Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieverbundene Tagesordnung erweitert werden. DiePunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktlisteaufgeführt:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Haltung der Bundesregierung zur Finanzsituation beimFernstraßenbau
ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachArt. 77 des Grundgesetzes zu demGesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäfti-gung schwerbehinderter Menschen– Drucksachen 15/1783, 15/2357, 15/2557, 15/2830 –Berichterstattung:Abgeordnete Gudrun Schaich-Walchb) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachArt. 77 des Grundgesetzes zu demGesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfech-tung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Be-zugspersonen des Kindes und zur Einführung von Vor-drucken für die Vergütung von BerufsbetreuernRedet– Drucksachen 15/2253, 15/2492, 15/2716, 15/2831 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Joachim Hackerc) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nachArt. 77 des Grundgesetzes zu demGesetz zur Umsetzung des Beschlusses desRates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung vonEurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schwe-ren Kriminalität
– Drucksachen 15/1719, 15/2484, 15/2717, 15/2832 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Joachim Hackerd) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts desFinanzausschusses zu derdurch die Bundesregierung: Vorschlag für eides Rates zur Änderung der Richtlinie 20Hinblick auf die Möglichkeit der Anwendugehender Steuerermäßigungen und Steue
Übersicht 6 über die dem Deutschen Bundestag zugelei-teten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht– Drucksache 15/2834 –f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-ses
Sammelübersicht 108 zu Petitionen– Drucksache 15/2835 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-ses
Sammelübersicht 109 zu Petitionen– Drucksache 15/2836 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-ses
Sammelübersicht 110 zu Petitionen– Drucksache 15/2837 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-ses
extSammelübersicht 111 zu Petitionen– Drucksache 15/2838 –j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschus-ses
Sammelübersicht 112 zu Petitionen– Drucksache 15/2839 –ZP 3 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen
– Drucksache 15/2816 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
sschusssschussusschussusschussgungsausschussUnterrichtungne Richtlinie03/96/EG imng vorüber-rbefreiungenInnenauSportauRechtsaFinanzaVerteidi
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9148 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Präsident Wolfgang ThierseAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENVerabschiedung eines Optionsgesetzes– Drucksache 15/2817 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussSportausschussRechtsausschussFinanzausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden.Darüber hinaus sollen abgesetzt werden: Tagesord-nungspunkt 17 – Alterseinkünftegesetz –, Tagesord-nungspunkt 20 – Allokationsplan-Gesetz –, Tagesord-nungspunkt 23 h – Sperrzeiten für Außengastronomie –,Tagesordnungspunkt 23 i – Arbeitserlaubnis für auslän-dische Saisonarbeitskräfte.Des Weiteren sollen der Tagesordnungspunkt 5 – Re-form des Sanktionsrechts – erst nach Tagesordnungs-punkt 7 und der Tagesordnungspunkt 19 – Erneuerbare-Energien-Gesetz – vor Tagesordnungspunkt 18 aufgeru-fen werden.Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisun-gen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:Der in der 63. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlichdem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend und dem Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung zur Mitberatung überwie-sen werden.Gesetzentwurf zur Änderung der Abgaben-ordnung– Drucksache 15/904 –überwiesen:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Kultur und MedienüAwI
der CDU/CSU: Auswärtige Kultur- und Bil-dungspolitik stärken– Drucksache 15/2647 –überwiesen:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussSind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? –ch höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherungund Förderung des Fachkräftenachwuchses undder Berufsausbildungschancen der jungen Gene-
– Drucksache 15/2820 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für TourismusAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Christoph Hartmann , RainerBrüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPAusbildungsplatzabgabe verhindern – Wirt-schaft nicht weiter belasten – Berufsausbil-dung stärken– Drucksache 15/2833 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für TourismusAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschuss
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Präsident Wolfgang ThierseNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem KollegenJörg Tauss, SPD-Fraktion, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir bera-ten heute einen Gesetzentwurf, der mit Sicherheit zu denbedeutenden Gesetzentwürfen gehört; schließlich geht esum die Zukunft der jungen Generation.
Es wäre also wichtig, dass dieses Thema ernsthaft debat-tiert wird. Ich muss Ihnen aber sagen, dass die Diskus-sion um diesen Gesetzentwurf noch vor Vorlage des Tex-tes in einem Maße von Propaganda, Desinformation,falschen Zahlen und falschen Behauptungen begleitetwar, wie ich es selten erlebt habe. Ich hoffe, dass die De-batte am heutigen Tag dazu beiträgt, die Diskussion zuversachlichen.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Die „FinancialTimes Deutschland“, ein Blatt, von dem man erwartenkönnte, dass die Redakteure die normale Multiplikationmit der Zahl Tausend beherrschen, hat sich bei den ohne-hin übertriebenen Verwaltungskosten, die ermitteltwurden, um eine blanke Null getäuscht. Es wurde daringeschrieben, die Kosten betrügen 730 Millionen Euro.Das ist falsch. Es sind 73 Millionen Euro. Niemandenhat das aber daran gehindert, die Zahl 730 MillionenEuro weiter abzuschreiben. – So viel zum Thema Desin-formation mit falschen Zahlen. Ich hoffe, dass sich hieretwas ändert.
Wir haben diese Woche Interviews sehen können, indenen Kleinunternehmer als vermeintlich Betroffene be-fragt wurden. Wie sich herausgestellt hat, bekämen dieBetriebe, die dort genannt wurden, nach unserem GesetzGeld. Auf die Frage, warum das so gesendet wurde,wurde uns mitgeteilt, es handle sich um Funktionäre desArbeitgeberverbandes. Das ging aus den Berichten abernicht hervor. Ich habe also die herzliche Bitte an alle,auch an diejenigen, die oben auf der Tribüne sitzen, umüber diese Debatte zu berichten, zur Sachlichkeit zu-rückzukehren.Wer nicht zu Wort kam, das waren die Jugendlichenin diesem Land, das waren junge Menschen, die Ausbil-dungsplätze suchen und brauchen. Um diejenigen solltenwir uns kümmern.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich war ineinem Wahlkreis kürzlich in einem Unternehmen, dasein 25-jähriges Jubiläum gefeiert hat. Der Chef hat beieiner Ansprache gesagt, er erfülle sich nun einen Her-enswunsch, indem er eine Ausbildungswerkstatt ein-ichten werde. Das brauchen wir: Wir brauchen Unter-ehmer, deren Herzensanliegen es ist, der jungeneneration eine Zukunft zu geben, und keine Unterneh-er, die sich aus ihrer Verantwortung verabschieden.
us diesem Grunde bedanke ich mich nochmals aus-rücklich bei den 23 Prozent der Betriebe, die ausbildennd ohne Entlastung heute allein die Verantwortung fürie Ausbildung der jungen Generation im dualen Be-eich übernehmen.Ich bedauere es sehr, dass sich nun auch Funktionäreer Unternehmerverbände – damit meine ich durchausuch Herrn Hundt –, die in der Vergangenheit selbst ei-en Beitrag dazu geleistet haben, solche Ausbildungs-lätze zur Verfügung zu stellen, zum Sprachrohr dererachen, die nicht ausbilden. Das ist eine verkehrte Welt.ir brauchen Unternehmerfunktionäre, die sich hinterie Betriebe stellen, die ausbilden, und nicht hinter die,ie nicht ausbilden. Vor dieser gesellschaftlichen He-ausforderung stehen wir.
Weil nur 23 Prozent der Betriebe ausbilden – ich sageoch einmal: bei diesen bedanken wir uns herzlich –, hatich die Zahl der Ausbildungsplätze seit dem Jahr 2000m weitere 11 Prozent reduziert. Wir haben fast wiederie Situation des Jahres 1998, die Sie uns überlassen ha-en. Dieser Trend, der sich über viele Jahre fortgesetztat, setzt sich auch weiterhin fort. Heute Morgen standn einer Tickermeldung, dass die Zahl der Ausbildungs-nfänger auf ein Rekordtief gefallen ist. Im vergangenenahr gab es 3 600 weniger neu besetzte Lehrstellen. Mitiesen nackten Zahlen haben wir es trotz aller Anstren-ungen vieler in der Wirtschaft und der Politik, die aneiner Stelle gering geschätzt werden sollen, zu tun.In diesem Zusammenhang bedanke ich mich aus-rücklich bei Bundeswirtschaftsminister Clement undundesministerin Edelgard Bulmahn, die alles getan ha-en, was möglich war, um dafür zu werben, dass dieirtschaft auf freiwilliger Basis genügend Ausbildungs-lätze zur Verfügung stellt. Herzlichen Dank allen in deresamten Bundesregierung und auch vielen Kolleginnennd Kollegen hier, die sich hierum gekümmert haben!
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Jörg Tauss– Frau Kollegin Flach, ich konnte Sie nicht verstehen, eswar zu leise. Sie haben irgendetwas angemerkt, soweitich das verstanden habe. Wir können uns aber gernenoch einmal unterhalten.Zum Ende des letzten Ausbildungsjahres waren35 000 Jugendliche unversorgt. Das sind 11 000 mehrals im Vorjahr. Das bedeutet ein Plus bei der Zahl derUnversorgten um fast 50 Prozent. Diesen standen nur15 000 unbesetzte Ausbildungsplätze gegenüber. DieLücke hat sich gegenüber dem Vorjahr also vervierfacht.Dabei sind die Jugendlichen, die in Ersatzmaßnahmengehen, nicht mit eingerechnet. Ich meine damit insbe-sondere diejenigen, die in ein Berufsvorbereitungsjahrgehen. 2003 waren das – das müssen wir hinzurechnen –46 700 Jugendliche.Weil in diesem Zusammenhang immer gefragt wird,was der Staat tue, sage ich Ihnen: Jeder neunte Ausbil-dungsplatz wird heute voll aus Steuern finanziert. Damitdies möglich ist, haben wir 733 Millionen Euro ausSteuermitteln aufgebracht. Daneben wenden wir2,2 Milliarden Euro für die Berufsvorbereitung undQualifizierung auf. Dies zeigt deutlich: Der Staat ziehtsich aus seiner Verantwortung nicht zurück. Ganz imGegenteil: Wir nehmen unsere Verantwortung insbeson-dere auch für die Jugendlichen, die noch nicht berufsreifsind – wir wissen, dass es welche gibt –, wahr.Die teilweise erhobenen Vorwürfe der Wirtschaft, dieUmlage führe zu einer Verstaatlichung der Berufsausbil-dung, ist angesichts dieser Zahlen falsch.
Es gibt einen schleichenden Prozess der Verstaatlichung.Diesen wollen wir stoppen, indem wir wieder stärker andie Verantwortung der Wirtschaft appellieren.
Die Ausbildung in der Wirtschaft hat Priorität; dies istfür uns klar. Deshalb führen wir mit diesem Gesetz einUmlagesystem ein, mit dem zusätzliche betrieblicheAusbildungsplätze gefördert werden. Diesen Punkthalte ich für wichtig. Wir haben ihn mit unserem Koali-tionspartner ausdrücklich besprochen. Mit diesem Ge-setzentwurf wollen wir die betriebliche Ausbildung stär-ken. Das hat absolute Priorität.
Umlagepflichtig werden alle Betriebe mit zehn undmehr Beschäftigten sein. Selbstverständlich werdenTeilzeitbeschäftigte entsprechend einem Schlüssel ange-rechnet. Alle Betriebe – das ist die gute Nachricht fürdiejenigen, die die Ausbildungsquote von 7 Prozent er-füllen – werden gefördert. Wer seine Ausbildungsleis-tung nachweislich steigert, wird ebenfalls gefördert.Dies ist ein ganz wichtiges Signal. Außerdem ist es einwichtiges Signal, dass auch Betriebe gefördert werden,die nicht umlagepflichtig sind, also kleinere Betriebe.Sie können durch unser Gesetz von der Umlage profitie-ren.QdtTtm7wVusdmWmrmEkdsdFsuwlewnsshMusrpKwhmfe1eeli
Gelegentlich wird gefragt: Wie kommt es zu deruote von 7 Prozent? Interessanterweise sind es geradeie kleinen und mittleren Betriebe, die ihrer Verantwor-ung nachkommen. Herr Brüderle, Sie sollten sich beimhema Mittelstand nicht vor den Karren der großen Be-riebe spannen lassen. Die Großbetriebe mit 500 oderehr Beschäftigten sind es, die diese Quote vonProzent nicht erfüllen. Aus diesem Grunde tun wir hierirklich etwas für kleine und mittlere Betriebe, die ihrererantwortung nachkommen.Alle anderen Betriebe wollen wir in der Tat an Kostennd Lasten von Ausbildung beteiligen. Es kann, wie ge-agt, nicht sein, dass wenige Betriebe für alle anderenie Ausbildung des Fachkräftenachwuchses überneh-en. Ich will nochmals festhalten: Ausbildung ist keineohltätigkeitsveranstaltung und kein soziales Engage-ent. Es ist vielmehr eine Pflicht und liegt im Eigeninte-esse der Wirtschaft zur Sicherung ihrer Zukunft. Diesuss man einigen immer wieder deutlich machen.
s geht um die Sicherung des Nachwuchses. Über Fach-räftemangel zu klagen und gleichzeitig nicht auszubil-en ist nicht nur dreist, sondern ein teilweise sehr kurz-ichtiges Verhalten.Wir wollen – auch das möchte ich deutlich machen –en öffentlichen Dienst nicht ausnehmen. Es gab solcheorderungen. Ich kann mir aber nicht ernsthaft ein Ge-etz vorstellen, das die Wirtschaft in die Pflicht nimmtnd den öffentlichen Dienst außen vor lässt. Das wollenir nicht. Wir werden prüfen, wie andere Ausbildungs-istungen, die bereits heute im Umlagesystem erbrachterden, beispielsweise in der Krankenpflege, angerech-et werden können. Aber auf die Forderung, die Wirt-chaft solle allein ausbilden und öffentliche Arbeitgeberollten ausgenommen werden, wollen wir nicht einge-en.Reden wir einmal von den Belastungen, über die imoment so viel geschrieben und gejammert wird. Nachnserem Gesetzentwurf würde ein Betrieb mit 100 Be-chäftigten und ohne einen einzigen Auszubildendenund 23 000 Euro an Umlage für fehlende Ausbildungs-lätze zahlen müssen. Ich habe mir gestern in ein paaratalogen der deutschen Automobilindustrie angesehen,elche Autos ich für 23 000 Euro bekommen würde. Ichabe nicht sehr viele Fahrzeuge gefunden, mit denenan wirklich etwas anfangen kann. Die Aufwendungenür die Umlage erreichen noch nicht einmal den Preis fürinen Mittelklassewagen. Ich glaube, einem Betrieb mit00 Beschäftigten wäre es zumutbar, Aufwendungen zurbringen, die unter dem Preis für ein Auto liegen, umtwas zur Zukunftssicherung beizutragen. Jeder zusätz-che Auszubildende reduziert diese Summe.
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Jörg TaussZum Abschluss: Jahrelange Appelle und Absichtser-klärungen haben nachweislich nicht zu dem erhofftenErgebnis geführt. Wir wollen mit diesem Gesetz ein Si-gnal setzen, damit sich die Tarifvertragsparteien, die Ar-beitgeber und die Arbeitnehmer, die Gewerkschaftenund die Verbände, zusammensetzen, um Tarifverträgezu diesem Thema abzuschließen, so wie das in einigenBranchen schon getan wurde. Ich erinnere an die Bau-und die Chemieindustrie, den Garten- und Landschafts-bau sowie die Metallindustrie. Wir begrüßen es sehr,dass die Industriegewerkschaft Metall und die Metallar-beitgeberverbände zugesichert haben, zu prüfen, ob siein Tarifverhandlungen eintreten, um zu Lösungen imSinne der jungen Generation zu kommen. Genau daswollen wir. Uns geht es nicht prinzipiell um ein Gesetz,sondern uns geht es in diesem Zusammenhang um eineLösung des Problems.
Der Bundeskanzler hat am 14. März letzten Jahres inseiner Rede zur Agenda 2010 ganz klar gesagt: Wennnicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung ste-hen, müssen wir zu gesetzlichen Regelungen kommen.Dies wollen wir jetzt tun. Ich will dies mit einem Hin-weis auf die junge Generation verbinden, über die FranzMüntefering völlig berechtigt mehrmals erklärt hat: Vie-len Jugendlichen, die aus der Schule kommen, wird ge-sagt, ihr habt euch zwar angestrengt, aber ihr bekommtkeine Lehrstelle und damit auch keinen Job; es gibt nurStütze und mit 25 Jahren werdet ihr abgeschrieben. Aberhaltet den Mund und lasst uns in Ruhe! – Eine solcheGesellschaft stellen wir uns nicht vor. Wir wollen eineGesellschaft, in der die Verantwortung für die junge Ge-neration von allen übernommen wird: von der Wirt-schaft, vom Staat und allen anderen Beteiligten.
Ich hoffe, das gilt ein Stück weit auch für die Opposi-tion. Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! BeteiligenSie sich konstruktiv an diesem Prozess!Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort Kollegen Friedrich Merz, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wer will bestreiten, dass wir allen Grund haben, unsSorgen um die Ausbildung der jungen Menschen inDeutschland zu machen? Wer will bestreiten, dass dieseine der wichtigsten Aufgaben ist, vor die Politik undGesellschaft in Deutschland gestellt sind, nämlich dafürzu sorgen, dass unter schwierigsten wirtschaftlichen Be-dingungen gerade junge Menschen – ich stimme IhnenhaWrshsdEwgl–R–dzeaGsvSsegdFdgBEnbldcP
s ist doch ganz offenkundig so, Herr Tauss, dass das,as Sie hier heute Morgen vorlegen – es hat etwas Tra-ikomisches, dass dies ausgerechnet am 1. April vorge-egt wird
in auffallendem Gegensatz zu dem steht, was aus deneihen der Bundesregierung zu hören ist.
Ihre Zwischenrufe zeigen nur, wie nervös Sie gewor-en sind, nachdem Ihr neuer Vorsitzender dies zu seinementralen Projekt der nächsten Wochen gemacht hat.Wenn eine SPD-Bundestagsfraktion tagt und nichtinmal die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist undnschließend ein Viertel der Abgeordneten gegen diesenesetzentwurf stimmt, dann zeigt das, in welchem Zu-tand Ihre Fraktion ist und was Sie uns heute Morgenorgelegt haben. Es ist unglaublich, wie Sie arbeiten!
ie können mit Ihren Zwischenrufen versuchen, mich zutören; aber das wird Ihnen nicht gelingen. Schauen Sieinmal auf die Regierungsbank. Da sitzt nicht ein einzi-er der Minister, die eigentlich für diese Aufgabe zustän-ig wären.
rau Bulmahn sitzt dort hinten. In der ersten Reihe fehlter Bundeswirtschaftsminister, der sich ausdrücklich da-egen ausgesprochen hat. In der ersten Reihe fehlt derundesfinanzminister.
s ist gerade Kernzeit des Deutschen Bundestages undicht irgendeine Nachtsitzung. In der Kernzeit fehlen dieeiden zuständigen Ressortminister, die sich ausdrück-ich gegen dieses Gesetz ausgesprochen haben. Es istoch keine Überraschung, dass sie heute Morgen fehlen.
Nun müssen wir uns in der Tat fragen, welche Ursa-hen es hat, dass wir im Jahr 2004 erneut ein solchesroblem mit Ausbildungsplätzen haben. Ich kann Ihnen
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Friedrich Merznicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass dies nach einersolchen Insolvenzwelle – wir haben im letzten Jahr40 000 Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ver-zeichnet; im Jahr davor waren es 36 000 – nicht ausblei-ben kann. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieserBundesregierung und diese Insolvenzwelle sind wesent-liche Ursachen dafür, dass in Deutschland nicht genü-gend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden.Es sind nicht die Unternehmer in Deutschland, denen esan Patriotismus mangelt. Das ist der eigentliche Hinter-grund.
Nun sind Sie sich über die Wirkung dessen, was Sieheute Morgen vorgelegt haben, offensichtlich nur zumTeil im Klaren. Ich will Sie auf zwei Sachverhalte hin-weisen, die von erheblicher Bedeutung sein werden,wenn dieses Gesetz jemals Wirklichkeit würde. Zum ei-nen haben Sie das Stichwort selbst genannt: Wir steuernmit einer solchen Entscheidung auf eine endgültige unddauerhafte Verstaatlichung der beruflichen Bildung zu.
Wenn die Unternehmer in Deutschland wissen, dass siediese Abgabe zahlen müssen, dann werden sie jede An-strengung, auch über den eigenen Bedarf hinaus auszu-bilden, einstellen und die Abgabe zahlen. Als Ergebniswird das duale System der beruflichen Bildung, dasauf der Welt noch immer als Vorbild gilt, endgültig zuGrabe getragen. Die Ausbildungsplatzabgabe, die Sieheute Morgen vorgeschlagen haben, wird die Ursachesein.Sie sind sich offensichtlich über einen zweiten Sach-verhalt nicht im Klaren, der noch dramatischer ist. Selbstwenn Sie das Erste, was ich gesagt habe, bestreiten, kön-nen Sie das Zweite nicht bestreiten. Stellen Sie sich vor,eine solche Abgabe würde eingeführt. Das hätte dochzur Folge, dass sich diejenigen, die in besonders an-spruchsvollen Berufen ausbilden, wodurch Kosten inden Unternehmen verursacht werden, die über dieSumme dieser Ausbildungsplatzabgabe hinausreichen,von ihren Ausbildungsverpflichtungen freikaufen wer-den, weil sie sich ausrechnen können, dass es betriebs-wirtschaftlich sinnvoller ist, die Abgabe zu zahlen alsauszubilden.
Von dieser Abgabe werden diejenigen profitieren, die inrelativ einfachen Berufsbildern ausbilden, mit der fata-len Folge, dass die Qualifikation in den Berufen, in de-nen der Ausbildungsbedarf am höchsten ist, in den Be-trieben nicht mehr vermittelt wird und dass die wenigergut qualifizierten Berufsbilder durch die Abgabe sub-ventioniert werden. Das ist das Gegenteil von Qualifika-tion und wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen, die wir ge-genwärtig in Deutschland brauchen.
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it der Folge, dass die öffentlichen Kassen durch eineolche Abgabe zusätzlich belastet werden. Der Finanz-inister hat völlig Recht, dass eine zusätzliche Belas-ung dadurch entsteht, dass die Ausbildungsabgabe deretriebe als Betriebsausgabe und -aufwand abzugsfähigst und dass auf die öffentlichen Haushalte erheblicheusätzliche Steuerausfälle zukommen.
as ist das Gegenteil dessen, was die öffentlichen Finan-en in diesen Tagen und Wochen brauchen.
Sie haben auf die freiwilligen Vereinbarungenbesser: auf die Tarifvereinbarungen – Bezug genom-en. Es hätte den Tarifvertragsparteien in Deutschlandber nichts im Wege gestanden, schon in früheren Jahrenessere Ausbildungstarifverträge zu verabschieden.
Ich bedanke mich sehr für den Beifall. Ich habe das anieser Stelle auch schon bei anderer Gelegenheit festge-tellt. Es hätte den Tarifvertragsparteien durchaus gutngestanden, in ihren Ausbildungstarifverträgen dierage zu beantworten, ob nicht etwa die berufliche Bil-ung in den Betrieben mittlerweile ein wenig zu teuereworden ist
nd ob nicht möglicherweise die Ausbildungsordnungenahin gehend überprüft werden müssen, ob es nicht bes-er wäre, wenn die Auszubildenden längere Zeiten inen Betrieben und weniger in den Berufsschulen ver-eilten.Alle diese Fragen hätten die Tarifvertragsparteienängst beantworten können, wenn sie sich ihrer Verant-ortung gestellt hätten. Sie haben das aber nicht getan,eil sie auch von Ihrer Seite immer wieder ermuntertorden sind, auf diesem Weg weiter voranzuschreiten.urch die Ausbildungsplatzabgabe bekommen sie jetztie Bestätigung der Richtigkeit ihres Vorgehens in denetzten Jahren, das aber – objektiv gesehen – auch schonn diesem Zeitraum falsch gewesen ist.
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– Herr Tauss, regen Sie sich nicht so auf! Wir sind lang-sam um Ihre Gesundheit besorgt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch da-rauf hinweisen, dass die freiwilligen Vereinbarungen nurdann erfolgreich sein können, wenn diese auch die regio-nal unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen ausrei-chend berücksichtigen. Solche freiwilligen Vereinbarun-gen oder Tarifvereinbarungen, die Sie heute Morgen zuRecht als möglich und notwendig dargestellt haben, wer-den nicht zustande kommen, wenn mit dem von Ihnenvorgelegten Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag undmöglicherweise im Bundesrat ein bundesweit einheitli-ches Gesetz verabschiedet wird. Denn Sie haben keineÖffnungsklauseln vorgesehen, die regional unterschied-liche Antworten auf sehr unterschiedliche Arbeitsmarkt-und Ausbildungsplatzbedingungen zulassen. Das heißt,was Sie heute Morgen als richtig anerkannt haben, ist inIhrem Gesetzentwurf nicht enthalten. Es sind keine re-gionalen Bündnisse für Ausbildung möglich, weil derGesetzentwurf keine entsprechende regionale Differen-zierung zulässt.Sie wissen im Übrigen selbst, warum Sie keine ent-sprechende Regelung in den Gesetzentwurf aufgenom-men haben. Denn mit ziemlich großer Sicherheit wäreein solcher Gesetzentwurf zustimmungspflichtig. Dannmüsste der Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmenund damit wäre richtigerweise das Ende dieses Gesetzesendgültig besiegelt gewesen.
Abschließend erlaube ich mir, die Frage zu stellen,auf welcher Rechtsgrundlage Sie eine solche Abgabestaatlicherseits erheben zu können meinen.
Worum geht es in dem von Ihnen vorgelegten Gesetzent-wurf eigentlich? Eine solche Abgabe erfordert nach un-serem Grundgesetz eine entsprechende Grundlage.
