles gar nicht mehr wahr!)


Sie wissen genauso wie wir, dass die Eigenkapital-
schwäche die Achillesferse der mittelständischen Be-
triebe ist. Hier müssen wir zu neuen Finanzierungsmög-
lichkeiten und Anreizen kommen.

Wir brauchen auch eine große Steuerreform. Ich rede
von einer großen Steuerreform. Sie können mit uns darü-
ber reden, mehr Subventionen abzubauen, als bisher ge-
plant sind. Wir sind aber nicht bereit, Subventionen ab-
zubauen und mit dem eingesparten Geld Haushaltslöcher
zu stopfen. Eine große Steuerreform ist richtig, damit
wir wieder konkurrenzfähig werden.

Unsere Nachbarländer sind wirklich wachstumshung-
rig. Sie haben Niedrigsteuersätze. Wir aber sind mit un-
serer Gesamtsteuerlast an oberster Spitze in Europa.


(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist falsch! 21,6 Prozent!)


Was haben Sie dem entgegenzusetzen? Ausbildungs-
platzabgabe – toll. Im Bundesrat wird über Pläne zur
Erhöhung der Erbschaftsteuer gesprochen, anstatt dass
Sie unseren Vorschlag aufgreifen. Stunden Sie die Erb-
schaftsteuer, wenn ein Betrieb von einem Nachfolger
übernommen wird! Erlassen Sie ihm die Erbschaftsteuer
nach zehn Jahren! Dann hat er ganz bestimmt mehr für
die Volkswirtschaft getan, als wenn er unter Ihrer Regie-
rung Erbschaftsteuer zahlt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben viele Baustellen. Das ist gar keine Thema.

Die gab es auch zu unserer Zeit. Die Probleme müssen
aber angegangen werden. Wir können uns nicht zurück-
lehnen. Wenn Sie sehen, dass sich bei einer der wichtigs-
ten Baustellen bei Ihnen überhaupt nichts tut und auch
nicht zu erwarten ist, dass sich in den nächsten zwei Jah-
ren nichts tut, nämlich auf dem Arbeitsmarkt, der bei uns
wirklich in Beton gegossen ist, dann erkennen Sie die
traurigen Perspektiven, die wir haben. Wir müssen die
betrieblichen Bündnisse für Arbeit angehen. Das World
Economic Forum kam in einer Studie über 102 Länder
zu dem Ergebnis, dass außer Venezuela wir das restrik-
tivste Kündigungsschutzgesetz haben. Das müssen Sie
sich einmal vorstellen.

Wenn Sie dann die neuesten Umfragen hören, wonach
zwei Drittel der Unternehmen sich wegen unseres Kün-
digungsschutzes gegen neue Jobs entscheiden, dann
muss man doch das Thema angehen. Wenn Sie weiterhin
hören, dass 70 Prozent bereit sind, bei einer Lockerung
des Kündigungsschutzes zusätzliche Arbeitsplätze zu
schaffen, dann muss man das Thema erst recht angehen.
Wir haben Probleme mit unseren Sozial- und Regulie-
rungskosten, die immer höher steigen, ohne dass die Be-
schäftigten mehr Geld in der Tasche haben. Wir müssen
aus dem Teufelskreis von wachsender Arbeitslosigkeit
und eskalierenden Sozialleistungen herauskommen. Wir
müssen zu mehr privater Vorsorge und zu einer Entkop-
pelung der Sozialleistungen vom Faktor Arbeit kommen.

Aber es ist nicht so, dass nur wir diese Vorschläge
machen. Ich verstehe zwar, dass Sie unsere Entschlie-
ßungsanträge und Gesetzentwürfe ablehnen – wir sind
schließlich die Opposition –, aber warum hören Sie nicht
auf den Sachverständigenrat, auf führende Forschungs-
institute, auf nationale und internationale Wirtschaftsex-
perten und auf Ihre eigenen Beiräte? Die Gutachten, die
Ihnen erklären, was Sie falsch machen, stapeln sich in-
zwischen. Packen Sie es doch an!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte mit einem Zitat schließen, mit dem ich Ih-
nen vielleicht ein Leitbild für die nächsten Wochen und
Monate bieten kann, in denen Sie noch Regierungsver-
antwortung tragen. Der Unternehmer und Mittelständler
Hans Knürr hat einmal gesagt:

Belässt man dem Mittelstand die notwendigen
MITTEL, hat er ohne staatliche Hilfe einen un-
glaublich festen STAND.

Denken Sie daran, wenn Sie über die nächste Steuerer-
höhung nachdenken!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511100500

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär

Rezzo Schlauch das Wort.
Re
Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511100600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren Kollegen! Liebe Frau Kollegin Wöhrl, Sie haben da-
von gesprochen, dass es viele Baustellen gibt. Darauf
kann ich nur eines erwidern: Wir arbeiten an diesen Bau-
stellen, während Sie sie blockieren.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Ein aktuelles Beispiel einer solchen Baustelle, die Sie

aus ideologischer Borniertheit blockiert haben, Frau
Kollegin Wöhrl, ist das Zuwanderungsgesetz,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Heinz Seiffert [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


um das wir uns seit zwei Jahren bemühen und das jetzt
Gott sei Dank durch die Bemühungen des Bundeskanz-
lers erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann.

Damit nicht genug: Nicht nur das Zuwanderungsge-
setz, sondern beispielsweise auch die sozialen Siche-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Rezzo Schlauch

rungssysteme sind Baustellen, die mit dem Satz „Die
Rente ist sicher“ 16 Jahre lang geschlossen blieben. Wir
hingegen sind – das war schwierig genug – in vielen
Einzelschritten eine Reform der sozialen Sicherungssys-
teme angegangen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511100700

Herr Kollege Schlauch, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Michelbach?
Re
Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511100800

Nein danke, jetzt nicht. Ich habe gerade erst angefan-

gen.
Eine weitere Baustelle, auf die Sie nicht eingegangen

sind, ist das Thema Steuern. Sie haben über Jahre hin-
weg das Steuerniveau auf einem unerträglich hohen
Niveau gehalten. Wir haben es zwar mit Mühen, aber er-
folgreich gesenkt, und zwar so, dass die Senkung des
Steuerniveaus zielgenau den mittelständischen Betrieben
zugute kommt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Insofern bleibt mir nur festzustellen: Natürlich ist
nichts so gut, als dass es nicht noch besser werden kann.
Aber wir müssen uns mit der Bilanz unserer Mittelstands-
politik nicht hinter Ihnen verstecken.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist ja Kabarett!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511100900

Kollege Schlauch, gestatten Sie jetzt eine Zwischen-

frage des Kollegen Michelbach?
Re
Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511101000

Nein danke, ich habe schon abgelehnt.
Ich möchte auf zwei Gesichtspunkte näher eingehen.

Herr Kollege Brandner hat schon ein Thema angespro-
chen, auf das Sie nicht eingegangen sind und das derzeit
mit Sicherheit eines der schwierigsten Probleme des
Mittelstands ist, nämlich die Finanzierung des Mittel-
stands durch die Kreditwirtschaft. Wir haben – auch
das ist bei Ihnen übrigens unterblieben – frühzeitig Maß-
nahmen ergriffen, um die Bereitschaft der Kreditwirt-
schaft so zu steigern, dass der Mittelstand weiterhin zum
Kerngeschäftsfeld gehört und auch tatsächlich so behan-
delt wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Mit der Fusion der beiden staatseigenen Förderban-

ken zur KfW-Mittelstandsbank haben wir eine entschei-
dende Weichenstellung vorgenommen. Die Bilanzen und
Zahlen machen deutlich, wie erfolgreich der von uns be-
schrittene Weg ist. Im Jahr 2004 stellt die KfW insge-
samt über 5 Milliarden Euro für Mittelstandskredite zur
Verfügung. Bis März dieses Jahres sind bereits
2,4 Milliarden Euro abgerufen worden.

Wir haben speziell für den Mittelstand mit dem so ge-
nannten Mezzanine-Kapital ein Finanzierungsinstrument
geschaffen, das dazu geeignet ist, die Eigenkapital-
schwäche der Unternehmen – die im Übrigen nicht vom
Himmel gefallen ist, Frau Kollegin Wöhrl, sondern auf-
grund unserer Steuerregelungen eine jahrzehntelange
Geschichte hat; Sie wissen, worin sie begründet liegt
– zu mildern. Wir haben außerdem – Bayern ist bei die-
sem Pilotfonds mit dabei – die Eigenkapitalfrage über
die KfW wieder aufgegriffen. Wir haben in diesem Be-
reich also in massiver Weise Initiativen unternommen,
um die Finanzierungsschwäche der Unternehmen durch
die Banken einigermaßen auszugleichen. Dass das nicht
eins zu eins möglich ist, ist klar.

Frau Kollegin Wöhrl, zu einer weiteren von Ihnen an-
gesprochenen Baustelle: Zur Sicherung der Unterneh-
mensliquidität gehört ebenfalls, dass wir das Thema
Zahlungsmoral nochmals angehen. Der kürzlich vorge-
legte Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
„Verbesserung der Zahlungsmoral“ enthält aus unserer
Sicht eine Reihe guter Vorschläge, die nicht nur zu tech-
nischen, sondern auch zu inhaltlichen Verbesserungen
der derzeitigen Rechtslage für Handwerker und Unter-
nehmer führen dürften.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Ein totaler Flop!)


Auch beim Abbau der den Mittelstand besonders be-
lastenden Bürokratie bzw. Überbürokratie – dieser Punkt
wird von Ihrer Seite und vonseiten der Wirtschaftsver-
bände immer wieder angeführt – gibt es entscheidende
Fortschritte. Bürokratieabbau betrifft – das wissen Sie
genauso gut wie wir – alle staatlichen Ebenen, von der
EU bis zu den Kommunen. Frau Kollegin, bei diesem
Thema haben wir aber die Erfahrung mit Ihnen von der
Opposition sowie mit den Wirtschaftsverbänden ge-
macht, dass gerade diejenigen, die am lautesten nach Bü-
rokratieabbau rufen, genau dann lieber beim Alten blei-
ben wollen, wenn es um die Wahrung eigener
Besitzstände geht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


In der von Ihnen angesprochenen Diskussion über die
Handwerksreform haben Sie regelrecht ideologische
Grabenkämpfe geführt, um zu verhindern, dass zehn Ge-
werke von einer Anlage in die andere überführt werden.
Allen, die damals den Untergang des Handwerks pro-
phezeiten, kann ich nur sagen: Er ist nicht eingetreten.
Im Gegenteil: Diese Reform hat sich sehr positiv ausge-
wirkt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es
bei fast allen Handwerkskammern einen regelrechten
Gründungsboom, und zwar vor allem bei den zulas-
sungsfreien Handwerken. Im Bereich vieler Handwerks-
kammern kam es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
bei den zulassungsfreien Handwerken zu einer Verfünf-
fachung der Zahl der Eintragungen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Hört!)







(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Rezzo Schlauch

Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie während der

damaligen Debatte Ihre Energie darauf verwandt haben,
im klassischen Sinne strukturkonservativ zu agieren und
althergebrachte Strukturen zu verteidigen. Sie haben ver-
sucht, den Wettbewerb einzuschränken.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Kohle!)

Ich kann dazu nur sagen: Mit unserer Handwerksreform
haben wir mehr Wettbewerb ermöglicht und haben für
Belebung in diesem Bereich gesorgt, während Sie, wie
gesagt, auf althergebrachte Weise den Status quo vertei-
digt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Steinkohle!)


Das, was wir hier gemacht haben, war echter Bürokratie-
abbau von unten, der außer Entschlusskraft und Mut
nichts gekostet hat. Beides haben wir gehabt.

Ein weiteres Beispiel für das Motto „Bürokratieabbau
ja, aber bitte nur bei den anderen“ ist die Reform des
Vergaberechts. Hier wird ein Wust an umfänglichen
und unverständlichen Regelungen von Ihrer Seite sowie
– das verwundert mich besonders – vor allen Dingen
vonseiten der Wirtschaft und insbesondere der Wirt-
schaftsverbände plötzlich als Bollwerk gegen Korrup-
tion hochstilisiert. Ein einfaches, transparentes Vergabe-
recht, wie wir es auf den Weg bringen wollen, wird
abgelehnt, und zwar deshalb, weil man um den Verlust
des Einflusses durch die so genannten Verdingungsaus-
schüsse fürchtet, in denen bislang die Vertreter von Ver-
bänden und Behörden gemeinsam die Ausschreibungsre-
geln erarbeitet haben. Auch dies ist ein Beispiel dafür,
dass diejenigen, die täglich den Schlachtruf der Deregu-
lierung, der Liberalisierung, der Entbürokratisierung auf
den Lippen führen, plötzlich zu heftigen Verteidigern
des Status quo werden, wenn es konkret wird.

Wir setzen den Bürokratieabbau fort, beispielsweise
durch die Reform der Arbeitsstättenverordnung und da-
durch, dass wir den Arbeitsschutz bei den Berufsgenos-
senschaften bündeln. Das bestehende System mit
80 Unfallversicherungsträgern in 16 Bundesländern
führt nämlich dazu, dass die Betriebe häufig doppelt
überwacht werden. Durch die von uns vorgeschlagene
Zusammenführung des staatlichen und des berufsgenos-
senschaftlichen Vollzugs im Arbeitsschutz wollen wir
diese Tätigkeiten bündeln und die Unternehmen so von
unnötigem Verwaltungsaufwand entlasten.

Frau Kollegin Wöhrl, der große Wurf ist immer sehr
schnell dargelegt. Ich erinnere Sie an den großen Wurf
Ihres Kollegen Merz, den er mit einem radikalen Gestus
präsentiert hat – Stichwort „Steuerreform auf einem
Bierdeckel“ – und mit dem er in Ihren eigenen Reihen
kläglich gescheitert ist. Es ist mehr Mühe und Arbeit
notwendig, um die Situation des Mittelstands zu verbes-
sern. Da muss man auch in die Details gehen. An die Lö-
sung dieser Probleme sind wir mit der Agenda 2010 und
mit den von mir angesprochenen Maßnahmen zum Bü-
rokratieabbau und zur Förderung des Mittelstands heran-
gegangen.
All dies ginge noch viel schneller, und zwar zum
Wohle des Mittelstands, wenn Sie Ihre unsägliche Blo-
ckadepolitik in Sachen Zusammenführung von Arbeits-
losenhilfe und Sozialhilfe im Bundesrat endlich aufgä-
ben. Alle in diesem Haus sind dafür, dass
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengeführt wer-
den. Statt über organisatorische Fragen zu diskutieren,
sollte man substanzielle Verbesserungen für den Mittel-
stand in den Vordergrund rücken.

Frau Kollegin Wöhrl, Sie haben ein düsteres Bild ge-
zeichnet. Es war wie immer schwarz in schwarz. Das ist
Ihre Farbe.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Aufgeblähter Knallkopf!)


Ich kann Ihnen nur sagen – das wissen Sie; schließlich
ist das ein konservativer Ausspruch –: Wirtschaftspolitik
ist zur Hälfte gute Psychologie. In dieser Beziehung sind
Sie keine gute Wirtschaftspolitikerin, weil Sie mit
„schwarz in schwarz“ nicht weiterkommen.

Ich will Ihnen an diesem Punkt auch entgegenhalten:
Nach der Frühjahrsmittelstandsumfrage der DZ Bank
– immerhin eine objektive Institution – erwarten 44 Pro-
zent der mittelständischen Unternehmen in den kom-
menden Monaten bessere Geschäfte. Dies ist nach Anga-
ben der Bank der zweithöchste Wert seit fast zehn
Jahren. Das klingt etwas anders als das von Ihnen darge-
stellte Horrorszenario. Wir werden daran arbeiten, dass
sich die Lage weiterhin verbessert.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511101100

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1511101200

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär

Schlauch, Sie haben mir keine Gelegenheit gegeben,
eine Frage zu stellen. Deshalb möchte ich mit dieser
Kurzintervention Ihre Behauptung klar zurückweisen,
dass wir an verschiedenen Punkten blockiert haben. Als
Sie von Blockaden gesprochen haben, müssen Sie wohl
zunächst an sich selbst gedacht haben. Sie verwechseln
hier etwas. Die CDU/CSU hat gestern im Finanzaus-
schuss den Antrag gestellt, die für den Mittelstand
äußerst schwierige Neuregelung der Gesellschafter-
fremdfinanzierung über § 8 a Körperschaftsteuerge-
setz wieder zu ändern. Es ist natürlich ein Mittelstands-
vernichtungsprogramm, wenn die Zinsen für eine
Finanzierung im Mittelstand auch noch voll versteuert
werden müssen. Sie haben die Veränderung verweigert,
obwohl Sie wissen, dass das letztlich wirklich ein Mittel-
standsvernichtungsprogramm ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es muss noch einmal deutlich darauf hingewiesen

werden, dass wir von der CDU/CSU gerade einen An-
trag für ein Sofortprogramm in der Steuerpolitik in den






(A) (C)



(B) (D)


Hans Michelbach

Deutschen Bundestag eingebracht haben und Sie sich
auch diesem Antrag verweigert haben. Er hätte gerade
für den Mittelstand ein deutliches Signal in Richtung
Entlastung, mehr Freiraum für Investitionen und vor al-
lem Vereinfachung gesetzt.

Herr Staatssekretär, nehmen Sie einfach zur Kenntnis,
dass Sie mit Ihrem Vorwurf nichts anderes tun, als Ne-
belkerzen zu werfen. Sie haben dem Mittelstand damit
nicht gedient. Der Mittelstand braucht eine klare Mittel-
standspolitik und keine Nebelkerzen.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vor allem kein rot-grünes Gefasel!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511101300

Kollege Schlauch, Sie haben die Möglichkeit zur Ant-

wort.

R
Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511101400


Herr Kollege Michelbach, ich möchte kurz auf den
§ 8 a Körperschaftsteuergesetz eingehen. Vielleicht ist es
Ihnen entgangen, aber Tatsache ist: Für die unbefriedi-
gende Fassung des § 8 a Körperschaftsteuergesetz sind
alle in diesem Hause, einschließlich Ihrer Fraktion, ver-
antwortlich;


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und warum ändern Sie ihn dann nicht?)


denn dieser § 8 a ist vor Weihnachten im Vermittlungs-
ausschuss ausführlich beraten und in der jetzt gültigen
Fassung beschlossen worden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dann ändern Sie ihn doch jetzt!)


Sie haben daran das gleiche Urheberrecht wie allen an-
deren auch.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist das!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben uns bemüht und
wir bemühen uns, die negativen Auswirkungen des § 8 a
durch einen so genannten Anwendungserlass in Bezug
auf die Bürgschaftsfälle abzumildern und das für den
Mittelstand positiver zu gestalten. Das haben wir getan.
Für weitere Korrekturen sehen wir derzeit keinen Be-
darf. Wir werden es aber natürlich noch einmal prüfen.

Den Eindruck zu erwecken, als ob Sie mit diesem
§ 8 a nichts zu tun haben, das ist nun wirklich nicht legi-
tim. Da haben wir alle ein Problem geschaffen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dann ändern Sie ihn doch!)


Wir haben die Situation des Mittelstandes verbessert und
werden sie auch weiterhin verbessern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511101500

Ich erteile Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion,

das Wort.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Am 30. Mai ist Weltuntergang! – Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Nein, schon vorher! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kassandra!)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1511101600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege

Schlauch, Sie haben so viele Dankesschreiben von Mit-
telständlern für die außerordentlich erfolgreiche grün-
rote Politik erwähnt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie
die einmal vorlegen würden. Ich gebe Ihnen gern Kopien
der Schreiben mit massiven Beschwerden über Ihre Poli-
tik, die bei uns eingehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Schauerte [CDU/ CSU]: Das ist ein LKW voll!)


Kollegen Brandner, der uns nach seinem Beitrag ver-
lassen hat, hätte ich gern noch etwas zu seiner Rede ge-
sagt – man verfolgt ja die Beiträge der anderen bei der
Debatte –, nämlich dass mir seine Selbstbeweihräuche-
rung wie der folgende Fall vorkommt: Einem Bauern
wird ein Schwein vom Hof geholt und geschlachtet. An-
schließend bekommt er drei Koteletts zurück und soll
sich dafür auch noch bedanken.


(Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie waren auch schon witziger!)


– Herr Stiegler, Sie werden im „Spiegel“ gerade mit den
Worten zitiert, dass Sie Herrn Clement an die Wand klat-
schen wollten. Das ist sehr witzig. Ich finde es sehr ori-
ginell, wie Sie miteinander umgehen. Das ist hochinte-
ressant.

Wir diskutieren heute über einen Antrag von Grün-
Rot vom 28. Januar 2003 mit der tollen Überschrift „Of-
fensive für den Mittelstand“. Mit welchem Nachdruck
Sie das betreiben, sieht man daran, dass wir ihn heute,
im Mai 2004, abschließend beraten. Das hat eine einfa-
che Ursache: Wir stehen vor der Europawahl. Da kom-
men die üblichen Lippenbekenntnisse von Grün-Rot
zum Mittelstand, um vor der Wahl einen guten Eindruck
zu machen. Die Realität sieht anders aus.

Die Zahl der Firmenpleiten hat 2003 einen neuen
Nachkriegsrekord erreicht. Die Arbeitslosigkeit war
nach alter Zählung – Sie haben das ja etwas umge-
schminkt – im April so hoch wie noch nie. Die Erwerbs-
tätigkeit nimmt weiter ab. Die Binnenkonjunktur lahmt
trotz guter Exportlage. Der Mittelstand ist eben in der
Region verwurzelt. Er kann nicht nach Südportugal oder
China auslagern und die Aufträge dort erfüllen.

Ein zentraler Punkt, den Sie – Herr Schlauch, das hat
auch Ihre Rede gezeigt – einfach nicht verstehen, ist,
dass Mittelstandspolitik nur funktionieren kann, wenn
die Regierung in ihrem politischen Handeln Berechen-
barkeit, Vertrauen, Klarheit vermittelt. Der Mittelstand
will keine Subventionen, er will eine faire Chance ha-
ben. Wenn Sie ständig alles neu regeln, hier und da ein






(A) (C)



(B) (D)


Rainer Brüderle

Progrämmchen auflegen, die Telekom aber das sie regu-
lierende Gesetz beinahe selber schreiben lassen, Eon und
Ruhrgas einen Marktanteil von 85 Prozent zugestehen,
die Kohlesubventionen fortsetzen, aber kein Geld für
Bildung ausgeben, dann schaffen Sie kein Umfeld, in
dem Mittelständler erfolgreich arbeiten können.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mittelstand ist kein Betriebsgrößenbegriff, sondern
eine Geisteshaltung. Das ist Ihnen natürlich fremd. Es
handelt sich um Menschen, die mit einer anderen Ein-
stellung als Funktionäre, die kein unmittelbares Risiko
tragen, an die Sache herangehen, die in der Regel mit ih-
rem Vermögen bzw. ihrem Eigentum für ihre Entschei-
dungen haften. Mittelständler haben eine spezielle Ein-
stellung; gerade diese brauchen wir. Sie können
manchmal nachts nicht schlafen, weil sie sich überlegen,
ob sie zu bestimmten Konditionen noch den Auftrag
hereinnehmen können und wie sie einen Weg finden, um
ihrer Belegschaft Arbeit zu geben. Bei ihnen arbeiten
Familienmitglieder mit. Eine 35-Stunden-Woche ist für
sie eine Witznummer. Nach drei Tagen haben sie diese
Arbeitszeit erreicht.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Diese Menschen verunsichern Sie permanent. Sie

werden von Ihnen schlecht behandelt.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Von Ihnen!)


Sie werden nach wie vor auch steuerlich schlechter be-
handelt. Wenn Sie mir nicht glauben, dann fragen Sie
doch Ihren Parteigenossen Professor Dr. Wiegard, den
Vorsitzenden des Sachverständigenrates. Der rechnet Ih-
nen vor, dass die Konditionen für Mittelständler immer
noch nicht mit denen der übrigen Wirtschaft vergleich-
bar sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Er hat das Gegenteil gesagt!)


Und kommen Sie mir doch nicht mit der Steuerquote.
Wenn viele mittelständische Betriebe nichts verdienen
und deshalb keine Steuern zahlen können, dann kann die
Steuerquote nicht hoch sein. Ich treffe doch volkswirt-
schaftliche Entscheidungen nicht nach Steuerquoten,
sondern nach Steuersätzen.

Sie übersehen völlig, dass wir nach der EU-Osterwei-
terung plötzlich mit Ländern in unmittelbarem Wettbe-
werb stehen, die eine Flat Tax haben, bei der nur ein Mi-
nimum steuerfrei gestellt ist, die maximalen Steuersätze
aber bei unter 20 Prozent liegen. Es wird für manche Un-
ternehmen bald völlig egal sein, ob ihr Firmensitz in
Riga, in Köln, in Ljubljana oder in Hamburg ist. Der Un-
terschied ist nur, dass sie bei uns 50 Prozent oder mehr
Steuern zahlen, während sie dort weniger als 20 Prozent
bezahlen. Wie Sie dies durchhalten wollen, ist mir
schleierhaft. Das wird zu weiterer Abwanderung von
Kapital und inzwischen auch von Arbeitskräften führen,
weil die Leute merken, dass woanders mehr übrig bleibt
und dort auch bessere Umfeldbedingungen herrschen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Clement wurde vom Superminister – ich zitiere
noch einmal den „Spiegel“ – zum Störenfried degradiert.
Einmal will er den Sparerfreibetrag streichen, dann soll
die Ostförderung zusammengestrichen werden, dann soll
das Straßennetz privatisiert werden. Gerade durch solche
Vorschläge wird nicht die notwendige Klarheit geschaf-
fen.

Der Posten des Mittelstandsbeauftragten, der eigent-
lich genau für diese Menschengruppe und ihre Geistes-
haltung kämpfen müsste, ist heute zu einer Versorgungs-
stelle für abgehalfterte grüne Politiker geworden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist unanständig! Das ist diskriminierend! Das ist doch kein Stil!)


Das ist nicht der richtige Weg. So kann man dem Mittel-
stand keine Möglichkeiten aufzeigen, um aus der Krise
herauszukommen.

Diese Aufzählung ließe sich ja fortsetzen: In einer
Bürgerversicherung sollen alle gleichgeschaltet werden.
Hier bringen Sie eine DDR light ins System. Man könnte
noch Ihren Zickzackkurs beim Ladenschluss und vieles
andere hinzufügen. Mit all dem tragen Sie dazu bei, dass
der Mittelstand keine faire Chance hat, sich positiv zu
entwickeln. Die Bedingungen stimmen nicht. Selbst
diese schlechten Bedingungen sind nicht berechenbar.
Aber Wirtschaften beruht auf Kalkulation. Am Schluss
müssen Sie rechnen: Zwei und zwei sind vier. Wer nicht
rechnen kann, kann auch nicht steuern.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ich weiß nicht, ob die das verstehen!)


Die Eigenkapitalausstattung des Mittelstandes ist
– zum Teil historisch bedingt, zum Teil bedingt durch
unser Steuersystem – katastrophal schlecht. Der Deut-
sche Sparkassen- und Giroverband hat vor kurzem eine
Untersuchung vorgelegt, in der er 50 000 mittelständi-
sche Betriebe erfasst hat. Von diesen hatte die Hälfte
kein Eigenkapital – mit anderen Worten: Die sind schon
fertig, wissen es aber nur nicht – und im Schnitt hatten
Betriebe bis 100 Beschäftigte eine Eigenkapitalquote
von 6 Prozent. In angelsächsischen Ländern liegt sie
zwischen 35 und 45 Prozent. Das ist eine strategische
Schwäche unseres Mittelstandes. Eine entsprechende
Sensibilität für Rahmenbedingungen, die es dem Mittel-
stand ermöglichen, sich einzubringen, fehlt Ihnen leider
völlig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511101700

Ich erteile das Wort Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk,

SPD-Fraktion.


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1511101800

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was die Opposition

in der vergangenen Dreiviertelstunde hier geboten hat,






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

war billige Polemik, widersprüchlich und zum Teil aus-
gesprochen heuchlerisch.


(Beifall bei der SPD)

Dass Sie zuerst der Handwerksordnung zustimmen und
sie dann hier angreifen und beklagen, finde ich außeror-
dentlich schäbig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU])


– Entschuldigen Sie bitte, reden wir hier über die verab-
schiedete Handwerksordnung oder über frühere Vor-
schläge? Sie können sich doch nicht erst hier einbringen
und mit uns gemeinsam um Änderungen ringen und
dann genau diese hier angreifen.

Ähnlich ist es mit der EU-Osterweiterung. Wir alle in
diesem Hause haben sie gemeinsam beschlossen, Sie ha-
ben sie in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft als
wichtig, besonders mit Blick auf die Exporte, gepriesen,
weil diese Erweiterung neue Chancen biete, aber hier
nennen Sie die Konditionen, die Sie vorher alle kannten,
schlecht für den deutschen Mittelstand. So können wir
doch nicht miteinander umgehen!


(Beifall bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: Doppelzunge! – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie haben gar nicht zugehört!)


Ein weiterer Punkt ist die Steuerreform; auch hier
sprechen Sie doppelzüngig. Zuerst schlagen Sie eine
Steuersenkung vor, Frau Kollegin Wöhrl, dann sagen
Ihre eigenen Leute, auch der Finanzminister des Landes
Bayern, Herr Dr. Kurt Faltlhauser, so gehe es nicht, es
müsse auch an die Länderhaushalte gedacht werden
– übrigens eine sehr vernünftige Anmerkung von ihm;
wir müssen den historischen Tiefstand der deutschen
Steuerquote bedenken und überlegen, wo und wie wir
senken –, und anschließend beklagen Sie, einschließlich
des Kollegen Brüderle – dessen Partei in dem Land, aus
dem er kommt, der Steuerreform im Bundesrat zuge-
stimmt hat –, das, was in der Folge geschieht.

Dann macht Herr Michelbach hier eine Kurzinterven-
tion und erläutert, welch schlimme Auswirkungen § 8 a
des Körperschaftsteuergesetzes hat,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Stimmt doch!)


und muss sich von Rezzo Schlauch belehren lassen, dass
seine Partei das im Bundesrat selber mitgetragen hat.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jetzt wollen wir es doch ändern!)


Herrschaften, hinter verschlossenen Türen Ja sagen, im
Bundesrat zustimmen und dann an den Stammtischen
und hier im Parlament anders reden, das ist einfach
heuchlerisch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Quatsch! Wir haben gestern einen Änderungsantrag eingebracht!)

Wir sollten uns stattdessen über Probleme unterhal-
ten, wie zum Beispiel über die Strukturkrise des deut-
schen Bankensystems, die noch lange nicht durchgestan-
den ist und die schwerwiegende Auswirkungen auf die
Finanzierung des deutschen Mittelstands hat, und da-
rüber, was man konkret machen kann, um die Probleme
zu lösen. Dazu reicht keine – ich sage es einmal ganz
offen – Maulhurerei, vielmehr müssen wir überlegen,
wie wir den Betrieben konkret helfen können. Darüber
sollten wir sprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Entscheidend ist, welche Probleme mittelständische

Unternehmen, insbesondere kleine, heute haben – das
können wir alle, quer durch dieses Haus, an Beispielen
aus unseren Wahlkreisen belegen –, wenn es darum geht,
die notwendigen Finanzierungsmittel für Investitionen
und den laufenden Geschäftsbetrieb zu beschaffen, von
der Finanzierung von Forschung und Entwicklung ganz
zu schweigen. Darin liegt einer der Gründe, warum sich
der exportorientierte Aufschwung im Moment zwar in
den Bilanzen der Großbetriebe niederschlägt, aber noch
immer nicht bei den kleinen und mittleren Betrieben:
Dort funktioniert die Finanzierung der Investitionen
nicht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)

Jeder von uns kann aus seiner eigenen Erfahrung be-

stätigen, was die Umfrage der Kreditanstalt für Wieder-
aufbau aus diesem Frühjahr dokumentiert hat: Für
43 Prozent der befragten Unternehmen ist die Kredit-
aufnahme spürbar schwieriger geworden;


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Das ist etwas anderes, als Ihr Kollege gerade erzählt hat!)


in den neuen Ländern sind es sogar 47 Prozent. Bei den
kleinen Unternehmen ist es fast jedes zweite, das klagt.
16 Prozent der Unternehmen – wichtige Träger der Wirt-
schaft und der Beschäftigung, gerade in den Regionen –
haben Probleme, überhaupt noch einen Kredit zu be-
kommen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie werden von
den Banken oftmals auf das Stichwort Basel II reduziert,
übrigens zu Unrecht. Im Gegenteil, die Bundesregierung
und ihre Verhandlungsführer in Basel haben Ergebnisse
erreicht – zum Teil gegen den Rest der Welt und in einer
geduldigen Überzeugungsarbeit in Europa –, die die be-
sonderen Finanzierungsbedingungen des Mittelstands
angemessen und sehr viel besser berücksichtigen, als es
in den ursprünglichen Plänen vorgesehen war.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!)

Man hat in internationalen Zeitungen wie der „Finan-

cial Times“ und dem „Wall Street Journal“ nachlesen
können, dass die Welt das deutsche Wort Mittelstand
mittlerweile buchstabieren gelernt hat. Es ist richtig und
wichtig, dass die Kapitalmärkte nicht nur zur Finanzie-
rung der großen multinationalen Konzerne da sind. Die
Kapitalmärkte müssen auch die Finanzierungen für die
kleinen Unternehmen sicherstellen. Auf diesem Gebiet
hat gerade die Bundesregierung einen Durchbruch in der
internationalen Debatte erreicht.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Haben Sie mal in der Praxis erfahren, wie die aussehen?)


– Ja. Reden wir einmal über die Praxis! Die heutige Situa-
tion hat auch mit der Struktur des deutschen Banken-
systems zu tun.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Aha!)

Wir müssen auch darüber offen reden, dass bei einem
Teil der Großbanken der Mittelstand faktisch keine Kre-
dite mehr bekommt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass
bei vielen dieser Großbanken das Geld knapp ist, weil
sie es auf den internationalen Kapitalmärkten schlicht
verzockt haben. Auch darüber muss man einmal offen
miteinander reden.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben Eigenkapital vernichtet!)


700 Milliarden US-Dollar sind allein durch die IT-
Blase vernichtet worden. Wenn Sie einmal sorgfältig die
Bilanzen der deutschen Großbanken durchgehen – leider
sind es nicht nur die Großbanken –


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben das Eigenkapital der Firmen vernichtet!)


und sich die Auswirkungen der Lateinamerikakrise, der
Asienkrise und der Russlandkrise anschauen, dann kom-
men Sie zu dem Schluss, dass massive Wertberichtigun-
gen notwendig waren und dass sich die Banken immer
noch nicht ganz von dieser Situation erholt haben.
Schauen Sie sich einmal die Rates of Return und die in-
ternationalen Ratings an!

Man muss auch darüber reden, dass die öffentliche
Förderpolitik zum Teil eingesprungen ist, aber dass sie
dieses Problem allein nicht lösen kann, insbesondere
weil die Banken risikobewusster geworden sind. Man
kann dies vor dem Hintergrund ihrer Bilanzen auch
nachvollziehen. Sie müssen versuchen, aus dieser
schwierigen Situation herauszukommen. Manchmal
wurde das Management ausgetauscht, aber manchmal
nicht. Diejenigen Banken, die das Management nicht ge-
wechselt haben, fordere ich an dieser Stelle auf, sich bei
den großmäuligen Ratschlägen an die Adresse der Poli-
tik etwas zu mäßigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vor der eigenen Tür zu kehren und sich zu überlegen,
was sie im vergangenen Jahrzehnt an Milliardensummen
der Shareholder, aber auch, was die Potenziale der deut-
schen Volkswirtschaft angeht, in den Sand gesetzt haben,
wäre wesentlich angemessener, als uns auf diversen Ver-
bandstagungen gute Ratschläge zu erteilen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben gemeinsam versucht – das sage ich als
Vorsitzende des Unterausschusses ERP-Wirtschaftspläne
deutlich –, den Unternehmen wirksame Hilfen zu ge-
währen und diese schwierige Situation, in der die Ban-
ken risikobewusster geworden sind, einigermaßen in den
Griff zu bekommen. Eine ganz neue Produktfamilie, die
insbesondere berücksichtigt, dass deutsche Unterneh-
men über geringeres Eigenkapital verfügen, soll gerade
kleinen und innovativen Unternehmen helfen, sich
Nachrangkapital neben den klassischen Krediten zu be-
schaffen, damit sie in der Startphase und anschließend in
der Wachstumsphase mehr Möglichkeiten haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wäre mir lieber
gewesen, diesen Punkt ausführlicher darzustellen. Aber
aufgrund Ihrer wirklich billigen Polemik, die an den
nützlichen Maßnahmen im Rahmen dieser Mittelstands-
offensive kein gutes Haar gelassen hat – wir sollten ver-
suchen, gemeinsam für den Mittelstand das Beste he-
rauszuholen –, kann ich die positiven Seiten leider nicht
ausgiebig darstellen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Weil sie nicht da sind, Frau Kollegin Skarpelis-Sperk! Man kann nicht über etwas reden, was nicht da ist!)


Es wäre wert, diese Maßnahmen dem Mittelstand und
den kleinen Unternehmen bekannter zu machen und auf
die neuen Möglichkeiten hinzuweisen. Das wäre besser,
als alles schlechtzureden.

In der Tat ist Wirtschaftspolitik zur Hälfte Psycholo-
gie. Sie leisten nur den Beitrag, alles schwarz zu malen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511101900

Ich erteile das Wort Kollegen Hartmut Schauerte,

CDU/CSU-Fraktion.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1511102000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir reden über den Mittelstand, von dem alle sagen,
dass er die wichtigste und unverzichtbarste Institution
ist, wenn es darum geht, vernünftiges Wirtschaften zu
ermöglichen, Ertrag zu erzielen, Arbeitsplätze zu schaf-
fen sowie Fortschritt und Nachhaltigkeit zu sichern.
Deswegen bitte ich darum, einmal einen Moment inne-
zuhalten und keine klein-kleine Betrachtung vorzuneh-
men. Ich gestehe Ihnen in einer Reihe von Fällen gute
Absichten und guten Willen zu. Ich stelle fest, dass wir
eine Reihe von Maßnahmen mitgetragen haben und dass
sie vernünftig waren, weil sie an dem einen oder anderen
Punkt eine Fehlsteuerung, eine Fehlentwicklung besei-
tigt haben. Das ist so; darüber brauchen wir uns doch
nun wirklich nicht zu streiten.

Die Frage ist: Reicht das? Ist dabei genügend heraus-
gekommen? Können uns die Ergebnisse zufrieden stel-
len, die wir nach sechs Jahren Ihrer Regierungskunst und
nach anderthalb Jahren Regierungskunst von Wolfgang
Clement erkennen können, dem Superminister, der, als
vor einem Jahr über diese Dinge diskutiert wurde, hier
war, weil er zum Aufbruch blasen wollte, und der am
heutigen Tage, an dem Bilanz gezogen wird, nicht hier
ist?

Ich darf in aller Ernsthaftigkeit auf ein paar Fakten
hinweisen. Unser Ziel ist ja, in Deutschland Arbeits-






(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Schauerte

plätze zu schaffen – und das mit einem effektiven, wir-
kungsvollen Mittelstand.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein paar Zahlen: Wir haben im Vergleich zum Vorjahr
134 000 Erwerbstätige weniger. Die Zahl der sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigten ist im Vergleich zum
Vorjahr um 520 000 geringer. Die Zahl der offenen Stel-
len ist im Vergleich zum Vorjahr um 91 000 geringer.
Das Ergebnis ist also deprimierend.

Jetzt muss man überlegen, wie wir aus diesem Trend
herauskommen. Sie können behaupten, Sie hätten alles
gemacht. Wenn man es jetzt so laufen lasse, dann werde
sich die Entwicklung verbessern. Sie glauben es aber
selber nicht! Sie wissen das.

Ich will ein paar Maßnahmen ansprechen, die Sie an-
gekündigt haben, bei denen Sie guter Hoffnung waren
und die Sie beschlossen haben, und dann darauf hinwei-
sen, wie sie gewirkt haben. Die Personal-Service-Agen-
turen zum Beispiel, die vor kurzer Zeit eingerichtet wor-
den sind, waren der große Renner zur Bewältigung
vieler wichtiger Probleme.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Alles nur Schall und Rauch!)


Es wurden Beschäftigungseffekte in Höhe von 500 000
Arbeitsplätzen angekündigt, davon 350 000 Volljobs per
anno. Das war Ihr Hoffnungsansatz. Herausgekommen
ist in 2004 ein Beschäftigungseffekt von 7 700 Arbeits-
plätzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!)

Das Programm des Jobfloaters wurde mit großer Hoff-
nung und gutem Willen beschlossen, weil es helfen
sollte. Angekündigte Beschäftigungseffekte: 120 000 Jobs.
Bis heute führte dieses Programm zu 11 000 Volljobs
und 1 000 Ausbildungsplätzen. Dafür wurden aber 837
Millionen Euro ausgegeben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahnsinn!)

In diesem Zusammenhang wurde auf die Firmen-

gründungen hingewiesen. Ich hatte bei der letzten De-
batte mit Herrn Müntefering – ich weiß nicht, ob er noch
hier ist – einen kleinen Disput. Er hatte von 1,6 Millio-
nen Neugründungen in einem Jahr gesprochen. Ich warte
noch auf eine präzise Antwort von ihm.

Fakt ist: 1998 gab es 858 100 Firmenneugründungen
und 704 000 Firmenabmeldungen. Saldo: 154 100 Neu-
gründungen sind übrig geblieben. In 2003 gab es
761 000 Neugründungen und 656 000 Abmeldungen.
Saldo: 105 000. Arbeitsplatzrelevante Firmenneugrün-
dungen in Deutschland sind also minimal. Das ist doch
der Befund.

Jetzt müssen wir überlegen: Ist alles richtig gemacht
worden? Reicht das? – Ich sage: Nein! Sie haben durch
eine Vielzahl von Maßnahmen, durch Ankündigungen,
durch kontroverse Diskussionen, durch Streit, durch
Zeitverzögerung, durch klassische Fehler also, mindes-
tens so viel neue Verunsicherung bewirkt, wie Sie an der
einen oder anderen Stelle sicherlich etwas Vernünftiges
gemacht haben. Aber nennen Sie mir einige wenige ver-
nünftige Dinge, die Sie gemacht haben und denen wir
nicht zugestimmt haben! Sie werden keine finden. Ich
kann Ihnen eine Maßnahme nennen, die wirklich funktio-
niert hat: die Einführung des Minijobs mit einem Ver-
dienst von 400 Euro pro Kopf. Das ist das einzige Ele-
ment – das haben wir in den Kompromissverhandlungen
durchgesetzt –, das wirklich weitergeführt hat. 7,4 Millio-
nen neue Minijobs sind entstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das ist das einzige Programm, das wirklich gelungen ist
und das wir durchgesetzt haben. Ich will mich damit
nicht brüsten; aber Sie sollten unsere Kritik ernst neh-
men. Wir verstehen etwas vom Mittelstand. Wir wissen,
was da fehlt. Wir sind da mehr zu Hause als Sie.

Für den Mittelstand ist folgende momentane Entwick-
lung desaströs: Clement darf nicht mehr; Clement kann
nicht mehr.

Der Bundeskanzler musste den Parteivorsitz abgeben.

(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Clement ist am Ende!)

Müntefering sollte den Parteivorsitz übernehmen, um
Ruhe, sprich: keine weiteren Veränderungen, in den Re-
formprozess zu bringen. Das ist ein lebensgefährliches
Signal; es gibt weder Hoffnung noch Perspektive für den
Weg nach vorn.

Wenn Sie diesen gefährlichen, vermutlich aber richti-
gen Eindruck nicht durch konkretes Handeln definitiv
beseitigen, können Sie an den Einzelschräubchen dre-
hen, so viel Sie wollen, dann können Sie auch die Kre-
ditprogramme bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau so
stark ausweiten, wie Sie wollen, Sie werden dennoch
kein neues Vertrauen schaffen, sodass neue Arbeitsplätze
in Deutschland entstehen können und nachhaltig gewirt-
schaftet werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie werden das Vertrauen nicht finden. Mittlerweile

geht doch Angst im Volk um. Das Einzige, was an Ihrer
so genannten nachhaltigen Entschuldungspolitik nach-
haltig ist, ist die Tatsache, dass Sie die Maastricht-Krite-
rien nachhaltig verletzen. Wir müssen doch in den
nächsten fünf bis sechs Jahren bei 40 Milliarden Euro
Neuverschuldung mit weiteren massiven Verstößen
rechnen. Wissen Sie, welche Ängste die Menschen ha-
ben? Wir reden diese Ängste nicht groß. Die Menschen
befürchten, dass der Staatsbankrott droht, wenn wir so
weitermachen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Entschuldigen Sie, stellen Sie sich vor, die Zinsen in
Deutschland steigen um 1 Prozent – das ist eine ganz
niedrige Marge. Das ist auch höchstwahrscheinlich.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ein Beitrag zur Konjunkturbelebung ist das, den Sie hier leisten! Unglaublich!)







(A) (C)



(B) (D)


Hartmut Schauerte

– Sie werden steigen. Sie wissen doch, was auf dem in-
ternationalen Finanzmarkt los ist. Angesichts der Schul-
den, die uns jetzt belasten, müssen wir bei 1 Prozent
Zinssteigerung in einem Jahr um die 10 bis 14 Milliar-
den Euro zusätzliche Staatsausgaben tätigen. An diesen
zusätzlichen Staatsausgaben werden Sie nichts ändern
können.

Sie erlauben sich in dieser Situation den Stillstand und
sagen: Wir brechen die Reformen ab. Die SPD-Wähler
sind nicht mehr bereit, weitere Reformen zu akzeptieren.
Die SPD-Mitglieder fürchten sie. Münteferings Aufgabe
ist es, weitere Austritte zu verhindern und die SPD zu
stabilisieren. Das heißt konsequent gedacht: Nichts, was
schwierig ist oder wehtut, was aber vermutlich das einzig
Hilfreiche ist, wird mehr umgesetzt. In diese negative Si-
tuation bringen Sie unser Land. Ich prophezeie Ihnen:
Die Menschen werden Sie im Anschluss an Ihre Reden,
auf welcher Veranstaltung auch immer – das ist jeden-
falls bei mir so –, danach fragen, wie lange Herr Clement
noch im Amt bleibt.


(Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf!)


Sie wissen, dass die Amtsdauer endlich ist.

(Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Zerbre chen Sie sich darüber nicht den Kopf!)

Es ist ja nicht so, dass er alles richtig gemacht hat.

Wir wissen alle, dass er das in Nordrhein-Westfalen
nicht gemacht hat und dass er es auch hier nicht macht.
Wir hier haben ihn ja nie Superminister genannt. Er war
aber der Einzige von Ihnen, der mit einer Reihe von
Maßnahmen zumindest versucht hat zu reformieren. Sie
haben ihn aber nicht gelassen und das ist das Problem.
Wer soll denn kommen? Wen wollen Sie denn bringen?
Herrn Brandner?


(Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf!)


Er ist doch Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz in die-
sem Hause. Soll Herr Kollege Brandner den Kollegen
Clement beerben? Ist das die Perspektive für den Mittel-
stand?


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es lebe der DGB!)


Soll daraus neuer Mut für den Schritt nach vorn wach-
sen? Es ist eine ausgesprochen unerträgliche Situation.

Über einen Punkt haben Sie hier mehrfach diskutiert,
auch der Kollege Michelbach hat ihn aufgegriffen. Ich
will daher auf § 8 a Körperschaftsteuergesetz einge-
hen. Wir haben ihn zwar mitbeschlossen – Sie wissen
selbst, dass in den Nacht-und-Nebel-Aktionen im Ver-
mittlungsausschuss sehr viel nebenher gelaufen ist –,


(Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Das war gut vorbereitet! Mit allen Finanzministern!)


aber heute konstatieren wir, dass das ein Fehler war.
Denn ein sehr großer Teil der mittelständischen Unter-
nehmen zahlt heute Steuern auf seine Zinszahlungen und
der Unternehmer, obwohl er den Kredit für sein Unter-
nehmen aufgenommen hat, haftet dafür persönlich. So
ist die heutige Lage und wir helfen doch niemandem,
wenn wir uns darüber streiten, wer an dem Fehler mitge-
wirkt hat. Es ist doch einzig und allein vernünftig zu sa-
gen: Wir haben einen Fehler gemacht und der wird so
schnell wie möglich korrigiert, bevor er bilanzwirksam
wird. In diesem Jahr muss der Fehler korrigiert werden,
und zwar rückwirkend zum 1. Januar 2004. Das wäre
eine konkrete Maßnahme. Sie können sich nicht mit dem
Satz „Ihr habt mitgewirkt“ herausreden. Wir erkennen
heute, dass das, was wir beschlossen haben, Gift ist;
also: Weg mit dem Gift!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn das einträte, hätten wir endlich einen wirklichen
mittelstandspolitischen Sprecher, Rezzo Schlauch. Jetzt
wissen die meisten von ihm immer noch nichts.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511102100

Kollege Schauerte, gestatten Sie eine Zwischenfrage,

die Ihre Redezeit verlängert? Die Kollegin Hendricks
möchte Sie etwas fragen.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1511102200

Gerne. Ich danke auch für den liebevollen Hinweis,

Herr Präsident.


Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1511102300

Herr Kollege Schauerte, sind Sie bereit, mit dem

Hause zur Kenntnis zu nehmen, dass es nicht nur um die
Frage geht, ob wir das gemeinsam beschlossen haben?
Das ist wirklich nicht der Punkt. Ich will aber den Vor-
wurf zurückweisen, dass es das Ergebnis einer Nacht-
und-Nebel-Aktion gewesen sei. Es hat Arbeitsgruppen
des Finanzausschusses gegeben, an denen auch die
Finanzminister der B-Seite beteiligt waren. Ich selber
habe diese Arbeitsgruppe für die Regierung betreut.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die haben Sie mit falschen Zahlen bestückt!)


Es gab einen Regierungsentwurf. Er ist gründlich und
sorgfältig und nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion
beraten und im Verfahren auch geändert worden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Mit falschen Zahlen aus dem BMF!)


So ist beispielsweise die Freigrenze gegenüber dem ur-
sprünglichen Regierungsentwurf erhöht worden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo ist die Frage?)


Er ist dann in der geänderten Fassung von allen bewusst
angenommen worden. Das will ich der guten Ordnung
halber noch einmal klarstellen und Sie bitten, das zur
Kenntnis zu nehmen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Frage!)

Des Weiteren möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu

nehmen, dass der Kritikpunkt, den Sie gerade angespro-
chen haben – § 8 a Körperschaftsteuergesetz –, nämlich






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Hendricks

der so genannte Rückgriff bei verbürgten Krediten, be-
reits im Entwurf eines Anwendungsschreibens, das von
den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Län-
der, also einvernehmlich mit allen Ländern, erarbeitet
worden ist


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es gibt keine Rechtssicherheit!)


und zurzeit den Verbänden zur Stellungnahme vorliegt,
schon geregelt ist. Dieser Entwurf liegt übrigens auch
den Mitgliedern des Finanzausschusses des Deutschen
Bundestages vor. Er ist also auch der Unionsseite dieses
Hauses bekannt oder könnte es zumindest sein. Wollen
Sie sich mit mir einverstanden erklären, dass Sie vor die-
sem Parlament zukünftig keine Probleme mehr anspre-
chen, die schon längst gelöst sind?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1511102400

Frau Staatssekretärin Hendricks, Sie haben zwei Fra-

gen gestellt. Der Präsident hat sie zugelassen, also muss
ich auch zwei beantworten.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Sie können nicht einmal eine beantworten!)


Ihre erste Frage lautete: Sind Sie nicht mit mir der
Meinung, dass das seinerzeit im Vermittlungsausschuss-
verfahren alles sehr sorgfältig beraten worden ist? Dass
ausgerechnet Sie diese Frage stellen, wundert mich
etwas, denn da Sie die Bundesregierung in dieser Ange-
legenheit betreut haben, dürften Sie sich an den pein-
lichen Vorfall erinnern, dass sich plötzlich herausstellte,
dass um 1 Milliarde Euro falsch gerechnet worden ist.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Es wurden falsche Zahlen zugrunde gelegt! – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])


Es hat allergrößte Mühe gekostet, die entsprechenden
Korrekturen vorzunehmen. Die Verantwortung dafür lag
eindeutig bei Ihnen. Es war ein sehr hektisches Verfah-
ren, in dem auch Fehler passieren konnten. Daher müs-
sen Korrekturen ohne großes Lamento möglich sein.

Die Antwort auf Ihre zweite Frage: Natürlich kenne
ich den Brief. Er löst aber nur einen Teil des Problems,
und zwar den, der ausschließlich Bürgschaften betrifft.
Sie wissen, dass die weiter gehenden Forderungen ver-
nünftig und richtig sind, nämlich den Faktor 1,5 bezogen
auf das Eigenkapital deutlich zu erhöhen. Sonst ist es
eine unzulässige Beschränkung.

Dann greift ja diese Strafsteuer auf Zinsen; man zahlt
also Gewinnsteuer auf Zinsen, die man zahlt; das muss
man sich immer wieder klar machen. Es gibt auch noch
weitere Punkte, die einfach nicht passen.

Ich sage allerdings eindeutig: Ein Ziel haben wir ge-
nauso im Visier wie Sie, nämlich die eleganten Manipu-
lationen der großen Konzerne zu unterbinden. Diese sind
weltweit tätig und finanzieren Investitionen mit Kredi-
ten, die sie sich selber über irgendwelche Scheinfirmen
gegeben haben, um damit in Deutschland Steuern zu
sparen. Aber die mittelstandspolitischen Wirkungen Ih-
rer Maßnahmen sind absolut unerträglich. Korrigieren
Sie den Fehler!

Im Übrigen danke ich Ihnen für die Möglichkeit, das
nachzutragen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511102500

Ich erteile das Wort dem Kollegen Fritz Kuhn, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511102600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Brüderle, ich möchte Ihnen eine kurze Vorbemer-
kung widmen. In meiner Fraktion ist die Frage aufge-
kommen, was eigentlich mit Ihnen los ist. Sie haben eine
sechsminütige Rede zum Mittelstand gehalten, aber
nichts Konkretes zum Mittelstand gesagt, an das man
sich erinnern könnte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ihre Rede gipfelte in einer unflätigen Beleidigung des
Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung und dann
haben Sie sich wieder gesetzt. Das war wirklich unter Ih-
rer Form. Das hat auch nichts mit dem Pfälzer Humor zu
tun; denn in der Pfalz ist man nicht für Galligkeit, die Sie
hier im Parlament verbreitet haben, sondern für etwas
anderes bekannt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Da ist man lustig und freundlich!)


Jetzt zur Sache. Frau Wöhrl, ich kann Ihnen nicht den
Vorwurf ersparen, dass Sie die wirtschaftliche Lage aus
parteipolitischem Kalkül schlechtreden. Wenn wir uns
die Situation einmal nüchtern anschauen, stellen wir
fest: Wir kommen langsam – ich betone: langsam – aus
einer schwierigen Wirtschaftskrise heraus. Das Wachs-
tum beträgt derzeit 1,4 Prozentpunkte und wir können
mehr schaffen.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch alles nur Schall und Rauch!)


Sie wissen genau, dass es in Deutschland dann zu einem
Abbau der Arbeitslosigkeit kommt, wenn das Wachstum
die so genannte Beschäftigungsschwelle übersteigt, die
derzeit bei etwa 1,8 Prozentpunkten liegt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir müssen sie senken!)


Die Beschäftigungsschwelle zu senken ist das zen-
trale Reformwerk, das wir durch die Hartz-Gesetze und
die Agenda 2010 angepackt haben. Deswegen ist die
Blockade, die Sie jetzt bei Hartz, bei der Zusammenle-
gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, betreiben,
so entscheidend. Offensichtlich wollen Sie gar nicht,
dass das, was auch Sie selbst seit Jahren verkündet ha-
ben – das Vorhaben, ein anderes soziales Transfersystem
in Deutschland mit effektiv besseren Wirkungen auf den






(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

Arbeitsmarkt zu schaffen –, jetzt endlich umgesetzt
wird.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wie können Sie uns denn sonst erklären, dass Herr Koch
die Gemeinden zur Blockade dieses neuen Instrumentes
aufruft? Ich meine: Er richtet damit großen Schaden an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind also in einer Situation, in der wir – Herr
Schauerte, mit dem, was Sie diesbezüglich gesagt haben,
liegen Sie völlig falsch – weitere Reformen brauchen.
Der Reformprozess muss weitergehen. Bisher gibt es das
neue Arbeitslosengeld II und bessere Finanzierungsbe-
dingungen für den Mittelstand noch nicht. Es ist noch
sehr viel zu tun.


(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)


Aber entscheidend ist Folgendes: Von Ihrer Seite die-
ses Hauses werden nur Elendsszenarien beschrieben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Nein!)

Dies verschlechtert die Stimmung in der Bevölkerung,


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben keine Lösungen!)


bei den Investoren und auch bei den Konsumenten, die
ihr Geld nicht ausgeben, weil sie von Ihnen ständig hö-
ren, wie elend und mies die Situation ist.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie müssen auch mal die richtige Analyse machen!)


Deswegen sage ich Ihnen, Herr Schauerte – Sie haben ja
versucht, konkreter zu werden und nicht nur die Standort-
arien zu singen,


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Die Zahlen sprechen doch für sich!)


wie es Frau Wöhrl getan hat –:

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede von Frau Wöhrl!)

Wenn Ihnen daran liegt, dass es dem Mittelstand besser
geht, dann verweigern Sie sich den Reformen nicht
mehr, wie Sie es gerade tun, sondern gehen Sie mit in die
Offensive, damit in Deutschland insgesamt mehr Refor-
men durchgeführt werden können.

Frau Wöhrl, ich will zwei Punkte nennen, auf die es
jetzt ankommt: Erstes Beispiel. Sie reden immer über
das Thema Kohle. Das tun Sie eigentlich nur, damit Sie
darüber schweigen können, dass Sie, wenn wir auch an-
dere Subventionen abbauen wollen, auf der Bremse ste-
hen. Das sind mittelstandsrelevante Fragen; denn für die
Zukunft ist es entscheidend, welches Personal der Mit-
telstand bekommt. Ich habe von Ihnen noch keine kon-
krete Einlassung zu dem Vorschlag von Bundeskanzler
Schröder gehört, die Eigenheimpauschale zu streichen
und die dadurch frei werdenden Mittel bei Bund, Län-
dern und Gemeinden für Bildung, Forschung und Wis-
senschaft einzusetzen,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach! Um Haushaltslöcher zu stopfen, wollen Sie das Geld nehmen!)


um die strukturelle Schwäche, die hier besteht, zu über-
winden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Doch nur, um Haushaltslöcher zu stopfen!)


Dazu hört man von Ihnen nichts Konkretes. Sie reden
nur über das Thema Kohle. Aber wenn es zum Schwur
kommen soll, gehen Sie in die Büsche und schreien laut
herum. Aber Sie nehmen die Verantwortung, die Sie auf-
grund Ihrer Rolle in den Ländern haben, nicht wahr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweites Beispiel. Weil wir Grüne sehen, dass es im
Verkehrsbereich, bei der Schiene und der Straße, zu we-
nige Investitionen gibt, haben wir den Vorschlag ge-
macht, die Entfernungspauschale zu halbieren und die
Mittel, die dadurch frei werden, für Verkehrsinvestitio-
nen zu verwenden. In allen Ländern wird darüber
geklagt – übrigens geht das auch zulasten des Hand-
werks –, dass zu wenig investiert wird, weil Koch und
Steinbrück nicht nur Subventionen abgebaut, sondern
auch bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur
gekürzt haben.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die Maut! Was ist damit?)


Dazu habe ich von Ihnen noch nichts Konkretes gehört.
Sie beklagen zwar, dass nicht investiert wird. Aber Sie
machen die Wege, damit in Deutschland investiert wer-
den kann, nicht frei, sondern betreiben Blockadepolitik.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer hat denn die Maut kaputtgemacht?)


Herr Schauerte, das müssen Sie sich hier anhören; denn
es ist wichtig, dass wir an diesen beiden Stellen mehr
tun. – Herr Kauder, was haben Sie für Sorgen? Warum
machen Sie diese Bewegung?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Redezeit!)

– Aha, die Redezeit; ich verstehe. Wenn es wehtut, führt
Herr Kauder die Redezeit desjenigen, der gerade spricht,
ins Feld. So ist es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Das tut ihm weh, was Sie sagen!)


Damit komme ich zum Schluss meiner Rede.

(Beifall des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Sie haben nichts getan, um die Blockaden, die ich ange-
sprochen habe, zu überwinden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sind am Ende!)







(A) (C)



(B) (D)


Fritz Kuhn

Wenn Sie ehrliche Mittelstandspolitik machen würden,
Herr Kauder, dann müssten Sie Ihre Bremsblockade auf-
geben und zusammen mit der Regierung die notwendi-
gen Reformen anpacken. Die Chance dazu haben Sie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511102700

Ich erteile der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Frak-

tion, das Wort.


Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1511102800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Kuhn, ich will mit Ihnen anfangen. Nach-
dem Sie hier Konkretes eingefordert haben, haben Sie
selber nicht viel Konkretes gesagt. Wenn Sie nur halb so
gut handeln würden, wie der Kollege Brüderle heute hier
geredet hat, dann ginge es diesem Land entschieden bes-
ser.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Alles Luftblasen und Beleidigungen!)


Ein ganz wichtiger Aspekt beim Thema Mittelstand
ist das Thema Bürokratie. Das wird immer wichtiger,
immer deutlicher zeigt sich das. Es gibt eine Untersu-
chung des Instituts für Mittelstandsforschung. Wir wis-
sen, dass die bürokratischen Belastungen für die Wirt-
schaft in diesem Lande pro Jahr 46 Milliarden Euro
betragen. Diese Belastungen sind insbesondere in den
letzten fünf Jahren erheblich gestiegen, Herr Schlauch,
und Sie wissen das. Sie haben vorher in der Antwort auf
den Kollegen Michelbach gesagt: Wir haben uns bemüht
und wir bemühen uns. Herr Kollege Schlauch, Sie wis-
sen, was das heißt, wenn es in einem Zeugnis steht: Es
heißt, Sie haben sich bemüht, es aber nicht erreicht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dieses Zeugnis, dass Sie sich selber ausstellen, ist für
eine Regierung zu wenig und für unser Land katastro-
phal. Deshalb müssen wir uns einmal anschauen, was
46 Milliarden Euro bedeuten. Sie bedeuten, dass ein Ar-
beitsplatz in einem Großbetrieb mit über 500 Mitarbei-
tern jährlich mit circa 350 Euro Kosten belastet ist, ein
Arbeitsplatz bei einem kleinen Unternehmen mit unter
10 Mitarbeitern allerdings jährlich sogar mit circa
4 300 Euro – nur aufgrund des Aufwands für Bürokratie!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Auf-
wand für Bürokratie ist unnötig und dreht den Mittel-
ständlern in diesem Land die Luft ab.


(Beifall bei der FDP – Walter Hoffmann [Darmstadt] [SPD]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was sind denn das für abstruse Zahlen? Das sind doch keine seriösen Zahlen!)


– Das ist seriös, vom Institut für Mittelstandsforschung.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, eben! Genau! Das ist auch nicht seriös!)

Das steht in einer Studie, die der Wirtschaftsminister in
Auftrag gegeben hat; vielleicht unterhalten Sie sich ein-
mal mit Herrn Clement.

Es sind im Zusammenhang mit Bürokratie fünf zen-
trale Bereiche zu nennen: Steuern und Abgaben, Sozial-
versicherungsrecht, Arbeitsrecht, Statistiken und Um-
weltschutz. Herr Schlauch, Sie haben hier alle
möglichen Vorschläge vorgetragen. Aber es bleibt wie-
der einmal dabei, dass es nur Vorschläge waren. Wir als
FDP-Bundestagsfraktion haben für jeden einzelnen Fall,
den Sie angesprochen haben, einen Antrag vorgelegt. Je-
den einzelnen Antrag, jeden Gesetzentwurf haben Sie
abgelehnt.


(Beifall bei der FDP)

Deswegen ist das, was Sie machen, Bürokratieabbau-
Rhetorik, Herr Schlauch, und nicht Bürokratieabbau.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kommen wir zum Thema Modellregionen. Herr
Clement hat direkt nach dem Regierungsantritt – Okto-
ber 2002 – angekündigt: zunächst Bürokratieabbau.
Dann hat er gemerkt, dass er bei Ihnen damit nicht
durchkommt, und gesagt: Richten wir Modellregionen
ein. – Innerhalb kürzester Zeit haben sich 38 Regionen
gefunden, die Initiativen ausgearbeitet und sich als Mo-
dellregionen beworben haben. Was haben Sie daraus ge-
macht? – Drei Testregionen eingesetzt! Die haben zwi-
schenzeitlich tausend Vorschläge geliefert. Aus diesen
tausend Vorschlägen haben Sie 29 ausgewählt und eine
neue Initiative der Bundesregierung angekündigt. Meine
sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün, wenn
Sie in diesem Tempo mit dem Thema Bürokratieabbau
weitermachen


(Ludwig Stiegler [SPD]: Von Redundanz haben Sie noch nichts gehört!)


und in diesem Tempo damit weitermachen, Vorschläge
aus der Wirtschaft aufzugreifen, dann haben Sie am
Ende dieser Legislaturperiode mit dem Bürokratieabbau
noch nicht einmal angefangen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir haben auch zum Thema Statistik einen Antrag

vorgelegt. 350 Bundesstatistiken werden jährlich er-
stellt; dafür werden 500 Millionen Euro aufgewendet.
Der Bundesrechnungshof hat das Statistische Bundesamt
mehrfach wegen Verschwendung gerügt. Dabei sind die
Kosten, die sich dadurch ergeben, dass die Unternehmen
die Daten zuliefern müssen, noch nicht aufgeführt. Das
muss abgestellt werden. Dafür haben wir einen Antrag
vorgelegt und dem können Sie heute zustimmen.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Nein! Auf keinen Fall! Um Gottes willen! Bloß nicht!)


Deswegen kann ich nur sagen: Lassen Sie den voll-
mundigen Ankündigungen zum Bürokratieabbau endlich
Taten folgen. Wenn Sie selbst nichts zuwege bringen,
stimmen Sie den Anträgen der FDP-Fraktion zu! Heute
haben Sie die Chance dazu.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Birgit Homburger


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Um Himmels willen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1511102900

Ich erteile das Wort Kollegen Christian Lange, SPD-

Fraktion.


Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1511103000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Wir befinden uns in der Bundesrepublik Deutsch-
land gegenwärtig in einer schwierigen wirtschaftlichen
Lage. Das ist ohne Zweifel wahr. Fest steht aber auch:
Die Beiträge, die wir heute vonseiten der Opposition
gehört haben, werden nicht dazu beitragen, diese
schwierige wirtschaftliche Lage zu verbessern. Das
muss hier einmal deutlich gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss mich schon sehr wundern, dass Sie offenbar
noch nicht einmal das Frühjahrsgutachten zur Kenntnis
genommen haben: Das Wachstum in Deutschland belief
sich im ersten Quartal 2004 im Vergleich zum Vorjahres-
zeitraum auf 1,5 Prozent und lag damit glatt höher als
das der Eurozone, das nur 1,3 Prozent betrug. Ich erin-
nere mich noch, wie Sie in Ihren Beiträgen den Vorwurf
inszeniert haben, wir seien Letzter in Europa. Diese Zei-
ten sind vorbei. Das Wachstum reicht zwar noch nicht
aus – das stimmt –, aber es geht aufwärts. Ich bitte Sie,
zumindest diese Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen,
wenn Sie schon nicht an die Prognosen glauben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch Bundesbankpräsident Axel Weber sieht die

deutsche Wirtschaft auf dem Weg der Erholung. Er
schätzt das Wachstum mit 1,7 Prozent ein und ist damit
sogar noch optimistischer als die Bundesregierung und
als wir. Das freut uns natürlich. Seine Einschätzung ver-
dient hier zumindest Erwähnung.

Es gibt weitere gute Konjunkturnachrichten. Die Be-
fragung von Creditreform zur Mittelstandskonjunktur
hat ganz deutlich gezeigt, dass der Anteil der mittelstän-
dischen Unternehmen mit sehr guter bzw. guter Auf-
trags- und Geschäftslage im Vergleich zum Vorjahr um
11,4 Prozentpunkte auf 29,4 Prozent angewachsen ist.
Ein solches Ergebnis bedeutet nicht, dass es keine
Schwierigkeiten gibt, aber es zeigt, dass es einen Auf-
wärtstrend gibt. Es gebietet die Seriosität, dies hier zu er-
wähnen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Ähnliche Entwicklungen sieht auch das Statistische

Bundesamt bei der Binnenkonjunktur, Herr Kollege
Schauerte. Das Statistische Bundesamt meldet für das
erste Quartal 2004 eine Erhöhung der Zahl der Er-
werbstätigen im Dienstleistungsbereich, insbesondere
in den Bereichen Handel, Gastgewerbe und Verkehr. Im
Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der hier Beschäftigten
um 134 000 Personen gestiegen. Auch hier können Sie
einen entsprechenden Aufwärtstrend feststellen.
Mir stellt sich an dieser Stelle nun die Frage, welche
Alternative Sie uns eigentlich anbieten. Wo in Ihren An-
trägen, die wir heute beraten, spiegeln sich Ihre Sprüche
zu mehr Wettbewerb und mehr Freiheit, Frau Wöhrl,
eigentlich wider?


(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: 25 Vorschläge!)


Ein gutes Beispiel hierzu haben Sie selbst genannt. Bei
der Überarbeitung der Handwerksordnung haben Sie
versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wir
hätten uns hier noch mehr Freiheiten gewünscht – das
gestehe ich zu –, haben aber einen Kompromiss gefun-
den, der, wie ich finde, sehr gut ist. Wir können in die-
sem Bereich einen Gründungsboom feststellen. Wir un-
terstützen so das unternehmerische Denken. Das ist alles
positiv. Deswegen können Sie hier doch sagen, dass es
richtig war, dass wir das gemeinsam gemacht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande erwar-
ten, dass wir etwas gemeinsam auf den Weg bekommen.
Seien wir stolz darauf, dass uns das gemeinsam gelun-
gen ist!

Ein weiteres Beispiel, das einen kleineren Bereich be-
trifft. Wir haben erreicht, dass Existenzgründer von Bei-
tragszahlungen an die Industrie- und Handelskammern
bzw. an die Handwerkskammern befreit sind, wenn ihr
Gewerbeertrag nicht höher ist als 25 000 Euro im Jahr.
Das ist ein kleiner, aber wichtiger Beitrag für die Men-
schen, die versuchen, unternehmerisches Denken in die
Praxis umzusetzen.

Ein weiteres solches Beispiel. Die Eintragung in das
Handelsregister muss beschleunigt werden. Fast 70 Pro-
zent aller Handelsregistereintragungen in Deutschland
dauern länger als zwei Monate. Damit liegen wir deut-
lich über dem europäischen Benchmark von einem Mo-
nat. Den Gerichten soll deshalb gesetzlich vorgeschrie-
ben werden, den Antragsteller innerhalb eines Monats in
einer das Verfahren fördernden Weise zu bescheiden.
Damit wollen wir klar machen, dass wir dafür sorgen
wollen, dass die Menschen schneller an den Markt gehen
können. Dieser Weg ist doch richtig. Sagen Sie deshalb,
dass auch Sie das wollen und dass Sie mit uns diesen
Weg gehen wollen.

Schauen Sie sich heute im „Handelsblatt“ den Moni-
tor zum Thema Ausbildung an. Dort steht die klare Aus-
sage, dass wir auch denjenigen einen Weg ebnen müs-
sen, die nicht so gut qualifiziert sind. Was haben wir
gemacht? Schauen Sie sich das einmal an: Bereits seit
dem 24. September 2003 gibt es eine Modernisierung
hin zu Berufen mit zweijähriger Ausbildungsdauer, wie
beim Verkäufer, Handelsfachpacker, Maschinenführer
oder Fahrradmonteur. Wir müssen mehr machen – darin
stimme ich Ihnen zu –, aber dass wir diesen Weg gegan-
gen sind und dass es bereits Gesetz geworden ist, müs-
sen Sie doch anerkennen. Sprechen Sie das doch einmal
aus und erkennen Sie an, dass nicht alles schwarz in
schwarz erscheint, sondern dass es in Deutschland voran
geht. Das ist Teil der Wahrheit.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Christian Lange (Backnang)


Nun zu Ihnen, Herr Brüderle, und Ihren steuerpoliti-

schen Äußerungen. Das, was Sie vorgetragen haben
– das steht auch in Ihren Anträgen –, dass die Personen-
gesellschaften gegenüber den Kapitalgesellschaften be-
nachteiligt wären, ist ein alter Hut. Ich will es noch ein-
mal sagen, auch wenn es mich die letzten Minuten
meiner Redezeit kostet: Man darf nicht auf den immer
wieder bemühten Vergleich hereinfallen, Kapitalgesell-
schaften zahlen nur 25 Prozent Körperschaftsteuer, Per-
sonengesellschaften dagegen 45 Prozent Einkommen-
steuer. Dieser Vergleich stimmt nicht.

Warum stimmt er nicht? Erstens. Kapitalgesellschaf-
ten müssen zusätzlich Gewerbesteuer bezahlen, was im
Durchschnitt mit knapp 14 Prozent zu Buche schlägt.
Also liegt die steuerliche Gesamtbelastung bei rund
39 Prozent, etwa beim Handwerksmeister. Die können
die Gewerbesteuer bei der Einkommensteuerschuld pau-
schal verrechnen.

Zweitens. Die Körperschaftsteuer von 25 Prozent
wird vom ersten bis zum letzten Euro des Gewinns erho-
ben, während die Einkommensteuer progressiv ausge-
staltet ist. Bei der Personengesellschaft sind nur die Ge-
sellschafter steuerpflichtig, aber nicht die Gesellschaft
selbst. Das bedeutet, dass den Personenunternehmern
wie jedem anderen Privaten auch der Grundfreibetrag
und andere Freibeträge, etwa wenn er Kinder hat, zuste-
hen.

Drittens. Was ist schließlich das Ergebnis dessen? Um
im Jahr 2005 eine den Körperschaften, also den Aktien-
gesellschaften, entsprechende durchschnittliche Gesamt-
belastung von rund 39 Prozent zu erreichen, muss ein le-
diger Handwerksmeister rund 130 000 Euro versteuern.
Bei einem verheirateten Handwerksmeister sind es rund
245 000 Euro. Dass dies nur 5 Prozent der Personenge-
sellschaften in Deutschland sind, haben wir zu beklagen.
Dass das Steuerrecht diese benachteiligt, stimmt aber
einfach nicht. Behaupten Sie es hier also nicht. Finden
Sie den Weg zurück zur Wahrheit und damit zur Klarheit
und damit zum Wirtschaftswachstum in Deutschland!
Dazu fordere ich Sie auf.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511103100

Ich erteile das Wort der Kollegin Veronika Bellmann,

CDU/CSU-Fraktion.


Veronika Bellmann (CDU):
Rede ID: ID1511103200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Herr Staatssekretär, ich weiß nicht, auf welcher
Rhetorikschule Sie reden gelernt haben. Meine Groß-
mutter hätte bei dem lauten Redeschwall, den Sie von
sich gegeben haben, gesagt: Wer schreit, hat Unrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Lange, ich will Ihnen gerne sagen, wo unsere

Vorschläge für die Mittelstandspolitik stehen. Sie stehen
in unserem vorliegenden Antrag. Es sind genau 25 an
der Zahl. Uns vorzuwerfen, dass wir Ihnen hier nichts
Konstruktives vorschlagen, ist wohl gründlich daneben-
gegriffen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das glauben nicht einmal Ihre eigenen Leute!)


Der KfW-Mittelstandsmonitor 2004 sagt aus: Die
Schwäche des Mittelstandes hält das vierte Jahr in Folge
an. Lediglich 12 Prozent der Mittelständler sind in der
Lage, zusätzliches Personal einzustellen. Damit befindet
sich die Mittelstandskonjunktur im Schlepptau der Ge-
samtwirtschaft mit entsprechender Wirkung auf Be-
schäftigungsimpulse und Investitionen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Es stellen sich die Fragen: Ist der Mittelstand in der
Krise? Ist die Gesamtwirtschaft in der Krise? Ist die
Weltwirtschaft in der Krise? – Nein, die Politik dieser
Bundesregierung und die Staatsfinanzen sind in der
Krise.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ihre Laborversuche sind kläglich gescheitert und die po-
litischen Rahmenbedingungen für den Mittelstand sind
katastrophal.

Ich will die Steuer- und Abgabenpolitik näher be-
leuchten und dabei insbesondere die Ausbildungsplatz-
abgabe hervorheben. Statt die Berufsbildung durch eine
Verkürzung der Ausbildungsdauer, durch eine modulare
Ausbildung, die an den Bedürfnissen der Wirtschaft
orientiert ist, und durch die Schaffung neuer Ausbil-
dungsberufe zu modernisieren, schaffen Sie ein Bürokra-
tiemonster sondergleichen: 1 000 Arbeitsplätze ohne
Wertschöpfung, die die Steuerzahler und damit die
Staatsquote noch mehr belasten, als das ohnehin schon
der Fall ist.

Das Gleiche gilt bei Hartz IV. Ja, wir sind dafür, die
Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzuführen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ah, ja!)

Wichtig ist aber die Umsetzung. Sie ist wie bei allen an-
deren Ihrer Gesetze schlampig. Die Bundesagentur für
Arbeit verdient ihren Namen fast nicht mehr. Auch dort
sind 40 000 neue Arbeitsplätze nötig, aber auch dort ent-
steht keine Wertschöpfung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Über allem schwebt das Haushaltsdebakel ohneglei-

chen, zu dem das Maut-Desaster mit Milliardenlöchern
noch hinzukommt, was nicht ohne Wirkung auf die Mit-
telstandspolitik bleibt.


(Jörg Tauss [SPD]: Werden Sie mal konkret, Frau Bellmann!)


– Herr Tauss, es ist schön, dass Sie meinen Namen mitt-
lerweile kennen, aber Sie können mit Ihren unqualifi-
zierten Zwischenrufen ruhig einmal aufhören.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Werden Sie mal konkret!)







(A) (C)



(B) (D)


Veronika Bellmann

Maut-Desaster, Haushaltslöcher, Haushaltsdebakel –
von all dem ist bei der Gemeinschaftsaufgabe der För-
derung der regionalen Wirtschaftsstruktur nicht die
Rede.

Ich will nun einmal näher auf die Gemeinschaftsauf-
gabe eingehen. Die Gemeinschaftsaufgabe ist das erfolg-
reichste Instrument der Wirtschaftsförderung, mit relativ
geringen Mitnahmeeffekten und hohen Arbeitsmarktef-
fekten. 60 Prozent der GA-Summe werden an kleine und
mittelständische Unternehmen mit 250 und weniger Ar-
beitnehmern ausgezahlt. Eine Kürzung dort wäre des-
halb auch eine Beschneidung der Handlungsmöglichkei-
ten der Mittelständler.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kürzung der GA-Mittel ist ein gesamtdeutsches
Spiel mit dem Feuer, da die GA kein rein ostdeutsches
Förderinstrument ist, sondern ein Bundesprogramm, das
jeder bedürftigen Region zugute kommen soll.

Mit den Kürzungen der GA-Mittel schädigen Sie al-
lerdings besonders den Aufbau Ost. Er wird an der wirk-
samsten Stelle ausgebremst. Dazu gibt es parteiübergrei-
fend Kritik. Ministerpräsident Platzeck, SPD, erklärt:
Eine tragende Säule des Aufbau Ost ist gefährdet. –
Bundesminister Stolpe sagt: Kürzen ist Unsinn. – MdB
Schneider, SPD, warnt: Aufbau Ost wird sturmreif ge-
schossen. – MdB Hettlich, Grüne, sagt: Das ist Zündeln
am Solidarpakt, eine Taktik der Nadelstiche gegen die
Ostförderung. Er ruft Herrn Clement dazu auf, als Bun-
desminister für das ganze Land verantwortlich zu sein
und nicht nur für sein Heimatland Nordrhein-Westfalen.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Da hat er genug Schaden angerichtet!)


Der Verdacht, dass ein Vermeiden der Subventions-
kürzungen bei der Steinkohle zulasten des Ostens geht,
ist nicht von der Hand zu weisen. Die Steinkohleförde-
rung wird bis 2012 verlängert. Die Steinkohleförderung
wird von Kürzungen nach dem Koch/Steinbrück-Kon-
zept, die auf 708 Millionen Euro festgelegt waren, aus-
genommen. Die Steinkohleförderung sinkt langsamer als
ursprünglich geplant, auch wenn sie verzögert ausge-
zahlt wird. Das bedeutet für die Kohle ein Plus von
630 Millionen Euro und entspricht genau der Summe,
die bei den Verpflichtungsermächtigungen für die GA
eingespart werden soll. CDU-Haushälter Dietrich
Austermann kritisiert deshalb zu Recht, dass der größte
Fehler der Regierung darin besteht, die Vergangenheit
zulasten zukunftsgewandter Wirtschaftsförderung zu
fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Öffentlichkeit aber werden diese Kürzungen

nicht mit dem Haushaltsdebakel, mit den Milliardenver-
lusten aus dem Mautdesaster oder mit Wahlgeschenken
begründet, sondern mit dem Koch/Steinbrück-Konzept.
Meine sehr verehren Damen und Herren, eine Lüge wird
nicht wahrer, wenn man sie ständig wiederholt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr! Da haben Sie Recht! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihre Selbsterkenntnis ist schon bemerkenswert!)


Das Koch/Steinbrück-Konzept muss jetzt von Kürzun-
gen im Verkehrsetat bis hin zu den Kürzungen der Ver-
pflichtungsermächtigung bei der GA für alles herhalten.
Verstecken Sie sich mit Ihren schönen Reden nicht hinter
den Wachstumsprognosen und Ihrer chaotischen Haus-
haltspolitik, verstecken Sie sich nicht hinter einer mode-
raten Subventionskürzung, die moderate Konsolidie-
rungsbemühungen nachweist! Die Länder tragen diese
Subventionskürzungen aus dem Koch/Steinbrück-Papier
nicht umsonst mit; sie stellen vielmehr auch in der Phase
eines Abbaus Planungssicherheit und Verlässlichkeit dar.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die Kürzungen nach
Koch/Steinbrück reichen von 4 bis 12 Prozent; im Unter-
schied dazu hat das BMWA vorgeschlagen, zwischen
35 und 65 Prozent zu kürzen. In 2005 kommen nach
Koch/Steinbrück 96 Prozent oder 201,06 Millionen Euro
zur Auszahlung, nach BMWA 35 Prozent oder 73,5 Mil-
lionen Euro. Die Differenz beträgt somit 128,1 Millio-
nen Euro; das ist mehr, als die GA West ausmacht.


(Jörg Tauss [SPD]: Muss man mal nachrechnen!)


Das ist einfache Prozentrechnung. Ich bin gespannt,
wie die Anfragen, die diesbezüglich im Ausschuss für
Wirtschaft und Arbeit gestellt werden, beantwortet wer-
den. Ich hoffe, dass bis zur Kabinettsentscheidung am
23. Juni die verworrenen Kürzungsvorschläge des
BMWA noch einmal geradegerückt werden. Es ist schon
schlimm genug, dass die Verlässlichkeit der Politik wei-
ter Schaden genommen hat. Ich hoffe auch, dass Sie
nach dem Grundsatz handeln: An der Investi-
tionsförderung zu sparen ist wirtschaftlich unsinnig, da
dadurch die Sozialabgaben langfristig steigen.

Wenn wir wissen, dass die Großindustrie durchaus
mobil, der Mittelstand aber im wahrsten Sinne des Wor-
tes bodenständig ist, dann müssen wir Investitionen auch
beim Mittelstand entsprechend honorieren:


(Beifall bei der CDU/CSU)

durch eine Flexibilisierung von Arbeitsmarkt und So-
zialpolitik, durch einen erleichterten Zutritt von Gering-
qualifizierten zum Arbeitsmarkt und durch weitere Steu-
erreformen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511103300

Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit!


Veronika Bellmann (CDU):
Rede ID: ID1511103400

Ich komme zum Schluss. – Notwendig ist eine klare

Situationsanalyse, und zwar offen und ehrlich, nicht
blauäugig und bewusst geschönt, wie es die Bundesre-
gierung oder Herr Brandner vorhin vorgetragen haben.
Sie handeln nach dem Motto: Wenn ich die Augen nur
lange genug geschlossen halte, dann wird mein Traum
schon irgendwann Wirklichkeit werden. – Das kann
nicht zutreffen. Wir brauchen eine Situationsanalyse,
eine Zielbestimmung und eine Wegbeschreibung. Wir
brauchen wie im Auto ein Navigationssystem.






(A) (C)



(B) (D)


Veronika Bellmann


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir sind auch ohne Navigationssystem zurechtgekommen!)


Wenn Analyse, Zielbestimmung und Wegbeschreibung
vorliegen, dann heißt es auch hier: Die Route wird be-
rechnet. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung
zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511103500

Das Wort hat nun die Kollegin Gesine Lötzsch.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Der Liebling des Mittelstands!)


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1511103600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Abgeordnete
der PDS.

Die aktuelle Steuerschätzung ist ein Offenbarungseid
für Herrn Eichel und seine völlig verfehlte Finanzpolitik.
Doch es ist keine Kehrtwende der Bundesregierung zu
einer vernünftigen, die Konjunktur belebenden Finanz-
politik zu erkennen. Die Versuche des Kanzlers und sei-
nes Außenministers, die Finanzpolitik zu ändern und die
Konjunktur anzukurbeln, sind offenbar gescheitert. Die
Leidtragenden der bedingungslosen Fortsetzung dieser
konjunkturfeindlichen Politik sind unter anderem die
kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserem
Land.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Herr Clement folgt willig dem Sparkurs des Finanzmi-
nisters und hat als Wirtschaftsminister mit seinem Vor-
schlag, die öffentlichen Investitionen für den Osten zu
kürzen, mindestens – ganz freundlich ausgedrückt – ein
Selbsttor geschossen. Gerade die kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen sind auf öffentliche Fördermittel
dringend angewiesen.

Sie wissen – viele wissen es augenscheinlich auch
nicht –, gerade im Osten sind in Anbetracht der gerin-
gen Liquidität die Unternehmen ohne Fördermittel häu-
fig vom Aus bedroht. Wer die GA-Mittel für den Osten
so dramatisch kürzen will, wie Herr Clement das in die
öffentliche Diskussion gebracht hat, der legt die Axt an
die Wurzel des Aufbaus Ost. Herr Clement ist zwar nicht
hier, aber trotzdem sollte man ihm ins Stammbuch
schreiben, dass er nicht mehr Ministerpräsident von Nord-
rhein-Westfalen und auch nicht der Kohlebeauftragte der
Bundesregierung ist, sondern Verantwortung für ganz
Deutschland trägt – und dazu gehört immer noch der Os-
ten.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Der so genannte Aufholprozess Ost ist seit Mitte der

90er-Jahre ins Stocken geraten. Der Abstand zwischen
Ost und West ist wieder größer geworden. 1997 betrug
zum Beispiel die durchschnittliche Kreditquote, bezo-
gen auf die Bilanzsumme, 66 Prozent; sie lag damit fast
doppelt so hoch wie bei westdeutschen Unternehmen.
Wer in Anbetracht solcher Zahlen Vorschläge wie Herr
Clement macht, der hat die ostdeutschen Länder augen-
scheinlich abgeschrieben. Das gehört angeprangert und
darf nicht hingenommen werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er ist gerade in Ostdeutschland unterwegs – nur damit Sie es wissen!)


– Unterwegs sein alleine reicht nicht. Wer solche Vor-
schläge macht, Herr Kollege Schmidt, reist nur, um
Trostpflaster aufzukleben. Herr Clement hat mit diesem
Vorschlag einen Schaden angerichtet, der kaum wieder
gutzumachen und auch mit einem Trostpflasterbesuch
nicht zu korrigieren ist.

Wir, die PDS, schlagen zur Stärkung des Mittelstan-
des unter anderem vor: erstens ein Infrastrukturpro-
gramm der Bundesregierung, das vor allem die Infra-
struktur von Städten und Gemeinden stärkt und kleinen
und mittelständischen Unternehmen Aufträge gibt, zwei-
tens einen neuen Finanzierungsschlüssel für die Ge-
meinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsstruktur, der
den Länderanteil von 50 Prozent auf 25 Prozent senkt. In
meiner Heimatstadt Berlin ist es zum Beispiel schon gar
nicht mehr möglich, alle vom Bund zugestandenen Mit-
tel der Gemeinschaftsaufgabe abzurufen, da das Land
aufgrund seiner Haushaltsnotlage die Kofinanzierung
nicht mehr bereitstellen kann.

Ich darf aber auch auf positive Erfahrungen zum Bei-
spiel der rot-roten Landesregierung in Schwerin mit ei-
nem Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramm
verweisen. Dieses Programm ist nämlich so angelegt,
dass die Regionen selbst über die Fördermittelzuweisung
entscheiden und dass sie dafür eigene Budgets haben.
Ich glaube, das ist der richtige Weg. Ein anderes gutes
rot-rotes Instrument sind Initiativfonds für finanzschwa-
che Kommunen, die mit den Mitteln aus diesen Fonds
Voraussetzungen für die Ansiedlung von Unternehmen
schaffen können. Ich bin mir sicher, dass es noch weitere
gute Ideen gibt, die von der Bundesregierung einfach nur
aufgegriffen, analysiert und umgesetzt werden müssen.

Ich möchte noch auf einige Punkte der heutigen De-
batte eingehen. Frau Kollegin Wöhrl hat zu Beginn der
Debatte völlig richtig gesagt


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Was?)

– bekommen Sie keinen Schreck, ich zitiere Sie nur –,
man solle den Faktor Arbeit von den Sozialabgaben ab-
koppeln. Sie wissen, dass wir von der PDS schon seit
langem den Vorschlag unterbreitet haben, eine Wert-
schöpfungsabgabe einzuführen. Wenn wir Frau Kolle-
gin Wöhrl an unserer Seite wissen, dann sind wir da-
rüber nicht enttäuscht, sondern freuen uns darüber.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Da haben Sie etwas falsch verstanden!)


Der Kollege Rezzo Schlauch hat die falsche Behaup-
tung aufgestellt, dass alle in diesem Haus für die Zusam-
menlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sind.
Ich darf für uns klarstellen, dass die Zusammenlegung






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch

von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ab dem 1. Januar
2005 bedeuten wird, dass die Menschen im Osten von
nur noch 331 Euro leben müssen und die Menschen im
Westen, die davon betroffen sind, von 345 Euro. Ich darf
klarstellen, dass ein derartiges Verfahren niemals die Zu-
stimmung der PDS finden wird. Wir als PDS-Abgeord-
nete gehören diesem Hause bekanntlich an.


(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die

besten Ideen nichts bringen, wenn die Bundesregierung
nicht bereit ist, ihre Finanzpolitik zu ändern. Herr Eichel
drosselt mit seiner Finanzpolitik die Konjunktur und
Herr Clement zwingt mit seinen Investitionskürzungs-
vorschlägen den Mittelstand weiter in die Knie. Insofern
kann man nicht von einer „Offensive für den Mittel-
stand“ sprechen; der Antrag von SPD und Grünen gau-
kelt dies leider nur vor.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511103700

Ich erteile dem Kollegen Walter Hoffmann, SPD-

Fraktion, das Wort.


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1511103800

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt,
glaube ich, in diesem Hause einen breiten Konsens in
der Einschätzung der Situation des Mittelstands bzw. der
kleinen und mittleren Betriebe in unserem Lande. Alle
haben betont, wie wichtig der Mittelstand ist, und die
Standorttreue besonders hervorgehoben. Ein Teil der
Redner hat auch die beschäftigungspolitische Bedeutung
des Mittelstands angesprochen. Es sind beeindruckende
Fakten, dass der Mittelstand 70 Prozent der Arbeitneh-
mer und 83 Prozent der Auszubildenden beschäftigt. Er
ist, wie es so schön heißt, das zentrale Standbein für die
Zukunft im erweiterten Europa und in einer globalisier-
ten Welt.

Da das so ist, tun wir gut daran, alles daranzusetzen,
die Situation der kleinen und mittleren Betriebe zu ver-
bessern. Darum streiten wir heute. Wir wollen, dass
Menschen gerade in den kleinen und mittleren Betrieben
Beschäftigung und Ausbildung finden, dass sich die
finanzielle Lage dieser Betriebe verbessert und wieder
Erträge eingefahren werden.

Herr Schauerte, man kann darüber streiten, ob die bis-
her erzielten Ergebnisse ausreichend sind.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ich meine, nicht!)


– Sie meinen, dass dies nicht der Fall ist. Wir haben dazu
naturgemäß eine etwas differenziertere und positivere
Einstellung. Aber ich denke, es ist unstrittig, dass wir in
den vergangenen Monaten und Jahren eine Fülle von
Maßnahmen ergriffen haben, um die Lage der mittleren
und kleinen Betriebe zu verbessern.
Zu den bürokratischen Belastungen und Regulie-
rungen ist schon vieles gesagt worden. Ich möchte dazu
noch einige Anmerkungen machen. Wie wir alle wissen,
bestehen die Belastungen für die KMUs nicht nur im
Steuer- und Abgabenbereich, sondern auch in der Büro-
kratie. Das hat die Kollegin Homburger von der FDP in
den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellt.

Wenn wir die Lage der kleinen und mittleren Betriebe
verbessern wollen, dann müssen wir zunächst einmal
feststellen, wodurch diese Lage gekennzeichnet ist. Zum
Mittelstand gehören der Friseur, der Dachdecker, der
Existenzgründer im IT-Bereich, der Autozulieferer mit
fast 500 Beschäftigten – auch er wird statistisch noch
dem Mittelstand zugerechnet –, der Metzger, der Ma-
schinenbauer, der Partyservicebetrieb und viele andere.
In den jeweiligen Branchen und Sektoren gibt es unter-
schiedliche Regelungen und Belastungen. Insofern ist es
schwierig, zu verallgemeinern.

Ich denke, es hilft uns auch nicht weiter – das ist
schon mehrfach festgestellt worden –, den Sachverhalt
immer wieder polemisch und schwarzmalerisch darzu-
stellen. Mir ist zum Beispiel völlig schleierhaft, warum
die Kollegen von der FDP in ihrem Antrag eine großflä-
chige Abschaffung statistischer Erhebungen fordern, ob-
wohl wir wissen, dass wir zumindest auf einen Teil der
Erhebungen dringend angewiesen sind und wir mit dem
Versuch, sie abzuschaffen, auf den härtesten Widerstand
stoßen würden, und zwar auch seitens der Politik. Denn
wir brauchen eine vernünftige Datenerfassung, um die
entsprechende Gesetzgebung auf den Weg zu bringen.
Ich will damit sagen, dass der Teufel im wahrsten Sinne
des Wortes im Detail steckt.

Wir haben gehandelt – das ist nach unserer Auffas-
sung auch unstrittig –; wir haben Maßnahmen entwickelt
und sind jetzt dabei, diese konkret umzusetzen. Wir ha-
ben schnell und unbürokratisch das Projekt „Innova-
tionsregionen“ geplant und umgesetzt – und zwar inner-
halb eines Jahres, Frau Homburger!

Wir haben mithilfe der Innovationsregionen eine
Fülle von Vorschlägen erarbeitet und diese vor wenigen
Tagen noch einmal in einem Kabinettsbeschluss zusam-
mengefasst, der jetzt zur Umsetzung kommt. Er enthält
29 Vorschläge unter aktiver Beteiligung der Betroffenen.
Das ist ein Prozess, der nicht von oben nach unten
durchgesetzt, sondern mit den beteiligten Organisationen
und den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet
wird. Zu den Vorschlägen gehören unter anderem die
Verschlankung des Vergaberechts, die Modernisierung
der Arbeitsstättenverordnung, die Reduzierung des Ver-
waltungsaufwands im Arbeitsschutzbereich, elektroni-
sche Verfahren bei Steuererklärungen und einfache Mel-
deverfahren in der Sozialversicherung.

In extrem kurzer Zeit haben wir eine Fülle von Vor-
schlägen mit den Beteiligten entwickelt und auf den ge-
setzgeberischen Weg gebracht. Jetzt befinden wir uns in
der Umsetzungsphase. Herr Schauerte, Sie brauchen
keine Angst vor Ruhe und Stillstand in diesem Land zu
haben. Wir werden den bisherigen Prozess fortsetzen.
Ich denke, der Problemdruck ist in der Tat so hoch, dass
wir uns Stillstand und Ruhe im wahrsten Sinne des Wor-






(A) (C)



(B) (D)


Walter Hoffmann (Darmstadt)


tes überhaupt nicht erlauben können. Machen Sie sich
keine Sorgen! Wir werden in unserem bewährten Stil
weiter handwerklich solide und qualitativ hochwertige
Arbeit leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden also weiter Vorschläge sammeln und Maß-
nahmen umsetzen.

