Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Ich bitte Sie, sich zu erheben.
Am Sonnabend, dem 17. April 2004, verstarb unsereKollegin Anke Hartnagel im Alter von 62 Jahren.Geboren während des Zweiten Weltkrieges in Berlin,wuchs sie in Hamburg auf und machte dort ihre Ausbil-dung zur Groß- und Außenhandelskauffrau, sammelteerste Berufserfahrung und absolvierte die Fortbildungzur Sparkassenbetriebswirtin. Als sie vor mehr als30 Jahren Leiterin einer Sparkassenfiliale in Hamburgwurde, war sie die zweite Frau, die das in Hamburg „ge-schafft“ hatte.Wo immer sie lebte, hatte sie ein Auge für die Bedürf-nisse der Menschen, die Unterstützung brauchten. Alssie nach zehn Jahren an der Elfenbeinküste und in Süd-amerika nach Deutschland zurückkehrte, engagierte siesich sofort wieder an ihrem Wohnort Hamburg-Fuhls-büttel, zunächst als Mitglied der Hamburger Bürger-schaft und ab 1998 als Mitglied des Deutschen Bundes-tages.fdSIlrCsuGliwRedetIhrem Engagement für die Menschen in den unterent-wickelten Teilen der Welt ist Anke Hartnagel auch wäh-rend ihrer Zeit als Mitglied des Deutschen Bundestagestreu geblieben.Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung und zugleich des Aus-schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheithat sie immer wieder die politischen Diskussionen durchihren Erfahrungsschatz bereichert. Sie machte deutlich,dass menschliches Interesse und Mitgefühl die Antriebs-feder für jedes politische Engagement sind.Aufgrund ihres hohen Pflichtgefühls hat sie ihre Ar-beit im Bundestag selbst dann noch fortgeführt, als dieschwere Krankheit begann, ihre Kräfte auDass sie ihre Krankheit offen ansprach, sich nversteckte, sondern immer beanspruchte, täthat Menschen Mut gemacht.
extSiegfried Scheffler, Sören Bartol, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPD, der Abgeordneten GünterNooke, Dirk Fischer , Eduard Oswald, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abge-ordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck , weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowieder Abgeordneten Joachim Günther , HorstFriedrich , Eberhard Otto (Godern),Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP: Planungund städtebauliche Zielvorstellungen des Bundes fürden Bereich beiderseits der Spree zwischen Marschall-und Weidendammer Brücke vorlegen– Drucksache 15/2981 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
sschussss für Kultur und Medieng des Antrags der Abgeordneten Brunhilde Irber, Faße, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneterfzuzehren.icht damitig zu sein,InnenauAusschub) BeratunAnnette
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Präsident Wolfgang Thierseund der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten UndineKurth , Rainder Steenblock, Volker Beck
, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Chancen und Poten-ziale des Deutschlandtourismus in der erweitertenEuropäischen Union konsequent nutzen– Drucksache 15/2980 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrech-nungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für das Haus-haltsjahr 2003 – Einzelplan 20 –– Drucksache 15/2885 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Äußerungen aus derCSU zur Finanzierungslücke von rund 100 MilliardenEuro in den Konzepten der CDU zur Reform der Sozial-und SteuersystemeZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ChristelHappach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Ulrike Flach, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Chancen derGrünen Gentechnik nutzen – Gentechnikgesetz und Gen-technik-Durchführungsgesetz grundlegend korrigieren– Drucksache 15/2979 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Laurischk,Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP: Umsetzung der Gemeinsamen Erklä-rung zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags – Regionaleund interregionale Zusammenarbeit – Schaffung vonEurodistrikten– Drucksache 15/1111 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
InnenausschussSportausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Hal-tung der Bundesregierung zur allgemeinen Wehrpflichtund zu Plänen für ein soziales PflichtjahrVon der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweiterforderlich, abgewichen werden.Abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte10 a und 10 b – Energieforschungsprogramm –, 12 – De-mokratisierung in Moldau –, 13 – Übereinkommen zumSzprdscotpgeÜsüAzI
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Winfried Hermann,Volker Beck , Michaele Hustedt, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN: Sportförderung in denauswärtigen Kulturbeziehungen ausbauen– Drucksache 15/1879 –überwiesen:Sportausschuss
Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für Kultur und MedienSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –ch höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Neuordnung der einkommensteuerrechtli-chen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendun-
– Drucksache 15/2150 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichenBehandlung von Altersvorsorgeaufwendungen
– Drucksachen 15/2563, 15/2592 –
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Präsident Wolfgang Thiersea) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksachen 15/2986, 15/3004 –Berichterstattung:Abgeordnete Horst SchildKlaus-Peter FlosbachKerstin AndreaeDr. Andreas Pinkwartb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 15/2987 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterWalter SchölerAnja HajdukDr. Günter RexrodtEs liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU sowie der Fraktion der FDP vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesminis-ter Hans Eichel das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit sind diezentralen Leitbilder, an denen sich eine zukunftsorien-tierte Politik messen lassen muss. Denn fast alle politi-schen Entscheidungen betreffen nicht nur die heutigeGeneration, sondern haben auch Auswirkungen aufkommende Generationen.
Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden demo-graphischen Wandels bedeutet die Orientierung an die-sen Leitbildern mehr denn je: Keine Generation darf aufKosten der nachrückenden Generation leben; andernfallsist die langfristige Stabilität unserer Gesellschaft gefähr-det.
– Wissen Sie, zu Ihrem Zwischenruf „Genau wie dieSchulden!“ muss ich Ihnen sagen: Sie haben ja Recht.Nur, es ist noch gar nicht so lange her, dass ich den größ-ten Schuldenberg der Geschichte von Ihnen übernehmenmusste. Auch das ist die Wahrheit.
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uch das ist ein Beispiel für den eklatanten Reformstau,en Sie hinterlassen haben.
Schwerpunkt des Gesetzentwurfes ist, wie schon er-ähnt, der schrittweise Übergang zur nachgelagertenesteuerung von Alterseinkünften – unter weit rei-hender Schonung der bestehenden Renten und der ren-ennahen Jahrgänge.
Wissen Sie, mit Petersberg können Sie langsam nunirklich nicht mehr kommen.
enn Sie einmal nachlesen, was Herr Koch in seinemuch geschrieben hat, werden Sie feststellen, dass es ge-au das Richtige war, nämlich dass Sie nicht den Mutatten, dieses Thema am Beginn der Wahlperiode einzu-ringen.
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Bundesminister Hans EichelSie wissen, dass das zur Folge hatte – so original HerrKoch –,
dass der Finanzminister damals eigentlich hätte gehenmüssen. Machen Sie das in Ihren eigenen Reihen aus,aber nicht mit uns!Des Weiteren enthält der Gesetzentwurf Regelungenzur Besteuerung von Beamten- und Werkspensionen,Regelungen, durch die im Bereich der kapitalgedecktenbetrieblichen Altersvorsorge ebenfalls zur nachgelager-ten Besteuerung übergegangen wird, und Regelungen,die das Verfahren bei der privaten kapitalgedeckten Al-tersvorsorge, der Riester-Rente, vereinfachen und denVerbraucherschutz verbessern.Auf der Basis des Urteils des Bundesverfassungsge-richts vom 6. März 2002 hatte die Bundesregierung eineSachverständigenkommission eingesetzt, deren Vor-schläge in den vorliegenden Entwurf eines Altersein-künftegesetzes eingegangen sind. Im Ergebnis haben wireine systematisch schlüssige und folgerichtige Behand-lung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezü-gen erreicht. Die vorgelegte Neuregelung ist zudem ge-samtwirtschaftlich vorteilhaft und sozial tragfähig.Unser Vorschlag trägt außerdem dazu bei, das Besteue-rungssystem transparenter und einfacher zu machen.Kernelement beim schrittweisen Übergang zur nach-gelagerten Besteuerung von Alterseinkünften ist dieFreistellung der Altersvorsorgebeiträge der Erwerbstäti-gen. Bereits im ersten Jahr werden die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer um knapp 2 Milliarden Euro ent-lastet; in jedem Folgejahr steigt die Entlastung um eineweitere Milliarde Euro an. Nach 20 Jahren ist die volleEntlastung der Erwerbstätigen mit jährlich 20 MilliardenEuro erreicht. Die schrittweise ansteigende steuerlicheBerücksichtigung von Altersvorsorgeaufwendungen er-höht das Nettoeinkommen und erweitert so den Spiel-raum für die eigene Zukunftsvorsorge. Das war mit derRiester-Rente vor dem Hintergrund der demographi-schen Entwicklung ausdrücklich gewollt und notwendig.Da während der erwerbsmäßig aktiven Lebensphasewegen der Höhe der dann erzielten Einkommen typi-scherweise höhere Steuersätze greifen als im Alter, führtder Übergang auf die nachgelagerte Besteuerung derRenten auch unter Berücksichtigung der späteren Steuer-last auf die Rente unter dem Strich zu einer Entlastungder Steuerzahler. Auch bei gesamtwirtschaftlicher Be-trachtung ist die nachgelagerte Besteuerung de facto einSteuersenkungsprogramm, denn die eben genannten Ent-lastungen werden durch die erhöhte Besteuerung der Al-tersbezüge nur teilweise kompensiert. Dass mir das alsFinanzminister nicht ganz leicht gefallen ist; das mussich an dieser Stelle, glaube ich, nicht ausdrücklich beto-nen.Beide Übergangsphasen – die zur Vollbesteuerung derRenten und die zur vollen Abziehbarkeit der Altersvor-sorgebeiträge – sind dabei so aufeinander abgestimmt,dass eine Zweifachbesteuerung vermieden wird. Solltees in einigen wenigen Spezialfällen – das war ja auch einwgdBgZufidndenJlmadnMJwgetsbBehsdnkphhbthtgnfsdkätRbebd
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Ich erteile das Wort Kollegen Klaus-Peter Flosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirberaten heute das Alterseinkünftegesetz. Die Bundesre-gierung und die Fraktionen von Rot-Grün haben hier je-weils einen gleichlautenden Gesetzentwurf vorgelegt,der die Neuordnung insbesondere der steuerlichen Seiteder gesetzlichen Rentenversicherung sowie der betriebli-chen und der privaten Altersvorsorge vorsieht. DieserGesetzentwurf ist jedoch in keiner Weise der großeWurf, als der er hier verkauft wird. Er wird nicht nur vonder Opposition wenig Zustimmung bekommen, sonderner wird auch bei der Bevölkerung wenig Zustimmungfinden, weil er in wesentlichen Punkten an den Bedürf-nissen und Notwendigkeiten vorbeigeht.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2002 und nicht1998, also nach vier Jahren Regierungszeit von Rot-Grün, festgestellt, dass die jetzige Regelung verfas-sungswidrig ist, weil der Gleichheitsgrundsatz verletztist. Wir haben zurzeit folgende Situation: Pensionenwerden zu 100 Prozent besteuert, Renten dagegen nicht.Ein 65-jähriger Rentner zum Beispiel muss nur27 Prozent seiner Rente versteuern, 73 Prozent sind vonder Besteuerung freigestellt.Die Folge ist, dass es bis zum 1. Januar 2005 zu einerNeuregelung kommen muss; denn ansonsten können diePensionen ab Januar des nächsten Jahres nicht mehr be-steuert werden. Deshalb muss auch der Bundesrat zu-stimmen. Die Länder haben ein großes Interesse daran,dass hier eine Regelung gefunden wird. – Das ist dieAusgangslage.Bei der Erarbeitung dieser wichtigen Neuordnung desgesamten Systems und der Abstimmung mit Expertenmuss natürlich größte Sorgfalt geübt werden, damit dasVertrauen der jetzigen Rentner und die Zustimmung dernächsten Generation erlangt werden. Wir alle haben aberdie Anhörung erlebt und inzwischen stapelweise Gut-achten und Stellungnahmen vorliegen. Die gesamteFachbranche sagt, dass dies bis jetzt durch und durch un-gdimShisvlkmsüawbwwvskeugDalzlerDluWkiwdNRzdd
ur jeder Siebte der Anspruchsberechtigten hat dieiester-Rente bisher abgeschlossen, weil sie zu kompli-iert ist und kein Mensch sie versteht.
Sie haben jetzt einen weiteren Vorstoß gewagt, gemäßem Frauen und Männer in Zukunft gleiche Beiträge fürie Riester-Rente zahlen müssen. Die gesamte Branche
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Klaus-Peter Flosbachist der Meinung, dass dies der endgültige Todesstoß fürdie Riester-Rente ist.
– Herr Poß, für ein Gesetz, durch das Sie die Menschendurch und durch bevormunden, können Sie natürlichkeine Zustimmung von uns verlangen.
Sie haben eine Vorlage vorgelegt, nach der in Zukunftnur noch die Beiträge als Vorsorgeaufwendungen ab-zugsfähig sind, die nicht beleihbar und nicht kapitalisier-bar sind. Sie wollen den Menschen vor allen Dingen vor-schreiben, dass sie ihre persönlich angesparten Beiträgenicht vererben können. Dafür werden Sie keinerlei Zu-stimmung in der Bevölkerung erhalten. Sie werden auchkeine Zustimmung für Ihre Regelung erhalten, nach derbei der abzugsfähigen privaten Altersvorsorge kein Ka-pitalbetrag ausgezahlt werden kann. Viele Rentner ha-ben mit 60 oder 65 Jahren das Bedürfnis, einen Teil desKapitals zu erhalten, um beispielsweise ihre Hypothekenabzulösen.
Zudem haben Sie die Vorsorge auf eine Leibrente be-grenzt, wenn Sie das Wort „Versicherungsunternehmen“aus dem Gesetzestext auch herausgenommen haben. Siewollen den Menschen letztendlich vorschreiben, dass sieausschließlich eine Vorsorge wie bei der gesetzlichenRentenversicherung treffen können.Sie sollten stattdessen in dieser Phase die Möglichkeitnutzen, den gesamten Finanzmarkt mit neuen Möglich-keiten der Altersversorgung auszustatten. Bei jeder Ge-legenheit klagen Sie über fehlendes Wachstum, aber Sieverzichten darauf, Wettbewerb im Finanzmarkt stattfin-den zu lassen. Wir wollen den Wettbewerb der Banken,der Investmentgesellschaften und der Versicherungen.Sie wollen lenken und den Menschen vorschreiben, wiesie zu leben oder ihre Altersversorgung zu gestalten ha-ben. Das wollen wir nicht.
Wenn Vorsorgeprodukte nicht attraktiv sind, bleibtdas Problem, dass junge Menschen in eine Armutsfallegeraten; denn sie müssen für sich selbst sorgen und na-türlich auch für die jetzigen Rentner zahlen. Deshalb istdie Attraktivität der Altersvorsorge so wichtig. In Ihremersten Entwurf wollten Sie beispielsweise die Steuer-freiheit von Lebensversicherungen völlig beseitigenund die volle Steuerpflicht auf alle Lebensversiche-rungserträge ausdehnen.
– Herr Poß, rufen Sie nicht dazwischen! Sie könnennachher zu diesem Punkt reden.–ksutfFjAkeIMuismdiTndscDEmDsecodn4VAAdew
Die unflätigen Bemerkungen von Herrn Poß, der beieiner Sitzung des Finanzausschusses dabei gewesen ist,ind unverschämt. Sie sollten sich zurückhalten.
Wir haben Ihnen ein Kompromissangebot gemacht,m die Lebensversicherungen wettbewerbsfähig zu hal-en. Die Lebensversicherung ist so beliebt, weil sie ein-ach ist. Was aber machen Sie jetzt? – Sie schlagen eineünftelungsmethode gemäß § 34 EStG vor. Das heißt,ede Auszahlung muss in Zukunft nach einer besonderenbfindungsmethode berechnet werden. Das verstehtein Mensch. Das ist außerdem für die Bürger die teu-rste und steuerlich unattraktivste Methode.
ch kann überhaupt nicht verstehen, warum Sie das denenschen antun wollen.Ihr Gesetzentwurf umfasst 100 Seiten Gesetzestextnd Begründung. Die Kompliziertheit dieses Gesetzesst einer der traurigen Höhepunkte und ein Musterbei-piel dafür, dass unser Einkommensteuergesetz nichtehr reparabel ist. Folgen Sie endlich den Vorschlägener Union zur Vereinfachung des Steuerrechts!
Der Minister erklärt: Das von uns geschaffene Gesetzst transparent und einfach. – Darüber können wir in derat nur lachen. Den Menschen bleibt nur noch die Hoff-ung auf eine betriebliche Altersversorgung. Sie vonen Regierungsfraktionen sollten im Grunde stolz daraufein, dass seit dem Jahre 2001 das Ausmaß der betriebli-hen Altersversorgung hinsichtlich Pensionskassen undirektversicherungen deutlich gestiegen ist, weil dientgeltumwandlung für jeden einzelnen Arbeitnehmeröglich ist.Jetzt aber schlagen Sie vor, die bisherige Form derirektversicherung durch Aufhebung der Pauschalbe-teuerung wegfallen zu lassen. Ihr erster Gesetzentwurfnthielt eine ausschließliche Begrenzung der betriebli-hen Altersversorgung auf 4 Prozent des Bruttolohnes,bwohl wir heute wesentlich mehr Möglichkeiten haben;enn nicht nur 4 Prozent des Bruttogehalts des Arbeit-ehmers, sondern – das ist unsere Forderung – auchProzent vom Arbeitgeber sollen zur Finanzierung derorsorge möglich sein. Viele Arbeitnehmer hätten ihrensprüche auf betriebliche Altersversorgung durch denrbeitgeber verloren, wenn Ihr Gesetz beschlossen wor-en wäre.Nun haben Sie Gott sei Dank einen zusätzlichen Steu-rfreibetrag von 1 800 Euro angeboten. Wir fordern nachie vor 4 Prozent für die vom Arbeitgeber finanzierte
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Klaus-Peter FlosbachVorsorge, weil hier eine Anpassung an die Bemessungs-grundlage erfolgen muss. Es muss ein dynamischer Pro-zess entstehen; denn die Menschen müssen gemäß derBemessungsgrundlage auch dynamisch höhere Bei-träge einzahlen. Natürlich müssen Sie ebenso die Infla-tion betrachten.
Herr Schild, jetzt bieten Sie zusätzlich 1 800 Euro alsvom Arbeitgeber finanzierte Altersversorgung. Gleich-zeitig fordern Sie, dass diese Summe mit Sozialversiche-rungsbeiträgen belegt wird, obwohl das heute im We-sentlichen nicht der Fall ist.
Im Alter müssen die Rentner dafür noch einmal So-zialversicherungsbeiträge zahlen. Worin soll die Attrak-tivität einer betrieblichen Altersversorgung liegen, wennder Unterschied zu einer privaten Kapitalanlage nichtmehr sichtbar ist?
Sie setzen deutlich falsche Schwerpunkte. Diese Unsys-tematik schmerzt und hat die Suche nach Kompromissenerschwert.Aber dass Sie es zulassen, dass vorzeitig Pensionierte,die das Unternehmen frühzeitig verlassen haben, einehöhere Rente als Betriebstreue oder Erwerbsunfähige beiihrem Ausscheiden bekommen, weil Sie ein Fehlurteildes Bundesarbeitsgerichts nicht korrigieren wollen, istfür uns überhaupt nicht nachvollziehbar. Die gesamte Fi-nanzbranche, die mit betrieblicher Altersvorsorge zu tunhat, ist schockiert darüber, dass Sie dies nicht korrigierenwollen. Fachleute rechnen damit, dass jährlich 30 bis40 Millionen Euro auf den Pensions-Sicherungs-Vereinzukommen werden, der diese Pensionen sichern soll,weil Sie nicht korrigierend eingreifen wollen.Nach neuen Hiobsbotschaften für die Rentner für dasnächste Jahr – auch dann ist wieder mit einer Nullrundezu rechnen – werden auch die im Berufsleben Stehen-den, die Aktiven hinsichtlich ihrer Vorsorgemöglichkei-ten zutiefst verunsichert. Nach Aussagen von Expertenwollen die Bürger Wohnungseigentum, eine sichereRente und ein Stück finanzielle Freiheit. Sie wollenkeine Bevormundung. Es besteht die große Gefahr beidiesem Gesetz, dass die Rentner belastet werden, aberdie Jungen nicht für ihr Alter vorsorgen, weil die Vor-sorgeprodukte so unattraktiv sind, dass sie hierfür keineEntscheidung treffen werden. Wir brauchen aber in die-sem Lande einfache, nachvollziehbare und klare gesetz-liche Regelungen, die von den Bürgern verstanden undakzeptiert werden.Dieses Gesetz ist eine laufende Produktion von Ver-unsicherungen. Wir haben unsere Bedenken von Anfangan geäußert und unsere Meinung in der gesamten Phaseim Gegensatz zu Ihnen nicht wegen besserer Erkennt-nERscBWgizgvShaDdmclnssumGadzwa
Lieber Kollege Poß, wir sollten auch während leiden-
chaftlicher Debatten nicht Verdächtigungen ausspre-
hen. Unter Parlamentariern ist das nicht üblich.
Ich erteile nun Kollegin Christine Scheel, Fraktion
ündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!enn man sich die Zeitungslandschaft in den letzten Ta-en zu diesem Thema anschaut und heute den Leitartikeln der „Süddeutschen Zeitung“ liest, dann kommt manu der Überzeugung, dass all diejenigen, die zu dem Er-ebnis gekommen sind, dass die Union versucht, Volks-erdummung zu betreiben, völlig Recht haben.
ie suchen krampfhaft Gründe, warum Sie dieses Gesetzier ablehnen können, um ihm dann im Bundesrat ausngeblich staatspolitischer Verantwortung zuzustimmen.
as ist scheinheilig, das täuscht die Öffentlichkeit undas hat mit Seriosität und Glaubwürdigkeit, meine Da-en und Herren von der Union, nichts mehr zu tun.
Wir haben uns gemeinsam in den vergangenen Wo-hen auf der Fachebene sehr viel Zeit genommen – ichobe an dieser Stelle bewusst auch die Fachpolitikerin-en und Fachpolitiker der CDU/CSU und der FDP – undehr gute Debatten geführt. Wir haben uns mit den Vor-chlägen, die Sie eingebracht haben, auseinander gesetztnd die Vorschläge der Union weitestgehend aufgenom-en. Zu den FDP-Vorschlägen komme ich noch. Rot-rün hat in großen Teilen Unterstützung gegeben. Wasber nicht geht, ist, dass Vorschläge, vor allen Dingeniejenigen der FDP-Fraktion, aufgenommen werden, dieusätzliche Milliardenlöcher in die Haushalte schlagenürden. Das können wir auch aus staatspolitischer Ver-ntwortung nicht machen.
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Christine ScheelDeswegen haben wir ein Gesetz vorgelegt, das inhaltlichsehr gut ist, das staatspolitisch verantwortlich ist undauch gegenüber den Ländern, den Kommunen und demBund unserer Aussage gerecht wird, dass wir keine wei-tere Neuverschuldung wollen.Herr Minister Eichel hat mit einem weinenden Augeauf eine Tatsache hingewiesen. Wir reden hier über Ren-tenbesteuerung, dürfen aber nicht vergessen, dass diesesGesetz dazu führt, dass diejenigen, die im Erwerbslebenstehen, bis zum Jahre 2010 um 5 Milliarden Euro entlas-tet werden. Diese Entlastung ist in der Debatte bislangvöllig untergegangen.Wenn man sich auf der fachlichen Ebene so weit an-nähert, dann verstehe ich nicht, dass Herr Kauder, derimmer wieder gerne von dem Chaos spricht, das hierproduziert wird,
am Wochenende selbst Chaos erzeugt hat.
Am Montag hat Herr Kauder noch eine Totalblockadeim Bundestag wie auch im Bundesrat verkündet. Darauf-hin hat Frau Merkel, die schließlich weiß, dass die Zu-stimmung des Bundesrates notwendig ist, festgestellt,dass das Gesetz vielleicht doch eine Mehrheit im Bun-desrat erzielen könnte. Dann wiederum hat Herr Kauderam Dienstag angekündigt, dass im Bundesrat unter mini-maler Beteiligung der unionsregierten Länder – in die-sem Zusammenhang wurden Thüringen, das Saarlandund Sachsen genannt – eine Zustimmung erfolgt.
Interessanterweise hat aber der Ministerpräsident vonThüringen, Dieter Althaus, davon offenbar nichts ge-wusst. Er hält das Gesetz gegenwärtig nicht für zustim-mungsfähig. Ich weiß allerdings nicht, warum.
Sie wiederum verkünden, dass Thüringen zustimmenwird. Daran wird deutlich, welches Schmierentheater dieUnion zu diesem Thema aufführt.
Ich hoffe sehr, dass dieses parteitaktische Verwirrspielder Union bald ein Ende hat. Denn ein so langfristigesProjekt wie die nachgelagerte Besteuerung der Alters-einkünfte ist dafür denkbar ungeeignet.
Wir alle müssen dafür sorgen, dass die Bevölkerungdie notwendigen Informationen bekommt. Es geht nichtan, Informationen zu verbreiten, die auf alten Vorlagenberuhen und mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nichtsmehr zu tun haben, um die Menschen zu verwirren.Auch das ist unverantwortlich.
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Wir haben unter VerbraucherschutzgesichtspunktenBerichtspflichten verbessert und Unisextarife einge-führt. Männer und Frauen werden in Zukunft – verfas-sungsgemäß – gleich behandelt. Wir haben auch Ände-rungen bei den Lebensversicherungen vorgenommen.Herr Flosbach, da Sie die Lebensversicherungen ange-sprochen haben, möchte ich nur noch einmal daran erin-nern, dass die Union in ihren Vorschlägen zu den Peters-bvvhVWpwdgVaagTeGtVvGldrfrdd„lnMkssIBlnd
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
olker Kauder das Wort.
Sehr geehrte Frau Kollegin Scheel, Sie haben michöllig falsch zitiert. Ich wurde am Wochenende in einemespräch mit einer Zeitung gefragt: Wird der Vermitt-ungsausschuss vom Bundesrat angerufen, wenn Sieieses Gesetz im Deutschen Bundestag ablehnen? Da-aufhin habe ich erklärt, dass wir ein Vermittlungsver-ahren zurzeit nicht anstreben. Das war meine Formulie-ung. Sie von der Koalition reagieren aber reflexartig miten Worten „Blockade, Blockade“. Sie sollten sich mehrarauf konzentrieren, gute Gesetze zu machen, als gleichBlockade“ zu schreien.
Dass wir zunächst einmal erklärt haben, ein Vermitt-ungsverfahren nicht anzustreben, heißt noch langeicht, dass wir blockieren wollen. Es gibt noch andereöglichkeiten, die Sie offenbar überhaupt nicht einkal-ulieren. Sie hätten also viel ruhiger und gelassener seinollen.Ich komme zum Schluss. Sie haben hier, im Deut-chen Bundestag, mehrere Rentengesetze eingebracht.ch sage klar: Wenn Sie das gemacht hätten, was dasundesverfassungsgericht verlangt, nämlich die nachge-agerte Besteuerung in einem Gesetz zu regeln, und diesicht noch mit allerlei Unsinnigkeiten verbunden hätten,ann wäre die Debatte viel einfacher gewesen.
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Kollegin Scheel, Sie haben die Möglichkeit zur Erwi-
derung.
Herr Kollege Schauerte, ich glaube nicht, dass Sie
sich Sorgen machen müssen, dass ich mich ins Unglück
stürze. Das werde ich nicht tun.
Herr Kauder, ich habe nur an Sie appelliert. Wenn Sie
signalisieren, dass der Bundesrat zustimmt – das haben
Sie am Dienstag gesagt –, dann wäre es doch nur ehrlich,
wenn die Union diesem Gesetz auch hier zustimmte. Sie
wissen ganz genau, dass dieses Gesetz, das heute mit der
Mehrheit von Rot-Grün und, wie ich immer noch hoffe
– ab und zu bin ich optimistisch –, auch mit Ihren Stim-
men verabschiedet wird, unverändert in den Bundesrat
geht. Sie haben gesagt, man werde den Vermittlungsaus-
schuss nicht anrufen, was ich sehr begrüße.
Das bedeutet, dass dieses Gesetz vom Bundesrat verab-
schiedet wird und unverändert bleibt.
Genau das macht die Scheinheiligkeit aus, die ich an-
gesprochen habe. Man muss sich entscheiden: Entweder
lehnt man ab oder man stimmt zu. Aber man kann dieses
Gesetz hier nicht mit Getöse ablehnen und an anderer
Stelle zustimmen, weil man weiß, dass es eigentlich gut
ist.
Ich erteile nunmehr dem Kollegen Andreas Pinkwart,
FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich möchte zunächst für meine Fraktion denKolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen fürdie sehr sachliche Beratung, die wir zu dem vorliegen-den Gesetzentwurf im Ausschuss durchführen konnten,danken. Ich bedanke mich ebenfalls bei den Fachbeam-ten des Bundesfinanzministeriums dafür, dass sie unsereBeratungen sehr nachdrücklich unterstützt haben. Ichhalte es für wichtig, das den weiteren Ausführungen vor-anzustellen, weil ich diesen Gesetzentwurf für sehr be-deutend erachte. Er betrifft Millionen von Bürgerinnenund Bürgern im Lande. Es geht um die Gestaltung derZukunft in unserem Land. Deswegen ist es wichtig, dassdiese Beratungen sehr sachlich, sehr konstruktiv geführtwerden. Wir haben uns daran beteiligt.Wir wären sehr gern mit Ihnen gemeinsam zu einervertretbaren Lösung gekommen. Dass das nicht gelun-gen ist, bedauern wir. Wir sind der Auffassung, dass mannbkmmGnrtusrnAdusn6wvdvladmdseHmtrdmcnsdDSfLgaSDh
Wir müssen bei dieser Beratung an die denken, die inen nächsten Jahren in Rente gehen werden, aber wirüssen genauso an die Bürgerinnen und Bürger denken,ie in den nächsten Jahrzehnten über ihre private Vor-orge noch einen Beitrag dazu leisten müssen, dass sieine faire Altersvorsorge erwarten können. Vor diesemintergrund möchte ich jetzt einige grundlegende Be-erkungen machen. Uns hat nämlich Grundlegendes ge-ennt und nicht irgendwelche Detailpunkte.Das Erste, was ich hier feststellen möchte, ist Folgen-es: Bei dem Übergang zur nachgelagerten Besteuerungüssen wir uns vor Augen führen, wie die unterschiedli-hen Gruppen – in dem Fall die Selbstständigen und dieicht selbstständig Tätigen – bezogen auf ihre Altersvor-orgeaufwendungen in der Vergangenheit besteuert wor-en sind.
a müssen wir feststellen: Bei Arbeitnehmern liegt derachverhalt so, dass der Arbeitgeberbeitrag stets steuer-rei blieb, wohingegen die Selbstständigen in diesemand in der Vergangenheit keinen steuerfreien Arbeit-eberbeitrag bekommen haben und ihre Altersvorsorgeuch nicht in einem entsprechend hohen Umfang durchonderausgabenabzüge steuerfrei hätten bilden können.as heißt, diese beiden Gruppen sind in der Vergangen-eit ganz offensichtlich ungleich besteuert worden.
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Dr. Andreas PinkwartJetzt gehen Sie hin und wollen etwas, das in der Ver-gangenheit ungleich besteuert worden ist, mit dem neuenRegime Ihres Gesetzentwurfs gleich behandeln. Aberwer versucht, Gleiches ungleich zu behandeln, handelt ingleicher Weise ungerecht wie jener, der meint, Unglei-ches gleich behandeln zu müssen. Das ist die Fundamen-talkritik an dieser Stelle.
Frau Scheel, Sie haben da so eine kleine Formulie-rung eingefügt, die den Eindruck erweckt, als würdenSie es mit Ihrem fließenden Übergang für die zukünfti-gen Rentnergenerationen einfacher gestalten und die Be-lastung geringer halten. Dazu muss ich Ihnen sagen: ImVergleich zu dem, was wir Ihnen vorgeschlagen haben,führt Ihr Lösungsansatz zu einer stärkeren Belastung,nicht nur bei den Selbstständigen – das habe ich heraus-gearbeitet –, sondern auch bei den Arbeitnehmern. Daswill ich Ihnen einmal an einem ganz einfachen Beispieldarstellen.Ich gehe von dem Fall aus, dass eine Person nach45 Versicherungsjahren zum 1. Januar 2005 in Rentegeht und 1 000 Euro Monatsrente – das unterstellen wireinfach einmal, damit es sich hier auch darstellen lässt –erhält. Nach Ihrem Entwurf erhöhen dann 50 Prozentdieser 1 000 Euro das zu versteuernde Einkommen. Dassind 500 Euro. Diese 500 Euro legen Sie 2005 fest. Siewerden als Nominalbetrag festgelegt.
– Frau Scheel, hören Sie doch erst einmal zu! – Die glei-che Person wird im Jahr 2015 nach der bisherigen Ren-tenentwicklung, unter Berücksichtigung der allgemeinenPreissteigerungsrate, also dann, wenn die Rente nur inHöhe der Preissteigerungsrate angehoben werden sollte,eine Rente in Höhe von 1 200 Euro beziehen. Sie wirdnach Ihrem Modell nicht mehr 500 Euro, sondern700 Euro monatlich zu versteuern haben.Nach unserer Vorlage ist bei dieser 50-prozentigenEinbeziehung der Alterseinkünfte in das neue Steuerre-gime eine Dynamisierung sichergestellt. So wie wir dasin unserer einfachen Regelung vorschlagen, wird diePerson 2015 ebenfalls nur 50 Prozent ihrer monatlichenAltersrente, sprich: 600 Euro, und nicht 700 Euro zu ver-steuern haben.Nun mögen Sie sagen, das sei eine Bagatelle. Wirmeinen, dass – bei einem durchschnittlichen Steuersatzvon 25 Prozent – 25 Euro pro Monat für diesen Rentnerein gravierender Betrag sind. Das zeigt, wie unsystema-tisch Ihre Konstruktion dieses über 35 Jahre angelegtenÜbergangsprozesses ist.
Kollege Pinkwart, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Scheel?
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Wenn keine anderen Einkünfte da sind, selbstverständ-
ich. Aber wir reden ja hier nach dem, was Herr Pinkwart
esagt hat, über die Besteuerung der Rente.
Meine Sorge ist, Herr Professor Pinkwart, dass jetzt
n der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass jeder,
er Renteneinkünfte in Höhe von 1 000 Euro hat, plötz-
ich 500 Euro Steuern bezahlen muss. Das ist definitiv
alsch. Ich bitte Sie, das richtig zu stellen.
Frau Kollegin Scheel, zunächst einmal danke ich Ih-
en, dass Sie mir in Bezug auf meine Darstellung grund-
ätzlich Recht gegeben haben. Das ist sehr zu begrüßen
nd auch sehr fair. Ich bitte Sie, mir die gleiche Fairness
ezogen auf meine konkreten Ausführungen entgegen-
ubringen. Ich habe nämlich nicht gesagt, dass eine
teuerlast in dieser Höhe anfiele, sondern ich habe deut-
ich gemacht, dass das zu versteuernde Einkommen pro
onat um 500 Euro erhöht wird. Das heißt, diese
00 Euro erweitern die Bemessungsgrundlage. Nichts
nderes habe ich hier dargestellt.
Es ist auch klar, dass der Bereich des steuerfreien
xistenzminimums, der nicht der Besteuerung unter-
egt, in Ihrem Regime genauso behandelt wird wie in
nserem. Insofern ist meine Sachdarstellung in jeder
insicht völlig korrekt.
Kollege Pinkwart, gestatten Sie noch eine Zwischen-rage, und zwar der Kollegin Hendricks?
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9438 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Ja, gerne.
Herr Kollege Pinkwart, sind Sie zunächst bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass Ihr Rechenbeispiel nicht zu-
trifft, weil in dem langen Zeitraum zwischen 2005 und
2015 die Grundfreibeträge gemäß der Maßgabe, die
das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, erhöht
werden und infolgedessen Rentner, wenn ihre Einkünfte
steigen, genauso wie Arbeitnehmer von der Erhöhung
der Grundfreibeträge profitieren? Von daher kann Ihr
Rechenbeispiel schon nicht zutreffend sein.
Sind Sie mit mir im Übrigen der Auffassung, dass das
von Ihnen vorgeschlagene einfache Modell den Forde-
rungen des Bundesverfassungsgerichtes nicht ent-
spricht, weil wir damit zwar im Jahre 2005 die Schere
zwischen der Besteuerung von Beamtenpensionen und
der von Renteneinkünften etwas schließen würden, sie
sich danach aber wieder sukzessiv weiter öffnen würde?
Infolgedessen würden wir den Forderungen des Bundes-
verfassungsgerichtes nicht entsprechen, wenn wir außer
dem Grundfreibetrag, der sich auf alle Einkunftsarten
auswirkt, einen steigenden Freibetrag für Rentner vorse-
hen würden, während wir ihn für Arbeitnehmer und Pen-
sionäre nicht vorsehen.
Frau Hendricks, zunächst einmal ist hier festzustellen,
dass Ihr erster Einwand dem entspricht, der auch von
Frau Scheel vorgetragen worden ist. Die Dynamisierung
des Grundfreibetrages ist in unserem Konzept ebenso
vorgesehen. Das heißt, meine Argumentation wird da-
durch in keiner Weise entkräftet.
Das weitere Problemfeld, auf das Sie hingewiesen ha-
ben, ergibt sich aus der Konstruktion, die Sie vorgelegt
haben. Dieses Argument wäre kein Argument gegen un-
seren Vorschlag, weil wir diesen Punkt natürlich berück-
sichtigen würden. Gerade Sie, Frau Hendricks, müssen
sich, da Sie ja auch das Finanzministerium vertreten,
hier der berechtigten Kritik an dem Vorschlag, den Sie
vorgelegt haben, stellen. Wir haben einen Gegenentwurf
vorgelegt und Sie wiederholt darum gebeten, ihn durch-
zurechnen. Frau Scheel hat eben diesbezügliche Zahlen
genannt, aber uns liegt bis heute dazu keine Antwort vor.
Sie hätten sich ja ruhig substanziiert mit unserem Vor-
schlag auseinander setzen und in den Beratungen Ihre
Einwände vortragen können. Das haben Sie versäumt.
Wir bringen unsere Kritik dort, wo sachlich diskutiert
wird, und hier in gleicher Weise an.
– Wenn Sie sich mit einer Frage beteiligen wollen, kön-
nen wir die Reihe der Zwischenfragen fortsetzen. Aber
mit Blick auf meine Redezeit würde ich gerne fortfahren
und noch einen oder zwei weitere inhaltliche Punkte an-
sprechen.
Ein weiteres Problem, das wir haben – das klang auch
in der Rede von Herrn Flosbach an –, ist die grundsätz-
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Ich möchte zum Abschluss etwas zu dem Vorgehen
ei den weiteren Beratungen sagen. Von den fundamen-
alen Kritikpunkten hat Herr Flosbach viele angeführt,
ie CDU/CSU hat sie in ihrem Entschließungsantrag
um Ausdruck gebracht. Die FDP-Fraktion geht darüber
och hinaus, aber teilt diese berechtigten Bedenken. In
nbetracht der grundlegenden Probleme dieses Gesetz-
ntwurfes müssen wir ihn hier ablehnen. Wenn wir es in
ezug auf diese Fragen ernst meinen, muss das Gesetz
uch im Bundesrat angehalten werden. Wir erwarten von
er Union das gleiche Verhalten im Deutschen Bundes-
ag und im Bundesrat. Wir erwarten, dass im Vermitt-
ungsausschuss in den zentralen Punkten dieses Gesetz-
ntwurfes eine Nachbesserung erreicht wird.
Ich erteile das Wort Kollegen Horst Schild, SPD-
raktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!it der heutigen Verabschiedung des Alterseinkünftege-etzes setzen wir einen Meilenstein in der Besteuerunger Alterseinkünfte. Das lassen wir uns auch nicht klein-eden.
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Horst SchildWir beenden damit eine seit Jahrzehnten bestehende Un-sicherheit in der Frage, wie Einkünfte im Alter zu be-steuern sind. Allen, die dieses Thema in der Vergangen-heit verfolgt haben, ist spätestens seit dem ersten Urteildes Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1980 klargeworden, dass wir politisch handeln müssen. Ich wie-derhole hier ganz deutlich, was der Bundesfinanzminis-ter gesagt hat: Die Union hat – dafür kann man Verständ-nis haben – in den 16 Jahren ihrer Regierungszeit nie diepolitische Kraft gehabt, dieses Problem zu lösen.
Es ist völlig klar, dass der Einwurf „Petersberg“ kom-men wird. Ich will gar nicht darauf zu sprechen kommen– das hat der Minister vorhin angesprochen –, zu wel-chem Zeitpunkt Sie das Thema aufgegriffen haben. Eswar zum Ende Ihrer Regierungszeit; ein bisschen längerwaren Sie ja dabei.
Aber all die Probleme, die insbesondere aus Ihren Rei-hen heute als Beleg dafür angeführt werden, dass Sienicht zustimmen können, hätten wir – das sage ich in al-ler Deutlichkeit – auch bei 50 Prozent Ertragsanteil ge-habt; das war ja Ihre Maßgabe. Keines der Probleme, dievor allen Dingen die Sozialpolitiker in Ihren Reihenheute benennen, wäre dadurch gelöst worden.
Ich gebe gern zu, dass das Alterseinkünftegesetz eineschwierige Materie darstellt. Es enthält auch unpopuläreMaßnahmen. Aber das Bundesverfassungsgericht hatuns einen Termin gesetzt und wir müssen jetzt handeln.Die Bereitschaft auf der Seite der Bundesregierungund der Koalitionsfraktionen, einen Konsens mit der Op-position herbeizuführen, war groß. Ich sage ganz freimü-tig: Mein Eindruck war, dass die Finanzpolitiker derUnion und der FDP ernsthaft zu einer Zusammenarbeitbereit waren.
Herr Flosbach hat uns in der ersten Lesung im De-zember letzten Jahres eine konstruktive Zusammenarbeitangeboten, „damit über dieses Thema im Bundestag ent-schieden wird und wir uns damit nicht erneut lange imVermittlungsausschuss beschäftigen müssen“. Wir habenzahlreiche Gespräche geführt – ich erinnere daran, dasses mindestens vier oder fünf Gespräche auf Arbeitsebenegegeben hat –, um zu einem Konsens zu kommen. Wirhaben mit Rücksicht auf die Opposition sogar den Zeit-punkt der Verabschiedung dieses Gesetzes deutlich nachhinten verschoben.Dann wurde von der Parteiführung der CDU/CSU dieStrategie festgelegt. Sie lautet, keine politische Mitver-antwortung zu übernehmen – selbst an den Stellen, andenen wir kurz vor einer Einigung standen.
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as macht auch Ihr Entschließungsantrag deutlich.
Herr Kollege Flosbach, wir werden Ihrem Dokumentes politischen Eiertanzes zur Befriedigung der unter-chiedlichen Interessen in Ihren Reihen natürlich nichtustimmen. Ich will in diesem Zusammenhang auf ei-ige Ihrer Kritikpunkte eingehen. Sie sagen, das Alters-inkünftegesetz sei nicht eingebettet in ein schlüssigesesamtkonzept der Alterssicherung und Altersvorsorge.
er Bundesfinanzminister hat vorhin ganz deutlich ge-agt: Unser Prinzip ist Nachhaltigkeit und Generationen-erechtigkeit.
Sie müssen das auch nicht, Herr Michelbach. Wir wer-en den Wählern deutlich machen, dass wir ein schlüssi-es Gesamtkonzept haben.Ich will nicht weiter auf Ihr Konzept eingehen. Auchir ist nicht ganz klar, was Sie wollen. Im Vergleich zuem Gesetz, das der Deutsche Bundestag heute beschlie-en soll, wird ganz deutlich, dass Ihrem Konzept jedeogik, jede Stimmigkeit und jede politische Redlichkeitehlt. Sie beklagen die Kompliziertheit dieses Gesetzent-urfes. Trotzdem haben Sie im Laufe des Gesetzge-ungsverfahrens mindestens fünf bis zehn Punkte einge-racht, die zur weiteren Verkomplizierung des Gesetzeseführt hätten.
ch will gar nicht über das reden, was die FDP einge-racht hat.Ich will ein einfaches Beispiel für die Unstimmigkeithrer Vorschläge anführen. Sie beklagen, dass wir denestandsschutz bei den Lebensversicherungen nicht aller Konsequenz sicherstellen. Wir wollen, dass Le-ensversicherungen, die bis zum 31. Dezember 2004
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Horst Schildabgeschlossen werden, unter den Bestandsschutz fallen.Aber der Sonderausgabenabzug, der im Jahre 2014 aus-läuft, kann nicht bestehen bleiben.Man könnte sich nun darüber unterhalten, was das fürKonsequenzen hat; ich will in diesem Zusammenhangjetzt nicht über die finanziellen Probleme reden. Wer imJahre 2004 eine Lebensversicherung abschließt, der wirddiese Versicherung noch 20, 30 oder 60 Jahre haben. Wirmüssten also für diesen langen Zeitraum im Ein-kommensteuergesetz ein eigenständiges Sonderausga-benabzugsrecht für diesen immer kleiner werdendenPersonenkreis schaffen. Das soll ein Beitrag zur Steuer-vereinfachung sein? Das kann man zwar wollen. Aberdann darf man uns nicht vorwerfen, wir wollten einekomplizierte Regelung, wohingegen Sie eine einfacheRegelung wollen.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Ihre politi-sche Zielsetzung ist weiterhin – Kollege Meister hat dasnoch gestern im Finanzausschuss gesagt – die Öffnungder Produkte im Rahmen von § 10 Einkommensteuerge-setz. Sie wollen mehr als die kapitalgedeckte Leibrentevorsehen. Aber Sie haben dazu im Finanzausschuss desDeutschen Bundestages keinen Antrag gestellt. Ich bittedarum, hier einmal zu erläutern, weshalb Sie dazu kei-nen Antrag stellen.
– Sie haben keinen Antrag gestellt.Die Formulierungshilfe, die Sie erbeten haben, zeigt,weshalb nicht. Es wird nämlich deutlich, dass dies aufDauer zusätzliche Steuerausfälle in Milliardenhöhe zurFolge hat. Auch Ihre Sozialpolitiker müssten zur Kennt-nis nehmen: Je attraktiver in der ersten Säule die kapital-gedeckte Leibrente gestaltet wird, desto mehr Menschenziehen sich aus dem Bereich der gesetzlichen Rentenver-sicherung zurück. Das führt auch für dieses System zuFolgewirkungen. Ich vermute einmal: Auch das ist wie-der ein Beleg dafür, dass Sie in Ihren Reihen keine Klar-heit darüber haben, was Sie wollen.
Dann werden weitere Popanze aufgebaut. Sie wollenbeispielsweise das Wohneigentum in das vorliegendeGesetz integrieren.
In keinem der Gespräche, die wir auf der Arbeitsebenegeführt haben, und in keiner der Beratungen des Finanz-ausschusses ist vonseiten der FDP oder der Union derAntrag gestellt worden,imEmDshrzZimdzzjudoBsgwktrAerkwpWliJcpßPCpginbmtez
Hinblick auf das Wohneigentum über das, was wir iminkommensteuergesetz mit dem modifizierten Entnah-emodell festgelegt haben, hinauszugehen. Hier imeutschen Bundestag sagen Sie aber: Die Nichtberück-ichtigung des Wohneigentums ist einer der Punkte, wes-alb die Union nicht zustimmen kann. – Das ist doch un-edlich; das ist doch scheinheilig.
Sie suchen krampfhaft nach Möglichkeiten, um sichu verstecken und sich hier im Deutschen Bundestag derustimmung zu diesem Gesetz, das notwendig ist und Hinblick auf die Besteuerung der Alterseinkünfte undie Generationsgerechtigkeit ein Meilenstein ist, zu ent-iehen.In diesem Zusammenhang möchte ich auf den Vorsit-enden der Jungen Union verweisen – auch wir habennge Leute in unserer Partei,
ie bisweilen etwas sagen, was uns nicht gefällt –, derffensichtlich im Gegensatz zu vielen Mitgliedern derundestagsfraktion das Problem erkannt hat, als er ge-agt hat, die Union müsse endlich auch dieses Thema an-ehen. Der junge Mann hat wenigstens verstanden, umas es dabei geht, nämlich um Generationengerechtig-eit.
Man könnte noch lange über Ihren Entschließungsan-ag sprechen. Aber eines will ich ganz deutlich machen:n einer Stelle wird kritisiert, dass mit diesem Gesetz-ntwurf hohe Steuerausfälle verbunden sind. Das istichtig. Das geht auch nicht anders, wenn wir die zu-ünftigen Generationen Schritt für Schritt von den Auf-endungen für die gesetzliche, die betriebliche und dierivate Altersvorsorge entlasten wollen. Aber auf diesemege, mit dem, was wir der jungen Generation steuer-ch bieten, schaffen wir Spielraum – wenn auch nicht imahre 2005, aber in den nächsten Jahren –, eine zusätzli-he betriebliche und private Altersvorsorge zu betreiben.Meine Damen und Herren von der Union, der partei-olitische Formelkompromiss, der in Ihrem Entschlie-ungsantrag zutage tritt, soll doch nur die unvereinbarenositionen innerhalb der Fraktion, zwischen CDU undSU und vielleicht auch zwischen Finanz- und Sozial-olitikern verdecken. Dies ist doch auch in der Vergan-enheit deutlich geworden. Ich weiß nicht, ob das, was der Presse steht, immer auf authentischen Aussageneruht. Aber wir alle haben doch zur Kenntnis nehmenüssen, dass es offensichtlich zwischen dem stellvertre-nden Fraktionsvorsitzenden der Union, der für Finan-en und Haushalt zuständig ist, und dem, der für die
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Horst SchildSozialpolitik zuständig ist, unterschiedliche Auffassun-gen gegeben hat.
Ich habe gelesen – wenn es denn wirklich so gesagt wor-den ist –, dass der eine Kollege über den anderen meint,dieser habe das Urteil des Bundesverfassungsgerichtsnicht recht verstanden. Wenn es so gesagt worden seinsollte, dann habe ich dafür große Sympathien; er hat inder Tat Recht.Es gelingt der Union einfach nicht, in der Sozial- undFinanzpolitik zu fundierten einheitlichen Positionen zukommen. Deshalb ersetzen Sie die Sachpolitik durchparteitaktische Spielereien. Das müssen wir heute zurKenntnis nehmen. Das ist die Ursache, warum sich dieUnion trotz weitgehender Fortschritte, die wir in den Ge-sprächen erzielt haben, nicht durchringen konnte, imDeutschen Bundestag Farbe zu bekennen. Es ist natür-lich das Recht der Opposition, nicht Farbe zu bekennen,aber darauf muss man hier in diesem Hause auch ganzdeutlich hinweisen dürfen.
Ich möchte jetzt ein paar Sätze zur Sache sagen
und deutlich machen, was wir mit diesem Gesetzentwurferreicht haben.
– Ihr Problem ist doch, dass Sie keine Entscheidungentreffen, weil Sie in Ihren Reihen zu keiner einheitlichenLösung kommen. Deswegen muss man hier auch dazuetwas sagen. Denn die Bürger verstehen nicht mehr, wasbei Ihnen abläuft.
Aus den Zeitungskommentaren zu den parteitaktischenSpielchen, die hier betrieben werden, wird deutlich, dassdie Bürger Ihre Spielchen nicht verstehen. Deswegenwollte ich darauf deutlich hinweisen.Wir sind uns darüber einig, dass der Systemwechselhin zur nachgelagerten Besteuerung bei den Altersein-künften – in den Petersberger Beschlüssen war er nichtenthalten – notwendig ist. Dieser Systemwechsel ist dieangemessene Antwort auf unsere Probleme und erschafft den zukünftigen Generationen den Spielraum zurVorsorge.Im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge sind wirentgegen dem, was die Kollegen Flosbach und Pinkwartgesagt haben, einen deutlichen Schritt vorangekommen.Bisher konnten wir uns nur im Rahmen des § 3 Nr. 63Einkommensteuergesetz bewegen. Nur für den kleinenPersonenkreis, der eine Direktversicherung abschloss,gab es die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung auf derGrundlage des § 40 b Einkommensteuergesetz. Jetzt ha-ben wir für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitneh-mer ein Volumen von über 4 000 Euro erreicht, das istein Fortschritt. Diejenigen, die fordern, diese müsstenuSkvtrSdevdWggSbvfBdabwomNFrgMszBc
Ich erteile das Wort dem Kollegen Georg
ahrenschon, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Lieber Herr Kollege Schild, Lautstärke ersetzt Ar-umente nicht.
ir scheint, Sie haben versucht, mit Lautstärke die Tat-ache zu überspielen, dass wir in der Zeit zwischen De-ember letzten Jahres – Vorlage des Entwurfs durch dasundesfinanzministerium – und Anfang März, der Wo-he vor Ostern, von Ihrer Seite nichts, aber auch gar
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Georg Fahrenschonnichts an Änderungsvorschlägen auf den Tisch bekom-men haben.
– Lieber Herr Schild, Sie haben dreieinhalb Monate langerklärt: Dieses Gesetz in der Fassung vom Dezember2003 ist das beste, das es gibt, und es besteht kein Ände-rungsbedarf.
Gestern aber haben wir 50 Umdrucke durchgearbeitetund dieses Gesetz in wesentlichen Punkten verändert.Das muss hier einmal gesagt werden.
Dreieinhalb Monate lang gab es keine Möglichkeit, mitden Bundestagsfraktionen von Rot und Grün und Vertre-tern des Bundesfinanzministeriums über die Sache zu re-den. Das Höchste war, dass wir am Anfang der Bericht-erstattergespräche auf Ihren Wunsch hin die Vertreterdes Bundesfinanzministeriums haben vor der Tür stehenlassen, damit wir uns in der Sache überhaupt bewegenkonnten.
Der Grund für dieses Verfahren liegt darin, dass sichIhr Finanzminister überhoben hat. Er hat nicht nur ver-sucht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzu-setzen, sondern er hat auch die deutsche Politik damitbeglückt, sich mit der betrieblichen Altersvorsorge undeiner Bastelstunde an der Riester-Reform zu beschäfti-gen. Das ist der zentrale Punkt von Eichel, einem Minis-ter auf Abruf.Das Arbeitsmotto bezüglich dieses Gesetzes warwohl, alles irgendwann einmal anzusprechen, aber nichtswirklich zu Ende zu denken. Der Entwurf war unüber-sichtlich, kompliziert und hätte nicht zu einer Vereinfa-chung des Einkommensteuerrechts geführt. Wenn wiruns nicht in die Diskussion eingebracht hätten, wenn wirnicht wesentliche, fundierte Änderungsvorschläge ent-wickelt hätten, hätten wir heute überhaupt kein Problem,darzustellen, dass dieses Gesetz Unsinn und damit abzu-lehnen ist.Jetzt haben wir uns darauf eingelassen und – zugege-ben – von unseren über ein Dutzend Änderungsvorschlä-gen haben Sie große Teile übernommen.
Sie stellen sich jetzt vor uns hin und sagen: Jetzt habenwir so viel von euch übernommen, jetzt müsst ihr zu-stimmen.MleedWsdzinletrdatevcwzdvTdswlsDtruwL3eFzHgw
Ich will Ihnen gerne zumindest drei der zentralenebfehler darstellen. Ein zentraler Webfehler dieses Ge-etzes ist beispielsweise die Behandlung der kapitalge-eckten Altersvorsorge. Der Gesetzentwurf verkompli-iert die kapitalgedeckte Altersvorsorge und macht siesgesamt für den Bürger unattraktiver.
Nach geltendem Recht können Beiträge zur Kapital-bensversicherung im Rahmen der Vorsorgehöchstbe-äge zu 88 Prozent steuermindernd berücksichtigt wer-en und die Auszahlung der während der Laufzeitngesammelten Erträge sowie der Schlussüberschussbe-iligung erfolgt für Verträge mit einer Mindestlaufzeiton zwölf Jahren steuerfrei. Dieses so genannte zweifa-he Steuerprivileg soll nach Ihrem Willen abgeschaffterden. Sie wollen auch die Begünstigung der Beitrags-ahlung für bestehende Verträge auslaufen lassen.Diese Änderungen führen zu einer Benachteiligunger Lebensversicherung gegenüber jeder anderen Arton Kapitalanlage.
räte das Gesetz in Kraft, würde das faktisch das Aus fürie Kapitallebensversicherung bedeuten. Die Lebensver-icherungen wären in Deutschland nicht mehr wettbe-erbsfähig.
Sie müssen sich schon mit den Fakten konfrontierenassen: Noch im Jahre 2003 haben 8,6 Millionen Deut-che Neuverträge abgeschlossen. Insgesamt gibt es ineutschland 91,5 Millionen Lebensversicherungsver-äge. Sie sagen, die Lebensversicherung sei überaltert,nd bieten Ihr Riester-Alternativmodell an. Vergleichenir doch einmal den Bestand von etwa 91 Millionenebensversicherungsverträgen mit den kümmerlichenMillionen Menschen, die sich auf Ihr Riester-Konzeptingelassen haben. Stellt sich da wirklich noch dierage, welches das bessere, wettbewerbsfähigere undukunftsfähigere Modell ist? Die Antwort liegt auf derand: über 90 Millionen Lebensversicherungsverträgeegenüber kümmerlichen 3 Millionen Riester-Verträgen,obei zehnmal so viele berechtigt wären.
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Georg Fahrenschon– Doch, das muss man so darstellen.
Sie müssen doch einfach feststellen, dass die Men-schen zwischen dem Altersvorsorgeprodukt Lebensver-sicherung und dem Altersvorsorgeprodukt Riester-Rentewählen, dass sie sich von der Riester-Rente abwendenund Ja zur Lebensversicherung sagen. Deshalb ist es andieser Stelle ein zentraler Webfehler, dass Sie das Pro-dukt Lebensversicherung kaputtmachen.
Der zweite große Webfehler liegt tatsächlich in derRiester-Rente. Sie sind mit dem Anspruch angetreten,mit diesem Gesetz den Riester-Flop zu beheben; dennmit dieser ersten Jahrhundertreform, die Rot-Grün ein-geleitet hat, sind Sie zu kurz gesprungen. Deshalb woll-ten Sie dieses Gesetz verbessern. Aber, meine Damenund Herren, was haben Sie getan? Erstens haben Sie ei-ner alten Forderung der Union nachgegeben und endlichdie Möglichkeit eines Dauerzulagenantrags zugelassen.
Zweitens haben Sie versucht, die Regelungen derRiester-Rente zu vereinfachen. Zugegebenermaßen re-duzieren Sie zwar die Anzahl der Kriterien von elf auffünf. Aber gleichzeitig zur Reduktion der Kriterien füh-ren Sie eine Berichtspflicht allgemeiner Art ein, die zurFolge haben wird, dass nicht nur die alten, bereits beste-henden Riester-Zertifikate neu angemeldet werden müs-sen – das ist, nebenbei gesagt, eine klassische Arbeitsbe-schaffungsmaßnahme für die Behörden, die die Riester-Verträge zu zertifizieren haben –, sondern dass zusätz-lich auch ethische, soziale und ökologische Belange aus-gewiesen werden müssen. Unter der Überschrift „Ver-einfachung der Riester-Rente“ solche Berichtspflichteneinzuführen, das ist ein Treppenwitz.
Damit wir uns nicht falsch verstehen, will ich Ihnensagen: Wir können Ihre Initiative, was die Berichts-pflicht hinsichtlich ethischer, sozialer und ökologischerGesichtspunkte angeht, nachvollziehen. Wir sind auchnicht dagegen, dass die Anbieter diese Berichte formu-lieren. Aber das im Gesetz festzuschreiben ist der fal-sche Weg.
Darüber hinaus stellt sich angesichts der aktuellenLage in Deutschland die Frage, warum wir uns, wennwir uns über ethische, soziale und ökologische Gesichts-punkte berichten lassen, nicht auch über die wirtschaftli-chen Impulse einer solchen Anlage berichten lassen.
Wir müssten uns doch auch über die neuen Arbeits-plätze, die die Anlage geschaffen hat, berichten lassen.
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enn wir also über Berichtspflichten reden, dann müs-en wir uns auch über einen ordentlich abgestimmtenanon unterhalten.
Über die Einführung so genannter Unisextarifeöchte ich hier gar nicht lange sprechen.
Denn, lieber Herr Schild, alle Beteiligten wissen, dassie dem Produkt Riester-Rente mit dieser Entscheidungrheblichen Schaden zufügen. Statt einen Neustart zunternehmen – wie das von Ihnen geplant ist –, tragenie dazu bei, dass die Riester-Rente endgültig zumohrkrepierer wird.
Doch, lieber Herr Schild.
er wesentliche Grund dafür ist, dass Sie daran geschei-ert sind, die Riester-Rente zu öffnen. Denn wenn Sie dieiester-Rente für Selbstständige geöffnet hätten, denenie nach wie vor den Zugang zu Riester-Produkten ver-ehren, hätte man noch über eine Regelung sprechenönnen. Aber Sie tun Folgendes: Sie verschlechtern fürie Selbstständigen in Deutschland die Möglichkeit, fürhre Altersvorsorge Lebensversicherungen zu nutzennd sperren Sie aus der Nutzung des Riester-Konzeptsus.
amit benachteiligen Sie die Selbstständigen ineutschland. Meine Damen und Herren, Respekt underzlichen Glückwunsch zu diesem grundsätzlichen An-atz!Schlussendlich lassen Sie durch Ihren Entwurf dieentrale Chance in dieser Legislaturperiode für den Fi-anzplatz Deutschland verstreichen. Der Begriff „Leib-ente“ als einzige staatlich bzw. steuerlich begünstigteltersvorsorge ist viel zu eng gefasst.
ngesichts des Effektes des Übergangs zur nachgelager-en Besteuerung werden in Zukunft alle Vorsorgepro-ukte, die vererblich, übertragbar, beleihbar, veräußerbarnd kapitalisierbar sind, benachteiligt.
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Georg FahrenschonDas schädigt den Finanzplatz Deutschland, weil Sie denWettbewerb, statt ihn auch bei der Altersvorsorge zuzu-lassen, aussperren. Sie haben sich dagegen entschieden,eine Vielzahl von Anlageprodukten zuzulassen und dendamit einhergehenden Wettbewerb auch in Deutschlandzuzulassen. Auch hier haben die Selbstständigen dasNachsehen: Sie haben keinen Zugang zur Riester-Renteund der enge Begriff der Leibrente führt zu einer Diskri-minierung der Vermögensbildung.Das sind drei zentrale Webfehler, die uns dazu führen,dass wir sagen müssen: Dieses Gesetz ist Ausschusswaremit groben Webfehlern und wir werden dem nicht zu-stimmen.
Alterssicherung ist Vertrauenssache. Deshalb mussdie rentenpolitische Flickschusterei, die die Bundesre-gierung seit mittlerweile fünf Jahren betreibt, endlich be-endet werden. Die Menschen wissen doch heute nichtmehr, wie viel Geld ihnen im Alter zur Verfügung stehenwird. Sie warten darauf, dass endlich ein Konzept vorge-legt wird, das deutlich macht, welchen Produkten sievertrauen können und wie sie die zu erwartenden Aus-fälle durch den Zusammenbruch des gesetzlichen Ren-tenversicherungssystems kompensieren können.Das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuer-rechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendun-gen und Altersbezügen wird diesem Anspruch in keinerWeise gerecht; es ist letztendlich nur ein weiterer Beitragzur Komplizierung unseres Steuerrechts.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Christel Humme, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!Wenn man die Debatte so verfolgt, muss man feststellen,dass eine Tatsache völlig unterzugehen scheint: Heute istein guter Tag, denn wir machen die Riester-Rente attrak-tiver.
Wir verankern in der Riester-Rente endlich gleiche Ta-rife für Männer und Frauen. Das heißt, um 15 Prozenthöhere Beiträge für Frauen bei gleicher Leistung wird eszukünftig in der Riester-Rente nicht mehr geben.
Das ist gut so, schließlich wird diese Säule der privatenAltersvorsorge durch öffentliche Mittel, durch Steuergel-der, gefördert.Gleiche Tarife für Männer und Frauen gebieten unsder Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzesund unser Wissen, dass ausnahmslos alle für ihr AlterzDsdhhdfaFeIIdbwfdUteddsGcmddRkseasSRRklitipmn
ch hätte mir gewünscht, dass auch diese Stimmen vonhrer Seite heute hier zu Wort gekommen wären;
enn diesen Männern und Frauen, die mitgestritten ha-en, danke ich an dieser Stelle recht herzlich.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, in der Tat machenir die Riester-Rente mit den so genannten Unisextari-en attraktiver. Frauen sind hierbei die Gewinnerinnen;as haben wir politisch so gewollt.
nser Ziel war und ist weiterhin die eigenständige Al-rssicherung für Frauen. Die Rentenreform 2001 warafür ein entscheidender Schritt. Die Unisextarife sinder konsequente zweite Schritt auf dem Weg zur eigen-tändigen Alterssicherung für Frauen.
erade Frauen können sich nicht mehr auf die gesetzli-he Rentenversicherung allein verlassen. Sie brauchenehr noch als Männer ein zweites Rentenstandbein;enn aufgrund von Kindererziehung, Pflege und unter-urchschnittlichem Einkommen sind ihre gesetzlichenentenansprüche in der Regel geringer. Weniger Ein-ommen aber und noch dazu höhere Beiträge – mit die-er doppelten Benachteiligung von Frauen machen wirndlich Schluss.
Unsere Entscheidung für Unisextarife – das haben wiruch heute Morgen gesehen – hat für viel Aufregung ge-orgt, was mich schon ein bisschen verwundert. Vomchlag gegen die Riester-Rente, vom Sargnagel für dasiester-Geschäft, gar vom Todesstoß für die Riester-ente, Herr Flosbach, war hier die Rede. Vertreter deronservativen Medien und der Versicherungswirtschafteferten sich regelrecht einen Wettstreit um den drama-schsten Kommentar – und das, obwohl 12,7 Millionenotenzielle Kundinnen geworben werden könnten, wennan nur wollte. Herr Fahrenschon, Unisextarife bedeutenicht den Tod der Riester-Rente, sondern das Gegenteil.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9445
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Christel Humme„Frauen leben länger und müssen deshalb höhere Bei-träge zahlen“, mit dieser Logik macht es sich die Versi-cherungswirtschaft viel zu einfach. Die Lebenserwar-tung hängt nicht alleine vom Geschlecht ab, sondern voneinem Bündel von Einflussfaktoren. Deshalb haben dieUSA unterschiedliche Tarife für Männer und Frauenschon längst abgeschafft, und zwar für alle privaten Ver-sicherungsverträge.
Vom Todesstoß für die Riester-Rente zu sprechen,wenn Frauen die berechtigte Forderung nach gleichenLebenschancen erheben, offenbart ein Rollenverständ-nis, das es zwar immer noch gibt, das aber schon längstüberholt ist. Bei diesem Rollenverständnis wird davonausgegangen, dass es einer Frau dann am besten geht,wenn ihr Mann gut versorgt ist. Liebe Kollegen, liebeKolleginnen, wen kümmert das Anrecht von Frauen aufeigene Rentenansprüche? Wen kümmern die vielen al-lein stehenden Frauen, die, selbst wenn sie es wollten,nicht durch einen Mann versorgt werden? Ich sage Ih-nen: Uns kümmert das. Auch deshalb haben wir für glei-che Tarife für Männer und Frauen in der Riester-Rentegesorgt.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Andreas Storm, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inwelchem rentenpolitischen Umfeld findet die heutigeDebatte eigentlich statt? – Noch nie in der Geschichteder Bundesrepublik wurde innerhalb von so kurzer Zeiteine solche Vielzahl von Belastungen für Rentnerin-nen und Rentner beschlossen.
Von Rot-Grün kommt alle drei Monate eine neue Hiobs-botschaft. 1. Januar 2004: Verdoppelung der Kranken-kassenbeiträge bei Betriebs- und Versorgungsrenten.1. April 2004 – das ist erst drei Wochen her –: Verdoppe-lung des Pflegebeitrags für Rentnerinnen und Rentner,was im Klartext eine Kürzung der Renten um 0,85 Pro-zent bedeutet. 1. Juli 2004: Die jährliche Rentenanpas-sung fällt in diesem Jahr aus. Das, was Sie Nullrundenennen, ist vor dem Hintergrund der Rentenkürzungdurch die Erhöhung des Pflegebeitrags vor drei Wochenin Wirklichkeit ein klare Minusrunde.Damit ist das Ende der Fahnenstange aber noch langenicht erreicht. Vor sieben Wochen hat Rot-Grün hier imDeutschen Bundestag eine neue Rentenformel beschlos-sen, welche die Rentenentwicklung bis zum Jahr 2010weit von der Lohnentwicklung der Beitragszahler ab-koppelt. Legt man die Wachstumsprognose zugrunde,dtdeDmSdwtsDkNNÜdsldcArAkbvkfamCcgsGdscbdtdrtdnDt
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Angesichts dieses Paradigmenwechsels bezüglich desSicherungsziels muss den Jüngeren unmissverständlichund klar gesagt werden, dass sie ergänzend vorsorgenmüssen. Deswegen müssen gleichzeitig die notwendigenRahmenbedingungen geschaffen werden, damit eine flä-chendeckende ergänzende Altersvorsorge rasch aufge-baut werden kann. Wenn dies nicht gelingt, dann werdenbereits heute die Ursachen für die Altersarmut von mor-gen gelegt.