Dafür brauchen Sie eine entsprechende Gesetzgebungs-kompetenz.Handelt es sich bei der Abgabe um eine Gebühr? –Mit ziemlich großer Sicherheit nicht; denn es handeltsich ja nicht um eine unmittelbare Gegenleistung für dieInanspruchnahme eines staatlichen Angebots. Handelt essich möglicherweise um eine Steuer? Wenn die Abgabeeine Steuer wäre, dann bin ich ziemlich sicher, dass Ih-nen dafür die entsprechende verfassungsrechtlicheGrundlage fehlen würde. Es ist also kein Wunder, dassnicht nur der Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister so-wie der Bundesfinanzminister – der eine aus wirtschafts-politischen, der andere aus finanzpolitischen Gründen –ihre Bedenken gegen das Gesetz geäußert haben.GasgadzseIgstIhsIDrdIdapWgJtwumDaEStZdwL
anz offensichtlich hat es auch in der ersten Ressort-bstimmung der Bundesregierung erhebliche verfas-ungsrechtliche Bedenken gegen ein solches Gesetz ge-eben. Es wäre gut, wenn heute Morgen der eine oderndere von der Koalition, vielleicht sogar jemand voner Bundesregierung,
u der Frage Stellung nehmen würde, ob das Grundge-etz der Bundesrepublik Deutschland es Ihnen überhauptrlaubt, eine solche Abgabe zu erheben.
ch sage Ihnen das alles nicht, um formelle Einwendun-en gegen ein in der Sache falsches Gesetz zu erheben,ondern deshalb, weil Sie in diesem Staat nicht einfachun und lassen können, was Sie wollen, je nachdem wiehre innerparteiliche Diskussionslage dies erfordert. Sieaben sich an Regeln zu halten. Das gilt auch und insbe-ondere bei diesem Gesetz.
n diesem Sinne werden wir in den nächsten Wochen dieebatte mit Ihnen über den Gesetzentwurf streitig füh-en.Ich möchte zum Abschluss nur sehr deutlich sagen,ass wir jeden konstruktiven Beitrag, selbst wenn er vonhnen kommt, unterstützen werden,
er dazu führt, dass am Ende des Jahres 2004 möglichstlle Jugendlichen in Deutschland einen Ausbildungs-latz haben. Nur eines scheint mir bei Fortsetzung derirtschafts-, der Finanz- und der Sozialpolitik der rot-rünen Koalition wirklich sicher zu sein: Im Verlauf desahres 2004 wird es nicht besser, sondern weiter schlech-er werden. Die Zahl der Insolvenzen in diesem Landird weiter steigen. Mit der Zunahme bei Insolvenzennd Arbeitsplatzverlusten werden leider auch immerehr Ausbildungsplätze in Deutschland verloren gehen.ann können Sie so viele Abgaben – in welcher Höheuch immer – erheben, wie Sie wollen, Sie werden amnde des Jahres vor einem riesengroßen, zusätzlichencherbenhaufen stehen. Dann wird dieses Gesetz bedeu-ungslos sein. Das Einzige, was man dem mit einigemynismus abgewinnen könnte, wäre, dass dies den Nie-ergang der Bundesregierung weiter beschleunigenürde. Aber es ist ein verdammt hoher Preis, den diesesand dafür zahlen muss.
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Ich erteile das Wort Kollegin Dr. Thea Dückert, Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Merz hat am Anfang etwas Richtiges ange-merkt: Jeder Jugendliche, jede junge Frau und jederjunge Mann, in diesem Land braucht ein Ausbildungsan-gebot – das ist völlig klar. Sie brauchen eine Perspektive.Wir wissen schließlich, dass Jugendliche, die keinenAusbildungsabschluss haben, eine ganz schlechteErwerbsbiografie vor sich haben und dass in Zukunftunsere Wirtschaft mit einem Fachkräftemangel kämpfenwird. Deswegen ist die Anmerkung von Herrn Merzrichtig. Aber seine einzige Antwort auf die Frage, waswir tun können, war: Wir sollen die Ausbildungsvergü-tungen senken. Lieber Herr Merz, ich finde, dass das derAprilscherz des heutigen Tages ist.
Ich sage Ihnen eines: Die von uns vorgeschlagene Um-lage, die nichts anderes als ein Konzept des Handelns ist,wird jedem Betrieb, der ausbildet, mehr bringen als das,was Sie auf Kosten der Auszubildenden vorschlagen,nämlich die Senkung der Ausbildungsvergütungen.
Ein weiterer Punkt: Herr Merz, Sie haben darauf hin-gewiesen, dass die hohe Zahl der Insolvenzen des letztenJahres zwangsläufig zu einem Rückgang der Zahl derAusbildungsplätze führe. Herr Merz, auch Sie leiden of-fenbar unter dem kollektiven Gedächtnisschwund IhrerFraktion; das muss ich ganz klar sagen. Die Zahl derAusbildungsplätze geht nämlich bereits seit 1992 zu-rück. Heute gibt es in den Betrieben 100 000 Ausbil-dungsplätze weniger. Herr Merz, das Problem, mit demwir zu kämpfen haben, ist, dass sich die großen BetriebeStück für Stück aus der notwendigen Ausbildung zu-rückziehen. Es gab es in den vergangenen Jahren immerBetriebe – es gibt sie auch jetzt –, die wirtschaftlich starkwaren und sich dennoch aus der dualen Ausbildung zu-rückzogen. Gleichzeitig gab es auch Betriebe, denen esnicht so gut ging, die aber trotzdem ihrer Ausbildungs-verpflichtung nachkommen.
Herr Merz, Sie haben hier davon gesprochen, wirbrächten mit unserem Gesetz eine Verstaatlichung aufden Weg.
Eine schleichende Verstaatlichung findet durch den suk-zessiven Attentismus jener Betriebe statt, die sich Jahrfür Jahr aus der Ausbildung heraushalten. Dagegen wer-den wir mit einem Gesetz ansteuern, das diejenigen Un-ternehmen stärken will, die die Aufgabe der betriebli-chen Ausbildung noch wahrnehmen.smiLhldua7dalgEDHas5aADBnAkmgPHIzwdDaiWa
Ich weiß, dass es besser wäre, wenn die Wirtschaftelbst handelte, und dass Eigeninitiative Vorfahrt habenuss. Das werden wir in diesem Gesetz verankern. Aberch weiß auch, dass die heutige Situation für die jungeneute unerträglich ist. Wir Politikerinnen und Politikeraben bisher die Hände in den Schoß gelegt, obwohl vie-en jungen Leuten eine Perspektive fehlt. Ich weiß auch,ass die heutige Situation gegenüber den Unternehmennverantwortlich ist, denen in der Zukunft ein Fach-rbeitermangel droht.
Nur noch 24 Prozent der Unternehmen bilden aus.00 000 Unternehmen könnten ausbilden. Wenn nur je-es zehnte dieser Unternehmen einen Ausbildungsplatznböte, dann wäre dieses Problem schon gelöst. In denetzten Jahren wurden uns gegenüber Versprechungenemacht und die Regierung ist aktiv geworden; aber amnde sind dies leere Versprechungen gewesen.
eswegen müssen wir an dieser Stelle handeln. Dasandeln der Wirtschaft wäre die beste Lösung. Es bleibtllerdings aus. Wir können aber nicht die Augen ver-chließen und wir dürfen uns nicht abwenden.Das Geschrei ist groß. Aber woher kommt es?7,9 Prozent derjenigen Betriebe, die ausbilden, die sichuf diesem Gebiet also wirklich anstrengen, sind für eineusbildungsplatzumlage.
aran sieht man doch ganz deutlich, worum es geht: Dieseetriebe wollen Unterstützung und die anderen, also dieje-igen Betriebe, die nicht ausbilden, machen gegen dieusbildungsplatzabgabe Front. Ich weiß, dass diese Dis-ussion sehr schwierig ist. Ich weiß auch, dass wir alles tunüssen – in dem Gesetz haben wir diesen Gedanken auf-egriffen –, um die Eigeninitiative zu stärken.In dieser Debatte wird aber auch ein politischeropanz aufgebaut.
ier wird behauptet, wir führten eine Strafabgabe ein.ch weiß nicht genau, inwieweit PISA auf Ihre Reihenutrifft. Wenn Sie sich diese Vorlage anschauen, dannerden Sie feststellen, dass es sich um eine Umlage han-elt.
urch diese Umlage unterstützen die Betriebe, die nichtusbilden, diejenigen, die ausbilden. Diese Umlage wirdn die betriebliche Ausbildung fließen. Das Geld derirtschaft wird in der Wirtschaft bleiben. Es wird nichtbkassiert.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9155
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Dr. Thea Dückert
Es gibt im Vorfeld dieser Debatte eine Initiative, diedarauf abzielt, Stimmung zu machen und dem Attentis-mus ein moralisches Gütesiegel aufzudrücken. Es istaber so: Die Betriebe tragen für sich selbst Verantwor-tung und müssen betriebswirtschaftlich rechnen. Wennsie das tun, wird sich zeigen, dass sich jeder Ausbil-dungsplatz, den sie anbieten, in ihrer Bilanz positiv dar-stellen wird: Wenn sie unter der Quote liegen, dann wirddas ihre Abgabenlast reduzieren; wenn sie über derQuote liegen, dann werden sie eine Unterstützung be-kommen. Es geht um die Unterstützung der betriebli-chen Ausbildung.
Ich will noch eines sagen: Es gibt in diesem Gesetz si-cherlich Punkte, die wir noch verändern müssen, um diebetriebliche Ausbildung stark zu machen. Von der Oppo-sition habe ich hier aber kein einziges Wort über die Si-tuation der Jugendlichen gehört. Stattdessen haben Siedarüber philosophiert, ob das Gesetz zustimmungsbe-dürftig ist oder nicht. Das interessiert die Jugendlichennicht.
Sie brauchen Angebote.
– Ich sitze nicht auf den Ohren, Herr Merz. Ich habeganz genau gehört, was Sie gesagt haben. Ihr einzigerVorschlag war, die Vergütung für Auszubildende zu sen-ken. Keinen anderen Vorschlag haben Sie gemacht. Dasist billig.
Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Unsere Ju-
gendlichen brauchen ein Angebot. Unsere Jugendlichen
brauchen eine wirkliche Perspektive. Die Betriebe brau-
chen Facharbeitskräfte. Deswegen führen wir eine Um-
lage ein.
Ich erteile Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-legin Dückert, ob das nun Ausbildungsplatzabgabe oder-umlage heißt, ist völlig egal.
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Sie haben Recht: Der Mittelstand, das Handwerkchafft 80 Prozent der Ausbildungsplätze in Deutsch-and. Der Mittelstand ist in diesem Land das Rückgrater Wirtschaft. Aber Sie, meine Damen und Herren voner Regierungskoalition, treiben den Mittelstand in denuin. Ökosteuer, Tabaksteuer, Erbschaftsteuer – und nunommt auch noch die Ausbildungsplatzsteuer.
ie treiben die Steuerspirale in die Höhe. Die Abgabennd Steuern steigen in Deutschland.
ie belasten den Mittelstand und – da können Siechreien, wie Sie wollen – treiben die Kosten für dieusbildung in die Höhe. – Ich weiß, dass ich inschwarze treffe; sonst würden Sie ja nicht so reagieren.
Es geht hier – auch das will ich einmal sagen – um dieituation von jungen Menschen in diesem Land. Siechaffen für die jungen Menschen eine Situation, die sieirklich in die Verzweiflung treibt.
as kann so nicht weitergehen.
Ihre Politik in Sachen Wirtschaft, Steuern, Ausbil-ung und Bildung ist gescheitert. Der Ifo-Index für dasirtschaftsklima ist erneut abgesackt. Das Institut dereutschen Wirtschaft in Köln sagt ganz deutlich: Ausbil-ungsplätze werden geschaffen, wenn das Bruttoinlands-rodukt um 2 Prozent wächst. – Sie haben uns und denungen Menschen im letzten Jahr damit gedroht, dass Sieie Folterwerkzeuge für die Wirtschaft herausholen wer-en. Sie setzen das nun mit einem Berufsausbildungssi-herungsgesetz um. Dieses Gesetz, meine Damen underren von der Regierungskoalition, ist ein bürokrati-ches Monster und nichts anderes.
Eine neue Mammutbehörde mit 100 Beamten, in die00 Beamte noch zusätzlich eingestellt werden müssen,m diese Ausbildungsplatzabgabe einzukassieren,
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Cornelia Pieperist ein fragwürdiger Beitrag zur Innovationsoffensive derBundesregierung, Herr Tauss.
Ein Markt lässt sich nun mal nicht per Gesetz regulie-ren. Da hat Herr Merz durchaus Recht: Sie betreiben dieschleichende Verstaatlichung der Berufsausbildung. Dasbewährte System der betrieblichen Ausbildung blutetdurch Ihre Politik aus. Der europäische Vergleich zeigt,dass in einem staatlichen Ausbildungssystem die Ju-gendarbeitslosigkeit viel höher liegt. Deswegen setzenwir auch weiterhin auf die betriebliche Ausbildung, aufdie duale Berufsausbildung in Deutschland. Sie machensie jedoch kaputt.
Sie haben selbst den Beweis dafür angetreten.Schauen Sie sich das JUMP-Programm der Bundesregie-rung an!
Jeder dritte Jugendliche wird aus dem JUMP-Programmin die Arbeitslosigkeit entlassen. Das ist keine Lösung.
Wie gesagt: Dieses neue Gesetz wird Ausbildungs-plätze vernichten. Sie bestrafen die kleinen mittelständi-schen Unternehmen, die ausbilden wollen.
Auch die, die ausbilden wollen, aber nicht können, weiles an Nachfrage fehlt, zum Beispiel bei den Berufen derElektrotechnik oder im Fleischerhandwerk, werden be-straft.
Selbst dann, wenn ein Lehrling seine Berufsausbildungkurz vor dem Abschluss abbricht, wird der Betrieb zurKasse gebeten.
Was Sie hier vorgelegt haben, ist eine Katastrophe!
Die Spitze des Eisbergs, Herr Tauss, ist, dass Ihre ei-gene Regierung Ihren Gesetzentwurf nicht akzeptiert.
Das Justizministerium erhebt verfassungsrechtliche Be-denken. Nach der Idee der Strafandrohung bzw. Kon-tSMFhhidzdbdeATdWnSjmbKmdskü
inanzminister Eichel habe den Gesetzentwurf wegen zuoher Steuermindereinnahmen eigentlich abgelehnt,eißt es. Sie haben in Ihrer eigenen Regierung und auchn der Bevölkerung keine Mehrheit für diese Ausbil-ungsplatzabgabe.
Ich kann nur sagen: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurfurück! Sie machen die Wirtschaft kaputt und verspielenie Zukunft der jungen Menschen in diesem Land. Dieeste Mittelstandspolitik für dieses Land wäre es, wenniese Bundesregierung endlich zurückträte. Sie bringens einfach nicht!
Geben Sie den Jugendlichen eine Chance! Sachsen-nhalt hat eine Bundesratsinitiative eingebracht. In derat, Herr Tauss, wir schlagen eine flexiblere Ausbil-ungsvergütung vor.
arum soll sich der Unternehmer mit den Lehrlingenicht auf eine andere Ausbildungsvergütung einigen?
ie wollten doch Politik mit Herz machen! Ich sehe dieungen Leute in Sachsen-Anhalt mit dem Handwerks-eister bei der Kammer stehen. Sie wollen einen Aus-ildungsvertrag über 300 Euro abschließen und dieammer darf das nicht unterschreiben. Das ist eine un-enschliche Politik,
ie verhindert, dass ein Ausbildungsplatz entsteht. Bes-er ein Ausbildungsplatz mit weniger Lehrgeld als garein Ausbildungsplatz!
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlichberschritten.
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Ja. – Greifen Sie unsere Vorschläge auf, auch zur No-
vellierung des Berufsausbildungsgesetzes, dann kom-
men Sie weiter!
Ich erteile das Wort der Bundesministerin EdelgardBulmahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenHerren und Damen! Wenn es eine gesellschaftspolitischeAufgabe gibt, die wir vor allen anderen zu lösen haben,dann ist es die, für alle jungen Menschen eine qualifi-zierte Ausbildung zu gewährleisten.
Nur so gewinnen wir die jungen Menschen für unsereGesellschaft und nur so können wir auch sicherstellen,dass wir in zehn, 20 Jahren Menschen haben, die bereitsind, für dieses Land, für diese Gesellschaft zu arbeiten,Wohlstand zu sichern und eine Zukunftsperspektive zuschaffen.
Wir haben ein Ziel: Wir wollen erreichen, dass keinjunger Mensch von der Schulbank in die Arbeitslosigkeitgeschickt wird,
dass keinem jungen Menschen die Türe vor der Nase zu-geknallt wird, statt dass ihm Zukunftschancen eröffnetwerden. Herr Merz, dazu habe ich von Ihnen kein einzi-ges Wort gehört.
Zu allem Nein zu sagen,
aber mit keinem einzigen Wort zu erläutern, wie Sie er-reichen wollen, dass alle Jugendlichen eine Ausbildungerhalten, das ist zu billig.
Eine qualifizierte Ausbildung sicherzustellen ist auchdeshalb eine der wichtigsten politischen Aufgaben, weilsich Unternehmen nur mit gut ausgebildeten Menschenim internationalen Wettbewerb behaupten können. DasiVQrvmrsjnDnDmdMnWbmIpsImdal
ualifizierte Menschen sind die Innovationskraft unse-es Landes. Das muss man begreifen.
Es gibt in diesem Land viele Unternehmen – ich habeiele besucht und kennen gelernt –, in denen Unterneh-er mit ganz hohem persönlichem Engagement hervor-agend ausbilden,
ich jedes Jahr einbringen, damit ausgebildet wird, damitunge Leute eine Zukunftschance haben. Diese Unter-ehmen entziehen sich eben nicht ihrer Verantwortung.
iese Unternehmen sollen für ihre Leistung Anerken-ung erhalten, auch finanzielle Anerkennung.
as halte ich für einen richtigen Weg. Diese Unterneh-en kommen ihrer Verantwortung nach und erhalteneswegen eine entsprechende Unterstützung.
Für das Ausbildungsjahr 2003 haben wir zum viertenal in Folge einen Rückgang der Zahl der abgeschlosse-en Ausbildungsverträge feststellen müssen.
ir sind wieder auf dem Stand des Jahres 1998. Sie ha-en damals die negative Entwicklung einfach hingenom-en.
ch sage ausdrücklich, dass ich diese Entwicklung fürroblematisch halte. Inzwischen wird jede neunte Lehr-telle voll aus öffentlichen Mitteln finanziert.
nzwischen gehen rund 10 Milliarden Euro aus Steuer-itteln und aus Mitteln der BA in die berufliche Ausbil-ung. Offensichtlich ist das für Sie akzeptabel. Das istber eine schleichende Verstaatlichung der beruf-ichen Bildung.
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Bundesministerin Edelgard BulmahnDiese schleichende Verstaatlichung halten wir für äu-ßerst problematisch. Sie wollen sie ja offensichtlich;dann müssen Sie aber auch Farbe bekennen:
Wollen Sie dies? – Dann muss man den Weg der Ver-staatlichung der beruflichen Bildung mit allen Konse-quenzen gehen. Ich habe aber dagegen größte Bedenkenund halte diesen Weg für falsch. Aber darüber kann manstreiten. Wenn Sie es wollen, dann müssen Sie es aller-dings ehrlich sagen.
Eines geht nicht: zu allem Nein zu sagen und sichnicht darum zu kümmern, wenn Tausende von Jugendli-chen auf der Straße stehen und keine Perspektive haben.
Fast die Hälfte der Betriebe mit mehr als zehn Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern bildet nicht mehr aus.
– Herr Merz, Sie haben jederzeit die Möglichkeit, hier zusagen, was Sie wollen. Tun Sie es endlich!
Machen Sie konkrete Vorschläge und lehnen Sie nichtalles ab! Ich habe bis jetzt keinen einzigen konkretenVorschlag gehört.
Was Sie hier leisten, ist billige Politik.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Fast die Hälfteder Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern bildet nichtaus.
Ich will aber auch ausdrücklich sagen, dass die andereHälfte – genau: 51 Prozent – hervorragend ausbildet undin den allermeisten Fällen ihren Ausbildungsverpflich-tungen nachkommt. Diese Leistung will ich ausdrück-lich anerkennen.
Wenn sich in einem dualen System zu viele Unter-nehmen ihrer Ausbildungsverantwortung entziehen,dgewesDFssDD1fDtGDbntdWWuruvbg
ann wird damit dem Ausbildungssystem die Existenz-rundlage entzogen. Dieses Problem kann man nichtinfach ignorieren. Wir brauchen vielmehr Vorschläge,ie wir es lösen können.
Die Koalitionsfraktionen haben heute den Entwurf fürin Berufsausbildungssicherungsgesetz in den Deut-chen Bundestag eingebracht. Ich will hier nicht in dieetails gehen. Ich will aber eine Anmerkung zu derrage der Rechtmäßigkeit machen. Herr Merz, manollte sich nicht auf Gerüchte verlassen, sondern manollte sich mit Fakten und Tatsachen auseinander setzen.as ist vernünftig.
as Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von980 eindeutig bestätigt, dass der Bund die Kompetenzür diesen Bereich hat.
as ist im Übrigen auch die Auffassung des Bundesjus-izministeriums.
Ich will noch auf zwei entscheidende Punkte in demesetzentwurf der Koalitionsfraktionen hinweisen.
Erstens. Die Wirtschaft hat es selber in der Hand.ie im Gesetzentwurf der Koalition vorgesehene Aus-ildungsplatzumlage wird nicht ausgelöst und darf auchicht ausgelöst werden – das ist für mich ein ganz wich-iger Punkt –, wenn es Ausbildungsplätze in ausreichen-er Zahl gibt.
ie gesagt: Die Wirtschaft hat es selber in der Hand.enn sie ihrer Verantwortung nachkommt – ich hoffend wünsche mir dies – und Ausbildungsplätze in aus-eichender Zahl schafft, dann wird die Ausbildungsplatz-mlage nicht ausgelöst. So sieht es der Gesetzentwurfor. Das ist auch richtig; denn die Verantwortung für dieerufliche Ausbildung liegt aufseiten der Wirtschaft. Daehört sie hin und da muss sie auch bleiben.
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Zweitens. In dem Gesetzentwurf wird ausdrücklichfestgestellt, dass die Förderung zusätzlicher Ausbil-dungsplätze – ich sage: absoluten – Vorrang hat. Dennwir wollen eben keine Verstaatlichung der beruflichenAusbildung. Es darf auch keine Verlagerung in außerbe-triebliche Ausbildung geben. Diese gab es in den letzten15 Jahren leider viel zu oft. Es geht also nicht, wie Sie essagen, um einen störenden Eingriff, sondern um eineStärkung des dualen Systems. Das ist die Zielsetzung.
Ich will ganz kurz auf einen weiteren Gesichtspunkteingehen, der mir selber ein wichtiges Anliegen ist. Ichbin nämlich der Auffassung, dass wir vor dem Hinter-grund dieser Diskussion nicht die strukturellen Refor-men in der Berufsausbildung aus den Augen verlierendürfen.
Die Bundesregierung wird alles dafür tun, dass die dualeBerufsausbildung ein Markenzeichen, ein Aushänge-schild des deutschen Bildungssystems bleibt.In diesem Zusammenhang möchte ich kursorisch ei-nige Punkte nennen: Die Bundesregierung unterstütztdie Anstrengungen der Wirtschaft, ein ausreichendesAusbildungsplatzangebot zur Verfügung zu stellen, auchweiterhin durch verbesserte Rahmenbedingungen undfinanzielle Hilfen.
Wir haben in den vergangenen Jahren durch unsere Maß-nahmen eine ganze Menge erreicht.
Ich nenne die Unterstützung beim Aufbau von Ausbil-dungsverbünden, die inzwischen besonders in den neuenBundesländern, aber auch in den alten eine große Rollespielen.
Ich nenne das Programm STARegio, das aufseiten derWirtschaft auf großes Interesse stößt. Auch den Einsatzvon Ausbildungsplatzentwicklern, der von der Wirt-schaft gewollt wird, unterstützen wir. Ich nenne die Mo-dernisierung der Berufe. Inzwischen haben wir mehr alsdie Hälfte der gängigen Berufe modernisiert. Ich nenneauch besondere Unterstützungsmaßnahmen für diejeni-gen Jugendlichen, die die Schulen mit sehr schlechtenschulischen Ergebnissen verlassen.
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uf der einen Seite mehr Freiräume für die Betriebechaffen und auf der anderen Seite eine bessere Abstim-ung und Passgenauigkeit zwischen den Anteilen derusbildung in der Berufsschule und denen in den Betrie-en erzielen wollen.Kurz gesagt, unser Ziel ist es, die berufliche Ausbil-ung als ein Markenzeichen unseres Bildungssystemsnd unserer Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Darüberhnt es sich zu streiten. Aber man muss dann auch Ar-umente und Vorschläge auf den Tisch legen.Vielen Dank.
Kollege Friedrich Merz hat eine Kurzintervention an-
emeldet. – Bitte schön.
Frau Bulmahn, wir können uns hier im Deutschenundestag lange und streitig über die Frage unterhalten,ie wir ein Problem lösen. Dabei kann man – auch iner Bundesregierung – höchst unterschiedlicher Auffas-ung sein. Aber Sie haben es mit Bezug auf meinen Re-ebeitrag für richtig gehalten, mir und den Kollegen iner Fraktion der CDU/CSU abzusprechen, dass wir aner Lösung dieses Problems interessiert seien.
Herr Tauss, wenn ich Sie höre, fühle ich mich an dasrinnert, was Ihnen Herr Schäuble einmal gesagt hat:eitdem Sie im Deutschen Bundestag sind, hat das WortMorgengrauen“ eine ganz andere Bedeutung bekom-en.