Ich finde es gut, dass Sie uns in Ihrem Antrag für die
Modellregionen – schön, dass das auch einmal ge-
schieht – ausdrücklich loben. Jetzt können Sie uns auf
der Bundesratsebene weiterhelfen; denn ein Großteil
dessen, was wir vorgeschlagen haben, ist zustimmungs-
pflichtig. Nehmen Sie entsprechend Einfluss auf die
Bundesländer, in denen Sie etwas zu sagen haben!

Ich möchte noch darauf hinweisen, dass ich in der Tat
den Stil der Diskussion über die Mittelstandspolitik so-
wie über Entbürokratisierung und Deregulierung zum
Teil für kontraproduktiv halte. Es hilft uns nicht weiter,
die Situation ständig schwarzmalerisch darzustellen. Ich
möchte damit die Probleme der kleinen und mittleren
Betriebe nicht klein reden; darum geht es mir überhaupt
nicht. Wenn wir aber Dynamik erzeugen und Menschen
motivieren wollen, Unternehmen zu gründen, Arbeits-
plätze zu schaffen und Ausbildungsplätze zur Verfügung
zu stellen, dann schaffen wir das nicht mit Schwarzmale-
rei und depressiven Zustandsbeschreibungen.

Das Institut für Mittelstandsforschung hat im letzten
Jahr – meine Kollegin von der FDP hat das vorhin ange-
sprochen – eine breit angelegte Untersuchung über die
Belastung des Mittelstandes sowie über Deregulierung
und Regulierung angestellt. Diese hat eine Fülle, wie ich
finde, sehr nachdenkenswerter Ergebnisse gezeitigt. Ein
Ergebnis ist, dass die subjektiv empfundene Bürokratie-
belastung der Unternehmen größer ist als die tatsächlich
nachgewiesene. Ich wiederhole: Die subjektiv empfun-
dene Bürokratiebelastung der Unternehmen ist größer
als die tatsächlich nachgewiesene! Ich bitte, einmal da-
rüber nachzudenken, wie das zustande kommen kann
und wo die konkreten Ursachen dafür liegen. Wenn man
das tut, kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass
das an einer schwarzmalerischen Stimmungsmache liegt,
die sich auf viele Mittelständler in diesem Land in der
Tat demotivierend auswirkt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511103900

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit!


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1511104000

Das sollten Sie bei der Formulierung Ihrer Anträge

berücksichtigen.
Deswegen appelliere ich an Sie noch einmal: Drama-

tisieren Sie die Lage nicht, sondern arbeiten Sie stattdes-
sen an der konkreten Umsetzung unserer Vorschläge
mit! Ein konkreter Vorschlag ist: Lassen Sie uns keine
überflüssigen Anträge mehr einbringen! Das wäre ein
großer Beitrag zum Abbau von Bürokratie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511104100

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1511104200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

„Schönredner“ ist ein Begriff, der im Süden der Repu-
blik stark verbreitet ist. Dieser Begriff trifft heute auf
Sie, Herr Schlauch, voll und ganz zu. Wenn ich das, was
Herr Kuhn ausgeführt hat, richtig verstanden habe, dann
hat er zwar viel geredet, aber zum Mittelstand überhaupt
nichts gesagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Schlimme ist: Sie reden schön, Sie reden sich selbst
etwas ein und Sie glauben das auch noch, was Sie sich
einreden.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In welcher Welt leben Sie denn?
Die Lage des Mittelstandes war noch nie so katastro-

phal wie zurzeit. Allein in den letzten zwei Jahren gab es
80 000 Insolvenzen. Jeden Tag kommen weitere 100
hinzu. Herr Hoffmann, das sind dreimal so viele Kon-
kurse wie vor zehn Jahren und fünfmal so viele wie vor
25 Jahren.


(Christine Scheel NEN: Weil das Konkursrecht geändert worden ist!)


Die Unternehmen laufen in Scharen davon. Jeden Tag
verlieren wir über 1 000 Arbeitsplätze an das Ausland.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf Folgen-
des hinweisen: Die – staatlich großzügig subventionier-
ten – Ich-AGs graben den Steuern und Abgaben zahlen-
den Meisterbetrieben zu guter Letzt das Wasser ab. Die
Bundesagentur für Arbeit muss in diesem Fall fast
1 Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Meine Damen
und Herren von Rot-Grün, Sie setzen mit dieser verfehl-
ten Politik weitere Zehntausende von Arbeits- und Aus-
bildungsplätzen aufs Spiel. Deshalb fordere ich: Schaf-
fen Sie die Ich-AGs sofort wieder ab. Eine solche
Regelung gibt es in der ganzen EU kein zweites Mal.
Dänemark und Schweden haben das einmal ausprobiert.
Auch sie haben Schiffbruch erlitten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Seit Rot-Grün bei uns regiert, sind wir, Deutschland,
nicht mehr die Lokomotive des europäischen Wirt-
schaftszuges, sondern wir sitzen im Bremserhäuschen
und werden zur Last für die wirtschaftliche Entwick-
lung Europas.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Alte Reden werden jetzt wieder aufgewärmt!)







(A) (C)



(B) (D)


Ernst Hinsken

Herr Kollege Stiegler, nur noch Griechenland, Portugal
und Spanien liegen hinter uns. Alle anderen sind vor uns.
Fakt ist: In Deutschland sind – das kann nicht oft genug
gesagt werden – die Nettolöhne einfach zu niedrig und
die Bruttoarbeitseinkommen zu hoch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir sind zu teuer, wir sind zu bürokratisch und wir sind
zu wenig innovativ.


(Cornelia Pieper [FDP]: So ist es!)

Die Ursachen liegen auf der Hand: Sie haben den

Mittelstand vernachlässigt; Sie haben ihm unverkraft-
bare Fesseln angelegt. Seit 1998 haben Sie einen
Knüppel nach dem anderen aus dem Sack geholt. Ich
rufe hier ins Gedächtnis: Lohnfortzahlungsgesetz ge-
kippt, 630-DM-Regelung abgeschafft, Kündigungs-
schutzschwelle angehoben und das Betriebsverfassungs-
gesetz auf Mittel- und Kleinbetriebe ausgeweitet. Zum
Beispiel kamen zu den Kosten von 6 Milliarden Euro
noch 1,2 Milliarden Euro hinzu. Das ist ein Beschäfti-
gungsprogramm für den DGB, aber nicht für die Bürger
unseres Landes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Genauso wurde ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit
umgesetzt. Ergebnis: minus 250 000 Arbeitsplätze. Die
Bürokratie wurde ausgeweitet. Die Steuern wurden er-
höht. Ich erinnere nur an die Einführung der Ökosteuer.
Den Investitionshaushalt haben Sie gekürzt. Herr Minis-
ter Stolpe, Sie sind dabei der Leidtragende – ich fühle
mit Ihnen –, weil Sie kein Geld mehr haben, um die Bau-
wirtschaft anzukurbeln. Jetzt kommen Sie von Rot-Grün
noch mit der Ausbildungsplatzabgabe und anderem.

Sie wundern sich, dass bei uns in der Bundesrepublik
Deutschland nichts mehr läuft. Katzenjammer ist an der
Tagesordnung. Aber das kommt ja nicht von ungefähr.
Es ist alles hausgemacht, wie meine Vorrednerinnen
Frau Bellmann und Frau Wöhrl bereits gesagt haben.

Dem Macher Schröder unterläuft viel Murks. Er lässt
den Mittelstand im Regen stehen. Uns muss quer durch
das ganze Parlament besonders berühren, dass der Mit-
telstand von der Substanz lebt. Die Ertragslage hat sich
drastisch verschlechtert. Es muss doch alarmieren, dass
35 Prozent der kleinen Unternehmen mit einem Umsatz
unter 250 000 Euro überhaupt keinen Gewinn mehr ma-
chen und dass nur ein Drittel der größeren Unternehmen
mit einem Umsatz zwischen 5 Millionen Euro und
50 Millionen Euro einen Gewinn erzielen.

Die Eigenkapitaldecke wird immer dünner. Sie be-
trägt im Schnitt höchstens 6 Prozent der Bilanzsumme.
Mehr als ein Drittel der Betriebe weist in der Bilanz kein
Eigenkapital mehr aus. Bei kleineren Betrieben mit
einem Umsatz bis 500 000 Euro sind es sogar mehr als
die Hälfte. Dennoch sagen Sie: Mit dem Mittelstand geht
es aufwärts; es ist alles in Butter; wir werden die Pro-
bleme meistern. Nein, Sie haben dem Mittelstand das
Leben schwer gemacht, Sie haben ihn vernichtet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! Völliger Unsinn! Mit solchen Reden kommen wir auch nicht weiter! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind ein Schwarzseher!)


Ende 2003 befürchteten über zwei Drittel aller Fir-
men mit weniger als 50 Beschäftigten und mehr als die
Hälfte der Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern für
2004 noch schlechtere Finanzbedingungen. Frau Kolle-
gin Wöhrl, Sie haben vorhin darauf zu Recht verwiesen;
aber hier wird es nicht verstanden.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Hier werden Programme gemacht, um dem abzuhelfen!)


Die Botschaft ist noch nicht ganz angekommen.
Das Wichtigste ist, dass wir den Mittelstand wieder

stärken. Das ist das A und O. Durch die Stärkung des
Mittelstandes werden Wachstum und Beschäftigung ge-
fördert. Vor allen Dingen deshalb müssen vernünftige
Rahmenbedingungen geschaffen werden. Für einen Auf-
schwung in Deutschland brauchen wir einen Befreiungs-
schlag – ich möchte dazu sechs kurze Punkte vor-
tragen –: erstens einen Steuerabbauplan für die nächsten
fünf Jahre, zweitens echte Reformen zur Senkung der
Lohnzusatzkosten, drittens weniger Bürokratie, viertens
eine Offensive für Investitionen, Innovationen und Exis-
tenzgründungen, fünftens eine Flexibilisierung des Ar-
beitsmarktes, sechstens längere Arbeitszeiten bei glei-
chem Lohn.

Mittelstand und Existenzgründer gehören wieder ins
Zentrum der Wirtschaftspolitik. Dahin werden wir sie
auch rücken, weil Sie das versäumt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir brauchen mehr Freiraum für Selbstständigkeit. Seit
drei Jahren werden in Deutschland immer weniger Un-
ternehmen gegründet. Herr Lange, was Sie gesagt haben,
stimmt gar nicht. Wir haben auch beim Handwerk ein
ganz großes Minus zu verzeichnen, nämlich den Verlust
von über 100 000 Arbeitsplätzen allein in diesem Jahr.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Fragen Sie nach beim Statistischen Bundesamt! Lies nach! Nicht immer die alten Reden wiederholen!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen:
Der Selbstständigenanteil liegt bei uns in der Bundesre-
publik Deutschland leider nur noch bei 10 Prozent. In
der EU liegt er noch bei 16 Prozent. Dieser Trend zu
einem immer geringeren Anteil muss endlich umgekehrt
werden.

Mittelständler gehen, auch was Arbeitszeit anbelangt,
mit gutem Beispiel voran.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das kann man wohl sagen!)


Die Jahresarbeitszeit ist bei ihnen um etwa 50 Prozent
höher als bei vielen ihrer Mitarbeiter. Sie packen an, so-
dass es wieder aufwärts geht. Wir alle sind aufgefordert,






(A) (C)



(B) (D)


Ernst Hinsken

dem Mittelstand endlich die Chance zu geben, sich wie-
der so zu entfalten, wie er es verdient. Wenn er auf Sie
von Rot-Grün setzt, ist er verlassen. Wir werden dafür
sorgen, dass es wieder vernünftige Rahmenbedingungen
für den Mittelstand gibt und es wieder aufwärts geht, wie
Kollege Schauerte das vorhin gesagt hat.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nur Polemik!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511104300

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf der Drucksache 15/3221. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die An-
nahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/351 mit
dem Titel „Offensive für den Mittelstand“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer möchte sich der Stimme enthalten? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion auf Druck-
sache 15/349 mit dem Titel „Grundsätzliche Kehrtwende
in der Wirtschaftspolitik statt neue Sonderregeln – Mit-
telstand umfassend stärken“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Wer möchte sich
der Stimme enthalten? – Auch diese Beschlussempfeh-
lung ist mehrheitlich angenommen.

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck-
sache 15/357 mit dem Titel „Neue Chancen für den Mit-
telstand – Rahmenbedingungen verbessern statt Förder-
dschungel ausweiten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Mit Mehrheit ist die Empfehlung ange-
nommen.

Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa-
che 15/752 mit dem Titel „Statistiken reduzieren – Un-
ternehmen entlasten – Bürokratie abbauen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Mit gleicher
Mehrheit ist auch diese Beschlussempfehlung angenom-
men.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Wirtschaft
und Arbeit unter Buchstabe e seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 15/3221 die Ablehnung des An-
trags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1134 mit
dem Titel „Modellregionen für Deregulierung und Büro-
kratieabbau“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehr-
heit des Hauses angenommen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und b so-
wie die Zusatzpunkte 3 bis 5 auf:
5. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Arnold
Vaatz, Werner Kuhn (Zingst), Ulrich Adam, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Ostdeutschland eine Zukunft geben
– Drucksache 15/3047 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
– Drucksache 15/776 –

(Erste Beratung 56. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (15. Ausschuss)

– Drucksache 15/2956 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Cajus Julius Caesar
Undine Kurth (Quedlinburg)

Angelika Brunkhorst

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltiges Wachstum in Ostdeutschland si-
chern
– Drucksache 15/3201 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim
Günther (Plauen), Eberhard Otto (Godern),
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Ostdeutschland als Speerspitze des Wandels –
Leitlinien eines Gesamtkonzepts für die neuen
Länder
– Drucksache 15/3202 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen),
Eberhard Otto (Godern), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Keine Kürzungen bei den Verkehrsprojekten
in Ostdeutschland
– Drucksache 15/3203 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache eindreiviertel Stunden vorgesehen. –
Ich höre und sehe keinen Widerspruch dazu. Dann ist
das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem
Kollegen Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1511104400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In den letzten Wochen entstand in Deutschland
eine Debatte über den Aufbau Ost. So pauschalierend
und abwertend man teilweise diese Debatte geführt hat
und so verfehlt meines Erachtens auch die übereilte
Schlussfolgerung ist, dass der Aufbau Ost gescheitert
sei,


(Beifall des Abg. Siegfried Scheffler [SPD])

so bleibt aber doch festzuhalten, dass es zwar manchmal
übertrieben war, wie man die Debatte geführt hat, es
aber nötig war, dass sie geführt wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Siegfried Scheffler [SPD])


Natürlich ist der Aufbau Ost nicht gescheitert. Wir
dürften uns aber alle darin einig sein, dass er in enormen
Schwierigkeiten steckt. Wir können nicht hinnehmen,
dass die Stagnation in Ostdeutschland, die bereits etwa
sieben Jahre anhält, noch weitere sieben Jahre zu ertra-
gen ist. Wir müssen hier umsteuern. Wir brauchen neue
Perspektiven für Ostdeutschland. Es müssen Identifika-
tionsmöglichkeiten mit Zielen geschaffen werden, die
tatsächlich attraktiv und auch realisierbar sind. Im Au-
genblick können wir bei der Regierung herzlich wenig
diesbezügliche Ansätze erkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir sind uns natürlich da-

rüber im Klaren, dass es immer Unterschiede zwischen
den Regionen in Deutschland geben wird, dass sich die
Leistungsfähigkeit und die Entwicklungsgeschwindig-
keit unterscheiden werden. Wir können aber nicht damit
einverstanden sein, dass in letzter Zeit keine Konvergenz
mehr, sondern eine Divergenz zu verzeichnen ist. Die
Tatsache, dass der polnische Präsident Kwasniewski
gestern, nachdem er zunächst auf Polnisch darauf hinge-
wiesen hatte, wie sich die Lage in Polen entwickele und
dass man 6 Prozent Wachstum habe, sich zum Herrn
Bundeskanzler umdrehte und ihm, damit er das auch
mitbekomme, mit polnischem Einschlag auf Deutsch
sagte: „6 Prozent, Gerhard!“, stellt natürlich eine Abwat-
schung der Politik der Bundesregierung dar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainer Fornahl [SPD]: Das ist ja lächerlich!)


Das zeigt insbesondere, dass Ostdeutschland mittler-
weile in seiner Entwicklung gegenüber den östlichen
Nachbarstaaten zurückgefallen ist. Das ist ein ganz be-
sonders deprimierender Zustand, weil wir eben, wie ge-
sagt, in den ersten Jahren eine ganz andere Geschwin-
digkeit vorgelegt hatten.

Was ist festzustellen? Es gibt eine ganze Reihe von
strukturellen Nachteilen in der Infrastruktur. Wir kön-
nen nicht hinnehmen, dass diese Nachteile nicht unver-
züglich aufgearbeitet werden. Wir können nicht hinneh-
men, dass sie sich verfestigen und ein dauerhaftes
Hindernis im Konvergenzprozess bilden.

Wir stellen fest, dass die Wirtschaftskraft in Ost-
deutschland seit längerer Zeit auf einem Niveau von
zwei Dritteln der des Westens verharrt. Das ist viel zu
wenig für den Aufwuchs von Unternehmenskapital, das
ist zu wenig, um Kaufkraft selbst zu erzeugen, das ist zu
wenig, um eine Konsolidierung der öffentlichen Finan-
zen zu ermöglichen. Es sind zu wenig Arbeitsplätze ent-
standen und die Anzahl der insolvenzgefährdeten Be-
triebe nimmt leider zu. Der Herr Bundeskanzler wollte
sich einmal am Abbau der Arbeitslosigkeit in Ost-
deutschland messen lassen. Wir müssen heute leider
feststellen, dass ein Abbau von Arbeitsmöglichkeiten in
Ostdeutschland eingetreten ist: Nicht die Arbeitslosig-
keit ist verringert worden, sondern die Arbeitsplatz-
dichte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das belastet nicht nur die Sozialsysteme und die Sozial-
kassen, es belastet vor allen Dingen die betroffenen
Menschen, die entweder abwandern oder resignieren. Es
darf nicht sein, dass die Politik den Menschen in Ost-
deutschland solche Botschaften vermittelt.

Die Unternehmenslandschaft in Ostdeutschland
wächst insgesamt zu langsam. Sie ist noch immer klein-
teilig. Von einem wirklich starken Mittelstand, wie er
das Kennzeichen der wachstumsstarken westdeutschen
Länder ist, können wir in Ostdeutschland bislang nur
träumen. Die regionalen Wachstumszentren, über die wir
froh sind, verdanken wir in erster Linie der erfolgreichen
Ansiedlungspolitik der Länder. Wir verdanken das aber
auch beihilferechtlichen Sonderregelungen und besonde-
ren Finanzierungsinstrumenten, zum Beispiel den EU-
Strukturmitteln und den GA-Mitteln. Deshalb ist es
umso unverständlicher, dass uns diese Finanzierungs-
instrumente, wenn es nach der Regierung geht, künftig
nach und nach aus der Hand geschlagen werden sollen.
Das werden wir nicht zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz

Meine Damen und Herren, die entscheidende Frage

ist für uns: Wie kommen wir zu wettbewerbsfähigen
Arbeitsplätzen? Da haben bis jetzt alle Rezepte dieser
Bundesregierung völlig versagt.


(Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die der vorhergehenden!)


– Auch die CDU/CSU-FDP-geführte Bundesregierung
hat in diesem Bereich keine Lösung zustande gebracht;
das ist leider wahr. – Aber weil das so ist, verlangen wir
von Ihnen jetzt: Schluss mit dem Aussitzen, Schluss mit
der Illusion, man könne das Arbeitsvolumen durch Um-
verteilung von Arbeit erhöhen, Schluss mit der Arroganz
gegenüber all jenen, die sich, wie zum Beispiel Klaus
von Dohnanyi, Gedanken machen, wie man die Situation
wenden kann, Schluss mit der Arroganz, ein „Weiter so“
zu wollen, wie es der heute vorliegende Koalitionsantrag
beschreibt! Wir wollen ein Umsteuern, wie es zum Bei-
spiel Klaus von Dohnanyi und Georg Milbradt detailge-
nau vorgeschlagen haben.


(Cornelia Pieper [FDP]: Und die Landesregierung von Sachsen-Anhalt!)


Wir wollen wenigstens eine offene Diskussion darüber.
Wir wollen nicht, dass eine Diskussion durch Besuche
des Bundeskanzlers in Schwerin mit der Bemerkung, es
sei ja alles in Butter, sofort unterbrochen und abgewürgt
wird; denn so verfestigt sich die Stagnation.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie sind die personifizierte Stagnation!)


Es ist bedauerlich, dass Sie bis jetzt keine konzeptio-
nellen Vorstellungen haben, obwohl Sie aus Ihren eige-
nen Reihen deutlich kritisiert werden: von Herrn Hacker,
Herrn Schneider, Herrn Hilsberg; auch Herr Hettlich hat
sich dazu geäußert. Aber offenbar ist Ihnen über das
Kurshalten hinaus noch nichts eingefallen.

Wenn Sie aber Kurs halten wollen, dann müssen Sie
den Menschen auch erklären, was Kurshalten heißt.
Beim Emissionshandel zum Beispiel bedeutet es, dass
auch die neueren Festlegungen dazu führen werden, dass
die modernisierte Stromwirtschaft in Ostdeutschland die
noch vorzunehmende Modernisierung in Westdeutsch-
land finanzieren wird. In Ostdeutschland stehen die mo-
dernsten Kraftwerke, die es heute gibt, mit einem bereits
entsprechend niedrigen Emissionsvolumen. Deshalb ist
es technisch überhaupt nicht möglich, die Emissionen im
gesetzlich vorgeschriebenen Maße weiter zu reduzieren.
Die Stromwirtschaft Ost muss daher von den alten Kraft-
werken West Zertifikate kaufen. Mit dem Verkauf dieser
Zertifikate können die Kraftwerke in Westdeutschland
ihre eigene Modernisierung bezahlen. Das bedeutet, die
Kraftwerke in Ostdeutschland bezahlen zuerst ihre ei-
gene Modernisierung und dann auch noch die Moderni-
sierung in Westdeutschland. So sieht der Aufbau Ost in
Sachen Emissionshandel aus!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511104500

Herr Kollege Vaatz, der Kollege Hilsberg würde Ih-

nen gerne eine Zwischenfrage stellen.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1511104600

Ja, bitte.


Stephan Hilsberg (SPD):
Rede ID: ID1511104700

Sehr geehrter Herr Kollege Vaatz, sind Sie bereit, zur

Kenntnis zu nehmen, dass im gesamten Bereich des Na-
tionalen Allokationsplanes die Early-Action-Bemühun-
gen für den ostdeutschen Stromkonzern Vattenfall zu
100 Prozent umgesetzt wurden?


(Ludwig Stiegler [SPD]: Er ist nicht auf dem neusten Stand!)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1511104800

Nein, sie sind nicht zu 100 Prozent umgesetzt wor-

den, sondern, soviel ich weiß – –

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihr Wissen ist wirklich begrenzt! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sie wissen nicht genug!)


Ich habe gestern gehört, dass das gerade nicht so ist.

(Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Peinlich! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Höret die Signale! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer hat das denn gesagt, Herr Vaatz?)


Aber umso besser. Wenn das so ist, werden wir sehen.
Ich bin gerne bereit, mit den Kollegen noch einmal zu
reden; vielleicht sind sie ja zufrieden. Bis jetzt haben sie
mir das nicht signalisiert.

Kommen wir zum Thema Verkehrswegeplanungs-
beschleunigungsgesetz. Die Lücken in der Verkehrswe-
geinfrastruktur in Ostdeutschland hätten wir mit Pla-
nungsverfahren, die etwa zehn bis 25 Jahre dauern,
schließen müssen, wenn wir nicht die Möglichkeit ge-
habt hätten, das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
gungsgesetz anzuwenden. Dieses Gesetz hat die Pla-
nungszeiträume in Ostdeutschland erheblich verkürzt.
Es hat uns dadurch viel Zeit und viel Geld gespart.

Aber jetzt hören wir, dass die Verlängerung der Gel-
tungsdauer dieses Gesetzes keineswegs gesichert ist.
Oder bestreiten Sie auch das etwa? Vielleicht haben Sie
ebenfalls gestern Nacht den Beschluss gefasst, die Gel-
tungsdauer dieses Gesetz zu verlängern.


(Franz Müntefering [SPD]: Was wissen Sie denn da, Herr Vaatz?)


Die Verlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes ist
also, wie gesagt, noch nicht beschlossen.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Es gilt aber noch!)

Das bedeutet, dass wir früher oder später in das alte bun-
desrepublikanische Planungsrecht zurückfallen werden.
Das wiederum bedeutet, dass wir viel Geld in die Ver-
waltungsarbeit und in Gerichtsprozesse stecken müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz

Die Konsequenz ist, dass der Aufholprozess im Bereich
des Verkehrswegebaus weiter stagnieren wird.

Zum Thema Strukturpolitik kündigt die Bundes-
regierung an, dass sie sich bei der EU für das Fort-
gelten der Strukturförderung der neuen Bundesländer als
Ziel-1-Gebiete weiter einsetzen will und dass auch die
beihilferechtlichen Spielräume bis 2013 erhalten bleiben
sollen. Was passiert aber nun? Trotz zehn neuer Mit-
gliedstaaten streitet die Bundesregierung vehement für
eine Deckelung des EU-Haushalts bei 1 Prozent des
Bruttosozialprodukts. Die weitere Strukturförderung der
Ziel-1-Gebiete wird nicht mehr möglich sein, wenn Sie
bei dieser Haltung bleiben.

All das scheint nicht richtig zusammenzupassen. Des-
halb appellieren wir an Sie, Ihre bisherige Position zum
Aufbau Ost zu ändern. Die CDU/CSU-Fraktion hat ei-
nen Antrag mit dem Titel „Ostdeutschland eine Zukunft
geben“ vorgelegt. Das ist der Gegenentwurf zu Ihrem
Kurshalten.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Vergangenheit ist das! – Franz Müntefering [SPD]: „Gegenentwurf zum Kurshalten“? Was ist das denn?)


„Ostdeutschland eine Zukunft geben“ beinhaltet eine
lange Liste von konkreten Maßnahmen. Wir denken,
dass wir wesentlich mehr Anstrengungen unternehmen
müssen, um die Herstellung von innovativen und markt-
fähigen Produkten sowie den Ausbau der Dienstleistun-
gen in Ostdeutschland zu fördern. Nur auf diese Weise
können neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Wir erwarten von Ihnen, dass Sie mit den verkruste-
ten Arbeitsmarktstrukturen aufräumen und dass Sie über
die Neuregelung des Kündigungsschutzes dazu beitra-
gen,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie wollen es ohne Kündigungsschutz! Seien Sie doch ehrlich!)


dass Arbeitskräfte leichter eingestellt werden können
und dass das Missverhältnis zwischen hohen Überstun-
denvolumen und hohen Arbeitslosenzahlen nach und
nach beseitigt wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511104900

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ihre Zeit ist abgelaufen!)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1511105000

Herr Präsident, noch eine Schlussbemerkung.
Wir erwarten von Ihnen, dass es eine geeignete Lohn-

findung gibt, damit der Niedriglohnsektor erschlossen
werden kann. Wir erwarten von Ihnen insgesamt mehr
Freiheit, was die Gestaltungsmöglichkeiten der ostdeut-
schen Landesregierungen angeht. Wir erwarten insbe-
sondere, dass es bei Ihrer Zusage bleibt, die Solidarpakt-
mittel in Höhe von 156 Milliarden Euro unangetastet zu
lassen.


(Franz Müntefering [SPD]: Was soll das denn jetzt? Das hat keiner in Zweifel gezogen!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105100

Herr Kollege, es hilft alles nichts: Ihre Redezeit ist

abgelaufen.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1511105200

Angesichts der heutigen Situation müssen wir be-

fürchten, dass das Streichkonzert hinsichtlich der GA-
Mittel den Solidarpakt allmählich aushöhlen wird


(Franz Müntefering [SPD]: Was wollen Sie uns da unterstellen?)


und uns die Planungsgrundlage für die Zukunft entzogen
wird. Genau das wollen wir vermeiden. Wenn Sie sich
unserer Position anschließen würden, wäre das genau die
richtige Botschaft für Ostdeutschland.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105300

Ich weise noch einmal darauf hin, dass die Redezeit

vom Präsidium nicht festgelegt, sondern nur verwaltet
wird. Wenn die tatsächliche Redezeit im Verhältnis zu
der angemeldeten Redezeit deutlich überschritten wird,
trifft dies die nachfolgenden Redner der jeweiligen Frak-
tion.

Nun erteile ich dem Bundesminister Manfred Stolpe
das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Vaatz, in einem Punkt stimme ich mit Ih-
nen völlig überein: Die österliche Medienflaute wurde
durch Berichte über den Aufbau Ost beendet. Ich be-
trachte es nicht als einen Schaden, dass dieses Thema
wieder ernsthaft diskutiert worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings haben wir dabei auch sehr viel Unsinn hören
müssen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Das kann man wohl sagen!)


Was mich am meisten verbittert hat, ist die ständige Wie-
derholung der Aussage, dass seit 1990 über 1 Billion
Euro in den Osten geflossen sind, ohne dabei zu berück-
sichtigen, dass die reine Zuweisung von Mitteln in den
Osten über diese 15 Jahre gerade einmal circa 150 Mil-
liarden Euro umfasst. Alles Übrige, all das, was darüber
hinausgeht, betrifft Leistungen und Rechtsverpflichtun-
gen, die in ganz Deutschland gelten und auch an anderen
Stellen bezahlt worden sind.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Schlimme an solchen Aussagen ist ja, dass dies
Stimmungsmache ist und es spaltet. Das verunsichert






(A) (C)



(B)


Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe

und entmutigt die Menschen in Ostdeutschland. Aber
Mut und Selbstbewusstsein sind neben der verlässlichen
Solidarität aus ganz Deutschland das Wichtigste, was die
Menschen im Osten brauchen. Ein ganz wichtiger Fak-
tor, der oft unterschätzt wird und nicht übersehen werden
darf, ist die psychologische Komponente. Entmutigen,
verunsichern ist das Schlimmste, was wir machen kön-
nen, um den Aufbau Ost zu verhindern.


(Beifall bei der SPD)

Leipzig kam mit seiner Olympiabewerbung leider

nicht in die nächste Runde. Aber der Löwenmut im Rah-
men dieser Bewerbung und die breite Unterstützung die-
ses Projektes quer durch ganz Deutschland haben ge-
zeigt, dass man gemeinsam etwas bewegen kann, einen
Aufbruch erreichen kann. Ich glaube, das ist eine Hal-
tung, die wir für den Aufbau Ost insgesamt brauchen.
Dieser kann uns dann gelingen, wenn man sich so unter-
hakt, wie es bei diesem Projekt gemacht worden ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider kommen auch immer wieder falsche Signale.
Dies gilt zum Beispiel für die Sorge, ob der Aufbau Ost
den Sparzwängen zum Opfer fällt. Alle wissen um die
Notwendigkeit der Konsolidierung. Die Vorschläge des
Vermittlungsausschusses zum Subventionsabbau wurden
von allen getragen. Nun erleben wir eine Debatte, in der
ein Widerspruch zwischen Subventionsabbau und dem
Aufbau Ost im Hinblick auf eventuelle Kürzungen im
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe auftaucht. Die GA
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ – das
muss hier in aller Klarheit gesagt werden – ist eines der
erfolgreichsten Förderinstrumente.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die GA mobilisiert ganz gezielt wettbewerbsfähige In-
vestitionen. Sie schafft Arbeitsplätze. Sie erhält Arbeits-
plätze. Sie entwickelt wirtschaftliche Stärken. Sie hilft
Ostdeutschland und damit ganz Deutschland. Sie ist als
ein Förderinstrument unverzichtbar.

Deshalb ist es richtig, dass alle Ministerpräsidenten
der ostdeutschen Länder die Fortsetzung der GA for-
dern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fortsetzen heißt, nicht scheibchenweise in die Bedeu-
tungslosigkeit kürzen, sondern sichern und verstetigen,
solange ein dringender Bedarf besteht. Ich unterstütze
diese Forderung ausdrücklich. Alle Menschen in Ost-
deutschland erwarten dies. Die GA muss als wesentli-
ches Element der Investitionsförderung in Ostdeutsch-
land erhalten bleiben. Dieses Signal brauchen wir jetzt.
Dazu ist mit der heutigen Beschlussfassung eine Chance
gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Wirtschaftsförderung in den neuen Ländern
darf nicht stillstehen. Wir brauchen Planungssicherheit,
damit kein weiterer Schaden entsteht. Deshalb begrüße
ich den Antrag der Koalitionsfraktionen, die das klar for-
dern. Unsere Zukunft dürfen wir nicht durch Einsparun-
gen an der falschen Stelle gefährden. Die eingeplanten
Mittel müssen vollständig freigegeben werden.

Meine Damen und Herren, natürlich geht es dem
Wirtschaftsminister nicht besser als dem Verkehrsminis-
ter. Der Haushalt 2005 ist noch nicht beschlossen. Die
nötigen Mittel sind noch nicht freigegeben. Wir können
noch nicht ausgeben, was wir noch nicht haben. Ich gehe
jedoch davon aus, dass mit der Aufstellung des Haushal-
tes für 2005 die Handlungsfähigkeit im Hinblick auf die
GA wiederhergestellt werden kann. Das ist unverzicht-
bar. Das ist auch eine Bitte an alle, die hier mitdenken
und mithelfen.


(Beifall bei der SPD – Renate Blank [CDU/ CSU]: Nur das Prinzip Hoffnung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Wort in Gottes Ohr!)


Es bleibt dabei: Der Solidarpakt II gilt. Niemand
stellt ihn infrage. Bis Ende 2019 stehen für den Aufbau
Ost weitere 156 Milliarden Euro bereit. Darüber hinaus
haben wir die europäische Strukturhilfe zur Verfügung.
Länder und Bund sollten sich aber bald darauf verständi-
gen, wie den auf europäischer Ebene drohenden Ausfäl-
len begegnet werden kann.


(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Wir werden vonseiten der Regierung alles versuchen,

um eine moderate Umstellung der europäischen Struk-
turhilfe zu erreichen. Zumindest muss aber ein nationa-
ler Ausgleich vorgesehen werden, und zwar gesichert
durch europäisches Beihilferecht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf keinen Fall aber darf durch die Osterweiterung
der Europäischen Union ein folgenschwerer Rückschlag
für den Aufbau Ost entstehen. Ähnliches gilt übrigens
auch für andere benachteiligte Regionen in Deutschland,
die ebenfalls auf Strukturhilfen aus Brüssel angewiesen
sind.

Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, zusammen mit
den Ländern den wirksamsten Einsatz der zur Verfügung
stehenden Mittel zu vereinbaren. Jetzt, zur Halbzeit des
Aufbaus Ost, wenige Monate vor dem In-Kraft-Treten
des Solidarpaktes II, ist der richtige Zeitpunkt, die künf-
tigen Schwerpunkte zu bestimmen. Bundesminister
Clement und ich haben Praktiker der Wirtschaft und wis-
senschaftliche Analytiker eingeladen, um ihre Vorstel-
lungen zum Aufbau Ost zu hören. Ergebnisse sind zum
Sommer zu erwarten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105400

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Kretschmer?
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-

kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Lieber erst hinterher, da die Uhr weiterrennt.

(D)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105500

Die Uhr rennt natürlich nur dann weiter, wenn wir sie

nicht stoppen, was wir bei Zwischenfragen aber immer
tun.

Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:

Noch wird heftig gestritten, aber Schwerpunkte zeich-
nen sich schon ab. Die Beschleunigung der Reindustria-
lisierung ist zwingend. Finanzierungswege für die Neu-
gründung und Bestandssicherung mittelständischer
Unternehmen müssen schneller gegangen werden kön-
nen. Die deutliche Verstärkung von Wissenschaft und
Forschung als Wirkungskräfte der Wirtschaft ist ein ent-
scheidender Hebel für den Aufbau Ost.


(Beifall bei der SPD)

Schnelle Deregulierungen müssen als wirksame Erleich-
terungen für wirtschaftliches Wachstum geschaffen wer-
den. Ich hoffe auf überzeugende Ergebnisse.

Meine Damen und Herren, wir müssen aber nicht ab-
warten, bis die Stellungnahmen vorliegen. Wir haben
eine ganze Reihe von Instrumenten, von denen ich nur
zwei nennen möchte. So können zum Beispiel struktur-
schwache Regionen bei der Entfaltung ihrer spezifi-
schen Potenziale gezielt unterstützt werden. In sechs
ostdeutschen und zwölf westdeutschen Regionen läuft
das Projekt „Regionen aktiv“. Konzepte zur Entwick-
lung eines Gesamtraums werden durch EU-, Bundes-
und Länderförderung gestärkt.

Es gibt nach meiner Überzeugung in Deutschland
keine verlorene Region. Gemeinsam mit den Akteuren
vor Ort müssen wir die jeweiligen Stärken stärken. Stär-
ken zu stärken – darum geht es auch bei dem zweiten
Beispiel, das ich Ihnen nennen möchte, dem Angebot der
Bundesministerien für Wirtschaft, Wissenschaft, Land-
wirtschaft, Verkehr und Bau an die Länder. Wachstums-
kerne könnten durch den gebündelten Einsatz von För-
dermitteln schneller vorangebracht werden. Wir haben
die Verhandlungen mit den Ländern darüber aufgenom-
men, wie einzelne Förderprogramme auf der Basis der
zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel effizienter der
strategischen Entwicklung von Wachstumskernen und
Wachstumsbranchen dienen können. Hier kann die
Bundesförderung am effektivsten helfen, aber der Bund
– das soll hier ausdrücklich betont sein – wird keine ein-
seitigen Festlegungen treffen. Die Entscheidungen lie-
gen bei den Ländern.

Es sind die gemeinsam erarbeiteten Konzepte, die
Ostdeutschland voranbringen können: gründlich ge-
prüfte Konzepte, langfristig angelegte Konzepte mit dem
Ziel, Arbeit zu schaffen, Mut zu machen und Menschen
eine Perspektive zu geben. Die Leute schauen auf uns,
auch heute. Kommen nur Zank, Streit oder gar Injurien
zur Sprache oder – das wird von uns erwartet – wird ein
gesamtgesellschaftlicher Konsens deutlich, dem Osten
auf die eigenen Beine zu helfen? Letzteres ist erforder-
lich und wird erwartet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Verlaub: Der Aufbau Ost ist mehr als eine Olym-
piabewerbung. Je schneller und überzeugender der Auf-
bau Ost jedoch kommt, umso eher kann Deutschland
seine volle Kraft entfalten. Alle gemeinsam können es
schaffen: Bund, Länder, Kommunen, Wirtschaft, Wis-
senschaft und vor allem die Menschen in Deutschland,
im Osten mit ihrem Mut und im Westen mit ihrer Solida-
rität. Dann wird es gelingen und das muss nicht erst zum
Silvesterabend 2019 sein.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105600

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege

Kretschmer das Wort.

Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1511105700

Herr Bundesminister, verzeihen Sie mir, dass ich Sie

beim Vorlesen Ihres Manuskripts gestört habe.

(Doris Barnett [SPD]: Das machen wir nächs tes Mal bei Ihnen auch!)

Natürlich können wir auch am Ende fragen.

Es geht ganz konkret um die europäische Struktur-
politik. Wir haben in diesem Plenum bisher nicht gehört,
dass die Bundesregierung, die SPD und die Grünen
bereit wären, das Geld, das bisher in die neuen Bundes-
länder und die strukturschwachen Regionen fließt, zu er-
setzen. Deswegen frage ich Sie: War das Ihre Privatmei-
nung, die Sie uns hier vorgetragen haben, oder wann hat
das Bundeskabinett darüber diskutiert, dass es auf jeden
Fall dazu kommen muss, dass die neuen Bundesländer,
wenn der Aufbau Ost nicht scheitern bzw. abrupt abge-
brochen werden soll, dieses Geld bekommen?

Herr Bundesminister, wir fragen uns bei Ihren An-
kündigungen immer wieder, ob man sich darauf verlas-
sen kann. Ich möchte als ein Beispiel, weil es in Ihrem
Haus ressortiert, das Osteuropazentrum für Wirtschaft
und Kultur nennen, wo wir, die Union, Ihnen die Hand
gereicht und gesagt haben: Wenn das Konzept stimmt,
machen wir mit. Seit über einem Jahr warten die Länder
und diejenigen, die die Konzepte geschrieben haben, auf
eine Antwort, auf eine Entscheidung. Sie kommen nicht
voran. Deswegen stelle ich die für die Strukturpolitik
wichtige Frage: Wie verlässlich war Ihre Aussage hier
und heute?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105800

Zur Beantwortung, Herr Minister.
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-

kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Herr Kretschmer, Sie wissen ganz genau, dass wir uns

diesbezüglich noch in einem Klärungsprozess befinden.
Nicht umsonst haben sich die Ministerpräsidenten mit
Herrn Monti getroffen und die Frage diskutiert. Dieser
Prozess wird vermutlich noch ein paar Monate dauern.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe

Ich habe meine Position hier klar geäußert. Ich bin

mir sicher, dass die Bundesregierung sie deckt. Vorsorg-
lich biete ich Ihnen an, das im Protokoll nachzulesen.

Ich bitte Sie aber auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass
wir mit Zittau Wort gehalten haben. Hier können Sie
sich eigentlich nicht beklagen. Wir machen auch bezüg-
lich Leipzig weiter und werden alle angekündigten Maß-
nahmen durchziehen. Das können Sie jederzeit nachprü-
fen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511105900

Ich erteile das Wort der Kollegin Cornelia Pieper,

FDP-Fraktion.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Arbeit kommt, die Pieper geht!)


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1511106000

So ist es: Die Arbeit kommt, wenn Sie nicht mehr re-

gieren, Herr Küster.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie haben doch den Spruch geprägt: Die Arbeit kommt! Und Sie sind gegangen!)


Herr Präsident! Wir haben die Rede von Bundesmi-
nister Stolpe hier vernommen. Herr Bundesminister, ich
kann nur sagen:


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Immer wenn es schwer wird, gehen Sie weg!)


Man kann die Ankündigungspolitik der Bundesregie-
rung einfach nicht mehr ertragen. Mit moralischen Ap-
pellen und Psychologie sind die Menschen in Ost-
deutschland zu Recht nicht mehr zufrieden zu stellen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es war der Bundeskanzler selbst, der mit Regierungs-
antritt 1998 den Ostdeutschen versprochen hat, der Auf-
bau Ost werde bei ihm Chefsache.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben blühende Landschaften versprochen!)


Sie haben sich 2002 über das Hochwasser gerettet, aber
die Arbeitslosigkeit und die Zahl der Firmenpleiten in
Ostdeutschland sind gestiegen. Das ist die Wahrheit. Sie
haben die Menschen in den neuen Ländern verunsichert.
Sie haben nicht Zuversicht vermittelt und auch keine
neuen Chancen aufgezeigt. Bis heute, Herr Bundesmi-
nister Stolpe, fehlt ein Gesamtkonzept für eine wirt-
schaftliche Strategie in den neuen Bundesländern. Die
ist nicht erkennbar. Deswegen meinen wir: Handeln Sie
endlich!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch schlimmer, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, ist, dass Sie Ihrem eigenen Auf-
bau-Ost-Minister selbst nicht viel zutrauen. Im April
dieses Jahres habe ich von Herrn Stephan Hilsberg in
der „Financial Times Deutschland“ gelesen: Stolpes
Leistungsbilanz als Ministerpräsident lässt nicht erken-
nen, dass er die Kompetenz für den Aufbau Ost hat.
Klaus von Dohnanyi wirft Herrn Stolpe fehlende Kon-
zeption und Durchsetzungsfähigkeit vor. Das stärkt doch
bezüglich des Aufbaus Ost nicht das Vertrauen der Men-
schen im Osten Deutschlands in diese Bundesregierung.
Das verunsichert die Menschen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie, Herr Stolpe, machen den Menschen auch keinen
Mut, wenn ich lese, dass Sie erklären,


(Christoph Matschie [SPD]: Dann machen Sie uns mal Mut, Frau Pieper!)


der Traum von einer schnellen Angleichung von Ost und
West müsse beerdigt werden. Dazu kann ich nur sagen:
Die Menschen wissen, dass die Gleichwertigkeit der
Lebensverhältnisse in Deutschland nicht von heute auf
morgen hergestellt werden kann. Sie verlangen aber von
Ihnen als Bundesregierung, dass Sie handeln und endlich
auch die Vorschläge, die im Übrigen aus den neuen Bun-
desländern gekommen sind, umsetzen.


(Beifall bei der FDP)

Wissen Sie, was ich Ihnen noch mehr vorwerfe? Ich

meine den Umstand, dass im Chor der Ahnungslosen
auch noch die Stimmen von SPD-Ministerpräsidenten,
von Herrn Steinbrück aus Nordrhein-Westfalen und von
Frau Simonis, zu vernehmen sind. Ich kann zwar nicht
unbedingt sagen, dass sie zu den kompetentesten Vertre-
tern in Sachen Wirtschaftsaufschwung Ost gehören,


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie als Außenstehende sollten nicht über Kompetenz reden! – Siegfried Scheffler [SPD]: Mehr als niveaulos! Fangen Sie bei sich selber an!)


aber beide forderten – vielleicht darf ich Ihnen das mit
einer ihrer Aussagen untersetzen –, die Messlatte für die
Verteilung der Mittel solle künftig nicht die Himmels-
richtung, sondern die Bedürftigkeit sein. Sie wissen
überhaupt nicht, was los ist und wie die wirtschaftliche
Situation in den neuen Bundesländern ist. Seit 1998 hat
die Gründungsintensität dramatisch abgenommen. Die
Insolvenzquote ist mit 20,5 Prozent doppelt so hoch wie
in den alten Bundesländern. Die Arbeitslosenquote hat
seit der deutschen Einheit ihren Höchststand erreicht und
beträgt fast 20 Prozent, in einigen Regionen sogar
30 Prozent. Das ist eine dramatische Situation. Ich kann
es einfach nicht mehr ertragen, dass SPD-Ministerpräsi-
denten auf dem Rücken der Ostdeutschen schon jetzt ih-
ren Wahlkampf für die Landtagswahlen im nächsten Jahr
führen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Deswegen sind Sie weggerannt? Statt zu arbeiten sind Sie weggerannt!)







(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper

Neuerdings bekommen sie auch tatkräftige Wahlkampf-
unterstützung von Ihrem sonst so mutigen Bundeswirt-
schaftsminister Clement.

Herr Stolpe, ich habe Ihre Ausführungen mit großem
Interesse verfolgt, was ich im Übrigen immer tue. Aber
am 15. Mai dieses Jahres durften wir im „Tagesspiegel“
lesen – hier bitte ich auch um eine Klarstellung des Bun-
deswirtschaftsministeriums –, dass sich die neuen Bun-
desländer in den kommenden drei Jahren auf drastische
Kürzungen der Fördergelder für Investitionen einstellen
müssen. Allein für das Jahr 2005 will das Ministerium
vorläufig nur 35 Prozent der GA-Mittel freigeben. Das
bedeutet, dass es wirklich zu einem Abbruch Ost kommt,
weil kommunale Straßenprojekte und private Investitio-
nen nicht verwirklicht werden können und dadurch die
Arbeitslosigkeit steigen wird. Hierzu verlange ich eine
Klarstellung. Ich bzw. die FDP will wissen: In welchem
Umfang werden Sie bei der GA kürzen? Oder werden
Sie zuverlässig sein und die Mittel für die Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ auch weiterhin nicht kürzen?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-
tion, die Fehlleistungen der Bundesregierung, die stei-
gende Verschuldung und die fehlenden Reformen, sind
erkennbar und gehen auch zulasten der neuen Bundes-
länder. Eine Steuerreform, die mittelstandsfeindlich ist,
eine Gesundheitsreform, die die Lohnzusatzkosten in die
Höhe treibt, eine Erhöhung der Mineral- und Ökosteuer,
die die Benzinpreise in Rekordhöhe treibt, die Erbschaft-
steuer, die Vermögensteuer und die Ausbildungsplatz-
steuer, durch die immer mehr Unternehmen in die Pleite
getrieben werden, das alles ist keine Politik, die den
neuen Bundesländern hilft. Ich kann Sie nur zu einer
Kehrtwende auffordern.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dennoch gibt es aus den neuen Bundesländern wirk-

lich ermutigende Signale. Dort sind Wachstumskerne
bzw. Leuchttürme entstanden, die sich sehen lassen kön-
nen und die auf die Initiative der Bundesländer selbst
und der Menschen vor Ort zurückgeführt werden kön-
nen.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Das ist ja so ein Quatsch!)


So wurden in den ostdeutschen Ländern ermutigende
Zeichen gesetzt: zum Beispiel durch die Halbleitertech-
nik in Dresden, durch die Polymer-Chemie im Dreieck
Bitterfeld-Halle-Leuna und durch den Biotechnologie-
standort in Mitteldeutschland, der in ganz Deutschland
Spitze ist.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Wer hat denn das bezahlt? – Über die Ausnutzung von Bundesprogrammen, Frau Pieper! Ein bisschen Bescheid wissen sollten Sie!)


– Herr Stiegler, Sachsen-Anhalt und Sachsen haben im
letzten Jahr Bundesratsinitiativen eingebracht, in denen
sie Modellregionen für die neuen Länder fordern. Das
tun sie zu Recht; denn sie wollen die Aussetzung von
Bundesrecht.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sagen Sie deutlich: Sie wollen keinen Kündigungsschutz!)


Wir sind gemeinsam mit den Ostdeutschen der Auf-
fassung: Dadurch, dass die Bürokratie und die Verwal-
tungsstrukturen 1990 eins zu eins auf die neuen Länder
übertragen worden sind, wurden Investitionen und damit
auch Arbeitsplätze verhindert. Deswegen wollen wir
neue Wege gehen. Wir wollen zum Beispiel eine Locke-
rung des Kündigungsschutzrechtes und flexiblere Aus-
bildungsvergütungen,


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie wollen geringere Ausbildungsvergütungen!)


damit die jungen Menschen nicht abwandern müssen,
sondern in ihrer Heimat einen Arbeits- oder Ausbil-
dungsplatz finden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Klaus von Dohnanyi fordert mit seiner Kommission
– Sie selbst haben ihn beauftragt –, dass im Osten ein
pragmatisch angepasster Flächentarifvertrag mit breiten
Öffnungsklauseln zugelassen werden soll. Recht hat er!
Handeln Sie endlich, machen Sie es doch!


(Christoph Matschie [SPD]: Machen wir doch schon lange, Frau Pieper!)


Wir Liberale wollen, dass der Osten zum Reformmo-
tor in Deutschland wird. Die Ostdeutschen zeichnen sich
durch eine hohe Bereitschaft aus, neue Wege auszupro-
bieren und Leistungseinschnitte hinzunehmen, wenn da-
durch der Arbeitsplatz erhalten bleibt. Sozial ist, was Ar-
beit schafft; das ist für die Menschen dort wichtig und
für uns auch.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt machen Sie schon die Stoiber-Sprüche!)


Wir brauchen einen differenzierten Blick auf die Re-
gionen in Ostdeutschland: nicht die Gießkanne, sondern
den Trichter für Förderprogramme.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie brauchen den Nürnberger Trichter!)


Die Zeit ist überfällig für ein Gesamtkonzept und ich er-
mahne die Bundesregierung noch einmal, eine solche
wirtschaftspolitische Strategie vorzulegen.

Wir schlagen vor: Erstens. Wir brauchen die Konzen-
tration der Förderung auf gewerbliche Investitionen,
insbesondere aber auf die wirtschaftsnahe Forschung
und Entwicklung.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist aber neu!)

Der Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung liegt im
Osten bei 16 Prozent, im Westen bei rund 23 Prozent.
Der Anteil wertschöpfungsstarker Betriebe ist einfach zu
gering.






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper

Der Anteil Ostdeutschlands an den gesamtdeutschen

Aufwendungen für Forschung und Entwicklung beträgt
lediglich 6 Prozent. Deswegen brauchen wir – zweitens –
die Konzentration auf Forschungsförderung. Wir
schlagen vor, Leistungen für Forschung und Entwick-
lung im Rahmen der Investitionsförderung stärker zu be-
rücksichtigen und sich auf Wachstumskerne zu konzen-
trieren.


(Beifall bei der FDP)

Wir wollen die Vernetzung von Wissenschaft, von Hoch-
schulen und außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen, und Unternehmen, damit durch innovative Techno-
logien vermehrt neue Produkte auf den Markt kommen
und ostdeutsche Unternehmen exportfähig werden.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das haben Sie aus dem Fortschrittsbericht der Bundesregierung abgeschrieben!)


Die Exportquote liegt im Osten bei 25 Prozent, im Wes-
ten dagegen bei 38 Prozent. Da muss ein Aufholprozess
in Gang kommen.

Drittens. Wir brauchen Risikokapital aus einem re-
volvierenden Fonds für mittelständische Unternehmen,
ähnlich dem ERP-Programm, dem Marshall-Plan. Wir
wollen eine bessere Liquidität mittelständischer Unter-
nehmen. Deswegen haben wir vorgeschlagen, bis zu ei-
nem Umsatz von 2,5 Millionen Euro die Umsatzbesteue-
rung von der Soll- auf die Ist-Besteuerung umzustellen.


(Beifall bei der FDP)

Das würde dazu beitragen, dass die Liquidität von Un-
ternehmen gestärkt wird und Arbeitsplätze gesichert
werden.

Wir wollen – viertens – eine Regelung für die grenz-
nahen Regionen in Ostdeutschland ähnlich dem bis
1994 in Kraft gewesenen Zonenrandförderungsgesetz.

Wir wollen – fünftens – eine Prioritätensetzung bei
der Infrastruktur. Herr Minister Stolpe, das ist Ihr Ver-
antwortungsbereich. Es ist doch einfach nicht mehr hin-
nehmbar,


(Zuruf von der FDP: Das ist doch das Problem: dass es einfach nicht mehr hinnehmbar ist!)


dass wir nach 14 Jahren noch immer nur Brücken und
Tunnel in der Landschaft stehen sehen, wo der ICE von
Nürnberg über Erfurt, Leipzig/Halle nach Berlin fahren
soll. Diese Strecke muss endlich ausgebaut werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ludwig Stiegler [SPD]: Mit den Steuergeschenken, die die FDP fordert!)


Das ist nur ein konkretes Beispiel.

(Christoph Matschie [SPD]: Da sind die Bauarbeiter am Werk! Sie müssen hinfahren und sich das angucken! Sie müssen die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen!)


– Herr Matschie, machen Sie konkrete Vorschläge; Sie
haben hier im Bundestag die Möglichkeit dazu. Schreien
hilft nicht, hören Sie mir lieber zu – vielleicht lernen Sie
dadurch ja.

Mein Kollege aus Sachsen erzählt mir von Demons-
trationen, Streiks an der Grenze zu Osteuropa, Staus.
Das Verkehrsaufkommen ist gewaltig gewachsen. Wir
wollen, dass die Bundesregierung im Rahmen der EU-
Osterweiterung dafür sorgt, dass die Fördermittel aus
dem Strukturfonds vordringlich zum Ausbau der grenz-
überschreitenden Verkehrsnetze im Osten Deutschlands
eingesetzt werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Siegfried Scheffler [SPD]: Fragen Sie in Sachsen-Anhalt nach, wo die Regionalisierungsmittel geblieben sind!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511106100

Frau Kollegin, falls das nicht Ihr Schlusssatz gewesen

sein sollte – wofür er sich vorzüglich geeignet hätte –,
muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Ihre Re-
dezeit bereits zu Ende ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1511106200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich finde es bedauer-

lich, dass hier im Hohen Hause, im Deutschen Bundes-
tag, so wenig Gelegenheit besteht, über die Probleme der
Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer zu
sprechen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das können Sie jeden Tag bestimmen!)


Machen Sie die neuen Länder doch endlich zur Speer-
spitze des Wandels, lassen Sie die Menschen unter Be-
weis stellen, was sie auf dem Kasten haben; dann wür-
den wir alle gewinnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511106300

Das Wort erhält nun der Kollege Peter Hettlich,

Bündnis 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511106400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
haben im Oktober letzten Jahres in diesem Hause über
den Stand der deutschen Einheit debattiert. Damals habe
ich gesagt – dazu stehe ich auch heute noch –, dass die
Einheit in den Köpfen weit gediehen ist, sehr viel weiter,
als es mancher Schwarzmaler noch immer beschwört.
Aber ohne eine Angleichung der wirtschaftlichen
Verhältnisse wird unsere Einheit nur unvollständig blei-
ben. Die Lösung dieser Aufgabe ist von großer Bedeu-
tung für ganz Deutschland, denn nur durch eine sich
selbst tragende nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung
in Ostdeutschland können wir Spielräume für weitere
dringend notwendige Investitionen in die Zukunft unse-
res Landes schaffen.






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich

Wir haben in den letzten Wochen eine zum Teil unse-

lige öffentliche Debatte über Transferleistungen
zwischen West und Ost führen müssen. Ausgehend
von einem Artikel mit der reißerischen Überschrift
„1 250 Milliarden Euro – Wofür?“ entstand eine Diskus-
sion darüber, ob Ostdeutschland ein Fass ohne Boden sei
und ob es sich überhaupt lohne, weiterhin in die neuen
Bundesländer zu investieren. Trauriger Höhepunkt war
aus meiner Sicht die Behauptung, der Aufbau Ost sei ur-
sächlich für den Absturz West. Umso bedenklicher war
sie, da sie von Klaus von Dohnanyi stammte, der mit sei-
nem Praktikerkreis Vorschläge für die weitere Entwick-
lung in den neuen Bundesländern machen sollte.

Diese Aussage war und ist so falsch wie töricht. Herr
Dohnanyi hätte als ehemaliger Hamburger Bürgermeis-
ter wissen müssen, dass die Probleme des Westens ihren
Ursprung in der Zeit lange vor der Wiedervereinigung
haben und durch die Euphorie der frühen 90er-Jahre le-
diglich übertüncht wurden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute müssen wir für die Folgen einstehen. Dies aber
Ostdeutschland bzw. den Ostdeutschen vorzuwerfen ist
sachlich falsch und moralisch nicht zu rechtfertigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Eine hervorragende und ernst zu nehmende Analyse
der Situation stellen dagegen der erste und zweite Fort-
schrittsbericht wirtschaftswissenschaftlicher Institute
über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland
dar. Letztmalig im November 2003 haben die beteiligten
Institute eine nüchterne und kritische Bestandsaufnahme
der vergangenen Jahre vorgenommen. Die Analysen und
Lösungsansätze sind dergestalt, wie ich sie mir für
meine tägliche Arbeit als Politiker wünsche, und ich
kann sie auch ernst nehmen.

Die Arbeitsgruppe Ost der Bundestagsfraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen hat sich in einen intensiven Dialog
mit den Autoren begeben. In einem Positionspapier un-
serer Fraktion hat sie bereits am 30. März Vorschläge
vorgelegt, wie wir die künftige wirtschaftliche Entwick-
lung Ostdeutschlands gestalten wollen:

Förderungen nach dem Gießkannenprinzip sind weder
sinnvoll noch vor dem Hintergrund der Haushaltspro-
bleme von Bund, Ländern und Kommunen dauerhaft
leistbar. Um den unterschiedlichen Entwicklungsbedin-
gungen der Regionen Rechnung zu tragen, sehen wir da-
her zwei Hauptaufgaben: einerseits die Stärkung der vor-
handenen Wachstumsregionen und andererseits die
Stabilisierung der anhaltend wirtschaftsschwachen Städte
und ländlichen Regionen.

Bündnis 90/Die Grünen plädierten bereits in der letz-
ten Legislaturperiode für eine effizientere Förderung, die
an den Stärken und Perspektiven der einzelnen Regionen
ansetzt. Von wirtschaftlich erstarkenden Regionen strah-
len Effekte auf angrenzende strukturschwache Gebiete
aus, die dort Entwicklungspotenziale stärken. Wir wol-
len Zukunftstechnologien besonders in den Regionen
fördern, in denen bereits Kerne neuer Industrien vor-
handen sind. So schaffen wir am ehesten die Vorausset-
zungen, dass einzelne Regionen langfristig unabhängig
von Transfers werden und eigenständige Entwicklungs-
wege verfolgen.

In den Kommunen, Landkreisen und Ländern muss
sich die Einsicht durchsetzen, dass eine erfolgreiche Ent-
wicklung nur gemeinsam und nicht gegeneinander er-
reicht werden kann. Dies bedeutet den Abschied von der
Kirchturmpolitik der vergangenen Jahre, die zum Teil zu
erheblichen Fehlallokationen zum Beispiel bei der Er-
schließung und der Vorhaltung von Gewerbe- und Indus-
triegebieten, aber auch in der Wirtschaftsförderung ge-
führt hat. Daher muss sich die Vergabe von Fördermitteln
auch künftig an überregionalen und länderübergreifenden
Wirtschaftsstrukturen orientieren.

Das zentrale Instrument der Wirtschaftsförderung so-
wie der Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur in
den neuen Ländern ist die Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, die GA.
Ihr Schwerpunkt liegt auf der Förderung überregionaler
Wirtschaftskreisläufe. Die GA ist ein effizientes, arbeits-
platzerhaltendes und arbeitsplatzschaffendes Mittel mit einer
sehr hohen Zielgenauigkeit. Wir wollen, dass GA-Mittel
stärker in Zukunftsbranchen sowie in Dienstleistungsberei-
che fließen.

Die von Wirtschaftsminister Clement angestoßene
Debatte über die Kürzung der GA-Mittel war in diesem
Zusammenhang nicht hilfreich. Aus diesem Grunde
habe ich mich in der Öffentlichkeit ungewöhnlich scharf
zu diesem Thema geäußert. Ich mache auch an dieser
Stelle deutlich: Mit uns wird eine weitere Kürzung nicht
zu machen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im Zuge der Föderalismusdebatte wird die GA aber
von Teilen der Kommissionsmitglieder infrage gestellt,
übrigens auch von Ministerpräsident Stoiber. Dem wol-
len wir entgegenwirken, auch im Hinblick auf die Verän-
derungen in der EU-Strukturpolitik, die aus der EU-Er-
weiterung resultieren.

Wir wollen die Finanzausstattung der GA in den
neuen Ländern im Rahmen der Vorgaben aus dem Soli-
darpakt II verstärken. Statt die bis 2006 befristete Inves-
titionszulage zu verlängern, schlagen wir vor, die GA zu
stärken, da wir sie für die bessere Maßnahme halten. Die
Investitionszulage in ihrer jetzigen Form bewirkt zu
hohe Mitnahmeeffekte bei den Unternehmen und ist un-
serer Meinung nach nicht zielgenau.

Neue und sichere Arbeitsplätze entstehen vor allem in
zukunftsträchtigen Wirtschafts- und Dienstleistungs-
branchen. Die Hochschulen in den neuen Ländern müs-
sen noch stärker als bisher auf die Zusammenarbeit mit
der regionalen Wirtschaft setzen. Sie können zum
Schließen der Unternehmenslücke im Osten beitragen,
indem sich wirtschafts- und ingenieurwissenschaftliche
Studiengänge noch konsequenter an der Praxis orientie-






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hettlich

ren und indem sie junge Menschen gezielt auf ein selbst-
ständiges Unternehmertum vorbereiten.

Ich möchte an dieser Stelle die deutschen Banken aus-
drücklich an ihre Mitverantwortung erinnern und darauf
hinweisen, dass ihre restriktive Kreditvergabe vielen Un-
ternehmensgründern den Start unnötig schwer bzw. un-
möglich macht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit werden die positiven Entwicklungen, die wir
durch die Gründung der Mittelstandsbank im letzten
Jahr angestoßen haben, konterkariert. Auch die Fragen
der Besicherung und der nach Auskunft Betroffener viel
zu langen Bearbeitungsfristen müssen beantwortet wer-
den. Ich bin der Meinung: Wenn sich hier nicht bald eine
Entwicklung zum Besseren zeigt, dann müssen wir auf
politischer Ebene entsprechend handeln.

Die regionale Vernetzung von Forschung, Hochschu-
len und Wirtschaft muss weiter vorangetrieben werden.
Die wettbewerbliche Vergabe von Forschungsmitteln an
Regionen, in denen Wissenschaft und Wirtschaft im
Rahmen innovativer Netzwerke kooperieren, hat sich als
ein sehr wirksames Instrument erwiesen. So entwickeln
sich Kerne, die eine regionale Dynamik entfalten und in
denen zusätzliche Arbeitsplätze im Industrie- und
Dienstleistungsbereich entstehen. Der 1999 initiierte
Inno-Regio-Wettbewerb ist eine der wichtigsten Maß-
nahmen zur Innovationsförderung in den neuen Ländern
und muss daher erhalten, wenn nicht sogar gestärkt wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Förderung der technologischen Leistungsfähigkeit
ostdeutscher Unternehmen hat sich in den vergangenen
Jahren zu einem Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik ent-
wickelt. Mit diesen Anreizen ist es gelungen, den Größen-
nachteil ostdeutscher Unternehmen auszugleichen. In der
Forschungsintensität stehen ostdeutsche Firmen den west-
deutschen Unternehmen kaum nach. Allerdings mangelt
es an der Umsetzung der Forschungsergebnisse in markt-
fähige Produkte. Auch hier möchte ich noch einmal auf
die zu lösenden Probleme in der Finanzierung derartiger
Investitionen verweisen.

In den vergangenen Jahren ist viel Geld in den Aus-
bau der technischen Infrastruktur Ostdeutschlands ge-
flossen. Der Anschlussgrad für die Abwasserentsorgung
hat das Niveau der alten Bundesländer erreicht und die
Telekommunikationsstruktur ist auf dem modernsten
Stand der Technik. Auch zukünftig wird der Aus- und
Neubau von Verkehrswegen in den neuen Bundeslän-
dern überproportional finanziert. Studien belegen aller-
dings auch, dass der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
allein nicht zu dem erhofften Entstehen neuer Arbeits-
plätze führt.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Schon allein der Bau von Verkehrswegen schafft Arbeitsplätze!)

Eine gute verkehrliche Anbindung von Regionen ist eine
Voraussetzung für die Ansiedlung von Unternehmen, sie
ist aber nur ein Standortfaktor unter vielen.

So genannte weiche Standortfaktoren sind mit dafür
ausschlaggebend, ob investiert wird. Sie werden gerade
für die Unternehmen immer bedeutender, die hoch quali-
fizierte und motivierte Mitarbeiter benötigen. Investitio-
nen in die soziale Infrastruktur, in Bildung und Wissen-
schaft, in Kinderbetreuung und Schulen, in Sport- und
Jugendeinrichtungen, in kulturelle Angebote und in die
innerstädtische Lebensqualität sind mit entscheidend für
die Ansiedlung neuer Betriebe.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch ein
Thema streifen, das in letzter Zeit ebenfalls das öffentli-
che Interesse erregt hat, nämlich die Fehlverwendung
der Solidarpaktmittel. Mir ist zwar bewusst, dass sich
die Länder in einer schwierigen Situation befinden, die
sie zum Teil – ich denke zum Beispiel an die Leistungen
nach den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der
ehemaligen DDR – nicht zu verantworten haben. Den-
noch macht es keinen Sinn, einfach die Vorgaben zu
ignorieren und diese Mittel wie in Berlin zu 0 Prozent
oder in Sachsen-Anhalt zu nur 1 Prozent zweckgerichtet
zu verwenden. Es würde dadurch zu einer gesamtdeut-
schen Diskussion kommen, die die Solidarität der alten
Bundesländer erheblich strapazieren könnte.

Ich habe es schon bei vielen Gelegenheiten gesagt:
Bündnis 90/Die Grünen stehen zum Solidarpakt II und
auch zur Höhe der vereinbarten Solidarpaktmittel. Wir
erwarten aber, dass die ostdeutschen Länder und ihre
Ministerpräsidenten ihre Hausaufgaben machen und
energische Maßnahmen ergreifen, um künftige Fehlver-
wendungen zu minimieren oder besser ganz zu vermei-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aus meiner Sicht und auch aus der Sicht der Praxis
wäre eigentlich Folgendes notwendig: Wir müssen die
Verwendung der Solidarpaktmittel längerfristig planen,
das Parlament muss wirksame Kontrollmechanismen er-
halten und wir müssen uns auch darüber unterhalten, ob
Sanktionen notwendig sind. Hier stehen wir zwar vor
verfassungsrechtlichen Problemen, aber wir sollten das
diskutieren; denn es besteht dringender Handlungsbe-
darf.

In den vergangenen 14 Jahren ist in Ostdeutschland
viel Positives geschaffen worden, sowohl durch den
Fleiß und die Kreativität der Ostdeutschen als auch
durch die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger aus
den alten Bundesländern. Diese Solidarität ist für uns
aber auch die Verpflichtung, Rechenschaft über unser
Tun abzulegen und uns auch künftig einem kritischen
Dialog zu stellen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511106500

Das Wort hat nun der Ministerpräsident des Freistaa-

tes Sachsen, Professor Milbradt.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1511106600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Viel Gutes ist gesagt worden. Wenn all das um-
gesetzt würde, wäre ein Teil meiner heutigen Interven-
tion schon erledigt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, wenn!)

Aber die bisherige Erfahrung ist, dass zwischen Reden
und Handeln ein großer Unterschied besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Herr Kollege Stolpe, ich hoffe nur, dass das, was Sie ge-
sagt haben, mit den Herren Clement und Eichel abge-
stimmt ist; denn sie haben etwas anderes verkündet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Am Montag vergangener Woche war der Bundes-
kanzler zum Richtfest der neuen Chipfabrik von AMD in
Dresden. Mit einer Investitionssumme von 2,4 Milliar-
den Euro errichtet das amerikanische Unternehmen in
Dresden bereits sein zweites Halbleiterwerk. Insgesamt
arbeiten in der Region Dresden 11 000 Menschen in der
Mikroelektronikindustrie. Damit ist Dresden innerhalb
weniger Jahre zu den Top Fünf der internationalen Mi-
krochipindustrie aufgestiegen,


(Zuruf von der SPD: Mit viel Bundesgeld!)

Nummer eins in Europa. Das ist ein Beispiel, wie man
beim Aufbau Ost Erfolge erzielen kann.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Mit der Bundesregierung!)


– Vorsichtig! Ich bin für die Unterstützung der Bundes-
regierung in diesen und vielen anderen Fällen ausdrück-
lich dankbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt auch viele andere Erfolgsgeschichten beim
Aufbau Ost, zum Beispiel die Autoindustrie mit VW,
BMW und Porsche in Sachsen, die optische Industrie in
Jena, die chemische Industrie in Sachsen-Anhalt und
Brandenburg oder auch die Entwicklung des Tourismus
in vielen Regionen in Mecklenburg-Vorpommern. All
diese Erfolge wären ohne ein wichtiges Instrument der
Wirtschaftsförderung nicht möglich gewesen, die so ge-
nannte Gemeinschaftsaufgabe.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Ausgerechnet hier will der Bundeswirtschaftsminister
den Rotstift ansetzen.


(Zuruf von der SPD: Stimmt nicht!)

– Was heißt denn hier: Stimmt nicht? Uns ist untersagt
worden, weitere Zusagen zu machen.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Unverantwortlich!)


Wir haben das entsprechende Schreiben vom Bundes-
wirtschaftsminister im Haus.

Die GA-Förderung ist bisher eindeutig das erfolg-
reichste Instrument beim Wiederaufbau. Auch in dem
von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Fort-
schrittsbericht wird eine Fortführung der GA-Förderung
auf hohem Niveau gefordert. In Sachsen wurden da-
durch seit 1990 über 18 000 Investitionen von Unterneh-
men gefördert. Das heißt, seit 1990 wurden allein in
Sachsen mit einem GA-Volumen von 7,7 Milliarden
Euro Investitionen von über 40 Milliarden Euro angesto-
ßen. Dadurch wurden 224 000 neue Arbeitsplätze ge-
schaffen und noch einmal so viele gesichert.

Statt auf diesen Erfolgen weiter aufzubauen, statt die-
ses Pflänzchen zu pflegen, riskiert die Bundesregierung,
dass die Entwicklung abbricht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kollege Stolpe, es kann doch nicht im Interesse der
Bundesregierung sein, dass dies eintritt. Auch Sie wollen
wie wir alle, dass der Aufbau der Wirtschaft in Ost-
deutschland weitergeht.

Natürlich – jetzt komme ich zu den öffentlichen Äu-
ßerungen – ist die Auszahlung der Barmittel in diesem
und im nächsten Jahr gesichert. Das hat uns der Bundes-
kanzler in Dresden bei AMD erklärt. Dazu sind Sie aber
auch verpflichtet, Herr Müntefering.


(Franz Müntefering [SPD]: Was?)

Denn dabei geht es nur um die Abfinanzierung für die in
der Vergangenheit eingegangenen Verpflichtungen. Es
gibt schon seit Jahren keine freien Barmittel mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Das hat er nicht mitgekriegt!)


Diese Mittel, Herr Müntefering, um beim Thema zu blei-
ben, sind bereits gebunden. Für Unternehmen, die heute
neu investieren, stehen diese Barmittel gar nicht mehr
zur Verfügung. Zwischen uns, die wir die Haushaltsthe-
matik kennen, ist das sicher nicht strittig. Oder muss die
Einhaltung von Recht und Gesetz schon als besondere
Leistung der Bundesregierung angesehen werden?


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: So was von nassforsch!)


Um den Investoren für zukünftige Ansiedlungen – da-
rüber reden wir – Fördermittel zusagen zu können, brau-
chen wir Verpflichtungsermächtigungen, und zwar die
Verpflichtungsermächtigungen, die dieser Bundestag in
den Bundeshaushalt 2004 geschrieben hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Genau diese sperren Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ministerpräsident Georg Milbradt (Sachsen)


Es geht nicht um den Bundeshaushalt des Jahres 2005.
Es ist eine andere Diskussion, welche Verpflichtungser-
mächtigungen dort hineinkommen. Es geht um die Ver-
pflichtungsermächtigung dieses Jahres für die Jahre
2005, 2006 und 2007. Darüber reden wir. Diese Mittel
sind zumindest bis zur Stunde im Schnitt zu 45 Prozent
gesperrt worden. Damit nehmen Sie uns den entschei-
denden Handlungsspielraum, und das zu einem Zeit-
punkt, in dem Investitionen in Sachsen und, wie ich ver-
mute, auch in anderen Ländern vor der Tür stehen, wir
aber auf der anderen Seite in neue Konkurrenz zu Ost-
europa treten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Sie setzen für Investoren das völlig falsche Signal.

Als der Bundeskanzler in Dresden war, hat mich der
Vorstandsvorsitzende von AMD gefragt: Wird denn auch
unsere Investition gefördert? Bekommen wir noch unser
Geld? – Das sind doch die Fragen, die an uns gerichtet
werden. Für mich stellt sich die Frage: Wollen Sie, dass
weitere Investitionen und Arbeitsplätze kommen, oder
wollen Sie das nicht?


(Christoph Matschie [SPD]: Was haben Sie denn geantwortet?)


– Ich habe gesagt: Ja,

(Christoph Matschie [SPD]: Dann ist es doch gut!)

aber diese Mittel sind bisher vom Bund nicht freigege-
ben worden. Ich habe das auf meine eigene Kappe ge-
nommen, Herr Matschie,


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

weil ich mich bei einem solchen internationalen Publi-
kum nicht für die Bundesregierung schämen wollte.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist die Situation.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Sie haben Vertrauen in die Bundesregierung!)


– Nein, ich habe zunächst einmal Vertrauen in die eigene
Kraft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Eigene Kraft durch das Geld des Bundes!)


Das Hauptproblem in Ostdeutschland ist der Mangel
an industriellen Arbeitsplätzen. Deshalb ist mir die
Entscheidung vollkommen unverständlich. Sie wider-
spricht allem, was bisher über die Parteigrenzen hinweg
für den Aufbau Ost galt. Deswegen noch einmal: Wir
brauchen von Ihnen, Herr Stolpe, und von der restlichen
Bundesregierung das Signal, dass alle Verpflichtungser-
mächtigungen ab sofort freigegeben werden


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)

und dass Sie auch im Bundeshaushalt des Jahres 2005
ähnliche Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre
2006 bis 2008 ausbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann kann es weitergehen. Ich kann doch nicht sagen:
Der Bund zahlt im Augenblick nur ein Drittel. Der Bund
weiß nicht, was er will. Da müssen wir noch einen Mo-
nat warten, bis vielleicht wieder eine Haushaltsklausur
stattgefunden hat. – Das ist Gift für die Investoren. Diese
Diskussion sollte man erst gar nicht anfangen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Warum führen Sie sie dann?)


Sachsen – das will ich deutlich sagen – ist bereit, alle
zur Verfügung stehenden GA-Mittel zu finanzieren. Wir
haben Investoren und wir wollen sie nicht nach Ost-
europa ziehen lassen. Sollte das eine oder andere Bun-
desland im Osten keine Investoren haben oder nicht in
der Lage sein, die GA-Mittel abzunehmen, so bin ich be-
reit, diese abzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nun zu den Koch/Steinbrück-Vorschlägen, die von
der Bundesregierung als Begründung für eine eventuelle
Streichung herangezogen werden. Das ist Unsinn. Rich-
tig ist, dass sich die ostdeutschen Länder der gesamt-
deutschen Solidarität nicht verschlossen haben und be-
reit waren, auch in ihrem Bereich Kürzungen von
4 Prozent pro Jahr zu akzeptieren. Aber 4 Prozent sind
nicht 45 Prozent.


(Zuruf von der SPD: Eben!)

Der Bundesfinanzminister hat dem Bundeswirtschafts-
minister eine Kürzungssumme aufgegeben, die auch die
Steinkohle umfasst. Weil er da nicht kürzen kann, kürzt
er im einzigen flexiblen Bereich und das ist die GA-För-
derung. Das ist doch die Wahrheit.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist nicht die Wahrheit!)


– Natürlich! Sie können im Bereich der Steinkohle im
Augenblick die Subventionen gar nicht kürzen, Sie kön-
nen sie nur verschieben, weil die Rechtsbindung bis weit
in das nächste Jahrzehnt reicht.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Weil die Situation der Menschen da genauso schlimm ist! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Herr Benneter, ich will nicht die Mittel der Ruhrkohle-
förderung, aber es wäre sicherlich im Sinne des Ruhrge-
bietes besser, diese Gelder würden für die Ansiedlung
zukunftsgerichteter Industrie verwendet statt für die Ab-
wicklung der Vergangenheit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich mache mir Sorgen um Ostdeutschland. Ich mache

mir auch Sorgen um ganz Deutschland, denn ich weiß,
wenn der Osten nicht vorankommt, dann leidet ganz
Deutschland. Ich kann – das will ich deutlich sagen – bei
der Bundesregierung und bei dem, was hier gesagt
wurde, keine Strategie für den Aufbau Ost erkennen,


(Cornelia Pieper [FDP]: Seit sechs Jahren!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ministerpräsident Georg Milbradt (Sachsen)


allenfalls das alte Lied: Fahren nach Sicht. Es geht nach
dem Motto: Kommt Zeit, kommt Rat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christoph Matschie [SPD]: Das ist immer noch besser als Blindflug!)


– Lassen Sie mich ausreden, Herr Matschie; Sie kom-
men doch auch gleich zu Wort – Der für die Bundesre-
gierung wenig erfreuliche Bericht zum Stand des Auf-
baus Ost vom vergangenen Herbst – er wurde schon
zitiert – wurde von der Bundesregierung nur mit einem
Achselzucken zur Kenntnis genommen. Herr Kollege
Stolpe, wo bleibt die politische Antwort auf die nieder-
schmetternde Analyse der Institute, dass im Zweifel nur
eine passive Sanierung übrig bleibt? Wissen Sie, was
eine passive Sanierung ist? Sie können eine Region da-
durch sanieren, dass Sie den Zähler vergrößern und dass
dadurch das Pro-Kopf-Einkommen steigt. Sie können
dies aber auch dadurch erreichen, dass der Nenner sinkt.
Das nennt sich passive Sanierung oder schlicht Abwan-
derung.

Ist das die Antwort der Bundesregierung hinsichtlich
des Aufbaus Ost? Das kann doch nicht richtig sein.
Klaus von Dohnanyi, ich selbst und andere haben kon-
krete Vorschläge vorgelegt, die alle ein und dieselbe For-
derung in unterschiedlichen Nuancen umfassen: So wie
bisher kann man nicht weiter vorgehen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

Wir brauchen für den zweiten Teil des Aufbaus Ost ei-
nen neuen Anlauf und neue Regeln, aber nicht mehr
Geld.


(Cornelia Pieper [FDP]: Weniger Regeln! – Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ganze Zeit haben Sie über Geld gesprochen!)


– Ich habe über das Geld geredet, das uns zugesagt wor-
den ist. Eines werden Sie nicht hinbekommen, Herr Kol-
lege, nämlich dass Sie bezogen auf den Aufbau Ost mit
weniger Geld, das für Investitionen zur Verfügung ge-
stellt wird, eine größere Wirkung erzielen können.


(Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Investitionspolitik, die nur Fördermittel braucht, Herr Ministerpräsident?)


Ich werde zu einigen Punkten noch etwas ausführen.
Auch die ostdeutschen Länder haben ihren Beitrag zur
Kürzung von Subventionen in einem anderen Bereich
geleistet. Die Investitionszulagen sind durch Beschluss-
fassung des Bundestags im Frühjahr um drei Viertel ge-
kürzt worden. Ich halte das für vertretbar. Auch das ist
ein Beitrag zur inneren Solidarität.

Der Aufbau Ost ist überall dort gelungen, wo der
Staat direkt einwirken konnte und wo die ostdeutschen
Länder und Kommunen wie auch der Bund selbst Ver-
antwortung getragen haben. Das gilt zum Beispiel für
das Gesundheitswesen, die Altenpflege, Schulen, Um-
welt und Altlasten. Aber bei der zentralen Aufgabe der
Entwicklung einer sich selbst tragenden Wirtschaftsent-
wicklung im privaten Sektor kommen wir seit 1997 nicht
mehr voran.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Seit 1996!)

Wir haben erst 60 Prozent der Wirtschaftskraft des
Westens erreicht und sind seit Beginn der rot-grünen
Bundesregierung auf diesem Stand stehengeblieben.
Darüber haben wir zu diskutieren.

Unser gemeinsames gesamtdeutsches Ziel muss doch
sein, die hohen Transferzahlungen von West nach Ost
zu reduzieren. Wir sind bereit, die Förderpraxis der ver-
gangenen Jahre kritisch zu überprüfen. Wir müssen eine
Umsteuerung bei der Förderung vornehmen, damit
starke industrielle Kerne und nachhaltig sichere Arbeits-
plätze entstehen. Ich bin auch bereit, mich einer Diskus-
sion über die Frage der Fehlverwendung von Mitteln zu
stellen. Aber Sie wissen aus den Berichten der Bundes-
regierung, dass zumindest dem Freistaat Sachsen in die-
ser Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden kann.

Ich freue mich, dass Bundesminister Stolpe mittler-
weile auf unser sächsisches Modell der Förderung
industrieller Wachstumspole – die so genannten Clus-
ter – eingeschwenkt ist. Ich wiederhole: Es geht mir
nicht um mehr Geld; wir möchten vielmehr das vorhan-
dene Geld effektiver einsetzen. Angesicht sinkender
Mittel brauchen wir eine abgestimmte industriepoliti-
sche Förderstrategie.

Die Unternehmen, die den Kern der Wachstumspole
bilden, funktionieren als starke Lokomotiven. Diese Lo-
komotiven ziehen eine Vielzahl von kleinen und mittel-
ständischen Waggons nach sich, und zwar nicht nur im
unmittelbaren räumlichen Umfeld, sondern weit in das
Land ausgreifend, wie man es in Sachsen insbesondere
bei der Automobilzulieferindustrie sieht. Deshalb brau-
chen wir auch ein leistungsfähiges Verkehrsnetz in den
schwachen Regionen, um diese an die starken Regionen
anzubinden.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!)

Mit dem Aufbau ist es wie bei einem Rennwagen. Sie

können einen Rennwagen doch nicht dadurch schneller
machen, dass Sie die Motorleistung drosseln. Natürlich
muss der Spritverbrauch sinken, aber darunter darf die
Motorleistung nicht leiden. Gefragt sind vielmehr Fein-
tuning, eine bessere und genauere Einspritzung, eine
bessere Dynamik und möglicherweise auch ein besserer
Fahrer.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gilt das für Sachsen?)


Wichtig ist, dass der Bund endlich den Korb 2 des
Solidarpakts II gesetzlich fixiert; denn die GA-Mittel
sind Teil des Solidarpakts.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist es!)

Hätten wir diese gesetzlich fixiert, wäre die von Herrn
Clement angestoßene Diskussion über die Kürzung der
GA-Mittel erst gar nicht möglich gewesen. Deswegen
fordere ich Sie alle auf, möglichst schnell Klarheit beim
Korb 2 des Solidarpaktes II bis 2019 zu schaffen. Dann






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ministerpräsident Georg Milbradt (Sachsen)


können wir uns solche Diskussionen wie die heutige er-
sparen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein Punkt ist mir noch besonders wichtig. Wir könn-

ten beim Aufbau Ost viel mehr erreichen, wenn wir
mehr Freiheiten hätten. 1990 haben wir in Ostdeutsch-
land ein System übernommen, durch das im Westen Jahr
für Jahr viele Tausende industrielle Arbeitsplätze ver-
schwinden. Mit diesem System West können Sie doch
die fehlenden Arbeitsplätze im Osten nicht schaffen. Mit
„Weiter so wie bisher“, dem Inhalt des vorliegenden Koali-
tionsantrages, werden wir weiter wie bisher hinterher-
hinken. Meine Damen und Herren Abgeordneten der
Koalitionsfraktionen aus dem Osten, wollen Sie das? Ist
das der Auftrag Ihrer Wähler? Wie wollen Sie denn die
extrem hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland be-
kämpfen? Was sagen Sie denjenigen, die abwandern
wollen? Sicherlich nicht das, was in Ihrem Antrag steht,
den Sie heute beschließen. Sie wissen doch ganz genau,
dass dieser Antrag weiße Salbe ist und dass sich mit ihm
die Kernprobleme des Ostens nicht lösen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen appelliere ich an Sie: Diskutieren Sie doch

mit uns, den Ländern, und meinetwegen auch mit den
Oppositionsfraktionen darüber, wie wir mehr Freiheit
geben können und wie wir aus den Mitteln mehr machen
können. Schauen wir doch einmal über den Tellerrand
unserer Nation hinaus und sehen uns an, welche anderen
europäischen Länder Erfolge erzielt haben. Irland zum
Beispiel hat sich in 30 Jahren durch eine gezielte Wirt-
schaftspolitik, durch Zukunftsinvestitionen in Bildung
und Unternehmen sowie durch flexible Strukturen von
einem der ärmsten zu einem der reicheren Länder der
EU entwickelt.


(Franz Müntefering [SPD]: Jetzt lenken Sie doch nicht ab! Darum geht es doch gar nicht!)


– Doch, Herr Müntefering, genau darum geht es. Wir
sollten uns an denjenigen Ländern in Europa orientieren,
die Wachstum geschaffen haben,


(Franz Müntefering [SPD]: Ja, ja, ist ja gut!)

und nicht an denjenigen Ländern, die seit Jahren so gut
wie kein Wachstum mehr auf die Beine gebracht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Franz Müntefering [SPD]: Aber im Bundesrat kneifen Sie!)


Geben Sie uns, den neuen Bundesländern, doch mehr
Freiheit! Was würden Sie denn verlieren? – Gar nichts!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Freiheit, Herr Milbradt?)


Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten, wenn Sie uns
mehr Freiheit geben: Wir haben entweder Erfolg oder
Misserfolg. Im ersten Fall werden uns andere nacheifern
und im letzten Fall werden wir die politischen Folgen
selbst zu tragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Franz Müntefering [SPD]: Sie kneifen doch! An beiden Stellen wollen Sie Recht haben! Aber Sie müssen sich einmal entscheiden, was Sie wollen!)


Geben Sie uns die Freiheit, die Wachstumsregionen in
anderen EU-Ländern haben, mit denen wir konkurrieren.
Wir brauchen in Deutschland mehr Mut, mehr Kreativi-
tät und eine größere Bereitschaft zum Experimentieren.
Die Menschen in Ostdeutschland haben in den vergange-
nen Jahren Großartiges geleistet.


(Franz Müntefering [SPD]: Im Bundesrat kneifen und hier die Backen dick aufblasen!)


Sie haben bewiesen, dass sie Mut, Kreativität und Be-
reitschaft zum Wandel haben. Jetzt kommt es darauf an,
dass der Staat ihnen die Türen öffnet und nicht ständig
Steine in den Weg legt.


(Zuruf von der SPD: Im Bundesrat!)

Danke sehr.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei fall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511106700

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christoph

Matschie, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)



Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1511106800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte auf die Katastrophenstimmung, die Sie, Frau
Pieper und Herr Milbradt, hier verbreitet haben,


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind Sie denn gewesen?)


mit Sätzen antworten, die der Vorstandsvorsitzende der
Jenoptik AG dem „Stern“ gesagt hat:

Ostdeutschland ist besser als sein Ruf. Ich glaube,
wir Deutsche neigen dazu, den Standort schlecht zu
reden. Statt schnelle Urteile über den Aufbau Ost
abzugeben, rate ich, abzuwarten, bis sich die gute
Infrastruktur voll auswirkt.

Recht hat der Mann! Das sage ich Ihnen, Frau Pieper.

(Beifall bei der SPD)


Herr Milbradt, Sie haben hier über die Gemein-
schaftsaufgabe gesprochen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Zutreffend!)

Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass dies unser wich-
tigstes Wirtschaftsförderinstrument ist. Das hat auch
Herr Stolpe hier deutlich gemacht. Ich bin dezidiert der
Auffassung: Wir brauchen dieses Instrument auch in den
nächsten Jahren beim Aufbau Ost, und zwar in dem bis-
her zugesagten Umfang.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Christoph Matschie

Aber die von Ihnen hier verbreitete Katastrophenstim-
mung verschreckt Investoren und trägt nicht zum Auf-
bau Ost bei, Herr Ministerpräsident.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU und der FDP – Zurufe von der CDU/ CSU: So ein Quatsch! – Unglaublich!)


Herr Milbradt, zum Mut, Forderungen zu stellen, ge-
hört der Mut, über die Finanzierung der Umsetzung die-
ser Forderung zu reden. Auch darüber müssen wir hier
diskutieren, Herr Milbradt.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511106900

Herr Kollege Matschie, darf Ihnen die Kollegin

Pieper eine Zwischenfrage stellen?


Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1511107000

Einen kleinen Moment. Ich bin mit Herrn Milbradt

gleich fertig. Dann kommt Frau Pieper dran.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Weitermachen!)


Herr Milbradt, jeder in diesem Haus und auch bei Ih-
nen weiß: Die Lage der öffentlichen Kassen ist äußerst
angespannt. Das gilt für den Bund, für die Länder und
für die Gemeinden.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Auch in Sachsen!)


Wenn man an einer bestimmten Stelle „Hier darf nicht
gekürzt werden“ sagt – diese Forderung unterstütze ich;
bei Bildung und Forschung darf ebenfalls nicht gekürzt
werden –,


(Zuruf von der CDU/CSU: Da wird doch gekürzt!)


dann muss man sagen, woher das Geld genommen wer-
den soll. Wir haben Vorschläge zum Subventionsabbau
gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben beispielsweise vorgeschlagen, die Eigen-
heimzulage abzuschaffen und das eingesparte Geld an
anderen Stellen sinnvoller zu investieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Da haben sie Parteipolitik gemacht! – Franz Müntefering [SPD]: Da haben sie gekniffen!)


Als wir das taten, da saßen Sie auf der Bank der Blockie-
rer. Sie haben zu diesem Subventionsabbau Nein gesagt.
Angesichts dessen sollten Sie sich nicht hierhin stellen,
Forderungen erheben und ungedeckte Schecks ausstel-
len. Auch das gehört zur Wahrheit, Herr Milbradt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511107100

Zu einer Zwischenfrage bekommt die Kollegin Pieper

das Wort.

Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1511107200

Herr Kollege Matschie, Sie haben der Opposition vor-

geworfen, den Standort neue Bundesländer schlechtzure-
den, obwohl wir hier ganz konkrete Vorschläge gemacht
haben, wie wir den Aufbau Ost mit einer Gesamtstrate-
gie – Modellregionen etc. – voranbringen können. Wie
würden Sie die Äußerungen Ihrer Ministerpräsidenten
Steinbrück, Simonis usw. bezeichnen, die den Aufbau
Ost ständig schlechtreden und permanent fordern, die
Förderprogramme zu kürzen und aufzuhören, die För-
dermittel nach Himmelsrichtungen zu verteilen – was
noch nie stattgefunden hat?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1511107300

Sehr geehrte Frau Kollegin, ich will hier noch einmal

in aller Klarheit deutlich machen: Meine Position ist,
dass diese Fördermöglichkeiten nicht beschnitten wer-
den dürfen.


(Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])

Diese Position habe ich auch gegenüber SPD-Minister-
präsidenten deutlich gemacht. Sie wissen so gut wie ich,
dass es in den Bundesländern unterschiedliche Interes-
sen gibt. Die damit verbundenen Konflikte werden aus-
getragen. Meine Position ist hier deutlich geworden.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, Ihre eigene!)

Zu dieser Position stehe ich auch.

Im Übrigen, Frau Pieper, sollten wir wirklich wahr-
nehmen, dass der Aufbau in Ostdeutschland zwei Ge-
sichter hat. Man muss sie beide sehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Man muss auf der einen Seite wahrnehmen: Es gibt
heute in Ostdeutschland die modernsten Fabriken und
die neuesten Forschungslabore. Es gibt Städte, die wie-
der zum Leben erwacht sind.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das haben wir gesagt! Das sind unsere Worte!)


Das ist eine Aufbauleistung von Millionen Menschen in
Ostdeutschland, die so gewaltig ist, dass man davor
wirklich Respekt haben muss.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das sind unsere Worte gewesen!)


Man darf nicht immer nur schwarz malen, wie Sie, Herr
Vaatz, es hier gemacht haben.

Natürlich gibt es auch eine andere Seite. Wer auf-
merksam durch Ostdeutschland fährt, der sieht diese an-
dere Seite. Neben dem gelungenen Aufbau gibt es die
bedrückende, hohe Arbeitslosigkeit.






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Matschie


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt fangen Sie nicht mit dem Schwarzmalen an!)

In manchen Regionen liegt sie bei über 20 Prozent.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das sind unsere Worte, Herr Matschie!)


In diesen Regionen herrscht Angst, weil die jungen
Menschen weggehen und weil die Alten allein zurück-
bleiben. Natürlich gibt es das alles. Es gibt Regionen, in
denen die Hoffnung langsam stirbt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was sagen Sie denen, Herr Matschie?)


Aber, Herr Kollege Vaatz, wir müssen doch die Frage
stellen: Wie kommen wir an dieser Stelle weiter?


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja, natürlich!)

Wir dürfen nicht nur das Problem beschreiben. Deshalb
haben wir auch heute konkrete Vorschläge dazu auf den
Tisch gelegt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Welche denn?)

Ostdeutschland war und ist auf Unterstützung ange-

wiesen. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen:
Meine Erfahrung in den letzten Jahren war – ich teile sie
mit vielen Kolleginnen und Kollegen, auch aus den alten
Bundesländern –, dass eine großartige solidarische Leis-
tung vollbracht worden ist, und zwar von den Ostdeut-
schen, die den Mut gehabt haben, anzupacken, und von
den Westdeutschen, die mitgeholfen haben, dass diese
Solidarität finanziert werden kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Die durch Taschenspielertricks der Regierung jetzt entwertet wird! Das ist die Realität!)


Natürlich ist auch klar: Die Ungeduld wächst. Sie
wächst im Osten, weil es nicht schnell genug vorangeht.
Sie wächst auch im Westen, weil da gefragt wird: Was ist
in den letzten Jahren passiert? Warum ist es nicht so
schnell vorangegangen, wie wir alle uns das erhofft ha-
ben? Deshalb müssen wir heute auch darüber diskutie-
ren: Wie setzen wir die Mittel, die wir zur Verfügung ha-
ben, möglichst effizient ein? Was machen wir aus den
Möglichkeiten, die wir hier haben?

Natürlich gehört dazu, auch den Mut zu haben, zu sa-
gen: Wir müssen Mittel stärker auf Wachstumskerne
und auf möglichst Erfolg versprechende Entwicklungen
konzentrieren. Sie haben einige davon beschrieben, die
übrigens in erheblichem Umfang mit Bundesgeld geför-
dert worden sind. Diese Entwicklung soll auch weiterge-
hen. Wenn junge Leute mobil sind – sie sind es nun ein-
mal –, suchen sie ihre besten Chancen. Wir aber wollen
doch, dass sie nicht aus Ostdeutschland nach München,
nach Stuttgart oder nach Düsseldorf gehen, sondern dass
sie in Dresden, in Leipzig oder in Jena bleiben, weil sie
dort die besten Möglichkeiten für sich sehen. Also müs-
sen wir Wachstumskerne fördern.


(Beifall bei der SPD)

Ich bin Manfred Stolpe für seine Initiative dankbar,
der das Gespräch mit den Bundesländern aufgenommen
hat, um zu klären, wie man die Möglichkeiten, die Bund
und Länder haben, besser miteinander koordiniert, wie
man Kräfte bündelt und auf solche Erfolg versprechen-
den Entwicklungen konzentriert.