Um diese Wahrheit haben Sie sich vor sieben Wochenmit Ihrem bizarren Streit um die Höhe von Rentenniveauund Beitragssatz herumgedrückt. Mit den unhaltbarenVersprechungen zum Sicherungsniveau der gesetzlichenRente wiegen Sie die Menschen einmal mehr in einerfalschen Sicherheit. Man braucht sich auch nicht überdie mangelnde Akzeptanz der ergänzenden Vorsorge inder Bevölkerung zu wundern; denn – das hat heute Mor-gen schon mehrfach eine Rolle gespielt – die bisherigeBilanz der Riester-Rente ist mehr als enttäuschend. Sieist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. DieAbschlusszahlen verharren bei 4 Millionen. Gleichzeitigwissen wir, dass bisher nur etwa 1,5 Millionen Berech-tigte ihren Zulagenantrag auf Förderung gestellt haben.Daran wird deutlich: Dieses Verfahren wird von denMenschen im Moment nicht angenommen.Mit der Einführung des Dauerzulagenantrags habenSie einen Webfehler korrigiert. Das halten wir für rich-tig, das war eine richtige Entscheidung. Sie glauben aberdoch wohl nicht ernsthaft, dass die Riester-Rente alleindurch diese Maßnahme und wenige andere Korrekturenzu einem Renner wird. Lassen Sie die Zahlen aus derVersicherungswirtschaft einmal ganz nüchtern auf sichwirken: Im Jahre 2003 wurden nur noch 500 000Riester-Verträge abgeschlossen. In diesem Jahr wird eseine weitere Abwärtsbewegung geben.
– Herr Kollege Schmidt, das bedeutet im Klartext: Wennes so weitergeht, dann werden Sie es nicht annäherndschaffen, dass nach diesem Jahrzehnt möglichst jederüber eine ergänzende Altersvorsorge verfügt.
Wenn das nicht gelingt, dann ist das nicht nur ein Pro-blem für Rot-Grün. Es ist eine zentrale sozialpolitischeHerausforderung für uns alle;dJhrmMtlvsnüdiNmlWBsKladwAshxVAAcssbgwmtesvdnDd1rf
enn die Antwort auf die Frage, ob die Jüngeren imahre 2030 oder 2040 eine ausreichende Alterssicherungaben, hängt davon ab, ob wir in diesen Monaten dieichtigen Weichenstellungen treffen. Davon sind wireilenweit entfernt.
Man muss sich doch einmal überlegen, warum dieenschen das Angebot der Riester-Rente aus Ihrer Ren-enreform im Jahre 2001 bisher nicht annehmen. Dasiegt daran, dass Ihre Konzeption an den Bedürfnissenieler Menschen vorbeigeht. Die Frage, was Altersvor-orge ist, deckt sich nicht unbedingt mit dem, was in ei-igen Lehrbüchern einiger Ihrer Berater steht. Warumberlassen Sie es den Menschen nicht selbst, wie sie füras Alter vorsorgen wollen? Ein entscheidender Punktst, dass die Menschen mehr Freiräume haben wollen.ur dann werden sie ermutigt, für ihre eigene Vorsorgeehr zu tun.Zu diesen Freiräumen gehört beispielsweise die Mög-ichkeit für ein so genanntes Teilkapitalwahlrecht.enn sie für das Alter Geld ansparen, ist es für vieleürger wichtig, dass sie am Beginn des Ruhestandeselbst entscheiden können, ob ein Teil des angespartenapitals zur freien Verfügung steht. Klar ist, dass natür-ich der größere Teil in monatlichen Rentenzahlungenusgezahlt werden muss. Aber eine gewisse Entschei-ungsfreiheit über das selbst angesparte Kapital ist eineichtige Voraussetzung dafür, dass die Menschen dieseltersvorsorgeprodukte annehmen.
Das gilt auch für einen weiteren Punkt. Viele Men-chen wollen, wenn ihnen etwas passiert, mehr Sicher-eit für ihre Angehörigen. Dazu gehört neben mehr Fle-ibilität bei der Altersvorsorge auch die Möglichkeit derererbbarkeit des angesparten Altersvermögens. Ihrlterseinkünftegesetz lässt als steuerlich begünstigteltersvorsorgeprodukte aber nur eng definierte Versi-herungsprodukte zu. Wenn dann auch noch mit der Ab-chaffung des Steuerprivilegs für die Kapitallebensver-icherung weit über das Ziel hinausgegangen wird, dannrauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn wir als Er-ebnis dieser Gesetzgebung in zwei oder drei Jahrenahrscheinlich feststellen müssen: Am Ende steht nichtehr, sondern möglicherweise sogar weniger an priva-r Vorsorge als jetzt.Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Frage: Wiechaffen wir es, dass wieder mehr betriebliche Alters-orsorge aufgebaut wird? Die Rahmenbedingungen fürie betriebliche Altersvorsorge werden von Ihnen nichtur nicht verbessert, sondern sogar noch verschlechtert.ie attraktive Pauschalbesteuerung soll abgeschafft wer-en. An ihre Stelle rückt zwar ein Freibetrag von800 Euro. Aber warum waren Sie eigentlich nicht be-eit, unseren Vorschlag aufzugreifen, neben dem Steuer-reibetrag von 4 Prozent für vom Arbeitnehmer finan-
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Andreas Stormzierte Beiträge weitere 4 Prozent aufzunehmen, die esdem Arbeitgeber ermöglichen, sich an der Altersvor-sorge weiter zu beteiligen? Dies wäre ein klares Signal:Wir brauchen mehr betriebliche Altersvorsorge.
Eine entscheidende Frage ist offen geblieben: Wieschaffen wir es, dass nach Möglichkeit jeder Arbeitneh-mer bis zum Jahr 2010 ergänzend vorsorgt? Es gibt inno-vative Vorschläge, zum Beispiel den der Bertelsmann-Stiftung, nach dem beim Abschluss eines Arbeitsverhält-nisses regelmäßig eine Entgeltumwandlung vorgenom-men werden soll. Es soll aber auch die Möglichkeit ge-ben, dass der Arbeitnehmer sich dafür entscheiden kann,davon keinen Gebrauch zu machen und den Lohn voll-ständig ausgezahlt zu bekommen. Mit einem solchenModell würde die Entgeltumwandlung zum Regelfall.Wir würden so erreichen, dass die betriebliche Alters-vorsorge innerhalb von ganz kurzer Zeit eine sehr vielbreitere Grundlage als heute bekommt. Das wäre ein in-novativer Ansatz, der die Sache rund machte. Aber da-von ist in Ihrem Gesetzentwurf weit und breit nichts zufinden.
Sie werden sich nach dieser Debatte wahrscheinlichzurücklehnen, weil Sie meinen, Sie hätten Ihre Hausauf-gaben bei der Rente gemacht. Weit gefehlt! In Wahrheitbrauchen wir eine grundlegende Neukonzeption der er-gänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge. Die kapital-gedeckte Altersvorsorge muss zu einer echten Förder-rente für die gesamte Bevölkerung werden. Die Fragemuss beantwortet werden, was Altersvorsorge in Zu-kunft leisten soll und welche Anforderungen an Alters-vorsorgeprodukte zu stellen sind. Dazu fehlen Ihnen of-fenbar die Kraft und die Einsicht.Es ist klar: Dieses Gesetz ist wie seine beiden Vorgän-ger keine Blaupause für eine nachhaltige Reform der Al-terssicherung in Deutschland. Die Halbwertszeit der Re-formen von Rot-Grün nimmt von Reform zu Reformweiter ab. Wir befinden uns nicht am Ende der Debatteüber die Neuordnung der Alterssicherung. Im Gegenteil:Mit diesem Gesetz wird die Debatte neu eröffnet. Sie ha-ben eine riesige Chance vertan. Keine der grundlegen-den Fragen ist ausreichend beantwortet.
Deshalb wird es spätestens nach der Bundestags-wahl 2006 einen neuen Anlauf für eine grundlegendeReform der gesetzlichen Rentenversicherung und der er-gänzenden privaten und betrieblichen Vorsorge gebenmüssen.
Wir sind dazu bereit.
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nd glaubt, mit Tricks eine saubere Weste behalten zuönnen. Warum haben Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der CDU, nicht den Mut, den Menschen zu sa-en, dass Sie in vielen Fragen Teil einer großen Koali-ion mit SPD und Grünen sind?
Was mich aber viel mehr bewegt und was alle Abge-rdneten viel mehr bewegen sollte, ist die Frage, aufelcher Zahlengrundlage wir entscheiden. Stimmen ei-entlich die Zahlen, die uns die Regierung vorlegt? Ichill Ihnen an einem Beispiel erläutern, warum man sehrisstrauisch sein sollte.Die Bundesregierung schaltete am 9. März 2004 fürnapp 1 Million Euro Anzeigen in den großen Tageszei-ungen mit der Überschrift: „Heute verlässlich für mor-en. Die Rente.“ Nun kann man erst einmal kommentie-en: Die Rente ist genauso wenig verlässlich wie dieahlen, die Sie verwenden. In der Anzeige gab die Re-ierung nämlich vor, in einer Grafik das Verhältnis dernzahl der Beitragszahler zu den Rentnern darstellen zuollen. Das mutete sehr dramatisch an. Während im Jahr000 noch 4,13 Beitragszahler einen Rentner finanzie-en, wären es im Jahr 2020 nur noch 2,9. Die Wochen-eitung „Die Zeit“ schrieb dazu – ich zitiere mit Erlaub-is des Präsidenten –: „Das ist ganz schön erschreckend –nd erschreckend falsch.“Frau Ministerin Schmidt hat nämlich nicht die Bei-agszahler, sondern die 15- bis 65-Jährigen zur Grund-ge ihrer Berechnungen genommen und dadurch denuotienten völlig zerzerrt. Ich wollte mit einer Anfragein mögliches Missverständnis aufklären, doch es stellteich heraus, dass die Ministerin bewusst falsche Zahlenerwandte. Hätte die Regierung nämlich die verfügbarenahlen vom Verband der Rentenversicherungsträger ge-ommen, dann wäre die schön-schaurige Prognose nichtöglich gewesen.Jeder kann einmal eine Zahl verwechseln. Das isticht so schlimm. Aber schlimm ist es schon, wenn manalsche Zahlen verwendet, um ein bestimmtes politisches
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Dr. Gesine LötzschZiel zu verfolgen. In diesem Fall war das politische Ziel,die Rentenkürzung mit falschen Zahlen zu begründenund den Menschen Angst zu machen. Besonders kritik-würdig finde ich es, wenn man beim Verwenden falscherZahlen ertappt wird und dann nicht einmal den Mut hat,die Bürgerinnen und Bürger über diese Falschinforma-tion zu informieren und sie richtig zu stellen. Ich bin alsEinzelabgeordnete nicht in der Lage, jede Zahl, die dieBundesregierung präsentiert, auf ihre Richtigkeit hin zuüberprüfen.
Dazu müssten einzelne Abgeordnete mit mehr Kontroll-rechten ausgestattet sein, was die Mehrheit in diesemHause verhindert.Mit diesem Gesetz soll eine Entscheidung des Bun-desverfassungsgerichts umgesetzt werden. Wir werdenerleben, dass es den Bundesrat passiert. Ich möchte aller-dings daran erinnern, dass wir grundlegende Verände-rungen im Rentensystem brauchen. Die PDS hat einKonzept für ein gerechtes Rentensystem vorgelegt, daseine Rente von allen für alle ermöglichen würde. Das istdie Kernforderung. Wir müssen dafür sorgen, dass wie-der mehr Menschen in die Rentensysteme einzahlenkönnen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschenvernünftige Arbeitsverhältnisse haben und dass sie nichtin Minijobs und Ich-AGs gedrängt werden. Dann wird esauch möglich sein, eine Rente von allen für alle aus-kömmlich zu finanzieren.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Erika Lotz, SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Storm, es ist zwar das gute Recht der Opposition,
Kritik zu üben, aber dass Sie sich jetzt einen schlanken
Fuß machen wollen und beklagen, dass Rentner und
Rentnerinnen, die Betriebsrenten beziehen, mit der Pfle-
geversicherung belastet werden, obwohl das entspre-
chende Gesetz von uns seinerzeit gemeinsam im Kon-
sens erarbeitet worden ist, erachte ich als bodenlos.
Wir stimmen schließlich auch nicht der Einführung einer
Praxisgebühr zu, um hinterher zu erklären, das sei die
Praxisgebühr der CDU/CSU. Es ist schlimm, was Sie
sich hier geleistet haben und dass Sie jetzt versuchen,
sich einen schlanken Fuß zu machen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Storm?
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ch habe Herrn Storm schon heute Morgen um sechs Uhrm Rundfunk gehört. Da gingen seine Äußerungen inine ähnliche Richtung.Wir beraten heute den Entwurf des Alterseinkünftege-etzes. Mit diesem Gesetzentwurf setzen wir das Bun-esverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2002 um. Dasst übrigens nicht die erste Entscheidung des Bundes-erfassungsgerichts, die die Alterseinkünfte betrifft.ir müssten uns heute nicht damit beschäftigen, wennie Opposition in der Vergangenheit in ihrer Regierungs-erantwortung die Hausaufgaben gemacht hätte.
Wir alle sind uns darin einig, dass die derzeitige Ren-enversicherung nicht mehr den Lebensstandard sichertnd dass zusätzlich eine betriebliche und private Alters-orsorge notwendig ist. Finanzminister Eichel hat heutechon über die staatlich geförderte Riester-Rente gespro-hen, die von Rot-Grün eingeführt worden ist. Wir helfenamit den Arbeitnehmern, eine private Altersversorgungufzubauen. Das haben Sie aufseiten der Opposition sei-erzeit versäumt.Allen Unkenrufen zum Trotz bestätigen uns die Zah-en, dass dieses Angebot angenommen wird. Währendm April 2001 erst 29 Prozent der Beschäftigten Verträgeber eine zusätzliche Altersvorsorge abgeschlossen hat-en, verfügten im März 2003 – nur knapp zwei Jahre spä-er – bereits 57 Prozent aller versicherungspflichtigeneschäftigten über eine entsprechende zusätzliche Absi-herung. In diesem Zusammenhang sollten die circaMillionen im Rahmen der Riester-Rente abgeschlosse-en Verträge nicht verschwiegen werden.Damit haben inzwischen fast 20 Millionen Beschäf-igte Anspruch auf eine zusätzliche Altersversorgung.as ist aus meiner Sicht durchaus ein Erfolg.
m Übrigen hat es auch bei der Einführung der vermö-enswirksamen Leistungen eine Zeitlang gedauert, bisie Menschen dieses Angebot in Anspruch genommenaben.Ich erinnere des Weiteren daran, dass Herr Laumannm Wahlkampf 2002 durch die Lande gezogen ist, umie Menschen davon abzuhalten, Verträge zur Riester-ente abzuschließen, mit der Begründung, dass sich beiinem Regierungswechsel wieder alles ändern würde.
Das ist eine Erfolgsgeschichte, die man nicht kleinre-en sollte.
ndem man sie kleinredet, trägt man nicht dazu bei, dassie Menschen Verträge zur Altersvorsorge abschließen.
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)Erika LotzIch möchte noch eine weitere Maßnahme herausstel-len. Von den Beschäftigten wird heutzutage eine immergrößere Flexibilität verlangt. Ein Jobwechsel ist mittler-weile fast eine notwendige Alltäglichkeit geworden.Aber was wird bei einem Jobwechsel aus der angespar-ten betrieblichen Altersvorsorge? In den allermeistenFällen konnten die Anwartschaften nicht zum neuen Ar-beitgeber mitgenommen werden. Die Folge war eine un-übersichtliche Aufsplitterung des Betriebsrentenan-spruchs in viele Kleinstansprüche. Dies hat dieWechselbereitschaft der Arbeitnehmer nicht gerade er-höht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erleichternwir es, bei einem Betriebswechsel die Betriebsrenten-anwartschaften zum neuen Arbeitgeber mitzunehmen,wenn darüber Einvernehmen erzielt wird.Die Union hat in der Vergangenheit – das zog sichauch heute durch die Debatte – die Vereinfachung derRiester-Rente gefordert. Herr Flosbach hat die Kompli-ziertheit der Regelungen beklagt. Dem ist entgegenzu-halten, dass wir die Regelungen mit dem vorliegendenGesetzentwurf vereinfachen.
Die Zahl der Zertifizierungskriterien wird von elf auffünf verringert und – auch das wird von Ihnen begrüßt –ein Dauerzulagenantrag wird eingeführt.
Die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen wird diebeitragspflichtigen Einnahmen prüfen; dies muss dannnicht mehr im Antrag ausgefüllt werden. Ein einheitli-cher Sockelbetrag wird zu mehr Transparenz und Sicher-heit führen. Das alles sind Neuerungen. Die Anbietermüssen nun bei Vertragsabschluss die effektive Gesamt-rendite des Produkts nennen. Damit wird für direkte Ver-gleichbarkeit der Riester-Angebote gesorgt. Das ist imInteresse derjenigen Arbeitnehmer, die Altervorsorge-verträge abschließen wollen. Deren Interessen haben wirim Auge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,Ihrer lang erhobenen Forderung nach Vereinfachung derRiester-Rente sind wir also nachgekommen. Deshalbkönnen Sie heute auch zustimmen.
Wenn Sie das aber nicht tun, dann muss ich feststellen,dass Sie nicht wissen, was Sie wollen, und dass Sie of-fensichtlich auch nicht wissen, was Sie tun. Sie machenziemliche Klimmzüge und bemühen sich verzweifelt, zubegründen, warum Sie nicht zustimmen können. Ichmeine, dass das, was wir auf den Weg bringen, eine guteRegelung ist. Wir kommen damit dem Auftrag des Bun-desverfassungsgerichts nach.Ich appelliere noch einmal an Sie: Tun Sie den Rent-nerinnen und Rentnern einen Gefallen! Verunsichern Siesie nicht und stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu!
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Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-ungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrager Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2992? –egenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsan-rag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegenie Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ab-elehnt worden.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-ion der FDP auf Drucksache 15/2988? – Gegenstim-en? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag istit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dietimmen der FDP bei Enthaltung von CDU/CSU abge-ehnt worden.Zu TOP 3 gibt es eine persönliche Erklärung der Ab-eordneten Ina Lenke nach § 31 der Geschäftsord-ung, die wir hiermit zu Protokoll nehmen.1)Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenFriedrich Merz, Dr. Michael Meister, HeinzSeiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUEin modernes Steuerrecht für Deutschland –Konzept 21– Drucksache 15/2745 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Anlage 2
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerAuswärtiger AusschussInnenausschussSportausschussRechtausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eindreiviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als Ersterder Abgeordnete Friedrich Merz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir legen Ihnen heute zunächst in Form einesAntrags Vorschläge zu einer ganz grundlegenden Mo-dernisierung und Vereinfachung des deutschen Einkom-mensteuerrechtes vor. Wie kompliziert das deutscheSteuersystem mittlerweile geworden ist, konnten die Zu-hörerinnen und Zuhörer der Debatte über den ersten Ta-gesordnungspunkt des heutigen Tages nachvollziehen:Das deutsche Einkommensteuerrecht ist nicht mehr aussich selbst heraus verständlich. Es erschließt sich demsteuerpflichtigen Bürger nicht mehr. Es ist in den letztenJahren leider nicht besser, sondern noch viel schlechtergeworden. Neben dem Verlust der sprachlichen Ver-ständlichkeit leidet das deutsche Einkommensteuerrechtunter einer nicht mehr überschaubaren und systemwidri-gen Fülle und Komplexität an Einzelvorschriften undAusführungsbestimmungen.Ich will Ihnen dazu nur einige wenige Daten nennen.Wir haben in Deutschland mittlerweile rund 100 so ge-nannte Steuerstammgesetze. Die Zahl der Gesetze, indenen auch steuerliche Regelungen enthalten sind, alsoGesetze, die ganz andere Regelungssachverhalte betref-fen, die aber auch steuerliche Regelungen enthalten, istnicht feststellbar. Ich wiederhole: Im Bestand des deut-schen Rechts ist die Zahl der Gesetze, die auch steuerli-che Bestimmungen enthalten, nicht feststellbar. Zu denbestehenden Steuergesetzen gibt es mittlerweile rund5 000 Interpretationsschreiben des Bundesministersder Finanzen. Insgesamt existieren zusätzlich etwa96 000 Verwaltungsvorschriften. In der letzten Wahl-periode des Deutschen Bundestages, in der Wahlperiodezwischen 1998 und 2002, sind allein bei den Ertragsteu-ern, also bei Einkommensteuer und Körperschaftsteuer,60 Gesetzesänderungen vollzogen worden. Hinzu kamenfast 250 Interpretationsschreiben des Bundesministersder Finanzen.Im Rahmen der Änderungen der letzten Wahlperiodesind ungefähr 100 Vorschriften des deutschen Einkom-mensteuergesetzes gleich mehrfach geändert worden.Zum Teil sind sie geändert worden, bevor die vorange-hende Änderung im Bundesgesetzblatt veröffentlichtworden ist.
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Wir müssen deshalb zu einer ganz grundlegendenereinfachung unseres Einkommensteuerrechtes zu-ückkehren. Das Wichtigste jenseits aller Details – icherde auf einige zu sprechen kommen – ist, dass sichiejenigen, die die Steuergesetze anwenden müssen, aufie Beständigkeit der bestehenden Regelungen wiederür einen längeren Zeitraum verlassen können und dassuhe und Beständigkeit in die Gesetzgebung insbeson-ere beim Steuerrecht zurückkehren. Die Planbarkeitnd die Verlässlichkeit des deutschen Steuerrechts jen-eits aller Inhalte und jenseits aller Details sind ganz we-entliche Voraussetzungen für die Rückkehr zu Wachs-um und Beschäftigung in Deutschland. Niemand ausem Inland und niemand aus dem Ausland wird ineutschland investieren, wenn er sich nicht wenigstensür einen überschaubaren Zeitraum auf Beständigkeitnd Planbarkeit der steuerlichen Rahmengesetzgebungerlassen kann.
Zu den grundsätzlichen inhaltlichen Fragen will icholgendes sagen: In einer komplexen Welt ist auch dasteuerrecht an verschiedenen Stellen naturgemäß kom-lex. Es kann nicht überall nur einfache Antworten ge-en; einfache Antworten können auch falsche Antwortenein. Deswegen kommt es darauf an, dass wir uns wiedern Grundsätzen und an steuerlichen Fundamentalprin-ipien orientieren. Dazu zählen aus meiner Sicht:Erstens: die Erkennbarkeit des Besteuerungsgegen-tandes. Diejenigen, die das Steuerrecht anwenden, müs-en wissen, was besteuert werden soll.Zweitens. Die Besteuerung selbst muss nach demrinzip der Leistungsfähigkeit erfolgen.Drittens. Bei der Besteuerungshöhe muss eine ange-essene Berücksichtigung des europäischen und deslobalen Umfeldes stattfinden.Lassen Sie mich zu diesen drei Grundsätzen im Ein-elnen Folgendes ausführen:Hinsichtlich der Erkennbarkeit des Besteuerungs-egenstandes im Einkommensteuerrecht, im gesamtenrtragsteuerrecht kommt es darauf an, dass wir einelare Abgrenzung zwischen dem vornehmen, was be-teuert wird, und dem, was auch in Zukunft steuerfreileiben muss. Auch in Anlehnung an die wissenschaftli-he Diskussion, die es dazu gibt, schlagen wir vor, dassanz grundsätzlich das Markteinkommen besteuertird, dass also das Markteinkommen der Besteuerungs-egenstand für Einkommensteuer und Körperschaft-teuer ist.
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Friedrich MerzDamit erübrigt sich eine komplizierte Abgrenzung, sowie wir sie heute in § 3 des Einkommensteuergesetzeshaben, etwa zu den sozialen Transferleistungen. SozialeTransferleistungen, zum Beispiel Krankenversiche-rungsleistungen, zum Beispiel Leistungen der Sozial-hilfe und der Arbeitslosenhilfe, sind grundsätzlich nichtMarkteinkommen. Wenn sich der Einkommensteuerge-setzgeber auf die Besteuerung des Markteinkommenskonzentriert, erübrigen sich alle heute noch notwendigenextrem komplizierten Abgrenzungen.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir in diesemZusammenhang auch eine Bemerkung zu den übrigenErtragsteuern, die wir heute in Deutschland zusätzlichzur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer haben. Ineinem solchen System der Besteuerung des Marktein-kommens hat eine Vermögensteuer als Substanzsteuerkeinen Platz mehr.
Wir sollten deswegen, schon aus Gründen der Rechts-hygiene, in Deutschland endlich das Vermögensteuerge-setz auch förmlich aufheben und es durch die Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur außerVollzug gesetzt sehen.
In diesem System hat die Erbschaftsteuer anders alsdie Vermögensteuer sehr wohl ihren Platz. Die Erb-schaftsteuer ist keine Substanzsteuer, sondern sie ist imsteuerlichen System der Bundesrepublik Deutschlandeine einkommensteuerähnliche Einmalbelastung der Er-ben. Insofern hat die Erbschaftsteuer anders als die Ver-mögensteuer durchaus auch in Zukunft ihre Existenzbe-rechtigung. Ich will allerdings hinzufügen: Wir müssendarauf achten, auch bei einer möglichen Neuordnung desErbschaftsteuerrechts, dass der Übergang gerade mittel-ständischer Betriebe, die durch die Eigentümer geführtwerden – börsennotierte Aktiengesellschaften werdennicht vererbt –, von der Erbschaftsteuer so weit wiemöglich entlastet wird,
damit die Fortführung ermöglicht und durch die Erb-schaftsteuerlast nicht unmöglich gemacht wird.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir in diesemZusammenhang noch einen Hinweis – ich kann damitauch gleich einen Zwischenruf aus den Reihen der SPD-Fraktion aufnehmen –: Natürlich hat in einem solchenKonzept einer neuen Einkommen- und Körperschaft-steuer die Gewerbesteuer in Deutschland, die ohnehin– auch im europäischen Vergleich – ein Fremdkörper imEinkommensteuersystem ist, keinen Platz mehr,
insbesondere deshalb, weil die Gewerbesteuer nach wievor eine ganze Reihe von ertragsunabhängigen Bestand-teilen enthält. Wäre es nach Ihrem Willen gegangen, wä-ren die ertragsunabhängigen Teile der GewerbesteuerzDSSmdkBLlihhemgmeDsbfevSNvgnbgLbugNngddznfsBsllnz
ie hat auch im europäischen Wettbewerb keinen Platzehr. Sie muss abgeschafft und durch eine Beteiligunger Städte und Gemeinden in Deutschland an der Ein-ommensteuer – und Körperschaftsteuer ersetzt werden.
Ich habe bereits gesagt, dass einer der wesentlichenesteuerungsgrundsätze die Besteuerung nach dereistungsfähigkeit sein soll. Das heißt, dass grundsätz-ch jedes Einkommen, unabhängig von seiner Entste-ung, unabhängig von seiner Verwendung, auch unab-ängig von der Rechtsform des Unternehmens, in dems gegebenenfalls entsteht, einmal – aber auch nur ein-al – besteuert werden muss. Daraus ergibt sich eineanze Reihe von Konsequenzen bis hin in den Unterneh-ensteuerbereich.Erlauben Sie mir, zwei Aspekte herauszugreifen, dieinen größeren Teil der Bürgerinnen und Bürger ineutschland auch im Zusammenhang mit der Diskus-ion über unser Einkommensteuersystem immer wiedereschäftigen. Das Erste sind die so genannten steuer-reien Sonntags-, Nacht- und Feiertagszuschläge. Ums von unserer Seite noch einmal klarzustellen: Selbst-erständlich tragen alle diejenigen, die an Sonntagen, inchichtarbeit, an Feiertagen tätig sind, die regelmäßigachtarbeit leisten müssen, eine besondere Last. Selbst-erständlich muss diese besondere Last angemessen ver-ütet werden. Aber es kann nicht Aufgabe der allgemei-en Steuerzahler sein, diese besondere Last durchesondere Steuerbefreiungen abzugelten. Es muss Auf-abe der Arbeitgeber sein und bleiben, diese besondereast zu vergüten. Für den Steuergesetzgeber ist undleibt jedes Einkommen, unabhängig von Entstehungnd Verwendung, gleich. Diesen Gleichheitsgrundsatzilt es insbesondere bei den so genannten Sonntags-,acht- und Feiertagszuschlägen anzuwenden, die heuteoch eine besondere Privilegierung erfahren. Wir schla-en langfristige Übergangsregelungen vor, sodass sichie Tarifvertragsparteien in Deutschland auf eine Verän-erung einstellen können. Am Ende dieses Übergangs-eitraums darf es aber auch an dieser Stelle keine Aus-ahmen mehr geben. Wer Ausnahmen für wenigeordert, muss wissen, dass er im Ergebnis höhere Steuer-ätze für alle fordert.
Zweitens. Meine Damen und Herren, das Prinzip deresteuerung nach der Leistungsfähigkeit muss eine be-ondere Ausprägung bei der Berücksichtigung der Fami-ien, insbesondere bei der Berücksichtigung der Fami-ien mit Kindern, erhalten. Ich will auch an dieser Stelleoch einmal sehr deutlich sagen: Ich halte es für unver-ichtbar, dass auch in Zukunft als Ausfluss aus Art. 6 des
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Friedrich MerzGrundgesetzes, der bekanntlich Ehe und Familie unterden besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt,das Ehegattensplitting aufrechterhalten wird, also dieErwerbsgemeinschaft von Mann und Frau auch im Steu-errecht uneingeschränkt und grundlegend verankertbleibt.
Wichtiger ist aus meiner Sicht aber die angemessene, dasheißt stärkere Berücksichtigung der Kinder in Ehen undeheähnlichen Lebensgemeinschaften.
Meine Damen und Herren, unser Vorschlag, den Kin-derfreibetrag auf die Höhe des Erwachsenenfreibetra-ges deutlich anzuheben, entlastet überproportional Fami-lien mit Kindern. Damit würde es erstmalig in diesemSystem möglich sein, auf Transferleistungen in Formvon Kindergeld an solche Eltern zu verzichten, die überein ausreichend hohes Einkommen verfügen und die Fi-nanzierung ihrer Kinder aus eigener Kraft leisten kön-nen. Ich will es noch einmal sehr deutlich sagen: Kinder-geld hat ohne Wenn und Aber auch in Zukunft seineBerechtigung, aber Transferleistungen an Eltern könnenund dürfen nach unserer Überzeugung erst dann geleistetwerden, wenn die eigene Leistungsfähigkeit nicht mehrausreicht. Wenn sie ausreicht, dann muss die Berück-sichtigung von Kindern abschließend durch eine Freibe-tragsregelung zum Ausdruck kommen. Höher und gutverdienende Familien brauchen dann keinen Transfer,keine Kindergeldleistungen mehr aus öffentlichen Kas-sen.
Dies setzt allerdings systembedingt voraus, dass derKinderfreibetrag angemessen und damit deutlich höherfestgesetzt wird, als es gegenwärtig der Fall ist.
Ich habe zu Beginn bereits auf das internationale Um-feld hingewiesen, in dem wir uns mit unserem Steuer-system bewegen. Erlauben Sie mir, dass ich eine sehr ak-tuelle Debatte aufgreife, die in den letzten Tagen auchim Hinblick auf die Osterweiterung der EuropäischenUnion geführt wird.
Nun ist es ja interessant zu beobachten, dass der Bundes-kanzler, dem noch vor Jahr und Tag die Steuern inDeutschland zu hoch waren – wir teilen ausdrücklichdiese Einschätzung –, plötzlich entdeckt, dass sie an-derswo zu niedrig sind. Die meisten Länder von denen,die jetzt neu in die Europäische Union eintreten, habenjedoch ihre Steuersysteme auf ihre Mitgliedschaft in derEU vorbereitet. Zum Teil haben sie Maßnahmen ergrif-fen, die wir in Deutschland längst hätten ergreifen sol-len, nämlich eine deutliche Absenkung der Ertragsteuer-sätze
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on Steuerdumping, meine Damen und Herren, lässtich nur dann sprechen, wenn etwa wie früher in Hollandder in den irischen Docklands ausländischen Investorenndere, in der Regel niedrigere Steuersätze und andereteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt wer-en als inländischen Investoren. Es hat aber bisher nie-and behauptet, dass dies auf die neuen EU-Länder zu-reffe. Dies kann auch niemand behaupten, weil diesteuropäischen Länder, die in wenigen Stunden in dieuropäische Union eintreten, dieses nicht machen. Sieieten inländischen wie ausländischen Investoren glei-he und zum Teil hoch attraktive steuerliche Rahmenbe-ingungen an.Das Problem ist nicht Osteuropa, das Problem isteutschland.
ir haben in Deutschland unverändert viel zu hoheteuersätze. Trotz der anerkennenswerten Bemühungener rot-grünen Bundesregierung in den letzten Jahren,ie Steuerbelastung zu senken,
st Deutschland noch immer ein Hochsteuerland. Wir ha-en nach wie vor mit die höchsten Unternehmensteuern.ußerdem haben die Unternehmen in Deutschland, dieier investieren – auch dies gehört der Vollständigkeitalber dazu, wenn wir zu Recht über die Wachstums-nd Beschäftigungskrise klagen –, eine zu geringe Kapi-alrendite. Die Kapitalrendite ist in allen anderen euro-äischen Ländern höher als in Deutschland. In Deutsch-and sind die Steuersätze mitverantwortlich für dieeringe Kapitalrendite. Das muss in diesem Gesamtzu-ammenhang erwähnt werden. Deswegen müssen dieteuersätze in Deutschland herunter.Ich zitiere einen früheren, auch von Ihnen hoch ge-chteten – wenn ich es richtig in Erinnerung habe, sogarn der SPD als Mitglied geführten – Sachverständigennd langjährigen Vorsitzenden des Sachverständigenra-es, Hans-Karl Schneider, der einmal gesagt hat: Werehr als die Hälfte seines Einkommens an das Finanz-mt abführen muss, ist mehr darauf bedacht, Steuern zuparen, als darauf, Geld zu verdienen. – Das gilt unver-ndert auch heute. In Deutschland wird viel zu viel überteuervermeidungsstrategien und viel zu wenig über In-estitions- und Beschäftigungsstrategien nachgedacht.
eshalb müssen die Steuersätze herunter und muss dieemessungsgrundlage verbreitert werden.
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Friedrich MerzIch räume ein: Auch mit der Umsetzung unseres Vor-schlages, die Grenzbelastung bei der Einkommen-und Körperschaftsteuer auf einheitliche 36 Prozent zu-rückzuführen, lägen wir im internationalen Vergleichnoch immer bei einer relativ hohen Steuerlast. Ich ver-stehe deshalb gut, dass an anderer Stelle, etwa im Sach-verständigenrat, über Möglichkeiten nachgedacht wird,diese zu hohe Grenzbelastung für die Unternehmen inDeutschland, unabhängig von ihrer Rechtsform, in ei-nem solchen System weiter abzusenken. Ich habe Vorbe-halte gegen eine solche Steuerspreizung. Wie wollen wirden Arbeitnehmern in Deutschland, die nicht nur unterhohen Steuern, sondern noch mehr unter hohen Sozial-versicherungsbeiträgen leiden, vermitteln, dass etwa Un-ternehmensgewinne deutlich niedriger besteuert werdenals Arbeitnehmereinkünfte? Gleichwohl wird der Druckauf die Ertragsteuern in den nächsten Jahren stärker wer-den. Auch in diesem Zusammenhang wird die Osterwei-terung der Europäischen Union eine erhebliche Auswir-kung auf die steuerpolitische Debatte in Deutschlandhaben.Deswegen müssen wir nach Wegen suchen, schnell zuErgebnissen zu kommen. Wir können nicht mehr biszum nächsten Regierungswechsel warten. Deutschlandhat nicht die Zeit, eine weitere halbe Legislaturperiodedes Deutschen Bundestages lethargisch dazusitzen unddarauf zu warten, dass der Aufschwung möglicherweisedurch die Weltkonjunktur herbeigeführt wird.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,in diesem Zusammenhang nach der Bezahlbarkeit einersolchen Reform – wir werden uns heute Nachmittag mitweiteren Themen dieser Art beschäftigen – fragen, dannwill ich Ihnen eine Antwort geben in Bezug auf die Be-rechnungen der Haushaltsabteilungsleiter der Finanzmi-nisterien
– der Steuer- und Haushaltsabteilungsleiter –,
die ich schätze und achte und die ihren Auftrag zu erfül-len haben, deren Arbeit ich in vollem Umfang respek-tiere: Diese Arbeit bezieht sich auf ein statisches Regel-werk. Sie gehen vom gegenwärtigen Status quo derArbeitsmarktverfassung, von den gegenwärtigen Sozial-versicherungssystemen, von den gegenwärtigen sozialenSicherungssystemen, von den gegenwärtigen sozialenTransfersystemen und vom gegenwärtigen Steuersystemaus. Das, was wir Ihnen heute hier vorschlagen, ist iso-liert betrachtet in der Tat heute nicht bezahlbar.
Aber – bevor Sie klatschen – all das, was wir Ihnen vor-schlagen, steht im Kontext einer größeren Reform-agenda in Deutschland, einer grundlegenden Korrekturder Arbeitsmarktverfassung und der Lohnfindungssys-tekmkvhdvHhesksdqBDhaJKuBBBgetgitGegnswhdep
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Er plädiert in diesem Zusammenhang auch nicht aus-drücklich, wie Sie es tun, für einen Wettbewerb.Ich finde es gut, wenn die Bürgerinnen und Bürgerdie verschiedenen Alternativen der konkurrierenden Par-teien klar erkennen können. Es wird manchmal der Vor-wurf erhoben – gelegentlich auch aus der Anhänger-schaft der SPD –, Unterschiede seien nicht mehrerkennbar.
– Auch ich denke das.Ein zweiter Punkt. Sie haben etwas zu den Finanzender Kommunen gesagt. Wir wissen, dass sich vieleKommunen in einer schwierigen Finanzsituation befin-den. Herr Merz, Sie haben gesagt, die Gewerbesteuerwerde ersatzlos abgeschafft
und werde durch eine Beteiligung an der Einkommen-und Körperschaftsteuer ersetzt. In Ihrem Antrag stehtwörtlich – ich hoffe, dass Sie ihn gelesen haben –:Deshalb soll die Gewerbesteuer in enger Abstim-mung mit den Kommunen durch eine wirtschafts-kraftbezogene Gemeindesteuer ersetzt werden...
Sie haben eben davon gesprochen, dass sozusagen eineBeteiligung an der Einkommen- und Körperschaftsteuererfolgt. In Ihrem Antrag sprechen Sie aber von einer„wirtschaftskraftbezogenen Gemeindesteuer“. Sie müs-sen den Bürgerinnen und Bürgern, die in den Städten aufLebensqualität Wert legen, schon klar sagen, was Siewollen.
Wenn man sich jenseits des Wortnebels einmal mit denFakten beschäftigt, dann erkennt man, dass Sie auch hierin Wahrheit keine Antwort haben.
– Ich habe wörtlich aus Ihrem Antrag zitiert. Vielleichthaben Sie ihn nicht gelesen.Sgt6rBeErAdwzmteswhnz2swfWAdhteb6KdB–vvesvD
Der dritte Punkt. Sie haben vollkommen zu Recht dentellenwert der Familie beschrieben. Wir haben im Ge-ensatz zu Ihnen in den letzten Jahren die Familienleis-ungen von 40 Milliarden Euro auf insgesamt über0 Milliarden Euro erhöht. Sie sprechen von der Förde-ung der Familie, wir handeln. Auch das müssen dieürgerinnen und Bürger wissen.
Wenn Sie im Rahmen Ihres Konzeptes den Freibetragrhöhen und das Kindergeld für die Bezieher geringerinkommen so belassen wollen, dann müssen die Bürge-innen und Bürger wissen – um sich über die politischelternative klar zu werden –, was das bedeutet. Das be-eutet nämlich, Herr Merz, dass der Freibetrag so erhöhtird, wie es erforderlich ist, um Spitzenverdiener weiteru entlasten. Das ist die Wahrheit, die hinter dieser Be-erkung steht. Auch hierbei besteht zwischen den Par-ien im Deutschen Bundestag eine Alternative.
Schließlich sagen Sie, Deutschland sei ein Hoch-teuerland. Das gibt die Analyse, gemessen an der volks-irtschaftlichen Steuerquote, natürlich nicht her. Wiratten in der Europäischen Union im Jahre 2002 dieiedrigste volkswirtschaftliche Steuerquote mit 21,7 Pro-ent. Wir haben sie im Jahre 2003 weiter auf unter1 Prozent gesenkt. Auch das sollten die Menschen wis-en: Wir brauchen eine auskömmliche Steuerquote,enn wir Bildung, Forschung und Chancengerechtigkeitinanzieren wollen.
ir können den Menschen keine Steuersenkungen inussicht stellen, die, so wie Sie dies vorsehen, offenkun-ig sozial ungerecht und nicht finanzierbar sind. Auchier bietet sich für die Bürgerinnen und Bürger eine Al-rnative.
Wir haben mit all den Maßnahmen, die wir seit 1998eschlossen haben, Steuerentlastungen von knapp0 Milliarden Euro durchgesetzt. Dabei gab es teilweiseompromisse im Vermittlungsausschuss, weil man sichort angesichts der Mehrheitsverhältnisse einigen muss.ei uns lohnt sich Leistung wieder.
Natürlich. – Der steuerliche Grundfreibetrag wurdeon 6 200 auf 7 664 Euro angehoben. Auf den erstenerdienten Euro zahlen die Menschen in diesem Jahrine Steuer von 16 Prozent. Bei Ihnen betrug der Steuer-atz 26 Prozent. Hier ergeben sich konkrete Alternati-en, von denen die Menschen profitieren.
avon war bei Ihnen nichts zu hören.
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Joachim PoßWenn die Union meint, ein modernes Steuerrecht seidas Nonplusultra für die volkswirtschaftliche Genesung,dann gaukelt sie den Menschen etwas vor. Durch Sie unddurch andere wird durch das Versprechen unfinanzierba-rer Steuersenkungen und durch eine unsoziale steuerli-che Umverteilung ein ganz bestimmter wirtschaftspoliti-scher Zeitgeist beschworen. Manche nennen solcheparteipolitischen Vorstellungen sogar „modern“.Die SPD-Bundestagsfraktion hält daran fest, dass inder Steuerpolitik zwei bewährte Grundsätze zu beach-ten sind: soziale Gerechtigkeit und seriöse Finanzierung.Das sind unsere Leitmotive. Von diesen lassen wir unsdurch keinen Zeitgeist dieser Welt abbringen. Auch da-rüber können die Menschen Gott sei Dank in Wahlenentscheiden.
Wir reichen einer ungerechten und unseriösen Steuerpo-litik nicht die Hand. Hier geht es um eine grundlegendepolitische Richtungsentscheidung.Von welchem Geist Herr Merz beseelt ist, hat er inwünschenswerter Klarheit am letzten Sonntag in der„Welt am Sonntag“ in einem Interview zum Ausdruckgebracht. Er hat dort wörtlich gesagt:Bei uns bekommt derjenige am meisten Zustim-mung, der am lautstärksten nach Umverteilung ruftund Faulheit belohnen will.Ich kenne in der Öffentlichkeit niemanden, der klatscht,wenn Faulheit belohnt werden soll.
Das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Weiter sagenSie, Herr Merz:Umverteilung ist doch nichts anderes als der Ver-such, Leistung ohne Gegenleistung zu bekommen.Das hat mit der Lebenswirklichkeit ebenfalls nichtszu tun. In diesen beiden Sätzen steckt eine Weltanschau-ung, die den Sozialstaat offenbar als lästig empfindet.
Hier wird eine Verachtung für sozial Benachteiligte of-fensichtlich.
Dies ist eine politische Einstellung, die sich am Randeunserer Verfassung bewegt. Das ist der Kern Ihres Inter-views.
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 desGrundgesetzes ein „sozialer Bundesstaat“. Kennzeichenund Aufgabe eines Sozialstaates ist es, dort umzuvertei-len, wo der Einzelne nicht in der Lage ist, für sich selbstzu sorgen. In der wortreichen und blumigen Prosa dessteuerpolitischen Programms der Union heißt es zwararBIDdTHRGvdDlfMkdrAmvNvnSnmSfpfhdnsDlegm–sgdd
azu gehörte auch die Besteuerung nach der wirtschaft-ichen Leistungsfähigkeit. Deswegen werden wir uns da-ür einsetzen, dass die seit langem bewährte sozialearktwirtschaft, der Sozialstaat und soziale Gerechtig-eit weiterhin prägende Kennzeichen der Gesellschafter Bundesrepublik Deutschland sein werden. Auch da-über können die Menschen abstimmen. Das sind klarelternativen.Aber auch in der Union gibt es Politiker, die nichtehr verstehen, warum sich die CDU und Frau Merkelom Sozialstaat verabschieden wollen. Horst Seehofer,orbert Blüm, Heiner Geißler und andere haben in denergangenen Wochen die gesamte Politik der Union,icht nur die Steuerpolitik, scharf kritisiert. Herreehofer hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass esicht ausreicht, neu zu denken. Darüber hinaus mussan auch prüfen, ob das Neue finanzierbar ist. Horsteehofer hat der CDU genau vorgerechnet, dass ihre Re-ormvorschläge zur Steuer-, Gesundheits- und Renten-olitik über 100 Milliarden Euro kosten würden und sieür diese Ausgaben keine Deckungsvorschläge gemachtat.Sie, Herr Merz, haben versucht, das mit der Dynamik,ie Sie erzeugen wollen, zu erklären. Diese gibt aberach allen seriösen wirtschaftswissenschaftlichen Unter-uchungen nicht genügend Finanzierungsspielraum.
as heißt, Sie stehen für finanzpolitische Abenteuer. Sieassen sich für einfache Steuerkonzepte und für Steuer-rklärungen auf Bierdeckeln feiern und sind im Grundeenommen ein finanzpolitischer Abenteurer. Das mussan klar und deutlich aussprechen.
Nein.Horst Seehofer hat Recht. Wenn Sie sagen, wir müs-en den sozialen Ausgleich – beispielsweise bei der soenannten Kopfpauschale – über die Steuern herstellen,ann müssen Sie den Menschen auch sagen, dass das miten Steuersätzen, die in Ihren Konzepten stehen, nicht
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Joachim Poßmöglich ist, weil diese zur Finanzierung nicht ausrei-chen. Die ungedeckten Vorschläge in Milliardenhöhekommen von denselben Leuten – Herr Merz, auch Siehaben solche von diesem Pult aus schon gemacht –, diesonst bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, dass dieBundesregierung die Maastricht-Kriterien nicht einhal-ten kann. Eine solche Politik ist weder seriös nochglaubwürdig.Wer würde nicht gern die Steuern senken?
Aber was nützen diese Ankündigungen, wenn wederKommunen noch Länder – das haben die Finanzministerfestgestellt – Steuersenkungen finanzieren können? DieFinanzminister aller Länder – Herr Faltlhauser wird hiernoch reden –, nicht irgendwelche Abteilungsleiter, habenebenso wie zwei wirtschaftswissenschaftliche Institutefestgestellt, was von diesen Einfachsteuerkonzepten zuhalten ist. Ihre klare Botschaft lautet: Die Konzepte sindnicht finanzierbar, sie haben ungerechte Verteilungswir-kung und nur geringe ökonomische Effekte. Auch diesewurden untersucht.Herr Merz, da das Urteil so ausfällt, sage ich Ihnen:Lassen Sie das mit dem Bierdeckel! Lassen Sie den Po-pulismus! Überlegen Sie, ob Sie mit anderen zusammenden Sozialstaat mit der Abrissbirne wirklich einreißenwollen. Sie werden auf unseren Widerstand treffen.
Ich bin trotz aller Umfragen ganz gewiss, dass die SPDin den nächsten Wochen und Monaten so stark werdenwird, um Ihnen bei diesen abenteuerlichen Plänen in denArm zu fallen. Sie kommen damit nicht durch, wenn denMenschen klar wird, was hinter Ihren Plänen wirklichsteckt.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig
Thiele.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Kollege Poß, ich möchte drei kurzeAnmerkungen zu Ihrer Rede machen. Ich glaube ers-tens, es war nicht sachgerecht, bei einem solch wichtigenThema als Erstes Klassenkampfparolen auszugeben;
denn die Bürger in unserem Lande – das sage ich ganzdeutlich – wollen Veränderungen, vor allem eine Verän-derung: Sie wollen weniger Rot-Grün in unserem Land.Das ist die Situation.
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In Deutschland werden Körperschaften mit der Körper-schaftsteuer und der Gewerbesteuer belastet. Diese lie-gen bei insgesamt 39 Prozent. Das ist die Wirklichkeit inunserem Land.Es ist erstaunlich, dass einigen Politikern in Deutsch-land erst vor wenigen Wochen klar geworden zu seinscheint, dass die Erweiterung der Europäischen Unionam 1. Mai erfolgt und wir uns ab diesem Zeitpunkt inEuropa im direkten Wettbewerb mit Ländern befinden,die Steuersätze um und unter 20 Prozent haben. Dass esBundeskanzler Schröder und Ministerpräsident Stoibererst jetzt auffällt, dass Deutschland in diesem schärferenWettbewerb eine schlechte Ausgangsposition hat, er-staunt tatsächlich. Die Erkenntnis ist schon viel älter,aber gehandelt wird leider nicht. Die Bundesregierunghat es an dieser Stelle verschlafen, in unserem Land dieNotwendigkeit zusätzlicher Steuerreformen klar zu ma-chen. Das ist ein Versäumnis der Bundesregierung undist kurzfristig nicht zu beseitigen. Hier müssen wir alsParlament treiben. Hier werden wir als FDP treiben, da-mit endlich Reformen durchgeführt werden, mit denenwir für die Zukunft unseres Landes besser aufgestelltsein werden.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Die Auf-gabe, Deutschland zu reformieren, darf nicht nur darinbestehen, Leistungen für Bürger einzuschränken. Wirmüssen Anreize setzen, damit in unserem Land wiedermehr investiert wird, damit mehr Arbeitsplätze geschaf-fen werden, damit das Wirtschaftswachstum in Gangkommt und wir die Entwicklung Europas nicht bremsen,sondern wir wieder zur Lokomotive Europas hinsichtlichdes Wachstums in der Europäischen Union werden.Den besten Weg hierfür zeigt das Steuerkonzept derFDP auf. Der Gesetzentwurf liegt ausformuliert vor, undes wäre schön, wenn er nicht erst nach der nächsten Bun-destagswahl im Jahre 2007 oder 2008 in Kraft tretenkönnte, sondern sofort. Deshalb appelliere ich hier anRot-Grün, aber auch an die Union: Nehmen Sieschnellstmöglich den Gesetzentwurf der FDP als Grund-lage für ein modernes Steuerrecht. Warten Sie nicht mitden Veränderungen, handeln Sie jetzt!
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Zu den Ausführungen von Herrn Thiele möchte ichur drei Worte sagen: Polemik, Polemik, Polemik.
err Merz, Sie haben auf Ihren Antrag „Ein modernesteuerrecht für Deutschland – Konzept 21“ Bezug ge-ommen. Ich gebe Ihnen Recht, dass wir beim Steuer-echt zu Vereinfachungen kommen müssen
nd dass es für viele Menschen unerträglich ist, festzu-tellen, dass unser Steuerrecht aufgrund von Einzelfall-ntscheidungen in den letzten Jahrzehnten insgesamt im-er komplizierter, damit aber auch immer ungerechtereworden ist.
Ich gebe Ihnen auch Recht, dass wir mehr Berechen-arkeit, Planungssicherheit und Kalkulierbarkeit brau-hen, weil das für die Unternehmen in der Bundes-epublik Deutschland Voraussetzungen sind, die sie fürhre wirtschaftliche Entwicklung brauchen. Der Standorteutschland bleibt, was die Standortentscheidungen dernternehmen angeht, attraktiv, wenn solche vorausseh-aren Entscheidungen und die Veränderungen, die in ge-issen Bereichen bestimmt notwendig sind – daraufomme ich noch zu sprechen –, auch in den Unterneh-en und in den Köpfen ihrer Mitarbeiter klar sind, damitie wissen, was auf sie zukommt.Wir wissen auch, dass wir es im Zusammenhang miter EU-Osterweiterung – aber nicht erst dadurch; dasar schon vorher der Fall – mit Ländern zu tun haben, inenen, gerade im Bereich der Unternehmensbesteue-ung, Steuersätze gelten, die weit unter unseren liegen.en Rednern der FDP, die darauf hinweisen, dass derörperschaftsteuersatz in Österreich von 35 bzw.0 Prozent auf 25 Prozent gesenkt wurde, kann ich iniesem Zusammenhang nur „Guten Morgen!“ sagen;enn in der Bundesrepublik Deutschland beträgt derörperschaftsteuersatz bereits 25 Prozent.
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Christine Scheel– Herr Dr. Solms, es ist richtig, dass die Gewerbesteuernoch hinzukommt.
– Ja, aber auch in Österreich gibt es Zuschlagsteuern;das wissen Sie.
Wenn man ehrlich ist, muss man alle Steuerarten, die,was die Leistungsfähigkeit betrifft, eine Rolle spielen,berücksichtigen. Man kann nicht immer nur einzelneSteuerarten, deren Satz niedrig ist, herausgreifen undsagen: Das ist aber Klasse; da müssen auch wir hinkom-men. Man muss auch berücksichtigen, welche Konse-quenzen das in fiskalpolitischen Zusammenhängen ins-gesamt hat.
Ich sage Ihnen auch, dass zum Beispiel in der Slowa-kei Steuersätze von drei mal 19 Prozent gelten: bei derEinkommen- bzw. Lohnsteuer, bei der Körperschaft-steuer und bei der Mehrwertsteuer. Diese Entscheidungist dort getroffen worden. Ich bin mir aber nicht sicher,ob die Entscheidung bezüglich dieser Steuersätze, wasdie Belastung der Bevölkerung insgesamt anbelangt,dort in den nächsten Jahren aufrechterhalten wird. Dennman muss einen Einkommensteuersatz in Höhe von19 Prozent für die Bezieher kleiner und mittlerer Ein-kommen auch im Verhältnis zu unseren Vorschlägen se-hen. Im Gesetzblatt steht für das nächste Jahr ein Ein-gangssteuersatz von 15 Prozent.
Das gilt auch für den Mehrwertsteuersatz von 19 Pro-zent; denn bei uns beträgt der Mehrwertsteuersatz16 Prozent.Hinzu kommt noch etwas anderes, was man nicht ver-gessen darf:
Bei uns ist der gesamte Bedarf an Lebensmitteln und andem, was die Menschen zum Leben brauchen – Kultur-güter, Zeitungen und vieles mehr –, mit 7 Prozent Mehr-wertsteuer belegt.
In der Slowakei zahlen normale Arbeitnehmer bzw. Ar-beitnehmerinnen 19 Prozent Einkommensteuer. DieMehrwertsteuerbelastung für die Artikel, die ich geradegenannt habe, und auch für Lebensmittel beträgt dortaber 19 Prozent. Wenn man sich also die Einkommenssi-tuationen hier und dort anschaut und sie in Verhältnis zu-einander setzt, stellt man fest, dass die Belastung der Be-zieher kleinerer und mittlerer Einkommen zum BeispieliF–otettlswvsa1anztnrduumvesasfgfissbZbmfdWiSndwRmS
Ich kritisiere, dass pauschal immer so getan wird, alsb niedrige Steuersätze auch niedrige Belastung bedeu-en. Wer das Zusammenwirken der verschiedenen Steu-rarten betrachtet, weiß, dass das nicht richtig ist.
Ich bitte Sie, dass wir mit Blick auf die EU-Osterwei-erung mit großer Ernsthaftigkeit überlegen, was manun kann, damit die Attraktivität des Standortes Deutsch-and gewährleistet bleibt und sich punktuell auch verbes-ert. Wir wissen, wir haben wirtschaftliche Schwächen,ir haben nicht das Wachstum, das wir brauchen; das istöllig klar.Was aber nicht geht, ist, dass wir uns bei den Steuer-ätzen für Körperschaften daran orientieren, dass sie innderen Ländern teilweise unter 15 oder sogar unter0 Prozent liegen. Das wäre unfair gegenüber 80 Prozentller Unternehmen, kleinen und mittelständischen Unter-ehmen in Deutschland, die keine Körperschaftsteuerahlen, sondern Einkommensteuer, weil sie Personenun-ernehmen sind. Denen kann man keinen Steuersatz vonur 10 oder 15 Prozent anbieten, weil wir dann Schwie-igkeiten hätten – das hat auch Herr Poß ausgeführt –,ie notwendigen Finanzierungen für unsere Infrastrukturnd für die Zukunftsaufgaben in diesem Land, Bildungnd Forschung, zu leisten. Das wissen Sie. Deswegenuss man hier sehr vorsichtig sein.Ich persönlich sage: Wir müssen das alles noch in denerschiedensten Zusammenhängen diskutieren. Ich haltes für richtig, dass der Bundeskanzler sagt: Man mussich über bestimmte Grundlagen verständigen, die fürlle Länder gelten sollen. Ich halte es für richtig, dass ge-agt wird: Wir müssen bei den Unternehmensteuern da-ür sorgen, dass die Bemessungsgrundlage in allen Mit-liedstaaten die gleiche ist. Auch ich persönlich halte esür richtig – das hat nicht der Kanzler gesagt, das sagech jetzt –, dass man darüber nachdenkt, Mindeststeuer-ätze einzuführen, genauso wie wir es bei der Mehrwert-teuer oder bei der Umsatzsteuer kennen, dass wir einenestimmten Korridor vorgeben. Das werden wir für dieukunft in den europäischen Gremien zu diskutieren ha-en; denn es kann nicht angehen, dass Wettbewerb im-er nur zu Dumping, zu einer Bewegung nach untenührt.Wir brauchen die Finanzierbarkeit unserer Systeme;as gilt für alle anderen Länder auch. Viele haben imettbewerb aufzuholen – das ist richtig –, sie brauchenn dieser Zeit Vorteile – auch das ist richtig –, aber dieätze müssen sich mit der Zeit angleichen, und das kannicht auf dem niedrigsten Level geschehen, wenn wiras finanzieren können wollen, was notwendig ist. Des-egen bitte ich in diesem Zusammenhang auch um mehredlichkeit: Wenn man Dinge vergleicht, soll man Äpfelit Äpfeln vergleichen und nicht Birnen mit Äpfeln, wieie das immer tun.
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Christine ScheelDanke schön.
Das Wort hat jetzt Professor Kurt Faltlhauser, Staats-
minister der Finanzen des Freistaats Bayern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Poß hat gerade den Versuch gemacht, die Geschlos-senheit der Union in der Steuerpolitik infrage zu stellen,indem er darauf hingewiesen hat, dass es einen Berichtmit Berechnungen über die Kosten der verschiedenenKonzepte gibt, die auf dem Markt sind, und wie sie zubeurteilen sind. Dieser Bericht war die Auftragsarbeitder Verwaltung; der Auftrag ist von den Ministerpräsi-denten vergeben worden. Wertungen durch die Ministersind an keiner Stelle bestätigt worden.
Ich erkläre als Finanzminister des Freistaates Bayern
ausdrücklich, dass das, was hier heute als Gegenstandder Debatte vorliegt, das Ergebnis langer Arbeit und in-tensiver Debatte zwischen CDU und CSU, zwischenHerrn Merz und mir,
zwischen den Fachleuten ist. Die Union hat mit diesemPapier ein intensiv diskutiertes Konzept auf dem Tisch;wir haben ein Konzept.Diese Bundesregierung steht dagegen mit leeren Hän-den da; das ist der eigentliche Punkt.
Sie hätten auch Ihre Kreativität bemühen können, HerrPoß, um ein entsprechendes Konzept nach Ihrem Gustovorzulegen.
Der Kollege aus Schleswig-Holstein hat sich jetzt alleinebemühen müssen und hat ein Konzept auf den Tisch ge-legt. In der wichtigen Frage der grundsätzlichen Reformder Steuerpolitik hat die Opposition, sowohl die FDP– ich will es inhaltlich nicht beurteilen – als auch dieUnion, ein Konzept auf dem Tisch. Wir stehen vor denBürgern und sagen zu ihnen: Das ist unser Angebot.Zugegeben, entscheidend in diesem Zusammenhangist zunächst die Frage der Finanzierbarkeit. Angesichtsdessen, dass die Bundesregierung die Nettoneuverschul-dung in diesem Jahr voraussichtlich auf etwa 45 Milliar-den Euro erhöhen wird – zu den 29,3 Milliarden Euro,mit denen man gerechnet hat, werden bis zu 15,8 Mil-liarden Euro hinzukommen –, angesichts dessen, dassdlcemEadjMagStEcfdWlCbdsU2wsKDLeebsraneeglkGdagtAin
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Dagegen spricht das Einstimmigkeitsprinzip. Das kön-nen und wollen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt mitSicherheit nicht aufheben.Inzwischen zweifle ich an meiner alten Auffassung,dass wir die direkten Steuern nicht harmonisieren dürfenund können.
Ich glaube vielmehr, der Binnenmarkt insgesamt erfor-dert zunehmend, dass man auch die Harmonisierung derdirekten Steuern betrachtet. Wir haben es uns zu leichtgemacht, indem wir nur die indirekten Steuern harmoni-siert haben. Die Harmonisierung ist eine mittel- undlangfristige Aufgabe. Gegenwärtig kann das angesichtsder niedrigen Steuersätze einiger Länder im Osten nichtThema sein.Der dritte und, wie ich meine, entscheidende Grund,warum wir jetzt entsprechend initiativ werden müssen,ist die Verkomplizierung; Kollege Merz ist daraufschon eingegangen. Es wurden Zahlen genannt, wieviele Gesetze und Verordnungen wir haben. Beispiels-weise gibt es 182 Paragraphen im Einkommensteuer-recht. Ich habe mich gestern auf der traditionellenFinanzamtsvorstehertagung mit den Leitern der Finanz-ämter getroffen. Diese haben mir vorgehalten und detail-liert erläutert, dass sie in vielerlei Hinsicht nicht mehr inder Lage sind, das Steuerrecht, das wir haben, mit ihrenFachleuten zu vollziehen. Denn nicht nur die Gegeben-heiten des Steuerrechtes sind kompliziert und durchdiese Bundesregierung immer komplizierter geworden,sondern auch die Geschwindigkeit der Änderungen hatsich erhöht und die Qualität des Steuerrechtes – dabeischaue ich Sie von Rot-Grün an – ist in den letzten Jah-ren miserabel geworden ist.
Wir muten unseren Beamten eine ungeheure Arbeit zu.Man hört immer wieder, dass es bei den Beamten vielFrustration gibt. Dies liegt vor allem an der Aufgaben-stellung und an der Geschwindigkeit, mit der die Ar-beitsgrundlagen geändert werden.
Herr Eichel sagt, auch er sei für eine drastische Ver-einfachung, man könne ihn sofort dabei haben. Gleich-zeitig sagt er aber, wir könnten uns gegenwärtig keineNettoentlastung im Steuerrecht leisten. Dies ist ein dra-matischer Widerspruch in sich. Frau Hendricks, wennman vereinfachen will, dann muss man natürlich aucheine Vielzahl von Sonderregelungen – zum Beispiel dieSteuerbefreiungen gemäß § 3 Einkommensteuergesetz,Werbungskosten oder Sonderausgaben – beseitigen.Dies ist im Ergebnis eine Belastung für weite Teile derBiAtWSkssDmdtdlgldmDIleFKrIfssuVdüUSgggIdRßzzhb
ür mich ist die Progression der Einkommensteuer einernpunkt unseres Sozialstaatsprinzips. Andere in Eu-opa können kampfbereit ruhig eine Flat Tax einführen.ch bin nicht dafür. Welche Art des Anstiegs man ein-ührt – einen Stufentarif, Herr Solms, oder eine Progres-ion –, ist, wenn man von der finanziellen Wirkung ab-ieht, eher eine Geschmackssache. Insofern haben wirns auf einen guten Kompromiss geeinigt. Gemäß demorschlag von Friedrich Merz soll in der zweiten Stufeann ein Stufentarif vereinbart werden.Bei der Erbschaftsteuer wollen wir die Betriebs-bernehmer entlasten. Deshalb haben wir, solange dasnternehmen fortgeführt wird, eine Reduzierung derteuerbelastung um jährlich 10 Prozent in das Sofortpro-ramm eingebaut. Dies ist sofort umzusetzen. Ichlaube, wir haben hier ein überzeugendes Konzept vor-elegt. Herr Kollege Runde und Herr Poß, ich höre aushren Reihen, dass das positiv beurteilt wird. Auch vonen Finanzministern der A-Länder höre ich sehr positiveeaktionen. Ja, dann machen wir es doch endlich! Drau-en gehen jährlich Arbeitsplätze verloren, weil es dieseusätzliche Steuerbelastung aufgrund der Regelungenur Erbschaftsteuer gibt. Die Unternehmen geben des-alb auf, wodurch wir Arbeitsplätze verlieren. Wir ha-en keine Zeit zu verlieren. Machen Sie mit!
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9461
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Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser
Voraussetzung dafür ist aber, dass Sie diese Gelegen-heit nicht nutzen, um aus ideologischen Gründen bei derErbschaftsteuer insgesamt wieder draufzupacken. FrauHendricks, wir brauchen uns nicht darüber zu wundern,wenn beim Gang über die Brücke in die Steuerehrlich-keit Zögerlichkeiten festzustellen sind. Auch ich würdenicht zurückkommen, wenn es ständig Drohungen gäbe,dass die Erbschaftsteuer doch noch erhöht wird.
Sie haben hier eine Chance. Ergreifen Sie sie bitte! Wirmachen dann mit.Bei Erstellung dieses Gesamtkonzepts sind wir jedeeinzelne Position – auch des § 3 Einkommensteuerge-setz – durchgegangen. Das war kein einfacher Job. Dasheißt, die Union, CDU und CSU, hat zu einer sehr tiefgreifenden Übereinstimmung bei vielen Details gefun-den. Auf diese Weise sind wir in der Lage, schnell ge-setzgeberisch tätig zu werden.Wir haben uns dabei drei Aufgaben gestellt: Erstens.Wir wollen ein einheitliches, zusammenhängendes undsystematisches Einkommensteuerrecht vorlegen. Es gibtzwar bereits eine Vorlage auf der Basis des Kölner Kon-zeptes, aber auch die dortigen Experten meinen, dass esnoch weiterentwickelt und vertieft werden muss. In zweiJahren wird mit Sicherheit ein Gesamtkonzept auf demTisch liegen, Herr Kollege Merz, das dann schnell um-gesetzt werden kann.Zweitens. Wir müssen die Unternehmensbesteue-rung angehen. Dabei wollen wir am Dualismus vonprogressiver Einkommensteuer und proportionaler Kör-perschaftsteuer festhalten. Ziel muss sein, die Besteue-rungsrechtsform und Finanzierungsneutralität unter Be-rücksichtigung der europäischen und internationalenEntwicklungen sicherzustellen. Dabei sind eine Reihevon Vorgaben zu berücksichtigen. Ich nenne hier nur dasWahlrecht zwischen Einnahmeüberschussrechnung undSteuerbilanzierung. Das Steuerbilanzrecht muss unterLösung von handelsrechtlichen Maßgeblichkeiten ver-selbstständigt und neu gefasst werden. Eine steuerlicheGewinnermittlung auf der Grundlage von IAS oder IFRShalten wir – das wurde vorgeschlagen – für nicht vertret-bar. Das würde dieses Land und die hiesigen Betriebemit Sicherheit überfordern.Diese Aufgabenstellung hat in diesem Land wederdiese Bundesregierung noch ein Verband – auch wirnoch nicht – in der grenzüberschreitenden Komplexitätabschließend gelöst. Herr Merz, wir haben uns zweiJahre Zeit dafür gegeben, um diese Probleme mithilfeder entsprechenden Experten zu lösen, damit wir auch indiesem Bereich ein international wettbewerbsfähigesSteuerrecht für die Unternehmen schaffen können.Drittens. Die letzte Hausaufgabe ist die Gemeindefi-nanzreform. Dazu gehört auch die Reform der Gewer-besteuer, die man nur noch als Fossil bezeichnen kann.Man kann die Finanzierungsprobleme der Kommunen,die wir sehen und anerkennen, nicht dadurch lösen, dassman sich bei der Substanzbesteuerung der Unternehmenschadlos hält. Das ist zu einfach. Das haben wir verhin-dert. Wir haben durch das Sofortprogramm und die Ab-stcdmmadndpbtKsszDwRtkrBlrsctnrDggsBecgE
Uns bleiben noch zwei Jahre, um unsere Hausaufga-en zu erledigen. Dann wird ein über den heutigen An-rag hinausgehendes Gesamtkonvolut an steuerlicheronzeption vorliegen, wie es in der Nachkriegsge-chichte dieses Landes noch nie der Fall war. Die Um-etzung wird zügig erfolgen. Ich bin zutiefst davon über-eugt, dass uns der Wähler dafür den Auftrag gibt.ieses Land wird dann beim Steuerrecht wieder wettbe-erbsfähig werden. Dies wird den Anstoß für einenuck in diesem Land geben, damit es zu einem vernünf-igen Wachstum kommt und wir wieder Politik machenönnen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-
in Barbara Hendricks.
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-egen! Herr Kollege Faltlhauser, ich stimme Ihnen in Ih-er Bewertung des europäischen Steuersystems zu. Ichtimme in Ihrer Aussage zur Flat Tax zu. Ich widerspre-he Ihrer Aussage, dass aufgrund der Erbschaftsteueräglich Arbeitsplätze verloren gehen. Ich will damiticht die Reformbedürftigkeit der Erbschaftsteuer in Ab-ede stellen. Aber es gibt in der Bundesrepublikeutschland keinen einzigen Nachweis dafür, dass auf-rund der Erbschaftsteuer ein Unternehmen in Konkursegangen ist. Darum widerspreche ich dieser Aussageehr deutlich. Das darf so nicht stehen bleiben.
Ich habe in vielen Debatten darum gebeten, mir eineispiel dafür vorzulegen, aber es hat mir noch keinerin Beispiel nennen können. Wir haben auch entspre-hende Umfragen bei den Landesfinanzverwaltungenemacht. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen:s gibt kein Beispiel.