Frau Bulmahn, ich weise hier den Vorwurf, den Sieier erhoben haben, nämlich dass uns das Schicksal derungen Leute ohne Ausbildungsplätze gleichgültig sei,ntschieden zurück. Hier sitzen Abgeordnete, die sich inhren Wahlkreisen teilweise in mühevollster Kleinarbeitei Unternehmern darum bemühen, jungen Leuten zuusbildungsplätzen zu verhelfen, und sich bemühen, imleinen zu reparieren, was die Bundesregierung ineutschland im Großen kaputtgemacht hat.
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Friedrich MerzDas, was Sie, Frau Bulmahn, hier gesagt haben, gehtweit über das hinaus, was eine parlamentarische Ausei-nandersetzung erlaubt. Das, was Sie hier an unsereAdresse gerichtet gesagt haben, ist eine schiere Unver-schämtheit gewesen.
Ich weise das mit Empörung zurück und fordere Sie auf,das, was Sie hier gesagt haben, zurückzunehmen.
Frau Ministerin, Sie haben Gelegenheit zu antworten.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Herr Merz, ich habe Sie persönlich angesprochen. Ich
will ausdrücklich sagen: Ich habe nicht Ihre Kollegen
angesprochen. Wenn ich „Herr Merz“ sage, sind Sie,
Herr Merz, gemeint. Dass Ihre Kollegen, um Sie zu un-
terstützen, applaudieren, ist etwas anderes. Aber ich will
ausdrücklich sagen: Ich kenne aus dem Fachausschuss
einige Kollegen Ihrer Fraktion, die sich persönlich sehr
einsetzen. Ich spreche das auch niemandem ab.
Herr Merz, Ihre Redezeit betrug 16 Minuten. Sie ha-
ben in diesen 16 Minuten keinen einzigen konkreten
Vorschlag vorgelegt. Das halte ich für billige politische
Argumentation.
Sie haben keinen Vorschlag dazu auf den Tisch gelegt,
wie Sie es erreichen wollen, den Tausenden von Jugend-
lichen, die zurzeit auf der Straße stehen, weil sie keinen
Ausbildungsplatz gefunden haben – manche suchen zum
zweiten oder sogar zum dritten Mal einen Ausbildungs-
platz –, eine Perspektive zu eröffnen. Sie haben den Ju-
gendlichen kein einziges Angebot gemacht. Das erwarte
ich aber von Ihnen.
Herr Merz, es ist eine Unverschämtheit, dass Sie hier
zu allem Nein gesagt, aber keinen einzigen konkreten
Vorschlag unterbreitet haben.
Das ist keine politische Kultur. Zur politischen Kultur
gehört es, sich über konkrete Vorschläge auseinander zu
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Nun hat die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Frau Ministerin, Sie hatten gerade die Chance, Ihrenverschämten Anschuldigungen gegenüber dem Kolle-en Merz zurückzunehmen.
ie haben diese Chance vertan und verschärfen damit dieebatte in einer unzulässigen Art und Weise. Sie tun da-it weder der Debatte noch den jungen Menschen ineutschland einen Gefallen.
Die Wirtschaft schaut mit Angst auf diese Koalitionnd ihre eigene wirtschaftliche Situation. Die Lage amusbildungsmarkt ist mehr als angespannt und Sie über-iehen das Land mit neuen Regulierungen und Steuern.ndere Vorschläge haben Sie in der Tat nicht. Tobin-teuer, Erbschaftsteuer, Vermögensteuer und jetzt eineusbildungsplatzsteuer:
amit demotivieren Sie die Unternehmen und die Men-chen in diesem Land. Sie glauben immer noch, dassan mit Zentralismus und Bürokratie den Herausforde-ungen der Zukunft begegnen könnte. Ihre Politik bewäl-igt nichts, sie bringt zum Ausdruck, dass Ihr ordnungs-olitisches Verständnis gleich null ist.
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Katherina Reiche
Bundeskanzler Schröder hat in der letzten Woche inseiner Regierungserklärung gesagt: „Wir sind nochlängst nicht am Ende unseres Weges.“ Wenn ich mir denGesetzentwurf ansehe, dämmert mir, wohin dieser Weggeht: schnurstracks in die Staatswirtschaft.
Es ist eine Unverschämtheit, wenn Herr Münteferingbehauptet, er sei der Interessenvertreter der jungen Ge-neration. Herr Müntefering, Sie sind der Totengräber desdualen Ausbildungssystems in Deutschland und Sie be-treiben Politik auf Kosten der jungen Menschen.
Anfang März hat eine DIHK-Unternehmensbefra-gung offen gelegt: Eine Ausbildungsplatzabgabewürde die Situation zusätzlich verschärfen. Wir müsstendann sogar eine Verdoppelung der Ausbildungsplatzlü-cke gegenüber 2003 befürchten.Seit dem 11. November des vergangenen Jahres – dasist der Tag, an dem die SPD-Bundestagsfraktion Eck-punkte zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabebeschlossen hat – nimmt der Wahnsinn seinen Lauf.
Die Ministerpräsidenten – auch Ihre eigenen – haben esIhnen gesagt, der Bundeswirtschaftsminister hat es Ih-nen gesagt, der Bundesfinanzminister warnt, das Bun-desjustizministerium hat verfassungsrechtliche Beden-ken angemeldet wie übrigens auch Ihr eigener Gutachter,Professor Däubler. Alle Experten und Studien, vom Ifo-Institut bis zum Bundesinstitut für Berufsbildung, kom-men zu dem Schluss: Mit einer Zwangsabgabe ist kei-nem geholfen, aber allen geschadet.
Ihre engsten Mitstreiter, die Gewerkschafter, verlas-sen Sie. Ich zitiere den Vorsitzenden der GdP, KonradFreiberg, der in der „FAZ“ vom 30. März 2004 gesagthat:Wenn wir die Abgabe gegen die Wirtschaft, dieCDU, die SPD-Ministerpräsidenten und wichtigeTeile der Bundesregierung durchsetzen: Was bleibtdenn dann an Glaubwürdigkeit übrig?Er spricht von „Gewürge“. – Recht hat der Mann.Doch der Wahnsinn geht weiter. Erst hat das BMBFeine Formulierungshilfe vorgelegt mit einer Formel, wiesie komplizierter nicht hätte sein können, und nun habenSie noch einmal nachgebessert.
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r hat Frau Bulmahn aufgefordert, die entsprechendenusgaben aus dem Forschungshaushalt zu nehmen. Imrgebnis heißt das, dass Ideologieprojekte durch For-chungskürzungen finanziert werden. Das nenne ich In-ovation à la SPD!
Kaum ist der Gesetzentwurf auf dem Markt, werdenusnahmeregelungen in alle Richtungen gefordert,err Tauss: Ausnahmen für Pflegeeinrichtungen, fürrankenhäuser, für öffentliche Einrichtungen der Ju-endhilfe; Ausnahmen für Existenzgründer und vor alleningen für die Bundesressorts. Hier hinzuschauen ist be-onders interessant. Ausbildungsquote im Kanzleramt:Prozent; Bundesfinanzministerium: 0,8 Prozent; Ver-raucherschutzministerium: 0,4 Prozent. Selbst das Bun-esbildungsministerium kommt nur auf 2,8 Prozent,
eit entfernt von den von Ihnen geforderten 7 Prozent.Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, esibt tatsächlich auch Klarheiten: Klar ist zum Beispielas Bußgeld. Wer fehlerhafte Angaben macht, dem wer-en drakonische Strafen von bis zu 50 000 Euro aufer-egt. Klar sind auch die Steuerausfälle für Bund, Ländernd Kommunen. Bundesfinanzminister Eichel rechnetit mindestens 600 Millionen Euro. Hinzu kommt diebgabenlast, die sich die Kommunen angesichts der lee-en Stadtkassen kaum leisten können. Ein paar Zahlen:ie Stadt Leipzig hätte 5,4 Millionen Euro zu zahlen, fürünchen wären es 3,5 Millionen Euro und für Berlin so-ar 48 Millionen Euro. Wenn Sie das beschließen, trei-en Sie die Kommunen noch weiter in den Ruin.
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9162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Katherina ReicheKlar ist, dass die Zwangsabgabe die Bürokratie ver-schärft. Ihre internen Berechnungen gehen von ungefähr1 000 Mitarbeitern aus.
Ihre eigene Formulierungshilfe gibt an, dass pro PersonKosten von 72 000 Euro im Jahr verursacht werden.Nach Adam Riese belaufen sich die Kosten für den Ver-waltungsaufwand also auf mehr als 70 Millionen Euro;und das noch bevor irgendetwas passiert.Klar ist auch, dass die Ausbildungsplatzabgabe eineSondersteuer Ost ist, denn die Ausbildungsplatzlückeist gerade in den neuen Bundesländern besonders groß.
Zudem ist in den neuen Bundesländern die Verbeam-tungsquote geringer. Die Beamten haben Sie in IhremGesetzentwurf jedoch bewusst nicht mitgerechnet. Sohaben die ostdeutschen Kommunen dann noch wenigerSpielraum für Investitionen zum Beispiel in Kindergär-ten oder Schulen. Das ist ein wirklicher Skandal.
Die Ausbildungsplatzabgabe ist zudem wirkungslos.Ein Lehrstellenangebot lässt sich nun einmal nicht ge-setzlich festlegen. Sie aber legen willkürliche Quotenfest. Die Quote von 7 Prozent ist willkürlich gewählt.Danach sollen 15 Prozent mehr Ausbildungsplätze ange-boten werden. Auch das ist eine willkürliche Quote. DasAusbildungsplatzangebot richtet sich vor allen Dingennach der wirtschaftlichen Situation der Unternehmenund ihren Zukunftserwartungen. Und die sind inDeutschland dank Rot-Grün so schlecht wie nie. DerKollege Merz hat auf die hohe Zahl der Unterneh-mensinsolvenzen hingewiesen. Sie ruinieren den Mittel-stand und rufen nun nach einer Ausbildungsplatzabgabe.
Was ist mit denen, die trotz intensiver Suche keineLehrlinge finden? Was ist mit den Bäckern, den Flei-schern, den Dachdeckern und den Landwirten? All diewerden von Ihnen abgestraft.Klar ist, dass die Ausbildungplatzabgabe das Endedes dualen Systems ist. Sie wollen sich gegen Verstaatli-chung wenden, betreiben aber genau den Prozess, gegenden Sie sich angeblich wehren: Sie produzieren Ersatz-maßnahmen und Warteschleifen.
Sehen Sie sich die Wirkungen des JUMP-Programms an:In Sachsen-Anhalt haben 30 000 junge Leute am JUMP-Programm teilgenommen. 22 000 von ihnen sind, nach-dem sie JUMP durchlaufen hatten, wieder auf der Straßegelandet. Die Wirkung war gleich null.Klar ist, dass Arbeit in Deutschland durch IhreZwangsabgabe noch teurer wird. Meine Damen undHerren, die teuerste Auszubildende sitzt derzeit im Bun-desbildungsministerium.KtnSAlgfetSnndKMdSmsHsliJEnaBrgnWrs
lar ist, dass die Abgabe nicht den Mangel an geeigne-en Bewerbern beseitigt. Viele junge Leute sind schlichticht ausbildungsfähig. 90 000 von ihnen haben keinenchulabschluss. Diese Bemerkung richte ich auch an diedresse Ihrer Bildungsminister. Hier müssen die Schu-en und auch die Elternhäuser besser werden.
Klar ist, dass diese Abgabe zu Wettbewerbsverzerrun-en zwischen lohn- und kapitalintensiven Unternehmenühren wird. Die Ausbildungplatzabgabe ist und bleibtin Ideologieprojekt, eine Morgengabe für die Ewigges-rigen. Bei Ihnen herrscht Endzeitstimmung.
ie sind bis aufs Messer zerstritten. Ein Drittel der Grü-en ist gegen die Ausbildungsplatzabgabe. 25 Abgeord-ete aus Ihrer Fraktion haben dagegen gestimmt. Wür-en Sie nicht ständig Druck auf Ihre Kolleginnen undollegen ausüben, hätten Sie in diesem Haus keineehrheit mehr.
Weder der Bundeskanzler noch der Wirtschafts- oderer Finanzminister besitzen politische Gestaltungskraft.ie machen miserable Politik, entziehen den Unterneh-en ihre wirtschaftliche Basis und bestrafen sie an-chließend dafür.
eute die Ausbildungsplatzabgabe, morgen der Emis-ionshandel, übermorgen das Gentechnik- und Chemika-enrecht – das nimmt kein gutes Ende.
Sie haben von uns konkrete Vorschläge gefordert.etzt werde ich sie Ihnen nennen.
ntriegeln Sie zunächst den Arbeitsmarkt! Lassen Sieicht nur betriebliche Bündnisse für Arbeit, sondernuch betriebliche Bündnisse für Ausbildung zu!
auen Sie die Bürokratie ab und reformieren Sie die be-ufliche Bildung! Frau Bulmahn, seit fünf Jahren kündi-en Sie ein Berufsbildungsgesetz an. Bislang liegt aberichts auf dem Tisch.
ir brauchen moderne Berufsbilder. Wir brauchen diffe-enzierte Angebote für junge Menschen, die ihre unter-chiedlichen Begabungen berücksichtigen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9163
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Katherina ReicheWir brauchen ein modernes Prüfungswesen und mehrFlexibilität für Betriebe in Bezug auf Ausbildungsvergü-tung und Ausbildungsinhalte.Meine Damen und Herren von der Koalition, in dieserWoche haben wir in unserer Bundestagsfraktion ein mo-dernes Berufsbildungsrecht beschlossen,
mit dem die duale Ausbildung in Deutschland ihrenGlanz zurückgewinnen kann. Wenn Sie selbst keineKraft zu guter Politik mehr haben – wir haben sie.
Ich erteile dem Kollegen Jörg Tauss zu einer Kurzin-
tervention das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Reiche, ich lasse den polemischen Ge-
halt Ihrer Rede weg und sage Ihnen zu Ihrer sachlichen
Information: Niemand in diesem Lande ist daran gehin-
dert, ein betriebliches oder regionales Bündnis für Aus-
bildung zu organisieren, es mit Leben zu füllen und jun-
gen Menschen Ausbildungsplätze zur Verfügung zu
stellen.
Was ich allerdings in aller Deutlichkeit zurückweise,
ist Ihre Behauptung, dass beispielsweise das Bundesmi-
nisterium für Bildung und Forschung seine Ausbildungs-
verpflichtung nicht erfüllt und unterhalb der Quote aus-
bildet. Liebe Frau Reiche, die Ausbildungsquote des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung liegt bei
8,6 Prozent.
Das ist es, was ich vorhin gesagt habe: dass bewusst mit
falschen Zahlen argumentiert wird.
Das Gesundheitsministerium beispielsweise weist
eine Ausbildungsquote von 7 Prozent auf. Aber hier ist
die unterschiedliche Struktur der Ministerien zu berück-
sichtigen. Ich habe klar gesagt: Auch der öffentliche
Dienst und die Ministerien haben ihre Verpflichtung zu
erfüllen. Das ist selbstverständlich.
Abschließend sage ich Ihnen, liebe Frau Reiche:
Auch die SPD-Bundestagsfraktion bildet aus und erfüllt
die Ausbildungsquote. Sie gibt jungen Menschen eine
Chance. Aber die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bleibt
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Kollegin Reiche, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
Herr Kollege Tauss, ich weise Sie darauf hin, dass das
undesbildungsministerium nicht nur die Auszubilden-
en des Ministeriums in seine Ausbildungsplatzquote
inrechnet, sondern auch die der Ressortforschungsein-
ichtungen. Dass sich dann solche Quoten ergeben, ist
ein Wunder. Wenn das zeigen soll, dass Sie Forschung
erstaatlichen, sind wir in der Tat auf einem guten Weg.
Ich erteile der Kollegin Grietje Bettin für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle-en! Schon so häufig haben wir das Problem sinkenderusbildungsplatzzahlen in diesem Hause diskutiert, dasns seit so vielen Jahren begleitet. Im Gegensatz zu Ih-en, liebe Opposition, suchen wir zumindest nach Lö-ungen; Sie haben außer Polemik und platten Sprüchenbsolut nichts beizutragen.
Und unter „Wahnsinn“, liebe Kollegin Reiche, ver-tehe ich wirklich etwas anderes:
ausende junger Menschen stehen jedes Jahr nach ihremchulabschluss ohne Ausbildungsvertrag auf der Straße.er Staat versucht alljährlich mit großen Kraftanstren-ungen und viel Geld, kompensatorische Maßnahmennzubieten. Aber der Staat kann die Rolle der Betriebeicht ersetzen. Wir haben in Deutschland ein auch übereutschlands Grenzen hinaus viel gelobtes duales Aus-ildungssystem, das gerade von der Ausbildung im Be-rieb lebt. Eine Ausbildung mit großen praktischen An-eilen sichert den Unternehmen den stetigen Nachwuchson Fachkräften, den sie für die wirtschaftliche Weiter-ntwicklung brauchen.Leider ist im letzten Ausbildungsjahr das Angebot anetrieblichen Ausbildungsplätzen im Vergleich zum Vor-ahr wieder um mehr als 2 Prozent gesunken. Auf frei-illiger Basis – das müssen auch Sie eingestehen –onnte wieder kein Durchbruch erzielt werden, obwohliele junge Menschen sich enorm um einen Ausbil-ungsplatz bemüht haben: Für eine Lehrstelle würden
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Grietje Bettindie meisten sogar weit von zu Hause wegziehen, und dasmit 16 oder 17 Jahren!Vergleichbares Bemühen hätten wir uns von der Wirt-schaft gewünscht. Ihr einziges Angebot lag darin, dieAusbildungsvergütung zu senken. Sagen Sie mir einmal,liebe Kollegin Pieper, wie Sie von 180 Euro im Monat– im Westen – bzw. 150 Euro im Monat – im Osten – aufeigenen Füßen stehen wollen!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Pieper?
Ja.
Kollegin Bettin, Sie wissen ja, dass außerbetriebliche
Ausbildungsvergütungen weit unter den betrieblichen
Ausbildungsvergütungen liegen. Halten nicht auch Sie
es für vernünftiger, die Ausbildungsvergütungen – wel-
che ja einem Tarifsystem unterliegen – zu flexibilisieren
und dadurch Ausbildungsplätze zu schaffen?
Sollten wir nicht versuchen, die Lehrlinge in Bezug auf
die Ausbildungsvergütung besser zu stellen, anstatt sie
von staatlich subventionierten Ausbildungsplätzen ab-
hängig zu machen?
Liebe Kollegin Pieper, ich halte die Debatte über dieAusbildungsvergütung für eine absolute Ablenkungsde-batte.
Das Problem liegt in einem ganz anderen Bereich, näm-lich darin, dass die duale Ausbildung Stück für Stückausgehöhlt wird, indem immer mehr außerbetrieblichausgebildet wird. Entsprechend nimmt der praktischeAnteil der Ausbildungen – der Teil, den wir alle uns imInteresse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes wün-schen – immer weiter ab. Hier müssen wir gegensteuern;über die Ausbildungsvergütung können wir das Problemsicherlich nicht lösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte dieWirtschaft nicht mit einer pauschalen Kritik überziehen.Mit der Ausbildungsplatzumlage wollen wir Unterneh-men fördern, die ihre Ausbildungsverpflichtung ernstnehmen und um eigenen Fachkräftenachwuchs bemühtsind. Es geht uns darum, die Kosten der Ausbildunggerecht zu verteilen; das haben wir den Arbeitgebern seitfast einem Jahr zu vermitteln versucht. Es gab viele Initi-aSzmdgwAadHWdnsGsmbasuwrrsntLbmdsszdgebHaderzdav
ir freuen uns – das können Sie mir glauben –, wenner Mechanismus nicht ausgelöst wird.Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auchoch ein paar Worte zu der von uns schon häufig vorge-chlagenen Stiftung Betriebliche Bildungschance. Wirrüne wollen damit über die bisher vorgeschlagene Lö-ung hinausgehen, um die gesellschaftspolitische Di-ension der beruflichen Bildung besonders hervorzuhe-en. Wir wollen die Mittel einer solchen Stiftung vorllem dazu nutzen, die dringend notwendige Moderni-ierung der beruflichen Bildung voranzubringen; sie istnabhängig von der Umlage notwendig. Dazu wollenir Modellprojekte fördern, in denen die Modularisie-ung und unser gemeinsames Ziel der Internationalisie-ung auch der beruflichen Bildung beispielhaft umge-etzt werden. Förderfähig im Sinne der Stiftung wärenach unseren Wünschen betriebliche, aber auch außerbe-riebliche Modellprojekte.Im Rahmen der heute hier vorgelegten gesetzlichenösung zielen wir aber ausdrücklich auf die Förderungetrieblicher Ausbildungsplätze in einzelnen Unterneh-en oder Ausbildungsverbünden. Wir Grüne wollen mitiesem Mechanismus der Umlage einen Ausgleich zwi-chen ausbildenden und nicht ausbildenden Betriebenchaffen. Geld aus der Wirtschaft soll in die Wirtschafturückfließen.Es gibt im Detail durchaus noch Präzisierungsbe-arf. Beispielhaft sei hier der Fall eines Unternehmensenannt, welches mehr als zehn Beschäftigte hat, aber ininem Berufsfeld tätig ist, in dem keine anerkannte Aus-ildung vorzuweisen ist. Zudem müssen noch spezifischeärtefallregelungen ausgearbeitet werden. Das betrifftus unserer Sicht zum Beispiel Träger der Jugendhilfe,er Behindertenintegration oder Ähnliches.Insgesamt wollen wir zu einem Gesetz kommen, dasinerseits den Interessen der jungen Menschen in unse-em Land gerecht wird und andererseits ausgewogen undielgenau einen gerechten Ausgleich zwischen ausbil-enden und nicht ausbildenden Betrieben schafft, ohnellzu viel Papierkram für Wirtschaft und Verwaltung zuerursachen.
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Grietje BettinDies ist zugegebenermaßen keine einfache, aber den-noch eine lohnenswerte Aufgabe. Liebe Opposition, al-lein zu sagen, was man alles nicht möchte, hilft den jun-gen Menschen und unserem dualen System absolut nichtweiter.Wir haben einen Großteil unserer Hausaufgaben ge-macht. Wir werden aber zugegebenermaßen noch weiterarbeiten müssen. Sie können sich, unter anderem im An-hörungsverfahren, konstruktiv an einer Verbesserung derAusbildungssituation beteiligen. Ich bin gespannt aufIhre Vorschläge.Danke schön.
Das Wort hat Kollege Christoph Hartmann, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In einem Punkt hat die Regierung Recht: Wir
müssen die Situation verbessern. Das ist aber der einzige
Punkt, in dem die Regierung Recht hat.
Sie monieren unter anderem, dass es keine Anträge
und keine konkreten Vorschläge gibt. Die FDP hat in
dieser Legislaturperiode in diesem Zusammenhang
schon vier Anträge eingebracht. Sie haben alle abge-
lehnt. Heute liegt wieder ein konkreter Antrag vor. Auch
diesen werden Sie ablehnen. Vor diesem Hintergrund
können Sie doch nicht guten Gewissens sagen, dass wir
nicht an Lösungen interessiert seien!
Sie belasten mit dem Gesetz den Steuerberater, der
keinen geeigneten Bewerber findet, und den Metzger mit
15 Angestellten, der überhaupt keinen Bewerber findet.
Sie wollen Unternehmen, die von Insolvenz bedroht
sind, eventuell von der Ausbildungsabgabe befreien.
– Ja, weil Sie eine Ausnahmegenehmigung schaffen
wollen, die Sie der Verwaltung aufoktroyieren. Das
heißt, die Verwaltung darf darüber entscheiden,
ihr obliegt es, darüber zu entscheiden, ob eine Ausbil-
dungsplatzabgabe erhoben wird oder nicht.
Sie wollen Unternehmen belasten, die zwar ausbil-
den, aber nicht im Rahmen einer dualen Ausbildung,
zum Beispiel Medienunternehmen, die Volontäre ausbil-
den, und Firmen, die in Berufsakademien ausbilden. Sie
belasten Zeitarbeitsfirmen, deren Arbeitnehmer bei an-
deren Unternehmen beschäftigt sind. Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren, dieses Gesetz ist ein Ausbil-
dungsplatzkiller und nicht ein Ausbildungsplatzschaffer.
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Es gibt einen Bereich, die Bauindustrie, in dem es
ine freiwillige Umlage gibt. Diese Umlage wird immer
ieder sehr gerne von Ihnen als Beispiel herangezogen.
eit 1995 hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze in der
auindustrie – trotz der freiwilligen Umlage – von
5 000 auf 24 000 verringert.
n diesem Punkt kommen Sie immer mit Ihrer Argu-
entation, die Bauindustrie bilde über dem Durchschnitt
us. Aber das ist doch nur deshalb der Fall, weil die Bau-
dustrie Teil des Handwerks ist und das Handwerk ins-
esamt überdurchschnittlich ausbildet. Die einzigen
usbildungsplätze, die Sie mit diesem Gesetz schaffen,
ind Ausbildungsplätze im Bundesverwaltungsamt, dem
mt, das für die Verwaltung der Ausbildungsplatzab-
abe nötig ist.
Frau Kollegin Kressl, ich selbst bin Mitinhaber eines
leinen Unternehmens. Ich weiß, wie ein solches Gesetz
uf diejenigen wirkt, die in einer ähnlichen Situation
ind wie ich. Es wird nicht dazu führen, dass auch nur
in Ausbildungsplatz mehr geschaffen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Ge-
etz löst keine Probleme, dieses Gesetz schafft Pro-
leme.