Natürlich kommt es vor allem darauf an, Innovati-
onskraft zu stärken. Das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung hat in den letzten Jahren die Mittel
für die Innovationsförderung in den neuen Bundeslän-
dern quasi verdoppelt – daran hat Edelgard Bulmahn ei-
nen ganz großen Anteil –; hier ist eine gigantische Leis-
tung vollbracht worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jeder, der durchs Land fährt, erkennt: Das Geld ist gut
angelegt. Das kann man überall sehen. Vor wenigen Ta-
gen haben wir in Ilmenau ein neues Fraunhofer-Institut
auf den Weg gebracht. Ich bin gestern in Hermsdorf ge-
wesen und habe mir angeschaut, welche Früchte die
Wachstumskerneförderung dort getragen hat. Man kann
das mit Händen greifen. Es wirkt. Das ist auch die
Stärke, die wir in den nächsten Jahren gewinnen müssen.
Wir müssen Innovations- und Wachstumskräfte stärken.

Was sich in Ihrem Antrag wiederfindet – Löhne wei-
ter runter, Niedriglohnsektor ausweiten –, das ist nicht
der Weg in Ostdeutschland.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Schauen Sie sich doch mal um! Schon heute gibt es in
vielen Bereichen in Ostdeutschland Löhne, von denen
ich sage, dass sie unterhalb der Schamgrenze sind. In Er-
furt beispielsweise gehen Menschen mit einem Brutto-
stundenlohn von 3,30 Euro nach Hause. Von diesem
Lohn kann man nicht leben; man muss zusätzliche staat-
liche Hilfe beantragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sage ich Ihnen als Abgeordneter aus Ost-

deutschland: Wir brauchen nicht über Niedriglöhne und
die Ausweitung des Niedriglohnsektors zu reden. Wir
brauchen eine Debatte über einen gesetzlichen Mindest-
lohn. Wir brauchen Mindeststandards in Ostdeutsch-
land, damit Menschen mit ihrer eigenen Hände Arbeit
ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die Debatte
über Mindestlöhne ist die Debatte, die wir heute führen
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: So ein Quatsch!)


– Nein, das ist kein Quatsch, Frau Pieper.

(Cornelia Pieper [FDP]: Doch!)


Neun Länder in der Europäischen Union haben solche
Mindestlohnregelungen eingeführt, weil sie erkannt ha-
ben: Wir brauchen eine untere Grenze für die Lohnent-
wicklung, damit Menschen am Ende auch von ihrer
Hände Arbeit leben können und nicht auf zusätzliche






(A) (C)



(B) (D)


Christoph Matschie

staatliche Hilfe angewiesen sind. Für mich ist es auch
eine Frage der Würde des Menschen,


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

ob man einen angemessenen Lohn für seiner Hände Ar-
beit bekommt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes sagen: Die
Entwicklung in Ostdeutschland ist trotz aller Probleme – das
ist meine feste Überzeugung – eine Erfolgsgeschichte,
an der Millionen von Menschen mitgeschrieben haben.
Lassen Sie uns deshalb im Deutschen Bundestag ge-
meinsam dafür sorgen, dass diese Erfolgsgeschichte in
den nächsten Jahren fortgeschrieben werden kann und
dass wir auf diesem Weg möglichst alle mitnehmen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511107400

Das Wort erhält nun die Kollegin Cornelia Behm,

Bündnis 90/Die Grünen.

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511107500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Dass wir zum Thema „Zukunft Ostdeutsch-
lands“ eine Kernzeitdebatte am Donnerstagvormittag
führen, erfüllt mich durchaus mit Befriedigung,


(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Das haben Sie den Oppositionsparteien zu verdanken!)


zeigt es doch, dass dieses Thema wichtig ist. Ostdeutsch-
land hat noch immer in besonderer Weise an den Folgen
der jüngsten Geschichte zu tragen. Es ist gut, dass das
Parlament das ganz ernst nimmt.

Die CDU/CSU bildet in ihrem Antrag „Ostdeutsch-
land eine Zukunft geben“ ein weich gezeichnetes Bild
der bisherigen Erfolge des Aufbaus Ost ab.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Weich gezeichnet?)


– Ja. – Ich bin weit davon entfernt, das Erreichte kleinzu-
reden und dem Klischee des ewig unzufriedenen Ostlers
zu entsprechen, doch die Bilanz, die dieser Antrag zieht,
ist geschönt: kein Wort über die Deindustrialisierung, die
wir im Osten erlebt haben, kein Wort über den Woh-
nungsleerstand und den Verfall von Städten aufgrund
drastisch sinkender Bevölkerungszahl, kein Wort über
vor sich hin rottende Industrie- und Gewerbebrachen


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das stand in unserem letzten Papier!)


und über fehlgeplante überdimensionierte Infrastruktur,
kein Wort über gigantische Fehlinvestitionen von För-
dermitteln


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Schwarzmalerei!)

und darüber, dass man vor 1990 Arbeitslosigkeit nur
vom Erzählen kannte. Neben den vielen Erfolgen gehört
auch das zur Realität Ostdeutschlands. Es ist kein Wun-
der, dass die CDU/CSU das in ihrem Antrag unerwähnt
lässt; denn wenn sie es erwähnen würde, müsste sie auch
ihre Verantwortung für gewaltige Fehlsteuerungen und
Fehlinvestitionen in den 90er-Jahren eingestehen.

Die CDU/CSU fordert, fruchtlosen Debatten über Son-
derwirtschaftszonen entgegenzutreten. Dem kann ich nur
zustimmen. Allerdings frage ich mich, wo die Konsequenz
bleibt. Wann hören Sie endlich auf, Sonderregelungen für
den Osten zu fordern, zum Beispiel im Planungs- und
Genehmigungsrecht? Warum unterliegen Sie noch im-
mer dem Irrglauben, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass durch die Ausschaltung von Bürgerbeteiligung und
Verbandsklagerechten Projekte schneller realisiert wer-
den können?


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Weil wir es tagtäglich erleben!)


Hier soll Demokratieabbau als Entbürokratisierung ver-
kauft werden. Jawohl, so sehe ich das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf der CDU/CSU-
geführten Bundesländer zur Streichung des Verbandskla-
gerechtes für Naturschutzverbände ab. Aus denselben
Gründen wird es mit uns auch keine Verlängerung der
Geltungsdauer des Verkehrswegeplanungsbeschleuni-
gungsgesetzes geben.

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU fordert, den
Kündigungsschutz in Ostdeutschland auszusetzen. Ich
sehe nicht, dass es Ostdeutschland gut bekommen
würde, wenn beim Arbeitsrecht niedrigere Standards als
in Westdeutschland eingeführt würden. Ob die daraus
abgeleiteten vagen Arbeitsplatzerwartungen Realität
werden, ist doch sehr zweifelhaft. Welche Zugewinne an
Arbeitsplätzen sind uns nicht schon von den Wirtschafts-
forschungsinstituten durch Sozialabbau und Deregulie-
rung des Arbeitsrechtes prognostiziert worden! Von die-
sen Arbeitsplätzen haben wir bisher kaum welche
gesehen. Real aber ist die Gefahr, dass mit zunehmen-
dem Sozialabbau die Motivation und damit die Produkti-
vität und Qualität der Arbeit sinken. Das wäre kein An-
reiz, in den Standort Ost zu investieren.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die ostdeutsche

Wirtschaft stärken heißt die regionale Wirtschaft stär-
ken. Ostdeutschland ist keineswegs ein homogenes Ge-
bilde, sondern weist eine Vielfalt von Regionen mit je-
weils typischer Ausprägung aus. Das Typische liegt
nicht nur in der Wirtschaft, Infrastruktur, Kultur und Na-
tur begründet, sondern auch in der Geschichte und Men-
talität der Bevölkerung. Daran müssen sich regionale
Entwicklungskonzepte orientieren, die die jeweiligen
Wirtschaftspotenziale erschließen sollen.

Auch die Lage an der Grenze zu den neu zur EU bei-
getretenen Ländern Polen und Tschechien ist ein Kapi-
tal, mit dem ostdeutsche Regionen wuchern können. Ein
tschechischer Kollege verglich unlängst die Euroregio-
nen mit Ökosystemen: je größer die Artenvielfalt, desto
stabiler das System. In den Euroregionen hat die Zukunft
am 1. Mai dieses Jahres begonnen.






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Behm

Angesichts der Debatte über Wachstumskerne ist es

mir besonders wichtig, dass der ländliche Raum nicht
abgehängt wird. Auch hier können Wachstumskerne
identifiziert werden; denn ländlicher Raum ist mehr als
nur Landwirtschaft. Im ländlichen Raum Industrien auf-
zubauen, für die es dort weder die Rohstoffbasis noch
die Zulieferer noch die Absatzmärkte gibt, ist allerdings
wenig erfolgversprechend. Industrie und Gewerbe müs-
sen vor allem an das anknüpfen, was dort an Rohstoffen,
Arbeitskräftepotenzial und Traditionen vorhanden ist.

Wir setzen deshalb zum Beispiel auf den Anbau und
die Verarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen.
Das hat einen dreifachen Effekt: Nachwachsende Roh-
stoffe können fossile Rohstoffe ersetzen – damit werden
Ressourcen geschont –, sie haben in der Regel eine bes-
sere Ökobilanz und sie schaffen zusätzliche Arbeit in
Deutschland. Durch den Aufbau von Verarbeitungskapa-
zitäten entstehen noch zusätzliche Arbeitsplätze, zum
Beispiel im Anlagenbau.

Ein weiteres Potenzial des ländlichen Raums stellt der
wachsende Markt für Erholungsleistungen dar. In der
Debatte um die wirtschaftliche Entwicklung im Osten
gerät die Bedeutung kultureller Angebote und Einrich-
tungen, von Kulturdenkmälern, sozialer Infrastruktur
und Naturschätzen leicht aus dem Blickfeld.


(Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie bitte mal zum Thema!)


Sie aber sind ein Kapital Ostdeutschlands, das es für die
Entwicklung des Landes zu nutzen gilt. Auf der Basis
der Kulturdenkmäler und der Naturschätze gilt es den
Tourismus zu entwickeln. Sie sind aber auch Vorausset-
zung dafür, dass die Menschen gerne hier leben bzw.
hierher ziehen.

Im Osten Deutschlands liegen ohne Zweifel die meis-
ten strukturschwachen Regionen. Der Auftrag des
Grundgesetzes ist eindeutig: Es fordert, gleichwertige
Lebensbedingungen zu schaffen. Um diese in Ost und
West zu erreichen, bedarf es noch auf längere Sicht er-
heblicher Anstrengungen. Helmut Kohl hat blühende
Landschaften versprochen; wir erinnern uns. Aber er hat
an den wirklichen Bedürfnissen dieser Landschaften
vorbei regiert. Rot-Grün hat 1998 mit den Versprechun-
gen für den Osten aufgehört. Aber Rot-Grün hat gehan-
delt. Neben den Gemeinschaftsaufgaben wurden zahlrei-
che innovations- und wirtschaftsfördernde Programme
insbesondere für Ostdeutschland entwickelt. Auf diesem
Weg werden wir weitergehen. Mit den Gesetzen zur Mo-
dulation, zur Agrarreform und zum EEG sowie mit der
Mittelstandsoffensive geben wir nicht nur allen struktur-
schwachen Regionen eine Entwicklungsperspektive,
sondern – um im Bild zu bleiben – Ostdeutschland eine
Zukunft.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511107600

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernward Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bernward Müller (CDU):
Rede ID: ID1511107700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Matschie, Sie haben Ihren Vortrag vorhin
in einer sehr aufgeregten – mir von Ihnen unbekann-
ten –, gekünstelten Art dargeboten und gefragt, wie wir
in den neuen Bundesländern weiterkommen können. Die
Antwort ist leicht zu finden: Sie können sie in unserem
Antrag oder in den Protokollen der heutigen Debatte le-
sen. Wenn Sie aus diesen nicht nur Worte oder Passagen,
die in Ihre Vorstellungswelt passen, herausnehmen, son-
dern einmal das Ganze lesen – was ich hoffe –, werden
Sie in dem, was heute von der Unionsfraktion und der
Opposition in diesem Hause insgesamt gesagt worden
ist, richtige Antworten finden, die Sie, wenn Sie sie auch
nur zum Teil beherzigen, einen großen Schritt nach vorn
bringen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP])


Sie sprechen immer davon, wir würden die Situation
in den neuen Bundesländern schlechtreden.


(Zuruf von der SPD: Das machen Sie ja auch!)

– Das ist nicht wahr. – Wer die Situation in den neuen
Bundesländern kennt, der muss erkennen, dass die Kon-
zepte, die Sie in den letzten Jahren vorgeschlagen haben
und die das Land voranbringen sollten, eben nicht grei-
fen. Das betrifft nicht nur die Lage in den neuen Bundes-
ländern, sondern die gesamte politische Situation. Was
Sie als Lösungen anbieten, sind keine Lösungen. Es ver-
unsichert die Menschen und es macht Ihr politisches
Handeln unglaubwürdig. Damit muss endlich Schluss
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Kollege Hettlich hat vorhin die unsägliche Debatte
der letzten Wochen bewertet. Ich schließe mich dieser
Bewertung an. Es ist äußerst wichtig, immer zu wieder-
holen: In den neuen Bundesländern hat es kurzzeitig ei-
nen Aufschwung gegeben. Der Beginn war gut, aber die
Fortsetzung – das ist das Entscheidende – hätte besser
sein müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP])


Ministerpräsident Milbradt hat ausgeführt, dass dort,
wo der Staat eingegriffen und Regie geführt hat, vieles
gelungen ist. Die weichen Standortfaktoren sind vor-
handen und wirken. Aber mich besorgt, dass es außer-
halb dieser so genannten Wirtschaftszentren noch zu
viele ungenutzte Flächen in den Gewerbegebieten auf
dem flachen Land gibt. Es muss etwas getan werden, da-
mit sich auch dort eine positive Entwicklung einstellt.
Wir wollen doch, dass die Menschen in den neuen Bun-
desländern bleiben, dass beispielsweise Thüringer in
Thüringen bleiben. Wir wollen, dass unsere Kinder in
unseren Ländern eine gute Ausbildung genießen können,
ihre Zukunft gestalten können und eine Perspektive ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Bernward Müller (Gera)


Fast jeder Redner hat hier betont, die Menschen hät-

ten sich engagiert. Das ist so. Die Herausforderungen
waren riesig; viele haben sich diesen Herausforderungen
gestellt und haben Mut bewiesen, indem sie den Weg
von einer staatlichen Wirtschaft zum Unternehmertum
gegangen sind. Nun liegt es an uns, diesen Mut zu hono-
rieren und diese Menschen zu unterstützen. Man sollte
die Mittelständler nicht knebeln und ihnen Fesseln anle-
gen, sondern man sollte ihnen Chancen eröffnen. Denje-
nigen, die selbstständig werden wollen, sollte man eine
Perspektive eröffnen, damit sie Ideen aufgreifen und
sich als Unternehmer betätigen können; denn nur Unter-
nehmer können Arbeitsplätze schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Man muss wirklich feststellen, dass die Zeit wie im
Fluge vergeht. Den Aufbau Ost zur Chefsache zu ma-
chen war eine Drohung für die Menschen in den neuen
Bundesländern. In der Zukunft wäre es besser, wenn die
verantwortlichen Minister der Bundesregierung nicht in
diese Region fahren und nicht versuchen, dort die Ent-
wicklung voranzubringen. Nur dann kann es weiterge-
hen.

Die Bundesregierung ist ihrer Aufgabe, für die neuen
Bundesländer Entscheidendes voranzubringen, so wie es
1998 angekündigt wurde, in keiner Weise gerecht geworden.
Ich will als Beispiel die ICE-Trasse Erfurt–Nürnberg
nennen, die heute schon erwähnt wurde. Dieses Projekt ist
für Thüringen – aber eben nicht nur für Thüringen – be-
sonders wichtig. Das sind doch die Zeichen, die gesetzt
werden müssen, damit Investoren ins Land kommen. Was
hat es für einen Schlingerkurs gegeben, als Sie die Ver-
antwortung für dieses Projekt übernommen haben!


(Zuruf von der SPD)

– Natürlich war das ein Schlingerkurs.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Erst auf dem Prüfstand!)


Erst musste alles geprüft werden. Dann haben die Grü-
nen gesagt, das sei nicht wirtschaftlich. Die SPD wie-
derum hat gesagt, die Strecke werde doch gebaut, aber
sie werde halt nicht so schnell gebaut.


(Renate Blank [CDU/CSU]: Es wird überhaupt nicht mehr gebaut! – Zuruf von der SPD)


– Für Sie mag das so sein. Aber für uns ist es ganz wich-
tig.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511107800

Herr Kollege, achten Sie auf Ihre Redezeit. Sie müs-

sen jetzt schnell zum Schluss kommen.


Bernward Müller (CDU):
Rede ID: ID1511107900

Ich komme ganz schnell zum Schluss.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Schneller, als die Strecke gebaut wird!)

Es ist eine Katastrophe, wie Sie dieses Projekt voran-
bringen. Es herrscht Stillstand. Aber Stillstand ist Rück-
schritt. Auch wenn sich drei Bagger bewegen, so muss
man doch sagen: Es geht nichts voran, sondern es
herrscht Stillstand. Herr Matschie, ich sehe nicht, dass
diese Strecke unter Ihrer Verantwortung jemals fertig ge-
baut wird.

Ich gebe Ihnen folgende Empfehlung: Stellen Sie die
Weichen neu oder machen Sie Platz für eine neue Poli-
tik!


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Stellen Sie die Weichen! Oder besser: Weichen Sie!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511108000

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Siegfried

Scheffler.

Siegfried Scheffler (SPD):
Rede ID: ID1511108100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wenn man hier teilweise die
Reden hört, insbesondere die von Frau Pieper – Herr
Vaatz hat sich in seinen Eingangsbemerkungen ein biss-
chen an die Realität herangepirscht –,


(Cornelia Pieper [FDP]: Sie nehmen die Realität nicht zur Kenntnis!)


muss man denken, dass Sie ein bisschen blind durch die
Lande stolzieren.

Frau Pieper, gerade Ihr Ministerpräsident

(Cornelia Pieper [FDP]: Herr Böhmer!)


teilt ja immer wieder in Presse, Funk und Fernsehen,
aber auch dann, wenn er hier im Bundestag ist, mit, wie
erfolgreich seine Politik ist. Dies ist sie insbesondere
dann, wenn Bundesmittel ausgegeben werden. Die
Leuchttürme, die Sie in Sachsen-Anhalt geschaffen ha-
ben, beruhen auf Bundesmitteln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: Hat schon die CDU/ CSU-FDP-Regierung auf den Weg gebracht!)


Das war bis 1998 nicht so. Vielmehr sind gerade die Ak-
zente, die zum Beispiel Bundesministerin Edelgard
Bulmahn gesetzt hat, erfolgreich und auch in Sachsen
und Thüringen hochwirksam.

Es gibt ja ein gewisses Maß an Übereinstimmung,
zum einen was die positiven Dinge, zum anderen aber
auch was die wirtschaftlichen Strukturdaten betrifft. Da-
bei geht es um die Sicht auf den Arbeitsmarkt, aber auch
um die Einschätzung und die Wahrnehmung in der Be-
völkerung, dass der Weg der letzten Jahre durchaus er-
folgreich war. Das können wir doch gar nicht abstreiten.
Wir sagen in unserem Antrag doch ganz deutlich: Ein
Weiter-so wird es nicht geben. Aber das Bild eines gene-
rellen Stillstandes der ostdeutschen Wirtschaft ist
schlichtweg falsch; Kollege Vaatz, darin stimme ich aus-
drücklich mit Ihnen überein. Der Aufholprozess setzt
sich natürlich bei einem zu geringen Wachstum insbe-






(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Scheffler

sondere im industriellen Bereich fort. Der Strukturwan-
del ist in allen neuen Ländern, von Rostock oder Rügen
bis hinunter nach Zittau, sehr sichtbar. Ministerpräsident
Milbradt, aber insbesondere unser Kollege Matschie aus
Thüringen haben dies eindrucksvoll vorgetragen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Gleichwohl vollzieht sich keine selbst tragende Ent-
wicklung. Wir stimmen mit Ihnen auch darin überein,
dass die finanzielle Abhängigkeit von Transfers aus
Westdeutschland und die Abwanderung aus den neuen
Ländern nicht gut sind. Damit werden wir uns als ost-
deutsche Landesgruppe in der SPD nicht zufrieden ge-
ben. Hier geht es aber nicht nur um regionale Sorgen.
Herr Matschie hat es teilweise schon angesprochen: Die
Entwicklung in den neuen Ländern ist vielmehr in die
Entwicklung in ganz Deutschland eingebettet. Mit Angst
und Hysterie, wie das in der Presse geschieht oder auch
von Ihnen immer wieder versucht wird – Frau Pieper,
Sie haben das eindrucksvoll bestätigt –,


(Cornelia Pieper [FDP]: Ich mache mir große Sorgen!)


können wir nichts erreichen. Wir können doch nicht den
ungelegten Eiern im Hinblick auf die Haushaltsberatun-
gen 2005 vorgreifen. Wir können uns hier zwar die
Köpfe über GA- und Infrastrukturmaßnahmen heiß re-
den. Entscheidend ist letztendlich, was der Deutsche
Bundestag, wir als Parlamentarier mit unseren Haushäl-
tern, im Hinblick auf den Haushalt 2005 oder jetzt die
GA 2004 entscheidet. Insofern sind für mich viele Dinge
– auch Ihre Pressemitteilung gestern aus Weimar – unge-
legte Eier, die nur dazu dienen, diesen Standort schlecht
zu machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen, dass eine differenzierte Stärken-
und Schwächenanalyse, wie es Kollege Matschie hier
vorgetragen hat, mit guten Vor-Ort-Kenntnissen – denn
ich und andere sind sehr viel im Lande unterwegs – eine
Grundlage für neue Ansätze der Förderung schaffen
kann. Deshalb beinhaltet unser Antrag nicht einfach ein
Weiter-so, sondern eine Neujustierung, wie das Minister
Stolpe nicht erst in der heutigen Debatte, sondern schon
in der Vergangenheit dargestellt hat. Diese Neujustie-
rung ist sichtbar.

Vorhin wurde die Verdoppelung der industrienahen
Forschung angesprochen. Diese ist in der Region Ber-
lin-Brandenburg und auch in Mecklenburg-Vorpommern
sichtbar, aber natürlich nicht in allen Regionen. Wir
stimmen mit Ihnen darin überein, dass wir nach wie vor
eine bessere Infrastruktur und industrienahe Forschung
brauchen. Das können wir aber unter den gegenwärtigen
Bedingungen der Globalisierung nicht sofort erreichen.

Noch ein Punkt: Angesichts der Bedingungen kurz
nach der Wende, in der Zeit, in der Sie – das wollen Sie
heute nicht mehr wissen – eine Deindustrialisierung
bewirkt haben, können wir doch nicht so tun, als ob gar
nichts zustande gekommen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Europäische Union bestätigt der Bundesregierung
und dem Deutschen Bundestag nach wie vor, dass min-
destens zwei Drittel der finanziellen Engpässe auf die
Deindustrialisierung und die Fehler in der Zeit kurz nach
der Wendezeit, zum Beispiel auf den überhitzten Bau-
boom, zurückzuführen sind. Darunter haben wir noch
heute zu leiden. Das blenden Sie vollkommen aus.

Das blendet auch Ministerpräsident Milbradt aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Er blendet ebenfalls vollständig aus, dass er 2003, als
über das Steuervergünstigungsabbaugesetz verhandelt
wurde, auf der anderen Seite des Tisches saß und die
unionsregierten Länder vollkommene Blockadepolitik
betrieben. Wäre dem nicht so gewesen, hätten die Haus-
hälter des Deutschen Bundestages und die Bundesregie-
rung viel mehr Spielräume


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


in der Frage der Bildungs-, Forschungs- und Verkehrs-
politik gehabt. Dann wäre es möglich gewesen, wesent-
lich mehr für die Schiene, für die Straße und für die Was-
serstraßen zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Tatsachen dürfen Sie nicht ausblenden; darum
bitte ich Sie wirklich.

Frau Pieper und Herr Milbradt haben die Aspekte der
Arbeitsmarktpolitik in den Vordergrund gestellt. Sie
müssen dann aber auch den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern sagen, dass Sie nicht nur den Niedriglohn-
sektor, sondern sogar schon die Schwellenlöhne von Ru-
mänien, Bulgarien oder anderen Staaten durchsetzen
wollen.


(Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]: Das stimmt nicht!)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wol-
len hinsichtlich des Kündigungsschutzes Änderungen
vornehmen.


(Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP]: Das sind Unterstellungen!)


– Das sind keine Unterstellungen. Ich habe das aus Ihren
Anträgen herausgelesen. – Diese Forderungen müssen
wir von der SPD mit Nachdruck zurückweisen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können uns durchaus über Lohnergänzungsleis-
tungen unterhalten. Ihre Ausführungen zum Arbeits-
markt aber – ich sage das ganz deutlich – sind ein Skan-
dal. Sie wollen – auch das unterstelle ich Ihnen – über
den Umweg einer anderen Strukturpolitik in Ostdeutsch-
land die Arbeitnehmerrechte praktisch in ganz Deutsch-
land aushebeln. Dabei machen wir nicht mit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Scheffler

Deutschland, insbesondere Ostdeutschland, braucht

konkurrenzfähige Arbeitsplätze – teilweise gibt es sie
schon –, um international konkurrenzfähig zu sein. Von
dieser internationalen Konkurrenzfähigkeit hat Mi-
nisterpräsident Milbradt gesprochen. Der Solidarpakt II
reicht bis 2019 und wir als Landesgruppe Ost haben von
der Regierung GA-Mittel eingefordert. Unser Zeithori-
zont reicht also bis 2019 und wir dürfen ihn durch
Schlechtreden nicht verkürzen und so tun, als sei er be-
reits 2009 oder 2010 zu Ende. Meines Erachtens sind
Ihre Vorschläge teilweise nicht nur arbeitsmarktpoli-
tisch, sondern auch wirtschaftspolitisch unsinnig. Ihre
Wirkung ist teilweise verheerend.

Sie können dort, wo die Bundesmittel greifen und
durch Bundesmittel finanzierte Programme aufgelegt
werden – vorhin wurde das schon genannt –, eine ver-
nünftige Landespolitik machen. Dazu müssen Sie die
Kabinette, an denen Unions- oder FDP-Politiker betei-
ligt sind, auffordern, die ihnen zur Verfügung gestellten
Mittel sinnvoll einzusetzen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Zum Beispiel in Berlin! Das ist unglaublich!)


Nehmen wir zum Beispiel die Verwendung der Regiona-
lisierungsmittel in Sachsen-Anhalt. Sie können vor Ort
sehen, wo die Mittel für den Ausbau der Verkehrsinfra-
struktur angekommen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bitte darum, hier Ross und Reiter zu nennen. Wir
müssen klar sagen, wo die Ursachen liegen, und dürfen
nicht immer nur auf den Bund schauen. Die Verantwor-
tung der Länder muss hier ganz deutlich angesprochen
werden.


(Cornelia Pieper [FDP]: Wo ist Ihr Konzept?)

– Frau Pieper, wir können uns gern über Fragen der Bil-
dungs-, Forschungs-, Verkehrs- und Arbeitsmarktpolitik
unterhalten. Wir beschreiten gerade in der Arbeitsmarkt-
politik einen anderen Weg als Sie. Wir stellen unsere
Hartz-Gesetze Ihren Forderungen nach Lohnersatzleis-
tungen entgegen. Ich denke, damit gehen wir den we-
sentlich besseren Weg.


(Beifall bei der SPD – Cornelia Pieper [FDP]: Die Arbeitslosen werden immer mehr!)


Sie können unserem Antrag mit ruhigem Gewissen
zustimmen. Ihre Anträge müssen wir natürlich zurück-
weisen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511108200

Zu einer Kurzintervention, weil er persönlich ange-

sprochen wurde, der Kollege Vaatz.

Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1511108300

Herr Kollege Scheffler, nach Ihrer Auffassung habe

ich mich allmählich an die Realität herangepirscht. Mit
„Realität“ nehmen Sie sicher auf die Zwischenfrage Ih-
res Kollegen Hilsberg Bezug. Dazu möchte ich Folgen-
des sagen: Die Aussage des Herrn Kollegen Hilsberg,
dass man sich mit einer Firma geeinigt habe, ist richtig.
Es geht aber nicht um die Einigung einer Regierung mit
einer Firma. Vielmehr hat die Regierung gleiches Recht
für alle zu schaffen.

In der augenblicklichen Situation werden die mittel-
deutsche Braunkohle und die mittelständischen Unter-
nehmen, die in Ostdeutschland unmittelbar nach der
Wende ihre Anlagen ertüchtigt haben und Emissionen
abgeben, nach wie vor benachteiligt;


(Zuruf von der SPD: Falsch!)

denn noch ist das Referenzjahr bei der Bemessung für
die Early Actions das Jahr 1994 und nicht, wie wir for-
dern, das Jahr 1991. Im Benchmarking wird der techni-
sche Wirkungsgrad der Braunkohle gegenüber dem tech-
nischen Wirkungsgrad der Steinkohle nach wie vor
benachteiligt. Es ist nach wie vor richtig, was ich an-
fangs gesagt habe, dass nämlich die in Ostdeutschland
neu gegründeten Betriebe hinsichtlich ihrer Finanzie-
rung eine Doppelfunktion ausüben: Einerseits finanzie-
ren sie sich selbst, andererseits finanzieren sie die Erneu-
erung im Westen. Daran hat sich nichts geändert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Siegfried Scheffler (SPD):
Rede ID: ID1511108400

Herr Kollege Vaatz, Ihre Kurzintervention bezog sich

nicht auf meine Rede, sondern auf den Beitrag des Kol-
legen Hilsberg. Ich kann die Aussage des Kollegen
Hilsberg aber bestätigen; denn in dieser Woche haben
wir uns nach der entscheidenden Nachtsitzung, in der es
um die Ausgestaltung des Entwurfs ging, mit den Ver-
antwortlichen von Vattenfall unterhalten. Ich kann nur
bestätigen, dass zukünftig sowohl die Investitionen als
auch die Senkung der Emissionen Beachtung finden. In-
sofern muss ich das, was Sie hier vorgetragen haben, zu-
rückweisen; es entspricht nicht den Tatsachen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511108500

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Kuhn.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Werner Kuhn (CDU):
Rede ID: ID1511108600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Ostdeutschland eine Zukunft geben“ – das ist die Über-
schrift unseres Antrags. Das ist auch mit einer Vision
verbunden. Diese Debatte heute wäre nicht zustande ge-
kommen, wenn nicht die Oppositionsfraktionen signali-
siert hätten, dass wir über Ostdeutschland reden müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Menschen in der ehemaligen DDR haben mit der

friedlichen Revolution selbst das Tor für eine freiheitli-
che Demokratie und ihre Zukunft aufgestoßen. Wir hat-
ten viele Wegbegleiter und Wegbereiter. Mit Helmut






(A) (C)



(B) (D)


Werner Kuhn (Zingst)


Kohl hatten wir einen Bundeskanzler, der diese histori-
sche Aufgabe der Wiedervereinigung unseres Vaterlan-
des ganz oben auf seiner Agenda stehen hatte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Er hat blühende Landschaften versprochen!)


Das steht im Gegensatz zu der Agenda 2010 des jetzigen
Bundeskanzlers, für den der Osten nur noch eine Margi-
nalie ist. Man würde am liebsten gar nicht mehr darüber
reden, wie die Entwicklung dort unter Rot-Grün letzt-
endlich in die Grütt gefahren worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Uta Zapf [SPD]: Das ist Quatsch!)


Bei 5 Millionen Arbeitslosen und einer flächende-
ckenden Unterbeschäftigung von 20 Prozent in Ost-
deutschland ist es zwingend notwendig, dass wir diese
Debatte führen. Wenn der Osten nicht wieder auf die
Beine kommt, wird die Wirtschaft in Deutschland der
Entwicklung in Europa im wahrsten Sinne des Wortes
weiter hinterherhinken. Wir brauchen uns nicht darüber
zu ereifern, wer denn nun die Konzepte für die gerings-
ten Steuersätze oder wer die besten Konzepte für die
Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in Ost-
deutschland hat. Die Fakten zeigen es eindeutig: Die Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ ist eine zentrale Aufgabe. Minis-
terpräsident Milbradt hat ganz klare Worte dazu gefun-
den. Im Osten arbeiten wir mit dem European Recovery
Program, weil wir 40 Jahre benachteiligt worden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt werden wir durch diese Bundesregierung benach-
teiligt. Von ursprünglich 750 Millionen Euro sind die
Ausgaben für diese Aufgabe auf knapp 200 Millionen Euro
gesenkt worden. Das können wir uns einfach nicht bie-
ten lassen. Wie sollen wir denn unseren Investitions-
standort fit machen? Wir brauchen die GA und die In-
vestitionsförderung. Dafür brauchen wir auch
Landesmittel. Wir müssen Einnahmen realisieren, um
diese Situation in den Griff bekommen zu können.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Dann müsst ihr endlich die Steuergesetze mit beschließen!)


– Ja, Herr Stiegler, Sie sind natürlich ein ausgemachter
Experte, der die Ostförderung in- und auswendig kennt.


(Dr. Peter Danckert [SPD]: Er ist häufiger da als Sie!)


Sie werden ja zu diesem Tagesordnungspunkt später
noch als Wunderwaffe Ihrer Partei eingesetzt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber Sie müssen sich einmal anschauen, wie die Men-
schen in den neuen Bundesländern auf ein Hoffnungssi-
gnal warten.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Man merkt, dass Sie von Angst getrieben sind!)

Ich sage: Diese Bundesregierung ist nicht geeignet,
ihnen dieses Signal zu geben. Da ich Herrn Matschies
Problembeschreibung und die vielen Fragen, die er ge-
stellt hat, gehört habe und beobachtet habe, wie er dann
mit Herrn Minister Stolpe in einen Dialog getreten ist,
sage ich Ihnen: Sie verhalten sich nicht wie Koalitions-
fraktionen, die eine Regierung tragen, bzw. wie ein Mi-
nister für den Aufbau Ost. Das hat sich vielmehr ange-
hört wie eine Selbsthilfegruppe, die einfach nur einmal
über dieses Thema reden will, die aber gar keine eigenen
Konzepte hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: So was Aufgeblasenes! – Werner Schulz [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mehr kühn als Kuhn!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt
sich um Verträge, die in Zukunft in keiner Weise geän-
dert werden können. Bis 2012 sind wir in den Lasten der
Steinkohleproduktion im Ruhrgebiet fest verwurzelt.
Aber dort finden Wahlen statt.


(Cornelia Pieper [FDP]: Oh ja!)

In NRW wird es dann heißen, dass man diese Situation
leider nicht ändern könne; aber dann werden bis zum
Jahre 2012 Förderungen in Milliardenhöhe zugesagt.


(Cornelia Pieper [FDP]: 16 Milliarden!)

Genau das stand letztendlich auch auf der Agenda: Tau-
sche Westkohle gegen Osthilfe. Dem wird unsere Frak-
tion in dieser Form aber nicht zustimmen. Das können
wir Ihnen versichern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist ja unglaublich!)


Insoweit ist die Sache in Ordnung.
Mit der Strategie, die wir heute vorgelegt haben, ge-

ben wir Ihnen einen Fingerzeig, wie Sie in Zukunft ar-
beiten sollen. Ich nenne nur die Stichworte Clusterbil-
dung und universitäre Forschung. Allerdings müssen wir
auch die Kosten betrachten, die dadurch auf die Länder
zukommen. Sie finanzieren Universitäten und betreiben
Produktentwicklung und Produktionseinführung auf ei-
nem möglichst hohen Niveau, damit dort auch gut aus-
gebildete Arbeitskräfte wieder eine Zukunft haben.

Wenn Sie es ernst meinen würden, Herr Scheffler,
dann müssten Sie sagen: Jawohl, wir wollen den Brain-
drain gemeinsam verhindern, damit der Zustand, dass
die gut ausgebildeten Leute vom Osten in den Westen
gehen, weil sie nur dort eine Zukunft haben, endlich ge-
stoppt wird. Aber Sie führen eine Ausbildungsplatzab-
gabe ein, die dazu führt, dass die Unternehmen Leute
ausbilden müssen, obwohl überhaupt keine mehr da
sind. So können wir Deutschland nicht fit für die Zu-
kunft machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Wer hat denn die Gelder streichen lassen?)







(A) (C)



(B) (D)


Werner Kuhn (Zingst)


Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wenn ge-

sagt wird – das wurde vom Kollegen Hettlich auf sehr
interessante Weise dargestellt –, dass wir natürlich
universitäre Forschung, Clusterbildung und Produkt-
entwicklung brauchen, dass wir aber gerade auch für die
neuen Bundesländer ein System von Instituten und außer-
universitärer Forschung ins Leben gerufen haben, zum
Beispiel die Leibniz-Institute.


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

Dann wird gesagt: Jetzt führen wir eine Entflech-

tungsdebatte.

(Siegfried Scheffler [SPD]: Reden Sie doch mal über unseren Antrag!)

Man denkt: Donnerwetter, jetzt wird endlich Bürokratie
abgebaut; jetzt werden wir zum Zuge kommen. Aber
nein, Herr Kollege Scheffler, diese Entflechtungsdebatte
bedeutet nur, dass sich der Bund aus der Finanzierung
der außeruniversitären Forschung zurückzieht


(Siegfried Scheffler [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


und sie den Ländern, die ohnehin kein Geld haben, auf
die Augen drückt. Dadurch wird sich die wirtschaftliche
Entwicklung in Deutschland zusätzlich verschlechtern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Das geht nicht!)


Ich kann nur sagen: Herr Stolpe, wir brauchen eine kom-
petente Administration. Das wissen wir auch aus unse-
ren Regierungserfahrungen bis 1998. Es ist notwendig,
dass es eine Stabsstelle, einen Staatssekretär und einen
Minister gibt, der für den Aufbau Ost zuständig ist, da-
mit nicht jeder vom Thema Eigenheimzulage bis zur
Verwendung der GA-Mittel kreuz und quer quatschen
kann. Eine halbe Abteilung in Herrn Stolpes Bundesmi-
nisterium, eine halbe in Herrn Clements Ministerium
und eine halbe Stelle im Kanzleramt – das kann es nicht
gewesen sein. Wir müssen den Aufbau Ost wirklich pro-
fessionell angehen. Dass dies nicht geschieht, kritisiere
ich in dieser Debatte; denn der eine weiß nicht, was der
andere tut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese rot-grüne Bundesregierung – das muss ich hin-

sichtlich des Aufbaus Ost sagen – ist eine Regierung der
vertanen Chancen. Das stellt man fest, wenn man die Chan-
cen beim Thema Hochtechnologie im Verkehrsbereich,
insbesondere bezüglich der Magnetschwebebahn, Revue
passieren lässt oder wenn man den Flugzeugbaustandort
Deutschland respektive neue Bundesländer unter die
Lupe nimmt. Unser Herz tränt, wenn wir sehen, dass der
A3XX und der A380 jetzt in Toulouse gebaut werden.
Hier bestand die Möglichkeit, politisch Einfluss zu neh-
men, damit wir in den neuen Bundesländern einen zu-
sätzlichen Leuchtturm schaffen.


(Cornelia Pieper [FDP]: Richtig!)

Ich kann kein privates Automobilunternehmen zwingen,
dahin zu kommen und dort ein Werk zu errichten, es sei
denn, man verhandelt taktisch so gut und so richtig, wie
Ministerpräsident Milbradt das gemacht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die erste Aufgabe eines jeden Politikers – danach kön-
nen Sie die Uhr stellen – ist Wirtschaftsförderung. Wenn
ich meine Basis nicht in Ordnung kriege und meinen
Leuten keine Zukunft geben kann, habe ich letztendlich
überhaupt keine Chance, Wirtschaftsentwicklung und
Aufschwung in den neuen Bundesländern zu bekom-
men.

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Re-
gierungskoalition, durch Ihre ganzen Regelwerke werde
ich immer wieder an alte Zeiten erinnert: immer mehr
Durchführungsbestimmungen, immer mehr Gesetzes-
werke, immer mehr Initiativen zur Regulierung. Wir
sind 1989 auf die Straße gegangen und haben gesagt:
Freiheit statt Sozialismus. Und wir lassen uns von Ihnen
den Sozialismus nicht durch die Hintertür wieder einfüh-
ren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511108700

Das Wort hat jetzt der Berliner Senator für Wirtschaft,

Arbeit und Frauen, Harald Wolf.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1511108800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kuhn, ich finde es schon erstaunlich, mit welcher Verve
Sie und Ihre Fraktion in der Lage sind, über den Aufbau
Ost zu reden und sich über die Bundesregierung zu em-
pören, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass ein
Großteil, eine Vielzahl der Probleme in Ostdeutschland,
über die wir heute diskutieren, mit Fehlentscheidungen
zusammenhängen, die unter der Bundesregierung Kohl
getroffen worden sind,


(Zuruf von der CDU/CSU: Was für ein Quatsch ist das!)


mit einer verfehlten Politik, die geglaubt hat, der Aufbau
Ost lasse sich aus der Portokasse finanzieren, mit einer
Förderung über Abschreibungen, die ganz wesentlich
dazu beigetragen hat, dass Fehlinvestitionen in Beton
stattgefunden haben und eben nicht in die Wachstums-
kerne,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie sähe denn Berlin aus, Herr Senator?)


über die wir heute diskutieren.

(Beifall bei der SPD)


Wenn wir heute über den Aufbau Ost diskutieren und
über die Realität in Ostdeutschland, dann ist es in der Tat
so, Herr Matschie, dass es zwei Gesichter gibt: einerseits
die Erfolge bei der Modernisierung und beim Aufbau der
Infrastruktur, die Erfolge auch bei der Herausbildung in-
ternational konkurrenzfähiger Wachstumskerne und in-
ternational konkurrenzfähiger Regionen. Aber es gehört






(A) (C)



(B) (D)


Senator Harald Wolf (Berlin)


andererseits genauso zur Wahrheit und zur Realität, dass
wir nach wie vor eine gravierende Strukturschwäche
haben – eine Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent – und
dass wir eine anhaltend hohe Abwanderung vor allen
Dingen von jungen, gut ausgebildeten Menschen aus
Ostdeutschland haben. Wenn diese Entwicklung nicht
gestoppt wird, wenn dieser Trend nicht aufgehalten
wird, wird er die positive Entwicklung überlagern und
dann wird das Gefälle zwischen Ost und West wieder
vertieft werden. Das ist das, worüber ich mir Sorgen ma-
che, worüber wir reden müssen und wogegen wir Strate-
gien entwickeln müssen. Ich glaube, es kann nicht in un-
serem Interesse sein, eine Entwicklung zu haben, bei der
der Osten vom Westen weiter abgekoppelt wird. Ich
glaube, es ist im Interesse der gesamten Republik und
nicht nur im Interesse des Ostens, dass in Ostdeutsch-
land eine selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung
eingeleitet wird, durch die Ostdeutschland nicht auf
Transfers und Subventionen in dem Maße, wie es zurzeit
der Fall ist, angewiesen ist. Deshalb, glaube ich, ist es
auch im Interesse des Westens und der westdeutschen
Bundesländer, sich intensiv mit den Fragen des Aufbaus
und der wirtschaftlichen Entwicklung im Osten ausei-
nander zu setzen. Eine positive Entwicklung im Osten ist
eine Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit
und Konkurrenzfähigkeit des Standortes Deutschland
insgesamt.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])


Deshalb, glaube ich, brauchen wir in der Tat einen
neuen Entwicklungsschub in Ostdeutschland, brauchen
wir eine Neubestimmung der Politik in und für Ost-
deutschland. Das heißt auch, dass wir für Ostdeutschland
weiterhin Sonderregelungen brauchen – wir haben ja
schon jetzt Sonderregelungen – und dass wir weiterhin
einen Standortvorteil für Ostdeutschland brauchen, weil
Ostdeutschland nur so entsprechend aufholen kann.

Was wir allerdings nicht gebrauchen können, sind
Diskussionen, wie sie in den letzten Wochen geführt
wurden, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Zusagen
über Förderungen wie zum Beispiel der GA-Mittel ha-
ben aufkommen lassen. Ich bin sehr froh darüber, dass
Minister Stolpe heute von dieser Stelle aus eine Klarstel-
lung hierzu getroffen hat und dass die Koalitionsfraktio-
nen in ihrem Antrag eine klare Position beziehen. Ich
hoffe, dass auch das Bundeskabinett in seiner Sitzung
am 23. Juni endgültig eine klare Stellung beziehen wird.
Denn wir brauchen Planungssicherheit und Verlässlich-
keit. Das sind die Grundvoraussetzungen, wenn wir über
eine Neuausrichtung und eine Kurskorrektur beim Auf-
bau Ost diskutieren.

Die Antwort auf die Forderung, wir müssten von der
so genannten Gießkannenpolitik abkommen – das war in
Ostdeutschland in den letzten Jahren schon immer mehr
der Fall –, kann nicht sein, dass wir auf das Wasser ver-
zichten. Vielmehr muss der Fördermittelstrom gezielter
eingesetzt werden. Darüber müssen wir eine Diskussion
führen.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Heute besteht zwischen allen Fraktionen und allen
Parteien Übereinstimmung darüber, die Vergabe von
Fördermitteln auf die Wachstumskerne zu konzentrie-
ren. Meiner Meinung nach kann das aber nur ein Teil der
Antwort sein. Wenn man sich von einer flächendecken-
den Förderpolitik zurückzieht, die alle Regionen gleich-
mäßig bedenkt, muss eine Perspektive für die Regionen
in Ostdeutschland formuliert werden, die nicht zu den
Wachstumsregionen gehören. Wir müssen deutlich ma-
chen, dass es sich nicht um einen ungeregelten Anpas-
sungsprozess handelt, sondern dass es gleichzeitig eine
Regionalplanung und -förderung geben wird, durch die
der Schrumpfungsprozess sozialverträglich gestaltet
wird, und dass diesem gegebenenfalls sogar positive
Elemente abgewonnen werden können. Das muss die an-
dere Seite der Medaille sein, wenn wir die Investitions-
förderung richtigerweise auf die Wachstumskerne kon-
zentrieren wollen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Auf Berlin!)

Meine Damen und Herren, wir brauchen für Ost-

deutschland auch weiterhin Sonderregelungen, zum Bei-
spiel im Steuerrecht. Wir könnten zum Beispiel der noto-
rischen Eigenkapitalschwäche von kleinen und
mittleren Unternehmen in Ostdeutschland begegnen, in-
dem wir die Verbreiterung der Eigenkapitalbasis durch
Nichtentnahme von Gewinnen steuerlich begünstigen.
Das wäre, wie ich glaube, ein wichtiger Schritt zur Stär-
kung der Basis von kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen in Ostdeutschland und damit von Ostdeutsch-
land insgesamt.

Wir müssen auch über regional begrenzte Sonderre-
gelungen in den Grenzgebieten zu den neuen Beitritts-
ländern der Europäischen Union nachdenken. Diese
müssten sowohl Regelungen zur Freizügigkeit als auch
steuerliche Vergünstigungen enthalten, damit die regio-
nalen Kooperationsmöglichkeiten besser genutzt wer-
den.

Die Forderung nach einer Förderung von Wachstums-
kernen basiert auf der Erkenntnis, dass Ostdeutschlands
Zukunft von der Entwicklung der modernen hoch pro-
duktiven Sektoren in diesen Regionen abhängt. Dabei
geht es um Innovation und nicht um Niedriglohn. Sie,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wissen
doch, dass die Realität in den ostdeutschen Ländern
heute bereits so aussieht, dass in einer Vielzahl von Be-
trieben Billiglöhne gezahlt werden und dass es, wenn die
Unternehmen es wollen, häufig möglich ist, Arbeits-
kräfte für unter 5 Euro pro Stunde zu beschäftigen und
sie schnell zu feuern. Leider sind die Kräfte des Marktes
oft stärker als Flächentarifverträge und leider oft auch
stärker als die Gesetze. Trotz dieser Realität mit einem
bestehenden Niedriglohnsektor – ich finde, sie ist bekla-
genswert – ist der Aufbau Ost nicht weiter vorangekom-
men.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Arbeitslosigkeit ist Ihnen lieber!)


Meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP,
Sie wollen die schwierige Lage in Ostdeutschland dazu
nutzen, um Dumping, Niedriglöhne und Sozialabbau in






(A) (C)



(B) (D)


Senator Harald Wolf (Berlin)


der gesamten Republik durchzusetzen. Dagegen muss
man sich wehren. Das nutzt nämlich auch dem Osten
nichts. Denn je niedrigere Einkommen in den Wachs-
tumssektoren gezahlt werden, desto schwächer fällt die
Nachfrage nach einfacher Arbeit aus und umso geringer
sind die Aussichten, Arbeitsplätze für gering Qualifi-
zierte zu schaffen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wer hat denn die Tarifleistungen in Berlin gekürzt? War das die CDU?)


Ein Ausbau des Billiglohnbereichs nützt dem Osten
nichts, sondern schadet ihm. Niedrige Löhne im Osten
verleiten die Menschen geradezu, in die Wachstumsre-
gionen nach Westdeutschland zu gehen. Sie leiten damit
einen Teufelskreis ein. Das ist das Gegenteil von dem,
was Ostdeutschland braucht.

Meine Damen und Herren, es muss in Ostdeutschland
einen Neuanfang geben. Angesichts der Schwierigkeiten
des Strukturwandels brauchen wir dazu Realismus und
vor allen Dingen einen langen Atem. Ich glaube, es wäre
ein großer Erfolg, wenn es uns gelingen würde, die wirt-
schaftliche und soziale Lage in den nächsten zwei bis
drei Jahren zu stabilisieren und den Abwanderungspro-
zess aus Ostdeutschland zu stoppen. Das wäre das Signal
dafür, dass die Menschen in Ostdeutschland wieder Ver-
trauen in ihre Zukunft, in ihr Land und in ihre Region
gefasst haben.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos] und der Abg. Petra Pau [fraktionslos] sowie bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511108900

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludwig Stiegler.

(Cornelia Pieper [FDP]: Oh, ist die Zeit noch nicht vorbei? Ich denke, wir reden über den Aufbau Ost! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Er verzichtet!)



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1511109000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am

Ende dieser Debatte möchte ich für die SPD-Bundes-
tagsfraktion festhalten, dass wir, Ost und West, zusam-
mengehören. Wir feiern die Einheit und stehen auch im
Alltag dazu. Wir verwahren uns dagegen, dass Sie Ost
gegen West und umgekehrt aufhetzen.


(Beifall bei der SPD – Cornelia Pieper [FDP]: Ihre Ministerpräsidenten Herr Steinbrück und Frau Simonis!)


Ich bin Manfred Stolpe dankbar, dass er immer wie-
der betont: Problemregionen gibt es in ganz Deutsch-
land. Wir lösen die Probleme in ganz Deutschland und
jagen die Menschen nicht gegeneinander. – Mit Ihren Ei-
fersüchteleien können Sie in den Wahlkreisen Punkte
machen. Die CSU in Bayern kann gegen den Osten
schimpfen und Sie können in den Wahlkreisen auf den
Westen schimpfen.

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das machen wir nicht!)


Geholfen ist damit aber niemandem. Lasst uns zusam-
men unser gesamtdeutsches Problem lösen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin als Wessi für den Aufbau Ost zuständig und
betone für die SPD-Fraktion: Wir halten mit den Kolle-
ginnen und Kollegen der Landesgruppe Ost zusam-
men, aber auch mit denen, die im Ruhrgebiet oder an-
derswo Probleme haben. Es versucht hier niemand, sich
auf Kosten des anderen zu profilieren, weil wir nur ge-
meinsam Erfolg haben werden.


(Beifall bei der SPD – Arnold Vaatz [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)


– Ja, das ist sehr richtig. Dann müssen Sie aber andere
Reden halten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Die Taten sind entscheidend, nicht die Reden!)


Herr Professor Milbradt, Ihre Rede hätte mich fröhli-
cher gestimmt,


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Stiegler und fröhlich!)


wenn Sie deutlich gemacht hätten, dass vieles, was Sie
zu Hause – in Dresden, Leipzig und sonst wo – feiern,
zur Hälfte und mehr vom Bund finanziert wird.


(Beifall bei der SPD – Georg Milbradt, Minis Das habe ich doch gesagt!)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1511109100

– Ja, Sie haben sich aber wie ein Kind bedankt, das die
Zähne zusammenbeißt, wenn es Danke sagen oder sich
entschuldigen muss. So sieht die Begeisterung hier aus.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU)


Man muss einmal vergleichen, wie die Kolleginnen und
Kollegen aus dem Osten ihre Aufbauleistungen in den
jeweiligen Ländern in den Wahlkämpfen zu Hause prei-
sen und rühmen und wie sie nur noch Not und Elend se-
hen, kaum dass sie die heimatlichen Gefilde verlassen
haben und in Berlin angekommen sind. Das grenzt an
Bewusstseinsspaltung. Hüten Sie sich!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Milbradt, Sie sollten sich bei Herrn Stolpe für
die Verkehrsinfrastruktur und bei Edelgard Bulmahn für
die Forschung und Entwicklung bedanken. Gerade Ihre
Hightechindustrie wäre ohne das wirklich engagierte
Eintreten von Edelgard Bulmahn gar nicht denkbar ge-
wesen.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Da könnt ihr ruhig lachen, ihr habt ihnen nichts gege-
ben. Ihr habt Steuervergünstigungen für Grundstücks-
spekulanten und Abschreibungskünstler finanziert und






(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler

uns Schulden hinterlassen. Das war euer Aufbauwerk in
den acht Jahren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: Die größten Schulden seit der Existenz der Bundesrepublik machen Sie!)


Meine Damen und Herren, wenn wir das zusammen
machen, dann sollen wir auch gemeinsam zu den Erfol-
gen stehen. Ich halte für die SPD-Bundestagsfraktion am
Ende fest: Wir, meine Fraktion und auch die Koalition,
stehen zum Solidarpakt. Wer hier daran zweifelt, der re-
det wider besseres Wissen und verunsichert die Men-
schen unnötig.


(Cornelia Pieper [FDP]: Die SPD-Ministerpräsidenten sagen das? Herr Steinbrück auch?)


Wir stehen zu diesem Solidarpakt.

(Beifall bei der SPD)


Diese Koalition steht auch zur Gemeinschaftsauf-
gabe.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Oh, das ist was ganz Neues! – Cornelia Pieper [FDP]: Mitschreiben!)


– Seien Sie vorsichtig! – Es waren die Herren Minister-
präsidenten, die sie vor Jahren einmal abschaffen woll-
ten. Es waren diese Koalition und diese Bundestagsfrak-
tion, die die Beschlüsse gefasst haben, dass die GA
erhalten bleibt. So sieht die Situation aus. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Die GA wollte niemand abschaffen! Bleiben Sie bei der Wahrheit! – Cornelia Pieper [FDP]: Sie lügen, ohne rot zu werden!)


Ich unterstütze Manfred Stolpe bei seinen Bemühun-
gen zur Lösung der gegenwärtigen Probleme.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Man wird doch noch bei der Wahrheit bleiben dürfen, auch wenn es Stiegler ist!)


Sie sind weiß Gott seltsame Leute: Im Bundesrat verwei-
gern Sie sich Maßnahmen für Steuermehreinnahmen,
aber fordern pausenlos Mehrausgaben und dazu einen
Sparhaushalt. Das ist die Kubatur des Zirkels, die Sie
hier veranstalten. Wer daran glaubt, der gehört in die
Psychiatrie, aber nicht hierher.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun hat aber Professor Milbradt in einem Punkt
durchaus Recht: Wir haben derzeit bei der Abwicklung
der GA Probleme. Da kneift es und daran müssen wir ar-
beiten. Es ist das System der GA, dass die Mittel für die
Zukunft gebunden werden und die Barmittel in jedem
Jahr ausgezahlt werden. Im Zuge des Koch/Steinbrück-
Konzepts und auch anderer Dinge gibt es aber im Ver-
hältnis zu den Barmitteln Probleme. Es wäre falsch, das
zu leugnen. Ich sage Ihnen aber zu: Dieser Antrag be-
deutet auch, dass wir uns bemühen, diese Probleme zu
lösen. Wir wollen nicht, dass Investitionen aufgrund die-
ser Situation scheitern oder behindert werden. Dabei
können Sie sich auf unsere Unterstützung verlassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Helfen Sie uns mit Ihren Haushältern und in Ihren Län-
dern! Helfen Sie uns auch dabei, ungerechtfertigte Sub-
ventionen abzubauen! Dann brauchen wir nicht so sehr
im Haushalt herumzukratzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden Manfred Stolpe und auch unsere Kolle-
ginnen und Kollegen dabei unterstützen. Herr Professor
Milbradt, ich hoffe, dass wir alsbald die notwendige
Klarheit schaffen. Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht.
Diese Weisheit haben wir aber nicht erst von Ihnen ver-
nommen, sondern von unserem Kollegen Siegfried
Scheffler und auch von anderen Kollegen schon vor Wo-
chen gehört. Auch Manfred Stolpe hat es allen, die es
hören wollten, und auch denen, die es nicht hören woll-
ten, gesagt.

Wir haben aber auch unsere praktischen Aufgaben er-
ledigt. Für die Probleme der vielen kleinen und mittleren
Unternehmen, die – aus welchen Gründen auch immer –
mit ihrer Eigenkapitaldecke am Ende sind, hat diese
Koalition seit dem 1. März mit dem Programm Unter-
nehmerkapital der KfW eine Antwort gefunden. Ich
war erst gestern mit Dr. Danckert bei Hunderten von
Mittelständlern in Brandenburg und mit Uwe Küster in
Magdeburg, wo wir die Programme vorgestellt haben.
Damit wird diesen Unternehmen geholfen. Lassen Sie
uns zusammen mit den Banken und der KfW dafür sor-
gen, dass die Unternehmen wachsen können. Das leisten
wir. Das ist mindestens genauso wirksam wie die GA.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bedanke mich bei Manfred Stolpe für seinen Ein-
satz, der weiß Gott nicht immer leicht ist. Das können
auch Sie einmal anerkennen. Viele von Ihnen profitieren
davon, dass er Ihnen hilft. Aber Sie sind ein undankbares
Volk; das muss man einmal sehen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man laufend in die Hand, die einem Futter gibt,
pickt, dann bekommt man irgendwann nichts mehr. Das
sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen
unserer Fraktion, dass wir die Einheit auch in der Koali-
tion leben und zusammenhalten. Mit Mut und Zuver-
sicht, nicht mit Ihren Jeremiaden, werden wir es schaf-
fen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511109200

Jetzt müssen nur noch alle wissen, was eine Jeremiade

ist. – Damit sind wir am Ende der Rednerliste.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/3047 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesnatur-
schutzgesetzes auf Drucksache 15/776. Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt auf Drucksache 15/2956, den Gesetzentwurf abzu-
lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/
Die Grünen und FDP gegen die Stimmen von CDU/CSU
abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/3201, 15/3202 und 15/3203 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zu den Überweisungen im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell ist vereinbart,
den Tagesordnungspunkt 26 a von der Tagesordnung ab-
zusetzen. – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind.
Dann ist so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 26 b bis 26 g
sowie die Zusatzpunkte 6 a bis 6 g auf:
26 b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten

Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des
Sozialgerichtsgesetzes
– Drucksache 15/2722 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Rechtsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Änderung des Futtermittelgesetzes
– Drucksache 15/3170 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 14. Mai 2003 zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Republik
Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
und vom Vermögen
– Drucksache 15/3171 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 8. Juli 2003 zwischen der Regie-
rung der Bundesrepublik Deutschland und
der mazedonischen Regierung über soziale
Sicherheit
– Drucksache 15/3172 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 14. Oktober 2003 über
die Beteiligung der Tschechischen Republik,
der Republik Estland, der Republik Zypern,
der Republik Lettland, der Republik Litauen,
der Republik Ungarn, der Republik Malta,
der Republik Polen, der Republik Slowenien
und der Slowakischen Republik am Europäi-
schen Wirtschaftsraum
– Drucksache 15/3173 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum
Übereinkommen über die Rechte des Kindes
betreffend die Beteiligung von Kindern an be-
waffneten Konflikten
– Drucksache 15/3176 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 6a)Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der
Bundesnotarordnung
– Drucksache 15/3147 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 7. April 2003 zwischen der Re-
gierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Tunesischen Republik über
die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von
Straftaten von erheblicher Bedeutung
– Drucksache 15/3177 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD

und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung von Wagniskapital
– Drucksache 15/3189 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Den Tourismus stärken – Chancen der EU-Er-
weiterung nutzen
– Drucksache 15/3192 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschus
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Lösekrug-Möller, Annette Faße, Brunhilde Irber,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

(Quedlinburg)


(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Internationale Richtlinien für biologische Viel-
falt und Tourismusentwicklung zügig umset-
zen
– Drucksache 15/3219 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verschiebung des Zeitpunktes für das In-
Kraft-Treten des Vierten Gesetzes für mo-
derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt

(SGB II) auf den 1. Januar 2006

– Drucksache 15/3105 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss

g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Selbstverpflichtungserklärung der Deutschen
Post AG zur Erbringung bestimmter Post-
dienstleistungen
– Drucksache 15/3186 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/3176
– Tagesordnungspunkt 26 g – soll zusätzlich an den Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie
an den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 27 a
bis 27 l sowie Zusatzpunkt 7. Es handelt sich um die Be-
schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-
che vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 27 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung von Rechtsfragen hinsichtlich
der Rechtsstellung von Angehörigen der Bun-
deswehr bei Kooperationen zwischen der Bun-
deswehr und Wirtschaftsunternehmen sowie
zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrecht-
licher Vorschriften
– Drucksache 15/2944 –

(Erste Beratung 105. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi-
gungsausschusses (11. Ausschuss)

– Drucksache 15/3124 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rolf Kramer
Thomas Kossendey

Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungs-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/3124, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung einstimmig angenommen worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn
Sie zustimmen wollen. – Stimmt jemand dagegen? –
Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter
Lesung einstimmig angenommen worden.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Tagesordnungspunkt 27 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
9. September 2002 über die Vorrechte und Im-
munitäten des Internationalen Strafgerichts-
hofs
– Drucksache 15/2723 –

(Erste Beratung 105. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 15/3217 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ludger Volmer
Harald Leibrecht

Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-
schuss empfiehlt auf Drucksache 15/3217, den Gesetz-
entwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Auch dieser
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 16. Mai 2003 zum Inter-
nationalen Übereinkommen von 1992 über die
Errichtung eines Internationalen Fonds zur
Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden
– Drucksache 15/2947 –

(Erste Beratung 108. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/3215 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Günter Krings
Jerzy Montag
Rainer Funke

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/3215, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich
bitte Sie um das Handzeichen, wenn Sie dem Gesetzent-
wurf zustimmen wollen. – Gibt es Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Auch dieser Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie bei Ihrem eben geäußerten Abstimmungsver-
halten bleiben wollen. – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 27 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften über die Ent-
schädigung für Ölverschmutzungsschäden
durch Seeschiffe
– Drucksache 15/2949 –

(Erste Beratung 108. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/3220 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Dr. Günter Krings
Jerzy Montag
Rainer Funke

Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 15/3220, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte Sie um das Handzeichen,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gibt
es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenom-
men worden.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn
Sie zustimmen wollen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt
es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Le-
sung einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Verordnung zur Änderung der Versatzverord-
nung und zur Zweiten Änderung der Deponie-
verordnung
– Drucksachen 15/2814, 15/2886 Nr. 1, 15/3141 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Tanja Gönner
Dr. Antje Vogel-Sperl
Birgit Homburger

Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Druck-
sache 15/2814 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD,
des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen.

Wir kommen nun zu den diversen Beschlussempfeh-
lungen des Petitionsausschusses.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Tagesordnungspunkt 27 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 117 zu Petitionen
– Drucksache 15/3089 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 117 ist einstimmig ange-
nommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 118 zu Petitionen
– Drucksache 15/3090 –

Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Auch Sammelübersicht 118 ist einstimmig ange-
nommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 119 zu Petitionen
– Drucksache 15/3091 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 119 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-
tionsfraktionen angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 120 zu Petitionen
– Drucksache 15/3092 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 120 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 121 zu Petitionen
– Drucksache 15/3093 –

Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen oder Ent-
haltungen? – Sammelübersicht 121 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 27 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 122 zu Petitionen
– Drucksache 15/3094 –
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 122 ist mit den Stimmen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stim-
men der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 123 zu Petitionen
– Drucksache 15/3095 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 123 ist angenommen worden,
diesmal mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/
Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/
CSU.

Wir kommen zu Zusatzpunkt 7:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der FDP
Den Rechtsweg in der Regulierung des Tele-
kommunikationsmarktes ändern
– Drucksache 15/3218 –

Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig angenom-
men worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und b sowie
Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
6. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


(3. Ausschuss)

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
Internationalen Sicherheitspräsenz im Ko-
sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel-
des für die Flüchtlingsrückkehr und zur mili-
tärischen Absicherung der Friedensregelung
für das Kosovo auf der Grundlage der Resolu-
tion 1244 (1999) des Sicherheitsrats der Ver-
einten Nationen vom 10. Juni 1999 und des
Militärisch-Technischen Abkommens zwi-
schen der Internationalen Sicherheitspräsenz

(KFOR) und den Regierungen der Bundesre-

publik Jugoslawien und der Republik Serbien
vom 9. Juni 1999
– Drucksachen 15/3175, 15/3235 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ludger Volmer
Dr. Werner Hoyer
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 15/3236 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Mark






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Herbert Frankenhauser
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rainer Stinner, Dr. Werner Hoyer, Daniel Bahr

(Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

der FDP
Status des Kosovo als EU-Treuhandgebiet
– Drucksache 15/2860 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gernot
Erler, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Rainer
Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Dr. Ludger Volmer, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Fortsetzung und Anpassung der Arbeit der In-
ternationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
– Drucksache 15/3204 –

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck,
Christian Schmidt (Fürth), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Der Kosovopolitik eine Perspektive geben
– Drucksache 15/3188 –

Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus-
schusses werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Herr Bundesminister der Verteidigung, Peter Struck.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1511109300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

möchte zunächst zu einem aktuellen Vorgang im Zu-
sammenhang mit der Berichterstattung in der heutigen
Ausgabe einer großen Boulevardzeitung Stellung neh-
men. Wenn eine große Boulevardzeitung über Bilder
folternder deutscher Soldaten berichtet, die sie nicht
kennt, die ihr nicht vorliegen und die es nach allem,
was unsere Überprüfungen bis zur Stunde ergeben ha-
ben, nicht gibt, dann entlarvt das diesen angeblichen
Enthüllungsjournalismus.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

Es ist unfair gegenüber unseren Soldaten, die im
Kosovo weiß Gott einen schweren Dienst leisten. Ich
danke ausdrücklich allen Medien, die sich an dieser
Kampagne nicht beteiligt oder sie richtig gestellt haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Allerdings kann ich mir eine Bemerkung gegenüber
einer Kollegin aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
nicht ersparen. Ich meine die Kollegin Oßwald, die mir
persönlich nicht bekannt ist und die offenbar auch nichts
mit Verteidigungspolitik zu tun hat. In der heutigen Aus-
gabe der „FAZ“ heißt es dazu:

Ohne nähere Angaben zu dem Fall machen zu kön-
nen, äußerte sich die Bundestagsabgeordnete Oßwald

(CSU) „zutiefst entsetzt und schockiert über das un-

menschliche Verhalten deutscher Soldaten“.


(Zurufe von der SPD: Unglaublich!)

Die Folterbilder – die ihr nach Angaben ihres Büros
aber nicht vorlagen – seien eine „Kriegserklärung
an die Grundwerte der Demokratie“.

Das ist eine Unverschämtheit. Sie sollte sich bei den Sol-
datinnen und Soldaten entschuldigen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. ErnstReinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU])


Ich möchte noch etwas zur Sache sagen. Es hat am
Dienstag einen Anruf im Ministerium gegeben, in dem
der Anrufer behauptete, er habe Bilder, die folternde
deutsche Soldaten zeigten. Die zweite Version war, er
kenne jemanden, der solche Bilder habe. Die dritte Ver-
sion war, ihm seien Bilder per E-Mails zugegangen,
die er aber für eine Fälschung halte. Aufgefordert,
diese E-Mails dem Führungsstab des Heeres zur Verfü-
gung zu stellen, hat er sich nun eingelassen, er habe
diese E-Mails gelöscht.


(Zuruf von der SPD: Unverschämt!)

Das ist die Basis, auf der diese ungeheuerlichen Vor-
würfe erhoben werden. Dennoch habe ich nach dem ers-
ten Anruf angeordnet, dass noch einmal alle Vorgesetz-
ten der betreffenden Zeit befragt werden. Diese Prüfung
hat bis zur Stunde nichts dergleichen ergeben und ich bin
sicher, dass sie auch nichts ergeben wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Schmidt, ich brauche auch nicht Ihre
Belehrung, wie ich zu verfahren habe, zumal dann nicht,
wenn ich Ihnen gestern in der Obleuterunde über diesen
Vorfall berichtet habe und Ihnen gesagt habe, was ich
veranlasst habe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Ich habe Sie nicht belehrt! Mäßigen Sie sich!)


So viel zu einer Berichterstattung über nicht vorhan-
dene Bilder. Im Interesse unserer deutschen Soldatinnen






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Dr. Peter Struck

und Soldaten sage ich: Sie haben es nicht verdient, in
dieser Weise diskreditiert zu werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zum Thema Kosovo und zur Fortsetzung des
Mandates. Das Kosovo ist, wie wir alle Mitte März die-
ses Jahres sehen konnten, noch sehr weit von einer sich
selbst tragenden Stabilität entfernt. Eine weitere militäri-
sche Unterstützung der politischen Bemühungen um
Frieden und gesellschaftliche Normalisierung ist unver-
zichtbar. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass
das Kosovo ein failed state und damit zum Ausgangs-
punkt organisierter Kriminalität und regionaler Destabi-
lisierung wird. Es gibt zur konsequenten Unterstützung
des Kosovo sowie des gesamten Balkans auf dem Weg
zurück nach Europa keine Alternative. Es bleibt – in an-
deren Worten – eine politische Gestaltungsaufgabe von
historischer Dimension, der sich die internationale Ge-
meinschaft und gerade wir Europäer uns weiterhin stel-
len müssen.

Die Gesamtbilanz der vergangenen fünf Jahre im Ko-
sovo ist allerdings überwiegend positiv. Das dürfen wir
trotz der Ereignisse im März dieses Jahres nicht verges-
sen. Der größte Teil der Flüchtlinge ist zurückgekehrt.
Verwaltungsstrukturen wurden aufgebaut und Wahlen
werden durchgeführt. Allerdings ist das Risiko einer Es-
kalation im Kosovo nach wie vor gegeben. Dadurch
bleibt die weitere gesellschaftliche und politische Ent-
wicklung massiv gefährdet. Nährboden für Gewalt sind
die nach wie vor unbefriedigenden wirtschaftlichen Be-
dingungen, hohe Arbeitslosigkeit sowie insbesondere
die fortbestehenden interethnischen Spannungen.

Die Unruhen im März haben teilweise Zweifel ge-
weckt, ob der aktuell verfolgte politische Ansatz, wie er
in der VN-Sicherheitsresolution 1244 festgeschrieben
ist, weiterhin richtig ist. Er lässt den künftigen Status des
Kosovo unter Betonung der territorialen Integrität Jugos-
lawiens bewusst offen, definiert aber die inhaltlichen Vo-
raussetzungen und Standards für eine mögliche spätere
Entscheidung über den endgültigen Status. Ich möchte
betonen: Die Erfüllung gewisser demokratischer und
rechtsstaatlicher Standards muss Voraussetzung für die
Eröffnung der für das Jahr 2005 vorgesehenen Statusver-
handlungen bleiben. Darin sind sich die Vereinten Natio-
nen, die NATO und die Europäische Union einig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


KFOR, die Kosovo-Forces, sind integraler Teil eines
langfristig angelegten Konsolidierungskurses für das
Kosovo unter Führung der Vereinten Nationen. Die
KFOR-Kräfte sind unverzichtbar zur Gewährleistung
eines sicheren Umfeldes und zur Unterstützung der im
Kosovo tätigen internationalen Organisationen. Das gilt
auch im Hinblick auf die im Oktober geplanten Wahlen.

Aus den Unruhen im März müssen aber Konsequen-
zen gezogen werden, national und international. Die Zu-
sammenarbeit zwischen den zivil Handelnden und den
militärisch Handelnden muss verbessert werden. Es ist
auch zwingend notwendig, die richtigen Schlussfolge-
rungen für die Bundeswehr zu ziehen. Wir sind mit rund
3 900 Soldatinnen und Soldaten der größte Truppenstel-
ler im Kosovo und wir haben dementsprechend eine be-
sondere Verantwortung.

Zunächst möchte ich feststellen: Durch die rasche
Truppenverstärkung im März mit über 2 000 Soldaten
aufseiten von KFOR, darunter 600 Soldaten der Bundes-
wehr aus Hagenow, ist es gelungen, die Situation zu be-
ruhigen. Auch im Hinblick auf Presseveröffentlichungen
will ich hier noch einmal ausdrücklich sagen: Vorwürfe,
die Bundeswehr habe die internationale Polizei im Stich
gelassen, sind nachweislich falsch und eine Herabset-
zung der Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Unsere Soldatinnen und Soldaten haben Menschenle-
ben gerettet in der Stadt Prizren, und zwar in der Kirche
und im Kloster. Es ist uns nicht gelungen, das Verbren-
nen der kirchlichen Gebäude zu verhindern. Aber es war
wichtig, dass wir Menschenleben gerettet haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der FDP)


Die meisten Soldaten leisten einen hervorragenden
Dienst. Es ist ihrer Professionalität und Besonnenheit zu
verdanken, dass die fragile Stabilität dort überhaupt Be-
stand hat. Ich bin stolz auf das, was die Soldaten im
Dienst für den Frieden im Kosovo tun. Auch der Deut-
sche Bundestag kann das sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir müssen trotzdem prüfen, was militärisch erfor-
derlich ist. Klar ist, dass die Aufklärung durch Nachrich-
tendienste nicht funktioniert hat. Alle wurden durch den
Umfang der ausgebrochenen Gewalttaten überrascht,
nicht nur die deutschen Soldaten, sondern auch die Part-
nernationen bei KFOR. Dieser Mangel muss behoben
werden.

Klar ist auch, dass unseren Soldaten Eskalationsein-
dämmungsmöglichkeiten unterhalb der Schwelle des
Schusswaffengebrauchs fehlen. Es ist für die Soldaten
ein nicht hinnehmbarer Umstand, dass die einzige Mög-
lichkeit, bei einer Unruhe tätig zu werden, die Abgabe
von Warnschüssen in die Luft ist, worauf die Demon-
stranten mit Beifall reagieren. Damit sind die Möglich-
keiten der Bundeswehr erschöpft. Das heißt, die Ein-
dämmung ziviler Unruhen bleibt natürlich vordringlich
eine Polizeiaufgabe; aber KFOR kann subsidiär gefor-
dert sein, um Demonstranten auf Distanz zu halten und
Unruhen zu kontrollieren.

Ich bin der Meinung – das will ich ausdrücklich beto-
nen –, dass der Einsatz von nicht letalen Wirkmitteln in
manchen Situationen unerlässlich erscheint, um massive
zivile Unruhen kontrollieren zu können, ohne den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verletzen. Ich bin






(A) (C)



(D)


Bundesminister Dr. Peter Struck

deshalb bestrebt, in Abstimmung mit den anderen Res-
sorts – die Federführung liegt beim Auswärtigen Amt –
die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz von sol-
chen Mitteln, also von Reizgasen, durch die Bundeswehr
zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Günther Friedrich Nolting [FDP])


Ich habe darüber hinaus angeordnet, die Anzahl der
Ausstattungssätze für riot control – Unruhekontrolle –,
also Schild, Stock, Helm, Körperschutzausstattung,
Flammen hemmender Schutzanzug, zu erhöhen, sodass
dann alle operativen Einsatzkräfte der Bundeswehr im
Kosovo damit ausgestattet sind.

Abschließend möchte ich betonen: Die Präsenz von
KFOR ist unabdingbar. Ich bedanke mich bei den Frak-
tionen des Deutschen Bundestages, dass sie offenbar
einen fraktionsübergreifenden Beschluss fassen. Darauf
haben die Soldatinnen und Soldaten einen Anspruch.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511109400

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian

Schmidt.

Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1511109500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Bundesminister, die Opposition erteilt Ih-
nen keine Belehrungen – ab und zu ist es vielleicht not-
wendig, dass die Opposition der Regierung Belehrungen
erteilt –; allerdings bitte ich Sie darum, das umgekehrt
auch nicht zu tun, vor allem bei einem so wichtigen
Thema.

Bei diesen Nachrichten, die ich für falsch halte, für
die es meines Erachtens keinen Grund gibt und die wohl,
aus welchen interessierten Kreisen auch immer, zu einer
Verleumdung der Bundeswehr beitragen sollen, muss
man eines schon erwarten, nämlich Aufklärung. Eigent-
lich wollte ich Ihnen dafür danken, dass Sie damit be-
gonnen haben, die Dinge wirklich aufzuklären. Das ist
wichtig, gerade für die Bundeswehr. An der Bundeswehr
darf kein Makel bleiben. Es wird kein Makel an ihr blei-
ben. Die Fürsorgepflicht von uns allen und von Ihnen,
Herr Bundesminister der Verteidigung, muss dazu füh-
ren – das muss ebenso klar sein –, dass diejenigen, die
solche Dinge bewusst in die Welt setzen, zur Rechen-
schaft gezogen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich frage mich schon, wie das sein kann. Man be-
kommt Informationen, nach denen es sich bei diesem
Anrufer um einen ehemaligen Bundeswehrsoldaten han-
deln soll, der fünf Jahre lang irgendwelche Bilder ir-
gendwo gespeichert hat. Wenn ich mich recht entsinne,
ist ein Soldat dazu verpflichtet, solche Informationen,
wenn er sie denn hat, sofort an seine Vorgesetzten zu
melden. Er wird keine gehabt haben und daran wird es
scheitern.

So wie ich das sehe, ist das ganze Haus insofern einig.
Wenn nun jemand einer falschen Information oder einer
falschen Interpretation aufsitzt, dann sollten wir das
nicht weiter vertiefen.


(Widerspruch bei der SPD)

– Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie alle sind lange
genug in diesem Hause, um zu wissen, wie jemand, der
im Umgang mit Medien vielleicht noch nicht die ganz
große Erfahrung hat – –


(Ute Kumpf [SPD]: Das kann man lernen!)

– Ja. Also: Ende!

Um eines möchte ich Sie doch bitten, nämlich dass
Sie von Ihrem Versuch ablassen, einen parteipolitischen
Streit in diese Frage hineinzubringen, obwohl Sie doch
daran arbeiten sollten, dass das gesamte deutsche Parla-
ment hinter den Soldaten steht, die im Kosovo einen
schweren Dienst leisten. Sie sollten Ihre Taktik ändern.
Was Sie hier versuchen, ist unwürdig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


In einem hat der Bundesminister natürlich – ich sage:
natürlich – Recht. Es gibt keine Hasen auf dem Amsel-
feld, die Bundeswehruniform tragen. Es gibt Soldaten,
die auf dem Amselfeld und im Kosovo ihren Dienst tun
und die sich nach fünf Jahren da und dort fragen: Wie
geht es voran? Was passiert jetzt eigentlich? Was ist un-
ser Dienst?

Dass die schrecklichen Ereignisse vom 17./18. März
auch dazu führen müssen, den Kosovo in den Mittel-
punkt der außenpolitischen und unserer parlamentari-
schen Befassung zu stellen, ist wohl wahr. Es ist ein brü-
chiger Friede zwischen den Ethnien. Es ist eigentlich nur
ein oberflächlicher Friede. Mehr wird KFOR auch nicht
leisten können. Man wird fragen müssen, ob die Ausstat-
tung in Ordnung war, ob die Ausrichtung in Ordnung
war und ob die Ausbildung ausreichend war. Der Bun-
desminister hat einiges dazu gesagt. Wir nehmen gern
zur Kenntnis, dass das Ausführungsgesetz zum Chemie-
waffenübereinkommen nicht die Notwendigkeit betrifft,
Tränengas einzusetzen, um Abstand zu halten.

Die Frage, die uns alle bewegt, ist: Wie kann es sein,
dass es in einem so gut überwachten und so stark mit
NATO-Soldaten besetzten Landstrich gelingt – offen-
sichtlich über Handys, über die sehr viele in der männli-
chen Bevölkerung dort unten verfügen – einen im An-
satz offensichtlich genau vorbereiteten Plan zu
entwickeln, ohne dass dieser aufgedeckt wird?

Soldaten können – so sagt das der ehemalige Verteidi-
gungsminister Volker Rühe immer – für die Politik Zeit
kaufen; sie können nicht das Problem lösen. Je länger
die Zeit ist, die die Politik braucht, um ein Problem zu
lösen oder zumindest zu mildern, umso schwieriger wird
die Rolle der Soldaten. An diesem Punkt stehen wir seit
längerem. Soldaten haben einen Anspruch darauf, zu er-

(B)







(A) (C)



(B) (D)


Christian Schmidt (Fürth)


fahren, was ihr Auftrag ist und dass ihr Auftrag sinnvoll
ist. Da ist die Politik gefragt, nicht das Militär. Ich will
das ganz ausdrücklich sagen. Hier liegt doch offensicht-
lich das Problem im Zusammenhang mit dem Kosovo-
Einsatz. Wir müssen verhindern, dass die Politik hier in
eine Sackgasse hineinfährt.

Standards vor Status – dieses Prinzip, das UNMIK,
die zivile Administration der Vereinten Nationen, entwi-
ckelt und zum Teil umgesetzt hat, führt leider dazu, dass
zum Beispiel die Privatisierung von Staatsbetrieben, die
für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landstrichs
wichtig ist, so lange nicht stattfinden kann, wie die völ-
kerrechtliche Statusfrage nicht geklärt ist. Sind diese Ge-
biete Teil Serbien-Montenegros, sind sie autonom oder
sind sie unabhängig? Ich weiß sehr wohl, dass es
schwierig ist, die Resolution 1244 weiterzuentwickeln.
Dazu braucht man sehr viele Mitstreiter, auch solche, die
in Moskau und in Belgrad sitzen. Ich weiß auch, dass
sich die serbische Haltung nicht gerade günstig entwi-
ckelt. Ich kann nur hoffen, dass die Wahlen in Belgrad
nicht dazu führen, dass noch extremere nationalistische
Positionen im Präsidentenamt Fuß fassen.

Trotzdem sind wir an einem Scheideweg angelangt
und müssen von der Politik verlangen – das heißt von
der internationalen Ebene, aber auch von Ihnen, Herr
Bundesaußenminister, und von der Bundesregierung –,
dass sie das bestehende Konzept fortentwickelt. Über
wirtschaftliche, soziale und, wenn Sie so wollen, militä-
rische Entwicklung muss dazu beigetragen werden, dass
dieser Landstrich, der mit hehren Zielen und großem
Aufwand befriedet werden sollte, auch wirklich befrie-
det wird. Dazu ist natürlich die Beteiligung der Betroffe-
nen selbst notwendig.

Ich möchte bei der Gelegenheit bei allem Respekt vor
den wunderbaren Leistungen, die Bundeswehrsoldaten
dort beispielsweise bei CIMIC, der zivil-militärischen
Zusammenarbeit, erbringen, schon fragen, ob es der
Sinn des Bundeswehreinsatzes sein kann, Infrastruktur
und Gebäude, die von anderen zerstört oder niederge-
brannt wurden, wieder aufzubauen. Wir müssen uns fra-
gen, wie wir es schaffen können, dass sich die Bevölke-
rung vor Ort selbst verantwortlich fühlt, statt die
Ersatzhandlungen durch KFOR- bzw. NATO-Truppen
ebenso zu beklatschen wie das Abgeben von Warnschüs-
sen. Sie haben ja Ihren Eindruck beschrieben. So steht
auch beim Straßenbau der Pioniere der eine oder andere
am Rande und klatscht Beifall. Es muss ihm gesagt wer-
den: Du selbst bist für dein Land verantwortlich.

Nachdem das multiethnische Konzept ein Stück weit
gescheitert ist, müssen wir uns fragen, ob hier nicht ein
anderer Ansatz nötig ist als der jetzige, der schon schwer
genug umzusetzen ist. Ist es also notwendig, serbische
Enklaven im kosovarischen Gebiet zu sichern und nach
und nach auf eine Zusammenlegung dieser zu drängen?
Solche Fragen kann die Bundeswehr nicht beantworten.
Die Bundeswehr hat einen Anspruch darauf, dass ihre
Tätigkeit, die sie dort schon seit fünf Jahren ausübt, ge-
würdigt wird. Das tun wir. Sie hat auch einen Anspruch
darauf, entsprechend ausgerüstet und ausgestattet zu
werden sowie rechtliche Handhaben zu erhalten, mit de-
nen sie ihrem Auftrag nachkommen kann.

Sie hat aber auch einen Anspruch darauf, dass wir
nicht im Geiste auf das zehnjährige Jubiläum der Prä-
senz der Bundeswehr im Kosovo hinarbeiten. Vielmehr
müssen wir und die Bundesregierung alles tun, damit die
militärische Präsenz baldmöglichst beendet werden kann
und es zu einer Konstituierung von Zivilstaatlichkeit – in
welchem Rahmen auch immer – von Wirtschafts- und
Sozialstrukturen kommt, die zukunftsträchtig sind. Hier
liegt das eigentliche Problem.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511109600

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Joschka

Fischer.

Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511109700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

möchte mich bei allen Fraktionen bedanken, die dem
Antrag der Bundesregierung zustimmen werden. Bei den
zuständigen Ausschüssen möchte ich mich für die faire
und intensive Erörterung bedanken, die wir im Zusam-
menhang mit den Anträgen hatten.

Ich kann nur nochmals unterstreichen, dass die Präsenz
von KFOR und damit auch der deutschen Soldaten vor
Ort unverzichtbar ist. Ich warne aber aus Ehrlichkeits-
gründen davor, Kollege Schmidt, hier mit Zeithorizonten
zu spielen – sosehr ich das verstehe –, deren Einforde-
rung angesichts der Komplexität der Problematik, auch
und gerade im Kosovo politisch belastbare, sich selbst
tragende Lösungen zu erreichen, schlicht und einfach
nicht seriös ist. Das wissen Sie auch. Ich finde es über-
haupt nicht kritisierenswert, dass wir alles tun, um die
Dauer der Präsenz unserer Soldaten im Kosovo mög-
lichst kurz zu halten; aber angesichts der Problematik,
die ich Ihnen gleich erläutern werde, sind kurze Fristen
meines Erachtens irreal. Sollten sie sich dennoch als real
erweisen, wäre die Bundesregierung sehr froh; denn das
würde bedeuten, dass in dieser Region sehr schnell eine
sich selbst tragende, politisch stabile Situation entstünde,
was wir uns alle wünschen würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511109800

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Koppelin?

Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511109900

Na gut.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1511110000

Vielen Dank, Herr Minister, für Ihre Großzügigkeit.






(A) (C)



(B)


Jürgen Koppelin

Darf ich Sie fragen, ob Sie nicht bei Ihrer Rede 1999

selber mit solchen Zeitfenstern gespielt haben? Wenn
Sie die Rede nachlesen würden, würden Sie genau das
finden, was Sie jetzt bei anderen kritisieren.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511110100

Na gut, ich werde sie nachlesen.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


– Was soll ich dazu jetzt sagen? Ich werde sie nachlesen;
das verspreche ich Ihnen.

Aber da Sie 1999 ansprechen, Kollege Koppelin: Ich
habe, ehrlich gesagt, die Frage nicht verstanden;


(Lachen bei der CDU/CSU)

das muss ich ganz ehrlich bekennen. Das kommt ja vor.
Ich verstehe sie nicht, weil zwischen uns über das, was
ich gerade gesagt habe, überhaupt kein Dissens besteht,
zumindest im Auswärtigen Ausschuss nicht.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Ich meine Ihre Rede zum Kosovo, die Sie 1999 gehalten haben!)


– Ich glaube, ich habe 1999 nicht nur eine Rede zum Ko-
sovo gehalten.

Mir geht es um etwas anderes, Herr Kollege Koppelin.
Ich bin wirklich bemüht – missverstehen Sie das nicht –,
zu verstehen, worauf Sie in diesem Punkt hinauswollen.
Wir haben es doch heute noch immer mit den Auswir-
kungen des Auseinanderbrechens Jugoslawiens 1991
und gewisser politischer Entscheidungen damals zu tun.
Gott sei Dank waren wir mit einer Intervention, mit ei-
nem militärischen Eingreifen erfolgreich, wobei ich mir
nicht sicher bin, ob die FDP dem wirklich immer zuge-
stimmt hat. Zum Beispiel in Mazedonien haben wir über
die militärische und polizeiliche Stabilisierung heute in
der Tat – hoffentlich bleibt das so – eine sich selbst tra-
gende, stabile Situation erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Da gibt es einen engen Zusammenhang mit dem Ko-
sovo. Die Problematik im Kosovo besteht doch auch in ei-
ner gewissen Verknotungssituation. Durch das Auseinan-
derbrechen Jugoslawiens sind eine ganze Fülle von
Stabilisierungsaufgaben entstanden. Es gibt nur eine ein-
zige strategische Lösung, die weder zu einem dauerhaften
Einfrieren der Konflikte – was meines Erachtens immer
noch die zweitschlimmste Lösung wäre – noch zu einem
Übereinander-Herfallen – das wäre die schlimmste Lö-
sung – führt. Die Situation in dieser Region ist auch da-
durch bedingt, dass etwa die Balkankriege von 1912/13
durch die großen europäischen Katastrophen eingefroren
wurden, auch durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs
und die Regierung unter Tito in Jugoslawien.

Jetzt – man könnte fast sagen, nach einer 80-jährigen
Phase des Einfrierens – sind dieselben Konflikte wieder
aufgebrochen. Deswegen muss man bei der politischen
Lösung die nötige Geduld aufbringen. Das kann nur be-
deuten, dass auch die gesamte Region des westlichen
Balkans Teil des europäischen Integrationsprozesses
wird; denn ansonsten wird wieder versucht werden, die
Grenzen entlang von Nationalismus und territorialen
Ansprüchen durch furchtbare Gewalttaten mit der Waffe
zu ziehen. Das halte ich im 21. Jahrhundert für inakzep-
tabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Unsere Soldaten leisten in dieser Region zusammen
mit anderen meines Erachtens eine unverzichtbare Ar-
beit. Herr Kollege Schmidt, Sie haben völlig Recht: Die
Soldaten haben einen Anspruch auf eine politische Per-
spektive. Die Ehrlichkeit gebietet aber zu sagen, dass es
in dieser Region eine langfristige Perspektive ist. Ich
füge hinzu: leider. Denn um einen Konsens herzustellen,
brauchen wir – ich verstehe die Forderung, aber es nützt
nichts, über diese Tatsache hinwegzugehen – die interna-
tionalen und die regionalen Partner. Deswegen führt im
Prozess der Standardimplementierung – ob man für Un-
abhängigkeit, Europäisierung oder welchen Status auch
immer ist – kein Weg daran vorbei, dass die Bedingun-
gen im Land dafür geschaffen werden müssen. Ohne die
gesellschaftlichen und demokratischen Bedingungen,
die Achtung der Minderheiten und eine ökonomische
Entwicklung wird meines Erachtens eine Statusentschei-
dung, egal wie sie ausfallen wird, immer auf Sand oder,
noch schlimmer, auf Illusionen gebaut sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung – das
ist die erste Antwort –, dass wir mit diesem Prozess
vorankommen. Wir müssen die Verwirklichung der
Standards auf jeden Fall verbessern. Die Ereignisse vom
17./18. März sind ein schwerer Rückschlag. Man
braucht gar nicht darum herumzureden.

Der UN-Sondergesandte Harri Holkeri ist vor weni-
gen Tagen aus gesundheitlichen Gründen zurückgetre-
ten. Wir schulden ihm für seine Arbeit und seinen uner-
müdlichen Einsatz in schwierigen Zeiten großen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Jetzt muss über seine Nachfolge entschieden werden.
Diese Entscheidung, die vor uns liegt, muss meines Er-
achtens unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effek-
tiven Verwirklichung der Standards getroffen werden.

Die zweite Antwort. Das Jahr 2004 ist fast zur Hälfte
vorbei. Die Debatten über die Statusfrage haben in den
internationalen Gremien begonnen. In dieser Frage brau-
chen wir einen Konsens. Der Dialog zwischen Pristina
und Belgrad muss Teil der Verwirklichung der Standards
sein; denn jede Statusfrage bedingt letztendlich die Ein-
beziehung der Konfliktparteien am Boden. Das heißt,
ohne die Mehrheit im Kosovo, also ohne die Kosovaren,
wird es nicht gehen. Pristina und auf der anderen Seite
Belgrad werden hier von entscheidender Bedeutung
sein.

Es wird aber auch darum gehen, einen Konsens im Si-
cherheitsrat zu erreichen. Das wird nicht auf Zuruf des

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Joseph Fischer

Deutschen Bundestages geschehen. Es ist kein Geheim-
nis – auch darauf sollte man einmal hinweisen –, dass
Russland die Entwicklung unter dem Gesichtspunkten
sieht, welche Konsequenzen sich für die Unruhezonen
im Kaukasus ergeben. Dort ist die Situation aufgrund
des Eskalationspotenzials noch dramatischer. Die Status-
frage ist also extrem schwierig zu beantworten. Ich
stimme Ihnen aber zu, dass sie beantwortet werden
muss. Die Antwort wird meines Erachtens aber nur per-
spektivisch sein. Es wird nicht so sein, dass morgen die
Unabhängigkeit ausgerufen wird oder dass das Kosovo
unter serbische Kontrolle gerät. Ich glaube, beides wird
nicht passieren.

Wir müssen und werden auf verschiedenen Ebenen
politisch agieren. Die Bundesregierung hat im Rahmen
der Kontaktgruppe, der Europäischen Union, der NATO
und des Sicherheitsrates alles getan und wird weiterhin
alles tun, um diese Perspektive voranzubringen.

Ich wiederhole: Die Entwicklung hängt auch von der
Perspektive der Nachbarstaaten ab. Die Forderung nach
Unabhängigkeit für das Kosovo ist kurzschlüssig. Es
stellt sich die Frage, ob diese Unabhängigkeit eine stabi-
lisierende oder eher eine destabilisierende Perspektive
für die Region bedeutet. Solange nicht zweifelsfrei aus-
geschlossen werden kann, dass daraus etwa eine Desta-
bilisierung Mazedoniens hervorgeht, halte ich Überle-
gungen in dieser Richtung nicht nur für nicht geeignet,
sondern sogar auch für gefährlich. Ich bitte alle, die sol-
che Überlegungen anstellen, sich dieser Konsequenzen
bewusst zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir werden meines Erachtens an der qualitativen Sta-
tusverbesserung nicht vorbeikommen. Die notwendige
Personalentscheidung ist jetzt zu treffen. Wir werden
dann zusammen mit den Konfliktparteien am Boden
unter Einbeziehung der Interessen von Mazedonien,
Bulgarien, Rumänien, Serbien und Albanien einen ent-
sprechenden Statusansatz entwickeln müssen. Dies muss
im Rahmen der Kontaktgruppe unter Berücksichtigung
der Frage geschehen, ob auf der Grundlage der UN-
Resolution 1244 ein neuer Konsens erarbeitet werden
kann. Ich füge hinzu, dass es sich dabei nicht um eine
kurzfristige Perspektive handelt.

Herr Schmidt, ich versichere Ihnen: Wir wären heil-
froh – das sollte nicht Gegenstand einer parteipolitischen
Kontroverse sein –, wenn wir auf einem Weg wie in Ma-
zedonien wären. Dort können wir überwiegend zu einer
Polizeimission übergehen. Aber ich glaube, das wird im
Kosovo wesentlich zu früh sein. Ich wäre froh, wenn wir
wie in Mazedonien sagen könnten: Das Assoziationsab-
kommen, das der Stabilisierung dient, ist unter Dach und
Fach; der Weg nach Europa und in die euro-transatlanti-
schen Strukturen wird energisch beschritten. Ich muss
leider hinzufügen, dass wir noch nicht ganz so weit sind.

Auch wenn es schmerzhaft sein mag: Bis zu einer Än-
derung des Bewusstseins und bis – da spielt Belgrad eine
entscheidende Rolle – eine neue Form von konstruktiven
Beziehungen zwischen der Mehrheit und der Minderheit
im Kosovo gefunden wird – das bedeutet die Einbezie-
hung Serbiens; denn daran lehnt sich die serbische Min-
derheit im Wesentlichen an –, so lange wird eine starke
Sicherheitspräsenz unverzichtbar für eine politische Lö-
sung sein. Deswegen möchte ich mich im Namen der
Bundesregierung nochmals bei allen, die unserem An-
trag zustimmen werden, bedanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511110200

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Stinner.