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9462 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara HendricksDas heißt nicht, dass man sich dieses Themas nicht an-nehmen sollte; das will ich gar nicht bestreiten. Aber fürIhre Behauptung gibt es keinen Beleg.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
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Ja, bitte.
Frau Staatssekretärin, würden Sie bitte zur Kenntnis
nehmen, dass beim Generationenübergang die Investiti-
onskraft insbesondere der besser situierten Unternehmen
am stärksten geschwächt wird und damit tagtäglich die
Schaffung von Arbeitsplätzen verhindert bzw. der Ver-
lust von Arbeitsplätzen eingeleitet wird?
D
Herr Kollege, ich will gar nicht bestreiten, dass die
Belastung mit der Erbschaftsteuer die Investitionskraft
im fortgeführten Unternehmen schmälert. Das ist doch
keine Frage. Ich habe auch nicht in Abrede gestellt, dass
wir diesbezüglich Überlegungen anstellen sollten. Ich
bin wirklich dafür, sich das gründlich anzusehen. Ich
habe die Reformnotwendigkeit nicht in Abrede gestellt.
Ich habe nur der Behauptung widersprochen, dass täg-
lich Arbeitsplätze wegen der Erbschaftsteuer verloren
gehen, weil das nicht stimmt. Es gibt eine zehnjährige
Stundung. Selbstverständlich werden Stundungen von
der Finanzverwaltung verlängert, wenn es sonst zur In-
solvenz des Unternehmens käme.
Es ist doch alles Unsinn, was Sie hier behaupten. Man
muss wirklich keinen Unsinn behaupten, um möglicher-
weise eine gemeinschaftliche Initiative zur Erbschaft-
steuer befördern zu wollen.
Ich bin gerne dazu bereit, aber man sollte keine überzo-
genen Äußerungen machen, die nicht stimmen.
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?
D
Ja.
Auch ich möchte Ihnen zum Geburtstag gratulieren.
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ind dann 200 Millionen Euro, verteilt auf neun Kindernd über zehn Jahre, vielleicht nicht doch zu erwirt-chaften?
äre das Unternehmen deswegen in seiner Existenz be-roht, ja oder nein? Diese Frage stellt sich doch.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9463
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Offensichtlich reizen Sie die Kollegen zu vielen Zwi-
schenfragen. Mehr als drei werde ich in einer kurzen
Rede nicht zulassen. Wenn Sie das aber möchten, bitte.
Ich verstehe nicht, warum Sie sich an Ihrem Geburts-
tag so echauffieren.
Können Sie nachvollziehen, dass es einem Unterneh-
mer wie Herrn Müller sehr schwer gefallen ist, so in die
öffentliche Diskussion zu kommen? Herr Müller konnte
nachweisen, dass er im Wettbewerb mit den Großkon-
zernen, die keine Erbschaftsteuer zahlen müssen, die
notwendige Expansion am Markt nicht leisten konnte
und durch die Investitionen, die er in den neuen Bundes-
ländern getätigt hat, in Verbindung mit dem Kapitalab-
fluss durch eine Erbschaftsteuerzahlung in große finan-
zielle Schwierigkeiten gekommen wäre. Das hat er
nachgewiesen. Ich bitte Sie deshalb, Herrn Müller zu
verstehen,
dass er dieses Anliegen –
Herr Kollege, was ist Ihre Frage?
– im Gegensatz zu vielen anderen mittelständischen
Unternehmern öffentlich vorgebracht hat.
Dr
Herr Kollege Michelbach, meine Beurteilung desVorgangs habe ich gerade dargelegt. Ich kann nichtnachvollziehen, dass es Herrn Müller schwer gefallenist, sein Anliegen in der Öffentlichkeit darzulegen; denner ist selber mit einem Interview an die Öffentlichkeitgetreten.
Kritik am Steuersystem ist immer wohlfeil. Die Op-position kann zwar immer wieder versuchen, den Bürge-rinnen und Bürgern einzureden, das Steuersystem sei un-verständlich oder ungerecht. Aber dabei darf natürlichnicht die wichtige Tatsache außer Acht gelassen werden,dass bei den einfachen Lebenssachverhalten – das be-trifft die Masse aller Steuerpflichtigen und Steuererklä-raEMsrwhvcietswwkedwnwmEimVenmmDMmvmmuwvfi–KSgzFboddp
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9464 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Die Bundesregierung hat mit ihrer Steuerreform 2000das größte Steuersenkungsprogramm in der Geschichteder Bundesrepublik umgesetzt. 2005 wird der Eingangs-steuersatz bei der Einkommensteuer, der im Jahre 1998noch bei 25,9 Prozent lag – das fiel in Ihre Regierungs-verantwortung –, auf 15 Prozent gesunken sein. Das istein historischer Tiefstand. Von 2005 an wird der Spitzen-steuersatz 42 Prozent betragen. 1998, also vor knappsechs Jahren, als Sie in der Regierungsverantwortungwaren, lag er noch bei 53 Prozent. Insgesamt sorgt dieSteuerreform 2000 für Entlastungen in Höhe von rund32 Milliarden Euro bis 2005, und zwar nicht einmalig,sondern Jahr für Jahr.
Wir haben damit nicht nur im historischen, sondernauch im internationalen Vergleich sehr niedrige Steuer-sätze. Um das an zwei ganz konkreten Beispielen deut-lich zu machen: Ein Lediger mit einem Einkommen von25 000 Euro zahlte 1998 noch 4 700 Euro Steuern. 2005wird er nur noch 3 600 Euro zahlen. Er hat also 1 100 Euromehr in der Tasche. Eine Arbeitnehmerfamilie mit zweiKindern und einem Einkommen von 37 500 Euro wurde1998 unter Einbeziehung des Kindergeldes noch mit3 000 Euro belastet. 2004 zahlt sie unter Einbeziehungdes Kindergeldes nur noch knapp 60 Euro. Von 2005 anbekommt sie unter dem Strich sogar 12 Euro heraus. EinP3mmEtbsuIlnMndSswumsiddhdahbE44rrhssgww–mssWAmfk
Im Unternehmensteuerbereich hat sich ebenfallsntscheidendes getan. Seit 2001 haben wir ein europa-augliches, deutlich vereinfachtes und international wett-ewerbsfähiges Unternehmenssteuerrecht. Die Körper-chaftsteuer haben wir auf 25 Prozent für thesauriertend ausgeschüttete Gewinne reduziert. Zur Erinnerung:n der Zeit, als Sie die Regierungsverantwortung hatten,agen die Steuersätze bei 45 und 30 Prozent. Mit demeuen Halbeinkünfteverfahren haben wir auch in Europaaßstäbe gesetzt. Italien hat das System bereits über-ommen. Frankreich wird dem Beispiel wohl folgen.In Zukunft werden wir weiter daran arbeiten, daseutsche Steuerrecht internationalen Gegebenheiten undtandards anzupassen. Unter anderem wird das Außen-teuerrecht entsprechend zu reformieren sein. Außerdemollen wir das EG-Recht künftig aktiver – so weit das innseren Möglichkeiten liegt; wir sind hier ja schon im-er aktiv gewesen – in die Richtung beeinflussen, wieie vorhin von Herrn Faltlhauser angesprochen wordenst, nämlich eine Verknüpfung mit den Infrastrukturför-ermitteln herzustellen, die nicht nur die neuen EU-Län-er, sondern auch die bisherigen Mitglieder der EU er-alten.Die Bundesregierung hat im Übrigen auf dem Felder Subventionen, das sie alleine beeinflussen kann unduf dem sie nicht durch Ihre Mehrheit im Bundesrat be-indert werden kann, Wesentliches geleistet. Von 1998is 2004 werden die Finanzhilfen von 11,4 Milliardenuro auf knapp unter 7 Milliarden Euro, also um rund,4 Milliarden Euro bzw. knapp 40 Prozent gesenkt.0 Prozent weniger Subventionen als bei der Regie-ungsübernahme! Im Finanzplan bis 2007 ist ein weite-er Abbau auf weniger als die Hälfte vorgesehen.Das, was die Opposition auf diesem Gebiet zu bietenat, gleicht eher einem Trauerspiel. Von der im ur-prünglichen Konzept vom Kollegen Merz noch vorge-ehenen „radikalen Streichung steuerlicher Vergünsti-ungen“ ist kaum mehr etwas übrig geblieben. Selbst dieohnungsbaupolitisch verfehlte und ökologisch frag-ürdige Eigenheimzulage soll unangetastet bleiben.
Daran können Sie sehen, wie mutig Sie sind und wieodern Ihr Steuerrecht in einer Zeit ist, in der es Leer-tände nicht nur in den neuen Bundesländern, sondernogar auch in ländlichen und städtischen Räumen imesten unserer Republik gibt.CDU und CSU können mit dem heute vorgelegtenntrag kaum überdecken, dass sie eigentlich keine ge-einsame finanzpolitische Position haben. Sonntags tra-en sich die Präsidien der beiden Parteien. Der Bergreißte und gebar eine Maus, die er „Konzept 21“
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9465
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Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricksnannte. Bekanntlich haben Mäuse kein sehr langes Le-ben.
Frau Kollegin Hendricks, Sie sind mittlerweile schon
mehrfach mit Glückwünschen bedacht worden. Nun
möchte auch ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses
herzlich gratulieren. Das hätte ich gerne vorher gemacht;
leider wusste ich es aber nicht. Umso herzlicher ist mein
Glückwunsch.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Otto Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Jeden Monat, beinahe jede Woche müssen wirdiese Debatte führen. Die gesamte Fachwelt in Deutsch-land, alle steuerpflichtigen Bürger in Deutschland, dieSteuerverwaltung – alle wissen, dass es mit diesem cha-otischen Steuerrecht so nicht weitergehen kann.
Das Steuerrecht ist zu kompliziert, die Steuerbelas-tung ist zu hoch, die Steuergerechtigkeit ist grundsätz-lich verletzt. Nur die Bundesregierung hat das noch nichtverstanden und deswegen kommen wir nicht voran. Dasist ganz einfach.
Frau Kollegin Hendricks, Sie wissen so gut wie ich:Wenn damals, nach den Petersberger Beschlüssen,
die vom Bundestag beschlossene Reform vom Bundes-rat, dem der damalige hessische Ministerpräsident, Ihrheutiger Finanzminister, angehörte, nicht blockiert wor-den wäre, dann hätten wir seit dem 1. Januar 1998 einenSpitzensteuersatz von 39 Prozent.
Also: Rühmen Sie sich der 42 Prozent, die im nächstenJahr gelten sollen, nicht! Ihre Politik hat uns viele JahreGeld gekostet. Alle Bürger müssen das bezahlen und da-für tragen Sie die Verantwortung.
Ich möchte auf die Notwendigkeiten zurückkommen.Wir haben hier am 12. Februar ein ausformuliertes,neues Einkommensteuergesetz eingebracht. Es hat in derFachwelt hohe Anerkennung gefunden. Wir haben in ei-nem Wettbewerb sogar einen Preis von 40 000 Euro ge-wonnen. Ich glaube, das ist in der Geschichte der Bun-desrepublik noch keiner Partei gelungen. DieseEinbringung war eine Aufforderung an alle Fraktionendieses Hauses, sich dieser elementar notwendigen Auf-gabe zu stellen. Das war keine Aktion der Opposition,um sich zu profilieren. Das geschah vielmehr in derHSdwUCltheHnbZpSmwvdtEE1gdDwsudgESkrfDuwddlkl
ann müssen wir sofort nach der gewonnenen Bundes-agswahl handlungsfähig sein. Diese Wahl findetnde 2006 statt.
ine solche Reform kann also frühestens zum. Januar 2008 in Kraft treten. Das wird aber nur gelin-en, wenn wir konzeptionell so weit vorbereitet sind,ass die Gesetzgebungsarbeit bis Mitte 2007 erledigt ist.eswegen müssen die Vorbereitungen jetzt getroffenerden, und zwar mit konkreten Ergebnissen; sonstchaffen wir das nicht.
Herr Kollege Faltlhauser, ich habe, was den Zeitplannd die Prioritäten anbetrifft, ein Problem. Ich glaube,ass die Gemeindefinanzreform als Erstes auf den Wegebracht werden muss; denn die Abschaffung oder diersetzung der Gewerbesteuer ist der Schlüssel zurteuervereinfachung. Die Gewerbesteuer ist ein Fremd-örper in unserem Steuerrecht und passt auch in das eu-opäische Steuerrecht überhaupt nicht hinein.Wir brauchen also eine gemeindefreundliche Ersatz-inanzierung. Die können wir nur gemeinsam finden.as wird nicht nur über einen Zuschlag zur Einkommen-nd Körperschaftsteuer möglich sein; vielmehr brauchenir eine deutliche Erhöhung des Anteils der Gemein-en an der Umsatzsteuer,
amit die Gemeinden eine gleichmäßig fließende ver-ässliche Steuerquelle erhalten. Der Verteilungsschlüsselann wirtschaftsbezogen und damit wirtschaftsfreund-ich ausgestaltet werden.
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Dr. Hermann Otto SolmsDarüber müssten wir uns am schnellsten einigen. Dasist aber – das weiß ich genau; wir haben uns mit dieserFrage intensiv beschäftigt – das Schwierigste von allem.
Ich fordere Sie auf, mit uns gemeinsam ein Konzeptdazu vorzulegen, damit wir dann ohne Gewerbesteuerein wirklich einfaches Steuerrecht realisieren können.Die Gemeinden sind für unsere wirtschaftliche Ent-wicklung von fundamentaler Bedeutung.
Die Gemeinden haben heute kein Geld. Da herrscht dieblanke Not. Dringend erforderliche Reparaturarbeiten anSchulen, Kindergärten, Sportstätten, Krankenhäusernund Straßen werden mangels ausreichender Finanzaus-stattung nicht vorgenommen. Gelder für Jugendarbeitwerden gestrichen. Büchereien, Sportstätten, Museenund Theater werden geschlossen. Eintrittsgelder für ver-bleibende kommunale Einrichtungen werden – bei ver-kürzten Öffnungszeiten – erhöht. Die Gemeinden habenmit ihrem Auftragsverhalten für das örtliche Gewerbeeine fundamentale Bedeutung. Wenn wir sie nicht in dieLage versetzen, wieder vernünftige Haushalte zu gestal-ten und Ausgaben zu tätigen, werden wir auch die regio-nale Wirtschaftskraft nicht stärken. Dieser Zusammen-hang ist zu sehen.Wenn das nicht gelingt, dann bricht uns die Basis, derkleine Mittelstand und das Gewerbe, weg. Auf diesemWeg befinden wir uns gerade. Wenn Sie das nicht erken-nen und nicht bereit sind, zu Lösungen zu kommen, dannsehe ich für die weitere wirtschaftliche Entwicklungschwarz.
Da nützt es auch nichts, wenn Sie uns neue Zahlen nen-nen, was die Exporterfolge anbetrifft; denn die Export-statistik sagt überhaupt nichts darüber aus, wo die Wert-schöpfung stattgefunden hat. Die Wertschöpfung findetin immer größerem Maße in ganz anderen Ländern undnicht in der Bundesrepublik Deutschland statt.Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas sagen,weil ich eine bestimmte Diskussion leid bin. Sie haltenuns immer vor, wir hätten in Deutschland die niedrigsteSteuerquote. Entscheidend ist die Belastung des Gewer-bes, der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes.Dazu hat uns interessanterweise der Bundesfinanzminis-ter Eichel am 24. März dieses Jahres in einem Brief andie Fraktionsvorsitzenden in diesem Haus im Zusam-menhang mit der Frage der Abgeltungsteuer mitgeteilt,dass eine Abgeltungsteuer nicht möglich sei, weil sie zueiner Besserbehandlung der Kapitaleinkünfte gegenüberdem investierten Kapital führen würde. Er hat geschrie-ben: Erträge aus Fremdkapital, also Zinsen, wären nurmit der niedrigeren Abgeltungsteuer belastet, zum Bei-spiel 30 Prozent, während Erträge aus Eigenkapital– jetzt kommt es – selbst nach In-Kraft-Treten der letz-ten Stufe der Steuerreform 2000 ab dem Jahr 2005 mitbis zu 52,24 Prozent belastet blieben.
–Ici–nwKwwVHFPdmbKzsgdBdndeiGgKdvw
Sie plädieren jetzt für eine wirtschaftskraftbezogeneemeindesteuer. Es bleibt völlig im Leeren, was Sie ei-entlich wollen. Das ist insgesamt das Problem diesesonzeptes 21. Es bewegt sich in einem Bereich von me-ientauglichen Halbwahrheiten. Es ist halbkonkret. Anielen Stellen bleibt offen, was genau Sie wollen undie Sie es machen wollen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9467
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Kerstin AndreaeDie Frage, die das Konzept wirklich verschleiert, ist dieArt und Weise der Gegenfinanzierung. Am Schluss die-ses Konzeptes findet sich ja ein Finanztableau, aller-dings nur für das Sofortprogramm. Da kommen Sie aufdie besagten 10 Milliarden. Das DIW hat Ihr Konzeptdurchgerechnet und sagt, es kostet 13 Milliarden. DasFinanzministerium spricht von 16 Milliarden. Wir wer-den nachher – es ist ja interessant, dass auch Herr Merzgesagt hat, dass man das im Gesamtkontext sehenmüsse –
eine Debatte über den Gesamtkontext Ihrer Reformenführen. Herr Seehofer spricht davon, dass im Gesamt-kontext Kosten in Höhe von 100 Milliarden Euro entste-hen. Dass Sie ein Konzept haben, wie Sie das gegenfi-nanzieren wollen, können Sie mir nicht im Ernst sagen.
Auch ich finde, dass Sie Recht damit haben, dassVereinfachung Not tut.
Auch ich gebe zu: Ein einfacheres Steuersystem ist eingerechteres Steuersystem, weil dann die Leute verste-hen, wo ihre Steuern bleiben und wie sich die Einnah-men strukturieren. Nur, das Junktim, dass Vereinfachungnur mit Tarifentlastung gehe, sehen wir so nicht. Wir ha-ben eine Einkommensteuerreform auf den Weg ge-bracht, die im Jahre 2005 zu einem Eingangssteuersatzvon 15 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 42 Pro-zent führt. Bei den Eckwerten macht das insgesamt11 Prozentpunkte weniger aus als 1998. Da ist unsereTarifentlastung. Das ist gut so. Aus unserer Sicht istaber kein weiteres Entlastungsvolumen möglich.Ich sehe allerdings, dass wir im Bereich der Unter-nehmensbesteuerung etwas tun müssen. Wir stehenhier vor wirklich großen Herausforderungen. Ich warneaber davor, einfache Zusammenhänge herzustellen. Ichhalte es wirklich für billig, zu behaupten, dass es imZuge der EU-Osterweiterung zu Ungerechtigkeitenkomme, weil die neuen Länder zum einen niedrige Steu-ersätze hätten und zum anderen hohe Subventionen emp-fangen würden. Ich glaube, man muss viel genauer hin-schauen, wie sich die Subventionen und die Steuersätzeentwickelt haben, wo es Mitnahmeeffekte gibt und vonwelchen Erwartungen dies geprägt war. Mir ist es zu bil-lig, wenn gesagt wird, die Subventionen seien zu hoch,dadurch würden nur niedrige Steuersätze finanziert.
Nichtsdestotrotz müssen wir uns die Frage stellen,wie wir uns angesichts der neuen Wettbewerber aufstel-len wollen. Wir müssen dabei aber seriös vorgehen. Ichkann in den Vorschlägen des „Konzepts 21“ zur Unter-nehmensteuerreform keine Antwort auf diese Frage fin-den.
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Ein weiterer Punkt noch, der mir besonders wichtigst: die Familienpolitik. Sie sprechen davon, dass dieinderfreibeträge und das Kindergeld erhöht werdenollen. Seit 2001 haben wir in Deutschland 180 Mil-iarden Euro für familienpolitische Leistungen undaßnahmen ausgegeben. Trotzdem haben wir einemographieproblem. Ich behaupte, dass das Demo-raphieproblem, also die mangelnde Bereitschaft, heuteinder zu bekommen, eng mit der ungelösten Frage derereinbarkeit von Familie und Beruf zusammenhängt.eswegen will ich nicht, dass die Transferleistungen er-öht werden, sondern ich will, dass wir Geld für die Ver-esserung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten in dieand nehmen. Qualifizierte und flexible Maßnahmenür Kinder unter drei Jahren und mehr Ganztagsschulenröffnen die Chance, dass sich wieder mehr junge Men-chen für Kinder entscheiden. Ich bezweifle, dass Sieit Ihrem Ansatz in der Familienpolitik, nämlich eineeitere Erhöhung der Transferleistungen vorzusehen,irklich der Lebenswirklichkeit junger Menschen naheommen.
Noch einmal: Eine Einkommensteuerreform ist er-olgt. Wir haben die Eckwerte der Steuertarife gesenkt.etzt einen Unterbietungswettbewerb zu starten haltenir für unseriös. Entlastungsvolumina im Einkommen-teuerbereich sehen wir nicht.Sie treiben uns immer wieder bei der Frage des Stabi-itätspaktes. Das ist angesichts der gemeinsamen Verant-ortung aller politischen Ebenen bezüglich des Schul-enstandes und der Einhaltung der Maastricht-Kriterienuch richtig. Aber Ihre Vorstellungen und Vorschlägeinsichtlich der Finanzierung zeigen nichts von dieseremeinsamen Verantwortung.Meine Damen und Herren von der Union, Sie ver-prechen aus unserer Sicht Manna vom Himmel. Mehrhrlichkeit stünde Ihnen gut zu Gesicht. Aus Ihremierdeckel ist eine Tischdecke mit vielen einzelnen Be-eichen, kleinen Regelungen und Änderungen geworden.on einem Gesamtkonzept kann man hier leider nichtehr sprechen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr vontetten.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Seit Monaten diskutieren wir über die Notwen-digkeit einer umfassenden Reform des deutschen Steuer-rechts. Aber heute, vor allem nach dem Redebeitrag vonHerrn Poß, ist klar geworden: Die Regierung und auchdie Fraktionen von Rot-Grün wollen überhaupt keineSteuerreform mit den Merkmalen einfacher, niedrigerund gerechter. Sie verweigern sich einem modernenSteuerrecht, das unser Land so dringend braucht.Aber es ist ja nicht die erste Initiative, die Sie mit Ih-rer Abgeordnetenmehrheit hier im Deutschen Bundestagverhindern und blockieren.
– Natürlich blockieren Sie! Sie blockieren dieses wich-tige Gesetz.Herr Dr. Solms hat für die FDP deren Steuervor-schläge auf den Tisch gelegt und auch wir bringen un-sere Steuervorschläge heute ein. Nur die Regierung, vonder man das, Frau Staatssekretärin, eigentlich am ehes-ten hätte erwarten können, ist trotz Tausenden von Mit-arbeitern nicht in der Lage, uns Parlamentariern ihr Pro-gramm vorzulegen und deutlich zu machen, wie Sie sichdie Zukunft vorstellen. Die Handlungsunfähigkeit derBundesregierung ist der eigentliche Skandal am heutigenVormittag.
Stattdessen kommt Minister Eichel wieder mit derAbschaffung der Eigenheimzulage. Frau Staatssekretä-rin, Sie haben es angesprochen: Bei unserem Konzeptbleibt die Eigenheimzulage erhalten, weil sie – trotz vie-ler Falschmeldungen – mit der Reform der Einkommen-steuer überhaupt nichts zu tun hat. Sie haben, keine dreiMonate nachdem wir uns im Vermittlungsausschuss aufeine gemeinsame Position geeinigt haben, diese Positionwieder aufgekündigt und die betroffenen Bürger erneuttief verunsichert. Die Betroffenen rufen bei uns an undfragen, welche Versprechen dieser Regierung eigentlichnoch gelten. Bei uns rufen die Betroffenen noch an; ichweiß, dass bei Ihnen schon lange niemand mehr anruft.Sie sind in den Wahlkreisen – wir merken das jede Wo-che – auf Tauchstation gegangen. Sie sind überhauptnicht mehr ansprechbar, weil Sie das, was von der Bun-desregierung wöchentlich neu in die Welt gesetzt wird,nicht mehr vertreten wollen.
Wir haben es heute gehört: Steuerpflichtige Bürgerund deutsche Unternehmen verlassen in Scharen unserLand und gehen dorthin, wo es nicht nur niedrigere Steu-ern, sondern vor allem auch nachvollziehbare Gesetzegibt. Transparenz ist eines der Hauptziele unseres heu-tigen Antrages. Übrigens war das auch einmal eines Ih-rer Ziele. Noch im Jahr 2000 hat die Bundesregierungdie Förderung von Wachstum und Beschäftigung durchein gerechtes Steuer- und Abgabensystem angekündigt,doch das Gegenteil – auch das haben wir heute mehrfachgisfJBdDDbeS1lzPtGsIselSgdsbnmasssnehd
ie Gutachter schreiben:Im Bereich der Steuerpolitik bestehen gegenwärtigerhebliche Defizite. Das deutsche Steuerrecht wirdzunehmend als chaotisch wahrgenommen. … Derdeutschen Steuergesetzgebung fehlt das Leitbild, andem sich die Haushalte und Investoren … ausrich-ten könnten.ie Gutachter fordern daher einen grundlegenden Um-au der Einkommensteuer und der Unternehmensbesteu-rung. Zusätzlich soll die Gewerbesteuer ersetzt werden.ie schlagen Einkommensteuersätze vor, die bei etwa5 Prozent beginnen und bei etwa 35 Prozent enden sol-en.Bei diesen Gutachtern handelt es sich um hochqualifi-ierte Persönlichkeiten. Einen dieser Gutachter, Herrnrofessor Weber, hat der Bundeskanzler vor kurzem un-er Beifall aller Fraktionen und aller gesellschaftlichenruppen als neuen Präsidenten der Bundesbank vorge-chlagen.Ich stelle also fest: Ihre eigenen Gutachter schlagenhnen genau das vor, was Friedrich Merz und der bayeri-che Finanzminister vor wenigen Minuten ausführlichrläutert und vorgestellt haben.
Herr Poß, Hauptleidtragender Ihrer Verweigerungspo-itik ist wieder einmal der Mittelstand.
ie brauchen gar nicht abzuwinken. Allein im Jahr 2003ab es 40 000 Unternehmenspleiten. Frau Hendricks,as bedeutet, alle zwölf Minuten gibt es einen mittel-tändischen Betrieb weniger. Auch wenn Sie heute Ge-urtstag haben, können wir Ihnen diese Feststellungicht ersparen: Dabei handelt es sich nicht um Unterneh-en, die irgendwann einmal zu Beginn des Internetzeit-lters von Glücksrittern gegründet wurden. Die sind allechon in den letzten Jahren verschwunden. Es handeltich vielmehr um mittelständische Betriebe, die schoneit Jahren am Markt existieren und sich jetzt einfachicht mehr halten können, weil sie von der Bürokratierdrückt werden oder aus dem Steuerchaos nicht mehrerausfinden. Sie haben mit Ihren Fehlentscheidungeniese Betriebe mit auf dem Gewissen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9469
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Christian Freiherr von StettenEine letzte Bemerkung.
Ich darf Sie bitten: Handeln Sie jetzt! Werden Sie IhrerVerantwortung gerecht!
Geben Sie Deutschland ein einfaches und gerechtesSteuersystem! Es wurde schon mehrfach darauf hinge-wiesen: Wir können nicht bis 2006, also bis zur nächstenBundestagswahl, warten. Das würde viele weitere Ar-beitsplätze kosten. Wir brauchen jetzt ein neues Steuer-system. Deswegen darf ich Sie bitten, dem Antrag derCDU/CSU-Bundestagsfraktion zuzustimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Staat verlangt von seinen Bürgern Steuer-ehrlichkeit. Dem steht aber zu Recht der Anspruch derBürger entgegen, dass in der Steuerpolitik nicht geflun-kert und nicht vernebelt wird.
Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion istleider ein Musterbeispiel für Flunkern und bewusstesIm-Unklaren-Lassen.Seit dem Herbst vorigen Jahres kündigen CDU undCSU an, es werde einen Entwurf einer großen Steuerre-form geben. Doch über Eckpunkte ist die Union nochimmer nicht hinausgekommen. Manches in Ihrem An-trag liest sich sogar ganz hübsch. Das ist auch kein Wun-der; denn Sie beschränken sich weitestgehend auf dasSchöne und Gute. Klartext ist das nicht.Warum legen Sie eigentlich keinen Gesetzentwurfvor?
– Herr Kollege Seiffert, schauen Sie doch einmal in dasGrundgesetz! Eine Oppositionsfraktion hat das Recht,einen Gesetzentwurf einzubringen.
Wenn Sie meinen, das sei für Sie als Oppositionsfraktionetwas zu mühsam, dann muss ich Ihnen sagen: Sie habendoch Zugriff auf das Fachwissen von wirklich guten undtüchtigen Beamten in den Ministerien der Länder.
Beispielsweise hat das bayerische Finanzministeriumeinen guten Ruf. Bedienen Sie sich doch einfach derUFtkbklczCngghslBpggWmvlTZZw–wswiplsWfa
Vorweg noch der Hinweis: Die Autoren Ihres Antra-es sagen, nicht sie selbst würden einen Entwurf vorle-en, der ihren Grundsätzen folge. Sie fordern vielmehr:ir haben ein paar Grundsätze und die Bundesregierungöge bitte schön einen entsprechenden Gesetzentwurforlegen.Herr Meister hat in diesem Antrag zwei Teile meister-ich formuliert.
eil A beinhaltet das steuerpolitische Grundkonzept derukunft. Für die fernere Zukunft ist ein so genannterieltarif mit bestimmten Stufen vorgesehen.Dann gibt es einen konkreten Teil – er kommt über-iegend aus München –, ein Sofortprogramm.
Der ist sogar viel besser,
eil er zum Teil richtig konkret ist. Da wird einfach ge-agt: Es ist ein linear-progressiver Tarif vorgesehen,eil er sich bewährt hat.Ich bestätige ja Herrn Faltlhauser und auch der CSUnsgesamt gerne, dass sich ihre Darlegungen zur Steuer-olitik von dem, was Herr Merz der deutschen Öffent-ichkeit verkündet, wohltuend unterscheiden. Da herr-chen eine relative Nüchternheit, Konkretheit und sogarirklichkeitsnähe. Auf die legt Herr Merz nicht sourchtbar viel Wert;
ber man kann vielleicht nicht alles haben.
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9470 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Jörg-Otto SpillerIch will nur einmal in Erinnerung rufen, was HerrProfessor Faltlhauser schon vor ein paar Jahren zumStufentarif geschrieben hat, damals nicht mit Blick aufHerrn Merz – dieser hatte sich diese Meinung damalsnoch nicht zu Eigen gemacht –, sondern mit Blick aufHerrn Uldall; das war aber dieselbe Soße. Unter derÜberschrift „Die Lösung kann nur sein: Weg mit demStufengag“ wurde 2001 im „Handelsblatt“ ein schönesInterview mit Herrn Faltlhauser veröffentlicht. Hierausein Zitat:Es wird immer wieder behauptet, ein Stufentarif seidem linear-progressiven Formeltarif überlegen,weil er gerechter und einfacher sei. Dies ist schlichtfalsch: Der Stufentarif vereinfacht nichts, er istgleichzeitig weniger leistungsgerecht. Einige mei-nen nun, jeder Steuerpflichtige könne im Stufenmo-dell seine Steuerbelastung ohne Schwierigkeitenselbst berechnen. Das ist reine Illusion.
Komplex, verwaltungsaufwändig und streitanfälligist allein die Ermittlung der Bemessungsgrundlage,die Anwendung des Tarifs ist dagegen ein Rechen-vorgang und mit Tabellen und Computerprogram-men leicht zu vollziehen.Recht hat Herr Professor Faltlhauser!
Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie in den eigenenReihen noch Erklärungsbedarf haben; das ist ja in Ord-nung. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie in den Darstellungennach außen so tun, als wüssten Sie schon, was Sie wol-len.
Was ich Ihnen noch viel mehr vorwerfe – ich glaube,ein großer Teil der Öffentlichkeit tut dies auch –, ist,dass zwischen dem, was Sie an programmatischen Ziel-vorstellungen verkünden, und dem, was Sie tatsächlichtun, eine sehr große Lücke klafft, ein großer Gegensatzbesteht. Seit Jahren bekennen Sie sich – solange er abs-trakt ist – zu dem Grundsatz, Sonderregelungen undVergünstigungen im Steuerrecht und natürlich auchSubventionen müssten abgebaut werden, damit manSpielraum zur Senkung des Tarifes bekomme. Demkann man nur beipflichten.
Dass wir die Tarife seit 1998 kräftig gesenkt haben,darauf hat Frau Hendricks schon hingewiesen; das brau-che ich nicht zu wiederholen. Bloß, bei dem Abbau vonSteuervergünstigungen und der damit einhergehendenSenkung von Tarifen
sUetnswisBdnhgBdsDgFgEesdbdsDed
Noch schöner: Heute Vormittag hat der Kollegelosbach zum Alterseinkünftegesetz und zur nachgela-erten Besteuerung von Alterseinkünften gesprochen.
r hat ein richtig engagiertes Plädoyer dafür gehalten,ine breite Palette von Möglichkeiten zu eröffnen. Es isticherlich erfreulich, wenn man Vermögen bilden kann,as man zur Alterssicherung heranziehen kann. Sie ha-en sich dafür ausgesprochen, es möglichst frei verwen-en zu können.Was steht in Ihrem Antrag? Dort heißt es zu den Vor-orgeanforderungen:Die Abzugsfähigkeit wird beschränkt auf solcheVorsorgesysteme, die ausschließlich der Alterssi-cherung dienen.
Reue, die aus dem Herzen kommt, klingt anders.
as ist noch nicht einmal ein Lippenbekenntnis zu Ihrenigenen Sünden. Sie anonymisieren die Sünden, es han-elt sich um irgendwelche Sünden, die man keiner Ein-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9471
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Jörg-Otto Spillerzelperson zuordnen kann. Gehen Sie in sich! Die Ein-sicht und die Einkehr folgen dann sicher.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
ehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Wir reden heute nicht über das Urheberrecht, aber wir
müssen einfach festhalten, dass alle Parteien außer der
PDS das Programm der FDP gnadenlos geplündert ha-
ben. Aus einer Steuersenkungspartei sind nun vier Steu-
ersenkungsparteien geworden, die um die Wette die
Steuern senken wollen und den Staat ruinieren. Die FDP
steht nun ziemlich nackt da und kann nur noch mit dubi-
osen Schwarzgeldkonten in den Medien glänzen.
Ich will mich aber auf die CDU konzentrieren. Das
Steuerkonzept der CDU ist ein Konzept für Besserver-
dienende. Die CDU will die FDP-Wähler gewinnen und
hofft, dass die Arbeiter und Angestellten, die immer
noch CDU wählen, den dramatischen Kurswechsel nicht
bemerken. Die ehemalige Volkspartei CDU ist program-
matisch auf dem Weg hin zu einer neoliberalen Partei,
die nur noch die Vermögenden dieser Gesellschaft im
Auge hat und dabei ist, die Wortverbindung „soziale
Marktwirtschaft“ aufzulösen.
Etliche Vorredner sind bereits auf das Gutachten der
Länderfinanzminister eingegangen. In diesem Gutach-
ten der Finanzminister der Länder ist deutlich gemacht
worden, wohin der Trend der Steuermodelle von CDU,
CSU und FDP geht. Gewinner wären Steuerpflichtige in
derzeit hoher Progressionsstufe mit wenig Abzügen, also
Menschen, die sehr gut verdienen.
Verlierer wären dagegen Steuerpflichtige mit gerin-
gen Einkommen und hohen Abzügen oder hohen steuer-
freien Einkünften. So soll der Bezieher eines zu versteu-
ernden Einkommens in Höhe von 15 000 Euro von der
CSU – die genauen Unterschiede werden nachher in der
Aktuellen Stunde besprochen werden – um 286 Euro,
von der FDP um 507 Euro und von Herrn Merz bzw. der
CDU sogar um 787 Euro entlastet werden. Das hört sich
zunächst einmal sehr gut an.
Wenn man das aber mit den Entlastungen, die für Be-
zieher hoher Einkommen vorgesehen sind, vergleicht, ist
das nur ein Trinkgeld. Topverdiener mit einem Jahres-
einkommen in Höhe von einer halben Million Euro sol-
len von der CSU um etwa 15 700 Euro im Jahr entlastet
werden. Herr Merz will sie um fast 32 000 Euro entlas-
ten und die FDP sogar um fast 36 000 Euro.
Schauen wir uns doch einmal an, wie das Geld in
Deutschland verteilt ist. Schon im Jahre 2002 besaßen in
Deutschland 33 Milliardäre zusammen ein Nettogeld-
vermögen von 106 Milliarden Euro. Das ist eine Zahl,
die sich die meisten gar nicht vorstellen können. Auf die
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ie Konzepte von CDU, CSU und FDP sind auch aus
inem anderen Grund asozial zu nennen.
ie entziehen dem Staat Geld, das er für die Erhaltung
on Städten und Gemeinden, zur Finanzierung von Bil-
ung und Wissenschaft und zur Finanzierung von Ord-
ung und Sicherheit dringend braucht.
Eines haben Sie vergessen zu erklären: Würde das
DU-Modell umgesetzt, müsste der Staat im ersten Jahr
inen Ausfall von 32 Milliarden Euro und mittelfristig
on 25 Milliarden Euro im Jahr verkraften. Leider haben
ie uns hier nicht erklärt, welche Aufgaben der Staat
ann nicht mehr erfüllen soll, welche Aufgaben Sie
treichen wollen.
Wir als PDS sind gegen diese dauernde Umverteilung
on unten nach oben. Wir fordern unter anderem die
iedereinführung der Vermögensteuer. Wir erinnern die
PD gerne an ihr Versprechen, das sie gegeben und auf
ehreren Parteitagen bekräftigt hat, und wir fordern eine
rhöhung der Erbschaftsteuer auf Großvermögen.
ir können nur hoffen, dass das Konzept von Herrn
erz immer nur auf dem Bierdeckel stehen und nie um-
esetzt werden wird; denn das wäre verheerend für die
ehrheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
rtwin Runde, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diepannende Frage, die sich anlässlich der heutigen De-atte stellte, war die, wie die Diskussion in der CDU/
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9472 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Ortwin RundeCSU weitergeht. Es war hochinteressant, dass mit HerrnMerz und Herrn Faltlhauser hier zwei Protagonisten desStreites anwesend waren.In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass derKompromiss in der CDU zur Steuerpolitik richtig wack-lig ist.
Hier ist schon daran erinnert worden, dass es bereitsSchlagzeilen des Inhalts gab, dieser Stufentarif sei eherein Gag. Ich fand es ganz elegant, wie Herr Faltlhauserdieses Problem heute gelöst hat, indem er zu demStufentarif sagte: Über meine Aussagen von damals willich nicht mehr reden, aber bezogen auf Kirchhof gilt:Dessen Tarif, diese Flat Tax, die eine ähnliche Qualitätwie der Stufentarif hat, ist wirklich absurd. – So kannman Kollegen aufs Allerschönste abohrfeigen. Das warin der Tat interessant.
Die gesamte Öffentlichkeit hat ja sehr gespannt aufden 6. März gewartet,
den Tag, an dem sich CDU und CSU auf ein gemeinsa-mes Steuerkonzept einigen wollten. Das, was dabei he-rausgekommen ist, liegt uns nun vor.
Es ist interessant, wie man diese Ergebnisse charakteri-sieren kann. Dazu hat Herr Solms zu Recht gesagt, dasssie kein konkretes Sofortprogramm darstellen, sonderndass sie eher Thesencharakter haben. Das müsste beiIhnen von der CDU/CSU ja eigentlich auf heftigen Wi-derstand stoßen. Aber in der Einleitung Ihres Antragsgibt es bestimmte Hinweise. Da steht:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-rung deshalb auf: ... Ein steuerpolitisches Gesamt-konzept zu entwickeln und sich dabei von folgen-den Gedanken leiten zu lassen.Dieses Sofortprogramm, das von Herrn Faltlhauser alssehr konkret beschrieben worden ist, besteht also nur ausGedanken.
Wie konkret das Ganze ist, wird deutlich, wenn mansich Ihre Aussagen zur Gewerbesteuer ansieht; denndaran merkt man auch, wie klar Ihre Konzeption ist. Daheißt es:Die Kommunen könnten neben der heute bereitsbestehenden Beteiligung an der Einkommensteuerauch an der Körperschaftsteuer beteiligt werden. Ineinem solchen Beteiligungsmodell müssten ...Weiter heißt es, esdnbpWnGddsugSrSSsiabSsdbznaimDsbgfdgAesS
Über die Zerlegungsmaßstäbe könnte ein gerechterinterkommunaler Ausgleich geschaffen werden.Ich muss Ihnen sagen: Das sind, wenn man an die Noter Betroffenen in den Kommunen denkt, wirklich Luft-ummern, für die diese wenig dankbar sind.
Hieran wird sehr deutlich, dass nichts geklärt ist. Lie-er Herr von Stetten, wie sollen wir ein solches Sofort-rogramm umsetzen? Was sollen wir davon umsetzen?ie kann man so etwas umsetzen? Das geht doch garicht. Das ist kein Programm oder Konzept, sondern dasegenteil davon.
Ganz gespannt bin ich darauf, wie sich Ihr Dissens iner Europadebatte auflösen wird. Man muss ja sagen,ass der Steuerstreit in der CDU/CSU immer unter-chiedliche Protagonisten hat. Erst waren es Faltlhausernd Merz. Hier kam es zu all den qualifizierten Aussa-en von Faltlhauser zu diesem Konzept. Dann hateehofer Faltlhauser zu dessen Entlastung abgelöst. Da-aufhin kam es zur Auseinandersetzung zwischentoiber und Merkel, was den Steuerwettbewerb und dasteuerdumping in Europa angeht. Man ist ja richtig ge-pannt darauf, wie sich diese Situation auflösen wird.In dieser Europadiskussion fand ich den Ansatz ganznteressant, nicht nur bei der Mehrwertsteuer, sondernuch bei den direkten Steuern eine Harmonisierung her-eizuführen. Dazu wird man sicherlich in einem erstenchritt die Bemessungsgrundlagen der Unternehmen-teuern festlegen müssen. Dann kann man darüber nach-enken, ob man Korridore für Mindest- und Höchstsätzeraucht, um auch hier zu einer gewissen Harmonisierungu kommen.Zum Steuerwettbewerb sage ich also Ja. Es darf abericht passieren – hier stimme ich sowohl Stoiber alsuch Bundeskanzler Schröder zu –, dass andere Länderhre Infrastrukturinvestitionen nicht über Steuereinnah-en finanzieren können und darauf hoffen, dass dasritte tun. Das geht nicht. Das muss man ganz deutlichagen.
Ich schätze aber, dass diese Länder, was ihre Ausga-enotwendigkeiten angeht, nach und nach unter Druckeraten werden und dann dankbar wären, wenn derürchterliche und vernichtende Wettbewerb zwischenen kleinen der neu beitretenden Mitgliedstaaten etwaseregelt würde. Das ist meines Erachtens ein wichtigernsatz. Ich glaube, es wäre gut, die Harmonisierung desuropäischen Steuerrechts so anzugehen.Ich habe heute von Herrn Merz erwartet, dass er ineiner Rede das kleine Problem des Konfliktes mit Herrneehofer auflöst. Wie will er den Steuerzahlern 10 bis
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Ortwin Runde16 Milliarden Euro zurückgeben und gleichzeitig ins-besondere für die sozialen Sicherungssysteme fast100 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen? Er hatte zuder Verschiebung der Steuerbelastung von direkten zuindirekten Steuern gesagt:Ich werde darauf zum Schluss noch einmal zu spre-chen kommen.Ich hätte erwartet, dass er dieses Rätsel noch in dieserSitzung und noch in der gleichen Rede auflöst. Da kamaber nichts.
Man hätte sich auch unter Fachleuten darüber unterhal-ten müssen, was 100 Milliarden Euro an Mehrwertsteu-erprozentpunkten ausmachen. Wenn man 8 MilliardenEuro für einen Prozentpunkt ansetzt, wären wir plötzlichbei einer Mehrwertsteuer von 28 Prozent. Das ist schonrichtig verwegen!Herr Solms, ich habe mit Freude und einem gewissenBehagen gesehen, wie die CDU-Kollegen bei Ihrer Redeimmer kräftig mit dem Kopf nickten, als Sie sagten, beidem Gewerbesteuerersatz, den Sie andenken, solle manauch an höhere Umsatzsteueranteile denken. Da stelltman dann fest: Gut, wenn diese Umsatzsteuer schon ein-mal verteilt wird – zwischen Herrn Merz und Ihnen –,kann man das ja richtig großzügig, in luftigen Dimensio-nen machen.
Dabei muss man eines feststellen: Was nicht geht – dakomme ich auf das zurück, was Herr Poß gesagt hat –,ist, den Bürgern bei der Einkommensteuer Erleichterun-gen zu versprechen, später aber zu sagen: Ich ersetze dieGewerbesteuer, die die Unternehmen heute bezahlen,durch Einkommensteueranteile.
Sie kommen dann auch noch mit dem Umsatzsteueran-teil. Welche Verteilungswirkung das hat, das ist ja sehrdeutlich.Man merkt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dass das Ganze eine sehr einseitige Lastenvertei-lung mit sich bringt. Wenn man die nicht geschultertenProbleme der Ablösung der Finanzierung der sozialenSicherungssysteme von der Erwerbstätigkeit mitbetrach-tet, dann, stellt man fest, ist die Gefahr des Sozialstaats-abbaus bei solchen Konzepten allemal und immer gege-ben. Man kann also insgesamt zu dem Ergebniskommen:
Der Berg hat gekreißt, es ist ’ne Maus draus geworden
und diese Maus schlägt Rad, macht Luftnummern.Dfvsda
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2745 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 h sowieie Zusatzpunkte 2 a bis 2 c und Tagesordnungspunkt 16uf:24 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-rung der nachträglichen Sicherungsverwah-rung– Drucksachen 15/2887, 15/2945 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensi-vierung der Bekämpfung der Schwarzarbeitund damit zusammenhängender Steuerhinter-ziehung– Drucksache 15/2948 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung der Vorschriften über Fernabsatzver-träge bei Finanzdienstleistungen– Drucksache 15/2946 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 27. März 2003 zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Repu-blik Tadschikistan zur Vermeidung der
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerDoppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu-ern vom Einkommen und vom Vermögen– Drucksache 15/2925 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschusse) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen vom 9. September 2002 überdie Vorrechte und Immunitäten des Internati-onalen Strafgerichtshofs– Drucksache 15/2723 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfef) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege-lung von Rechtsfragen hinsichtlich der Rechts-stellung von Angehörigen der Bundeswehr beiKooperationen zwischen der Bundeswehr undWirtschaftsunternehmen sowie zur Änderungbesoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vor-schriften– Drucksache 15/2944 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeitg) Beratung des Antrags der Abgeordneten BirgitHomburger, Angelika Brunkhorst, MichaelKauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPEntsorgung von Gewerbeabfall unbürokra-tisch und einfach gestalten– Drucksache 15/2010 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesenh) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich , Hans-Michael Goldmann,Joachim Günther , weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDPBürgernähe durch mehr Wettbewerb bei derFahrzeugüberwachung– Drucksache 15/2751 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten PetraWeis, Siegfried Scheffler, Sören Bartol, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD,der Abgeordneten Günter Nooke, DirkFischer , Eduard Oswald, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Irmingard Schewe-Gerigk, VolkertdüFEd
Brunhilde Irber, Annette Faße, RenateGradistanac, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der AbgeordnetenUndine Kurth , RainderSteenblock, Volker Beck , weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNENChancen und Potenziale des Deutschland-tourismus in der erweiterten Europäi-schen Union konsequent nutzen– Drucksache 15/2980 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionHaushaltsausschussc) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2003 – Einzelplan 20 –– Drucksache 15/2885 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss16 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zurÄnderung des Tierseuchengesetzes– Drucksache 15/2943 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf.s handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zuenen keine Aussprache vorgesehen ist.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerTagesordnungspunkt 25 a:Zweite Beratung und Schlussabstimmung des vonder Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. März2003 zwischen der Regierung der Bundesrepu-blik Deutschland und der Regierung der Re-publik Türkei über die Zusammenarbeit beider Bekämpfung von Straftaten mit erhebli-cher Bedeutung, insbesondere des Terroris-mus und der organisierten Kriminalität– Drucksache 15/2724 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 15/2994 –Berichterstattung:Abgeordnete Tobias MarholdNorbert GeisSilke Stokar von NeufornDr. Max StadlerDer Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/2994,den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-entwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-nommen.Tagesordnungspunkt 25 b:– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Neuordnung der Gebühren inHandels-, Partnerschafts- und Genossen-
– Drucksache 15/2251 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 15/2993 –Berichterstattung:Abgeordnete Hermann BachmaierAndrea Astrid VoßhoffJerzy MontagRainer FunkeDer Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/2993, den Gesetzent-wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gan-zen Hauses angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – WersiengiumgEaFf–lshEghsS
Das ist eine gute Frage.
Die CDU sieht im Einzelnen Folgendes vor: 40 Mil-iarden Euro für die Kopfpauschale im Gesundheitswe-en, 22 Milliarden Euro für veränderte Kindererzie-ungszeiten bei der Rentenberechnung, 10 Milliardenuro bei der Steuerreform, 12 Milliarden Euro für eineeplante Mindestrente, 18,6 Milliarden Euro für eine Er-öhung des Kindergeldes. Das ergibt zusammen dentolzen Betrag von 102,6 Milliarden Euro.Nach der wohlwollenden Rechnung von Herrneehofer sind es 100 Milliarden Euro – diese Zahl hat er
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Waltraud Lehnselber ins Gespräch gebracht –, die Sie für Ihr wohlklin-gendes und mit großem Getöse verkündetes Reform-paket benötigen. Finanziert werden soll das Ganze durchSteuermittel. Woher das Geld dafür kommen soll – imKlartext: wem man es wegnimmt –, das bleibt Ihr Ge-heimnis.
Ich behaupte nicht, dass Sie es nicht wissen; ich werfeIhnen nur vor, dass Sie es uns nicht sagen, jedenfalls we-der Herr Merz noch Frau Merkel.Was auf den ersten Blick wie ein Sozialprogrammaussieht, ist in Wahrheit eines der schlimmsten und rigi-desten Umverteilungsprogramme, das man in diesemHause je gesehen hat,
jedenfalls wenn es so kommen sollte. Das wäre aller-dings verheerend. Bestensfalls könnte man Ihre Überle-gungen als Lug und Trug einstufen. Aber das sehen Sienatürlich anders. Auf den ersten Blick verteilt die CDUgroßzügigst Geld, das sie aber nicht hat und das es nichtgibt. Sie müssten es sich irgendwoher holen. Aber wieund von wem?Sie müssten die Mehrwertsteuer in Deutschland um13 Prozentpunkte erhöhen.
Der Mehrwertsteuersatz in Deutschland würde auf29 Prozent steigen. Das wäre ein absoluter Spitzenwertin Europa.
– Ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie das auf-regt. – Entscheidend ist: Diese angeblich sozialen Ge-schenke begünstigen zu über 80 Prozent die Hoch- undBesserverdienenden in unserer Gesellschaft.
Das Geld für diese Merkel-Gunst würde nämlich bei al-len eingesammelt werden.
Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen undkomme zunächst einmal zur Gesundheitspolitik. DieCDU – wohlgemerkt: nicht die CSU – will hier einenSystemwechsel. Die gesetzliche Krankenversicherungsoll nicht länger über einkommensabhängige Beiträge,sondern über so genannte Kopfpauschalen finanziertwerden,
dsHDDdKzsWkSsdShklelRbzdS
iese Kopfpauschale wurde mit 264 Euro beziffert.
ass Sie das der Bevölkerung nicht sagen können, istoch völlig klar.
Um das soziale Ungleichgewicht, das durch diesesonzept entstehen würde, wenigstens etwas wieder aus-ugleichen, will die CDU Einkommensschwachen Zu-chüsse aus Steuermitteln zahlen.
as kostet das denn? Das würde 40 Milliarden Euroosten. Woher nehmen Sie das Geld?
ie greifen den Leuten in die Tasche, indem Sie bei-pielsweise – etwas anderes bleibt Ihnen kaum übrig –ie Mehrwertsteuer erhöhen.
ie nehmen und verteilen es also so, dass derjenige mitohem Einkommen viel weniger bezahlt, als er bezahlenönnte. Den Ausgleich schaffen Sie dadurch – Sie wol-n den ganz Armen ja etwas geben –, dass Sie es bei al-en wieder einkassieren.Ich will ein zweites Beispiel nennen, und zwar aus derentenpolitik.
Frau Kollegin, Sie müssen sich mit Ihrem Beispiel
itte sehr kurz fassen, da Sie Ihre Redezeit bereits über-
ogen haben.
Ich lasse das Beispiel weg,
a die nachfolgenden Redner dazu durchaus ebenfallstellung nehmen können.
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Waltraud LehnAlles in allem: Sie sind sich in der Sache nicht einig.Sie verschweigen, wie Sie das Ganze finanzieren wollen.Der einzige, der bei Ihnen den Mut hat, dies zu themati-sieren, ist Herr Seehofer.
Ich sage Ihnen: Das Bild, das Sie der Öffentlichkeit ver-mitteln, ist von Streitereien und Uneinheitlichkeit ge-prägt.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Sie versuchen, Ihre innere Zerrissenheit zu ver-
schweigen, zu kaschieren und der Öffentlichkeit Hand-
lungsfähigkeit vorzutäuschen. Das hat dieses Land nicht
verdient.
Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Es wirft wirklich ein bezeichnendesLicht auf diese Regierungskoalition, dass ihr offenbarnichts Besseres für eine Aktuelle Stunde einfällt, als dieUnterschiede in der Sozialpolitik von CDU und CSU zuthematisieren.
Es wäre übrigens ganz nett gewesen, wenn aus IhrenReihen einige Leute mehr zu der von Ihnen beantragtenAktuellen Stunde gekommen wären. Ich finde es fast er-bärmlich, wie schlecht Sie hier – auch quantitativ – ver-treten sind.
Statt die Probleme dieses Landes zu lösen, was eineRegierung zumindest einmal versuchen sollte, be-schimpft die Koalition die Opposition dafür, dass CDUund CDU um die richtigen Konzepte dafür ringen, wieman den Menschen bei Krankheit, Gebrechlichkeit undAlter dauerhaft und verlässlich wieder Sicherheit gebenkann.
Die linke Seite dieses Hauses sucht offenbar deshalbihr Heil in der Diffamierung der Union, weil sie selbstdas Vertrauen in ihre eigene Problemlösungskompetenzschon längst verloren hat.WLsNfcstidfidMpjasdeDmgerHlwtwtemeTIEADuBcg
er wie Sie in der Regierung sitzt und keine eigenenösungen anzubieten hat, wie er dieses Land aus derchwersten wirtschaftlichen und sozialen Krise seit derachkriegszeit herausführen kann, der kann seine Zu-lucht nur noch in Beschimpfungen der Opposition su-hen.
Nehmen Sie nur für einen Augenblick die volkswirt-chaftlichen Rahmendaten zur Kenntnis, vor deren Hin-ergrund die Finanzierungsprobleme der Sozialsystemen der Tat gelöst werden müssen. Die amtierende Bun-esregierung, die heute bei dieser wichtigen Frage eben-alls nicht sehr stark vertreten ist, hat es zum ersten Maln der Geschichte der Europäischen Union geschafft,ass das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen jedesenschen in unserem Lande im unteren Drittel der euro-äischen Tabelle angelangt ist. Während die CDU/CSUahrzehntelang am Bau des europäischen Hauses mitge-rbeitet hat,
ind wir durch die Leistungen der Damen und Herren aufer linken Seite dieses Hauses in eine Kellerwohnungingezogen.
ie Menschen trauen es einer Regierung, die schon da-it überfordert ist, die Rücknahme von Bierdosen zu or-anisieren oder LKWs auf Autobahnen zu zählen,
infach nicht mehr zu, dass sie uns aus diesem Keller he-ausführt.Wenn es Ihnen, meine sehr verehrten Damen underren auf der linken Seite dieses Hohen Hauses, wirk-ich darum gehen würde, den ramponierten Sozialstaatieder auf ein festes Fundament zu stellen und das Ver-rauen in den Sozialstaat und seine sozialen Systemeiederzugewinnen, dann hätten Sie sich bei Ihrem An-rag nicht hinter Äußerungen des Kollegen Seehofer ininem Interview vor zweieinhalb Wochen versteckenüssen. Sie hätten dann nämlich in jeder Sitzungswocheinen Anlass gefunden, diese aktuellen Probleme auf dasableau dieses Hauses zu bringen.
n jeder Parlamentswoche bietet die demographischentwicklung in Deutschland hinreichend Anlass dazu.n jedem x-beliebigen Tag eines jeden Jahres werden ineutschland über 1 000 Kinder zu wenig geboren, umnseren Bevölkerungsaufbau auch nur halbwegs in deralance zu halten. Jeder, der auch nur die vier Grundre-henarten beherrscht, weiß, dass bei einer solchen demo-raphischen Entwicklung die jetzigen umlagefinanzierten
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9478 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Dr. Günter KringsSozialsysteme einfach nicht mehr zu finanzieren sindund nicht mehr funktionsfähig sind.
Das ist eine simple mathematische Erkenntnis. Mankann sie entweder – das haben wir gemacht – zum Aus-gangspunkt von Reformmodellen machen oder mankann sie einfach nach dem Motto ignorieren: Wir rasenmit unserem Wagen auf den Abgrund zu und machenerst einmal die Augen zu oder beschweren uns über dieLänge des Bremsweges. – Das ist keine Lösung.
Natürlich ist der Umbau unseres Sozialsystems, einesTransfersystems, in dem jährlich Hunderte von Milliar-den hin und her bewegt werden, nicht einfach. Er birgtRisiken und kostet auch etwas. Es ist vollkommen rich-tig, wenn auf die Finanzierungsschwierigkeiten seriöshingewiesen wird. Der Unterschied zwischen uns undIhnen ist allerdings: Wir benennen diese Probleme, umdafür nach Lösungen zu suchen und um Lösungen zuringen.
Sie benennen die Probleme, um Ihre Untätigkeit in die-ser Frage zu rechtfertigen.
Die jüngere Generation von Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern in unserem Lande hat genug davon, dassdie Schröders und Münteferings in der Politik sie immerwieder dazu zwingen, jahrzehntelang in Umlagesystemeeinzuzahlen, von denen sie genau wissen, dass sie sichim Alter darauf nicht verlassen können. Sie geben unsfür das Alter keine Sicherheit mehr.
– Jetzt gibt es sogar Zwischenrufe von der Regierungs-bank. Es ist eigentlich die Aufgabe der Koalitionsabge-ordneten, gute Zwischenrufe zu machen.Die jungen Menschen in unserem Lande wissen: WerMonat für Monat umgelegt wird, der hat keine Mittelmehr, um am Ende des Monats etwas für seine privateVorsorge zurückzulegen.
Wir als junge Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktionhaben im letzten Jahr gemeinsam unsere Positionen zurGenerationengerechtigkeit vorgelegt. Wir haben in Eck-punkten dargelegt, wie wir den Ausstieg aus der Umla-gefalle schaffen können.
WhPvegvsFozsnKhDabügtrhPedSsSsrV
ie gesamte Union, sowohl die CDU/CSU-Führung alsuch diejenigen, die in den jeweiligen Fachbereichen ar-eiten, weiß genau, dass bei allen zentralen Projekten,ber die wir in dieser Republik diskutieren, in ihren ei-enen Reihen ein ganz großer Dissens besteht. Das be-ifft die Rentenreform – die haben wir heute Morgen be-andelt; Sie haben sie abgelehnt, obwohl in all Ihrenarteiprogrammen steht, dass die nachgelagerte Besteu-rung kommen muss –,
ie Gesundheitsreform, die Pflegeversicherung und dieteuerpolitik.
Es ist kein Wunder, dass Herr Seehofer der CDU dieo genannte 100-Milliarden-Frage gestellt hat.
chauen wir uns die einzelnen Punkte an, die Sie vorge-chlagen haben. Wir haben heute Vormittag unter ande-em den Vorschlag zur Steuerpolitik beraten. In diesemorschlag tauchen 10 Milliarden Euro auf, die das
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9479
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Christine ScheelGanze kostet. Das betrifft aber nur einen ganz kleinenTeil. Das, was Herr Merz vorgeschlagen hat, kostet, wiewir alle wissen, 37 Milliarden Euro. Wenn man ehrlichist, dann muss man das sagen. Das tun Sie aber nie.Alle wissen, dass die Union Forderungen zum Kin-dergeld erhoben hat, die zwar gut klingen, aber mit über18 Milliarden Euro nicht finanzierbar sind. Sie wissenauch, dass die Gesundheitsprämie nach Aussagen man-cher 40 Milliarden Euro kostet; Herr Kauder hat abervon „nur“ 27 Milliarden Euro gesprochen. Sie habenVorschläge zur Mindestrente mit einem Volumen vonrund 12 Milliarden Euro gemacht. Weiterhin haben SieAnrechnungszeiten für die Kindererziehung vorgeschla-gen, die rund 22 Milliarden Euro kosten. Wir erleben beijeder Haushaltsberatung in diesem Haus, dass die Unionmit Vorschlägen glänzt, wofür man noch mehr Geld aus-geben kann. Summa summarum sind es nicht 100 Milli-arden Euro; es ist weitaus mehr, womit die Vorschlägeder Union die öffentlichen Haushalte belastet würden.Sie haben auch inhaltliche Differenzen; Herr Merz hatdarauf hingewiesen. Es ist nicht so, dass die rot-grüneRegierungskoalition erfunden hätte, dass es Schwierig-keiten in Ihren Reihen gibt.
Sie sagen selbst, dass Sie Riesenschwierigkeiten haben.Herr Merz sagt wörtlich:Was mir bei der CSU und bei Stoiber auffällt, ist,dass sie in Bayern den Prozess der Reformen un-glaublich beschleunigen und in der Bundespolitikeher auf der Bremse stehen.
Ich verstehe die CSU in diesem Punkt nicht. Viel-leicht hat man das Gefühl, man müsse in der Oppo-sition ein bisschen gefälliger sein. Diese Zeiten sindaber vorbei.
Da kann ich ihm nur beipflichten. Denn das, was Sie ma-chen, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit.
Jeder, der sich die Mühe macht, nicht nur die Überschrif-ten der Zeitungen zu lesen, sondern auch das Kleinge-druckte zu verfolgen, stellt doch fest, dass die Union beikeinem einzigen Projekt, das die Zukunft dieses Landesprägen soll, eine einheitliche Auffassung hat, und dassdie Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, was auf sie zu-kommt. Das ist doch der Punkt.
Es ist schon überraschend, wenn Herr Merz sagt, dassdie CDU ihre Parteitagsbeschlüsse habe und diese derMaßstab seien. Er rät ganz dringend, keinen MillimeterhdambdssKLASgnKbGdWsRfFBeTsemvbaPgmpFn
Ich wünsche mir etwas mehr Ehrlichkeit in der De-atte, statt so zu tun, als kosteten Ihre Vorschläge keineld. Tatsächlich bedeuten sie eine enorme Belastunger Bürger und Bürgerinnen. Letztendlich haben Sie deneg zu einer wesentlich höheren Mehrwertsteuer einge-chlagen. Die Lösung kann aber nicht darin bestehen,eformkonzepte vorzulegen, die mit Steuererhöhungeninanziert werden sollen.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ei der Vorbereitung auf diese Debatte sind mir spontaninige Gedanken in den Sinn gekommen. Wenn man dashema einer Aktuellen Stunde erfährt, dann fragt manich zunächst, ob sie sachlich begründet ist oder ob sieinen politisch-taktischen Hintergrund hat.
Was die heutige Aktuelle Stunde angeht, erscheintir Ihre Absicht ziemlich durchsichtig. Ich glaube, Sieerfolgen damit vor allem den Zweck, die von der FDPeantragte Stunde zur Haltung der Bundesregierung zurllgemeinen Wehrpflicht und zu Plänen für ein sozialesflichtjahr auf morgen Nachmittag an den Rand der Ta-esordnung zu verdrängen.
Dafür gibt es gute Gründe. Die Grünen, die nichtüde werden, öffentlich die Abschaffung der Wehr-flicht zu fordern, müssen eingestehen, dass sie in dieserrage zahnlose Tiger sind. Bei der SPD würden die offe-en Konfliktlinien hinsichtlich des sozialen Pflichtjahres
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9480 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Dr. Heinrich L. Kolbdeutlich, die zwischen Struck, Schily und Zypries aufder einen Seite und Renate Schmidt und Teilen der Frak-tion auf der anderen Seite bestehen. Sie haben insoferneine berechtigte Scheu davor, dass die Aktuelle Stundezu diesem Thema an prominenter Stelle auf der Tages-ordnung erscheint. Deswegen glaube ich, dass die heu-tige Aktuelle Stunde vor allen Dingen taktisch begründetist.
Aber auch wenn man Ihr Motiv kennt, liebe Kollegin-nen und Kollegen von Rot-Grün, so staunt man und fragtsich, ob Ihnen nichts Besseres eingefallen ist als diesesmühsam konstruierte Thema. Gibt es keine anderen ak-tuellen Probleme, über die wir gemeinsam diskutierenmüssten?
Ich schlage Ihnen einige Themen für eine AktuelleStunde vor: Was macht die Koalition falsch, dass sichdie rot-grünen Wachstumsprognosen nie erfüllen? Dasist ein interessantes Thema.
Was macht sie falsch, dass im vierten Jahr in Folge dieMaastricht-Kriterien verfehlt werden?
Diese interessanten Themen wollen Sie nicht erörtern.
– Die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ist Ihnen leidernicht gegeben, Frau Kollegin Lehn. – Stattdessen sollüber die Reformen und die damit verbundenen Kostendiskutiert werden.Bevor wir über die möglichen Kosten reden, die mitder Durchführung von Reformvorschlägen der Opposi-tion verbunden wären, ist zu diskutieren, welche Kostensich bereits daraus ergeben haben bzw. noch ergebenwerden, dass die Reformen durch die rot-grüne Koali-tion nicht oder nur halbherzig durchgeführt werden.
Lassen Sie uns die Wachstumsraten in den Jahren2001 bis 2003 betrachten. Sie hatten ein Wachstum von2,75 Prozent in 2001, von 2,25 Prozent in 2002 und2 Prozent in 2003 prognostiziert.
Das tatsächliche Wachstum betrug 0,6 Prozent, 0,2 Pro-zent und minus 0,1 Prozent. Da ein Wachstum von1 Prozent ein Mehr von rund 5 Milliarden Euro an Steu-ebdnwdleWgsSDa1Alinb–dvtowmdgwftahBeIskdBsKhisF
Das sind die Istkosten Ihrer Politik, in denen Ihr tat-ächliches Versagen zum Ausdruck kommt. Das müssenie sich vorhalten lassen.
er Vollständigkeit halber sei gesagt, dass sich die Situ-tion in 2004 leider nicht verbessern wird.
Nun zu Herrn Seehofer: Er beziffert die Kosten auf00 Milliarden Euro. Ich unterstelle einmal, dass dieserngabe eine richtige Schätzung der Zahlen zugrundeegt. Es sind in jedem Fall Bruttozahlen, denen Eigenfi-anzierungseffekte aus induziertem Wachstum gegenü-erstehen könnten.
Ihre Skepsis ist durchaus berechtigt. Es kommt aller-ings sehr darauf an, wie man dabei vorgeht.Es steht leider zu befürchten, dass die von der CDUorgeschlagene halbherzige Steuerreform mit einer Net-entlastung von 10 Milliarden Euro ähnlich verpuffenird wie die Stufen der rot-grünen Steuerreform. Wireinen dagegen, dass eine umfassende Steuerreform,ie durch einen konsequenten Abbau von Subventionenegenfinanziert wird, echte Wachstumseffekte zeitigenird. Die FDP hat als einzige Fraktion einen Vorschlagür eine solche Steuerreform in den Deutschen Bundes-g eingebracht.Noch ein paar Anmerkungen zum Thema Gesund-eitssystem – das ist mit 45 Milliarden Euro der größterocken –: Ich glaube, jedem ist mittlerweile klar, dassin Kurieren an den Symptomen nicht mehr ausreicht.m Zusammenhang mit dem GMG ist das ganz offen-ichtlich geworden. Ich bin überzeugt, dass das Unions-onzept einer Kopfprämie ebenso in die Irre führt wieer rot-grüne Vorschlag einer Bürgerversicherung. Eineürgerversicherung ist eine „Zwangs-AOK“, die fri-ches Geld in ein marodes System bringen soll. Bei deropfprämie
andelt es sich immerhin um einen Ansatz, der geeignett, die fatale Wirkung der Lohnkostenbindung bei derinanzierung der sozialen Sicherung aufzuheben, aller-
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Dr. Heinrich L. Kolbdings um den Preis einer Einheitsversorgung mit hohemTransferbedarf für den sozialen Ausgleich. Auch die De-mographiefestigkeit ist hier nur unzureichend gegeben.Zudem werden der Wettbewerb und die Wahlmöglich-keiten eingeschränkt.Wettbewerb und Wahlmöglichkeiten sind aber zen-trale Gestaltungselemente eines zukunftsfähigen Ge-sundheitswesens. Deswegen schlagen wir, die FDP, fürdas Gesundheitswesen eine Pflicht zur Versicherung derBasisversorgung mit der Möglichkeit vor, den darüberhinausgehenden Versicherungsschutz frei nach eigenenBedürfnissen zu gestalten. Der Versicherte soll seinenVersicherer, den Umfang des Versicherungsschutzes unddie Leistungserbringer frei wählen können. Das führt zumehr Wettbewerb auf allen Ebenen und zu einer Verbes-serung der Effizienz, steigert die Versorgungsqualitätund reduziert den Zuschussbedarf deutlich.