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daserufsausbildungssicherungsgesetz – oder kurz, wie esuf der Drucksache steht, das „BerASichG“ – ist allge-ein unter „Ausbildungsumlage“ bekannt. Ihr Sinn istbersichtlich: Wer nicht ausbildet, obwohl er es könnte,oll sich wenigstens finanziell an der Ausbildung beteili-en. Wer ausbildet, obwohl es ihm schwer fällt, soll fi-anziell entlastet werden. Eine solche Umlage ist nur
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Petra Paurecht und billig. Die PDS im Bundestag fordert sie seitlangem. Rot-Grün steht im Wort.Das zu lösende Problem wird deutlich, sobald mandie Fakten sprechen lässt. Seit Jahren ist die Zahl der be-trieblichen Ausbildungsplätze rückläufig. Nach Anga-ben des DGB bildet heute nur noch jeder vierte der2,1 Millionen Betriebe in Deutschland aus. Zugleichwächst die Zahl derjenigen, die vergebens eine Lehr-stelle suchen. Nach Angaben der Bundesregierung wa-ren es im Herbst 2003 circa 35 000 Jugendliche. DieZahlen des DGB sind wahrscheinlicher. Wenn man näm-lich all diejenigen dazuzählt, die in Warteschleifen ge-parkt sind, kommt man auf über 200 000 Betroffene.SPD und Grüne betonen das große Potenzial der Wirt-schaft, das brachliegt, wenn nicht ausgebildet wird. Ichbetone das schlimme Signal für die Jugendlichen, diesich wert- und nutzlos fühlen. Das kann in der Zukunftnicht gutgehen.Besonders dramatisch ist die Lage in den neuenBundesländern. Immer mehr Jugendliche bleiben ohneChance auf eine betriebliche Ausbildung. Sie werden inErsatzmaßnahmen geparkt oder werden außer Landesgedrängt. Das hat Folgen für die Regionen. Ihnen kommtnämlich die Jugend abhanden und damit auch die Zu-kunft. Der „Spiegel“ schrieb dazu sarkastisch: „Zurückbleiben Alte, Kranke und Dumme“. Das ist ein zusätzli-ches Problem im Problembereich Ausbildungsplätze unddarf den neuen Bundesländern nicht alleine überlassenwerden.Nun weht ein Sturm der Entrüstung durch das Land,seitdem Rot-Grün mit der Ausbildungsabgabe ernstmacht. Ein Argument wird auf das nächste getürmt, umdas Berufsausbildungssicherungsgesetz, wie es amtlichheißt, zu verhindern. Unternehmerverbände malen Hor-rorszenarien und drohen mit noch weniger Ausbildung.Die FDP warnt vor einer Bußsteuer. Die CDU/CSU siehtden Standort Deutschland bedroht. Ist Ihnen, liebe Kol-leginnen und Kollegen, noch nie aufgestoßen, dass an-dersherum ein Schuh daraus wird?
Hunderttausende Unternehmen bilden nicht aus, obwohlsie es könnten. Diese gefährden den Standort Deutsch-land. Sie bürden den anderen Lasten auf, anstatt sie zuteilen, und sie lassen immer mehr junge Menschen hän-gen. Dagegen muss etwas getan werden. Wir sind hier,um politisch zu intervenieren.
Das viel gelobte duale Ausbildungssystem hinkt seitlangem. Immer weniger Jugendliche werden betrieblichund immer mehr ersatzweise außerbetrieblich ausgebil-det. Das ist weder im Sinne des Erfinders noch im Inte-resse der Jugendlichen. Hinzu kommt: Die Unterneh-men, die nicht ausbilden, sparen Kosten. Stattdessenmüssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für dieErsatzmaßnahmen aufkommen. Es ist dasselbe Trauer-spiel, das wir auch auf anderen Gebieten erleben: VieleUnternehmen entziehen sich ihrer Sozialpflicht. Die Op-pLVwlBdRuddKdsmgidnlAsetSHmIdMVdduü
Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Dieter Rossmann,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Merz von der CDU ist hier ganz gewaltig und pole-isch eingestiegen. Andere haben es ihm nachgemacht.ch möchte nur ganz nüchtern sagen: Mit Schaum vorem Mund lässt sich schlecht denken.
it Schaum vor dem Mund wird man zum Dogmatiker.ielleicht können wir uns auf eine solche Unterschei-ung einigen: Wir sollten gemeinsam dogmatisch sein inem Ziel, dass alle jungen Menschen eine Ausbildungs-nd Qualifizierungschance erhalten.
Ihr Dogmatismus aber ist ein anderer: Sie wollenber alles Mögliche diskutieren, aber eine Erweiterung
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Dr. Ernst Dieter Rossmanndes Instrumentariums, mit dem wir uns in Deutschlanddiesem Problem und dessen Bewältigung nähern kön-nen, unter keinen Umständen auch nur bedenken. Mit ei-nem solchen Dogmatismus schließen Sie lediglich dasInstrument aus, konzentrieren sich aber nicht auf das,worauf es eigentlich ankommt, nämlich darauf, in derGesellschaft, bei den Unternehmen und bei uns Politi-kern dafür zu werben, dass auch die letzten Chancen er-örtert werden, die wir eröffnen können, damit jungeMenschen einen Ausbildungsplatz erhalten.
Deshalb muss selbst in Ihre Kreise hinein und bei derWirtschaft dafür geworben werden, sich ganz nüchternzu fragen, ob das Instrument der Ausbildungsplatzum-lage, das in den Kasten der zur Verfügung stehenden In-strumente aufgenommen werden soll, nicht durchausmodern ist.Das Gesetz ist modern, weil es subsidiär ist. Von ihmwird nur dann Gebrauch gemacht, wenn die in der Ge-sellschaft freiwillig entwickelten Lösungen nicht zur Er-reichung der entsprechenden Ziele führen. Das ist klas-sisch, modern und subsidiär.
In Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unterneh-mern kann sich über dieses Instrument – hoffentlich mitIhrer Unterstützung – die Frage, weshalb nicht ausgebil-det wird, zum Positiven wenden: Ja, weshalb bilden wirdenn eigentlich nicht aus? Welche Chancen liegen dennin der Verbundausbildung, in Kooperationen mit Schu-len, in neuen Ausbildungsordnungen, in ausbildungsbe-gleitenden Hilfen, die von der Regierung und der Bun-desagentur für Arbeit zur Verfügung gestellt werden? –So muss gedacht werden, wenn man die ZielvorgabeSubsidiarität – was Sie von uns erwarten und was unserAnspruch an ein modernes Gesetzesinstrumentariumist – ernst nimmt.
Das Gesetz ist modern, weil es dynamisch ist. DerEntwurf bezieht offene, sich wandelnde Größen ein – si-cher erschwert das die Sache –: Wie viele suchen einenAusbildungsplatz? Wie viele Ausbildungsplätze gibt es?Wie ist das Verhältnis zu den Arbeitsplätzen? – Genau sowünscht man sich die Gesetze ja eigentlich. Gesetze sol-len nicht ein bestimmtes Maß dogmatisch setzen, son-dern die gesellschaftliche Wirklichkeit abbilden, auchbeim Thema Beruf und Bildung.
Dieses Gesetz ist modern, weil es den Blick in dieZukunft richtet. Relevant sind die Bedarfe der Zukunft,zum Beispiel der Bedarf an Facharbeitern. Damit wirdreflektiert, dass es einen Alters- und Gruppenwandelgibt. Deshalb ist die Geltungsdauer dieses Gesetzes zeit-lich auch begrenzt. Sie fordern doch immer: Macht Ge-setze, die nicht für die Ewigkeit gedacht sind, sondernesdFsmsAvadsMseinpsnvnlSgpmJPmsmwmidßandeLlenAnsw
n dieser Stelle beobachten wir, dass es zu immer mehrollzeitschulischen Ausbildungen kommt, manchmalus guten Gründen, manchmal auch deshalb, weil imualen System nicht genug ausgebildet wird. Aus die-em Grund gehen zwischen 60 000 und 70 000 jungeenschen in die Berufsfachschulen und andere voll-taatliche Ausbildungen. Mit dem vorliegenden Gesetz-ntwurf wollen wir gegensteuern. Es wird versucht,nerhalb des dualen Systems zusätzliche Ausbildungs-lätze rechtzeitig zu mobilisieren, damit die jungen Men-chen nicht die Flucht in die Berufsfachschulen antreten.
Ein anderer Punkt. Zu der Zeit, als Herr Schäubleoch Oppositionsführer war, schleuderte er uns, als wirom Instrument JUMP begeistert waren – in Teilen auchoch sind –, entgegen, das sei ein Betrug an den Jugend-ichen, weil es keine wirkliche Ausbildung im dualenystem sei. In diesem Punkt will ich ihm gerne Rechteben. Vielleicht ist das Instrument der Ausbildungs-latzabgabe eine Teilantwort auf Erfahrungen, die wirit JUMP machen mussten. Es ist etwas anderes alsUMP: Es nimmt die Wirtschaft, die Unternehmen in dieflicht. Es wirbt dafür, nicht an erster Stelle auf Ersatz-aßnahmen zu setzen, sondern den Lernort Betrieb bes-er zu organisieren, als das mit JUMP im Einzelfallöglich war.Ein weiterer Punkt – die differenzierte Betrachtungerden wir sicherlich in der Ausschussanhörung vorneh-en wollen –, mit dem ich mich auseinander setzen will,st der FDP-Vorschlag, die Ausbildungsvergütung inen Betrieben an die Ausbildungsvergütung in den au-erbetrieblichen Lernorten anzupassen. Nimmt dies dasuf, was duale Ausbildung kennzeichnet, nämlich Ler-en und Arbeit zunehmend miteinander zu verbinden? Iner dualen Ausbildung wird akzeptiert, dass der Lernortin Betrieb ist, dass man vom ersten bis zum drittenehrjahr zunehmend etwas leistet. Junge Menschen sol-en lernen, dass sie dann, wenn sie sich anstrengen undtwas leisten, dafür etwas bekommen, nämlich Anerken-ung und eine tarifmäßige Bezahlung.
ll das wollen Sie nivellieren. Sie wollen die von Ihnenicht gewollte außerbetriebliche Ausbildung zum Maß-tab nehmen, nach dem Sie junge Menschen bezahlenollen.
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Dr. Ernst Dieter RossmannAn dieser Stelle komme ich auf meinen Ausgangs-punkt zurück. Vielleicht gibt es einen Unterschied zwi-schen Dogmatismus und Engagement. Ich versuche, dasdurch den Wunsch vorzuleben, dass wir all das, was Sieaus den Fraktionen zu diesem Gesetzentwurf im Einzel-nen an Fragen haben, im Ausschuss sachlich erörternkönnen, dass Sie Vorschläge machen und wir diese Vor-schläge aufnehmen, sodass es am Ende einen Gesetzent-wurf gibt, der eine große Gemeinschaftsleistung vonWirtschaft und Gesellschaft insgesamt darstellt. Wenn esnicht zur Anwendung dieses Gesetzes kommt, dann des-halb, weil es in dieser Gesellschaft ein klares Bekenntnisdazu gibt, dogmatisch für junge Leute und ihre Ausbil-dungschancen zu streiten und bei der Wahl der Instru-mente offen zu sein. Im Übrigen soll möglichst freiwilligund rechtzeitig all das mobilisiert werden, was in unsererWirtschaft an Kraft für Ausbildung steckt.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieAusführungen der Redner von Rot-Grün in dieser De-batte sind deprimierend. Ich sage das so, wie ich es emp-finde.
Ich glaube, ich bin von allen Rednern die Einzige, dieausbildet. Mein Betrieb hat eine Ausbildungsquote von11 Prozent.
Ich erwarte nicht, dass jeder ein Unternehmen hat unddie Praxis vor Ort miterlebt. Aber ich erwarte von Kolle-gen, die sich hier vorne hinstellen und große Redenschwingen, dass sie in die Betriebe gehen, mit Jugendli-chen und Betriebsinhabern sprechen und sich vor Ort er-kundigen, wie die wirtschaftliche Lage momentan ist,sodass sie wissen, wovon sie hier reden.
Das heutige Datum ist wirklich bezeichnend für dieseDebatte. Ihr Gesetzentwurf, den Sie auf den Tisch gelegthaben, ist ein sehr missglückter Aprilscherz.
Sie müssen doch zugeben: Es gibt viele in Ihren Reihen,die derselben Auffassung sind. Jeder, der einen klarenMenschenverstand hat, sieht doch, dass das Unvernunfthoch drei ist.WmIujnpwndwWmbmcksEdddlnelEStEdSE1
ir wissen es, viele von Ihnen wissen es auch und dieeisten Menschen draußen vor Ort wissen es ebenfalls.hr Gesetzentwurf ist nur ein Tribut an die SPD-Linkennd sonst nichts.
Sie treiben einen bitterernsten Schabernack mit denungen Menschen in unserem Land. Sie erwecken Hoff-ungen, dass mit diesem Gesetz mehr Ausbildungs-lätze geschaffen werden. Sie wissen aber so gut wieir, dass dem nicht so sein wird. Im Gegenteil: Es wirdicht besser, sondern es wird schlechter werden. Es wer-en weniger Ausbildungsplätze als vorher bereitgestellterden.
arum sind denn inzwischen 16 Prozent aller Unterneh-en in Wartehaltung und haben ihre Lehrstellenange-ote auf Eis gelegt? Warum warten sie ab? Daran siehtan, dass Ihr Gesetzentwurf eine ganz verheerende psy-hologische Wirkung hat.Sie haben das in Ihren Reihen teilweise selbst er-annt. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass Ihr Wirt-chaftsminister nicht da ist.
r steht nicht dahinter; das wissen wir. Wir wissen auch,ass Herr Eichel nicht dahinter steht. Daran sieht man,ass er auch vernünftig sein kann;
enn nicht umsonst hat er seine Beamten aufschreibenassen, die Beschäftigungs- und Wachstumswirkung ei-er Ausbildungsplatzabgabe sei „fragwürdig“. Das istin Zitat. „Fragwürdig“ hat er gesagt. Er rechnet mit Be-astungen der Wirtschaft in Höhe von 1,2 Milliardenuro.
ie bauen eine Mammutbehörde mit bis zu 1 000 Beam-en auf. Die Vorhaltekosten betragen bis zu 70 Millionenuro per annum, unabhängig davon, ob Sie diese Ausbil-ungsplatzabgabe überhaupt erheben oder nicht.
ie sammeln für die immense Bürokratie 2,4 Milliardenuro ein. Dann geben Sie an einige wenige wieder,4 Milliarden Euro.
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Dagmar WöhrlEs verschwinden in dem bürokratischen Apparat1,2 Milliarden Euro. Sie sind einfach perdu.Das alles geschieht in einer Situation, die durch80 000 Firmeninsolvenzen in den letzten zwei Jahren ge-prägt ist, was bedeutet, dass junge Menschen 80 000-malweniger die Chance hatten, einen Ausbildungsplatz zubekommen, in einer Situation, in der in 20 Monaten70 000 Jobs weggefallen sind, in der die Osterweiterungmit einem immensen Wettbewerbsdruck und Kosten-druck vor der Tür steht, und in der wir weniger Bürokra-tie und nicht mehr Bürokratie brauchen. Sie aber bauenein Riesenbürokratiemonster par excellence auf.
Ihr Minister Eichel sagt nicht umsonst, dass dasGanze aus Haushaltssicht nicht akzeptabel sei. Er hat dasganz genau berechnen lassen: Er erwartet Steuerausfällevon 600 Millionen Euro.
Denn die Abgabe kann man gewinnmindernd abschrei-ben. Das sind Fakten, die man nicht negieren kann.Lieber Kollege Tauss, ich frage mich, warum Sie dieBeamten ausgenommen haben. Sie sprechen nur von so-zialversicherungspflichtig Beschäftigten, Sie sprechennicht von den Beamten. Sie werden Ihre guten Gründehaben und nach dem Motto verfahren: Wir Bundesbe-hörden nicht, macht ihr Länder und Kommunen das malschön, ihr habt die Angestellten. – Sie kennen doch dieSituation der Kommunen und der Länder: Denen stehtdas Wasser bis zum Hals. Sie bürden ihnen noch mehrKosten auf. Allein die Stadt Berlin hat Zusatzkosten von48 Millionen Euro. Wie soll denn das überhaupt noch fi-nanziert werden?Man fragt sich in diesem Zusammenhang, warum Sieeigentlich nicht auf die Bund-Länder-Kommission hö-ren. Ihre Beauftragten aus dem Bildungsbereich warensich einig, dass sie nicht erwarten, dass auch nur ein zu-sätzlicher Ausbildungsplatz mit der Ausbildungsplatzab-gabe geschaffen wird.Wir haben Sie letzte Woche gefragt, welche Kostenauf Bund, Länder und Gemeinden zukommen und wieviel zusätzliche Lehrstellen Sie im staatlichen Bereicherwarten. Wir haben gefragt, wie hoch die maximale Be-lastung der Betriebe sein könne. Das sind doch elemen-tare und wichtige Fragen, die beantwortet werden müs-sen, bevor ein Gesetzentwurf erarbeitet wird. Wie aberhat Ihr Staatssekretär Matschie diese Fragen beantwor-tet? Die Antwort lautete schlicht und ergreifend – wieich meine, auch erschreckend –: Hierzu ist eine konkreteAbschätzung nicht möglich.
Daran sieht man, wie Sie Gesetze machen, nämlichchaotisch, unüberlegt und ohne zu wissen, welche Aus-wirkungen auf viele Bereiche damit verbunden sind.DweteIAerkdaDGcSj–dmfEsieAFdzmdWGtVndgtK
as gesamte Vorhaben ist unkoordiniert. Der Gesetzent-urf beinhaltet verfassungsrechtliche Problemstellungenn masse. Das wissen auch Sie.Sie haben inzwischen die Anerkennung der Tarifver-räge aufgenommen; stattdessen soll die Quote nicht an-rkannt werden.
n diesem Zusammenhang frage ich mich, inwiefern einusgleich vorgesehen ist. Denn diejenigen, die zwarine tarifvertragliche Vereinbarung getroffen haben, de-en Ausbildungsquote aber unter 7 Prozent liegt, müsseneine Ausbildungsplatzabgabe zahlen, während ein an-erer Betrieb, der nicht tarifvertraglich organisiert ist,ber mehr Lehrstellen anbietet, die Abgabe zahlen muss.iese Regelung werden Sie aus verfassungsrechtlichenründen nicht aufrechterhalten können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können uns si-herlich nicht absprechen, dass wir uns – ebenso wieie; das gestehe ich Ihnen zu – große Sorgen um dieungen Menschen machen.
Das ist nicht zum Lachen. – Wenn heute 16-Jährige aufer Straße stehen und keinen Ausbildungsplatz bekom-en, obwohl sie gerne einen hätten, dann ist das für sierustrierend und oft auch demoralisierend. Wenn dasinzige, was sie in dieser Situation von unserer Gesell-chaft noch zu erwarten haben, eine Ersatzmaßnahmest, dann wissen sie oft nicht mehr weiter.Wir sind durchaus einer Meinung, dass man dagegentwas tun muss.
ber man muss bei den Ursachen anfangen und dierage stellen, warum weniger ausgebildet wird. Es istoch die Grundlage für jede Lösung, erst einmal heraus-ufinden, warum weniger ausgebildet wird.In der Regel sind es die großen Betriebe – diejenigenit betrieblicher Mitbestimmung –, die weniger ausbil-en. Das muss ebenfalls berücksichtigt werden.
o bleibt denn in diesem Bereich die Verantwortung derewerkschaften in den Großbetrieben, in denen sie ver-reten sind, oder auch in den Gewerkschaften selbst? Beierdi beträgt die Ausbildungsquote 0,28 Prozent, aberach außen wird – nach dem Motto „Immer bei den an-eren, aber nie bei uns“ – laut eine Ausbildungsplatzab-abe gefordert. Das entspricht auch Ihrer Methode, Poli-ik zu machen. Das aber ist der falsche Weg, liebeolleginnen und Kollegen von Rot-Grün.
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Dagmar Wöhrl
Unsere Mittelständler wollen ausbilden – das wissenwir –, aber sie können es oft nicht. Warum ist das so?Zum einen finden sie keine geeigneten Bewerber. Ob-wohl diese Unternehmen Lehrstellen besetzen wollen,aber keine geeigneten Lehrlinge finden, wollen Sie beiihnen zukünftig ebenfalls abkassieren. Zum anderenkönnen viele Betriebe nicht ausbilden, weil es ihnen auf-grund der schlechten wirtschaftlichen Lage nicht gutgeht.
– Moment. – Wer jetzt einen Lehrling einstellt, unterliegtder Verpflichtung, ihn in zwei bis drei Jahren zu über-nehmen. Der Unternehmer weiß aber nicht, ob er ihndann wirklich übernehmen kann und ob die Auftragslagedas zulässt.
Diese Fragen muss man angehen.Ein großes Problem, mit dem wir konfrontiert sind, istdie Ausbildungsfähigkeit unserer jungen Menschen.Pro anno verlassen 90 000 Schüler die Schule ohne Ab-schluss. Das kann man nicht einfach negieren. Das kön-nen Sie auch nicht dadurch ändern, dass Sie den Betrie-ben eine Strafsteuer auferlegen.
Sie müssen vielmehr die Wurzel des Problems angehen.Dabei sind wir als Politiker gefordert. Wir müssen dasduale Ausbildungssystem reformieren und Betriebe fürsolche Jugendliche finden, die nicht hochqualifiziertsind. Wir müssen einfachere Ausbildungswege finden.Wir haben, wie Sie wissen, einen Gesetzentwurf zurModernisierung des Berufsbildungsrechtes vorgelegt, indem wir detailliert Maßnahme für Maßnahme, die wirvorschlagen, aufgeführt haben. Wir haben in unseremAntrag zur Beschäftigungspolitik auch Vorschläge zurVerbesserung der Situation Jugendlicher formuliert, Vor-schläge, die im Anschluss an diese Debatte diskutiertwerden müssen. Unsere Vorschläge liegen auf demTisch, auch wenn Sie noch so oft sagen, dass das nichtstimmt.Lassen Sie uns die Diskussion über die Punkte begin-nen, die den Jugendlichen wirklich helfen, statt über Ge-setzentwürfe zu diskutieren, die nur als Placebo für dielinken Flügel Ihrer Partei dienen. Geben Sie den jungenMenschen eine Chance! Sie brauchen sie wirklich. Ver-gessen Sie nicht: Die jungen Menschen sind unsereZukunft und auch die Zukunft vieler Betriebe. Die Mit-telständler wissen das. Aber Sie geben den jungen Men-schen keine Chance. Sie nehmen ihnen mit dem vorlie-genden Gesetzentwurf vielmehr jede Chance. Deswegenfordere ich Sie auf: Nehmen Sie den Gesetzentwurf zu-rück; denn die Leidtragenden würden die jungen Men-swFSzgmrdHHhatgfDseWDdwtddmKdmdzcdA
Liebe Kollegin Wöhrl, ich möchte nicht im Einzelnenuf das eingehen, was Sie gesagt haben. Es ist am bes-en, wenn ich Ihnen unseren Gesetzentwurf zur Verfü-ung stelle, damit Sie sich über den aktuellen Stand in-ormieren können.
ann werden Sie vielleicht beim nächsten Mal keine fal-chen Dinge erzählen.Ich möchte mit meiner Rede die Debatte wieder aufine sachliche Basis zurückführen.
arum gibt es jetzt eine solche Gesetzesinitiative?
ie Antwort ist: weil die Situation auf dem Ausbil-ungsmarkt 2003 fast wieder so unbefriedigend warie 1997. Die Ausbildungsstellenlücke betrug noch un-er der Regierung Kohl 21 557. Einige Zeit konnten wirann sogar ein Plus verzeichnen. Aber zuletzt belief sichie Lücke auf 20 175. Auch bei der Zahl der nicht ver-ittelten Jugendlichen drohen wir an die Zeiten derohl-Ära anzuknüpfen.Der Bund, die Länder und die Kommunen haben inen letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternom-en, Klinken geputzt, Bündnisse geschlossen, Ausbil-ungskonsense vereinbart und sehr viele Steuermittelur Verfügung gestellt. Damit haben wir vielen Jugendli-hen zwar geholfen, aber das Grundproblem nicht auser Welt geschafft, nämlich die immer weiter sinkendeusbildungsbereitschaft der Unternehmen. Obwohl
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9171
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Swen Schulz
der staatliche Anteil, wie Ministerin Bulmahn das hierdargelegt hat, schleichend immer weiter steigt, bleibenimmer mehr junge Menschen ohne Ausbildung, ohnePerspektive. Das können und werden wir nicht hinneh-men.
Nun wirft uns die Opposition vor, wir verstaatlichtendie Ausbildung und wollten Betriebe bestrafen. Aber dasgenaue Gegenteil ist der Fall. Wir sorgen lediglich dafür,dass die Betriebe, die ausbilden, Unterstützung erhalten,und zwar von denjenigen, die nicht ausbilden.
Das ist ein sehr einfaches und gerechtes Prinzip, das je-der hier im Hause verstehen können sollte.Übrigens, noch eine Bemerkung zum Thema Staat:Die FDP hat vor knapp einem Jahr im Deutschen Bun-destag allen Ernstes Subventionen für Ausbildungsplätzevorgeschlagen.
Das ist sicherlich kein Beitrag zur Entstaatlichung derAusbildung.
Tatsächlich ist die Regierungskoalition die politischeKraft, die den öffentlichen Anteil zurückfährt und derWirtschaft wieder Verantwortung gibt. Wir handeln, umdas duale System vom Kopf auf die Füße zu stellen undes damit zu retten.
Mein „Lieblingsargument“ gegen die Umlage, dasunter anderem auch von Herrn Merz angeführt wurde,ist, die Unternehmen würden sich dann freikaufen. An-gesichts dessen muss ich die Frage stellen, für wie blödSie eigentlich die Unternehmer halten.
Heute hat kein Unternehmen irgendwelche Sanktionenzu erwarten, wenn es nicht ausbildet. Die Kosten fürAusbildungsverweigerung sind also null. Andere Unter-nehmen bilden aus und tragen die entsprechenden Kos-ten. Durch die Umlage gibt es Geld für Ausbildung undNichtausbildung kostet Geld. Aber plötzlich wollen sichalle freikaufen? Das ist blanker Unsinn.