Dr. Rainer Stinner (FDP):
Rede ID: ID1511110300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Auch wir, die FDP-Fraktion, werden heute der
Verlängerung des KFOR-Mandates zustimmen. Auch
aus unserer Sicht ist gegenwärtig eine weitere militäri-
sche Präsenz im Kosovo unabdingbar. Deshalb stimmen
wir heute mit dem gesamten übrigen Hause zu.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)


Das, was am 17. März dieses Jahres im Kosovo pas-
siert ist, bedauern wir sehr stark. Wir bedauern insbeson-
dere, dass es deutschen Soldaten nicht gelungen ist, die
Ausschreitungen dort zu verhindern. Wir haben ja insge-
samt vier Regelwerke, die die Arbeit der Soldaten dort
bestimmen. Wir haben das UN-Mandat, die Befassung
im Bundestag von 1999, die Rules of Engagement der
NATO und deutsche Ausführungsbestimmungen, ge-
nannt: Taschenkarte. Speziell nach den Ereignissen vom
März dieses Jahres zeigt sich aus unserer Sicht sehr deut-
lich, dass offensichtlich nur zwischen den ersten drei Re-
gelwerken eine Kongruenz besteht. Einschränkungen für
deutsche Soldaten bestehen insofern, als sie teilweise ge-
hindert werden, Dinge zu tun, die eigentlich im Rahmen
ihres Auftrages notwendig wären.

Ich bitte die Bundesregierung ganz herzlich, im Inte-
resse des Auftrages, aber auch unserer Soldaten für zu-
sätzliche Klarheit zu sorgen. Es darf nicht passieren,
dass unsere Soldaten am Pranger stehen, weil eventuell
Ausführungsbestimmungen unterschiedlich interpretiert
werden und entsprechende Anregungen nicht gegeben
werden können. Deshalb muss hier mehr Klarheit ge-
schaffen werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Besonders deutlich wird hier und heute: Das Kosovo
braucht nicht nur eine militärische Präsenz. Das Kosovo
braucht vor allen Dingen eine politische Perspektive.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Uns allen ist klar: Die drei allgemein diskutierten Optio-
nen, unmittelbare Unabhängigkeit, Rückkehr zu Serbien
oder aber Kantonalisierung, was Desintegration bedeu-
tet, sind in Wahrheit keine wirklichen Optionen für
dieses Land. Die unausgesprochene Option Nummer
vier, nämlich „Weiter so wie bisher“, ist nach unserem






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Rainer Stinner

Dafürhalten auch keine Option, die dieses Land weiter-
bringt und verdient.

Deshalb sagen wir: Wir brauchen eine politische Per-
spektive. Wir brauchen sie jetzt, in diesen Monaten, um
klar zu machen, wohin der Weg führen soll.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir als FDP haben diesbezüglich einen eigenständigen
Antrag mit einer klaren politischen Aussage, mit einer
politischen Vision gestellt, nämlich mit einer EU-Treu-
handschaft für das Kosovo. Das ist ein eindeutiges poli-
tisches und europäisches Signal für diese Region.


(Beifall bei der FDP)

Es ist natürlich unbestritten: Standards müssen erweitert
und verbessert werden; das ist keine Frage. Unbestritten
ist ebenfalls: Wir müssen mit allen zur Verfügung ste-
henden zivilgesellschaftlichen Methoden dafür sorgen,
dass im Kosovo ein Zusammenleben zwischen Serben
und Kosovaren albanischer Nationalität möglich ist.
Aber wir brauchen eine politische Perspektive und die
lautet: Europa.

Unser Vorschlag hat eine ganze Reihe von konkreten
Vorteilen:

Erstens. Wir beweisen damit, dass wir unsere Sonn-
tagsreden, die sich damit befassen, wie wichtig diese Re-
gion für uns strategisch ist, ernst nehmen.

Zweitens. Wir nehmen unsere eigene, selbst gesetzte
europäische Sicherheitsstrategie ernst, die auch dazu
Aussagen trifft.

Drittens. Wir zeigen der Welt, dass wir als Europäer
Verantwortung für diese europäische Region überneh-
men. Dieser Vorschlag, Herr Bundesaußenminister
Fischer, ist eine komplementäre Strategie zu dem Thes-
saloniki-Programm. Er ergänzt das Thessaloniki-Pro-
gramm für den westlichen Balkan und ist deshalb wich-
tig.

Wir sind der Meinung, dass durch ein gleichmäßiges
Heranführen der gesamten Region an Europa die noch
bestehenden ethnischen, nationalen und religiösen Kon-
flikte zunehmend weniger bedeutsam werden. Das ist
unsere Hoffnung. Dass es möglich ist, haben wir übri-
gens in Westeuropa gezeigt, das müssen wir auch in
Südosteuropa durchsetzen.


(Beifall bei der FDP)

Nur durch die klare politische Perspektive können In-

vestoren, die bitter nötig sind, gewonnen werden. Last,
but not least: Diese Perspektive ist aus unserer Sicht
auch für Serbien der heute einzig gangbare Weg nach
vorn.

Wir wissen, es gibt Widerstände. Bei jeder Neuerung
gibt es Widerstände, das ist völlig klar. Aber wir brau-
chen hier und heute ein politisches Signal. Setzen wir
gemeinsam ein zweifaches Signal. Machen wir erstens
deutlich, dass der Deutsche Bundestag bereit ist, weiter-
hin für militärische Präsenz zu sorgen, indem er Solda-
ten schickt und finanzielle Mittel einsetzt. Das ist not-
wendig und wichtig. Das zweite Signal muss eine
politische Botschaft sein. Wir müssen deutlich machen,
dass Europa treuhänderisch für diese Region tätig wird
und wir dort eine Europäisierung wollen.

Wir alle wissen, dass militärische Mittel langfristig
Politik nicht ersetzen können, sie können sie nur ergän-
zen. Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie von diesem Tag
eine starke Botschaft für das Kosovo und die gesamte
Region ausgehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511110400

Das Wort hat jetzt die Kollegin Uta Zapf.


Uta Zapf (SPD):
Rede ID: ID1511110500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Wir sind uns in zwei Dingen einig: Erstens, die interna-
tionalen Sicherheitspräsenzen im Kosovo sind dringend
erforderlich und, zweitens, die Lage im Kosovo ist nicht
so, wie wir sie uns wünschen. Die Situation ist nicht ru-
hig und stabil, sondern äußerst brüchig; wir sind weit
von dem Ziel selbsttragender demokratischer Strukturen
und der Gewährleistung eines friedlichen Umfeldes für
die Menschen entfernt.

Wir sind uns darüber hinaus einig, dass die Status-
frage gelöst werden muss. Dafür haben wir allerdings
keine Lösung anzubieten, die dem dringenden Hand-
lungsbedarf entspricht. Deshalb werden wir uns darüber
noch ein wenig länger unterhalten müssen. Ich denke,
das ist wichtig.

Vorhin wurde gesagt, dass alle von den Ereignissen
des 17. und 18. März überrascht waren. Ich wundere
mich über diese Überraschung. Selbst eine Organisation
wie die International Crisis Group hat kurz nach dem
18. März gesagt: Wir waren überrascht. Einen Monat
später hat sie jedoch einen Bericht vorgelegt, der lauter
Indizien für Anspannungen und wachsende Konflikte
enthalten hat.

Eine Gruppe, die sich Urgent Anthropology nennt
– warum sie sich so nennt, weiß ich nicht –, hat vor den
Unruhen in den schwierigen Gebieten des Kosovo eine
Umfrage durchgeführt. Als Ergebnis der Umfrage wurde
ein tiefer Hass in der Bevölkerung konstatiert. Wir müs-
sen daraus eine Lehre ziehen: Wir müssen ein Frühwarn-
system aufbauen. Ein solches gibt es zum Beispiel in
Mazedonien. Das ist eine zivile Ebene, auf der die NGOs
auf der Grundlage ihrer Kontakte versuchen, bestimmte
Entwicklungen sehr schnell zu erkennen. Wir müssen
aber natürlich auch entsprechend politisch handeln.

Minister Struck hat gesagt, dass von der militärischen
Seite reagiert wird. Das ist gut, das unterstützen wir.
Bezüglich des Mandats müssen noch einmal die Rules of
Engagement geprüft werden. Wir brauchen darüber hi-
naus natürlich – jetzt bin ich wieder bei den Informatio-
nen – eine wesentlich bessere Verknüpfung all derer, die






(A) (C)



(B) (D)


Uta Zapf

Informationen liefern können, um das Frühwarnsystem
auch nach allen Seiten absichern zu können.

Das genügt aber noch nicht, es kann nicht genügen.
Der Grundsatz „Lessons learnt“ besagt mehr.

Es ist schon auf die „Standards before status“-Proble-
matik hingewiesen worden. Diese Problematik ist einer
der Gründe dafür, warum es dort zu keiner Konfliktlö-
sung kommt.

Das hängt aber auch noch mit anderen Dingen wie
zum Beispiel der verheerenden wirtschaftlichen Situa-
tion zusammen. Die wirtschaftliche Situation ist in der
Tat desolat. Innerhalb des Kosovo erfolgt eine Abwan-
derung in die Städte. Dort gibt es keine wirtschaftliche
Entwicklung, sondern eher einen Rückschritt. Aus der
ungelösten Statusfrage folgt zum Beispiel die Unmög-
lichkeit, Privatisierungen durchzuführen. Die Privatisie-
rung ist gescheitert. Weil die Statusfrage nicht gelöst ist
und keine Privatisierung stattfinden kann, gibt es keine
Investoren. Das wiederum führt zum Rückgang der
Wirtschaft.

Das Bruttosozialprodukt im Kosovo besteht zu
50 Prozent aus internationaler Hilfe. 30 Prozent werden
von Auslandsalbanern erwirtschaftet, die wir im Übrigen
immer wieder abschieben und in ihre Heimat zurück-
schicken, obwohl sie zur wirtschaftlichen Stabilisierung
des Kosovo beitragen. Auch darüber müssen wir viel-
leicht einmal nachdenken. Nur 20 Prozent des Bruttoso-
zialprodukts werden im Land erwirtschaftet und nur
4 Prozent der Importe können von der eigenen Wirt-
schaft finanziert werden. Das ist eine desolate Situation.

Die Bevölkerung dort ist jung. Die Arbeitslosenquote
liegt bei 50 Prozent und jedes Jahr drängen 20 000 bis
40 000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Das
Ganze ist also ein Pulverfass, sodass dort hinsichtlich
der sozialen und der wirtschaftlichen Entwicklung
schnell etwas geschehen muss.

Es gibt einen Verfall bei Bildung und Ausbildung bis
hin zum wachsenden Analphabetentum. Die Internatio-
nal Crisis Group hat in ihrem Bericht geschrieben: Wir
müssen aufpassen, dass das nicht die Westbank Europas
wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Wir müssen das ernst nehmen und dürfen die Lösung der
Statusfrage, mit der sich ja alle schon beschäftigt haben,
nicht wieder beiseite schieben. Herr Außenminister, ich
weiß, dass es nicht einfach ist, aber wir müssen diese
Statusfrage so schnell wie möglich lösen.

Dazu einige Zitate von Politikern aus Serbien: In dem
Satz von Herrn Draskovic „Kosovo ist unser Jerusalem“
ist eine nationale Verhärtung zu spüren, die einen politi-
schen Ansatz nur sehr schwer möglich macht. Herr
Zivkovic hat vor einigen Monaten vermutet, dass junge
Serben bereit seien, für das Kosovo zur Waffe zu grei-
fen. Das ist auch ein alarmierendes Signal. Ich würde
versuchen, ein solches Signal ernst zu nehmen und die
Probleme schneller zu bewältigen, als die hier gezogene
Linie das erwarten lässt.

Herr Stinner, was Sie über das „Nach Europa holen“
sagen, klingt gut.


(Beifall bei der FDP)

Ich klatsche noch nicht, denn der Teufel steckt, wie im-
mer, im Detail. Nicht nur zu dem, was Herr Außenminis-
ter Fischer in Bezug auf Russland und die Schwierigkei-
ten bei der Veränderung der Sicherheitsratsresolution
1244 angedeutet hat, sondern auch zu vielen anderen
Fragen müssen an dieser Stelle noch einmal Überlegun-
gen angestellt werden. Der politische Prozess steht in der
Tat auf dem Prüfstand. Wir müssen aber auch ein biss-
chen schneller machen, weil der Balkan brennt.

Ich teile im Übrigen nicht ganz die Ansicht von Au-
ßenminister Fischer hinsichtlich der Auswirkungen der
Unabhängigkeit auf Mazedonien. Ich glaube eher, dass
Mazedonien sich insbesondere nach den Präsident-
schaftswahlen und nachdem sich erwiesen hat, welche
politische Position die Ahmeti-Partei einnimmt, in ei-
nem sehr guten, rationalen Stabilisierungsprozess befin-
det. Die Umsetzung der Ohrid-Modelle wird sehr ernst
genommen. Deshalb glaube ich nicht, dass man sich
gern ein Problemkind einhandeln würde oder dass die al-
banischen Gebiete zu Mazedonien streben würden. Al-
lerdings müssen wir natürlich alle Möglichkeiten im
Auge behalten, wo neue Konflikte entstehen könnten.
Ich kann hierfür keine Lösung anbieten, glaube aber,
dass auch Ihre Lösung nicht perfekt ist.

Ich finde, wir alle sollten uns in sehr naher Zukunft
gemeinsam und ernsthaft mit der Frage beschäftigen,
welche Initiativen von uns bzw. der Bundesrepublik
Deutschland ausgehen müssen und können; denn auch
wir könnten den Sicherheitsrat auf die Notwendigkeit
hinweisen, die Resolution 1244 zu verändern. Das heißt,
dass wir die europäische Perspektive nicht aus den Au-
gen lassen, dass wir vielmehr, was die Beteiligung ande-
rer an diesem Prozess betrifft, die europäische Realität
einbeziehen. Europa allein wird ihn wahrscheinlich nicht
schultern können.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511110600

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr zu

Guttenberg.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg


(CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Bundesminister Struck, seit eben liegt mir
die Pressemitteilung der Kollegin Oßwald vor, aus der
ich Ihnen vorlese:

Ich bin zutiefst entsetzt und schockiert über die an-
geblichen Bilder von Folterungen seitens deutscher
Soldaten im Kosovo.






(A) (C)



(B) (D)


Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

Nun lese ich Ihnen das entsprechende Zitat aus der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor; denn dort heißt
es, dass sich die Bundestagsabgeordnete Oßwald

zutiefst entsetzt und schockiert über das unmensch-
liche Verhalten deutscher Soldaten

geäußert habe.
Herr Bundesminister, das wurde von der „FAZ“

schlechterdings falsch zitiert.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Aha!)


Die Kollegin Oßwald spricht sich schockiert über die an-
geblichen Bilder und nicht über das unmenschliche Ver-
halten deutscher Soldaten aus. Das ist ein falsches Zitat.
Daher darf ich Sie, Herr Bundesminister, bitten, Ihre Äu-
ßerungen zurückzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Der Vollständigkeit halber und um wieder etwas Ruhe
in die Debatte zu bringen, sage ich für die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion, dass auch wir die Verlängerung der
Präsenz unserer deutschen Soldaten im Kosovo für un-
verzichtbar halten, allerdings ebenso die jährliche
Überprüfung dieses Mandates, auch um Tendenzen
entgegenzuwirken, dass wir uns – wie es aus berufenem
Munde hieß – möglicherweise erneut fünf Jahre lang im
Kosovo einlullen lassen. Genau deswegen halten wir
diese Überprüfung für notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen dem Eindruck entgegenwirken, mit Wor-

ten wie „Hoffnung“ und anderen Ausdrücken, die hof-
fentlich keine Phrasen sind, die offensichtlichen Dilem-
mata im Kosovo lediglich zu kaschieren. Damit geben
wir unseren Soldaten noch keine Perspektive. Herr Bun-
desaußenminister, es ist richtig, dass es wahrscheinlich
nicht gelingen wird, kurze Zeiträume anzusetzen. Trotz-
dem müssen wir unseren Soldaten eine Perspektive bie-
ten, damit sie im Kosovo vertrauensvoll arbeiten kön-
nen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ferner ist es richtig, dass unsere Soldaten dorthin ge-

schickt werden, damit es zu einer politischen Lösung
kommt. Aber sie selbst sind nicht die politische Lösung.
An einer solchen politischen Lösung – Kollege Stinner
hat das angesprochen – müssen wir und muss insbeson-
dere die Bundesregierung arbeiten. Das erfordert ein
substanzielles Konzept. Das, was wir heute in dieser
Hinsicht gehört haben, war allerdings reichlich dünn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen ein schlüssiges Konzept, das den gesamten
Balkan umfasst. Hier fordere ich die Bundesregierung
auf, sich stärker als bisher für die Entwicklung eines sol-
chen Ansatzes einzusetzen, damit auch hier der Gefahr
der Einlullung begegnet werden kann.

Im Hinblick auf die Erfüllung der teilweise bereits ge-
nannten Standards bedarf es einer gezielteren, kohären-
ten Zusammenarbeit aller beteiligten Kräfte. Das haben
Sie, Herr Bundesminister der Verteidigung, angespro-
chen. Sie haben aber nicht gesagt, wie das geschehen
soll. Selbstverständlich brauchen wir in Absprache mit
unseren Partnern auch eine Reform und Stärkung des eu-
ropäischen Pfeilers der UNMIK, der bisher nicht der
stärkste war, und eine Beschleunigung der Entschei-
dungsprozesse im Kosovo.

Auch ist dem von Christian Schwarz-Schilling entwi-
ckelten Ansatz einer integrativen Streitbeilegung in Süd-
osteuropa, der auf lokaler, das heißt gemeindlicher
Ebene ansetzt, durchaus Beachtung zu schenken.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein sehr guter Ansatz!)


Herr Bundesaußenminister, machen Sie Ihren Ein-
fluss geltend, um der Kontaktgruppe, die Sie benannt ha-
ben, den Weg zu bereiten. Einer Kontaktgruppe, die über
den eigentlichen Kontakt hinaus auch konsens- und ko-
ordinierungsfähig ist. Einer Kontaktgruppe, die eben
auch Russland mit ins Boot nimmt. Sie haben die ent-
sprechenden Anbindungen gelobt, von daher müssen wir
Russland auch lösungsorientiert beteiligen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h.c. Susanne Kastner)


Stichwort: Europäisierung. Natürlich mag es hilfreich
sein, sich der Europäisierung anzunehmen. Aber mit der
Begrifflichkeit allein ist es eben nicht getan. Wir dürfen
über die reine Europäisierung hinaus nicht vergessen,
dass wir im Kosovo auch noch auf andere Partner ange-
wiesen sein werden. So schön und gut Europäisierung ist
– ich glaube, wir können dankbar sein, dass wir weiter-
hin Partner auch außerhalb der europäischen Grenzen
haben wie die Vereinigten Staaten, die uns dort unter die
Arme greifen und uns bei unserem europäischen Pro-
blem helfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben im Vorfeld der Ausschreitungen im März
ein eklatantes Versagen der Aufklärung zu beklagen.
Sorgen Sie vonseiten der Bundesregierung mit Ihren
Partnern bitte dafür, dass die Aufklärungskomponente
hinreichend vernetzt, effizient und letztlich auch entspre-
chend verstärkt wird,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

damit solche Dinge nicht mehr vorkommen können.
Herr Bundesaußenminister, setzen Sie Ihr politisches
Gewicht ein, damit wir zu einer gezielten Zusammenar-
beit unter Zugrundelegung erfüllbarer Standards kom-
men und uns letztlich – so wie Sie es richtig geschildert
haben – der Statusfrage annähern.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511110700

Der Herr Verteidigungsminister hat sich zu einer

Kurzintervention gemeldet. Bitte schön, Herr Minister.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1511110800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich nehme Bezug auf

den Beitrag des Kollegen Guttenberg. Ich habe aus der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitiert. Das Zitat lau-
tete: Sie – Kollegin Oßwald – sei zutiefst entsetzt und
schockiert „über das unmenschliche Verhalten deutscher
Soldaten“. Sie haben gerade erklärt, sie habe in ihrer
Presseerklärung gesagt, sie sei entsetzt über die angebli-
chen Folterbilder.

Zunächst einmal hätte ich erwartet, dass die Kollegin,
die ja irgendwo hier im Hause sein muss, hierher kommt
und selbst klarstellt, dass sie über Bilder redet, die es
überhaupt nicht gibt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Und dass sie sich entschuldigt!)


Das Zweite: Ich kann ja verstehen, dass man als junge
Abgeordnete solche Fehler mal macht. Aber es geht hier
darum, klarzustellen, dass man nicht anfangen kann,
über angebliche Bilder, die man selbst nicht gesehen hat,
herumzuräsonieren und deutsche Soldaten anzugreifen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darum geht es hier. Sie soll sich entschuldigen; dann ist
die Sache erledigt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511110900

Herr Kollege Guttenberg, bitte.

Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

(CDU/CSU):


Herr Bundesminister, ich darf Sie schon bitten, zur
Kenntnis zu nehmen, dass die „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ die Kollegin Oßwald falsch zitiert hat.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Si tacuisses!)


Hier handelt es sich um ein falsches Zitat. Die Frau Kol-
legin Oßwald hat es – laut ihrem Zitat – konkret offen
gelassen. Ich bleibe dabei: So wie Sie es gebracht haben,
haben auch Sie selbst die Frau Kollegin Oßwald falsch
zitiert.


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das macht alles nur peinlicher!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511111000

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1511111100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zuweilen sind alle Augen auf den Papst gerichtet. Aber
die wenigsten Botschaften des Papstes finden Gehör,
selbst die richtigen nicht. Deshalb möchte ich heute in
dieser Debatte Papst Johannes Paul II. zitieren. Er sagte:
Das 20. Jahrhundert hinterlässt uns als Erbschaft
vor allem eine Mahnung: Kriege sind häufig Ursa-
chen weiterer Kriege, weil sie tiefe Hassgefühle
nähren, Unrechtssituationen schaffen sowie die
Würde und Rechte der Menschen mit Füßen treten.
Sie lösen im Allgemeinen die Probleme nicht, um
deretwillen sie geführt werden. Daher stellen sie
sich, außer dass sie schreckliche Schäden anrichten,
auch noch als nutzlos heraus.

So weit der Papst.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak tionslos])

Die PDS im Bundestag findet: Wo der Papst Recht

hat, da hat er Recht.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak tionslos])

Das trifft auch mit Blick auf den Kosovokrieg zu. Wir
waren dagegen und wir bleiben dagegen.

Ich möchte Sie daran erinnern: Der im Frühjahr 1999
begonnene Krieg der NATO war ein Angriffskrieg. Er
wurde unter Bruch des Völkerrechts geführt. Er hat
dazu beigetragen, dass sich in der Alltagssprache das
schlimme Wort vom Kollateralschaden etabliert hat. Pro-
bleme gelöst hat dieser Krieg aber nicht.

Für die Bundesrepublik stellte das Kosovomandat
eine tief greifende Zäsur dar. Erstmals nach 1945 wur-
den deutsche Soldaten in einen Krieg geschickt, durch
Rot-Grün und als Vorboten einer Strategie, die auf welt-
weite militärische Einsätze zielt. Das werden wir heute
auch im Nachhinein nicht legitimieren.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Übrigens: Wir werden auch die windigen Wendungen
nicht vergessen, mit denen der damalige Verteidigungs-
minister Scharping versuchte, den Krieg zu begründen.
Wer dagegen war, wurde von Bundeskanzler Schröder
ganz schnell als „fünfte Kolonne Moskaus“ diffamiert.
Scharping stolperte derweil, die Probleme auf dem Bal-
kan sind allerdings geblieben.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf die Sie offenbar keine Antwort haben!)


Es gibt Parallelen bei den Auslandseinsätzen der
Bundeswehr. Auf diese Parallelen möchte ich hinweisen:

Erstens. Der Marschbefehl war sehr schnell erteilt.
Meist wird er ebenso flink erweitert und verlängert. Was
fehlt, ist ein glaubwürdiges Ausstiegsszenario. Ich ver-
mute inzwischen, dass es keines gibt. Jedenfalls ist mir
keines bekannt.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Die Bundesregierung hat auch heute in dieser Debatte
nicht den Versuch unternommen, ein solches vorzulegen,
weder für den Balkan noch für Afghanistan.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst Stabilisierung, dann Ausstieg!)


Zweitens. Die nutzlosen und, wie der Papst meint,
schädlichen Kriege verschlingen horrende Summen. Al-
lein der NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien verschlang
15 Milliarden Euro. Er richtete Schäden von etwa
50 Milliarden Euro an. Die Stationierung der Truppen im
Kosovo hat bislang 30 bis 35 Milliarden Euro gekostet.
Das macht zusammen insgesamt 100 Milliarden Euro.
Sagen Sie mir, wann und wo auf dem Balkan
100 Milliarden Euro in zivile und humanitäre Projekte
investiert wurden!


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])


Sie werden es nicht können, weil das Pendel der aktuel-
len Politik immer mehr zugunsten des Militärs aus-
schlägt.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511111200

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Siegfried Helias, CDU/CSU-Fraktion.


Siegfried Helias (CDU):
Rede ID: ID1511111300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es geht im Kosovo nicht nur um Standards und
Status, es geht vor allem um die Menschen.


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Vorrangig geht es um die Menschen, die in diesem Ge-
biet leben und die eine Existenzgrundlage und eine Le-
bensperspektive so bitter benötigen. Insofern kann ich
den Ausführungen des Kollegen Rainer Stinner voll-
kommen zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es geht aber auch darum, den Menschen, die von der

internationalen Gemeinschaft in das Kosovo entsandt
wurden, um beim Wiederaufbau zu helfen, das Gefühl
zu geben, dass ihre Arbeit erfolgreich ist. Dazu gehört
allerdings ein schlüssiges politisches Konzept. Ein sol-
ches ist weit und breit nicht zu sehen.

Wir müssen gegenwärtig nicht nur einen Stillstand in
der Entwicklung feststellen; Die Menschen im Kosovo
befinden sich in einer unheilvollen Abwärtsspirale.
Denn auch fünf Jahre nach dem Krieg ist die Lage völlig
desolat: humanitär, wirtschaftlich und politisch. Das
führt zu einem beständigen Prestigeverlust der interna-
tionalen Gemeinschaft, die mit ihren Konzepten für das
Kosovo schlichtweg versagt hat. Allein im Rahmen des
Stabilitätspaktes für Südosteuropa wurden rund 2 Mil-
liarden Euro in den Wiederaufbau investiert oder – bes-
ser gesagt – verpulvert. Die Arbeitslosigkeit in Höhe von
weit über 50 Prozent – das wurde von der Kollegin Uta
Zapf bereits angesprochen – ist ein dramatischer Beweis
für die Erfolglosigkeit aller bisherigen Bemühungen.

Meine Damen und Herren, die unklaren politischen
Vorgaben behindern die Verbesserung der ökonomi-
schen Situation in mehrfacher Hinsicht. Wie der Kol-
lege Christian Schmidt sagt – Kollege Stinner und Uta
Zapf haben sich dem angeschlossen –, ist es nicht nur
eine Frage des allgemeinen Status. Hinzu kommt, dass
sich ausländische Investoren rar machen, solange sie ein
staatliches Provisorium vor Augen haben.

Die Privatisierung der so genannten volkseigenen Be-
triebe kann nicht anlaufen, solange eine gesetzliche Re-
gelung der Ersatzansprüche von Alteigentümern aus-
steht. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich die
UNMIK hat einfallen lassen, dass potenzielle Investoren
bei der Übernahme von Unternehmen für die Altschul-
den haften müssen. Wer will bei diesem Zustand über-
haupt noch investieren? Ohne Eigenstaatlichkeit kann
das Kosovo außerdem keine Kredite aufnehmen, um In-
frastrukturen aufzubauen.

Aufgrund dessen hat sich im Kosovo eine allenfalls
labile Dienstleistungsgesellschaft entwickelt, die ohne
die hohe internationale Personalpräsenz nicht lebensfä-
hig wäre. Produzierendes Gewerbe gibt es aufgrund der
beschriebenen Lage so gut wie gar nicht. Ein Blick auf
die Ein- und Ausfuhrzahlen führt zu einer weiteren Er-
nüchterung. So exportierte das Kosovo im Jahre 2002
Waren im Wert von 27 Millionen Euro und importierte
im selben Zeitraum Güter im Wert von fast
1 Milliarde Euro.

Die UNMIK ist bei wichtigen Reformen kaum vo-
rangekommen. Steuerrecht, Handelsrecht sowie das
Vollstreckungs- und Prozessrecht – alles Meilensteine
für eine wirtschaftliche Entwicklung – hinken dem west-
europäischen Standard immer noch hinterher. Hier muss
meiner Auffassung nach ein Umdenken beginnen. Wir
müssen die Ursachen der wirtschaftlichen Misere und
nicht die Symptome bekämpfen.

Konkret: Zum einen müssen endlich Anreize geschaf-
fen werden, um die Arbeit der kosovarischen Selbstver-
waltung zu dynamisieren und die Arbeit der internationa-
len Organisationen zu professionalisieren. Geberländer,
wie etwa Deutschland, können ihre weitere Unterstüt-
zung auf das so genannte State Building fokussieren –
eine unabdingbare Voraussetzung für ausländische Di-
rektinvestitionen im Kosovo.

Zum anderen darf sich die Neuausrichtung der Ent-
wicklungszusammenarbeit nicht auf das Kosovo be-
schränken, sondern muss auch an die Adresse Serbiens
gerichtet werden. Denkbar wäre beispielsweise die Ein-
richtung eines Ausgleichsfonds, mit dessen Hilfe man
Serben entschädigt, die ihr Eigentum in mehrheitlich al-
banisch bewohnten Gebieten zurücklassen mussten.

Zur Stabilisierung der Region benötigen wir klare
politische Vorgaben und Konzepte. Dies ist in erster Li-
nie eine Aufgabe der Bundesregierung. Die CDU/CSU






(A) (C)



(B) (D)


Siegfried Helias

wird sie bei diesen Anstrengungen unterstützen, damit
die Menschen im Kosovo eine klare Perspektive haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511111400

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-

gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der Inter-
nationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo, Drucksache
15/3235. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/3175 anzunehmen. Es ist namentliche
Abstimmung verlangt. Zu dieser Abstimmung liegen mir
39 persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung – von Kolleginnen und Kollegen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie vom Kol-
legen Jürgen Koppelin – vor.1) Ich bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu-
nehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das
ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

Ich habe gerade gehört, dass an der Urne, die sich
oben rechts bei der Tür „Enthaltung“ befindet, eine
Schriftführerin der SPD fehlt.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)

Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kol-
leginnen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit
wir mit den Abstimmungen fortfahren können.

Tagesordnungspunkt 6 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 15/2860 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Zusatzpunkt 8: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/3204 mit dem Titel „Fortsetzung und
Anpassung der Arbeit der Internationalen Sicherheits-
präsenz im Kosovo“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.

Zusatzpunkt 9: Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3188 mit
dem Titel „Der Kosovopolitik eine Perspektive geben“.
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthal-
tung der FDP abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 sowie Zusatzpunkt 10
auf:

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietrich
Austermann, Friedrich Merz, Steffen Kampeter,

1) Anlagen 2 und 3
2) Ergebnis Seite 10090
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Umkehr in der Finanz- und Haushaltspolitik –
Haushaltssicherungsgesetz und Nachtrags-
haushalt jetzt
– Drucksache 15/3096 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Günter Rexrodt, Jürgen Koppelin, Otto
Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Nachtragshaushalt und Haushaltssicherungs-
gesetz zur Korrektur der Bundesfinanzen not-
wendig
– Drucksache 15/3216 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1511111500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

schäftigen uns heute mit einem Antrag der Union, der
ein totales Umsteuern in der Finanz- und Haushaltspoli-
tik fordert. Wenn man sich die Lage im Land ansieht,
dann stellt man fest, dass dies auch nötig ist. Das Land
befindet sich in der schwierigsten Finanz-, Haushalts-
und Arbeitsmarktkrise seit 1949. Die Verantwortung da-
für trägt die rot-grüne Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Das ist eindeutig zu belegen. Die Daten des Jahres
1998 wiesen alle in eine positive Richtung – was dazu
führte, dass der damalige Kanzlerkandidat der SPD






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

davon sprach, dies sei sein Aufschwung –, während
heute alle signifikanten Daten in die falsche Richtung
zeigen. Wir haben seit drei Jahren eine Stagnation und
in diesem Jahr ein Kümmerwachstum. Wenn man sich
die Situation in den Ländern ansieht, die uns umgeben,
dann stellt man fest, dass dort die Wirtschaft brummt.
Nur die deutsche Regierung hat Watte in den Ohren.

Das Problem liegt darin, dass seit Jahren eine Ver-
trauen zerstörende Politik gemacht wird,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

jeden Tag eine wesentliche Fehlentscheidung,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Mindestens eine!)


was dazu führt, dass Investoren und Konsumenten nicht
mehr wissen, wohin die Entwicklung geht. Das spiegelt
sich auch in den Steuereinnahmen wider. Es ist aber
nicht so – wie man denken könnte –, dass die Steuerein-
nahmen sinken; tatsächlich verharren sie auf einem um
15 Milliarden Euro höheren Niveau als 1998. Sie steigen
lediglich nicht in dem Maße an, wie es der Finanzminis-
ter in seiner euphorischen Schätzung unterstellt hat.
Offensichtlich liegt es also nicht an den Einnahmen, son-
dern an den Ausgaben, wenn die Regierung die Pro-
bleme nicht in den Griff bekommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Infolge der falschen Erwartungen haben die Daten

schon bei der Aufstellung des Haushalts für dieses Jahr
im Sommer 2003 nicht gestimmt. Es wurden eindeutig
Schätzungen unterstellt, die mit der Realität nichts zu
tun haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Täuschung würde ich eher sagen!)


Bei den Ausgaben gab es zu pessimistische und bei den
Einnahmen zu optimistische Erwartungen. Das ganze
Zahlengerüst, das spätestens zu Beginn dieses Jahres zu-
sammengebrochen ist, hätte dazu führen müssen, dass
man eine Remedur macht und gleichzeitig dafür sorgt,
dass man den Haushalt der Situation anpasst, in der wir
uns tatsächlich befinden. Nichts von dem hat der Herr
Bundesfinanzminister getan, obwohl im Vermittlungs-
ausschuss, Herr Eichel, ganz andere Daten gesetzt wor-
den sind. Da ist beispielsweise das Thema Hartz IV auf
frühestens den 1. Januar 2005 verschoben worden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da schummeln die doch wieder!)


Man hätte den Haushalt anpassen müssen. Noch viele
andere Entwicklungen, die im Februar 2004 erkennbar
waren, als hier in dritter Lesung entschieden wurde, sind
von Ihnen bei der Haushaltsaufstellung nicht berücksich-
tigt worden. Das hat mit Haushaltswahrheit, Haushalts-
klarheit und Haushaltsvollständigkeit nichts zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Lassen Sie mich demonstrieren, in welcher Situation
wir uns tatsächlich befinden, und die Situation vor der
Steuerschätzung der Situation nach der Steuerschätzung
gegenüberstellen. Im Vergleich mit den vorangegange-
nen Steuerschätzungen ist erkennbar, dass die aktuelle
Steuerschätzung gegenüber den Erwartungen um
60 Milliarden Euro zurückgeblieben ist. Davon entfällt
ein Minus von 40 Milliarden Euro auf den Bund, ein
Minus von 20 Milliarden Euro auf die Länder und Ge-
meinden. Das heißt, zwei Drittel der Einbußen sind beim
Bund zu verzeichnen.

Wenn ich allerdings davon ausgehe, dass der Finanz-
minister mit dem Haushalt für dieses Jahr eine mittelfris-
tige Planung bis zum Jahr 2008 vorgelegt hat, dann muss
ich heute feststellen, dass er eine Lücke in der Größen-
ordnung von 67 Milliarden Euro in den nächsten Jahren
hat, die bis heute nicht ausgeglichen ist.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Jürgen Koppelin [FDP]: Er ist die Lücke!)


Das Loch ist damit fast doppelt so groß wie die Abwei-
chungen, die gegenüber den bisherigen Steuerschätzun-
gen zu verzeichnen waren. Das hat natürlich dramatische
Konsequenzen.

Im Jahr 2004 fehlen im Haushalt 15 Milliarden Euro.
Die Kollegin Scheel von den Grünen spricht von
18 Milliarden Euro, der Finanzminister von 10 Milliar-
den Euro und ist wieder dabei, den Haushalt zu schönen.

Nun wird man sicherlich sagen, es müsse verstärkt
gespart werden werden, aber die Opposition werde das
möglicherweise nicht mittragen. Ich will Ihnen dabei ein
bisschen auf die Sprünge helfen und konkrete Zahlen
nennen. Dieser Bundesfinanzminister ist als „eiserner
Hans“ angetreten – wir haben aber gleich festgestellt,
dass die Rüstung schon am ersten Tag zu rosten begon-
nen hat –; dann wurde er durch die UMTS-Milliarden,
für die er auch nichts konnte, zum Hans im Glück. Heute
ist er ein Hans Guckindieluft; er lässt die Dinge laufen.
Dieser Finanzminister sagt immer wieder „Wenn nur die
böse Opposition sparen würde!“ und betont, eigentlich
habe er ja gespart.

Ich darf die Zahlen, die der Kollege Koppelin genannt
hat, noch einmal aufgreifen. In der Zeit von 1998 bis
zum Ende dieses Jahres wird Finanzminister Eichel neue
Schulden in Höhe von 190 Milliarden Euro aufgenom-
men haben.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Traurig, traurig! – Elke Ferner [SPD]: Wie viel habt ihr denn gemacht?)


Das bedeutet in den Folgejahren eine zusätzliche Zinsbe-
lastung in Höhe von 9,5 Milliarden Euro. Das entspricht
dem Gegenwert aller Infrastrukturprojekte, die im Bun-
deshaushalt vorgesehen sind. Diese Summe wird für
Zinsen verschleudert, weil eine hemmungslose Schul-
denpolitik betrieben worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Manch einer kann sich noch erinnern, dass der Bun-

desfinanzminister vor der Wahl 2002 davon sprach, die
Opposition genieße gerne das süße Gift der Verschul-
dung. Angesichts seiner eigenen Politik müsste er






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

eigentlich von dem süßen Gift der Schulden völlig be-
trunken sein.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist er! Er leidet an Realitätsverlust!)


Er verstößt dieses Jahr zum dritten Mal und im nächsten
Jahr zum vierten Mal gegen die Maastricht-Kriterien.
Die Stabilitätskriterien werden nicht einzuhalten sein;
die Maastricht-relevanten Defizite sind offenkundig. Da-
ran hat der Bund – das habe ich anhand der Zahlen deut-
lich gemacht – den wesentlichen Anteil.

Es wird immer wieder auf den nationalen Stabili-
tätspakt verwiesen. Dieser Stabilitätspakt macht Vorga-
ben hinsichtlich der Schuldenaufnahme von Bund, Län-
dern und Gemeinden. Der Bund wollte sich auf
45 Prozent der Schulden der drei Ebenen beschränken;
inzwischen trägt er zwei Drittel davon. Insofern ist allein
der Bund für den Verstoß gegen den nationalen Stabili-
tätspakt verantwortlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte noch darauf eingehen, dass mein Nach-

redner, Herr Eichel, uns wahrscheinlich vorhalten wird,
wir hätten ihn am Sparen gehindert.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

In diesem Zusammenhang kommt – wie das Ungeheuer
von Loch Ness – immer wieder das Thema Eigenheim-
zulage zur Sprache. Herr Eichel, sind Sie bereit, den
Anwesenden heute mitzuteilen, dass wir im Vermitt-
lungsausschuss gemeinsam beschlossen haben, die
Eigenheimzulage um 30 Prozent zu reduzieren, nunmehr
aber die von Ihnen genannten Beträge – der eine nennt
10 Milliarden; der Bundeskanzler nennt 8,5 Milliarden
und auch Sie nennen nicht die tatsächliche Zahl – nicht
verfügbar sind? Es ist nicht mehr Geld verfügbar als der
Betrag, der durch die Reduktion zusammenkommt; es
sei denn, man greift in die Verträge mit den Häuslebau-
ern ein. Dies aber wollen wir nicht.

Ähnlich verhält es sich bei der Entfernungspauschale.
Sie musste erhöht werden, weil Sie die Ökosteuer erho-
ben haben und die Pendler nicht über Gebühr benachtei-
ligt werden sollten. Jetzt wollen Sie ihnen einen Teil der
Entfernungspauschale wieder wegnehmen, sodass es
doch zu der Belastung der Pendler durch die Ökosteuer
kommt. Ist das gerecht? Dass wir zögern, einem solchen
Vorhaben zuzustimmen, kann uns, glaube ich, niemand
vorwerfen.

Wir haben die Koch/Steinbrück-Vorschläge gemein-
sam beschlossen. Was aber haben Sie gemacht? Nach-
dem der Beschluss gemeinsam gefasst wurde, haben Sie
dem Haushaltsausschuss eine Regelung vorgelegt, in der
die Kohle ausgespart wurde. Sie haben Ihre Hand dazu
gereicht, dass dem Bergbau in den Jahren 2006 bis 2013
zusätzliche 17 Milliarden Euro zufließen. Wir sind da-
für, die Kohlereviere dem Strukturwandel anzupassen
und dem Bergbau dabei zu helfen. Angesichts der Ent-
wicklung des Weltmarktpreises frage ich mich aber, ob
Zahlungen in diesem Umfang tatsächlich notwendig
sind.

(Elke Ferner [SPD]: Haben Sie schon mal was von Lieferverträgen gehört?)


Ich frage mich vor allen Dingen, ob es in dieser Lage
dazu kommen muss, dass die Kohleförderung sogar an-
gehoben wird, sodass es statt der bisherigen degressiven
Linie auf einmal zu einer Stabilisierung auf hohem
Niveau kommt.

Sie schlagen an anderer Stelle Einsparungen vor und
kündigen an, dass etwas für die Forschung und andere
Bereiche getan werden muss. Ich wiederhole: Im Haus-
haltsausschuss sollten heute zusätzliche Kohlesubventio-
nen in Höhe von 17 Milliarden Euro in den Jahren 2006
bis 2013 beschlossen werden. Wir haben das Gott sei
Dank vertagt. Ich hoffe, dass die rot-grüne Koalition in
diesem Fall noch zur Einsicht kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie haben noch weitere Vorschläge vorgebracht, die
vom Schnittblumenprivileg über die Baumschulen bis
zum Katzenfutter reichten. Das waren alles Peanuts im
Vergleich zu dem, was für die Kohle herausgeschmissen
wird.

Sie haben weitere Maßnahmen getroffen, deren Dra-
matik heute noch nicht zu erkennen ist. Wir sollen mit
Ihnen gemeinsam eine Änderung hinsichtlich der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ beschließen, die der Bundeswirt-
schaftsminister anstrebt, und zwar deshalb, weil er bei
der Kohle aus dem Vollen schöpft. Das Ergebnis ist, dass
in diesem Jahr auf Verpflichtungsermächtigungen in der
Größenordnung von 264 Millionen Euro nicht zurückge-
griffen werden kann. Das hat zur Folge, dass die neuen
und die alten Bundesländer Mittel für die Wirtschaftsför-
derung in gleicher Höhe nicht zur Verfügung stellen. Al-
les zusammen macht das etwa 50 Prozent der Mittel für
die regionale Wirtschaftsförderung aus. Das bedeutet,
dass Investitionen in Höhe von 2,6 Milliarden Euro vor
allen Dingen in den neuen Bundesländern, aber auch in
strukturschwachen Gebieten in den alten Bundesländern,
zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, nicht getätigt wer-
den können, weil Sie die Mittel für die regionale Wirt-
schaftsförderung zugunsten anderer Projekte dramatisch
zusammenstreichen. Dass wir dies nicht mitmachen, ist
ziemlich klar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So können wir jeden Punkt genau begründen, an dem
wir gesagt haben: So nicht und vor allen Dingen nicht
mit uns!

Sie haben des Weiteren die schlechte wirtschaftliche
Lage mit dem Zusammenbruch des Konsums begründet.
Aber wer macht denn den Konsum? Es ist doch unbe-
streitbar, dass wesentliche Teile der wirtschaftlichen
Entwicklung unseres Landes von den politischen Rah-
menbedingungen abhängen; das ist doch eindeutig. Ob
man einen Zickzackkurs fährt – Agenda Zickzack – oder
ob man klare Bedingungen schafft, damit Investoren in-
vestieren und Konsumenten konsumieren, das ist die
Frage, ob man Vertrauen in die künftige Entwicklung






(A) (C)



(B) (D)


Dietrich Austermann

ja: 574 Edelgard BulmahnMarco Bülow
Gabriele Groneberg
Achim Großmann

Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
enthalten: 1

Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr (Neuruppin)

Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel (Berlin)

Klaus Barthel (Starnberg)

Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)

Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase

Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)

Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich (Mettmann)

Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Karl-Hermann Haack

(Extertal)


Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann

(Wackernheim)


Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Walter Hoffmann

(Darmstadt)


Iris Hoffmann (Wismar)

Frank Hofmann (Volkach)

Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen

Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler (Coburg)

Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
nein: 7 Ulla Burchardt Wolfgang Grotthaus Hans-Peter Kemper
schafft. Insofern beeinflusst
falsch macht – sie zerstört
wie ein Trampel im Konsu
Handeln der Menschen in De


(Beifall bei der CDU Sie beschließen belastende pitalmarkt und diskutieren üb Simonis hat angesichts der Landtagswahl in Schleswigfreue mich schon jetzt darau dem neuen Ministerpräsident schütteln –, (Beifall bei de eine Panikattacke nach der a jeden Tag einen neuen Vorsc die Mehrwertsteuer erhöht w und Spitzensteuersatz zum 1. den Tag gab es bis jetzt eine n trägt, dass die Menschen gar tatsächlich langgeht. Ich habe meine Rede mit dass wir uns in der schlimms Arbeitsmarktkrise seit 1949 b Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 582; davon das, was die Regierung Vertrauen und bewegt sich mgarten –, wesentlich das utschland. /CSU und der FDP)

Gesetze, belasten den Ka-
er Steuererhöhungen. Frau
Aussicht, die kommende
Holstein zu verlieren – ich
f, im März nächsten Jahres
en Carstensen die Hand zu

r CDU/CSU)
nderen und macht deshalb
hlag. So soll unter anderem
erden, um den Eingangs-
Januar 2005 zu senken. Je-
eue Irritation, die dazu bei-
nicht mehr wissen, wo es

der Feststellung begonnen,
ten Finanz-, Haushalts- und
efinden. Aus dieser krisen-

Bernhard Brinkmann

(Hildesheim)


Hans-Günter Bruckmann
haften Situation kommen wir
tatsächlich umsteuern. Wir m
sensturz machen, einen Nach
haltsbegleitgesetz verabschie
Sparen beginnen, zum Beispi
den Verfügungsmitteln und
Wir müssen übrigens auch b
sofort umsteuern. Aber mit d
gierung und insbesondere m
nister ist das leider nicht zu m

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU Vizepräsidentin Dr. h. c Bevor ich dem Bundesfin komme ich zurück zum Ta gebe das von den Schriftführ ermittelte Ergebnis der na über die Beschlussempfehlu schusses zu dem Antrag der setzung der deutschen Beteili Sicherheitspräsenz im Koso Stimmen 582. Mit Ja haben g ben gestimmt 7, Enthaltunge angenommen. Angelika Graf Dieter Grasedieck Kerstin Griese nur dann heraus, wenn wir üssen einen ehrlichen Kastragshaushalt und ein Hausden sowie endlich mit dem el bei den Beraterverträgen, der Öffentlichkeitsarbeit. ei den Kohlesubventionen ieser rot-grünen Bundesreit diesem Bundesfinanzmiachen. /CSU und der FDP)

. Susanne Kastner:
anzminister das Wort gebe,
gesordnungspunkt 6 a und
erinnen und Schriftführern
mentlichen Abstimmung
ng des Auswärtigen Aus-
Bundesregierung auf Fort-
gung an der Internationalen
vo bekannt. Abgegebene
estimmt 574, mit Nein ha-
n 1. Der Antrag ist damit

Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller (Düsseldorf)

Christian Müller (Zittau)

Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann (Bramsche)

Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel Riemann-
Hanewinckel

Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht

(Tuchenbach)


Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer

(Nürnberg)


Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Dagmar Schmidt (Meschede)

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)

Heinz Schmitt (Landau)

Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Brigitte Schulte (Hameln)

Reinhard Schultz

(Everswinkel)

Swen Schulz (Spandau)

Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-
Wolgast

Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt (Pforzheim)

Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis (Stendal)

Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen

(Wiesloch)


Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker

Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek (Böhlen)

Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer (Karlsruhe)

Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck

(Reutlingen)


Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner

(Schönebeck)


Cajus Julius Caesar
Peter H. Carstensen

(Nordstrand)


Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer (Lübeck)

Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer (Göttingen)

Dirk Fischer (Hamburg)


(KarlsruheLand)


Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg

Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster

(Bad Dürrheim)


Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler (Wiesbaden)

Manfred Kolbe
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn (Zingst)

Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)


Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link (Diepholz)

Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)


Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Stephan Mayer (Altötting)

Dr. Conny Mayer

(Baiersbronn)


Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)


Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)

Doris Meyer (Tapfheim)

Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller (Erlangen)

Bernward Müller (Gera)


Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert

Joseph Fischer (Frankfurt)

Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt

Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Dr. Gerd Müller

Hildegard Müller
Bernd Neumann (Bremen)

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard (Dresden)

Katherina Reiche
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht (Weiden)

Peter Rzepka
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)

Andreas Schmidt (Mülheim)

Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß (Emmendingen)

Gerald Weiß (Groß-Gerau)

Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Cornelia Behm
Birgitt Bender
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth (Quedlinburg)

Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller (Köln)

Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth (Augsburg)

Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Ingolstadt)

Werner Schulz (Leipzig)

Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf (Frankfurt)

FDP
Daniel Bahr (Münster)

Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)

Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)

Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann

(Homburg)

Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto

(Frankfurt)


Eberhard Otto (Godern)

Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Fraktionslose Abgeordnete
Martin Hohmann

Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)


Herbert Frankenhauser
Willy Wimmer (Neuss)

BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Hans-Christian Ströbele
Fraktionslose Abgeordnete
Dr. Gesine Lötzsch
Petra Pau

Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens (Emstek)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Nun hat das Wort der Bundesminister der Finanzen,

Hans Eichel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: Da klatschen nur noch drei! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es bleibt einem nichts erspart!)



Hans Eichel (SPD):
Rede ID: ID1511111600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In der Tat bleibt Ihnen – das werden Sie gleich
noch merken – nichts erspart. Richtig ist, dass wir in ei-
ner ausgesprochen schwierigen Finanz- und Haushalts-
lage sind, gar keine Frage.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Von Ihnen verschuldet!)


Aber, Herr Austermann, es bleibt dabei: Die höchste
Zahl an Arbeitslosen nach der Wiedervereinigung,
knapp unter 5 Millionen, gab es in Ihrer Regierungszeit.


(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was hilft Ihnen das heute! Das entschuldigt nichts!)


– Das hören Sie nicht gerne. – Die höchste Nettoneuver-
schuldung, rund 40 Milliarden Euro, gab es ebenfalls in
Ihrer Regierungszeit, und das bei einem niedrigeren
Bruttoinlandsprodukt als heute. Das wollen wir wenigs-
tens festhalten.


(Beifall bei der SPD)

Das erleichtert natürlich nicht die Lösung der Probleme,
die wir zweifelsfrei vor uns haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Eine Umkehr in der Finanz- und Haushaltspolitik

macht – nichts anderes bedeutet das, was Sie uns vor-
exerziert haben – in der Tat keinen Sinn; denn das hieße,
so viele Schulden zu machen wie nie zuvor. Wir wollen
in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass der An-
stieg der gesamtstaatlichen Verschuldung von 40 auf
60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das Ergebnis Ihrer
Politik war. Keine Umkehr heißt dann auch, dass es
keine Rückkehr zu den Schattenhaushalten gibt. Damit
haben wir mit dem Haushalt 1999 Schluss gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Schluss machen, das wäre richtig!)


Es ist unbestritten: Die Lage ist nicht einfach. Das be-
trifft aber nicht nur uns, sondern auch viele andere. Ihre
Beschreibung lautete: Rundherum brummt die Wirt-
schaft, nur in Deutschland nicht. In Deutschland hat es
eine erfreuliche Aufwärtskorrektur gegeben. Aber wahr
ist: Sie ist nur exportgetragen. Wahr ist auch, dass die
Niederlande, unser Nachbar, eine viel schwierigere Wirt-
schaftslage haben. Wahr ist außerdem, dass die Wirt-
schaftslage in Italien eher schwieriger als bei uns ist.
Also ist auch diese Beschreibung verkehrt. Wahr ist
auch, dass das Haushaltsdefizit der Hälfte aller Staaten
der Eurozone in laufender Rechnung oberhalb von
3 Prozent liegt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben aus dem Stabilitätspakt eine Schuldengemeinschaft gemacht, Herr Eichel!)


Auch das ist keine erfreuliche Entwicklung. Es zeigt
aber, dass Sie keine Berechtigung haben, unsere Pro-
bleme – bei allen Schwierigkeiten, die wir haben – als
binnengemacht darzustellen, wie Sie es immer wieder
versuchen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind – das war das Ziel unserer Arbeit; es ist si-
cherlich nicht allein durch unsere Arbeit, aber auch nicht
ohne sie geschehen – aus der Stagnation heraus. Wir ha-
ben ein Wirtschaftswachstum. Es ist höher als gedacht.
Aber man muss ebenso klar sagen: Die 0,4 Prozent im
ersten Quartal im Vergleich mit dem Vorquartal oder die
1,5 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahresquartal sind
fragil; denn sie sind – ich wiederhole – ausschließlich
exportgetragen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Also haben wir ein binnenwirtschaftliches Problem!)


Die Entwicklung in der Binnennachfrage ist nach wie
vor nicht erfreulich. Der klassische Weg „erst Export, dann
Investitionen, dann Binnennachfrage“ hat bisher nicht
funktioniert. Davon wird auch die Finanz- und Haushalts-
politik, die ich zu machen habe, bestimmt. Das heißt, wir
werden alles unterlassen müssen – das gilt unverändert –,
was den Aufschwung beeinträchtigen könnte. Ich denke,
dass Christian Schütte in seinem gestrigen Kommentar
in der „Financial Times Deutschland“ dazu genau das
Richtige gesagt hat:

Die deutsche Finanzpolitik ist gut beraten, im Mo-
ment ähnlich vorsichtig zu agieren, statt gleich die
ersten Zeichen des Aufschwungs für ein Austeri-
tätsprogramm zu nutzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben noch nicht den Punkt eines konjunkturel-

len Aufschwungs erreicht – ich sage das mit aller Klar-
heit; viele vertreten mit Recht diese Auffassung –, von
dem an man härter konsolidieren muss, wenn man im
Abschwung Defizite hat hinnehmen müssen. Ich wieder-
hole: Diesen Punkt haben wir noch nicht erreicht. Dafür
ist der Aufschwung in der Tat zu fragil.

Der Vollzug des Bundeshaushalts 2004 wird im We-
sentlichen durch die konjunkturelle Entwicklung geprägt,
die langsam an Fahrt gewinnt. Die Mai-Steuerschätzung
zeigt – Sie haben es erwähnt – eine Mindereinnahme von
8,3 Milliarden Euro. Aufgrund des im Vermittlungsver-
fahren vereinbarten nicht vollständigen Vorziehens der
Steuerreform haben wir auf der einen Seite zwar mehr
Geld zur Verfügung; auf der anderen Seite haben wir für
alle Folgejahre wegen des nicht beherzten Abbaus von
Steuersubventionen Geld verloren. Dafür sind Sie ver-
antwortlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Auch auf der Ausgabenseite hinterlässt die nach wie

vor nicht starke Konjunktur ihre Spuren. Das heißt, wir
werden bei der Arbeitslosenhilfe zusätzlich Geld drauf-
legen müssen, während der Zuschuss für die Bundes-
agentur für Arbeit nach allem, was wir erkennen können,
aufrechterhalten werden kann; sie wird keinen höheren
Zuschuss benötigen.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das war schon so oft zu hören und das hat nie gestimmt!)


Der Bundesbankgewinn ist weitaus niedriger ausge-
fallen als von der Bundesbank selbst erwartet und von
uns entsprechend veranschlagt. Heute gibt es keine
Möglichkeit, die Nettokreditaufnahme zuverlässig zu
prognostizieren. Wie ich deutlich gemacht habe, schätze
ich das Risiko gegenwärtig auf 10 bis 11 Milliarden
Euro.

Ich will bei dieser Gelegenheit aber auch darauf hinwei-
sen – das gehört zu den Aspekten, die ich jetzt nicht weiter
bewerten will –, dass wir, was die Steuereinnahmen be-
trifft, per 30. April bisher nicht die prognostizierten Min-
dereinnahmen haben; vielmehr befinden wir uns sehr ge-
nau im Plan der Novembersteuerschätzung, allerdings
mit erheblichen Schwankungen über die Monate, was ei-
nen natürlich außerordentlich vorsichtig machen muss.
Deswegen bleibe ich vorsichtshalber bei dem, was die
Steuerschätzer gesagt haben.

Ich weise aber darauf hin, dass es nicht unbedingt der
Weisheit letzter Schluss sein muss. Ich erinnere an das Ende
des vergangenen Jahres. Herr Austermann, sechs Wochen
vor Toresschluss haben Sie sich negativ um 12 Milliarden
Euro verschätzt. Ich selbst habe mich sechs Wochen vor
Toresschluss ebenfalls negativ verschätzt, und zwar um
5 Milliarden Euro. Es macht im Moment also wenig
Sinn, über einen Nachtragshaushalt zu reden. Vernünfti-
ger ist es, wie im vergangenen Jahr die Entwicklung ge-
nau zu beobachten und eine Entscheidung nach der Som-
merpause zu treffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Angesichts der konjunkturellen Situation, in der wir
uns befinden, bin ich strikt gegen eine hektische Ver-
schärfung der Sparmaßnahmen, was eine zusätzliche
haushaltswirtschaftliche Sperre oder ein Haushaltssiche-
rungsgesetz bedeuten würde.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir haben es ja!)


– Wir haben es nicht. Sie müssen genau darauf schauen,
Herr Kampeter, was wir seit 1999 – auf die Zahlen
komme ich gleich noch zurück – mit der Konsolidierung
geleistet haben. Die Wahrheit ist, dass wir in den letzten
zehn Jahren den Anteil des Haushalts am Bruttoinlands-
produkt von 13,5 Prozent auf 12,1 Prozent zurückgefah-
ren haben. Das heißt, die Konsolidierung hat auf der
Ausgabenseite stattgefunden.

Sie vollführen mit Ihren Zahlen Taschenspielertricks,
Herr Austermann.


(Beifall bei der SPD)

Der Haushalt 1998 – wir haben das hier oft diskutiert;
Sie wissen es – respektive der von Ihnen vorgelegte Ent-
wurf 1999 enthielt doch gar nicht die ganze Wahrheit.
Die Postunterstützungskassen waren nicht darin enthal-
ten. Die Hilfen für die Not leidenden Länder Saarland
oder Bremen waren nicht darin enthalten. Es war über-
haupt kein vollständiger Haushalt. Das können Sie nicht
mit einem Haushalt vergleichen, der alles ausweist, was
an staatlichen Leistungen erbracht werden muss, wie das
unser Haushalt tut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden hart zu tun haben. Es wird alles geleistet
werden, und zwar in Solidarität aller Kabinettskollegen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hört man allerorten! – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Die wollen nicht mal mehr sprechen!)


Wir werden sowohl die 2 Milliarden Euro, um die ich
den Rentenzuschuss gern gesenkt hätte, im Haushalt er-
wirtschaften als auch die Beschlüsse, die zu Koch/
Steinbrück gefasst worden sind, umsetzen, was nicht
heißen muss, dass das genau an den vorgesehenen Stel-
len geschieht. Ich muss jetzt nicht über den Subventions-
begriff streiten. Wichtig ist der finanzielle Ertrag der
Maßnahmen. Das wird sicherlich genau so kommen wie
geplant.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann ist es eine globale Minderausgabe und hat nichts mit Subventionsabbau zu tun! – Jürgen Koppelin [FDP]: Seine letzte Rede im Bundestag!)


Deswegen wird es kein Haushaltssicherungsgesetz
geben. Herr Austermann, Sie fordern ein solches Gesetz.
Es wäre schön, wenn Sie auch einmal sagen würden, was
Sie damit meinen, damit die Menschen im Lande auch
präzise wissen, was das heißt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich weiß – Sie wissen es auch –, wie viel Geld wir
den Menschen im Zuge der Gesundheitsreform inzwi-
schen weggenommen haben. Ich weiß – Sie wissen es
auch –, welche Einschränkungen wir im Zuge der Ren-
tenreform – wenn ich mich recht erinnere, haben Sie das
alles abgelehnt – kurz-, mittel- und langfristig vorge-
nommen haben. Ich weiß, dass wir jetzt an einem Punkt
sind, an dem wir nicht immer nur auf die Kleinen schla-
gen dürfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Warum tun Sie es dann?)


Stellen Sie sich nicht immer vor Ihre Klientel, sondern
sorgen Sie dafür, dass sie richtig dabei ist! Ich erinnere
an das Thema „Gesundheitsreform und Anbieterseite“;
da gibt es in Ihren Reihen ganz ähnliche Vorbehalte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

Der Kurs, den wir in 1999 eingeleitet haben, hat dazu

geführt – –

(Jürgen Koppelin [FDP]: Dass wir mehr Aus gaben haben!)

– Herr Koppelin, es ist doch ganz einfach zu beschrei-
ben: Wenn wir den Kurs nicht eingeleitet hätten, hätten
wir jetzt jedes Jahr mindestens 20 Milliarden Euro mehr
Schulden.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Was ist nicht passiert? Was ist nicht eingetreten?

(Jürgen Koppelin [FDP]: Zusätzlich zu Ihren übrigen Schulden!)

Die niedrigste Verschuldung fiel in meine Amtszeit,
nämlich 1,2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt im Jahr
2000, 24 Milliarden Euro.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Dank UMTS! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber nur mit dem Sondereinfluss UMTS!)


Eine niedrige Verschuldung des Bundeshaushalts gab es
auch noch in 2001. Im vergangenen Jahr waren wir bei
3,9 Prozent und 82 Milliarden Euro.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Und bei Oskar Lafontaine?)


Warum? Die Antwort ist einfach: Es hat leider – das ist
traurig – drei Jahre lang Stagnation gegeben, nicht nur
bei uns,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und Sie sind unschuldig!)


aber eben auch bei uns, mit der Folge, dass die Steuer-
einnahmen nicht in der erwarteten Höhe geflossen sind,
mit der Folge, dass wir für den Arbeitsmarkt mehr haben
ausgeben müssen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wem gehört denn dieser Abschwung?)


Noch einmal: 20 Milliarden Euro mehr Schulden wä-
ren es ohne den Konsolidierungskurs, den wir 1999 ein-
geleitet haben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So kann man doch seriös nicht rechnen!)


Schauen Sie sich die Entwicklung der Zahlen an; da-
rin liegt die Heuchelei, die Sie betreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sagen, die Einnahmen flössen doch; wir hätten gegen-
über 1999 15 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr.
Das ist exakt die Ökosteuer. Anderenfalls hätten wir um
zwei Prozentpunkte höhere Rentenversicherungsbei-
träge.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ansonsten sind die Ausgaben im Bundeshaushalt gefal-
len. Das ist der Konsolidierungskurs.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das interessiert den Bürger nur am Rande!)


Deswegen kommen Sie mit Ihrer Argumentation ganz
gewiss nicht durch.

Die Bundesregierung wird ihren finanz- und wirt-
schaftspolitischen Kurs durchhalten.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine Drohung! – Jürgen Koppelin [FDP]: Eine Drohung!)


Die eingeleiteten Reformmaßnahmen brauchen natür-
lich Zeit, um Wirkung zu entfalten. Die langfristig ange-
legte Konsolidierungspolitik wird dazu beitragen.

Eines ist klar: Wachstum und Konsolidierung gehören
untrennbar zusammen. Es ist richtig: Es gibt kein nach-
haltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Handeln Sie danach!)


Aber ebenso richtig ist: Es gibt keine Konsolidierung der
Staatsfinanzen ohne wirtschaftliches Wachstum.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist alles richtig!)


Deswegen haben wir all die Maßnahmen eingeleitet, die
mit der Agenda 2010 verbunden sind. Mal haben Sie
mitgemacht; mal – das ist das Traurige bei dieser Veran-
staltung – haben Sie auch wieder nur torpediert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun, meine Damen und Herren, eine letzte Bemer-

kung zum Vertrag von Maastricht: Selbstverständlich
werden wir alles daransetzen, die Maastricht-Kriterien
im Jahre 2005 wieder einzuhalten. Ich habe gesagt: Ich
kann angesichts der Steuerschätzung nicht garantieren,
dass wir das bei der Haushaltsaufstellung schon leisten
können. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass wir,
wenn Sie Ihrer Verantwortung im Bundesrat nur annä-
hernd nachgekommen wären, über diese Frage gar nicht
zu reden brauchten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Meine Vorschläge, wie man die Staatshaushalte in Ord-
nung bringen kann, lehnen Sie ja regelmäßig gegen die
Interessen der Kommunen und der Länder ab.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sind doch alles Steuererhöhungen!)


– Das ist eine spannende Frage. Fragen Sie einmal Herrn
Koch, ob er den Abbau von Steuersubventionen für
eine Steuererhöhung hält. Bei den Koch/Steinbrück-Vor-
schlägen war genau das Gegenteil der Fall.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie war es denn mit der Kohle? Da geht es um Subventionen!)


Fragen Sie einmal den Sachverständigenrat, ob er den
Abbau von Steuersubventionen für Steuererhöhungen






(A) (C)



(B) (D)


Bundesminister Hans Eichel

hält. Fragen Sie einmal die Bundesbank, ob sie den Ab-
bau von Steuersubventionen für Steuererhöhungen hält.
Mir hat Professor Wiegard gerade noch einmal aus-
drücklich erklärt: Es gibt ökonomisch keinen Unter-
schied zwischen der Kürzung von Finanzhilfen und dem
Abbau von Steuervergünstigungen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Was sagt er denn ansonsten zu Ihrer Politik?)


Meine Damen und Herren, da fängt es dann ja auf bei-
den Seiten an. Was Sie tun, Herr Austermann, ist nun
wirklich der Gipfel der Heuchelei.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nun einmal vorsichtig!)


– Nein, das sage ich so. – Man kann über Ihren Vor-
schlag, die Kohlesubventionen noch weiter zu kürzen,
reden. Das würde ich vorher aber gerne einmal schwarz
auf weiß sehen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie sollen sie nicht erhöhen!)


Wir fahren übrigens die Förderung von 28 auf 16 Millio-
nen Tonnen im Jahre 2012 herunter, und zwar ohne dass
betriebsbedingte Kündigungen notwendig werden. Aber
was geschah im letzten Dezember im Vermittlungsver-
fahren? Herr Stoiber ließ verlauten: Wenn auch nur ein
einziger Cent bei den Subventionen für die Landwirt-
schaft weggenommen wird – also ein Bereich, der gar
nicht zustimmungspflichtig ist –, ist das ganze Vermitt-
lungsverfahren von vornherein als gescheitert anzuse-
hen. Das war Ihre Vorgehensweise. Sie sollten also ein-
mal über Ihre eigene politische Glaubwürdigkeit in
diesem Punkt nachdenken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nehmen wir jetzt einmal das Gesetz zum Abbau von
Steuervergünstigungen. Ich habe, wie es die Mehrheit
des Bundestages dann beschlossen hat, einen nachhalti-
gen Abbau von Steuersubventionen in Höhe von 15,6
Milliarden Euro vorgeschlagen. Nachdem dieses Gesetz
durch den Bundesrat gegangen war, sind gerade einmal
2,4 Milliarden Euro übrig geblieben. Mit anderen Wor-
ten: Es geht im Zusammenhang mit Ihrer Blockade des
Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen im
Bundesrat um 13 Milliarden Euro, die dem Staatshaus-
halt nicht zur Verfügung stehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Was war mit anderen Vergünstigungen?)


Es darf nicht mehr so weitergehen, dass wir Vorschläge
machen, die auch zur Sanierung der Länder- und Kom-
munalhaushalte beitragen, und Sie sie blockieren. Es
sind nämlich keine Lösungen für die Probleme in diesem
föderalen Staat mehr möglich, wenn nicht alle ihrer Ver-
antwortung nachkommen, und zwar im Bundestag und
im Bundesrat.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sehen wir ja gerade bei Hartz IV!)


Aber erst blockieren, anschließend die Folgen beweinen
und dabei uns die Schuld zuschieben ist der Heuchelei
zu viel. Das müssen wir uns nicht gefallen lassen. Das
lassen wir uns auch nicht gefallen, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511111700

Das Wort hat der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1511111800

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich habe das Gefühl, ich bin hier im falschen
Film.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie sind im falschen Film!)

„Same procedure as every year“: Hans Eichel in der
Rolle des James, der deutsche Wähler in der Rolle von
Miss Sophie und ein Tigerkopf im Sinne einer 3-Pro-
zent-Hürde mit einem stolpernden Finanzminister.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Filmriss!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch ein-
mal ehrlich: Was hier passiert, ist ritualisiert. Es ist bis
ins Detail und bis hin zu den ewigen Zwischenrufen ritu-
alisiert. Zum Thema Sparen: Sparen Sie sich doch, Herr
Tauss, einmal Ihre ewigen Zwischenrufe. Das wäre auch
für uns ein großer Beitrag.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Sie dienen der Wahrheitsfindung!)


Ich will gerne zugestehen, Herr Eichel, dass Sie ver-
suchen, in eine Richtung zu gehen, die dem Haushalt
hilft. Aber Sie setzen sich doch gar nicht mehr durch. Sie
haben um sich herum Ihre Freunde versammelt – manch-
mal redet man von Parteifreunden; das ist noch viel
schlimmer –, die Ihnen regelmäßig die Beine weghauen.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Das können Sie anhand des Rentenzuschusses in Höhe
von 2 Milliarden Euro – Sie haben dieses Thema ja an-
gesprochen – ganz deutlich sehen. Sie sind weg. Da stellt
sich die Frage, wie wir das vor dem Hintergrund der
Neuverschuldung bewerten sollen und ob die 2 Milliar-
den Euro nicht eher in einen Nachtragshaushalt gehören,
auch wenn Sie behaupten, Sie könnten sie durch allge-
meine Einsparungen irgendwie wieder hereinholen.

Das beste Beispiel hat ja der Hilfsökonom Joschka
Fischer abgegeben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Otto Fricke

Was sich Joschka Fischer mit seinem Spruch, mit der
Askese sei es jetzt genug, nicht nur in Bezug auf seine
Person, sondern auch in Bezug auf den Haushalt erlaubt
hat,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr schön!)

erzeugt bei den Bürgern einen bestimmten Reflex; und
genau der ist das Problem. Der Bürger meint nämlich,
wir müssten gar nicht sparen; denn manchmal kann er
die Zusammenhänge der Milliarden von Schulden, die
wir uns hier regelmäßig an die Köpfe werfen, nicht mehr
erkennen. Sobald ein Politiker – gerade der Vizekanz-
ler – sagt, wir müssten nicht mehr so sehr sparen, sagt
der Bürger: Siehst du, das habe ich doch gewusst! Es ist
gar nicht nötig, und wenn doch, muss es ja nicht mich
kleinen Mann treffen.

Herr Minister, Sie haben die Niederlande als Beispiel
angeführt. Es stimmt: Nachdem Herr Zalm Sie heftigst
kritisiert hat, hat er selber einmal die 3-Prozent-Hürde
gerissen. Aber hier kommt jetzt der große Unterschied:
Die Niederländer versuchen die drei wesentlichen Pro-
bleme – Sozialausgaben, Zinsen, Arbeitslosigkeit – in
den Griff zu bekommen; die Arbeitslosigkeit haben sie
bereits in den Griff bekommen. Die Lösung ist nicht eine
Agenda 2010, sondern es sind harte Einschnitte.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Von solchen harten Einschnitten ist von der Regierungs-
seite nichts mehr zu hören, auch nicht vonseiten der da-
zugehörigen Fraktionen.

Hier liegt der wesentliche Unterschied zu einer voraus-
schauenden Finanzpolitik. Sie selber haben gesagt: Die
Schulden von heute sind die Steuern von morgen. – Das
bedeutet doch, dass wir im Moment dabei sind, jedes
Jahr Steuererhöhungen für unsere Kinder zu beschlie-
ßen. Das kann man einfach nicht verantworten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Was kann man dagegen machen? Wir könnten einmal

mit dem Fahrrad – früher sind Sie ja noch gerne Fahrrad
gefahren – in die Niederlande fahren, mit Herrn Zalm re-
den und uns die Situation dort anschauen. Ich sehe hier
neben der Regierung auch die Gewerkschaftsvertreter.
Ich sage ganz bewusst, dass ich es für richtig halte, dass
es Abgeordnete gibt, die Mitglied in einer Gewerkschaft
sind. Aber wichtig wäre, einmal mit den Gewerkschaften
zu reden und das zu erreichen, was in anderen Ländern
erreicht wird, nämlich dass man beschließt, dass es keine
weiteren Lohnerhöhungen gibt. Wir werden in diesem
Jahr wieder erleben, dass Lohnerhöhungen von 3 oder
4 Prozent beschlossen werden, immer mit der Begrün-
dung, dass die jeweiligen Unternehmen doch so gut ver-
dienen. Das kann nicht der Sinn des Ganzen sein.


(Beifall bei der FDP)

Ich habe manchmal das Gefühl, wir machen jetzt den-

selben Fehler, den wir bei der Rente und im Zusammen-
hang mit dem Demographiewandel gemacht haben: Wir
alle wissen, was am Ende rechnerisch herauskommt,
aber alle tun so, als könnte man durch das Verstellen ei-
nes kleinen Schräubchens um größere Veränderungen
herumkommen. Sie haben im Moment die Verantwor-
tung; Sie sind diejenigen, die deutlich zeigen müssen,
wohin der Weg geht.

Jetzt zur Frage eines Nachtragshaushalts. Herr
Eichel, Sie haben gesagt, wir wüssten es schließlich
noch nicht so genau.


(Jürgen Koppelin [FDP]: Das sagt er seit fünf Jahren!)


Ich gebe Ihnen Recht: Wir wissen es noch nicht genau.
Das ist übrigens auch der Grund, warum die FDP ihren
Antrag erst nach der Steuerschätzung eingebracht hat.
Wir wissen es nur ungefähr. Wir wissen, dass es um
mehrere Milliarden geht, die uns zusätzlich fehlen wer-
den. Wir kennen die Problematik von Hartz IV, die Pro-
blematik bei der Kindererziehung der unter Dreijährigen
und die Rentenproblematik, die Problematik im Zusam-
menhang mit der Schwankungsreserve usw. Wäre es
deshalb nicht ehrlicher, jetzt einen Nachtragshaushalt
aufzustellen, in dem dargestellt wird, dass es nicht so
läuft, wie Sie es sich vorgestellt haben? Wenn sich dann
letztendlich zeigt, Herr Eichel, dass es besser gelaufen
ist als erwartet, dann brauchten Sie sich am Ende dieses
Jahres nicht mit dem Nachtragshaushalt hinter dem ei-
gentlichen Haushalt zu verstecken, sondern könnten an-
hand dieses Nachtragshaushalts zeigen, dass es aufwärts
geht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Steffen Kampeter [CDU/CSU])


Was Sie jetzt machen, wird am Ende zu Folgendem
führen: Sie werden – jetzt kehre ich zu dem Bild des
„Dinner for One“ zurück – nicht mit Miss Sophie die
Treppe hinaufgehen, sondern Sie werden vom Wähler an
der untersten Stufe stehen gelassen werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511111900

Das Wort hat die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/

Die Grünen.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Der Fricke hat doch alles gesagt! – Ulrich Heinrich [FDP]: In kürzester Zeit!)



Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511112000

Herr Kollege Fricke, Sie sind, wenn ich richtig infor-

miert bin, erst seit zwei Jahren im Bundestag. Deswegen
ist Ihnen in den letzten zehn Jahren so manche Plänkelei
im Haushaltsausschuss entgangen. Aber wenn Sie das
Beispiel der Niederlande bemühen, möchte ich deutlich
sagen: Die Niederlande haben in den 90er-Jahren ange-
fangen, ihr Strukturproblem Arbeitsmarkt zu lösen. Da
hat hier noch Herr Kohl regiert, unterstützt von Herrn
Gerhardt, und da ist nichts passiert – um das einmal auf
den Punkt zu bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: So simpel ist das Leben nicht, Frau Kollegin!)







(A) (C)



(B) (D)


Antje Hermenau

Herr Austermann, wir sitzen uns im Ausschuss jetzt

schon seit zehn Jahren gegenüber. Ich könnte eigentlich
erwarten, dass wir mit der Situation etwas aufrichtiger
umgehen, als Sie es hier getan haben.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie andeuten, dass
aufgrund der durch die Wahl des Herrn Köhler seit
Sonntag veränderten Situation und damit eines in gewis-
ser Weise veränderten politischen Vorgehens der Union
jetzt die ersten Angebote bezüglich einer vernünftigen
und notwendigen Zusammenarbeit im Bereich der Fi-
nanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland kom-
men. Stattdessen haben Sie hier ein buchhalterisches
Klein-Klein bemüht in der Hoffnung, dass das als Fi-
nanzdebatte durchgeht.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war eine wirtschaftspolitische Rede! Das haben Sie nur nicht verstanden!)


Die wirklich dramatischen Zahlen haben Sie ausgespart.
Seit 10 Jahren streiten wir darüber. In dieser Zeit haben
wir drei Finanzminister und zwei Regierungen erlebt.

Herr Austermann, Sie wissen so gut wie ich: Seit
30 Jahren sind die Strukturprobleme in Deutschland an-
gehäuft worden. Das haben alle Parteien gemacht; wir
haben das schon ausdiskutiert. Allein die Ausgaben für
Zinsen und Alterssicherung machen 140 Milliarden Euro
im Jahr aus. Das sind mehr als 60 Prozent des Bundes-
haushalts.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das sieht Ihr Kollege Albert Schmidt nicht so!)


Wenn Sie noch die Ausgaben für Investitionen und Ver-
teidigung hinzunehmen, dann haben Sie in etwa das, was
aus Steuereinnahmen finanziert werden kann. Ich wie-
derhole: Ausgaben für Zinsen, Rentenzuschuss, Investi-
tionen und Ausgaben für Verteidigung können wir uns
aus den Steuereinnahmen leisten. Was wir uns nicht leis-
ten können, sind Ausgaben für Bildung, Arbeitsmarktpo-
litik, Entwicklungshilfe, Umweltschutz, Außenpolitik,
für Bau und teilweise Verkehr.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Zahlen stimmen doch nicht!)


Das heißt für mich, dass diese Republik schon sehr lange
über ihre Verhältnisse lebt, und zwar in allen Bereichen.

Nun hat Ihr Kollege Stoiber – er steht der Unionsfrak-
tion politisch sehr nahe – deutlich gemacht, er wäre damit
zufrieden, wenn alle Haushalte in der Bundesrepublik
Deutschland um 5 Prozent gekürzt würden. Wir hatten
schon im letzten Jahr die so genannte Rasenmäherdiskus-
sion. Erste Erfahrungen mit dem Koch/Steinbrück-
Papier – dieses Papier bedeutet eine Art Rasenmäher
über alle Subventionen – haben gezeigt: Wenn man eine
5-prozentige Kürzung aller Ausgaben durchführt, dann
verhindert man, dass in der Politik Entscheidungen ge-
troffen werden. Man zementiert die bestehenden Verhält-
nisse. Das kann nicht gut sein.


(Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Sagen Sie einmal etwas zu Ihrem Anteil an dem ganzen Laden!)

Nachdem in dieser Debatte deutlich geworden ist,
dass die Verhältnisse, wie sie jetzt sind, nicht zukunfts-
tauglich sind, kann man keine finanzpolitischen Vor-
schläge machen, die diese falschen Verhältnisse zemen-
tieren. Das ist verkehrt. Deswegen kommt eine 5-pro-
zentige Haushaltssperre jetzt nicht mehr infrage. Den
Zeitpunkt dafür haben Sie verpasst. Im letzten Jahr hätte
es die Möglichkeit gegeben, dass Bundestag und Bun-
desrat gemeinsam eine finanzpolitische Vollbremsung
hingelegt hätten – dann hätten solche Vorschläge viel-
leicht etwas gebracht –, wenn im Paket mitbeschlossen
worden wäre, welche Strukturreformen Bund und Län-
der, Unionsfraktion und Koalitionsfraktionen gemein-
sam anpacken.

Aber das ist nicht passiert. Stattdessen haben Sie es
vorgezogen, auf eine Palme hochzuklettern und jeden ein-
zelnen Vorschlag zum Abbau von Steuersubventionen
als Steuererhöhung zu diffamieren.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir haben sogar die Zuwanderung gemeinsam machen können!)


Sie streben doch immer die Regierungsübernahme an.
Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie in einigen Jahren
dann vielleicht von der Palme wieder herunterklettern
müssen? Es würde für Sie sehr unbequem. Wenn Sie
nämlich später versuchen müssten, den Abbau von Steu-
ersubventionen durchzusetzen, dann müssten Sie der Be-
völkerung erklären, dass es sich dabei nicht um eine
Steuererhöhung handelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es langweilt so ungemein,

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das stimmt! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine gute Beschreibung Ihrer Rede!)


immer wieder dasselbe von Ihnen zu hören, obwohl Sie
doch genau wissen, wie schwierig die Lage inzwischen
ist. Sie finden eigentlich eine günstige Situation vor, die
es in Deutschland noch nicht gegeben hat. Es gibt ein öf-
fentliches Problembewusstsein. Die Umfragen zeigen,
dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung der Meinung
sind, dass wir sparen müssen und dass es ganz offen-
sichtlich ist, dass es nicht mehr so weitergeht. Die Be-
völkerung stellt generell die Struktur der Bundesrepublik
Deutschland infrage. Das kann man aus den Umfragen
erkennen.

Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und eine entspre-
chende Diskussion öffentlich zu führen, kommt Ihnen
nichts anderes in den Sinn, als jede einzelne Maßnahme
in der Hoffnung zu diffamieren, mithilfe einer Art
Sonthofen-Strategie die Regierung an die Wand fahren
zu lassen. Sie haben aber nicht bedacht – so kommt es
mir jedenfalls vor –, was Sie, die Sie vor Kraft kaum
noch laufen können, in zwei Jahren übernehmen würden.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie gehen schon einmal davon aus!)


Ein zerstörtes Land? Was haben Sie sich dabei gedacht?
Wie wollen Sie von dieser Blockadepolitik, die fast






(A) (C)



(B) (D)


Antje Hermenau

schon verfassungswidrig ist, wieder wegkommen? Diese
Fragen haben Sie sich offensichtlich nicht gestellt.

Sie hätten noch jetzt eine Chance gehabt, Vorschläge
zu machen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das Opfer hat Schuld und nicht der Täter!)


Es gab für ein paar Tage die Möglichkeit, über mehrere
Strukturreformen zu diskutieren und zu entscheiden.
Am Beispiel Niederlande – Herr Fricke hat es erwähnt –
wird deutlich, wie viele Jahre es dauert, bis Strukturre-
formen greifen. Dass die Ergebnisse der Agenda 2010 in
diesem Jahr noch nicht zu pflücken sind, ist jedem klar,
der ein bisschen von der Sache versteht. Das heißt, es
muss jetzt entschieden werden, was in den nächsten Jah-
ren passieren soll. Da verweigern Sie sich wahrschein-
lich noch die nächsten zwei Jahre.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Platte ist langsam abgenutzt!)


Wir werden uns noch mehrere solcher Debatten anhören
müssen, Herr Fricke. Es wird sich wohl nichts ändern.
Schade!


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wer regiert eigentlich? Das ist nicht zu fassen!)


Aus Machtinstinkt spielen Sie mit der Zukunft der
Menschen. Sie sitzen in der Machtfalle. Sie haben im
Bundesrat eine Nebenregierung gebildet, weil Sie gerne
ein bisschen Macht haben wollen. Jetzt sitzen Sie in der
Falle. Auf der einen Seite fordern Sie ein Haushaltssi-
cherungsgesetz,


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Aha!)

auf der anderen Seite blockieren Sie jeden einzelnen
Schritt im Bundesrat. Im Haushaltsbegleitgesetz 2004
sind viele zustimmungspflichtige Einzelheiten enthalten.
Sie hätten die Möglichkeit gehabt zuzustimmen. Wahr-
scheinlich wird man ein Haushaltsbegleitgesetz 2005
machen müssen. Sie wissen, wie ich darüber denke. Das
Entscheidende an dieser Sache ist: Sie werden wieder
blockieren; es wird wieder keinen Schritt vorangehen.
Deswegen kann ich Ihren Antrag einfach nicht ernst neh-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Wenn es gut ist, dann machen wir mit!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511112100

Das Wort hat die Kollegin Ilse Aigner, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1511112200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Wir haben uns mehrfach anhören
müssen, dass wir im Bundesrat oder wo auch immer die
großen Blockierer seien.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil es so ist!)


Ich bin mir ziemlich sicher, dass es selten eine so kon-
struktive Opposition gegeben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der SPD)


Was wir alles in der letzten Zeit mitgetragen haben! Ich
vergleiche das einmal mit 1996 – zu dieser Zeit war ich
zwar noch nicht im Bundestag, aber immerhin schon im
Landtag –, mit den Petersberger Beschlüssen. Da haben
Ministerpräsident Schröder, Ministerpräsident Eichel und
noch ein paar bekannte Persönlichkeiten – Lafontaine
war, glaube ich, auch dabei –


(Jürgen Koppelin [FDP]: Stimmt! Die üblichen Verdächtigen!)


alles blockiert. Von Ihnen lasse ich mir nichts vorwerfen.
Wir sind sehr konstruktiv.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber nun zum Tagesordnungspunkt. Sie haben bei der

Steuerschätzung wieder ein Debakel erlebt.

(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wohl wahr! Eine Katastrophe!)

Sie hatten, was allein den Bundeshaushalt anbetrifft, einen
Einbruch von über 8 Milliarden Euro zu verzeichnen.
Dies ist eine enorme Größenordnung. Nebenbei bemerkt:
Das ist der komplette Haushalt des Forschungs- und Bil-
dungshaushaltes. Dieser Haushalt umfasst 8,3 Milliarden
Euro; nur um Ihnen einmal aufzuzeigen, was Ihnen
durch die Lappen gegangen ist.

Man muss sich fragen, warum das so ist. Sie geben
den Steuerschätzern Vorgaben, wie hoch das Wachstum
voraussichtlich wird. Das ist die Grundlage der Berech-
nung. Seit mindestens drei Jahren prognostizieren Sie je-
des Jahr ein wesentlich höheres Wachstum, als es dann
tatsächlich ist.


(Walter Schöler [SPD]: Wer ist „Sie“? Sie, die Sachverständigen?)


Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel aus dem Jahr 2002.
In der Steuerschätzung von Mai 2002 haben Sie für das
Jahr 2003 ein Wachstum von nominal 3,9 Prozent pro-
gnostiziert. Wir hatten letztes Jahr ein Minuswachstum
von 0,1 Prozent; nur um einmal die Größenordnungen
aufzuzeigen. Dass das zu keiner vernünftigen Haushalts-
politik führen kann, ist offensichtlich.

Es ist zu fragen, warum wir jetzt und nicht erst im No-
vember, also fünf bis sechs Wochen vor Ende des Haus-
haltsjahres, so wie es letztes Jahr geschehen ist, einen
Nachtragshaushalt fordern. Sehr geehrter Herr Minis-
ter Eichel, Sie haben gesagt, Sie hätten sich im letzten
Jahr um 5 Milliarden Euro verschätzt. Sechs Wochen vor
dem Jahresende ist es ziemlich einfach, sich lediglich
um diese Summe zu verschätzen. Aber zu Beginn des
Jahres hatten Sie sich um 20 Milliarden Euro verrechnet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner

Das ist eine ganz andere Größenordnung. Sie brauchen
dem Kollegen Austermann nicht zu sagen, er habe sich
um 12 Milliarden Euro verrechnet – abgesehen davon,
dass das nicht stimmt.

Zu der Frage, warum wir jetzt einen Nachtragshaus-
halt fordern. Ich nenne ein weiteres Beispiel, weil es für
einen normalen Menschen schwer ist, zu begreifen, was
ein solcher Haushalt im Einzelnen bedeutet. Man stelle
sich einmal einen Menschen mit einem Jahreseinkom-
men von ungefähr 22 000 Euro vor. Dummerweise sind
seine 22 000 Euro schon komplett durch Zinsen, Miete,
Versicherungen, Benzin und was sonst noch im täglichen
Leben benötigt wird, verplant. Er hat damit gerechnet,
zukünftige Ausgaben über eine Lohnsteigerung mitzufi-
nanzieren. Sie ist leider nicht eingetreten; im Mai des
Jahres weiß er das. Dann hat er eine Erbschaft in be-
trächtlicher Größenordnung eingeplant. Das sind Ihre
Risiken, die Sie im Haushalt stehen haben. Diese Erb-
schaft ist dummerweise auch nicht ausgezahlt worden.
Das alles weiß er im Mai. Stellen Sie sich vor, dieser
Mensch sagt dann: Jetzt mache ich noch keine Neuauf-
lage meiner Planung; das mache ich erst im November.
Dann ist es zwar schon zu spät; aber das ist ja egal. Ich
mache einfach die Augen zu und riskiere es.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dass jemand in einem normalen Privathaushalt so vor-
geht, ist überhaupt nicht vorstellbar.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Blamiert wären wir alle da!)


Ich möchte ein paar Dinge Revue passieren lassen;
denn Sie sagen ja, vor 1998 sei alles ganz fürchterlich
und schlimm gewesen. Ich nenne Ihnen einmal den Fi-
nanzierungssaldo von 1998, der meiner Meinung nach
schon damals zu hoch war: Er betrug 1998
28,9 Milliarden Euro. In Ihrem Bericht steht für das Jahr
2003 ein Finanzierungssaldo von 44 Milliarden Euro.
Ich kann nur zitieren, was in Ihrem Bericht stand. Die
Defizitquote nach den Maastricht-Kriterien betrug 1998
1,7 Prozent und liegt jetzt bei 3,9 Prozent. Was noch viel
schlimmer ist: Die Investitionsquote lag 1998 bei
12,5 Prozent. Sie liegt jetzt bei unter 10 Prozent, näm-
lich bei 9,6 Prozent.

Sehr geehrter Herr Eichel, da wir schon bei den
Investitionen sind: Ich kann mich noch gut daran erin-
nern, dass Kanzler Schröder gesagt hat, er wolle die In-
vestitionen in Bildung und Forschung verdoppeln.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja!)

Hier die nackten Zahlen aus dem Haushalt


(Ute Kumpf [SPD]: Gibt es auch angezogene Zahlen?)


– wir können ja einmal schauen –: 1998 wurden im
Einzelplan 30 Investitionen in Höhe von 2,65 Milliarden
Euro ausgewiesen. Im Jahr 2004 sind im Einzelplan 30
2,18 Milliarden Euro ausgewiesen.

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von welcher traurigen Zahl mussten wir da starten?)


Eine Verdoppelung ergäbe nach meiner Rechnung im-
mer noch eine Zahl über 5 Milliarden. Selbst wenn ich
die Suppenküchen – oder wie Sie das Ganztagsschulpro-
gramm sonst auch immer bezeichnen möchten –


(Jörg Tauss [SPD]: Eine Unverschämtheit!)

hinzurechne, sind wir noch immer weit von einer Ver-
doppelung der Investitionen entfernt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im selben Zeitraum haben Sie die Fördermittel für

Hochschulbaumaßnahmen – im Rahmen der Gemein-
schaftsaufgabe ist das Ihre Aufgabe – um 135 Millionen
Euro gekürzt. Stattdessen investieren Sie Geld in Pro-
gramme, die Sie überhaupt nichts angehen, die allein die
Länder etwas angehen. Das halte ich für prinzipiell
falsch.


(Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ CSU])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511112300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Tauss?


Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1511112400

Vom Herrn Tauss doch immer. Herr Kollege Tauss,

bitte.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1511112500

Liebe Frau Kollegin Aigner, würden Sie konstatieren,

dass sich der Haushalt des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung seit 1998 um 30 Prozent erhöht hat,
dass der Ansatz für die Hochschulbauförderung erheb-
lich über dem von Ihnen verantworteten Ansatz von
1998 liegt und dass die Kürzungen des Freistaates Bay-
ern im Bereich Bildung und Forschung dem Ausmaß an
Kürzungen entsprechen, die Sie während Ihrer Regie-
rungszeit im Bundeshaushalt vorgenommen haben, aber
nicht in Korrespondenz mit dem stehen, was wir in den
vergangenen Jahren in diesem Bereich geleistet haben?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das war ein Trauerspiel!)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1511112600

Sehr geehrter Herr Tauss, die Istausgaben für Hoch-

schulbaumaßnahmen betrugen 1998 920 Millionen
Euro. Heute betragen sie 925 Millionen. Das ist eine we-
sentliche Steigerung um 5 Millionen. Sie können das im
Haushalt nachlesen, ich kann es Ihnen aber auch zeigen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie müssen das dazwischen sehen!)


– Sie haben mich gefragt, wie es ausschaut. So ist es. Ich
habe von den investiven Maßnahmen gesprochen. Es
gibt einen Unterschied – das sollten Sie sich einmal






(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner

anschauen – zwischen investiven und konsumtiven Maß-
nahmen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das weiß er nicht! – Jürgen Koppelin [FDP]: Als Gewerkschaftssekretär weiß er das doch gar nicht!)


Herr Tauss, ich muss Sie leider darüber aufklären. Sie
wollten – das haben Sie schriftlich festgehalten – die
Fördermittel für investive Maßnahmen verdoppeln. Es
ist ein Unterschied, ob ich die Mittel von 2,65 Milliarden
Euro auf 5,3 Milliarden Euro erhöhe oder auf
2,18 Milliarden Euro – so ist es ausgewiesen – kürze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt komme ich zu meiner Rede zurück.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist keine Antwort! – Gegenruf des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sechs! Setzen!)


– Ich habe leider nicht genügend Zeit, um alles zu sagen,
was mir auf dem Herzen liegt. Interessant ist für mich
nach wie vor, dass alle anderen EU-Länder an uns vor-
beiziehen. Dafür sind angeblich die makroökonomi-
schen Bedingungen veranwortlich: 9. November, Welt-
wirtschaft, Globalisierung, Fixschuld und was weiß ich
sonst noch.

Früher sagte der damalige Ministerpräsident
Schröder, er müsse Bundeskanzler werden, um die ma-
kroökonomischen Bedingungen auf Bundesebene än-
dern zu können. Jetzt sind die makroökonomischen Be-
dingungen irgendwo anders schuld. Ich glaube, es liegt
an der Person, die hier regiert. Das einzig Richtige wäre,
aufzuhören zu regieren, damit das Land wieder vorwärts
kommt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511112700

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Elke Ferner, SPD-Fraktion.

Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1511112800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Sie haben uns, wie üblich, einen Schau-
fensterantrag vorgelegt. Wir erleben das in jeder Haus-
haltsausschusssitzung.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie kommen aus dem Lafontaine-Lager! Jetzt sind wir gespannt!)


– Lieber Kollege Kampeter, Sie müssen sich schon ein-
mal die Wahrheit anhören. Sie haben im Bundesrat alles
Mögliche blockiert: Steuervergünstigungsabbaugesetz,
Haushaltsbegleitgesetz; Sie haben es geschafft, die Ge-
meindefinanzreform zulasten der Kommunen zu verwäs-
sern.

Auf der anderen Seite gibt es aus Ihren Reihen di-
verse Vorschläge: von Herrn Merz dieses komische Bier-
deckelkonzept; die Kopfprämien; andere wollen das
Kindergeld erhöhen usw. Ihr stellvertretender Fraktions-
vorsitzender Horst Seehofer addiert die Belastung bei
Umsetzung dieser Vorschläge auf eine Summe von
102 Milliarden Euro. Wie passt das denn zusammen?
Erst planen Sie 102 Milliarden Euro zusätzliche Belas-
tungen für den Bundeshaushalt und jetzt verlangen Sie
ein Haushaltssicherungsgesetz. Was Sie hier treiben, ist
einfach nicht mehr wahr.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Bayerische Ministerpräsident will eine Global-
kürzung von 5 Prozent auf alles. Ich will an ein paar
Beispielen deutlich machen, was das heißt.


(Otto Fricke [FDP]: 5 Prozent weniger Diäten hieße das auch!)


– 5 Prozent weniger Diäten wäre weniger schlimm, lie-
ber Kollege Fricke, als 5 Prozent weniger im Haushalt
für Gesundheit und Soziale Sicherung. Dort müssten
nämlich 4 Milliarden Euro eingespart werden, was eine
Erhöhung um 0,4 Beitragspunkte oder Rentenkürzungen
bedeuten würde. Das wäre nämlich das Ergebnis einer
solchen Operation. Wenn Sie das möchten, können Sie
das gerne der staunenden Bevölkerung sagen. Wir möch-
ten das auf alle Fälle nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511112900

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Fricke?