Ich bin leider am Ende meiner Redezeit. Nur noch soviel: Die Kollegin Lehn hat gesagt, es reiche nicht aus,neu zu denken. Noch weniger reicht allerdings aus, nichtneu zu denken. Das ist das, was wir Ihnen vorwerfenmüssen.
Ich fordere Sie auf: Treten wir in einen Wettbewerb derKonzepte ein! Die FDP hat zu allen Zweigen der sozia-len Sicherung gute Vorschläge gemacht, über die es sichnachzudenken lohnt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Kirschner, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Zuerst ist dem Kollegen Horst Seehofer zu danken, dasser den – hoffentlich von Erfolg gekrönten – Versuch un-ternimmt, seinen Fraktionskolleginnen und -kollegen derCDU das Einmaleins der Grundrechenarten – ein maleins ist eins und nicht zwei – beizubringen. Lieber HerrKollege Kolb, Luftbuchungen sind nun einmal nicht un-wichtig, wie Sie glauben. Das, was der Kollege Seehoferzu Recht angeprangert hat, sind nämlich Luftbuchungen.Herr Seehofer kommt zu dem Ergebnis, dass sich aus denCDU-Vorschlägen für einen Kopfprämienausgleich imGesundheitswesen – darauf ist schon hingewiesen wor-den –, eine Verbesserung der Kindererziehungszeitenund der Mindestrente, eine Kindergelderhöhung sowieeine Steuerreform ein nicht gedeckter Scheck in Höhevon mehr als 102 Milliarden Euro pro Jahr ergibt. Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie ver-sprechen den Bürgerinnen und Bürgern das Blaue vomHreKsvsgngmPa–giKvuUwIPHtB–gtfmgsbSzgrdhHskFvd–dk
ür den Ausgleich 41 Milliarden Euro aus Steuermittelnobilisieren will. Gleichzeitig versprechen Sie den Bür-erinnen und Bürgern Steuersenkungen. Sie werdenchon dadurch wortbrüchig, dass Sie den bisherigen Ar-eitgeberbeitrag dem Lohn zuschlagen und damit dieteuer erhöhen. Über den weiteren Steuerbedarf, den Sieur Finanzierung Ihrer unsozialen Umverteilung benöti-en, schweigen Sie sich geflissentlich aus.Ich frage Sie: Wollen Sie allen Ernstes die Finanzie-ung des Gesundheitswesens in die jährlichen Auseinan-ersetzungen um die Verteilung des Bundeshaushaltsineinziehen? Das Gesundheitswesen steht dann inaushaltskonkurrenz beispielsweise zu Bildung, For-chung, Straßenbau oder Bundeswehr. Man brauchteine prophetische Gabe, um vorauszusagen, dass dieinanzierung der notwendigen Gesundheitsausgabenon Jahr zu Jahr unsicherer werden wird.Auch deshalb ist Horst Seehofer voll zuzustimmen,er in einem Beitrag für die Zeitschrift „die Ersatzkasse“ sie alle können das nachlesen – das Kopfprämienmo-ell als gesundheitspolitischen Irrweg bezeichnet hat. Erommt dort zu dem Fazit:
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Klaus KirschnerEs ist absurd, die Probleme des demographischenWandels dadurch lösen zu wollen, dass gerade dieFamilien durch die Umstellung des Finanzierungs-modells der GKV besonders belastet werden. Die-ser falsche Ansatz stünde einer adäquaten Lösungdiametral entgegen.
– Lieber Herr Kollege, das sagt der Kollege Seehofer.Wo er Recht hat, hat er Recht. Sie haben eben Unrecht,weil Sie von den Dingen keine Ahnung haben.
Man muss bedenken, dass insbesondere Familien undGeringverdienende durch den Steuerausgleich zu Bitt-stellern staatlicher Almosen werden, deren Höhe von derjeweiligen Haushaltslage abhängig ist. Sie halten es of-fenbar für eine moderne Gesundheitspolitik, dass einDrittel der Menschen zu Bittstellern des Staates wird.Das ist Ihre Art der Modernisierung.
Im Übrigen sollten Sie sich an der Schweiz ein Beispielnehmen. Da können Sie sich einmal anschauen, wie mo-dern eine Gesundheitspolitik ist, die ein Drittel der Be-völkerung zu Bittstellern des Staates macht!Die Lösung komplexer Probleme passt nun einmalnicht auf einen Bierdeckel. Alle Vorschläge Ihrerseitszeigen eines: Sie haben von der alten Machterhaltungs-partei kohlscher Prägung hin zu einer an Problemlösun-gen orientierten Inhaltspartei noch einen weiten Weg zu-rückzulegen.
Ich rate Ihnen eines – das gilt auch für Sie, Herr Kauder –:Hören Sie auf den Kollegen Horst Seehofer!
Stampfen Sie Ihr Kopfprämienmodell ein, auch wenn esdurch das dann wirksam werdende EU-Wettbewerbs-recht einen einzigen interessanten Aspekt besitzt, näm-lich die Abschaffung der Monopole und AnbieterkartelleKassenärztlicher bzw. Kassenzahnärztlicher Vereinigun-gen und der bisherigen Krankenhausbedarfsplanung!Trotzdem: Die Kopfprämie ist – um es mit Horst See-hofers Worten zu sagen – ein gesundheitspolitischer Irr-weg, da sie das Solidarprinzip umkehrt. Sie können aberan diesem Modell festhalten und damit unsereWahlchancen weiter erhöhen.
– Ja, sicher. – Ich rate Ihnen eines: Sie sollten einmal aufIhren früheren Generalsekretär Heiner Geißler hören. Ersagte zu Ihrem Kopfprämienmodell Folgendes, und zwaran Sie selbst gerichtet: „Wer so stiehlt, den wählt mannicht.“CHkwgaWdrhdgdisdlwPDaSßsAiCM
Nächster Redner ist der Kollege Georg Fahrenschon,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Wie weit muss man eigentlich auf den Hund ge-ommen sein, dass man sich nicht mehr anders zu helfeneiß, als eine Aktuelle Stunde so zu verdrehen? Ihneneht es nicht um die Themen, die diesem Land wirklichm Herzen liegen. Herr Kollege Kolb hat bereits auf dieinkelzüge der Geschäftsordnung hingewiesen. Alleinas lässt tief blicken.
Liebe Frau Kollegin Scheel, es ist schon ein besonde-es Beispiel von Chuzpe oder Scheinheiligkeit, dass Sieier „So eine Gemeinheit; wir müssen uns dringend überie CDU/CSU unterhalten“ gesagt haben, währendleichzeitig in großen Lettern „Meuterei gegen Ausbil-ungsabgabe“ zu lesen ist. In dem entsprechenden Artikelt davon die Rede, dass Rot-Grün tief zerstritten ist undass bis zu 20 Abgeordnete der Grünen die SPD-Pläne ab-ehnen. Erklären Sie uns doch einmal hier, im Parlament,as bei Ihnen los ist!
Eine große westdeutsche Tageszeitung hat es auf denunkt gebracht:Dem Bundesfinanzminister fliegt wieder einmal derHaushalt um die Ohren. Der Aufschwung findetzwar statt, leider aber anderswo. Deutschland ver-liert immer mehr Arbeitsplätze und die Stimmungim Volk ist mies wie nie.er „Spiegel“ spricht vom „Alles-paletti-Kanzler“ undndere Zeitungen bezeichnen den Bundeskanzlerchröder mittlerweile als „Schönwetteronkel“. Vom gro-en Reformator ist nichts mehr übrig geblieben undeine Mehrheit, die Koalitionsfraktionen, setzt hier einektuelle Stunde an, um sich über die Probleme und dienhaltlichen Auseinandersetzungen zwischen CDU undSU zu unterhalten.
itleiderregend ist das Bild, das Sie abgeben!
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Georg FahrenschonIch habe noch ein anderes Beispiel. Es gibt dasschöne Bild: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigtmit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst. – Das soll-ten Sie nicht vergessen. Das ist genau Ihr Problem.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum wir uns über dieZukunft der sozialen Sicherungssysteme unterhalten:weil es natürlich eine der spannendsten Angelegenheitendes Standorts Deutschlands ist, sich einmal mit dem Pa-radoxon, mit dem Dilemma des deutschen Gesundheits-systems auseinander zu setzen. Eigentlich würde diedemographische Entwicklung zu einer steigenden Nach-frage nach Gesundheitsgütern führen. Es handelt sichdabei eigentlich um einen Wachstumssektor in Deutsch-land. Wir waren einmal die Apotheke der Welt. Wir ha-ben einmal Industrieunternehmen gehabt, die medizini-schen Fortschritt entwickelt und geprägt haben. UnterIhrer Regierung sind wir dazu gekommen, dass wir nurnoch kopieren.
Wir haben keine Möglichkeiten mehr. Ihr einziges Pro-blem ist, dass Sie mit den aktuellen Mitteln der Gesund-heitspolitik nur noch Kostendämpfung betreiben. Siemachen genau das Gegenteil von Wachstumsanschub.
Sie versuchen alles, um die Kostensteigerungen irgend-wie aufzuhalten bzw. die Kosten zu senken.Dann kommen Sie auch noch mit einem Ladenhüter.Der Begriff der Kopfpauschale kommt doch nicht vonder CDU oder der CSU. Es ist Ihr Berater, der Regie-rungsberater Rürup, der in Ihrem Auftrag diese Dingeentwickelt.
Im Gegensatz dazu sagen Sie dann: Die Bürgerversiche-rung löst das Problem. – Sie haben bis heute nicht ver-standen, dass durch neue Beitragszahler, die Sie durchdie Bürgerversicherung bekommen würden, sofort ent-sprechende Ansprüche induziert würden. Wenn wir unsdie Krankenkassen anschauen, dann stellen wir fest: Esgibt Schwierigkeiten; es müssen Verwaltungsreformendurchgeführt werden. – Sie haben bis heute niemandememSdmrslarlDCewlgmksgzDIldEKIir
ie haben bis heute noch nicht eingestanden, dass miter Bürgerversicherung die Schwankungen, die wir mo-entan im System der gesetzlichen Krankenversiche-ung haben und mit denen wir uns herumschlagen müs-en, letztlich institutionalisiert würden.Ich sage klipp und klar: Der Weg, den Sie gehen wol-en, führt zwar zu mehr Mitteln – das ist unbestritten –,ber die wesentlichen Strukturprobleme, die wir im Be-eich des Gesundheitswesens haben, werden nicht ge-öst.
a vergeben Sie sich eine Chance für die Zukunft.
Im Gegensatz zu Rot-Grün sind wir von der CDU/SU uns sehr wohl darüber im Klaren, welche Problemes im Lande gibt. Sie waren im Übrigen noch nie so großie nach fünf Jahren schröderscher Willkürpolitik.
Weil wir wissen, dass die Probleme nur in verantwort-icher Teamarbeit gelöst werden können, werden wir dasenauso machen. Wir vergeuden unsere Zeit auch nichtit überflüssigen Debatten zu den innerparteilichen Dis-ussionen der anderen Seite. Wir werden uns alleinchon deshalb einigen und ein konkretes Konzept vorle-en, weil uns eines klar ist: Ihre Zeit ist abgelaufen –um Glück für Deutschland.
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/
ie Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!ch verstehe gar nicht, warum Sie am Thema der Aktuel-en Stunde herumkritteln. Es ist gut gewählt oder min-estens wichtig.
s geht in der Demokratie doch darum, die alternativenonzepte öffentlich zu vertreten. Wenn wir jetzt einmalhre Konzepte unter die Lupe nehmen, dann ist das, wiech finde, kein Grund zu sagen: Fällt Ihnen nichts Besse-es ein? – Wir sollten über die Alternativen reden.
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Anja Hajduk
Das machen wir heute zum Teil. Da braucht sich nie-mand aufzuregen. Das gehört dazu. Das ist gegenüberder Öffentlichkeit nur richtig.Lassen Sie uns also einmal über einige Sachen reden,auch wenn das in der Aktuellen Stunde nur begrenztmöglich ist. – Die Frage aufzuwerfen, wie finanzierbardie Reformkonzepte sind, ist notwendig. Sie, HerrDr. Kolb, haben auf Maastricht hingewiesen. Da mussman doch auch schauen, ob Reformkonzepte Finanzlü-cken reißen oder inwieweit sie eine Dynamik entfachen,die dafür sorgt, dass sie sich selbst finanzieren. Auchdarüber können wir streiten.Es ist aber schon interessant, zu sehen, dass das Steu-erreformkonzept der Union in einem ersten Schritt eineNettoentlastung von 10 Milliarden und dann bis zu 30 bis40 Milliarden verspricht und parallel dazu in einem Vor-schlag zur Gesundheitsreform der soziale Ausgleichdurch Steuern finanziert werden soll. Sie müssen dochverstehen, dass sich die Leute Sorgen machen. Wenn Sienämlich auf der Steuerseite ein solches Loch reißen,kann ja für den sozialen Ausgleich nicht mehr viel übrigbleiben. Das hat Herr Seehofer angesprochen. Danachhat er gefragt. Sie haben aber keine Antwort darauf ge-liefert. Das ist ein Problem.
Sie sollten nicht so polemisch darüber hinweggehen,sondern sich bewusst machen, dass es sich hierbei umeine wahlentscheidende Auseinandersetzung handelt.
Sie müssen nämlich sagen, ob Sie einen sozialen Aus-gleich auch finanzieren können. Sie können ja nicht aufder einen Seite etwas abstrakt durch Steuern finanzierenwollen, auf der anderen Seite aber über steuerliche Net-toentlastungen in einem hohen zweistelligen Bereich re-den.Ich fordere Sie auf, erst einmal ehrlich und hand-lungsleitend über eine Vereinfachung des Steuersystemsund mehr Transparenz zu reden. Das werden wir jeden-falls tun. Wenn wir uns in diesen Punkten einig sind,können wir darüber sprechen, ob es überhaupt Raum fürNettoentlastungen gibt. Wir müssen zunächst beim Sub-ventionsabbau vorankommen. Wir sind da bescheidenerund versprechen nicht so viel Nettoentlastung. Ich finde,dass Ihre Aussagen insbesondere mit Blick auf Ihre Ge-sundheitsreform sehr widersprüchlich sind.Lassen Sie uns des Weiteren noch einen Punkt in Ih-rem Konzept zur Gesundheitsreform näher betrachten.Es ist hier gerade zu Recht gesagt worden, dass das Sys-tem der pauschalen Kopfprämien keine Erfindung derHerzog-Kommission ist, sondern – das ist richtig – vonHerrn Rürup als Alternative zum Lauterbach-Modellvorgeschlagen worden ist. Der Hauptkritikpunkt, dermich umtreibt, ist die Absicherung und die Art undWaeHsWcnKBdrgTiAdhSKsguttkvtImsDhgseluAtssndldav
ir wollen definieren, was gesetzlich krankenzuversi-hern ist. Darum geht es uns. Wir wollen aber dann ei-en Wettbewerb zwischen gesetzlichen und privatenrankenkassen. Sie dagegen beziehen 10 Prozent derevölkerung nicht in die Solidargemeinschaft ein, in-em Sie sie im privaten System belassen und lassen dieestlichen 90 Prozent der Bevölkerung den Solidaraus-leich bezahlen. Die Überwindung dieser ungerechtenrennung von privat und gesetzlich versichert haben Sien Ihrem Herzog-Reformmodell noch nicht vollzogen.uch in dieser Frage wird es zu einer wahlentscheiden-en Auseinandersetzung zwischen uns kommen. Sie ver-alten sich an dieser Stelle wettbewerbsfeindlich, indemie eine ganz bestimmte Klientel schonen.
Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Derollege Krings hat hier ja sehr vollmundig davon ge-prochen – ich habe dabei alle Diskussionen des heuti-en Tages im Auge –, was alles nötig ist, um die Zukunftnseres Landes zu meistern. Stichworte waren: Genera-ionengerechtigkeit, Vermeidung von Vollkaskomentali-ät. Der Kollege Merz ruft hier – das ist wohl nicht zuritisieren – dazu auf, mehr Mut zu haben und der Be-ölkerung auch ehrlich zu sagen, was die Reformen kos-en und welche Zumutungen mit ihnen verbunden sind.n Bezug auf diesen Punkt haben Sie – das muss ich ein-al ganz deutlich sagen – heute Morgen bei den Diskus-ionen in diesem Hause komplett versagt.
er Herr Storm, der wirklich ein guter Rentenexperte ist,at nämlich als Begründung der ablehnenden Haltungegenüber unserem Konzept in seinem Redebeitrag ge-chimpft, dass wir die Rentner belasten. Ja, wie verhälts sich denn jetzt mit dem Mut zur Offenheit? Wie wol-en Sie denn die nachgelagerte Besteuerung als fairesnd generationengerechtes Projekt, bei dem die heutektiven entlastet werden sollen, damit sie Vorsorge be-reiben können, seriös darstellen? Sie schlagen sich jetztchon in die Büsche, um 2005, wenn die Steuerbe-cheide kommen, dann wohl sagen zu können, Sie hättenichts damit zu tun, dass jetzt die Rentner – im Übrigenie, denen es besser geht – auch steuerlich ihren Beitrageisten müssen. Sie haben offensichtlich nicht den Mut,er Bevölkerung zu sagen, dass sie an gewissen Stellenuch belastet wird. Da haben Sie heute Morgen komplettersagt.
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Anja HajdukLieber Herr Krings, kämpfen Sie einmal in Ihreneigenen Reihen für diesen Mut. Dann können Sie sichwieder hier vorne hinstellen; sonst lassen Sie das bittebleiben.Danke.
Das Wort hat der Kollege Hans-Ulrich Krüger, SPD-
Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Nach Art. 20 unseres Grundgesetzes ist dieBundesrepublik Deutschland ein demokratischer und so-zialer Bundesstaat. Ungeachtet aller parteipolitischenUnterschiede haben viele maßgebliche Kräfte aus die-sem Hause hieraus das Gebot einer sozialen Politik ab-geleitet und den modernen Sozialstaat überhaupt erst er-möglicht.Von diesem Gebot des Grundgesetzes haben sich of-fenbar Teile der CDU in verantwortungsloser
und gleichzeitig uns alle beschämender Art und Weiseverabschiedet.
Laut Friedrich Merz – immerhin dem Finanzexperten derBundestagsfraktion der CDU/CSU – ist nämlich Umver-teilung nichts anderes als der Versuch, Leistung ohneGegenleistung zu bekommen, und bekommt derjenigeam meisten Zustimmung, der am lautstärksten nach Um-verteilung ruft und Faulheit belohnen will. Ich frage Sie,meine Damen und Herren von der CDU, wie Sie mit die-ser Arroganz, mit dieser Verachtung für sozial benach-teiligte Menschen fertig werden können. Sind Sie etwaalle so abgehoben, dass Sie nicht mehr wissen, wie sicheine Sozialrentnerin fühlt, die Wohngeld beantragenmuss, um ihre Miete bezahlen zu können, wie sich dieallein erziehende Mutter fühlt, wenn eines ihrer Kinderauf Klassenfahrt gehen will und dafür das Geld nichtreicht?Die Aussagen des Herrn Merz beschimpfen Men-schen, die zum größten Teil unschuldig in soziale Notgeraten sind und die eben nicht die Chance gehabt ha-ben, am Wohlstand zu partizipieren.
Diesen Menschen zu helfen ist für uns SozialdemokratenAusdruck unseres Sozialstaatsverständnisses und keineBelohnung von Faulheit.
Wenn Sie dies nicht so sehen, wenn Sie diese Grundfes-ten des Sozialstaates infrage stellen wollen, dann sagenSie es, aber bitte nicht nur uns, sondern auch den Men-schen draußen im Lande.SatWfSgvguhnwDasdSm4hdbafpdluaZkhmhugMnhWBmSadw
enn daher ein progressiver Einkommensteuertarif da-ür sorgt, dass der Stärkere deutlich mehr zahlt als derchwache, und zwar über 36 Prozent hinaus, so ist daserecht, sowohl bei der Steuer als auch beim Kranken-ersicherungsbeitrag gemäß Einkommen und nicht etwaemäß einer Kopfpauschale, bei der Geringverdienernd gut Verdienende gleich viel zu zahlen haben.Wenn es eine Ungerechtigkeit in diesem Zusammen-ang überhaupt gab, dann die, dass Einkommensmillio-äre ihre Steuerschuld in der Vergangenheit in unverant-ortlicher Art und Weise auf null reduzieren konnten.
ies haben wir abgestellt. Gerechtigkeit bedeutet aberuch, den Menschen kein X für ein U vorzumachen undie ehrlich darüber aufzuklären, was man will. Um es miten Worten des schon mehrfach erwähnten Horsteehofer zu sagen: Es reicht nicht aus, neu zu denken,an muss auch sagen, ob das Neue finanzierbar ist.Man muss daher auch darstellen: Woher kommen die0 Milliarden Euro für die Kopfpauschale im Gesund-eitswesen? Woher kommen die 22 Milliarden Euro fürie veränderten Kindererziehungszeiten bei der Renten-erechnung? Woher kommen die heute schon mehrfachngesprochenen 10 Milliarden Euro für die Steuerre-orm? Woher kommen die 12 Milliarden Euro für die ge-lante Mindestrente? Woher kommen die 18,6 Milliar-en Euro für die Kindergelderhöhung? Wer hier derarteichtfertig mit mehr als 100 Milliarden Euro umgehtnd gleichzeitig sagt – wie von der FDP soebenusgeführt –, die Debatte betreffe Peanuts, der hat dieeichen der Zeit nicht erkannt; er handelt zynisch undaltschnäuzig.
Wir jedenfalls, die SPD, und offenbar auch die CSUaben bislang noch nicht gehört, woher die CDU dieseehr als 100 Milliarden Euro konkret nehmen will. Da-er nennen wir das, was hier veranstaltet wird, unseriösnd unsozial. Hören Sie bitte durchaus auf Ihren Kolle-en Seehofer, der dies bemerkt und angeprangert hat.it sozialer Gerechtigkeit hat es nämlich überhauptichts zu tun, wenn steuerpolitische Wolkenkuckucks-eime, wie wir das heute Morgen gehört haben, in dieelt gesetzt werden, ohne dass man sagen kann, welcherürger, welche Bürgerin die Zeche hierfür bezahlenuss.Wer den Menschen weismachen will, ein einfachesteuerrecht sei gleichzeitig ein gerechtes, der muss sichuch über die Konsequenzen im Klaren sein, nämlicharüber, dass die Abschaffung steuerpolitischer Not-endigkeiten der vergangenen Jahre nur dazu führen
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Dr. Hans-Ulrich Krügerwürde, dass der Starke entlastet und der Schwache be-lastet wird.Mit der SPD wird es daher keine Diskussion über eineweitere Absenkung des Spitzensteuersatzes und keineDiskussion über eine Schwächung des Staates geben.Wer glaubt, hier noch Spielraum zu haben, der irrt undder muss klar und deutlich sagen, dass er einen schwa-chen Staat haben will, bei dem sich nur Reiche, privatVersicherte und Vermögende die notwendigen Leistun-gen bei Krankheit oder im Alter einkaufen können.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Einerseits unfinanzierbare Vorschläge zu unterbreiten
und andererseits von einer Neiddebatte zu reden, das
passt nicht nur nicht zusammen, das ist auch zynisch und
hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Kehren Sie, meine
Damen und Herren von der CDU, daher zurück zu der
Erkenntnis, dass es das Gebot sozialer Gerechtigkeit ist,
das diese Republik zusammenhält.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! HerrKolb, Sie haben vorhin gesagt, Sie erwarten von uns,dass wir nachdenken. Es stimmt: Wir werden für dasNachdenken und nicht bloß für die Anwesenheit bezahlt.Ich hoffe daher, dass sich alle – sowohl auf der Koali-tionsseite als auch auf der Oppositionsseite – Gedankenmachen.Es ist eine grundsätzliche Aufgabe der Politik – alsoauch der Opposition –, Konzepte für die Gestaltung die-ses Landes zu entwickeln.
Es ist völlig legitim, dass man bei der Entwicklung vonKonzepten seiner Fantasie freien Lauf lässt und sichnicht von vornherein nur auf das Machbare beschränkt.Man kann sich völlig neue Welten denken. Auch das istlegitim. Aber man muss in der Politik unterscheidenzwischen dem, was wünschenswert ist, und dem, was indie Realität umgesetzt werden kann. Ich wünsche mirmanchmal auch das Traumhaus am Meer und gleichzei-tig im Gebirge, ein Haus mit Autobahnanschluss, aberdoch völlig ruhig gelegen. Diese Fantasien hat jeder.Aber er behält sie für sich und äußert sie nicht.ndveklbcamuihkFIdsfw–anVhseZznldhcgPeridfig
Da Ihre Fantasien nichts mit der Realität zu tun ha-en, betreiben Sie eine schlechte Politik. Sie widerspre-hen sich gegenseitig. Sie sagen an einem Tag A und amnderen Tag B. Sie haben keine Konzeption für die Fa-ilienpolitik und auch keine Konzeption für die Sozial-nd Gesellschaftspolitik. Als Familienpolitikerin mussch Ihnen sagen, dass Sie noch dem 19. Jahrhundert ver-aftet sind, obwohl wir bereits im 21. Jahrhundert ange-ommen sind. Sie sollten die Lebenswirklichkeit vonamilien nicht ignorieren.Es gibt unterschiedliche Lebensformen. Wenn ich mirhre Konzeption anschaue, dann muss ich feststellen,ass bei Ihnen nur ein Familienmodell im Mittelpunktteht. Alle anderen Formen des Zusammenlebens sindür Sie nicht existent. Sie vertreten ein rückwärts ge-andtes Familienbild.
Vielleicht sollten Sie sich Ihre Beschlüsse, die Sie ver-bschiedet haben, einmal genau anschauen. Dann kön-en wir miteinander darüber reden.
Ihr Familienbild ist geprägt von einem erwerbstätigenater und einer nicht berufstätigen Mutter – sie übtöchstens einen Minijob aus –, die Kinder betreut. Ichchätze diese Form des Familienlebens und jedem musss freistehen, so zu leben. Aber das ist nur eine Form desusammenlebens. Man kann ein Lebensmodell nichtum Maßstab für alle Menschen machen. Jeder von Ih-en müsste sich einmal fragen, ob die Menschen tatsäch-ich so leben, wie Sie es sich vorstellen.Sie haben 16 Jahre lang Zeit gehabt, die Familie inas Zentrum Ihrer Politik zu stellen und zu fördern. Sieätten eine Chance gehabt; stattdessen haben Sie Luftbu-hungen gemacht. Wir haben, nachdem wir 1998 die Re-ierung übernommen haben, die Familie als Aufgabe derolitik begriffen und gesagt: Familien müssen finanziellntlastet werden. Damit stand in der ersten Periode unse-er Regierungszeit die finanzielle Entlastung der Familiem Mittelpunkt. Ich nenne nur am Rande die Erhöhunges Kindergeldes, das BAföG usw.Seit 2002 sind wir dabei, strukturelle Verbesserungenür Familien zu schaffen. Wir sind mit 4 Milliarden Euron die Ganztagsbetreuung von Schulkindern eingestie-en. Sie haben Jahrzehnte gewartet und nichts gemacht.
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Marlene Rupprecht
Wir werden weiter die Betreuung der unter Dreijährigenfördern, damit Kinder unter drei Jahren Chancen bekom-men, mit anderen Kindern zusammen zu sein und sich zuentwickeln. Das heißt, in den Bereichen Erziehung, Bil-dung und Betreuung haben wir ein Zukunftsprogrammauf den Weg gebracht.Man sollte sich einmal anschauen, was Sie dort tun,wo Sie es könnten. Ich komme aus Bayern. WelchenKahlschlag gab es dort seit der Landtagswahl!
Dazu muss ich Ihnen sagen: Die Schulpolitik wurdeohne Konzeption heruntergefahren. In der Jugendpolitikhat man die Förderung der Jugendverbände so reduziert,dass das nur noch ein Sterbegeld für ein langsames Ster-ben ist, aber nicht zum Überleben reicht. Wenn ich dieKonzeptionen für Veränderungen in der Bürokratie an-schaue,
dann kann ich dazu nur sagen: gnadenloses Vorgehen;unsozial bis zum Gehtnichtmehr. Es ist wie ein Feigen-blatt, wenn gesagt wird: Wir sind mit den Reformen, diedie CDU will, nicht einverstanden; wir sind sozial. – Ichsage immer: Schaut auf das, was die sagen, und schautauf das, was die tun!
In Bayern wird zwar anders geredet, aber nach der Linieder CDU gehandelt: Es wird in diesem Land ein sozialerKahlschlag durchgeführt.Sie hätten heute eine Chance gehabt; die haben Sienicht genutzt. Sie haben nicht dargestellt, was Sie wollenund wie Sie dies finanzieren wollen.
Oben auf der Tribüne sitzen Bürgerinnen und Bürger.Die wollen wissen, woher Sie die für die Umsetzung Ih-rer Vorschläge nötigen 102 Milliarden Euro nehmen undwem Sie sie aus der Tasche holen, um tatsächlich umzu-verteilen.
Stehen Sie doch zu dem, was Sie produziert haben! Ichsehe Feigheit und Sprachlosigkeit auf Ihrer Seite.
Frau Kollegin!
Vielleicht schaffen Sie es woanders.
Danke schön.
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Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kol-
ege Peter Dreßen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heuteorgen haben wir im Plenum eine Darbietung der be-onderen Art erleben dürfen. Lassen Sie mich mit einemitat beginnen:Liebhabern politischer Schmierenstücke muss manam heutigen Donnerstag die Bühne Bundestagempfehlen. Dort steht der erste Akt eines Werkesmit dem Titel Versuchte Volksverdummung an, ins-zeniert und aufgeführt … von der Merkel-Stoiber-Truppe.
Diese Ankündigung, welche die Darbietung dernion im Plenum trefflich beschreibt, konnten die Bür-erinnen und Bürger heute Morgen der „Süddeutscheneitung“ entnehmen. „Die schwarzen Gaukler“, wie esm Leitartikel von Susanne Höll weiter heißt, habeneute im Bundestag gegen das Alterseinkünftegesetz ge-timmt und gegen den Entwurf von Rot-Grün gewettert.uf der nächsten Sitzung des Bundesrates wird dienion dann aber brav die Hand heben. Schließlich han-elt es sich bei dem Alterseinkünftegesetz nicht nur umie Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsge-ichts. Vielmehr setzen wir auch um, was die Union einstehement gefordert hat.
Sie denken, dass Sie die Bürgerinnen und Bürger mithrer Taktiererei hinters Licht führen können. Das funk-ioniert aber nicht, weder beim Alterseinkünftegesetzoch bei all den anderen populistischen Vorschlägen, mitenen Sie in regelmäßigen Abständen an die Öffentlich-eit treten. Denn ebenso regelmäßig bleiben Sie die Ant-ort auf die Frage schuldig, wie Sie Ihre generösen Ver-prechungen eigentlich finanzieren wollen.Mit dieser Aktuellen Stunde wollten wir Ihnen heuteie Chance geben, den Bürgerinnen und Bürgern zu er-lären, wie Sie die Quadratur des Kreises hinbekommenollen.
err Krings, es ging nicht um Beschimpfung, sondernm Aufklärung. Das haben Sie schlichtweg missverstan-en.
ie hätten hier aufklären können, woher Sie die00 Milliarden Euro, die Sie für die Umsetzung Ihrer
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Peter DreßenVorschläge benötigen, nehmen und wen Sie damit belas-ten. All diese Chancen hatten Sie heute, leider haben Siesie nicht genutzt.Herr Seehofer sagte: „Es reicht nicht, wenn man neudenkt, sondern man muss auch sagen, ob das Neue finan-zierbar ist.“ – Sie haben mit Ihren Vorschlägen nichtsNeues gedacht. Sozialabbau und Besserstellung dereigenen Klientel überzeugen nicht als innovative Ideen.Sie wollen die sozial ungerechte Kopfpauschale einfüh-ren. Die Förderung einer sozialen Schieflage ist Ihnen40 Milliarden Euro wert. Durch die finanzielle Förde-rung der Erziehungsleistung in der Rente und durchmehr Kindergeld zementieren Sie ein antiquiertes Frau-enbild. Wichtiger als die materielle Förderung sind fürdie jungen Menschen, insbesondere für die jungenFrauen, Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder. Dafürhat die Bundesregierung die richtigen Weichen gestellt.Mit unserem 4-Milliarden-Programm sind wir auf demrichtigen Weg. Wir wollen, dass Familie und Arbeit mit-einander vereinbar sind.
Sie wollen das Geld an den Bedürfnissen junger Men-schen vorbei ausgeben, und das in einer Höhe von fast21 Milliarden Euro.Mit den Ausgaben für Mindestrente und Steuerreformkommen wir, summa summarum, auf einen Betrag von102 Milliarden Euro. In dieser Summe fehlen noch dietäglichen Schnellschüsse. Frau Kollegin Scheel ist aufdie Haushaltsberatungen bereits eingegangen. Wenn wirall das verwirklichen wollten, was Sie uns in den Haus-haltsberatungen vorschlagen – Ausbau sechsspurigerAutobahnen und vieles andere –, bräuchten wir immenseSummen. Die Mittel für Vorschläge wie flächende-ckende Lohnkostenzuschüsse sind in dem Betrag von102 Milliarden Euro ebenso wenig enthalten.Sie richteten mit fadenscheinigen Argumenten einenLügenausschuss ein, in dem Sie uns Wahlbetrug unter-stellten.
Da Sie 2006 keine Regierungsverantwortung überneh-men werden, werden Sie auch nicht in die Verlegenheitkommen, sich wegen nicht eingehaltener Versprechenerklären zu müssen. Das hätten Sie aber heute hier tunkönnen. Schon als Kind hatte ich Zweifel, wie sich Ba-ron Münchhausen am eigenen Schopf aus der Grube zie-hen konnte. Diese Zweifel reichen bei weitem nicht anmeine Bedenken heute heran, wenn Sie mir erklären, wieSie Ihre Vorschläge finanzieren wollen.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEdAWmuHiSsfDhnu
– Drucksache 15/2816 –
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
– Drucksache 15/2997 –Berichterstattung:Abgeordneter Karl-Josef Laumann
– Drucksache 15/3003 –Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim FuchtelOtto FrickeVolker KröningAnja Hajdukb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENVerabschiedung eines Optionsgesetzes– Drucksachen 15/2817, 15/2997 –Berichterstattung:Abgeordnete Karl-Josef LaumannZu dem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrager Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keineniderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-inister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement.Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftnd Arbeit:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir reden heute über den Arbeitsmarkt. Dabeist es besonders wichtig, dass wir diejenigen in ihrechranken weisen, die für Pessimismus in Deutschlandorgen: die Schlechtredner, die Miesmacher, die Re-ormverhinderer und die Chaosbeschwörer.
as sind diejenigen, die Wachstum und Fortschritt ver-indern wollen. Sie dürfen und werden unsere Reformenicht aufhalten.
Klar gesagt: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen-nd Sozialhilfe – um sie geht es beim Optionsgesetz – ist
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Bundesminister Wolfgang Clementlängst überfällig. Wir haben über Jahrzehnte hinweg denFehler gemacht, zwei Fürsorgesysteme, ein staatlichesund ein kommunales, nebeneinander, teilweise sogar ge-geneinander – jedenfalls waren sie nicht aufeinander ab-gestimmt – erhalten zu haben … Damit muss Schlusssein, Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen zusammen-gelegt werden.Die Menschen müssen endlich aus der Arbeitslosig-keit in Arbeit vermittelt werden. Wir dürfen uns nichtdarauf konzentrieren, Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Sohaben es über Jahrzehnte hinweg alle gefordert, aber lei-der sind keine ausreichenden Fortschritte erzielt worden.
Wir müssen das Prinzip des Förderns und des Fordernsanwenden. All dies geschieht mit dem, was wir gesetz-geberisch auf den Weg gebracht haben.Wir beraten jetzt über das Kommunale Optionsgesetz.Das gehört natürlich in den Gesamtzusammenhang desThemas, über das ich gerade gesprochen habe. Ich willaber ebenso klar sagen: Das Kommunale Optionsgesetzhängt nicht untrennbar an dem, was wir kurz und bündigals Hartz IV bezeichnen. Das Schicksal des Kommuna-len Optionsgesetzes ändert nichts an unserem Fahrplanfür die Zusammenlegung der beiden FürsorgeleistungenArbeitslosen- und Sozialhilfe.
Ich sage das so klar und deutlich, weil ich feststelle, dassdie Opposition das anscheinend nicht auseinander haltenkann oder vielleicht auch nicht will.
Manche jedenfalls versuchen, die Diskussion über diekonkrete technische und organisatorische Ausgestaltungdes Systemwechsels zum 1. Januar 2005 zu missbrau-chen. Sie missbrauchen sie dazu, die Lösung einerzwischen Bundesagentur und Kommunen geteilten Trä-gerschaft infrage zu stellen, die wir im Vermittlungsaus-schuss vereinbart haben. Diese Regelung der geteiltenTrägerschaft steht seit Anfang dieses Jahres im Gesetz.Daran haben sich alle zu halten, ob ihnen das nun passtoder nicht. Am liebsten wäre mir, es passte allen.Alle sollten spätestens jetzt damit aufhören, den Städ-ten und Gemeinden sowie den Landkreisen in unseremLand vorzugaukeln, es werde sich an der gemeinsamenTrägerschaft noch etwas ändern. Diese Debatte führt al-lenfalls zu einer Verunsicherung der Beteiligten, insbe-sondere auf kommunaler Ebene.
Eigentlich sollte daran niemand ein Interesse haben.
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Die Situation am Arbeitsmarkt ist viel zu ernst, alsass wir uns wieder der deutschen Leidenschaft hinge-en könnten, sich in organisatorischen Diskussionen zuerkrallen, statt sich ganz auf das zu konzentrieren, wo-um es geht, nämlich so viele Menschen so rasch wie
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Bundesminister Wolfgang Clementmöglich aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen bzw. ih-nen auf dem Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu helfen.
Deshalb appelliere ich an alle – wir brauchen die Mit-wirkung von allen, von möglichst vielen –: Wenn Siewollen und mögen, machen Sie in Ihren Wahlkreisenmöglichst Werbung für die Arbeitsgemeinschaften. DieBundesagentur braucht dringend Klarheit darüber, wel-che Kommunen sich an der Bildung von Arbeitsgemein-schaften beteiligen. Daran werden sich übrigens auchLandkreise beteiligen. Vor Ort sieht die Welt ja ohnediesanders aus, als sie in manchen politischen Auseinander-setzungen dargestellt wird.Die Städte und Gemeinden, vor allen Dingen die gro-ßen Städte, werden mitmachen. Die Landkreise werdensich nach und nach anschließen. Die Spitzenorganisatio-nen der Städte, die Städtetage und der Städte- und Ge-meindebund, stehen ohnehin voll und ganz dahinter.Langsam, aber sicher wird man auch die Auseinander-setzungen bzw. Diskussionen mit dem Landkreistag leid,der sich in bürokratisch-juristischen Auseinandersetzun-gen erschöpft, statt sich auf diese Aufgabe zu konzen-trieren. Wir haben hier kein Kompetenzgerangel undkeine Kompetenzhuberei, sondern vernünftige Arbeit fürdie Arbeitslosen abzuliefern.
Jetzt steht das Kommunale Optionsgesetz auf unsererTagesordnung. Hier geht es darum, insbesondere in denFinanzfragen Klarheit zu schaffen. Sie wissen, dass sichmein Ministerium seit einiger Zeit bemüht, mit der Bun-desagentur und vor allen Dingen mit den Ländern undder kommunalen Ebene zu einer gemeinsamen Lösungzu kommen.
– Herr Kollege, Sie sind ja sehr auf die Finanzen fixiert.Das ist auch richtig; denn das ist das Wichtigste.
Deswegen haben wir uns im Vermittlungsverfahren aufden Umfang der finanziellen Ausstattung aller Beteilig-ten verständigt.
Zu diesem Zweck führt man ja Vermittlungsverfahrendurch. Die Kommunen sind aber der Meinung, dassdiese Finanzmittel nicht ausreichen. Hierzu führen wir,ohne dabei Vorwürfe zu erheben, sehr ernsthafte Gesprä-che.
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Vor allen Dingen müssen wir uns über das verständi-en, was man zur Stunde nur schätzen bzw. prognosti-ieren kann: Welche Entwicklungen wird es beispiels-eise bei der Sozialhilfe geben? Wie wird sich die Zahler erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger entwickeln?as passiert mit den Unterkunftskosten? Wir müssenns also über die Berechnungsmethoden verständigennd wir brauchen Lösungen für Entwicklungen, die maneute nur prognostizieren, aber erst im Nachhinein fest-tellen kann. Deshalb glaube ich, es ist das Wichtigste,ass wir uns auf eine Revisionsklausel verständigen undit ihrer Hilfe eine Spitzabrechnung vornehmen, die denommunen absolute Sicherheit gibt. Daran sind wir in-ressiert.
as wollen wir. Hier wird niemand über den Tisch gezo-en.Ich wiederhole unsere Zusage, dass den Kommunen,achdem wir uns über die Berechnungsmethoden diesesinanzmodells verständigt haben, aus der Gesamtopera-on unter dem Strich ein Gewinn in Höhe von,5 Milliarden Euro bleibt. Diese Zusicherung gilt. Siechließt allerdings ein, dass die Länder, die durch dieseperation in der Größenordnung von etwa 2,5 Milliar-en Euro begünstigt werden, bereit sein müssen, diesenetrag an die Kommunen weiterzugeben.
Natürlich brauchen die Kommunen auch Klarheitber die Ausgestaltung des Optionsrechts. Diese Klar-eit wird geschaffen, wenn Sie den heute vorliegendenesetzentwurf mit uns gemeinsam verabschieden undm auch der Bundesrat zustimmt.
ierzu hat sich die Opposition in den bisherigen Bera-ngen ablehnend geäußert. Sie werden verstehen, dassns das überhaupt nicht beeindruckt,
ondern dass wir unverändert an Sie appellieren, sichicht auch auf diesem Feld in einer Organisationsdebatteu verlieren. Das sagen Ihnen alle Experten. Lesen Sieas im Sachverständigengutachten nach! Darin wird Ih-en bescheinigt, dass das Mehr an Bürokratie, das durchin Gesetz, wie Sie es sich vorstellen, geschaffen würdeSie wollen ja auch noch eine Verfassungsänderung –,en Reformprozess aufhalten und insgesamt zu Unsi-
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Bundesminister Wolfgang Clementcherheit führen, aber nicht zu Lösungen beitragenwürde.
Deshalb lautet meine Bitte: Gehen Sie den Weg mit,den wir Ihnen mit dem vorliegenden Entwurf eines Opti-onsgesetzes vorgeschlagen haben. Dieser Weg ist derbeste, der ohne Verfassungsänderung möglich ist. Erwird meiner Überzeugung nach auch dem Grundgedan-ken der Vereinbarung, die wir im Vermittlungsausschussgetroffen haben, gerecht.Meine Damen und Herren, es wird viel über Mitwir-kung der Kommunen gesprochen; vor allen Dingenvon Ihnen, der CDU/CSU, die Sie die Kommunen ja neuentdeckt haben.
Finanziell haben Sie für die Kommunen bisher in denLändern, in denen Sie die Verantwortung tragen, relativwenig getan, sowohl gegenwärtig als auch in der Ver-gangenheit. Ich sage Ihnen: Helfen Sie lieber mit, dassjetzt auf der kommunalen Ebene geschieht, was gesche-hen muss. Bei der Bundesagentur für Arbeit verfügenwir über ausreichend Mittel, um noch Zehntausendenvon Jugendlichen durch das JUMP-plus-Programm zueiner Ausbildung, Umschulung oder Vorqualifizierungzu verhelfen. Da liegt noch Geld für Arbeitsplätze fürZehntausende junge Arbeitslose.
Dort liegt übrigens auch noch Geld für Zehntausendevon Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose. Statt wie Sieeine, wie ich finde, überzogene Organisationsdiskussionzu führen, sollten wir allesamt in unseren Kommunendazu beitragen – das ist mir wichtig –, dass etwas in Be-wegung kommt, was die Leute von der Straße bringt,was gerade junge Leute in Ausbildung und Arbeit, inAusbildungsplätze und Umqualifizierung bringt.
Dabei können Sie helfen. Das wäre mehr wert als das,was Sie versuchen, nämlich Verunsicherung unter dieMenschen zu bringen. Sie werden es nicht schaffen, Siewerden uns dabei nicht aufhalten – gewöhnen Sie sich anden Gedanken!
Wir alle – Sie und wir – haben am Arbeitsmarkt genugZeit verloren. Wir werden nicht noch mehr Zeit verlierenwollen, sondern alles tun, um unseren Fahrplan einzu-halten.Dass etwas geschieht, sehen Sie, wenn Sie einenBlick auf die Jugendarbeitslosigkeit werfen: Die Ar-beitslosigkeit von Jugendlichen unter 20 Jahren liegtjc–sguwmzGumazsCBbrDdHgmsvDbFafWMoEmne
Das ist immer noch zu viel. Es ist immer nochchlecht, auch wenn es im europäischen Maßstab übri-ens nicht ganz so schlecht ist.Wir werden uns auf unsere Aufgaben konzentrierennd diesen Prozess vorantreiben. Ich bin überzeugt, dassir erfolgreich sein werden. Wichtig ist, dass die Kom-unen zur Zusammenarbeit bereit sind. Ich bin über-eugt, sie sind es. Wir haben die Pflicht, die finanziellenrundlagen zu klären – das tun wir mit Hochdruck –,nd Sie haben aus meiner Sicht die Pflicht, konstruktivitzuwirken. Das tun Sie am besten, wenn Sie mitgehenuf dem Weg, den wir mit dem Optionsgesetz vorge-eichnet haben.Ich danke Ihnen sehr für Ihre Geduld und Aufmerk-amkeit.
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herrundesminister! Meine Damen und Herren! Das Pro-lem bei dieser Debatte heute ist, dass wir ein Gesetz be-aten, bei dem schon die Überschrift nicht stimmt.
ort heißt es „optionale Trägerschaft“, in Wahrheit ist inem Gesetz von Trägerschaft aber gar nicht die Rede.ier wird von Ihnen ein Organleihemodell vorgeschla-en. Ich glaube, dass es gar keinen Streit darüber gebenuss: „Option“ hätte bedeutet, dass die Aufgabe in die-em Fall zur Kommune kommt und sie diese in Eigen-erantwortung wahrnimmt.
ie Wahrheit ist auch – um dabei ganz ruhig zu blei-en –: „Organleihe“ bedeutet, dass das Organ, in diesemall die Kommune, zur Aufgabe wandert, diese Aufgabeber in den Entscheidungssträngen der Bundesagenturür Arbeit verbleibt.
Das ist der Streit um den Unterschied, den wir haben:ollen wir einem Landkreis, einer kreisfreien Stadt dieöglichkeit geben, in Eigenverantwortung zu handeln,der wollen wir nur die Möglichkeit einräumen, in denntscheidungsstrukturen der Bundesagentur für Arbeititarbeiten zu können? Ich finde, es ist auch in Ord-ung, dass wir darüber streiten. Hier geht es ganzinfach darum, ob der Wettbewerb der Ideen vieler
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Karl-Josef Laumannkommunaler Träger und Beschäftigungsorganisationenin der schwierigen Frage, wie man trotz der schwierigenArbeitsmarktlage Langzeitarbeitslose integrieren kann,in diesem Land noch stattfindet oder ob er nicht mehrstattfindet.Dieses Gesetz bedeutet – das wissen auch Sie –, dassmit dem 1. Januar 2005 ein Ende der kommunal verant-worteten Beschäftigungspolitik bevorsteht. Dies bedeu-tet nicht notwendigerweise das Ende der gemeinsamenBeschäftigungsbemühungen von Kommune und Ar-beitsamt, aber das Ende einer kommunal verantwortetenBeschäftigungspolitik. Das wird die Beschäftigungspoli-tik in unserem Land ärmer machen; davon bin ich über-zeugt.
Es sollte Sie sehr nachdenklich machen, dass derDeutsche Landkreistag, der immerhin 323 von 439 kom-munalen Körperschaften vertritt, die überhaupt optierenkönnen, sagt: Unter den Bedingungen dieses Gesetzeskönnen wir uns das überhaupt nicht vorstellen.
Ein weiterer Punkt: Jeder von uns, der sich mit kom-munaler, mit regionaler Arbeitsmarktpolitik beschäftigthat, weiß doch – den Eindruck habe ich seit Jahren –,dass die besten Ergebnisse dort zustande kommen, wodie kommunalen Gebietskörperschaften vernünftig mitdem Arbeitsamt zusammenarbeiten und umgekehrt. Dasist die Wahrheit und das kann niemand bestreiten. Aberes ist eben ein ganz großer Unterschied, ob dies in einemJobcenter stattfindet, in dem die Entscheidungsstruktu-ren der Bundesagentur gelten, oder ob es in einem Job-center stattfindet, wo regional denkende und handelndeKommunalpolitik den Ton angibt.
Diesen Unterschied müssen wir in diesem Gesetz he-rausarbeiten. Das Gesetz, das Sie vorgelegt haben, hatmit Subsidiarität nichts zu tun; es ist ein Gesetz, das dieZentralität verstärkt.Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich nunaus dem Protokoll der Anhörung vom vergangenenMontag zitieren. In dieser Anhörung hat ProfessorDr. Wieland von der Goethe-Universität Frankfurt aufeine Frage unseres verehrten und sachkundigen Kolle-gen Wolfgang Meckelburg
geantwortet:Wenn Sie dieses Optionsmodell mit der Organleiheverwirklichen, bedeutet das letztlich, Sie geben ei-gentlich den Vorteil der kommunalen Selbstverwal-tung auf. Kommunale Selbstverwaltung lebt ja vonder demokratischen Legitimation von unten nachoben. Die kommunalen Stellen sind aus der örtli-chen Gemeinschaft heraus legitimiert und handelndaraus. Wenn Sie hier optieren, wenn Sie von derMöglichkeit Gebrauch machen, die im Gesetzent-wurf vorgesehen ist, begeben Sie sich gewisserma-DwSuddzspdhzhDanegdwASw–nadbnkAledMzsategzantur
In diesem Punkt hätten wir die Verfassung ändern kön-en. Das ist gar kein Problem.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der unsuch nachdenklich stimmen soll. Ich habe am Montag iner Anhörung einen Vertreter der Bundesagentur für Ar-eit gefragt, wie man dieses Problem seiner Meinungach verwaltungstechnisch in den Griff bekommenönne. Er hat gesagt – das können Sie im Protokoll dernhörung nachlesen –, dass man dafür etwa 40 950 Stel-n brauche. Heute gebe es etwa 14 000 Mitarbeiter beier BA, die sich um die Arbeitslosenhilfe kümmern.an wird also weitere rund 26 000 Menschen irgendwieur Bundesagentur bringen müssen, eventuell über Ge-tellungsverträge aus den Kommunen oder über die Be-uftragung Dritter.Die Bundesagentur hat schon heute 91 000 Mitarbei-r. Sie wollen nun die Zahl der Stellen bei einer derartroßen Behörde um 26 000 erweitern. Diese werdenwar nicht alle in einem Arbeitsverhältnis mit ihr stehen,ber auf deren Payroll. Denn auch die von den Kommu-en Gestellten werden auf der Lohnliste der Bundesagen-r für Arbeit stehen und in deren Entscheidungsstruktu-en eingebunden sein. Wenn Sie so weitermachen, dann
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Karl-Josef Laumannist die Arbeitsverwaltung bald größer als die Bundes-wehr. Das kann nicht gut gehen.
Zum Schluss bitte ich Sie, dass Sie Folgendes über-denken: Die Holländer – Herr Clement kommt wie ichaus einer Ecke, wo die Niederlande nicht ganz fern sind –können auf dem Arbeitsmarkt Erfolge verzeichnen, seitsie ihn regionalisiert haben. Wenn ein Land mit16,2 Millionen Einwohnern Erfolge verzeichnen kann,wenn es regionalisiert, dann glaube ich, dass in einemLand mit 82 Millionen Einwohnern – das ist die Größeunseres wiedervereinigten Vaterlandes – eine Regionali-sierung erst recht anschlägt.Umkehren wollen Sie ja nicht mehr. Sie haben deut-lich genug gesagt, dass Sie mit dem Kopf durch dieWand gehen werden. Sie müssen aber davon ausgehen,dass wir die Hand dazu nicht reichen.Ich stelle fest, dass dieses Gesetz nicht dem Sinn unddem Geist der Entschließung vom 18. Dezember 2003entspricht.
Ich sage noch einmal: Wenn wir gewusst hätten, dass soetwas dabei herumkommt, dann hätte es die Zusammen-führung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nicht ge-geben, weil wir nicht mitgemacht hätten. Es ist nicht zuverantworten, dass sie in dieser Form zusammengeführtwerden. Den Menschen, die Arbeitslosenhilfe erhalten,wird dadurch nämlich sehr viel Geld weggenommen, ob-wohl sie nicht zu viel haben. Gleichzeitig werden ihnenkeine effizienteren Betreuungsstrukturen angeboten. Dasist unverantwortlich.Es gibt noch einen weiteren Punkt, der gelöst werdenmuss. Dabei geht es um die Mieten, also um die Unter-kunftskosten, und darum, wie stark die Kommunen hierbelastet werden. Das muss gelöst werden. In Nordrhein-Westfalen wird sich keine einzige Kommune mehr au-ßerhalb des Ausgleichsstocks befinden, wenn das, wasjetzt im Gesetz steht, Realität wird.Ich kann Ihnen nur raten: Ändern Sie den Weg! An-sonsten wird bei der Kommunalwahl in Nordrhein-West-falen am 26. September 2004 deutlich werden, wer fürdiese Finanzsituation verantwortlich ist.Schönen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Laumann, wir sind heute hier zusammenge-kommen, weil weder Sie noch wir am 18. Septem-ber 2003 eine Mehrheit für eine Verfassungsänderung imVermittlungsausschuss gefunden haben. Die Verfas-sungsänderung wurde im Vermittlungsausschuss wedervorgeschlagen noch durchgesetzt.DdmggHmammWLsgfVbBwsfcdvn2glzgDdwwsskdlddrpfg
eswegen reden wir heute darüber, wie die Option fürie Kommunen aussehen kann.Ich finde es interessant, dass Sie in diesem Zusam-enhang hier gesagt haben, dass das, was wir vorschla-en, unterhalb der Verfassungsänderung ein guter undangbarer Weg sei.
err Laumann, nehmen Sie Ihre eigenen Wort ernst undachen Sie mit! Eines ist doch klar und darin sind wirlle uns auch vollkommen einig: Wir brauchen die Kom-unen bei der Umsetzung der anstehenden Arbeits-arktreformen.
ir brauchen die Kommunen. Sie müssen sich um dieangzeitarbeitslosen kümmern und sie müssen auf derozialen Ebene, beispielsweise bei der Drogenberatung,ute Angebote machen. Aber sie müssen eben auch – da-ür brauchen wir die Bundesagentur für Arbeit – bei derermittlung tätig werden. Wir brauchen beide und wirrauchen die Kooperation der Kommunen mit derundesagentur für Arbeit, weil jeweils eine Seite et-as besser kann als die andere. Diese Kooperation müs-en wir vorbereiten.Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Punkt aufgrei-en, den der Minister vorhin angesprochen hat: Wir brau-hen die Kommunen. Deshalb ist es auch völlig klar,ass wir das Ziel, das wir durch die Zusammenlegungon Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe erreichen wollten,ämlich zu einer Entlastung der Kommunen in Höhe von,5 Milliarden Euro zu kommen, auch weiterhin verfol-en werden. Das ist unser politischer Wille.Die Daten, die heute vorliegen, wurden im Vermitt-ungsausschuss übrigens gemeinsam mit der Oppositionugrunde gelegt. Sie waren also die Grundlage für dieemeinsame Entscheidung.
iese Daten entsprechen heute nicht mehr der Realität,a die Entlastung offenbar nicht vollständig so erfolgt,ie wir das gehofft haben. Deswegen wird hierüber aucheiterhin geredet werden. Die Wahrheit wird wahr-cheinlich in der Mitte liegen: Herauskommen werdenicherlich nicht die 5 Milliarden Euro, die jetzt von derommunalen Seite eingeklagt werden. Aber offenbar istie Realität am Arbeitsmarkt auch nicht so, dass tatsäch-ich 2,5 Milliarden Euro erbracht werden. Es ist wichtig,as eindeutig festzustellen.Ich möchte für meine Fraktion noch einmal sagen,ass wir den Vorschlag, eine Revisionsklausel einzufüh-en, in diesem Zusammenhang als sehr vernünftig undroduktiv ansehen. Wir halten es für notwendig, dass dieinanzpolitischen Spielräume der Kommunen auch underade durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
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Dr. Thea Dückertund Sozialhilfe erweitert werden, damit auch die Betreu-ungsmöglichkeiten von Kindern unter drei Jahren weiterverbessert werden. Das ist nämlich auch aus arbeits-marktpolitischen Gründen erforderlich.
Die Opposition schlägt jetzt die Verschiebung der Zu-sammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfevor; Herr Koch will gar – ich komme darauf noch zusprechen – einen Boykott. Das würde den Kommunenzusätzlich schaden. Eine Verschiebung der Maßnahmenwürde nämlich gerade nicht zu einer Entlastung derKommunen führen.Wir brauchen die Zusammenlegung von Arbeitslo-senhilfe und Sozialhilfe aber auch aus einem ganz ande-ren Grund. Seit Jahren wäre sie notwendig gewesen; sieist längst überfällig.
Wir hätten dies bereits in den 90er-Jahren tun müssen.Sie haben das in den 90er-Jahren verschlafen.
– Diese absurden Doppelstrukturen gibt es nur inDeutschland: Steuerfinanzierte Systeme – Arbeitslosen-und Sozialhilfe – existieren nebeneinander her; dieLangzeitarbeitslosen werden in zwei Schubladen einsor-tiert, die Sozialhilfeempfänger teilweise zu Bittstellerndiskreditiert, weil die Leistungen nicht pauschaliert sind.
Das alles ist von Ihnen über Jahre hinweg gepflegt wor-den, übrigens immer verbunden mit dem Ziel, die So-zialhilfe abzusenken. Wir wollen, dass die Sozialhilfe-empfänger Zugang zur aktiven Arbeitsmarktpolitikhaben und nach der Reform vernünftig und zügig betreutwerden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Ja, Herr Kollege Niebel. Bitte sehr.
Vielen Dank, Frau Dückert. – Ich stimme Ihnen aus-
drücklich zu, dass es sinnvoll ist, die beiden steuerfinan-
zierten Leistungen zusammenzulegen, stelle Ihnen aber
die Frage, weshalb Sie vor knapp drei Jahren unseren
Antrag, genau das zu tun, hier in diesem Hause abge-
lehnt haben.
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ngesichts unserer fortgesetzten Reformen – ich wieder-ole: Sie hätten sie in Ihren über 20 Jahren Regierungs-eteiligung einleiten können – die Bundesagentur fürrbeit sogar zerschlagen.
ie unsoziale Strategie Ihrer Arbeitsmarktpolitik und dieontraproduktiven Elemente beim Umgang mit der Bun-esagentur für Arbeit haben sich auch in Ihren damali-en Anträgen widergespiegelt.
eswegen konnten wir sie beim besten Willen nicht un-erstützen, Herr Niebel.Lassen Sie mich zurückkommen: Es ist überfällig, dierbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 zu ei-er neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende zusam-enzulegen und die Kommunen als Partner auf gleicherugenhöhe in diese Aufgabe einzubinden. In dieser Si-uation – das ist ein riesiges Projekt, das viele Verände-ungen mit sich bringt und viele Schwierigkeiten birgt –tellt sich Herr Koch von der CDU quer
nd ruft die Kommunen zum Boykott in der Zusammen-rbeit mit der Bundesagentur für Arbeit und den Arbeits-mtern auf, weil ihm das Modell, das für die Träger-chaft des Arbeitslosengeldes II vorgeschlagen wird,icht passt. Ich halte das für einen unglaublichen Vor-ang. Dieser Boykottaufruf von Herrn Koch ist nichtsnderes als ein Zeichen dafür, dass die Opposition mitt-erweile hemmungslos im Umgang mit Langzeitarbeits-osen geworden ist und sie in Geiselhaft ihrer Politikehmen will.
Blockade und Angstmacherei – das war stets einetrategie Ihrer Arbeitsmarktpolitik. Angesichts dessenue ich mich schon schwer mit dem von Ihnen, Herraumann, immer so freundlich vorgetragenen Angebot,rnsthaft in der Sache zu streiten. Denn um die Sacheeht es Ihnen offensichtlich überhaupt nicht.
s geht Ihnen um Diskreditierung und Zerschlagung ei-er Arbeitsmarktreform, die absolut notwendig ist.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9495
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Dr. Thea DückertDas Optionsgesetz, das wir heute diskutieren, ist einStück weit ein Aufhänger für diese Debatte, weil das,was wir bereits verabschiedet haben und was Gesetz ist,die Umsetzung der Reform notwendig und möglichmacht.
Die Arbeitsgemeinschaften sind inzwischen Gesetz.Zum 1. Januar 2005 kann die Zusammenlegung von Ar-beitslosen- und Sozialhilfe kommen.
– Genau das blockieren Sie, Herr Niebel. Ihr KollegeLaumann schlägt die ganze Zeit vor, die Zusammenle-gung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe um ein Jahr zuverschieben. Herr Koch ruft sogar die Kommunen zumBoykott auf, um die angeschobenen Arbeitsmarktrefor-men aufzuhalten.
Was Sie wollen, ist fahrlässig.
Wir wollen den Kommunen eine Optionsmöglichkeiteinräumen. Die Organleihe, die wir vorschlagen, ist einfaires Angebot. Die Kommunen bekommen in einemsehr überschaubaren Rahmen eine Handlungsfreiheit.Sie haben einen finanzpolitischen Spielraum in Formvon Budgets, über die sie frei verfügen können, und sieerhalten einen Spielraum in Form von Zielvereinbarun-gen. Nur dann, wenn sie die politischen Zielvereinbarun-gen, die sie selber abschließen, verletzen, greift die Auf-sichtspflicht. Das ist in diesem Gesetz festgelegt.Das ist exakt die Vereinbarung, die wir im Vermitt-lungsausschuss getroffen haben. Darüber reden Sie näm-lich nicht mehr: Wir haben in einem Entschließungsan-trag festgelegt, dass die Einbindung der Kommunendurch Zielvereinbarungen erfolgt. Genau das wird hier-mit eingelöst. Der Handlungsspielraum der Kommunenwurde so groß wie möglich konzipiert, ohne die Verfas-sung ändern zu müssen. Das geben sie selber zu. Deswe-gen sage ich noch einmal: Machen Sie bei den Verände-rungen mit!
Ich möchte zum Schluss noch eines ansprechen. DieReform, die auf die Menschen zukommt, ist ein riesigesProjekt. Viele Arbeitslose, viele Kommunen, viele Trä-ger und viele Angebote am Arbeitsmarkt sind davon be-troffen. Es gibt in der Tat große Probleme in dem Be-reich. Die Lösung kann aber nicht darin bestehen, nurdie Probleme zu nennen, sondern wir müssen Strategienzur Lösung der Probleme erarbeiten.
sgsSKk–PaFHhSdvrSnemBeolü–O
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Niebel, FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeitat zu Recht gesagt: Wir brauchen die Kommunen.eine grüne Kollegin hat zu Recht gesagt: Wir brauchenie Kommunen. – Sie legen hier ein Organleihegesetzor, das mit Option nichts am Hut hat und das dazu füh-en wird, dass die Kommunen das nicht machen werden.ie spielen Mikado mit den Lebenschancen von Millio-en von Menschen – weil wir die Kommunen brauchen!
Wir haben am 18. Dezember des letzten Jahres nachinem relativ langen Vermittlungsverfahren einen ge-einsamen Entschließungsantrag von Bundestag undundesrat hier in diesem Haus beschlossen, mit demine eigenständige Trägerschaft für Kommunen, dieptieren wollen, gewährleistet werden sollte. Das Organ-eihegesetz, das Sie vorlegen, hat mit diesem Beschlussberhaupt nichts zu tun.
Frau Barnett, wir wissen schon aus der Medizin, dassrganleihe nicht funktionieren kann.
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Dirk NiebelWir brauchen Kommunen, die sich mit einer fairen, be-rechenbaren Chance um die Integration auf dem Arbeits-markt kümmern können. Aus diesem Grunde haben wirgemeinsam mit der Union einen Entschließungsantrageingebracht, der eine transparente Regelung mit grund-gesetzlicher Absicherung der Option einfordert, damitdiese Aufgabe übernommen werden kann.Wir haben in dem Vermittlungsverfahren eine Reformbeschlossen. Das ist – da haben Sie völlig Recht – schonGesetz. Insofern können wir gar nichts blockieren. Wirwollen nur Fairness, wir wollen, dass Sie uns nicht beidem Beschluss betrügen, den wir gemeinsam getroffenhaben.
Wir haben dreierlei beschlossen: erstens – das wolltenSie – die grundsätzliche Zuständigkeit der Bundesagen-tur, zweitens die Möglichkeit, Arbeitsgemeinschaften zubilden – Sie können die Kommunen dazu aufgrund desgrundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstbestim-mungsrechts nicht verpflichten –, und drittens die Op-tion. Wenn Sie ein Gesetz vorlegen, mit dem sich dieKommunen faktisch in die Abhängigkeit der Bundes-agentur für Arbeit begeben, um dann als Organ der Bun-desagentur mit deren Dienstvorschriften arbeiten zumüssen – das wird kein verantwortlich denkender Kom-munalpolitiker machen –, werden Sie keine Kommunenfinden, die optieren werden.Insofern bleiben nur die ersten beiden Alternativen,die grundsätzliche Zuständigkeit der Bundesagentur unddie Möglichkeit, Arbeitsgemeinschaften zu bilden.
Wir haben in der Anhörung gehört – lesen Sie dasbitte im Protokoll nach, Herr Clement! –, dass sich dieKommunen angesichts ihrer Haushaltssituation mittel-fristig sehr genau überlegen werden, ob sie Angeboteund Dienstleistungen für Aufgaben zur Verfügung stel-len, für die sie nicht mehr zuständig sind. Die Zuständig-keit erfolgt grundsätzlich durch die Bundesagentur.Wir laufen Gefahr, dass mittelfristig Strukturen weg-brechen, die den Menschen vor Ort die letzte Chance zurIntegration geboten haben. Sie selbst haben festgestellt,Herr Clement, dass die Kommunen aufgefordert werdenmüssten, sich bei JUMP plus und Ähnlichem zu beteili-gen, weil ihre Mitwirkung notwendig ist. Das hätten Siesicherlich nicht gemacht, wenn sie es nicht besser ma-chen würden als die Bundesagentur.
Sie haben noch nicht angesprochen, was am 1. Januarkommenden Jahres geschehen wird, wenn sich eineVielzahl der Kommunen nicht einer Arbeitsgemein-schaft anschließen wird. In dem Fall haben die Mitarbei-ter der Bundesagentur Aufgaben zu erfüllen, für die siekeine Kompetenzen haben. Denn für den Personenkreis,um den es dabei geht – langfristig arbeitslose Men-schen –, ist der Verlust des Arbeitsplatzes meistens nureines von sehr vielen Problemen.–bsbAZasrstddJwvbsAttsew1dgkz
Ich mache mir keine Hoffnungen. Ich habe vielmehrittere Angst, dass es Anfang nächsten Jahres zu einemozialen Chaos kommt, weil Sie sich nicht an die Verein-arungen gehalten haben.
ußerdem sind Ihnen von der Regierungsbank keinewischenrufe erlaubt.
Herr Minister, ich habe Verständnis für Ihre Erregung,
ber Sie dürfen von der Regierungsbank aus keine Zwi-
chenrufe machen.
Frau Präsidentin, ich habe kein Verständnis für die Er-egung des Herrn Minister. Der Herr Minister hat sichchlichtweg nicht an eine im Vermittlungsausschuss ge-roffene Vereinbarung gehalten und jetzt versucht er,urch die Hintertür zu fliehen.
Die die Regierung tragenden Fraktionen und er wer-en dafür verantwortlich sein, wenn Anfang nächstenahres die Existenz von Millionen Menschen gefährdetird. Sie tragen die politische Verantwortung dafür.
Wir hören immer wieder, dass angesichts der Vielzahlon Datensätzen, die zu übertragen sind, und der Pro-lematik mit den Schnittstellen – es gibt 440 unter-chiedliche Träger der Sozialhilfe, 180 Agenturen fürrbeit, die unterschiedlichsten EDV-Programme und un-erschiedlich erfasste Daten – erhebliche Schwierigkei-en auf uns zukommen. Hinzu kommt, dass unseres Wis-ens die EDV zumindest zurzeit nicht funktioniert, nichtinmal insofern, als ein belastbarer Test durchgeführterden könnte. Einen solchen Test haben Sie am9. Mai geplant.Als Konsequenz daraus werden die Datensätze vonen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hand einge-eben werden müssen. Außerdem werden aus der Porto-asse oder aus welcher Kasse auch immer Abschlags-ahlungen gewährt werden müssen.
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Dirk NiebelDie Betroffenen werden leider nicht vor Ihrem Ministe-rium, sondern vor den Agenturen für Arbeit stehen unddiejenigen belasten, die sich darum bemühen, dieseMenschen wieder in Arbeit zu vermitteln. Was Sie ma-chen, ist unverantwortlich, Herr Clement!