Im Übrigen eine Anmerkung zu Ihrem Vorschlag,meine Damen und Herren von der Opposition, die Aus-bildungsvergütungen zu kürzen: Man könnte ja sagen,dies wäre eine Art solidarische Handlung unter den Ju-gendlichen. Aber auf die Idee, dass sich auch einmal dieUnternehmer solidarisch verhalten könnten, kommenSie natürlich nicht.sbvkdFgrI–ÜfwWadrAucSgdzsrwhcgAadbsadGDs
Es ist wahr: Im Falle der Auslösung der Umlage müs-en auch diejenigen Unternehmen zahlen, die nicht aus-ilden können oder keine Auszubildenden finden. Icherstehe, dass das im Einzelfall ungerecht erscheinenann. Doch es ist im Interesse aller Unternehmen, dassie Jugendlichen ausgebildet werden und später alsachkräfte zur Verfügung stehen. Es ist darum nur sach-erecht, wenn sich alle Unternehmen an der Finanzie-ung der Ausbildung beteiligen.
In diesem Zusammenhang will ich auf den Report desnstituts der deutschen Wirtschaft vom 25. März 2004er ist also ganz aktuell – verweisen. Da ist unter derberschrift „Lücken in der Nachwuchsmannschaft“ klarormuliert, dass Deutschland im internationalen Wettbe-erb einem Fachkräftemangel entgegensieht. Dieirtschaft ist dabei, den Ast, auf dem letztendlich wirlle sitzen, abzusägen. Es ist die Pflicht und Schuldigkeiter Regierungskoalition, hier einzugreifen.
Wir müssen mit Sicherheit noch über Einzelaspekteeden. Dafür gibt es das parlamentarische Verfahren mitnhörungen und Ausschussberatungen. Es gibt auch innseren Reihen einige Fragen. Auch ich habe Bespre-hungspunkte.
chließlich handelt es sich hierbei nicht um ein Routine-esetz; dafür ist es viel zu wichtig.Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist jedoch,ass Sie, anstatt sinnvolle Vorschläge zu machen, Ein-elaspekte herausgreifen, um das ganze Anliegen, zu-ätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, zu diskreditie-en. Wir sprechen die Probleme an, um sie zu lösen. Wirollen für die Menschen etwas bewegen, anstatt zu ver-indern.
Abschließend komme ich auf einen Punkt zu spre-hen, der nicht oft genug wiederholt werden kann. Esibt für die Wirtschaft einen ganz einfachen Weg, dieuslösung der Umlage zu verhindern. Ich appelliere anlle Unternehmer, diesen Weg einzuschlagen. Tun Sieas, wozu Sie sich selbst unzählige Male verpflichtet ha-en! Tun Sie das, was Ihre Aufgabe ist – und zwar ausehr guten Gründen –: Bilden Sie die jungen Menschenus! Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Unternehmen,ie toll ausbilden! Wenn Sie das tun, dann wird das imesetz vorgesehene Verfahren gar nicht erst ausgelöst.as wäre gleichzeitig der größte Erfolg, den wir mit die-em Gesetz erzielen könnten.Herzlichen Dank.
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9172 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
Drucksachen 15/2820 und 15/2833 zu überweisen: zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung und zur Mit-
beratung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss,
den Finanzausschuss sowie an die Ausschüsse für Wirt-
schaft und Arbeit, für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend, für Gesundheit und Soziale Sicherung, für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen, für Tourismus, für Kul-
tur und Medien sowie an den Haushaltsausschuss zur
Mitberatung und den Gesetzentwurf zusätzlich gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung. Gibt es dazu anderweitige
Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef
Laumann, Dagmar Wöhrl, Norbert Barthle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Weichen stellen für eine bessere Beschäfti-
gungspolitik – Wachstumsprogramm für
Deutschland
– Drucksache 15/2670 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir alle erinnern uns sicherlich noch sehr gutan den 16. August 2002 hier in Berlin. Nach Angabendes Wetterdienstes waren damals 25 bis 26 Grad Celsiusund die Sonne schien. Es war ein sehr schöner Tag. Vorallem wurde an diesem Tag am Gendarmenmarkt in Ber-lin das Hartz-Papier vorgestellt. Was gab es da nicht al-les für schöne Begriffe! Wer hatte jemals zuvor etwasvon „Reformmodulen“, von „Profis der Nation“, von„Personal-Service-Agenturen“, von „Ich-AGs“, von„Jobfloatern“ und von „Bridgesystem“ gehört?
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Angesichts dieser Fakten hat der Bundeskanzler iner vergangenen Woche davon gesprochen, dass unserand heute besser dastehe als vor einem Jahr. Ich frageich: Wie kann man zu einem solchen Urteil kommen?
Es ist einfach an der Zeit, finde ich, dass wir uns auchinmal mit den einzelnen Hartz-Modulen auseinanderetzen. Fangen wir doch mit der Personal-Service-gentur an.
as war laut Hartz damals das Herzstück seiner Vor-chläge.
ieses Herzstück erweist sich als teurer Totalausfall.
Die Bundesregierung hatte versprochen – das ist hierm Rednerpult gesagt worden –, dass allein durch diesesnstrument 500 000 Menschen eine befristete Beschäfti-ung und jährlich bis zu 350 000 Arbeitslose eine dauer-afte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit finden wür-en; das war der so genannte Klebeeffekt. Bis heuteaben gerade einmal 7 700 Vermittlungen in Beschäfti-ung stattgefunden, obwohl die Bundesagentur für Ar-
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Karl-Josef Laumannbeit diese Maßnahmen bislang mit gut 230 MillionenEuro aus Beitragsmitteln subventioniert hat.Mit der Insolvenz der Firma Maatwerk ist jetzt sogarjede fünfte PSA in Deutschland pleite.
Das bedeutet, dass rund 10 000 in einer PSA Beschäf-tigte nicht mehr in einer PSA beschäftigt und damit wie-der arbeitslos sind.Die Maatwerk-Pleite hat uns ein Weiteres gelehrt,nämlich dass es auch PSAs gibt, die sich gar nicht an derZeitarbeit beteiligt haben. Maatwerk hat überhaupt keineZeitarbeitsvermittlung betrieben, sondern hat die Fälleübernommen, das Geld kassiert und darauf gesetzt, wieein privater Arbeitsvermittler die Leute zu vermittelnund dann die Vermittlungsprovision, gestaffelt danach,ob die Leute unter drei Monaten oder über drei Monatearbeitslos waren, abzukassieren. Allerdings ist diesesModell so danebengegangen, dass die Firma jetzt pleiteist. Da von Zeitarbeit zu sprechen ist verrückt.Wenn Sie noch etwas Verstand haben, dann stampfenSie das PSA-Modell ein
und arbeiten mit der privaten Zeitarbeitsbranche zusam-men, die regional sehr gut aufgestellt ist, mittlerweileauch überregional sehr gut aufgestellt ist. Dann habenSie wenigstens Profis, die dieses Geschäft verstehen.
Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, den Ich-AGs.500 000 Arbeitslose sollten nach den Hartz-Plänen mitstaatlichen Subventionen in Ich-AGs den Schritt in dieSelbstständigkeit wagen. Obwohl die Bundesregierungfür das erste Jahr sehr großzügig bemessene Staatsmittelohne jede Prüfung mit vollen Händen ausgibt, haben bis-lang lediglich rund 100 000 Arbeitslose davon Gebrauchgemacht, also 400 000 weniger, als Hartz damals ver-kündet hat. Ab diesem Sommer – da bin ich mir sicher –,wenn die Subventionen für die Ich-AGs erstmals redu-ziert werden, wird sich zeigen, wie viele von diesenKleinstgründern auf dem freien Markt überhaupt beste-hen können.Man kann doch heute in jedem Arbeitsamt deutlicherkennen: Läuft das Arbeitslosengeld aus, ist die besteMöglichkeit, an Staatsknete zu kommen, die Gründungeiner Ich-AG, weil dafür noch nicht einmal ein Ge-schäftsmodell vorgelegt werden muss. Es ist eine Einla-dung, sich Unternehmer zu nennen, ob man am Marktoperiert oder nicht, und an Zuschüsse von monatlich im-merhin 600 Euro im ersten Jahr zu kommen. Ich sage Ih-nen voraus: Wenn die Förderung ausläuft, werden wirbei den Ich-AGs eine Insolvenzentwicklung haben, diesich gewaschen hat.
Das liegt daran, dass Sie schlicht und ergreifend fol-gendem Trugschluss unterliegen: Sie denken, dass manisAlzvuEdErtgEw–gsWmfeagSD„upKnd181unAßinMwvsga
Nein, das hat mit SPD und Grünen nichts zu tun. Aberlauben Sie doch nicht, dass Sie die Probleme des deut-chen Arbeitsmarktes mit Ich-AGs lösen könnten!
enn Sie zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wollen,üssen Sie die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft,ür die industriellen Arbeitsplätze, für neue Bereiche,twa den Bereich der privaten Haushalte, verbessern;uf dem von Ihnen gewählten Weg wird Ihnen das nichtelingen.Dann gab es das Instrument des Jobfloaters. Könnenie sich daran noch erinnern?
er Jobfloater ist am 1. November 2002 unter dem TitelKapital für Arbeit“ von der KfW auf den Weg gebrachtnd im März 2003 auf die Einrichtung von Ausbildungs-lätzen ausgeweitet worden. Anstatt der von der Hartz-ommission versprochenen durchschnittlich 120 000euen Arbeitsplätze pro Jahr hat die KfW bis heute le-iglich knapp 11 500 Vollzeitarbeitsplätze und rund100 Ausbildungsplätze mit einem Mittelvolumen von37,4 Millionen Euro subventioniert. Das ist weniger als0 Prozent des versprochenen Beschäftigungseffektesnd bedeutet einen skandalösen Umfang von Subventio-en pro Arbeitsplatz von rund 73 000 Euro.Hinzu kommt, dass sich der Bundesminister für denufbau Ost, Manfred Stolpe, vom Jobfloater einen gro-en Beitrag zur spürbaren Senkung der Arbeitslosenzahln Ostdeutschland versprochen hatte. Bislang sind in dieeuen Bundesländer lediglich rund 10 Prozent der KfW-ittel geflossen; das sind ganze 83 Millionen Euro.
Ein ganz wichtiger Ansatz der Hartz-Kommissionar die Reform der Bundesanstalt für Arbeit. Durcherbesserte Vermittlung und ein modernes IT-Systemollte der Nachschub von Arbeitslosen nach Nürnbergestoppt werden. Alleine durch die Reform der Bundes-nstalt für Arbeit sollten bis zu 250 000 Arbeitslose im
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Karl-Josef LaumannJahresschnitt weniger gezählt und gut 100 000 neue Be-schäftigungsverhältnisse geschaffen werden. Anstatt dererhofften Erfolge und einer Entlastung der Beitragszah-ler aber erweist sich insbesondere der virtuelle Arbeits-markt als Millionengrab. Nach der ersten Ausschreibungwurde noch mit Kosten von 35 Millionen Euro für denvirtuellen Arbeitsmarkt gerechnet. Mittlerweile geht dieneue Führung der Bundesagentur, wie wir alle wissen,von Gesamtkosten von 163 Millionen Euro aus. Hinzukommt, dass auch die Beitragsmittel, die der ehemaligeBA-Vorsitzende Gerster für Kommunikationsberatungenunter Verstoß gegen das Vergaberecht vergeben hat, inden Sand gesetzt worden sind.Vor ein paar Tagen lese ich, meine lieben Kolleginnenund Kollegen von der SPD-Fraktion und den Grünenund vor allen Dingen vom Ministerium für Wirtschaftund Arbeit, dass das Wirtschaftsministerium vor14 Tagen eine Studie – aus den Mitteln des Steuerzah-lers – über das Image der Bundesagentur für Arbeit inAuftrag gegeben hat.
Man hat mit dieser Studie ein Bonner Institut beauftragtund zahlt dafür 830 000 Euro.
Ich möchte einmal wissen, wer in Ihrem Haus die Ver-gabe dieses Auftrags unterschrieben hat. Sie brauchenzurzeit keine Untersuchung über das Image der Bun-desagentur für Arbeit durchzuführen. Sie müssen nureinmal Straßenbahn fahren. Da hören Sie genug über dasImage der Bundesagentur.
Diejenigen, die solche Untersuchungen für notwendighalten, sind wahrscheinlich schon lange nicht mehr Stra-ßenbahn gefahren. Es wird Zeit, dass sie ihren Fahrerverlieren und wieder mehr Straßenbahn fahren müssen.Dann erfahren sie, wie das Image der Bundesagenturaussieht, auf deren Unterstützung Millionen von Men-schen in diesem Land angewiesen sind.
Die Vergabe dieser Studie ist zwar für das Institut inBonn sehr schön. Aber wenn ich mir anschaue, wie ver-zweifelt die finanzielle Situation in vielen Bereichen inDeutschland ist, dann kann ich nur den Kopf darüberschütteln – das zeugt von Unsensibilität –, dass man einesolche Studie in der jetzigen Zeit vergibt.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,Sie sollten einfach Abschied nehmen von dem Hartz-Wahlkampfmanöver. Damals haben einige eitle Herren,die Herrn Schröder helfen wollten, in einer Kommissionzusammengesessen und haben alte Tatsachen mit neuenBegriffen bezeichnet. Sie haben sich Zahlen ausgedacht,die – wenn man daran glaubt – zeigen, wie schön dieWelt sein kann. Aber mittlerweile wissen wir ganz ge-nau, dass die Hartz-Reformen und die entsprechendenIsIGdcduTnmatumklFddü4lzzwlmidtDdssivAvsSdhM
Das wäre der humanste und zumutbarste Beitrag, umu einer Kostenentlastung zu kommen. Davon bin ichutiefst überzeugt.
Ich will Ihnen einen weiteren Punkt nennen, auf denir uns verständigen müssen. Wir müssen in allen staat-ichen Bereichen schauen, welche Auflagen im Zusam-enhang mit Arbeitsplätzen entbehrlich sind. Ich würden Deutschland das Arbeitszeitgesetz abschaffen. Anessen Stelle sollte die entsprechende EU-Richtlinie tre-en. Darin ist die wöchentliche Arbeitszeit festgehalten.ie Entwicklung geht also hin zu einem Abschied voner täglichen Arbeitszeit als Richtgröße, die noch Be-tandteil – das ist bei uns Tradition – der deutschen Ge-etzgebung ist. Diese Maßnahme kostet kein Geld undst relativ einfach. Ein Federstrich genügt.
Ich würde vorschlagen, dass man die Arbeitsstätten-erordnung auf den Gesundheitsschutz konzentriert.lles andere muss uns nicht interessieren. Das könnenernünftige Leute selber regeln. Vorschriften zum Ge-undheitsschutz würde ich vorgeben. Dann wäre aberchluss.Man müsste einmal nachprüfen, wozu die Zahlen, dieie statistischen Ämter auf Bundes- und Landesebene er-eben, gebraucht werden. Mich ärgert nicht nur, dass derittelständler sonntagmorgens diese Formulare ausfül-
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Karl-Josef Laumannlen muss. Mich ärgert auch, dass sich wahrscheinlichirgendein gut bezahlter BAT-Mensch damit beschäftigt.
Wir müssen uns einmal fragen, ob wir diese Zahlenwirklich brauchen. Was geschieht mit diesen Zahlen?Sind diese Informationen für das Handeln des Staatesnotwendig? Für die Bereiche, in denen wir diese Zahlennicht benötigen, sollte man sie nicht mehr erheben.
Das wäre ein großer Fortschritt auf dem Weg zur Ent-bürokratisierung.Wenn ein Handwerksmeister feststellen würde, dasses weniger Bürokratie gibt, dann hätte er vielleicht mehrSpaß an seinem Job und würde allein schon deswegenmehr junge Menschen einstellen. Aber wenn er die Bü-rokratie im Zusammenhang mit Ihrer Ausbildungs-platzabgabe sieht, dann wird er sich wahrscheinlichüberlegen, wie er unter die Grenze von zehn Mitarbei-tern kommt, um damit nichts zu tun zu haben.Wir werden – das sage ich Ihnen voraus – nächstesJahr weniger Betriebe mit 13 Anstreichern haben als die-ses Jahr. Denn alle Betriebe werden versuchen, unterzehn Beschäftigte zu kommen, damit sie mit diesemThema nichts zu tun haben. So läuft das praktisch ab.Ich weiß, dass das für jeden, der eine Bindung zur Ge-werkschaftsbewegung in Deutschland hat, ein schwieri-ges Thema ist. Aber wenn wir wollen, dass der Flächen-tarifvertrag seine Bindungswirkung behält, wird derWeg, den die IG Bergbau, Chemie, Energie und andereeingeschlagen haben, nämlich die Tarifvereinbarungenflexibler auf Betriebsstrukturen zuzuschneiden, unver-meidlich sein. Wenn dieser Weg unvermeidlich ist, wa-rum können wir dann im Bundestag das Günstigkeits-prinzip im Tarifvertragsgesetz nicht so klarstellen, dassGerichte es nicht verbieten können, wenn sich Beleg-schaften und Geschäftsleitungen im Rahmen von Inves-titionen für die Zukunft auf eine andere Auslegung desGünstigkeitsprinzips verständigen?
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit!
Ich hoffe, dass es früh genug ist, wenn Sie umkehren.
Ich habe praktische Beispiele genannt, die nicht Millio-
nen in Agenturen kosten. Dafür brauchen Sie auch nicht
die Profis der Nation; dafür brauchen Sie nur ein Parla-
ment mit einer gutwilligen Mehrheit. Wenn Sie diese
nicht herstellen, werden wir das bald tun.
Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.
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o machen Sie sich einen schlanken Fuß; so ziehen Sieich aus der Verantwortung bzw. aus einer Angelegen-eit, die Sie gemeinsam mit uns auf den Weg gebrachtaben. Ich sage es einmal freundlich: Sie haben einirklich hocherotisches Verhältnis zum Negativen. Da-an – und nicht an Inhalten und praktischen Hilfen fürie Menschen in diesem Land – ziehen Sie sich anschei-end hoch. Sie suchen nach Misserfolgen. Das ist Ihr Er-olgsrezept und das lassen wir nicht durchgehen.
Mir zeigt das: Sie haben die Agenda 2010 weder gele-en noch verstanden. Die Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-olitik ist nämlich nicht gescheitert. Sie ist sehr erfolg-eich.
00 000 Gründungen von Ich-AGs im letzten Jahr sindben kein Misserfolg, wie es Kollege Laumann hier vor-etragen hat. Die Bundesagentur für Arbeit bzw. das Ins-itut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gingen da-on aus, dass sich in einem Jahr aus der Arbeitslosigkeitm höchsten Fall bis zu 200 000 Existenzgründungenekrutieren lassen. 250 000 sind es geworden. Sie abereden dies schlecht, machen es negativ und nehmen jun-en Menschen, die den Mut haben, Existenzgründungenufzubauen, den Mut, diesen Weg weiterhin zu beschrei-en. Das ist skandalös!
Auch die Anzahl der Minijobs ist dank unserer unbü-okratischen Regelung
anz erheblich gestiegen.
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Klaus Brandner– Stehen Sie nicht mehr zu diesem Ergebnis?
– Setzen Sie keine falschen Dinge in die Welt! Wir ha-ben uns im Vermittlungsausschuss auf ein einfaches Ver-fahren verständigt. Stehen Sie zumindest dazu, dass dasein gemeinsames Ergebnis ist!
Wenn es ein gemeinsames Ergebnis ist, dann ist die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik eben nicht gescheitert. SagenSie: Das ist ein Erfolg, zu dem auch wir ein Stück weitunseren Beitrag geleistet haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Bitte.
Herr Kollege Brandner, erinnern Sie sich daran, dass
die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden
Fraktionen im Jahre 1998 die Minijobs abgeschafft ha-
ben, die Sie jetzt als einen der größten Erfolge Ihrer Poli-
tik schildern, und würden Sie mir zustimmen, dass wir
diesen großen Erfolg auch in den dazwischenliegenden
fünf Jahren hätten haben können, wenn Sie nicht ideolo-
gisch gehandelt hätten?
Erstens hat die rot-grüne Regierung die Minijobsnicht abgeschafft, sondern sozialpolitisch anders geord-net.
Zweitens. Wir wären mit Sicherheit bei den Arbeits-marktreformen schon erheblich weiter, wenn Sie in derVergangenheit nicht so stark blockiert hätten. Wir hättendie notwendigen Reformen schneller durch das Parla-ment bringen können. Vor dieser Problematik stehen wir.
Die Zahl der Existenzgründungen – sie ist ein Belegfür das, was sich in der Gesellschaft tut – entwickelt sichpositiv. 2003 gab es 12 Prozent mehr Gewerbeanmel-dungen als im Vorjahr. Die Zahl der Unternehmensneu-gründungen ist seit 1998 um 39 Prozent gestiegen.Ein Beleg dafür, dass Sie Ihren Antrag mit flinkerHand geschrieben haben, ist, dass Sie von skandalösenSubventionen auf der Grundlage des Programms „Kapi-tal für Arbeit“ berichten. Es heißt bei Ihnen, ein Arbeits-pdudhduDHtngscUdnEgdSdWlmgOcvsbSRzsdnLbbpSs
ie Art, in der Sie diese sinnvollen Elemente, mit derenilfe Unternehmen, die nicht über genügend Eigenkapi-al verfügen, Beschäftigungsaufbau organisieren kön-en, zerreden, ist ein Skandal.
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Sie sind darineübt, die wirtschaftliche Lage und den Standort ständigchlechtzureden, es ist aber so, dass die realwirtschaftli-hen Indikatoren eine positive Tendenz aufweisen. Dermfang der Exporte hat zugenommen, die Industriepro-uktion zieht an und gestern erst meldeten die Maschi-enbauer ein Auftragseingangsplus von 5 Prozent.
s sind auch mehr Auslandsinvestitionen in Deutschlandetätigt worden.Die Arbeitslosenzahl für den Monat März wird unterem Vorjahresniveau liegen, und das nach einer langentagnationsphase. Wir sind in der Vergangenheit immeravon ausgegangen, dass wir nach einer Phase ohneachstum von einer deutlich erhöhten Arbeitslosenbi-anz ausgehen müssen. Es ist ein Erfolg unserer Arbeits-arktpolitik, dass die Arbeitslosigkeit real nicht gestie-en ist.
b man es wahrhaben will oder nicht: Die Daten spre-hen eine deutliche Sprache.
Ich bin aber davon überzeugt, dass wir in der Sacheiel weiter wären, wenn Sie nicht immer blockiert undchlechtgeredet hätten. Sie haben das auch jetzt wiederei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe undozialhilfe angekündigt. Jahrelang haben Sie an diesemednerpult gefordert, die Arbeitslosen- und Sozialhilfeu einer Leistung zusammenzufügen. Sie haben im Zu-ammenhang mit dem Job-AQTIV-Gesetz gedrängt, inie Puschen zu kommen, um es innerhalb von drei Mo-aten umsetzen zu können. Heute ziehen Sie durch dieande und reden davon, dass wir noch anderthalb Jahrerauchen werden,
is wir überhaupt in der Lage sind, die Zusammenlegungraktisch umzusetzen. Das zeigt, wie widersprüchlichie argumentieren. Es geht Ihnen nicht um die Men-chen in diesem Land, sondern um Ihren politischen Er-
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Klaus Brandnerfolg. Das muss an dieser Stelle offen und deutlich gesagtwerden.
Sie fordern das Voranschreiten der Deregulierung desArbeitsrechts. Mit einer Zangenbewegung wollen Sienormale Arbeitsverhältnisse dadurch unter Druck setzen,dass Sie den Kündigungsschutz fast völlig aufgeben.Das zeigt nur, dass die soziale Markwirtschaft nichtmehr in Ihrer Grundphilosophie enthalten ist. In denersten vier Jahren einer Beschäftigung soll es ebensowie in Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigtenüberhaupt keinen Kündigungsschutz mehr geben. Auchüber 50-Jährige sollen überhaupt keinen Kündigungs-schutz mehr haben.Dabei haben wir im letzten Jahr im Vermittlungsaus-schuss ein Ergebnis erzielt, dem Sie zugestimmt haben.Wie lange halten Ihre programmatischen Vorgaben? Wielang ist die Halbwertszeit Ihrer Zusagen? Nicht einmaldrei Monate sind ins Land gegangen und schon werfenSie alles über Bord und bezeichnen alles als Quatsch, zudem Sie vorher Ja gesagt haben. Mit dieser Wider-sprüchlichkeit müssen Sie fertig werden. Das ist nichtunser Problem.Wir jedenfalls stehen dafür, dass KündigungsschutzSicherheit und Planbarkeit für die Menschen in diesemLand bedeutet. Wir können uns nicht vorstellen, dassjunge Menschen Familien gründen, wenn sie überhauptkeine Sicherheit in ihren Arbeitsverhältnissen spüren.Wenn Sie die Menschen wie Ware, wie Handys oder Au-tos, behandeln, werden wir keine positive wirtschaftlicheEntwicklung erfahren. Nicht allein der Preis darf zählen.Marktwirtschaft pur kann nicht unser Programm sein.Das Soziale in der Marktwirtschaft muss erhalten blei-ben. Deshalb brauchen wir auch weiterhin einen sozialenKündigungsschutz.
Ganz verrückt ist Ihr Antrag bezüglich der betriebli-chen Mitbestimmung. Auf der einen Seite sagen Sie,dass die Anzahl der Betriebsratsmitglieder reduziertwerden muss, dass die Freistellungen reduziert und dieRechte der Betriebsräte beschnitten werden müssen. Aufder anderen Seite stellt sich Kollege Laumann hier hinund sagt: Wir brauchen betriebliche Bündnisse für Ar-beit, die verantwortlich über Lohnreduzierungen, Ur-laubsreduzierungen und Jahressonderzahlungsreduzie-rungen reden, verhandeln und entscheiden können. DieDrecksarbeit sollen sie also machen, aber ihre Rechts-stellung wollen Sie drastisch beschneiden, sodass sieüberhaupt nicht dazu in der Lage sind. Das ist die Wahr-heit und das muss man Ihnen deutlich sagen.