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1511113000

Ja.


Otto Fricke (FDP):
Rede ID: ID1511113100

Frau Kollegin Ferner, wollen Sie mit Ihrer Äußerung

sagen, dass überall gespart werden muss, nur nicht bei
den Rentnern?


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1511113200

Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie im letzten halben

Jahr gelebt haben, Herr Kollege Fricke, aber wir haben
den Rentnern und Rentnerinnen in dieser Republik – das
ist immerhin die Generation, die unserer Generation eine
deutlich bessere Ausbildung ermöglicht hat, als unsere
Eltern sie genießen konnten, die dieses Land aufgebaut
haben – eine ganze Menge zugemutet, damit wir für de-
ren Enkelkinder und Töchter das finanzieren können,
was die Frau Kollegin Aigner vorhin als „Suppenkü-
chen“ diskreditiert hat, nämlich Ganztagsschulen flä-
chendeckend einzurichten.

Ich bin der Auffassung,

(Otto Fricke [FDP]: Keine Streichung mehr?)


dass zum jetzigen Zeitpunkt eine zusätzliche Belastung
der Rentner und Rentnerinnen nicht möglich ist. Das
halte ich nicht für akzeptabel. Insbesondere unter den






(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner

älteren Frauen gibt es viele, die nur über eine sehr kleine
Rente verfügen


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die klassische parlamentarische Linke!)


und Mühe haben, bis zum Monatsende mit ihrem Geld
über die Runden zu kommen.

Die CDU/CSU hat nicht nur in der Rentenpolitik,
sondern beispielsweise auch bei der Gesundheitsreform
ihre Klientel geschont, aber auf der anderen Seite eine
Praxisgebühr eingeführt, wie wir sie nicht wollten. Diese
ist ein Ding der Union.


(Otto Fricke [FDP]: Wir reden von pauschal 5 Prozent!)


Die Union hat ebenso die Privatisierung des Zahnersat-
zes und höhere Zuzahlungen zu verantworten. Das trifft
wiederum insbesondere ältere Menschen, die öfter zum
Arzt müssen, vielleicht auch dauerhaft Medikamente
nehmen müssen, härter als unsereins.


(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Ist alles von Ihnen beschlossen worden! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Alles mit Ihrer Stimme beschlossen worden!)


Deshalb glaube ich, dass eine zusätzliche Belastung der
Rentner und Rentnerinnen derzeit nicht möglich ist.


(Otto Fricke [FDP]: Da freuen sich die Rentner!)


– Das freut mich. Ich danke Ihnen auch, dass Sie mir die
Gelegenheit gegeben haben, diese Ausführungen zu ma-
chen.

Ich könnte noch das Beispiel Wirtschaftshaushalt an-
führen. Hier müssten Einschneidungen bei Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen und der aktiven Arbeitsmarktpo-
litik erfolgen. Das wird Ihre Kolleginnen und Kollegen
im Osten des Landes mit Sicherheit sehr freuen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die freuen sich schon genug über die Gemeinschaftsaufgabe!)


Sie ziehen immer gleich die Steinkohlehilfe zu Rate.

(Ilse Aigner [CDU/CSU]: Zu Recht!)


– Dazu muss ich Ihnen eines sagen, liebe Frau Kollegin
Aigner. Es waren Ihr Kanzler Kohl, Ihr Minister Waigel
und Ihr Wirtschaftsminister Rexrodt, die 1997 die Höhe
der Kohlebeihilfen bis einschließlich 2005 festgelegt ha-
ben. Das waren nicht wir, das waren Sie.


(Beifall bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Degression!)


– Degressiv, natürlich. Bei der Degression wird es auch
bleiben.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!)

Was aber bedeutet das für die Menschen vor Ort – ich

komme aus einer Bergbauregion –,

(Otto Fricke [FDP]: Nicht nur Sie!)

die nicht mit einer Steinzeittechnologie, sondern mit
einer hoch modernen Technologie leben wollen? Die
CDU in Nordrhein-Westfalen will ja nicht wirklich einen
Totalabbau der Steinkohlesubventionen.


(Otto Fricke [FDP]: Raketen sind auch Hochtechnologie! Aber wollen wir Raketen bauen?)


– Mit Steinkohle kann man aber niemanden totschießen,
lieber Herr Kollege Fricke.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511113300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage: des Kollegen Kampeter?


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1511113400

Sehr gerne.


Steffen Kampeter (CDU):
Rede ID: ID1511113500

Frau Kollegin Ferner, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu

nehmen, dass in der gestrigen Beratung des Landtages
Nordrhein-Westfalen die CDU-Landtagsfraktion vorge-
schlagen hat, die Kohlesubventionen zugunsten von Zu-
kunftsinvestitionen in Bildung und Forschung im Ver-
gleich zum Regierungsentwurf zu halbieren? Sind Sie
bereit, diesem Vorschlag der CDU-Landtagsfraktion auf
Bundesebene zu folgen?


Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1511113600

Nein, ich bin nicht dazu bereit, Herr Kollege

Kampeter.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Vorhin ist die Entwicklung der Kohlepreise auf den
Weltmärkten angesprochen worden. Ich glaube, es war
Herr Austermann. Ich habe beispielsweise von dem Um-
weltminister des Landes Niedersachsen – FDP – gele-
sen, der sogar vorgeschlagen hat, alle bestehenden Ze-
chen offen zu halten und keine einzige mehr zu
schließen.

Ich glaube nicht, dass nur Ausgaben in Bildung und
Forschung Zukunftsinvestitionen sind. In Nordrhein-
Westfalen gibt es beispielsweise noch einige Zulieferbe-
triebe. Sie werden in Nordrhein-Westfalen wahrschein-
lich auch einige Kraftwerksbauer haben.


(Otto Fricke [FDP]: Die brauchen aber keine deutsche Steinkohle!)


All das hängt damit zusammen. Zu Ihrem Zwischenruf,
Herr Fricke, dazu brauche man keine deutsche Stein-
kohle, kann ich nur sagen: Die deutsche Stahlindustrie
wäre im Moment heilfroh, wenn sie deutsche Kokskohle
zu vernünftigen Preisen beziehen könnte


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Otto Fricke [FDP]: Und das wäre die deutsche?)


und sie nicht zu Preisen, die deutlich über den deutschen
Förderkosten liegen, auf den Spotmärkten einkaufen
müsste.






(A) (C)



(B) (D)


Elke Ferner

Ich möchte noch ein Beispiel für Ihre Unseriosität an-

führen. Sie haben in Ihrem Antrag die Einnahmen und
Ausgaben der Jahre 1998 und 2003 gegenübergestellt.
Da vergleichen Sie aber wirklich Äpfel mit Birnen; denn
Sie haben sich nicht die bereinigten Ausgaben angese-
hen. Allein die Rentenversicherungszuschüsse sind um
fast 29 Milliarden Euro höher als im Jahr 1998.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja, richtig!)


– Ja, und während Ihrer Regierungszeit sind sie von den
Versicherten über Beiträge gezahlt worden. Wenn man
diese Summe auf die Beiträge umlegt, entspricht dies
einer Beitragserhöhung von knapp 3 Prozentpunkten. Das
bedeutet also Rentenversicherungsbeiträge von knapp
22,5 Prozent statt 19,5 Prozent bzw. – andersherum aus-
gedrückt – eine zusätzliche Belastung für Unternehmen
und Versicherte in Höhe von je 14,5 Milliarden Euro.
Wenn das Ihre Politik ist, kann ich nur sagen: Prost
Mahlzeit!


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie haben die Rentenreform gekippt!)


Ich möchte Ihnen noch einen letzten Beweis für die
„Seriosität“ der CDU-Finanzpolitik geben.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dafür reicht Ihre Redezeit nicht!)


Man muss sich nur einmal ansehen, was die „grandiose“
Landesregierung des Saarlandes geschafft hat.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: 54 Prozent in den Umfragen!)


In den Jahren 2000 bis 2004 hat der Bund dem Saarland
eine Teilentschuldung von knapp 2 Milliarden Euro zu-
kommen lassen.


(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und wie war das in Bremen?)


Aber der Schuldenstand des Landes, werter Herr
Kampeter, wird Ende dieses Jahres über 1,1 Milliarden
Euro höher sein als im Jahr 1999. Das ist CDU-Finanz-
politik. Sie unterscheiden sich leider in keiner Hinsicht
von Ihren Kollegen im Saarland.

Daher muss ich sagen: Ihre Anträge sind Showan-
träge, wie Sie sie immer schon eingebracht haben. Wir
werden sie ablehnen. Natürlich werden wir sie noch im
Ausschuss beraten, aber sie helfen diesem Land über-
haupt nicht weiter. Sie sollten sich lieber mit konstrukti-
ven Vorschlägen beteiligen,


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir stellen einen Antrag!)


anstatt alles nur mies zu machen.
Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511113700

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 15/3096 und 15/3216 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-

gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung des Gentechnikrechts
– Drucksache 15/3088 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Wahlfreiheit für die Landwirte durch Reinheit
des Saatgutes sicherstellen
– Drucksachen 15/2972, 15/3209 –
Berichterstattung:
Abgordnete Gabriele Hiller-Ohm
Helmut Heiderich
Ulrike Höfken
Dr. Christel Happach-Kasan

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-
ministerin Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-
ordnete! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was
wir brauchen, ist Sicherheit – Sicherheit für unsere Bäu-
erinnen und Bauern; denn sie müssen wissen, was auf ih-
ren Feldern los ist, und sie müssen entscheiden können,
welche Chancen sie nutzen wollen und welche nicht.
Das ist meines Erachtens keine ideologische Frage, son-
dern schlicht und einfach eine Frage der wirtschaftlichen
Existenz. Genau deshalb bringen wir den Entwurf eines
Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts ein.
Hierbei geht es nicht nur darum, EU-Recht in materielles
Recht umzusetzen, sondern es geht auch um den Schutz
von gentechnikfreiem Anbau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


An dieser Stelle will ich nicht verhehlen, dass es An-
lass gibt, die Europäische Kommission zu kritisieren,
weil sie aufgrund des Drucks, der auf sie ausgeübt wurde,
in Bereichen, die dringend geregelt gehören, einige






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast

Fragen offen gelassen hat. Wir sehen – auch das gehört
zum Thema Sicherheit für die Landwirtschaft –, dass es
derzeit wohl 33 gentechnikfreie Regionen und Land-
kreise in Deutschland gibt und weitere in Gründung sind.
Was beweist das? Das beweist, dass sich die Landwirte
sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigen und dass es
Bäuerinnen und Bauern gibt, für die in der gentechnik-
freien Landwirtschaft große Einkommensvorteile lie-
gen.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das ist doch nur Show! Das gibt es doch gar nicht!)


– In Sachen Show kennt sich Ihr Guido ja aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Heinrich [FDP]: Na, na!)


Wahrscheinlich sind seine Schuhe mit der aufgeklebten
Zahl 18 – er träumt heute noch davon, dieses Ziel eines
Tages zu erreichen; aber es wird wohl nicht gelingen – in
einem Heimatmuseum in einer gentechnikfreien Zone
untergebracht. Da stehen sie auch gut.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Das war aber schlecht gekontert!)


Es ist doch klar, dass die Landwirte die gentechnik-
freie Landwirtschaft wollen. Denn sie sehen darin Ein-
kommensvorteile und Standortvorteile, übrigens auch im
Hinblick auf den internationalen Markt. Vergessen Sie
nicht: Gerade in den USA haben die Landwirte so viel
Druck gemacht, dass das Thema Weizen erst einmal fal-
len gelassen wurde.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Gut!)


Meine Damen und Herren, was wir wollen, ist Trans-
parenz und Planungssicherheit, deshalb das Gentechnik-
gesetz, das man angesichts der Auseinandersetzung
quasi als „das Gesetz, das Frieden auf den Feldern
schafft“ bezeichnen kann.


(Zuruf von der CDU/CSU: Fuchs gegen Hase!)


Ich möchte auf vier Punkte eingehen: die Abstandsre-
geln – die im Sinne einer Vorsorgepflicht zur guten fach-
lichen Praxis gehören –, die Haftungsfragen, ein für alle
zugängliches Standortregister und eine unabhängige Be-
gleitforschung.

Bei dem Ersten ist doch eines klar: Wir brauchen Re-
geln für die Vorsorge, detaillierte Regeln für eine gute
fachliche Praxis. Ich halte es für einen normalen Ansatz,
zu sagen, dass, wer anbaut, sich auch Gedanken machen
muss, wie er Auswirkungen auf die Felder, auf das Ei-
gentum, auf die Ernte seiner bäuerlichen Nachbarn ver-
hindern kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Für mich ist klar: Wir können und wollen Verunreini-
gungen nicht dulden.
Zum Zweiten: Bei den Haftungsfragen ist für mich
ganz klar: Wer Schäden verursacht, wer wesentliche Be-
einträchtigungen beim Gewerbe, beim Unternehmen ei-
nes anderen verursacht, muss dafür zahlen. Deshalb ist
auch klar: Wer sich für die Agrogentechnik entscheidet,
muss dafür sorgen, dass Nachbarn keinen Schaden ha-
ben. Ich sage auch für die weitere Diskussion in den
nächsten Tagen und Wochen: Ich denke gar nicht daran,
die Folgekosten auf den Rücken der Steuerzahler abzu-
wälzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Gucken wir uns einmal Sachsen-Anhalt an: Dort hat die
Landesregierung mit viel Pomp einen 300-Hektar-An-
bauversuch gestartet, mit 240 000 Euro Steuergeldern
für einen Haftungsfonds. Ich dachte immer, die Länder
haben zu wenig Geld. Wo haben sie es denn plötzlich
her? Der Haftungsfonds wird am Ende nur denjenigen
nützen, die die Gentechnik verwenden. Tatsächlich soll
der Fonds dazu dienen, Landwirte „einzukaufen“, die
diese Agrogentechnik aussäen sollen. Wenn man diesen
Haftungsfonds von Sachsen-Anhalt übrigens auf die
bundesweite Mais-Anbaufläche umrechnet, wäre das
eine Haftungssumme von 1,3 Milliarden Euro; das kann
man sich in diesen Tagen auf der Zunge zergehen lassen.
Da muss ich einmal all die, die im Bundesrat die Mei-
nung unterstützen, wir bräuchten einen solchen Fonds,
fragen: Wo bleiben eigentlich Ihre Forderungen nach
Subventionsabbau? Gerade eben haben wir hier doch
eloquente Forderungen zum Subventionsabbau gehört.
Dann kann man einen solchen Haftungsfonds allerdings
nicht unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511113800

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Heiderich?
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-

schutz, Ernährung und Landwirtschaft:
Ja.

Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1511113900

Frau Ministerin, da Sie eben die Vorschläge des Bun-

desrates angesprochen haben, darf ich Sie fragen: Ist Ih-
nen bekannt, dass dieser Vorschlag eines Haftungsfonds
meines Wissens von den SPD-geführten Bundesländern
Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Rheinland-Pfalz und
Bremen unterstützt worden ist, dass das keinesfalls ein
Vorschlag aus unserer Richtung ist, wie Sie öfter öffent-
lich betonen?

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Herr Heiderich, Ihre Formulierung war für mein juris-
tisches Herz schon hinreichend präzise: Sie haben „un-
terstützt“ gesagt. Trotzdem kommt der Vorschlag aus Ih-
rer Richtung. Er wird von Sachsen-Anhalt verfolgt, die
uns zeigen wollen, wie es an der Stelle geht. Wo Sie






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast

mich aber gerade auf den Haftungsfonds ansprechen,
muss ich sagen: Ich sehe natürlich auch mit einiger Ver-
wunderung, dass hier ein Fonds vorgeschlagen wird,
nicht mit einer gesetzlichen Regelung, sondern mit einer
Entschließung, in der es heißt: Die Hersteller sollen ei-
nen angemessenen Beitrag leisten. Welchen, war man
wohl zu feige zu sagen. Den Rest soll der Bund zahlen.
Ich diskutiere gerne mit Ihnen über einen Haftungs-
fonds, wenn die Länder ihn selber zahlen. Aber ich gebe
dafür kein Geld aus. Vielleicht tun es die reichen Länder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe zwei Punkte angesprochen. Der dritte ist das
Standortregister. Ein öffentlich zugängliches Standort-
register ist unabdingbar; das sagt auch das europäische
Recht. Ich habe an dieser Stelle kein Verständnis für den
FDP-Antrag, in dem es heißt: „Einsicht nur bei konkret
begründeten Vorhaben“. Nach dem europäischen Recht
brauchen wir ein Standortregister schon deshalb, um die
Begleitforschung überhaupt zu ermöglichen: Man kann
gemeinhin nur forschen, wenn man weiß, was wo ist und
von wo wohin fliegt. Das Standortregister soll für die
Bauern ein Anknüpfungspunkt für eine Auskunft sein,
um auf dieser Basis zum Beispiel Schadensersatz gel-
tend zu machen.

Ich verstehe nicht, warum Sie Einsicht nur bei kon-
kret begründeten Vorhaben gewähren wollen. Nach mei-
nem Verständnis haben Menschen ein Recht auf Infor-
mation. Ich dachte bisher immer, dass das die
Bürgerrechtspartei FDP auch so sieht und sich dafür ein-
setzt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist lange vorbei!)


Ich möchte keine Politik des Misstrauens. Genau diese
wird gefördert, allen voran durch einen FDP-Landesmi-
nister aus Sachsen-Anhalt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511114000

Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage: der Kollegin Happach-Kasan?
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-

schutz, Ernährung und Landwirtschaft:
Gerne.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1511114100

Frau Ministerin, teilen Sie die Einschätzung, dass

denjenigen, die Begleitforschung durchführen wollen,
die Sicherheit gegeben werden muss, dass die Versuche
nicht zerstört werden? In welcher Weise wollen Sie das
sicherstellen?

Frau Ministerin, inwieweit haben Sie sich von den
Zerstörungen bei Freisetzungsversuchen in Sachsen-An-
halt distanziert, bei denen Weizenpflanzen herausgeris-
sen und Felder zertrampelt wurden? Was haben Sie dafür
getan, dass so etwas in Zukunft nicht mehr geschieht?
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Frau Kollegin, zu Ihrer Frage, wie die Felder ge-
schützt werden. Auch die FDP achtet in den Sitzungen
der Föderalismuskommission sehr darauf, wer welche
Aufgaben hat. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass das
Polizeirecht Länderaufgabe ist. Die Bundesregierung hat
nicht vor, das an sich zu ziehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Zu Ihrer Frage, inwieweit ich mich distanziere. Ich
bin lange Zeit im politischen Geschäft. Schon zu Beginn
der 80er-Jahre habe ich gelernt, dass ich mich nicht von
anderen distanziere, ich distanziere mich höchstens von
meinen eigenen Äußerungen. Dazu habe ich in diesem
Fall aber keinen Anlass.

Sie haben mich nicht gefragt, ob ich mich von dem
fehlgeschlagenen Anbauversuch insgesamt distanziere.
Wie hätte ich auf eine solche Frage antworten sollen?
Die eine Seite wollte alles geheim halten. Die Nachbarn
haben sich auf das Grundgesetz und auf ihr Recht auf Ei-
gentum, ihren eingerichteten Betrieb, berufen und woll-
ten eine Vereinbarung treffen, die die Bauern außen vor
lässt. Ich distanziere mich von keiner der beiden Seiten.

Zu Ihrer Frage, wie man die Forschung sicherstellt:
Auch Forschung kann nicht unter der Käseglocke statt-
finden. Derjenige, der im Forschungsbereich tätig ist,
muss mit den Regeln leben, die es in einem demokrati-
schen Land gibt, und ist gut beraten, den öffentlichen
Diskurs zu diesem Thema offen und ehrlich zu führen.

Vielleicht wäre man gut beraten gewesen, wenn man
mit einem solchen Großanbauversuch nicht ohne Wis-
sen der Nachbarbauern begonnen hätte, wie es aus ideo-
logischen Gründen der Fall gewesen ist. So etwas führt
so weit, dass noch nicht einmal der bayerische Minister
sagen kann, wo solche Versuche in Bayern stattfinden.
Auch Minister Sklenar aus Thüringen weiß nicht mehr.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Der Weizenversuch ist kein Großversuch! Das ist falsch, was Sie sagen!)


Man sollte sich, wenn man in diesem Bereich forscht, in-
telligenter anstellen, vor allem da man weiß, dass dieser
Bereich in der Gesellschaft umstritten ist. Es wissen alle,
welche Auswirkungen das hat. Diese Aufgabe kann ich
Herrn Katzek nicht auch noch abnehmen.

Zum vierten für mich wichtigen Punkt, der Begleit-
forschung. Begleitforschung, die diesen Namen auch
verdient, heißt für mich, dass man nicht nur diejenigen
versammelt, die sowieso dafür sind, sondern dass man
alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt,
auch unabhängige, dass man alle Fragen von der mögli-
chen gesundheitlichen Folge für Mensch und Tier bis hin
zu Auswirkungen auf Biodiversität seriös erforscht und
dass man die Diskussion – das kennen wir aus anderen
Zusammenhängen – nicht zu eng führt. Wir bauen ein
entsprechendes Programm auf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Renate Künast

Zu der von den CDU/CSU- und FDP-regierten Län-

dern begonnenen Blockade im Bundesrat liest man in ei-
nigen Zeitungen Berichte über all die Auswirkungen und
findet Formulierungen wie „Krieg auf den Dörfern“ oder
„Bauernkriege“. Das sind nur einige Überschriften. Ich
sage Ihnen klar: Was wir brauchen, ist das Gegenteil,
nämlich Planungssicherheit. Das ist noch milde ausge-
drückt. Das, was hier unter Federführung von Sachsen-
Anhalt angezettelt wurde, ist Chaos.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Helmut Heiderich [CDU/ CSU]: Das ist unglaublich!)


– Sehen Sie sich doch einmal die Diskussionen in Ihren
Wahlkreisen an. Der Bauernverband, der das ursprüng-
lich mitmachen wollte, fordert jetzt selber, dass die Bau-
ern endlich Auskunft bekommen. Daran sehen Sie, was
Sie verursacht haben. Ich weiß nicht, wo Sie stehen.
Aber ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass Ihre Inte-
ressen mit den Interessen des Bauernverbandes und da-
mit möglicherweise den Interessen der Bauern relativ
wenig zu tun haben.

Wir stehen auf alle Fälle eindeutig dafür, dass es Haf-
tungsregeln statt einer ungerechten Kostenverteilung
gibt. Wir brauchen Abstandsregeln statt misstrauisches
Beäugen an den Grundstücksgrenzen. Wir brauchen
Standortregister statt Geheimniskrämerei und wir wollen
eine umfangreiche Begleitforschung, statt die Ergebnisse
der Wissenschaft dem Zufall zu überlassen.


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Unglaublich!)


Das alles dient am Ende der Sicherheit der Bäuerinnen
und Bauern und dem Schutz der Gesundheit der Men-
schen und der Umwelt.

Wir brauchen eine zügige Umsetzung dieses Geset-
zes. Deshalb erwarte ich von der Opposition – das sage
ich ganz klar –, dass Sie Ihre doppelzüngige Politik in
diesem Bereich aufgeben. Einmal tun Sie so, als schütz-
ten Sie die Bauern, dann reiten Sie wieder mit eifrigem
Galopp durch die Säle. Versuchen Sie nicht, an dieser
Stelle zu blockieren. Ich sage Ihnen voraus: Gelingen
wird es Ihnen sowieso nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Helmut Heiderich [CDU/ CSU]: Wenn hier einer blockiert, dann ist das Frau Künast!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511114200

Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1511114300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich habe aufmerksam zugehört und hatte die Er-
wartung, dass wir endlich einmal die Chance für eine der
schwierigen Angelegenheit angemessene sachliche Aus-
einandersetzung mit dem Thema Grüne Gentechnik ha-
ben. Ich bin leider wieder enttäuscht worden.

Wenn Sie sich die Verlautbarungen der verschiedenen
Regierungsmitglieder in den letzten Wochen und Mona-
ten zum Thema Grüne Gentechnik vor Augen halten und
wenn Sie die Ankündigungen und die tatsächlichen Ge-
setzestexte gegenüberstellen, dann wird deutlich: Die
Diskussionsgrundlage zur Grünen Gentechnik, die von-
seiten der Regierung geboten wird, ist an Widersprüch-
lichkeit und vor allem an Scheinheiligkeit nicht mehr zu
überbieten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will Ihnen das auch begründen: Es ist von den Er-

probungsanbauten in einigen Ländern – übrigens nicht
nur unionsregierte, sondern auch SPD-regierte Länder –
gesprochen worden. Sie werden von der Ministerin in
übelster Weise kritisiert und an den Pranger gestellt.

Tatsache ist erstens, dass der Bundeskanzler höchst-
persönlich im Jahre 2000 bei der EXPO groß angelegte
bundesweite Erprobungsanbauten angekündigt hat. Tat-
sache ist auch, dass wir bis heute auf die Umsetzung die-
ser Ankündigung warten.

Zweitens. Tatsache ist, dass die Regierungen der Mit-
gliedstaaten in den EU-Koexistenzleitlinien aufgefor-
dert werden, derartige Erprobungsanbauten durchzufüh-
ren. Die Bundesrepublik Deutschland hat dies bisher
nicht getan, obwohl völlig unumstritten ist, dass derar-
tige Erprobungsanbauten notwendig und sinnvoll sind,
um Erfahrungen im Miteinander und Nebeneinander un-
terschiedlicher Anbauformen, in der so genannten Ko-
existenz, zu sammeln.

Drittens ist Tatsache – auch dies wird von der Regie-
rung verschwiegen –, dass das Bundessortenamt, eine
dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft unterstehende Bundesbehörde,
die entsprechende Maissorte unabhängig davon zum An-
bau genehmigt hat, wann, von wem und wo sie angebaut
wird.

Viertens ist Tatsache, dass vom Robert-Koch-Insti-
tut – einem Institut, das dem Bundesgesundheitsministe-
rium untersteht – die Genehmigung zur Inverkehrbrin-
gung erteilt wird.

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich all das an-
schauen, dann erkennen Sie, dass hier nichts anderes ge-
tan wird, als auf einer völlig sauberen rechtlichen Basis
das zu vollziehen, was möglich und notwendig ist, um
die Erfahrungen dafür zu sammeln, mit der Grünen Gen-
technik wirklich verantwortungsvoll umzugehen, und
um eine richtige und fundierte rechtliche Grundlage zu
schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage: Wenn dies endlich so getan wird – die Bun-

desregierung hatte sich bislang verweigert –, dann sollte
man das nicht kritisieren. Man sollte die Leute, die die
Verantwortung dafür haben, nicht an den Pranger stellen,
sondern man sollte sie unterstützen. Man sollte dankbar
dafür sein, dass dies in die Hand genommen wird.






(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt

Nun zu den Fragen der Geheimhaltung. Frau Minis-

terin, ein Stück weit tragen Sie selber die Verantwortung
dafür – und zwar ganz gewaltig –, dass Sie die Beschädi-
gungen an den Feldern toleriert, sich nicht davon distan-
ziert und sie nicht kritisiert haben.


(Renate Künast, Bundesministerin: Jetzt passen Sie aber auf, was Sie sagen!)


Sagen Sie bitte: Warum haben Sie eigentlich so lange ge-
braucht, um die EU-Freisetzungsrichtlinie umzuset-
zen? Die Freisetzungsrichtlinie, die mit diesem Gesetz
umgesetzt wird und in der das Standortregister und die
Meldepflicht verankert sind, weil sie EU-rechtlich vor-
geschrieben sind, ist im Frühjahr 2001 verabschiedet
worden. Heute sind wir im Frühjahr 2004, Frau Minister.
Drei Jahre haben Sie nichts gemacht, und jetzt beklagen
Sie sich, dass die rechtlichen Grundlagen dafür fehlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, das stimmt doch nicht!)


Die Frist für die Umsetzung – das wäre Oktober 2002
gewesen – ist sogar schon abgelaufen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schon lange!)

Wenn Sie die Richtlinie rechtzeitig umgesetzt hätten,

hätten wir heute eine Meldepflicht, die Standortregister,
Transparenz und keine Geheimhaltung, die Sie immer
beklagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie hätten doch die Initiative ergreifen können! – Gegenruf des Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Wir haben sie mehrfach ergriffen! – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Die Rückverfolgbarkeit war doch gar nicht da!)


Nun will ich zu den Widersprüchen im Gesetzentwurf
selber ein paar Sätze sagen. In Ihrem eigenen Gesetzent-
wurf schreiben Sie in § 1, dass der Zweck dieses Gesetz
unter anderem die Förderung der Grünen Gentechnik
ist.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Die einzelnen Vorschriften gestalten Sie jedoch mit einer
überbordenden Bürokratie und mit Haftungsregeln aus,
die dazu führen, dass das Ganze behindert, wenn nicht
sogar verhindert wird. Das heißt, Sie machen das pure
Gegenteil von dem, was Sie in § 1 erklären.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen das Chaos!)


Das ist natürlich ganz praktisch, weil Sie dann gegen-
über Wissenschaftlern und in Sonntagsreden den § 1 zi-
tieren können. Auch können Sie den Bundeskanzler zi-
tieren, der das Jahr 2004 zum Jahr der Innovation ausge-
rufen hat. In diesem Jahr der Innovation aber werden der
Forschungsetat gekürzt und durch ein Gesetz wie dieses
die Grundlage für Forschung und Entwicklung im eige-
nen Land nicht verbessert, sondern verschlechtert.

Ich wünsche mir sehr, dass wir diese Diskussion mit
Sachargumenten und mit wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen, die uns allen vorliegen, führen. Ich wünsche mir,
dass das Ganze ohne ideologische Verblendung stattfin-
det.


(Lachen bei den Abgeordneten der SPD – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reine Konzerninteressen!)


Ich wünsche mir auch, dass der Beitrag der Grünen
Gentechnik für Gesundheit, Ernährung, Landwirtschaft
und Umwelt, der unumstritten ist, nicht nur bei uns, son-
dern auch in der Dritten Welt einbezogen wird. Es
kommt nicht von ungefähr, dass die FAO, die UN-Orga-
nisation für Landwirtschaft und Ernährung, erst in den
letzten Wochen in ihrem Bericht deutlich machte, wel-
chen positiven Beitrag die Grüne Gentechnik gerade
auch für die Landwirtschaft in der Dritten Welt leisten
kann und leisten wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich will ich, dass auch die kritischen Bemer-

kungen in diese Diskussion einfließen. Aber sie müssen
alle einfließen und abgewogen werden. Uns geht es nicht
darum, dass die Grüne Gentechnik die ökologische und
die konventionelle Landwirtschaft oder die klassische
Pflanzenzüchtung ersetzt, sondern wir wollen eine sinn-
volle Ergänzung der bisherigen Anbauformen erreichen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ne! Das ist doch völlig unglaubwürdig!)


Daraus resultieren die Anforderungen an dieses Ge-
setz, erstens Koexistenz aller Anbauformen, zweitens
echte Wahlfreiheit für die Verbraucher und die Land-
wirte, drittens keine überflüssige Bürokratie und viertens
wirkliche Rechtssicherheit.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie das Gesetz unterstützen!)


Rechtssicherheit und Planungssicherheit, Frau Minis-
ter, taugen nicht nur als Überschrift, sondern sie müssen
tatsächlich für die Verbraucher, die Landwirte, die Pro-
duzenten, die Wissenschaftler und für alle gelten, die auf
diesem Feld arbeiten. Sie alle brauchen dringend Pla-
nungs- und Rechtssicherheit.

Dem wird der Gesetzentwurf, mit Verlaub, nicht ge-
recht. Mit diesem Gesetzentwurf ist ein Aufblähen der
Bürokratie verbunden. Es wird zu mehr Verunsicherung
und damit zu keiner Rechtssicherheit kommen. Die Haf-
tungsregelungen sind willkürlich.


(Widerspruch bei den Abgeordneten der SPD)

Es wird nicht gefördert, sondern behindert und verhin-
dert. Deshalb muss der Gesetzentwurf zwingend nachge-
bessert werden,


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])







(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt

insbesondere in den Fragen der Bürokratie und der Haf-
tung sowie bei der Möglichkeit, den Probeanbau nicht
nur zuzulassen, sondern auch wissenschaftlich zu beglei-
ten.


(Zuruf von der SPD: Stellen Sie Änderungsanträge!)


Es ist schon interessant: Als der Gesetzentwurf vor ei-
nigen Monaten im Kabinett eingebracht und öffentlich
diskutiert wurde, las man in der Zeitung „Die Zeit“ in ei-
nem Artikel über diesen Gesetzentwurf – ich zitiere –:

… mit bürokratischen Bremsmanövern allein lässt
sich die Zukunft nicht gewinnen.

Ich glaube, treffender kann man dieses Gesetz nicht cha-
rakterisieren.

Lassen Sie uns doch gemeinsam daran arbeiten, dass
wir die Bürokratie in diesem Gesetz und die Brems-
klötze beseitigen und die Grundlage dafür schaffen, an-
hand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir ha-
ben, unter Berücksichtigung aller Argumente dafür und
dagegen eine sinnvolle Regelung zu finden, auf deren
Grundlage wir die Chancen, die die Grüne Gentechnik
für die Gesundheit und die Ernährung der Menschen, für
die Landwirte, für die wirtschaftliche Entwicklung und
für die Innovation in unserem Land bietet, wirklich sinn-
voll nutzen können.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Schmu!)


Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Diese Rede hat sich wohltuend von dem abgehoben, was uns die Frau Künast zu sagen wusste! – Zustimmung bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511114400

Das Wort hat der Kollege René Röspel, SPD-Frak-

tion.

René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1511114500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beobachten in Fragen der Gentechnologie
eine große Verunsicherung. Zum einen lehnen viele
Menschen gentechnisch veränderte Lebensmittel ab und
fragen daher, warum die unerwünschten gentechnisch
veränderten Pflanzen in den Anbau kommen sollen; zum
anderen sind aber auch die Bäuerinnen und Bauern ver-
unsichert, da sie, selbst wenn sie selber nicht auf die
neuartigen Saatgutangebote zugehen wollen, durch Pol-
lenflug, Aussamung und Vermischung bei Ernte und
Transport davon betroffen sein könnten.

Das ist ein Zitat aus einem der vielen Schreiben, die
wir dieser Tage bekommen. Ich wollte heute nicht über
Ideologie sprechen. Das ist Aufgabe der CDU/CSU und
der FDP.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, so ist es!)

Das ist kein Schreiben von einer ökoradikalen Splitter-
gruppe, sondern dieses Schreiben haben die westfäli-
schen Bundestagsabgeordneten vom Präses der Evange-
lischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, erhalten.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

Er hat den Beschluss der Landessynode aus dem letzten
Jahr beigefügt, der seinen Gipfel darin findet, auf dem
Ackerland der Kirche keinen Anbau gentechnisch verän-
derter Pflanzen zuzulassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was interessiert die CDU schon die Kirche?)


Ich halte diesen Beschluss für richtig, denn auch
meine Skepsis bleibt. Die gentechnische Veränderung
von Pflanzen ist ein Eingriff in die Evolution, dessen
Auswirkungen wir nur sehr schwer beurteilen können,
vor allem, wenn wir zum Beispiel ein Gen aus einem
Bodenbakterium ausbauen und in eine höhere Pflanze
übertragen. Das ist ein Prozess, der in der Natur wahr-
scheinlich nie vorkommen wird. Wenn er vorgekommen
ist oder vorkommt, dann ist das unproblematisch, weil es
sich um einen Einzelfall handelt. Wenn aber Myriaden
von gezielt veränderten Pflanzen auf einem Feld stehen,
dann hat das eine vollkommen andere Qualität. Wir wis-
sen letztlich nicht, was über die Jahre betrachtet an Pro-
blemen entstehen kann.

Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten der Befür-
worter der Grünen Gentechnik. Die tauschen wir regel-
mäßig aus: Hilfe bei der Bekämpfung des Welthungers,
höhere Ernteerträge, weniger Chemieeinsatz und Schäd-
lingsbefall usw.


(Ulrich Heinrich [FDP]: Ist das nichts?)

All diese Argumente sind weder endgültig belegt noch
endgültig widerlegt.

Ähnlich ist es mit den Argumenten der Gegner oder
Skeptiker: größere Abhängigkeit von Konzernen, Schaf-
fung von Resistenzen bei Schädlingen, Schädigung von
Nützlingen, Auskreuzungen in die Umwelt, reduzierte
Ernteerträge usw. Auch diese Argumente sind weder
endgültig belegt noch widerlegt. Das heißt, es findet das
übliche Spiel statt, dass Sie mir Ihre Gutachten oder wis-
senschaftlichen Arbeiten vorlegen, die ich auseinander
nehme, und umgekehrt.

In allen Fällen gibt es mehr oder weniger gute Hin-
weise, die ich einfach zur Kenntnis nehme. Aber was ist
eigentlich schlimmer? Wenn die Befürworter in einigen
Jahren mehr Recht bekommen oder wenn die Gegner
Recht behalten? Was ist denn, wenn die Skeptiker in
zehn oder 20 Jahren Recht bekommen,


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Damit ist es zu spät!)


es aber dann schon zu spät ist, weil sich freigesetzte
Pflanzen nicht mehr zurückholen lassen, weil bäuerliche
Strukturen zusammengebrochen sind oder weil altherge-
brachtes Saatgut verloren gegangen ist?






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel

Vor diesem Hintergrund sehe ich übrigens auch den

Erprobungsanbau von gentechnisch verändertem
Mais auf 300 Hektar in 30 Betrieben in Sachsen-Anhalt,
Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thü-
ringen, Sachsen und Baden-Württemberg als sehr kri-
tisch an. Ich halte es für falsch und unklug, dass die
Standorte nicht mindestens für Landwirte transparent ge-
macht werden. Frau Künast hat das angedeutet. In eini-
gen der genannten Länder gibt es nämlich Regionen, ins-
gesamt 33, in denen die Bauern ausdrücklich
gentechnikfrei produzieren wollen. Ich hoffe, dass kein
Freisetzungsversuch in deren Nähe stattfindet, weil sie
dann nämlich in Schwierigkeiten kommen.

Ich halte es geradezu für fatal, wenn die CDU/CSU in
ihrem Antrag auf Drucksache 15/2822 fordert, umge-
hend einen großflächigen Erprobungsanbau in Deutsch-
land zu starten. Sie sind offenbar nicht in der Lage, zu
erkennen, dass wir nicht über die notwendigen Kapazitä-
ten für eine vernünftige Begleitforschung zu einem groß-
flächigen Anbau verfügen. Sie wollen gleich mit der Tür
ins Haus fallen und Fakten schaffen. Wenn dies nicht zu-
trifft, dann müssten Sie das in Ihrem Antrag besser er-
klären.

Insofern ist es richtig und verantwortungsvoll, mit der
Gentechnologie vorsichtig voranzugehen. Genau diesen
Weg verfolgen wir mit dem Gesetzentwurf der rot-grü-
nen Bundesregierung. Wir haben darauf zu reagieren,
dass die EU-Kommission die Freisetzung gentechnisch
veränderter Pflanzen neuerdings genehmigt, und wir
müssen europäisches Recht in deutsches Recht umset-
zen. Unser Ziel ist es, den Verbrauchern echte Wahlfrei-
heit zu ermöglichen, und wir wollen eine Koexistenz
zwischen den verschiedenen Anbauformen schaffen.


(Beifall des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eine zentrale Rolle spielt sicherlich die Haftungsfrage.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dass wir
in diesem Punkt keine absolute Gerechtigkeit herstellen
können. Entweder schützt man die Landwirte, die Gen-
technik nutzen wollen – das ist offenbar die Intention der
Opposition –, oder man legt den Schwerpunkt auf den
Schutz derjenigen, die auf Gentechnik verzichten wol-
len.


(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Eine solche Entscheidungslage ist aber im täglichen

Leben nicht unüblich.
Lassen Sie mich das an einem simplen Beispiel aus

dem berühmten täglichen Leben verdeutlichen. Ein Hun-
dehalter geht mit seinem Hund spazieren. Der Hund ist
gut ausgebildet und hat einen friedlichen Charakter. Er
hat noch nie Probleme gemacht und er ist angeleint.
Trotzdem springt er ein Kind an und zerreißt dessen
Hose. Nach deutschem Recht muss der Hundehalter die
Hose ersetzen, obwohl ihn eigentlich keine Schuld trifft.
Er hat sich nämlich an alle Regeln gehalten, die ihm auf-
erlegt sind. Eigentlich ist das ungerecht. Es hat aber
nichts mit willkürlicher Rechtsprechung zu tun; viel un-
gerechter wäre es nämlich, das Kind auf seiner zerrisse-
nen Hose sitzen zu lassen und den Schaden nicht zu er-
setzen.


(Zuruf von der SPD: Das will die Opposition!)

Das deutsche Recht entscheidet sich für den Schutz

des Opfers und die Hilfe für den Geschädigten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir wollen dieses Prinzip auch auf die Gentechnik auf
dem Acker übertragen. Ein Landwirt wird sich frei ent-
scheiden können, ob er gentechnisch veränderte Pflan-
zen anbaut oder auf Gentechnik verzichtet. Wenn aber
ein Landwirt, der gentechnikfrei anbauen will, auf seiner
Ernte sitzen bleibt, weil vom Gentechnikbauern nebenan
die Gentechnikpflanzen in einem Maße „herüberge-
weht“ sind, dass er seine Ernte nicht mehr als gentech-
nikfrei verkaufen kann, dann muss dieser Bauer seinen
Schaden ersetzt bekommen.

In dieser Frage besteht ein wesentlicher Unterschied
zwischen Regierung und Opposition. Die FDP fordert in
ihrem Antrag auf Drucksache 15/2979: „Es haften nur
die Landwirte, die die Koexistenzregeln nicht konse-
quent einhalten.“ Dieser Vorschlag bedeutet: Wenn der
Gentechnikbauer alle Regeln befolgt, dann bleibt der
gentechnikfreie Bauer auf seiner verunreinigten Ernte
sitzen. Bezogen auf mein Beispiel aus dem alltäglichen
Leben bedeutet das: Wenn der Hundehalter alle Regeln
befolgt, dann bleibt das Kind auf der zerrissenen Hose
sitzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Blödsinn!)

Wir wollen das nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir auch nicht!)

Rot-Grün will, dass es dabei bleibt, dass der Hundehalter
dem Kind eine neue Hose kauft. Wir wollen auch, dass
der Schaden des Bauern, der gentechnikfrei produzieren
will, ersetzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Anfang meiner Rede zitierte ich den Brief des
Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, der die
Unsicherheit auch der Landwirte schilderte. Wir wollen
mit unserem Gesetzentwurf die Wahlfreiheit der Ver-
braucher stärken und auch die geschilderte Unsicherheit
der Landwirte abbauen. Der Anbau gentechnisch verän-
derter Pflanzen darf nicht zum Nachteil derer geschehen,
die darauf verzichten wollen. Ich bin überzeugt, dass die
Landwirte und die Verbraucher merken werden, wer
wirklich an ihrer Seite steht.

Den FDP-Abgeordneten wünsche ich, dass sie keinen
Hunden begegnen, die ihre Hosen zerbeißen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott, was für ein Blödsinn!)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511114600

Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach-

Kasan, FDP-Fraktion.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1511114700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zu Ihrer Beruhigung, Herr Röspel: Mein Hund beißt
nicht. Insofern besteht keine Gefahr.


(René Röspel [SPD]: Sie haften trotzdem!)

Zu Ihren Ausführungen will ich eines anmerken: Ihr

Begriff von Natur schließt menschliche Kreativität aus.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Ihrem Begriff von Natur zufolge befänden wir uns noch
immer in der Steinzeit.


(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hat bisher alles durch genetische Veränderungen stattgefunden oder was?)


Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Erdbeeren, die Sie
morgen oder übermorgen essen werden, aus Unterarten
gezüchtet sind, die aus Südamerika und aus Europa
stammen! Sie sind völlig unnatürlich und hätten ohne
den Menschen nie eine Chance gehabt, zusammenzu-
kommen.


(René Röspel [SPD]: Das ist traditionelle Zucht!)


Ich möchte nun zu meiner eigentlichen Rede kom-
men. Im Kampf gegen Hunger und Unterernährung
setzt die FAO auf den Einsatz der Grünen Gentechnik.
Generaldirektor Jacques Diouf fordert eine Genfor-
schung, die sich an den Bedürfnissen der Kleinbauern in
Asien und Afrika ausrichtet. Die Züchtung des Goldenen
Reises ist ein Beispiel dafür, dass dies gelingen kann.


(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung bremst dagegen die Grüne Gen-
technik aus.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist nicht grün!)


Deutschland wird damit seiner globalen Aufgabe nicht
gerecht.


(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)


Im Glaubenskampf um die Grüne Gentechnik sind die
Gefechtsfelder abgesteckt und die Fronten verhärtet. Die
Vernunft ist auf der Strecke geblieben.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Verantwortlich dafür sind die grünen Minister, insbeson-
dere Frau Künast, und ein Bundeskanzler, der sie gewäh-
ren lässt. Das spiegelt sich im Entwurf eines Gesetzes
der Bundesregierung zur Novellierung des Gentechnik-
gesetzes wider. Die Grüne Gentechnik soll verhindert
werden. Die Leidtragenden dieser Politik sind junge
Menschen, die abwandern werden, Menschen in den
neuen Bundesländern, die auf diese Zukunftstechnologie
gesetzt haben, und Menschen in den ländlichen Räumen,
die neue Einkommensalternativen brauchen, und dies al-
les, damit die grüne Illusion vom Museumsbauernhof er-
halten bleibt. Das will die FDP verhindern.


(Beifall bei der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Museum war doch schon die FDP!)


Die Ministerin – wir alle haben es gehört – wäscht
ihre Hände in Unschuld, wenn es um die Zerstörung von
Freisetzungsversuchen geht, obwohl gerade ihre Politik
und ihre Äußerungen der Nährboden sind, der die Zer-
störung von Freisetzungsversuchen tatsächlich möglich
gemacht hat.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist wirklich unerträglich!)


– Frau Ausschussvorsitzende, informieren Sie sich ein-
mal über agrarische Tatbestände! Dann können Sie bei
solchen Fragen besser mitreden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Hertha Däubler-Gmelin [SPD]: Unglaublich!)


Der Vorfall in Sachsen-Anhalt steht für die Zerrissen-
heit in Deutschland, wenn es um die Bewertung der Pro-
dukte der Grünen Gentechnik geht.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Der Hund beißt nicht, aber die Halterin! – Heiterkeit bei der SPD)


Ministerin Bulmahn, SPD, begrüßt das Anbauprogramm
der Bundesländer für Bt-Mais, Ministerin Künast lehnt
es ab.

Es ist gute Tradition, dass wir im Deutschen Bundes-
tag nicht entscheiden, was die Verbraucherinnen und
Verbraucher morgens zum Frühstück essen.


(Beifall bei der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gott sei Dank!)


Sie haben Wahlfreiheit.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei Ihnen bald nicht mehr!)

Der Deutsche Bundestag entscheidet ausschließlich,
welchen Kriterien neue Produkte genügen müssen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jawohl!)

Daher ist es völlig unerheblich, welche Umfragewerte
Produkte der Grünen Gentechnik erzielen. Ulrich
Bahnsen titelte in der „Zeit“: „Greenpeace weiß, was
Kunden wünschen müssen“. Ich füge hinzu: nicht, was
sie wünschen. Nicht Wahlfreiheit ist somit das Ziel Ihrer
Politik und von Greenpeace, sondern Bevormundung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unmündigkeit!)

Die eine Voraussetzung für Wahlfreiheit ist die Kenn-
zeichnung. Sie ist geregelt. Die andere Voraussetzung
ist das Angebot von Produkten aus gentechnisch verän-
derten und anderen Pflanzen. Das wird kommen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Christel Happach-Kasan

Entgegen den Sprüchen von Ministerin Künast sind

gentechnisch veränderte Pflanzen sicherer als andere;
denn sie sind mehr geprüft.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott!)


Auch die viel zitierte britische Studie Farm Scale Evalua-
tion hat kein wirklich neues Ergebnis erbracht. Das Un-
krautmanagement entscheidet über die Biodiversität auf
dem Acker; das wissen Landwirte seit Jahrzehnten. Ohne
Wildkräuter gibt es auch keine Insekten. Das ist Mittelstu-
fenbiologie. Es gibt keine besondere Gefährdung der Bio-
diversität durch Pflanzen, die mit einer bestimmten Me-
thode gezüchtet wurden. Das ist im Übrigen ein Ergebnis
der Studie zur Technikfolgenabschätzung aus dem Jahre
1993.

Vor diesem Hintergrund ist die durch EU-Vorgaben
notwendige Novellierung des Gentechnikgesetzes eine
lösbare Aufgabe. Die Regierung ist daran gescheitert,
weil sie den grünen Ministern Künast und Trittin das
Feld überlassen hat. Es ist ein Verhinderungsgesetz
herausgekommen. Kanzler Schröder hat klein beigege-
ben. Seine Innovationsinitiative ist reif für die Tonne.

Die Haftungsregelung geht am Kern jeder gerechten
Haftung vorbei. Wir müssen den schützen, der sich kor-
rekt verhält, und zwar unabhängig davon, was er anbaut,
ob es sich nun um gentechnisch veränderte Pflanzen
handelt oder nicht. Die im Gesetz vorgesehene gesamt-
schuldnerische Haftung leistet dies nicht, weil sie auch
dem die Haftung für Schäden aufbürdet, der sie nicht
verursacht hat. Das ist ungerecht. Mit Bürokratie – Kol-
legin Hasselfeldt hat das schon gesagt – lässt sich Zu-
kunft nicht gewinnen.

Der Jahresbericht der FAO hat deutlich gemacht, dass
die Grüne Gentechnik den Entwicklungsländern Chan-
cen bietet. 4 Millionen Kleinbauern pflanzen in China
erfolgreich Bt-Baumwolle an, so Professor Saedler, Di-
rektor am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung.
2 Cent kostet die Produktion eines Antigens in der trans-
genen Banane, 100 Euro mit herkömmlichen Methoden.
Das wollen Sie verhindern? Diese Chancen wollen Sie
den Entwicklungsländern wirklich verwehren?


(René Röspel [SPD]: Das sollen die doch selbst entscheiden!)


Ich fordere Sie auf, sich im Interesse der Menschen,
die nicht so reich sind wie wir, die in Gesellschaften le-
ben, denen es nicht so gut geht, mehr für eine solche
Wissenschaftstechnologie einzusetzen und Entwicklun-
gen möglich zu machen, die wir gerade bei uns in
Deutschland brauchen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511114800

Das Wort hat die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin,

SPD-Fraktion.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1511114900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde es gut, dass wir nun auch anlässlich der Bera-
tung dieses Gesetzentwurfs – er ist schon seit Anfang
des Jahres in der Welt – über die einzelnen Probleme im
Zusammenhang mit der Gentechnik reden. Wir tun das
ja schon länger. Die Diskussionen in der Öffentlichkeit
werden von diesem Thema beherrscht. Jetzt treten wir in
das Gesetzgebungsverfahren ein. Ich wünsche mir, dass
dieses Verfahren kurz und knapp ist und, wenn es mög-
lich ist, liebe Frau Hasselfeldt und sehr geehrte Frau
Happach-Kasan, ohne diese ständigen Ausfälle, die doch
niemanden weiterbringen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Wer fängt denn damit an?)


abläuft, damit die Grundsätze der Europäischen Union,
nämlich Koexistenz und Wahlfreiheit, tatsächlich einge-
halten werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe bei Ihnen manchmal das Gefühl, dass Sie
sich eigentlich mehr als die Sprecherinnen von Großun-
ternehmen – noch nicht einmal von mittelständischen
Unternehmen hier bei uns – verstehen, die mit aller
Gewalt irgendwelche genveränderten Pflanzen in den
Markt drücken wollen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: So weit die Sachlichkeit!)


Frau Happach-Kasan, wir sollten über diese Phase jetzt
endlich einmal hinwegkommen und uns die Frage stellen:
Was ist eigentlich der Grund für die heutige Unsicherheit
im Zusammenhang mit der Gentechnik? Ich hätte mich
wirklich gefreut, wenn dazu ein bisschen mehr gesagt
worden wäre, auch von Ihnen; schließlich mahne ich das
nicht zum ersten Mal an. Die Antwort kann doch nur
lauten: Genveränderte Nahrungsmittel müssten für den
Menschen mehr oder Besseres bringen. Nur das wäre
eine Rechtfertigung, sonst gar nichts.

Diese Nachweise gibt es aber nicht. Vielmehr haben
wir noch immer ein, wie wir Juristen es nennen, „non li-
quet“. Es ist also nicht klar, ob diese Nahrungsmittel
schaden und Gefährdungen verursachen oder nicht.
Diese Unsicherheit wird natürlich auch dadurch genährt,
dass Gutachten wie das im Zusammenhang mit der Zu-
lassung des Bt-Mais darauf hinweisen, dass es in be-
stimmten Bereichen gerade für Tiere sehr wohl Pro-
bleme und Gefährdungen geben könnte. Diese
Gutachten werden von Ihnen entweder geleugnet oder
heruntergespielt. So kommen wir nicht weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Sie spielen es doch hoch!)


Sie haben vorhin schon einmal von Produkten und
Produkthaftung geredet. Würde man dem folgen, was
Sie in Bezug auf genveränderte Pflanzen oder genverän-
dertes Saatgut sagen, dann würde heute – das müssten
wir vielleicht auch einmal sehen – nicht eine weniger






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Herta Däubler-Gmelin

oder nur gleichermaßen begutachtete Komponente eines
Fahrzeugs auf den Markt gebracht. Auf diesem Gebiet
werden viel mehr Gutachten und sehr viel mehr Haftung
vorausgesetzt. Das ist eines der Probleme, die wir in der
Anhörung natürlich nochmals prüfen werden. Auf die
möchte ich Sie hier jetzt ein weiteres Mal ganz offiziell
aufmerksam machen.

Wir alle wissen: Die Verbraucher haben Bedenken
und sie wollen keine genveränderten Nahrungsmittel.
Das EU-Recht besagt – es ist verbindlich –: Es besteht
kein Zwang; es soll Wahlfreiheit geben. Auch deswe-
gen haben wir uns mit großem Nachdruck für klare
Kennzeichnungsregelungen nicht nur bei Lebensmit-
teln – da gibt es sie seit dem 19. April –, sondern auch
bei Saatgut eingesetzt.

Was entdecke ich da bei Ihnen und bei den Kollegin-
nen und Kollegen der CDU/CSU? Frau Hasselfeldt hat
zuvor von „Scheinheiligkeit und Heuchelei“ gesprochen.


(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Da hat sie Recht!)


Frau Hasselfeldt, ich fände es eigentlich sehr gut, wenn
Sie diese Begriffe einmal auf diejenigen anwendeten,
auf die sie zutreffen, nämlich auf sich selber,


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig! – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


und wenn Sie sagten: Wir sind der Meinung, dass die
technische Nachweisgrenze beim Saatgut erreicht wer-
den soll. – Wir werden nachher sehr genau aufpassen,
wie Sie sich bei der Abstimmung über den heute berate-
nen Antrag verhalten werden.


(Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Sie werden sich wundern, was das für Konsequenzen bringt!)


Wir haben ihn auch eingebracht, um endlich einmal in
der Öffentlichkeit klarzustellen, wer hier von Scheinhei-
ligkeit und von Heuchelei redet und wer sie praktiziert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie wissen nämlich ganz genau, dass auch Bauern, die
auf Sie zählen, heute von Ihnen erwarten, dass Klarheit
und Wahrheit durchgesetzt werden. Wahlfreiheit fängt
bei der Kennzeichnung an.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Völlig unangemessen!)


Das geht übrigens bei der Frage der Koexistenz wei-
ter. Koexistenz – ein Landwirt kann genverändert und
ein anderer kann konventionell oder biologisch an-
bauen – ist ebenfalls ein Rechtsbegriff der Europäischen
Union. Deswegen hätten wir es übrigens sehr gern gese-
hen, Frau Ministerin, wenn die Koexistenz und die Haf-
tungsregelungen europarechtlich verankert worden wä-
ren. Auch das Europäische Parlament hat das gefordert.
Das haben wir nun nicht.

Um jetzt noch einmal zu dem Kapitel „Heuchelei und
Scheinheiligkeit“ zurückzukommen: Es ist mehr als är-
gerlich, dass Sie immer dann, wenn es darum geht, die
Koexistenz rechtlich abzusichern – es bleibt gar nichts
anderes übrig, als dies nationalstaatlich zu tun –,


(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


von Bürokratie, von was weiß ich, von anderen üblen
Dingen reden. Man kann Koexistenz nicht anders als
durch klare Haftungsregelungen und durch Verantwort-
lichkeiten absichern.


(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)


Sie haben völlig Recht: Wir alle wollen, dass Land-
wirte zwar für die gute fachliche Praxis haften, dass aber
die Erzeuger für den Rest haften. Deswegen sind wir der
Meinung, dass sich jeder Landwirt, der genveränderte
Pflanzen anbauen will, vorher – das Gesetz lässt das
auch zu – vom Erzeuger haftungsrechtlich freistellen las-
sen soll. Ich werde in allen Diskussionen mit Landwirten
über solche Dinge darauf hinweisen. Ich wäre Ihnen
dankbar, wenn auch Sie das täten.

Noch einmal zum Kapitel „Heuchelei und Scheinhei-
ligkeit“: Gott sei Dank können bei uns alle über das In-
ternet den Bericht der FAO lesen, liebe Frau Happach-
Kasan, auf den Sie sich berufen haben. Darin steht nicht,
dass das, was bei uns in den Industrieländern passiert,
von der FAO gewünscht wird. Bei uns geht es um Soja.
Bei uns geht es um Mais. Bei uns geht es also um Vieh-
futter. Das bringt Geld. Dieses Verfahren nützt den Men-
schen in den Least Developed Countries aber überhaupt
nichts.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denen würde es etwas nützen, wenn zum Beispiel gen-
veränderte Pflanzen entwickelt würden, die salzresistent
sind, die Wasserarmut verkraften können, also für Dürre-
gebiete geeignet wären.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Ulrich Heinrich [FDP]: Sie verhindern doch alles!)


Darum geht es aber überhaupt nicht. Auf diese Potenzia-
lität verweist die FAO.

Jetzt höre ich gerade, das würde jemand verhindern.

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Sie haben doch unseren Antrag abgelehnt!)

Seien Sie doch so freundlich und informieren Sie sich
vor solchen Zwischenrufen erst einmal über den Sach-
verhalt! Das verhindert überhaupt niemand!


(Zuruf von der SPD: So ist das!)

Das bringt aber kein Geld. Deswegen setzen gerade Sie
von der FDP sich nicht dafür ein. – Das ist der Ärger.
Das ist einer der Punkte, die uns das Leben hier so
schwer machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511115000

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? –

Bitte.


Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1511115100

Frau Däubler-Gmelin, Sie erinnern sich vielleicht da-

ran, dass wir schon einmal über das Thema „Goldener
Reis“ diskutiert haben. Wir haben dabei gemeinsam fest-
gestellt, dass die Forscher Potrykus und Beyer es immer-
hin erreicht haben, dass 70 Lizenzen aufgegeben worden
sind, dass diese Sorte an das Reisforschungsinstitut
übergeben worden ist, sodass daraus Sorten entwickelt
werden können, die für die verschiedenen Standorte ge-
eignet sind. Stimmen Sie mir darin zu, dass dies ein Weg
ist, auf dem wir den Entwicklungsländern helfen kön-
nen, ihre Ernährungslage zu verbessern, und somit
auch den Menschen dort helfen können?


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwangsmedikation!)


Ernährung ist doch die Voraussetzung dafür, dass Men-
schen Bildung erreichen und bessere Zukunftschancen
gewinnen können.


Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1511115200

Was Bildung und Verteilungsgerechtigkeit angeht, ja.

Ich würde niemandem – auch Ihnen nicht, Frau
Happach-Kasan – den Willen absprechen, zu erreichen,
dass die Menschen in den Least Developed Countries
bessere Chancen haben. Das geht aber nur durch Markt-
öffnung. Das geht durch Wissenstransfer. Das geht nicht
dadurch, dass bei uns Soja und vor allem Mais genverän-
dert als Viehfutter auf den Markt gedrückt werden. Sie
wissen ganz genau, dass der Vitamin-A-Reis nicht bes-
ser ist – er ist vielleicht anders, aber nicht besser – als
sehr viele Standortpflanzen, die es in der Natur heute
schon gibt. Ich will die Diskussion über diesen Punkt mit
Ihnen gern fortsetzen. Ich hätte Sie aber auch gern an der
Seite, wenn wir den Landwirten sagen: Das ist etwas, bei
dem ihr sehr sorgfältig aufpassen müsst, damit ihr haf-
tungsrechtlich nicht in die Falle von bestimmten Erzeu-
gern geht.

Wenn Sie sich nachher dazu durchringen würden
– das ist meine letzte Bitte, gerade an die FDP-Fraktion –,
wenigstens bei der Frage der Kennzeichnung des Saat-
guts zu sagen: „Jawohl, wir wollen die Wahlfreiheit
durch eine offene und ehrliche Kennzeichnung unterstüt-
zen“, dann fände ich das großartig. Ich fürchte, Sie wer-
den das nicht tun. Das finde ich bedauerlich.

Lassen Sie mich noch einen letzten Satz anfügen: Die
heutige Diskussion ist noch in einem anderen Sinn hoch-
interessant; wir führen sie ja zum vierten oder fünften
Male in der einen oder anderen Weise. Sie zeigt nämlich,
dass Sie gar nicht die Absicht hatten, in irgendeiner
Weise konstruktiv dazu beizutragen,


(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Unglaublich!)


dass vernünftige Haftungsregelungen für die Gentechnik
durchgesetzt werden. Falls das wirklich so sein sollte
– ich bin sehr gespannt, ob ich von Herrn Heiderich et-
was anderes höre –, dann wenden Sie auch hier die Stra-
tegie an, die Sie in letzter Zeit sehr häufig benutzen, das
heißt: Sie setzen voll auf Blockade. Ich kann Ihnen nur
sagen, das ist kein guter Weg. Blockieren wird nicht ho-
noriert.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Die Wähler sehen es anders!)


Es steht außer Frage, dass wir haftungsrechtliche Rege-
lungen für die Gentechnik im Sinne der Verbraucher und
der Landwirte finden müssen. Das sind wir ihnen schul-
dig und das verlangen auch die europäischen Richtli-
nien. Wenn Sie aber glauben, hier durch Blockieren ir-
gendetwas verhindern zu können, dann sage ich Ihnen
schon jetzt, dass wir das nicht zulassen werden.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich werbe deshalb um Ihre konstruktive Mitarbeit, aber
sage Ihnen zugleich sehr deutlich, dass wir nicht bereit
sind, uns an irgendeiner Blockadestrategie zu beteiligen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511115300

Letzter Redner ist der Kollege Helmut Heiderich,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1511115400

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, dass die
Frist für die Umsetzung der europäischen Vorschriften
zur Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft be-
reits im Herbst 2002 abgelaufen ist. Lassen Sie mich
auch feststellen, dass es gerade die internen Streitereien
zwischen den Ministern im Bundeskabinett waren, die
dafür gesorgt haben, dass das Gesetz nicht rechtzeitig
dem Bundestag zugeleitet wurde. Aufgrund dieser Ver-
zögerungen geraten Sie nun unter den Druck von Brüssel
und wir in die Gefahr, von Brüsseler Entscheidungen
überrollt zu werden. Deshalb wäre es richtig, dass wir
uns zusammenzutun, um die Dinge in der Sache gemein-
sam zügig voranzubringen. Ich wundere mich dann aber
schon über die Tiraden, die ich von der Frau Ministerin
vorhin an dieser Stelle gehört habe. Sie haben offensicht-
lich überhaupt nicht die Absicht, in irgendeiner Weise
politisch hier im Plenum zu kooperieren. Sie wollen
spalten sowie die Öffentlichkeit verunsichern und in die
Irre leiten.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Blockadehaltung! – Zurufe von der SPD)


Sie wollen damit im Endeffekt nicht, dass wir zu Ent-
scheidungen kommen, die der Sicherheit dienen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Helmut Heiderich

Ich komme nachher, Frau Däubler-Gmelin, auch noch

einmal auf die Frage der Blockade zurück.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)


Zunächst möchte ich aber herausstellen, dass Sie
selbst, Frau Ministerin, und alle, die an Ihrer Seite agie-
ren, sich ein ums andere Mal in Widersprüche verstri-
cken. In Brüssel haben Sie im Zusammenhang mit der
Erteilung der Importgenehmigung für amerikanischen
Bt-11-Mais nicht mehr als ein unentschlossenes „Ich
weiß nicht“ herausgebracht. Kaum waren Sie zu Hause,
haben Sie lautstark von einer Fehlentscheidung und dem
damit verbundenen Risiko gesprochen. Da ist es doch
kein Wunder, Frau Ministerin, dass Ihnen Kommissar
Byrne vor wenigen Tagen in einem Interview im Berli-
ner „Tagesspiegel“ ins Stammbuch geschrieben hat, dass
er Ihre Kritik nicht verstehe. Ich zitiere einmal wörtlich,
was da steht:

Die Ministerin war selbst Mitglied des Agrarminis-
terrats, der im vergangenen Herbst für die neue Ge-
setzgebung gestimmt hat. Sie hat diese Regelung
gewollt, nun sollte sie sich auch daran halten.

Verehrte Frau Künast, es wäre hilfreich, wenn Sie sich
hierzu einmal in Ihren Reden äußern würden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ebenso hat es die Bundesregierung trotz der langen

Anlaufzeit nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass im eige-
nen Land die notwendigen praktischen Erfahrungen für
die Detailregelungen dieses Gesetzes gesammelt wur-
den. Ich will es noch einmal sagen: Es war der Bundes-
kanzler selbst, der bereits im Sommer 2000 einen groß-
flächigen Erprobungsanbau zugesagt und die
notwendigen Regularien mit den Beteiligten unter-
schriftsreif ausgehandelt hat. Jetzt frage ich mich, wa-
rum die entsprechende Begleitforschung damals möglich
war, heute aber nicht möglich sein soll.

Ich zitiere einmal, meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen:

Ziel des Forschungsprogramms ist, zusätzliche
Erkenntnisse über die Umweltauswirkungen des
großflächigen Anbaus gentechnisch veränderter
landwirtschaftlicher Nutzpflanzen unter Praxisbe-
dingungen zu gewinnen. Daher sollte der Anbau
schwerpunktmäßig in landwirtschaftlichen Betrie-
ben durchgeführt werden.

Dann geht es weiter:
Die Bundesregierung

– jetzt ist sie verschwunden –

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Frau Künast ist bei ihrer Fraktion!)


– ich bitte zuzuhören! –
trägt die Kosten für das Forschungsprogramm. Die
Unternehmen der Grünen Gentechnik stellen die er-
forderlichen Anbauflächen sowie das Saatgut zur
Verfügung.
Das war Ihr Bundeskanzler, Ihre Regierung, die das
schon im Jahre 2000 so vorgelegt haben. Heute sind Sie
um Längen hinter den damaligen Stand und die damals
erreichten Positionen zurückgefallen. Sie blockieren die
weitere Entwicklung in Deutschland, nicht die Opposi-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ständig bringen Sie hier Argumente, die weitere Ver-

unsicherung, aber keinen Schritt nach vorn bedeuten.
Auf der einen Seite erklären Sie, die Gentechnologie
müsse noch weiter erforscht werden. Auch Frau
Däubler-Gmelin hat das eben wieder vorgetragen. Die
Zulassungsverfahren seien nicht ausreichend, obwohl
Sie auf diesem Gebiet nun wirklich so umfassend wis-
senschaftlich prüfen wie an keiner anderen Stelle des
Lebensmittelrechtes sonst. Auf der anderen Seite unter-
bindet Frau Ministerin höchstpersönlich ein Forschungs-
projekt nach dem anderen, ganz gleich, ob Spitzenfor-
schung oder Begleitforschung. Wie passt das
zusammen?


(Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511115500

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage zulas-

sen?


Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1511115600

Lassen Sie mich den Gedanken noch zu Ende brin-

gen. Ich komme gleich auf die Zwischenfrage zurück.
Auf der einen Seite reden Sie immer davon, man

wolle Monopole internationaler Konzerne verhindern,
auf der anderen Seite blockieren Sie gerade für unsere
Pflanzenzüchter und für unsere Forscher jeden Fort-
schritt und nehmen ihnen damit die Chance, gegenüber
anderen wettbewerbsfähig zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Jetzt kann die Zwischenfrage gestellt werden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511115700

Frau Kollegin Höfken, wenn Sie mögen, dürfen Sie

jetzt.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511115800

Sehr geehrter Kollege Heiderich, ich finde, Sie reden

um den heißen Brei herum. Wir möchten doch von Ihnen
eine Antwort auf die Frage haben, wie Sie den Schutz
des Eigentums bei nicht Gentechnikpflanzen anbauen-
den Bauern gewährleisten möchten und welche Art
Schutz des Eigentums dieser Betriebe Sie konkret ergrei-
fen wollen. Wir gehen doch beide davon aus, dass na-
hezu 100 Prozent der deutschen Betriebe keine gentech-
nisch veränderten Pflanzen anbauen wollen.

Die zweite Frage ist, wie Sie die Wahlfreiheit der
Verbraucher im Hinblick auf gentechnikfreie Produkte
langfristig und sicher gewährleisten wollen und welche






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken

konkreten Maßnahmen Sie in diesem Zusammenhang
für notwendig halten.


Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1511115900

Liebe Frau Kollegin, wenn Sie mir ausreichend Zeit

gewähren, um auf Ihre umfassende Frage umfassend zu
antworten, will ich das gerne tun.

Was die Frage der Kennzeichnung angeht, sind Sie
heute hier an der falschen Stelle. Über die Frage der
Kennzeichnung haben wir vor Wochen in diesem Hause
entschieden und die entsprechenden gesetzlichen Vor-
schriften geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Kennzeichnungsvorschriften haben wir damals
sehr konstruktiv umgesetzt. Sie haben uns öffentlich
Blockade vorgeworfen; daran war kein Wort wahr.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Wenn Sie mich ausreden lassen würden. – Wir haben
bereits im Jahre 2001 in diesem Hause einen Antrag ein-
gebracht, in dem wir die Kennzeichnung gefordert ha-
ben, um Wahlfreiheit für den Verbraucher zu schaffen.
Da waren Sie von solchen Gedanken noch meilenweit
entfernt.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren dagegen! – Gegenruf des Abg. Peter H. Carstensen [Nordstrand)

CSU]: Ihr wollt doch etwas ganz anderes!
Dann sagt das doch! – Ulrike Höfken [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten auf die
Antwort!)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511116000

Die Möglichkeit der Zwischenfrage soll die Chance

eröffnen, dem Redner über die Gedanken, die er vorbe-
reitet hat und vorträgt, hinaus Fragen zu stellen, die vom
Redner beantwortet werden können. Wenn dies aller-
dings zu polyphonen Stellungnahmen aus der Fraktion
des Fragestellers und aus der Fraktion des Redners führt,
ist der Zweck dieses Instruments ziemlich eindrucksvoll
ad absurdum geführt.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause – Horst Kubatschka [SPD]: Das ist das lebhafte Parlament!)



Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1511116100

Darf ich noch die zweite Hälfte der Frage beantwor-

ten?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511116200

Ja.

(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat noch nicht einmal die erste Hälfte beantwortet!)


Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1511116300

Frau Kollegin, was die Wahlfreiheit für die Land-

wirte angeht, so will ich sagen: Wir werden dezidierte
Stellungnahmen zu diesem Gesetz einbringen. Über den
Bundesrat ist schon ein ganzes Paket von Stellungnah-
men abgegeben worden. Es ist unser Ziel – ich werde
das gleich noch einmal betonen –, dass wir den Landwir-
ten Wahlfreiheit für ihre Entscheidung gewähren. Jeder
Landwirt soll heute und morgen frei entscheiden kön-
nen, ob er aus betriebswirtschaftlichen Gründen die
Möglichkeiten der Biotechnologie nutzen will oder
nicht. Das ist unsere Position.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich wehre mich daher gegen jegliche Diffamierung, die
an dieser Stelle gegen uns gerichtet wird.

Ich möchte gern noch ein paar Punkte zum Thema Er-
probungsanbau ansprechen, über den vorhin diskutiert
wurde. Frau Künast, Sie selbst haben sieben gentech-
nisch veränderte Bt-Mais-Sorten per Vorabgenehmigung
im Februar und März dieses Jahres zugelassen. Damit
haben Sie den Erprobungsanbau überhaupt erst möglich
gemacht. Trotzdem kommt von Ihrer Seite eine Tirade
gegen die Bundesländer, die die von Ihnen zur Verfü-
gung gestellten Sorten nutzen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Recht auf Missbrauch!)


Das ist schlicht und einfach scheinheilig und falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will noch einen zweiten Punkt ansprechen. Wie
der Deutsche Bauernverband in den letzten Tagen mitge-
teilt hat, ist Ihr Ministerium gebeten worden, dass Ihre
Bundeseinrichtungen die Begleitforschung an diesen
29 Standorten übernehmen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht!)


Wenn Sie das in die Wege geleitet hätten, dann hätten
Sie nicht nur von Anfang an sämtliche 29 Standorte ge-
kannt. Sie hätten sogar jeden Tag das weitere Verfahren
verfolgen können. Dass Sie diese Bitte abgelehnt haben,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin nicht gefragt worden!)


zeigt wiederum, dass Sie an dem Fortschritt, den Herr
Schröder schon im Jahr 2000 haben wollte, nicht interes-
siert sind. Sie wollen spalten und verunsichern.


(Widerspruch des Abg. Peter Dreßen [SPD])

Sie wollen – jetzt benutze ich Ihren Ausdruck von vor-
hin – Chaos in der öffentlichen Diskussion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, um

den Sie sich vorhin herumgemogelt haben.

(René Röspel [SPD]: Was?)


Wir alle sollten einmal gemeinsam öffentlich feststellen,
dass die Zerstörung von rechtmäßig ausgewiesenen
Versuchs- und Erprobungsfeldern keine heroische Tat






(A) (C)



(B) (D)


Helmut Heiderich

unerschrockener Kämpfer ist, sondern schlicht und ein-
fach eine kriminelle Handlung. Das ist die Wahrheit. Das
sollten wir einmal öffentlich feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Jedes Mal die gleiche Leier!)


Für uns sind die Ziele dieses Gesetzes klar. Ich habe
eben schon gesagt, dass wir die Wahlfreiheit für die
Landwirte wollen. Wir wollen außerdem die Stärkung
der Forschung, und zwar nicht nur hinter verschlossenen
Labortüren, sondern auch bei der Anwendung und Pro-
duktorientierung. Damit bekommen unsere Pflanzen-
schützer die Chance – ich habe es vorhin schon einmal
gesagt –, den weltweiten Akteuren Paroli bieten zu kön-
nen.

Wir wollen außerdem, Frau Dr. Däubler-Gmelin, die
bisherige gute wissenschaftliche Position unserer Uni-
versitäten, unserer Institute und unserer Forschungsein-
richtungen auf dem Gebiet der Gentechnik vor allem für
die Zukunftschancen der Dritten Welt nutzen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du meine Güte! Das wird ja immer schlimmer! Es ist ja nicht zum Aushalten!)


Der FAO-Bericht hat nahezu wörtlich das wiederholt,
was wir vor einem halben Jahr in dem Antrag „Ver-
antwortung für die Sicherung der Welternährung über-
nehmen – Chancen der Grünen Gentechnik nutzen“ ge-
fordert haben. Wir haben damals genau das
vorgetragen, was Sie, Frau Dr. Däubler-Gmelin, eben
zitiert haben.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sie wissen doch, dass es nicht stimmt, Herr Heiderich!)


Es geht nicht um Forschung für die Cash Crops, sondern
um Forschung für die Produkte, die der Dritten Welt nut-
zen. Das können wir mit unseren Instituten leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Lesen Sie das bitte einmal nach!)


Wir wollen Deutschland als Innovationsstandort. Wir
wollen ihn deshalb mit den Regeln, die dieses Gesetz
enthält, nicht blockieren. Wir wollen vielmehr Innova-
tion möglich machen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511116400

Herr Kollege Herzog, ich bitte um Nachsicht. Da der

Redner das Rednerpult erst nach Überschreiten der ange-
meldeten Redezeit verlassen hat, sah ich keine Möglich-
keit mehr, durch das Zulassen einer Zwischenfrage die
Redezeit zu verlängern.

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-

fes auf Drucksache 15/3088 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist offenkundig nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft auf Drucksache 15/3209 zu dem Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „Wahlfreiheit für die Landwirte durch
Reinheit des Saatgutes sicherstellen“.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Jetzt schauen wir mal, wie die CDU/CSU stimmt!)


– Ich stelle ja fest, wie abgestimmt wird. – Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/2972
anzunehmen. Jetzt wird es spannend: Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
mit der Mehrheit des Hauses angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-

nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Betriebsprämien-
durchführungsgesetzes
– Drucksache 15/3046 –

(Erste Beratung 109. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss)

– Drucksache 15/3223 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Peter Bleser
Friedrich Ostendorff
Hans-Michael Goldmann

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht
2004 der Bundesregierung
– Drucksache 15/2457 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1511116500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede einige
Worte zum Gedenken an unseren so plötzlich und uner-
wartet verstorbenen Kollegen Matthias Weisheit aus-
sprechen. Ich bin der Auffassung: Über die Fraktions-
grenzen hinweg wurde Matthias Weisheit wegen seiner
offenen und ehrlichen Art und seines ausgleichenden
Charakters geschätzt. Seine Fachkompetenz und sein un-
ermüdlicher Einsatz waren unter anderem Gründe dafür,
dass ihm die SPD-Bundestagsfraktion das Vertrauen für
die verantwortungsvolle Position des agrar- und verbrau-
cherpolitischen Sprechers entgegengebracht hat. Durch
sein großes fachliches Engagement hat Matthias
Weisheit sehr viel Anerkennung bei Politikern, in den
Berufsverbänden und auch bei den Praktikern erworben.

Wir verabschieden heute das Betriebsprämiendurch-
führungsgesetz und bringen damit die EU-Agrarreform
einen ganz entscheidenden Schritt nach vorn. Ich weiß
ganz sicher, dass Matthias Weisheit diese zukunftsorien-
tierte Reform als das zentrale Thema dieser Legislatur-
periode betrachtet hat.


(Beifall im ganzen Hause)

Deshalb wünsche ich mir, dass wir, die Abgeordneten al-
ler Parteien, eine gute Regelung erzielen, auf die auch
Matthias stolz sein würde.


(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, diese Woche wird der Ver-

mittlungsausschuss tagen und die Reform der gemein-
samen Agrarpolitik behandeln. Wir stehen an einem his-
torischen Punkt. Uns muss heute bewusst sein, dass mit
diesen Reformpaketen die größte Veränderung in der
Agrarpolitik der Nachkriegszeit beschlossen wird. Im
Wesentlichen wird der Übergang der produktionsbezo-
genen Prämien hin zu einer einheitlichen Flächenprämie
geregelt. Außerdem wird die Produktion stärker an um-
welt- und tierschutzrechtliche Standards gekoppelt. Dies
ist natürlich auch im Sinne aller Verbraucherinnen und
Verbraucher.

Ich hoffe zutiefst, dass sich der Bundesrat und die
Bundesregierung auf einen gangbaren Weg einigen. Die
Zeichen stehen eigentlich nicht schlecht. In der Vergan-
genheit konnte durch die konstruktive Zusammenarbeit
des Sonderausschusses Landwirtschaft beim Bundesrat
bereits eine weit reichende Lösung gefunden werden.
Das erarbeitete Kombinationsmodell steht bei der
Mehrheit der Bundesländer nicht infrage. Ich setze da-
rauf, dass sich Bund und Länder bezüglich eines zeitli-
chen Übergangs zu einer einheitlichen Flächenprämie ei-
nigen können.

An dieser Stelle will ich ganz deutlich sagen, dass
nicht alle unionsregierten Bundesländer den Vorschlag
des Bundesrates, die Umlegung der Prämie vom Betrieb
auf die Fläche nach hinten zu verschieben, begrüßen.
Die Agrarministerin meines Bundeslandes Sachsen-
Anhalt, Frau Wernicke, hat geradezu davor gewarnt, an-
gesichts knapper werdender EU-Mittel im Agrarhaushalt
die Verschiebung des so genannten Gleitfluges vorzu-
nehmen. Ich teile ihre Auffassung. Ich meine, dass der
Aufschub insbesondere wachstumsfähige Betriebe eher
behindert als unterstützt.

Sachsen-Anhalt kritisiert weiter, dass der Bundesrat
die Milchprämie nicht sukzessive auf die Fläche umle-
gen will. Auch wir Bundespolitiker wollen die Milchprä-
mie eigentlich in den so genannten Gleitflug einbezie-
hen. Wünschenswert wäre, dass nicht nur Sachsen-
Anhalt, sondern auch andere Bundesländer die Gefahren
sehen, die eine Verzögerung für entwicklungsfähige
Milchviehbetriebe mit sich bringt. Ich möchte die Da-
men und Herren des Bundesrates von hier aus auffor-
dern, Vernunft walten zu lassen und die GAP-Reform
nicht zu blockieren.

Wir diskutieren heute nicht nur über die Reform der
gemeinsamen Agrarpolitik, sondern auch über den
Agrarbericht 2004. Wenn ich mir die Ergebnisse des
diesjährigen Agrarberichts ansehe, wird eines ganz klar:
Die Agrarreform ist mehr als notwendig. Es ist sogar
dringend erforderlich, dass landwirtschaftliche Produk-
tion endlich unternehmerischer Freiheit unterliegt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur ein Unternehmer, der sich den tatsächlichen Markt-
gegebenheiten anpassen kann, hat reale Chancen. Nun
wird es möglich sein, Prämiengelder in neue Betriebs-
zweige zu investieren. In Zukunft ist also verstärkt un-
ternehmerisches Kalkül gefragt.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf das
Erneuerbare-Energien-Gesetz verweisen, das wir am
2. April dieses Jahres hier verabschiedet haben. Auch
diesbezüglich richtet sich mein Appell ganz entschieden
an die Länder: Man muss mit der Blockadepolitik aufhö-
ren! Natürlich können Sie das Gesetz im Bundesrat ver-
zögern. Aber warum? Welchen Sinn hat Ihr Handeln an
dieser Stelle? Blockieren um der Blockade willen, ob-
wohl Sie wissen, dass – kurioserweise – auch Ihre Kolle-
ginnen und Kollegen in den Länderparlamenten bei-
spielsweise auf eine gute Regelung bezüglich der
Biomasseverwertung warten?


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Eine gute Frage!)


Dennoch hat die CDU/CSU-dominierte Mehrheit im
Bundesrat das Gesetz zurückgewiesen. Verhindern kön-
nen Sie es allerdings nicht. Was passiert aber? Welche
Konsequenz müssen wir ziehen? Die Landwirte müssen
länger auf den Bau ihrer Biogasanlagen warten. Die In-
vestitionen, die wir so dringend benötigen, verzögern Sie
auf sinnlose Weise.

Noch einmal zurück zur GAP-Reform. Wichtig ist,
dass wir ab 2005 eine selbstbestimmte landwirtschaftli-
che Produktion ermöglichen. Die Betriebe müssen im
Rahmen der Agrarreform die Möglichkeit haben, sich
neue, sinnvolle Einkommensquellen zu sichern. Der
Übergangsprozess der Prämiengestaltung wird natür-
lich für niemanden – das wissen wir alle hier im Hause –
ein Zuckerschlecken. Deshalb ist es unsere erste und
wichtigste Pflicht und Schuldigkeit, alle, aber auch
wirklich alle Chancen zu eröffnen, die unseren Bauern






(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)


auch in Zukunft ein einträgliches Wirtschaften ermögli-
chen.

Deshalb möchte ich Sie von der Opposition ganz ein-
dringlich bitten: Geben Sie sich einen Ruck und lassen
Sie uns dieses Gesetz heute gemeinsam verabschieden!

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511116600

Das Wort hat nun der Kollege Albert Deß, CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Die letzte Rede?)



Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1511116700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir debattieren heute über einen Gesetzentwurf,
der ein weiteres Beispiel für die plan- und ziellose Arbeit
dieser rot-grünen Bundesregierung – besser gesagt:
Nachbesserungsregierung – ist. Sinnvoller wäre es ge-
wesen, die EU-Agrarreformbeschlüsse vom Juni 2003
und April 2004 in einem Gesetzgebungsgang umzuset-
zen. Wir diskutieren heute also über die Änderung eines
Gesetzes, das noch gar nicht in Kraft ist.

Sinnvoll wäre es natürlich auch, in den Änderungsge-
setzentwurf die vom Bundesrat geforderten Verbesserun-
gen aufzunehmen, die jetzt Gegenstand des Vermitt-
lungsverfahrens sind. Die Bundesregierung weist auf
den von der EU vorgegebenen Umsetzungstermin
– 1. August 2004 – hin. Den Zeitdruck hätte sie vermei-
den können, wenn sie die Änderungswünsche des Bun-
desrates im vorliegenden Gesetzentwurf berücksichtigt
hätte, nämlich die lineare Kürzung der Prämien beim
Aufbau der nationalen Reserve für Härtefälle und Neu-
einsteiger um nur 1 Prozent statt 1,5 Prozent, die be-
triebsindividuelle Gewährung der Milchprämie bis 2013
statt 2007,


(Beifall bei der CDU/CSU)

den Beginn der Abschmelzung der Direktzahlungen in
eine einheitliche regionale Flächenprämie erst ab 2010
statt ab 2007,


(Beifall bei der CDU/CSU)

die Streichung der Einvernehmensregelung zugunsten
des Bundesumweltministeriums und


(Beifall bei der CDU/CSU)

keine nationale Verschärfung von Bewirtschaftungsstan-
dards im Rahmen von Cross Compliance. Wenn sie auf
diese Vorschläge eingegangen wäre, könnten wir dem
Gesetz zustimmen.

Ich bin auch der Meinung, dass beim vorliegenden
Änderungsgesetzentwurf zu Hopfen und Tabak die In-
teressen der Hopfen- und Tabakanbauer nicht entspre-
chend berücksichtigt worden sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Beim Hopfen ist zwar erreicht worden, dass die Erzeu-
gergemeinschaften weiterhin gewisse Prämienanteile er-
halten, aber die bayerischen Hopfenanbauer werden
trotzdem pro Hektar 60 Euro verlieren. Bei den Tabak-
anbauern wird es zu einer Existenzgefährdung vieler Be-
triebe kommen.

Wir reden heute auch über den Agrarbericht der Bun-
desregierung. Es ist schon bezeichnend, dass die Ein-
kommen der deutschen Bauern um 20 Prozent rück-
läufig sind und auch im laufenden Wirtschaftsjahr mit
weiteren dramatischen Einkommenseinbrüchen gerech-
net werden muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511116800

Ich hätte beinahe gesagt: Nun meldet sich der Kollege

Carstensen zu der vereinbarten Zwischenfrage.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Beabsichtigen Sie, eine solche Zwischenfrage zuzu-
lassen, Herr Kollege Deß?


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1511116900

Herr Präsident, es wäre eine Unterstellung gewesen,

wenn Sie das gesagt hätten.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Er war ein deutig überrascht!)

Darum war es gut, dass Sie es nicht getan haben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511117000

Dann ist es gut, dass ich es nicht gesagt habe.
Offenkundig wünscht der Redner, diese Zwischen-

frage zuzulassen. Bitte schön, Herr Kollege.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1511117100

Herr Präsident, ich lasse normalerweise mit mir nichts

vereinbaren.

(Heiterkeit)


Ich bin im Moment etwas unsicher: Darf ich die Frage
stellen, die ich gerne stellen möchte, Herr Präsident?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511117200

Ja gerne, zumal sonst der Eindruck entstehen könnte,

wir hätten auch den Inhalt der Frage miteinander verein-
bart.


(Heiterkeit)



Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1511117300

Das würde ich gern einmal mit Ihnen machen. Es

dient uns allen, wenn jemand etwas von Landwirtschaft
versteht.






(A) (C)



(D)


Peter H. Carstensen (Nordstrand)


Herr Kollege Deß, können Sie sagen, ob das der sei-

nerzeit von der Frau Künast erwartete Künast-Effekt
ist?


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1511117400

Ich habe bereits kurz nach Beginn der Regierungszeit

von Frau Künast als Bundeslandwirtschaftsministerin in
einer Rede angedeutet, dass die Agrarpolitik, die sie
konzipiert und in ersten Überlegungen dargestellt hat,
dazu führt, dass in den nächsten Jahren mit massivsten
Einkommensverlusten in der deutschen Landwirtschaft
zu rechnen ist. Ich habe damals auch ein internes Papier
der Arbeitsgruppe Landwirtschaft der SPD zitiert, in
dem berechnet worden ist, dass die Auswirkungen dieser
Agrarpolitik im Jahre 2003 zu Einkommensverlusten in
der deutschen Landwirtschaft von circa 3 Milliarden DM
führen. Genau das ist eingetroffen. Ich kann Ihre Frage
also mit Ja beantworten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Unglaublich! Das ist ja nicht zu fassen!)


Ich möchte den Rest meiner Redezeit nutzen, ein paar
persönliche Worte zu sagen. Wenn am 13. Juni ein ent-
sprechendes Wahlergebnis zustande kommt, ist dies
meine letzte Rede hier im Deutschen Bundestag.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war auch beim letzten Mal so!)


Ich darf seit fast 14 Jahren Mitglied dieses Hohen
Hauses sein und möchte einige Worte des Dankes aus-
sprechen. Als Erstes möchte ich mich bei den bayeri-
schen Wählerinnen und Wählern bedanken, die immer
wieder mit großer Mehrheit CSU gewählt haben,


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


und bei den Delegierten der CSU, die mich viermal mit
großer Mehrheit auf die Liste gesetzt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Namen!)


– Es kommen alle dran.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich möchte mich auch bei der CSU-Landesgruppe be-
danken, lieber Peter Ramsauer, in der ich in diesen
14 Jahren gut aufgehoben war und in der die Agrarpoli-
tik, die wir uns vorgestellt haben, immer Unterstützung
gefunden hat. Ich möchte mich auch bei der CDU/CSU-
Fraktion bedanken. Die stellvertretende Vorsitzende,
Frau Hasselmann, ist ja hier.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Hasselfeldt! – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Das wird teuer!)


– Frau Hasselfeldt, Entschuldigung. Dieser Fehler ist un-
verzeihlich. Frau Hasselfeldt, liebe Gerda, ich weiß ge-
nau, wie du heißt. Das war ein Versprecher.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte mich recht herzlich bei dir bedanken, dass du
dich als stellvertretende Fraktionsvorsitzende massiv für
die Anliegen der bäuerlichen Landwirtschaft einsetzt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist ja wie bei einer Ordensverleihung!)


Ich möchte mich auch bei allen Mitgliedern des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft bedanken, die ich in den letzten 14 Jahren er-
leben durfte. Zwei von ihnen möchte ich namentlich
nennen, und zwar Peter Harry Carstensen und Peter
Bleser, die seit 1990 ununterbrochen dabei sind, Peter
Harry Carstensen sogar schon etwas länger.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte mich aber auch bei der Gegenseite bedan-

ken. Wenn Matthias Weisheit heute hier wäre, hätte ich
mich bei ihm auf das Herzlichste bedankt. Ich habe mit
ihm über zehn Jahre lang hervorragend zusammenarbei-
ten dürfen. Welche Wertschätzung er bei uns erfahren
hat, sieht man auch daran, dass viele Mitglieder der
CDU/CSU-Fraktion bei seiner Trauerfeier anwesend
waren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Ich möchte mich bei Gerald Thalheim bedanken, mit
dem ich auch seit 1990 sehr gut zusammenarbeite. Zwi-
schen uns ist hoher gegenseitiger Respekt vorhanden.
Bedanken möchte ich mich auch bei der FDP. Ich nenne
Ulrich Heinrich deswegen stellvertretend, weil auch er
ab 1990 dabei war und mit uns zusammen gearbeitet hat.

Ich wünsche mir, dass die Interessen der bäuerlichen
Landwirtschaft in Deutschland in diesem Hause vertreten
werden und dass wir uns für die bäuerlichen Familien ein-
setzen. Denn ich bin der Meinung, dass die bäuerlichen
Familien Leistungsträger in unserer Gesellschaft sind.
Sie sind nicht, wie es manchmal dargestellt wird, eine
Bürde, sondern Leistungsträger.

Ich möchte mir abschließend noch wünschen, dass
man damit aufhört, unsere Bauern von früh bis abends
durch staatliche Reglementierungen zu bevormunden.
Sie haben ihren Beruf erlernt und wissen, wie man das
Land bewirtschaftet. Ich behaupte, dass wir in Deutsch-
land eine der in Mitteleuropa und weltweit nachhaltigs-
ten Landwirtschaften haben. Manchmal kommt es mir
aber so vor, als behandelte man die Landwirte so wie ei-
nen Autofahrer, auf dessen Beifahrersitz ein Polizist un-
unterbrochen darauf achtet, ob er die Verkehrsregeln ein-
hält.

Geben Sie unserer Landwirtschaft und unseren Bau-
ern die Luft zum Atmen. Unsere Bauern werden auch in
Zukunft wertvolle Nahrungsmittel für unsere Verbrau-
cherinnen und Verbraucher produzieren. Im Interesse
unserer Verbraucherinnen und Verbraucher wünsche ich
mir, dass wir nicht in eine Situation geraten, in der wir
vom Ausland so abhängig werden, wie wir es zurzeit
beim Stahl sind, und höchste Preise zahlen müssen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Energie?)


(B)







(A) (C)



(B) (D)


Albert Deß

Denn die Verbraucher müssten eine hohe Zeche zahlen,
wenn wir in Zukunft keine heimische Landwirtschaft
mehr hätten.

Ich wünsche Ihnen allen alles Gute und hoffe, dass
ich, wenn ich gewählt werde, die einen oder anderen von
Ihnen auch einmal in Brüssel oder Straßburg begrüßen
kann.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511117500

Herr Kollege Deß, da wir den viel beschworenen

Wählerwillen bekanntlich leider erst dann ganz genau
kennen, wenn die Stimmen am jeweiligen Wahlabend
ausgezählt sind, wissen wir alle nicht genau, ob dies tat-
sächlich Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag war.
Falls dies so gewesen sein sollte, möchte ich Ihnen auch
im Namen des Präsidiums herzlich für Ihre langjährige
Arbeit im Deutschen Bundestag danken, verbunden mit
dem Hinweis, dass Sie sich in einem anderen Parlament
vermutlich noch sehnsüchtig an die Großzügigkeit die-
ses Präsidiums bei der Bemessung der Redezeiten zu-
rückerinnern werden.


(Heiterkeit und Beifall)

Nun erteile ich der Kollegin Ulrike Höfken für

Bündnis 90/Die Grünen das Wort, die ohne die Aussicht
auf Wechsel in ein anderes Parlament mit vier Minuten
Redezeit auskommen muss.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511117600

Ich möchte mich zunächst einmal den Worten meiner

Kollegin Waltraud Wolff über Matthias Weisheit an-
schließen. Wir werden ihn auf jeden Fall in Erinnerung
behalten und oft, gerade in solchen Situationen wie
heute, an ihn denken.

Lieber Albert Deß, du hast dich zwar nicht von uns
verabschiedet, wir werden uns aber von dir verabschie-
den; so nachtragend sind wir nicht: Wir hoffen, dass du
in Brüssel keinen weiteren Unsinn machst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sehr verehrte Damen und Herren, jetzt zum eigentli-
chen Thema, der Agrarreform. Mit dem zweiten Paket
ist nun ein weiterer Meilenstein gesetzt worden. Die Re-
formen bei Tabak, Hopfen, Oliven und Baumwolle füh-
ren die Agrarreform weiter, die die unsinnige Förderung
von Produktionsmengen beendet und Agrarmittel im
Sinne der Marktwirtschaft, der Unterstützung gesell-
schaftlicher Leistungen der Landwirtschaft und der För-
derung ländlicher Räume gerechter und besser einsetzt.
Der Beschluss ist ein konsequenter Schritt im Rahmen
der Vorbereitung der nächsten WTO-Runde und ein
wichtiges Signal, um die Glaubwürdigkeit der EU ge-
genüber den Entwicklungsländern zu stärken.
Der Tabak ist im Übrigen ein gutes Beispiel für die
Notwendigkeit der Reformen. Die Tabakmarktordnung
umfasst immerhin 1 Milliarde Euro. Deutschland zahlt
250 Millionen Euro in diese Marktordnung ein; davon
fließt ein Bruchteil, nämlich 20 Millionen Euro, zurück.