Mir graut davor, dass nach dem Dosenpfand, dem vir-tuellen Arbeitsmarkt und der LKW-Maut das nächstegroße Desaster dieser Regierung kommt. Deswegen for-dere ich Sie auf, Herr Clement: Geben Sie den Kommu-nen, so wie wir es vereinbart haben, die gerechte Mög-lichkeit, die Aufgaben zu übernehmen, wenn sie dieswollen. Die Kommunen, die das nicht wollen, werdensich dann sicherlich den Arbeitsgemeinschaften an-schließen. Das ist dann vermutlich auch das Beste, weildie Selbstbestimmung der Kommunen das entschei-dende Kriterium dafür ist, ob sie den Wettbewerb um diebesten Ideen gewinnen können. Nur dann können dieMenschen, um die es hierbei geht, eine Chance zur Inte-gration und zur Teilhabe am gesellschaftliche Leben be-kommen.Wir werden jedenfalls in weiteren Vermittlungsver-fahren nicht mehr so blauäugig sein, Herr Clement, unsauf Entschließungen oder Protokollnotizen zu verlassen.Die Zusammenarbeit mit Ihnen wird schwieriger, weilwir Ihnen nicht trauen können.
Wir werden in weiteren Vermittlungsverfahren Punkt fürPunkt, Komma für Komma und Buchstabe für Buch-stabe beschließen müssen, weil Sie nicht ehrlich undredlich sind und weil Sie belogen und betrogen haben.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner, SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Mit der Verabschiedung des Op-tionsgesetzes vollziehen wir heute den letzten Schritt derReformen am Arbeitsmarkt.
Wir legen damit pünktlich ein faires Angebot vor, dasdie Möglichkeiten des Grundgesetzes voll ausschöpft.Denn wir alle wissen, dass eine Grundgesetzänderungim Bundesrat nicht mehrheitsfähig gewesen wäre. DieVorwürfe, die gerade mein aufgeregter Vorredner ineiner aus meiner Sicht unflätigen Weise erhoben hat – erhat unter anderem von Lügen gesprochen –, muss ich andwLinlspuhMeapdcSTtsnsggGszJmsA–gwbbnzbJRVgWs
In der Sache selbst müssen wir jetzt, unabhängig vonersönlichen Sichtweisen, die Debatten schnell beendennd zu einer zügigen Umsetzung kommen. Roland Kochat gestern die Kommunen zur Blockade aufgerufen.eine Damen und Herren von der Opposition, ich finde,s ist ein Skandal, dass Sie damit zum Gesetzesboykottufgerufen haben. Viel schlimmer ist aber, dass Sie Ihreolitischen Interessen auf dem Rücken der Arbeitslosen,en Schwächsten der Gesellschaft, durchzusetzen versu-hen. Das diskreditiert Sie.
ie behaupten, die Kommunen würden nicht mitmachen.atsächlich gibt es aber zahlreiche kommunale Initia-iven. Bremsen Sie diese nicht ab! Behindern Sie die Zu-ammenarbeit nicht! Die Menschen in diesem Land seh-en sich nach Überwindung der sozialen Unsicherheitowie nach Zusammenarbeit und praktikablen Lösun-en. Solche haben wir auch vorgeschlagen.
Wir haben gehört, dass es schon viele gute Beispieleibt. Im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit ist eineruppe gebildet worden, die Musterarbeitsgemein-chaften voranbringen soll. Diese sollten wir unterstüt-en; denn jetzt sind Taten und nicht große Reden gefragt.etzt ist die Stunde der Praxis. Es gibt keine Ausflüchteehr, man müsse erst noch auf die eine oder andere ge-etzliche Regelung warten. Alle arbeitsmarktpolitischenkteure sollten zügig an die Arbeit gehen. Den Zeitplan darauf haben Vorrednerinnen und Vorredner schon hin-ewiesen – gilt es einzuhalten. Es hilft auch nichts, wennir diese notwendige und sinnvolle Reform hinausschie-en. Einige behaupten, ein solches Mammutprojektrauche mehr Zeit. Ich sage dazu: Erstens haben wiroch acht Monate Zeit. Zweitens haben wir schon vielu viel Zeit bis zur Umsetzung dieses wichtigen Vorha-ens verstreichen lassen.
eder weiß: Nur wenn man mutig ist, die notwendigeneformen anzupacken, kann man wieder Zuversicht undertrauen in der Gesellschaft gewinnen und dafür sor-en, dass die Beschäftigung in diesem Land zunimmt.ir brauchen Menschen, die zupacken, und keine Men-chen, die alles mies machen.
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Klaus BrandnerDie Arbeitsagenturen und die Kommunen müssen dieBildung von Arbeitsgemeinschaften jetzt zügig angehen.Dafür haben wir den notwendigen Spielraum geschaffen.Das Optionsgesetz stellt klar, dass Gemeinden, die essich zutrauen, die Aufgabe allein übernehmen können.Diese Gemeinden erhalten dann die gleichen Pauschalenfür Eingliederungsleistungen und Verwaltungskosten,wie sie auch den Arbeitsagenturen bzw. den Arbeitsge-meinschaften zustehen.Das Optionsgesetz ändert im Übrigen nichts an derFinanzverteilung. Das haben viele in der Vergangenheitverwechselt. Bund und Länder haben im Übrigen ge-meinsam gerechnet. Möglicherweise haben sie die Fall-zahlen unterschätzt. Das betrifft dann aber alle: Sie alsOpposition genauso wie uns, den Bund genauso wie dieLänder. Tun Sie nun also nicht so, als ob der Bund Ihnenetwas Falsches vorgelegt und sich, wie Herr Koch jetztbehauptet, einen großen Teil vom Kuchen gegriffenhätte! Das ist schlicht gelogen. Mit dieser Verdrehungder Tatsachen und dieser Unsachlichkeit kommen wirkeinen Millimeter weiter.
Die Länder müssen im Übrigen auch die Ehrlichkeitbesitzen, die Einsparungen an die Kommunen weiterzu-geben. Hier liegt unter anderem der Hase im Pfeffer.Darauf sollten wir in diesem Haus gemeinsam achten.Wir stehen jedenfalls zu unserer Verantwortung undwerden auf eine seriöse Nachberechnung rasch reagie-ren. Der Minister hat gerade noch einmal deutlich zu-gesichert – er hat kein Glaubensbekenntnis abgelegt,sondern ein Versprechen gegeben –, dass die Bundesre-gierung sowie die Bundestagsfraktionen von SPD undGrünen dafür stehen, dass die Kommunen tatsächlichum 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Eine solcheZusicherung sollte endlich Mut machen, die Arbeit zurBildung von Arbeitsgemeinschaften aufzunehmen.Wir wissen, dass sich die Opposition in diesem Zu-sammenhang rein destruktiv verhält. Sie haben die Bun-desagentur für Arbeit oft genug schlechtgeredet. DieFDP will sie sogar zerschlagen.
– Das ist fein formuliert, bedeutet aber im Ergebnisnichts anderes. – Die CDU/CSU behauptet landauf,landab, dass die Arbeitsagenturen es nicht könnten unddass man diesen keine Arbeit mehr geben dürfe. Dasläuft letztendlich auf das Gleiche hinaus. Insofern müs-sen wir deutlich sagen: Wir stehen zu dieser Reform undwir sind davon überzeugt, dass die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit eine Chanceverdient haben. Sie können zusammen mit den in denKommunen Beschäftigten dazu beitragen und dafür sor-gen, dass Sozialhilfeempfänger stärker als in der Vergan-genheit in Arbeitsverhältnisse integriert werden.Es geht darum, praktische Beispiele wie das ausEssen bekannter zu machen. Ihr ewiges Schlechtreden,das Sie in der Vergangenheit und auch heute praktizierthaben, muss aufhören. Wir haben in Essen gemeinsamedBvbbribdsubdBhScAgatnVSwgBhdwsmnAdmArdcA
Jetzt geht es darum, mit den neuen Strukturen in Ar-eitsgemeinschaften offensiv umzugehen. Die Fortfüh-ung der kommunalen Beschäftigungsgesellschaftenst – danach wird oft genug gefragt – gesichert. Geradeei der Beschäftigungsförderung brauchen wir die aus-rückliche Zusage, dass sich diese Beschäftigungsge-ellschaften keine Sorgen machen müssen. Wir befindenns im Verfahren, das im SGB II geregelt ist. In den Ar-eitsgemeinschaften kann die Aufgabe vergeben wer-en. Die Maßnahmen können, wie es bis jetzt nach demundessozialhilfegesetz geschieht, voll und ganz beibe-alten werden. Deshalb muss mit der Verunsicherungchluss sein. Sie ist verantwortungslos; schließlich brau-hen wir genau diese Trägerstrukturen für eine aktiverbeitsvermittlung.Außerdem gibt es die Möglichkeit der Übergangsre-elung. Darauf kann man zurückgreifen, im Übrigenuch dann, wenn der Leistungsbezug nicht gleich funk-ioniert. Ich bin aber davon überzeugt: Er wird funktio-ieren. In Jobcentern kann man auch ganz pragmatischereinbarungen treffen, die vorsehen, dass an mehrerentellen Leistungen erbracht und Auszahlungen getätigterden.Die Beschäftigungsgesellschaften können – das ist we-en unserer gesetzlichen Grundlage etwas Neues – sogarestandteil der Arbeitsgemeinschaften werden. Daseißt: Sie wären nicht nur Beauftragte, sondern ein Teiler aktiven Arbeitsmarktpolitik. Insofern finde ich esichtig, dass das Bild der Arbeitsgemeinschaftenchlüssig und logisch ist. Mit den Verschiebebahnhöfenuss endlich Schluss sein. Leistungen kommen aus ei-er Hand.Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Auch bei denusschreibungsverfahren haben wir dafür gesorgt,ass auf die regionalen Belange in Zukunft wesentlichehr Rücksicht genommen wird.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das geschieht durch kleinere Lose und durch daschten auf Qualität. Dadurch, dass den Qualitätskrite-ien mehr Gewicht beigemessen wird, sorgen wir dafür,ass die kleinen leistungsfähigen Strukturen in der Flä-he erhalten bleiben. Das wird ein aktiver Beitrag zumbbau der Langzeitarbeitslosigkeit vor Ort sein.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile dem Kollegen Johannes Singhammer,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undKollegen! Herr Bundeswirtschaftsminister, die Bundes-regierung steuert bei der Einführung des Arbeitslosen-geldes II auf die größte Bruchlandung der letzten Jahr-zehnte zu. Ein bizarres Bild zeichnet sich ab: DerChefpilot des Jumbos Bundesagentur für Arbeit, HerrWeise, funkt SOS, die EDV-Programme für den Weiter-flug fehlen, das Höhenruder klemmt,
der Finanzsprit für die Kommunen und die Landkreisereicht nicht und die Pilotenmannschaft bittet um die Er-laubnis zur Notlandung. Was macht der Cheffluglotse imsicheren Berlin, Herr Clement? – Er befiehlt: Augen zu,Blindflug bis zur Bruchlandung.
Die Leidtragenden einer solchen Gesetzeskatastrophe– 3,5 Millionen Menschen, über 2 Millionen Langzeit-arbeitslose, hinzu kommen die erwerbsfähigen Sozialhil-feempfänger – haben schon jetzt große Sorge. Ich sage andieser Stelle ohne Häme: Wir hätten uns gewünscht, dassdas Projekt der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfeund Sozialhilfe gelingt und zu einem Erfolg für Deutsch-land wird. Deshalb haben wir im Vermittlungs-ausschuss alle Kräfte mobilisiert und unseren Beitraggeleistet.
Die zentralen Absprachen im Vermittlungsausschusswurden aber – das wissen Sie genau – nicht eingehalten.Deshalb sage ich an dieser Stelle klar und deutlich: Wirlehnen jede Verantwortung für die sich anbahnende Ge-setzeskatastrophe ab. Wir distanzieren uns von diesemGesetzesmurks.
Die Bereitschaft zur Mitwirkung der Gemeinden, derStädte und der Landkreise wird Tag für Tag mehr ver-spielt. Für die meisten Städte stellt sich im Hinblick aufdie Lösung der Arbeitsgemeinschaft natürlich dieFrage: Wie schauen die Finanzen aus? Das ist auch fürdiese Alternative die entscheidende Frage. Nachdem Sieeine echte Option abgelehnt haben, wird die Bereit-schaft, in eine Arbeitsgemeinschaft einzusteigen, nichtwachsen, wenn Sie die grundlegende Frage, wie es mitden Finanzen der Kommunen weitergeht, nicht klären.Wieder einmal fehlen nach den Berechnungen derKommunen Milliarden, in diesem Falle 5 MilliardenEuro. Sie sagen: Es sind weniger. Das Problem wird sichschon noch lösen. – Wenn Sie uns nicht glauben, auchden Kommunen und den Kreisen nicht vertrauen, dannvdtDSMwgnamssadtgKneemzshtmghdJddmastEDdkTkFdPneIIk
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– Sie brauchen nicht so dazwischenzuschreien! – Ichsage Ihnen eines: In den 50 Jahren der Geschichte derBundesrepublik Deutschland sind wir von Volksaufstän-den Gott sei Dank verschont geblieben.
Aber wenn Sie so weitermachen, gibt es für die Zukunftkeine Garantie.Jetzt komme ich zu einem weiteren ernsthaften Pro-blem: Weil jetzt alle Kraft der Mitarbeiter der Bundes-agentur – ich weise an dieser Stelle die Unterstellungen,die Sie ständig aussprechen, nämlich dass wir ihre Leis-tung nicht würdigen oder ihnen nichts zutrauen würden,zurück – auf dieses Projekt, das erkennbar mit schwerenMängel behaftet ist, konzentriert werden muss, werdendie anderen Vorhaben der Hartz-Reformen, die auch Sieso dringend einfordern, insbesondere die Umsetzung derso genannten Hartz-III-Reform, also eine bessere Orga-nisation der Arbeitsämter, nur noch in einer Leicht-bzw. Softfassung verwirklicht werden.
– Logisch, Sie müssen ja alle Kräfte auf Hartz IV kon-zentrieren.Zum Schluss richte ich deshalb meinen dringendenAppell an Sie und den Cheffluglotsen WolfgangClement, der die Verantwortung trägt: Stoppen Sie denBlindflug! Verhindern Sie die Bruchlandung!
Und tun Sie alles, dass aus Hartz IV nicht eine Maut IIwird!
Das Wort hat nun die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieReform des Arbeitsmarktes stagniere, ist zu hören. DieEinführung des so genannten Arbeitslosengeldes II zum1. Januar 2005 sei gefährdet. Noch immer sei unklar, obund wie die Kommunen und die Bundesagentur für Ar-beit zusammenwirken sollen. Obendrein gebe es auchnoch Softwareprobleme. – Das sind – wie ich finde: zuUnrecht – die Schlagzeilen der letzten Tage. Wir habennämlich kein Softwareproblem, sondern wir reden überein Hardcoreprogramm,
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Sie wissen, dass die PDS gegen diese so genannte Ar-eitsmarktreform ist. Sie firmiert unter dem Namenartz und ist Teil der Agenda 2010. Erst vor wenigenochen haben eine halbe Million Menschen bundesweitagegen demonstriert; wie ich finde, zu Recht. Nuntaune ich allerdings, dass sich, wie man lesen kann,ronzeugen zu Wort melden, von denen ich das garicht erwartet hätte, nämlich die viel zitierten Wirt-chaftsweisen. Sie haben gestern ihren Jahresberichtorgelegt. Eine Aussage in diesem Bericht lautet: Diegenda 2010 hat keine Besserung gebracht; sie schufassenhafte Verunsicherung; sie belastet den Binnen-arkt; sie bremst das Wachstum und schafft keine Ar-eitsplätze. Das sind starke Worte, allemal dann, wennan sie an den großspurigen Versprechungen im Zusam-enhang mit Hartz misst. Da war nämlich noch von ei-er drastischen Senkung der Arbeitslosigkeit die Rede.
ie Fakten sprechen eine andere Sprache. Sie sprechenicht für Rot-Grün – im Gegenteil.
Nun wollen Sie trotz alledem das Arbeitslosengeld IIinführen. Auch wenn wir gemeinsam die einschlägigenabellen rauf- und runterrechneten, kämen wir für Fami-en mit Kindern, für Alleinstehende, für Ältere im Wes-n oder Jüngere im Osten immer wieder zu demselbenrgebnis: Sie greifen Bedürftigen in die Tasche. Sie ge-en sogar ans Ersparte. Sie zwingen Arbeitslose in un-rbezahlte Jobs und drohen ihnen obendrein mit Stra-en. Doch damit nicht genug: Sie drehen generell an derohnspirale. Betroffen sind also nicht nur die Arbeitslo-en, sondern alle, die jetzt noch Arbeit haben. Oder miten Worten des DGB-Chefs Sommer, der dieses in die-er Woche auf den Punkt brachte: Sie benehmen sich so,ls sei Arbeit Dreck.Ein Wort noch an den Kollegen Singhammer. Sie ha-en sich ja eben zum Anwalt der Langzeitarbeitslosenufgeschwungen.
ie haben nur vergessen, dass Sie sich freudig an diesemlau von Sozialleistungen beteiligt haben, indem Sie am9. Dezember der Einführung des Arbeitslosengeldes IIür Menschen an der Armutsschwelle zugestimmt haben.
Kurzum: Es spricht sehr viel dafür, die Tätigkeit derundesagentur für Arbeit den neuen Bedingungen anzu-assen. Aber die Vorhaben, die genau dieses Ziel verfol-en, etwa entsprechend ausgestattete moderne Jobcenter,
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Petra Pauschieben Sie auf die lange Bank. Die Repressionen ge-genüber Arbeitslosen wollen Sie zugleich aber forcieren.Sie meinen noch, das sei ein ehrgeiziges Ziel. Ich finde,das ist nicht ehrgeizig, sondern eher ehrabschneidend.
Ich erteile das Wort der Kollegin Doris Barnett, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsind die Guten, wir haben es angepackt: Doppelstruktu-ren weg! Denn die Experten der Hartz-Kommissionempfahlen vor knapp zwei Jahren die Zusammenlegungvon Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Damals, imAugust 2002, waren wir uns einig, dass das der richtigeAnsatz ist. Der Rahmen für die Reformen ist also schonlange klar, und zwar allen Beteiligten: Bund, Ländernund Kommunen. Der Vorschlag hatte damals mit Optionnichts am Hut, wie Sie eigentlich wissen müssten, son-dern es wurde klar und eindeutig von der Hartz-Kom-mission formuliert, dass die BA die Zuständigkeithaben und die Betreuung im Jobcenter erfolgen sollte.Ziel unseres Gesetzentwurfes ist und bleibt, dass wirdie Kenntnisse und Erfahrungen der Akteure am Ar-beitsmarkt nutzen, um eine Absenkung der Arbeitslosig-keit zu erreichen und aus Leistungsbeziehern Erwerbstä-tige zu machen, die möglichst keinerlei Unterstützungmehr bedürfen. Aber nach fast zwei Jahren sollen wirnoch immer nicht dürfen können, weil Ihnen, meine Da-men und Herren von der Opposition, die Augenhöhenicht passt. Sie verbelzebuben die Arbeitsgemeinschaf-ten zwischen Kommunen, deren Beschäftigungsgesell-schaften und den Arbeitsämtern, obwohl diese schonlange, zum Teil seit Jahren, sehr gut funktionieren. Fra-gen Sie doch einmal in Köln nach, ob sie sich als Büttelder BA fühlen!Außerdem erinnere ich an die Ausführungen des Ver-treters des Deutschen Städtetages in der Anhörung, derdarauf hingewiesen hat, dass bei der Zusammenlegungder Aufgaben der Sozial- und Arbeitslosenhilfe Koope-ration Grundbedingung ist, weil es keiner Seite alleinmöglich ist, diese Herkulesaufgabe zu schultern.Aber auch wenn eine Kommune optiert – das soll sieja, wenn sie es will –, würde sie für viele Aufgabenstel-lungen des SGB III im Unterverhältnis die Agentur fürArbeit beauftragen müssen. Oder glauben Sie allen Erns-tes, die Sozialämter vermitteln die Arbeitssuchendendann bundesweit? Denn darauf haben die Empfänger desArbeitslosengeldes II Anspruch. Also läuft das echte Le-ben auch unter dieser Annahme wieder auf eine Arbeits-gemeinschaft hinaus.Ich will damit aufzeigen, dass wir uns der Options-möglichkeit der Kommunen nicht verschließen, dassaber die Lebenswirklichkeit nicht immer so ist, wie essich manche vorstellen, dass es nämlich möglich sei, dieOption in Reinform zu praktizieren. Denken Sie dochngbbndsdhasfzlaWsvbkkcsdDkddmsdmzsIjeFoStiaC2BSwDHdek„essn
eil wir einer flexiblen Handhabung den Vorzug vorchematischer Gleichmacherei geben, werden wir jedeernünftige Lösung fördern. Die guten Beispiele, die esereits gibt – zum Beispiel in Köln und Düsseldorf –,önnen Pate stehen und helfen, viele Detailfragen zulären. Dann kommen wir auch mit unserem eigentli-hen Ziel, Menschen wieder in Arbeit zu bringen,chneller vorwärts.Bei den Debatten in den letzten Tagen hatte ich aller-ings eher den Eindruck, wir streiten über bürokratischeetails und Vorurteile gegenüber den jeweiligen Fähig-eiten der Verwaltungen – natürlich ist die eigene immerie bessere –, was vielleicht auch damit zusammenhängt,ass man auf Kompetenzzuwachs hofft. Aber eigentlichuss es uns doch darum gehen, dem arbeitslosen Men-chen zu helfen. Da nützt es nichts, durch Verschiebunges Gesetzes so zu tun, als könne man durch Zuwartenöglicherweise noch bessere Lösungen finden – inwei, drei oder fünf Jahren, wann auch immer, wahr-cheinlich nach der Bundestagswahl. Wir brauchen dienstrumente wie Jobcenter jetzt. Die Menschen wollentzt vermittelt werden, sie wollen jetzt in Arbeit oderortbildung und dabei interessiert es sie herzlich wenig,b ihr Gegenüber von der Agentur für Arbeit, von dertadtverwaltung oder von der Kreisverwaltung kommt.Aber so soll es ja nicht sein. Zuerst will die Opposi-on geklärt haben, wie das Ergebnis des Vermittlungs-usschusses zu interpretieren ist, nämlich so, wie dieDU/CSU es in ihrem Gesetzentwurf vom September003 geschrieben hat: „Zuweisung aller Vermittlungs-,eratungs- und Leistungsaufgaben an die kreisfreientädte und Landkreise“. So steht es in Ihrem Gesetzent-urf. Dieser sah damals eine Grundgesetzänderung vor.as ist das genaue Gegenteil von dem, was in demartz-Papier steht. Aber in der Beschlussempfehlunges Vermittlungsausschusses – vielleicht lesen Sie dieinmal, Herr Niebel – wird bezüglich der Option derommunalen Träger bestimmt, dass das Nähere einBundesgesetz“ regelt – so, wie die Hartz-Kommissions vorgeschlagen hat. Im fraktionsübergreifenden Ent-chließungsantrag zum Ergebnis des Vermittlungsaus-chusses vom 18. Dezember 2003 fordern Sie mit uns er-eut, dass die Vorlage eines entsprechenden
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Doris BarnettGesetzentwurfs zu erfolgen habe. Von einer Grundge-setzänderung war wieder weit und breit nichts zu lesen.Wenn Sie hier jetzt mit Entrüstung behaupten, wir hiel-ten uns nicht an Absprachen, dann ist das schon verwun-derlich. Denn Sie tun so, als hätten wir tatsächlich übereine Grundgesetzänderung gesprochen. Es waren aberdie B-Länder, die Ihre Forderungen letztendlich ablehn-ten.Es trifft nicht zu, dass die Kommunen zu Bittstellernder Bundesagentur werden. Auch hier hilft ein Blick indas von uns gemeinsam verabschiedete Papier vom18. Dezember. Dort wird eindeutig über Zielvereinba-rungen mit den Kommunen gesprochen. Genau das,was Sie im Dezember letzten Jahres mit uns beschlossenhaben, stellen Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU, jetzt mit Ihrem Entschließungsantrag in-frage. Ihr Ziel ist und bleibt ganz offensichtlich, auf Bie-gen und Brechen zu verhindern, dass wir Erfolg damithaben, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Da-rum geht es Ihnen in Wirklichkeit. Mit dem von uns vor-gelegten Gesetz, das Sie im Bundesrat verhindern wol-len, haben wir den Kommunen die Möglichkeit an dieHand gegeben, im Rahmen einer Zielvereinbarung ar-beitslose Menschen in Beschäftigung zu bringen.Jeder, der etwas von Politik und Taktik versteht, be-greift, um was es Ihnen geht. Ihnen geht es nicht um dieOptionsmöglichkeit, die Herr Koch für ganz Hessen undnicht nur für den Main-Kinzig-Kreis hätte haben kön-nen. Er hat sie nicht gewollt und hat bis heute nicht ge-sagt, warum.
Sie wollen blockieren, weil Sie Angst haben, dass wirErfolg haben könnten. Deswegen sage ich Ihnen: TunSie sich selbst einen Gefallen und stimmen Sie zu! Dannkönnen Sie den Erfolg mit uns teilen.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Wolfgang Meckelburg für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich laufejetzt Gefahr, ähnlich schnell zu reden wie Frau Barnett,weil ich ebenfalls einige Zettel mehr habe, als ich fürmeine Rede brauchen werde.
Ich will als letzter Redner unserer Fraktion und auch alsletzter Redner in dieser Debatte den Versuch unterneh-men, die Argumente zu bündeln, die gegen das sprechen,was heute verabschiedet werden soll.Ich habe aus der „WAZ“, einer großen Zeitung imRuhrgebiet, einen Artikel von vorgestern mitgebracht.–DMGudfusdsbdduvgsoSidwscdeiGwDF2righaszimNef5is
Man müsste einmal nachschauen, wem sie gehört. –arin steht, dass in den Städten schon das Wort von deraut II kursiert.
enau diese Diskussion läuft zurzeit in den Kommunennd Städten. Wenn Sie mit Sozialhilfeträgern reden,ann können Sie die Einschätzung hören, dass die Ge-ahr besteht, dass die Zusammenlegung von Sozialhilfend Arbeitslosenhilfe am 1. Januar 2005 ähnlichchlimm ausgeht wie die Einführung der Maut.Wir haben jetzt aber noch etwas Zeit, darüber zu re-en, ob wir wirklich die Vernunft ausschalten und unsehenden Auges in diese Gefahr begeben wollen. Dieeste Lösung wäre, wenn Sie heute sozusagen kurz vorem Zieleinlauf den Gesetzentwurf zurückziehen wür-en, weil er in dieser Form nicht tauglich ist.
Ich konnte eben fast den Eindruck gewinnen, dass Rotnd Grün die Urheber des Themas Zusammenlegungon Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sind. Es hat langeedauert, bis Sie sich zu einer Zusammenlegung ent-chlossen haben. Sie haben in der letzten Legislaturperi-de mehrere entsprechende Anträge von uns abgelehnt.eit Hartz ist diese Politik aber hoffähig geworden. Dasst auch gut so. Es besteht jetzt breite Übereinstimmungarin, dass dieses Vorgehen sinnvoll ist. Dennoch sindir in vielen Fragen nicht einer Meinung. Ich will in die-em Zusammenhang drei Punkte ganz deutlich anspre-hen.Erster Punkt. Uns war schon während der Beratung iner letzten Legislaturperiode klar, dass wir nur dann zuiner Lösung kommen werden, wenn Sie die Kommunenm Boot haben und wenn Sie den Kommunen nicht dasefühl geben, dass ihnen eine Aufgabe zugeschustertird, die sie selbst zu finanzieren haben. Genau dieseiskussion findet zurzeit statt. Es geht also um dierage, ob – wie versprochen – die Kommunen um,5 Milliarden Euro entlastet werden oder ob sie – damitechnen sie – mit 5 Milliarden Euro belastet werden. Dasst ein Unterschied von 7,5 Milliarden Euro. Es wäre gutewesen, wenn wir heute darüber Klarheit geschaffenätten. Das gilt nicht nur für das Optionsmodell, sondernuch für das andere diskutierte Modell.Herr Minister, man kann Ihnen nicht durchgehen las-en, dass Sie in einem Interview gesagt haben, dass wiru den finanziellen Auswirkungen eine Verständigung Vermittlungsverfahren erreicht hätten. Dies sei imachhinein von den Kommunen angesichts der finanzi-llen Dimensionen infrage gestellt worden. Sie habenerner die Ansicht geäußert, dass die KommunenMilliarden Euro mehr vom Bund haben wollten, als esm Vermittlungsverfahren vereinbart worden sei. Das istchlicht und einfach falsch. Es ist eine Entlastung von
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Wolfgang Meckelburg2,5 Milliarden Euro vereinbart worden. Dabei geht esnicht um Nachforderungen, sondern um eine richtigeBerechnung. Es wäre schön gewesen, wenn wir heutedas Signal ins Land hätten senden können, dass das Geldvorhanden ist.
Ein weiterer Punkt betrifft die Organleihe. Der ge-schätzte Kollege Laumann hat eben aus der Anhörungzitiert. Sie können das nennen, wie Sie wollen. Einekommunale Trägerschaft mit einem eigenen Handlungs-spielraum, wie es im Vermittlungsausschuss vereinbartwurde, ist das, was heute verabschiedet wird, nicht. Siemachen die kommunalen Träger in Ihrem Entwurf zukommunalen Stellen, die zu Organen der Bundesagenturwerden. Dies ist letztlich eine Auftragsverwaltung.Wenn Sie einmal in Ihren Antrag hineinschauen, dannfinden Sie auf Seite 2 die sehr überzeugende Formulie-rung von den „zugelassenen kommunalen Stellen“. Daszeigt, wer an wessen Tropf hängt. So stellen wir uns einekommunale Trägerschaft nicht vor. Den Kommunenbleibt nach diesem Gesetz kaum Spielraum für eine ei-genständige regionale Beschäftigungspolitik. Das ist füruns ein wichtiger Grund, Nein zu sagen. Es geht hiernicht um eine Strukturdiskussion, Herr MinisterClement, sondern um die Frage: Wer kann es besser? Ichglaube, wir können den Kommunen mehr zutrauen, alsSie es in Ihrem Gesetz vorsehen.
Ich frage mich wirklich: Warum versucht Rot-Grünmit aller Macht, eine zentralstaatliche Lösung durchzu-setzen? Wir haben doch gute Erfahrungen; die Kommu-nen leisten doch Gutes.
Woher nehmen Sie von Rot-Grün eigentlich die Zuver-sicht, dass die Bundesagentur für Arbeit das alles besserkann? Sie war schon früher für 2 Millionen Arbeits-losenhilfeempfänger und für die Langzeitarbeitslosenzuständig. Die Zahlen sind doch nicht zurückgegangen;sie sind angestiegen.
Jetzt kommen noch mindestens 1,2 Millionen erwerbsfä-hige Sozialhilfeempfänger hinzu. Warum soll das überdie Bundesagentur für Arbeit besser gehen?Frau Barnett, warum lernen wir nicht – wir haben dasauch an anderen Stellen versucht – von den Nieder-landen
– nein, wir tun es gerade nicht –, die als ein kleineresLand mit 14 Millionen Einwohnern den Kommunen dieTrägerschaft überlassen, und zwar mit der Begründung,dass ein Land mit 14 Millionen Einwohnern für einez8cu–1fbDnvhFdmKfdwNldFb–ivdhdFTDsSswdw
Was passiert hier eigentlich? Die Frist vorne wird im-er länger und die Frist hinten immer kürzer. Welcheommunen sollen sich angesichts eines so kurzen Zeit-ensters denn wirklich für ein solches Modell entschei-en? Wir haben in diesem Zeitraum acht Kommunal-ahlen. Zusätzlich wird am 26. September inordrhein-Westfalen gewählt. In Phasen, in denen Wah-en anstehen, können Sie den Räten solche grundlegen-en Entscheidungen nicht zumuten. Deswegen ist dierage, wann was in Kraft tritt, eine Frage, die uns sehrewegt.
Lassen Sie die Verdrehung meines Namens! Das kennech schon aus dem Rat der Stadt Gelsenkirchen. Das waror 20 Jahren. Das brauchen Sie nicht zu wiederholen;as ist nicht neu.
Meine Damen und Herren, es wäre schön gewesen,eute zur Verabschiedung des Gesetzes hier im Bun-estag einmal wirklich alle Fragen geklärt zu haben: dieinanzierung, die Frage der eigenständigen kommunalenrägerschaft, die Zeitschiene. Können Sie sich, meineamen und Herren von Rot-Grün, überhaupt noch vor-tellen, welches Signal es für Deutschland wäre, wennie endlich einmal ein bis zu Ende gedachtes und in sichtimmiges Konzept mit einem Schlag durchbrächten,
enn Sie heute bei der Verabschiedung Sicherheit fürie Kommunen und hinsichtlich der Finanzen schaffenürden? Sie bekommen das nicht hin. Dies alles bleibt
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9504 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Wolfgang MeckelburgStückwerk. Es entsteht Verunsicherung nach dem heuti-gen Beschluss.Deswegen haben wir als Fraktion der CDU/CSU ei-nen Entschließungsantrag eingebracht
– genau, zusammen mit der FDP –, in dem wir die Bun-desregierung in vier Punkten auffordern, das Kommu-nale Optionsgesetz so umzugestalten, dass erstens dieoptierenden Kreise und kreisfreien Städte tatsächlicheTräger werden – das sind sie nämlich jetzt nicht – und inEigenverantwortung die Aufgaben erfüllen können, diein diesem Gesetz vorgesehen sind, dass Sie zweitenseine verfassungskonforme Regelung vorlegen, wodurchden Kommunen entsprechend dem Entschließungsantragdirekt vom Bund Geldmittel an die Hand gegeben wer-den, dass drittens bei den Mitteln für Verwaltungs- undEingliederungspauschalen auskömmliche Summen, dasheißt höhere als bisher, ausgewiesen werden und dassSie viertens durch gegebenenfalls notwendige Gesetzes-änderungen sicherstellen, dass den Kommunen tatsäch-lich die zugesagten Einsparungen von jährlich2,5 Milliarden Euro verbleiben.
Wenn Sie das alles heute schon geschafft hätten, wä-ren wir einen wichtigen Schritt weiter. Das wäre ein Si-gnal: Jetzt geht es richtig los. Wir wären dabei. Aber Siehaben es wieder nicht geschafft.
Deswegen wird die Sache den Weg gehen, den sie gehenmuss. Jedenfalls werden Sie das heute alleine verab-schieden müssen.
Ich schließe die Aussprache.
Nun geht es wirklich los. Denn wir kommen nun zur
Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
wurf zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch auf Drucksache
15/2816. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
der Drucksache 15/2997, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
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ie wird die Zielsetzung, die letztes Jahr verkündeturde, in diesem Jahr umgesetzt? Da sind große Frage-eichen zu setzen.Gründe dafür sind die pure Finanznot und vielleichtuch ein Schuss Ideologie: Die Frage der Landesvertei-igung soll ad acta gelegt werden.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9505
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Christian Schmidt
Ich erlaube mir, Ihnen nach dem Prinzip „Schlag nachbei Struck“ vorzulesen und in Erinnerung zu rufen, wasder Verteidigungsminister, dem wir, Herr Staatssekretär,von hier aus alles Gute und gute Besserung wünschen
– schon wieder im Einsatz –, in den Verteidigungs-politischen Richtlinien geschrieben hat, die ich mit In-teresse gelesen habe – ich zitiere –:Zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnenund Bürger leistet die Bundeswehr künftig einenbedeutenden, zahlreiche neue Teilaufgaben umfas-senden und damit deutlich veränderten Beitrag imRahmen einer nationalen Sicherheitskonzeption.Nationale Sicherheitskonzeption heißt nicht Ressort-konzeption, sondern dass sich alle zusammensetzen undüberlegen, was sie tun müssen, können und sollen, damitunser Land sicher bleibt und unsere Bürgerinnen undBürger vor den drohenden Gefahren zum Teil völligneuer Art, die wir noch vor zehn oder 15 Jahren für völ-lig unmöglich gehalten haben, geschützt werden. Dasheißt auch, dass man von dem, was bis vor 15 Jahrenwar, Abschied nehmen muss.Natürlich geht es dabei nicht um das, was früher Ter-ritorialverteidigung hieß, also so zu tun, als ob es daraufankäme, anstürmende fremde Heere zu bekämpfen undzu domestizieren. Es geht vielmehr um die Frage – dieserfordert schon ein Stück Mitdenk- und Handlungsbe-reitschaft und -fähigkeit –, wie ich mit dem Potenzial,das ich aus diesen Zeiten habe, umgehe, ob ich im Sinneeiner destruktiven Zerstörung sage: Ich verscherbel dasalles, tue es weg und dann fangen wir neu an. – Das istvergleichbar mit dem, was Bundeskanzler Schröder ge-sagt hat: Wir kassieren die Rentenreform von CDU/CSUund FDP erst einmal und dann bekommen alle wiederGeld. Es hat bis zum Februar des nächsten Jahres– 1999 – gedauert, als er zugeben musste, dass er keinGeld für eine Rentenerhöhung in der Kasse hatte. – Ge-nau diese Gefahr scheint bei der Bundeswehrreformauch zu bestehen.Das ist angesichts der jetzigen Situation problema-tisch, da am 11. März dieses Jahres eine Illusion ausge-räumt worden ist, die Illusion nämlich, Europa könntevon den neuen Gefahren, insbesondere des Terroris-mus, verschont bleiben. Unser Land ist auch vorhernicht davon verschont geblieben und deswegen müssenwir in eine internationale Koalition gegen den Terroreintreten. Wir müssen unseren Beitrag leisten. Das tunwir: in Afghanistan und auch woanders. Hierfür gilt im-mer wieder unser Dank den Soldaten, die einen An-spruch darauf haben, dass sie eine entsprechende Aus-stattung bekommen und behalten.Die andere Frage ist aber: Wie gehen wir mit den Ri-siken um, die unser eigenes Land betreffen? Müssen wiruns darauf vorbereiten? Diese Fragen sind eigentlichdurch die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Ver-teidigungsministers beantwortet worden. Seine Antwortlautet: nationale Sicherheitskonzeption. Ich sage: Ja, erhat Recht. Wir nennen das Gesamtverteidigungs-ksBewzmnFldwgomSSwdsrgIrdtlsnüzdStnv
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9506 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Es wäre allerdings schön, wenn sie authentisch wären.
Herr Präsident, da es mir nicht zusteht, die Sitzungs-
leitung in irgendeiner Weise zu kommentieren, möchte
ich das so aufgefasst wissen, dass ich als jemand, der im
besten Sinne konservativ ist, Traditionen, die sich gut
entwickelt haben und nicht verzichtbar sein sollten, fort-
führen will. Das möchte ich nicht nur auf die Verteidi-
gungskreiskommandos übertragen. – Ich habe Ihren
Hinweis zur Kenntnis genommen.
Zurück zum Thema. Ich meine, das darf aber nicht
heißen, dass die Reservelazarettstrukturen nicht ange-
passt, sondern schlichtweg aufgelöst werden und dass
die Aufwuchsfähigkeit bzw. die Rekonstitutionsfähig-
keit, die mehrfach zitiert wurde, eigentlich nirgendwo
widergespiegelt wird. Wie sieht eigentlich das Reservis-
tenkonzept aus? Welche Rolle sollen Reservisten in Zu-
kunft spielen? Welche Vorbereitungen wurden für die
Risiken getroffen, die uns drohen? Über diese Fragen
muss diskutiert werden.
Ich hoffe, dass in der Konzeption der Bundeswehr,
die wir in den nächsten Wochen erwarten, auf diese Fra-
gen – da habe ich allerdings große Zweifel – vernünftige
Antworten gegeben werden. Ich hoffe, dass das getan
wird und dass die Verantwortlichen im Verteidigungsmi-
nisterium wissen, wovon sie reden. Sie sind nicht unter
der Knute des Finanzministers und anderer und können
nicht daran gehindert werden, das aufzuschreiben, von
dem sie wissen, dass sie es eigentlich aufschreiben und
umsetzen müssten.
Deswegen hoffe ich, dass wir jetzt nicht den zweiten
Schritt vor dem ersten oder sogar einen falschen Schritt
tun. Das heißt, wir müssen die notwendigen Debatten
führen und uns im Dialog darüber einig werden, wie un-
ser Land zu sichern ist und wie wir uns zukünftig im Zu-
sammenspiel aller Kräfte gegen neue Gefahren wappnen
können. Es ist nicht zulässig und nicht sinnvoll, Struktu-
ren aufzugeben, die in ihrer jetzigen Form nie mehr wie-
derherzustellen sind. Diese Strukturen zu erhalten ist das
Hauptanliegen unseres Antrags. Ich bitte Sie alle, diesem
Antrag zuzustimmen. Er beschreibt die Notwendigkeit
seriöser Politik, die die Grundlage dafür schafft, das,
was Transformation der Bundeswehr genannt wird, in
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ir machen keineswegs bei der Absicht der CDU/CSUit, die Bundeswehr zum Lückenfüller für Aufgaben zuachen, die in erster Linie andere Institutionen, wie zumeispiel die Polizeien der Länder, wahrzunehmen haben.
Die Bundesregierung begegnet den absehbaren inne-en und äußeren Herausforderungen und Risiken mit ei-er vorbeugend angelegten, ressortübergreifenden Poli-ik. Diese beinhaltet auch die Bereitschaft und dieähigkeit, Freiheit und Menschenrechte sowie Stabilitätnd Sicherheit notfalls mit militärischen Mitteln durch-usetzen. Für die Bundeswehr bleibt die Verteidigungeutschlands gegen eine äußere Bedrohung der zentralend eigentliche verfassungsrechtliche und politischeuftrag. Verteidigung beschränkt sich im Sinne desrundgesetzes jedoch nicht nur auf die Verteidigung anen Landesgrenzen, sondern fängt dort an, wo Risikennd Bedrohungen für die Sicherheit Deutschlands undeiner Verbündeten entstehen. Um diese Fähigkeiten zurreichen und weiter auszubauen, wurde die Bundes-ehrreform des Jahres 2001 auf den Weg gebracht, dieir jetzt mit dem von Verteidigungsminister Dr. Struckingeleiteten Transformationsprozess fortsetzen. Hierzuichten wir die Bundeswehr klar auf die Einsätze zuronfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließ-ich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismusus.Nun im Einzelnen zu den von Ihnen aufgeworfenenroblempunkten. Ich gehe zunächst auf die Aspekte des
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9507
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Parl. Staatssekretär Walter KolbowHeimatschutzes ein. Die Behauptung, wir würden dieseAspekte unberücksichtigt lassen, geht ins Leere. Viel-mehr hat der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerin-nen und Bürger eine neue, umfassende Bedeutung ge-wonnen. Diese Kernaufgabe umfasst neben der derzeiteher unwahrscheinlichen Aufgabe der Landesverteidi-gung im herkömmlichen Sinn auch den Schutz der Be-völkerung und von lebenswichtiger Infrastruktur vor ter-roristischen und asymmetrischen Bedrohungen. Diesgehört im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgabenzum subsidiären Aufgabenspektrum der Bundeswehr,hierzu stehen im Bedarfsfall entsprechende Kapazitätenzur Verfügung.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es steht doch außerFrage, dass die Bundeswehr im Rahmen des geltendenRechts wie bisher auch künftig immer dann zur Verfü-gung stehen wird, wenn nur sie über die erforderlichenFähigkeiten verfügt oder der Schutz der Bürgerinnenund Bürger sowie wichtiger Infrastruktur allein durchdie Bundeswehr geleistet werden kann.
Die Bundeswehr ist wie in der Vergangenheit auch in derZukunft in der Lage, subsidiär die für diese Aufgabenzuständigen Innenbehörden von Bund und Ländern zuunterstützen. Auch in den neuen, im weiteren Transfor-mationsprozess einzunehmenden Strukturen der territo-rialen Kommandobehörden wird die Bundeswehr dieZusammenarbeit mit den Bundesländern, den Regie-rungsbezirken, den kreisfreien Städten und den Land-kreisen sicherstellen. Mehr noch, Herr Kollege Schmidt:Die Unterstützung des Krisenmanagements auf Regio-nal- und Kommunalebene wird durch optimierte Fähig-keiten der Bundeswehr zur zivil-militärischen Zusam-menarbeit künftig verbessert werden. Deswegen gehtIhr Hinweis auf lediglich virtuelle Sicherheit bei derpraktischen Gestaltung der Umsetzung ins Leere.
Der verehrte Präsident des Verbandes der Reservistender Deutschen Bundeswehr sitzt in der ersten Reihe undschaut mich freundlich an; er wird nachher auch reden.Lieber verehrter Herr Kollege Beck, Reservistinnenund Reservisten werden auch künftig einen hohen Stel-lenwert einnehmen; wir sind uns darüber einig. Wir wol-len dieses qualifizierte und motivierte Personal, das einwichtiges Potenzial darstellt, sowohl bei Einsätzen imInland als auch bei Auslandseinsätzen noch besser nut-zen. Mit der neuen Konzeption betreffend die Reservis-tinnen und Reservisten wird auch deren kurzfristige Ein-berufung zur Hilfeleistung bei Katastrophen undschweren Unglücksfällen im Inland möglich.Zur Reservelazarettorganisation. Hier möchte ichmit einer Mär aufräumen. Nehmen Sie bitte zur Kennt-nis, dass wir die Anteile der Reservelazarette, die demSchutz der Bevölkerung im Falle von Katastrophen oderAnschlägen dienen, auch weiterhin erhalten. Jeder, dersich damit beschäftigt, weiß – ich gehe davon aus, dassdie sehr geschätzte Frau Kollegin Lietz in dieser DebattenäsvwtstizSiZsuunauFPwGdgthdpngODsnduHStwrwrfktgkwuagggaEg
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9508 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Ich erteile dem Kollegen Günther Nolting, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir be-schäftigen uns heute mit dem Thema Struktur der Bun-deswehr. Morgen werden wir uns an diesem Ort in einervon der FDP beantragten Aktuellen Stunde mit der Frageder Wehrpflicht beschäftigen. Ich will Ihnen aber schonheute sagen: Wir werden das Thema Aussetzung derWehrpflicht so lange auf die Tagesordnung setzen, bisdie Wehrpflicht auch endlich ausgesetzt wird.
Dann werden wir eine zukunftsfähige und den Anforde-rungen gerechte Struktur für die Bundeswehr haben.Meine Damen und Herren, wenn wir uns das einmalgenau anschauen, dann sehen wir, dass der Verteidi-gungsminister das Ende der Wehrpflicht bereits im Vi-sier hat. Es werden jetzt lediglich noch die Rahmenbe-dingungen für die Entscheidung hergestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Gesichts-wahrung ist hier offensichtlich angesagt. Politisch kannich das ja verstehen. Das geht aber zulasten der Angehö-rigen der Bundeswehr, weshalb das nicht zu tolerierenist. Dem Generalinspekteur und seinen Planern imBMVg wird ein weiteres Jahr für die Planung entzogen.Das ist aus unserer Sicht unverantwortlich. Die Angehö-rigen der Bundeswehr haben es verdient, hier endlichPlanungsvertrauen und Planungssicherheit zu erhalten.
Das Thema Wehrpflicht hätte schon längst abge-schlossen sein können. Die Bundesregierung bzw. derdamalige Verteidigungsminister Scharping hätte imJahr 2000 nur die guten Vorschläge der Weizsäcker-Kommission aufgreifen müssen, die sich weitgehend mitdem bereits 1999 von der FDP-Fraktion vorgelegtenBundeswehrkonzept deckten, und Sie hätten die Ausset-zung der Wehrpflicht beschließen müssen.
Die Anschläge vom 11. September 2001 und vom11. März 2004 waren grausam und haben uns gelehrt,dass sich die tödliche Gefahr des Extremismus und desTerrorismus regional nicht einschränken lässt. Dahersind die Strukturen der Sicherheitsinstitutionen, wo im-mer es möglich und sinnvoll ist, auch auf diese Bedro-hungen einzustellen. Das soll und kann aber nicht hei-ßPOLShdhMdjuADsAeardrSrWbmDawbBdbAha
ffensichtlich sucht die Union krampfhaft nach eineregitimation für die Wehrpflicht.
Die Bundeswehr hat sich mit ihrem Potenzial, zumchutz und zur Abschreckung gegen eine äußere Bedro-ung beizutragen, bewährt. Dabei waren die Polizeienes Bundes und der Länder immer für die innere Sicher-eit zuständig. Das muss auch in Zukunft so bleiben. Dieinisterpräsidenten und die Innenminister der Länder,ie massiv Stellen bei der Polizei abgebaut haben, sindetzt gefordert. Herr Kollege Schmidt, gerade Bayernnd Nordrhein-Westfalen führen diese Negativliste an.uch dort sollten Sie ansetzen.
er Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist im Grundge-etz geregelt und hat sich bewährt. Im Rahmen dermtshilfe – aber auch nur dann – darf die Bundeswehringesetzt werden. Auch darauf werden wir in Zukunftchten.
Die Bürgerinnen und Bürger würden einen Einsatz ih-er wehrpflichtigen Söhne niemals befürworten, wenniese Selbstmordattentätern oder professionellen Terro-isten gegenübergestellt würden. Ich frage Sie: Wollenie wirklich den Einsatz junger Wehrpflichtiger zur Ter-orismusbekämpfung?
ollen Sie die jungen Wehrpflichtigen wirklich nur alsillige Wachleute einsetzen? Wir werden dort nicht mit-achen und unterstützen dies nicht.
ie FDP-Bundestagsfraktion will, dass jede Institutionuf ihrem Platz ihren Auftrag erfüllt. Dafür sind die not-endigen Rahmenbedingungen vom Parlament vorzuge-en. Wir haben hierzu ein Konzept vorgelegt.Wir brauchen dringend eine große Reform für dieundeswehr, die diesen Namen auch verdient. Die Bun-eswehr muss entschlackt und von so unsinnigen Aufga-en wie zum Beispiel der Fähigkeit zum personellenufwuchs auf 500 000 Soldaten befreit werden. Unge-eure Kapazitäten werden vergeudet, um eine Leistungufrechtzuerhalten, die während des Kalten Krieges
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9509
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Günther Friedrich Noltingzwar von vitaler Bedeutung war, heute jedoch völligüberflüssig ist. Die Struktur, die von Ihnen gefordertwird, bindet Personal und kostet sehr viel Geld. Es gehthierbei um die Beschaffung, Lagerung und Bewachungder Ausrüstung und Bewaffnung für 200 000 zusätzlicheSoldaten. Eine Sicherheitsvorsorge dieser Art ist im ge-genwärtigen sicherheitspolitischen Umfeld nicht mehrangemessen. Das dafür benötigte Geld sollte sinnvollerzur Nachwuchswerbung, zur besseren Besoldung derSoldatinnen und Soldaten und zur Beschaffung mo-dernster Ausrüstung eingesetzt werden.
Meine Damen und Herren, die FDP will eine Tren-nung der zukünftig hochgradig professionellen Einsatz-armee und der Einheiten und Verbände, in denen Reser-visten Dienst leisten können. In allen Bundesländernsollten Truppenteile einer so genannten Nationalgardeoder einer Territorialarmee aufgestellt werden, die60 000 Soldaten umfassen sollte: 5 000 Aktive und55 000 Reservisten. Diese muss den Status als Teilstreit-kraft erhalten, vom BMVg geführt und mit den Bundes-ländern partnerschaftlich verbunden werden. Sie solltevorrangig im Bereich der humanitären und Katastro-phenhilfe sowie des militärisch relevanten Objektschut-zes eingesetzt werden. Die Übernahme polizeilicherAufgaben soll jedoch nach unserer Meinung nicht Auf-trag sein.Diese Territorialarmee müsste auch in der Lage sein,im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung eingesetztzu werden. Ich denke, die Vorstellungen der FDP sindpraktikabel. Sie versprechen, dass die Bundeswehr miteiner endlich soliden finanziellen Ausstattung den Auf-trägen gerecht wird und gewappnet ist.
Ich komme zum Schluss. Herr Kollege Schmidt, esreicht nicht aus, wenn Sie als Opposition an die Bundes-regierung nur Forderungen stellen. Die FDP als Opposi-tionsfraktion hat ein eigenes Konzept aufgestellt.
Auch Sie als Opposition sind gefragt, hier eigene Kon-zepte vorzustellen und nicht nur Forderungen an dieBundesregierung zu richten. Ich habe nicht mehr Zeit,um unser eigenes Konzept weiter zu erläutern.
Das ist zutreffend, Herr Kollege.
Ich empfehle Ihnen, unter www.guenthernolting.de
nachzusehen.
Dort können Sie das gesamte Konzept abrufen.
Vielen Dank.
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Bis zum Vollzug einer solchen Anregung fahren wir
n der Rednerliste fort. Ich erteile das Wort dem Kolle-
en Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieürchterlichen Anschläge von Madrid haben besonderseutlich gezeigt, dass auch die europäischen Länder imisier des internationalen Terrorismus stehen. Manonnte das schon vorher an verhinderten Anschlägennd an einigen aufgedeckten Planungen erkennen. Esäre eine Illusion, zu meinen, dass Länder, bei denenicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Regierun-en gegen den Irakkrieg waren, von Anschlägen ausge-ommen wären. Schließlich müssen wir feststellen, dassnzwischen der fortdauernde Irakkrieg regelrecht alsrandbeschleuniger bei dem Entfachen des Feuers desnternationalen Terrorismus wirkt.Selbstverständlich ist es die erste Pflicht des Staates,ür den Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der offe-en Gesellschaft zu sorgen. Daran kann es keinen Zwei-el geben. Hierfür müssen direkte Gefahrenabwehr,trafverfolgung, Bekämpfung von Unterstützern deserrorismus und von Nährböden des Terrorismus Handn Hand gehen. Dazu gehört auch die Vorbereitung aufen nicht auszuschließenden schlimmsten Fall.In den Verteidigungspolitischen Richtlinien des Ver-eidigungsministers vom letzten Jahr wird festgestellt,ass auf absehbare Zeit mit einem konventionellen An-riff nicht zu rechnen ist und deshalb die herkömmlicheandesverteidigung nicht mehr akut ist. Aus diesemrunde könne – so die richtige Schlussfolgerung – auftrukturen und Fähigkeiten der Bundeswehr verzichteterden, die ausschließlich für die Landesverteidigungorgesehen gewesen seien.Selbstverständlich – das ist in den Verteidigungspoli-ischen Richtlinien deutlich zum Ausdruck gekommen –leibt es Aufgabe der Bundeswehr, zum Schutz des Lan-es und seiner Bürger beizutragen: erstens im Auslandurch Teilnahme an internationaler Krisenbewältigung,ie Auswirkungen auf die Sicherheit Deutschlands hat,weitens durch Rettungseinsätze und drittens – das isturch Vorredner schon angesprochen worden – durchmtshilfe im Innern im Rahmen der bestehenden verfas-ungsrechtlichen und gesetzlichen Grundlagen, angefan-en bei der Katastrophenhilfe bis hin zu Einsätzen zuruftsicherheit.Vor diesem Hintergrund hat das Verteidigungsminis-erium die Auflösung der Reservelazarettorganisationls Struktur nur für die Landesverteidigung beschlossen.
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9510 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Winfried NachtweiDie Union behauptet nun, die Reduzierung dieses Teilsder Verteidigungsinfrastruktur sei vor allem finanzpoli-tisch motiviert und beeinträchtige den Schutz der Bevöl-kerung. Das ist nicht nur falsch, das ist lächerlich. DieReservelazarettgruppen – zurzeit noch 56 an der Zahl –waren immer für die Landesverteidigung gedacht. Siewaren nie für den Katastrophenschutz eingeplant.
Ihre Mobilisierung würde mindestens drei bis fünf Tagedauern. Um aber Großschadensfällen begegnen zu kön-nen – von einem Terroranschlag ganz zu schweigen –müssen Stunden genügen. Das muss an einem Tag lau-fen. Also geht das Angebot dieser Reservelazarette vollan den Anforderungen einer solchen Krisensituation vor-bei.Circa 100 Ärzte pro Lazarettgruppe müssten dann auszivilen Krankenhäusern abgezogen werden. Das heißt,die zivile Krankenversorgung würde dadurch ge-schwächt. Schließlich wurde das Material dieser Reser-velazarettgruppen zuletzt Ende der 80er- und Anfang der90er-Jahre erneuert. Das ganze System verfügt überkeine eigenen Fahrzeuge usw. Insofern entspricht diesesSystem nicht mehr dem Bedarf. Staatssekretär Kolbowhat sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Elemente,die für den Schutz der Bevölkerung weiterhin notwendigund nützlich sind, selbstverständlich übernommen wer-den. Was das Personelle angeht, ist ein viel schnelleresAlarmierungssystem für Reservisten, Ärzte usw. vonentscheidender Bedeutung.Zur Erinnerung an die Union: Unter Ihrer Regie-rungsverantwortung wurde das System der Zivilverteidi-gung und der Gesamtverteidigung sehr weit reduziert.Wie sehen Sie das eigentlich heute? War das ein Fehleroder war das zu Ihrer Regierungszeit nur finanzpolitischmotiviert? Wie erklären Sie sich das?
Ich komme nun zur zweiten Forderung der Union,dem Gesamtverteidigungskonzept.
Wer wollte bestreiten, dass auf dem Feld der inneren undäußeren Sicherheit und des Katastrophenschutzes eineeingespielte und flexible Kooperation elementar ist undGesamtkonzepte notwendig sind? Aber dabei sollten Siedoch nicht den völlig falschen Eindruck erwecken, alswären wir bei null. Es gibt ein weit reichendes Gesamt-konzept. Das kann man sehr wohl sagen. Was die ge-samte Sicherheitspolitik angeht, so wird das WeißbuchAufschluss darüber geben, was zurzeit in Arbeit ist.
Schließlich ist die Forderung nach einem sicherheits-politischen Gesamtkonzept, auch bezogen auf terroristi-sche Bedrohungen, gerade aus dem Mund der Unionreichlich unglaubwürdig. In diesem einen Fall setzen Siesich massiv für einen angeblich verbesserten Bevölke-rEzmmmravvIdilImzdagsBKIuzDdtednwsS
hr Antrag ist beispielhaft für das krampfhafte Bemühener Union, die traditionelle Art der Landesverteidigungrgendwie am Leben zu erhalten und darüber eine Rest-egitimation für die Wehrpflicht zu behalten.
m notwendigen Bemühen um einen möglichst wirksa-en Bevölkerungsschutz, um nüchterne Risikoabschät-ung und -vorsorge leistet die Union den Aufgaben mitiesem Antrag – Kollege Schmidt, Sie sind nur zum Teiluf diesen Antrag eingegangen – einen Bärendienst. An-esichts der realen Herausforderungen ist dieser Antragchlichtweg peinlich.Danke.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst-Reinhard
eck, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Lieber Kollege Nachtwei, die Einführung desrakkriegs als Wahlkampfthema war meines Erachtensnangemessen. Ich weise das namens meiner Kollegenurück.
Die Unkalkulierbarkeit ist zur Realität in den Streit-kräften geworden, Planungssicherheit wird es aufabsehbare Zeit nicht mehr geben.iese Aussage von Generalinspekteur Schneiderhan aufer Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Wehr-chnik am 22. April dieses Jahres gibt ziemlich genau dieerzeitige Umbruchsituation in der Bundeswehr – undicht nur dort – wieder. Die Soldaten und ihre Familienünschen sich Verlässlichkeit von Staat und Gesell-chaft und ein höchstmögliches Maß an Sicherheit undchutz angesichts neuer Formen der Bedrohung.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9511
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Ernst-Reinhard Beck
Veränderungsprozesse in der Politik bewegen sichimmer zwischen den beiden Extremen Bewahren oderVerändern. Verfechter der Variante Streichen, Kürzen,Auflösen fordern, sich möglichst schnell von bisherigenStrukturen zu verabschieden und an Stelle des überhol-ten Alten zukunftsträchtiges Neues zu setzen. Allzu vielNeues habe ich aber von Ihnen nicht gehört, lieber Kol-lege Kolbow.Der konservative Ansatz möchte möglichst vieles anBewährtem bewahren und nur das unbedingt Notwen-dige verändern. Ich erinnere in diesem Zusammenhangan die Auflösung des Bundesamtes für Zivilschutz imJahr 1999. Damals hielt man den Zivilschutz für über-flüssig und zu teuer. Heute wissen wir, dass zumindestdas Erste ein Irrtum war. Seit diesem Jahr gibt es wiederein Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro-phenhilfe.Wir stehen mit der jetzt eingeleiteten Bundeswehrre-form wieder an einem ähnlichen Punkt, an dem wir unsentscheiden müssen, von welcher Philosophie der Um-bau geleitet werden soll. Wenn ich es richtig sehe, hatsich die Bundeswehr bereits seit den 90er-Jahren bei denfür die Auslandseinsätze notwendigen Umstrukturierun-gen für einen eher behutsamen evolutionären Weg, beider Landesverteidigung und beim Heimatschutz jedochfür die Methode Tabula rasa entschieden. Dies geschiehtgegenwärtig durch die Auflösung der Reservelazarettor-ganisation und nicht aktiver Truppenteile sowie durchdie nahezu völlige Demontage der territorialen Verteidi-gungsorganisation.Wenn man die schrecklichen Bilder nach den Terror-anschlägen in Madrid vor Augen hat, dann löst die ge-plante Auflösung der Reservelazarettorganisation inder Tat Verwunderung aus. Könnte es irgendjemand ver-stehen, wenn im Falle einer so schweren Katastrophe dieBundeswehr um medizinische Hilfe gebeten würde undnicht in der Lage wäre, diese zu leisten?Sicher ist es richtig, dass die 56 Reservelazarett-gruppen mit ihren 68 000 Reservisten und 7 000 bis8 000 Ärzten für einen verlustreichen Krieg gegen diekonventionellen Armeen des Warschauer Paktes geplantwurden. Es ist auch richtig, dass sie eine lange Mobil-machungszeit benötigen. Es mag zutreffen, dass eine sogroße Zahl von Reservelazarettgruppen nicht mehr be-nötigt wird, dass die Strukturen schwerfällig und dieAusrüstung zum Teil veraltet ist. Aber rechtfertigt diesbereits den völligen Verzicht auf die bisher vorgehalte-nen Fähigkeiten und Strukturen, die vor allem in derKompetenz des dort eingesetzten Personals liegen?Angesichts der bereits jetzt bestehenden Fähigkeitslü-cken im Zivilschutz sollte der qualitative wie auch derquantitative Umfang der Reduzierung gründlich bedachtwerden. Terroranschläge, Naturkatastrophen oder großeUnfälle sind in Zeitpunkt und Intensität selten vorher-sehbar. Darin sind wir uns sicherlich einig. Notwendigund erforderlich sind eine sofortige Reaktion und dieumgehende Versorgung von Verletzten. Schon aus Zeit-gründen verbieten sich aufwuchsabhängige Organisa-tionsformen. Darin stimme ich Ihnen zu, Herr KollegeNachtwei.MkdManAsRWsaeplRaTUddEmvttamdlMDgwgthrUvZkrMArrdW
eines Erachtens sollte der Vorschlag, eine Taskforceus Ärzten und qualifiziertem, schnell verfügbarem Sa-itätspersonal zu bilden, die binnen weniger Stunden dierbeit aufnehmen kann, geprüft werden. Im Falle einero genannten Großschadenslage könnten dann weitereeservekräfte innerhalb von Tagen mobilisiert werden.
enn dies nur durch eine stärkere Einbindung der Re-ervisten in aktive Verbände möglich ist, dann sollteuch dieser Weg beschritten werden. Dies wäre nicht nurin wichtiger Schritt zu einem verbesserten Katastro-henschutz. Vielmehr blieben gleichzeitig viele freiwil-ige Fachärzte und Spezialisten des Sanitätsdienstes imeservistenstatus eingebunden. Besser eingebunden alsusgemustert!
Die Bundesregierung plant ferner, alle nicht aktivenruppenteile aufzulösen. Ich kann davor nur warnen.nterschätzen Sie nicht die psychologische Wirkung,ie von einer Entpflichtung von circa 250 000 Soldatener Reserve ausgeht! Motivationsfördernd ist dies nicht.inmal aufgelöst, werden wir auf diese Strukturen nieehr zurückgreifen können. Ich plädiere nicht für dieöllige Erhaltung, sondern dafür, dass Anzahl, Ausrüs-ung und Binnenstruktur der nicht aktiven und der teilak-iven Verbände an die neuen Aufgaben der Bundeswehrngepasst werden. Angesichts der geplanten Generalaus-usterung sicherheitsrelevanter Strukturen aus der Bun-eswehr frage ich mich, ob die Bundesregierung wirk-ich gut beraten ist, aus Kostengründen lediglich auf dieethode „streichen, kürzen und auflösen“ zu setzen.Die Bundesregierung hat erklärt, dass der Schutzeutschlands und seiner Bürger nach wie vor Kernauf-abe der Bundeswehr ist. Der Staatssekretär hat diesiederholt. Aber gleichzeitig demontiert die Bundesre-ierung weitgehend die bereits dünne territoriale Ver-eidigungsorganisation. Botschaft und Realität klaffenier weit auseinander. Es soll nur noch vier Wehrbe-eichskommandos und zwölf Landeskommandos geben.nterhalb dieser Ebene sind keine aktiven Kräfte mehrorgesehen. Dies ist das Aus für die zivil-militärischeusammenarbeit auf der Ebene der Landkreise und derreisfreien Städte.
Nun höre ich, dass diese Aufgabe von Reserveoffizie-en wahrgenommen werden soll. Dies ist zwar ehrenvoll.an muss sich jedoch fragen, ob dieses Notkorsett dennforderungen wirklich gerecht wird. Können die ge-ade in Katastrophenfällen notwendigen Koordinie-ungsaufgaben im Nebenamt geleistet werden? Wie wirdie Bundeswehr in den Verwaltungen wahrgenommen?ird sie überhaupt noch wahrgenommen? In einem
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Ernst-Reinhard Beck
großen Flächenland wie Baden-Württemberg wärenmindestens 42 Beauftragte zu installieren und auch zuführen. Ist dies das sichere Netz, auf das wir uns im Ka-tastrophenfall und im Heimatschutz abstützen können?Das ist eine wirklich ernste Frage.All diese Punkte bestärken mich in der Befürchtung,dass der geplante Abbau sicherheitsrelevanter Strukturenendgültige Tatsachen schafft, die nur sehr schwer undunter großem Aufwand revidiert werden könnten. Reser-velazarettorganisation, Beorderung von Reservisten undAuflösung von nicht aktiven Verbänden – darin sind wiruns sicherlich einig – sind lediglich Detailfragen. Siekönnen nur sinnvoll im Rahmen eines Gesamtverteidi-gungskonzepts beantwortet werden. Solange dieses nichtvorliegt, verbieten sich grundlegende Strukturverände-rungen.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Kramer, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerCDU/CSU-Antrag trägt den schönen Titel „Für den Er-halt sicherheitsrelevanter Strukturen in der Bundes-wehr“. Dies ist geradezu eine harmlose Bezeichnung.Das Papier ist kurz und es ist schnell zu lesen. Manmöchte eigentlich hinzufügen: Entsprechend ist der In-halt. Dahinter steckt nichts anderes als ein Paradigmen-wechsel in der Sicherheitspolitik. Wollten wir dem fol-gen, würden die vergangenen mehr als 50 Jahreerfolgreicher deutscher Sicherheitspolitik negiert undauf den Kopf gestellt werden.Grundlage des Antrags ist offensichtlich das Papiermit dem Titel „Landesverteidigung und Heimatschutzals Teil des Gesamtkonzepts Sicherheit“, ein ebenfallsharmloser Name. Denn wer kann schon etwas gegenHeimatschutz und Landesverteidigung haben? In demPapier wird auf Seite 5 ausgeführt – ich zitiere –:In den zurückliegenden Jahren wurden die Struktu-ren, die einen Heimatschutz in Deutschland tragenkönnten, in ihrer Wirksamkeit stark reduziert. Die-sem Entschluss lag die – aus heutiger Sicht – irrigeAnnahme zugrunde, dass sich die Bedrohungslagefür unser Land verringert habe …So weit, so gut und auch fast vollständig. Meine sehrverehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, Siehätten ruhig deutlich sagen können: Die CDU/CSU-ge-führte Regierung unter Helmut Kohl hat nach 1990 denZivilschutz in seiner Substanz geschwächt.
Gleichzeitig behaupten Sie, dass der Verteidigungs-minister in den Verteidigungspolitischen Richtlinien denAspekt des Heimatschutzes vernachlässigt habe. Meinesehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU,enAsDGswimShdpggSgeIvehKhdDhBhwLgrlidGwnfe
ie Verteidigungspolitischen Richtlinien bilden dierundlage des von Ihnen geforderten umfassenden Ge-amtverteidigungskonzeptes. Sie entsprechen in ausge-ogener Art und Weise den neuen Herausforderungen Inneren wie im Äußeren.Doch was wollen Sie eigentlich?
ie wollen Art. 35 und Art. 87 a des Grundgesetzes da-in gehend ändern, dass „… die Bundeswehr auch beier Verhinderung einer unmittelbar drohenden Katastro-he oder eines unmittelbar drohenden schweren Un-lücksfalles sowie bei der Bewältigung ihrer Folgen ein-esetzt werden kann“.
oweit Ihr Papier. Das muss man sich auf der Zunge zer-ehen lassen: Schon bei einer drohenden Katastrophe oderinem drohenden Unglücksfall soll die Bundeswehr imnnern eingesetzt werden können. Da stellen sich di-erse Fragen: Wer definiert das? Ein Unglücksfall oderine Katastrophe kann immer drohen. Wer kann das vor-ersagen?Es kann doch nicht einmal Ihre Absicht sein, liebeolleginnen und Kollegen von der Union, die Sicher-eitskräfte und damit unser Land sozusagen im dauern-en Notstand leben zu lassen.
iese Vorstellungen der Union hätten einen für uns nichtinnehmbaren Interpretationsspielraum hinsichtlich derefugnisse von Kräften der inneren und äußeren Sicher-eit zur Folge. Der Einsatz der Bundeswehr im Innernürde sozusagen in das Benehmen der Innenminister deränder gestellt werden.