Genauso deutlich sind die Widersprüche in Ihrer Ar-beitsmarktpolitik: Sie fordern hier im Parlament, dieBeiträge für die Arbeitslosenversicherung zu senken.Das ist gut und wir würden das auch gerne tun. Sobalddie Arbeitslosigkeit sinkt, werden wir das auch tun.AeummzdfABssbmmcDSdmsLdJGbsuDamznddiSer
ber Sie gehen doppelzüngig über Land. Sie gehen auf derinen Seite zu den karitativen Einrichtungen wie Kolpingnd Caritas und sagen denen: Ihr leistet tolle Arbeit undüsst eure betrieblichen Berufsausbildungsergänzungs-aßnahmen ausdehnen. Auf euch kann man nicht ver-ichten. Auf der anderen Seite jedoch fordern Sie hier,ass die Mittel für genau diese Aufgaben gekürzt oderaktisch ganz gestrichen werden. Sie sagen: Die aktiverbeitsmarktpolitik ist gescheitert. Es sollen lieber dieeiträge gesenkt werden. Darin zeigt sich Ihre Wider-prüchlichkeit.Bei den Arbeitnehmern und Arbeitgebern machen Sieich mit Ihrer Forderung nach Beitragssatzsenkungeneliebt. Den Konsumenten sagen Sie: Wir brauchenehr Geld. Den Kommunen sagen Sie: Wir brauchenehr Geld für Investitionsmaßnahmen. Wir wollen si-herstellen, dass mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.en Bürgern sagen Sie: Wir wollen die Steuern senken.ie versprechen allen alles, wollen zugleich aber hieren vernünftigen Weg nicht mitgehen, damit die Arbeits-arktpolitik effizienter wird und die Maßnahmen ge-tützt werden. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
aumann?
Ja, bitte schön.
Kollege Brandner, Sie haben gerade gesagt, wir wür-
en den Einrichtungen, die sich um die benachteiligten
ugendlichen kümmern, sagen: Dehnt eure Arbeit aus.
leichzeitig würden wir den Arbeitslosenversicherungs-
eitrag senken wollen. Darin sehen Sie einen Wider-
pruch.
Sind Sie denn nicht mit mir der Meinung, dass es gute
nd weniger erfolgreiche Arbeitsmarktinstrumente gibt?
azu, dass wir uns angesichts der derzeitigen Situation
m Arbeitsmarkt um benachteiligte Jugendliche küm-
ern, bestand immer Konsens über die Fraktionsgren-
en hinaus.
Ich bin schon der Meinung – können Sie mir darin
icht Recht geben? –, dass zum Beispiel die Förderung
er PSAs in Höhe von 280 Millionen Euro, dass die För-
erung der Ich-AGs und ABM im Westen Arbeitsmarkt-
nstrumente sind, die teuer, aber nicht erfolgreich sind.
ollten wir uns nicht davon verabschieden, um dann die
rfolgreichen Modelle weiterfahren zu können?
Nun, Kollege Laumann, Sie wissen, dass gerade dieot-grüne Regierung dafür steht, die Effizienz der
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9178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Klaus Brandnerarbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht nur zu über-prüfen,
sondern auch dafür zu sorgen, dass sie bezüglich der In-tegration in den Arbeitsmarkt und auch unter finanziel-len Gesichtspunkten vorliegt. Von manchen, die nicht ef-fizient sind, bekommen wir großen Ärger. Diesbezüglichwürden wir gern Ihre Unterstützung in Anspruch neh-men und sagen: Wer die Leistung hinsichtlich der Inte-gration in den Arbeitsmarkt nicht bringt, wird nicht mehrbedacht. Dafür hätten wir gern die Unterstützung von al-len in diesem Land, auch von der FDP. Das tritt leidernicht ein. Das ist die eine Erfahrung, die wir machen.Schauen Sie sich – zum Zweiten – einmal die Daten-lage in diesem Land an. Die Menschen müssen das wis-sen. Sie fordern, den Beitragsatz von 6,5 auf 5,5 Prozentzu senken. Das bedeutet einen Einnahmeverlust von12 Milliarden Euro. Für die aktive Arbeitsmarktpolitikwerden etwa 20 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.Dann blieben nur noch 8 Milliarden Euro übrig. Für dieaktive Arbeitsmarktpolitik stünden damit praktisch keineMittel mehr zur Verfügung. Man muss Ihnen ganz dras-tisch sagen, was Sie mit Ihrem Antrag auslösen.
– Moment, meine Antwort auf Ihre Frage ist noch nichtzu Ende.
– Nein, nein. Die Uhr läuft ohnehin die ganze Zeit wei-ter, Frau Präsidentin.
Ich habe die Uhr vorhin nicht gestoppt. Deswegen
muss ich sie weiterlaufen lassen. Ich glaube aber, die
Frage ist ausführlich beantwortet.
Lassen Sie mich ein klares Argument zu dem anfüh-ren, was Sie ansonsten vorgetragen haben. Der nieder-sächsische Ministerpräsident zum Beispiel sagt, dass erfür die aktiven Integrationsmaßnahmen für Langzeit-arbeitslose dreieinhalb Milliarden Euro mehr habenmöchte. Der Bund will für die ganze BundesrepublikDeutschland sechs Milliarden Euro zur Verfügung stel-len. Sie müssen sich einmal vorstellen, wie widersprüch-lich diese Situation ist: Sie fordern unendlich hohe Sum-men für die kommunale Ebene, aber hier im Parlamentsagen Sie im Grunde genommen, dass diese Arbeits-marktpolitik Quatsch ist, dass sie gescheitert ist und dasswir diese Maßnahmen überhaupt nicht brauchen. DieseWidersprüchlichkeit lassen wir Ihnen nicht einfachdurchgehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michnoch etwas zum Stichwort Teilzeitarbeit sagen. AuchdighekspDpnsRsMIadlSSdldsshfbfssubnDdRamdltdz
Meine Damen und Herren, mit Ihrem Antrag habenie sich hinsichtlich der Einseitigkeit geoutet, mit derie die sozialen Rechte auf dem Rücken insbesondereer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abbauen wol-en. Wir fragen uns: Wo bleiben Ihre Forderungen anie Manager, ihre Gehaltsstrukturen zu überprüfen? Wochauen Sie, inwiefern gerade die Klientel, für die Sieich sonst ins Zeug werfen, noch leistungsgerecht Ge-altsforderungen in Millionenhöhe erheben kann?
Wie Sie wissen, lautet unser Programm „Fördern undordern“. Sie fordern nur von den Arbeitnehmern. Daselegt Ihr Antrag, in dem Sie das deutlich machen. Ihnenehlt das Augenmaß. Wir sind Ihnen für Ihren Antrag in-ofern dankbar, als er Ihre politische Richtung zeigt. Un-ere Grundstrategie bleibt eine Politik, die auf Angebotnd Nachfrage reagiert und die Arbeitnehmer- und Ar-eitgeberinteressen berücksichtigt. Ihr Antrag hat in sei-em Kern nur die Interessen der Bundesvereinigung dereutschen Arbeitgeberverbände zum Inhalt. Wir wissen,ass wir mit Hartz begonnen haben, einen erfolgreicheneform- und Umstrukturierungsprozess einzuleiten, deruch an harten Zahlen sichtbar wird,
it dem neue Beschäftigung erschlossen wird, mit demie Qualität und auch die Geschwindigkeit der Vermitt-ung verbessert wird und der die Neuausrichtung der ak-iven Arbeitsförderung sicherstellt. Wir bauen darauf,ass die Tarifvertragsparteien diesen Prozess unterstüt-en.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9179
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Klaus BrandnerDeshalb geht auch von dieser Stelle ein aktives unddeutliches Zeichen für den Erhalt der Tarifautonomieaus. Die Tarifvertragsparteien in Deutschland haben ge-rade erst wieder bewiesen, dass sie in der Lage sind, aufneue Herausforderungen flexibel zu reagieren. Ihr An-satz, den Tarifvertragsparteien – im Kern meinen Sie ja:den Gewerkschaften – den Boden unter den Füßen zuentziehen und damit einseitig die Arbeitnehmerseite zuschwächen, ist eine Angelegenheit, die wir nicht hinneh-men werden.
Meine Damen und Herren, wir werden deutlich sa-gen: Wir sind für gleichgewichtige Partner. Beide Part-ner werden mit unserer Unterstützung – je gemeinsamer,desto besser – dafür sorgen, dass sie auch neue Heraus-forderungen aufgreifen, zum Beispiel die Frage der Aus-bildungsplätze. Das wäre doch ein Thema, bei dem Be-darfe bestehen. Wir könnten sie ermuntern, diesesThema zu behandeln. Das ist eine Wertefrage, die sie ge-meinsam aufgreifen könnten, was auch uns mit Sicher-heit ermöglichen würde, von mancher komplizierten Re-gelung eher Abstand zu nehmen.Aber wir müssen doch Fragen, die sich in diesemLand stellen, auch sachgerecht beantworten. Deshalbsollten Sie nicht einseitig die Gewerkschaften und dieArbeitnehmer als Sündenböcke für die Problemlagen indieser Gesellschaft darstellen. Wir bauen auf eine guteZusammenarbeit. Insofern sind wir mit unserem Pro-gramm „Fördern und fordern“ auf einem richtigen Weg.Ich denke, das haben unsere Erfolge deutlich gemacht.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-battieren über das Wachstumsprogramm der Union. Sie,Herr Brandner, haben nur draufgehauen. Ich hätte mir indem Wachstumsprogramm der Union mehr Konkreteszum Aufbrechen des Tarifkartells gewünscht, auch zurSteuerpolitik manches Konkretere, aber die Richtungstimmt.
Grundsätzlich hat Herr Laumann völlig Recht: Wirmüssen uns mit den Ursachen beschäftigen, warum wirheute – am Vorabend der Erweiterung der EuropäischenUnion um zehn neue Mitgliedsländer – in der Situationsind, dass Deutschland, das früher das reichste Land derEuropäischen Union war, unter dem Durchschnitt liegt,dass die leichte Belebung der Konjunktur schon wiedergefährdet ist: Der Ifo-Index geht zum zweiten Mal he-runter; Herr Eichel spricht von der Wachstumsbremsedes Konsums, von der Achillesferse. Auch die Beurtei-lung draußen ist nicht positiv.sDTmefs5tsDvbvd1zaSvefssDzdisDvmetkdMM–gh6MDsäNgT
Das wird Konsequenzen haben. Schon jetzt beobach-en wir eine Abwanderung von Talenten, von Wissen-chaftlern, von Unternehmen, von Investitionen auseutschland. Diese Neuorientierung in Europa wird sicherstärken. Wir müssen uns deshalb grundsätzlich damiteschäftigen, was wir falsch machen, und zwar überiele Jahre. Die Obergrenze des Wachstumspotenzialser deutschen Wirtschaft liegt seit Jahren bei 1 bis,5 Prozent. Das ist zu wenig. Für einen Beschäftigungs-uwachs brauchen wir gegen 2 Prozent reales Wachstum.Die Weichen sind nicht gestellt. Was ist die Antwortuf die Niedrigsteuergebiete in der Europäischen Union?ie muss doch sein, dass wir auch bei uns Anpassungenornehmen, drastisch vereinfachen, andere Strukturenntwickeln. Nur ein bisschen Reparatur wird nicht hel-en. In ganzen Bereichen werden wir einen Systemwech-el brauchen.Weshalb gelingt es der Regierung nicht, die Men-chen im Land bei den Veränderungen mitzunehmen?as hat zwei Ursachen. Zum Ersten, weil sie ständigickzack macht: Da wird etwas angepackt, dann verän-ert; keiner kann sich orientieren, die Verunsicherungst groß. Zum Zweiten setzt sie auf eine insgesamt schonehr hohe Regulierungsdichte weitere Regelungen drauf.ie Bürger stehen vor einer babylonischen Wand. Sieerstehen die Strukturen nicht mehr, sie können nichtehr Teil des Systems sein, sie können nicht mehr mit-ntscheiden und es nicht mehr bewerten, weil das Sys-em so kompliziert geworden ist, dass keiner mehr mit-ommt.
Im Grunde brauchen wir eine Redemokratisierungurch wieder überschaubare Strukturen, die den Bürgernöglichkeiten zur Partizipation, zur Mitwirkung, zuritentscheidung einräumen. So, wie wir die Strukturen die sozialen Sicherungssysteme, das Steuersystem –estaltet haben, kommen die Bürger nicht mehr mit; des-alb sind sie nicht dabei. So meinen heute zwischen0 und 70 Prozent der Bevölkerung: Alle Parteien sindist, sie sind nicht in der Lage, die Probleme zu lösen.ie innere Zustimmung der Bürger zum parlamentari-chen System schwindet insgesamt.Deswegen müssen wir die Grundachsen der Politikndern. Die Ordnungspolitik verfällt in diesem Land.icht nur der legendäre Holzmann-Interventionismus, eseht ja weiter: Das Postmonopol wurde verlängert. Imelekommunikationsgesetz wird – das hat noch keine
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Rainer BrüderleRegierung Deutschlands gewagt – ein Weisungsrechtdes Ministers in Wettbewerbsfragen gegenüber der Re-gulierungsbehörde festgelegt. Eine neue Dimension!Oder im Pressefusionsrecht: Verbietet das Kartellrechteine Fusion, führt man einen Sonderstatus ein. Was ma-chen wir denn, wenn morgen etwa die Banken in weitereSchwierigkeiten geraten? Etwa ein eigenes Bankenfu-sionsrecht, ein Sonderrecht für Banken? Nein, die Kar-tellordnung, das Wettbewerbsrecht ist die Magna Charta,die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft.
Dort wird permanent interveniert, fehlgesteuert. Unddann wundert man sich, wenn die Ergebnisse schlechtausfallen.Eon, Ruhrgas, 85 Prozent Marktanteil. Als Belohnungbekommt der Wirtschaftsminister dann noch den Vor-standsvorsitz bei der Ruhrkohle AG. Welche Einstellun-gen und Verhaltensweisen sind das! Wie will man dannnoch dem Pförtner, der abends Papier für sein Faxgerätmit nach Hause nimmt, eine Abmahnung schicken, wennsich Führungspersonen in Politik und Gesellschaft, auchwenn es rechtlich nicht angreifbar ist, so verhalten, wieHerr Müller sich verhält?
Das sind die Ursachen einer Fehlentwicklung undFehlsteuerung, die in vielen Bereichen zu falschen Er-gebnissen führen. Wenn wir keine Rückbesinnung aufmehr Charakter in der Grundausrichtung der Wirt-schaftspolitik erreichen, werden wir es nicht schaffen.Ich nehme als Beispiel den Arbeitsmarkt. Weshalbdürfen die betroffenen Mitarbeiter im Betrieb – in gehei-mer Abstimmung mit einer Mehrheit von 75 Prozent;das ist mehr als eine verfassungsändernde Mehrheit –keine eigenen Regelungen treffen, wenn sie es wollen?Es geht um ihren Job und um ihre Lebensperspektive.
Ich will Mitbestimmung für die Mitarbeiter und wenigerMitbestimmung für Funktionäre, die vielfach nicht wis-sen, wie die Situation vor Ort ist.Dies betrifft übrigens beide Seiten. Es gibt auch beiArbeitgeberverbänden viele, die nicht in modernenStrukturen angekommen sind. Aber Sie haben auchnicht den Mut, bei der Bundesagentur für Arbeit dasKartell aufzubrechen. Wer sitzt denn dort im Verwal-tungsrat? Es sind doch dieselben wie vorher: zu einemDrittel die Arbeitgeberverbände, zu einem Drittel dieGewerkschaften und zu einem Drittel der Staat. WennSie diejenigen, die bewiesen haben, dass sie mit der Fle-xibilisierung nicht umgehen können, zu Reformatorenernennen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wirnichts hinbekommen.
Die Strukturen aufzubrechen heißt, Chancen undFreiheiten zu geben, das Richtige zu entscheiden. Wirsind in Deutschland nicht blöder und auch nicht faulerals früher. Wir haben es nur nicht geschafft, die Struktu-riswaKdsntdidvsmFtWeap–NEdh4nstgfhwzdhnusSPmorcze
Diese Schieflage wirkt sich jenseits des einzelnen Un-ernehmens auf das Klima im Lande aus. Viele habenas Gefühl, dass dies nicht fair, nicht anständig ist. Diesst auch ein Grund dafür, dass sich viele innerlich abmel-en. Es findet nicht nur eine objektive Auswanderungon Talenten, Forschern, Begabung und Kapital statt,ondern auch eine innere Auswanderung. Es fehlt dieoralisch-ethische Grundlage eines solchen Systems:reiheit und Verantwortung. Wir müssen mehr Freihei-en geben und dann Verantwortung einfordern.
ir haben sie über Jahre reduziert. Ich will gar keineinseitige Zurechnung vornehmen. Das Ergebnis istber, dass Deutschland heute als der kranke Mann Euro-as gilt.
Es ist doch so, Frau Kollegin! Wenn ein Land, das dieummer eins war, heute unter dem Durchschnitt deruropäischen Union angekommen ist, dann müssen wiroch etwas falsch gemacht haben. Wir haben in Wahr-eit doch 6 Millionen Arbeitslose. Es sind nicht nur die,5 Millionen, die in der Statistik auftauchen. 1,5 Millio-en Menschen sind in Ersatzmaßnahmen wie ABM; sieind faktisch geparkt und hängen am Tropf von Sozial-ransfers, haben aber keine durch Marktmechanismenesicherte Arbeitsplätze. Es muss doch bei uns etwasalsch sein, wenn die Arbeitslosigkeit in Großbritannienalb so hoch und in den Niederlanden und in Schwedeneniger als halb so hoch wie in Deutschland ist. Dieseigt doch, dass die Menschen dort besser als wir gehan-elt haben.
Hier werden aber diejenigen, die auf Schwachstelleninweisen und sagen, dass bei uns die Grundachsenicht stimmen und sich hier etwas ändern muss, jetzt alsnpatriotisch und als vaterlandslose Gesellen be-chimpft. Wenn diese unsinnige Debatte überhaupt eineninn hat, dann muss es doch der sein, dass derjenige einatriot ist, der den Mut hat, Veränderungen vorzuneh-en. Die Menschen draußen im Lande wissen, dass eshne Veränderungen nicht weitergeht, dass wir Verände-ungen vornehmen müssen. Es genügt nicht, ein biss-hen zu ändern oder zaghaft nachzusteuern. Das Unso-ialste ist, keinen Arbeitsplatz und keine Chance aufinen Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu haben, weil
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Rainer Brüderlewir nicht den Mut haben, die Dinge in Ordnung zu brin-gen.Sie brauchen mir das alles gar nicht zu glauben; daskönnen Sie in jedem Gutachten des Sachverständigen-rats, in den Monatsberichten der Bundesbank sowie inden Veröffentlichungen der OECD und des Währungs-fonds nachlesen. Die Europäische Kommission mahntDeutschland, endlich die Dinge zu verändern. Wenn wirin Deutschland nicht die Kraft haben, im Rahmen unse-res parlamentarischen Systems die Veränderungen vor-zunehmen – die Menetekel können Sie in Italien undFrankreich in vielen Bereichen sehen –, werden sich dieProbleme andere Lösungswege, vorbei an heute beste-henden Strukturen, suchen.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, mein letzter Satz: Es ist unsere pa-
triotische Pflicht, Veränderungen vorzunehmen. Deshalb
sollten wir hier eine Debatte darüber führen, wie wir
wieder Wachstum und Beschäftigung schaffen, und
keine Punkt-, Komma- und Strichdiskussion. Denn das
schreckt die Menschen in Deutschland noch mehr von
unserer Politik ab.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fritz Kuhn.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Brüderle, natürlich muss man, wennman die Arbeitslosigkeit bekämpfen will, viel verändern.Das ist doch logisch. Man muss Reformen in allen Be-reichen der Wirtschaft durchführen, auch auf dem Ar-beitsmarkt.Ich bin aber sehr darüber erstaunt, was hier abläuft.Wir stecken mit der Umsetzung des Gesamtpakets derHartz-Reformen gerade mitten in einer der größten Re-formen des deutschen Arbeitsmarktes. Damit sind wirnoch nicht fertig.
Hartz IV – dazu werde ich später noch etwas sagen – istnoch nicht umgesetzt
und Sie verkünden wortreich, so wie eben HerrLaumann, das Ganze sei gescheitert und werde nichtsbringen.
Dabei stehen wir gerade am Beginn der entscheidendenArbeitsmarktreform. Die ausländischen Medien dagegenbmmsfidsLSlsdSiUwwdpLbiAnPzvDtDaugsSbgRl
Herr Laumann, Sie müssen sich gefallen lassen, dassan Ihnen folgende Frage stellt: Hunderttausende Men-chen haben eine Ich-AG gegründet, weil sie der Auf-orderung, die in den letzten Jahren verbreitet wordenst, geglaubt haben, deren Tenor hieß: Werdet selbststän-ig und nehmt euer Schicksal in die eigene Hand. Wasollen diese Menschen nun denken, wenn Sie, Herraumann, hier fröhlich erklären, die Ich-AGs seienchwindel, es gebe keinen Markt für die neuen Dienst-eistungen, die von ihnen aufgrund sehr unbürokrati-cher Unterstützung angeboten werden?Mir drängt sich der Verdacht auf, dass Sie zynisch miten Reformen umgehen.
ie haben offenkundig ein Interesse daran – das werdech Ihnen im Einzelnen belegen –, dass alles, auch dermbau der Bundesagentur für Arbeit, schlechtgeredetird. Denn Sie glauben – das ist Ihr Kalkül –, dass es,enn vor Ort in den Arbeitsämtern Chaos herrscht, fürie Bundesregierung schlecht und demnach für die Op-osition gut ist. Mit dieser Methode nehmen Sie, Herraumann, den einzelnen Arbeitslosen in Geiselhaft einerilligen Oppositionspolitik.
Ich nenne Ihnen hierfür einige Beispiele. Erstens. Esst doch klar, dass die PSAs, die Personal-Service-genturen, in Zeiten einer massiven Konjunkturkriseicht optimal funktionieren können. Das Instrument derSAs ist dann geeignet, wenn die Konjunktur wieder an-ieht, weil man dann Menschen in Leiharbeitsfirmenermitteln kann; das ist doch logisch.
ieses Instrument ist kein Instrument für die Konjunk-urkrise. Wir brauchen es trotzdem.
Ein zweites Beispiel. Alle Welt weiß, dass ineutschland zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfeufgrund der Finanzierung aus den Gemeindehaushaltennd aus dem Bundeshaushalt seit Jahren – von Ihrer Re-ierung damals gewollt – ein Verschiebebahnhof be-teht. Die Gemeinden haben ein Interesse daran, dass dieozialhilfeempfänger Arbeitslosengeld und später Ar-eitslosenhilfe beziehen können. Der Bund hat das ent-egengesetzte Interesse.Nun gehen wir hin – viele von Ihnen fordern dieseeform seit Jahren – und legen Sozialhilfe und Arbeits-osenhilfe zusammen,
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)Fritz Kuhndamit die Menschen schneller und leichter vermitteltwerden können und damit wir Bürokratie sparen. WennSie nun aber wie in dieser Woche blockieren, dass dieArbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zusammengelegtwerden kann, dann ist das nichts anderes als destruktivePolitik
hinsichtlich eines zentralen Reformprojekts, das wir inDeutschland brauchen.
Herr Kauder, ich will Ihnen das im Detail darlegen.Herr Koch ist der Meinung, die Gemeinden sollten dasin Zukunft machen, obwohl das außer dem Landkreistagkaum eine Gemeinde wirklich will. Denn die Gemein-den wissen, dass ihre Kompetenzen bei der Schuldnerbe-ratung, bei der Drogenberatung
und bei solchen Dingen liegen und nicht bei der Arbeits-marktvermittlung. Diese Kompetenz hat die Arbeitsver-waltung.
Dann hat man sich auf ein Optionsmodell geeinigt. Aberplötzlich fordern Sie nach den Beratungen im Vermitt-lungsausschuss eine Verfassungsänderung. Bringen Sieeinmal in die Föderalismuskommission ein, dass Sie fürdiesen Einzelfall eine Verfassungsänderung durchführenwollen, sodass die Gelder vom Bund über die Länder zuden Gemeinden fließen; so lautete Kochs Konzept. Da-bei weiß doch jeder Landespolitiker, dass die klebrigenFinger der Länder einen Teil dieser Gelder abgreifenwerden.
Erklären Sie das einmal Ihren schwarzen Ministerpräsi-denten! Jeder hier weiß doch, dass alle, auch die Union,diese Verfassungsänderung nicht wollen.
Der Wirtschaftsminister hat einen Vorschlag gemacht:Durch die Organleihe soll bei dieser Aufgabe die Zu-sammenarbeit zwischen den Gemeinden und der Bun-desagentur für Arbeit möglich werden. Wir alle wollendoch, dass die Gemeinden diese Aufgabe mit wahrneh-men. Sie sagen trotzdem, dass Sie die Verfassungsände-rung wollen, obwohl die Union in den Ländern dagegenist. Das ist destruktive Politik. Sie wollen die Reformnicht, stattdessen wollen Sie Chaos in den Arbeitsämternim nächsten Jahr. Diesen Vorwurf kann ich Ihnen an die-ser Stelle einfach nicht ersparen.
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Ja, Sie haben Ihre Zeit gut eingeteilt; das können Sie. –
hr Antrag beinhaltet eine Inkonsequenz nach der ande-en.
ch will Ihnen das einmal an einem Beispiel vor Augenühren. Wir haben die größte Steuerreform durchge-ührt, die es in der Geschichte der Bundesrepublik je-als gegeben hat. Ich will Ihnen das noch einmal in Er-nerung rufen: 1998 betrug der Eingangssteuersatz5,9 Prozent und der Spitzensteuersatz betrug 53 Pro-ent. 2005 wird der Eingangssteuersatz 15 Prozent under Spitzensteuersatz 42 Prozent betragen.Die größte Steuerreform aller Zeiten
aben wir durchgeführt. Sie haben sie bekämpft, solanges ging.Jetzt haben Sie fröhlich in Ihren Antrag geschrieben,ass die Steuern viel zu hoch sind und sinken müssen. Iniesem Zusammenhang kommen Sie auf Ihre 12 und6 Prozent.