Nun sagen gerade wir Grüne: Wir müssen in Europa
solidarisch sein; das ist nun einmal die tragende Säule
Europas. Aber diese Zahlungen sind nahezu kontrapro-
duktiv – das gilt für viele Elemente der bisherigen
Agrarpolitik –: Gerade beim Tabak kann es schon aus
gesundheitspolitischen Erwägungen nicht sein, dass ei-
nerseits durch Rauchen verursachte Krankheitskosten zu
tragen und im Jahr mehr als 110 000 Tote durch Rauchen
zu beklagen sind, gleichzeitig der Tabakanbau aber ge-
fördert wird.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Mit den Übergangsphasen bis 2009 – wir werden da-

rüber diskutieren – verbleibt den Landwirten genügend
Zeit für die Umstellung, auch in den Tabakregionen. Wir
wissen natürlich – das müssen sich alle immer wieder
gegenwärtig machen –, dass das bisherige Fördersystem
schlichtweg politisch gewollt war. Wir haben das zwar
immer kritisiert, aber man muss auch sehen: Für die Än-
derung der Politik brauchen wir die Unterstützung der
Landwirtschaft und die Unterstützung der entsprechenden
Regionen, damit sie diesen gravierenden Systemwechsel
schaffen können. Noch einmal bezogen auf das Beispiel
Tabak: Allein in Rheinland-Pfalz bauen rund
250 Bauern auf 2 040 Hektar Tabak an. Nun muss klar
sein: Ab 2010 ist die Konkurrenzfähigkeit auf dem Welt-
markt nicht mehr gegeben. Aber – auch das ist beispiel-
haft gemeint – mit den Umstrukturierungsmitteln sind die
Möglichkeiten der Entwicklung für die ländlichen Regio-
nen gegeben und damit auch die Möglichkeit der Anpas-
sung im Bereich der Arbeitsplätze.

Um noch einmal auf den Hopfen zu kommen: Minis-
ter Miller hat ja gerade diesen Entscheid gelobt; auch ich
sehe, dass das eine gute Entscheidung ist. Wir haben aus
Bayern ein positives Signal erfahren; darum ist es umso
merkwürdiger, dass Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, beim Hopfen Hü! sagen und bei der Um-
setzung der GAP-II-Beschlüsse schon wieder Hott! Ihr
Blockade- und Oppositionsfanatismus gefährdet die not-
wendigen Reformen, genauso wie Rauchen die Gesund-
heit gefährdet.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Gerade der Agrarbericht macht im Übrigen deutlich,
dass die bisherige EU-Agrarpolitik weder den Betrieben
noch den Landwirten noch den ländlichen Räumen Per-
spektiven für die Zukunft bietet.

Albert Deß, auch wenn das deine letzte Rede hier
war: Das, was du da gesagt hast, war Blödsinn;


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

denn die Berechnungen, die du aufgestellt hast, gründen
sich auf irgendeine Haushaltsfiktion, die niemals Reali-
tät geworden ist. Man muss diese Aussage von Albert






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Höfken

Deß also als Unterstützung dafür ansehen, dass wir mit
den Reformen zurande kommen müssen.

Meine Schlussbemerkung: Ich hoffe, dass wir morgen
in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses eine
Einigung finden werden hinsichtlich der Lösungen der
Probleme, die wir bei der Umsetzung der Systeme im
Bereich Milch, im Bereich der Schaf- und Ziegenhal-
tung, im Bereich der Mutterkuhhaltung und bei der Aus-
gestaltung der Cross-Compliance-Lösungen natürlich
haben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511117700

Frau Kollegin!


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511117800

Ich will aber auch ganz klar sagen: Um nach vorne zu

kommen, brauchen wir jetzt eine Rahmengesetzgebung
und klare Beschlüsse für die Zukunft, damit sich die
Wirtschaft darauf einstellen kann. Alles andere wäre
Chaos.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511117900

Das Wort hat nun der Kollege Hans-Michael

Goldmann, FDP-Fraktion.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1511118000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Auch die Gedanken der FDP-Fraktion und der
Kollegen, die hier sind, sind bei Matthias Weisheit. Wir
haben vorgestern an der Trauerfeier teilnehmen können.
Ich will sehr ausdrücklich betonen, dass wir in der Ar-
beitsphase, die jetzt vor uns liegt, Matthias Weisheit si-
cherlich intensiv vermissen werden. Wir werden uns da-
rum bemühen, in Verantwortung und in Sachlichkeit den
Geist, den er in seiner Arbeit immer zum Ausdruck ge-
bracht hat, nämlich den Geist der Zusammenarbeit, zu
realisieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute stehen drei
agrarpolitische Themen auf der Tagesordnung. Das
macht deutlich, welche besondere Bedeutung der Agrar-
bereich und der ländliche Raum insgesamt in der politi-
schen Arbeit hat. Die Grüne Gentechnik, über die wir
schon vorhin gesprochen haben, sehen wir Liberale als
eine zusätzliche Chance, um zum Beispiel den negativen
Tendenzen, die im Agrarbericht deutlich werden, entge-
genzutreten. Ich glaube, dass sich mit der Grünen Gen-
technik Chancen ergeben, die wir nutzen können, damit
der Agrarbericht für unsere unternehmerischen Land-
wirte nicht so negativ ausfällt, wie er ausgefallen ist, und
damit die Situation für die landwirtschaftlichen Betriebe
und für die Ernährungswirtschaft insgesamt ein Stück
gestärkt werden kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden heute Abend noch über das Tierarznei-
mittelgesetz reden. Auch dabei möchte ich betonen,
dass wir größten Wert darauf legen, ein Gesetz auf den
Weg zu bringen, das der Fachlichkeit in diesem Bereich
Rechnung trägt. Tierärzte wissen, was sie zu tun haben;
Bauern wissen, was sie zu tun haben. Dafür braucht es
nicht den Gesetzgeber, der bis ins kleinste Detail hinein
die Dinge regelt und einen bürokratischen Moloch auf-
baut. Das kann nicht die Lösung sein. Wir haben schon
jetzt viel zu viel Bürokratie in diesem Bereich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich auch noch etwas zum Bereich EU-

Agrarreform sagen. Frau Wolff, ich finde es wohltuend,
wie Sie hier Ihre Ausführungen vorgetragen haben. Sie
wissen, dass wir in dieser Hinsicht viel Konsens mit-
einander haben. Es kann aber nicht angehen, dass vorher
die Ausschussvorsitzende Roth in ihrer Rede – anschei-
nend mit Ihrer Unterstützung, Frau Wolff – den Opposi-
tionsfraktionen Scheinheiligkeit und Heuchelei vorhält.
Die Ausführungen von Frau Minister Künast haben mich
gerade im Hinblick auf die morgige Arbeitsnotwendig-
keit – wir müssen die EU-Agrarreform gemeinsam auf
den Weg bringen – sehr enttäuscht.


(Beifall bei der FDP)

Wir sind bereit, in vielfältiger Form Perspektiven in Zu-
sammenarbeit zu entwickeln. Wir nehmen aber nicht
hin, dass man uns hier Scheinheiligkeit und Heuchelei
vorhält und damit im Grunde genommen die Möglich-
keit der Zusammenarbeit zerstört. Das wollen wir nicht.

Lassen Sie mich, weil es hier angesprochen worden
ist, sehr konkret sagen, wie wir das Thema EU-Agrarre-
form angehen wollen. Wir sind stolz darauf, dass Ulrich
Heinrich, der aus der Kulturlandschaft Baden-Württem-
bergs kommt, die Kulturlandschaftsprämie erfunden
hat. Als ich vorgestern zur Trauerfeier nach Friedrichs-
hafen flog, habe ich diese Kulturlandschaft aus der Höhe
betrachtet. Ich habe dabei wieder das tiefe Empfinden
gehabt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir
die Landwirte in der Kulturlandschaft Deutschlands er-
halten und stützen. Deswegen sind wir für die Flächen-
prämie.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind für die Flächenprämie, weil sie dazu beiträgt,
dass der Landwirt unternehmerische Möglichkeiten an
den Standorten entwickelt, an denen es in Deutschland
notwendig ist.

Wir sind auch dafür, dass flexible Regelungen zum
Grünlanderhaltungsgebot auf den Weg gebracht wer-
den. Es gibt überhaupt keine Frage: Cross Compliance
kann nur eins zu eins umgesetzt werden und keinen Deut
darüber hinausgehen. Wir dürfen keine zusätzlichen na-
tionalen Belastungen für unsere landwirtschaftlichen Be-
triebe und unsere Bauern auf den Weg bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine Studie des Ifo-Instituts hat ganz besonders deut-

lich gemacht, dass wir gerade beim Agrardiesel und






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann

aufgrund der Ökosteuer Wettbewerbsverzerrungen
zum Nachteil der deutschen Landwirte im internationa-
len Wettbewerb haben. Genau das wollen wir nicht.


(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Wir wollen, dass unsere tüchtigen Landwirte ihre Fähig-
keiten entwickeln und voranbringen können. Ich sage
klipp und klar: Eine einvernehmliche Regelung mit
Herrn Trittin ist auf dem jetzigen Stand nicht mit uns zu
machen – Ende der Durchsage.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich kann für mich erklären: Ich werde mich keinen Deut
bewegen.

Wir könnten uns vorstellen, im Bereich der Milch
Nachbesserungen zu erreichen. Ich sage allerdings auch:
Ich könnte mir eine Linie der Vernunft, der Mitte, die
sich möglicherweise zwischen 2007 und 2013 einpendelt
– man könnte die beiden Zahlen auch zusammenzählen
und durch zwei teilen –, als eine gute Lösung vorstellen.
Es macht keinen Sinn, der Holzhammermethode von
Rot-Grün zu folgen. Es macht aus meiner Sicht aber
auch keinen Sinn, der Linie zu folgen, die die CDU/CSU
in besonderer Weise vorträgt, nämlich erst 2013 den
Gleitflug einzuleiten. Wir halten das nicht für vernünf-
tig, um die deutsche Landwirtschaft im internationalen
Wettbewerb zu stärken.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das gilt nur für die Milch!)


– Kollege Carstensen, mir sind die besonderen Probleme
der Milchwirtschaft bestens bekannt. Wie Sie wissen,
komme ich aus einer Region, in der es relativ viele
Milchbauern gibt. Ich war gestern bei einem landwirt-
schaftlichen Betrieb in der Nähe von Bautzen, dessen
landwirtschaftliche Fläche nebenbei bemerkt 8 400 Hek-
tar groß ist. Dieser wird durch die auf verschiedenen
Ebenen auf den Weg gebrachte Milchregelung ganz ein-
deutig leiden; das ist überhaupt keine Frage.

Ich denke aber auch: Wenn wir das Jahr 2010 im
Auge behalten und dafür sorgen, möglichst schnell zu ei-
ner gut ausgestatteten Grünlandprämie zu kommen,
dann werden wir diese Probleme auffangen können.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Woher soll denn das Geld genommen werden?)


– Lieber Kollege Carstensen, ich orientiere mich im Hin-
terkopf manchmal durchaus auch an den Beschlüssen
der CDU/CSU und erinnere nur an Husum. In diesem
Sinne wünsche ich uns eine Lösung der Probleme, die
für die Landwirtschaft anstehen.

Ich bin sehr entschieden der Auffassung: Wenn wir
zusammenarbeiten, werden wir für den ländlichen Raum
und für die Landwirtschaft viel erhalten können. In die-
sem Sinne sehen wir uns morgen früh um 9 Uhr wieder,
um dann diese Arbeit anzugehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Was ist morgen um 9 Uhr?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511118100

Das Wort hat nun die Kollegin Jella Teuchner, SPD-

Fraktion.


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1511118200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Auch ich darf
mich zunächst bei Albert Deß dafür bedanken, dass wir
trotz unterschiedlicher Auffassung in der Sache immer
offen, fair und ehrlich im Ausschuss miteinander ge-
kämpft haben und gut miteinander ausgekommen sind.
Lieber Albert, von daher wünsche ich dir für die Zukunft
alles Gute. Wir kommen ja beide aus Ostbayern: Ich bin
gespannt, wie du versuchen wirst, die Brüsseler Be-
schlüsse oder Richtlinien in der Öffentlichkeit darzustel-
len, und welche Diskussion wir dann führen werden,
wenn wir uns zukünftig irgendwo in Ostbayern treffen
werden. Auf diese Diskussionen freue ich mich schon.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Er gibt halbjährliche Berichte im Ausschuss ab!)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist ganz klar,
dass die Landwirte in Deutschland gute Lebensmittel
produzieren.


(Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ CSU])


Das 2003 veröffentlichte Ergebnis des Lebensmittelmo-
nitorings für das Jahr 2001 hat gezeigt, dass der weit
überwiegende Teil der Lebensmittel keine oder nur sehr
geringe Spuren von unerwünschten Stoffen enthält.
Überschreitungen der Höchstwerte wurden lediglich in
2,2 Prozent der Proben gefunden. Dieses Ergebnis
spricht für die Qualität der Lebensmittel, die unsere
Landwirte produzieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dieses Ergebnis spricht aber auch dafür, dass wir mit
unserer Politik für sichere Lebensmittel auf dem richti-
gen Weg sind und auf diesem richtigen Weg fortfahren
müssen. Die Landwirte produzieren nicht nur gute Le-
bensmittel, sie erbringen auch wichtige Leistungen für
die Allgemeinheit. Gleichzeitig stellen die Verbrauche-
rinnen und Verbraucher hohe Erwartungen sowohl an die
Produktqualität als auch an den Herstellungsprozess.
Diese Leistungen werden am Markt jedoch leider nicht
honoriert. Im Gegenteil: Der Agrarbericht zeigt deutlich,
dass es neben der Witterung gerade die schwachen
Märkte waren, die den Landwirten die Bilanz verhagelt
haben.Wir aber wollen, dass die Landwirte den Anforde-
rungen auch in Zukunft gerecht werden können. Das
heißt, wir müssen die Agrarförderung fortsetzen und auf
eine zukunftsfähige Basis stellen. Mit der EU-Agrar-
reform und der nationalen Umsetzung erreichen wir dies
bestimmt.






(A) (C)



(B) (D)


Jella Teuchner

In der letzten Woche haben viele Landwirte gegen die

niedrigen Milchpreise protestiert. Die Schuldigen waren
schnell ausgemacht: Der Lebensmittelhandel, insbeson-
dere die Discounter, verschleudern die Milch als Lock-
vogelangebot. Es ist richtig: Unter Einstandspreis dürfen
Lebensmittel nicht verkauft werden. Das Problem ist
aber, dass wir zu viel Milch haben. Erst ein Überangebot
an Milch schafft die Voraussetzungen für diesen Preis-
wettbewerb auf dem Rücken der Bauern. Hier müssen
wir ansetzen und den Bauern die Möglichkeit geben, auf
Marktentwicklungen zu reagieren.

Wir brauchen eine Agrarpolitik, die nicht mehr die
Produktion von Überschüssen fördert; denn eine solche
Agrarförderung wird nicht mehr akzeptiert. Darüber hi-
naus sollen sich die Landwirte am Markt und nicht an
der Förderung ausrichten. Förderung gibt es dafür, dass
die Landwirte Leistungen erbringen, die uns allen wich-
tig sind, die aber am Markt nicht honoriert werden. Des-
wegen ist es richtig, die Prämien von der Produktion zu
entkoppeln. Es ist auch richtig, sie an die Einhaltung der
Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit und zum Tier-
und Umweltschutz zu binden.

Auf fast 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten
Fläche wurden 2001 Agrarumweltmaßnahmen geför-
dert. Die Tendenz ist steigend. Der Flächenanteil des
ökologischen Landbaus ist im Jahre 2002 auf
4,1 Prozent angestiegen. Dies zeigt, dass der Einsatz für
eine besonders umweltfreundliche Landbewirtschaftung
auch bei den Landwirten eine hohe Akzeptanz genießt.
Wir wollen aber auch hier noch besser werden. Wir set-
zen das Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ fort,
weil die Ökobetriebe die Betriebe sind, die im
Wirtschaftsjahr 2002 und 2003 am besten abgeschnitten
haben. Der ökologische Landbau kann für noch mehr
Landwirte auch eine ökonomische Chance sein. Diese
werden wir ihnen geben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Lebensmittel aus dem ökologischen Landbau
sind seit der Einführung des Biosiegels aus keinem Su-
permarkt mehr wegzudenken. Es war also richtig, ein ge-
meinsames Siegel einzuführen, das auch vom Einzelhan-
del akzeptiert wird. Es zeigt sich, dass sich über
besondere Qualität – auch über die Prozessqualität – am
Markt durchaus höhere Preise durchsetzen lassen. Es ist
allerdings wichtig, dass die Verbraucherinnen und Ver-
braucher die Qualität der Produkte nachvollziehen kön-
nen. Dazu gehört eine verständliche und verlässliche
Kennzeichnung. Dazu gehört aber auch eine Ernäh-
rungsberatung, die verloren gegangenes Wissen um Er-
nährung und Lebensmittel wieder aufbaut. Dazu gehört
außerdem eine offene Kommunikation zwischen Her-
stellern und Kunden. Wir wollen deshalb weiterhin ein
Verbraucherinformationsgesetz, weil nur Vertrauen in
die Qualität höhere Preise ermöglichen kann.

Die Landwirte sollen ihre Produktion am Markt aus-
richten; das ist heute schon mehrfach angesprochen wor-
den. Dazu bedarf es zum einen einer Agrarpolitik, die
nicht die möglichst hohe Produktion von bestimmten
Produkten fördert, zum anderen Verbraucher, die auf Ba-
sis verlässlicher Informationen die Qualität honorieren.
Beides ist meiner Meinung nach möglich. Es bedarf ei-
ner Agrarpolitik, die die Qualität stärkt und das Ver-
trauen in die Landwirtschaft sicherstellt. Die EU-Agrar-
reform hat die richtigen Weichen gestellt. Es liegt also
an uns, die darin liegenden Chancen zu nutzen.

Gerade die Union hat schon bei der Agenda 2000 den
Untergang der deutschen Landwirtschaft heraufbe-
schworen. Leider machen Sie dies jetzt wieder. Ihre Vor-
schläge sind leider inhaltlich nicht so ausgestaltet, dass
sie verwertet werden können. Sie versuchen lediglich, zu
blockieren und nach Möglichkeit wenig zu ändern, ob-
wohl Sie wissen, dass die derzeitige Agrarpolitik vom
Steuerzahler infrage gestellt wird und in der WTO nicht
mehr lange durchsetzbar bleibt.

Helfen Sie mit, die Chancen der Agrarreform zu nut-
zen! Hören Sie auf, weiterhin zu blockieren! Viele Land-
wirte haben schon erkannt, dass eine Fortsetzung der
bisherigen Agrarpolitik nicht funktionieren kann. Ich
hoffe, Sie zeigen sich hier einmal etwas lernfähiger.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511118300

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun die Kollegin

Gitta Connemann das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1511118400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1996 gab

es in meinem Heimatkreis noch annähernd 2 700 land-
wirtschaftliche Betriebe. Inzwischen hat davon mehr als
ein Drittel aufgegeben. Wir liegen damit im traurigen
Trend des Betriebssterbens. Davon sind Bauernfami-
lien, Arbeitnehmer, Dörfer und Kulturlandschaften be-
troffen. Höfe verfallen, Flächen liegen brach und die
Talfahrt geht weiter. In den kommenden Jahren werden
etwa weitere 40 Prozent der noch verbliebenen Betriebe
aufgeben. Jede Betriebsaufgabe ist ein Schicksalsschlag;
denn Bauer und Landwirt zu sein ist nicht Beruf, son-
dern Berufung. Aber vielen bleibt nur dieser Ausweg;
denn sie stehen bereits jetzt mit dem Rücken zur Wand.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die deutschen Bauernfamilien haben damit gelebt,

ideologisch geächtet zu werden, aber sie können nicht
mehr mit einem Einkommen leben, das sich seit Jahren
im freien Fall befindet, und zwar ohne Aussicht auf Bes-
serung, ganz im Gegenteil – so der Agrarbericht der
Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Bei der Vorlage dieses Berichts hat die Ministerin von
dramatischen Zahlen gesprochen, eine aus meiner Sicht
noch geschönte Bezeichnung für den erneuten Einbruch.
Frau Kollegin Teuchner, wir reden die Landwirtschaft






(A) (C)



(B) (D)


Gitta Connemann

nicht kaputt, es geht ihr einfach hundsmiserabel
schlecht.


(Jella Teuchner [SPD]: Doch, Sie reden sie auch kaputt!)


Ein Landwirt erzielt zurzeit für seine Arbeitskraft
durchschnittlich nur noch 1 540 Euro brutto, 1 540 Euro
für Lebensunterhalt, soziale Sicherung, für Verzinsung
des Eigenkapitals und notwendige Zukunftsinvestitio-
nen. Damit verdient er als Betriebsinhaber ein Drittel
weniger als jeder gewerbliche Arbeiter, und das mit wei-
ter sinkender Tendenz. Ich bin mir sicher, dass eine sol-
che Einkommensentwicklung in allen anderen Wirt-
schaftsbereichen zu einem Massenaufschrei in dieser
Republik geführt hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da wollte ich Gewerkschafterin Teuchner sehen!)


Und hier? Ein großes Schweigen. Dabei muss gerade die
Bundesregierung handeln, wenn schon nicht aus Verant-
wortung für die deutsche Landwirtschaft, dann aber bitte
schön infolge eines gesetzlichen Auftrages.

Nach § 1 Landwirtschaftsgesetz ist die Bundesregie-
rung nämlich verpflichtet, durch politische Maßnahmen
eine Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen
Einkommensentwicklung sicherzustellen.


(Jella Teuchner [SPD]: Schauen Sie mal, was in den Landesverfassungen steht!)


Dieses Ziel ist bei mehr als 80 Prozent der Betriebe ver-
fehlt, und zwar deutlich. Damit ist die Bundesregierung
verpflichtet, politisch zu helfen, und sie könnte einiges
tun.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür brauchen wir die Reform!)


Sicher trägt sie keine Verantwortung für Ernteausfälle,
aber ihre Politik hat zu einem Anstieg der Produktions-
kosten geführt, der in Europa einmalig ist, Frau Kollegin
Höfken. Dies zeigt sich schon am Beispiel Agrardiesel.
Die Steuerbelastung deutscher Landwirte ist um ein
Vielfaches höher als die ihrer europäischen Nachbarn, in
der Spitze 25-mal so hoch. Nationale Alleingänge wie
zum Beispiel im Bereich von Immissionsschutz und
Umweltverträglichkeitsprüfung führen zu weiteren
Wettbewerbsnachteilen. So gelten kleinste Betriebe in
Deutschland als Betriebe im Sinne des Bundes-Immis-
sions-Schutzgesetzes. Ein Landwirt, der seinen Betrieb
erweitern will, hat sich damit Anforderungen zu stellen,
als plane er den Bau eines Chemiewerks.


(Jella Teuchner [SPD]: Quatsch!)

Diese Liste ließe sich fortführen. Ich nenne hier nur

praxisfremde Regelungen wie die Bestandsbuchverord-
nung oder die Viehverkehrsverordnung. Dies alles kostet
nicht nur Zeit und Nerven, sondern auch Geld, das den
Bauern fehlt, was sie im europäischen Wettbewerb zu-
rückwirft. Vor diesem Hintergrund ist es ein Schlag ins
Gesicht, wenn die Ministerin erklärt, dass sich die deut-
schen Bauern mehr am Markt orientieren müssen.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist eine Verhöhnung der Bauern!)


Wie denn, bitte schön? Leider droht aber nach dem
Agrarbericht noch mehr Gängelung seitens der Bundes-
regierung. Da erscheinen die Pläne zur Verbesserung der
Haltung von Mastkaninchen noch harmlos. Anders ist
dies schon bei dem geplanten Ackerbauverbot in Über-
schwemmungsgebieten. Auf einen Streich würden circa
900 000 Hektar kalt enteignet.

Der nun vorliegende Entwurf zur Novelle der Dünge-
verordnung ist an Regelungsdichte kaum zu überbieten.
Auf den Landwirt kommt damit ein noch nie gewesenes
Maß an Aufzeichnungspflichten zu. Verstöße gegen
diese Pflichten lösen nicht nur die Sanktionen nach der
Düngeverordnungen aus, im Rahmen der nationalen
Umsetzung von Cross Compliance würde dies auch zu
einer Kürzung der Prämie führen. Im Rahmen der natio-
nalen Umsetzung von Cross Compliance würde dies
auch zu einer Kürzung der Prämien führen. Eine solche
Mehrfachbestrafung ist in allen anderen Bereichen un-
denkbar, aber in der Landwirtschaft ist sie wie immer
möglich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Die Liste der Grausamkeiten ließe sich fortsetzen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist mir
unbegreiflich, warum Sie immer weiter draufsatteln
müssen und damit unseren Betrieben schaden. Ändern
Sie Ihre Politik und machen Sie damit die deutsche
Landwirtschaft wettbewerbsfähig! Dann kann sie auch
in Konkurrenz zu unseren neuen Nachbarn treten. Denn
von dieser Seite wird der Wettbewerb deutlich zuneh-
men. Unsere Agrarexporte in die neuen Beitrittsländer
sinken, während die Importe aus diesen Ländern in 2003
um 15 Prozent gestiegen sind.

In dem härter werdenden Wettbewerb sind den Bei-
trittsländern zahlreiche Ausnahmeregelungen einge-
räumt worden. Das ist bedenklich. Jedes fünfte Ei, das
zurzeit in Tschechien produziert wird, stammt aus Be-
trieben, die den EU-Standards im Tierschutz nicht genü-
gen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Richtig!)


Dem hat die Ministerin zugestimmt. Voraussetzung für
einen fairen Wettbewerb sind aber gleiche Standards für
Hygiene, Umwelt und Tierschutz. Es gibt also viel zu
tun. Ohne entsprechende Maßnahmen sind unsere Bau-
ern hilflos.

Die Ministerin hat vor kurzem gesagt, dass sie unsere
bäuerlichen Betriebe wieder in die Mitte der Gesell-
schaft holen will. Dies wollen und können unsere Be-
triebe selbst schaffen. Aber dann geben Sie ihnen bitte
auch die Chance dazu. Das setzt eine Änderung Ihrer Po-
litik voraus. Es geht nicht darum, zu verordnen, sondern
zu gestalten, und zwar gemeinsam.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Gitta Connemann

Lassen Sie uns doch einen Agrarvertrag mit und zu-

gunsten der Landwirtschaft und damit auch zugunsten
unseres Landes abschließen! Denn die Landwirtschaft
betrifft in existenzieller Weise die langfristige Lebens-
qualität aller Bürgerinnen und Bürger. Lassen Sie uns
unseren Bauern wieder eine Perspektive geben! Wir von
der CDU/CSU sind dazu bereit.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das ist doch schon wieder so eine Heuchelei! – Jella Teuchner [SPD]: Völlig perspektivlos!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511118500

Für die Bundesregierung hat nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Matthias Berninger das Wort.

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511118600


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als un-
längst der chinesische Ministerpräsident Deutschland
besuchte, reiste er zunächst nach Bayern. Im Bild war
ein stolz wie ein Honigkuchenpferd grinsender bayeri-
scher Ministerpräsident zu sehen,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

der mit dem chinesischen Besucher einen Bauernhof be-
sucht und dort eine Biogasanlage des Herrn Pellmeyer
besichtigt hat. Diese Biogasanlage ist vorbildlich und
Herr Pellmeyer ist uns allen als einer der Vorkämpfer für
das Erneuerbare-Energien-Gesetz gut bekannt.

Ich weiß auch, warum Sie sich so aufregen. Dieses
Gesetz, das vielen Landwirten in Deutschland ein zu-
sätzliches Einkommen bringen und dafür sorgen soll,
dass mit dem entsprechenden Know-how der Landwirt-
schaft die neuen Energieträger CO2-neutral mobilisiertwerden, wird von der Union im Bundesrat in schamloser
Weise blockiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511118700

Herr Staatssekretär, darf Ihnen der Kollege

Carstensen eine Zwischenfrage stellen?

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511118800


Selbstverständlich.


Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1511118900

Herr Staatssekretär, habe ich damals in dem „Spie-

gel“-Bericht richtig gelesen, dass es auch in Amerika
Leute gab, die wie Honigkuchenpferde grinsten, als Sie
dort die dicken Kinder besichtigt haben?


(Zurufe von der SPD: Was?)

Ma
Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511119000


Wir kennen Peter Harry Carstensen. Weil er angegrif-
fen wurde, versucht er jetzt, unter die Gürtellinie zu zie-
len. Lenken wir aber nicht von dem entscheidenden
Punkt ab, lieber Herr Kollege, dass Sie eine wesentliche
neue Einkommensquelle für die Landwirte in Deutsch-
land blockieren. Der Kollege Deß muss sich künftig
nicht mehr auf seine Hände setzen; denn er trägt – das
wissen wir aus privaten Gesprächen – eine solche Re-
form durchaus mit.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Bei Biomasse ja! Aber nicht bei Wind und Sonne!)


Lassen Sie mich eines festhalten: Frau Bundesminis-
terin Künast wird in der nächsten Sitzungswoche eine
Regierungserklärung zum Thema Kinder und Ernährung
abgeben. Es handelt sich dabei um ein ernst zu nehmen-
des Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist richtig!)


Wenn immer mehr 11-jährige, 12-jährige oder 13-jährige
Kinder an Altersdiabetes erkranken, dann ist es dieses
Thema wert, dass sich die Bundesregierung damit be-
schäftigt.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Und in Amerika?)


Wenn der gute Herr Kollege Carstensen meint, er müsse
sich in dieser, wie ich finde, unflätigen Weise über ent-
sprechende Berichte aufregen, dann soll er das machen.
Aber ein solcher Stil lässt uns sicherlich nicht zu Freun-
den werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zurück zum Agrarbericht. Im vergangenen Jahr
machte sich ein weiterer Vorbote der Klimaveränderung
bemerkbar. Es war ein Jahr absoluter Trockenheit. Ge-
rade die Landwirtschaft ist von den Witterungsbedin-
gungen abhängig. Die extreme Trockenheit hat die Ernte
in vielen Regionen verdorren lassen und zu erheblichen
Einnahmeausfällen geführt.

Frau Connemann hat angegeben, dass die Einkommen
der Landwirte kontinuierlich gesunken seien. Sie wis-
sen es besser, werte Kollegin. 2001/2002 sind die Ein-
kommen der Landwirte erheblich gewachsen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Auf niedrigstem Niveau)


– Stimmt, auf niedrigstem Niveau. Allerdings waren Sie
da noch an der Regierung.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: 2001?)

Deshalb sollten Sie lieber ganz still sein.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Folgendes
hinweisen: Wenn wir über Durchschnittszahlen reden,
dann müssen wir auch bedenken, dass die Einkommen in






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Matthias Berninger

der Landwirtschaft höchst ungleich verteilt sind. Einigen
landwirtschaftlichen Betrieben geht es noch schlechter,
als es die Durchschnittszahlen zum Ausdruck bringen,
während andere Betriebe relativ gut dastehen. Hier geht
es darum, mit der Reform der Agrarpolitik allen Land-
wirten eine Chance zu geben und Ungerechtigkeiten bei
der Verteilung von Agrarsubventionen zu nivellieren.
Aber auch diese Reform blockieren Sie im Bundesrat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Weit von der Wirklichkeit entfernt!)


Wir werden der Landwirtschaft künftig Bedingungen
schaffen, die sie marktnäher produzieren lässt. Es wird
keine Silomaisprämien mehr geben, die dazu führen,
dass die Bauern in bestimmten Regionen Mais anbauen,
obwohl der Boden den Anbau von anderen Pflanzen bes-
ser zuließe. Wir werden die Landwirte von vielen Bevor-
mundungen im Zusammenhang mit der Subventionie-
rung erlösen und ihnen mehr Freiheit geben. Das
unterstützt die FDP ebenso wie die Regierungsfraktio-
nen. Das wird übrigens auch – das ist spannend – von
einer Mehrheit der Länder mitgetragen.

Auffällig ist: Während hier ein Zerrbild der Landwirt-
schaft gezeichnet wird – man behauptet, dass alles den
Bach hinuntergehe –, trägt die Mehrheit der Länder im
Bundesrat regelmäßig die Beschlüsse des Deutschen
Bundestages mit. Ich erinnere nur daran, dass wir uns im
Dezember letzten Jahres auf eine Stärkung der ländli-
chen Räume verständigen und neue Fördergrundsätze
bei der Gemeinschaftsaufgabe verabschieden konnten.
Besonders leise sind Sie, wenn die unionsgeführten Bun-
desländer die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-
zes“ fordern. Wenn diese abgeschafft wird, dann wird
gerade das Einkommen der Kleinbauern ganz massiv
den Bach hinuntergehen. Auch hier wünsche ich mir von
Ihnen mehr Mut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Aber Sie haben mehrfach gekürzt!)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. In
der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Reform der Marktordnung in den Bereichen Hopfen,
Tabak und Oliven hat Herr Weisheit zum letzten Mal
hier geredet. Wir haben auf dem Weg zu seiner Beerdi-
gung mitbekommen, dass Matthias Weisheit in einer
Hopfenregion lebt. Alle haben gesagt, dass er jemand
gewesen ist, der sich intensiv mit den Landwirten aus-
einander gesetzt hat und dem die Familienbetriebe be-
sonders am Herzen gelegen haben. Darin sind wir uns
alle sicherlich einig. In seiner letzten Rede, die er in die-
sem Hause gehalten hat, hat er gesagt, dass unsere Re-
form von den Bauern in seiner Region mitgetragen
werde und dass sie ihnen eine Perspektive gebe. Die Re-
form ist also gar nicht so schlecht, wie hier immer getan
wird. Im Gegenteil: Sie gibt den Bauern eine langfristige
Perspektive. Ich bin stolz darauf, dass die Bundesrepu-
blik Deutschland eine Mehrheit in Europa für die Ab-
schaffung der Tabaksubventionen gewinnen konnte und
dass wir künftig auf sozialverträgliche Art und Weise die
ländlichen Räume unterstützen, statt den Anbau von Ta-
bak zu fördern, dessen Konsum zu erheblichen Gesund-
heitsgefährdungen führt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Güte unserer Agrarpolitik wird nicht durch die

Miesmacherei der CDU/CSU beeinträchtigt, sondern
durch die gemeinsam von Bundestag und Bundesrat ge-
tragenen Beschlüsse und die Mehrheitsbeschlüsse, die
wir auf europäischer Ebene durchsetzen, unter Beweis
gestellt. Auch der Deutsche Bauernverband gibt gegen-
über den Landesbauernverbänden immer mehr zu, dass
die Reform kommen wird. Die einzigen ewig gestrigen
Blockierer sitzen hier und werden demnächst teilweise
auch im Europaparlament vertreten sein.

Ich danke Ihnen herzlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511119100

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dr. Peter Jahr für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Peter Jahr (CDU):
Rede ID: ID1511119200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Staatssekretär Berninger, Ihr Vorwurf, die
CDU/CSU und die Liberalen blockierten die gemein-
same Reform der Agrarpolitik, geht völlig am Thema
vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben einen engen Zeitplan vorgegeben. Wir und die
Bundesländer sind bereit, die Verhandlungen im Ver-
mittlungsausschuss unter Einhaltung dieses Zeitplans
zum Erfolg zu führen und eine gemeinsame Agrarreform
zu beschließen und durchzusetzen. Natürlich machen
solche Äußerungen wie diejenigen, die Sie eben ge-
macht haben, die Sache nicht leichter. Aber wir stehen
natürlich dazu, dass man eine Reform, die man begon-
nen hat, auch zu Ende bringen muss. Bitte werfen Sie
uns nicht vor, dass wir nicht bereit sind, Verantwortung
für die deutsche Landwirtschaft zu übernehmen. Wir tun
das, auch wenn es uns bei Ihren Vorgaben manchmal
schwer fällt.

Bei vielen Gesetzen von Rot-Grün haben wir immer
wieder das Problem, dass nur die Überschrift gut ist,
aber nicht der Inhalt. Ich mag den Agrarbericht, denn er
enthält Zahlen und an denen kann man sich nicht so ein-
fach vorbeimogeln. Wenn der Haushalt die in Zahlen ge-
gossene Politik einer Regierung darstellt, dann ist der
Agrarbericht der Bundesregierung eine Art Zwischen-
prüfung. Wenn man den vorliegenden Bericht von seinen
lyrischen Elementen befreit, dann stellt man fest, dass
der Inhalt wenig schmeichelhaft ist. Das Positive steht
nur im Text und lässt sich zahlenmäßig nicht nachwei-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B)


Dr. Peter Jahr

Die Kollegin Connemann hat schon darauf hingewie-

sen, dass der Gewinn pro Arbeitskraft in den letzten Jah-
ren immer weiter gesunken ist. Das durchschnittliche
Einkommen der Betriebe beträgt zurzeit ungefähr
20 000 Euro im Jahr. Das entspricht 1 667 Euro im Mo-
nat. Diese Rechnung kann man natürlich fortführen:
Zieht man diesem Bruttowert noch die Sozialkosten ab,
dann kommt man auf einen Nettowert von circa
1 200 Euro im Monat. Irgendwann landen wir bei einem
Nettolohn von 5 Euro pro Stunde.

Diese Zahl sagt manchen nicht viel. Allerdings fragen
mich viele Landwirte: Braucht man bei solch einem Ein-
kommensniveau überhaupt noch einen Minister? 5 Euro
pro Stunde: Sieht so eine erfolgreiche Agrarwende aus?

Das nächste Beispiel ist die so genannte Vergleichs-
rechnung im Agrarbericht. Ich finde in jedem Agrarbe-
richt den Abschnitt „Vergleichsrechnung nach § 4 Land-
wirtschaftsgesetz“ ziemlich interessant. Manche mögen
schon vergessen haben: Nach § 4 des Landwirtschaftsge-
setzes ist ein Vergleich der Einkommenssituation mit an-
deren Wirtschaftszweigen vorzunehmen. Die Ergebnisse
sind zahlenmäßig so vernichtend, dass die Bundesregie-
rung einfach feststellt – ich zitiere aus Seite 33 dieses
Berichts –:

Die Vergleichsrechnung nach dem LwG ist heute
kaum noch aussagefähig. Gewerbliche Arbeitneh-
mer- und Tarifgruppen, die mit landwirtschaftlichen
Unternehmen uneingeschränkt vergleichbar sind,
gibt es nicht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schamlos!)

Das ist also eine Problemlösung à la Rot-Grün: Wenn
das Ergebnis zahlenmäßig nicht stimmt, dann wird es
einfach wegredigiert.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, in der Tat

arbeiten viele Landwirte de facto unter Mindestlohn.
Nur noch 17 Prozent der Betriebe erreichen eine den
Vergleichsansätzen entsprechende Faktorenentlohnung.

Noch ein drittes Beispiel. Abstand verhilft manchmal
zu neuem Weitblick. Auf Seite 41 dieses Berichts steht –
das erscheint mir sehr hilfreich –:

Als makroökonomischer Indikator für die Einkom-
mensentwicklung in der Landwirtschaft der EU-
Mitgliedstaaten wird u. a. die Nettowertschöpfung
je Arbeitskraft verwendet.

Aus diesem Zahlenmaterial gehen zwei interessante Tat-
sachen hervor. Erstens. Deutschland nimmt Platz neun in
der Europäischen Union der 15 ein, das heißt, wie mittler-
weile überall, hinteres Mittelfeld. Man könnte bezogen
auf Ihre Agrarpolitik auch sagen: Die Drei ist die Eins des
kleinen Mannes. Zweitens. Deutschland ist im Jahr 2003
in der Landwirtschaft bei der Nettowertschöpfung von
1995 angelangt. Meine Damen und Herren von Rot-
Grün, das heißt doch schlicht und ergreifend: Ihre Agrar-
politik, Ihre „berühmte“ Agrarwende, hat die deutsche
Landwirtschaft in das Jahr 1995 zurückgebombt.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das ist der Künast-Effekt! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Was ist denn das für ein militaristischer Ausdruck? Wir sind hier nicht im Krieg! Sprache verrät!)


– Angesichts des Kampfes gegen die Bürokratie, gegen
die Verwaltungsvorschriften und gegen andere rot-grüne
Segnungen, den unsere Landwirte täglich bestehen müs-
sen, kommt es manchmal zu kriegsähnlichen Erschei-
nungen.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Man muss die Wahrheit auch einmal ertragen können!)


Ich wiederhole: Gesetzeslyrik kann schön sein; aber
die Zahlen sprechen halt eine andere Sprache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese Zahlen habe ich mir nicht ausgedacht, sondern sie
stehen in Ihrem Agrarbericht. Fakt ist: Seit 1995 hat sich
für die deutschen Landwirte nichts bewegt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nächstes Mal kommt der mit einem Gewehr hier rein!)


Was ist zu tun? Erstens. Frau Ministerin, Herr Staats-
sekretär, nehmen Sie sich eine kurze Auszeit und lesen
Sie sich nochmals Ihren eigenen Ernährungs- und Agrar-
bericht durch!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Fühlen Sie sich, zumal im Teilbereich Land-
wirtschaft, endlich als Wirtschaftsministerium, das in ei-
ner gemeinsamen europäischen Agrarpolitik agiert!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens. Beseitigen Sie jegliche Wettbewerbsverzerrun-
gen innerhalb der Europäischen Union!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])


Denn Wettbewerbsverzerrungen bringen den Landwirten
direkte Einkommenseinbußen.

Noch einfacher: Setzen Sie alle EU-Richtlinien eins
zu eins um


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das wäre genau das Richtige!)


und verzichten Sie auf das deutsche Sahnehäubchen!

(Beifall bei der CDU/CSU)


Schaffen Sie endlich Wettbewerbsgleichheit und lassen
Sie die Landwirte endlich etwas unternehmen: frei, aner-
kannt, ohne Wettbewerbsverzerrungen! Wenn es um die
deutsche Landwirtschaft und wenn es um die deutschen
Bäuerinnen und Bauern geht, werden wir Sie, wenn es
sein muss, unterstützen.

Schlussbemerkung: Wenn der agrarpolitische Bericht
eine politische Zwischenprüfung darstellt, dann sind Sie,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, glatt durchge-
fallen. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie auch das
Examen vermasseln. Der Termin der Abschlussprüfung
steht übrigens schon fest: die Bundestagswahl 2006.

(D)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Peter Jahr

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511119300

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-

tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Betriebsprämi-
endurchführungsgesetzes auf Drucksache 15/3046. Der
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 15/3223, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Mehr-
heit angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich vom Platz zu er-
heben. – Wer stimmt gegen den Gesetzentwurf? – Wer
möchte sich der Stimme enthalten? – Damit ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 b: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 15/2457 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. – Darüber besteht offensichtlich Einvernehmen.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis c auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit

(9. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Erich G.
Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Für ein höheres Liberalisierungsniveau
beim Welthandel mit Dienstleistungen –
GATS-Verhandlungen zügig voranbringen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Dirk Niebel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Internationale Rechtssicherheit und trans-
parente Regeln für den Dienstleistungshan-
del – GATS-Verhandlungen voranbringen

– Drucksachen 15/1008, 15/1010, 15/3101 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit

(9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Erich G. Fritz, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern von
Cancun konstruktiv und zügig voranbringen
– Drucksachen 15/1567, 15/3222 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina
Reiche, Thomas Rachel, Günter Nooke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Qualitätssicherung im Bildungswesen und kul-
turelle Vielfalt bei GATS-Verhandlungen ga-
rantieren
– Drucksachen 15/1095, 15/1844 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrike Flach
Ulla Burchardt
Thomas Rachel
Ursula Sowa

Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat in seine
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3222 den An-
trag der FDP-Fraktion auf Drucksache 15/1931 mit dem
Titel „Doha-Runde bis 2005 zum Erfolg führen – Mehr
Entwicklung, Armutsbekämpfung und Wohlstand durch
Freihandel“ einbezogen. Über diesen Antrag soll jetzt
ebenfalls abschließend beraten werden. – Ich sehe, dass
Sie damit einverstanden sind. Dann ist so beschlossen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann haben wir das so verein-
bart.

Ich eröffne die Aussprache. Die Kollegin Skarpelis-
Sperk, die diese Debattenrunde für die SPD-Fraktion be-
ginnen sollte, hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Erich Fritz für
die CDU/CSU-Fraktion.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1511119400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte

heute gern auf Frau Skarpelis-Sperk geantwortet.
Cancun, die WTO-Ministerkonferenz, deren Schei-

tern allseits beklagt worden ist, liegt etwa ein halbes Jahr
zurück. Mittlerweile hat man den Eindruck: Es war viel-
leicht doch nicht nur ein Scheitern; es haben sich einige
neue Entwicklungen ergeben. Die Entwicklungsländer
sind organisationsfähig und artikulationsfähig geworden.
Der Zeitablauf hat dazu geführt, dass an vielen Stellen
ein Nachdenken über die Frage eingesetzt hat, ob man
die Tagesordnung in der Weise überfrachtet halten muss,
wie das der Fall war, ob es Dinge gibt, auf die man sich
konzentrieren kann, und ob man in den Bereichen, die
das Scheitern vor allem verursacht haben, zum Beispiel
im Agrarbereich, weiterkommen kann.






(A) (C)



(B) (D)


Erich G. Fritz

Jetzt stellen wir fest: Es kommt Bewegung in die

WTO-Verhandlungen. Nach der Enttäuschung sind jetzt
wieder ein Stück Aufbruch und der Wille, gemeinsam
weiterzukommen, zu spüren. Wirklich substanzielle
Fortschritte gibt es natürlich noch nicht, aber die Genfer
Verhandlungen haben gezeigt, dass an vielen Stellen
Beiträge geliefert werden. Die Europäer haben sich in
vielen Punkten bewegt und die USA haben deutlich si-
gnalisiert, dass sie zumindest an einer Fortsetzung der
multilateralen Verhandlungen interessiert sind und da-
ran, dass man in Doha zum Erfolg kommt. Das war ja
nicht immer klar, gab es doch nach den Verhandlungen
in Cancun deutliche Anzeichen dafür, dass man den Weg
über bilaterale Verhandlungen einschlägt, weil dieser at-
traktiver zu sein schien. Tatsächlich gibt es Bemühungen
um weitere bilaterale Abkommen, nicht nur vonseiten
der USA mit südamerikanischen Staaten, sondern zum
Beispiel auch vonseiten Australiens mit südostasiati-
schen Staaten.

Zum aktuellen Optimismus hat insbesondere die EU-
Initiative vom 9. Mai beigetragen. Sie beinhaltet ein
deutliches Signal für den Abbau von Agrarexportsub-
ventionen.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätte die Vorrednerin jetzt einmal bei der Debatte sein sollen!)


– Ja, aber die hätte das auch akzeptiert. Ich denke an eine
sehr interessante Anhörung, Frau Kollegin, die heute
Morgen von der CDU/CSU-Fraktion zu dieser Frage
durchgeführt wurde. Hier beschäftigte man sich auch mit
der fehlenden Kohärenz zwischen Entwicklungs- und
Agrarpolitik.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr gut!)

Es wurde ganz klar, dass diese ein Haupthindernis für
Fortschritte ist. Zugleich darf man nicht übersehen, dass
bei einem allgemeinen Abbau von Subventionen nicht
nur bei uns, sondern auch in manchen Entwicklungslän-
dern neue Verwerfungen entstehen. Deshalb muss man
natürlich sehr sorgfältig mit solchen Forderungen umge-
hen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Singapur-Themen haben sich als ein Hindernis

für Fortschritte herausgestellt. Mittlerweile sind die Eu-
ropäer zu der Überzeugung gekommen, dass man die
Singapur-Themen auf Handelserleichterungen und Re-
form der Zollverfahren reduzieren kann. Das ist gut so,
denn die Hoffnung der Europäer, man könne sich für
Kompromisse bei den ursprünglichen Themen ein sub-
stanzielles Entgegenkommen anderer Staaten einhan-
deln, hat sich als Illusion erwiesen. In Wirklichkeit geht
es also in den übrig gebliebenen Punkten nicht mehr um
Kompensationsgeschäfte, sondern darum, welche Vorbe-
dingungen für eine sich organisierende Dritte Welt, die
man wahrnehmen und ernst nehmen muss, erfüllt wer-
den können. Hier müssen Lösungen gefunden werden.

Bei den GATS-Verhandlungen in Genf hat sich in der
Zwischenzeit nichts bewegt. Das ist auch nicht verwun-
derlich, denn alle wissen, dass die Bereitschaft vieler
Länder, sich in den anderen in Doha vereinbarten Berei-
chen zu bewegen, ausschließlich davon abhängt, ob sich
bei den entscheidenden Fragen wie Agrarsubventionen
und Marktzugang vorher etwas tut. Da bestehen gute
Chancen. Immerhin hat Herr Zoellick angekündigt, dass
auch die Vereinigten Staaten über die Frage der Subven-
tionen, der Lebensmittelhilfe und der damit verbundenen
Stützung der eigenen Märkte sprechen werden.

Ob sich in den USA im Wahljahr etwas bewegen
lässt, werden wir sehen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das glauben Sie alleine!)


Es gibt immerhin Signale, dass es so viel Entgegenkom-
men gibt, dass im Juli in Genf der Prozess weitergeht
und im nächsten Jahr, wenn die Kommission neu bestellt
ist und die USA gewählt haben, die Verhandlungen er-
folgreich vorangebracht werden können und auf einer
der nächsten Ministerkonferenzen ein, wenn auch abge-
specktes, Ergebnis vorliegen wird. Durch weiteren Ab-
bau von Zöllen und weitere Liberalisierung rücken dann
die Wohlfahrtsgewinne, die wir uns alle aus diesen Ver-
handlungen erhoffen, in greifbare Nähe.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
in letzter Zeit den Abgeordneten regelmäßige Berichte
über den Stand der Verhandlungen zukommen lassen.
Dafür bedanken wir uns ausdrücklich. Wir sind aller-
dings der Meinung, dass das das Mindeste ist, was sie
tun kann. Wir würden uns darüber freuen, wenn die frü-
her geübte Praxis regelmäßiger Konsultationen der Re-
gierung mit den Parlamentsberichterstattern wieder auf-
genommen würde. Eines ist ganz klar: Es ist unsere
Aufgabe, über die bestehenden Netzwerke dazu beizu-
tragen, dass ein positives Klima für die weiteren Gesprä-
che entsteht. Das können Sie nicht alleine. Deshalb tun
Sie bitte diesen Schritt, auch wenn er ein wenig Arbeit
bereitet.

Es gibt also keinen Grund zum Pessimismus. Viel-
mehr gibt es Ansatzpunkte für einen neuen Optimismus.
Wir hoffen auch im Sinne der Entwicklung unserer Wirt-
schaft, dass die nächsten Verhandlungen erfolgreich sein
werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Präsidium bedankt sich für die punktgenaue Ein-
haltung der Redezeit.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das war beabsichtigt, Herr Präsident!)


Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gudrun Kopp für
die FDP-Fraktion.


(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!)



Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1511119500

Das kann gar nicht falsch sein.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind schon richtig, aber die Reihenfolge ist falsch!)







(A) (C)



(B) (D)


Gudrun Kopp

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-

men! Es ist auch in diesem Haus noch notwendig, darauf
hinzuweisen, dass Marktöffnung und Liberalisierung des
Welthandels zu mehr Wohlstand, mehr Bildung, mehr
Gesundheitsvorsorge und insgesamt besseren Lebens-
verhältnissen weltweit führen.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Globalisierung
birgt, bei aller Skepsis und bei allen negativen Seiten,
aus Sicht der Liberalen eindeutig mehr Chancen als Risi-
ken. Wir sollten diese Chancen unbedingt nutzen.

Der Kollege Fritz sprach eben davon, dass wir seit der
Doha-Konferenz im vergangenen September in Cancun
nicht sehr viel weitergekommen seien. Trotzdem be-
zeichnen Sie die Entwicklung als positiv. Ich denke, dass
im Augenblick auf allen zu beratenden Themenfeldern
die Politik der kleinen Schritte angesagt ist. Das ist auch
gut so. Wir kommen voran, wenn auch nicht mit der gro-
ßen Agenda, die wir uns vorgenommen haben. Sei’s
drum, es wird vorangehen. Ich glaube allerdings nicht,
dass es vor den Wahlen in den USA zu irgendwelchen
Ergebnissen kommen wird; so lange werden wir leider
abwarten müssen.

Wir haben auf der Tagesordnung unter anderem den
Welthandel mit Dienstleistungen, die so genannten
GATS-Verhandlungen. Wenn man sich einmal anschaut,
um welche Daten und Fakten es dabei geht, kann man
erkennen, wie wichtig der gesamte Bereich ist. Gemäß
der Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bank standen
im Jahr 2002 den Erlösen aus dem Dienstleistungsexport in
Höhe von 110 Milliarden Euro Ausgaben für Dienstleis-
tungsimporte in Höhe von 140 Milliarden Euro gegenüber.
Zwei Drittel der deutschen Direktinvestitionsbestände im
Ausland entfallen auf die Dienstleistungsbereiche. 1,6 Mil-
lionen Mitarbeiter erwirtschaften in 21 000 Dienstleistungs-
niederlassungen deutscher Unternehmen einen Umsatz von
640 Milliarden Euro im Jahr. Es geht also um eine riesen-
große Branche, die es zu liberalisieren gilt.

Nun geht es uns Liberalen – ich glaube, da sind wir
uns in diesem Haus auch einig – darum, dass für mehr
internationale Rechtssicherheit, Transparenz und fairere
Chancen für die Entwicklungsländer gesorgt wird. Dabei
ist es absolut notwendig, die Parlamente enger einzubin-
den.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Dies ist unabdingbar. Aber ich weiß auch, dass gerade
beim Thema Dienstleistungen in diesem Haus, insbeson-
dere bei Rot-Grün, Vorbehalte und Ängste bestehen und
die Tendenz, bestimmte Bereiche immer weiter abzu-
schotten. Deswegen verweise ich noch einmal darauf,
dass die Verpflichtungen in den GATS-Abkommen nur
auf bereits privatisierte, unstreitige Dienstleistungen zie-
len. Darüber ist zu verhandeln. Es geht nicht darum, in
hoheitliche Aufgaben einzugreifen, und auch nicht um
Eingriffe ins Einreise- oder Arbeitsgenehmigungsrecht
oder gar ins Tarifrecht. Ich betone ausdrücklich, dass es
um eine notwendige Öffnung in bestimmten Bereichen
geht, und zwar unter Wahrung der hoheitlichen Kompe-
tenzen, und nicht darum, –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511119600

Frau Kollegin!

Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1511119700

– Dienstleistungsbereiche quasi einem ungehinderten

Austausch zu öffnen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich wünsche mir, dass die Anträge der FDP-Bundes-
tagsfraktion von diesem Haus positiv beschieden werden
und dass die Doha-Runde recht bald erfolgreich abge-
schlossen werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511119800

Das Wort erhält nun die Kollegin Michaele Hustedt

für Bündnis 90/Die Grünen, die ich um Nachsicht dafür
bitte, dass sie nicht schon vorher das Wort bekommen
hat. Das kann hoffentlich durch einen leichten Zuschlag
bei der Redezeit kompensiert werden.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511119900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle

sind besorgt über das Scheitern von Cancun und wün-
schen uns natürlich einen Neuanfang für die Welthan-
delskonferenz. Es gibt aus meiner Sicht keine Alterna-
tive für ein multilaterales System. Wir als Exportnation
Nummer eins haben ein Interesse daran, nicht nur bilate-
rale und regional gültige Verträge abzuschließen, die
dazu führen würden, dass unsere Handelsbeziehungen,
wie man so schön sagt, einem Teller Spaghetti gleichen.
Aber auch die Entwicklungsländer haben in einem mul-
tilateralen System bessere Chancen, ihre Interessen
durchzusetzen, als im Falle von bilateralen Verträgen.

Nicht zuletzt gilt: Multilaterale Verhandlungen sind
transparenter und damit demokratischer als bilaterale
Verträge. Deswegen wünschen auch wir, dass der Faden
von Cancun wieder aufgenommen wird und dass es eine
Fortsetzung der Welthandelskonferenz gibt.

Man muss fragen: Woran ist Cancun gescheitert? Was
war das Problem? Meine Einschätzung ist – da gehe ich
mit Ihnen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, einiger-
maßen konform –, dass die Entwicklungsländer nicht
mehr die armen Länder sind, die nur „Bitte, bitte“ sagen.
Das Kräfteverhältnis hat sich ein Stück verschoben. Die
Entwicklungsländer besitzen einen Anteil am Welthan-
del von 30 Prozent. Deswegen wollen sie mitreden und
durchsetzen, dass diese Runde, wie versprochen, zu ei-
nem echten Benefit für sie wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Mit Blick auf die vorliegenden Anträge muss ich auf
drei Fehler aufmerksam machen, die gemacht wurden.
Die FDP spricht in ihrem Antrag davon, dass auch nach






(A) (C)



(B) (D)


Michaele Hustedt

dem Scheitern von Cancun die Singapur-Themen ganz
oben stehen sollen und dass eine Diskussion darüber mit
Vehemenz eingefordert werden soll. Diese Haltung wird
aber von mehr als 100 Staaten nicht akzeptiert, was eine
der Ursachen für das Scheitern von Cancun war. Dass
man auf der einen Seite sagt, man wünsche sich, dass die
WTO-Verhandlungen wieder in Gang kommen, und auf
der anderen Seite davon spricht, die Singapur-Themen
dürften nicht aufgegeben werden, ist nach meiner An-
sicht ein Fehler.

Hinzu kommt, dass die FDP in ihrem Antrag wieder
einmal viel zu schematisch argumentiert – das gilt auch
für Ihre Rede, Frau Kopp –, dass eine Öffnung der
Märkte immer positiv ist. Inzwischen sind wir in der
weltweiten Debatte viel weiter. Selbst die Weltbank und
der IWF räumen ein, dass es die asiatischen Tigerstaaten
richtig gemacht haben. Teilweise haben sie ihre Märkte
geöffnet und teilweise haben sie sie unter Beachtung ih-
rer eigenen wirtschaftlichen Interessen geschützt. Der
richtige Weg ist die schrittweise Öffnung zum Weltmarkt
und nicht der Weg, den Sie vorschlagen und der früher
Argentinien aufgedrängt wurde. Für Argentinien führte
dieser Weg ins Verderben.

Noch eine Bemerkung zum Antrag der CDU/CSU.
Herr Fritz, ich freue mich, dass Sie Gespräche mit Ihren
Kollegen aus dem Agrarausschuss führen. Das ist alle-
mal nötig. Im Ausschuss haben Ihre Kollegen den Vor-
schlag der EU eindeutig abgelehnt. Die Agrarlobby hat
nicht eingesehen – damit bin ich bei einem weiteren Feh-
ler, einem Fehler, den Europa auf der WTO-Konferenz
gemacht hat –, dass wir tatsächlich bereit sein müssen,
den Entwicklungsländern Zugeständnisse zu machen.
Ich weiß, Sie sehen das anders. Dem entgegne ich: Die
Kollegen, die vor mir gesprochen haben, hätten bei den
Gesprächen dabei sein müssen, um sich dementspre-
chend äußern zu können.

Die EU hat jetzt ein gutes Angebot gemacht. Sie hat
sehr deutlich gesagt, dass sie das Auslaufen aller Agrar-
subventionen akzeptiert, dass im Rahmen der Singapur-
Themen nur noch Verhandlungen über Handelserleichte-
rungen aufzunehmen sind und dass den bedürftigen Ent-
wicklungsländern zugestanden wird, dass sie im Rah-
men dieser Runde keinerlei Zollsenkungen vornehmen
müssen. Das ist ein sehr guter Vorschlag. Dass Frank-
reich so heftig dagegen protestiert, bestätigt mich in mei-
ner Auffassung, dass es ein ambitionierter Vorschlag ist.
Es ist ein echtes Angebot – das haben wir Grünen schon
vor Cancun gefordert –, mit dem die EU auf dem richti-
gen Weg ist. Die Bundesregierung hat sehr eindeutig die-
sen Schritt der EU-Kommission gefordert und unter-
stützt ihn. Ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird.

Unter dem Scheitern von Cancun – das ist das eigent-
liche Thema unserer heutigen Debatte – haben die
GATS-Verhandlungen gelitten, die im März zwar wieder
aufgenommen wurden, die aber noch keine große Dyna-
mik entfaltet haben, weil alles von materiellen Verhand-
lungsfortschritten auf dem Agrarsektor abhängig ge-
macht wird. Bei den GATS-Verhandlungen wird es keine
Fortschritte geben, wenn es nicht vonseiten der entwi-
ckelten Industrienationen auf WTO-Ebene bei den
Agrarverhandlungen echte Angebote gibt.

Ich möchte für uns Grüne sehr deutlich machen, dass
die Liberalisierung von Dienstleistungen für uns als
Exportnation natürlich ein wichtiger Schritt ist, wir uns
davon Chancen versprechen und wir deswegen diese
Verhandlungen unterstützen. Es gibt allerdings ein paar
Ausnahmen, über die wir im Bundestag schon mehrmals
diskutiert haben. Dazu gehören die Themen Wasser, Bil-
dung, Gesundheit und Kultur. Hierzu haben wir im Bun-
destag schon einige Anträge verabschiedet.

Abschließend exemplarisch zum Thema Kultur, weil
das in einigen vorliegenden Anträgen eine Rolle spielt.
Die CDU/CSU hat einen Antrag zur Qualitätssicherung
im Bildungswesen und zu kultureller Vielfalt gestellt. Im
Grunde haben Sie unseren Antrag fast wortwörtlich ab-
geschrieben. Damals haben Sie unseren Antrag abge-
lehnt. Sie haben gesagt, dass das eine Überschätzung des
Themas in der Öffentlichkeit bedeute.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das waren Falschmeldungen der Grünen!)


Wir freuen uns, dass Sie sich inzwischen ein Stück weit
bewegt haben.

Kultur ist ein Lebenselixier unserer Gesellschaft. Die
Erfolge des deutschen Films zeigen, dass es wichtig ist,
die eigene Geschichte zu erzählen. Sie zeigen auch, dass
die Vielfalt in der Europäischen Union erhalten bleiben
und man nicht riskieren sollte, dass alles plattgemacht
wird und es auch in Europa zu einer „Hollywoodisie-
rung“ kommt. Deswegen ist die Förderung, die Finanzie-
rung von Kultur durch uns kein Subventionstatbestand.
Wir möchten, dass das auch so bleibt. Wir wissen, die
EU hat hierzu keine Angebote gemacht. Ich möchte ganz
klar sagen: Diese und andere Bereiche sind für uns im
Rahmen von GATS nicht verhandelbar.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511120000

Frau Kollegin Hustedt, ich hoffe, wir beide sind jetzt

quitt

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Wir sind quitt!)

und Sie bitten mich nicht bei jeder weiteren Debatte,
später aufgerufen zu werden, um auf diese Weise die Re-
dezeit verlängert zu bekommen.

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält die
Kollegin Marion Seib das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.


Marion Seib (CSU):
Rede ID: ID1511120100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Gestern haben die verehrten Kollegen von Rot-Grün
im Ausschuss für Bildung und Forschung mit Begeiste-
rung über die UN-Weltdekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ diskutiert. Dabei geht es um eine






(A) (C)



(B) (D)


Marion Seib

möglichst weltumspannende Einbringung von politisch
korrekten Zielen wie dem Nachhaltigkeitsprinzip in alle
Ebenen der Bildung.

Die Frage sei erlaubt: Würden Sie private Bildungs-
programme aus Nicht-EU-Ländern, die dieses Ziel be-
fördern, in Deutschland zulassen oder ablehnen? Oder:
Würden Sie deutsche Bildungsprogramme, die dieses
Ziel verfolgen, am Export hindern? Bildungsdienstleis-
tungen sind in das GATS-Abkommen als einer von
zwölf Dienstleistungssektoren einbezogen worden. Öf-
fentliche Bildungsdienstleistungen sind aber von den
EU-Forderungen nicht erfasst.

Das hat endlich auch die SPD verstanden. Deshalb
begrüßen Sie in Ihrem zweiten Antrag, dass die Europäi-
sche Union in ihrer Verhandlungsposition die Bereiche
Bildung, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen von
den Liberalisierungsverhandlungen ausgenommen hat.
Dies ist dem ersten Antrag Ihrer Fraktion noch nicht zu
entnehmen. Bildung und der Handel mit Bildung sind,
wie sich am Beispiel der USA zeigt, ein bedeutsamer
volkswirtschaftlicher Faktor.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)

Allein die Vereinigten Staaten erwirtschaften jährlich
rund 10 Milliarden Dollar in diesem Bereich.

Wichtig ist, dass bewährte Strukturen der öffentlichen
Bildungs- und Kulturförderung in Deutschland durch
GATS nicht infrage gestellt werden.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)

Im Bildungsbereich ist die Verantwortung des Staates
besonders groß. Bildung gehört zu den Kernaufgaben ei-
ner demokratischen Gemeinschaft und darf nicht aus-
schließlich kommerziellen Gesichtspunkten untergeord-
net werden. Die Struktur des öffentlich finanzierten
Bildungssystems in Deutschland darf deshalb nicht ge-
nerell zur Disposition gestellt werden, auch nicht durch
eine Subventionsabbaudiskussion.

Das kann aber nicht bedeuten, dass wir ausländische
Bildungsanbieter subventionieren. Die Regeln zur Inlän-
derbehandlung gemäß Art. XII des GATS-Vertrages dür-
fen deshalb nicht so ausgelegt werden, dass eine gene-
relle Verpflichtung zur staatlichen Subventionierung
auch privater Anbieter entsteht. Die staatliche Finanzie-
rung von Bildungs- und Kultureinrichtungen in Deutsch-
land darf keine Subventionsansprüche ausländischer An-
bieter erzwingen.

Ausländische Bildungsanbieter sind uns aber sehr
willkommen. Sie tragen zu mehr Wettbewerb zwischen
den Bildungsanbietern und damit zu mehr Leistungsori-
entierung und zur Qualitätssteigerung bei. Das Gleiche
muss auch für die Kultur gelten. Die von den Bundeslän-
dern wahrgenommene Kulturhoheit darf durch das
GATS-Abkommen nicht beeinträchtigt werden.

Da ich gerade über die Länder spreche: Ich vermisse
auch in Ihrem neuen Antrag eine Aussage zur Rolle der
Länder. Diese hätten etwas mehr Aufmerksamkeit von
Ihnen verdient. Bildung ist und bleibt überwiegend Auf-
gabe der Länder.
Hinter GATS verbergen sich für die Bildungseinrich-
tungen nicht nur Risiken, sondern auch erhebliche
Chancen im In- und Ausland. Beispielsweise gibt es
über 16 000 Kooperationsvereinbarungen zwischen
deutschen Hochschulen und ausländischen Einrichtun-
gen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Entwicklung an-
halten und sich intensivieren wird.

Durch den Bologna-Prozess entsteht ein europäischer
Hochschulraum, der sich vor der Konkurrenz aus den
Vereinigten Staaten, Australien oder anderen Ländern
nicht zu verstecken braucht. Der Bologna-Prozess hat im
Hochschulbereich eine gewaltige Dynamik entwickelt.
Die Chancen, die sich durch ihn ergeben, gilt es auch in
den GATS-Verhandlungen umzusetzen und durch neue
Regelungen zu nutzen. Wir müssen dafür sorgen, dass
die Liberalisierungsverhandlungen so transparent wie
möglich gestaltet werden. Dazu gehört, dem Deutschen
Bundestag mit seinen Fachausschüssen und den Bundes-
ländern im Vorfeld der weiteren Verhandlungsstufen im
Rahmen des GATS Planungsstand, Veränderungen und
weitere Liberalisierungsangebote umfassend und recht-
zeitig zur Beratung vorzulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich appelliere an Sie, keine Ängste zu schüren. Wozu

das führt, haben wir bereits in Cancun erlebt. Wir kön-
nen uns der Globalisierung unserer Welt nicht entziehen.
Der einmal begonnene Weg ist nicht mehr umkehrbar.
Unsere Aufgabe ist es, unsere kulturellen und bildungs-
politischen Besonderheiten in diese Entwicklung einzu-
bringen und abzusichern. Lassen Sie uns diesen Weg ge-
meinsam gehen.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511120200

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-

schusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/
3101. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1008 mit
dem Titel „Für ein höheres Liberalisierungsniveau beim
Welthandel mit Dienstleistungen – GATS-Verhandlun-
gen zügig voranbringen“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit
angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/1010 mit dem Titel „Internationale
Rechtssicherheit und transparente Regeln für den
Dienstleistungshandel – GATS-Verhandlungen voran-
bringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Auch diese Be-
schlussempfehlung ist mit der Mehrheit des Hauses an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 10 b: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

15/3222. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antra-
ges der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1567
mit dem Titel „Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern
von Cancun konstruktiv und zügig voranbringen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrages der FDP-Fraktion auf Drucksache
15/1931 mit dem Titel „Doha-Runde bis 2005 zum Er-
folg führen – Mehr Entwicklung, Armutsbekämpfung
und Wohlstand durch Freihandel“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 10 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 15/1844 zum Antrag der
CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 15/1095 mit dem
Titel „Qualitätssicherung im Bildungswesen und kultu-
relle Vielfalt bei GATS-Verhandlungen garantieren“.
Der Ausschuss empfiehlt, diesen Antrag abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit gleicher
Mehrheit ist diese Beschlussempfehlung angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher,
Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Passagierdatensammlungen und Datenschutz-
rechte – EU-Abkommen mit den Vereinigten
Staaten von Amerika
– Drucksachen 15/2761, 15/3120 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Frank Hofmann (Volkach)

Beatrix Philipp
Silke Stokar von Neuforn
Ernst Burgbacher

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei
die FDP fünf Minuten erhalten soll. Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist das so vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf
Körper.

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1511120300


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von einem
bin ich überzeugt: Der internationale Terrorismus kann
nur gemeinsam von der internationalen Staatengemein-
schaft erfolgreich bekämpft werden. Aufklärung im Vor-
feld ist dabei unsere stärkste Waffe. Ein entscheidender
Aspekt der vorbeugenden Terrorismusbekämpfung ist
eben der Austausch von Daten, um möglichen Attentä-
tern von vornherein auf die Spur zu kommen und sie da-
ran zu hindern, terroristische Anschläge zu begehen.

Vor diesem Hintergrund ist auch das Verlangen der US-
Behörden zu sehen, bereits vor dem Start eines Passagier-
flugzeuges in Richtung der Vereinigten Staaten von Ame-
rika Zugriff auf Buchungsdaten der Passagiere zu erhal-
ten. Auch auf EU-Ebene sind unter dem Aspekt der
Grenzkontrolle mit der Einigung des Rates auf eine
Richtlinie zur Verpflichtung von Fluggesellschaften, be-
stimmte Passagierdaten vorab zu übermitteln, bereits
erste Schritte getan worden. Dabei dürfen selbstver-
ständlich Datenschutz und Bürgerrechte nicht außer
Acht bleiben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])


– Hören Sie doch einmal zu! – Das Lösungspaket der
Kommission – davon bin auch ich überzeugt – berück-
sichtigt ebendiese von mir erwähnten Rechte. Frau
Stokar, ich möchte auch sagen: Es ist ausgewogen.

Die Bundesregierung hat deshalb im Außenminister-
rat am 17. Mai dieses Jahres wie alle anderen EU-Mit-
gliedstaaten dem von der Europäischen Kommission
ausgehandelten Abkommen zugestimmt. Ebenso hat die
Kommission zwischenzeitlich ihren Beschluss zur An-
gemessenheitsfeststellung in Bezug auf die Verarbeitung
der so genannten PNR-Daten durch die US-Zoll- und
Grenzkontrollbehörden gefasst.

Meine Bewertung entspricht der aus unserer Debatte
vom 1. April dieses Jahres: Der gefundene Kompromiss
ist eindeutig dem Status quo vorzuziehen.


(Beifall bei der SPD)

Er entspricht in vielen Punkten dem Anliegen des Antra-
ges, das die Bundesregierung durchaus teilt, oder kommt
diesem, Herr Burgbacher, zumindest sehr nah. Entschei-
dend ist, dass die Bürgerrechte mit Abschluss des Passa-
gierdatenabkommens deutlich besser geschützt werden,
als dies für USA-Reisende bisher der Fall war.


(Beifall bei der SPD)

Der rechtliche Ausgangspunkt ist klar: Das Bundes-

datenschutzgesetz verlangt für Datenübermittlungen in
das nicht europäische Ausland ein angemessenes Daten-
schutzniveau; es verlangt keine Gleichwertigkeit. Die
Kommission hat in ihren Verhandlungen mit den USA
hinsichtlich der Behandlung dieser Daten Zusagen erhal-
ten, die unter Berücksichtigung des transatlantischen In-
teresses an einem verbesserten Informationsaustausch
ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleisten.

Wenn teilweise der Eindruck erweckt wird, die Kom-
mission habe einseitig den Wünschen der USA nachge-
geben, ist dies schlichtweg unzutreffend. Auch die USA
haben im Laufe der Verhandlungen Zugeständnisse ge-
macht. Hierbei sind zu nennen: die enge Beschränkung
des Verwendungszwecks – Herr Burgbacher, auch das ist






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper

von Ihnen eingefordert worden – auf die Bekämpfung
des Terrorismus und insbesondere der internationalen or-
ganisierten Kriminalität, die erhebliche Verkürzung der
Speicherungsdauer – auch das ist auf dem Verhandlungs-
wege erzielt worden –, der Verzicht auf bestimmte sen-
sible Daten sowie – auch das darf nicht vergessen wer-
den – die Einrichtung eines förmlichen Beschwerdever-
fahrens. Positiv zu bewerten ist auch, dass die Vereinig-
ten Staaten von Amerika einer fortlaufenden jährlichen
Evaluierung unter Beteiligung von EU-Datenschutzbe-
auftragten zugestimmt haben.

Wer für die Ablehnung des erreichten Ergebnisses
eintritt, muss realistische Alternativen benennen. Genau
das – das muss ich doch noch einmal sagen, Herr
Burgbacher – leistet der von Ihnen eingebrachte Antrag
aber nicht. Die Passagiere mit Reiseziel USA erwarten
jedoch nicht nur eine Problembeschreibung, sondern
auch eine tatsächliche Verbesserung der bisherigen, un-
befriedigenden Situation.

Sie sehen es nicht als Überraschung an, dass ich aus
der Sicht der Bundesregierung die Empfehlung abgebe,
diesen Antrag abzulehnen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Ich habe damit gerechnet!)


Ich biete jedoch weiterhin ausdrücklich den konstrukti-
ven Dialog über das an, was inhaltlich vereinbart worden
ist, und über die Befürchtungen, die Ihrerseits hier und
da artikuliert worden sind, die sich in der Praxis jedoch
nicht so darstellen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1511120400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Beatrix Philipp für

die CDU/CSU-Fraktion.

Beatrix Philipp (CDU):
Rede ID: ID1511120500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sel-

ten genug der Fall – das habe ich schon einmal gesagt –,
dass Herr Körper bzw. die Bundesregierung und wir uns
so einig sind. Aber in diesem Fall ist das so, weil es ver-
nünftig ist. Deswegen haben wir auch gar keine Schwie-
rigkeiten, das zum Ausdruck zu bringen.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das genügt schon!)


Wir sind uns darin einig – ich denke, das trifft auch für
die FDP zu –, dass nur eine gemeinsame Bekämpfung
des Terrorismus sinnvoll ist. Auch müsste es die Mei-
nung der FDP sein – das denke jedenfalls ich –, dass
dazu Aufklärung im Vorfeld nötig ist.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Auch richtig!)

Herr Burgbacher, zu dieser Aufklärung im Vorfeld gehört,
dass Daten ausgetauscht werden, zumal es sich – darauf
komme ich gleich noch im Einzelnen zu sprechen – um
solche Daten handelt, die jeder auch bisher schon immer
und ganz selbstverständlich abgegeben hat.
Es mutet schon ein wenig seltsam an, dass wir hier
darüber streiten, ob Fluggesellschaften, die Amerika an-
fliegen, Daten, die jeder Fluggast seit jeher angegeben
hat, an die amerikanischen Zoll- und Grenzschutzbehör-
den weitergeben dürfen, wenn zeitgleich, also in diesen
Stunden, in den USA nach sieben al-Qaida-Mitgliedern
gesucht wird und der Justizminister Ashcroft gestern vor
klaren und aktuellen Gefahren für Großereignisse in die-
sem Sommer gewarnt hat.

Auch der bayerische Innenminister – Herr Burgbacher,
das haben auch Sie sicherlich zur Kenntnis genommen –
hat diese Warnungen nicht nur sehr ernst genommen,
sondern auch von Warnungen an die deutsche Adresse
gesprochen. Das heißt, dass wir uns in einem nicht
neuen, aber doch sehr ernsten Abwägungsprozess befin-
den: zwischen dem, was an Prävention in Bezug auf die
Terrorismusbekämpfung zu leisten ist, und dem Daten-
schutz und den Bürgerrechten, die, wie Sie eben richti-
gerweise gesagt haben, zweifellos nicht außen vor blei-
ben dürfen.

Herr Staatssekretär Körper hat eben schon darauf hin-
gewiesen, dass der jetzt gefundene Kompromiss eine
deutliche Verbesserung ist, weil die Vereinigten Staaten
für die Erteilung der Landeerlaubnis seit März letzten
Jahres den unmittelbaren Zugriff auf die Buchungssys-
teme der betroffenen Fluggesellschaft verlangt haben. Er
ist ihnen – das wissen Sie alle –, ohne dass es eine
Rechtsgrundlage oder konkrete Absprachen gegeben
hat, gewährt worden.

Wäre das Abkommen, wie von der FDP beantragt, ge-
stoppt worden, wäre dieser regelungslose Zustand – das
finde ich jedenfalls sehr logisch – erhalten geblieben. Ich
sage noch einmal, weil ja fürchterliche Szenarien be-
schrieben wurden: Es handelt sich um völlig normale
und übliche Angaben, die für die Buchung eines Flug-
tickets auch von Ihnen, Herr Burgbacher, von mir und al-
len anderen erforderlich sind und die jeder Reisende
ganz selbstverständlich angibt. Dazu gehören zum Bei-
spiel: Name, Adresse, Abflugdaten und Rechnungsan-
schrift.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Für die Fluggesellschaft!)


Hinzu kommen Daten, die die Fluggesellschaft braucht,

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hautfarbe?)

wie – das würde ich mir zum Beispiel wünschen – die
Sitzplatznummer. Wenn, wie unlängst in Düsseldorf,
Seuchengefahren bestehen, wäre es sehr interessant zu
wissen, wer wo gesessen hat bzw. wer neben demjeni-
gen, der infektiös angekommen ist, gesessen hat.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollen zu Hause bleiben, wenn sie Angst haben!)


Das können wir im Moment nicht nachvollziehen. Viel-
leicht wäre es ja eine Anregung, dies demnächst zu re-
geln. Zu diesen Daten gehören auch die Nummer des
Flugscheins und so spektakuläre Angaben wie die Num-
mern der Gepäckanhänger. Wie gesagt, jeder kann sich






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

die 34 Daten, die gar nicht insgesamt erhoben werden,
anschauen. Dann wird er die Aufregung, die hier zum
Teil erzeugt wird, überhaupt nicht verstehen.

Nun geht es noch um so genannte sensible Daten, die
sofort gelöscht werden sollen. Das sind Daten, die gar
nicht erhoben werden, sondern die der Fluggast von sich
aus gerne kundtut, weil es vielleicht während des Fluges
wichtig werden kann:


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

wenn er behindert ist, wenn er besonderes Essen bevor-
zugt. Wer keine E-Mail-Adresse hat, braucht keine anzu-
geben; wer bar bezahlt hat, gibt keine Bankverbindung
an usw. Ich will das nicht weiter vertiefen.

Wie gesagt: Es ist ein Kompromiss. Sieben Punkte
scheinen mir besonders wichtig, weil sie eine deutliche
Verbesserung sind: Ich nenne erstens: eine ausdrückliche
Zweckbindung an die Bekämpfung des Terrorismus und
von damit im Zusammenhang stehenden Straftaten so-
wie an die Bekämpfung schwerer, länderübergreifender
Straftaten. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, weil Sie
mich das letzte Mal gefragt haben, habe ich natürlich
aufmerksam gelesen, wie Sie sich geäußert haben. Ge-
genüber der „Tagesschau“ haben Sie erklärt:

Abermillionen Daten landen künftig in amerikani-
schen Behörden, wo wir überhaupt nicht wissen,
was damit gemacht wird.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie die Verpflichtungs-
erklärung, von der wir eben gesprochen haben, über-
haupt lesen konnten.

Zweitens. Die Speicherfristen wurden auf drei Jahre
und sechs Monate verkürzt. Wenn wir von Prävention im
Bereich von Terrorismus reden, müssen wir zugestehen,
dass das eine absolut akzeptable Zeit ist.

Drittens. Für Fälle des Datenmissbrauchs durch Mit-
arbeiter der zuständigen US-Behörden sind in der Ver-
pflichtung strenge Sanktionen – von Entlassung bis hin
zu Freiheitsstrafen – vorgesehen; auch das ist ein Ver-
handlungsergebnis.

Viertens. Bis zur Einführung des Filter-und-Push-
Systems ist die sofortige Löschung der sensiblen Daten
zugesagt; darauf habe ich eben schon hingewiesen.

Fünftens. Die Beschwerdemöglichkeit der Passagiere
durch ihren nationalen Datenschützer oder direkt bei der
US-Zoll- und Grenzschutzbehörde ist ein weiteres Ver-
handlungsergebnis.

Sechstens. Die jährliche gemeinsame Überprüfung
der Umsetzung der Verpflichtung in den USA durch ein
EU-Team ist vereinbart.

Siebtens. Die Festschreibung des Grundsatzes der Ge-
genseitigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Verein-
barung. Da zeigt sich deutlich, dass es den Amerikanern
um ernsthafte und gemeinsame Terrorismusbekämpfung
geht, so wie der Herr Staatssekretär das eingangs er-
wähnt hat.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Lob!)

Nun stellt sich wirklich ernsthaft die Frage, welches
konkrete Ziel diejenigen verfolgen, die auch diesem
Kompromiss nicht zustimmen können; das ist mir nicht
erkennbar. Die Übermittlungsmethode hat sich schließ-
lich geändert: weg von Pull, hin zu Push. Ich bin opti-
mistisch, dass die Fluggesellschaften das sehr schnell
umsetzen werden, da die Verbesserung des Übermitt-
lungsverfahrens auch in ihrem eigenen Interesse liegt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in einem
zweiten Schritt strebt die EU-Kommission die Daten-
übertragung durch eine zentrale Einrichtung der EU an.
Auch diesen Schritt halte ich für richtig, weil er die
Datenübermittlung in einen hoheitlichen Zusammen-
hang stellt, bei dem sich die Partner auf Augenhöhe, wie
das heute so schön heißt, begegnen werden. Weiterhin
– wir haben das gestern in einem anderen Zusammen-
hang, im Rahmen einer Anhörung, besprochen – wird es
einen weltweiten Standard für die Fluggastdatenüber-
mittlung geben; die Initiative der ICAO, die auf einheit-
liche Datenschutzstandards abzielt, stellt auch im Inte-
resse unserer Luftverkehrswirtschaft einen Schritt zu
mehr Sicherheit in der Zukunft dar.

Auch das finde ich richtig: Wir haben zur Kenntnis
genommen, dass es sich bei diesem Kompromiss um
eine zunächst auf dreieinhalb Jahre befristete Zwischen-
lösung handelt.

Schließlich noch etwas ganz Praktisches: Diejenigen,
die glauben, dass sie mit einer Nichtanerkennung dieses
Kompromisses die deutschen Fluggäste schützen, erwei-
sen ihnen in Wahrheit einen Bärendienst. Denn die Da-
ten werden sie angeben müssen: Wenn sie das nicht hier
tun – bei der Buchung ihres Fluges, im Reisebüro oder
wo auch immer –, dann werden sie sich an einer langen
Schlange bei der Einreise anstellen und dort ihre Daten
abgeben müssen. Dass ihnen Letzteres angenehmer ist,
kann ich mir nicht vorstellen.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorher müssen sie die Schuhe ausziehen!)


Ferner gibt es, wie Sie wissen, eine privilegierte Behand-
lung von EU-Bürgern, trotz der heftigen Bemühungen
von Rot-Grün, Frau Stokar, Sand ins Getriebe zu
streuen.

Ich kann nur wiederholen, was ich bei der letzten De-
batte bereits ausgeführt habe: Wir haben den Daten-
schutz der USA überhaupt nicht zu bewerten. Es war
schon immer so, dass die Besucher eines Landes sich
den Gesetzen des Gastlandes unterzuordnen hatten.
Deswegen haben sie die entsprechenden Einreisebestim-
mungen zu akzeptieren.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die müssen auch angemessen sein! Die Angemessenheit, darum geht es!)


– Sehr richtig, Herr Winkler, und diese Angemessenheit
ist zweifellos gegeben. Ich weiß nicht, ob es Ihnen mög-
lich war, einmal genau zu schauen, wie dieser Kompro-
miss hinsichtlich der 34 Daten, auf die wir uns beziehen,
aussieht.






(A) (C)



(B) (D)


Beatrix Philipp

Unsere heutige Debatte kann sich also nur auf die auf

europäischer Seite rechtmäßig zu erhebenden und zu
übermittelnden Daten beziehen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass der
Datenschutz kein Selbstzweck ist, sondern es, wie Herr
Winkler eben richtigerweise gesagt hat, um eine Verhält-
nismäßigkeitsabwägung geht. Diese hat hier stattgefun-
den.

Selbst der Bundesbeauftragte für den Datenschutz
sagt, dass wir hier in Deutschland im Augenblick eine
derartige Normenvielfalt, ein solches Durcheinander im
Bereich des Datenschutzes haben, dass er die Zahl der
Regelungen deutlich reduzieren möchte – eine Hausauf-
gabe für die nächsten Jahre, denke ich einmal – und eine
Reform für dringend notwendig hält. Ich denke also,
dass auch im Bereich des Datenschutzes weniger oft
mehr wäre.


(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt aber ein schlechtes Ende!)


Meine Damen und Herren, es bleibt Ihr Problem, wie
Sie die unterschiedlichen Abstimmungen im Europäi-
schen Parlament und hier im Deutschen Bundestag unter
eine Mütze bekommen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Das ist wohl wahr! Da sind wir uns ja einmal einig!)


Jedenfalls werden Sie sich damit in nächster Zeit sicher-
lich ausführlich auseinander setzen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Abschluss möchte ich mich gerne noch an Herrn

Burgbacher wenden – vielleicht kann er gleich in seiner
Rede darauf eingehen –: Ich habe natürlich auch auf der
Homepage der FDP nachgeschaut. Dort heißt es:

Die EU-Kommission und die EU-Außenminister
haben den Ausverkauf der Bürgerrechte in Europa
eingeläutet.

Herr Burgbacher, es ist mir völlig schleierhaft, wie Sie
diese Aussage vor dem Hintergrund des eben hier er-
wähnten Kompromisses aufrechterhalten können. Ich
meine, dass der Wert der Europäischen Gemeinschaft
– nach dem Prinzip „Gemeinsam sind wir stark!“ –
durch die Verhandlungsleistung der EU-Kommission
eindrucksvoll bewiesen wurde.

Ich möchte mich im Namen der CDU/CSU-Fraktion
ausdrücklich dafür bedanken, dass es zu diesem Kom-
promiss gekommen ist. Ich wünsche mir, dass es weitere
gemeinsam erzielte Ergebnisse bei solchen internationa-
len Verhandlungen gibt, und bedauere natürlich aus-
drücklich, dass wir aus sachlichen Gründen dem Antrag
der FDP nicht zustimmen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511120600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
nach wie vor der FDP durchaus dankbar, dass sie diesen
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht hat. Ich
möchte das auch begründen. Das, was ich besonders kri-
tisiere, ist das Verfahren. Ohne den Antrag der FDP hät-
ten wir nicht die geringste Chance gehabt, über dieses
Thema, das von großem öffentlichen Interesse in den
Medien gewesen ist, hier im Deutschen Bundestag oder
im Innenausschuss überhaupt zu diskutieren. Höchstens
die ganz fleißigen Abgeordneten,


(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wir sind alle fleißig!)


die die Berichte der EU-Kommission von vorne bis hin-
ten durchlesen – ich weiß, dass das niemand schaffen
kann –, hätten irgendwann im Nachhinein bemerkt, dass
es dieses Abkommen gegeben hat.

An Frau Philipp gerichtet möchte ich sagen: Ihre
Hoffnung, dass es hier in irgendeiner Weise zu unter-
schiedlichem Abstimmungsverhalten bei Rot-Grün
kommt, ist völlig unbegründet. Wir haben Unterschiede
in der inhaltlichen Bewertung dieses Abkommens – das
ist in den Redebeiträgen hier und auch in der Diskussion
im Innenausschuss deutlich geworden –, aber auch die
FDP wird mittlerweile festgestellt haben, dass es heute
eigentlich gar nicht mehr um die Frage geht, ob wir ih-
rem Antrag zustimmen oder nicht. Der Antrag hat sich
erledigt, weil man gehandelt hat.

Ich möchte in meiner Kritik hier noch etwas zu dem
Verfahrensverlauf sagen. Am 17. Mai hat der Rat der
Außenminister den Vertragstext angenommen. Ich per-
sönlich kann noch nicht einmal eine Kritik an unserem
Bundesinnenminister anbringen; denn wie gesagt waren
es die Außenminister, die dem Vertragstext zugestimmt
haben. Im Zuge dieses Verfahrens hat das Europäische
Parlament mit einem Mehrheitsbeschluss die Kritik an
diesem Verfahren noch einmal inhaltlich begründet und
sehr kluge Änderungsanträge gemacht. In diesen Ände-
rungsanträgen hat es noch einmal deutlich gemacht, dass
es zwischen dem berechtigten Sicherheitsinteresse der
USA und dem Datenschutz einen besseren Kompromiss
hätte geben können.

Dies war eine Mehrheitsentscheidung des Europäi-
schen Parlaments, das ein Gutachtenverfahren ange-
strengt hat, um die Frage zu stellen, ob das Abkommen
mit EG-Recht, also mit dem europäischen Datenschutz-
recht, vereinbar ist. Ich meine, es wäre im Sinne einer
bürgerfreundlichen Politik gewesen, wenn die Außen-
und die Innenminister einfach abgewartet, den Mehr-
heitsbeschluss des Europäischen Parlaments respektiert
und dieses Gutachtenverfahren zugelassen hätten. Dann
müssten wir uns hier und heute nicht über die Angemes-
senheit und Rechtmäßigkeit dieses Abkommens unter-
halten.






(A) (C)



(B) (D)


Silke Stokar von Neuforn


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Wir sind jetzt in der Situation, dass das Europäische

Parlament regelrecht ausgebootet ist. Das Europäische
Parlament müsste nämlich innerhalb von zwei Monaten
nach dem Beschluss des Rates eine Überprüfung vor
dem Europäischen Gerichtshof beantragen. Dies ginge
nur noch mit einer Sondersitzung, weil das Europäische
Parlament erst am 19. Juli 2004, dann also in neuer Zu-
sammensetzung, wieder zusammentritt. Ich möchte hier
auch sagen, dass ich die Position der Grünen im Europäi-
schen Parlament, die sich im Moment für die Einberu-
fung einer außerordentlichen Sitzung des Rechtsaus-
schusses einsetzen, ausdrücklich unterstütze.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr gut!)

Ich weiß, dass auch Europaabgeordnete der Liberalen

an unserer Seite sind.
Es gibt in diesem europäischen Verfahren ein ganz

klares Demokratiedefizit. Ich denke, es würde ein gutes
Bild abgeben, wenn die Regierungskommission – sie
kann das entscheiden, weil es noch keine europäische
Verfassung gibt – bereit wäre, eine solche Überprüfung
zuzulassen. Ich kritisiere, dass der Vertragstext im Wis-
sen um die Auseinandersetzungen im Europäischen Par-
lament in dieser Eile unterzeichnet worden ist


(Beifall des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und wir als Parlamentarier dadurch handlungsunfähig
geworden sind. Ich denke, dass wir alle ein Interesse da-
ran haben sollten, die europäische Innen- und Rechtspo-
litik wieder stärker an nationale Parlamente und an das
Europäische Parlament zu koppeln. Dann müssten wir
hier auch nicht solche Auseinandersetzungen über Ver-
fahren führen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511120700

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1511120800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission einen
Vertrag mit den USA vereinbart. Demnach werden von
Passagieren, die die Vereinigten Staaten an- oder über-
fliegen, 30 und mehr persönliche Daten übermittelt. Das
hat meines Erachtens weder etwas mit Bürgerrechten
noch mit Datenschutz zu tun.

Die USA wollen den gläsernen Bürger oder Reisen-
den und die EU-Kommission ist ihnen dabei zu Diens-
ten. Es geht um den größten Datendeal der Neuzeit. Die
PDS lehnt dies ab. Die Verhandlungen zwischen der EU-
Kommission und den USA liefen schon länger und sie
waren von Anfang an umstritten. Das EU-Parlament hat
vor den Folgen eines solchen Vertrages gewarnt und mit
Mehrheit beschlossen, vor dem Europäischen Gerichts-
hof dagegen zu klagen.

Umso unglaublicher – wenn es denn stimmt – finde
ich das, was im „Spiegel“ steht, nämlich dass Bundesin-
nenminister Schily schon vorab, auch vor den Kompro-
missverhandlungen, ebendiesem Datendeal zugestimmt
hat und dass der Bundesaußenminister, wie von meiner
Vorrednerin beschrieben, hier Tatsachen geschaffen hat.
Deshalb finde ich auch: Das Problem ist eine echte Chef-
sache. Entweder haben die beiden Minister eigenmächtig
gehandelt – dann ist es höchste Zeit für ein Kanzlerwort –
oder aber sie haben in Absprache agiert; dann steht die
gesamte rot-grüne Regierung am Pranger. Liebe Kolle-
gin Stokar von Neuforn, dann hilft auch das „einerseits“
oder „andererseits“ nichts, weil die Tatsachen auch
durch Regierungsmitglieder der Bundesrepublik ge-
schaffen wurden.


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Ja, auch durch Fischer!)


Nun komme ich zu den Versuchen, den Datenschutz-
bruch zu verharmlosen. Die USA hätten sich verpflich-
tet, heißt es, die Daten nur drei Jahre zu speichern und
dann zu löschen. Ich finde, wer im Internetzeitalter und
angesichts anhaltender Wortbrüche an solche Verspre-
chen glaubt, der glaubt wirklich an den Weihnachts-
mann. Außerdem hätten sich die USA verpflichtet, die
EU zu informieren, falls sie gesammelte Daten an Dritte
weitergeben. Das ist aber nichts anderes als ein Freibrief
zum internationalen und geschäftstüchtigen Handel mit
persönlichen Daten von Bürgerinnen und Bürgern. Man
muss dieses Geschäft lediglich anzeigen – als ginge es
um die Eröffnung einer neuen Imbissbude. Wir reden
hier aber nicht über Würstchen oder Döner, sondern es
geht um ein verbrieftes Grundrecht, das der informatio-
nellen Selbstbestimmung. Deshalb hat die FDP-Fraktion
Recht, wenn sie hier im Bundestag mit ihrem Antrag die
gelbe Karte gezeigt hat. Ich gebe für die PDS noch die
rote Karte dazu.

Dass die Opposition zur Rechten mit Ausnahme der
FDP mit all dem kein Problem hat, wird niemanden ver-
wundern. Ginge es nach Ihnen, dann gäbe es keinen Da-
tenschutz mehr, das Demonstrationsrecht wäre längst
kastriert und wir bekämen einen Überwachungsstaat
neuer Prägung. Wenn es dafür eines Beleges bedurft
hätte, so wurde er im Zuge der Einwanderungsdebatte
geliefert. CDU und CSU haben aus einer Zuwande-
rungs- und Asyldebatte inzwischen eine Polizei- und Ge-
heimdienstdebatte gemacht.


(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Du lieber Gott!)

Das hilft der Bundesrepublik nicht und das vergiftet das
gesellschaftliche Klima. Das hat auch nichts mit einer
modern verfassten Europäischen Union zu tun. Ich sage
Ihnen: Das hilft Ihnen auch nicht im notwendigen
Kampf gegen den Terror.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511120900

Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann, SPD-Frak-

tion.






(A) (C)



(B) (D)



Frank Hofmann (SPD):
Rede ID: ID1511121000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Man könnte nach der letzten
Rede sprachlos sein, aber ich bin es nicht geworden. Ich
möchte mich auch nicht mehr auf das beziehen, was wir
im Ausschuss und in der ersten Lesung besprochen ha-
ben. Mir geht es um einen anderen Punkt, nämlich um
den Hintergrund.

Die Auseinandersetzung, die wir führen, ist eigentlich
eine Auseinandersetzung um unterschiedliche Philoso-
phien im Bereich der Sicherheit und des Datenschutzes.
Als wir im Dezember des letzten Jahres gelesen haben,
was mit den Daten passieren soll, da ging es mir wie vie-
len anderen so, dass wir wenig Verständnis dafür hatten.
Die Frage war: Warum sollen meine Daten an die USA
weitergegeben werden? Das ist aber nur unsere Sicht-
weise.

Herr Burgbacher, versetzen Sie sich einmal in die
Lage der US-Amerikaner und beziehen Sie deren kultu-
rellen Hintergrund und deren Befürchtungen ein: Sie
werden feststellen, dass das Verhandlungsergebnis – auch
wenn es nicht mein und sicherlich auch nicht Ihr Wunsch-
ergebnis ist – der Kompromiss von autarken Staaten und
Staatengemeinschaften ist. Inhaltlich finden sich darin
unsere Grundzüge von Sicherheitsphilosophie und Da-
tenschutzrecht wieder. Es ist nicht mein Wunschergeb-
nis, aber es ist ein realistisches Ergebnis, das aus meiner
Sicht den Datenschutz angemessen einbezieht.