Wir haben in Deutschland bisher aus sehr wohl erwo-enen Gründen einen Konsens. Die Trennung von inne-er und äußerer Sicherheit ist politisch und gesellschaft-ch gewollt. Es ist ein großer Vorteil seit der Gründunger Bundesrepublik Deutschland, dass innere und äußereewalt im Prinzip strikt getrennt sind. Eine Bundes-ehr, die de facto ein Instrument zur Anwendung des in-eren Gewaltmonopols werden würde, lehnen wir ab.
Wir halten daran fest: Nur in vom Grundgesetz genauestgelegten Situationen wird die Bundeswehr im Innerningesetzt, und das mit großem Erfolg, wie die Hilfeleis-
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Rolf Kramertungen der Bundeswehr bei den diversen Einsätzen ge-zeigt haben. Dafür sei den Soldatinnen und Soldaten vondieser Stelle aus noch einmal gedankt.
In einem Punkt sind wir ganz sicherlich einer Mei-nung: Der 11. September 2001 hat die Welt sicherheits-politisch verändert. Die Terroranschläge vom 11. Märzdieses Jahres in Madrid haben deutlich gemacht, dassEuropa und damit natürlich auch Deutschland im Fokusder Bedrohung stehen. Eine Grundgesetzänderung, umden generellen Einsatz der Bundeswehr zu ermöglichen,würde den Bevölkerungsschutz nicht verbessern, aberdie bewusst gewählte Sicherheitsarchitektur unseresGrundgesetzes fundamental verschieben. Es würde eineSicherheit suggeriert werden, die so nicht erreicht wer-den kann.Es ist doch einsichtig, dass – um nur ein Beispiel zunennen – die Debatte über die Sicherung der Bahnhöfedurch Soldaten an der Realität vorbeigeht.
Ganz abgesehen davon, dass Soldaten für den zivilenBereich nicht ausgebildet sind, lassen sich 7 500 Bahn-höfe bundesweit, 38 000 Kilometer Schiene, 30 000 Zügepro Tag mit etwa 4 Millionen Reisenden nicht effektivschützen, indem man die Bundeswehr aufmarschierenlässt.
Dieses Beispiel gilt nur für einen Bereich des öffentli-chen Lebens. Die Sicherheit wäre nur vorgetäuscht, einereine Placebomaßnahme. Dafür sollte uns allen die Si-cherheit unserer Bevölkerung zu wertvoll sein.In diesem Zusammenhang ist aber bedenklich, dassdie Länder in den vergangenen Jahren 12 000 Polizei-stellen abgebaut haben.
Das dadurch entstandene Vakuum durch Militär ersetzenzu wollen wäre eine in mehrfacher Hinsicht zu billigeLösung. Man muss es auch einmal deutlich sagen: Einhundertprozentiger Schutz gegen alle Terrorszenarienwird nicht möglich sein, nicht einmal dann, wenn wirtragende Grundsätze unserer freiheitlichen Verfassungopferten. Wir Sozialdemokraten wissen, was wir an un-serer Verfassung haben. Sie gilt es zu bewahren!
Aber wir können uns auf die Gefahren vorbereiten,indem das Zusammenwirken der Kräfte für den Notfallund den Katastrophenschutz weiter verbessert wird –auch gegen Anschläge, die bisher außerhalb unserer Vor-stellungskraft lagen. Natürlich ist hier auch die Bundes-wehr gefordert. Ein entsprechender Vorschlag für ge-meinsame Übungen im zivil-militärischen Bereich liegtbereits vor.Die Bundeswehr kann schon heute in besonderenAusnahmesituationen und zur nationalen Gefahrenab-wgwddcbtsesKndRttACKhfs3sW7ev11gvmgmSzm22VrhdP
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ursula Lietz, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wiraben es bereits gehört: Die Bundeswehr steht vor einemundamentalen Umbruch. Laut den Verteidigungspoliti-chen Richtlinien werden wir bis zum Jahr 20105 000 Soldaten haben, die in der Lage sein sollen, alschnelle Eingreiftruppe zu fungieren und überall in derelt zur Verfügung zu stehen. Zusätzlich sollen0 000 Soldatinnen und Soldaten zur Friedenserhaltungingesetzt werden können, und zwar an maximal fünferschiedenen Einsatzorten weltweit mit bis zu4 000 Soldaten pro Einsatz. Zusammen mit den45 000, die für Nachschub, Organisation und Versor-ung sorgen sollen, macht das einen Gesamtbestandon 250 000 Soldaten in der Bundeswehr aus.Wenn man die Anzahl der Soldaten verringert, mussan nicht automatisch die Sicherheit, die Anforderun-en und die Finanzen verringern. Das passt nicht zusam-en. Man muss nämlich die Fähigkeiten des einzelnenoldaten erhöhen.
Das Verteidigungsministerium schlägt aber vor, bisum Jahr 2010, also innerhalb von sechs Jahren, im Rah-en der Verteidigungspolitischen Richtlinien insgesamt6 Milliarden Euro zu sparen. Das sind immerhinMilliarden Euro mehr, als wir im Moment pro Jahr zurerfügung haben. Wer glaubt, dass wegen der Reduzie-ung der Gesamttruppenstärke auf 250 000 der Sicher-eitsbedarf und die Finanzen ebenfalls reduziert wer-en können – Herr Kollege Arnold, Sie haben in derresse sogar verlauten lassen, dass die Sanitätsstärke
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Ursula Lietzentsprechend der Anzahl der Soldaten verringert werdenkann –, der hat die Einsatzszenarien nicht realisiert.Das Verteidigungsministerium hat formuliert, dasswir im schlimmsten Fall – ich hoffe und weiß, dass dernicht immer eintritt – 105 000 Soldatinnen und Soldatenin Einsatzgebieten rund um die Welt, nicht nur am Hin-dukusch, haben sollten. Wenn Sie diesen schlimmstenFall so programmieren, dann müssen Sie auch den Si-cherheitsbedarf, der damit verbunden ist, entsprechendanpassen. Das tun Sie allerdings nicht.
Der Verteidigungsminister und der Generalinspekteurhaben in ihren Ankündigungen offen gelassen, wie sieden Szenarien begegnen wollen, die sie quasi auf demReißbrett geplant haben.Das Sanitätswesen der Bundeswehr muss in der Zu-kunft sehr viel höheren Anforderungen gerecht werden,als das zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Fall ist. Knapp8 000 Soldatinnen und Soldaten sind im Moment imEinsatz. Sie alle wissen, wie die Einsatzzeiten des Sani-tätspersonals aussehen. Kaum dass die Ärzte zu Hausesind, fahren sie schon wieder an neue Einsatzorte. Da-runter leiden die Familien. Die Bundeswehrkranken-häuser haben zum Teil reduzierte Operationskapazitä-ten, weil die Anästhesisten und die Chirurgen anbestimmten Einsatzorten sind. Wenn Sie sich vor Augenführen, dass Facharztausbildungen wegen Fehlzeitenverlängert werden müssen, damit sie überhaupt zustandekommen, dann erkennen Sie, in welcher Situation dasSanitätswesen zum jetzigen Zeitpunkt ist.Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, einenachvollziehbare Bedarfs- und Vorsorgeplanung für dieBundeswehrkrankenhäuser und das Sanitätswesen vor-zulegen. Gerade was die Bundeswehrkrankenhäuser an-betrifft, bekommt man völlig unterschiedliche Antwor-ten, wenn man im Verteidigungsministerium nachfragt.Ich appelliere schon deswegen an die Verantwortung desVerteidigungsministeriums, weil gerade das zivile Perso-nal in den Krankenhäusern einen Anspruch darauf hat,informiert zu werden: Sagen Sie der Öffentlichkeit end-lich klipp und klar, welche Bundeswehrkrankenhäuserbestehen bleiben sollen. Lassen Sie die Menschen in denKrankenhäusern nicht im Ungewissen.Es ist nämlich klar, dass von den acht Krankenhäu-sern, die wir jetzt haben, lediglich drei als vollwertigeKrankenhäuser erhalten bleiben werden, nicht mehr. DerRest wird geschlossen, dient der tropenmedizinischenVersorgung, als Polikliniken oder zu was auch immer.Wir werden aber nur noch genau drei vollwertige Kran-kenhäuser haben. In diesen drei verbleibenden Kranken-häusern müssen wir dann unser gesamtes Sanitäts-personal ausbilden. Das heißt, wir müssen in denverbleibenden Krankenhäusern zusätzliche Ausbil-dungskapazitäten und zusätzliche Versorgungsmöglich-keiten für Soldaten schaffen. Schließlich brauchen wirdiese Krankenhäuser für die Aus-, Fort- und Weiterbil-dung in der Einsatzmedizin. Das kann kein ziviles Kran-kenhaus in der Bundesrepublik Deutschland leisten.PFnlstSk–sgALedgdsdbvdhFvnaWMalbvgcgudwzbwgdlwiDs
Dann sollte jeder mit Verantwortlichen in den Ländernprechen, zu denen er gute Beziehungen hat, liebe Kolle-innen und Kollegen.Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat bisher guterbeit geleistet. Es handelt sich um gut ausgebildeteeute, die in bis jetzt hoch leistungsfähigen Funktions-inheiten wirken. Der vorgegebene Standard allerdings,er ausdrücklich fordert, dass die medizinische Versor-ung in Einsatzgebieten der Qualität der Versorgung iner Heimat entspricht, ist in Gefahr. Dieser Anspruchteht auf dem Spiel. Ich möchte Sie sehr herzlich bitten,azu beizutragen, dass militärische Fähigkeiten, die wiris jetzt noch auf diesem Gebiet haben, nicht auch nocherloren gehen und dass die medizinische Versorgunger Soldaten im Einsatz weiterhin gewährleistet ist. Ichabe große Sorgen, dass das in Zukunft nicht mehr derall sein wird.Eine verantwortungsvolle medizinische Versorgungon bis zu 105 000 Soldaten im Einsatz – ich muss dasoch einmal sagen – verlangt einfach mehr und besserusgebildetes Sanitätspersonal.
ir können uns da nicht auf andere europäische NATO-itglieder verlassen, weil ihre Standards geringer sindls unsere und ihre Fähigkeiten hinter unseren zurückfal-en. Lediglich die Vereinigten Staaten von Amerika ha-en noch hoch qualifiziertes Personal und technisch her-orragend ausgestattete Armeekrankenhäuser.In dieser Diskussion sollten wir nicht zuletzt deswe-en auch einmal ernsthaft darüber nachdenken, auf wel-he Weise wir Nachwuchsgewinnung betreiben, alsoeeignete Personen rekrutieren. Die Unsicherheit, dienter den Bundeswehrangehörigen selbst, aber auch iner Öffentlichkeit bezüglich des Arbeitgebers Bundes-ehr herrscht, ist ausgesprochen groß. Wenn wir qualifi-ierten Nachwuchs haben wollen, müssen wir ihm etwasieten, insbesondere auch im Sanitätswesen der Bundes-ehr. Ich habe mich sehr gefreut, dass der Verteidi-ungsminister angekündigt hat, dass die Einsatzzeitenemnächst vier Monate betragen werden. Wir habenange dafür gekämpft. Auf meine Frage allerdings, zuelchem Zeitpunkt dieser Beschluss umgesetzt würde,st mir gesagt worden, dieses finde im Rahmen derurchsetzung der Verteidigungspolitischen Richtlinientatt.
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Ursula LietzMeine Damen und Herren, zum Schluss noch einSatz: Es macht mich traurig, dass viele verantwortungs-bewusste Offiziere in diesen Tagen über Maulkorb-erlasse Sprechverbote bekommen und ihnen sogar dieEntfernung von ihren Aufgabengebieten angedrohtwurde, wenn sie ihre Sorgen über die jetzt anstehendeReform und deren Schwächen zum Ausdruck bringen.Eine Regierung bzw. ein Minister, der von seinem Planüberzeugt ist und zu ihm steht, sollte sich auch der Dis-kussion in den eigenen Reihen stellen.Vielen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
erhält die Kollegin Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion,
das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Das Sozialwissen-schaftliche Institut der Bundeswehr hat letzte Wocheeine aktuelle Bevölkerungsbefragung zum sicherheits-politischen Meinungsbild veröffentlicht. Diese Studiebelegt, dass das Gefühl von Sicherheit abnimmt. Nie-mand wird von der Hand weisen können, dass es nichtnur so ein Gefühl ist, das da abnimmt, sondern dass sichdie Bedrohungslage tatsächlich verschärft hat.In einer solchen Situation sollten wir die Menschen inunserem Land nicht mit falschen Heilsversprechungenaufs Glatteis führen, sondern für Aufklärung sorgen.
Die CDU/CSU-Opposition tut dies leider nicht, wedermit ihrem vorliegenden Antrag noch mit ihren wieder-holten populistischen Forderungen nach einem Einsatzder Bundeswehr im Innern. Sie schüren damit dieÄngste in der Bevölkerung und suggerieren, es werdenicht genügend zu deren Schutz getan.
Natürlich stellen sich die Bürgerinnen und Bürger dieFrage: Warum darf die Bundeswehr Deutschland amHindukusch verteidigen, nicht aber am HamburgerHauptbahnhof? Darauf gibt es drei ganz klare Antwor-ten:Erstens. Die Bundeswehr ist dafür weder ausgebildetnoch ausgerüstet. Sie steht im Moment vor ganz ande-ren, neuen Herausforderungen. Wir können unsere Sol-datinnen und Soldaten jetzt nicht auch noch zu Hilfs-sheriffs machen.Zweitens. Die Polizeien der Länder und des Bundessowie der Bundesgrenzschutz sind für die innereSicherheit zuständig. Sie sind die Spezialisten, sie sinddafür ausgebildet. Insbesondere unser Bundesgrenz-sbSSnUmdtiDAjenbnBcgdBcEmsninktutiElebteWgGSgssddWzgtaSsmp
Ich möchte noch einige Dinge zur geplanten Auflö-ung der Reservelazarette sagen. Der Verteidigungs-inister hat in seinen von allen gelobten Verteidigungs-olitischen Richtlinien den Verzicht auf allein für den
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Karin Evers-MeyerVerteidigungsfall bereitgehaltene Strukturen angewie-sen. Gleichzeitig hat er aber auch den Schutz Deutsch-lands und seiner Bürgerinnen und Bürger als Auftrag derBundeswehr festgeschrieben. Diesen Vorgaben folgendwird die Reservelazarettorganisation als Struktur derLandesverteidigung aufgelöst.Diese Auflösung wird jedoch keineswegs negativeAuswirkungen auf den Katastrophenschutz haben. Re-servelazarette waren bisher als zusätzliche Militärkran-kenhäuser für den Verteidigungsfall vorgesehen. Dieheutigen 56 Lazarettgruppen wären erst nach einer sehrzeitintensiven und von der Feststellung des Verteidi-gungsfalls abhängigen allgemeinen Mobilmachung ein-satzbereit. Für die Aufgaben im Katastrophenschutz wa-ren und sind sie wirklich nicht optimal vorbereitet. Daswollen wir ändern.Wesentliche Kernelemente der Lazarettorganisationbleiben auch nach der Entscheidung über deren Auflö-sung erhalten. Dazu gehören insbesondere fachärztlicheKomponenten, die auch für die Katastrophenhilfe ge-nutzt werden können und mit denen man in der Lage ist,das zivile Gesundheitswesen bei einem Massenanfallvon Verletzten gezielt zu verstärken.Auch die Reservisten des Sanitätsdienstes der Bun-deswehr werden weiterhin eine sehr wichtige Rolle spie-len, Herr Beck. Sie werden jetzt verstärkt mit der aktivenTruppe zum Einsatz kommen,
diese unterstützen und so die Reaktionsfähigkeit des Sa-nitätsdienstes in Katastrophen- und besonders schwerenUnglücksfällen verbessern.
Hierzu werden Verfahrensweisen erarbeitet, die eineschnellere Unterstützung im Katastrophenfall ermögli-chen. Die bisherige Alarmierungs- und Einberufungs-praxis bedarf, wie schon gesagt, eines zeitlichen Vor-laufs, der den raschen Anforderungen eines plötzlichenKatastrophenfalls nicht gerecht wird.Die Bundeswehr gibt damit keine für den Katastro-phenschutz relevanten wesentlichen Fähigkeiten auf. ImGegenteil: Sie wird ihre Reservistenorganisation so opti-mieren, dass diese – gemeinsam mit der aktiven Truppe –den Katastrophenschutzorganisationen und dem zivilenGesundheitswesen im Bedarfsfall die bestmögliche Un-terstützung leisten kann.
Die Fähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr zu ei-ner bedarfsgerechten, reaktionsschnellen Unterstützungziviler Kräfte im Katastrophenfall wird damit nicht nurerhalten bleiben, sondern noch optimiert.Gleiches gilt im Übrigen auch für die neue Reservisten-konzeption der Bundeswehr, die in enger Kooperationmit dem Reservistenverband und mit anderen Verbändenerarbeitet wurde. Die Reserve wird auf die wahrscheinli-cheren Aufgaben der Bundeswehr und auf ein ausgewo-galivdswledSkfggAtemhwamrgDfvs
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2824 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung der Regelungen über Altschulden
– Drucksache 15/1662 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Hans-Michael Goldmann, Jürgen Türk,Dr. Christel Happach-Kasan, weiteren Abgeord-neten und der Fraktion der FDP eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur endgültigen Rege-lung über Altschulden landwirtschaftlicher Un-
– Drucksache 15/2468 –
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertBeschlussempfehlung und Bericht des Haushalts-ausschusses
– Drucksache 15/3002 –Berichterstattung:Abgeordnete Ilse AignerErnst Bahr
Franziska Eichstädt-BohligJürgen KoppelinNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazugibt es offenkundig Einvernehmen. Dann ist es so be-schlossen.Dann bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen,die an dieser Debatte nicht mehr teilnehmen können oderwollen, den Saal möglichst geräuschlos zu verlassen, da-mit diejenigen Platz nehmen können, die an dieser De-batte dringend teilnehmen wollen oder müssen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst fürdie Bundesregierung das Wort dem ParlamentarischenStaatssekretär Gerald Thalheim.Dr
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Heute ist für mich in meiner Abge-
ordnetenlaufbahn, wenn man das so bezeichnen will, ein
besonderer Tag. Am 21. Dezember 1990 habe ich als neu
gewählter Abgeordneter hier im Reichstagsgebäude ei-
nen Antrag zu einem Altschuldenmoratorium für die
ostdeutsche Landwirtschaft unterschrieben. Damals
hätte ich mir nicht vorstellen können, 14 Jahre später bei
der endgültigen Regelung des Gesetzes hier im Bundes-
tag für die Bundesregierung zu sprechen. Ich hätte mir
auch nicht vorstellen können, dass es so lange dauern
und so schwierig werden würde, eine Regelung herbei-
zuführen, und dass das ungelöste Altschuldenproblem
nicht nur in der Landwirtschaft eine so schwierige Hypo-
thek darstellen würde.
Wir haben in den letzten Wochen kontrovers über die
Situation in Ostdeutschland diskutiert. Entindustriali-
sierung und viele andere Worte sind gefallen. Einer der
Gründe für diese Situation liegt in den Folgen der feh-
lerhaften Währungsunion und ganz besonders darin, wie
die Altschulden behandelt wurden. Nach der Wäh-
rungsunion waren die Betriebe einfach nicht in der Lage,
die damals in Mark der DDR aufgenommenen Kredite in
D-Mark zurückzuzahlen. Das galt nicht nur für die
LPGs, das galt genauso für die Industrieunternehmen,
die aus den volkseigenen Betrieben hervorgegangen wa-
ren, und für die Wohnungsgesellschaften. Deshalb
musste der Bund im Falle der Industrie und der Woh-
nungsunternehmen weitgehend auf die Rückzahlung
verzichten.
Angesichts der heutigen Debatte, in der wechselseitig
viele Vorwürfe gemacht wurden, wer für was verant-
wortlich ist, muss man sagen: Dieser Forderungsver-
zicht, der in Milliarden zu Buche geschlagen ist, ist eine
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Herr Kollege Thalheim, den Dank für die regelmä-
ige Einhaltung der Redezeit, die eigentlich unter den
edingungen unserer Geschäftsordnung eine schiere
elbstverständlichkeit sein sollte, verbinde ich mit der
usdrücklichen Hoffnung, dass Ihre heutige Überschrei-
ung derselben in Zukunft wieder die seltene Ausnahme
leibt.
Nun erhält der Kollege Dr. Peter Jahr für die CDU/
SU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Mit der Schlussdebatte über die Altschuldenre-elung in landwirtschaftlichen Unternehmen betreibenir in diesem Hohen Hause ein Stück Vergangenheits-ewältigung. Mit der Behandlung der Altschulden-roblematik, die aus DDR-Zeiten stammt, weht ein kleinenig der Hauch der Wendezeit durch den Plenarsaal.
Immerhin: Zum Zeitpunkt der D-Mark-Eröffnungsbi-anz hatten die landwirtschaftlichen Unternehmen Kre-itverbindlichkeiten in Höhe von umgerechnet 3,9 Mil-iarden Euro. Schon bei oberflächlicher Analyse warestzustellen, dass bei normaler Umrechnung der Alt-chulden die überwiegende Mehrzahl der betroffenenetriebe in die Gesamtvollstreckung getrieben wordenäre. Gerade weil damals nicht genügend regionaleeugründer vorhanden waren, wären nicht nur Zigtau-ende von Arbeitsplätzen gefährdet gewesen, sondern imstlichen Teil unseres Vaterlandes hätte sich nie eine flä-hendeckende, wettbewerbsfähige Landwirtschaft eta-lieren können.
Das Hauptproblem der so genannten Altschulden warie extrem unterschiedliche Werthaltigkeit dieserredite. Es gab zum Beispiel die Kredite für Neuinves-itionen in einen nach DDR-Maßstäben hoch modernenilchkuhstall, dessen Ausrüstung und Technologie nacher Wende völlig veraltet waren. Daneben gab es denredit, der auf einem Beschluss der SED-Kreisleitung
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Dr. Peter Jahrberuhte. Damit wurde der Betrieb verpflichtet, kommu-nale Straßen, Kindergärten oder Kinderferienlager zubauen und zu bezahlen. Bezahlt wurden diese Dingedurch die LPGs, finanziert durch Kreditierung seitensder Genossenschaftsbank der ehemaligen DDR.Selbstverständlich hätte man 1990 theoretisch auchdie Möglichkeit gehabt, die Werthaltigkeit der Kreditedurch eine Einzelfallbewertung konkret zu prüfen und zukorrigieren. Aber seien wir zumindest heute ehrlich:Diese Einzelfallbewertung wäre schon allein aufgrunddes Datenumfangs zum Scheitern verurteilt gewesen.Zusätzlich erhob sich auch die Frage: Wer hätte dieseWertfeststellung eigentlich treffen können? WelcherSachverständige konnte 1990 nachvollziehbar feststel-len, welchen Wert eigentlich eine Milchviehanlage mit2 000 Tieren auf fremden Grund und Boden ohneErbbaurechtsvertrag hatte? Was war eine Anlage mit1 200 Säuen wert, die nicht nur auf fremdem Grund undBoden stand, sondern dessen Bodeneigentümer in denalten Bundesländern wohnte und im Rahmen eines sogenannten Kreispachtvertrages enteignet wurde?
Aus diesen Gründen war es richtig, dass 1990 die da-malige CDU/CSU/FDP-geführte Bundesregierung sa-nierungsfähige Unternehmen mit Altschulden durchzwei Maßnahmen unterstützte: Zum einen wurden Alt-schulden in Höhe von circa 0,7 Milliarden Euro von derTreuhand übernommen. Zum anderen wurden damalsSchulden in Höhe von rund 2 Milliarden Euro durchzwischen den Unternehmen und den altkreditführendenBanken abgeschlossene zivilrechtliche Rangrücktritts-vereinbarungen beglichen und somit die landwirt-schaftlichen Unternehmen entlastet.
Durch diese Rangrücktrittsvereinbarungen traten fol-gende günstige Wirkungen ein: Kredite, die durch Alt-schulden begründet waren, wurden nachrangig einge-stellt und durften in der Bilanz als Eigenkapitalausgewiesen werden. Die Unternehmen wurden damitbilanziell de facto schuldenfrei gestellt, hatten Eigen-kapital und konnten neue Kredite aufnehmen. Die Alt-schulden mussten nur im Falle einer Gewinnerwirtschaf-tung zurückgezahlt werden. Lediglich 20 Prozent deshandelsrechtlichen Überschusses mussten abgeführtwerden, das heißt, 80 Prozent konnten die Unternehmenbehalten. Zinsen fielen dabei nur in Höhe des so genann-ten Euribor-Zinssatzes an. Zinseszinsen wurden nicht er-hoben.Die Rangrücktrittsvereinbarung war übrigens auchfür die altschuldenführenden Banken ein gutes Geschäft.Die Banken waren im Endeffekt so gestellt, als hättendie LPG-Nachfolgeunternehmen die im Rahmen derRangrücktrittsvereinbarung gezeichneten Altschuldenbereits zurückgezahlt. Im Endeffekt führte das allerdingsdazu, dass viele Unternehmen lediglich die jährlichenVerwaltungsgebühren entrichten mussten, sich aber an-dererseits wirtschaftlich stabilisierten.rwhtmKtdwsßuZfMBrcghlvddSAüiu–jzrfgvuehESFßsd
Ich dachte, auch auf der linken Seite des Hauses würdeetzt geklatscht. Aber Sie haben gleich noch eine Chanceu klatschen.Allerdings war meine Fraktion über den Realisie-ungszeitraum ein wenig erstaunt. Man könnte auch soormulieren: Sie brauchten nach Vorlage des Gutachtensanze fünf Jahre, um einen beratungsreifen Gesetzestextorzulegen,
nd das, obwohl Sie schon vor der Bundestagswahl 1998ine schnelle Lösung der Altschuldenfrage versprochenatten. Sie erweckten bereits im Wahlkampf 1998 denindruck, den entsprechenden Gesetzestext in derchublade zu haben.
Nach dem Regierungswechsel 1998 habe ich denortgang der Dinge aus sächsischer Perspektive mit gro-em Interesse verfolgt. Denn seinerzeit sind wir im säch-ischen Landtag – man kann fast sagen: monatlich – vonen Sozialdemokraten gedrängt worden, endlich einen
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Dr. Peter Jahrentsprechenden Gesetzentwurf im Deutschen Bundestagauf den Weg zu bringen. Meine Damen und Herren ins-besondere von der SPD, offenbar haben Sie beim Wech-sel von der Oppositionsbank auf die Regierungsbankvergessen, Ihre Schubladen mitzunehmen.
Entweder war Ihr Entwurf nicht mehr da oder er war,wie die Juristen zu sagen pflegen, unauffindbar ver-räumt.
Die Suche war zugegebenermaßen nicht ganz einfach.Denn immer, wenn Sie gerade in Ihr verstaubtes Archivhinabsteigen wollten, kam etwas dazwischen. Da war dieBSE-Geschichte – hier könnte man fragen, was Rinder-wahn mit Altschulden zu tun hat –, dann wurde dieMinisterin ausgewechselt. Aus heutiger Sicht muss mansagen: Glücklicherweise hat sich Frau Künast nicht inden Altschuldenprozess eingeschaltet; denn sonst wärenwir noch nicht so weit.
Dann kam auch noch eine Bundestagswahl dazwischen.Aber im Jahre 2002 war alles ganz einfach: Man musstenur noch auf eine Gute-Laune-Phase des Finanzminis-ters warten und blitzschnell zuschlagen.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände war das einregelrechtes Schnellverfahren. Das sage ich nur deshalb,weil Sie, meine Damen und Herren von den Regierungs-fraktionen, manchmal auch anders können. Ich erinnerebloß an das Thema Ausbildungsplatzabgabe, bei dem ichmir ein ähnlich langes Nachdenken wünschen würde.
Der vorliegende Gesetzentwurf zerfällt im Wesent-lichen in zwei Teile: Erstens wird die bestehendeRangrücktrittsvereinbarung massiv verschärft. Zweitenskönnen sich die Unternehmen von dieser verschärftenVerpflichtung freikaufen, indem sie einen einmaligenAblösebetrag bezahlen.Obwohl ich selbst am Anfang der Diskussion – damitmeine ich 1998 – lieber die bestehenden Altkredite aufihre Werthaltigkeit überprüft gesehen hätte, um darausden Ablösebetrag zu ermitteln, bin auch ich mittlerweile– nach Abwägung aller Umstände – der Auffassung,dass der Grundansatz dieses Gesetzes richtig ist.
Frau Wolff, wenn Sie mitschreiben wollen: Das wäredann die zweite Gemeinsamkeit.
Allerdings wird die Decke der Gemeinsamkeiten jetztimmer dünner. Bei der gedruckten Fassung des Gesetz-entwurfs sieht meine Fraktion noch erheblichen Nach-besserungsbedarf. Wir sind nach wie vor der Auffas-shsdwssdwdmimdueMAgmdsdewgndntddjgstgwmGtuAAgLmDVdEbtez
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Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael
Goldmann von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich denke, das Klima der Gesprächsführung– es ist ja keine Auseinandersetzung – macht deutlich,dass wir alle froh sind, dass wir hier zu einer Lösungkommen werden, die der besonderen Situation des länd-lichen Raums und der Landwirtschaft im Osten Rech-nung trägt.Als ich 1998 in den Bundestag kam, war mir – dasmuss ich zu meiner Schande gestehen – die Altschulden-problematik nicht sehr bekannt. Bei Besuchen vor Ort,bei Gesprächen mit vielen Betroffenen und bei einerfraktionsinternen Anhörung haben wir uns sehr intensivum die Materie bemüht. Ich sage es ganz einfach: Ich binsSedweIdüddsuwswGttmikwwgfkzdPbtvtgdhscpepaSedfeA
n diesem Gesetzentwurf hätten dann möglicherweiseie Dinge gestanden, die ihr wollt und die wir dann nichtber den Verordnungsweg hätten regeln müssen.Es lohnt sich nicht, über diese Sache zu streiten. Alle,ie die Materie nicht kennen, werden sie auch am Endeer Debatte nicht verstanden haben. All diejenigen, dieich mit dem Thema auskennen, merken sowieso, ob wirns damit wirklich ernsthaft auseinander setzen oder obir uns nur herumstreiten. Das will ich nicht tun.Ich habe mit tief betroffenen Wiedereinrichtern ge-prochen, die mir schwerste Vorwürfe gemacht haben,ie mit diesem Problem umgegangen wurde. Ich habe inaststätten gesessen, die den LPG-Nachfolgern gehör-en. Ich bin auf Straßen gefahren und war in Kindergär-en zu Besuch, die noch einen Teil der Altschulden aus-achten und die Bedrängnis verstärkten. Es geht darum,n diesem speziellen Fall ein vernünftiges Maß an Zu-unftschancen und Gerechtigkeit herzustellen.Lieber Herr Thalheim, ich glaube, dass der Gesetzent-urf der Bundesregierung, der von Rot-Grün getragenird, den Anforderungen, die wir an ihn stellen, nichterecht wird. Ich meine, er ist steuersystematisch äußerstragwürdig. Ich bin der Meinung, dass Sie das selbst er-annt haben, weil Sie das zunächst anvisierte Einnahme-iel von 600 Millionen Euro auf 370 Millionen Euro re-uziert haben. Sie werden mit dem individuellenrüfverfahren, das Sie durchführen lassen wollen, einenürokratischen Moloch aufbauen, der ebenfalls dazu bei-ragen wird, dass dieser Betrag nicht erzielt wird.Die individuelle Prüfung erscheint zunächst sehrernünftig. Es leuchtet allerdings bei genauerer Betrach-ung nicht ein, dass jemand, der in den letzten Jahren gutewirtschaftet hat, heute dafür bestraft werden soll, underjenige, der sich sehr wenig Mühe gegeben hat, dafüronoriert wird. Das ist doch wirklich nicht logisch. Las-en Sie uns auch – Herr Dr. Jahr hat es schon angespro-hen – über Möglichkeiten reden, den Zahlungsver-flichtungen zu entgehen. Untergesellschaften sind nuninmal ein sehr geeignetes Mittel, um Zahlungsver-flichtungen auszuweichen. Der Nachweis eines Gut-chtens – das ist zwar ein bisschen umstritten, aber dieubventionswirkungen sind erheblich – wird im Gesetz-ntwurf der Bundesregierung nicht aufgegriffen.Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden,en ich in drei Punkten kurz skizzieren will und den ichür den besseren halte. Das Problem in unserem Gesetz-ntwurf – das ist völlig richtig – ist die Festlegung derblösung der Altschulden auf 33 Prozent. Aber schauen
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Hans-Michael Goldmannwir uns die Forderungen der anderen an: Die Wiederein-richter verlangen einen Ablösebetrag von mindestens50 Prozent und die LPG-Nachfolgebetriebe meinen,15 Prozent seien die oberste Grenze. Die Mitte dieserbeiden Zahlen liegt bei etwa 33. Ich sage Ihnen ganz ehr-lich: Ich wäre sogar bereit gewesen, über 25 Prozentnachzudenken.Unser System hat einen Riesenvorteil. Es sichert in-nerhalb von 15 Jahren die Einnahmen. Das muss manbesonders in einer Zeit berücksichtigen, in der wir denMenschen in den neuen Ländern verstärkt helfen wollen.Unser Vorschlag sichert dem Bund die Einnahmen undbeendet im Grunde genommen die Auseinandersetzungüber diese Problematik.Wer nicht in der Lage ist, den von uns vorgeschlage-nen Ablösebetrag – von mir aus können es auch 25 Pro-zent sein – aufzubringen, der wird sich allerdings aufdem zukünftigen Agrarmarkt nicht behaupten können.Insofern ist der pauschalisierte Satz eine sehr unbüro-kratische Maßnahme, die meiner Meinung nach einhohes Maß an Gerechtigkeit beinhaltet. Sie würde auchdazu beitragen, insgesamt zu einer Befriedung zu kom-men, die diesem Problem gerecht wird.Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung,der von Rot-Grün getragen wird, nicht zustimmen. Wirsind aber hoffentlich alle froh darüber, dass wir diesesThema befriedigend abgearbeitet haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Bahr von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Jahr, Siehaben Ihre Rede gut angefangen, indem Sie wie HerrThalheim, Frau Behm und auch Herr Goldmann zu-nächst sachlich dargestellt haben, worum es geht. Das isterfreulich. Aber die Art und Weise, wie Sie dann ver-sucht haben, zu begründen, dass unser Gesetzentwurf ander Sache vorbeigeht oder zumindest nichts taugt, hatwenigstens mir persönlich den Eindruck vermittelt, dasswir mit dem, was wir hier vorlegen, sehr gut liegen. Des-wegen werden wir es so beschließen.
Das Landwirtschafts-Altschuldengesetz, Herr Jahr,zeigt, dass man schon 1990 mit Fantasie so manche Pro-bleme in vielen Wirtschaftsbereichen wie der Industrie,des Handwerks und des Mittelstandes erfolgreich hättelösen können. Wir legen auch dank der Mitarbeit des da-maligen Mitgliedes des Bundestages, Dr. Thalheim, eineLösung vor, die sich noch heute sehen lassen kann undzum Erfolg führt.In den übrigen Wirtschaftsbereichen hätte man sichermit Fantasie auch einiges machen können, anstatt allesplatt zu machen, was wir heute bedauern.dtnDrd1trtBÄglalGcDstfvwletzbeDsdtdZgAsd2ed5wwRmulhE
ltschuldenbedingte Insolvenzen wird es also in die-em Zusammenhang auch in Zukunft nicht geben. Dererzeit aufgelaufene Gesamtschuldenbetrag liegt bei,5 Milliarden Euro. Mit der alten Regelung hätten wirinen Barwert von 320 Millionen Euro zu erwarten. Miter neuen Regelung, die wir jetzt vorlegen, werden es60 Millionen Euro sein.Abschließend bleibt festzuhalten, dass der FDP-Ent-urf eine relativ ungerechte Lösung darstellen würde,enn er auch unbürokratischer ist, was ich sehr wohl inechnung stellen will. Er würde aber einige Unterneh-en bevorteilen. Wir wollen aber Subventionen abbauennd nicht neue schaffen. Andere Betriebe würden viel-eicht unter dieser Last zusammenbrechen. Deswegenalten wir es für sinnvoll, diese Regelung abzulehnen.ine sinngemäße Anpassung des Rangrücktritts wäre im
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Ernst Bahr
Übrigen auch juristisch problematisch. Insofern ist IhrAntrag auch aus dieser Sicht nicht sehr gut geeignet.In Anbetracht der allgemeinen haushaltspolitischenLage wäre es außerdem unverantwortlich, auf die Rück-zahlungen staatlich gewährter Kredite durch leistungsfä-hige Unternehmen zu verzichten. Das ist einfach nichtmachbar.
– Nein. Wir sprechen über fiktive Zahlen; das wissen wirauch.Es ist gelungen, eine Lösung der Altenschuldenpro-blematik aufzuzeigen, bei der jeder Betrieb eine Chanceerhält, seine Altschulden entsprechend den ökonomi-schen Möglichkeiten zu bedienen.
– Herr Goldmann, ich sage noch einmal: Wir sind vonfiktiven Zahlen ausgegangen. Wir haben versucht, das soseriös wie möglich zu berechnen. Das ist eine solideGrundlage für das, was wir geschaffen haben.Wir gehen davon aus, dass derjenige, der Gewinnemacht, auch Schulden bedienen muss. Das ist ein ganzrealer Grundsatz. Es wird niemand überfordert. In demSinne ist das, was wir hier machen, eine zumutbare Lö-sung. Mit der Lösung des Altschuldenproblems wirdauch der Konflikt zwischen den Agrargenossenschaftenund den Wieder- und Neueinrichtern ein für alle Mal be-endet. Insofern ist das eine gute Lösung.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! An 18 Minuten Redezeit der CDU/CSU-Frak-tion kann ich nicht vorbei. Herr Jahr, Sie haben denGeist der Wendezeit beschworen. Das hat fast an Nostal-gie gegrenzt. Das hätten Sie als Vertreter Ihrer Fraktiongerade nicht sagen dürfen. Denn Sie sind daran schuld,dass die Schulden so immens angewachsen sind. Siesind daran schuld, dass es bis 1998 keine vernünftigeRegelung im Sinne des Bundes und der Betriebe gege-ben hat.
14 Jahre nach der Wiedervereinigung muss ich kon-statieren, dass es der damaligen CDU/CSU-Regierungnicht gelang oder auch nicht gelingen wollte, dieses Pro-blem vom Tisch zu bekommen. Sie haben in Ihrer Redegesagt, Herr Jahr, dass die alte Regelung großzügig ge-wdzDVZfgdmelaeb1AnabwluezvliulaBDnubswUvrzsAgetrkAamn
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Die Rede der Kollegin Petra Pau nehmen wir mitIhrem Einverständnis zu Protokoll.1) Damit schließe ichdie Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zurÄnderung der Regelungen über Altschulden landwirt-schaftlicher Unternehmen, Drucksache 15/1662. DerHaushaltsausschuss empfiehlt unter I seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/3002 , den Gesetz-entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bittediejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mitden Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-men der Opposition angenommen.uGGiS1EsDavcdecIsgzndeZ1) Anlage 3
Heiderich, Gerda Hasselfeldt, Peter H.Carstensen , weiterer Abgeordneterund der Fraktion CDU/CSUGrüne Gentechnik in Deutschland nutzen –Verlässliche Rahmenbedingungen für einenverantwortungsvollen Einsatz in der Land-wirtschaft schaffen– Drucksache 15/2822 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
RechtsauschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENWahlfreiheit für die Landwirte durch Reinheitdes Saatgutes sicherstellen– Drucksache 15/2972 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
RechtsauschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsZP 4 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Christel Happach-Kasan, Hans-MichaelGoldmann, Ulrike Flach, weiterer Abgeodneterund der Fraktion der FDPChancen der Grünen Gentechnik nutzen –Gentechnikgesetz und Gentechnik-Durchfüh-rungsgesetz grundlegend korrigieren– Drucksache 15/2979 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
RechtsauschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hatdas Wort die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin von derSPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute diskutieren wir erneut über die Frage, wie wir mit
der Grünen Gentechnik umgehen sollen. Darüber haben
wir schon mehrfach geredet. Wir werden in den kom-
menden Wochen im Zusammenhang mit der Debatte
über den Gesetzentwurf der Bundesregierung alle grund-
sätzlichen Fragen besprechen. Wir wissen, dass die Posi-
tionen durchaus kontrovers sind. Das zeigt sich auch an
den uns heute vorliegenden Anträgen. Jeweils einen ha-
ben die CDU/CSU – Drucksache 15/2822 –, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen sowie die FDP vorgelegt.
Die Opposition betont sehr gerne die Möglichkeiten,
die sich mit dieser innovativen Technik verbinden. Auch
wir tun dies, verweisen aber gleichzeitig darauf, dass der
Nachweis der Schadensfreiheit und des positiven
Nutzens für die Menschen sowie für die Natur und ins-
besondere für die Artenvielfalt in vielen Punkten noch
aussteht. Wir sind der Meinung, dass man darauf gerade
bei Lebensmitteln, die tagtäglich von einer großen Zahl
von Menschen verzehrt werden, in keiner Weise verzich-
ten darf, und zwar auch deshalb nicht, weil sonst das
Vertrauen der Verbraucher, die die Lebensmittel kaufen
sollen, in die Produkte unserer Landwirtschaft nicht ge-
sichert werden kann.
Wenn ich mir die beiden Anträge der Oppositionsfrak-
tionen anschaue, dann stelle ich fest, dass der Antrag der
Union relativ allgemein gehalten ist. Das Gesetz, über
das wir in den kommenden Wochen beraten, wird sehr
viel konkreter sein. Es heißt im Antrag der Union – auch
wir und die Europäische Union vertreten diese Auffas-
sung –, dass die Koexistenz mehrerer Anbauformen – es
geht dabei um den Anbau mit und ohne Gentechnik – ein
tragender Grundsatz ist. Außerdem ist die Rede davon,
dass es sowohl für die Landwirte als auch für die Ver-
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ir tun das.
Ich will Sie zum Abschluss einfach auffordern, sich
ur Grenze des technischen Nachweises der Reinheit des
aatgutes ganz konkret – ich benutze jetzt einen Ihrer
usdrücke – zu bekennen. Ich glaube, das wäre ein guter
eitrag, auf der einen Seite Vorurteile abzubauen und
uf der anderen Seite zu helfen, Konflikte zu lösen. Viel-
eicht ändern Sie Ihre Einstellung. Wenn ja, dann stim-
en Sie unserem Antrag zu! Ich würde mich darüber
reuen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Helmut Heiderich voner CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitunserer heutigen Initiative wollen wir Sicherheit bei derNutzung der Gentechnik in Deutschland schaffen: Si-cherheit für die Bürger, Sicherheit für die Landwirte, Si-cherheit für die Forschung und Sicherheit für die Unter-nehmen der Pflanzenzucht.Dieses Bemühen unsererseits, verehrte Frau Vorred-nerin, ist nicht neu. Bereits 2001 haben wir in diesemHaus eine Kennzeichnung von genetisch verändertenBestandteilen in Lebensmitteln gefordert. Wir haben da-bei einen Grenzwert von 1 Prozent vorgeschlagen. Dasheutige Ergebnis von 0,9 Prozent ist von unserem dama-ligen Vorschlag nicht sehr weit entfernt. Dass wir, dieCDU/CSU, als Erste für diese Transparenz und für dieWahlfreiheit des Verbrauchers eingetreten sind, undzwar hier, in diesem Hause, wird in den Diskussionenüber dieses Thema immer wieder gern verschwiegen.Ich möchte Sie bitten, das in Zukunft endlich einmal zurKenntnis zu nehmen und auch öffentlich zu erklären.
Ebenso wird gern verschwiegen, dass es bei derKennzeichnung um eine Zusatzinformation für denVerbraucher und nicht um einen Warnhinweis zu einemneuen Produkt oder Ähnliches geht. Genlebensmittelsind nicht gefährlich. Ich zitiere den EU-KommissarByrne, der vorgestern dem „Tagesspiegel“ gesagt hat:Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind ge-nauso sicher wie herkömmlich produzierte. Es be-steht keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit.Es wäre gut, wenn das auch von Ihrer Seite einmal öf-fentlich vertreten würde und nicht immer das Gegenteilbehauptet würde.
Kennzeichnung – ich sage das noch einmal deutlich –heißt also Sicherheit und nicht Risiko. Sicherheit für dieLandwirte schaffen wir durch mehrstufige umfassendewissenschaftliche Prüfung der gezüchteten Pflanzen.Wissenschaftliche und praktische Erfahrungen sind dieGrundlage für die Wahlfreiheit jedes Landwirts. Deshalbmuss die Diskriminierung derjenigen Landwirte aufhö-ren, die sich freiwillig für die Möglichkeiten der Bio-technik entscheiden oder entscheiden werden.
Es ist doch gerade Rot-Grün, Frau Dr. Däubler-Gmelin, das mit aller Macht einen großflächigen Erpro-bungsanbau in Deutschland verhindert und damit dieMöglichkeit ausschließt, die notwendigen eigenen Er-kenntnisse für die Sicherheit der Landwirte in unseremLand zu gewinnen.
– Herr Tauss, man muss Lautstärke und Inhalt ein biss-chen auseinander halten. – Wie viele Diskussionen überVerhältnisse in England oder in Kanada oder wo auchimmer könnten wir uns ersparen, auch in diesem Hause,wdcDjnddPnDdgEdltSsAiwn–SnntbwsUcwnwwngwmwuwLsens
Ich rede nicht von Saatgut. Beim Saatgut – das wissenie – haben wir eine andere Gefechtslage. Da gibt es ei-en anderen Vorschlag. Die EU-Kommission wird dem-ächst eine entsprechende Wertung auf den Tisch legen.Auch die Behauptung, die jetzt immer wieder verbrei-et wird, nämlich Gentechnik sei nicht wieder rückhol-ar, wenn man einmal damit begonnen habe, ist – dasill ich noch einmal sagen – in keiner Weise wissen-chaftlich begründet. Es gibt eine aktuelle Studie derniversität Bern vom 13. April – sie ist also zwei Wo-hen alt – mit einem Umfang von etwa 200 Seiten, dieiederum zeigt, dass die Merkmale transgener Pflanzenach einigen Jahren aus der Population verschwinden,enn die entsprechenden Pflanzen nicht mehr angebauterden, weil sie gegenüber den bisherigen Pflanzenicht superior sind, das heißt, ihnen mit der Zeit unterlie-en. Gentechnik ist also nicht eine Büchse der Pandora,ie immer wieder öffentlich gesagt wird; sie ist viel-ehr eine sichere und beherrschbare Technologie.Die Anwendung im eigenen Land brauchen wir – dasird auch immer übersehen – für die Zukunftssicherungnserer Forschung. Bisher waren wir in Deutschlandeltweit mit an der Spitze. Doch während in anderenändern massiv in die Forschung investiert wird, insbe-ondere in China – Frau Däubler-Gmelin führt geradein Gespräch mit einer Abordnung –, werden im eige-en Land die Chancen der Forschung ständig ver-chlechtert.
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Helmut HeiderichDamit verlieren auch unsere Pflanzenzüchter im welt-weiten Wettbewerb an Boden. Wer wie diese Regierungden eigenen Unternehmen das Leben schwer macht, ar-beitet den internationalen Multis, wie Sie sie immer soschön bezeichnen, direkt in die Hände. Sie bieten ihnenden Markt geradezu auf dem Silbertablett an, wenn Siedie eigenen Pflanzenzüchter benachteiligen und ihnendie Chance nehmen, sich am internationalen Wettbewerbzu beteiligen.Dazu passt, dass Sie vor drei Tagen, also am Montagdieser Woche, in Brüssel der Importgenehmigung fürBt-Mais-Produkte aus Übersee nicht widersprochen ha-ben. Gleichzeitig verhindern Sie aber im eigenen Land,dass ein Erprobungsanbau mit diesen Produkten stattfin-det. In diesem Punkt ist Ihre Argumentation doppelzün-gig. So etwas machen wir nicht mit.
Letzter Satz: Wir stehen für Wettbewerbsfähigkeitund sichere, praktikable Rahmenbedingungen; Rot-Grünsteht für Verunsicherung der Bevölkerung und für Ver-nachlässigung des Standortes Deutschland.Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Schön wäre es, wenn das wahr wäre,was der Kollege Heiderich da eben gesagt hat. Den Ver-braucherschutz ernst nehmen heißt auch, die Bedenkenunabhängiger Organisationen ernst nehmen. Es gehtdann nicht an, sie in Stammtischmanier als irre zu be-schimpfen und uns Grüne der Straftaten zu bezichtigen,die wir mitnichten begangen haben, so wie das der Kol-lege Merz gemacht hat. Das ist meiner Meinung nachnicht dadurch zu entschuldigen, dass man ihn selbst inden Kreisen der CDU/CSU als Quartalsirren bezeichnet.Hier ist schon eine richtige Entschuldigung fällig.
Wahl- und Entscheidungsfreiheit ist ein hohes Gut.Sie setzt echte Wahlfreiheit und ein hohes Schutzniveaufür Mensch und Umwelt, wie es die CDU/CSU in ihremAntrag schreibt, voraus. Angesichts dessen, was weiter-hin im CDU/CSU-Antrag steht, kann man diese Aussagenur als irreführend bezeichnen. Die CDU/CSU forderthier nämlich wie auch im Bundesrat die Aufgabe der gu-ten fachlichen Praxis und des Schutzes ökologischer Ge-biete. Sie will die Haftungsregelungen aufweichen,
ein untransparentes Standortregister schaffen, das denNamen dann nicht mehr verdient, und kurze Anzeige-fmlDktbLsMtnsIPlaiWPUsGrSgargDWtlsagfdHvS–n
ir wissen natürlich, dass es dazu nötig ist, dass sichioneer darum bemüht, dass auch die Gesetze in denSA geändert werden. Uns beunruhigt jedenfalls, dassich die unionsregierten Länder von den Lobbyisten derentechnikindustrie instrumentalisieren lassen.Die FDP geht im Übrigen mit den Forderungen in ih-em Antrag noch über die im CDU/CSU-Antrag hinaus.
ie fordert nämlich, dass ein freiwilliges Kataster ein-eführt wird. Bezüglich dieses Punktes dürfen wir Sieuf die Rechtslage hinweisen; denn die Freisetzungs-ichtlinie steht dem eindeutig entgegen. Das Gentechnik-esetz ist die wesentliche Grundlage für Wahlfreiheit.eswegen werden wir dafür kämpfen.Die zweite wichtige Grundlage ist der Schutz derahlfreiheit in Bezug auf die gentechnikfreie Produk-ion, das heißt beim Saatgut. Ich unterstütze ausdrück-ich das, was meine Kollegin Däubler-Gmelin eben ge-agt hat: Wir setzen uns massiv dafür ein – und hoffenuch auf Ihre Unterstützung –, dass sich die Nachweis-renze auf den Schwellenwert bezieht, damit die Wahl-reiheit nicht Makulatur wird.
Wir können hier natürlich – das sage ich gerade vorem Hintergrund des letzten Satzes des Kollegeneiderich – auf die Analysen von US-Wissenschaftlernerweisen, die festgestellt haben, dass konventionellesaatgut nach rund acht Jahren großflächigem Anbaudas heißt nach kurzer Zeit – in hohem Maße gentech-isch verunreinigt ist; bei Mais und Soja sind es über
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Ulrike Höfken50 Prozent, bei Raps sogar 80 Prozent. Das möchten wirnicht haben und ich hoffe, auch Sie nicht.
Aber ich will auch kurz etwas zu den Umwelt- undGesundheitsrisiken sagen, die auf unserer USA-Reiseein großes Thema waren.
Nicht bekannt bedeutet auf keinen Fall nicht gefährlich,dann schon eher: nicht untersucht. Es gibt weltweit nurzehn wissenschaftlich anerkannte Studien. KollegeHeiderich, wir sind übrigens für wissenschaftliche For-schung.
Aber ich darf auch darauf hinweisen, dass von diesenzehn Untersuchungen fünf – nämlich die von unabhängi-gen Instituten – nachteilige Effekte und die anderen fünf– die von der Industrie – keine nachteiligen Effekte fest-gestellt haben. Das dürfte doch Anlass geben, das Vor-sorgeprinzip hochzuhalten.
Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die gesund-heitlichen Effekte. Sie wissen, dass die französischeKommission für biomolekulare Forschung, CBG, soebenim Rahmen des Zulassungsverfahrens der EU-Kommis-sion für einen Bt-Mais gesundheitliche Schäden bei Rat-ten festgestellt hat.
Auch das ist ernst zu nehmen. Es gibt eine Reihe vonweiteren Untersuchungen, die umstrittener sind. Ich er-innere nur an den Fall Pusztai. Wenn noch keiner tot um-gefallen ist, dann liegt das daran, dass man noch keineausreichenden Erkenntnisse hat.Ich fordere Sie auf und bitte Sie, sich mit uns für denSchutz der gentechnikfreien Produktion einzusetzendurch ein Gentechnikgesetz, das die Forderungen derWahlfreiheit und der Freiheit des Saatgutes von Gen-technikkontamination erfüllt.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-
Kasan von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollegin Höfken, Freiheit ist ein Menschenrecht; daraufmöchte ich hinweisen. Beim Saatgut sollten wir uns andas Sortenrecht halten und sollten diese Begriffe hiernicht durcheinander werfen.KcerBrDmnsswtngnfnshBeshdnGDDszzdsdsizppswE
ie Gesundheit der Menschen ist ein sehr hohes Gut.er Verbraucherschutz dient der Gesundheit der Men-chen. Wenn eine Züchtungsmethode hilft, Kulturpflan-en zu züchten, die der Gesundheit der Menschen nüt-en, dann ist dies ein guter Grund, die Anwendungieser Züchtungsmethode zu unterstützen.Grüne Gentechnik kann der Gesundheit der Men-chen nützen. Nehmen wir das Beispiel Weizen. Weizen,er nicht mit Pilzgiften belastet ist, bietet Vorteile füreine Verwendung als Nahrungs- oder Futtermittel. Dasst unmittelbar einleuchtend. Dennoch ist ein Freiset-ungsversuch in Sachsen-Anhalt, der der Erprobung vonilzresistentem Weizen dienen sollte, gerade von Green-eace massiv behindert worden. Die Organisation nenntich „Grüner Frieden“ und handelt gänzlich unfriedlich,enn sie fremde Felder entgegen den Interessen derigentümer bestellt.
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Dr. Christel Happach-KasanDaher ist es gut, dass die Gemeinnützigkeit dieses un-friedlich handelnden Konzerns überprüft wird.Die FDP setzt sich in ihrem Antrag dafür ein, dass dieChancen der Grünen Gentechnik in Deutschland genutztwerden. Dafür brauchen wir Regeln für die Koexistenz.Sie müssen sich an der Verbreitungsbiologie der Pflanzenorientieren. Ich darf noch hinzufügen: Im Wesentlichensind die Kenntnisse vorhanden. Wo Wissenslücken be-stehen, ist es Aufgabe der Institute der Ressortforschung,diese Lücken zu schließen. Derzeit behindert MinisterinKünast die BBA dabei, ihre Forschungsaufgaben zu er-füllen. Es ist schon einmalig, dass eine Ministerin mehrKenntnisse einfordert und gleichzeitig verhindert, dassdie Institutionen in ihrem Verantwortungsbereich ent-sprechende Forschungen durchführen.Die im Regierungsentwurf enthaltene gesamtschuld-nerische Haftung lehnt die FDP ebenfalls ab. Schädenmüssen ausgeglichen werden und gleichzeitig muss gel-ten: Wer sich korrekt verhalten hat, kann nicht zur Haf-tung herangezogen werden.Da von den zugelassenen Sorten gesundheitlicheSchäden und eine Beeinträchtigung von Natur und Um-welt nicht zu befürchten sind, ist nach Auffassung derFDP sehr viel mehr Gelassenheit angebracht. Deswegenlehnen wir die Forderung der Koalition ab, beim SaatgutSchwellenwerte festzulegen, die sich an den Nachweis-grenzen orientieren. Das ist weder erforderlich nochpraktikabel.Die polarisierte Diskussion hat die Risikowahrneh-mung der Menschen in Deutschland verzerrt und dieMenschen verunsichert, obwohl keine Gefahren beste-hen. Die Grüne Gentechnik wird in fünf Jahren bei unseine Selbstverständlichkeit sein.
Ihre Startschwierigkeiten sind durch schlechte Kommu-nikation zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaftverursacht worden. In Deutschland wurde aus dem De-saster um die Genehmigung der ersten Insulinproduk-tionsanlage in Hessen offensichtlich nichts gelernt. Ichbedauere dies ausdrücklich.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege René Röspel von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Frau Happach-Kasan, ich gebe zu, dass
ich mich bei Ihrer Rede aufgeregt habe. Trotzdem will
ich mich nicht allzu ausführlich dazu äußern.
Ich habe vor einigen Wochen in Gesprächen mit Reis-
bauern aus Thailand und auch mit Vertretern von Mise-
reor und „Brot für die Welt“ – es handelt sich um Orga-
nisationen, die sicherlich nicht verdächtig sind,
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ch will mich aber mit diesem Punkt nicht weiter befas-
en, weil wir dieses Thema jedes Mal behandeln.
Herr Röspel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Happach-Kasan?
Ja, natürlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Röspel, ich gehe davon aus, dass Sie
ie auch wir Gespräche mit dem Entwicklungsdienst der
vangelischen Kirche geführt haben. Sie haben sich si-
herlich auch intensiv mit diesem Problem befasst. Ist
hnen dabei nicht aufgefallen, dass die zahlreichen Pro-
leme, die in den Entwicklungsländern existieren und
ie uns die Vertreter und Vertreterinnen dieser Länder
orgestellt haben, nichts mit der Anwendung einer be-
timmten Züchtungsmethode zu tun haben? Diese Pro-
leme haben vielmehr damit zu tun, dass in diesen Län-
ern Regierungen an der Macht sind, die die Interessen
er Menschen nicht gut vertreten, und dass es dort Kon-
erne gibt, die die Schwächen dieser Regierungen aus-
utzen. Die Züchtungsmethode ist aber letztlich völlig
nmaßgeblich für die Not, die in diesen Ländern
errscht.
Liebe Frau Kollegin Happach-Kasan, auch ich habeespräche geführt. Ich weiß nicht, über welches Themaie diskutiert haben. In meinen Gesprächen ging es aus-rücklich um den Einsatz gentechnisch verändertenaatgutes und gentechnisch veränderter Pflanzen. Esandelt sich beispielsweise um Bt-Baumwolle in Indien,o die Einbrüche bei den Ernten dramatisch sind. Wirls satte Westeuropäer können uns diese Einbrücheurchaus erlauben. Für einen indischen Bauern ist esine Katastrophe, wenn ein neues, gentechnisch verän-ertes Produkt schlechter ist. Genau über diese Problemeaben wir gesprochen. Sie haben möglicherweise nichtber die Probleme diskutiert, die mit der Gentechnik zuun haben, sonst hätten Sie hoffentlich ein anderes Bild.
Wir wollen heute über drei Anträge, die sich mit deminsatz der Grünen Gentechnologie beschäftigen, disku-
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René Röspeltieren. Der Antrag der SPD und der Grünen ist über-schrieben mit: „Wahlfreiheit für die Landwirte durchReinheit des Saatgutes sicherstellen“. Die CDU/CSU hatihrem Antrag den Titel gegeben: „Grüne Gentechnik inDeutschland nutzen – Verlässliche Rahmenbedingungenfür einen verantwortungsvollen Einsatz in der Landwirt-schaft schaffen“. Die FDP überschreibt ihren Antragmit: „Chancen der Grünen Gentechnik nutzen – Gen-technikgesetz und Gentechnik-Durchführungsgesetzgrundlegend korrigieren“. Allein die Überschriften ma-chen den Unterschied in der Intention der Anträge deut-lich, was nicht sehr häufig der Fall ist. Die rot-grüneKoalition will die Interessen von Landwirten und Ver-brauchern wahren und schützen; das steht auch in derÜberschrift unseres Antrages. Die Opposition stellt dieEinführung der Grünen Gentechnik in den Vordergrund;das hat Herr Heiderich vorhin betont.
Wie aber ist die Situation in Deutschland und in Eu-ropa? In Deutschland gibt es bisher wie in den meistenEU-Ländern keinen Anbau gentechnisch veränderterPflanzen zu kommerziellen Zwecken. Seit 1998 – daswissen die meisten von Ihnen – gibt es – auch wegen derunterschiedlichen wissenschaftlichen Einschätzung ei-nes solchen Anbaus – ein EU-Moratorium, solche Pflan-zen nicht anzubauen. Dies wird sich verändern. Auf EU-Ebene ist die Freisetzungsrichtlinie verabschiedet wor-den. Wir haben sie umzusetzen. Die EU-Kommissionwird die ersten gentechnisch veränderten Pflanzen fürden Anbau zulassen. Es werden mehr werden.Um es klarzustellen: Ich persönlich halte das In-Ver-kehr-Bringen gentechnisch veränderter Pflanzen nachwie vor für falsch.
Die FDP schreibt in ihrem Antrag – ich darf zitieren –:Die Potenziale der Grünen Gentechnik sind vielfäl-tig und sie werden weltweit seit zehn Jahren auf in-zwischen mehr als 60 Mio. Hektar– das ist das Mehrfache der Fläche der Bundesrepublik –genutzt.Das ist richtig. Aber ist das auch wirklich ein Argu-ment? Man muss nämlich, wenn man ehrlich ist, ergän-zen: Die Begleitforschung, die die Auswirkungen einessolches Anbaus betrachtet,
findet weltweit auf weniger als 1 Prozent der Flächestatt; in Europa übrigens auf 15 Prozent der Fläche, weilwir genauer hinschauen.
Die Begleitforschung findet erst seit fünf oder sechs Jah-ren statt – und meist sogar in einem Umfang, der diebPteDb–lengsrHrDgingdknfladMAndwdFbIbPgEggvcvwne
Alles in allem: Die Erfahrungen im Umgang mit gen-chnisch veränderten Pflanzen sind noch sehr gering.eswegen finde ich es eher problematisch, dass die An-aufläche zunimmt.
Sie können gerne eine intelligente Zwischenfrage stel-n. Aber das Herumplärren nutzt mir nun wirklichichts.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tauschen ja re-elmäßig wissenschaftliche Untersuchungen im Aus-chuss aus. Die einen benennen die Probleme; die ande-en verneinen sie. Die von Ihnen genannte Studie, Herreiderich, ist übrigens nur über einen sehr kurzen Zeit-aum durchgeführt worden.
en Glauben, innerhalb von fünf Jahren die Auswirkun-en von Veränderungen nachvollziehen zu können, die der Evolution mehrere Jahrhunderte bis Jahrtausendeebraucht haben, halte ich für irreal. Ich könnte Ihnenie Studie der Universität Kiel entgegenhalten, in derlar dargelegt wird, dass es, baut man zunächst gentech-isch veränderten Raps und danach bei normaler Frucht-olge nicht gentechnisch veränderten Raps an, acht Jahreng eine gentechnische Verunreinigung zur Folge hat,ie höher als 0,9 Prozent ist.Mich stimmen diese Untersuchungen nachdenklich.eine Zweifel sind nicht ausgeräumt. Ich würde meinerbeit als Abgeordneter schlecht machen, wenn ichicht darüber nachdenken würde, welche Auswirkungenamit für die Zukunft dieser Gesellschaft und der Um-elt wirklich einhergehen. Ich bin immer sehr erstauntarüber, wie eindeutig Sie von der CDU/CSU und derDP davon ausgehen, dass es überhaupt keine Problemeei einer Freisetzung geben wird.
ch würde das nie sagen. Ich glaube, dass die Rückhol-arkeit, anders als Sie es gesagt haben, in der Tat einroblem ist.Aber, wie eingangs gesagt, die Grundentscheidung istefallen. Wir haben keine andere Wahl; wir werden aufU-Ebene und damit auch in Deutschland die Zulassungentechnisch veränderter Pflanzen bekommen. Die rot-rüne Koalition wird deshalb das Gentechnikrecht no-ellieren. Unser Ziel ist dabei: Landwirte und Verbrau-her sollen sich entscheiden können, ob sie gentechnischeränderte Lebensmittel herstellen oder kaufen. Wirollen sicherstellen, dass ein Nebeneinander, eine so ge-annte Koexistenz, zwischen denen, die die Gentechikinsetzen wollen, und denen, die darauf verzichten
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René Röspelwollen, möglich ist. Darüber werden wir in der nächstenWoche reden.Der heutige Antrag setzt an einem zentralen Punkt an:an der Reinheit des Saatgutes. Wenn sich ein Landwirtentscheidet, weiterhin konventionell oder biologisch,also gentechnikfrei, zu produzieren, steht für ihn einesim Vordergrund: Seine Produkte, sein Mais, sein Wei-zen, dürfen nicht mehr als 0,9 Prozent gentechnisch er-zeugter Bestandteile enthalten. Wenn seine Produkte die-sen Wert überschreiten, muss er sie als gentechnischverändert kennzeichnen. Dann ist es natürlich nur ein-leuchtend und sinnvoll, bereits beim Saatgut dafür zusorgen, dass die Verunreinigungen so niedrig wie mög-lich sind.
Das ist doch einigermaßen logisch.Die EU-Kommission wollte unterschiedliche Schwel-lenwerte beim Saatgut einführen. Bei Soja sollte dasSaatgut zum Beispiel zu 0,7 Prozent verunreinigt seindürfen
bzw. 0,7 Prozent gentechnisch verändertes Saatgut ent-halten dürfen. Von 0,7 Prozent im Saatgut ist es nichtweit bis zu 0,9 Prozent im Endprodukt. Für denjenigen,der gentechnikfrei anbauen will, ist es eine Katastrophe,wenn er wegen solcher Verunreinigungen sein Produktals gentechnisch verändert bezeichnen muss.Wir wissen, dass ein niedriger Schwellenwert mehrAufwand bedeutet. Das aber ist uns der Verbraucher-schutz wert. Unser Ziel bleibt, dass diejenigen, die gen-technikfrei produzieren wollen, das weiterhin tun kön-nen.
Wir wollen echte Wahlfreiheit für Landwirte und Ver-braucher.Ich schließe mit meinem Appell an die Opposition:Helfen Sie dabei mit, Landwirte und Verbraucher zuschützen! Unterstützen Sie unseren Antrag!Vielen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wie jüngste Meinungsumfragen belegen, gibt es in derdeutschen Bevölkerung starke Vorbehalte, ja sogar dif-fazeawORbbgkInwgÄmnzdgsnubrzuBslzfDrteeo6OZbts
um Vergleich: Die Gesamtanbaufläche in Deutschlandeträgt 12 Millionen Hektar.Auch in Deutschland sind mit gentechnisch veränder-en Organismen hergestellte Lebensmittel bereits heuteehr weit verbreitet. Lebensmittel wie Käse und Wein
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Dr. Maria Flachsbarthwerden mit Enzymen und Hefen hergestellt, die ihrenUrsprung in gentechnisch veränderten Organismen ha-ben. Tierfutter enthält große Anteile an Gensoja.80 Prozent des Sojas, das in der Tierernährung einge-setzt wird, wird in Ländern produziert, die gentechnischveränderte Organismen anbauen.Warum aber wollen wir nun Grüne Gentechnik? Wa-rum wollen wir dort auf Chancen hinweisen? Die GrüneGentechnik hat zum Beispiel im Bereich der Umwelt– aus dem ich komme – Vorteile: Ein geringerer Einsatzvon Pflanzenschutzmitteln ist möglich; das ist ein star-kes Argument zum Beispiel für den kleinbäuerlich struk-turierten Anbau von Baumwolle in China. Ein Anbau anungünstigen Standorten ist besser möglich. Ferner kannweniger Dünger eingesetzt werden.Mit Grüner Gentechnik kann man Energie sparen. Ichverweise zum Beispiel auf Amylopektinkartoffeln, dieals Stärkelieferant in der Papierproduktion angewandtwerden. Dort werden deutlich weniger energieintensiveVerarbeitungen nötig. In Zukunft ist der Einsatz bioge-ner Pflanzen denkbar.Meine Damen und Herren, dennoch ist ein umfangrei-cher Erprobungsanbau erforderlich, um Regeln fürgute landwirtschaftliche Praxis zu erarbeiten und die Ko-existenz zwischen Landwirten, die sich für GVOs ent-scheiden, und denen, die dagegen sind, zu ermöglichen.Dafür brauchen wir ein Gentechnikrecht, das den Anbauermöglicht und für einen gerechten Interessenausgleichsorgt. Die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches bietendafür eine gute Grundlage. Die Regeln jedoch, die Sie inIhrem Entwurf des Gentechnikgesetzes vorsehen, wei-chen ausdrücklich davon ab. Unser Antrag weist dage-gen in die richtige Richtung.Auch die im Gentechnikgesetzentwurf vorgesehenenBeweiserleichterungen verstoßen gegen die bisherigedeutsche Rechtsauffassung. Die Bundesregierung siehtvor, dass dann, wenn der direkte Verursacher eines Scha-dens nicht ermittelt werden kann, jeder Nachbar, derkreuzungsfähige GVOs anbaut, für den Ausgleichsan-spruch haftet. Er soll auch dann haften, wenn alle Regelnder guten landwirtschaftlichen Praxis eingehalten wur-den. Das ist so, als ob dann, wenn ein Unfallverursacherim Verkehr nicht zu ermitteln ist, derjenige haftenwürde, der am nächsten an der Unfallstelle vorbeigefah-ren ist. Das kann es nicht sein.