Selbst wenn man zu Ihren Gunsten rechnet, haben Sieafür eine Deckungslücke von 10 Milliarden Euro; dieseeben Sie zu. In der Krankenversicherung wollen Sieine Kopfprämie einführen. Die selbst erklärte De-kungslücke beträgt dort 20 Milliarden Euro. Ihremröhlichen Wachstums- und Belebungskonzept für dieeutsche Wirtschaft fehlen nüchtern gerechnet also0 Milliarden Euro.Daneben schreiben Sie in Ihrem Antrag fröhlich, dassehr für Forschung und Bildung ausgegeben werdenuss. Entsprechend der Lissabon-Ziele sollen wir das,0-Ziel im Forschungsbereich verwirklichen. Dasürde uns Jahr für Jahr 600 Millionen Euro zusätzlichosten. Für das, was Sie hier zusätzlich fordern, habenie keinerlei Finanzdeckung, sondern ein Deckungsdefi-it von insgesamt 30 Milliarden Euro. Trotzdem wollenie der staunenden Öffentlichkeit erklären, dass die vonhnen präsentierte Milchmädchenrechnung in irgend-iner Weise ein Wachstumskonzept sein soll. Herraumann, ich kann Ihnen nur sagen: Wer so schlechtechnet
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Fritz Kuhnund derart auf Desinformation und Chaos wie Sie setzt,der sollte nicht den Anspruch stellen, die Kompetenz da-für zu haben, die Arbeitslosigkeit in Deutschland ernst-haft bekämpfen zu können.
Ich komme nun zum Subventionsabbau. Sie schrei-ben fröhlich – wie es Ihre Art ist –, dass Sie Subventio-nen abbauen wollen. Es liegen konkrete Vorschläge derRegierung für den Subventionsabbau auf dem Tisch.Bundeskanzler Schröder hat in seiner Regierungserklä-rung jüngst die Abschaffung der Eigenheimzulage ange-sprochen. Die dadurch frei werdenden Mittel sollen fürdie Bildung in den Gemeinden, Ländern und im Bundverwendet werden. Dazu habe ich von der CDU/CSU,die den vorliegenden Antrag gestellt hat, noch kein ein-ziges konstruktives Wort gehört.
Sie reden von mehr Bildung. Wenn es aber um die Fi-nanzierung geht, dann ducken Sie sich weg. Herr Kaudergeht dann auf die Toilette und schaut, dass er sich ver-drückt. So einfach ist das Spiel, das Sie hier veranstalten,Herr Kauder.
Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie in Deutschlandpolitisch etwas werden wollen, dann müssen Sie in dennächsten Jahren Vorschläge für die Finanzierung dessen,worüber sie reden, machen. Ansonsten bleibt es bloßesGerede und nichts anderes.Herr Laumann, Sie haben einige Vorschläge gemacht,auf die ich eingehen will.
Selbstverständlich können wir darüber reden, welcheAnfragen an die Statistischen Bundes- und Landesämterwirklich notwendig sind. Reden wir dann aber auch ehr-lich darüber!
Sie wissen, dass die Wirtschafts- und die Handwerksver-bände von der Bundesregierung und den Landesregie-rungen sehr viel von dem, was dort abgefragt wird undwas den Mittelständler am Sonntagvormittag tatsächlichbelastet – da haben Sie völlig Recht –, wissen wollen.Das heißt, man muss sich wirklich an einen Tisch setzenund Commitments bezüglich dieser Frage einholen.Dann ist aber auch Schluss damit, dass die Oppositionmit ihren Anträgen jeden Punkt und jedes Komma vonder Regierung erklärt haben will.Sie kennen doch das Geschäft. Viele Daten, die statis-tisch erhoben werden, werden deshalb erhoben, weilVerbände und auch das Parlament insgesamt bzw. dieOpposition diese Zahlen abfragen. Wenn wir die Ant-wDdnmusswomdsbdIetdftDsmBWteDAEPdSeBdWctTCwzmD
Auch bei der Arbeitsstättenverordnung können wir je-erzeit über die Frage reden, was notwendig ist und wasicht. Ich selber kenne aus Diskussionen mit Unterneh-ern eine Reihe von Punkten, die nicht plausibel sindnd die Überregulierung zum Ausdruck bringen.Wenn Sie den Masterplan von Herrn Clement kon-truktiv begleiten würden – Sie machen ihn nurchlecht –,
enn Sie konkrete Vorschläge einbringen oder ein Vier-der Achtaugengespräch darüber führen würden, wasöglich ist und was nicht, dann könnten Sie vieles vonem erreichen, was Sie angesprochen haben. So weitind wir nämlich gar nicht auseinander.Ich komme zu einem anderen Punkt in Ihrem Antrag,ei dem man ganz einfach sagen muss: Sie haben ein an-eres Konzept der sozialen Marktwirtschaft als wir. Inhrem Antrag fordern Sie, dass der Kündigungsschutzrst bei Betrieben mit 20 Personen gelten und in den ers-en vier Jahren der Beschäftigung keine Anwendung fin-en soll. Da 7 Millionen Menschen in Deutschland Jahrür Jahr den Job wechseln, bedeutet Ihr Vorschlag prak-isch, dass die große Mehrheit der Beschäftigten ineutschland nicht mehr unter die Kündigungsschutzge-etzgebung fallen soll. Das halten wir für falsch. Manuss es ganz klar sagen: Sie wollen für die Mehrzahl dereschäftigten in Deutschland keinen Kündigungsschutz.ir hingegen wollen ihn für die Mehrzahl der Beschäf-igten in Deutschland, weil der Schutz vor Kündigungin elementares Recht der sozialen Marktwirtschaft ist.as ist ein wichtiger Punkt. Da haben Sie sich in Ihremntrag vielleicht verrannt. Darüber sollten Sie meinesrachtens noch einmal in Ruhe nachdenken.Ich will zum Abschluss einen anderen wichtigenunkt zu Ihrem Vorgehen ansprechen. Sie setzen darauf,ass die Zusammenlegung von Arbeitslosen- undozialhilfe nicht, wie vorgesehen, zum 1. Januar 2005ingeführt wird. Übrigens wird dieser Vorschlag von derundesagentur für Arbeit mit ihrer Selbstverwaltung,ie auch Sie wollen, selbst sabotiert. Die Kollegen vomirtschaftsausschuss saßen in Essen mit den entspre-henden Kollegen zusammen und haben darüber disku-iert, was geht und was nicht. Kaum waren sie aus derür, hat der Vertreter der Arbeitgeberverbände, Herrlever, öffentlich erklärt, dass der Termin verschobenerden muss, weil er nicht einzuhalten ist. In der Sit-ung aber hat er das Maul nicht aufgemacht, obwohl erit am Tisch saß. Daran können Sie sehen, welchesoppelspiel an dieser Stelle gespielt wird.
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Fritz KuhnIch sage Ihnen: Wir werden Ihnen nicht durchgehenlassen, dass Sie das taktische Oppositionsspiel einer Ver-elendungsstrategie der Bundesrepublik Deutschland zu-lasten der Arbeitslosen spielen und dadurch die Arbeits-losen, die hoffen, schnell vermittelt zu werden, an denRand drücken. Diese Taktik wird nicht aufgehen. Dakönnen Sie noch so laut schreien und triumphieren, wieSie es gerade getan haben.Wir werden es in der Auseinandersetzung der nächs-ten zweieinhalb Jahre schaffen, deutlich zu machen, dassdiese Opposition bislang keinerlei Konzepte vorgelegthat, wie wir in Deutschland zu mehr Wachstum und Be-schäftigung kommen werden. Vielmehr chaotisieren unddestabilisieren Sie systematisch auf hohem Niveau. Wirwerden das offen legen. Am Schluss werden wir sehen,wer Recht bekommt.Ich danke.
Zwei Kollegen haben eine Kurzintervention angemel-
det: der Kollege Niebel und der Kollege Kauder. Herr
Kuhn, Sie können danach auf beide zusammen antwor-
ten.
Bitte sehr, Herr Niebel.
Sehr verehrter Herr Kollege Kuhn, Sie können am
Pult noch so sehr schreien, aber das ändert nichts daran,
dass Sie das Haus anzünden und dann rufen: Haltet den
Brandstifter! Nicht die Opposition ist für die schlechte
Situation am Arbeitsmarkt und das Stocken von Refor-
men verantwortlich, sondern die die Regierung tragen-
den Fraktionen von Rot und Grün.
Sie regieren seit fünf Jahren. Auch vorherige Regierun-
gen haben Fehler gemacht. Wer aber fünf Jahre lang das
Steuer in der Hand hat und ständig nur in den Rückspie-
gel schaut, muss den Wagen gegen die Wand fahren; das
ist ganz klar.
Sie haben die Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe angesprochen. Nun waren Sie im Ver-
mittlungsverfahren Ende letzten Jahres nicht dabei. Des-
wegen wissen Sie wahrscheinlich nicht, dass wir verein-
bart und im Bundestag und im Bundesrat über alle
Fraktionsgrenzen hinweg auch beschlossen haben, den
Kommunen eine faire und gleichberechtigte Options-
chance einzuräumen. Das Gesetz aber, das Sie morgen
einbringen werden, hat entgegen dem überfraktionellen
Beschluss des Bundestages und des Bundesrates einen
anderen Zweck.
Sie werden einen Gesetzentwurf zur Zusammenlegung
von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vorlegen, der in
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Herr Kollege Kauder.
Herr Kollege Kuhn, Sie haben vorhin behauptet, dassir uns aus dem Programm der Zusammenlegung vonrbeitslosenhilfe und Sozialhilfe verabschiedet hätten.ntweder Sie wissen es nicht, weil Sie nicht Mitglied imermittlungsausschuss sind, oder Sie sagen bewusst dienwahrheit. Wir haben von Anfang an beantragt, dassrbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem Hilfesystemusammengelegt werden. Wir haben im Deutschen Bun-estag einen Gesetzentwurf, das EGG, vorgelegt.s ist auch wahrheitswidrig, wenn behauptet wird, wirätten nachträglich eine Grundgesetzänderung gefor-
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Volker Kauderdert. Wenn Sie den Gesetzentwurf gelesen hätten, dannwüssten Sie, dass wir schon damals die Grundgesetzän-derung gefordert haben, und zwar weil wir wollten, dasssich die Kommunen darauf verlassen können, dass dasGeld bei ihnen ankommt.Das, was in dieser Woche geschehen ist, wird Konse-quenzen haben. Zum dritten Mal hintereinander hat dieRegierungskoalition bzw. die Bundesregierung das nichteingehalten, was sie im Vermittlungsausschuss verspro-chen hat.
Das ist der entscheidende Punkt.
Ich nenne Ihnen die Punkte.Erstens. Es ist uns versprochen worden, dass die Ein-nahmen, die aus der Maut kommen sollen – bis jetztsind sie nicht da –, zusätzlich für Verkehrsinvestitionenim Haushalt zur Verfügung gestellt werden sollen unddass die Einnahmen nicht mit den Haushaltsmitteln ver-rechnet werden sollen. Das steht im Gesetz. Prompt hatdie Bundesregierung den Haushalt so zurückgefahren,dass jetzt überhaupt keine Investitionen mehr im Ver-kehrssektor stattfinden können. Das geschieht in einerSituation, in der Wachstum notwendig wäre.Zweitens. Die Bundesregierung hat zugesagt, dass siesich an das hält, was im Vermittlungsausschluss zum sogenannten Koch/Steinbrück-Subventionsabbau be-schlossen worden ist. Schauen Sie sich einmal an, wasim Haushaltsplan passiert ist. Es werden Dinge gemacht,die mit den Koch/Steinbrück-Beschlüssen nicht zu ver-einbaren sind.Drittens. Die Bundesregierung hat zugesagt, dass sieein Optionsgesetz als Zustimmungsgesetz vorlegenwird, das genau das erfüllt, was wir verabredet haben,nämlich die Kommunen als Träger der Maßnahmen nachHartz IV zu bestimmen. Jetzt aber sollen die KommunenLakaien der Bundesagentur für Arbeit werden.
Sie haben dreimal hintereinander nicht gehalten, wasSie versprochen haben. Deswegen werden wir im Ver-mittlungsausschuss mit Ihnen nur noch Gesetze verein-baren können, die bis auf Punkt und Komma ausformu-liert sind, keine Protokollerklärungen mehr und keineAbsichtserklärungen. Auf diese Regierungskoalition istkein Verlass.Jetzt muss ich Ihnen sagen: –
Nein, Herr Kollege Kauder. Sie hatten drei Minuten.
– Bei der Maut, die gescheitert ist, ging es um Last-
wagen.
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Bitte, Herr Kuhn.
Herr Kollege Kauder, so wie Sie aussehen, sind Sieitglied des Ältestenrates.
as heißt, Sie könnten doch Redezeit beantragen. Inso-ern kann man leicht Abhilfe schaffen.
Ganz ruhig!
Herr Kollege, auch für Ihr Leiden gibt es eine Pro-lemlösung, und zwar in der Apotheke; da gibt es näm-ich Beruhigungszäpfchen.
Die Argumente kommen noch. – Herr Kauder, im Ver-ittlungsausschuss ist nicht verabredet worden – wederrotokollarisch noch mündlich –,
ass das Optionsmodell mithilfe einer Verfassungsände-ung umgesetzt werden soll. Ich habe mich nach demrund dafür erkundigt. Es hat einen systematischenrund: Die Unionsländer hätten dem niemals zuge-timmt.
eshalb hat man zugunsten eines Optionsmodells argu-entiert und hat dessen konkrete Ausgestaltung im Un-laren gelassen.Lassen Sie mich eine konstruktive Bemerkung ma-hen. Bei einer nüchternen Betrachtung – statt sich zu
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Fritz Kuhnereifern – wird man feststellen, dass die Arbeitsverwal-tung bestimmte Kompetenzen hat, über die die Gemein-den nicht verfügen, und dass die Gemeinden bestimmteKompetenzen haben, über die die Bundesagentur für Ar-beit nicht verfügt. Wenn Sie im Interesse der Arbeitslo-sen eine wirklich konstruktive Lösung wollen –
– ja, die Gemeinden und die Landkreise –,
– dann wird man ein Modell finden,
das die Fähigkeiten der einen Seite mit denen der ande-ren Seite zusammenbringt.Herr Laumann, wenn Sie sich konstruktiv auf denvorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung ein-lassen würden und über die Frage diskutieren würden,wie die Selbstständigkeit der Gemeinden
– der Kreise – in diesem Prozess gestärkt werden kann,dann würden wir eine Lösung finden, die dies in der Pra-xis ermöglichen würde.Was uns nicht gefällt, ist, dass Sie eine Länder-Lö-sung vorschlagen,
von der wir wissen, dass sie nicht funktioniert. Ich mussden Kollegen, die sich so ereifern, noch einmal erklären,dass das eine Verfassungsänderung erfordern würde, die– Kochs Vorstellungen entsprechend – dazu führenwürde, dass der Bund den Ländern Mittel zuweist, diediese an die Gemeinden weitergeben sollen.
Wer sich einigermaßen in der Landespolitik auskenntund weiß, wie beim kommunalen Finanzausgleich in al-len Bundesländern mit den Gemeinden Schindluder ge-trieben wird, der weiß auch, dass die Gemeinden dieseLösung nicht wollen können. Das ist ganz einfach.
Wenn Sie konstruktiv an die Fragen herangehen würden,dann würden Sie auch eine Lösung herbeiführen. Aberdas wollen Sie nicht.
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Herr Kollege, machen Sie jetzt nicht den Pöbel! Dafüribt es Fußball- oder Eishockeystadien. Das müssen Sieoch nicht im Bundestag machen.
rgendwie kommen Sie mir vor, als hätten Sie nochestalkohol im Blut, so wie Sie sich hier aufpunken.Damit bin ich am Schluss. Ich danke Ihnen.
Wir brauchen zwar lebhafte Debatten – auch in der
ernzeit –, aber ich bitte alle, sich etwas zu mäßigen,
nd zwar wirklich in jeder Richtung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Johannes
inghammer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Herr Kuhn, angesichts der mehr als,5 Millionen Arbeitslosen, die Sie zu verantworten ha-en,
ann ich verstehen, dass das schmerzt.
eshalb kann ich auch verstehen, warum Sie hier so lautchreien müssen.
ie Lage ist aber ernst. Rot-Grün hat – das ist der Grundür die heutige Debatte – Deutschland und die Menschenn unserem Land in eine tiefe Depression gestürzt. Wir
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Johannes Singhammerwollen zeigen, wie man aus dieser Krise wieder heraus-kommt.
Vom Beginn bis zum Ende dieser knapp eineinhalb-stündigen Debatte werden 70 Menschen in Deutschlandihren Arbeitsplatz verloren haben. Das bedeutet, dass esim Monat 25 000 und in diesem Jahr wohl erneut300 000 Menschen sein werden, die ihren Arbeitsplatzverlieren. Deutschland hat einen gefährlichen Spitzen-platz erklommen, nämlich den eines Exportweltmeistersbei den Arbeitsplätzen. Mit über 40 000 Firmenpleitenim vergangenen Jahr ist ein neuer Negativrekord erreichtworden.Die von Ihnen als Heilsbringer angekündigten Hartz-Konzepte haben nichts bewirkt. Die Beschäftigungslo-sigkeit – hier sind nicht nur die 4,5 Millionen Arbeits-lose zu berücksichtigen – ist auf deutlich über 6,5 Mil-lionen Menschen angewachsen. Deshalb können Sienicht von einem Erfolg sprechen, den Sie eingeleitet ha-ben. Im Gegenteil: Das ist ein Misserfolg.
Immer mehr Menschen in unserem Land sehen mitSorge und Düsternis in die Zukunft. Das ist auch derGrund, warum nicht mehr konsumiert wird, warum bei-spielsweise auch beim PKW-Absatz in diesem Frühjahr– das ist normalerweise eine Zeit, in der er in die Höhegeht – kaum Belebung feststellbar ist. Um zu verdeutli-chen, dass nicht nur wir, sondern auch gerade die Wäh-ler, die Sie gewählt haben, insbesondere die Wähler derSPD, das so sehen und dass sie sich massiv getäuschtfühlen, möchte ich Ihnen ein Zitat von Herrn KlausErnst, erster Bevollmächtigter der IG Metall in Schwein-furt und Mitbegründer der regierungskritischen „Initia-tive für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, vorlesen:Wir haben links geblinkt und sind rechts abgebogenund jetzt sind wir irgendwie auf der Geisterbahn.
Ich stelle ohne jegliche Häme fest: Wut und Enttäu-schung über die Wirtschaftspolitik der Regierung bedro-hen das Vertrauen und das Zutrauen in das gesamte poli-tische System. Die rot-grüne Wirtschaftskrise ist bereitsin eine höchst gefährliche System- und Demokratie-krise ausgefranst. Man hört immer öfter den Satz: Die inder Politik sind doch alle gleich! – Diese Anklage, diezunächst an die Regierung gerichtet ist, kann uns als Op-position natürlich nicht gleichgültig lassen; denn dasVertrauen in die politische Klasse ist derzeit nicht nur ei-nem Schwelbrand ausgesetzt; vielmehr brennt es lichter-loh.
Was ist zu tun? Die Aufgabe der politisch Verantwort-lichen ist, zuerst den Menschen in unserem Land reinenWein einzuschenken und ihnen die ungeschminkteWahrheit über den bedrohlichen Substanzverlust zu sa-gWPgdkWrdnwFDdAAafgwsDwbk5hMJsVlIWksl1Tl4bmlSnwwrwlad
Nun wird das von Ihnen auf das Heftigste kritisiert.ber auch Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass alleinufgrund der von den Arbeitnehmern als ungünstig emp-undenen diesjährigen Feiertagsregelung – im Ver-leich zum Vorjahr fallen in diesem Jahr vier Feiertageeniger auf einen Werktag – ein zusätzliches Wirt-chaftswachstum von 0,6 Prozent prognostiziert wird.arauf geht im Übrigen der größte Teil des Wirtschafts-achstums zurück, das Sie sich auf die Fahne geschrie-en haben. Bei nur einer Stunde Mehrarbeit pro Wocheönnte die deutsche Wirtschaft einen Wertzuwachs von0 Milliarden Euro verzeichnen. Die Wettbewerbsfä-igkeit der Arbeitsplätze wäre entsprechend größer.Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung. Dieenschen in unserem Land spüren das. Ich möchte dieahresarbeitsstunden in einigen anderen Ländern an-prechen. Die Anzahl der Jahresarbeitsstunden in denereinigten Staaten ist um 350 höher als in Deutsch-and – und die Amerikaner arbeiten auch nicht schlecht.n der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai, also in vierochen, findet die EU-Osterweiterung statt. Damitommt ein weiteres Stück Globalisierung direkt vor un-ere Haustür. Ein Vergleich: Die jährliche Arbeitszeitiegt in Deutschland bei 1 444 Stunden, in Belgien bei559 Stunden, in Spanien bei 1 807 Stunden und inschechien bei 1 980 Stunden. Die Wochenarbeitszeitiegt in Deutschland bei 39,9 Stunden, in Tschechien bei2,4 Stunden, in Ungarn bei 42,9 Stunden und in Polenei 45,2 Stunden.Hinzu kommt eine wesentlich niedrigere Unterneh-ensbesteuerung in diesen Ländern. In Deutschlandiegt sie nominal bei 38,7 Prozent, in Polen und in derlowakei bei 19 Prozent, in Litauen und in Zypern beiur 15 Prozent. Machen wir uns doch nichts vor! Wirissen, was das bedeutet. Auf der anderen Seite wollenir doch nicht das Lohnniveau der Beitrittsstaaten er-eichen. In Tschechien liegt es bei knapp über 3 Euro,ährend es bei uns im Schnitt bei annähernd 30 Euroiegt. Wir können die Verlagerung der Arbeitsplätze inndere Länder nur durch flexible Arbeitszeiten verhin-ern.
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9188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Johannes SinghammerDer Bundeskanzler hat auf die patriotische Pflicht derUnternehmen hingewiesen. Dazu sage ich: Diese Bun-desregierung hat die patriotische Pflicht, Rahmenbedin-gungen zu schaffen, die gewährleisten, dass die Unter-nehmen bei uns bleiben.
Dazu gehört, dass wir einen nationalen Solidarpaktfür längere Arbeitszeiten und für Beschäftigungsgaran-tien vereinbaren. Dem werden auf der lokalen Ebene die– von uns verlangten – betrieblichen Bündnisse ge-recht. Diese betrieblichen Bündnisse sind vielfach Pra-xis. Sie haben sich bewährt. Es gibt eine Vielzahl vongroßen Firmen, die diese Bündnisse erfolgreich prakti-ziert haben, beispielsweise die Firmen Siemens undDeutsche Post AG.Wir wollen, dass der gesetzliche Spielraum erweitertwird. Der Bundeskanzler hat vor drei Monaten im An-schluss an das Bemühen des Vermittlungsausschusses,Deutschland gemeinsam fit zu machen, angekündigt, dieMöglichkeiten zu erweitern. Seither ist nichts gesche-hen. Wir befürchten, dass auch in den nächsten Monatenaufgrund der Schwäche dieser Regierung nichts passiert.Das ist das Allerschlimmste für unser Land. Abwarten,Attentismus, Verdrängen, Nichtstun, das brauchtDeutschland nicht. Wir brauchen vielmehr neuenSchwung. Die deutschen Arbeitnehmer und die deut-schen Unternehmer sind nicht schlechter geworden; al-lerdings haben sich die Rahmenbedingungen verschlech-tert. Deshalb müssen wir an dieser Stelle ansetzen.
Herr Kollege Singhammer, Sehen Sie, dass Ihre Re-
dezeit zu Ende ist?
Ja.
Es gibt eine merkwürdige Gemeinsamkeit zwischen
der Bundesregierung, insbesondere dem Wirtschafts-
minister, und der Konjunktur: Beide schwächeln. Wir
brauchen wieder eine starke Konjunktur und eine starke
Regierung. Dazu muss es eine neue Regierung geben.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anette Kramme.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die CDU/CSU hat in diesem Antrag eine ein-fache Gleichung aufgestellt: Arbeitnehmer – plus Ar-beitsrecht gleich schlechte Konjunktur. Aber: Anders alsfür den Satz des Pythagoras – a2 + b2 = c2 – gibt es fürdiese Formel keinerlei wissenschaftlichen Nachweis.In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine ak-tuelle Untersuchung verweisen, nämlich vom IAB vom12. Dezember 2003. Darin heißt es: Empirische Untersu-chungen zu den Arbeitsmarktwirkungen des Kündi-gkvhbllllpZvMdbAZKuenkdsgSddHzSddssne
ber eines ist klar: Die Union tritt für drei Sachen ein:erschlagung von Arbeitnehmerrechten, Abbau desündigungsschutzes, Kampf gegen die Tarifautonomiend damit Kampf gegen die Gewerkschaften. Dass Siein Wolf im Schafspelz sind, kann man Ihnen wahrlichicht vorwerfen.
Auch beim Minimalkonsens in Sachen Steuern istlar, wer die Zeche zahlt: Weshalb fällt die Absenkunges Spitzensteuersatzes doppelt so hoch aus wie die Ab-enkung des Eingangsteuersatzes? Weshalb wird zur Ge-enfinanzierung die Steuerfreiheit für Nacht-, Schicht-,onn- und Feiertagszuschläge angegriffen? Weshalb soller Sparerfreibetrag abgeschafft werden? Fazit: Wer hat,em wird bei Ihnen gegeben.