Ich wünsche und hoffe, dass sich in Zukunft die EU
und das Heimatschutzministerium der USA in Konflikt-
fällen zusammensetzen, so wie es vorgesehen ist, um im
beiderseitigen Einverständnis zu besseren Lösungen zu
kommen. Der Weg dafür ist vorgezeichnet. Es wird ein
internationales Abkommen geben. Wir müssen darauf
hinarbeiten, dass wir mit diesem internationalen Abkom-
men weiterkommen, und dabei unsere Interessen und
unsere Datenschutz- und Sicherheitsphilosophie vertre-
ten.

Ihr Antrag hat bei uns durchaus zu mehr Sensibilität
geführt, aber wir können mit dem Ergebnis der EU-
Kommission durchaus gut leben – genauso wie die Flug-
gesellschaften und die Passagiere damit leben können –,
weil es Rechtssicherheit gibt. Was die internationalen
Standards betrifft, werden wir in Zukunft mitarbeiten
und aufpassen, dass sich unsere Sicherheitsphilosophien
darin wiederfinden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511121100

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernst

Burgbacher, FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1511121200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Lieber Kollege Hofmann, ich möchte mich bei Ih-
nen ausdrücklich für die nachdenklichen Worte bedan-
ken. Frau Kollegin Philipp hat vorhin gesagt, es handele
sich um einen Abwägungsprozess. Es ist wirklich ein
Abwägungsprozess. Wir alle haben das Interesse, Terro-
rismus zu bekämpfen. Darin sind wir uns alle in diesem
Hause einig. Aber wir von der FDP wehren uns dagegen,
dass unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung
Datenschutz und Persönlichkeitsrechte geschleift wer-
den. Das werden wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der FDP)

Liebe Kollegin Philipp, Sie haben sich stets darauf

bezogen, was für die Zukunft geplant ist. Wir halten uns
an das, was im Augenblick vereinbart ist. Mit dieser Lö-
sung können wir nicht leben, um das klar zu sagen, so-
wohl aus inhaltlichen als auch formalen Gründen.

Die EU-Kommission hat gegen den Widerstand des
Europäischen Parlaments diese Angemessenheitsent-
scheidung in Verbindung mit dem „light agreement“ ge-
troffen. Wir wollen den Abschluss eines internationa-
len Übereinkommens mit klar festgelegten
Grundsätzen, das auf Gegenseitigkeit beruht. Was in die
eine Richtung gilt, muss in die andere Richtung genauso
gelten.


(Beifall bei der FDP)

Sie wissen doch ganz genau, dass es Vorbehalte von

allen Seiten gab. Die EU-Kommission selbst hat im Juni
2002 Vorbehalte geäußert. Auf eine Kleine Anfrage mei-
ner Fraktion hat die Bundesregierung im Januar geant-
wortet – ich zitiere –:

Im Hinblick auf den Datenschutz schließt sich die
Bundesregierung der Bewertung durch die Europäi-
sche Kommission an. Die Europäische Kommis-
sion hat im Juni 2002 zum Online-Zugriff auf PNR-
Daten festgestellt, dass die entsprechende Ver-
pflichtung der Fluggesellschaften mit den infolge
der EG-Datenschutzrichtlinie 96/46/EG erlassenen
Datenschutzgesetzen der EU-Mitgliedstaaten in
Widerspruch stehen kann.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das war doch vorher!)

Das war ein Stand, den wir nachvollziehen können.
Dann ging alles ganz schnell. Der deutsche Innenminis-
ter hatte nichts anderes zu tun, als ohne Befragung des
Parlaments und gegen den Widerstand der eigenen Koa-
lition nach Brüssel zu gehen und zu sagen: Wir tragen al-
les mit. – Das kann nicht unsere Politik sein.


(Beifall bei der FDP – Beatrix Philipp [CDU/ CSU]: Wir haben jetzt 2004!)


Sie wissen, dass das Europäische Parlament den Ge-
richtshof angerufen hat und diese Entscheidung auch be-
stätigt wurde. Meine Damen und Herren von den Grü-
nen, der Tiefpunkt des Ganzen war aber, dass dann der
grüne Außenminister am 17. Mai den Beschluss der EU-
Außenminister mitgetragen und damit Tatsachen ge-
schaffen hat. Damit müssen Sie sich schon auseinander
setzen.


(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich ja gemacht!)







(A) (C)



(B) (D)


Ernst Burgbacher

Selbstverständlich unterstützen wir, dass Daten abge-

glichen werden. Wir fordern aber, dass der Grundsatz
der Zweckbindung und der Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit beachtet werden. Deshalb, Frau Kollegin
Philipp, bringen wir unsere eigenen Ansprüche ein. Ich
war in den USA. Wir haben eine Woche lang Gespräche
mit Vertretern der Homeland Security geführt. Dort
kannte gar niemand die Datenschutzbeauftragten, die es
offensichtlich gibt. Wir müssen uns doch mit den Reali-
täten vertraut machen und nicht immer sagen: Vielleicht
so, vielleicht anders.


(Beifall bei der FDP)

Wir sind zu jedem konstruktiven Dialog bereit, aber

wir werden immer darauf achten, dass auch bei der Ter-
rorismusbekämpfung Persönlichkeitsrechte und Daten-
schutz gewahrt werden. Das entspricht übrigens der
Meinung des neu gewählten Datenschutzbeauftragten,
Herrn Schaar, der genau dies im Innenausschuss geäu-
ßert hat.

Lassen Sie mich noch einen anderen Punkt anspre-
chen. Frau Stokar hat schon in der Beratung im Aus-
schuss zum Ausdruck gebracht, dass ihre Fraktion die
Position der FDP unterstützt. Aber nachher werden Sie
gegen unseren Antrag stimmen. Eine solche Politik kann
man nicht mittragen.


(Beifall bei der FDP)

Sie lehnen unseren Antrag ab, Ihr Spitzenkandidat
Cohn-Bendit stimmt im Europäischen Parlament wieder
anders. Das ist Schizophrenie! Ich hoffe nur, dass der
Wähler erkennt, dass eine solche Partei schlichtweg
nicht wählbar ist, und dem am 13. Juni Rechnung trägt.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU])


Die Wähler haben nichts davon, dass Ankündigungen
gemacht werden. Sie haben nur dann etwas davon, wenn
diese auch umgesetzt werden.

Beim Zuwanderungsgesetz machen Sie derzeit exakt
dasselbe.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ganz schlimm! Sonst machen sie ja nichts mehr!)


Die nächste Kostprobe werden wir morgen früh in die-
sem Hohen Hause erleben: Wir haben einen Gesetzent-
wurf eingebracht, mit dem wir einen Volksentscheid zur
europäischen Verfassung – eine Forderung, die die Grü-
nen immer wieder erhoben haben – anmahnen. Das bera-
ten wir morgen erneut und Sie werden den Gesetzent-
wurf wieder ablehnen.

Die Materie ist aber viel zu ernst, um ein Spiel damit
zu treiben, wie es die Grünen tun. Ich bin sicher, Sie
werden von den Wählern dafür die Quittung bekommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511121300

Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus-

schusses auf Drucksache 15/3120 zu dem Antrag der
FDP mit dem Titel „Passagierdatensammlungen und
Datenschutzrechte – EU-Abkommen mit den Vereinig-
ten Staaten von Amerika“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 15/2761 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der
CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP und der Abge-
ordneten der PDS angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-

(Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG)

– Drucksache 15/3174 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Florian Pronold, SPD-Fraktion.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1511121400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich begrüße den von der Bundesregierung er-
arbeiteten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Anleger-
schutzes.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Haben Sie ihn auch gelesen?)


Wir schaffen es damit, das Vertrauen in die Märkte wie-
der zu stärken und den Missbrauch zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie würden ihn unterstützen!)


– Ja, wir unterstützen ihn, keine Sorge. Ich nehme an,
Sie tun das auch.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!)

– Das ist schön.

Ich möchte insbesondere darauf hinweisen, dass wir
mit dem Gesetzentwurf eine Prospektpflicht für den so
genannten grauen Kapitalmarkt einführen, der in der
Vergangenheit dadurch aufgefallen ist, dass es einen er-
heblichen Missbrauch gegeben hat, dass sehr hohe Scha-
densummen entstanden sind und dass viele Anleger To-
talverluste erlitten haben. Schätzungen zufolge sind in
den vergangenen Jahren zwischen 1 Milliarde und
30 Milliarden Euro vernichtet worden.






(A) (C)



(B) (D)


Florian Pronold

Der graue Markt ist bisher nicht reguliert worden. Mit

der Prospektpflicht, die mit dem Gesetzentwurf einge-
führt wird, werden dem Anleger mehr Informationen zur
Verfügung gestellt. Dadurch können bessere Anlageent-
scheidungen getroffen werden. Insgesamt wird die Be-
weislage für den Anleger im Falle von Schadenersatz-
prozessen verbessert. Neu ist auch die Erfassung von
Treuhandvermögen und Unternehmensbeteiligungen
– einschließlich Immobilienfonds – durch die Prospekt-
pflicht.

Die Anlageformen auf dem grauen Kapitalmarkt sind
nicht per se illegal. Es werden viele sinnvolle Vorhaben
finanziert, zum Beispiel in den Bereichen Umweltschutz
und Windkraft, und auch für die Kapitalbeschaffung
kleinerer und mittlerer Unternehmen spielt dieser Markt
eine Rolle.

Aber leider gibt es auch viele unseriöse Anbieter.
Deshalb hoffe ich – auch aus eigener Erfahrung mit der
CSU – auf die Zustimmung der CSU zu dem Gesetzent-
wurf. Denn wie wir kürzlich den Medien entnommen ha-
ben, hat die bayerische Kultusministerin Monika
Hohlmeier im Zusammenhang mit der WABAG-Affäre


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sie können es doch nicht lassen!)


auf dem grauen Kapitalmarkt selber einen Schaden in
Höhe von 27 000 Euro erlitten. Dieser Verlust ist ihr sin-
nigerweise unter Beihilfe ihres Bruders, Max Strauß,
entstanden.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist wie bei der SPD in Bayern! Schwund ist immer!)


Es ist wichtig, solche Formen von Anlagebetrug an die-
ser Stelle gemeinsam zu bekämpfen. Ich muss allerdings
einräumen, dass selbst unser Gesetz nicht vollständig
vor solchen Formen des Anlagebetrugs schützen kann,
durch den Tausende von Anlegern um rund
150 Millionen Euro geprellt worden sind.

Gleichwohl stellt unser Gesetzentwurf einen gerech-
ten Interessenausgleich zwischen den Anlegern und den
Anbietern von Produkten auf dem grauen Markt dar. Die
geplante Genehmigungsfrist von 20 Tagen, die für An-
bieter gilt, bevor sie ihren Prospekt auf den Markt brin-
gen können, ist angemessen, weil es sich im Regelfall
um langfristige Anlageentscheidungen handelt. Die im
Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen stellen auch
keine Belastung für diejenigen Anbieter dar, die keine
schwarzen Schafe sind. Damit mich die Frau Präsidentin
nicht rügt, füge ich hinzu, dass ich mit schwarzen Scha-
fen natürlich nicht den ehemaligen CSU-Ortsvorsitzen-
den Max Strauß gemeint habe.

Zudem sind bestimmte Anlageformen, für die bereits
ein hinreichender Schutz besteht, generell von der Pros-
pektpflicht ausgenommen. Dazu gehören Versicherungs-
und Genossenschaftsprodukte sowie Produkte von Kre-
ditinstituten, die der Aufsicht nach dem Kreditwesenge-
setz unterliegen. Des Weiteren sind alle Produkte, die
unter eine Bagatellgrenze fallen, und Angebote ausge-
nommen, die nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt
sind.
Mit unserem Gesetzentwurf setzen wir die EU-Markt-
missbrauchsrichtlinie, die der Bekämpfung von Insi-
derhandel und Marktmissbrauch dient, in nationales
Recht um. Hervorzuheben ist, dass Personen, die beruf-
lich für Dritte Finanzanalysen erstellen, zukünftig Inte-
ressenkonflikte offen legen müssen. Der Gesetzentwurf
lässt im Falle von Journalisten, die im Bereich des
Finanzmarktes tätig sind, Spielraum für eine entspre-
chende Selbstregulierung. Wir wissen anhand von vielen
Beispielen aus der Vergangenheit, dass gerade Journalis-
tinnen und Journalisten durch Marktmanipulationen
Schindluder getrieben haben, mit entsprechenden Emp-
fehlungen Geschäfte gemacht und Gewinne selbst einge-
sackt haben. Bisher war in Europa nur der Insiderhandel
verboten. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie, die
auch Kursmanipulationen sanktioniert, wird eine ein-
heitliche, europaweite Regelung geschaffen. Die Bun-
desregierung hat hier durch das Vierte Finanzmarktför-
derungsgesetz bereits wertvolle Vorarbeiten geleistet.
Die Marktmissbrauchsrichtlinie ist bis zum 12. Oktober
2004 in nationales Recht umzusetzen. Das werden wir
auch machen. Damit werden wir gleichzeitig drei wei-
tere Richtlinien und eine Verordnung umsetzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unser Gesetzentwurf ist gut und findet breite Zustim-
mung bei vielen Verbänden. Deswegen appelliere ich an
Sie: Tun Sie mit uns gemeinsam etwas dafür, um die
schwarzen Schafe zu bekämpfen, die grauen Märkte tro-
ckenzulegen und die weißen Westen zu stärken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511121500

Das Wort hat der Kollege Stefan Müller, CDU/CSU-

Fraktion.


Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1511121600

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Da nur noch eine sehr überschaubare Anzahl von Kolle-
ginnen und Kollegen anwesend ist, kann man ruhig auch
einmal über schwarze Schafe philosophieren, wenn-
gleich ich unterstelle, dass das Gesetz nicht speziell für
einzelne Personen aus dem Freistaat Bayern gemacht
worden ist.

In der Tat – hierin bin ich mit dem Kollegen Pronold
ausnahmsweise einig – gibt es noch immer Anlagebetrü-
ger, die jedes Jahr einen enormen wirtschaftlichen Scha-
den anrichten. Wenn man sich anschaut, welchen Scha-
den so genannte schwarze Schafe oder windige
Geschäftemacher in den letzten Jahren angerichtet ha-
ben, dann stellt man fest, dass wir Handlungsbedarf ha-
ben. Insofern begrüßen wir grundsätzlich jeden Ansatz,
der dazu dient, den Anlegerschutz weiter zu verbessern.
Auch meiner Fraktion ist es ein wesentliches Anliegen,
hier tätig zu werden. Wir unterstützen jede Maßnahme,
die geeignet ist, windigen Geschäftemachern das Hand-
werk zu legen.






(A) (C)



(B) (D)


Stefan Müller (Erlangen)


Aber natürlich ist es unsere Aufgabe, klare und ver-

lässliche Rahmenbedingungen zu setzen. Das gilt so-
wohl für den Anleger- und Verbraucherschutz als auch
für die berechtigten Anliegen der Finanzwirtschaft. Un-
ser gemeinsames Ziel muss es doch sein – wir haben im
vergangenen Jahr das eine oder andere hier vorange-
bracht –, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes im
Allgemeinen und die Wettbewerbsfähigkeit der Finanz-
dienstleister im Besonderen zu stärken.

Gut gemeinter Anlegerschutz darf in der letzten
Konsequenz aber nicht dazu führen, dass sinnvolle Kapi-
talmarktgeschäfte verhindert werden. Ich meine damit
insbesondere Kapitalmarktgeschäfte, die im europäi-
schen Ausland völlig selbstverständlich getätigt werden
können, bei uns aber nicht möglich sind.


(Beifall der Abg. Elke Wülfing [CDU/CSU])

Andernfalls werden deutsche Kapitalanleger gezwun-
gen, ihr Geld legal ins Ausland zu transferieren und dort
anzulegen, und Finanzdienstleistungsunternehmen aus
Deutschland werden gezwungen, im Ausland entspre-
chende Produkte aufzulegen. Das kann nicht im Sinne
deutscher Finanzmarktpolitik sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen also bei jeder Reform des Anlegerschut-
zes noch stärker als bisher mit Augenmaß vorgehen. Wir
müssen vor allem das Leitbild des mündigen Anlegers
walten lassen, der durchaus imstande ist, selbst zu ent-
scheiden, was für ihn gut und richtig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insofern ist natürlich zu berücksichtigen, welcher Nut-
zen einerseits und welche Kosten andererseits durch
neue gesetzliche Regelungen entstehen.

Übermäßige administrative Auflagen müssen insge-
samt vermieden werden und jede neue Regelung muss
auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüft werden. Wir müs-
sen dabei schon berücksichtigen, dass es gerade die
Finanzdienstleistungsbranche in Deutschland ist, die wie
keine andere Branche reglementiert und reguliert wird.
Allein die deutsche Kreditwirtschaft muss jedes Jahr nur
für die Erfüllung von Kontroll- und Meldevorschriften
1 Milliarde Euro ausgeben. Diese Zahl haben wir schon
des Öfteren gehört, auch im vergangenen Jahr, als wir
über die Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland
gesprochen haben.

Wir dürfen bei alledem nicht vergessen, dass es letzt-
lich die Verbraucher und die Anleger sind, die diese
Kosten tragen müssen; insofern haben wir durchaus un-
ser Augenmerk darauf zu richten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Übermäßige Haftungsregeln schaden der Wettbe-
werbs- und Leistungsfähigkeit des Finanzplatzes ge-
nauso wie ein zu oberflächliches Haftungsregime. Das
gilt selbstverständlich sowohl für die Wirtschaft als auch
für die Anleger. Das heißt, wir brauchen einen leistungs-
fähigen Finanzplatz, damit Anlegern und Verbrauchern
gute und attraktive Anlagemöglichkeiten überhaupt an-
geboten werden können.

Mit dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf wird
unter anderem die EU-Marktmissbrauchsrichtlinie
umgesetzt. Ich möchte im Zusammenhang mit der Um-
setzung dieser EU-Richtlinie eines deutlich festhalten:
Ich halte es schon für wichtig, dass es bei der Umsetzung
von Rechtsetzungsakten der EU nicht zu strengeren Re-
geln als in den anderen europäischen Ländern kommt,
weil Regeln, die im Inland schärfer als im europäischen
Ausland sind, der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplat-
zes Deutschland selbstverständlich Schaden zufügen.

Schaut man sich diesen Gesetzentwurf an, hat man
den Eindruck, dass das Prinzip, dass in Deutschland
keine schärferen Regeln gelten sollen und dass die natio-
nale Umsetzung von EU-Richtlinien nicht mit zusätzli-
chen Regelungen befrachtet werden soll, an der einen
oder anderen Stelle nicht eingehalten worden ist. Als
Beispiel möchte ich die weit reichenden Kompetenz-
erweiterungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht nennen. Die Eingriffs- und Auskunftsbe-
fugnisse der BaFin werden insgesamt deutlich erweitert,
ohne dass das in der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie
ausdrücklich so gefordert worden wäre. Das gilt insbe-
sondere für den neuen § 4 des Wertpapierhandelsgeset-
zes. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist von einer
Generalbefugnisnorm die Rede. Man könnte bei genaue-
rem Hinsehen auch den Eindruck gewinnen, dass es sich
dabei um eine Art „Die-BaFin-darf-alles-Vorschrift“
handelt.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die Oberpolizei!)


Ähnliches gilt im Übrigen im Hinblick auf die Viel-
zahl von Ermächtigungsgrundlagen für Rechtsverord-
nungen. Auch da wird die Möglichkeit, Rechtsverord-
nungen umzusetzen, vom Bundesfinanzministerium
direkt an die BaFin delegiert. Das erscheint vor dem
Hintergrund europäischer Vorgaben vielleicht dann sinn-
voll, wenn eine zeitnahe Umsetzung erfolgen muss. Was
aber nicht passieren darf, ist, dass die BaFin über die
Umsetzung von EU-Richtlinien hinaus die Möglichkeit
bekommt, diese Rechtsverordnungen einseitig auf den
Weg zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Über diese Themen müssen wir im weiteren gesetz-

geberischen Verfahren reden. Insgesamt darf sich die
BaFin eben nicht nur als Regulierer und als Aufseher
verstehen; vielmehr muss sie sich auch als Partner der
Finanzdienstleister verstehen.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion – das möchte ich
noch einmal betonen – setzt sich auch weiterhin für eine
Verbesserung des Anlegerschutzes und eine Fortent-
wicklung des Finanzplatzes ein. In diesem Sinne, Herr
Kollege Pronold, werden wir uns an der Beratung dieses
Gesetzentwurfs selbstverständlich konstruktiv beteili-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511121700

Das Wort hat der Kollege Hubert Ulrich, Bündnis 90/

Die Grünen.


Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511121800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wie eben bereits gesagt wurde, reden wir heute
über das Anlegerschutzverbesserungsgesetz. Dieses Ge-
setz dient der sinnvollen Weiterentwicklung der Funktio-
nalität des Finanzplatzes Deutschland. An dieser Stelle
will ich die Gelegenheit ergreifen, noch einmal auf die
Bedeutung des Finanzplatzes Deutschland hinzuwei-
sen, weil das in diesen Zusammenhängen immer ein
bisschen aus dem Blickwinkel gerät.

Dabei muss man sich zwei wesentliche Eckwerte vor
Augen führen. Man muss sich klar machen, dass die Fi-
nanzbranche in Deutschland rund 1,5 Millionen Arbeits-
plätze zur Verfügung stellt – im Vergleich beispielsweise
zu 1 Million Arbeitsplätzen in der auch sehr wichtigen
Automobilindustrie. Die Wertschöpfung der Finanz-
branche, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, beträgt
rund 4,6 Prozent – im Vergleich zu 3 Prozent in der Au-
tomobilindustrie. Das macht deutlich: Die positive Ent-
wicklung des Finanzplatzes Deutschland ist ein bedeu-
tender Baustein zur Stärkung der bundesdeutschen
Wirtschaft.

Natürlich bedeutet ein gesunder Finanzplatz Deutsch-
land – darüber muss man reden – auch eine gute Kapi-
talausstattung unserer Unternehmen. Die Diskussion
über die zu geringe Eigenkapitalausstattung insbeson-
dere unserer bundesdeutschen kleinen und mittleren Un-
ternehmen ist bekannt. Gerade vor dem Hintergrund der
Zurückhaltung der deutschen Banken bei der Vergabe
von Krediten an diese Unternehmen, und zwar eher der
Privatbanken als der Sparkassen und Genossenschafts-
banken, gewinnt der freie Kapitalmarkt in Deutschland
immer größere Bedeutung. Ein gut funktionierender
Kapitalmarkt bedeutet ein Mehr an Wirtschaftskraft, ein
Mehr an Arbeitsplätzen, automatisch dann auch ein
Mehr an Wohlstand.

Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz ist praktisch
eine Weiterentwicklung des von der rot-grünen Bundes-
regierung auf den Weg gebrachten Vierten Finanzmarkt-
förderungsgesetzes. Dieses Vierte Finanzmarktförde-
rungsgesetz – das sollte die Opposition einmal zur
Kenntnis nehmen; auch das wird von Ihnen immer gern
beiseite gewischt – war einer der wirklich großen Er-
folge der rot-grünen Bundesregierung, was von allen
Seiten, insbesondere auch von der Fachwelt, anerkannt
wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/ CSU]: Da haben wir mitgemacht! – Wir haben sogar noch Verbesserungen erreicht!)


Das heute zur Debatte stehende Anlegerschutzverbes-
serungsgesetz ist auch ein bedeutender Teil des im
Februar 2003 vorgestellten Zehnpunkteprogramms der
Bundesregierung zur Verbesserung der Unternehmensin-
tegrität und zur Stärkung des Anlegerschutzes. Zu einem
funktionierenden Finanzplatz gehört natürlich ein gutes
Instrumentarium zu dessen Kontrolle.

Was hier zur Debatte steht, ist im Wesentlichen eine
Umsetzung der eben bereits erwähnten Marktmiss-
brauchsrichtlinie der Europäischen Union. Ein wichtiger
Punkt ist der Insiderhandel. Man muss sich klar ma-
chen: Die Insiderhandelstraftatbestände werden in Zu-
kunft so verschärft, dass bereits der Versuch des Insider-
handels strafbar ist. Vor allem nimmt der Gesetzgeber
das Umfeld eines Unternehmens ebenfalls mit in den
Blick, um auch dort die Dinge ans Tageslicht zu bringen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Marktmanipula-
tion. Bisher muss den entsprechenden Leuten der Ver-
such der Marktmanipulation nachgewiesen werden. In
Zukunft soll bereits die reine Tatsache genügen, dass der
Markt manipuliert war, um strafrechtliche Ermittlungen
gegen den entsprechenden Personenkreis einleiten zu
können.

Die Offenlegungspflichten werden auf alle die Per-
sonenkreise ausgeweitet, die beruflich Finanzanalysen
erstellen oder weitergeben; hiervon sind auch Journalis-
ten betroffen.

Die Prospektpflicht wird auf die Produkte des so
genannten grauen Kapitalmarktes erweitert. Diese
Prospekte werden – das ist auch eine Neuerung – von der
BaFin geprüft.

In Zukunft wird die BaFin auch die Prospekte des all-
gemeinen Kapitalmarktes prüfen. Hierfür sind die Jahre
2008 bis 2013 ins Auge gefasst.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was sollen die denn sonst noch machen?)


Heute kontrolliert hier noch die Deutsche Börse. Wichtig
für diese Prüfungen – das wurde eben bereits angespro-
chen – ist die Prüfdauer. Im Gesetzentwurf steht zurzeit,
dass der BaFin ein konkreter Prüfungszeitraum von un-
gefähr 20 Tagen vorgegeben werden soll; diese Frist ist
aber fließend. Das bedeutet allerdings für die Emittenten
keine Rechtssicherheit. Bei anderen Wertpapieren liegt
heute die Genehmigungsfiktion bei zehn Tagen. Geneh-
migungsfiktion bedeutet in diesem Zusammenhang, dass
das Produkt, wenn nach zehn Tagen keine Ablehnung er-
folgt ist, als genehmigt gilt. Über die Aufnahme einer
solchen Zehntagefrist in den Gesetzentwurf für Pros-
pekte des grauen Kapitalmarkts sollte man meiner Mei-
nung nach nachdenken.


(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP])

Alle diese Dinge – diesen Punkt möchte ich abschlie-

ßend noch einmal ansprechen – brauchen natürlich auch
eine Kontrolle durch die entsprechenden Staatsanwalt-
schaften.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wie immer!)

Es ist ein großes Defizit, dass es immer noch nicht ge-
lungen ist, eine zentrale Schwerpunktstaatsanwalt-
schaft in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen.
Hier sind insbesondere die unionsgeführten Länder in
der Pflicht, weil sie bis heute verhindert haben, dass eine
solche zentrale Schwerpunktstaatsanwaltschaft geschaf-






(A) (C)



(B) (D)


Hubert Ulrich

fen wird. Ich appelliere noch einmal an Sie, darüber
ernsthaft nachzudenken. Die Skandale der Vergangen-
heit auch in Deutschland – ich erinnere an Flow-Tex,
Comroad und EM-TV – geben genug Anlass, über eine
solche Institution nachzudenken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511121900

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.


Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511122000

Mein Schlusssatz: Der Gesetzentwurf stellt insgesamt

einen gelungenen Kompromiss zwischen den Forderun-
gen nach Freiheit des Marktes und dem dringend gebote-
nen Schutz der Anleger vor Marktmissbrauch dar.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511122100

Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele, FDP-

Fraktion.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1511122200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf des Anle-
gerschutzverbesserungsgesetzes versucht die Bundesre-
gierung einen Spagat zwischen Anlegerschutz und Über-
regulierung. Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfes liegt
in der Umsetzung der europäischen Marktmissbrauchs-
richtlinie, die bis Oktober umgesetzt werden muss. Bei
der Umsetzung zeigt sich jedoch wieder der Hang von
Rot-Grün, die deutschen Bürger zu bevormunden, denn
der Gesetzentwurf geht deutlich über die Vorgaben der
Marktmissbrauchsrichtlinie hinaus.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!)

Das Gesetz enthält im Grundsatz gute Ideen. Der Ver-

such, das gebeutelte Anlegervertrauen zu stärken, ist
richtig. Die Anleger haben den Kurssturz an den Aktien-
märkten nach dem Platzen der New-Economy-Blase im-
mer noch nicht verdaut. Außerdem haben Bilanzmanipu-
lationen von Unternehmen wie Enron, Worldcom in den
USA, aber auch Unternehmen des Neuen Marktes wie
Comroad und Flow-Tex Spuren im Vertrauen der Anle-
ger hinterlassen. Die FDP begrüßt und unterstützt alle
Versuche, dieses verloren gegangene Vertrauen wieder
zu stärken.

Ein besseres Insiderrecht ist notwendig, um Insider-
geschäfte an den Kapitalmärkten einzudämmen und so
die Anleger zu schützen. Es kann nicht sein, dass sich
Unternehmensführer auf Kosten von Kleinanlegern die
Taschen füllen. Allerdings schießt der Gesetzentwurf der
Bundesregierung hier über das Ziel der Marktmiss-
brauchsrichtlinie hinaus.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Er sieht eine flächendeckende Sanktionierung des uner-
laubten Umgangs mit Insiderinformationen vor, obwohl
dieses von der Richtlinie nicht gefordert wird. So soll es
zum Beispiel in Zukunft auf die Eignung der Informa-
tion zu erheblicher Kursbeeinflussung überhaupt nicht
mehr ankommen, sondern es soll genügen, dass ein ver-
ständiger Anleger die Information bei seiner Anlageent-
scheidung berücksichtigen würde.

Auch bei der Überwachung und Verfolgung von
Verstößen geht der Gesetzentwurf deutlich über die
Vorgaben hinaus. So sollen Wertpapierdienstleistungs-
unternehmen und Kreditinstitute zur Anzeige von Ver-
dachtsfällen an die BaFin verpflichtet werden. Die Ba-
Fin wiederum soll zur Strafanzeige bei der
Staatsanwaltschaft verpflichtet werden. So entwickelt
sich die BaFin aber zu einer Art Strafverfolgungsbe-
hörde. Da sie aber schon jetzt überlastet ist, ist zu be-
fürchten, dass damit zusätzliche Probleme entstehen und
auch das Vertrauen der beaufsichtigten Institute in den
Umgang mit ihr nicht unbedingt gestärkt wird.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ne-

ben einer Verschärfung des Insiderrechtes ist im Gesetz-
entwurf die Einführung einer Prospektpflicht für nicht
in Wertpapieren verbriefte Unternehmensbeteiligungen
vorgesehen. Das ist ein Schwerpunkt des so genannten
grauen Kapitalmarktes, der damit schärfer reguliert wer-
den soll. Nach der Statistik des Finanzministeriums hat
es am grauen Kapitalmarkt allein im Jahr 2002 über
15 000 Betrugsfälle gegeben. Laut Kriminalstatistik sol-
len allein durch Anlagebetrug Schäden in Höhe von über
220 Millionen Euro entstanden sein; die Dunkelziffer
dürfte höher liegen.

Aber gerade Kleinanleger sind die Dummen. Ihr Ver-
trauen muss wieder gewonnen werden. Die Schritte, die
dazu unternommen werden, begrüßen wir.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deshalb begrüßen wir auch die Prospektpflicht für nicht
in Wertpapieren verbriefte Unternehmensbeteiligungen.

Herr Ulrich, Sie haben es angesprochen: In der Ver-
gangenheit haben wir gerade im Bereich des Finanz-
marktes Wert darauf gelegt, möglichst übereinstimmend,
sachgerecht und ohne Parteipolitik zu Ergebnissen zu
kommen.


(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Er hat das Gegenteil gesagt!)


Wir setzen uns bei den Beratungen weiter dafür ein;
denn es ist gut, dass ein so wichtiger Bereich nicht in das
parteipolitische Gezänk gerät, sondern so sachlich be-
handelt wird, dass am Ende ein Kompromiss stehen
kann, der von allen getragen wird und durch den Pro-
bleme ausgeräumt werden können. Wir werden uns bei
den Beratungen des Gesetzes in dieser Form verhalten
und freuen uns auf eine Zusammenarbeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511122300

Das Wort hat die Kollegin Simone Violka, SPD-Frak-

tion.


Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1511122400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Unser europäisches
Haus nimmt immer mehr Gestalt an. Das zeigt nicht nur
die erfolgte Aufnahme von zehn neuen Ländern in un-
sere Gemeinschaft, sondern auch die Gesetzesharmoni-
sierung auf vielen Gebieten.

Heute beschäftigen wir uns mit einem Gesetzentwurf,
der unter anderem die EU-Marktmissbrauchsrichtlinie
auch in Deutschland umsetzt.


(Beifall der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD])

Damit wird der Finanzplatz Deutschland weiter ge-
stärkt, was sich neben einem erhöhten Anlegerschutz
auch auf Wachstum und Beschäftigung auswirkt. Denn
wenn Anlegerinnen und Anleger sich sicher fühlen, dann
sind sie vermehrt bereit, ihr Kapital wieder verstärkt in
unsere Wirtschaft zu investieren. Leider werden sie auch
hier bei uns durch internationale, aber ebenso durch nati-
onale Missbrauchsvorfälle verunsichert. Daher ist es
notwendig, die Transparenz im Kapitalmarkt weiter zu
erhöhen. Damit kann der Schutz vor unzulässigen
Marktpraktiken weiter verbessert werden. Das hat natür-
lich auch positive Auswirkungen auf unsere Marktinte-
grität und Markteffizienz.

Mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz leisten
wir unseren Beitrag zu einem europaweiten Standard zur
Bekämpfung von Insiderhandel und Marktmissbrauch.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ihr geht darüber hinaus!)


– Ich habe kein Problem, darüber hinauszugehen, wenn
unsere Anlegerinnen und Anleger dadurch besser ge-
schützt werden.


(Beifall bei der SPD)

In einem enger zusammenrückenden Europa ist das

ein unerlässlicher Faktor einer umfassenden Miss-
brauchsbekämpfung und des Schutzes der Anlegerinnen
und Anleger.

Unerlässlich ist in diesem Zusammenhang die auch im
Gesetzentwurf aufgeführte Prospektpflicht für Produkte
im so genannten grauen Kapitalmarkt in Verbindung mit
einer entsprechenden Haftung. Viele Anlegerinnen und
Anleger fühlen sich aufgrund der Entwicklung am Kapi-
talmarkt in den letzten Jahren tief verunsichert.


(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nicht nur am Kapitalmarkt, sondern auch in der Wirtschaftspolitik!)


Es ist selbstverständlich, dass Bürgerinnen und Bürger,
die ihr Geld am Kapitalmarkt einsetzen, auch dem Ri-
siko von negativen Kursentwicklungen ausgesetzt sind.
Das ist den meisten auch durchaus bewusst. Aber natür-
lich muss sich jeder, der sein Geld in diesen Kreislauf
einbringt, der Seriosität des Produktes sicher sein kön-
nen. Es ist im Interesse der Anlegerinnen und Anleger,
aber auch aller ehrlichen Anbieter im Markt, dass der
Marktzugang für schwarze Schafe wesentlich verschärft
und damit wesentlich schwerer wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das erhöht auch die Funktionsfähigkeit des Kapital-
marktes. Denn der so genannte graue Markt beinhaltet
Teile des Kapitalmarktes, die nicht unter den Wertpa-
pierbegriff fallen. Das sind zum Beispiel Unternehmer-
beteiligungen, die nicht börsennotiert sind. Bisher gab es
in diesem Bereich nur unzureichende verbindliche Rege-
lungen und kaum Produkttransparenz. Daher war hier
die Gefahr finanzieller Schäden bis hin zum Totalverlust
besonders hoch. Herr Thiele und Herr Pronold haben be-
reits ausführlich auf Fallzahlen und die Höhe der Ver-
luste hingewiesen.

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist diese
Form der Kapitalbeschaffung besonders interessant.
Daher ist es in beidseitigem Interesse, wenn hier Verbes-
serungen geschaffen werden können. Ich bin mir sicher,
dass eine wesentliche Verbesserung des Anlegerschutzes
in diesem Bereich solide Unternehmen für Investoren
noch attraktiver macht. Ich bin mir deshalb so sicher,
weil ich selbst aus einem Unternehmen stamme, in dem
sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Investoren
und damit als Mitgesellschafter erfolgreich betätigen.
Hätten wir 1996 hinsichtlich der Finanzierung nicht
diese Entscheidung getroffen, würde es die Union Werk-
zeugmaschinen GmbH heute nicht mehr geben.


(Beifall bei der SPD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das hat mit dem grauen Kapitalmarkt nichts zu tun!)


Natürlich war diese Entscheidung nicht ohne Risiko.
Aber wenn man den nötigen Einblick in ein Unterneh-
men hat und sicher sein kann, dass alle Zahlen in korrek-
ter Weise vorliegen, kann man sein persönliches Risiko
besser einschätzen und eine fundierte Entscheidung tref-
fen. Ich denke, dass eine solche Kapitalbeschaffung
durchaus akzeptabel und unterstützenswert ist und dass
solide Unternehmen nicht durch Betrüger in ein schlech-
tes Licht gerückt werden dürfen.


(Beifall bei der SPD)

Das gelingt aber nur durch einen umfassenden

Schutz, unter anderem durch eine Prospektpflicht, und
eine wesentliche Verbesserung der rechtlichen Aufsicht.
Ich kann nicht ganz nachvollziehen – dieser Punkt ist
schon angesprochen worden –, dass bemängelt wird, die
Aufsicht sei zu intensiv; denn jeder Unternehmer in die-
sem Land, der korrekt handelt, hat keine intensive Unter-
suchung zu befürchten.


(Beifall bei der SPD – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist der unterschiedliche Ansatz! Vertrauen oder Misstrauen!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir EU-
Vorgaben um. Wir reagieren aber auch in geeigneter
Weise auf eine lange Reihe von Unternehmensskandalen
im In- und Ausland. Wir müssen die Krise an den






(A) (C)



(B) (D)


Simone Violka

Finanzmärkten überwinden und die Rahmenbedingun-
gen des Finanzplatzes Deutschland weiter verbessern.
Davon profitieren alle Seiten.

Ich freue mich, wenn auch vonseiten der Opposition
gesagt wird, dass wir gemeinsam dieses Ziel erreichen
können. Dass das möglich ist, haben wir in der letzten
Finanzausschusssitzung gemerkt, als aus einem Ent-
schließungsantrag von Rot-Grün plötzlich ein von allen
Fraktionen getragener Antrag zum Thema Girokonto
wurde.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nachdem er von uns verbessert worden ist!)


Ich wünsche mir hier das gleiche Ergebnis wie bei die-
sem Antrag.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511122500

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Leo

Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion.

(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Die Krö nung der Debatte!)


Leo Dautzenberg (CDU):
Rede ID: ID1511122600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Im Deutschen Bundestag
herrscht in zwei Punkten weitgehende Einigkeit. Zum ei-
nen stimmen wir darin überein, dass der Finanzplatz
Deutschland gute und flexible Rahmenbedingungen be-
nötigt, um seine volkswirtschaftlich wichtige Rolle erfül-
len zu können. Zum anderen sind wir uns alle bewusst,
dass die Integration der europäischen Finanzmärkte
weiter voranschreiten muss, wenn wir die potenziellen
Vorteile der Wirtschafts- und Währungsunion voll nutzen
wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor diesem Hintergrund hat die CDU/CSU-Fraktion

im Deutschen Bundestag von Anfang an die jüngsten
Initiativen der Europäischen Kommission – Stichwort ist
hier der Aktionsplan Finanzdienstleistungen, abgekürzt
FSAP – unterstützt. Auch das Zehnpunkteprogramm der
Bundesregierung wurde und wird kritisch, aber sehr
konstruktiv von uns begleitet. Es ist damit vor allem der
Union zu verdanken, dass sich Deutschland zu einem at-
traktiven Finanzplatz entwickelt hat und noch weiter ent-
wickeln wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit diese Entwicklung anhält, müssen wir auch

weiterhin genau die Details der von uns angestrebten ge-
setzlichen Regelungen prüfen. Dies gilt auch dann, wenn
ein Gesetzentwurf im Großen und Ganzen in die richtige
Richtung geht, wie dies beim Anlegerschutzverbesse-
rungsgesetz ohne Zweifel der Fall ist.

Zunächst zur Gesamtbetrachtung. Die Flexibilisierung
der Zusammensetzung des Börsenrates ist uneinge-
schränkt zu begrüßen. Die Änderungen im Wertpapier-
handelsgesetz setzen weitgehend die Vorgaben der euro-
päischen Marktmissbrauchsrichtlinie um. Zudem schafft
die Einbeziehung des so genannten grauen Kapitalmark-
tes in die Regelungen des Verkaufsprospektgesetzes si-
cherlich ein höheres Maß an Transparenz und damit mehr
Anlegerschutz und Markteffizienz.

Beim Einbezug des grauen Kapitalmarktes in das
Verkaufsprospektgesetz fällt vor allem die Regelung in
§ 8 i Abs. 2 auf. Dieser räumt der Bundesanstalt für Fi-
nanzdienstleistungsaufsicht, der BaFin, 20 Tage zur Prü-
fung von Prospekten ein, die sich auf öffentlich angebo-
tene, nicht in Wertpapieren verbriefte Anteile beziehen.
Nach Ablauf von 20 Tagen gilt keine Genehmigungsfik-
tion. Für Verkaufsprospekte, die sich auf Wertpapiere
beziehen, gilt hingegen nach maximal zehn Tagen der
Prospekt als genehmigt, wenn sich die BaFin bis dahin
nicht gegenteilig geäußert hat.

Die in der Gesetzesbegründung gegebene Erklärung,
dass Produkte des grauen Kapitalmarktes komplexer
seien als andere, kann mit Blick auf die Vielzahl indivi-
dueller Wertpapiere nicht überzeugen. Wir sollten In-
vestmentformen jenseits der Wertpapiere nicht stigmati-
sieren. Ein funktionsfähiger grauer Kapitalmarkt stellt
heutzutage trotz der vielleicht etwas unglücklichen Be-
zeichnung einen wichtigen Bestandteil eines guten Fi-
nanzplatzes dar. Wir sollten hier seriöse Anbieter nicht
schlechter behandeln als solche in anderen Finanzmarkt-
segmenten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Weiterhin sollte ein Bestandsschutz respektive eine

Übergangsfrist für Angebote gefunden werden, deren
Platzierung bereits läuft. Anderenfalls könnten Unter-
brechungen im Vertrieb unnötigerweise ganze Fonds-
konzepte gefährden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes sind vor

allem folgende Kritikpunkte zu nennen – auf einige
wurde schon hingewiesen –: Dies betrifft die Befugnisse
der BaFin im geplanten § 4 Abs. 2 – Einschränkung von
Handelsaktivitäten im Einzelfall – und Abs. 3 des Wert-
papierhandelsgesetzes, wonach vorgesehen ist, dass im
Grunde genommen jedermann mitwirken soll, wenn die
BaFin etwas untersucht. Das müsste darauf beschränkt
werden, dass nur dann eine Mitwirkung vorgesehen
wird, wenn es der Funktionsfähigkeit des Marktes dient.
Verordnungsermächtigungen der BaFin und des BMF
sind auf Fälle einzugrenzen, die den fachlichen Level II
beinhalten und nicht darüber hinausgehen, also auf Fälle,
für die die Fachleute der Ministerialbürokratie der ein-
zelnen europäischen Länder Normen entwickelt haben.
Diese müssen so umgesetzt werden, dass sie den Vorga-
ben der EU entsprechen und nicht darüber hinausgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sonst werden nämlich europäische Harmonisierungsbe-
strebungen durch die nationale Gesetzgebung und Nor-
mensetzung wiederum konterkariert. Das gilt auch für
einzelne Punkte des so genannten Insiderhandels, für In-
siderinformationen. Dort gibt es schon bisher einen gro-
ßen Chinese Wall zwischen dem Investmentbanking und






(A) (C)



(B) (D)


Leo Dautzenberg

den Anlagestrategen. Diese Bereiche sind ja schon ge-
trennt. Wir sollten diese Situation nicht durch zusätzli-
che Normen so erschweren, dass internationale Normen
des europäischen Marktes konterkariert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Weitere Einzelpunkte sollten noch geschliffen wer-

den, insbesondere wenn es um die Definition von
„Marktpraxis“ geht. Da muss die BaFin die Definitionen
übernehmen, die sich auf dem Markt bewährt haben.

Ich bin zuversichtlich, dass wir uns hinsichtlich der
genannten Punkte weitgehend einigen werden. Die Rah-
menbedingungen am Finanzplatz Deutschland würden
so weiter verbessert. Die CDU/CSU-Fraktion wird
hierzu ihren Beitrag leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511122700

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-

fes auf Drucksache 15/3174 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Gradistanac, Sabine Bätzing, Ute Berg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Ekin Deligöz, Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Kinder und Jugendliche wirksam vor sexuel-
ler Gewalt und Ausbeutung schützen
– Drucksache 15/3211 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. – Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Renate Gradistanac, SPD-Fraktion.


Renate Gradistanac (SPD):
Rede ID: ID1511122800

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahr 2003
stellte die Kriminalpolizei im Kreis Calw 68 Fälle sexu-
eller Ausbeutung von Kindern fest. Im Landkreis Freu-
denstadt waren davon 28 Kinder betroffen. Die Aufklä-
rungsquote der Polizei liegt in beiden Landkreisen bei 80
bzw. 90 Prozent. Allein in meiner ländlichen Region im
Schwarzwald sind im vergangenen Jahr 96 Kinder Opfer
sexueller Gewalt geworden. Bundesweit – das ist immer
wieder einmal thematisiert worden – sind circa
20 000 Kinder davon betroffen. Wir wissen aber, dass
die Dunkelziffer ungleich höher ist.

Wenn ich auf die letzten zehn Jahre zurückblicke, fällt
mir auf, dass nur ganz selten sensibel mit diesem Thema
umgegangen wurde. Entweder versucht man, es zu ver-
harmlosen, oder es wird unangemessen und reißerisch
darüber berichtet. Nicht selten ist die Berichterstattung
auch nicht auf der Höhe der aktuellen Gesetzeslage.

Der Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz
von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und
Ausbeutung ist beispielhaft,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


weil er ressortübergreifend ist und ein nachhaltiges Ge-
samtkonzept verfolgt. Er hat vier zentrale Ziele: den
strafrechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen
weiterzuentwickeln, den Opferschutz und die Prävention
zu stärken, die internationale Strafverfolgung und die
Zusammenarbeit sicherzustellen sowie die Vernetzung
der Hilfs- und Beratungsangebote zu fördern.

Durch den Aktionsplan, der erst am 29. Januar 2003
verabschiedet wurde, wurde bis heute viel auf den Weg
gebracht:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das Sexualstrafrecht wurde verschärft, Lücken wurden
geschlossen, vor allem, wenn es um die Bekämpfung se-
xueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie ge-
gen Menschen mit Behinderungen geht. In diesem Zu-
sammenhang ist es mir besonders wichtig, daran zu
erinnern, dass ein neuer Straftatbestand für Kinder-
pornographie geschaffen wurde, durch den insbeson-
dere geschlossene Tätergruppen im Bereich des Internets
verfolgt werden können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Außerdem gilt – das ist leider nicht überall bekannt –:
Wer sich kinderpornographische Schriften beschafft oder
sie besitzt, wird bestraft, und zwar stärker als in der Ver-
gangenheit.

Bei der jüngst verabschiedeten Opferrechtsreform
wurden die Rechte der Opfer in wesentlichen Punkten
gestärkt. Das Ziel, Mehrfachvernehmungen zu vermei-
den, ist weitgehend erreicht worden. Die Opfer werden
stärker am Verfahren beteiligt.

Für mich als Politikerin ist es wichtig und selbstver-
ständlich, dass die Täter angemessen bestraft werden.
Mein und unser aller politisches Ziel ist es – dafür arbei-
ten wir –, dass in Zukunft weniger Kinder Opfer sexuel-
ler Gewalt werden.






(A) (C)



(B) (D)


Renate Gradistanac


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das Kindeswohl hat dabei für mich und für uns alle
oberste Priorität. Es bedarf noch enormer Anstrengun-
gen im Bereich der Prävention. „Hinsehen. Handeln.
Helfen!“ – mit diesem einprägsamen Motto hat das Bun-
desfamilienministerium am 20. April dieses Jahres eine
Präventionskampagne gestartet. Ein Kampagnenbus ver-
anstaltet 18 Aktionstage vor Ort. Bürgerinnen und Bür-
ger können sich informieren. Die Beratungseinrichtun-
gen haben die Möglichkeit, ihre Arbeit umfassend
darzustellen. Eingerichtet wurden außerdem eine Inter-
netseite und ein Servicetelefon; eine Broschüre mit dem
Titel „Mutig fragen – besonnen handeln“ wurde aufge-
legt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Handeln und zur Zivilcourage fordert auch die
Informationskampagne gegen die sexuelle Ausbeutung
von Kindern im Tourismus von Terre des Hommes auf,
die ebenfalls vom Bundesministerium unterstützt wird.
An dieser Stelle gratuliere ich ausdrücklich und ganz
herzlich dem Kinderhilfswerk zu einer hohen Auszeich-
nung für die beste „langfristige PR-Strategie“, die unter
anderem den Inflightspot „Toys“, die Internetplattform
„www.child-hood.com“ und den Spot „Words“ umfasst.
Die Internetplattform wurde bisher von Menschen aus
82 Ländern genutzt. Das ist doch ein schöner Erfolg.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir die SPD-
geführte Bundesregierung bei der Umsetzung des
Aktionsplans unterstützen. Es gilt, diesen im Zusam-
menhang mit allen Beteiligten stetig weiterzuentwi-
ckeln. Meine Vorstellung, unsere Vorstellung – ich
glaube, in diesem Hause sind wir uns diesbezüglich ei-
nig – von einer kindgerechten Welt und von einer kin-
derfreundlichen Gesellschaft beinhaltet, dass sich Kin-
der und Jugendliche auf Erwachsene verlassen können
müssen. Sie sind darauf angewiesen, ihnen zu vertrauen.

Zwei Drittel der sexuellen Gewalthandlungen gegen
Kinder werden im familiären Umfeld begangen. Ein
nicht unbeachtlicher Teil der Taten wird auch im Rah-
men medizinisch-therapeutischer Abhängigkeitsver-
hältnisse verübt oder durch Personen, die Kinder und
Jugendliche haupt- oder ehrenamtlich betreuen. Von po-
tenziellen Sexualstraftätern ist bekannt, dass sie sich
ganz bewusst auch Arbeit in solchen Feldern suchen, die
ihnen den Zugang zu Kindern und Jugendlichen ermög-
lichen. Hier sind insbesondere alle Organisationen und
Institutionen gefordert, die für das Wohl der Kinder Ver-
antwortung tragen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
brauchen dringend Handlungsanleitungen und intensive
Schulungen, um sexuelle Ausbeutung überhaupt erken-
nen zu können und um geeignete Ansprechpartner und
Ansprechpartnerinnen zu sein.
Anonym, vertraulich und kostenlos können Kinder
und Jugendliche in Not bei bundesweit 95 Kinder- und
Jugendtelefonen anrufen. Diese werden und wurden
auch unglaublich oft genutzt: Mit 7 Millionen Anrufen
im Jahr 2003 ist das Kinder- und Jugendtelefon zu einer
der meistgenutzten Anlaufstellen junger Menschen ge-
worden. Deshalb müssen diese Telefone – das ist eine
Forderung aus unserem Antrag – weiter ausgebaut und
gefördert werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wichtig ist uns in diesem Zusammenhang, dass die
Bundesregierung bei den Ländern dafür eintritt, zusätzli-
chen Fortbildungsbedarf bei der Polizei, aber auch ins-
besondere im Bereich der Justiz zu prüfen. Gerade diese
Bitte wird immer wieder an uns Abgeordnete herange-
tragen.

Außerdem müssen auch die 14- bis 18-Jährigen vor
pornographischen Abbildungen strafrechtlich geschützt
werden. Das heißt, das Schutzalter muss heraufgesetzt
werden. Ein solcher strafrechtlicher Schutz wird durch
die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zu dem Über-
einkommen über die Rechte des Kindes betreffend den
Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die
Kinderpornographie erreicht. Die Bundesregierung be-
reitet diese derzeit vor.

Ganz besonderer Sorgfalt bedarf die Arbeit für die se-
xuell ausgebeuteten Kinder im Grenzbereich von
Deutschland, Tschechien und Polen. Es geht hierbei
um ein grenzübergreifendes Problem, das nur in Zusam-
menarbeit zwischen den Ländern gelöst werden kann.
Hierfür wurde eine trilaterale Arbeitsgruppe eingerich-
tet. Die zusätzliche Aufnahme Österreichs halten wir
für sinnvoll und prüfenswert.

Außerdem sehe ich – sehen wir – Aus- und Fortbil-
dungsbedarf beim Auswärtigen Amt. Das Thema „sexu-
elle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen“ muss
hier ein dauerhafter Bestandteil des Programms werden.
Zusätzlich ist eine Handreichung für den Einsatz bei den
deutschen Auslandsvertretungen notwendig. Die The-
matik der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Ju-
gendlichen muss in die Lageberichte der Länder dauer-
haft integriert werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


– Danke für den Applaus. – Davon versprechen wir uns
eine größere Sensibilität für die Kinder in Not.

In den Schattenberichten von ECPAT und Terre des
Femmes zum CEDAW-Bericht der Bundesregierung
wird kritisiert, dass es sich bei der sexuellen Ausbeutung
von Kindern durch Deutsche im Ausland bisher nicht um
ein Delikt aus dem Katalog der organisierten Krimi-
nalität handelt. Somit stehen den Ermittlern keine
erweiterten Ermittlungsbefugnisse, Sonderzuständigkei-
ten und Zeuginnenschutzprogramme zur Verfügung. Wir
fordern die Bundesregierung auf, eine Aufnahme in den
Katalog der organisierten Kriminalität zu prüfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Renate Gradistanac

Um die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Touris-

mus effektiver bekämpfen zu können – das passt dazu;
deshalb füge ich es hinzu –, ist der Einsatz von weiteren
Verbindungsbeamten in den Herkunftsländern zu prüfen.
Auch hier geht die Bitte an die Bundesregierung, diesen
Prüfauftrag zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Wir – ich spreche hier auch als SPD-Tourismuspoliti-
kerin – erwarten, dass sich die deutsche Tourismusbran-
che an ihren Verhaltenskodex erinnert und ihn endlich
Schritt für Schritt erkennbar umsetzt.

So kann auch diese Branche ihrer Verantwortung ge-
recht werden und dabei helfen, Kinder und Jugendliche
vor sexueller Ausbeutung zu schützen. „Gemeinsam ak-
tiv für eine gewaltfreie Zukunft der Kinder“, so steht es
im Flyer „Kleine Seelen, große Gefahr...“. Wir hätten
uns gewünscht, dass ihn viel mehr Menschen kennen ler-
nen. Ich meine – damit schließe ich –: Angesichts der
zunehmenden Unverfrorenheit der Täter setze ich – da-
für bitte ich um Unterstützung – auch auf praktizierte Zi-
vilcourage.


(Beifall im ganzen Hause)


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511122900

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/

CSU-Fraktion.

Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1511123000

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich glaube, in der Zielsetzung des Antrags, der
uns heute vorliegt, sind wir uns alle einig. Welches
Thema kann für uns wichtiger sein als der Schutz unse-
rer Kinder? Wer, wenn nicht wir, sollte sich für die Kin-
der einsetzen, um dafür zu sorgen, dass ihr Schutz ver-
bessert wird und sie wirklich geschützt werden?

Ich persönlich – ich glaube, alle anderen auch – emp-
finde es als unerträglich, dass heute noch – die Kollegin
hat es gerade gesagt – fast 16 000 Kinder Opfer sexuel-
len Missbrauchs werden. Die Dunkelziffer – auch darin
sind wir uns einig – ist sehr viel höher. Das kann nicht
sein und darf auch nicht sein, schon gar nicht, wenn wir
sehen, dass die Fälle von schwerem sexuellen Miss-
brauch sogar um fast 5 Prozent zugenommen haben. Das
macht deutlich, dass das, was bisher getan wurde, nicht
ausreicht und wir eine ganze Menge mehr tun müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Deshalb sage ich ganz deutlich: In der Zielsetzung
sind wir uns einig. Auch wir wollen den strafrechtlichen
Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessern und
weiterentwickeln, Prävention und Opferschutz stärken,
die Hilfs- und Beratungsangebote vernetzen und – was
auch Sie als vierten Aspekt genannt haben – die interna-
tionale Zusammenarbeit in diesem Bereich fördern.

Aber in der Vorgehensweise sind wir unterschiedli-
cher Meinung. Ich bin schon darüber erstaunt, diesen
Antrag zum jetzigen Zeitpunkt auf dem Tisch zu haben,
weil ich auch persönlich betroffen bin. Denn Sie erin-
nern sich vielleicht, werte Frau Kollegin, dass ich bereits
im Jahre 2001 einen Antrag zu genau diesem Thema ein-
gereicht habe. Die Forderungen, die Sie heute stellen,
waren in diesem Antrag in ähnlicher Weise formuliert.
Wenn ich mich recht erinnere – ich habe noch einmal ins
Protokoll gesehen –, haben Sie ihn seinerzeit abgelehnt,
weil der Antrag in vielen Punkten überholt gewesen sei,


(Ute Kumpf [SPD]: Stimmt!)

da Sie schon viel aufgearbeitet hätten,


(Ute Kumpf [SPD]: Das stimmt alles!)

und da die Regierungskoalition durch Ihre Anträge
schon in viel größerem Umfang tätig geworden sei.


(Ute Kumpf [SPD]: Das ist alles korrekt!)

Heute stehen – ich könnte es Ihnen an einigen Punk-

ten aufzeigen – fast genau dieselben Forderungen wieder
auf dem Papier. Man könnte fast meinen, wir hätten drei
wichtige Jahre zum Schutze unserer Kinder verpasst. Es
wäre mir wichtig gewesen, wenn wir diese drei Jahre
schon an der einen oder anderen Stelle genutzt hätten,
um unsere Kinder zu schützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf einige Punkte Ihres Antrags möchte ich mich

kurz beziehen. Sie sagen, dass der Nationale Aktions-
plan weiterentwickelt werden muss. Das haben wir be-
reits 2001 gefordert.


(Renate Gradistanac [SPD]: Da gab es ihn doch noch gar nicht!)


– Lassen Sie mich doch ausreden. – Wir wollten ein ver-
nünftiges Konzept, um ihn umzusetzen. Wir haben ge-
sagt, dass wir dieses Thema angehen müssen. Nun sind
drei Jahre vergangen, in denen es gute, aber nicht ausrei-
chende Entwicklungen gab. Das geben Sie ja selbst zu.
Insofern müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass wir
an diesem Punkt weiterarbeiten.

Sie erwähnen in Ihrem Antrag den Wunsch nach ei-
nem Ausbau der Kinder- und Jugendtelefone. Das ist
vollkommen richtig. Sie schreiben, dass es derzeit
95 dieser Telefone gibt und dass es viel mehr werden
müssen. Auch an dieser Stelle möchte ich nur daran erin-
nern, dass es 1998 bereits 80 solcher Telefone gab. Von
1998 bis jetzt sind also lediglich 15 Telefone hinzuge-
kommen. Das ist zu wenig. Wir müssen gemeinsam da-
für sorgen, dass es mehr werden. Das kann nicht sein.

Sie loben und begrüßen, dass die Bundesregierung
das Informationszentrum zu Kindesmissbrauch und
Kindesvernachlässigung fördert und es an das Deut-
sche Jugendinstitut angegliedert hat. Das finde ich toll.
Sie loben dafür die Bundesregierung. Aber auch diese
Leistung wurde bereits im Januar 1998 erbracht. Inso-
fern freuen wir uns, dass Sie auch die Leistung der alten
Bundesregierung in Ihrem neuen Antrag lobend erwäh-
nen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Nur ein bisschen spät!)







(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach

Wir nehmen es zur Kenntnis und ich denke, das ist auch
der richtige Weg: dass wir gemeinsam nach vorn gehen,
und wenn gute Dinge geleistet worden sind, darf man sie
auch beim Namen nennen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Gut finde ich – das ist neu in Ihrem Antrag –, dass Sie

auf die berufsethischen Standards hinweisen und auch
hier einen Verhaltenskodex fordern; das ist neu und das
ist richtig. Denn wir wissen, dass Menschen, die Kinder
missbrauchen, sich gerade im Familienumfeld aufhalten
oder in Bereichen, wo sie Kontakt mit jungen Menschen
haben, ein entsprechendes Arbeitsfeld suchen. Hier auf
einen Verhaltenskodex hinzuwirken, berufsethische
Standards zu benennen finde ich sehr gut. Das ist begrü-
ßenswert, das kann man nur unterstützen. An dieser
Stelle kann man auch sagen, dass das, was die deutsche
Tourismusbranche mit ihrem Verhaltenskodex auf den
Weg gebracht hat, begrüßenswert und unterstützenswert
ist. Es ist wichtig, deutlich zu machen, was da eigentlich
passiert, und zu sensibilisieren; dahin müssen wir kom-
men: dass es in die Köpfe geht. Wir unterstützen dieses
Anliegen auf jeden Fall.

Internationale Zusammenarbeit kann nur gestärkt
werden; es ist nicht ein deutsches Problem. Wir müssen
natürlich mit den Nachbarstaaten in Europa und weltweit
dieses Thema angehen; insofern begrüßen wir auch, dass
Deutschland im Juli den Vorsitz der Ostseeratskoopera-
tion übernimmt. Wir werden in den Beratungen – wir
befinden uns ja jetzt in der ersten Lesung – natürlich
wissen wollen: Welche Visionen haben Sie dafür, welche
Konzepte verfolgen Sie, welche Strategien will Deutsch-
land unter seinem Vorsitz umsetzen und wo sollen wir
hin?

Was ich allerdings in Ihrem Antrag ein wenig ver-
misse, ist eine stärkere Begleitung der Opfer, das heißt
der Kinder, die Opfer geworden sind. Ich glaube nicht,
dass es ausreicht, auf die Bundesländer einzuwirken,
dass sie entsprechende Mittel zur Verfügung stellen, um
die Beratungsstellen aufrechtzuerhalten – im Sinne von
Konnexität müsste es eigentlich so sein, dass der Bund
Mittel zur Verfügung stellt, um diese Projekte wirklich
vor Ort weiterführen zu können, um den Opfern Hilfe zu
geben.

Ganz zum Schluss ein Satz – darauf geht meine Kolle-
gin Noll gleich noch ein –: Sie haben deutlich gemacht,
Kollegin Gradistanac, wie sich der Täterkreis zuneh-
mend verändert. Wir kommen nicht umhin, konsequenter
strafrechtliche Schritte einzuleiten und zu gehen.


(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das Strafrecht verschärft!)


Was Sie machen, reicht nicht aus. Ich wünschte mir
schon an der einen oder anderen Stelle eine konsequen-
tere, präzisere Vorgehensweise, etwa wenn es um die
nachträgliche Sicherungsverwahrung geht, –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511123100

Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?

Sie wollten zum Schluss kommen.

Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1511123200

– um die Überwachung der Telekommunikation oder

die DNA-Analyse. Das ist der letzte Punkt: Ich wünschte
mir eine konsequentere Anwendungsweise. Sie haben
uns an Ihrer Seite, aber bitte nicht nur weich formulie-
ren, sondern auch Tacheles reden; dann sind wir dabei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511123300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ekin Deligöz,

Bündnis 90/Die Grünen.


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511123400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Bekämpfung von sexueller Gewalt und Ausbeutung
ist eine Aufgabe, der wir uns kontinuierlich und mit gro-
ßem Engagement stellen müssen und auch stellen. Sexu-
elle Gewalt und Ausbeutung von Kindern und Jugendli-
chen sind brutal, sie sind monströs, nicht nur schlimm,
sondern ein Verbrechen. Aber – genau das ist die He-
rausforderung für uns Politiker – wir müssen es einfach
schaffen, an dieses Thema nicht nur emotional heranzu-
gehen, sondern vor allem rational und differenziert, um
unsere Ziele überhaupt effektiv erreichen zu können. Es
gibt kein einfaches Patentrezept zum Schutz der Kinder
und es gibt auch keine einfachen Lösungen zur Bekämp-
fung solcher Gewalt gegen Kinder. Auch die Antworten,
die wir darauf geben können, sind komplex; sie sind
nicht einfach: Es gibt ein ganzes Sammelsurium von
Handlungsansätzen und Instrumenten, die wir anwenden
müssen und die wir vor allem aufeinander abgestimmt
zum Einsatz bringen müssen.

Genau an diesem Punkt nimmt die rot-grüne Koali-
tion auch mit diesem Antrag heute diese Aufgabe wahr.
Unsere Kernbotschaft ist: Wir haben eine ganze Menge
dazu gemacht, wir sind gerade dabei, möglichst niedrig-
schwellig eine ganze Reihe von Maßnahmen in Gang zu
bringen, und werden es auch in Zukunft energisch ange-
hen.

Frau Fischbach, jetzt würde ich gerne zu Ihnen etwas
sagen. Was haben Sie in den drei Jahren gemacht? Wir
haben das Strafrecht verschärft. Wir haben es sehr hart
verschärft. Meine Kollegin Gradistanac ist schon darauf
eingegangen. Wir haben eine ganz deutliche Verschär-
fung, nur leider ohne Ihre Stimme. Wir haben zum Bei-
spiel auch noch im Jahre 2000 zum ersten Mal ein Ge-
setz in den Deutschen Bundestag eingebracht, das die
Rechte der Kinder als subjektive Rechte im Grundge-
setz verankert und in dem wir das Recht auf gewaltfreie
Erziehung eingeführt haben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


nur leider ohne Ihre Zustimmung. Dennoch möchte ich
jetzt genau auf dieses Beispiel eingehen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511123500

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin

Fischbach?






(A) (C)



(B) (D)



Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511123600

Nur zu.

(Ute Kumpf [SPD]: Aber bitte nicht die alte Frage, Frau Fischbach! Keine Wiederholung!)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1511123700

Liebe Kollegin Deligöz, ich weiß nicht, zum wie viel-

ten Male ich das jetzt wiederhole,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


weil Sie immer eine verkürzte Sichtweise der Abstim-
mung wiedergeben. Ich frage Sie: Ist es Ihnen noch in
Erinnerung, dass Sie damals die Abstimmung zur ge-
waltfreien Erziehung verbunden haben mit Änderungen
im Unterhaltsrecht und dass wir hier im Bundestag nicht
über die einzelnen Punkte abstimmen konnten, sondern
nur über das Gesamtpaket? Wir haben also gar nicht im
Einzelnen über die gewaltfreie Erziehung abgestimmt,
sondern haben darüber in Kombination mit Unterhalts-
rechtsänderungen, bei denen wir erhebliche Bedenken
hatten, abgestimmt. Ist Ihnen das noch bekannt?


Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1511123800

Frau Fischbach, ich freue mich richtig, dass Sie mir

diese Frage stellen. Ich war damals dabei und war eine
der Hauptverhandlerinnen. Von daher kenne ich die Rei-
henfolge der Ereignisse ganz genau. Ich bin damals für
meine Fraktion durch alle Fraktionen gegangen, weil ich
die Meinung vertreten habe, dass es wichtig wäre, dass
wir hier im Bundestag eine einstimmige Meinung zu die-
sem Thema haben, weil es eine sehr hohe symbolische
Bedeutung hat und weil das ein Signal nach außen gewe-
sen wäre, das ich für sehr wichtig gehalten habe. An Ih-
ren Rechtspolitikern – ich gebe zu, nicht an Ihnen per-
sönlich – bin ich gescheitert: Sie wollten kein
subjektives Recht, sie wollten es nicht in diesem Para-
graphen, sondern im allgemeinen Teil, möglichst unbe-
stimmt und ohne Rechtskonsequenzen.


(Zurufe von der SPD: Aha!)

Das war der Punkt, an dem wir gesagt haben: Schnitt!
Wir nehmen das, was wir machen, ernst – wenn wir es
nicht ernst nehmen, dann machen wir es erst gar nicht.
Deshalb ist dieses Gesetz dort, wo es jetzt steht, und es
ist sehr wirksam. Dazu komme ich noch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens – ich bin noch nicht fertig – zum Hucke-
packgesetz: Ja, es war noch eine Unterhaltsrechtsklausel
dabei. Diese Klausel ist zu einem Zeitpunkt in das Ge-
setz gekommen, zu dem wir bereits wussten, dass ein-
deutig von Ihrer Fraktion beschieden worden ist, dass
Sie sowieso nicht mitmachen.


(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, das stimmt!)


Diese Klausel zum Unterhaltsrecht besagte nichts ande-
res, als dass ein Anspruch auf das gesamte Kindergeld
besteht, wenn Kinder bei einem Elternteil leben und der
andere Elternteil keinen oder zu wenig Unterhalt zahlt.
Wenn keine Unterhaltszahlungen erfolgen, soll das Kin-
dergeld dorthin, wo die Kinder leben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie dagegen sind, dann erklären Sie das einmal
den Müttern, die alleine ihre Kinder erziehen. Genau da-
gegen haben Sie gestimmt, gegen nichts anderes.


(Ina Lenke [FDP]: Das stimmt überhaupt nicht!)


Jetzt bin ich am Ende meiner Antwort.
Wir haben dieses Recht im Jahr 2000 vereinbart. Ich

möchte Ihnen sagen, warum es wichtig war, nicht nur
das Gesetz zu verändern, sondern auch eine Kampagne
dazu durchzuführen. Unsere Kampagne hat dazu ge-
führt, dass ein Paradigmenwechsel in diesem Land ein-
geleitet wurde. 80 Prozent der Eltern in diesem Land be-
scheinigen, dass sie darüber erfahren haben, und
erklären, dass sie in Zukunft von alleine darauf verzich-
ten wollen, Gewalt in der Erziehung anzuwenden. Noch
eine Zahl: Noch im Jahre 1992 war eine Ohrfeige völlig
legitim, völlig normal. Heute sagen die meisten Eltern,
nämlich 86 Prozent: Nein, darauf will ich verzichten.
Lediglich 14 Prozent können das noch vertreten. Im
Jahre 1992 meinten 41 Prozent der Eltern, ein Kind mit
dem Stock zu schlagen sei doch kein großes Problem,
das sei ein Teil der Erziehung. Heute sind es nur noch
5 Prozent. Das ist das Ergebnis unserer Kampagne, die
ich als wirklich erfolgreich bezeichne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Nichts anderes zählt; denn eines wissen wir: Gewalt
erzeugt Gewalt. Dagegen müssen wir uns auflehnen. Wir
müssen diesen Teufelskreis durchbrechen. Es geht um
den Schutz unserer Kinder; es geht um unsere Kinder
und um nichts anderes. Deshalb gibt es auch heute wie-
der nicht nur eine Gesetzesänderung – diese haben wir
hinter uns gebracht –, sondern auch einen Aktionsplan,
eine Kampagne, um die Eltern, um die Kinder, um die
Menschen, um unsere Gesellschaft zu erreichen. Es geht
dabei um Prävention, um Intervention und natürlich
auch um Aufklärung.

Noch ein Punkt: die Verschärfung des Strafrechts.
Ja, die Verschärfung ist an diesem Punkt berechtigt. Nur,
mit Strafrecht alleine schrecken Sie keinen Täter ab;
denn die Täter wissen alle schon, dass es verboten ist,
und tun es trotzdem.

Eine große Dunkelziffer der Täter kommt aus dem
Nahbereich des Kindes. Es sind die Familienmitglieder
– Tanten und Onkel – und die Nachbarn. Sie wissen,
dass das verboten ist, es schreckt sie aber nicht ab. Ge-
rade deshalb ist es wichtig, möglichst niedrigschwellig
Angebote zu machen, die Eltern zu ermutigen und die
Offenheit zu wecken, zu diesem Telefon zu greifen. Es
reicht nicht aus, dass diese Telefone existieren. Es muss
auch die Aufmunterung geben, sie zu benutzen.






(A) (C)



(B) (D)


Ekin Deligöz


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP])


Es geht darum, national und international zu handeln
und nicht nur darüber zu reden.

Es geht um eine gesellschaftliche Sensibilität. Wir
wissen, dass die Dunkelziffer hoch ist. Deshalb fordern
wir vonseiten der Grünen gerade an der deutsch-tsche-
chischen Grenze, aber nicht nur dort, auch eine For-
schung in diesem Bereich, um genau das zu durchbre-
chen. Wir wollen eine Forschung, die uns gesicherte
Erkenntnisse zur Argumentation und zum Handeln gibt.
Wir wollen mit diesen Erkenntnissen weg von der reinen
Skandalisierung und Emotionalisierung hin zu Wegen,
durch die wir unsere Kinder schützen.

Eines möchte ich noch einmal betonen: Die Zukunft
unserer Kinder ist die Zukunft unserer Gesellschaft.


(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Wenn wir es nicht schaffen, die Gewalt zu durchbrechen,
dann wird das auf unsere Gesellschaft zurückschlagen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511123900

Das Wort hat der Kollege Klaus Haupt, FDP-Frak-

tion.


Klaus Haupt (FDP):
Rede ID: ID1511124000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sexuelle Ausbeutung und Gewalt gegen Kinder gehört
zu den abscheulichsten Verbrechen auf dieser Welt. Kin-
derprostitution, Kinderhandel und Kinderpornographie
sind ein gigantisches verbrecherisches Geschäft gewor-
den. UNICEF schätzt den Umsatz weltweit auf 6 Mil-
liarden Euro jährlich. 2 Millionen Kinder weltweit sind
von Kinderprostitution betroffen. Das heißt, 3 000 Kin-
der werden täglich neue Opfer sexueller Gewalt.

Als damaliger Vorsitzender der Kinderkommission
habe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen an der
Konferenz in Yokahama teilgenommen. Dort wurde ei-
nes sehr deutlich: Das Problem der sexuellen Ausbeu-
tung ist sowohl in den armen als auch in den reichen
Ländern ein zunehmendes Übel. Man schätzt, dass sich
jährlich 10 000 Deutsche an Kindern im Ausland sexuell
vergehen. In Deutschland kommen jährlich etwa
20 000 Fälle vor Gericht, bei denen Kinder Opfer sexu-
eller Gewalt sind. Die Dunkelziffer liegt nach Schätzun-
gen sechsmal so hoch. Sexuelle Ausbeutung, Gewalt und
Missbrauch fügen Kindern schwersten Schaden an Leib
und Seele zu. Die seelischen und womöglich auch kör-
perlichen Narben bleiben lebenslang bestehen. Das
Grundvertrauen der betroffenen Kinder in andere Men-
schen wird zerstört.

Deshalb begrüßt die FDP-Fraktion den vorliegenden
Antrag grundsätzlich. Sexuelle Gewalt gegen Kinder
darf kein Tabuthema sein. Es muss immer wieder in das
öffentliche Bewusstsein gerufen werden.


(Beifall bei der FDP, der SPD und der CDU/ CSU)


Dazu dient auch die heutige Debatte. Sie ist ein gemein-
sames Anliegen aller Fraktionen des Deutschen Bundes-
tages und wir sollten auch über einen gemeinsamen An-
trag nachdenken, um die Bedeutung des Anliegens zu
unterstreichen.


(Beifall bei der FDP und der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])


Die stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit ist
ein wichtiger Aspekt. Viele Missbrauchsfälle könnten
verhindert werden, wenn sexuelle Übergriffe nicht über-
sehen und bagatellisiert, sondern wahrgenommen und
angezeigt würden. Das Problem ist nie weit weg, es ist
überall. Meist stammen die Täter aus der Familie oder
dem engeren Bekanntenkreis. Hier ist jeder Einzelne ge-
fragt. Die Gesellschaft darf nicht wegsehen, wenn es um
sexuelle Gewalt gegen Kinder geht.

Nationales Handeln allein ist nicht ausreichend. In-
nerhalb der Europäischen Union und auch weltweit muss
die Zusammenarbeit zur Bekämpfung der sexuellen
Ausbeutung von Kindern intensiviert werden. Besonders
im Bereich der Kinderpornographie ist es notwendig, zu
einem die Landesgrenzen überschreitenden, wirksamen
europaweiten Rechtsstandard zu kommen.

In diesem Zusammenhang hat sich das Internet nicht
nur als Segen, sondern eben auch als Fluch erwiesen: Per
Mausklick sind hunderttausend einschlägige Adressen
und Hunderte von Webseiten täglich abrufbar – und das
im Schutze der Anonymität, die solche Perversionen be-
günstigt. Deshalb muss das Problem auf allen Ebenen
energisch angegangen und müssen wirksame Strategien
international angelegt werden; denn das schmutzige Ge-
schäft mit Kindersex ist grenzüberschreitend. Der Miss-
brauch der Schwächsten der Gesellschaft, der Kinder, ist
ein Verbrechen an der Zukunft unserer Gesellschaft und
an der Menschheit.

Danke.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511124100

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Michaela Noll, CDU/CSU-Fraktion.


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1511124200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Alle meine Vorredner hatten das Glück, schon
vorher Mitglieder des Bundestages zu sein. Was will ich
damit sagen? Sie haben bereits von meiner Kollegin
Ingrid Fischbach gehört – ich glaube, sie hat es wirklich
dezidiert dargelegt –, dass wir das, was Sie jetzt hier for-
dern, bereits vor Jahren gefordert haben und Sie unsere
Anträge immer abgelehnt haben. Die 16 000 Fälle von






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll

Kindesmissbrauch jährlich, die die Kollegin Fischbach
erwähnt hat, zwingen uns, weiter zu handeln.

Tatsache ist, dass immer mehr Pädophile gezielt Chat-
rooms nutzen, um minderjährige Opfer anzusprechen.
Mein Kollege Klaus Haupt hat auch schon von den Kin-
derpornos gesprochen. Diese dürfen nicht verharmlost
werden.

Ich komme gerade aus einem Gespräch mit Strafvoll-
zugsbediensteten. Wenn man mit ihnen gesprochen hat,
dann weiß man, was draußen los ist. Sie haben mir klipp
und klar gesagt: Die Zahl der gefährlichen, gewaltberei-
ten und behandlungsresistenten Strafgefangenen steigt
jährlich. Das geht zulasten der Kinder. Die Opfer leiden
unter schwerwiegenden Folgen für Seele und Körper.

Kollege Haupt hat auch richtig dargestellt – ich
glaube, das sehen wir alle so –, dass dies zunehmend zu
einem grenzüberschreitenden Problem wird; denn Kin-
derprostitution macht an Grenzen nicht Halt. Obwohl
der Besitz von Kinderpornographie und deren Austausch
im Internet seit dem 1. April schärfer bestraft wird, be-
steht meiner Meinung nach nach wie vor die Gefahr,
dass die Machenschaften der Triebtäter in der virtuellen
Welt meistens ungestraft bleiben.

Deshalb sage ich an diesem Punkt: Dieser Antrag
geht in die richtige Richtung, denn ohne eine umfas-
sende internationale Zusammenarbeit aller Länder
werden wir nichts erreichen. Es ist auch richtig, dass sich
internationale Organisationen mit dieser Problematik be-
fassen; denn sexuelle Ausbeutung von Kindern findet
eben nicht nur in Deutschland statt. Aber um das wirk-
sam zu bekämpfen, müssen alle betroffenen Länder die
Strafverfolgungsmöglichkeiten verbessern. Trotzdem:
Diese Forderungen sind nicht neu. Das waren unsere
Forderungen.

Sehr geehrte Frau Kollegin Gradistanac, ich kann Ih-
nen eine kritische Bemerkung zu Ihrem Antrag leider
nicht ersparen; denn das gerade in Kraft getretene Gesetz
zur angeblich umfassenden Verschärfung im Sexual-
strafrecht ist halbherzig und unzureichend. Da ich in
allen Debatten zur Verschärfung des Sexualstrafrechts,
zur Opferrechtsreform, zum Opferschutzgesetz und zur
nachträglichen Sicherungsverwahrung für die Schwa-
chen dieser Gesellschaft gekämpft habe, glaube ich
schon, dass ich dies gut beurteilen kann.

In vielen Punkten haben Sie sich mit wichtigen Maß-
nahmen zurückgehalten. Kindesmissbrauch und vor al-
lem sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Perso-
nen bleiben Vergehen und werden nicht als Verbrechen
geahndet. Was heißt das für einen Nichtjuristen? Der
Versuch ist nicht strafbar. Das aber haben wir gefordert.
Das gleiche Problem stellt sich bei der Überwachung
des Fernmeldeverkehrs, die für die vielen Fälle von
Kindesmissbrauch und der Verbreitung von Kinderpor-
nographie wichtig wäre. Auch da haben Sie uns nicht zu-
gestimmt, geschweige denn die Zulässigkeit der DNA-
Analyse unterstützt. Viele wissen aus der Presse, dass
die DNA-Analyse wesentlich dazu beigetragen hat, dass
viele Täter überführt werden konnten.
In Ihrem Antrag steht, massiv traumatisierte Kinder
sollen dabei unterstützt werden, eigene Interessen wahr-
zunehmen, damit sie Subjekte des Geschehens werden.
Liebe Kollegin Deligöz, als ich das in dem Antrag gele-
sen habe, war ich – gelinde gesagt – sehr enttäuscht und
betroffen. Für diejenigen, die es noch nicht wissen: Ich
habe für das Mainzer Modell im Strafverfahren ge-
kämpft. Opferschutz heißt für die CDU/CSU-Fraktion,
sich am Wohl des Kindes zu orientieren. Für alle die, die
nicht wissen, was das Mainzer Modell beinhaltet, sage
ich: Es geht darum, dass kindliche Opfer im Strafverfah-
ren sich in einem gesonderten Raum mit dem Vorsitzen-
den befinden und eben nicht nur in eine Kamera spre-
chen müssen. Das hat etwas mit Kindeswohl zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe es noch einmal erklärt, weil dieses Mal die

Familienpolitiker hier sitzen. Mein Appell an die Fami-
lienpolitiker geht dahin, hin und wieder Einfluss auf
Rechtspolitiker zu nehmen, damit diese ihr Herz und ih-
ren Verstand für die Kinder öffnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Punkt haben Sie leider kein deutliches Signal
für kindlichen Opferschutz im Strafverfahren gesetzt.

In Bezug auf die grenzüberschreitenden Maßnahmen
– ich muss Sie einmal direkt ansprechen – rate ich Ihnen,
über die Grenze zu schauen, was Österreich gemacht
hat. Österreich hat das Mainzer Modell bereits einge-
führt. Können wir uns nicht vielleicht einmal daran an-
nähern?

Das Gleiche betrifft die nachträgliche Sicherungs-
verwahrung. Kollege Ströbele ist leider nicht mehr hier.
Mit dem habe ich an diesem Punkt heftig gestritten. Wir
wollten genau das tun, was notwendig ist, nämlich die
Bevölkerung und vor allem die Kinder vor hochgefährli-
chen Gewaltverbrechern schützen. Wir haben Sie an die-
ser Stelle mehrfach zum gesetzgeberischen Handeln auf-
gefordert. Was haben wir dazu von den Rechtspolitikern
gehört? – Es sei Ländersache. Dann kam die Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts. Da haben Sie sich
ein bisschen bewegt.

Die Anhörung dazu im Rechtsausschuss hat ergeben,
dass der Regierungsentwurf viele kritische Punkte ent-
hält, die geklärt werden müssen. Was heißt das
wiederum? – Das heißt, dass das Zeitfenster, das das
Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, nämlich der
30. September, vielleicht nicht eingehalten werden kann.
Was das heißt, muss ich Ihnen, glaube ich, nicht erklä-
ren. Das heißt, dass die hochgefährlichen Kinderschän-
der, die jetzt einsitzen, dann rausgelassen werden. Dass
wir viel Zeit verloren haben, müssen Sie sich selber an-
lasten. Ich glaube, gut gemeinte Kampagnen allein nüt-
zen nichts, wenn der Gesetzgeber selbst diese Wertung
nicht ernsthaft ausspricht.

Fazit: Ihre gut gemeinten Forderungen in dem Antrag
beinhalten die Ziele, Projekte und weltweite Standards
zu entwickeln, zu fördern, Maßnahmen zu prüfen, aber
Sie fordern nicht eine einzige konkrete gesetzliche Rege-
lung. Dennoch: Ich mache Ihnen ein Angebot. Es ist ein






(A) (C)



(B) (D)


Michaela Noll

gutes Signal, aber damit allein ist es nicht getan. Lassen
Sie mit uns gemeinsam den guten Ansätzen Taten fol-
gen. Es liegt jetzt an Ihnen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Klaus Haupt [FDP])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511124300

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/3211 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
Tagesordnung soll die Vorlage jedoch nicht an den Haus-
haltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula
Lietz, Anita Schäfer (Saalstadt), Christa Reichard

(Dresden), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der CDU/CSU
Frauen und Familien in der Bundeswehr stär-
ken und fördern
– Drucksache 15/3049 –
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Ursula Lietz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Lietz (CDU):
Rede ID: ID1511124400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am
11. Januar 2000 hat der Europäische Gerichtshof in
seinem Grundsatzurteil die Bundesrepublik aufgefor-
dert, alle Bereiche und Teilstreitkräfte der Bundeswehr
für Frauen grundsätzlich zu öffnen. Mit der Überarbei-
tung unter anderem des Grundgesetzes haben wir in die-
sem Hohen Hause die rechtlichen Grundlagen dafür ge-
schaffen und dem somit zugestimmt.

Seitdem hat sich eine beachtliche Anzahl von jungen
Frauen für die Bundeswehr entschieden. Diese Soldatin-
nen tun dort sehr selbstbewusst und sehr zielsicher ihren
Dienst. Es ist eine gute Gelegenheit, ihnen an dieser
Stelle dafür ganz herzlich zu danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Um die Bedingungen für Frauen und Soldatenfami-
lien den neuen Gegebenheiten anzupassen, hat die Frak-
tion der CDU/CSU den Antrag mit dem Titel „Frauen
und Familien in der Bundeswehr stärken und fördern“
gestellt, der im Vorfeld mit betroffenen Frauen abgespro-
chen worden ist und von Frauen des Bundeswehrverban-
des unterstützt wird.

Zurzeit dienen immerhin 9 800 Frauen als Soldatin-
nen in der Bundeswehr. Knapp 700 sind bereits Offiziere
und 4 900 sind Unteroffiziere. Das sind insgesamt
5 Prozent aller Zeit- und Berufssoldaten. Nach den Er-
fahrungen verbündeter Armeen wissen wir, dass damit
zu rechnen ist, dass sich der Anteil weiblicher Soldaten
bei circa 10 Prozent stabilisieren könnte. Wenn wir da-
von ausgehen, dass dies so sein wird, dann müssen ei-
nige Konsequenzen gezogen werden, die ich Ihnen hier
gerne darstellen möchte.

Der Verteidigungsminister ist aufgefordert, dreiein-
halb Jahre nach Öffnung der Bundeswehr für Frauen
endlich ein Gesetz für deren Gleichstellung zu schaffen.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist es!)


Ankündigungen haben wir mittlerweile genug gehört.
Schwierigkeiten scheint es im Verhältnis zwischen dem
Familienministerium und dem Verteidigungsministerium
zu geben. Fakten sind bis jetzt keine geschaffen worden.

Dass so etwas möglich und nötig ist, zeigen in vor-
bildlicher Weise andere Streitkräfte. Ich möchte hier in
besonderer Weise die Niederlande erwähnen. Ein
Gleichstellungsgesetz allein reicht jedoch nicht aus.

Folgende Punkte, die unsere besondere Aufmerksam-
keit brauchen, möchte ich Ihnen im Einzelnen vorstel-
len: Aufstiegsmöglichkeiten und Beförderungschancen
müssen für Männer und Frauen in der Bundeswehr glei-
chermaßen vorhanden und attraktiv sein. Das hört sich
zwar banal an und sicherlich wird Ihnen jeder versi-
chern, dass dies der Fall ist, aber es ist leider nicht so.
Das werden Sie feststellen, wenn Sie mit Soldatinnen
sprechen. Deshalb sollten in der Nachwuchsgewinnung
und in der Wehrdienstberatung verstärkt erfahrene Sol-
datinnen eingesetzt werden.

Teilzeitarbeit für Soldatinnen und Soldaten ist spe-
ziell während der Elternzeit oder der Pflege von Ange-
hörigen zu ermöglichen. Das ist möglich und wird in
anderen Ländern bereits so gehandhabt. Ich bin dem
Wehrbeauftragten, Herrn Dr. Penner, sehr dankbar dafür,
dass er in der Vergangenheit im Ausschuss immer wie-
der bestätigt hat, dass dies möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Gisela Hilbrecht [SPD])


In Zukunft wird es eine steigende Zahl von Soldaten-
ehen geben. Damit meine ich Ehen, in denen beide Ehe-
partner bei der Bundeswehr dienen. Dem ist unsererseits
mit einer entsprechenden Entwicklung der Bedingungen
zugunsten einer familienfreundlichen Ausgestaltung des
Dienstes Rechnung zu tragen. Die Personalplanung der
Bundeswehr sollte hierbei die notwendige Flexibilität
zeigen. Dazu gehört selbstverständlich – es ist kaum zu






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Lietz

glauben, aber derzeit ist das noch nicht selbstverständ-
lich –, dass bei einer Inlandsverwendung beide Ehepart-
ner möglichst am selben Standort eingesetzt werden.
Auch das gehört zur Familienfreundlichkeit.

Wenn die Politik in allen Bereichen der Gesellschaft
für mehr Familienfreundlichkeit und damit für mehr
Kinder plädiert, die wir uns alle für die Zukunft wün-
schen, dann muss das auch für die Bundeswehr gelten.
Denn sie ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dazu gehört auch, dass Eltern von Kleinkindern nicht
gleichzeitig in Auslandseinsätze geschickt werden. Das
ist derzeit nicht sicher. Dass Alleinerziehende mit klei-
nen Kindern den Einsatz in anderen Ländern auf einen
späteren Zeitpunkt verlegen können sollten, ist wohl
auch selbstverständlich.

Kinderbetreuung zu organisieren ist ebenfalls eine
Aufgabe des Arbeitgebers Bundeswehr. Das muss nicht
heißen, dass die Bundeswehr in jeder Kaserne eigene
Kindergärten einrichtet. Aber zumindest die Koopera-
tion mit kommunalen Einrichtungen – deren Schließun-
gen zum Teil bereits diskutiert wird, weil es zu wenig
Kinder gibt – wie auch mit konfessionellen Einrichtun-
gen – ich bin mir sicher, dass sich die Kirchen sehr
schnell für die Bundeswehr öffnen würden – mit einer
bestimmten Anzahl von Plätzen für Bundeswehrkinder
bei möglicherweise flexibleren Öffnungszeiten, die zu
verhandeln sind, ist kein unüberwindbares Problem.

In dem Zusammenhang erwähne ich noch einmal die
zügige und schon seit längerer Zeit angekündigte Ver-
kürzung der Einsatzdauer auf vier Monate. Ich wäre
dankbar, wenn der Herr Verteidigungsminister diese An-
kündigung endlich in die Tat umsetzen würde. Aus
einem Papier geht hervor, dass dies im Rahmen der Ver-
teidigungspolitischen Richtlinien vorgesehen ist. Diese
werden allerdings bis 2010 umgesetzt. So lange können
unsere Familien nicht warten, denke ich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Des Weiteren ist die Einrichtung von 31 Familienbe-
treuungszentren mit fünf hauptamtlichen Beschäftigten
– darunter sollte immer eine Frau sein – angekündigt
worden. 19 davon sind bis jetzt verwirklicht worden. Ich
hoffe sehr, dass mit der Reduzierung der Zahl der Solda-
ten nicht auch die Zahl der Familienbetreuungszentren
reduziert wird. Denn deren Notwendigkeit richtet sich
nach den Einsatzkonditionen im Ausland und nicht nach
der Anzahl der Soldaten in der Bundeswehr.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen insofern auch weiterhin darauf achten, dass
die Familienbetreuungszentren errichtet werden.

Ich möchte Sie alle sehr herzlich darum bitten, sich
mit dafür einzusetzen, dass neben den hauptamtlichen
Mitarbeitern auch auf die Erfahrung von Ehrenamt-
lichen – meist Soldatenfrauen – zurückgegriffen wird.
Ich möchte in diesem Zusammenhang das wunderschöne
Projekt „Von Frau zu Frau“ in Coesfeld erwähnen, in
dem sich erfahrene Soldatenfrauen um Frauen kümmern,
deren Männer zum ersten Mal im Ausland eingesetzt
werden und die damit noch Probleme haben.

Zur Familienfreundlichkeit gehört aber viel mehr als
das Angebot von Teilzeitarbeit und Kindergartenplätzen.
Wir möchten, dass sich qualifizierte junge Frauen wei-
terhin für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden. Sie
nehmen für uns Aufgaben wahr, die dem Frieden und der
Freiheit der Bundesrepublik Deutschland dienen. Sie
verteidigen uns und unsere Verbündeten. Ich denke, für
diese Soldatenfamilien, Soldaten und Soldatinnen müs-
sen wir unsere Hausaufgaben machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich weiß, dass wir uns in diesem Bereich nicht in al-

len Punkten mit anderen Nationen vergleichen können.
Die USA oder andere befreundete Nationen haben wirk-
lich nachahmenswerte Modelle. Wir müssen uns dage-
gen noch immer auf die Anforderungen weltweiter Ein-
sätze einstellen, weil wir erst seit einigen Jahren über
entsprechende Erfahrungen verfügen. Finanzielle Inves-
titionen sind auf jeden Fall notwendig. Aber sie werden
sich in Grenzen halten und werden überschaubar sein.
Wer mehr Kinderfreundlichkeit in unserer Gesellschaft
einfordert, sollte nicht nur entsprechende Sonntagsreden
halten, sondern auch konkret etwas dafür tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich noch ganz kurz ein Wort zu den Aus-

landseinsätzen und den Konsequenzen sagen, die für
die Bundeswehr daraus zu ziehen sind. Die Bundeswehr
war früher eine reine Verteidigungsarmee. Sie alle wis-
sen, dass das nicht mehr der Fall ist. Heute ist sie zu ei-
ner weltweit einsatzfähigen Interventions- und Krisen-
präventionsarmee geworden. Wir haben die weltweiten
Auslandseinsätze der Bundeswehr immer gemeinsam
beschlossen. – Herr Nachtwei, Sie schütteln den Kopf.
Auch ich wünsche mir ein Weißbuch, in dem die deut-
schen Interessen im Hinblick auf Auslandseinsätze ein
bisschen deutlicher formuliert sind. Das steht leider noch
immer aus.


(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin dabei!)


Nachdem wir gemeinsam beschlossen haben, unsere
Soldatinnen und Soldaten in weltweite Auslandseinsätze
zu schicken, würde ich mich sehr freuen, wenn wir auch
gemeinsam die Rahmenbedingungen verabschieden wür-
den. Es wäre gut, wenn wir alle hinter unseren Soldaten
stehen. Damit meine ich nicht nur die bestmögliche tech-
nische Ausrüstung, die eigentlich selbstverständlich sein
sollte – hier gibt es ja gelegentlich Kritik –, sondern auch
die sozialen Rahmenbedingungen. Es gibt Studien ei-
nes Instituts der Bundeswehr, die klar besagen, dass es
entscheidenden Einfluss auf den Einsatz hat, wenn die
Soldaten nicht wissen, ob ihre Familien gut versorgt sind.
Wenn sie sorgenfrei, beruhigt und motiviert in den Ein-
satz gehen können, dann ist das für sie selber angeneh-
mer und – das behaupte ich einmal – möglicherweise






(A) (C)



(B) (D)


Ursula Lietz

kostengünstiger, weil sie nicht aus der einen oder ande-
ren Not heraus früher nach Hause fahren wollen und im
Einsatz nicht falsch reagieren.

Für mich ist wichtig, festzuhalten, dass Frauen in der
Bundeswehr die Chancen bekommen, die sie erwarten,
und dass Soldatenfamilien genauso wie Alleinerzie-
hende das Gefühl haben, dass sie uns am Herzen liegen,
dass wir uns um sie kümmern. Dazu sollten wir alle be-
reit sein. Dieses Ziel verfolgt der heute von der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion eingebrachte Antrag. Die
Schritte, mit denen wir dieses Ziel erreichen können,
habe ich Ihnen aufgezeigt. Ich würde mich – ich wieder-
hole das ausdrücklich – über einen gemeinsamen Be-
schluss betreffend diese Themen freuen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511124500

Das Wort hat die Kollegin Petra Heß, SPD-Fraktion.


Petra Heß (SPD):
Rede ID: ID1511124600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Lietz, es fehlt heute bei diesem wichtigen Thema
an Präsenz.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, Minister fehlen! Nur die Staatssekretäre sind da und die reden noch nicht einmal!)


Sie ist aber nicht aus mangelndem Interesse, sondern
aufgrund der mangelnden Substanz Ihres Antrages dürf-
tig. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Stärkung
und zur Förderung von Frauen und Familien in der Bun-
deswehr entspricht im Wesentlichen den Anliegen und
den Initiativen, die das Bundesministerium der Verteidi-
gung seit langem verfolgt und in vielen Bereichen be-
reits umgesetzt hat. Unsere Soldatinnen erfahren inner-
halb der Bundeswehr nicht nur eine gute Aufnahme,
sondern auch eine sehr große Akzeptanz. Sie sind hoch
qualifiziert und motiviert und zeichnen sich durch
Engagement und Leistungsbereitschaft aus. Ich möchte
in diesem Zusammenhang ein ganz praktisches Beispiel
nennen. Die Jahrgangsbesten der Marineschule Mürwik
waren im vorletzten und im letzten Jahr Frauen.