Deshalb weist ein Vorschlag des Bundesrates, in demüber die Einrichtung eines Haftungsfonds vergleichbarmit dem bewährten Klärschlammfonds nachgedachtwird, in die richtige Richtung.
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, Irmingard Schewe-Gerigk, weiteren Ab-
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Offensichtlich ist es für viele Menschen interessant, im-mer stärker in den höchstpersönlichen Lebensbereichvon anderen einzudringen. Tabuzonen spielen dabei lei-der eine immer geringere Rolle.Die Technik – liebe Kolleginnen und Kollegen, Siewissen das – hat ihren Teil dazu beigetragen. Dazu zäh-len insbesondere versteckt installierte Minikameras, mitdenen heimlich in Dusch- und Umkleidekabinen oder inSolarien Bilder gefertigt werden, oder neuerdings auchmoderne Handys mit integrierter Kamera. Diese werdenblitzschnell in die Umkleidekabine gehalten und so wer-den im wahrsten Sinne des Wortes scharfe Bilder ge-msZFdftbisvdsdgugsdassbkMwluddhbuvantrbdKgSVmsmkwhmkgtaS
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Sie befürchteten, hierdurch – ähnlich wie Voyeure – er-hebliche Probleme bei ihrer Arbeit zu bekommen. Diesvermag ich jedoch allenfalls in Einzelfällen im Bereichder so genannten Yellow Press zu erkennen.Das möchte ich gerne anhand eines Beispiels verdeut-lichen. In einer gemeinsamen Stellungnahme der Me-dienverbände und -institutionen, die uns allen zugegan-gen ist, wird ein hypothetischer Fall gebildet, der – sodie Kritik – die journalistische Tätigkeit unangemessenbeeinträchtigen würde. Da geht es um einen hochrangi-gen Politiker – um wen auch sonst –, der von einem Fo-tografen dabei erwischt wird, wie er mit einer Frau, dienicht die seine ist, in einem Wohnwagen verschwindet.– Toll!
Um es deutlich zu machen: Hierüber darf natürlichnach wie vor berichtet werden. Auch gegen die Auf-nahme vor dem Wohnwagen dürfte noch nichts einzu-wenden sein. In und an dem Wohnwagen hat eine Ka-mera in einer besonderen Situation aber nichts zusuchen.
Hier gilt für Politiker ebenso wie für die Menschen, dieuns heute zuhören, und auch für Journalisten: Was dortgeschieht, geht niemanden etwas an. Das kann man auchnicht mit dem Hinweis auf ein etwaiges öffentliches In-teresse rechtfertigen. Im Übrigen vermag ich hier schonkein öffentliches Interesse zu erkennen.Neben der Pressefreiheit, liebe Kolleginnen und Kol-legen, haben wir auch an das Persönlichkeitsrecht desEinzelnen zu denken. Dies ist nicht zuletzt durch dieEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum so ge-nannten Lauschangriff sogar gestärkt worden. Was denStrafverfolgungsbehörden verwehrt bleibt, kann derPresse schlechterdings nicht erlaubt sein.
Lassen Sie mich abschließend den Kollegen Kauder,van Essen, Ströbele und Montag, die sehr engagiert mitmir an diesem Gesetzentwurf gearbeitet haben, danken.Ich fand es sehr interessant, ich fand es spannend und ichmuss sagen: Es hat Spaß gemacht mit Ihnen.afwuezuAcveEmuChAzGeRwDsPsKsdnieAzdLsudSsdsPf
Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frei-eit der Presse ist nicht grenzenlos. Das ergibt sich ausrt. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die Pressefreiheit istu Recht grundrechtlich geschützt und sie ist ein hohesut. Aber auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht istin hohes Gut und grundgesetzlich geschützt. Diesesecht ist ebenfalls nicht grenzenlos.Der Auftrag des Bundesdatenschutzbeauftragtenar klar: Im Bereich der Privatsphäre gibt es eine Lücke.as nicht öffentlich gesprochene Wort ist besser ge-chützt als Einblicke in die bzw. Abbildungen aus derrivatsphäre. Der Gesetzgeber hatte den Auftrag umzu-etzen. Die Diskussion war – da schließe ich mich demollegen Manzewski an – sehr sachlich, fundiert undchwieriger, als wir alle anfangs dachten.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion warener Meinung, dass die Privatsphäre nicht an der Woh-ungstür endet, sondern dass es auch intime Situationenm öffentlichen Leben gibt, beispielsweise dann, wennin Mensch nach einem Verkehrsunfall oder nach einemttentat mit dem Tod oder um das Leben ringt.Es war schwierig, diese Sachverhalte in einen Geset-estatbestand zu fassen, deswegen wurde der Anwen-ungsbereich im Laufe der Diskussion immer enger.etztlich ist die Wohnung und ein „gegen Einblick be-onders geschützter Raum“ übrig geblieben. Wir habenns mit Rechtsbegriffen schwer getan, wie Sie schon aner Formulierung hören. Der Raum ist im allgemeinenprachgebrauch dreidimensional zu verstehen. In die-em Gesetzentwurf ist er zweidimensional ausgefallen;as, was das Gesetz üblicherweise das „umfriedete Be-itztum“ benennt, fällt auch darunter.Die Presse ist, als die Diskussion über den Schutz derrivatsphäre anlief, Sturm gelaufen: Man sah die Presse-reiheit über Gebühr strapaziert und war der Meinung,
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Siegfried Kauder
man müsse eine so genannte Rechtswidrigkeitsklauselin den Straftatbestand einführen. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätten damit keine allzu gro-ßen Probleme gehabt, aber es gehört nun einmal zu einerDiskussion und zu einem Konsens unter den Fraktionen,dass das eine oder andere auf der Strecke bleibt. Manmuss den Pressevertretern aber auch klar sagen, dasssich das Eis für sie in einem Bereich dünner gestaltet alsbisher: Bisher war es nicht strafbar, in die Privatsphärehineinzuspähen. Das Hineinspähen, das Herstellen vonprivaten Fotos durch die Presse war nicht strafbewehrt,sondern nur das Verbreiten und öffentlich Zurschaustel-len.Das Horten von Fotos, die aus der Intim- und Privat-sphäre und aus einer Wohnung stammen, ist nach demGesetzentwurf nicht mehr erlaubt. Es bleiben die allge-meinen Rechtfertigungsgründe, die aber den bisherigenBereich nur unzulänglich abdecken. Deswegen hätte iches durchaus als vertretbar angesehen, wenn wir wie inunserem Entwurf § 193 StGB, der für Beleidigungsde-likte gilt, auch für den Bereich des Schutzes der Privat-sphäre übernommen hätten. Es ist uns nicht gelungen,aber ich glaube, die Presse kann mit diesem Ergebnisdurchaus leben.Für uns war auch ein anderer Bereich wichtig; dennStoßrichtung dieses Gesetzes ist nicht die Pressefreiheit.Stoßrichtung ist vielmehr der Schutz der Privatsphärevor Ausspähen und Hineinfotografieren. In der prakti-schen Anwendung gibt es immer wieder Fälle, in denenBeziehungen auseinander gehen und auf der einen oderanderen Seite oder auf beiden Seiten intime Fotos zu-rückbleiben, die dann – unverändert oder am Computerbearbeitet – an Stammtischen kursieren. Das wollen wirnicht.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habenuns auch in diesem Zusammenhang einen weiterenSchutzbereich gewünscht. Er wurde in der interfraktio-nellen Diskussion immer mehr eingeschränkt. Jetzt liegteine Gesetzeskonstruktion vor, die in der Rechtspre-chung – ich stimme hierbei nicht ganz mit dem KollegenManzewski überein – ganz erhebliche Probleme aufwer-fen wird.Das in der Beziehung mit Genehmigung gefertigte Fotodarf nicht wissentlich unbefugt gebraucht werden. Nun wis-sen wir Juristen, dass das Element der Wissentlichkeit einVorsatzelement und die Befugnis ein Rechtfertigungs-element ist. Würde in der Rechtsprechung vorgegangen,wie der Kollege Ströbele es meint – die Wissentlichkeitmacht nach seiner Meinung das Rechtfertigungselementzum Tatbestandselement –, könnte sich mancher Straftä-ter auf dem Irrtumsweg aus der Verantwortung heraus-schleichen.Auch das gibt Anlass zu Überlegungen: Der Straftä-ter, der Fotos aus einer intimen Beziehung publiziert, istgegenüber dem Pressevertreter privilegiert. Wir nehmendas zur Kenntnis.Es handelt sich um einen gemeinsamen Entwurf, denwir mittragen. Trotzdem muss man sagen, dass esPunkte gibt, die in der Öffentlichkeit auf UnverständnissdzRidztddkdSogbbdwwrhnwfrdSGIddmNnsgDaapc
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!ch wollte eigentlich am Anfang meiner Rede sagen,ass es gar keinen Grund gibt, sich heute hier im Bun-estag zu streiten, weil wir alle diesem Gesetz zustim-en wollen.
un hat der Kollege Kauder aber doch einen Punkt ge-annt, den ich klarstellen will: Wir unterscheiden in die-em Gesetz nicht zwischen Pressevertretern und sonsti-en Menschen, sondern alle werden gleich behandelt.
as Gesetz gilt also in allen seinen Absätzen für alle,lso in gleichem Maße für Pressevertreter und für allenderen Menschen. Das heißt, Journalisten und Privat-ersonen, die Aufnahmen von anderen Personen ma-hen, sind gleichgestellt.
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Hans-Christian StröbeleWeil wir uns hier im Bundestag eigentlich nicht mehruntereinander streiten müssen – wir haben diskutiert undsind zu diesem Ergebnis gekommen, das nun von allengetragen wird –, will ich nur einige Bemerkungen für dieÖffentlichkeit machen. Es ist nämlich in der Tat so, dassdieses Gesetz – so, wie es jetzt vorgelegt wird – noch bisheute in den Medien, von Medienvertretern, von der dpaund von anderen, kritisiert wird. Man könnte manchmal,wenn man die Stellungnahmen liest, den Eindruck ha-ben, dass wir hier einen konzentrierten Angriff auf diePressefreiheit machen, möglicherweise sogar, um diePolitiker, die Abgeordneten, den Bundeskanzler zuschützen. Dem ist nicht so. In diesem Gesetz wird dieVeröffentlichung, also das, was die Journalisten von denPrivatleuten, die Fotos machen, eigentlich unterscheidet,überhaupt nicht erwähnt. Es geht in diesem Gesetz nichtum die Veröffentlichung; das bleibt wie bisher auch imGesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bil-denden Künste und der Fotografie geregelt.Hier geht es lediglich um eine Lücke in dem Bereich, indem der Privatmann, die Privatfrau und natürlich auch dieJournalisten gerne Aufnahmen machen und – das ist ja keintheoretischer Fall – in der Vergangenheit auch immer wie-der gemacht haben. Wir haben all diese Fälle aus der Praxisdiskutiert. Mit der heutigen Kameratechnik – kleine Fo-toapparate an einem Stock, in einer Streichholzschachteloder ähnlich verborgen – werden Fotoaufnahmen vonganz intimen Situationen gemacht, die vielleicht zu-nächst einmal nur zu Hause aufbewahrt werden. Es be-steht dann aber immer die Möglichkeit, dass Einzelnediese gebrauchen und weitergeben, ohne dass sie unbe-dingt veröffentlicht werden.Wir haben festgestellt – auch der Datenschutzbeauf-tragte hat zu Recht darauf hingewiesen –, dass das ge-sprochene Wort mehr geschützt ist als das Bild des Men-schen oder auch mehrerer Menschen zusammen. Dasheißt: Wenn ich heute durch den Tiergarten gehe und je-mand neben mir nimmt mein Gespräch mit einer anderenPerson mittels einer technischen Einrichtung auf, dannmacht er sich selbst dann strafbar, wenn es sich um einganz banales Gespräch handelt, bei dem nichts Intimesoder Geheimnisvolles besprochen wird. Allein das kannschon strafbar sein, wenn ich einen Strafantrag stellenwürde. Eine Aufnahme aus dem intimsten Bereich –wenn sich Menschen also ganz intim nahe kommen, seies im Tiergarten,
zu Hause oder auch, wie Sie das geschildert haben, in ei-nem Bauwagen wird bisher in keiner Weise strafrecht-lich sanktioniert. Dieses Ungleichgewicht kann schonaufgrund des Grundsatzes der Gleichbehandlung nichtbestehen bleiben.Deshalb haben wir nun diesen Gesetzentwurf vorge-legt. Wir sagen allen Journalisten, die Sorge um ihre Ar-beit haben: Ihr dürft auch weiterhin Abgeordnete, Bun-deskanzler, Talkmaster und Tennisstars fotografieren,sogar in ganz persönlichen Zusammenhängen. Wenn essich um eine Person der Zeitgeschichte oder das eigen-ahdbbevMssceDdßnjeinlvsPsssuGFhozlnafrwtgsAAriF
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichabe für meine Fraktion schon in der 14. Legislaturperi-de, vor etwa drei Jahren, erstmals einen Gesetzentwurfum besseren Schutz der Intimsphäre eingebracht. An-ass für diese Aktivität war für mich nicht nur die Mah-ung des Datenschutzbeauftragten – das ist hier schonngesprochen worden –, sondern die sich damals häu-enden Berichte darüber, dass kleine Kameras in Sola-ien und Umkleideräumen von Betrieben angebrachtorden waren und die jeweiligen Arbeitgeber und Be-reiber die sich umziehenden Frauen fotografiert oderefilmt haben.Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden,chützt besonders die Frauen, die häufig Opfer solcherktivitäten sind, und zwar nicht nur der beschriebenenktivitäten, sondern auch Opfer der Tätigkeit von Papa-azzi, die sich nicht scheuen, auf Bäume zu klettern, umn den intimsten Bereich von insbesondere bekanntenrauen einzudringen, Fotos zu machen und diese zu
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Jörg van Essenverkaufen, schwerpunktmäßig natürlich an Boulevard-blätter, die dafür entsprechend viel Geld zahlen.Es ist schon mehrfach angesprochen worden, dass wirbisher nur das vertraulich gesprochene Wort schützen,aber der Schutz vor heimlich gemachten Fotos nochfehlte. Dass dieser Schutz noch dringender geworden ist,haben die bisherigen Beiträge gezeigt. Dadurch, dass Fo-tohandys immer mehr Verbreitung finden, besteht natür-lich noch mehr die Möglichkeit, solche Fotos anzuferti-gen. Es wird überdies zunehmend leichter, sie dannelektronisch zu verarbeiten. Deshalb ist es ganz drin-gend, dass wir in diesem Zusammenhang strafrechtlicheGrenzen aufzeigen.
Ich bin wie meine Vorredner der Auffassung, dass wirnicht in die Pressefreiheit eingreifen. Ich bin sehr über-rascht, dass selbst heute noch entsprechende Vorwürfepubliziert worden sind. Wir haben den hohen Wert derPressefreiheit in unseren Diskussionen immer berück-sichtigt. Wir haben ausgelotet, ob das Nebeneinanderdes Schutzes des Persönlichkeitsrechtes des Einzelnenvor ungewollten Aufnahmen auf der einen Seite und deshohen Gutes der Pressefreiheit auf der anderen Seiterichtig miteinander abgewogen ist.Uns hat insbesondere – auch das haben die Vorrednerschon angesprochen – die Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichtes sehr geholfen. Das Bundesverfas-sungsgericht – das findet unsere volle Unterstützung –hat deutlich gemacht, dass es einen Kernbereich gibt, indem niemand etwas unbefugt zu suchen hat. Das giltauch für die Presse. Deshalb will ich kritisch sagen – dassehe ich wie der Kollege Manzewski –, dass die Bei-spielsfälle, die uns von den entsprechenden Organisatio-nen der Presse vorgelegt worden sind, nicht überzeugenkönnen. Daran konnten wir sehen, dass es keinen einzi-gen wirklichen Fall gegeben hat, bei dem nicht auch inZukunft die berechtigten Interessen der Presse gewahrtbleiben. Daran wird das Gesetz nichts ändern.Von daher findet der Gesetzentwurf die Zustimmungder FDP-Bundestagsfraktion. Der Kollege Manzewskihat angesprochen, dass wir von sehr verschiedenen Posi-tionen ausgegangen sind. Wir als FDP konnten uns einenweiter gehenden Schutz vorstellen. Deshalb sieht unserGesetzentwurf einen sehr viel größeren Schutzbereichvor, als er in dem gemeinsamen Gesetzentwurf zumAusdruck kommt.Mich hat damals das Argument des Kollegen Montagüberzeugt – ich danke ihm nachdrücklich für seine Bei-träge –, der betont hat, dass dies ein sehr sensibler Be-reich ist: Wenn wir den ersten Schritt in diese Richtungmachen, dann sollten wir uns auf den Kernbereich deszu Schützenden beschränken. Wir schauen uns an, ob dieRegelungen wirken und das erreicht wird, was wir wol-len. Beim Strafrecht muss man vorsichtig sein. Erstwenn sich zeigt, dass danach noch Schutzlücken beste-hen, können wir über eine Erweiterung nachdenken.Aber zunächst einmal fangen wir mit dem Kernbereichan.sMdfgAtonztKtdLcBztdlswBTaacesEdnapnhdid
uch der Kollege Kauder hat ganz hervorragende Bei-räge geleistet.Der Gesetzentwurf ist im Parlament über die Frakti-nsgrenzen hinweg erarbeitet worden. Das haben wiricht häufig. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass wiru einem gemeinsamen Ergebnis und, wie ich finde, gu-en Ergebnis kommen. Ob es elegant ist, Herr Kollegeauder, weiß ich nicht, aber es ist gut. Das ist das Wich-igste.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela Hilbrecht von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!assen Sie mich nun die Schließung der Strafbarkeitslü-ke bei unbefugten Bildaufnahmen aus einem anderenlickwinkel betrachten. Die hier notwendige Abwägungwischen Persönlichkeitsinteresse und öffentlichem In-eresse betrifft, wie meine Vorredner gesagt haben, auchen gesamten Medienbereich. Darüber hinaus ist die po-itische und gesellschaftliche Verständigung über eineolche Balance ein wichtiger Beitrag für unsere Grund-ertekultur. Genau aus diesem Grund haben wir in deneratungen im Ausschuss für Kultur und Medien diesemhema ganz breiten Raum gegeben.Im Bereich der Medien zielt dieser Gesetzentwurfuch darauf, den bisweilen – das haben meine Vorredneruch gesagt, aber ich werde es wiederholen – unerträgli-hen Paparazzijournalismus zu verhindern. Auch das hattwas mit Kultur oder auch mit Unkultur unserer Gesell-chaft zu tun. Hierin sind wir uns einig.
s kann nur im Interesse aller verantwortungsvollen Me-ienberichterstatter sein, dass wir etwas dagegen unter-ehmen. Wir alle wissen, wovon wir sprechen, und wirlle kennen die Bilder, wie in schamloser Weise in denrivaten Lebensbereich eingedrungen wird, um Bildauf-ahmen zu machen. Ich danke Ihnen, dass Sie daraufingewiesen haben, dass es besonders die Frauen sind,ie darunter zu leiden haben. Adressat dieses Gesetzesst also nicht die gesamte Medienbranche, sondern sindie schwarzen Schafe der Medienzunft.
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Gisela HilbrechtWir wissen, dass die Journalisten in der Regel die er-forderliche Gratwanderung zwischen Schutz- und Frei-heitsrechten mit großer Verantwortung wahrnehmen. Dasmöchte ich hier betonen. Aber überall haben die Men-schen auch ein Interesse an Boulevard- und Sensations-journalismus. Trotzdem stellen die meisten in der Be-völkerung bei schockierenden Bildern, die oft genugveröffentlicht werden, immer wieder die Fragen: Ist daseigentlich erlaubt? Könnt ihr nicht etwas dagegen tun?Es ist gut und richtig, dass wir jetzt ein Gesetz auf denWeg bringen, das sich gegen das Spannerunwesen – ichmöchte das beim Namen nennen – und gegen diese ver-antwortungs- und geschmacklose Berichterstattung wen-det.Der Presserat, die Journalistenverbände, öffentlich-rechtliche und private Sendeanstalten und weitere Medi-enverbände haben sich bei uns zu Wort gemeldet. Sie se-hen sich mit der Schaffung des neuen Straftatbestandes inihrer verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübungbehindert und sagen, er hindere sie bei der Aufdeckungvon Missständen. Sie sagen weiter, ihre Arbeit liege imöffentlichen Interesse und deshalb sei in diesem Fall dasEindringen in den höchstpersönlichen Lebensbereich vonStrafe freizustellen. Die Medienvertreter – meine Vorred-ner haben auch darauf hingewiesen – fordern die Auf-nahme einer Rechtfertigungsklausel ins Gesetz. Danachsollen Bildaufnahmen im höchstpersönlichen Lebensbe-reich weiterhin straffrei bleiben, wenn sie der Wahrneh-mung berechtigter öffentlicher Interessen dienen. So wardie Formulierung.Wir haben auch das im Ausschuss genau unter dieLupe genommen. Wir haben in einem eigens angesetztenExpertengespräch Medienvertreter angehört. Die Medi-envertreter haben dort ihre Interessen verteidigt und wirhaben viele Rücksprachen gehalten. Trotz alledem habenwir uns dazu entschieden, diese Rechtfertigungsklauselnicht in das Gesetz aufzunehmen.Ich möchte anmerken, dass ich als Abgeordnete auseinem der neuen Länder eine besondere Sensibilität mit-bringe, wenn es um Persönlichkeitsrechte wie auch umMeinungs- und Pressefreiheit geht. Wir wissen, wie es inder DDR darum bestellt war. Wir sind unter anderem fürdie Pressefreiheit, die ein wichtiger Eckpfeiler unsererdemokratischen Gesellschaft ist, auf die Straße gegan-gen.Trotz dieses Hintergrunds bin ich nach langem Abwä-gen zu dem Ergebnis gekommen, dass die von den Me-dien vorgeschlagene Klausel nicht in das Gesetz gehört.Die Kollegen von der Union und der FDP im Kulturaus-schuss haben es anders gesehen. Trotzdem haben wir– darüber freue ich mich – dem Gesetzentwurf im Aus-schuss gemeinsam zugestimmt.Ich denke, mit dem Rechtfertigungsgrund „zur Wahr-nehmung berechtigter öffentlicher Interessen“ würde derneu geschaffene Straftatbestand so stark eingeschränkt,dass er sozusagen nach Belieben wieder ausgehebeltwerden könnte. Wir hätten dann doch wieder einenGummiparagraphen. Die Formulierung „berechtigte öf-fentliche Interessen“ lässt, wie wir alle wissen, sehr vielRaum für Interpretationen.kKfRSwbeuwwaCgzbshdmitebwwmfkgtgnbtdueAwd
Das Wort hat die Kollegin Daniela Raab von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Der umfassende Schutz der Intimsphäre jedes Ein-elnen lag und liegt uns allen sehr am Herzen und ichin froh, dass wir doch in den meisten Punkten überein-timmen und eine gemeinsame Formulierung gefundenaben. Das liegt hauptsächlich daran, dass der Schutzer Privatsphäre unbestreitbar ein Thema ist, bei deman eigentlich nur einer Meinung sein kann.Nach durchaus nicht immer einfachen und auch nichtmmer kurzen Verhandlungen mit Ihnen, meine verehr-en Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, haben Sieingelenkt und uns – das hat uns sehr gefreut – auch einisschen beigegeben; wie Sie sich vorstellen können,ürden wir uns das öfter wünschen.In unserer hoch technisierten und immer globalererdenden Medienwelt gewinnen Bildaufnahmen im-er mehr an Bedeutung. Durch Bildaufnahmen kann in-ormiert, aber auch manipuliert werden. Die Vertraulich-eit des Wortes in jeglicher Form ist ausreichendeschützt. Was den Schutz des heute schon oft erwähn-en so genannten höchstpersönlichen Lebensbereichesegen unbefugte Bildaufnahmen angeht, gab es jedochach wie vor Lücken. Diese Lücken werden nun beho-en. Das war dringend notwendig.Wir alle wissen es nur zu gut: Digitalkameras und Fo-ohandys sind an der Tagesordnung. Wie schnell werdenamit Aufnahmen gemacht, die oft auf unwürdigste Artnd Weise in die Privatsphäre der betroffenen Personingreifen! Das ist besonders dann der Fall, wenn dieseufnahmen in Situationen gemacht werden, in denenir uns eigentlich unbeobachtet fühlen dürfen.Allein die Herstellung derartiger Fotos greift tief inie Würde des Betroffenen ein. Diese Aufnahmen dann
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Daniela Raabauch noch weiterzugeben – egal in welcher Form – istungleich verletzender.
Deshalb waren wir uns auch einig: Nach dem nun ein-gefügten § 201 a StGB ist es strafbar, eine Person abzu-lichten, die sich in ihrem ganz privaten Rückzugsbe-reich, also dem so genannten höchst persönlichenLebensbereich, aufhält. Dazu zählen klassischerweise– auch das ist erwähnt worden – die Wohnung, das Ho-telzimmer und grundsätzlich alle Räumlichkeiten, dievor unbefugtem Einblick schützen sollen. Hinzu kommt,dass dies ohne die Zustimmung der Person geschieht unddie Bilder an Dritte – zur Veröffentlichung oderÄhnliches – weitergegeben werden. Die Aufnahme desBegriffes des „höchst persönlichen Lebensbereichs“sorgt aber auch dafür – auch das ist schon gesagt wor-den –, den Straftatbestand nicht unangemessen weit aus-zudehnen. Auch das war uns allen wichtig.Zum Thema Pressefreiheit ist von meiner Vorredne-rin schon sehr viel gesagt worden. Ich sehe es durchausähnlich. Es gibt keine Existenzgefährdung für Blätterwie „Gala“, „Bunte“ und „die aktuelle“, um nur einigeZeitschriften zu nennen.
– Richtig. – Es trifft hauptsächlich den Paparazzo, deraus zwei Kilometern Entfernung mit Superzoom aus derHecke ins Wohnzimmer fotografiert, oder den Spannervon nebenan, der sich einfach an Badezimmerfotos derNachbarin ergötzen möchte. Denken Sie aber auch andas ganz aktuelle Beispiel der Fotos von der verstorbe-nen Prinzessin Diana, die jetzt wohl im Umlauf sind unddie eine sterbende Prinzessin zeigen sollen, und daran,für welchen Aufruhr das in der Öffentlichkeit gesorgthat! Das sollte uns zeigen, dass wir auf dem richtigenWeg sind.Ich möchte auch noch ein konkretes Beispiel aus demtäglichen Leben nennen. Man stelle sich die Konstella-tion vor, dass eine Beziehung zu Ende geht. In glückli-chen Zeiten sind Bildaufnahmen entstanden, die sicheindeutig auf die Intimsphäre des Beteiligten bzw. derBeteiligten beziehen. Dabei muss es nicht immer um Se-xualität oder Nacktheit gehen. Es kann auch Krankheitund Tod oder der ganz normale Alltag, zum Beispiel imSchlafanzug morgens vor dem Spiegel, sein. Nach einerTrennung sieht sich nun der Expartner veranlasst, dieseaus Rache – wem auch immer – zur Verwendung zu ge-ben oder in das Internet zu stellen und auch noch seineExfreundin darauf hinzuweisen. Das, was früher nochein schlechter Spaß war, ist nun strafbar. So soll es auchsein. Auch hierüber sind wir uns einig.
An dem Gesetzentwurf ist eine kleine Sache noch zubemängeln. Herr Ströbele, Sie wissen, dass ich Ihnen äu-ßerst ungerne widerspreche. Sehen Sie es mir nach!IddhwdewsnTpAdfKlumtiVAmaRkDaZmJdSdoeßdfg
ch sehe wie der Kollege Kauder im Zusammenhang mitem neuen § 201 a Abs. 3 StGB ein Beweisproblem iner Praxis, das der Richter lösen muss. Wir begeben unsier schon in die Irrtumslehre. Herr Ströbele, hier sindir juristisch einfach anderer Meinung. Ich glaube aber,ass wir das so stehen lassen können. Uns ist der Gesetz-ntwurf jedenfalls so wichtig, dass wir die Bedenken, dieir in diesem Bereich haben, hintangestellt haben. Dazutehen wir nach wie vor.Erlauben Sie mir – meine Redezeit gibt das geradeoch her – eine ganz kurze persönliche Anmerkung zumhema Graffiti. Auch hier wünsche ich mir eine solchragmatische und zielgerichtete Lösung.In diesem Sinne: vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaela Noll.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch ich begrüße wie alle meine Vorredner den gefun-enen Kompromiss. Der Schutz des Einzelnen vor unbe-ugten Bildaufnahmen wird verbessert; denn wenn schonindern vor Gericht Schmerzensgeld wegen veröffent-ichter Paparazzifotos zugesprochen wird, dann ist dienbefugte Bildaufnahme eben kein Kavaliersdeliktehr. Die verschiedenen Gerichtsurteile haben dies bestä-gt. Wir alle sind uns einig, dass hier eine strafrechtlicheerfolgung notwendig ist. Das ist Aufgabe des Staates.ber es geht nicht nur um die besonders medienwirksa-en Fälle prominenter Opfer. Ich denke, wir sollten hieruch für diejenigen Opfer Partei ergreifen, die nicht imampenlicht stehen bzw. nicht stehen wollen. wie – einleiner Scherz am Rande – beim Abitur.
as war für uns alle nicht länger hinnehmbar. Es warlso allerhöchste Zeit, zu handeln.Die Bürger wollen zeitnahe Problemlösungen. In diesemusammenhang muss ich doch noch Kritik anbringen. Esacht keinen Sinn, dass Gesetzentwürfe erst einmal dreiahre in der Versenkung verschwinden, um dann wieder aufie Agenda gesetzt zu werden. Nur zur Erinnerung, fallsie es vergessen haben: Diese Strafbarkeitslücke wollteie Bundesregierung schon in der letzten Legislaturperi-de schließen; das haben Sie, Herr Kollege van Essenben bereits angesprochen. Wir hätten sie bereits schlie-en können, wenn Sie von der Regierungskoalition vorrei Jahren mitgemacht hätten.Ich möchte meine Kritik nicht fortsetzen; denn ich binroh, dass wir es geschafft haben. Es ist uns gemeinsamelungen, einen Konsens zu finden. Dafür möchte ich
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Michaela Nollmich auch bei meinen Kollegen von den Koalitionsfrak-tionen bedanken; denn den kriminalpolitischen Hand-lungsbedarf, den Sie heute bejahen, haben Sie noch imFebruar 2003 ganz anders bewertet. Frau KolleginSchewe-Gerigk, Sie haben damals gesagt, es gebe be-reits ausreichende rechtliche Möglichkeiten, und habendann auf die Unterlassungsklage, und Schadenersatzan-sprüche sowie das Kunsturhebergesetz verwiesen.Ein Jahr später – das bewerte ich sehr positiv – habenwir es trotzdem noch geschafft, eine Einigung zu erzie-len.
In unserer Zeit stehen Daten und Fotos speziell durchInternet und Fotohandys innerhalb von Sekunden welt-weit zur Verfügung. Viele von Ihnen kennen die Geräte,mit denen man solche Bilder machen kann. Sie sind zumTeil so groß wie eine Scheckkarte. Was heißt das Ganzefür den Bürger? Es bleibt oft im Verborgenen, wer wannwo welche Aufnahmen von Personen gemacht hat. DieseGefahren hat 1999 auch der Datenschutzbeauftragte ge-sehen.Ich glaube, dass einige der Gäste auf der Besuchertri-büne bereits am Brandenburger Tor waren und dort unterUmständen schon Fotos geschossen haben. Vielleichtfinden sich auf diesen Bildern andere Touristen wieder.Aber damit müssen Touristen rechnen; schließlich habensie sich auf einen öffentlichen Platz begeben. Etwas an-deres muss allerdings gelten, wenn Bildaufnahmen imhöchstpersönlichen Lebensbereich gemacht werden,Stichwort Hotelzimmer, Stichwort Damentoilette. Ichdenke an Aufnahmen, von denen Sie nichts wissen undvon deren Veröffentlichung, womöglich im Internet, Siekeine Kenntnis haben. Es ist für Sie alle wichtig, davorausreichend geschützt zu werden.
Das haben wir mit diesem Gesetzentwurf erreicht.Der Fokus liegt jetzt nicht mehr auf dem, was hinter-her, wenn es schon zu spät ist, passiert; vielmehr geht esdarum, die Hemmschwelle im Vorfeld zu erhöhen, da-mit solche Bilder gar nicht mehr hergestellt werden. Wirwollen erreichen, dass diese Fotos einfach vom Marktverschwinden. Eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jah-ren ist eine deutliche Warnung.Sehr geehrter Kollege Manzewski, jetzt will ich Siekurz mit ins Boot holen. Sie haben in der letzten Debattezu diesem Thema im Jahre 2003 gesagt, es gehe darum,erhebliche Probleme in der Praxis zu vermeiden. „Wirsind aufgefordert, nur Gesetze zu schaffen, die der Justizhelfen und die Justiz nicht belasten.“ Vielleicht hättenSie Ihren Kollegen Ströbele einmal zur Seite nehmenmüssen, dass das Wörtchen „wissentlich“ nicht in denGesetzestext kommt; denn in der Rechtsanwendung wirddas bestimmt Probleme schaffen. Aber auch die werdenwir lösen.Ich möchte noch kurz ein Wort zur Pressefreiheit sa-gen. Die Pressefreiheit wurde mit diesem Gesetzentwurfnicht infrage gestellt. In diesem Punkt kann ich aus-nFusonszdretiDSaewdssiwussimRdzsfeeBdftSWsi1)
Ich schließe die Aussprache.1)Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-onen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/ie Grünen und der FDP eingebrachten Entwurf einestrafrechtsänderungsgesetzes, § 201 a StGB. Der Rechts-usschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 15/2995, den Gesetzent-urf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitteiejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas-ung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wertimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfst damit in zweiter Beratung einstimmig angenommenorden.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-etzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wertimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfst damit auch in dritter Beratung einstimmig angenom-en worden.Abstimmung über die Beschlussempfehlung desechtsausschusses auf Drucksache 15/2995 zu dem voner Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Gesetzentwurfum verbesserten Schutz der Privatsphäre. Der Rechtsaus-chuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussemp-ehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/533 fürrledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-mpfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dieeschlussempfehlung ist einstimmig angenommen wor-en.Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-iehlt der Rechtsausschuss, den Gesetzentwurf der Frak-ion der FDP auf Drucksache 15/361 zum verbessertenchutz der Intimsphäre ebenfalls für erledigt zu erklären.er stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-timmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungst ebenfalls einstimmig angenommen worden.Der Redebeitrag der Abgeordneten Petra Pau wird zuProtokoll genommen.
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerSchließlich empfiehlt der Rechtsausschuss unter Buch-stabe d seiner Beschlussempfehlung, den vom Bundesrateingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgeset-zes – Schutz der Intimsphäre – ebenfalls für erledigt zu er-klären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?– Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nichtder Fall. Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-nommen worden.Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord-nung um die Beratung zweier Beschlussempfehlungendes Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung zu Anträgen auf Genehmigung zurDurchführung der Strafverfolgung zu erweitern und jetztsofort als Zusatzpunkte 7 und 8 aufzurufen. Sind Sie da-mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so be-schlossen.Somit rufe ich die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-nität und Geschäftsordnung
Immunität von Mitgliedern der Bundesver-sammlunghier: Antrag auf Genehmigung zur Durchfüh-rung der Strafverfolgung– Drucksache 15/3007 –Berichterstattung:Abgeordnete Christine Lambrecht8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu-nität und Geschäftsordnung
Immunität von Mitgliedern der Bundesver-sammlunghier: Antrag auf Genehmigung zur Durchfüh-rung der Strafverfolgung– Drucksache 15/3008 –Berichterstattung:Abgeordneter Eckart von KlaedenWir kommen sofort zur Abstimmung.Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 15/3007, die Genehmigung zurDurchführung der Strafverfolgung zu erteilen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-lung ist einstimmig angenommen worden.In seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3008empfiehlt der Ausschuss ebenfalls, die Genehmigung zurDurchführung der Strafverfolgung zu erteilen. Werstimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall.Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommenworden.AFndgagknudnasAdcigwzswfceSHrsofldsn
Burgbacher, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDPSperrzeiten für Außengastronomie verbrau-cherfreundlicher gestalten– Drucksachen 15/674, 15/1287 –Berichterstattung:Abgeordneter Klaus BrähmigNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieDP fünf Minuten erhalten soll. – Widerspruch höre ichicht. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächster Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-en! Ich hoffe, dass wir an den vorigen Debattenpunktnknüpfen können und diese Problematik hier einmalenauso sachlich und in Ruhe miteinander diskutierenönnen.Was ist der derzeitige Rechtsstand? Es gibt eine Tech-ische Anleitung Lärm. Sie setzt Lärmgrenzwerte festnd sie setzt auch fest, wann die Nachtzeit beginnt. Vonieser Technischen Anleitung Lärm ist die Außengastro-omie ausdrücklich ausgenommen. Die Rechtspraxis istllerdings eine ganz andere. In der Rechtspraxis berufenich Gerichte und auch Gemeinden auf diese Technischenleitung Lärm. Das hat zur Folge, dass in weiten Teilener Republik Außengastronomie – Biergärten, Straßen-afés, Weinterrassen – um 22 Uhr schließen müssen. Dasst der Ausgangspunkt.Da wir das ändern wollen, fordern wir die Bundesre-ierung in unserem Antrag auf, in zwei Punkten tätig zuerden. Wir wollen erstens, dass während der Sommer-eit der Beginn der Nachtzeit in diesem immissions-chutzrechtlichen Sinne auf 23 Uhr oder 24 Uhr – wirären mit einer Festlegung auf 23 Uhr schon zufrieden –estgelegt wird. Wir wollen zweitens, dass für menschli-hen Lärm andere Grenzwerte festgesetzt werden alstwa für Maschinenlärm, dass also das Lachen, Reden,ingen anders behandelt wird als Maschinenlärm, dasämmern, Bohren oder Sägen.
Wir wollen ausdrücklich nicht, dass der Bund etwasegelt. Natürlich wollen wir nicht, dass in Berlin ent-chieden wird, wann in Düsseldorf die Altstadtkneipeder das Weinrestaurant am Rhein oder was auch immerür den Außenbetrieb schließen muss, sondern wir wol-en vom Bund aus den Spielraum erweitern, damit Län-er, Städte und Gemeinden das so festlegen können, wieie es für richtig halten. Das verstehen wir unter bürger-aher Politik.
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Ernst Burgbacher
Es gibt einige Gründe dafür. So ist ein völlig verän-dertes Konsumentenverhalten zu verzeichnen. Auchdie Deutschen gehen später aus und bleiben länger sit-zen. Wir haben das Ziel, ein florierendes Stadtwesen zuschaffen. Dazu gehört gerade die Außengastronomie.Sobald man außen zumacht, sind die Innenstädte tot. Wirhaben in Deutschland eine florierende Biergartenkultur.Der Tourismus in Deutschland lebt förmlich von dieserKultur. Sie wollen wir fördern und damit insbesondereauch den Tourismusstandort Deutschland.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wol-len, dass mehr Menschen aus anderen Ländern – Franzo-sen, Italiener, Engländer – zu uns kommen, müssen wiretwas verändern. Wenn sie schön gemütlich im Biergar-ten sitzen, können sie es nämlich nicht verstehen, dassum 22 Uhr alles hochgeklappt wird und sie gehen müs-sen.Ein weiteres wirtschaftliches Argument – ich bitteSie, das nicht zu unterschätzen –: Im letzten Sommer,diesem Jahrhundertsommer, gab es das große Problem,dass die Leute, als die vollen Biergärten um 22 Uhrschließen mussten, nicht in die Innenräume, sondernnach Hause gegangen sind. Unterm Strich waren dasUmsatzausfälle. Vor diesem Argument sollte man dieAugen nicht verschließen, sondern es zur Kenntnis neh-men und entsprechend handeln.
Nun möchte ich gerne auf ein paar Gegenargumenteeingehen. Mir bleibt leider nur wenig Zeit, da ich ledig-lich fünf Minuten Redezeit habe. Ich weiß ja, welcheGegenargumente kommen, da Sie, liebe Kollegin Irber,nach mir reden werden. Somit will ich nur auf zwei ein-gehen:Erstens. Es ist totaler Unsinn, wenn davon geredetwird, durch die von uns vorgeschlagene Regelung würdemehr Bürokratie aufgebaut.
Wir wollen keine weiteren Lärmschutzvorschriften er-lassen, sondern wir wollen die bisherigen Lärmschutz-werte verändern. Das hat überhaupt nichts mit zusätzli-cher Bürokratie zu tun. Im Gegenteil: Dadurch, dass wirden vom Bund vorgegebenen Rahmen ausweiten, verrin-gern wir die Bürokratie, weil jetzt die Länder und Ge-meinden so handeln können, wie sie es gerne wollen.Unser Vorschlag führt also zu Bürokratieabbau und nichtzu mehr Bürokratie.
Zweitens. Sie werfen uns immer vor, wir wollten allesvon Berlin aus regulieren. Auch das ist völliger Unsinn.
Wir wollen den Rahmen ausweiten, schreiben aber nie-mandem etwas vor; im Gegenteil. Wenn Sie doch nurelWdsnhdgkwhDihDgvdwSqlissdhgbgswIvgA
ir wollen nur den Rahmen setzen. Entscheiden sollenie Städte und die Gemeinden vor Ort. Wir in Berlin mi-chen uns in diese Entscheidungen damit überhaupticht ein.Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes sagen: Sieaben jetzt die Einführung einer Ausbildungsabgabe inie Diskussion gebracht. Sie treffen damit die Brancheanz erheblich. Mit der Annahme unseres Vorschlagesönnten Sie etwas beschließen, was keinen Cent kostet,as aber der Branche und den Menschen in Deutschlandilft.
eshalb bitte ich Sie: Springen Sie endlich über Ihrendeologischen Schatten und stimmen Sie dem Antrageute zu.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Brunhilde Irber.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie FDP besitzt ein gutes Timing: Das Frühlingswetter,erade dieser Tage hier in Berlin, animiert zum Besuchon Biergärten und Straßencafés. In den vor uns liegen-en Monaten mit lauen Frühlings- und Sommerabendenird es wieder viele Menschen in die Biergärten undtraßencafés ziehen. Damit ergibt sich eine Einnahme-uelle für die Gastronomie. Das begrüßen wir ausdrück-ich.
Ich will auch gar nicht verhehlen, dass wir, wie schonn den vorhergehenden Beratungen ausführlich darge-tellt, um jedes Bundesland und um jede Kommune frohind, die die vorhandenen Möglichkeiten zur Verkürzunger Sperrzeiten in der Außengastronomie nutzen. Bisierher sind wir uns einig, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der Opposition.Mit dem Thema Sperrzeiten in der Außengastronomieeschäftigen wir uns ja beinahe jedes Jahr wieder zu Be-inn der sommerlichen Zeit. Die Kollegen haben heutechon gesagt, dass auch ihnen bewusst ist, dass alle Jahreieder der Antrag der FDP zu diesem Thema kommt.
ch hätte es mir heute einfach machen und meine Redenom 29. Juni 2001 oder vom 8. Mai 2003 erneut vortra-en können, denn neue Argumente habe ich in Ihremntrag nicht gefunden. Auch in den Ausschussberatungen
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Brunhilde Irbergab es keine neuen Argumente. Deswegen glaube ich,dass es eigentlich überflüssig ist, diesen Antrag zu bera-ten. Aber wir müssen es tun, weil er gestellt worden ist.Sie fordern die Bundesregierung jetzt nicht mehr zurÄnderung des § 18 des Gaststättengesetzes auf. Denn diemeisten Bundesländer haben mittlerweile nur noch dieBesenstunde zwischen 5 und 6 Uhr. Sogar Bayern hatsich jetzt dazu entschlossen. Das begrüße ich ausdrück-lich.Mit diesem Antrag zielen Sie ausschließlich auf die De-finition der Nachtzeit im immissionsschutzrechtlichenSinne ab. Die Nachtzeit soll gemäß Ihrem Antrag in denSommermonaten erst um 23 Uhr oder idealerweise garerst um 24 Uhr beginnen. Ich stimme Ihnen wie voreinem und auch vor drei Jahren zu: Insbesondere bei jün-geren Leuten haben sich das Ausgehverhalten und dieLebensgewohnheiten geändert.
Viele werden gerade in der Sommerzeit zu regelrechtenNachteulen. Auch ich gehöre im Übrigen dazu.Aber des einen Freud ist des anderen Leid. Sie dürfendie Nachbarschaft und die Anwohner nicht vergessen.Das ist das, was uns bewegt. Die Anwohner haben einRecht auf eine ungestörte Nachtruhe. Wir alle setzen unsdafür ein, mögliche nächtliche Ruhestörungen zu mini-mieren. Damit beugen wir auch gesundheitlichen Beein-trächtigungen vor. Das ist Aufgabe des Gesetzgebers.Man darf nicht nur die Einkünfte der Gastronomie se-hen, sondern muss auch das berechtigte Interesse derAnwohner auf ungestörte Nachtruhe ins Auge fassen.
– Das geht eben nicht, Herr Burgbacher; ich kommenoch darauf.Ihre Forderung nach einer Technischen Anleitung„Menschlicher Kommunikationslärm“ missachtet diesesRecht auf Nachtruhe. Sie würden damit einen bürokrati-schen Wust aufbauen.
– Natürlich!
Wenn wir diesen Antrag heute hier beschließen, würdees eine Technische Anleitung „Menschlicher Kommuni-kationslärm“ geben. Dann müssten Grenzwerte festge-setzt werden, die eingehalten werden müssten. Der Staatund seine Verwaltungsorgane hätten dann die Pflichtender Exekutive. Die Einhaltung müsste bei Beschwerdenüberprüft werden.Nehmen wir einmal den folgenden Fall an: Anwohner Xfühlt sich in seiner nächtlichen Ruhe gestört. Er ruft diePolizei. Die Polizei muss anrücken und den Lärmpegelmessen. Daran würde sich ein Verfahren wegen Störungder Nachtruhe anschließen. Ich weiß nicht, wie der Voll-zbIffwAfJc„pimgrVc5udnVmAWsdhlTAghtswbRfDdMs
ch glaube, das wäre ein Arbeitsbeschaffungsprogrammür Lärmmessungsingenieure und würde eine Mehrarbeitür die Polizeien der Länder bedeuten.Ich glaube nicht, dass wir einem solchen Gesetzent-urf zustimmen sollten. Einen verbraucherfreundlichennsatz kann ich dabei überhaupt nicht entdecken. Sieordern in Ihrer Kleinen Anfrage vom 19. März diesesahres den Abbau von Bürokratie in der Tourismusbran-he. In dem heute debattierten Antrag fordern Sie,einen unbürokratischen, verbraucherfreundlichen undraxistauglichen Vorschlag zur Änderung des Bundes-missionsschutzrechts“ für die Sommerzeit vorzule-en. Jetzt frage ich mich: Was ist an Ihrem Antrag unbü-okratisch, praxistauglich oder verbraucherfreundlich?
erbraucher sind nicht nur diejenigen, die im Straßen-afé sitzen, sondern auch diejenigen, die am Morgen um oder 6 Uhr aufstehen müssen, um zur Arbeit zu gehen,nd nicht schlafen können, weil sie durch den Lärm inen Cafés gestört werden.Sie sehen lediglich die Umsatzzahlen in der Gastro-omie und meinen, allen Städten müsste am besten eineerschiebung des Sperrzeitbeginns bis 24 Uhr geneh-igt werden. Dabei missachten Sie aber die Rechte dernwohner. Ich glaube nicht, dass das zielführend ist.ir haben als Gesetzgeber die Rechte aller Bürger zuchützen; das ist unsere Aufgabe.Wenn Leute in fröhlicher Runde beieinander sitzen,ann können sie auch um 22 Uhr in den Innenraum ge-en. Die Kommunen können die Zeiten schon heute ver-ängern. In der „Passauer Neuen Presse“ vom heutigenage stand, dass die Stadt Passau die Sperrzeiten in derußengastronomie auf 23 Uhr festgesetzt hat. Verlän-erte Öffnungszeiten sind also schon jetzt möglich. Wes-alb sollen wir dann bitte schön eine Technische Anlei-ung „Menschlicher Kommunikationslärm“ schaffen?Ich denke, wir werden unsere bisherige Haltung, dieich bewährt hat, nicht ändern. Es bedarf keiner bundes-eit einheitlichen Regelung. Die Kompetenz lassen wirei den Ländern. Damit behalten die Kommunen dasecht, die Sperrzeiten für ihre Außengastronomie selbstestzulegen.
ort kennt man nämlich am besten die Interessen undie Bedürfnisse der Bevölkerung und aller Beteiligten.an weiß auch, wo eine Gastronomie im Außenbereichtörend ist und wo sie nicht störend ist.
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Brunhilde IrberIch habe nichts dagegen, wenn eine abgelegene Wald-wirtschaft, in deren Umgebung niemand wohnt, längergeöffnet hat.
Ich habe aber etwas dagegen, wenn diese Gastwirtschaftin einem Wohngebiet, neben einem Krankenhaus odereinem Altenheim liegt. Wir würden mit einer Techni-schen Anleitung „Menschlicher Kommunikationslärm“längeren Öffnungszeiten derart gelegener Gastwirtschaf-ten Tür und Tor öffnen.Ich glaube daher, dass Ihr Antrag obsolet ist. Wirbrauchen ihn nicht und wir werden ihn deshalb ableh-nen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wilhelm Busch hat einmal trefflich bemerkt:„Das Trinkgeschirr, sobald es leer, macht keine rechteFreude mehr.“
Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, werdenauch in diesem Sommer die Biergläser ab 22 Uhr leerbleiben. Wenn es gerade gemütlich wird, findet die Bier-gartenkultur in Deutschland per Anordnung ihr abruptesEnde.Nicht nur bei den wirtschaftlichen Parametern wirdDeutschland unter der Regierung Gerhard Schröder vomrestlichen Europa abgehängt; auch bei der abendlichenLebensqualität ziehen unsere Nachbarn gnadenlos anuns vorbei. Die Toskana-Fraktion von Bündnis 90/DieGrünen und SPD weiß die Vorzüge flexibler Öffnungs-zeiten in der Gastronomie im südlichen Europa Jahr fürJahr zu schätzen.
Ich möchte hinzufügen: Auch ich habe dieses Flair inLjubljana, Budapest und Prag bei Arbeitsgruppenreisenin angenehmer Erinnerung behalten.Unsere Bürger und ausländischen Gäste müssen ineinem Hochsommer wie dem des letzten Jahres die An-nehmlichkeiten von geschlossenen Räumen bei 30 GradCelsius genießen. Da ist es kein Wunder, dass unsereheimische Gastronomie unter Konsumverzicht leidet.Die Wirtschaft liegt am Boden und die letzten konsum-bereiten Kunden werden indirekt nach Hause geschickt.Sie kaufen sich dann das Bier in der Kaufhalle und sit-zen mit Freunden im Grünen bzw. auf dem Balkon.Schon vor zwei Jahren haben wir dieses Thema imDeutschen Bundestag debattiert. Geändert hat sich in derZUsSnBhAdsWesbddbvgulLdtzüGBetmWzssRBEetrs–Knera
Ich denke schon, dass das alles zusammengehört. –urz gesagt, Bundeskanzler Schröder setzt sich für ei-en preiswerten Urlaub in Frankreich ein und sorgt fürinen gleich bleibend teuren Urlaub im eigenen Land.
Dabei hat ein wissenschaftliches Gutachten in Frank-eich ergeben, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatzuf Gastronomiedienstleistungen circa 40 000 neue
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Klaus BrähmigArbeitsplätze schaffen kann. Wir gratulieren der Regie-rung zu dieser wirtschaftspolitischen Meisterleistung.Wo bleibt endlich Ihr Einsatz für eine Harmonisierungder Umsatzsteuer im europäischen Gastgewerbe?Lassen Sie mich zu dem heute zu debattierenden An-trag zurückkommen.
Dessen Ablehnung begründet Rot-Grün mit dem Ruhe-bedürfnis der Anwohner von Außengastronomie. La-chen und Reden fallen nach Ihrer Auffassung unter denImmissionsschutz. Dies ist eine sehr seltsame Interpreta-tion von menschlicher Kommunikation. Aber, liebe Kol-leginnen der Regierungskoalition, machen Sie sich keineSorgen um das Ruhebedürfnis der Anwohner. Ange-sichts Ihrer bewährten Regierungspolitik wird es auchim Hochsommer für die meisten Bürger kaum Anlass zuJux und Dollerei geben.
Wer etwas verhindern will, sucht Gründe. Wer etwasbewegen will, sucht Wege. Was Rot-Grün heute anbietet,ist die Aneinanderreihung von Gründen. Wege in die Zu-kunft kann man von dieser Regierung nicht mehr erwar-ten.Danke.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Undine Kurth.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste auf den Rängen! Mit einigem Unwillen
müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die FDP alljähr-
lich und regelmäßig den Bundestag mit ein und demsel-
ben Antrag beschäftigt. Auch wenn es sich um das sehr
sympathische Thema Biergarten dreht und wir jetzt viel-
leicht besser in einem solchen sitzen sollten, ist das nicht
besonders erfreulich.
Herr Brähmig, wenn Sie den Niedergang der gesam-
ten Wirtschaft der Bundesrepublik an den Öffnungszei-
ten von Biergärten festmachen wollen, ist das nicht ganz
angemessen.
Das stete Wiederholen eines Themas kann natürlich
sinnvoll sein,
wenn dies im Sinne von Max Weber das „Bohren dicker
Bretter“ bedeuten würde, wenn man neue Argumente
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So viel zur Einleitung meines Beitrags; denn jetzt
leibt mir nur übrig, auf die vorgetragenen Argumente
nsere bereits bekannten Antworten zu geben und damit
lar zu machen, warum wir nicht zustimmen können.
Natürlich wissen auch wir, dass sich die Lebensge-
ohnheiten verändert haben. Wir finden das sehr gut;
uch wir gehen gerne abends aus. Auch wir wissen, dass
s für touristische Destinationen wichtig ist, dass sich
ie Gäste dort wohl fühlen. Auch wir wissen es zu schät-
en, dass es Gastwirte gibt, die über wunderbare Bier-
ärten verfügen, in denen sie Gäste bewirten können.
Aber wir wissen auch, dass es Anwohner gibt, die
bends Ruhe brauchen. Wir denken, man muss beides
egeneinander abwägen und beides in Einklang bringen;
enn nicht jeder in der Bundesrepublik, der für den Wirt-
chaftsaufschwung sorgen möchte, geht direkt vom Büro
n den Biergarten und bleibt dort die halbe Nacht. Es gibt
uch Menschen, die abends einfach Ruhe brauchen.
Deshalb sagen wir: Wir brauchen und wollen verbrau-
herfreundliche und anwohnerfreundliche Sperrzeiten.
ir wollen optimale Lösungen für alle Beteiligten. Re-
elungen nach dem Motto „Für die paar Tage geht das
chon“ greifen zu kurz, weil diejenigen, die in der Nähe
olcher Gastwirtschaften wohnen, diese Zeit als durch-
us lang empfinden können. Der letzte Sommer war lang
nd schön, wie wir alle wissen.
Deswegen setzen wir auf ein bewährtes Konfliktma-
agement und sagen: Lasst es die Leute vor Ort entschei-
en. Sie kennen die Situation am besten. Sie wissen am
esten, wie man es machen muss. Dafür braucht man
eine neuen Verordnungen.
Ihr Vorschlag, Immissionsgrenzwerte für Kommu-
ikationslärm festzusetzen, klingt zunächst charmant.
ber es hat sich nichts daran geändert, dass sie nicht so
infach zu bestimmen sind. Frau Irber hat beschrieben,
uf welche Schwierigkeiten man dabei stoßen kann.
Lassen Sie die Menschen also so lange trinken, wie
ie mögen. Aber lassen Sie vor Ort bestimmen, ob das
raußen oder drinnen geschehen kann.
s ist unsinnig, von hier aus festzulegen, wie lange wo
eöffnet werden darf.
Deshalb glauben wir, dass es nicht sinnvoll ist, dem
ntrag zuzustimmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegenurgbacher?
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Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Ich bin eigentlich sehr offen für Zwischenfragen.Aber da wir das alles ausreichend oft behandelt haben,glaube ich nicht, dass wir darauf noch einmal eingehenmüssen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Klimke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen von Rot-Grün! Lassen Sie uns einmal zweiJahre in die Zukunft blicken. Wir schreiben das Jahr2006. Die Fußballweltmeisterschaft findet in Deutsch-land statt. Alle feiern dieses Ereignis. Wirklich alle?
– Haben Sie nicht vorgestern das „Wunder von Bern“gesehen?
Da haben wir auch am Anfang 5 : 1 oder 6 : 1 verloren;hinterher sind wir Weltmeister geworden.
Feiern also alle das Ereignis? Das ist nicht möglich;denn die ehemalige rot-grüne Regierung des Gastgebershat – wie schon in den vorigen Jahren – im Jahre 2004wieder auf die Spaßbremse getreten. Denn feiern darf inDeutschland nach 22 Uhr nicht möglich sein.
Da werden die Bürgersteige hochgeklappt.
Die Fans müssen direkt von den Stadien in ihre Hotelsoder nach Hause. – Das ist das Szenario. Schließlich sol-len deutsche Städte – das ist eindeutig Ihr Ziel – nach22 Uhr menschenleer bleiben.
Die Gastronomie darf in der Hauptsaison kein Geld ver-dienen.Liebe Frau Kollegin Irber, ich darf das mit einem Zi-tat von Ihnen ausdrücken, das die „Süddeutsche Zei-tung“ vom 27. April bringt: Das alkoholisierte Gegrölevon Fußballfans wollen wir nicht; darauf kann man gutverzichten.FBslelgtbdÜLtz1dfMegtbbsbOssdcKwuHE7vs
Das Motto der WM 2006 heißt: „Die Welt zu Gast beireunden.“ Das bekommt dann gleich eine ganze andereedeutung: Was die Gäste nicht dürfen, sollen die Deut-chen auch nicht. Bloß kein Lebensgefühl in Deutsch-and entstehen lassen! Das ist offensichtlich Ihr Ziel.Meine Damen und Herren, hier klafft wieder einmalin Abgrund zwischen Ihrem Anspruch und der Wirk-ichkeit. Multikulturell darf unsere Gesellschaft schonerne werden, aber bitte mit deutschen Ladenschlusszei-en. Spanische, französische oder gar italienische Le-ensfreude darf in deutschen Landen keinen Platz fin-en. – Unsere südlichen Nachbarn schütteln darüber imbrigen verständnislos den Kopf. Sie sind beim Themaebenskultur viel weiter. Sie denken in Sachen Sperrzei-en viel fortschrittlicher; sie haben nämlich keine Sperr-eiten.
Wenn wir – das machen wir jetzt öfter – anlässlich des. Mai nach Osten schauen, stellen wir fest, dass sogarie neuen EU-Mitgliedstaaten im Osten die Lebens-reude nicht wie bei uns in Deutschland reglementieren.
„Zu Gast bei Freunden“ – das sollte nicht nur dasotto der Fußballweltmeisterschaft sein, sondern auchine Verpflichtung gegenüber unseren Gästen aus deranzen Welt. Perfekte Organisation, reibungslose Logis-ik und überzeugende Angebote: Diese deutschen Attri-ute sind dabei nur Grundvoraussetzungen. Sie reichenei weitem nicht aus. Denn eine herzliche Gastfreund-chaft muss unsere Gäste empfangen.Dazu ist es unerlässlich, dass die Politik die Rahmen-edingungen für eine solche Gastfreundschaft herstellt.ffensichtlich hat das in der Regierung bisher nur Wirt-chaftsminister Clement begriffen. Die wenigen spani-chen Nächte, die wir haben, sollte man die Gäste undie Gastronomen genießen lassen.
Es ist doch nicht so, dass wir die Nacht zum Tag ma-hen wollen. Schließlich sollen brave Bürger – auch dieollegin Irber – ihren wohlverdienten Schlaf finden. Wirollen, dass man laue Sommernächte genießen kannnd die Gastronomen die Lokale und Kassen in ihrerauptsaison nicht schon um 22 Uhr schließen müssen.
„Deutschland will raus!!!“ – so hat die DEHOGA dasrgebnis einer Emnid-Umfrage kommentiert, wonach3,7 Prozent der Bundesbürger längere Öffnungszeitenon Straßencafés und Biergärten befürworten.Kollegin Irber, Ihr Kanzler hat diese Umfrage offen-ichtlich nicht richtig mitbekommen; denn eigentlich
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Jürgen Klimkefolgt er jedem Trend. Man muss sich folgende Situationeinmal vorstellen: Gerhard Schröder sitzt um 22.30 Uhrin Hannover in einem Biergarten – natürlich gibt es einriesiges Medienaufgebot – und fordert: „Hol mir mal neFlasche Bier, sonst streik ich hier!“ Ich kann mir vorstel-len, dass diese Performance Sie um den Schlaf gebrachthätte.Wir stellen fest, dass die rot-grüne Regierung wiedereinmal eindeutig gegen den erklärten Willen der Deut-schen handelt. Dabei ist es doch ganz einfach: StimmenSie dem Antrag zu. Stimmen Sie gegen das Ausschuss-votum.Es geht nicht darum – das wurde hier vielfachbehauptet –, die Angelegenheit von Berlin aus zu regeln,sondern darum, den Spielraum der Kommunen in derGastronomie zu erweitern. Ich komme aus Hamburg.Dort wurde die Sperrzeit in diesem Frühjahr verkürzt.Draußen kann man nun bis 24 Uhr und drinnen bis 5 Uhrfeiern.
Frau Irber, damit niemand um seinen Schlaf fürchtenmuss, wird die Regelung im Einzelfall vor Ort geprüft.
Im Norden handelt man also miteinander und nichtgegeneinander. Leider können diesen Weg nicht alleKommunen gehen, weil die Technische AnleitungLärm diese Möglichkeit versperrt. Allein der Begriff„Technische Anleitung Lärm“ ist spröde.
Es handelt sich um ein Konglomerat von Negativem. Ichfrage mich, wie man menschliche Kommunikation, La-chen und Freude ernsthaft mit Industrielärm gleichsetzenkann.
Werden im nächsten Schritt Balkone zu spaßfreien Zo-nen erklärt, da niemand mehr einen Witz erzählen darf,weil das Lachen gegen die Technische Anleitung ver-stößt?
Der Witz ist schon out of time. Bitte fassen Sie sich
ganz kurz.
Okay. – Wir haben über den Unsinn in der Techni-
schen Anleitung sehr oft gesprochen.
Zum Abschluss kann ich nur sagen: Stimmen Sie dem
Antrag Burgbacher zu.
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neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN
Tourismus in, an und auf dem Was-
ser – Naturverträglichen Wassertourismus in
Deutschland ausbauen und fördern
– Drucksache 15/2667 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus
Sportausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
ie Abgeordnete Annette Faße.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eute kann ich Ihnen einen Antrag vorstellen, der miranz besonders am Herzen liegt: „Tourismus in, an unduf dem Wasser – Naturverträglichen Wassertourismusn Deutschland ausbauen und fördern“.In meinem Wahlkreis Cuxhaven/Osterholz ist derassertourismus von zentraler Bedeutung. Daher freuech mich, dass dieses touristische Segment hier heutebend im Mittelpunkt steht.
Wir haben in Deutschland, im Zentrum Europas, einedeutendes Wassersportrevier. Wir sind uns dessen)
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Annette Faßenur leider nicht genügend bewusst. Nord- und Ostsee,zahlreiche Binnenseen, Fließgewässer und nicht zuletztdie Wasserstraßen bilden in Deutschland die optimalenVoraussetzungen für Tourismus in, an und auf dem Was-ser.Hier besteht großes wirtschaftliches Potenzial, dasnoch ausbaufähig ist. Immerhin betreiben rund6,5 Millionen Deutsche aktiv Wassersport. Das sind rund8 Prozent der Bevölkerung. Der direkte Gesamtumsatzin der Wassersportwirtschaft wird auf jährlich1,7 Milliarden Euro geschätzt. Dass wir inzwischenmehr über Wassertourismus in Deutschland wissen, ver-danken wir der Grundlagenuntersuchung „Wassertouris-mus in Deutschland“, die vom Bundeswirtschaftsminis-terium in Auftrag gegeben wurde und seit Mai letztenJahres vorliegt.
Ich begrüße es ausdrücklich, dass uns zu diesem Themaendlich Basisdaten zur Verfügung stehen und dass hierzueine generelle Untersuchung durchgeführt wurde, dieuns Hinweise darauf gibt, was wir wo zu ändern versu-chen sollten.Lassen Sie mich zunächst zu einigen Rahmenbedin-gungen und Vorschriften Stellung beziehen; meine Kol-legin wird dann speziell auf die Tourismusseite einge-hen. Die Bundeswasserstraßen und die mit ihnenverbundenen Landesgewässer bilden ein Wasserwan-dernetz von etwa 10 000 Kilometern Länge. Der Bundals Eigentümer der Bundeswasserstraßen unterhält undbetreibt diese Wasserwege. Darüber hinaus saniert derBund die Nebenwasserstraßen, um diese wieder zu bele-ben und dem Tourismus zuzuführen. Das gilt ganz be-sonders für die Nebenwasserstraßen in den neuen Bun-desländern. Hier haben wir, wenn ich beispielsweise anden Finowkanal denke, gemeinsam einiges erreicht.Dazu gehört aber auch die Instandsetzung von Schleu-sen, durch die ein durchgängiges Befahren der Wasser-wege erst ermöglicht wird.Die zunehmende Nutzung der Wasserstraßen erfor-dert allerdings auch Regelungen. Davon gibt es eineganze Menge. Es gilt nun, zu überprüfen, welche sinn-voll und welche nicht sinnvoll sind. Das können Bundund Länder nur gemeinsam machen, weil viele Kompe-tenzen bei den Ländern liegen.Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel dafür darlegen,dass wir durch ein Modellprojekt, das die Charter-scheinregelung betroffen hat, etwas wirklich Positivesin Gang gebracht haben. In diesem Fall wurde ein aufdrei Jahre befristetes Modellprojekt durchgeführt. DieErfahrungen damit waren durchweg positiv. Auch dieTouristen aus dem Ausland entdeckten, dass es inDeutschland Hausboote gibt, auf denen sich wunderbarUrlaub machen lässt.Nach Abschluss dieses Projektes haben wir es zueiner Dauerregelung werden lassen. In unserem Antragfordern wir, zu überprüfen, ob noch weitere Wasserre-viere diese Charterscheinregelung übernehmen könnenoder ihre Übertragung auf Landesgewässer möglich ist.WbwagsBsmsenAHluWcUlwekEhdwidlutrVlepdGwzbSDVisSgRemDtee
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen unsuch mit den unterschiedlichen bestehenden Regelun-en, die dem Wassertourismus nicht gerade dienlichind, befassen. Es gibt zum Beispiel unterschiedlicheefahrensregelungen. Hier sind die Bundesländer mas-iv gefordert. So ist es kaum zu verstehen, dass, wennan eine Landesgrenze überfährt, andere Regeln geltenollen; denn man merkt gar nicht, dass man sich ininem anderen Bundesland befindet. Aber dann kann esatürlich schnell zu Konflikten kommen.Dies gilt auch für Boots- und Segelführerscheine.uch hier sehen wir Handlungsbedarf. Ganz deutlichenandlungsbedarf sehen wir auch bezüglich einer einheit-ichen Ausschilderung. Es kann nicht sein, dass es dienterschiedlichsten oder gar keine Piktogramme gibt.ir wollen es den Gästen erleichtern, zu erkennen, wel-he Angebote an einer Anlegestelle und im touristischenmfeld vorhanden sind, damit sie sehen, dass es sichohnt, auch einen Tag länger zu bleiben. Dafür brauchenir eine einheitliche Beschilderung. Hier sind wir aufinem sehr guten Weg. Damit eine solche Regelungompatibel ist, hat man dabei auch die europäischebene zu berücksichtigen. Ich gehe davon aus, dass wirier gemeinsam mit den Ländern eine gute Lösung fin-en werden, die vom Bund auch finanziell unterstützterden wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich möchtech zu der Vignette für Sport- und Freizeitboote, überie gegenwärtig in der Presse heiß diskutiert wird, Stel-ng beziehen. Diesen Punkt haben wir in unserem An-ag als Prüfauftrag aufgegriffen und auch inhaltlicheorgaben hierzu gemacht. Wir müssen einfach feststel-n, dass der Bundesrechnungshof und der Rechnungs-rüfungsausschuss des Deutschen Bundestages von unsie Schaffung einer aktuellen, rechtlich einwandfreienrundlage für die Erhebung der Schifffahrtsabgaben so-ie die Neufestlegung der Abgaben für Sport- und Frei-eitschifffahrt fordern.Bisher haben wir die Regelung, dass zwei große Ver-ände zusammen pauschal 51 000 Euro zahlen. Dieseumme ist über eine lange Zeit nicht angehoben worden.a muss man sich schon fragen: Ist es gerecht, dass dieerbände zahlen? Wer kein Mitglied in einem Verein ist,t schließlich nicht eingebunden. Ist es gerecht, dass daschleusen an der Mosel extra bezahlt werden muss? Ichlaube, hier besteht Handlungsbedarf. Keiner will eineegelung, die das Ehrenamt im Sportbereich negativ be-influsst, keiner will eine Überbürokratisierung, aber icheine schon, dass wir uns der Aufgabe stellen müssen.ie Verbände und auch die Politik müssen sich einschal-n, damit die zu schaffende Regelung für den Tourismusrträglich ist.
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Annette FaßeIch lade Sie alle ein, im August nach Cuxhaven zumTall Ships’ Race zu kommen; da kann man über Wasser-tourismus nicht nur reden, da kann man ihn auch erle-ben.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm Josef
Sebastian.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!Werte Frau Faße, Sie haben gesagt, Wassersport liege Ih-nen am Herzen. Ich frage mich aber, warum Sie im Junides vergangenen Jahres unserem Antrag nicht zuge-stimmt haben und auch nicht im Oktober dem der FDP.Sie hätten all das viel früher haben können.
Deshalb muss ich ein bisschen daran zweifeln, dass esIhnen ein Herzensanliegen ist. Aber ich freue mich, dassSie uns nach Cuxhaven eingeladen haben – das erinnertmich an meine Bundeswehrzeit: Ich war in Cuxhavenbei der Marine; das war eine schöne Zeit. Vielleicht se-hen wir uns dann da wieder.Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestagbeschäftigt sich nun schon zum dritten Mal mit demThema Wassertourismus. Man kann nur hoffen, dass dieErgebnisse der Initiative auch wirklich rechtfertigen,dass man diesem Thema die entsprechende Aufmerk-samkeit zuteil werden lässt. Ich habe es schon gesagt: ImJuni des vergangenen Jahres haben wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dieses Thema eingebracht, im Okto-ber dann die FDP. Immer war die Stoßrichtung die glei-che. Ich kann in Ihrem neuen Antrag nichts wesentlichBesseres oder anderes sehen, aber man kann ja so schönsagen: Besser spät als nie. Deshalb sind wir eigentlichfroh, dass wir heute noch einmal über das Ganze reden.
– Liebe Kollegin, ich will es noch einmal sagen: Natür-lich freut es einen Oppositionspolitiker, wenn die Regie-rungsfraktionen Formulierungen finden, die man selbstschon gebraucht hat. Man darf Ihnen durchaus gratulie-ren, denn Sie haben recht ordentlich abgeschrieben – beiuns und bei der FDP.
Was an Füllmaterial noch fehlte, stammt offensichtlichaus der Grundlagenuntersuchung „Wassertourismus inDswAweKVssTSmrIvaidhwemdritwdadknGsVgWDantHdeshdgIu
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Der Gast entscheidet, ob er in Holland, in Frankreich, inBelgien oder anderswo Wassersport betreibt oder ob erauf unsere Gewässer geht, auf denen er möglicherweisesehr viel mehr zahlen muss. Wettbewerb mit anderenLändern muss dazu führen, dass wir unseren Standort-vorteil – wir haben herrliche Landschaften – nutzen. Wirsollten den Bürger in diesem Zusammenhang kein Geldaus der Tasche nehmen.Es gibt ein altes Indianersprichwort: Wenn du merkst,das Pferd ist tot, steige ab. – Bei Ihnen habe ich den Ein-druck: Wenn du merkst, das Pferd ist tot, gründe einenArbeitskreis, der herausfindet, warum das Pferd gestor-ben ist. – Hier wird wieder etwas geprüft, von dem maneigentlich schon heute weiß, dass es nicht zum Vorteilist.Eine abschließende Frage in diesem Zusammenhang:Wo beginnt die Gerechtigkeit, wenn Sie im Freizeitbe-reich Boote mit Gebühren belegen und Fahrräder bei derNutzung von Radwegen von einer Vignette befreien?
Man könnte noch sehr viele Ideen aufgreifen, warumman zum Beispiel bei Skatern oder in anderen Bereichendemnächst Gebühren einführt.
Nicht zu Unrecht vermutet man bei Ihrem Antrag dieHandschrift der grünen Kolleginnen und Kollegen, dieeine für mich sehr übertriebene Betonung der Belangedes Natur- und Umweltschutzes in Ihrem Antrag formu-lieren. Die Abwägung und der Ausgleich der Interessenfehlen. Es hört sich so an, als ob sich den aus unsererSicht überzogenen Ansprüchen des Naturschutzes allesunterordnen muss. Es wird vergessen, dass man sehrwohl Konzeptionen finden kann, die touristischen undwirtschaftlichen Erwägungen genauso Rechnung tragenwie dem berechtigten Schutz der Natur.Wir benötigen in diesem Bereich – wie in vielen an-deren in Deutschland – eine weitergehende Deregulie-rung der gesetzlichen Vorschriften, um die ökonomi-schen Potenziale auszuschöpfen. In der öffentlichenAnhörung zum Thema Wassertourismus im letzten Som-mer erfuhren wir zum Beispiel, dass es in Deutschland592 Einzelbefahrungsregeln auf deutschen Gewässernaus Naturschutzgründen gibt. Für mich ist das des Gutenzu viel. Hier muss es zu Vereinfachungen und einheitli-chen Regelungen kommen.
Wir sind gespannt, ob der Ansatz, den die Regie-rungskoalition dazu gefunden hat – in den Bundeslän-dern anzuregen, Kriterien für übergreifende, flussein-heitliche Befahrensregelungen zu entwickeln –, dennötigen Nachdruck verleiht und den erhofften Erfolgbringt.bPunKGvmsrEfneWD6adshttdmwpuswRrkmvttw–
Das Wort hat jetzt wieder die Abgeordnete Undineurth.Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir undon meiner Fraktion ein Plädoyer für den Wassertouris-us.Die Verstädterung und die Bewegungsarmut einer-eits sowie die Zunahme an Freizeit und Mobilität ande-erseits führen zu einer immer stärkeren Nachfrage nachrholung und Sport in freier Natur. Der Wassersport pro-itiert davon in ganz herausragender Weise, da er zu denaturorientierten Sportarten zählt. Der enge Kontakt zuiner möglichst unberührten Natur besitzt gerade beimassersport eine ganz besondere Bedeutung.Man möchte es kaum glauben, aber es ist wahr:eutschland ist ein Wasserland mit etwa,5 Millionen Menschen, die sich zumindest zeitweisem, auf dem, im oder unter Wasser aufhalten. Aufgrundieser großen Zahl von Menschen hat sich der Wasser-port längst zum Breitensport entwickelt. Mit unseremeute vorliegenden Antrag wollen wir dem Rechnungragen sowie die bisherige Unterschätzung dieses touris-ischen Potenzials aufheben und ihr entgegenwirken. Miter Grundlagenuntersuchung des Bundeswirtschafts-inisteriums „Wassertourismus in Deutschland“ habenir, wie wir bereits hörten, zudem die notwendigen em-irischen Daten vorliegen, um gezielt handeln zu könnennd genau die Potenziale aktivieren und besser aus-chöpfen zu können, die bisher nicht wirklich genutztorden sind. Ich denke, unser Antrag enthält dazu eineeihe wirklich guter Forderungen.Herr Sebastian, nach den Fakten, die Frau Faße be-eits vorgetragen hat, möchte ich jetzt zu einem Themaommen, das genau den Unterschied zwischen uns aus-acht und weswegen unser Antrag heute in dieser Formorliegt und wir Ihren Anträgen nicht zustimmen konn-en. Es geht um den Bereich des Naturschutzes. Die An-räge Ihrer Fraktion und der Antrag der FDP waren dairklich sehr schlecht.
Nein.
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Undine Kurth
Bei aller gewollten und notwendigen Unterstützungfür den Wassertourismus – deswegen wollen wir uns jaauf diesen Antrag verständigen – hat auch der Natur-schutz eine große Bedeutung. Um den Wassersport inder Natur betreiben zu können, brauchen wir nämlich in-takte Naturräume, die wir auch weiterhin vor der Zerstö-rung bewahren müssen. Auch dafür benötigen wir Re-geln und Kriterien, an denen wir uns orientieren. Wirmüssen zwischen den Belangen des Naturschutzes undden Interessen der Wassertouristen abwägen. Wer glaubt,dass das automatisch immer zugunsten des Naturschut-zes geschehen würde, der kennt die Realität nicht undder weiß nicht, was wir draußen täglich erleben. Auchvon gut gemeinten Aktivitäten auf dem Wasser gehennämlich Gefahren für die Pflanzen- und Tierwelt aus.Demzufolge müssen wir darauf achten.Erfreulicherweise gibt es aber hervorragende Bei-spiele integrierter Schutz- und Nutzungskonzepte. EineSpitzenposition nimmt hierbei Schleswig-Holstein ein.Dort wurden beispielsweise freiwillige Vereinbarungenfür die wassersportliche Nutzung von Natura-2000-Flä-chen getroffen. Seit Sommer 2001 bieten dort Kanusportund Kanutouristik über eine Begleitservicebörse techni-sche und fachliche Hilfestellungen an. Gemeinsam mitden Natur- und Umweltschutzverbänden wurden ver-bindliche Regeln für das Befahren festgelegt, um sen-sible Gewässer zu schonen und zu erhalten. Genau dieseEntwicklung wollen wir mit unserem Antrag fördern undstabilisieren. Deshalb wollen wir zum Beispiel Wasser-sportverbänden Gelder zur Verfügung stellen, mit denendie Schulungs- und Ausbildungsarbeit für naturverträgli-chen Wassertourismus in Gang gesetzt werden kann.
Durch das neue Bundesnaturschutzgesetz wurde dieMöglichkeit freiwilliger Vereinbarungen deutlich ge-stärkt. Wo immer das nötig ist, sollen diese auch beför-dert und angewandt werden. Ein gutes Beispiel hierfürist die zwischen dem WWF Deutschland und demLandesanglerverband Mecklenburg-Vorpommern abge-schlossene Kooperationsvereinbarung zum Projekt „Na-turschutz und Wassersport auf dem Greifswalder Bod-den und Strelasund“. Die Einhaltung dieser Regeln wirdfreiwillig und ehrenamtlich durch so genannte Revierlot-sen kontrolliert. Das geht, auch ohne den Tourismus zubehindern.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon gesagtworden: In Deutschland sind aktuell 650 Befahrensre-gelungen bekannt. Das kann man nicht als übersichtlichbezeichnen. Es ist sicherlich richtig, dass sich dort etwasändern muss. Wir regen in unserem Antrag daher an,dass die Bundesländer Kriterien für übergreifende fluss-einheitliche Befahrensregelungen für den naturverträgli-chen Wassersport entwickeln und ein einheitliches Ver-fahren beschließen, wie diese regional anzuwenden sind.Hier kann man sicherlich auch auf die große Kompetenzdes Bundesamtes für Naturschutz zurückgreifen.Hilfreich ist es sicherlich auch, wenn sich die Länderauf eine einheitliche wasserseitige Hinweisbeschilde-rung einigen könnten, die nicht nur deutlich macht, wasawTnkahrfMIsHdeBzATmecNgdCstsvwsZzesvBisf
Jetzt hat der Kollege Goldmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!achdem wir eben das Thema Sperrzeiten für Außen-astronomie hatten, sind wir uns sicherlich darin einig,ass wir die Regelungen ändern müssen, um unserehancen im Tourismus zu erhöhen. Wir sind uns bei die-em Thema im Grundsatz darin einig, dass der Wasser-ourismus Potenzial hat und dass man dieses Potenzialicherlich weiterentwickeln kann.Wenn man die Länder vor seinem geistigen Auge Re-ue passieren lässt, dann fällt einem für Berlin ein,elch riesiges Potenzial das Wasser für diese Stadt dar-tellt. Gleiches gilt für Länder wie Bayern. In diesemusammenhang ist besonders ein Bundesland im Ostenu nennen, Mecklenburg-Vorpommern. Stellt man sichinmal Mecklenburg-Vorpommern ohne die touristi-chen Chancen vor, dann wäre die Situation dort nocherheerender, als sie sich schon im Moment darstellt.ei diesem Thema gibt es also viele Gemeinsamkeiten.
Wir sollten ehrlich miteinander umgehen und genaun die Anträge hineinschauen. Frau Kurth, ich finde esehr mutig, was Sie gesagt haben. Aber vom barriere-reien Wassertourismus steht in Ihrem Antrag nichts.
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Hans-Michael GoldmannIch finde es auch mutig, was Kollegin Faße zum Aus-bau verschiedener Bereiche gesagt hat. Liebe KolleginFaße, da wir uns auch von der Arbeit in der parlamenta-rischen Gruppe „Binnenschifffahrt“ kennen, kann ichmir nicht vorstellen, dass du die Aufwendungen für Bau-betrieb und die Erhaltung der Wasserstraßen in Höhevon 1,4 Milliarden Euro ernstlich begrüßt. Bei jeder an-deren Veranstaltung fordern wir für den Ausbau vonWasserstraßen wesentlich mehr. Allein für den Unterhaltder Wasserstraßen ist mehr Geld nötig. Da hilft auch dieEinladung nach Cuxhaven nichts mehr. Man sollte schonehrlich sagen, dass die früheren Anträge von CDU/CSUund FDP sehr viel weitgehender waren, um den Wasser-tourismus insgesamt zu stärken.
Ich finde die Forderung Nr. 10, die Einführung einernutzergerechten Jahresvignette für Sport- und Frei-zeitboote zu prüfen und diesen Prüfauftrag gleichzeitigdadurch abzuarbeiten, bereits gestellten Forderungennachzukommen, eigenartig. Ich meine, dass eine solcheVignette nun wirklich nicht geeignet ist, den Wassertou-rismus in Deutschland zu fördern.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kurth?
Ja.
Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Goldmann, würden Sie mir zustimmen, dass sich
folgender Absatz durchaus mit Barrierefreiheit befasst?
In unserem Antrag heißt es wörtlich:
Die Tourismuswirtschaft sollte sich bei der Erstel-
lung wassertouristischer Angebote auf die wach-
sende Nachfrage nach barrierefreien Angeboten
einstellen. Barrierefreiheit wird zukünftig Quali-
tätsmerkmal eines erfolgreichen Deutschlandtouris-
mus sein. Bei den wassertouristischen Angeboten
wie auch bei dem Ausbau der dafür nötigen Infra-
struktur ist Barrierefreiheit weitgehend zu ermögli-
chen.
Oder sehen Sie hier keinen Bezug zur Barrierefreiheit?
Selbstverständlich; denn in dem beschreibenden Cha-
rakter haben Sie im Grunde genommen alles zusammen-
gefasst. Entscheidend für einen Antrag ist aber, welche
Forderungen erhoben werden. Dafür gibt es in Ihrem
Antrag den Abschnitt III: „Der Deutsche Bundestag for-
dert die Bundesregierung auf“. In diesem Abschnitt for-
dern Sie eben nicht die Bundesregierung auf,
sondern Sie fordern etwas von der Tourismuswirtschaft,
was die Tourismuswirtschaft, jeder gute Hotelier und je-
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Gabriele Hiller-OhmDie Studie ist nicht ohne Echo geblieben. Kommunenund Bundesländer erkennen zunehmend die Potenziale,die der Wassertourismus besonders auch für struktur-schwache Regionen bietet.
Ich nenne ein Beispiel: Mecklenburg-Vorpommern kannals eines von wenigen Bundesländern umfassende Ent-wicklungs- und Nutzungskonzepte vorweisen, die nunumgesetzt werden müssen.
Das Klein-Klein wurde überwunden. Man denkt undplant zunehmend überregional und vernetzt systematischwasser- und landseitige Angebote zu attraktiven touristi-schen Highlights.
Das schafft Arbeitsplätze und stärkt die Region. Das istder richtige Weg. Andere Bundesländer, beispielsweiseSchleswig-Holstein, woher ich komme, ziehen nach.Doch reicht das aus? Nein. Wassertourismus muss eingesamtdeutsches Thema sein, denn das Wasser hört nichtzwangsläufig an den Landesgrenzen auf.
Alle Fraktionen im Bundestag haben sich angesprochengefühlt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten Anträgeeingebracht. Es gibt – Herr Sebastian hat darauf hinge-wiesen – viele Übereinstimmungen. Die Unterschiedehat Frau Kollegin Kurth beschrieben.Im Zusammenhang mit dem Thema Vignette werdenwir sicherlich noch oft Gelegenheit haben, uns auszutau-schen und auch in dieser Frage einen richtigen Weg fürden Wassertourismus zu finden. Ich bin alles in allemzuversichtlich, dass wir im Bundestag gemeinsam etwasfür den Wassertourismus erreichen werden.Ich möchte nun auf zwei Forderungen aus unseremAntrag eingehen. Erstens. Die Potenziale des Wassertou-rismus sind in Deutschland trotz guter Wachstumsper-spektiven noch lange nicht ausgeschöpft. Oft fehlt es anKoordination und an der Vernetzung von Angeboten undAkteuren. Wir fordern deshalb die Einrichtung einer län-derübergreifenden Koordinierungsstelle, die dieseVernetzung voranbringen soll.
Zweitens. Wir wollen unsere Gewässer touristischstärker erschließen. Wir müssen dabei sicherstellen, dasswir die Grundlagen, die wir nutzen wollen, nicht zerstö-ren.
Durch Information und Aufklärung sowie durch einegute Beschilderung und Besucherlenkung kann viel fürden Schutz der Natur erreicht werden. Wir fordern des-hrcnrapmTimtsWsteDfesAnzbvhFddd1)2)
Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2667 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-ung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungWohngeld- und Mietenbericht 2002– Drucksache 15/2200 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre kei-en Widerspruch. – Dann ist so beschlossen.Die Kollegin Petra Pau hat darum gebeten, ihre Redeu Protokoll geben zu können1), wie sie es auch schonei Tagesordnungspunkt 9 – verbesserter Schutz der Pri-atsphäre – getan hat, was wir hiermit im Protokoll fest-alten2). Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall.Dann eröffne ich jetzt die Aussprache für diejenigen,ie ihre Redezeit nutzen wollen. Als erster Redner hater Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmannas Wort. Anlage 5 Anlage 4
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Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Die Bundesregierung berichtet dem Bundestag re-gelmäßig über die Entwicklung der Mieten und dieDurchführung des Wohngeldgesetzes. Der vorliegendeWohngeld- und Mietenbericht 2002 umfasst den Zeit-raum von 1999 bis 2002.Die Mitte der 90er-Jahre eingetretene Entspannungder Wohnungsmärkte hat sich auch im Berichtszeitraumin den meisten Regionen fortgesetzt. Dies zeigt sich inder moderaten Mietenentwicklung. Der Mietenindexnetto kalt ist während des Berichtszeitraums mit maxi-malen jährlichen Steigerungsraten von 1,4 Prozent nurgeringfügig gestiegen. Im Vergleich mit der Mietenent-wicklung der letzten Berichtsperiode ist eine deutlichePreisberuhigung bis 2003 erkennbar.Der Neubauboom Mitte der 90er-Jahre hat nicht nurkurzfristig die damals bestehenden Versorgungsengpässebeseitigt. Die anhaltend moderate Mietenentwicklung si-gnalisiert, dass auch bei reduzierter Neubautätigkeit dieWohnungsmärkte im Allgemeinen weiterhin entspanntsind.Die Unterschiede zwischen den einzelnen regionalenWohnungsmärkten vertiefen sich aber zusehends. Aufder einen Seite gibt es Wachstumsregionen wie Mün-chen und andere westdeutsche Ballungsräume, die in-folge einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung und re-gionaler Bevölkerungszuwächse überdurchschnittlicheMietsteigerungen aufweisen. Auf der anderen Seite si-gnalisieren die umfangreichen Wohnungsleerstände inden neuen Bundesländern und teilweise auch in west-deutschen Städten einen dauerhaften Angebotsüberhangim Geschosswohnungsbereich mit schwerwiegendenBelastungen für Stadtentwicklung und Wohnungswirt-schaft. Der Wohnungsleerstand hat sich jedoch in denneuen Bundesländern im Zeitraum von 1998 bis 2002nur moderat um circa 140 000 auf 1,1 Millionen Woh-nungen erhöht, übrigens mit deutlichen Unterschiedenzwischen den einzelnen neuen Bundesländern. Im Be-richtszeitraum und auch in jüngster Zeit, das heißt imJahr 2003 und im laufenden Jahr 2004, hat sich die Leer-standszunahme aber deutlich verlangsamt.Wichtige Wohnungsversorgungsindikatoren habensich verbessert. Die Zahl der Eigentümerhaushalte hatenorm zugenommen. Die Eigentümerquote ist bundes-weit um über 8 Prozent gestiegen. In den alten Bundes-ländern ist sie um 7,2 Prozent auf 44,6 Prozent und inden neuen Bundesländern um 13 Prozent auf 34,2 Pro-zent aller Haushalte gestiegen. Bei Familien mit Kindernliegt die Eigentümerquote bei fast 48 Prozent. Hier istein deutlicher Zuwachs in den letzten Jahren erfolgt.Schwerpunkt des Berichts ist aber die am 1. Januar2001 in Kraft getretene Wohngeldnovelle. Auf sie kön-nen wir wirklich stolz sein; denn hier haben wir einigesbewegt. Wohngeld ist ein unverzichtbares Element einergrundsätzlich marktwirtschaftlich ausgerichteten und so-zial verantwortlichen Wohnungspolitik, das sich durchhohe soziale Treffsicherheit, ökonomische Effizienz undVerlässlichkeit für den Bürger auszeichnet. Wohngeld istaber nur dann ein taugliches Instrument, wenn wir esvMsggwdhzlbhha–b72stdsAW3mDI3EiswhnskMs1gdd7fsJdzdnwr
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– Selbst der Vorsitzende des Ausschusses erteilt ein Lob.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gero Storjohann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir diskutieren heute über den Wohngeld- undMietenbericht 2002. Ich möchte vorab die Gelegenheitwahrnehmen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern desMinisteriums für die Erstellung dieses Berichts, der füruns Wohnungspolitiker wichtige Strukturdaten enthältund der auch wichtige Entwicklungen aufzeigt, herzlichzu danken.Wohnen ist ein Grundbedürfnis.
Mit den politischen Entscheidungen im Bundestag oderin der Regierung greift man in das Spiel der Kräfte aufdem Wohnungsmarkt erheblich ein. Auch deswegen istes gut und – auch zur eigenen Kontrolle – unerlässlich,dass wir von der Regierung regelmäßig informiert wer-den. Der Parlamentarische Staatssekretär hat auf dasWort „regelmäßig“ natürlich Wert gelegt. Dieser Begriffist dieses Mal etwas gedehnt worden, weil wir, die Parla-mentarier, einer Verlängerung der Frist um ein halbesJahr zugestimmt haben, da es bei der Datenermittlungerhebliche Probleme gab.Insgesamt wird in diesem Bericht festgestellt, dasssich die Wohnungsmärkte in Deutschland aus der Sichtder Nachfrager in einer sehr günstigen Verfassung prä-sentieren. Die überwiegende Zahl der Haushalte sei mitWohnraum gut bis sehr gut versorgt. In den meisten Re-gionen sehe man sich einem umfangreichen Angebot zuerschwinglichen Mieten gegenüber.Was die Bundesregierung hier feiert, stellt jedoch inWirklichkeit auch eine gewisse Gefahr dar. Wir Woh-nungspolitiker kennen den Schweinezyklus. Unser Be-streben war es immer, dem entgegenzuwirken. Wir müs-sen jetzt Investoren finden, die es in dieser entspanntenMarktsituation reizvoll finden, in den Bau neuer Woh-nungen zu investieren. Anstatt den Status quo zu loben,muss die Bundesregierung also Signale für InvestorensnWddüd4uürDgMAwkshstMnmdBKg–a4BELElrbbWDnsDe8
Aber nicht nur die Mieter, sondern auch die Vermieterind an niedrigen Nebenkosten interessiert. Hohe Be-riebskosten verringern die Bereitschaft zur Zahlung deriete und führen zu verwaltungsaufwendigen Abrech-ungen. Bei der Frage nach der Finanzierbarkeit ange-essener Wohnungen muss natürlich auch die Wirkunges Wohngeldes einbezogen werden.Im Wohngeld- und Mietenbericht 2002 betont dieundesregierung, dass durch die am 1. Januar 2001 inraft getretene Wohngeldreform der Kreis der Empfän-erhaushalte erweitert wurde. 3,1 Millionen Haushaltedas macht circa 8 Prozent aller deutschen Haushalteus – empfingen 2002 Wohngeld. Im Jahre 2002 wurden,5 Milliarden Euro an Wohngeld je zur Hälfte vomund und den Ländern gezahlt, davon 3,5 Milliardenuro in den alten und 1 Milliarde Euro in den neuenändern.Die Art der Darstellung im Bericht vermittelt denindruck, die Bundesregierung sei auf diese Entwick-ung stolz. Darin kommt jedoch zum Ausdruck, dass dieot-grüne Wirtschaftspolitik gescheitert ist. Massenar-eitslosigkeit und Nullwachstum schlagen sich unmittel-ar in der Höhe des Wohngelds und in der Anzahl derohngeldempfänger nieder.
ie wachsende Zahl von Wohngeldempfängern istichts anderes als das Ergebnis einer gescheiterten Wirt-chaftspolitik von Rot-Grün.Der Wohngeldbetrag in Deutschland beläuft sich imurchschnitt auf 102 Euro. In den alten Ländern beliefr sich auf 109 Euro. In den neuen Ländern blieb er mit9 Euro weitgehend gleich. Besonders Ein- und Zwei-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9557
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Gero Storjohannpersonenhaushalte sind Empfänger von Wohngeld. Im-mer mehr Menschen können ihre Miete nicht mehr alleinaufbringen und sind daher auf Wohngeld angewiesen.In Ihrem Koalitionsprogramm haben Sie eine Verbes-serung des Wohngeldes für die laufende Legislaturperiodein Aussicht gestellt. Im Dezember 2003 fühlte sich dieBundesregierung wegen des starken Anstiegs der Wohn-geldausgaben von Bund und Ländern aber zu deutlichenEinsparungen angeregt.Durch den Beschluss des Vermittlungsausschussesvom 15. Dezember letzten Jahres wurde festgelegt, dassdie Bundesregierung das Wohngeldrecht mit dem Zieldeutlicher Einsparungen strukturell überarbeiten wird.Dies hat sicherlich eine nachhaltige Kürzung desWohngelds für den Zeitraum ab 2005 zur Folge. Seit-dem ist allerdings unklar, was mit dem Wohngeld wirk-lich geschehen soll.Auf meine Anfrage antwortete die Bundesregierungam 14. April, die Prüfung, auf welche Weise die Umset-zung der auf die Haushaltsjahre ab 2005 bezogenen Pro-tokollerklärung erfolgen könne, sei innerhalb der Bun-desregierung noch nicht abgeschlossen.Daraufhin mahnte der Mieterbund an, keine Kürzun-gen beim Wohngeld vorzunehmen. Sofort meldete sichder Herr Minister Stolpe zu Wort und erklärte, er halteWohngeldkürzungen für nicht vertretbar. So wie wir dieStandhaftigkeit unseres Ministers und seinen Umgangmit semantischen Feinheiten kennen, müssen wir davonausgehen, dass im Ministerium bereits intensiv an einerWohngeldkürzung gearbeitet wird.Das Parlament und die Öffentlichkeit erwarten, dassin naher Zukunft klar aufgezeigt wird, was Sie bezüglichdes Wohngeldes wollen.
Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: RegierenSie, handeln Sie, schaffen Sie Klarheit beim Wohngeld!Dann ist uns allen wohler.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete FranziskaEichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Kollege Storjohann, zunächst kurzder Hinweis: Sie sollten sich das Ökosteuerrecht einmalanschauen. Die Heizkosten sind von der Ökosteuer nurminimal betroffen. Beim Benzinpreis ist das etwas ande-res.
Man sollte schon genauer hinschauen, wenn man überdie Heizkostenentwicklung redet.BdDsgSbWWssrdnrzkRhSaSdiWnvWaBdndvtMdngdddwWiTshwzpn
Zum Thema. Wir sollten uns darüber freuen, dass derericht tatsächlich hergibt, was inzwischen eigentlich je-er im Alltag spürt, nämlich dass in weiten Teilen voneutschland die Wohnungsmärkte wirklich entspanntind und dass es Wohnungsengpässe nur noch in denroßen Wachstumszentren – in der Münchner Region, intuttgart, in Frankfurt/Main, in Düsseldorf und im Ham-urger Raum – gibt. Ansonsten – auch das zeigt derohngeld- und Mietenbericht sehr deutlich – ist dieohnsituation gut bis sehr gut. In Ostdeutschland gibt esogar einen bedrohlichen Wohnungsüberschuss. Einer-eits sollte man das positiv bewerten und nicht daran he-ummäkeln, aber andererseits sollte man prüfen, wasaraus politisch folgt.Bevor ich dazu ein paar Sätze sage, zum Wohngeldoch einmal ganz klar Folgendes: Das Wohngeld ist ge-ade auch seit der Wohngeldnovelle von 2001 ein ganzentrales Instrument für Haushalte mit niedrigem Ein-ommen. Von allen Seiten wird anerkannt, dass es in derelation von Mietbelastung, Wohnungsgröße, Haus-altsgröße und Einkommen die treffsicherste Form derubvention ist. Dabei kommt es nur zu einem Minimumn Fehlsubventionen – im Unterschied zu vielen anderenubventionen, die bis heute noch gewährt werden. Vonaher sage ich auch in Ihre Richtung ganz deutlich, dassch die Empfehlung des Vermittlungsausschusses, dasohngeld zu kürzen, aus sozialpolitischen Gründenicht für verantwortbar halte.Jetzt noch ein paar Sätze zu Herrn Storjohanns Angstor dem Schweinezyklus. Wenn Sie sich nicht nur dieohnungsbestände, die ja überwiegend morgen nichtbgerissen und verschwunden sein werden, sondern beiedarf auch wirklich bewohnt werden, sondern auch dieemographische Entwicklung anschauen, die uns in denächsten zehn, zwanzig bzw. dreißig Jahren erwartet,ann dürften Sie keinen Grund mehr finden, hier Angstor einem Schweinezyklus zu wecken. Vielmehr müss-en Sie aufgrund der Aussagen dieses Wohngeld- undietenberichts zu dem Schluss kommen, dass die Politikie quantitative Ausweitung des Wohnungsangebotesicht fördern darf. Demzufolge haben wir nämlich eineute bis sehr gute Wohnversorgung, sowohl bezüglicher Quadratmeterzahl pro Einwohner als auch bezüglicher Wohnqualität aller Schichten der Bevölkerung, undas obendrein zu tragbaren Bedingungen. Beispiels-eise ist allein die Belastung des Einkommens fürohnzwecke in den alten Bundesländern von 25 Prozentm Jahre 1998 auf inzwischen 22,2 Prozent gesunken.atsächlich ist es so, dass der Miet- bzw. Wohnkostenan-tieg geringer ausfällt als die Entwicklung der Lebens-altungskosten.Von daher möchte ich noch einmal deutlich darauf hin-eisen, dass der demographische Wandel in den Blicku nehmen ist. Da ich nach wie vor der Marktwirtschaftositiv gegenüberstehe, müssen sich meiner Meinungach als allererstes die Eigentümer und Grundbesitzer
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Franziska Eichstädt-Bohligdiese Zeichen der Zeit zu Eigen machen. Das heißt, siemüssen sich in neuer Weise auf Konkurrenz einstellenund deshalb ihre Wohnungsbestände für die Zukunft fitmachen. Das heißt, auf der einen Seite muss der Wohn-standard angepasst werden, indem sie modernisiert wer-den, damit dieses Wohnungsangebot auch nachgefragtwird. Auf der anderen Seite muss gleichzeitig die ener-getische Sanierung – das sage ich als Mitglied der Grü-nen, die sich ja für eine umfassende Förderung solcherMaßnahmen eingesetzt haben – vorangetrieben werden.Wenn die Wohnungen so auf Vordermann gebracht wer-den, sinken die Wohnnebenkosten so, wie Sie es sicheben gewünscht haben. Ich glaube, es gibt kein besseresInstrument als ein solches, welches gleichzeitig für eineSenkung der Heizkosten und des CO2-Ausstoßes sorgt.Das halte ich für sehr wichtig.
– Wir machen nicht das Gegenteil.Ich glaube, dass auch die Kommunen das sehr ernstnehmen sollten. Insbesondere die Städte müssen aufpas-sen, dass sie nicht durch Siedlungserweiterungen imUmland geschwächt werden, denn in dem Moment, dadie Wohnungsmärkte ausgeglichen sind, stellt jeder wei-tere Neubau eine Schwächung des Siedlungsbestandesdar. Von daher fordert dieser Wohngeld- und Mietenbe-richt auch ein Stück weit Kommunen, Länder und Bunddazu auf, für ein Ende der Zersiedlung, die den Sied-lungsbestand weiter schwächen würde, zu sorgen. Ichhalte es nämlich für sehr wichtig, dass der Siedlungsbe-stand gestärkt wird.Ich möchte zum Schluss noch etwas zur Bauwirt-schaft sagen. Natürlich spiegelt dieser Bericht auch einStück weit die Schwierigkeiten in der Bauwirtschaft wi-der. Ich halte es politisch aber nicht für verantwortlich,einzig und allein zum Nutzen der Bauwirtschaft wiedermehr Neubau zu fördern. Ich halte es aber sehr wohl fürrichtig – das tun wir auch –, energetische Sanierung undStadtumbau in Richtung einer sozialen Stadt zu fördern.Das sind im Gegensatz zur Forderung nach Siedlungser-weiterung richtige Instrumente zur Stärkung des Bestan-des, Herr Storjohann.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eberhard Otto.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kanndem, was Sie, Herr Staatssekretär, gesagt haben, insge-samt nicht so folgen.
–dnbIshTnVliwddintegdgweJIvdZdwBFsDnajeWtünKsEsVdsgdfe
ch weiß, wovon ich hier rede. Deswegen kann ich fest-tellen, dass es sich hierbei um ein ganz brisantes Themaandelt. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass dieseshema nicht erst heute Abend, da wir alle schon ein we-ig müde sind, hier behandelt wird, sondern schon heuteormittag behandelt worden wäre. Insgesamt ist es näm-ch ein ganz heißes Thema.Wohngeld hat ja in den neuen Bundesländern eineeitaus größere Bedeutung als in den alten Bundeslän-ern. So beträgt der Anteil der Wohngeldempfänger inen neuen Ländern 11,6 Prozent gegenüber 6,4 Prozent den alten Ländern. Wenn ich dann sehe, dass der An-il gerade erst auf 11,6 Prozent gestiegen ist, weil auf-rund der miserablen Gesamtlage der Wirtschaft auchie Zahl von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängernestiegen ist, muss ich diese Zahl natürlich gesonderterten.Auch bei Neuregulierungen und Veränderungen gehts um Zahlenspiele. Ich habe insbesondere in den letztenahren die Situation beim Wohngeld beobachten können.ch habe heute eine Reihe von Stunden damit verbracht,iele Bürgermeister anzurufen, um sie zu fragen, wie sieie Entwicklung sehen; denn ab nächstem Jahr wird dieahl der Wohngeldberechtigten in den neuen Bundeslän-ern leider sehr stark zunehmen. Das hat dann auch Aus-irkungen auf die Finanzen der Kommunen. Keinürgermeister konnte mir heute eine Antwort auf dierage geben, wie das Problem insgesamt gelöst werdenoll.
er erhöhte Bedarf an Wohngeld stellt für die Kommu-en ein Problem dar.
Das heißt, es wird eine endlose Kette ausgelöst: Derrme Mieter, der das Geld vorher nicht hatte, hat es auchtzt nicht, bekommt aber teilweise kein Wohngeld mehr.o bleibt das Problem hängen? – Es bleibt beim Eigen-mer der Wohnung hängen. Ich habe 1993 den Kommu-en Wohnungen abgekauft, sie saniert und sie dann denommunen als Sozialwohnungen zur Verfügung ge-tellt. Wenn der Mieter nun aufgrund seines geringeninkommens die Miete nicht zahlen kann – ich habe daselber überprüft und festgestellt, dass es genau so ist:iele Mieter haben das Geld nicht –, aber aus dem Kreiserjenigen herausfällt, die Wohngeld bekommen, ent-teht ein Problem: Die Mietschulden bleiben beim Ei-entümer, also bei der Kommune oder bei Privatleuten,ie eine Wohnung bereitgestellt haben, hängen.Deswegen kann ich mit Blick auf die Kommunen nurordern, die finanzielle Versorgung auf diesem Gebietntsprechend zu regulieren.
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Eberhard Otto
Wir sind als FDP für den Abbau von Subventionen; dasist insgesamt okay. Aber wir sind für einen sinnvollenAbbau. Insbesondere im Osten, beispielsweise in Meck-lenburg-Vorpommern, wäre eine weitere Reduzierungdes Wohngeldes oder eine nicht genügende Absicherungtödlich.Dann gibt es eine weitere Regelung, die ebenfalls be-achtet werden sollte – sie wird in Deutschland sehr un-terschiedlich gehandhabt –, nämlich dass das Wohngelddirekt dem Eigentümer bzw. dem Betreiber zur Verfü-gung gestellt wird, um eine Zweckentfremdung zu ver-meiden.Ein weiteres großes Problem ist der Leerstand.
Herr Kollege, beachten Sie bitte, dass Ihre Redezeit
weit überschritten ist.
Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern ein wahn-
sinnig großes Problem durch die Abwanderung. Das hat
zu sehr viel Leerstand geführt, der sich regelmäßig er-
höht.
Ein Satz noch zu den Mietpreisen in Mecklenburg-
Vorpommern. Die Wohnungen werden zurzeit für 3 bis
4 Euro pro Quadratmeter vermietet. Teilweise liegen die
Betriebskosten – es wurde schon gesagt – höher als die
Nettokaltmiete. Das kann nicht sein. Wir müssen dafür
kämpfen, dass hier Veränderungen vorgenommen wer-
den, denn Wohnen bedeutet Leben.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
Spanier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Erstes:Ich habe nicht ganz verstanden, Herr Otto, was Sie hiereigentlich kritisiert bzw. vorgeschlagen haben. Dass sichdie Wohngeldsituation nach der Wohngeldnovelle 2001auch in den neuen Bundesländern verbessert hat, dasssich in der Zwischenzeit weder an den Einkommens-grenzen noch an der Höhe etwas geändert hat, das kön-nen Sie doch nicht beklagen.
Ein Zweites: Es sind nicht die Kommunen, die zumallgemeinen Wohngeld einen Beitrag leisten müssen,sondern diese Kosten teilen sich Bund und Länder. Ichhabe daher nicht so ganz verstanden, wie Sie den Ein-druck gewinnen konnten, es könne nicht genügendWohngeld gezahlt werden, weil die Kommunen dazunicht in der Lage seien. Darüber müssen wir im Aus-schuss oder an anderer Stelle vielleicht noch einmal inRuhe reden.rSW3ss2hc1isbcwndhWgg0mmmwbliW2gvsmgwmankh9QeZdWgledgd
enn Sie aber, Herr Friedrich, zu Ihrem Bürgermeisterehen und ihm anbieten, 10 Millionen Euro in den sozia-n Wohnungsbau zu investieren, dann wird er dankendarauf verzichten, weil die Märkte nun einmal ausge-lichen sind. Es wird immer stärker darauf ankommen,ass wir die Qualität des Wohnungsbestandes verbessern.
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Wolfgang SpanierDabei geht es nicht nur um die energetische Modernisie-rung.Ich möchte noch auf das Wohngeld eingehen undHerrn Großmann deutlich in seiner Auffassung unter-stützen, dass das Wohngeld eine besondere Bedeutunghat. Haushalte mit weit unterdurchschnittlichem Ein-kommen beziehen Wohngeld. Es ist durch die Wohn-geldnovelle 2001 sozial deutlich treffsicherer geworden.Auch das ist ein Ergebnis im Bericht, das wir erfreut zurKenntnis nehmen können.
Es war damals vereinbart worden, diese Novelle zuevaluieren. Ich glaube, die Ziele, die wir damals gehabthaben – nämlich Verbesserung der Wohngeldleistung,Vereinheitlichung des Wohngeldes Ost und West sowieRechtsvereinfachung –, haben wir in der Tat erreicht,auch was die Rechtsvereinbarung betrifft. Die Bundes-länder haben sich entsprechend geäußert.Es ist richtig, wir haben einen Beschluss im Vermitt-lungsverfahren gefasst. Wir alle haben am 19. Dezember2003 – da können Sie sich so wenig aus der Verantwor-tung ziehen wie wir – diese Protokollerklärung in na-mentlicher Abstimmung beschlossen.
Allerdings enthält diese Protokollerklärung keine Aus-sage dazu, dass das allgemeine Wohngeld gekürzt wer-den soll. Es heißt dort vielmehr, dass es beim Wohngeldzu strukturellen Veränderungen mit einem Einspareffektkommen soll. Es wird aber zu einer völligen Umkrempe-lung des Wohngeldes kommen, weil das Wohngeld fürSozialhilfeempfänger, also der Fünfte Teil des Wohn-geldgesetzes, durch Hartz IV völlig wegfällt. Ich glaube,dass schon dies eine deutliche strukturelle Veränderungist und zu einem entsprechenden Einspareffekt führt.Wir sollten uns auf das besinnen, was wir am19. Dezember 2003 beschlossen haben. Ich sehe keinenkonkreten Auftrag und Beschluss, das Wohngeld zu kür-zen.
Herr Kollege, denken auch Sie bitte an die Zeit!
Sehr verehrte Frau Präsidentin, ich komme zum
Schluss. – Dieser Bericht zieht, was die Entwicklung der
Mieten und des Wohngeldes in Deutschland betrifft, eine
positive Bilanz. Darüber können wir alle nur froh sein.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Blank.
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Renate Blankmit ihrer einseitigen Benachteiligung von Vermieternund damit von Investoren. Der Einwand der Regierungs-koalition, mit der Reform werde immerhin einem umfas-senden Mieterschutz Rechnung getragen, ist ideologischgefärbt, aber auch kurzsichtig. Denn bleiben bei einersolchen Verschlechterung der Rahmenbedingungen dieInvestitionen in den Mietwohnungsbau aus, bricht damitauch der Mietermarkt zusammen. Erschwingliche Woh-nungen werden dann Mangelware, was letztendlich auchauf die Mieter zurückfällt.Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, der tatsächlicheBedarf an Wohnungen kann in nächster Zeit steigen,wenn es aufgrund der EU-Osterweiterung zu einer ver-stärkten Zuwanderung kommt. Das Ifo-Institut schätzt,dass in den ersten 15 Jahren nach der EU-Osterweite-rung rund 500 000 Personen aus den neuen EU-Staatenallein nach Bayern kommen werden.
Das Ifo-Institut erwartet, dass sich diese Zuwanderungs-ströme nicht gleichmäßig verteilen, sondern vor allemauf die Ballungsräume konzentrieren werden. Gerade inden Ballungsräumen besteht ohnehin der größte Neubau-bedarf.
Das Etikett vom Schlusslicht in Europa haftet derBundesrepublik durch Rot-Grün nicht nur wegenschlechter Wachstums- und Beschäftigungszahlen an.Auch bei der Wohnungsbautätigkeit ist Deutschlandlängst auf die letzten Ränge zurückgefallen. Im europäi-schen Vergleich ist Deutschland – 1996 waren wir nochVizeeuropameister –
mit 3,19 Wohnungen je 1 000 Einwohner im Jahre 2002inzwischen weit abgeschlagen.Im Rahmen der Diskussion über den Wohngeld- undMietenbericht möchte ich Ihnen, meine Damen und Her-ren von der Regierungskoalition, auch das Thema Miet-nebenkosten – der Kollege Storjohann hat schon daraufhingewiesen – nicht ersparen. Fakt ist: Seit Einführungder Ökosteuer, die für den überproportionalen Anstiegder Heizöl- und Gaspreise verantwortlich ist, ist Rot-Grün zum Preistreiber Nummer eins bei den Wohnkos-ten der Mieter und der selbstnutzenden Wohneigentümergeworden. Auch die Strompreise gehören in diese Reihe.
Dazu hört man vom zuständigen Minister bzw. vomStaatssekretär allerdings nichts.Bedenklich stimmt der Blick in die Zukunft: Immermehr Mieten werden nicht gezahlt und müssen auf demGerichtsweg geltend gemacht werden.rlidvarpfbSmgimDfvsbgis1)
t der Fall. Anlage 6
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9562 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerInterfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/2825 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstan-den? – Das ist der Fall. Dann ist auch diese Überweisungso beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Gero
der CDU/CSUKeine toten Winkel bei Lastkraftwagen– Drucksache 15/2823 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider-spruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat wieder derHerr Kollege Gero Storjohann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vor wenigen Wochen ist es in Berlin erneut zuzwei tödlichen Verkehrsunfällen gekommen. Wiederwurden zwei Radfahrer von Lastkraftwagen, die nachrechts abbogen, erfasst. Wieder konnten die LKW-Fah-rer die Radfahrer nicht sehen, da sich diese im totenWinkel ihrer Fahrzeuge befanden.
Diese beiden Unfälle zeigen nach Auffassung derUnionsfraktion ganz deutlich: Es ist endlich Zeit zumHandeln. Der tote Winkel muss schnell weg.
Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion mit einem Antragdie Initiative ergriffen und einen Weg aufgezeigt, wiewir dem toten Winkel schnell und umfassend zu Leiberücken können. Wir erfahren Unterstützung vom Allge-meinen Deutschen Fahrrad-Club und auch von den Spe-diteuren. Es gibt eine Lösung für das Problem: den sogenannten Dobli-Spiegel aus den Niederlanden.In den Niederlanden waren bereits im Jahre 200250 Prozent der LKWs mit über 3,5 Tonnen zulässigemGesamtgewicht mit dem Dobli-Spiegel ausgerüstet. Die-ser Spiegel wird auf der Beifahrerseite des Fahrzeugesvon außen angebracht. Es handelt sich um eine konvexeLinse, durch die der tote Winkel von derzeit 38 Prozentauf 4 Prozent verringert wird. Die Anzahl der schwerenund tödlichen Unfälle aufgrund des toten Winkels habensich in den Niederlanden im Jahre 2002, seit Einführungdes Spiegels fast halbiert. Seit Januar 2003 sind dortsämtliche LKWs über 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtge-sicht mit dem so genannten Dobli-Spiegel ausgestattet.Wegen der äußerst positiven Erfahrungen in den Nie-derlanden fordert die Union in dem heute zu beratendenADmPOrz2tgnasNDemSWdwRszbmHthsSsaWUssISbSkzshd
ch freue mich, dass wir bei dieser Problemstellung iminne der Sache gemeinsam etwas Druck machen. Esleibt zu hoffen, dass wir auch den Minister und dietaatssekretärin mit unserer Argumentation überzeugenönnen.Wir wollen eine Lösung, die sofort und nicht erst inehn oder 15 Jahren greift. Wir sind es unseren Familienchuldig, dass sofort etwas geschieht. So mancher Unfallat Familien ins Unglück gestürzt. Wir Politiker solltenas Machbare auch in Taten umsetzen.
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Gero Storjohann
Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem An-trag zu! Er wirkt – das ist für mich in diesem Fall ganzentscheidend – sofort.
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Iris Gleicke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbedanke mich zunächst einmal ganz ausdrücklich dafür,dass wir hier und heute über den toten Winkel sprechen.Dieses Thema treibe ich seit vielen Monaten voran.
Ich habe großes Verständnis dafür, dass die öffentli-che Diskussion über den toten Winkel zum Teil sehremotional geführt wird; denn die Unfälle, die mit rechtsabbiegenden LKWs passieren, haben ganz schrecklicheFolgen. Das kann niemanden kalt lassen, und, Herr Kol-lege Storjohann, dass lässt auch niemanden kalt.
Ich bin davon überzeugt, dass es auch deshalb künftigweniger solcher Unfälle geben wird, weil dieses wich-tige Thema unterdessen ins Bewusstsein aller Beteiligtengerückt ist.Lieber Kollege Storjohann, ich unterstelle Ihnenwirklich die besten Absichten, aber Ihr Antrag enthälteine Reihe von sachlichen Fehlern. Mir fehlt leider dieZeit, all diese Fehler im Einzelnen aufzuzählen. Deshalbbeschränke ich mich auf einen: die Behauptung, von derEU werde ein vierter Spiegel vorgeschrieben, der dennicht einsehbaren Bereich angeblich wesentlich wenigerverringere als der Dobli-Spiegel, den Sie offensichtlichmeinen. Ich muss Ihnen sagen, dass es eine solche Ver-ordnung bzw. Vorschrift der EU überhaupt nicht gibt.
Durch die EU-Verordnung wird der tote Winkel ebennicht durch einen zusätzlichen Spiegel auf der Beifahrer-seite beseitigt, sondern vor allem durch eine veränderteSpiegelkrümmung und ein dadurch verbessertes Sicht-feld der schon heute vorhandenen Weitwinkelspiegel.Hier liegt offenbar eine Verwechslung mit dem in der Tatvon der EU neu vorgeschriebenen Frontspiegel vor. Erist wichtig, um anders geartete schwere Unfälle zu ver-meiden. Deshalb haben wir bei den Herstellern Druckgemacht, um auch ihn früher als in der EU-Richtlinievorgesehen, einführen zu können. Aber mit dem totenWinkel hat dieser Frontspiegel wirklich überhaupt nichtszu tun.SweöebSgvdscdkAtoFbrednilateznzkjenBvmmbrmAtudltaigad
Wir wollen den toten Winkel schon seit langer Zeiteseitigen. Bereits im Jahr 2001 hat die Bundesregie-ung gemeinsam mit den Niederlanden die Initiative fürine EU-Richtlinie mit verschärften Anforderungen anie rückwärtige Sicht bei LKWs ergriffen. Diese Richtli-ie ist im vergangenen Januar in Kraft getreten. Durchhre Umsetzung wird der tote Winkel entgegen andersutenden Behauptungen von verschiedenen Seiten wei-stgehend ausgeschaltet.An dieser Richtlinie wird jedoch vor allen Dingenweierlei kritisiert: Erstens ist sie erst ab Januar 2007 füreu in den Verkehr kommende LKWs obligatorisch an-uwenden. Das dauert auch mir zu lange. Zweitens isteine Nachrüstung der Fahrzeuge vorgesehen, die schontzt auf unseren Straßen unterwegs sind. Auch das ge-ügt mir nicht.
Aus genau diesem Grunde habe ich dem Deutschenundestag und der Öffentlichkeit im vergangenen Jahrersprochen, mich dieses Problems persönlich anzuneh-en. Das habe ich auch getan. Wir haben schon vorehreren Monaten mit den Fahrzeugherstellern verein-art, dass sie spätestens ab Anfang des kommenden Jah-es alle neuen LKWs laufender Serien, soweit technischöglich, mit verbesserten Spiegeln ausrüsten, um dennforderungen der EU-Richtlinie zu entsprechen.Um, soweit technisch möglich, auch eine Nachrüs-ng auf freiwilliger Basis sicherzustellen, haben wir miten Herstellern außerdem vereinbart, dass sie unverzüg-ich für den jeweiligen Fahrzeugtyp geeignete Aus-uschspiegelgläser mit größerem Sichtfeld zum Einbaun die vorhandenen Spiegelgehäuse auf den Markt brin-en. Das ist bei allen LKWs ab dem Baujahr 2000, aberuch bei vielen älteren Modellen möglich.Wir werden selbstverständlich intensiv dafür werben,ass möglichst alle LKW-Halter von der Möglichkeit der
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Parl. Staatssekretärin Iris GleickeNachrüstung Gebrauch machen. Sowohl für die vorgezo-gene Serienausstattung als auch für die Möglichkeit derNachrüstung müssen wir die Straßenverkehrs-Zulas-sungs-Ordnung ändern. Diese Änderung bringen wirgerade auf den Weg. Damit schreiben wir gleichzeitigdie Verbesserung des für die weitestgehende Beseitigungdes toten Winkels besonders wichtigen Weitwinkelspie-gels auf der Beifahrerseite verbindlich vor. Das bedeutet,dass dieser verbesserte Spiegel spätestens ab Anfang deskommenden Jahres Pflicht sein wird. Wir müssen das beider EU notifizieren, da wir die Richtlinie von uns ausverschärfen; wir wollen schließlich auch importierteFahrzeuge erfassen. Damit muss sich auch der Bundesratbefassen; auch das wird jetzt auf den Weg gebracht.Meine Damen und Herren, das muss so schnell wie mög-lich passieren, je schneller, je lieber.Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Deutsche Bundestag befasst sich wieder einmal mit dem
Thema „Verkehrssicherheit“, insbesondere mit im Stra-
ßenverkehr Getöteten, zu wirklich geeigneter Zeit.
Ich meine das ganz bewusst negativ, weil es ein Problem
ist, das unserer Ansicht nach sicherlich zu lösen ist. Es
wird mit dem von der Union vorgelegten Antrag aus un-
serer Sicht aber nicht völlig rund gelöst. Ich habe den
Eindruck, es ging ein bisschen um die Schnelligkeit; das
muss ich hier einmal ganz deutlich sagen.
Der Antrag muss, wenn er eine gute Beratungsgrund-
lage sein soll, die niederländischen Erfahrungen stärker
berücksichtigen und bezüglich dessen, was man in
Deutschland machen kann und notwendigerweise ma-
chen muss, ausgeweitet werden. Er nimmt aus unserer
Sicht nur einen Teilnehmer am Unfallgeschehen, näm-
lich den schweren LKW, aufs Korn und befasst sich nur
mit einem Problem, dem toten Winkel/Sichtwinkel.
Die Niederlande haben, bevor sie die technische Lö-
sung entwickelt haben, eine breite Kampagne für Ver-
kehrssicherheit gestartet, die dort im Straßenverkehr
bereits seit 2000 zur Senkung der Unfallzahlen der
Kombination „Zweiradfahrer/Fußgänger mit schwerem
LKW“ geführt hat. Seit 2003 ist ein entsprechender
Spiegel vorgeschrieben; seitdem haben sich die Unfall-
zahlen in den Niederlanden nicht mehr signifikant ver-
ringert. Die Zahlen sind aber nicht unbedingt statistisch
belastbar, weil dieser Aspekt bei der Unfallaufnahme
kein Kriterium ist. Das ist das eine Thema.
Das zweite Thema: Natürlich gäbe es aus unserer
Sicht auch noch andere Möglichkeiten, über eine Sicher-
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as sind Lösungen, über die man, wenn man das Pro-
lem wirklich angehen will, aus unserer Sicht in aller
reite diskutieren muss.
Wenn ich die Vorschrift der EU richtig in Erinne-
un
Rede von: Unbekanntinfo_outline
zwei vorne und jeweils zwei an den Seiten. Man
uss bei solchen Vorschriften auch darauf achten, dass
erjenige, der ein Fahrzeug bewegt, noch in der Lage
ein muss, sämtliche Spiegel gleichzeitig mit dem flie-
enden Verkehr im Auge zu behalten. Ich will gar nicht
avon reden, dass man nicht ausschließen kann, dass,
achdem der Fahrer rechts in den Weitwinkelspiegel ge-
chaut und feststellt hat, dass da kein Fahrradfahrer ist,
nd er sich dann mit den anderen Spiegeln befasst, ein
ahrradfahrer auf einem Mountainbike angebrettert
ommt und damit eine neue Gefahrensituation eintritt.
ie völlige Sicherheit vor dieser Situation wird es nicht
eben. Deswegen sind wir sehr dafür – auch im Interesse
er Kinder und der Kinder-Kommission, die das auch
ufgegriffen hat –, dieses Problem zu lösen. Ich bin al-
rdings der Meinung, wir sollten das im Fachausschuss
uf breiter Basis diskutieren – im Zweifel auch eine An-
örung durchführen – und hier tatsächlich Wert auf Qua-
ität der Lösung vor Schnelligkeit der Lösung legen;
ann sind wir, glaube ich, zur Zusammenarbeit im gan-
en Haus bereit.
Danke sehr.
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Hermann von
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die beiden tödlichen Radfahrunfälle von vor un-efähr einem Monat haben in Berlin, aber auch darüberinaus eine heftige Debatte ausgelöst. In den letzten Jah-en ist es immer wieder vorgekommen, dass Radfahrer,ie sich im toten Winkel befunden haben, totgefahrenurden. Das hat aufgerührt.)
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004 9565
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Winfried HermannAn solchen Punkten fragen Eltern und Lehrer immerwieder: Warum bewegt sich in diesem Bereich nichts?Warum greift man dieses Problem nicht auf, obwohl esschon so alt ist, obwohl jedes Jahr vermutlich mehrereHundert Radfahrer aus diesem Grund ums Leben kom-men und es offensichtlich anderswo schon technischeLösungen gibt, dies besser in den Griff zu bekommen?Man fragt sich auch: Wie kann es eigentlich sein, dasseine Automobilindustrie, die allen möglichen elektroni-schen und technischen Schnickschnack in neue LKWsund auch in PKWs einbaut, im Bereich des Spiegels undder Rückblende bislang im Grunde genommen altmodi-sche, vorgestrige Lösungen angeboten hat? Das ist wirk-lich ärgerlich.
Nun ist endlich Bewegung in den Vorgang gekom-men. Auch das Verkehrsministerium hat zusammen mitdem niederländischen Ministerium Druck gemacht, da-mit auf europäischer Ebene etwas geschieht. Sicherbringt die neue europäische Richtlinie einen Fort-schritt. Aber wie die Kolleginnen und Kollegen schonangesprochen haben: Das, was die EU vorgelegt hat, istziemlich unbefriedigend. Denn erstens gilt die Richtlinienur für Neufahrzeuge und auch erst in Jahren und zwei-tens ist sie nur für große LKWs und nicht für kleine vor-gesehen. Sie ist also völlig unzureichend.
Schauen wir uns die Erfahrungen in den Niederlan-den an. Dazu gibt es eine interessante Geschichte. Einniederländischer Junge ist ums Leben gekommen. SeinVater hat keine Ruhe gefunden und hat in wenigen Wo-chen einen neuen Spiegel entwickelt. Dann hat er es ge-schafft, einen Produzenten zu finden und diesen Spiegelin Form einer Freiwilligenkampagne bekannt zu ma-chen. Interessanterweise hat sich damals das Ministe-rium erst gewehrt und gesagt, dass dies nicht funktio-niert. In einem beharrlichen Verfahren hat es dieser Vaterzusammen mit der Initiative geschafft, zuerst eine Phaseder freiwilligen Umrüstung in Holland zu beginnen unddanach eine gesetzliche Umsetzung zu erreichen, wasdazu geführt hat, dass seit den letzten zwei Jahren in denNiederlanden völlig neue Verhältnisse herrschen. Vielehaben diesen so genannten Dobli-Spiegel und tatsächlich– das wurde schon gesagt – sind die Unfallzahlen umüber 40 Prozent zurückgegangen. Ich finde, dass manvon dieser Technik und Erfahrung sowie von dieser bür-gerschaftlichen Initiative lernen kann.
Übrigens gibt es auch in Berlin eine solche Initiative,die meine Kollegin Eichstädt-Bohlig und ich unterstüt-zen. Diese sammelt Geld, damit LKWs umgerüstet wer-den können. Das ist eine gute Sache. Aber ich sage Ihnenauch: Das allein kann nicht ausreichen. Die Bürgerinnenund Bürger erwarten zu Recht, dass Politik alles tut, wassie tun kann: Dort, wo sie durch Vorschriften oder ge-sdtdlSedDbSmsSsNanksnngftgheSsnuIüaVWEwfwSa
ie Erfahrung zeigt, dass man diesen Spiegel sicher an-ringen kann. Das Argument, dass ein neuer Spiegel dieicht behindere, ist ziemlich fragwürdig. Denn dannüsste man eigentlich alle Rückspiegel abschaffen, weilie selbstverständlich auf der einen Seite ein kleinestück ausblenden, aber auf der anderen Seite verschaffenie eine neue große Sicht. Spiegel haben Vorteile undachteile. Deswegen kann ich dieses Argument nichtkzeptieren.Es ist möglich, diesen Spiegel schnell und einfachachzurüsten. Auch das ist ein großer Vorteil. Das Ver-ehrsministerium sollte dies positiver prüfen und nichto kritisch wie bisher. Ich erkenne durchaus an, dass esicht allein mit der Zahl der Spiegel getan ist, sondernatürlich hängt es auch von der Beschaffenheit des Spie-els und vom System insgesamt ab. Aber es ist eine ein-ache und schnelle Lösung, die in der Nachrüstung güns-ig und rasch umzusetzen ist.Wir werden innerhalb der Koalition und mit der Re-ierung noch verhandeln müssen, wie wir weiter vorge-en. Für meine Fraktion sage ich: Wir sehen beim aktu-llen Stand der Informationen gerade in diesem Dobli-piegel eine sehr gute Lösung und glauben, dass wir die-en rasch – und nicht erst in zwei Jahren – und für alle,icht nur für Neufahrzeuge, einführen sollten.
Wir unterstützen die Bundesratsinitiative von Berlinnd Brandenburg, die genau in diese Richtung vorstößt.m Verkehrsausschuss des Bundesrates haben Sie dafürbrigens eine ganz große Mehrheit gefunden. Das wirduch den Bundestag fordern. Ich meine, das ist eine guteorlage des Bundesrates.Ich komme zum Schluss und möchte gerne an dieorte und Gedanken des Kollegen Friedrich anknüpfen.ine auf Spiegel beschränkte Verkehrssicherheitspolitikäre in der Tat sehr beschränkt. Wir brauchen eine um-assend neue Verkehrssicherheitspolitik. Diese müssenir an dem Konzept „Vision Zero“ messen, das inchweden und in der Schweiz seit einigen Jahren sehrmbitioniert erprobt wird.
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9566 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. April 2004
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Winfried HermannWir haben die sehr ambitionierte Vorstellung, dass maneine Politik betreiben muss, die das Ziel hat, dass es imStraßenverkehr möglichst überhaupt keine Verkehrstotenmehr und nur noch möglichst wenige Schwerverletztegibt.
Es ist ungeheuer wichtig, an diesem Ziel hart zu arbei-ten. Dazu müssen wir alle Bereiche konzeptionell ange-hen.Das gilt übrigens auch für die Verkehrserziehung unddas Verhalten der Radfahrer selbst. Auch sie tragen Ver-antwortung und müssen schauen, durch welches Verhal-ten sie sich gefährden. Wir müssen versuchen, durch Re-geln und Vorschriften all das zu erreichen, was möglichist, um Verkehrssicherheit herzustellen, sodass wir zu-künftig keine Radfahrer mehr aufgrund des toten Win-kels als Tote im Straßenverkehr zu beklagen haben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Günter Nooke von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ichmöchte mit der Bemerkung einleiten, dass die Debattetrotz des so ernsten Anlasses eigentlich sehr erfreulichist. Ich muss mich bei meinem Kollegen Hermann be-danken, dass er unseren Antrag hier so freundlich beglei-tet. Frau Staatssekretärin Gleicke, ich denke, es ist wich-tig, dass man nicht nur gute Absichten unterstellt,sondern nach der Debatte auch einräumt, dass der An-trag gut ist.
Ich glaube, es ist auch wichtig, zumindest anzuerkennen,dass durch diese Debatte entsprechender Druck auf dieMinisterien ausgeübt wird, wodurch sie zum Handelngebracht werden. Ich denke, es ist klar, dass wir nichtnur eine Aufklärungskampagne durchführen, sondernauch zum Handeln kommen müssen.Vielleicht sollte ich noch einmal ganz kurz sagen, wo-rum es hier eigentlich geht. Es ist bereits kurz angespro-chen worden, warum ich als Berliner Bundestagsabge-ordneter hier rede. Vor einem Monat – es war am23. März 2004 – ist nicht weit von hier ein neunjährigerJunge gestorben. Er war morgens um 8.15 Uhr mit sei-nem Fahrrad auf dem Weg zur Schule. An der KreuzungBismarckstraße/Kaiser-Friedrich-Straße hatte er grünesAmpellicht. Er wurde von einem LKW erfasst und getö-tet. Der LKW-Fahrer wollte rechts abbiegen und hatteden Neunjährigen auf dem Radweg nicht gesehen. MichbwfKdtHhhdPianmdltdlrsBhItgfEoBEkRvvgmwswNwdtgMtae
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Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Heidi Wright von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diefortwährende Aufgabe, Verkehrssicherheit insbesonderefür schwächere Verkehrsteilnehmer zu gewährleistenund zu verbessern, führte zu dem vorliegenden Antrag.Wir alle wollen keinen toten Winkel bei Lastkraftwagen.Das eint uns: alle Politiker, alle LKW-Fahrer, alle, diediesen LKWs im Straßenverkehr begegnen, und dieFahrradfahrer, die sich gefährdet fühlen.Besorgte Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Müt-ter, sind durch tragische Todesfälle bei Unfällen zwi-schen LKWs und Fahrradfahrern aufgeschreckt. Auchich habe solche Zuschriften bekommen. Wir alle nehmenddvLnfeninngsinLsmDdGmEdvRssSAmJUaduntdWn
Was ist wirklich zielführend? Zielführend ist, dassicht nur einige niederländische oder einige deutscheKWs mit einem weiteren Spiegel ausgestattet werden,ondern dass alle europäischen LKWs verkehrssichererit Spiegelsystemen ausgestattet werden.
ies ist bereits eingetütet, also beschlossen, und durchie Arbeit der Parlamentarischen Staatssekretärin Irisleicke mächtig mit Dampf versehen.So hat die Bundesregierung bereits im Jahre 2001 ge-einsam mit den Niederlanden eine Initiative bei deruropäischen Kommission gestartet;
enn auch in den Niederlanden wird die Notwendigkeiton Verbesserungen gesehen. Das Resultat ist die EU-ichtlinie 2003/97 – in Kraft seit Januar 2004 –, die ver-chärfte Anforderungen für die rückwärtige Sicht vor-ieht. Ein LKW mit 7,5 Tonnen hat in Zukunft sechspiegel.
uch eine Ausrüstung mit einem Kamerasystem istöglich.
etzt geht es um den mühseligen Gang der vollständigenmsetzung und um die Übergangsfristen. Das kann unslle hier im Parlament und in der Regierung nicht befrie-igen. So hat Staatssekretärin Gleicke auch da die Sachenter Dampf gesetzt. Wir werden die Übergangszeitenicht ausschöpfen, sondern mächtig vorziehen.Es gibt drei Verbesserungen: Erstens. Eine Ausstat-ung mit einem modifizierten Weitwinkelspiegel aufer Beifahrerseite, der für die Verringerung des toteninkels besonders wichtig ist, soll ab Februar 2005 füreue Fahrzeuge möglich sein.
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Heidi WrightZweitens. Darüber hinaus soll der neue Frontspiegel,wie in der Richtlinie vereinbart, durch die deutschenFahrzeughersteller ebenfalls ein Jahr früher zur Verfü-gung stehen.Drittens. Wir wollen die Nachrüstung – die ist in derEU-Richtlinie leider gar nicht geregelt – regeln. Es hateine Vereinbarung des Ministeriums mit der Fahrzeugin-dustrie gegeben. Für die jeweiligen Fahrzeugtypen wer-den geeignete Austauschspiegelgläser mit stärkererKrümmung und größeren Sichtfeldern zum Einbau in
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2823 an den Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen vorgeschlagen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
die vorhandenen Spiegelgehäuse hergestellt.
Sie sehen – das sollten wir auch den besorgten Bürge-
rinnen und Bürgern gemeinsam deutlich machen –: Ver-
kehrssicherheit ist ein wichtiges Anliegen der Bundesre-
gierung und die nationalen Initiativen, aber auch die
europäischen Regelungen sind auf Verbesserung ausge-
richtet.
Ich warne vor scheinbar einfachen Lösungen und gar
vor der Unterstellung, diese würden blockiert. Nachhal-
tige Lösungen sind meist etwas kompliziert, was uns je-
doch nicht abhalten kann. Wenn einfache Teillösungen
möglich sind, wie der in den Niederlanden verwendete
Dobli-Spiegel, so können diese selbstverständlich ge-
nutzt werden. Keiner verbietet sie. Allerdings wird ein
Dobli-Spiegel nicht in der StVZO vorgeschrieben wer-
den. Das ist auch in den Niederlanden nicht der Fall.
Zum Schluss: Ich danke ausdrücklich der Parlamenta-
rischen Staatssekretärin Iris Gleicke für die intensiven
Vorarbeiten mit der deutschen Fahrzeugindustrie und für
das Vorziehen der EU-Richtlinie. Mit diesen Grundlagen
müssen wir ganz schnell politisch dafür sorgen, dass die
Veränderung der StVZO auf den Weg gebracht wird.
Auch die fakultativen Möglichkeiten eines Dobli-Spie-
gels werden wir klären. Es liegt jedoch an den Ländern,
im Bundesrat die Veränderung der StVZO zügig durch-
zuwinken. Das Signal der heutigen Debatte muss sein:
Wir sind uns einig in dem Ziel für mehr Verkehrssicher-
heit. Ich bin mir sicher, dass wir uns auch ganz schnell
über das Wie einig werden.
Wichtig ist jedoch bei allem das öffentliche Bewusst-
sein; das hat der Kollege Friedrich bereits angesprochen.
Die persönliche Vorsicht und Voraussicht jedes einzel-
nen Verkehrsteilnehmers, ob LKW- oder Fahrradfahrer,
sind ebenfalls wichtig. Sie können auch durch noch so
gute technische Möglichkeiten und viele Spiegel nicht
ersetzt werden.
Vielen Dank.
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Laurischk, Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung zum
40. Jahrestag des Élysée-Vertrags – Regionale
und interregionale Zusammenarbeit – Schaf-
fung von Eurodistrikten
– Drucksache 15/1111 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Die Redebeiträge zu dieser Debatte sollen zu Proto-
oll genommen werden. Die Rede des Staatsministers
ans Martin Bury ist zu Protokoll gegeben worden. Von
er CDU/CSU haben Dr. Andreas Schockenhoff und
unther Krichbaum, vom Bündnis 90/Die Grünen Anna
ührmann und von der FDP Sibylle Laurischk ihre Re-
en zu Protokoll gegeben. Eine Aussprache findet nicht
tatt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 15/1111 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 30. April 2004, 9 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.