(Beifall der Abg. Ina Lenke [FDP])

Wie mir in vielen Gesprächen versichert wurde, hat

sich mit dem Eintritt von Frauen in die Bundeswehr ge-
rade die Motivation ihrer männlichen Kameraden er-
höht, die durch die sehr guten Leistungen der Soldatin-
nen angespornt werden, es ihnen gleichzutun. Auch der
bekanntermaßen manchmal etwas raue Umgangston in-
nerhalb der Bundeswehr hat sich seit der Öffnung für
Frauen sehr zum Positiven gewendet. Natürlich gibt es
wie im zivilen Bereich auch in der Bundeswehr noch Be-
darf, die Integration von Frauen weiter zu verbessern.
Daran arbeiten wir.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Wie lange noch?)

Das geplante Gesetz zur Durchsetzung der Gleich-

stellung für Soldatinnen und Soldaten, dessen Ent-
wurf sich zurzeit in der Ressortabstimmung befindet,
zeigt dies eindrucksvoll. Wir werden den Gesetzentwurf
– ich komme damit auf Ihre Frage zurück – noch in die-
sem Jahr einbringen, damit das Gesetz 2005 in Kraft tre-
ten kann.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Noch sieben Monate!)


Ihr Vorwurf, die Bundesregierung belasse es diesbezüg-
lich bei Ankündigungen, ist somit schlichtweg falsch.

Das Soldatengleichstellungsgesetz wird unseren Sol-
datinnen und Soldaten einen gesetzlichen Anspruch an
die Hand geben, den Angehörige im zivilen Bereich be-
reits seit Jahren durch das Frauenfördergesetz und das
Bundesgleichstellungsgesetz genießen. Die Integration
von Frauen in die Bundeswehr wird somit weiter voran-
getrieben werden.

Besonders hervorheben möchte ich hierbei, dass im
Gesetz künftig festgeschrieben sein wird, dass eine
Unterrepräsentierung von Frauen dann vorliegt, wenn
ihr Anteil in den einzelnen Streitkräften unter 15 Prozent
und im Sanitätsdienst unter 50 Prozent liegt.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511124700

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?


Petra Heß (SPD):
Rede ID: ID1511124800

Nein.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511124900

Gut.


Petra Heß (SPD):
Rede ID: ID1511125000

Für die Praxis ist relevant, dass Bewerberinnen bei

gleicher Leistung, bei gleicher Eignung und bei gleicher
Befähigung wie ihre männlichen Bewerber bevorzugt
eingestellt werden, wenn in ihrem Bereich nicht die er-
forderlichen 15 bzw. 50 Prozent erreicht werden.

Das Gleiche gilt für den beruflichen Aufstieg von
Soldatinnen und Soldaten. Ist auch hier die entspre-
chende Quote nicht erreicht, werden Soldatinnen gegen-
über ihren männlichen Kameraden bei gleicher Qualifi-
kation bevorzugt. Das Gleichstellungsgesetz schafft
künftig auch die Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung
von Soldatinnen und Soldaten mit Familienpflichten.
Damit wird ein Meilenstein für die Durchsetzung der
Gleichstellung und die Verbesserung der Vereinbarkeit
von Familie und Dienst in den Streitkräften erreicht.


(Ina Lenke [FDP]: Das wird auch Zeit!)

Betrachtet man diese und weitere Regelungen im ge-
planten Gesetz, lässt sich feststellen, dass mit diesem
Gesetzentwurf die Gleichstellung von Frauen und Män-
nern in der Bundeswehr konsequent vorangetrieben
wird.

Wie ernst der CDU/CSU die Forderungen in ihrem
Antrag wirklich sind, kann sie dieses Jahr unter Beweis
stellen, indem sie zusammen mit der Regierungskoalition






(A) (C)



(B) (D)


Petra Heß

das Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von
Soldatinnen und Soldaten verabschiedet.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Erstmal sehen, was drinsteht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
hinsichtlich der Forderung in Ihrem Antrag, künftig
mehr Soldatinnen in den Nachwuchsgewinnungszen-
tren und mehr Frauen als Wehrdienstberaterinnen ein-
zusetzen, kann ich Ihnen sagen, dass diese Entwicklung
bereits eingesetzt hat – für mich ist das ein ganz natürli-
cher Prozess – und sich in Zukunft noch verstärken wird.


(Ina Lenke [FDP]: Wir merken aber bisher noch nichts!)


– Sie müssten vielleicht einmal in die Nachwuchsgewin-
nungszentren oder in die Wehrdienstberatungszentren
gehen.


(Ina Lenke [FDP]: Oh, da war ich auch!)

Seit nunmehr 1991 verrichten Frauen ihren Dienst in

der Bundeswehr. Wir sind froh darüber, dass sich immer
mehr Frauen für den Dienst in der Bundeswehr entschei-
den. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der Anteil der
Frauen an der Gesamtgröße der Bundeswehr zurzeit bei
gerade einmal 5 Prozent liegt.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Da bin ich mal gespannt, wann Sie da auf 15 Prozent kommen!)


Es ist momentan also gar nicht so leicht, eine entspre-
chend hohe Anzahl erfahrener Soldatinnen für diese
Dienstposten zu finden. Aber ich bin mir sicher, dass
sich dies in den nächsten Jahren wirklich sichtbar verän-
dern wird.

Die Bundeswehr hat im Übrigen ein ureigenes Inte-
resse daran, Soldatinnen im Bereich der Nachwuchsge-
winnung einzusetzen,


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Dann tun Sie etwas dafür!)


um gerade weiblichen Interessenten den Einstieg in die
Bundeswehr zu erleichtern.


(Ina Lenke [FDP]: Das können die doch gar nicht, wenn die bei der Nachwuchsgewinnung die Männer vor der Nase haben!)


– Da stimme ich Ihnen zu.
Probleme gibt es, wenn Alleinerziehende mit kleinen

Kindern in den Einsatz sollen. Ich denke, dem kommt
man mit der momentan gängigen Praxis entgegen, Al-
leinerziehende auf Wunsch von Auslandseinsätzen frei-
zustellen.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Das stimmt nicht, Frau Heß!)


– Das haben Nachfragen ergeben.
Ihre Forderungen zu den Maßnahmen für spezielle

Kinderbetreuungsangebote sind meines Erachtens sehr
unspezifisch. Gerade hier gibt es sehr unterschiedliche
Auffassungen darüber, was gut für Kinder ist, was den
Soldatinnen und Soldaten zuzumuten ist und wie die
Ausgestaltung im Einzelnen aussehen könnte. Der Be-
darf wird derzeit abgefragt. Wenn ich eines nicht will
– ich glaube, das wollen auch Sie nicht –, dann das, dass
es zukünftig eine Kasernierung von Kindern in Bundes-
wehrstandorten gibt.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Das habe ich ausdrücklich gesagt!)


Es wird deshalb keine Lex Bundeswehr geben. An
dieser Stelle ist nach wie vor eine enge Zusammenarbeit
mit den Kommunen gefordert und gefragt. Die Bundes-
regierung hat ihrerseits gehandelt und ein Milliardenpro-
gramm für die Kommunen aufgelegt, welches eine
Ganztagsbetreuung in Kindertagesstätten und Schulen
künftig erleichtern und in einigen Regionen ermöglichen
wird.

Jedem Kommunalpolitiker ist klar, dass die Bereit-
stellung von Kindertagesstättenplätzen die Attraktivität
eines Bundeswehrstandortes erhöht. An dieser Stelle
könnte man eine ganze Anzahl positiver Beispiele, ins-
besondere aus den neuen Bundesländern, anführen. Aber
auch Kooperationen an großen Bundeswehrstandorten
haben sich bewährt.

Es bleibt festzustellen: Ganztagsbetreuung, Kinderta-
gesstätten sind und bleiben Ländersache. Der Bund kann
und wird die Betreuungsreform auch künftig begleiten
und unterstützen.

Wie überholt der Antrag der CDU/CSU zur Stärkung
und Förderung von Frauen und Familien in der Bundes-
wehr ist, zeigt sich einmal mehr an der Forderung nach
Einrichtung von 31 Familienbetreuungszentren. Wer
sich wirklich ernsthaft mit der Materie befasst, weiß,
dass es diese Familienbetreuungszentren bereits gibt,


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Die Hälfte davon!)


einige mitunter seit zwei Jahren. Einige arbeiten im Mo-
ment noch ehrenamtlich. Bis zum Jahresende sollen
diese 31 Familienbetreuungszentren aber mit hauptamt-
lichem Personal besetzt werden.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Was sagt der Eichel dazu?)


Zurzeit wird der STAN erstellt, der dazu erforderlich ist.
Ich bin mir sicher, dass wir am 31. Dezember ein sehr
gutes Resümee werden ziehen können. Unser gemeinsa-
mes Ziel sollte hierbei sein, dass in jedem der Familien-
betreuungszentren ein Dienstposten durch eine Frau zu
besetzen ist.

Davon, welch hervorragende Arbeit in den Familien-
betreuungszentren geleistet wird, konnte ich mich bei
mehreren Besuchen vor Ort – wie Sie offensichtlich
auch – überzeugen. Wir hatten zum Beispiel vor einigen
Monaten Angehörige von im Ausland stationierten Sol-
daten und Soldatinnen als Gäste im Kanzleramt bzw. im
Bundestag. Diese Angehörigen haben uns bestätigt, dass
die Familienbetreuungszentren wirklich eine ausgespro-
chen gute Arbeit leisten. Ich möchte die Gelegenheit
nutzen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,






(A) (C)



(B) (D)


Petra Heß

die dort ihren Dienst tun, vor allem bei den ehrenamtli-
chen Mitarbeiterinnen, die oftmals Soldatenfrauen sind
– Sie haben es vorhin schon erwähnt –, ganz herzlich zu
bedanken; denn sie leisten dort eine ausgezeichnete und
fachlich sehr qualifizierte Arbeit.


(Beifall im ganzen Hause)

Die Forderung in Ihrem Antrag nach geeigneten Maß-

nahmen zur Förderung der Akzeptanz von Soldatinnen
und Soldaten mit Kindern ist zu unspezifisch


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Besser als gar keine Konzeption!)


und wirkt ein bisschen konzeptionslos.

(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Nein! – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wo denn?)


Die Berücksichtigung von so genannten Soldaten-
ehen erfolgt in der Bundeswehr bereits weitestgehend.
Es ist gängige Praxis, dass Verheiratete ihren Dienst ge-
meinsam an einem Standort leisten können bzw. eine
entsprechende Versetzung erfolgt, wenn es der Wunsch
beider ist.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Ende dieses Jahres!)


Des Weiteren ist die Forderung nach einem Bericht
über den Stand der Integration der Soldatinnen in der
Bundeswehr nicht mehr aktuell. Das Sozialwissenschaft-
liche Institut der Bundeswehr – Sie wissen das – hat be-
reits einen Auftrag vom Bundesverteidigungsministe-
rium erhalten.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das kriegen wir auch bis Dezember!)


Die entsprechenden Fragebögen sind entworfen worden.
Sie werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt versandt.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Ein Auftrag an das Institut hilft den Frauen noch nicht!)


Diese Befragung findet also zurzeit statt.
Mit der Verkürzung der Einsatzdauer von sechs auf

vier Monate ist das Verteidigungsministerium den Be-
dürfnissen der Soldatinnen und Soldaten entgegenge-
kommen.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Na endlich! Eine alte Forderung der FDP!)


Dementsprechend gut wird diese Änderung von der
Truppe angenommen. Diese Änderung erfolgt noch
nicht überall, denn sie wird schrittweise umgesetzt.

Die kürzeren Stehzeiten – das können Sie sicherlich
nachvollziehen – bedeuten aber eine enorme Kraftan-
strengung für die Bundeswehr. Gerade auch für unsere
einheimischen Truppen, die die Einsätze vorbereiten, ist
das eine enorme Kraftanstrengung. Ein großer Rückhalt
sind hierbei unsere Wehrpflichtigen, die nach ihrer
Ausbildung in großem Umfang für eben diese Einsatz-
vorbereitung eingesetzt werden. Würde die Bundeswehr
nicht über dieses große Potenzial verfügen, könnten un-
sere jetzigen Auslandseinsätze in diesem Umfang nicht
fortgeführt werden.


(Ina Lenke [FDP]: Sie haben sich doch bis zum Schluss dagegen gewehrt, dass Frauen in die Bundeswehr gehen können!)


Ganz abgesehen davon sind es gerade unsere Wehr-
pflichtigen gewesen, die bei den Hochwasserkatastro-
phen in den letzten Jahren Großartiges geleistet haben.


(Beifall bei der SPD)

Ich bitte daher alle Kolleginnen und Kollegen in diesem
Hause, dies auch in der aktuellen Debatte über die Wehr-
pflicht zu bedenken.

Die intensive Beschäftigung mit dem Antrag der
CDU/CSU-Fraktion bestätigte leider den Eindruck, der
sich mir schon bei der ersten Lektüre aufdrängte. Daher
lautet mein Fazit: Hier wurde ein Antrag hervorgekramt,


(Ina Lenke [FDP]: Ach!)

der bereits seit Monaten, vielleicht schon seit Jahren in
irgendeiner Schublade schlummerte; denn viele Feststel-
lungen und Forderungen sind inzwischen wirklich über-
holt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dabei ist das Thema von einer enormen Bedeutung, die
keineswegs unterschätzt werden darf. Ich komme nicht
umhin, festzustellen,


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Dass Sie selber nichts getan haben!)


dass der Antrag der Union dieser Bedeutung nicht ge-
recht wird.


(Ina Lenke [FDP]: Nichts vorlegen, aber hier kritisieren, dass die Union etwas vorlegt! Das ist wohl das Allerletzte!)


Erlauben Sie mir am Ende eine ganz persönliche Be-
merkung. Ich finde es insgesamt äußerst bedauerlich,
dass ein so brandaktuelles Thema dermaßen altbacken
aufgearbeitet wurde.


(Ursula Lietz [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn die Rede geschrieben?)


Eine Erörterung der im Antrag enthaltenen Vorschläge
als Denkanstöße halte ich somit für nicht erforderlich.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Diese Rede muss ein Mann geschrieben haben!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1511125100

Das Wort hat die Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nun nicht wieder he rumgranteln, Frau Lenke!)


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1511125200

Liebe Kollegin, ich schätze Sie wirklich sehr, aber

bitte kritisieren Sie nicht andere Anträge, wenn Sie






(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke

einerseits zugestehen, dass das Thema brandaktuell ist,
aber andererseits dazu noch nichts vorgelegt haben. In
diesem Punkt möchte ich die CDU/CSU jetzt einmal in
Schutz nehmen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Bleiben Sie einmal ganz ruhig!)


Meine Damen und Herren, ich begrüße die Initiative
der CDU/CSU-Fraktion zur Stärkung und Förderung
von Frauen und Familien in der Bundeswehr; denn der
Antrag – das wissen Sie – greift nicht nur Diagnosen aus
dem aktuellen Bericht des Wehrbeauftragten auf, son-
dern vor allem auch Ergebnisse aus der Kleinen Anfrage
der FDP-Bundestagsfraktion zur Situation von Frauen in
der Bundeswehr.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Antworten der Bundesregierung auf unsere An-
frage zeigen, dass es die gläsernen Decken, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen,
für Frauen beim beruflichen Aufstieg auch in der Bun-
deswehr gibt. Erinnern Sie sich: Seit 1975 werden
Frauen als Ärztinnen, Zahnärztinnen, Apothekerinnen
und Veterinärinnen eingestellt. In der Laufbahn der Offi-
ziere des Sanitätsdienstes gibt es aber, obwohl sie seit
1975 für Frauen geöffnet ist, nur fünf Soldatinnen mit
der Besoldungsstufe A16 und höher, dagegen gibt es
245 männliche Soldaten in den Besoldungsstufen A16
und höher.

Derzeit sieht es nicht so aus, als würde sich dieser Zu-
stand ändern: Im Bereich der Nachwuchsgewinnung und
der Ansprache junger Menschen für die Bundeswehr
– das ist vonseiten der CDU/CSU ja auch zum Ausdruck
gekommen – spielen Frauen nämlich keine Rolle. Ich
fordere die Bundesregierung auf – hier sitzt ja auch der
Staatssekretär –, umgehend eine Lösung für dieses Pro-
blem zu finden. Ich weiß, dass es lange dauert, bevor
man im Rahmen der Nachwuchsgewinnung vor jungen
Leuten sprechen darf, aber es gibt sicherlich eine Mög-
lichkeit, Frauen schneller zu qualifizieren und sie im
Rahmen der Nachwuchsgewinnung einzusetzen.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Probleme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
gewinnen für Soldatinnen und Soldaten immer grö-
ßere Bedeutung.

Das sage nicht ich, sondern das hat der Wehrbeauf-
tragte des Deutschen Bundestages gesagt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Er sagt weiter, die Truppe warte auf strukturelle Verbes-
serungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Lei-
der muss er dazu feststellen, dass der Bundesverteidi-
gungsminister konkrete Konsequenzen aus den
herrschenden Missständen nicht gezogen hat.

Meine Kolleginnen und Kollegen, selbst die Bundes-
regierung hat mittlerweile bemerkt, dass die Karrierechan-
cen von Frauen in der Truppe nicht so gut sind, wie sie
eigentlich sein sollten. Und siehe da: Schon steht ein
Gleichstellungsgesetz vor der Tür. Aus Sicht der FDP
will ich Ihnen sagen: Quoten werden weder der besonde-
ren Situation der Bundeswehr noch den Interessen der
Soldatinnen gerecht. Unsere Soldatinnen – auch ich habe
diesbezüglich persönliche Gespräche geführt – wollen
nach dem Grundsatz von Eignung, Befähigung und Leis-
tung behandelt werden.


(Beifall bei der FDP)

Sie wollen nicht bevorzugt werden. Sie wollen nur, dass
spezielle Situationen, zum Beispiel der Fall, dass sie
Kinder haben, berücksichtigt werden.

Die FDP – das kündige ich hier schon an – wird in ei-
nem eigenen Antrag aufzeigen, wie wir uns vorstellen,
dass Soldatinnen und auch Soldaten in der Bundeswehr,
die Familienarbeit übernehmen, unterstützt werden. Wir
wollen, dass die Bundeswehr für Frauen ein attraktiver
Arbeitgeber wird. Das ist sie bis heute nicht. In einigen
wenigen Jahren – das wissen wir beide, Herr Nachtwei,
der Sie als einziger Grüner hier sitzen – wird die Bun-
deswehr nämlich eine Berufsarmee sein, die mit Wirt-
schaft und öffentlichem Dienst um Arbeitskräfte konkur-
rieren muss. Die FDP im Deutschen Bundestag hat mit
als erste Partei Soldatinnen in der Truppe gefordert.


(Günther Friedrich Nolting [FDP]: 1987!)

Gerade haben Sie, liebe Kollegin von der SPD, ge-

sagt, was Sie alles Tolles machen wollen. Denken Sie
einmal an die früheren Diskussionen: Die SPD hat sich
bis zum Schluss dagegen gewehrt, dass Frauen als Sol-
datinnen in der Bundeswehr zugelassen werden. Erst als
es das Urteil vom Europäischen Gerichtshof gab, haben
Sie sich bequemt, etwas zu machen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es steht also fest: Liberale waren wieder einmal an der
Spitze der Bewegung.

Zur Bundesregierung sage ich Folgendes: Sie muss
noch stark daran arbeiten, dass endlich etwas für Frauen
in der Bundeswehr geschieht und ihnen gemäß ihrer Eig-
nung, Befähigung und Leistung Aufstiegsmöglichkeiten
in der Bundeswehr eröffnet werden. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD und den Grünen, tun Sie et-
was und warten Sie nicht auf die Bundesregierung, die
sich dafür seit Monaten und Jahren Zeit lässt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511125300

Die Rede der Kollegin Marianne Tritz vom Bündnis 90/

Die Grünen soll zu Protokoll gegeben werden.1) – Gut,
wir nehmen sie zu Protokoll.

Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/3049 an die in der Tagesordnung aufge-
1) Anlage 5






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 19 a bis
19 c:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin

(Heidelberg)

der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unterstützung der neuen Regierung Boliviens
bei der demokratischen Stabilisierung des
Landes
– Drucksache 15/2975 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck,
Dr. Ralf Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Chance zum demokratischen Neubeginn in
Haiti unterstützen
– Drucksache 15/2746 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß

(Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf

Brauksiepe, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Nach der Neuwahl in Argentinien: Entwick-
lungszusammenarbeit mit Argentinien und
Uruguay zielgerichtet fortführen
– Drucksachen 15/1015, 15/2706 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sascha Raabe
Peter Weiß (Emmendingen)

Hans-Christian Ströbele
Markus Löning

Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Re-
den der Kolleginnen und Kollegen Karin Kortmann von
der SPD-Fraktion, Peter Weiß von der CDU/CSU-Frak-
tion, Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen
Amt, und Harald Leibrecht von der FDP-Fraktion.1) Eine
Aussprache findet also nicht statt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/2975 und 15/2746 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
auf Drucksache 15/2706 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Nach der Neuwahl in Argenti-
nien: Entwicklungszusammenarbeit mit Argentinien und
Uruguay zielgerichtet fortführen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1015 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten


(Recklinghausen)

ter und der Fraktion der CDU/CSU
Das gemeinsame historische Erbe für die Zu-
kunft bewahren
– Drucksache 15/2819 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung über die Maß-
nahmen zur Förderung der Kulturarbeit ge-
mäß § 96 Bundesvertriebenengesetz in den
Jahren 2001 und 2002
– Drucksache 15/2967 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Erwin Marschewski von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1511125400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Eine eigenartige Furcht geht offenbar bei Rot-
Grün um: die Furcht vor den Landsmannschaften der
1) Anlage 6






(A) (C)



(B) (D)


Erwin Marschewski (Recklinghausen)


Vertriebenen und der Flüchtlinge, vor denen aus Ost-
preußen, Schlesien, dem Sudetenland, Pommern oder
anderswo.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das ist bloß in Ihrer Fantasie!)


– Die Reaktion zeigt es ja. – Was ich bei Ihnen sehe, ist
keine feine Dosierung. Es ist Unverständnis, zumindest
Skepsis, im Ergebnis Ablehnung.

Dabei ist doch das Recht auf die Heimat ein Men-
schenrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Dabei sind und bleiben Vertreibungen großes Unrecht.
Dabei ist kulturelle Besinnung, ist Austausch Verständi-
gungspolitik im umfassenden Sinne, weil Austausch
und Verständigung historische Vergewisserung verlan-
gen und eben nicht Verdrängung, meine Damen und
Herren.

Wenn dies nun richtig ist, warum dann die Ablehnung
der Bundesregierung gegenüber denjenigen, die für dies
alles stehen, eben die Vertriebenen, die Flüchtlinge und
deren Verbände, die seit der Vertreibung an die jahrhun-
dertealte Kultur und Geschichte erinnern, die – ich war
im Französischen Dom selbst dabei – Kants „Kritik der
reinen Vernunft“ oder „Kritik der Urteilskraft“ wieder
aktuell machen oder die bei Hauptmanns „Weber“ oder
Eichendorffs „Oh Täler weit, oh Höhen“ ihre Heimat
Schlesien nicht vergessen? Warum diese Ablehnung,
warum diese Negierung?


(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Eine gute Frage!)


Nur ein Zitat aus der „Konzeption zur Erforschung
und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im
östlichen Europa“ der Bundesregierung, die alles zum
Nachteil der Vertriebenen und Flüchtlinge verändert hat:
In dem Bericht heißt es – hören Sie gut zu –, der Kultur-
austausch und die Aufarbeitung der Siedlungs- und Kul-
turgeschichte dürfe nicht „Domäne einzelner Interessen-
gruppen der Vertriebenenverbände sein“. Schon die
Wortwahl stößt bei mir auf Ablehnung.


(Horst Kubatschka [SPD]: Bei Ihnen! – Peter Dreßen [SPD]: Was ist daran so schlimm?)


– Ich komme aus dem Bereich des Sports. Ich muss Sie
fragen: Würden Sie einen Sportverein oder eine Sportbe-
wegung genauso gängeln? So darf man nicht mit den
Menschen umgehen, die in diesem Bereich jahrzehnte-
lang segensreich gewirkt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Erst recht auf Ablehnung stößt die Folgerung, näm-

lich der Versuch von Rot-Grün, den Einfluss der Vertrie-
benenverbände auf die bundesgeförderte Kulturarbeit
weitgehend auszuschalten und somit die Autonomie zu
beeinträchtigen. Meine Damen und Herren von der SPD,
alle Landsmannschaften, aber auch die Menschen in den
ehemals deutschen Gebieten haben mir dies gesagt. Ich
meine, was Sie machen, ist falsch; denn Sie verzichten
auf den Sachverstand derer, die sehr lange das deutsche
Kulturerbe im Bewusstsein gehalten haben. Das ist nicht
richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Die Vertriebenen haben in ihrer Stuttgarter Erklärung
auf Rache und Vergeltung verzichtet. Deswegen sage ich
Ihnen – ich muss es jetzt etwas härter ausdrücken –: Ihr
so genanntes Erforschungspräsentationskonzept ist eine
Demontage des Wirkens von 2 Millionen Flüchtlingen,
Vertriebenen, Spätaussiedlern und deren 21 Landsmann-
schaften innerhalb des Bundes der Vertriebenen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das findet nur in Ihrer Fantasie statt!)


– Herr Kollege, alle 21 Vertriebenenverbände – ich war
in Oberschlesien und Schlesien – bestätigen mir das. Sie
erheben den Vorwurf, dass der Bundeskanzler, wenn er
nach Schlesien kommt, lieber in die Kneipe nach ne-
benan geht, anstatt mit den Menschen dort zu sprechen.
Das ist das Problem.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Sie gehen wohl nie in die Kneipe!)


Wir müssen uns der Menschen annehmen, wie es zum
Beispiel der polnische Staatspräsident in Litauen oder
anderswo tut. Das wäre richtig.


(Beifall des Abg. Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU])


Sie haben viel gekürzt im Bereich der Kulturreferen-
ten, im Bereich der institutionellen Förderung und im
Bereich der grenzüberschreitenden Arbeit, was für mich
das Maß übervoll macht. Auch die Erinnerungen an Le-
bens- und Herkunftsstätten großer Deutscher aus Kunst,
Literatur und Wissenschaft aus den früheren ostdeut-
schen Regionen werden kaum noch gefördert. Neben
den bereits genannten Kant und Hauptmann denke ich an
die Ostpreußen Herder, E. T. A. Hoffmann, Ernst
Wichert, Lovis Corinth, Käthe Kollwitz, um nur ein paar
Künstler aus der Heimat meiner Eltern zu nennen, wo
doch gerade die Erinnerung, das Gedächtnis und das ak-
tuelle Sich-Auseinander-Setzen mit diesen großen Deut-
schen Bewusstsein schafft, auch Verbindung in neuer
politisch-europäischer Beziehung.

So nicht, meine Damen und Herren von Rot-Grün!
Sie werden es nicht schaffen, die Vertriebenen und die
Jahrhunderte alte deutsche Kultur in Ost- und Südosteu-
ropa in die Museen zu verbannen. Vertriebenenkultur-
arbeit bedeutet eben nicht bloße Erinnerungsarbeit. Sie
ist vielmehr aktuelle Suche nach den Wurzeln und Kon-
tinuitäten unserer Nationalgeschichte. Darüber hinaus ist
sie gesetzliche Verpflichtung. § 96 des Bundesvertriebe-
nengesetzes besagt dies ausdrücklich. Ich hoffe, dass Sie
zumindest lesen können.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber Herr Marschewski!)


– Hören Sie zu und machen Sie nicht so unqualifizierte
Zwischenrufe, lieber Herr Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Erwin Marschewski (Recklinghausen)


Ich zitiere aus § 96:
... das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem
Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des
gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu
erhalten ...

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das müssen Sie mir nicht erzählen!)

– Dann müssen Sie sich danach richten und daraus die
Konsequenzen ziehen. Vielleicht tun Sie es persönlich.
Aber die Bundesregierung tut es nicht. Sie wissen, das
ist hochrangiges Recht. Sie wissen, Herr Kollege
Dr. Küster, dass es Inhalt des Einigungsvertrages ist.
Deswegen entspricht es nicht dem Wesensgehalt dieser
Vorschrift, die Förderung um 40 Prozent auf nur noch
15 Millionen Euro weitgehend zusammenzustreichen,
was Sie leider tun.

Dies wollen wir ändern. Deswegen haben wir eine
neue Konzeption unterbreitet. Wir wollen die Erhaltung
und Weiterentwicklung ostdeutscher Kultur. Wir wollen
die Heimatvertriebenen mit einbeziehen und wir wollen
vor allem weg vom rot-grünen Zentralismus wieder hin
zur dezentralen Förderung.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich verspreche schon jetzt den Vertriebenen und

Flüchtlingen, dass wir, wenn wir dann in zwei Jahren die
Regierung übernehmen, die Politik der rot-grünen Bun-
desregierung umkehren und sie wieder vom Kopfe auf
die Füße stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Horst Kubatschka [SPD])


– Sie haben wirklich überhaupt keine Kenntnis; deswe-
gen, Herr Kollege Küster, mein Einwand gegen diesen
hochqualifizierten Zuruf Ihres Kollegen.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie sind noch nicht einmal ein Flüchtling!)


Kulturelles Schaffen und dessen Teilhabe sind zutiefst
Handeln in Freiheit, die es zu beachten gilt, was mir bei
Vertriebenen und Flüchtlingen besonders leicht fällt;
denn sie sind Brücken und Botschafter für Aussöhnung
und Verständigung. Nicht zuletzt meine gerade ange-
sprochene Reise nach Schlesien und Oberschlesien hat
mir dies noch einmal in aller Breite deutlich gemacht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Endlich einmal eine deutliche Sprache!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511125500

Die Kollegin Antje Vollmer vom Bündnis 90/Die

Grünen hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Deswegen
ändere ich jetzt entsprechend die Reihenfolge.
1) Anlage 7
Das Wort hat die Staatsministerin Christina Weiss.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1511125600


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-
desregierung legt den Bericht über die Maßnahmen zur
Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundesvertrie-
benengesetz zu einem Zeitpunkt vor, der gerade für die
hiervon angesprochenen Menschen und Regionen von
historischer Bedeutung ist. Unsere ostmitteleuropäi-
schen Nachbarn kehren nach Europa zurück, das sie
– ihrem eigenen Selbstverständnis nach – nie verlassen
haben. Sie entdecken es neu und sie entdecken es für uns
neu. Nach und nach erkennen wir wieder, was uns einst
verbunden hat. Wenn wir uns bewusst machen und wenn
wir bereit sind, sowohl die vergessenen Schätze als auch
die verbrannten Trümmer zu heben, dann werden wir die
Frage beantworten können, wo Europa aufhört, nämlich
dort, wo die Grenzen unserer gemeinsamen geschichtli-
chen Erfahrung verlaufen.


(Beifall bei der SPD)

Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag

im Jahr 2000 die Konzeption zur Erforschung und Prä-
sentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen
Europa zugeleitet. Damit wurde die Grundlage geschaf-
fen, deutsche Kulturtraditionen im östlichen Europa zu
bewahren und auch zu pflegen. Wir haben natürlich ein
großes Interesse daran, die vielfältige Kulturarbeit in
erster Linie zu professionalisieren und effizienter zu ge-
stalten.


(Beifall bei der SPD)

Zudem soll sie nicht im Verborgenen geschehen. Sie
braucht eine breite Öffentlichkeit und sie muss diese
breite Öffentlichkeit erreichen. Dabei wird von einem
aufrichtigen Geschichts- und Kulturverständnis ausge-
gangen, das weder die historischen Belastungen aus-
klammert noch die unterschiedlichen nationalen und re-
gionalen Traditionen vernachlässigt.

Die Neukonzeption hat im Berichtszeitraum zu er-
freulichen Ergebnissen geführt.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Das sehen Sie aber allein so! Keiner der Vertriebenen sieht das so!)


– Das hörte sich etwas anders an. – Zunächst einmal
konnte im Berichtszeitraum das finanzielle Niveau ge-
halten werden. Das ist keine Selbstverständlichkeit in
diesen Zeiten. Mein Haus hat es zudem ermöglicht, dass
sich einige Einrichtungen zu wirklich renommierten wis-
senschaftlichen Institutionen entwickeln konnten.


(Beifall bei der SPD)

Ich denke etwa an die früheren Kulturwerke, die nun als
Institute für Kultur und Geschichte der Deutschen in
Nordosteuropa, in Lüneburg, und in Südosteuropa, in
München, als universitäre An-Institute mit einer wirk-
lich wichtigen Multiplikatorenfunktion wirken können.
Sie folgen damit dem Vorbild des Oldenburger Bundes-
instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im






(A) (C)



(B) (D)


Staatsministerin Dr. Christina Weiss

östlichen Europa, das in Kooperation mit der Universität
Oldenburg von Anfang an den grenzübergreifenden wis-
senschaftlichen Dialog zur Grundlage seiner Arbeit ge-
macht hat.

Die von uns geförderten Stiftungslehrstühle für Ge-
schichte an den Universitäten Stuttgart und Erfurt sowie
für Kunstgeschichte in Leipzig haben sich inzwischen
etabliert. Vor zwei Jahren konnte zudem im Rahmen der
internationalen Kooperation in Olmütz, in Tschechien,
ein Stiftungslehrstuhl für deutsch-mährische Literaturge-
schichte entstehen. Außerdem wurde in diesen Tagen ein
vergleichbares Vorhaben an der Universität Klausenburg
in Rumänien aus der Taufe gehoben.

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Museen zu
den historischen deutschen Ost- und Siedlungsgebieten
eine ganz hervorragende Arbeit leisten, wenn es darum
geht, das Bewusstsein für das kulturelle Erbe wach zu
halten. Besonders bemerkenswert ist in dieser Hinsicht,
dass es mit der deutschen Einheit gelungen ist, zusätzli-
che Einrichtungen in den neuen Bundesländern zu eröff-
nen.


(Beifall bei der SPD)

Die Kooperation mit Partnerinstitutionen in Ost-

mitteleuropa ist mittlerweile für alle Museen zur Selbst-
verständlichkeit geworden. Sie funktioniert sehr gut und
ist dort anerkannt. Auch die Arbeit der Kulturreferenten
in den Landesmuseen hat sich bewährt. Sie gestalten Be-
gleitprogramme zu den Aktivitäten der jeweiligen Mu-
seen und entwickeln eigene Initiativen speziell zur kultu-
rellen Breitenarbeit. Zur Verbreitung von Kenntnissen
über deutsche Kultur und Geschichte im östlichen
Europa soll auch das Deutsche Kulturforum östliches
Europa mit Sitz in Potsdam beitragen, das seit 2002 in-
stitutionell vom Bund gefördert wird und sich bislang
durch große Aktivitäten – Vorträge, Tagungen, Ausstel-
lungen und Publikationen – hervortat.

Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen wir, was
für den Erhalt von Kulturdenkmälern getan wird, die
von deutscher Kultur und Geschichte im östlichen
Europa zeugen. Hier zeichnet sich eine sehr gute, enge
Kooperation mit den örtlichen Institutionen der Denk-
malpflege ab, die wir finanziell unterstützen, deren Un-
terstützung wir aber auch brauchen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die neue Konzep-
tion zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur
und Geschichte im östlichen Europa einen wesentlichen
Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschland und
seinen östlichen Nachbarn leistet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wissen alle, dass das wichtig, notwendig und funda-
mental ist. Das wird sich im Übrigen auch in den
deutsch-polnischen Kulturbegegnungen im nächsten
Jahr zeigen, die wir derzeit vorbereiten. Ähnliche
Kulturbegegnungen sind mit Ungarn, Tschechien
und den baltischen Staaten geplant, die ebenfalls gemäß
§ 96 BVFG gefördert werden.
Um ihre Zukunft in Vielfalt geeint zu gestalten, müs-
sen sich die Völker Europas ihrer Geschichte erinnern,
der gemeinsamen und der trennenden. Deshalb bin ich
sehr froh darüber, dass die Kulturminister aus sechs Län-
dern noch vor der EU-Erweiterung damit begonnen ha-
ben, ein europäisches Netzwerk für Zwangsmigration
und Vertreibung zu knüpfen. Es gibt in allen Völkern
Europas vielfältige Varianten des Leidens. Dieses Netz-
werk soll die vielen Geschichtswerkstätten, Museen, Ar-
chive und Denkmäler in ganz Europa miteinander ver-
binden. Wir wollen auf interessengeleitete Aktionen mit
einer aufrichtigen europäischen Initiative antworten und
damit verdeutlichen, dass es nicht reicht, das nationale
Gedenken zu organisieren, sondern dass wir die europäi-
sche Forschung zu diesem Thema voranbringen müssen.

Wir behandeln heute auch den Antrag der CDU/CSU-
Fraktion „Das gemeinsame historisches Erbe … bewah-
ren“. Wenn Sie meine Ausführungen und den Bericht zur
Kenntnis nehmen, dann sehen Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, dass Ihr Antrag einer kon-
struktiven Grundlage entbehrt.

Die Bundesregierung nimmt ihre Verpflichtungen
sehr ernst.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit ihrer konzeptionellen Arbeit sichert sie den Erfolg
für eine Modernisierung und für eine Zukunftsorientie-
rung im Geist der europäischen Verständigung. Sie wird
dies auch künftig tun.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Sehen Sie, Herr Marschewski, so kann man zu dem Thema reden!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511125700

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Joachim Otto

von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1511125800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist

doch immer wieder eine Freude, unserer Staatsministerin
zuzuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie versteht es in vorbildlicher Weise, schwierige, trau-
rige Sachverhalte mit glänzenden Worten zu ummänteln.
Ich möchte Ihnen ausdrücklich zubilligen, dass es schön
ist, Ihnen zuzuhören; mit der Wirklichkeit hat das aber
leider nicht immer viel zu tun.


(Zuruf von der SPD: Vorsicht! Vorsicht!)

Ich möchte Ihnen eingangs zwei Zahlen entgegenhal-

ten. Zahlen sind etwas objektiver als schöne Beschrei-
bungen. Im Jahre 1998 hatte der Bundeshaushalt für die
Mittel im Zusammenhang mit § 96 BVFG noch umge-
rechnet 22 Millionen Euro im Ansatz, die auch umge-






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Joachim Otto (Frankfurt)


setzt wurden. Im Jahre 2004 betragen diese Titel nur
noch 15,7 Millionen Euro. In einer Zeit, in der andere
Haushaltspositionen dramatisch gestiegen sind, gibt es
in diesem Bereich Kürzungen um rund 30 Prozent.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Frak-
tion, ich verstehe, dass Sie vorhin aufgeregt den Ausfüh-
rungen von Herrn Marschewski gefolgt sind und dies
jetzt auch bei meiner Rede tun, aber das hat natürlich
seinen Grund. Mir fällt auf, mit welcher Aggressivität
Sie in diesen Bereich hineingehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Dreßen [SPD]: Weil es nicht toll war, was er gesagt hat!)


– Machen Sie nur so weiter! Ich glaube, das disqualifi-
ziert Sie. Wir ringen hier um Lösungen für einen wichti-
gen Bereich der Kultur und Sie machen solche Äußerun-
gen. Das finde ich nicht gut.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Die Konzeption der Bundesregierung aus dem
Jahre 2000 sollte eine Neuausrichtung der Kultur-
arbeit bewirken. Es gab sicherlich gute Ansätze – das
können wir feststellen –: Straffung der institutionellen
Förderung, Orientierung an einem Regionalprinzip, in-
ternationale Kooperation und kulturelle Breitenarbeit.
Das sind Leitlinien, die im Grunde gut klingen. Der Be-
richt zeigt aber, dass es lediglich bei Ansätzen blieb. In-
stitutionelle Straffung und Regionalisierung haben oft zu
einer Zentralisierung musealer Darstellung geführt, zahl-
reichen kleinen Einrichtungen wurde die Förderung ge-
strichen und Zentralmuseen wurden ausgebaut. Dem
Grundsatz der kulturellen Breitenarbeit entspricht dies
nicht. Ich plädiere für eine intensive Zusammenarbeit
zwischen allen Einrichtungen, zum Beispiel durch Wan-
derausstellungen. Wenn nämlich die Kulturpflege eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, sollte auch die ge-
samte Gesellschaft Zugang zur Kultur haben.

Im Zusammenhang mit dem angesprochenen Regio-
nalprinzip möchte ich das völlige Fehlen eines Museums
für die russlanddeutsche Kultur ansprechen. Eine ent-
sprechende Einrichtung würde nicht nur eine bestehende
Lücke in der derzeitigen Kulturpflege schließen, sondern
sich mit Sicherheit auch positiv auf die Integration von
Spätaussiedlern auswirken.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sehr gut!)


Die Kulturpflege muss in einem europäischen
Kontext gesehen werden. Nur so wird es uns langfristig
gelingen, geschichtliche Tabus und Vorurteile, die es lei-
der gibt, abzubauen. Jugendaustausch an der Schnitt-
stelle zur auswärtigen Kulturpolitik und gemeinschaftli-
che wissenschaftliche Forschung mit unseren Nachbarn
sind daher unerlässlich und werden von den Verbänden
befürwortet.

Was die Bundesregierung in ihrer Konzeption aus
dem Jahre 2000 als Neuorientierung verkauft, ist – das
erweist sich in der Praxis leider immer deutlicher – im
Grunde eine reine Etatkürzung. Ich will an dieser Stelle,
liebe Frau Dr. Weiss, ausdrücklich sagen, dass Ihre
Worte sehr viel sensibler sind als die Ihres Vorgängers
Naumann, der hier in einer Weise über die Vertriebenen-
kultur hergezogen ist, dass es einen schaudern konnte.
Aber er war der Begründer einer Entwicklung, der Sie
leider nichts entgegensetzen konnten. Die Kürzungen
schreiten fort. In diesem Bereich ist gekürzt worden wie
in kaum einem anderen im Haushalt des Bundes. Deswe-
gen kann ich nur sagen, dass Ihren schönen Worten jetzt
wirklich Taten folgen müssen.


(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sehr schlimm ist das!)


Das sind wir gerade in einem zusammenwachsenden
Europa auch der Integrationsleistung, die die Vertriebe-
nen in den letzten Jahren gezeigt haben, schuldig.

Ich möchte ausdrücklich sagen: Es hat Zeiten gege-
ben, in denen wir als FDP-Fraktion manche Äußerungen
aus diesem Bereich mit Skepsis betrachtet haben. Frau
Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen,
ist nicht anwesend. Ich möchte betonen: Es hat in den
letzten Jahren politische Veränderungen gegeben, die auf
Aussöhnung und Brückenbau – Herr Marschewski hat es
schon angesprochen – gesetzt haben. Ich meine, wir als
Bundestag sollten die Aussöhnungs- und Integrations-
leistung der Vertriebenen honorieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511125900

Herr Kollege Otto, denken Sie bitte an die Redezeit.


Hans-Joachim Otto (FDP):
Rede ID: ID1511126000

Deswegen ist mein letzter Satz ein Appell an die Kol-

legen von der SPD und von den Grünen, dass wir uns
aus den alten Schützengräben lösen, unsere Aufgaben
nach § 96 Bundesvertriebenengesetz wahrnehmen und
gemeinsam mehr als diese Geplänkel, die es hier gele-
gentlich gegeben hat, erreichen. Es ist eine Aufgabe der
Zukunft, dieses kulturelle Erbe zu pflegen. Es geht nicht
nur um die betroffenen Menschen, sondern es geht auch
um ein kulturelles Erbe, das bewahrt werden muss.

In diesem Sinne möchte ich darum bitten, dass der
Antrag der CDU/CSU in aufgeschlossener und fairer
Weise behandelt wird. Vielleicht kommen wir dann auf
diesem Feld ein bisschen weiter.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511126100

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela Hilbrecht von

der SPD-Fraktion.


Gisela Schröter (SPD):
Rede ID: ID1511126200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Otto, Sie wissen, dass wir im Kulturaus-
schuss immer sehr ernsthaft und qualifiziert diskutieren.
Ich bin der Ansicht, das werden wir sicherlich auch über
diesen Antrag tun. Aber lassen Sie mich eines bitte
gleich klarstellen: Wir sind weder gegen die Pflege des
Kulturgutes der Vertriebenen noch sind wir gegen die






(A) (C)



(B) (D)


Gisela Hilbrecht

Kulturarbeit, die die Vertriebenen leisten. Auch wollen
wir niemanden aus der geförderten Kulturarbeit drängen.

Im Gegenteil, wir halten es für eine wichtige Auf-
gabe, die kulturellen Leistungen, die in den Vertrei-
bungsgebieten auch von Deutschen erbracht wurden
– Herr Marschewski hat wichtige Namen genannt –, zu
würdigen und sie im gemeinsamen Gedächtnis zu erhal-
ten. Denn dieses Kulturgut ist Zeugnis eines wichtigen
Teils unserer deutschen und auch unserer europäischen
Geschichte. In diesem Punkt sind wir uns, denke ich, alle
einig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP])


Genau deshalb nehmen wir unseren gesetzlichen Auf-
trag, der uns in § 96 des Bundesvertriebenengesetzes
aufgegeben ist, sehr ernst. Ich gehe so weit zu sagen:
Erst, seitdem wir diese Kulturförderung vor vier Jahren
auf eine neue Grundlage gestellt haben, werden wir un-
serer Verpflichtung wirklich gerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – HansJoachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken wir bitte
einmal an Folgendes:


(Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Lassen Sie mich bitte weiterreden. – Wir mussten im
Wesentlichen aus zwei Gründen umsteuern – Herr Otto,
Sie waren damals dabei; auch Sie saßen im Kulturaus-
schuss –: Erstens haben sich die Rahmenbedingungen
– ich denke, das bestreitet niemand – seit Anfang der
90er-Jahre grundlegend verändert, und zwar nicht nur
die haushaltspolitischen Bedingungen, sondern vor al-
lem auch die außenpolitischen. Durch letztere sind ganz
neue Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Koo-
peration entstanden. Das wird doch niemand bestreiten.


(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja, aber warum dann die Kürzungen?)


– Hören Sie mir doch weiter zu.

(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ich höre zu!)

Zweitens hat es im Bereich der geförderten Kulturar-

beit über die Jahre hinweg Entwicklungen gegeben, die
sowohl ihre Qualität als auch ihre Effizienz grundsätz-
lich infrage stellten. Ich erinnere Sie daran: 1997 – da-
mals waren Herr Marschewski und ich Mitglieder des
Innenausschusses – hat der Bundesrechnungshof Dop-
pelförderungen und Mittelverschwendung beanstandet.
Den Kolleginnen und Kollegen, die nicht dabei waren,
möchte ich das in Erinnerung rufen. Er hat die damalige
Bundesregierung – zuständig war damals Innenminister
Kanther – aufgefordert, eine grundlegende Umorientie-
rung und Straffung dieser Förderung vorzunehmen. Auf
all diese Notwendigkeiten haben wir mit unserer neuen
Konzeption reagiert. Sie wurde gründlich vorbereitet
und ausführlich beraten. Damals, im Oktober 1999, fand
in unserem Ausschuss eine große Anhörung statt, zu der
auch die betroffenen Verbände eingeladen waren.

Der Bericht der Bundesregierung, der heute zur Bera-
tung vorliegt, befasst sich mit der – ich will betonen: be-
hutsamen – Umsetzung dieser Neukonzeption. Hier
wurde nichts über das Knie gebrochen. Wir alle wissen:
Auch heute ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen.
Aber ich denke, dieses Ergebnis kann sich nach vier Jah-
ren sehen lassen. Ganz besonders freut mich, dass ich je-
denfalls in meiner Region merke, dass dieses Konzept in
der Zwischenzeit bei vielen Verbänden zunehmend auf
Akzeptanz stößt.

Da passt es eigentlich gar nicht ins Bild, dass die
CDU/CSU-Fraktion einen Antrag vorlegt, mit dem sie
das Rad einfach wieder zurückdrehen will:


(Beifall bei der SPD – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Nein, vorwärts! Immer vorwärts!)


zurück zu der Förderpraxis, die vom Bundesrechnungs-
hof kritisiert wurde. Zugleich fordert sie aber eine stär-
kere Zukunftsorientierung. Genau das wollen wir mit
unserem Konzept erreichen. Ich denke, auch darüber
wurde schon gesprochen. Es geht um den grenzüber-
schreitenden Austausch mit unseren osteuropäischen
Nachbarländern. Das zieht sich wie ein roter Faden
durch die geförderte Kulturarbeit und das kann man im
Bericht der Bundesregierung anhand zahlreicher Bei-
spiele nachlesen.

Schwerpunkt ist die gemeinsame Aufarbeitung des
gemeinsamen kulturellen Erbes als Teil unserer europäi-
schen Geschichte; das ist der wichtigste Pfeiler für eine
friedliche und gutnachbarliche Zukunft. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die Neukonzeption ist ein Erfolg: Die
Pflege des Kulturgutes der Vertriebenen und Flüchtlinge
hat eine neue Qualität gewonnen, die weit höheren An-
sprüchen gerecht wird und – ich denke – wirklich zeitge-
mäß ist. Das, was der Unionsantrag will, passt nicht zu-
sammen: Er fordert eine auf die Zukunft gerichtete
Förderung, will aber gleichzeitig die alten, überlebten
Strukturen wiederherstellen; ich denke, die Zeiten sind
längst darüber hinweggegangen.

Zum Schluss noch: Ich kann mich eigentlich des Ein-
drucks nicht erwehren, dass wir diesen Antrag schlicht
dem Kalender zu verdanken haben: Pfingsten steht näm-
lich mit seinen zahlreichen Treffen der Landsmann-
schaften vor der Tür und da scheint es angesagt zu sein,
nicht das, was wir von den Landsmannschaften heute als
positive Akzeptanz unserer Kulturarbeit leisten, hervor-
zuheben, sondern das Rad wieder ein Stück zurückzu-
drehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511126300

Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Sehling von

der CDU/CSU-Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)



Matthias Sehling (CSU):
Rede ID: ID1511126400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegin-

nen und Kollegen! Wohl wir alle empfinden den Beitritt
unserer unmittelbaren Nachbarstaaten zur Europäischen
Union als Rückkehr nach Europa. Unter ihnen sind auch
Länder, in denen lange Zeit Deutsche lebten, die in ihnen
über Jahrhunderte Heimatrecht erwarben, diese Länder
aber 1945/46 durch Flucht und Vertreibung verlassen
mussten. Fast 15 Millionen Menschen haben nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verloren, aber
sie haben wenigstens ihr geistiges Fluchtgepäck mit-
nehmen können: ihre Kultur, ihre Eigenart, ihr hand-
werkliches und technisches Können, ihr Brauchtum und
ihren Dialekt.

Die Bundesregierung will die Kulturarbeit der Ver-
treibungsgebiete heute ins Museum verbannen, sie bes-
tenfalls als Aufgabe der Heimatvertriebenen selbst ver-
stehen, aber bitte ja nicht ihrer Landsmannschaften oder
sonstigen Verbände. Ich halte das für einen Riesenfehler.
Die Kultur der Vertreibungsgebiete ist – das ist vorher zu
Recht gesagt worden – Teil der Kultur aller Deutschen
und sie ist auch Teil der Kultur aller Europäer.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist nicht nur so, weil es im Gesetz steht und im Eini-
gungsvertrag ausdrücklich bestätigt wurde, das ist auch
sachlich so: Hat etwa Gerhart Hauptmanns „Die Weber“,
die Geschichte vom Weberaufstand von 1844 im Zeital-
ter der industriellen Revolution, nicht gesamtdeutsche
wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung?


(Horst Kubatschka [SPD]: Auch!)

Steht sein Drama nicht auch für die Industriegeschichte
ganz Europas? Hat der im böhmischen Eger geborene
Balthasar Neumann nicht Architekturgeschichte weit
über die Grenzen seiner engeren Heimat hinaus ge-
schrieben? Und gehört nicht Franz Kafkas literarisches
Erbe ebenso zur böhmischen Wirklichkeit wie zum jü-
disch-deutschen Kulturerbe Prags, jener Stadt, in deren
Mauern 1348 die erste deutschsprachige Universität er-
richtet wurde? Das kulturelle Erbe der Vertreibungsge-
biete sollte deshalb heute als europäisches Kulturerbe
verstanden und weiterentwickelt werden


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Auch das stimmt!)


– ich freue mich, Herr Kollege Kubatschka, dass Sie mir
zustimmen; vielleicht finden wir eine Einigung –, ohne
dass wir Deutschen die Verantwortung für die Pflege und
Weiterentwicklung dieses Erbes von uns weisen. Zu
Recht werden deshalb von den Bundesländern derzeit la-
gerübergreifend Überlegungen angestellt, die Europäi-
sche Union auf ihre neue Verantwortung für die Kultur-
pflege dieser Vertreibungsräume hinzuweisen und auch
finanziell in Anspruch zu nehmen.

An die Bundesregierung aber muss sich heute unser
Appell – von CDU und CSU – richten, den eigenständi-
gen Wert der Kulturpflege der Vertreibungsgebiete end-
lich anzuerkennen. Die jetzt schon mehrfach zitierte so
genannte Neukonzeption aus dem Jahre 2000 hat unter
dem Vorwand der Professionalisierung zu einer Ent-
menschlichung dieser Kulturarbeit geführt, zu einer ge-
wollten Musealisierung. Die Tausenden, die in der
Breitenarbeit bis heute ehrenamtlich in privaten Heimat-
stuben, in Heimatarchiven und kleinen Vereinsmuseen
die Erinnerung an die alte Heimat und ihre kulturellen
Eigenheiten wachhalten, leisten in Wahrheit vorbildli-
ches bürgerschaftliches Kulturengagement.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Diese soziokulturelle Breitenarbeit – es ist nicht die
einzige, aber es ist auch eine – muss endlich anerkannt
und ideell, aber auch materiell gefördert werden und darf
nicht länger politisch ins Abseits gedrängt werden.


(Horst Kubatschka [SPD]: Auch das stimmt!)

Sehr verehrte Damen und Herren, leisten wir doch

jetzt, da aus Altersgründen immer weniger Menschen
diese praktische Kulturarbeit leisten können, eine ge-
meinsame Anstrengung. Die Opposition bietet Ihnen Zu-
sammenarbeit an bei einer Neukonzeption der Neukon-
zeption, bei der fachlichen Überprüfung der Wirkungen
dieser Maßnahme aus dem Jahr 2000 und bei der Suche
nach einer Neuregelung, die die jetzigen Hauptaktiven in
dieser Arbeit, die Heimatvertriebenen selbst und ihre
Nachkommen, wieder aktiv in diese Arbeit mit einbe-
zieht.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511126500

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen

auf den Drucksachen 15/2819 und 15/2967 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Julia
Klöckner, Peter H. Carstensen (Nordstrand),
Albert Deß, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Arznei-
mittelgesetzes für Tierärzte und Landwirte
praxisgerecht und verbraucherfreundlich ge-
stalten
– Drucksache 15/3112 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Julia Klöckner von der
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1511126600

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Vor dreieinhalb Monaten habe ich mich schon einmal
hier in diesem Plenum an Sie wegen der dringend not-
wendigen Novellierung des Tierarzneimittelrechtes ge-
wandt. Über ein Jahr ist es mittlerweile her, dass wir im
Ausschuss darüber debattiert hatten.

Damals war ich sehr hoffnungsfroh; denn die Einsich-
ten in der Debatte waren doch sehr klug. Ich war sehr
überrascht, dass wir mit den Vertretern der Grünen und
der SPD Einvernehmlichkeit erzielen konnten. Seiner-
zeit hatte gerade die CDU/CSU-Fraktion – auch auf-
grund des Antrages von Bayern im Bundesrat – im Sinne
des Verbraucherschutzes und im Sinne des Tierschut-
zes die Notwendigkeit der Erarbeitung einer sachgerech-
ten und vor allen Dingen praktikablen Lösung unterstri-
chen. Wir hatten angemahnt, praktikabel vorzugehen.
Wir haben eine Zusammenarbeit ausdrücklich angebo-
ten. Ich danke hier auch den Berichterstattern der ande-
ren Parteien für die Bereitschaft und für die anfängliche
Initiative dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich danke deshalb auch dem Kollegen Goldmann,
dem Kollegen Priesmeier und dem Kollegen Ostendorff.
In der Haut der letzten beiden möchte ich natürlich nicht
stecken. Manchmal wünscht man sich sicherlich auch an
Ihrer Stelle, man würde die Regierung nicht stellen,
wenn einem untersagt wird, miteinander zu arbeiten.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Um Gottes willen, Julia!)


– Es tut mir sehr Leid, aber das wurde eben abgelehnt; so
war es leider.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das Leben ist bunter, als Sie glauben!)


– Sie waren leider nicht dabei, Sie können das aber gerne
im Protokoll nachlesen. Auch wenn es schmerzhaft ist,
muss man das zur Kenntnis nehmen. Ich danke dennoch
für die anfänglichen Initiativen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das war das schlechte Gewissen, weil sie so ein schlechtes Gesetz gemacht haben vor zwei Jahren!)


– Das ist so ein bisschen das schlechte Gewissen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Na, na, na! Nun mal ganz ruhig auf den billigen Plätzen!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511126700

Meine Herren, seien Sie doch Kavaliere.


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1511126800

Weil das dann leider ins Stocken geriet und weil letzt-

lich den Tierhaltern, den Tierärzten, aber auch den Tie-
ren nicht geholfen war, mussten wir dann das Heft in die
Hand nehmen. Das haben wir getan und einen entspre-
chenden Antrag vorgelegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


– Wir haben einen Antrag vorgelegt, vielleicht sollten
Sie ihn einmal durchlesen.

Leider warten wir seit langem vergeblich auf den Ge-
setzentwurf, der durchaus von Frau Ministerin Künast
angekündigt wurde und der eigentlich kurz vor der Ver-
abschiedung stehen sollte. Es kommt aber nichts.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Guck mal da, bei der Regierungsbank!)


– Vielleicht schreiben sie gerade an dem Antrag. – Sie
müssen bedenken, es geht hier nicht um eine Spielerei.
Es geht darum, dass Tiere leiden, dass Tierärzte unprak-
tikabel arbeiten müssen, dass Tierhalter schikaniert wer-
den und dass letztlich überhaupt keinem geholfen ist. So
können wir nicht miteinander umgehen. Wir erkennen
doch wirklich alle, dass diese Dinge so nicht praktikabel
sind. Ich denke, es ist nicht lauter, das so auf die lange
Bank zu schieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bitte Sie daher, den Ball, den wir Ihnen jetzt zuspie-
len, auch aufzunehmen


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da denken wir gar nicht dran!)


und endlich mit vereinten Kräften an einer konstruktiven
Lösung zu arbeiten. Ganz klar feststeht: Wir halten an
den vorrangigen Zielen – zum einen dem Verbraucher-
schutz und zum anderem dem Tierschutz – fest und wir
sind ihnen auch heute noch verpflichtet. Ich glaube, hier
gibt es zwischen uns keinen Dissens, sondern einen
Konsens.

Dieser verbesserte Verbraucher- und Tierschutz ist
mit dem jetzigen Arzneimittelgesetz nicht zu erreichen
und nicht vereinbar. Sie erinnern sich noch an die Aussa-
gen der Sachverständigen. Ich denke, Anhörungen wer-
den nicht aus Spaß durchgeführt und sind nicht dazu da,
dass sich Sachverständige auf lange Wege nach Berlin
machen. Die Ergebnisse von Anhörungen sollte man
ernst nehmen und in Gesetzesentwürfe und Anträge ein-
arbeiten. Wir haben das im Gegensatz zu Ihnen getan.
Bisher liegt kein Antrag von Ihnen vor.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch überhaupt nicht!)


– Herr Kollege Ostendorff, ich weiß nicht, ob Sie über
den Ablauf des parlamentarischen Verfahrens Bescheid
wissen. Ich kann nicht in Ihre Köpfe schauen und ich
kann auch nicht nachsehen, was in Ihren Schubläden
liegt und Sie nicht rausholen. Wir würden gerne sehen,
was vorliegt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Staatsgeheimnisse! – Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Du wirst nichts finden!)


– Wir werden nichts finden, das ist das Tragische. – Wir
haben einen Antrag vorgelegt. Erst dann, wenn etwas
vorliegt, kann man auch darüber debattieren.






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner

Die Folge – –

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den debattieren wir nicht! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Der ist hervorragend! Das weißt du auch!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511126900

Entschuldigung, Frau Klöckner. Meine Herren – es

sind ja so wenige und Herr Ostendorff kommt nachher
noch zu Wort – : Halten Sie sich ein wenig zurück und
lassen Sie Frau Klöckner ihre Rede halten. – Bitte schön.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Bei mir steht keine Redezeit!)



Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1511127000

Das ist eben das schlechte Gewissen. Ich weiß, es tut

weh, wenn man selbst nichts zu bieten hat und andere
haben etwas vorgelegt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Er stellt nur Beleidigungen über mich ins Internet!)


Sehen Sie das doch einfach mal im Sinne derjenigen, die
es betrifft.

Wir sagen ganz klar: Ein zentrales Problem ist der
mangelnde Tierschutz. Ein anderes zentrales Problem
– das haben Sie damals auch gesagt; es steht im
Protokoll – ist die 7-Tage-Regelung. Ich weiß nicht,
welches Tier sich mit seiner Krankheit plötzlich an die
Regelung der Beamten hält und sagt: Okay, sieben Tage
sind herum, also ist auch meine Krankheit überstanden.
Wer das glaubt und annimmt, dass Praktiker damit um-
gehen können, der war noch nie im Stall und der hat sich
noch nie mit der Klientel befasst, die er hier vertreten
soll.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der hat Mondkühe!)


Um zu verhindern, gegen das Gesetz zu verstoßen,
müsste der Tierarzt, wenn er sich daran hielte, wie es
jetzt geregelt ist, jedem kranken Tier einen persönlichen
Krankenbesuch abstatten und eine Diagnose mit Be-
handlungsanweisung aussprechen, bevor der Tierhalter
die nötige Behandlung durchführen darf. Solange leidet
das Tier eben. Würde der Tierarzt dann noch vor und
nach jedem Stallbesuch durch die Hygieneschleuse ge-
führt, geduscht und umgekleidet, um nicht mehr Krank-
heiten zu verschleppen als zu bekämpfen, dann wäre die-
ses Unterfangen endgültig undurchführbar.

Das Ergebnis – der Tierschutz steht im Grundgesetz –
wäre eine himmelschreiende Tierquälerei. Wir müssen
schon versuchen, verschiedene Ziele unter einen Hut zu
bringen und nicht immer neu zu definieren. Einmal
– wenn wir zum Beispiel über die Legehennenverord-
nung und die Größe von Ställen reden – ist Ihnen der
Tierschutz sehr wichtig und steht ganz oben und hier
spielt der Tierschutz auf einmal keine Rolle mehr. Ich
bitte hier doch um Stringenz und einen roten Faden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Abschaffung der 7-Tage-Regelung ist aber noch
längst nicht alles. Wenn durch das Arzneimittelgesetz
mehr Verbraucherschutz erbracht werden soll ohne Tier-
quälerei – wir müssen eben Behandlungen untersagen,
damit ein Tierarzt und ein Tierhalter nicht das Gesetz
übertreten; das muss man sich einmal vorstellen – zu
verursachen, dann müssen wir folgende Punkte, die auch
in unserem Antrag stehen, beherzigen:

Erstens. Um einer etwaigen Vorratshaltung von Tier-
arzneien in den landwirtschaftlichen Betrieben vorzu-
beugen und eine einfache, aber effiziente Überwachung
gewährleisten zu können, brauchen wir statt der 7-Tage-
Regelung, die sehr willkürlich ist – das sagen wir hier
explizit –, tierärztliche Behandlungspläne als ein ge-
eignetes Instrument. Eine reine Veränderung der zeitli-
chen Anforderungen wäre nicht akzeptabel, da eine
starre Frist – egal, wie lang sie auch ist – der Vielfalt der
Tiererkrankungen und deren Verläufe nicht gerecht wer-
den kann.

Zweitens fordern wir: Durch eine entsprechende Er-
gänzung des bisherigen Voraussetzungskataloges für die
Abgabe von Tierarzneimitteln muss der Behandlungs-
plan als neuer zentraler Begriff und als Bedingung für
die Arzneimittelabgabe in den Mittelpunkt der tierärztli-
chen Betreuung treten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Drittens. Die Menge der an den Tierhalter abzugeben-
den Arzneimittel richtet sich zum einen nach der festge-
legten Anwendungsdauer für das zum Zeitpunkt der Un-
tersuchung als behandlungswürdig eingestufte Tier und
zum anderen – das ist ganz wichtig – nach dem Stand der
tierärztlichen Wissenschaft. Die Tierärzte haben ihren
Beruf nicht in einem kurzen Abendkurs erlernt.

Kollege Priesmeier, ich schätze Sie und Ihr Wissen
als Tierarzt sehr. Sie selbst wissen, dass Tierärzte auf-
grund ihrer Erfahrungen nicht immer in einem Hand-
buch nachschlagen müssen. Deshalb ist es sehr wichtig,
dass hier der Stand der tierärztlichen Wissenschaft eine
Rolle spielt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Regelung führt zu einer Vermeidung der Ab-

gabe von Arzneimitteln für noch nicht erkrankte Tiere,
wie sie unter der bestehenden 7-Tage-Regelung häufig
praktiziert wird. Das heißt, der Behandlungsplan ist
wichtig. Es ist klar, dass der Tierarzt nicht willkürlich
handeln kann. Der Tierarzt muss einen Bestand vor Au-
gen haben, ihn prüfen und dann sagen, wie zu behandeln
ist.

Ganz entscheidend für uns ist, dass zwischen den Ge-
sellschafts- und Sporttieren sowie den Lebensmittel lie-
fernden Tieren eine Grenze gezogen wird.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das steht im Fleischhygienerecht!)


– Das stellt hier aber ein Problem dar. Reden Sie mal mit
Tierhaltern und Tierärzten. Dann werden Sie feststellen,
dass diese Zuordnung nicht gewährleistet ist. – Eine






(A) (C)



(B) (D)


Julia Klöckner

Begriffsbestimmung der Lebensmittel liefernden
Tiere ist erforderlich, da sich in der Praxis eine Zuord-
nung bestimmter Tiere und die damit verbundene Arz-
neimittelabgabe als sehr schwierig erwiesen hat. Es ist
schon sinnvoll, bei der Behandlung von Tieren abzuwä-
gen, was sie an Medikamenten bekommen, wenn diese
nachher verzehrt werden sollen. Das ist der Unterschied
zu einem Hamster, den ich nicht vorhabe zu verzehren.
Bei uns Menschen geht es ausschließlich darum, wie wir
Schmerzen lindern und Krankheiten behandeln. Das ist
für uns wichtig. Warum müssen wir Tierärzten und Tier-
haltern unnötig Steine in den Weg legen?

Um eine bedarfsgerechte Abgabe von Tierarzneimit-
teln zu gewährleisten, ist auch zu prüfen, ob es den Tier-
ärzten künftig ermöglicht werden kann, Arzneien aus
fertigen Gebinden umzufüllen, fachgerecht neu zu ver-
packen und an den Tierhalter abzugeben.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das steht doch im Referentenentwurf!)


– Referentenentwurf hin oder her, aber ich habe noch
keine Drucksache gesehen. Auch ich könnte jetzt aus-
führen, welche Papiere wir schon vorbereitet haben. Wir
möchten gerne etwas auf dem Tisch liegen sehen. Im
Moment werden wir nur hingehalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die ganze Zeit wird gesagt, dass dieser Antrag der

Union zur Unzeit kommt. Wenn Dinge geregelt werden
müssen, dann gibt es keine Unzeit. Wir hatten schon
Jahre Zeit, etwas zu machen. Wenn man sich bei der Er-
arbeitung des Referentenentwurfs nicht einig war und
deshalb nichts vorliegt, dann ist das nicht unser Problem.
Wir nehmen uns dieser Sache an. Das, was in unserem
Antrag steht, können Sie gerne übernehmen.

Es kann nicht sein, dass für die Behandlung eines
kleinen Hamsters eine große Arzneimittelpackung ab-
gegeben wird, die normalerweise für die Behandlung ei-
ner Kuh oder eines Schweins nötig ist. Das ist aus öko-
nomischen und ökologischen Gründen nicht sinnvoll.
Bisher ist es so, dass der Tierhalter selbst bei Kleinsttie-
ren die Großpackung abnehmen muss, aber den Rest
nicht mehr verwerten darf und kann. Es gibt keinen
Grund, nicht unseren Vorschlägen zuzustimmen. Es gilt,
die Tierärzte aus der Grauzone herauszuführen. Es geht
nicht darum, irgendwelche Hygienevorschriften nicht
mehr einzuhalten. Das ist nicht der Fall. Wir müssen uns
darüber einig werden, wie das Ganze später im Geset-
zestext formuliert wird.

Im Verlauf der Arbeit an dieser Novelle habe ich mich
mit anderen Kollegen der Unionsfraktion wiederholt mit
Vertretern aller beteiligten Kreise zusammengesetzt. Im
Verlauf der Gespräche zeigte sich schnell, dass die Inte-
ressen der Länder, der Tierärzte und der Tierhalter si-
cherlich nicht einfach unter einen Hut zu bekommen
sind. Aber ich bin mir sicher, dass wir eine einvernehm-
liche Lösung vorgelegt und Ihnen einen verwertbaren
Lösungsansatz an die Hand gegeben haben.

Wir sind weiterhin daran interessiert, mit Ihnen zu-
sammen an einer praktikablen Lösung zu arbeiten. An-
fangs war der gemeinsame Wille vorhanden, fraktions-
übergreifend zusammenzuarbeiten. Warum das nicht
mehr möglich war, möchte ich jetzt nicht erwähnen. Das
ist Fakt. Diejenigen, die nicht mit dabei waren, können
darüber gerne den Kopf schütteln. Aber das ist nun ein-
mal so. Mir tut es um die Kollegen Leid, die bereit wa-
ren, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir bieten Ihnen eine
gute Vorlage. Erlauben Sie mir, an Ihre politische Ver-
nunft zu appellieren. Es gibt keinen Grund, diesem An-
trag nicht zuzustimmen. Über alle Punkte hatten wir
schon einmal Einvernehmen erzielt. Sie haben Ihr Ein-
vernehmen leider zurückgezogen.

Ich verstehe auch nicht, warum die Ministerin nicht
da ist.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Der Staatssekretär ist da!)


– Wie ich sehe, ist Herr Berninger etwas verspätet hinzu-
gekommen. Ich denke, er wird den Antrag lesen und ihn
weiterreichen, damit er als gute Grundlage dienen kann.
Stimmen Sie zu! Es gibt keinen Grund, dagegen zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511127100

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wilhelm

Priesmeier von der SPD-Fraktion.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1511127200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, es nützt wenig, wenn hier Sperrfeuer geschossen
wird. In der Diskussion über den Referentenentwurf, der
bereits seit Oktober vorliegt,


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ehrlich? – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wo denn?)


ist in den letzten Monaten vieles weiterentwickelt wor-
den.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Liegt er seit Oktober vor oder nicht?)


– Über die Zeitschiene kann man sich unterhalten. Die
beteiligten Verbände haben vorgetragen, dass man sich
gerne auf eine gemeinsame Position einigen wollte. Das
erfordert naturgemäß Zeit. Die Zeit haben wir den Ver-
bänden eingeräumt. Mittlerweile liegt dort eine gemein-
same Position vor.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: 2002!)


Es hat erhebliche Diskussionen im Hintergrund gegeben,
die noch lange nicht abgeschlossen sind. In dem Zusam-
menhang ist Ihr Antrag heute, verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, weder zeitgemäß noch
passend.

In der Analyse des Problems sind wir uns im Wesent-
lichen einig, auch nach der Anhörung im letzten Juni.


(Ina Lenke [FDP]: Die ist schon lange her!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wilhelm Priesmeier

Die gemeinsame Position, die hier im Verlauf der Dis-
kussionen gefunden worden ist, trägt auch noch. Wenn
man meint, aus nahe liegenden Gründen – das mag bei
Ihnen aus einem gewissen Populismus resultieren – jetzt
einen Antrag stellen zu müssen, dann ist das wenig
zweckdienlich.

Ich glaube, alle Beteiligten sind daran interessiert,
eine praxisnahe und vernünftige Regelung zu finden.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Außer Frau Künast!)


Gerade Sie, verehrte Frau Kollegin Klöckner, haben in
den letzten Monaten auch in den Gesprächen mit der
Länderebene gemerkt, wo dort die Befindlichkeiten lie-
gen und dass es nicht ganz so einfach ist, ein einfaches
Konzept in einem Antrag zu formulieren, das hinterher
auch noch juristisch tragen und eine einfache Regelung
enthalten soll, damit alle Beteiligten zufrieden sind.

Die anfängliche Forderung, die 7-Tage-Frist ersatz-
los zu streichen, findet auf der Länderebene überhaupt
keinen Wiederhall.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das stimmt nicht!)


Bei der Anhörung zum Referentenentwurf im BMVEL
wurde von zehn anwesenden Ländern, mindestens aber
von acht, signalisiert, dass sie mit der Streichung mit Si-
cherheit nicht einverstanden sind. Auch das Instrumenta-
rium, das Sie auf den Tisch gelegt haben, ist ein durchaus
anerkennenswerter Diskussionsansatz. Das Instrument
Behandlungsplan ist schon bei den Beratungen zur elften
Novelle diskutiert worden, dann aber nicht zum Tragen
gekommen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Leider!)

Die Ursache für das eigentliche Problem und für den
Handlungsdruck, den man vor der elften Novelle ver-
spürt hat, liegt in der mangelnden Kontrolle und in den
Schwächen des bisherigen Kontrollsystems. Da kann ich
als jemand, der davon direkt betroffen ist, zumindest im
Augenblick auf der Länderebene keine wesentliche Ver-
besserung erkennen.

Weder sind die personellen Ressourcen vorhanden,
um eine effiziente Kontrolle zu gewährleisten, noch das
dafür notwendige Instrumentarium. Auch ist die Bereit-
schaft dazu in vielen Bereichen nicht vorhanden. Die ge-
genwärtige Situation mit all den Schwierigkeiten, die
wir im Augenblick mit der Umsetzung bzw. der Rechts-
wirklichkeit der elften Novelle haben, hält einige Bun-
desländer davon ab, intensiv zu kontrollieren. In Bayern
sind vor der Landtagswahl keine Kontrollen erfolgt.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehen Sie!)

Warum wohl? Die Frage ist berechtigterweise zu stellen.
Auch das von Bayern auf den Tisch gelegte Instrumenta-
rium des Behandlungsplans ist wieder aus den Diskus-
sionen verschwunden. Das ist heute kein Thema mehr.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht!)

Kein Bundesland fühlt sich bemüßigt, in diesem Zusam-
menhang die im Referentenentwurf unter Umständen ge-
währte Möglichkeit einer eigenständigen Regelung in
dem Bereich umzusetzen. Darum drückt man sich. Aus
diesem Grunde ist es vernünftig, unter Umständen an
dem Instrument des Behandlungsplanes weiterzuarbei-
ten und dieses weiterzuentwickeln. Im Referentenent-
wurf ist der Behandlungsplan als eine Möglichkeit vor-
gesehen, eine Ausnahme von der 7-Tage-Regelung unter
der Maßgabe zuzulassen, dass das für einen ganz be-
stimmten Indikationenkatalog von Erkrankungen gilt.
Das sind in der Hauptsache Bestandserkrankungen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511127300

Herr Kollege Priesmeier, erlauben Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Klöckner?


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1511127400

Aber selbstverständlich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511127500

Bitte schön, Frau Klöckner.


Julia Klöckner (CDU):
Rede ID: ID1511127600

Herr Kollege Priesmeier, was mich und sicherlich

auch die Tierhalter und Tierärzte interessiert, ist die
Frage, wann ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, aus dem
hervorgeht, welche Richtung eingeschlagen werden soll.
Es reicht nicht, festzustellen, was alles nicht möglich ist.
Wir müssen vielmehr wissen, welche Möglichkeiten be-
stehen. Dafür sind wir als Politiker schließlich an dem
Verfahren beteiligt. Ich möchte konkret wissen, wann die
Betroffenen endlich aufatmen können.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1511127700

Ich gehe davon aus, dass die Beratungen in absehba-

rer Zeit so weit gediehen sind,

(Albert Deß [CDU/CSU]: Aber vor 2006!)


dass ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden
kann, der auch beratungsfähig ist.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie wissen es also auch nicht genau?)


– Zurzeit kann ich Ihnen keinen konkreten Zeitpunkt
nennen, aber ich gehe davon aus, dass im Ministerium
fleißig daran gearbeitet wird. Der Gesetzentwurf wird
eine entsprechende Qualität haben.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist aber eine effektive Regierungskontrolle!)


Das würde ich nicht in Abrede stellen.
In diesem Zusammenhang wird von verschiedenen

interessierten Seiten unter Umständen ein Popanz aufge-
baut. Sie kennen vielleicht den gemeinsamen offenen
Brief der vier beteiligten Verbände, den ich in dieser Si-
tuation für wenig zweckdienlich halte. Damit wird eine
politische Linie verfolgt, die offensichtlich auf Profilie-
rung ausgelegt und der Diskussion wenig förderlich ist.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wilhelm Priesmeier

Ich glaube, wir sollten wieder zur Sachlichkeit zurück-
kehren


(Beifall bei der SPD)

und unter dieser Maßgabe versuchen, eine Lösung zu
finden. Dazu sind wir auch bereit.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr tut doch nichts! Das ist doch das Problem!)


Mein Gesprächsangebot in diesem Zusammenhang
gilt weiterhin. Ich habe vorhin mit Freude zur Kenntnis
genommen, dass auch Ihr Angebot weiter gilt. Insofern
sind die besten Voraussetzungen gegeben, um eine ver-
nünftige Lösung zu finden, die auch auf die Befindlich-
keiten der Länder abstellt. Denn was nützt uns ein Ge-
setz, das im Bundestag beschlossen wird, aber
anschließend im Bundesrat keinen Bestand hat?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Mach dir darüber mal keine Sorgen!)


– Sie wissen genau, verehrter Kollege Goldmann, dass
die Einschätzung des richtigen Instrumentariums in die-
sem Zusammenhang nicht davon abhängig ist, von wel-
chem politischen Lager die Landesregierungen derzeit
gestellt werden.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Da haben wir die Mehrheit!)


Das ist eine klare Erkenntnis; das wissen Sie so gut wie
ich.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du meinst NRW?)


– Nicht nur NRW. Ich habe in den vergangenen Wochen
und Monaten mit den Vertretern der Länder in der
LAGV gesprochen, und zwar nicht nur aus NRW oder
Bayern, sondern unter anderem auch aus Baden-
Württemberg und meinem Heimatland Niedersachsen,
das bekanntlich von dieser Problematik in besonderer
Weise betroffen ist. Es gibt durchaus einen vernünftigen
Ansatz, der kompromissfähig ist. Ich bin bereit, auch
weiterhin an einer konstruktiven Lösung zu arbeiten, die
auch langfristig tragbar ist und länger Bestand hat als
das, was uns mit der Elften Novelle des Arzneimittelge-
setzes vorgelegt worden ist.

Dabei nützt es nichts, sich gegenseitig die Schuld zu-
zuweisen. Denn wie jeder weiß, ist die Elfte Novelle mit
16 : 0 im Bundesrat beschlossen worden. Der Bundesre-
gierung bzw. dem BMVEL die Schuld daran zuzuweisen
ist weder korrekt noch fair.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Die sind auch nicht dafür zuständig!)


Denn sie haben weitere wesentliche Erschwernisse, die
unter Umständen in die Elfte Novelle Eingang gefunden
hätten, verhindert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Darum geht es doch gar nicht!)


In diesem Zusammenhang lohnt es sich nicht, alte Ka-
mellen aufzuwärmen.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Nein, diese Kamellen sind ganz aktuell!)


Meines Erachtens sind die in Ihrem Antrag enthaltenen
Forderungen bereits in wesentlichen Teilen Bestandteil
des Referentenentwurfs.


(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Das Umverpacken wird dort einwandfrei eingeräumt.
Das ist auch unbestritten.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Dann können Sie doch zustimmen!)


– Das ist in Ordnung. Wenn Sie dem zustimmen, dann
verfolgen wir wieder eine gemeinsame Linie, die sich
wahrscheinlich auch als tragfähig erweisen wird.

Ich appelliere an Sie, wieder auf den Boden des Kon-
senses zurückzukehren und gemeinsame Gespräche zu
führen. Ich sehe in diesem Zusammenhang keine Alter-
native, wenn wir sinnvoll gestalten wollen. Das Angebot
der Fraktionen von SPD und – das nehme ich an – Grü-
nen, in einem konstruktiven Dialog zu einer Lösung zu
kommen, gilt auf jeden Fall weiter.

Ein Modell, das ich auch auf der Länderebene für
kompromiss- und konsensfähig halte, könnte sich wie
folgt darstellen: Der Behandlungsplan wird zur Grund-
lage gemacht, um Ausnahmen von der 7-Tage-Regelung
zuzulassen. Darüber hinaus sollte ein Expertengremium
geschaffen werden, das Leitlinien zur Anwendung von
Antibiotika und Voraussetzungen für Ausnahmen von
der Siebentageregelung definiert. Das soll kein statischer
Prozess per Verordnung sein. Vielmehr soll dieses Gre-
mium, besetzt mit Fachleuten und Praktikern, ein dyna-
misches Instrument sein, mit dessen Hilfe man letztend-
lich in der Lage ist, den Stand der tierärztlichen
Wissenschaft zu definieren. Ich glaube, dass diese Lö-
sung bei allen Kolleginnen und Kollegen konsensfähig
ist, sofern ich das als Tierarzt beurteilen kann. Das kön-
nen Sie vielleicht nicht so gut, Herr Kollege Goldmann.
Ich gehe davon aus, dass Sie nicht mehr so stark im täg-
lichen Dialog mit den Kollegen involviert sind wie ich.

Ich appelliere an Sie, die gemeinsame Linie nicht auf
Dauer zu verlassen, wie Sie das in Ihrem Antrag bereits
tun. Wir sollten weiterhin versuchen, gemeinsam zu ei-
ner vernünftigen Lösung zu kommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511127800

Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann

von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1511127900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So

ungerecht ist die Welt: Mein Vorredner hat zwölf Minu-






(A) (C)



(B) (D)


Hans-Michael Goldmann

ten hier herumgeblubbert und nichts gesagt, während ich
leider nur drei Minuten habe.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind so bedeutend, dass eine Minute reichen würde!)


Die Sache ist eigentlich ganz einfach. Wilhelm
Priesmeier, bei dir ist es immer das Gleiche: In populisti-
schen Botschaften bist du allererste Sahne. Du plusterst
dich zum Tierschutzbeauftragten auf und lässt seit ge-
raumer Zeit ein Arzneimittelgesetz gelten, von dem du
als Praktiker genau weißt, dass sich jeder, der dieses Ge-
setz befolgt, am Tierschutz sowie an den Interessen der
Bauern und im Grunde genommen auch der Tierärzte
vergeht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Tiere sind aufgrund dieses Gesetzes – um in der

Agrarsprache zu bleiben – traurig und beschissen dran.
Die Bauern leiden darunter. Es kostet sie eine Menge
Geld. Aber es kommt nichts dabei herum.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine Sprache ist das!)

– Herr Kollege, Sie haben keine Ahnung davon. Sie ha-
ben wahrscheinlich noch nie bei einem Tier gestanden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: Ihre Rede ist von geringer Qualität!)


– Im Schreien sind Sie ziemlich gut. Wahrscheinlich sit-
zen Sie deshalb in der ersten Reihe. Manche sitzen dort
wegen ihrer guten fachlichen Qualität. Aber das, was Sie
eben von sich gegeben haben, war nur in der Lautstärke
überzeugend. Sie sollten einmal zuhören.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Bei Ihnen nicht!)

Ich finde es beeindruckend, welche Rolle Sie hier spie-
len. Ich bin todsicher, dass Sie kein einziges Mal in den
Antrag der CDU/CSU hineingeschaut haben.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Er wird so sein, wie Sie sich gerade verhalten!)


Ich kann Ihnen nur sagen: Dieser Antrag ist allererste
Sahne.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das weiß auch Kollege Priesmeier genau.

Herr Küster, Sie brauchen nicht noch die Hände an
den Mund zu legen, um einen Trichter zu bilden. Ich ver-
stehe auch so alles bestens, was Sie sagen, oder – besser
gesagt – es kommt akustisch einiges bei mir an.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Warum schreien Sie so laut, Herr Goldmann?)


– Frau Hiller-Ohm, ich verstehe euch nicht. Zuerst woll-
tet ihr doch gar nicht reden. Dann habt ihr dafür gesorgt,
dass diese Debatte in die Nachtstunden verschoben wird,
damit nicht auffällt, dass ihr im Grunde genommen seit
anderthalb Jahren eurer Verpflichtung nicht nachkommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511128000

Entschuldigen Sie, aber der Redner hat das Wort.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1511128100

Herr Küster, wenn Sie meinen, dass Sie sich weiter

disqualifizieren müssen, dann bitte. Ich fände es aber
besser, wenn wir unsere Auseinandersetzung auf privater
Ebene fortsetzen würden. Dann bräuchten Sie auch nicht
mehr so zu schreien.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Machen wir gerne!)

Wenn Sie informiert sind, dann wissen Sie, dass alle,

vor allen Dingen Herr Kollege Priesmeier von Ihrer
Fraktion, Herr Küster, und Herr Kollege Ostendorff, in
der Ausschussanhörung erklärt haben, dass dieses Ge-
setz dringend verbessert werden müsse. Daraufhin haben
Frau Klöckner und ich gemeinsam einen Brief aufgesetzt
– wir hatten den Auftrag dafür – und versucht, die Unter-
schriften von Herrn Priesmeier und Herrn Ostendorff für
diesen Brief zu bekommen. Doch leider sind Herr
Ostendorff und Herr Priesmeier vom Ministerium vorher
angerufen worden, woraufhin sie nicht mehr unterschrei-
ben durften, obwohl wir alle uns einig waren, dass es in
dieser Frage Verbesserungsbedarf gibt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Was für Zustände in diesem Lande!)


Daraufhin sind wir einen eigenen Weg gegangen. Ge-
nau so ist es, Herr Kollege. Das kann ich Ihnen auch be-
legen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir rücken das gleich wieder hin!)


Wenn Sie nachschauen, werden Sie feststellen, dass wir
einen eigenen Antrag eingebracht haben. Dank der her-
vorragenden Arbeit von Frau Julia Klöckner hat auch die
CDU/CSU einen eigenen Antrag eingebracht.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat bei dir abgeschrieben!)


– Sie hat nicht bei mir abgeschrieben. Wie du genau
weißt, ist meiner nämlich etwas kürzer; aber in den In-
halten stimmen wir sehr wohl weitestgehend überein.

Im Grunde genommen wisst ihr beide ganz genau,
dass es, wenn ihr nur dürftet, ein Leichtes wäre, den par-
lamentarischen Mut aufzubringen und zu sagen: Jawohl,
wir wissen, dass das derzeitige Arzneimittelgesetz für
die in der Praxis Tätigen verbessert werden muss. Es
wurde völlig zu Recht bemerkt, dass dieses Gesetz da-
mals mit den Stimmen des ganzen Hauses auf den Weg
gebracht worden ist. Heute wissen aber alle, dass bei
dem Zustandekommen dieses Gesetzes einige wenige
gravierende Fehler passiert sind. Diese Fehler könnte
man mit ein bisschen gutem Willen zum Wohle der Bau-
ern, der Tierärzte und vor allen Dingen der Tiere, Herr
Tierschutzbeauftragter, beseitigen – wenn man es nur
wollte. Kollege Priesmeier weiß hundertprozentig, dass
es dort Probleme gibt. Das sagen ihm nämlich seine Kol-
legen, wenn er mit ihnen spricht.






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511128200

Herr Kollege Goldmann, bitte.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1511128300

Ich komme zum Schluss.
In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen: Lieber

Kollege Priesmeier, wenn du als praktizierender Tierarzt
mit einer pharmakologischen Ausbildung, der auch Fort-
bildungen absolviert hat, wirklich der Meinung bist, dass
wir eine Kommission brauchen, um hoch qualifizierten
Tierärzten zu sagen, was sie mit den Bauern zu tun und
zu lassen haben, dann kann ich nur sagen: Du hast dein
Studienziel verfehlt. Wir wollen, dass es im Ausschuss
zu einer Lösung kommt. Legt in der nächsten Sitzung
euren Referentenentwurf auf den Tisch! Kein Thema,
wir setzen uns zusammen und innerhalb von einer
Stunde ist die Sache erledigt, wenn ihr nur wollt oder,
besser gesagt, wenn ihr dürft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Deß [CDU/CSU]: Das waren gute drei Minuten! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Michael, was bin ich dir schuldig?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511128400

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

das Wort der Kollege Friedrich Ostendorff vom
Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Mich erstaunt schon, was ich hier in Berlin
alles lerne: dass der Bauer Ostendorff und auch der Tier-
arzt Priesmeier vom Ministerium ferngesteuert sind.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Der steht unter verdeckter Feldbeobachtung!)


Ich habe heute Abend eine ganz neue Erkenntnis gewon-
nen. Das hat schon einen gewissen Unterhaltungswert.
Aber wir wollen uns darauf gar nicht weiter einlassen;
denn diesem Thema gebührt Sachlichkeit.

Die Behandlung von erkrankten Tieren mit Arznei-
mitteln ist ein sensibler Bereich mit direktem Bezug zum
Tier- und Verbraucherschutz. Alle arzneimittelrechtli-
chen und tiergesundheitlichen Maßnahmen in diesem
Tätigkeitsfeld müssen also mit Blick auf Verbraucher-
schutz und Tierschutz abgewogen werden.

Wir haben uns interfraktionell viele Male getroffen,

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Dreimal!)

um eine einvernehmliche Regelung zu erarbeiten. Frau
Klöckner hat das ja gerade bestätigt. Umso mehr er-
staunt es uns, Frau Klöckner, dass die Opposition in ih-
rem Antrag zum Arzneimittelgesetz für Tierärzte und
Landwirte fordert, dass verbraucherschutzpolitische
Herzstück der Elften Arzneimittelgesetzesnovelle, die so
genannte 7-Tage-Regelung zur Befristung der Abgabe
von Arzneimitteln, vor allem von Antibiotika, an Tier-
halter einfach zu streichen.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Weiterlesen! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht auch gar nicht drin!)


Frau Klöckner, dafür haben wir überhaupt kein Ver-
ständnis. Beim Umgang mit Tierarzneimitteln ist eine
verantwortungsvolle Vorgehensweise sowohl vom Tier-
arzt als auch vom Tierhalter essenziell. Für Tierärzte gilt
dies in besonderem Maße, da sie – als Ausnahme vom
Apothekenmonopol – das Dispensierrecht haben. Das
heißt, dass Tierärzte Arzneimittel direkt abgeben dürfen.

Am Beispiel des Schweinemastskandals 2001 – ich
erinnere an die vielen mit den Autobahntierärzten ver-
bundenen Skandale – wurde uns allen doch deutlich,
dass es immer wieder Missbrauchsfälle gegeben hat. Die
darauf folgende Ländergesetzesinitiative, die in der Elf-
ten AMG-Novelle mündete, führte zu einer deutlichen
Verschärfung der Vorschriften über den Verkehr mit
Tierarzneimitteln. Ich denke, daran sollte sich Herr
Carstensen erinnern.

Die Elften AMG-Novelle wurde vom Bundesrat ein-
stimmig verabschiedet. Auch die maßgeblichen Ver-
bände waren einverstanden.


(Abg. Julia Klöckner [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511128500

Herr Kollege Ostendorff – –


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte keine Fragen zulassen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511128600

Keine Zwischenfragen. Gut.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte gerne fertig werden.

(Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)


– Ich sage Ihnen auch, warum. Dieses Thema eignet sich
meiner Meinung nach nicht für dieses Spielchen. Dazu
ist es viel zu ernst.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit diesem Gesetz und insbesondere der 7-Tage-Re-

gelung wurde ein Fortschritt für den Verbraucherschutz
erreicht, da die Regelungen entscheidend zur Minimie-
rung des Arzneimittelbestandes beim Tierhalter beige-
tragen haben. Eine restriktive Anwendung von Antibio-
tika ist auch ein wichtiger Beitrag zur Beschränkung der
Ausbreitung der Antibiotikaresistenz. So wird mögli-
chem Missbrauch durch klare Verbotsnormen entgegen-
gewirkt. Nicht zuletzt ist die enge Bindung der Arnzei-
mittelanwendung an die tierärztliche Untersuchung auch
ein Beitrag zum Tierschutz.






(A) (C)



(B) (D)


Friedrich Ostendorff


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ach ja?)


Dies alles will die Opposition durch die vollständige
Streichung der 7-Tage-Regelung offenkundig aufs Spiel
setzen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – HansMichael Goldmann [FDP]: Völliger Blödsinn! Unverschämtheit!)


Die in dem Antrag genannten Voraussetzungen, die an
die Stelle der 7-Tage-Regelung treten sollen, sind als
Kriterien zur Befristung der Abgabe ungeeignet.


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Welche denn?)

Was die Opposition will, würde im Ergebnis dazu füh-
ren, dass für jede Krankheit Arzneimittel in unbegrenz-
ter Menge abgegeben werden können, da eine Kopplung
an bestimmte Behandlungsarten keinerlei Kontrolle er-
möglicht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau! Das ist dein Niveau!)


Vermeintlich praxisgerecht zu sein, Frau Klöckner, hat
dort seine Grenzen, wo die Belange des Verbraucher-
schutzes berührt sind, und das ist hier eindeutig der Fall.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Völliger Quatsch! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Lesen!)


Zu dem in der Presseerklärung der CDU/CSU geäu-
ßerten Vorwurf, die Bundesregierung sei nicht tätig ge-
worden, um bestimmten Schwierigkeiten bei der An-
wendung der Vorschriften der Elften AMG-Novelle
abzuhelfen, ist festzustellen:


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Trifft hundertprozentig zu!)


Das BMVEL hat unter Wahrung der 7-Tage-Regelung
für Antibiotika – das ist die einzig richtige Deutung –
längst einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelge-
setzes erarbeitet, der eine Flexibilisierung bestimmter
Verkehrsregelungen enthält, und intensiv mit den Län-
dern und den Verbänden, aber auch mit den Fraktionen
– Sie haben es selbst bestätigt – diskutiert.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben die 7-Tage-Regelung außer Kraft gesetzt!)


Dies erfolgte allerdings erst nach eingehender Prüfung
der Frage, ob die vonseiten der Praktiker und der Bauern
herangetragenen Anliegen fachlich gerechtfertigt und
mit dem Verbraucherschutz vereinbar sind.

Ergebnis ist eine fachlich konsistente Regelung, die
bei bestimmten Krankheiten, bei denen dies sinnvoll ist,
eine Ausnahme von der 7-Tage-Regelung – 31 Tage –
vorsieht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aha! Dann habt ihr sie doch abgeschafft!)


Damit ist den Hinweisen aus der Praxis präzise Rech-
nung getragen worden. Gleichzeitig wird gewährleistet,
dass die zuvor skizzierten Ziele der Elften AMG-
Novelle erreicht werden.
Zu den übrigen Punkten des CDU/CSU-Antrags: Bei
näherem Hinsehen zeigt sich, dass es sich um Themen
handelt, die erstens entweder bereits im Entwurf des
BMVEL enthalten sind oder zweitens nur im Rahmen
der EU geregelt werden können


(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Konkret bitte!)

oder drittens gar nichts im Arzneimittelgesetz zu suchen
haben. Der im Antrag eine so wichtige Rolle spielende
Begriff der Behandlung ist in der Verordnung über tier-
ärztliche Hausapotheken geregelt; berücksichtigt werden
neben der Einzeltierbehandlung längst auch die Behand-
lung von Tierbeständen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was würde denn Ihre Mutter zu dem sagen, was Sie hier vortragen?)


Dies alles ist also nichts Neues. Im Übrigen waren sechs
der neun Punkte des Antrags bereits wortgleich im An-
trag der FDP,


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das stimmt nicht!)


den der VEL-Ausschuss gerade abgelehnt hat.
Das alles heißt schlussfolgernd: Dieser Antrag kann

nur abgelehnt werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1511128700

Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 15/3112 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist es so beschlos-
sen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Lothar
Mark, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian
Ströbele, Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Intensivierung der Beziehungen zwischen der
Europäischen Union, Lateinamerika und der
Karibik
– Drucksache 15/3205 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Reden hierzu sollen zu Protokoll genommen wer-
den. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Lothar






(A) (C)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Mark, SPD, Claudia Nolte, CDU/CSU, Thilo Hoppe,
Bündnis 90/Die Grünen, und Dr. Claudia Winterstein,
FDP.1)

Da eine Aussprache nicht stattgefunden hat, brauche
ich sie auch nicht zu schließen.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/3205 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit

einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 28. Mai 2004, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.