Sie versuchen, mit Ihrem Antrag eine Bilanz desartz-Konzepts zu ziehen. Aber Ihr Versuch, Bilanz zuiehen, ist wissenschaftlich unseriös und destruktiv.
ie sind die Letzten, die es sich erlauben dürfen, mitem Finger auf andere zu zeigen. Sie sind nach wie vorer Rekordhalter, was die Arbeitslosigkeit angeht. „Mie-epeter“ sagt man da.
Ich will meinerseits Bilanz ziehen, und zwar bei-pielsweise betreffend die Ich-AG. Die Daten, die da zuennen sind, sind positiv. Jede zweite Existenzgründungrfolgt mittlerweile aus der Arbeitslosigkeit heraus.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9189
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Anette Kramme100 000 Ich-AGs gibt es mittlerweile. 157 000 Anträgezum Überbrückungsgeld sind im Jahr 2003 gestellt wor-den. Die Zahl der Förderanträge hat sich verdoppelt. Ins-gesamt ist noch zu beobachten, dass es beim Überbrü-ckungsgeld eine 27-prozentige Zunahme gegeben hat.Wir sind da also positiv gestimmt. Wir rechnen damit,dass binnen zwei Jahren jeder dieser Existenzgründer ei-nen zusätzlichen Arbeitsplatz geschaffen haben wird.
Das ist das, was uns wissenschaftliche Institute sagen.
Zur Bilanz betreffend die Personal-Service-Agentu-ren: Erst Mitte des Jahres 2003 war die flächendeckendeEinführung. Im Februar 2004 hat es 993 Personal-Ser-vice-Agenturen gegeben mit 44 000 Plätzen, einer Be-setzungsquote von 74,4 Prozent und 32 700 Teilneh-mern.
Ohne weiteres gilt: Wir haben uns für 2003 mehr da-von versprochen. Aber auch dazu gibt es eine Untersu-chung. In einer Veröffentlichung des IAB vom 15. Ja-nuar 2004 heißt es: „Um diese PSAen einer fundiertenBetrachtung zu unterziehen, ist es noch zu früh.“
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Niebel?
Aber sicher doch.
Herr Niebel, Sie haben in dieser Debatte, glaube ich,
zwei Zwischenfragen gestellt und eine Kurzintervention
gemacht. Das ist jetzt die letzte Zwischenfrage, die ich
Ihnen in dieser Debatte erlaube.
Der Stoff für Fragen, Frau Präsidentin, ist unerschöpf-
lich.
Frau Kollegin Kramme, können Sie mir die Zahl be-
stätigen, die dem Wirtschaftsausschuss vorgelegt wurde,
dass durch die Personal-Service-Agenturen zum damali-
gen Zeitpunkt – das muss Mitte letzten Monats gewesen
sein; da haben wir das diskutiert – insgesamt 6 357 Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauerhaft in den ers-
ten Arbeitsmarkt vermittelt worden sind? Bestätigen Sie
mir dann, wenn Sie mir diese Zahl bestätigen können,
auch, dass bei 250 Millionen Euro, die im Haushalt für
die Ich-AGs vorgesehen sind, pro Arbeitnehmer rein
rechnerisch gut 35 000 Euro eingesetzt worden sind, was
eine Dimension ähnlich wie bei der Steinkohlesubven-
tion wäre?
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ragen Sie mich von daher nicht nach Zahlen, die ir-endwann in einer Ausschusssitzung genannt wordenind. Ich kann Ihnen nur die Zahl nennen, die ich mir ak-uell aus dem Wirtschaftsministerium habe geben lassen.anach haben 7 700 Arbeitnehmer mittlerweile in Per-onal-Service-Agenturen gewechselt. Das ist Punkt eins.
Punkt zwei. Sie haben offensichtlich Herrn Kuhnicht zugehört.
Nein, das haben Sie offensichtlich nicht. – Wie Sieissen, ist die Leiharbeit sehr wohl konjunkturabhän-ig. Mit dem Anspringen der Konjunktur wird es selbst-erständlich auch dazu kommen, dass wir in stärkeremaße von dem Klebeeffekt profitieren werden. Nochinmal das IAB zitiert: „Um diese PSAen einer fundier-en Betrachtung zu unterziehen, ist es noch zu früh.“ Dasollten Sie akzeptieren.
Die Zahl der Arbeitslosen ist zweifellos viel zu hoch,ber Ihre Instrumente, meine Damen und Herren von derDU/CSU, weisen schlichtweg in die falsche Richtung.rster Punkt: betriebliche Bündnisse. Was Sie wollen,st klar und deutlich: Sie wollen Tarifverträge zu unver-indlichen Meinungsäußerungen erklären.
Das geht auch ganz leise.
Aber umso eindringlicher, damit Sie auch zuhören. –ußerdem wollen Sie das Erpressungspotenzial vor Ortutzen.
ie wollen, dass Arbeitgeber erklären können: Wenn deretriebsrat und die Belegschaft nicht zustimmen, dannibt es Kündigungen. – Dann ist niemand da, der verifi-iert.
s geht darum, eine unabhängige Instanz zu haben. Dasind die Gewerkschaften. Wenn Sie ehrlich wären, dannürden Sie auf das Instrument der Sanierungstarifver-äge verweisen.
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Anette Kramme– Ich bin Fachanwältin für Arbeitsrecht. Mein Hauptge-schäft in der Kanzlei ist, Interessenausgleiche herzustel-len und Sozialpläne zu machen, was beinhaltet, dass ichständig mit Betrieben zu tun habe, die sich in der Situa-tion der Insolvenz befinden oder kurz davor sind. Ichweiß also sehr wohl, was es heißt, auf individuelle Situa-tionen einzugehen.
– Nein, ich rede nicht wider besseres Wissen. Ich habebereits unzählige Sanierungstarifverträge abgeschlossenund ich weiß, dass die Gewerkschaften in solch einer Si-tuation fast alles zugestehen.
Zweiter Punkt: Kündigungsschutzgesetz. Wir habenmit dem Entwurf, der durch den Vermittlungsausschussgegangen ist, beschlossen, dass es 2007 eine Evaluie-rung geben wird. Aber offensichtlich wollen Sie dieseEvaluierung gar nicht, obwohl Sie wissen müssten, dassder Abbau des Kündigungsschutzes überhaupt nichtsbringen wird. Sie wollen, dass 90 Prozent der Betriebeaus dem Kündigungsschutz herausgenommen werdenund dass 28 Prozent der Arbeitnehmer keinerlei Kündi-gungsschutz mehr haben. Sie betreiben eine Politik derAngst in der Bundesrepublik Deutschland.Ich sage Ihnen eines: Das, was Sie wollen, wird nie-mals Gesetz werden, denn das Bundesverfassungsge-richt würde dem schlichtweg einen Riegel vorschieben.Anknüpfungspunkte zum Betriebsinhaber gibt es dabeinämlich keine mehr. Sie wollen ermöglichen, dass bis zu80 Arbeitnehmer in einem Betrieb ohne Kündigungs-schutz arbeiten. Das hat mit dem Betriebsinhaber nichtsmehr zu tun.Meine sehr geehrten Damen und Herren, den wirt-schaftlichen Wandel können wir nicht gegen die Ar-beitnehmer, sondern nur mit ihnen gestalten.
Die Zukunftschancen Deutschlands liegen vor allem inhoch qualifizierten Arbeitsplätzen. Dafür brauchen wirmotivierte und sozial abgesicherte Arbeitnehmer. MitIhrem Entwurf werden wir das nicht erreichen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Hermann
Kues.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte gerne auf eine Situation zurückkommen, die
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
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Selbstverständlich.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9191
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Herr Kollege Kues, Sie haben gerade festgestellt, dass
die SPD-Fraktion den Betriebsräten nicht über den Weg
traut. Wie erklären Sie sich dann, dass in Ihrem Antrag
gefordert wird, dass die Rechte der Betriebsräte deut-
lich eingeschränkt werden, dass die Anzahl der Betriebs-
räte deutlich minimiert wird und dass die Freistellungs-
möglichkeiten begrenzt werden? Damit wollen Sie den
Handlungsspielraum der Betriebsräte ganz erheblich ein-
engen. Meine Frage lautet: Wie erklären Sie sich diesen
Widerspruch?
Weiterhin haben Sie festgestellt, wir würden den Ge-
meinden nicht über den Weg trauen. Wie erklären Sie
dann, dass Sie den hessischen Gesetzentwurf unterstüt-
zen, den Sie in der Arbeitsgruppe, die sich mit der Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe beschäftigt, vorgelegt haben
und nach dem nicht der Bund, sondern das Land für die
Weiterleitung der Mittel an die Kommunen für die Ar-
beitslosengeld-II-Bezieher zuständig sein soll? Wie ver-
trägt sich dieses Vertrauen in die Länder – Sie wollen
das Land statt den Bund als Zuständigkeitsträger einset-
zen – mit dem, was Sie gerade vorgetragen haben?
Zu Ihrer ersten Frage. Herr Kollege Brandner, ichgehe davon aus, dass Sie hin und wieder in die Betriebegehen. Wenn Sie dort einmal nachfragen, wie viele Be-triebsräte freigestellt werden, dann können Sie feststel-len – das berichten Betriebsräte und Arbeitnehmer –,dass teilweise keine Mitarbeiter gefunden werden, diediese Aufgabe übernehmen. Sie wollen nämlich nichtfreigestellt werden, sondern sie wollen in ihrer eigentli-chen Funktion verbleiben und parallel Betriebsratsfunk-tionen wahrnehmen. Wir wollen, dass das Betriebsver-fassungsgesetz effektiv gestaltet wird und dass estatsächlich den Interessen der Betriebsräte entspricht.Zu Ihrer zweiten Frage, was die Länder und die Kom-munen angeht. Wir sind uns mit dem Landkreistag völligeinig gewesen; auch er ist gegen diese Lösung. Sie wis-sen das ganz genau; denn Sie kommen ebenfalls aus ei-ner ländlichen Region. Ich vermute sogar, dass Sie hiereine Position vertreten, von der Sie gar nicht überzeugtsind. Sie wissen ebenfalls ganz genau, dass die Kommu-nen vor Ort – es sind die Landkreise, nicht die Gemein-den; Herr Kuhn hat sich mit diesem Thema anscheinendnicht so intensiv beschäftigt – große Erfahrungen aufdiesem Gebiet haben und dass sie ihre Ideen, die sie inden vergangenen Jahren entwickelt haben, einbringenwürden, wenn es vernünftige Rahmenbedingungen gäbe.Sie sind also sehr wohl dafür, dass die Landkreise ent-sprechende Zuständigkeiten erhalten.
Ich möchte etwas zu der Mentalität sagen, den Men-schen zu wenig zuzutrauen. Diese zieht sich wie einroter Faden – das kann man auf andere Gebiete übertra-gen – durch Ihre Lösungsansätze; denn Ihre Lösungsan-sätze sind von Zentralismus statt kommunaler Selbstver-waltung, von Bürokratie statt Flexibilität und vonIneffizienz statt Wirksamkeit geprägt.RddEnDsdgVdsgslbesHIusBlwKmKmdEvPd–DahbGdmgwg
Herr Kollege Kuhn, ich hoffe ja, dass die Leute Ihrerede nicht so genau zugehört haben. Aber ich hoffe,ass sie einen Satz gehört haben. Sie haben eben gesagt,ie rot-grüne Arbeitsmarktpolitik fange erst an.
ine schlimmere Drohung gegenüber Arbeitnehmerin-en und Arbeitnehmern sowie Unternehmern ineutschland können Sie nicht aussprechen.
Das Ergebnis, das wir jetzt vorliegen haben, istchlimm genug; Kollege Laumann hat die entsprechen-en Zahlen genannt. Herr Hartz hat damals davonesprochen – auch er dachte in den Kategorien einesertreters eines Großunternehmens mit Mitbestimmung;enn er nahm an, die gesamte Volkswirtschaft werdeo –, man könne die Arbeitslosenzahl halbieren. Das Er-ebnis kennen Sie: Das Projekt der PSA ist völlig ge-cheitert. Die Minijobs sind nicht gescheitert; das ist völ-ig richtig. Aber hinsichtlich der Reform Hartz IIIetreffend die Bundesagentur für Arbeit sollten wir erstinmal abwarten. Was wir bislang gehört haben, ist – dasage ich ausdrücklich – eher besorgniserregend. Auchartz IV ist faktisch gescheitert, weil Sie ein richtigesnstrument, die Zusammenfassung von Arbeitslosen-nd Sozialhilfe, wieder einmal zentralisieren, bürokrati-ieren und inflexibel angehen. Vermutlich wird das zueginn des nächsten Jahres zu einer Katastrophe führen.
Sie regieren schon etwas länger. Sie hätten es ganzeicht gehabt – das ist heute schon einmal angesprochenorden –: Mitte und Ende der 90er-Jahre gab es in denommunen erfolgreiche Modellversuche, die wir da-als angeschoben und auf den Weg gebracht haben. Dieommunen haben dabei glänzende Erfahrungen gesam-elt.Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meiner Region, ausem Emsland, nennen. Ich habe einen Jahresbericht derSBA aus dem Jahre 1999 vorliegen. Er ist damals sogarom Bundesrechnungshof geprüft worden. Aus einemool von 750 Personen sind 605 Langzeitarbeitslose inen ersten Arbeitsmarkt integriert worden, davon 416das alles wurde vom Rechnungshof überprüft – aufauer. Jetzt kommt es: Staatliche Leistungen von mehrls 3 Millionen DM konnten eingespart werden. Daseißt, mit einer klugen, dezentralen Arbeitsmarktpolitik,ei der Sie die Menschen einbinden und ihnen nicht nureld geben – es ist typisch Wohlfahrtsstaat, dass manen Menschen Geld gibt und sich nicht um sie küm-ert –, können Sie etwas für die Menschen tun und so-ar noch Geld sparen. Um diese Lösungen geht es uns.
Ich sage Ihnen auch, was die Kommunen jetzt tunerden. Ich habe mich nach dem, was gestern und vor-estern hier abgelaufen ist, ein bisschen erkundigt. Mir
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9192 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Dr. Hermann Kueswurde gesagt, die Tendenz gehe zur Variante „gesetz-liche Mindestleistung“. Man tut das, was man gesetz-lich in jedem Fall tun muss. Darüber hinaus steht manden in Aussicht genommenen Arbeitsgemeinschaftenskeptisch gegenüber, weil man natürlich gesehen hat,wie auf einer ganz anderen Ebene mit Ergebnissen desVermittlungsausschusses umgegangen wird. So entstehtkein Vertrauen.
Sie brauchen ein Minimum an Vertrauen zwischen Bun-des-, Landes- und kommunaler Ebene, wenn Sie etwaswirksam für die Arbeitslosen erzielen wollen.
– Die kommunalen Spitzenverbände sind gelegentlichsehr bunt; das weiß ich wohl, Herr Brandner.
Es ist gut, wenn man sich gelegentlich von außen be-trachtet. Es gibt eine Studie der EU-Kommission, diedie Beschäftigungsentwicklung in den Mitgliedsländernunter die Lupe genommen hat. Der Zusammenhang zwi-schen Produktivität, Lohnstruktur und Beschäftigungs-dynamik wurde analysiert. Daraus ergeben sich für unsin Deutschland wichtige Schlussfolgerungen. Jetzt wirdgesagt, das schlechte Abschneiden Deutschlands imHinblick auf den Arbeitsplatzabbau, der 2003 per saldo400 000 betrug, liege an dem Tempo wirtschaftlicherReformen. Es wird ehrlicherweise auch gesagt, dass dasetwas mit den Folgelasten der deutschen Teilung zu tunhabe.In diesem europäischen Vergleich kommen aber zweiweitere Faktoren ans Licht. Der eine Faktor betrifft denZusammenhang zwischen Lohnhöhe und Arbeitsproduk-tivität. In der Studie heißt es dazu: Arbeitslosigkeit ent-steht in der Regel dort, wo die Produktivitätsentwick-lung hinter der Lohnentwicklung zurückbleibt. Eineweitere Ursache dafür, dass die Beschäftigungsdynamikin Deutschland hinter der europäischen zurückbleibt, istdie spezielle Situation niedrig qualifizierter Erwerbsper-sonen. Man kommt zu dem Ergebnis, dass niedrig quali-fizierte Erwerbspersonen in Deutschland im Grundegenommen nur auf dem so genannten zweiten Arbeits-markt eine Chance haben.Dabei gibt es Unterschiede. In den Niederlanden, inFinnland und in Italien müssen weniger als 30 Prozent allergering Qualifizierten mit nicht regulären Beschäftigungs-verhältnissen mit niedrigem Lohn und hohem Arbeits-platzrisiko klarkommen – das sind keine positiven Fakto-ren –, in Deutschland sind es mehr als 50 Prozent. Dasheißt, Ihre Politik, durch die es den niedrig Qualifiziertennicht ermöglicht wird, flexibel vom ersten in den zweitenArbeitsmarkt zu wechseln, führt dazu, dass sich die geringQualifizierten in Deutschland in einer deutlich schlechte-ren Situation befinden als in den Nachbarländern.
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Wenn man ausschließlich auf das Anziehen der Kon-unktur und damit auf größeres Wirtschaftswachstumetzt, werden die strukturellen Probleme nicht gelöst.iese müssen Sie angehen. Wir haben dazu Vorschlägenterbreitet. Ich will sie hier nicht wiederholen; sie ste-en in unserem Antrag.Ich möchte noch ein paar Worte über den Kündi-ungsschutz verlieren. Ich weiß, dass dieses Thema sehriel Potenzial für Polemik enthält. Wir müssen uns in dieituation eines Arbeitslosen versetzen, wenn wir Lö-ungsansätze suchen. Ein Arbeitsloser fragt nicht zuerstach dem Kündigungsschutz, sondern danach, wie erieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen und seineld verdienen kann. Deswegen sollten Sie die Polemikassen.
Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, dass wir uns in ei-er Umbruchsituation befinden. In einer solchen Situa-ion kommt es darauf an, die Weichen richtig zu stellen.hr Problem ist, dass Sie in die falsche Richtung laufen.eswegen kommen wir in Deutschland nicht voran.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ortwin Runde.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Derollege Brüderle hat gesagt, es handele sich um dasachstumsprogramm der Union.
ie Union hat es fälschlicherweise etwas anders formu-iert. Sie spricht in ihrem Antrag vom Wachstumspro-ramm für Deutschland. Herr Brüderle hat die Absichtieses Programms gut erkannt. Das ist meines Erachtensin ganz richtiger Ansatz.
err Brüderle, es ist immer spannend zu untersuchen,as in einem Antrag enthalten ist und was fehlt.Sie selbst haben auf den sich verschärfenden innereu-opäischen Wettbewerb hingewiesen und ausgeführt,ass wir bezüglich unserer Wettbewerbsfähigkeit vorchwierigen Anpassungsprozessen stehen. Wenn manich über ein Wachstumsprogramm für Deutschland un-erhält, muss man auch die Weltwirtschaft im Blick ha-en. Ich schätze, dass alle Wirtschaftsfachleute und auchie Wirtschaftspresse sehr viel gespannter nach Frank-urt schauen als auf unsere Diskussion in Berlin.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9193
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Ortwin RundeDie Wirtschaftsfachleute interessieren sich vor demHintergrund einer leichten konjunkturellen Erholung derWeltwirtschaft
für andere Fragen: Wie entwickeln sich die Rohölpreise?Wie wirkt sich die Bedrohung durch den internationalenTerrorismus auf die konjunkturelle Entwicklung aus?Wie kann die europaweite Stagnationsphase, die wir inFrankreich, Spanien, Italien und auch in den von Ihnengerühmten Niederlanden beobachten, überwunden wer-den? Es kommt darauf an, diesen Zusammenhang zu se-hen.Ich hoffe, dass wir heute von der Europäischen Zen-tralbank ein positives Signal erhalten werden. Vor demHintergrund der Preisstabilität, die wir in der Europäi-schen Union und vor allem in Deutschland seit Jahrenhaben, ist die Europäische Zentralbank gut beraten, denLeitzins in einem größeren Umfang zu senken und somitdie Konjunktur zu stabilisieren. Das ist angesagt.
Natürlich geht es in Europa darum, neben Konjunk-turpolitik auch Strukturpolitik zu machen. Dazu mussman feststellen: So viele Reformen wie in den letztenzwei oder drei Jahren hat es – mit all den Schwierigkei-ten, die damit verbunden sind – in Deutschland und auchin Europa noch nie gegeben. Diejenigen, die 16 Jahrelang Reformen nicht durchgeführt haben, sollten daherin ihren Bewertungen ein bisschen vorsichtig sein.
Diesen Reformmut hätte ich von Ihnen jedoch erwartet.Wenn wir das richtig sehen, stehen in Gesamteuropader Umbau der Sozialsysteme, aber auch notwendigeSteuerstrukturdebatten und Debatten über Innovationenan. Ich nenne nur die Lissabon-Strategie: Wie erreichenwir diese 3 Prozent für Forschung und Entwicklung undden Bildungsbereich?Natürlich ist auch die CDU/CSU gefordert, bei sol-chen strukturellen Richtungsentscheidungen Farbe zubekennen und zu sagen, wie sie zu dem Vorschlag desKanzlers steht, die Eigenheimzulage, also Investitionenin Beton und Steine, durch Investitionen in die Köpfe zuersetzen. Wie lauten die konkreten Finanzierungsvor-schläge, um das Dreiprozentziel zu erreichen und die6 Milliarden Euro aufzubringen? Darauf erwarten wirAntworten.Ich halte konkrete Aussagen dazu, wie man mehr In-vestitionen in diesen Bereichen finanzieren will, fürwichtig und begrüße kreative Vorschläge wie den seitensder Bundesbank, über die Goldreserven zusätzlichePotenziale für die Finanzierung zu erschließen.
Wenn man sich den Antrag der CDU/CSU ansieht,muss man feststellen,
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s ist angesichts der fehlenden Finanzierung nicht hin-ehmbar, dass wir den Bürgern im Rahmen einer Steu-rreform Steuerentlastungen in diesem Umfang zuguteommen lassen.Jetzt sehe ich unter Punkt 4 Ihres Antrags, dass dielte Bierdeckelstrategie von Merz wieder recycelt wird.nzwischen sind die Brauereien dazu übergegangen, dientsprechenden Vorlagen für diese Bierdeckelstrategieu liefern.
ie kann man innerhalb von nur drei Monaten einenolchen Richtungswechsel vornehmen? Gemäß Punkt 4hres Antrages sollen nun plötzlich für eine Einkommen-teuerreform 15 oder 25 Milliarden Euro zur Verfügungtehen. Haben Sie das mit Ihren Ministerpräsidenten ab-eklärt oder ist der Vorschlag nicht so ernst gemeint? Istas übrigens der Vorschlag von Merz oder wessen Vor-chlag verbirgt sich hinter diesen kargen Zeilen?
Man muss sagen: Alles in Ihrem „klaren“ Konzept istutiefst interpretationsbedürftig. Auch die wirtschafts-olitischen Wirkungen Ihrer Vorschläge muss man et-as genauer untersuchen. Sie wollen die Einnahmesitua-on von Spitzenverdienern stärken, indem Sie denpitzensteuersatz noch einmal um 6 Prozentpunkte von2 auf 36 Prozent senken. Der Steuersatz für die Bezie-er unterer Einkommen soll ab 2005 von 15 auf 12 Pro-ent gesenkt werden. Es ist logisch, wer dann die Zecheahlt: Diejenigen im unteren Einkommenssektor müssenie Entlastung der Spitzenverdiener bezahlen.
as ist eine Gerechtigkeitsfrage. Sie sagen: Die Gerech-gkeitsfrage kümmert uns nicht; das ist eine Neiddiskus-ion. Aber die wirtschaftspolitischen Auswirkungen sindehr wohl von Interesse; denn so kommt es nicht zu ei-er Stärkung, sondern zu einer Schwächung der Binnen-achfrage. Eine Stärkung wäre aber wirtschaftspolitischngezeigt.
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9194 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Ortwin RundeSie müssen Folgendes sehen: Die Leiter der Steuerab-teilungen der Finanzministerien, die ja keine Heißspornesind, haben deutlich gesagt, welche Auswirkungen dieUmsetzung dieses Konzepts auf den Arbeitsmarkt habenwürde.
Herr Kollege, achten auch Sie bitte auf die Zeit?
Ja. – Sie sagen, dass sich der Anreiz zur Arbeitsauf-
nahme im Bereich der Bezieher niedriger Einkommen
stark verringern wird. Bringen Sie das einmal mit der
Debatte, die wir hier führen, in Zusammenhang und be-
rücksichtigen Sie auch das, was Herr Kues vorhin über
die Hauptbetroffenen der strukturellen Veränderungen
gesagt hat!
Ich rate der Union, innerhalb ihrer eigenen Fraktion
mehr zu koordinieren. Dann könnten Sie vielleicht etwas
klarere und schlüssigere Konzepte als bisher vorlegen;
denn das war keine Weichenstellung in die richtige Rich-
tung. Dieser Zug fährt ins Nirgendwo.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
Grotthaus.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Lassen Sie mich in Erinnerung rufen, wie derTitel des Antrags der CDU/CSU lautet: „Weichen stellenfür eine bessere Beschäftigungspolitik – Wachstumspro-gramm für Deutschland“.
Wer diese Diskussion aufmerksam verfolgt hat, müssteeigentlich zu dem Schluss kommen, dass die Überschriftheißen müsste: „Abbau von Arbeitnehmerrechten – Re-duzierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes – Differen-zierung der Anwendung des Arbeitsstättenrechtes inKlein- und Großbetrieben“. In einer Summe ausge-drückt: „Schaffung von Möglichkeiten zur inneren Kün-digung der Arbeitnehmer – zum Standort Deutschland“.
Ihre Vorschläge haben nichts mit einem Wachstumspro-gramm zu tun. Es geht um knallharte Politik, die zulas-ten der in den Betrieben Beschäftigten gehen soll.Spätestens seit dem 7. März steht fest – das ist auchnachzulesen –, dass die CDU/CSU mit ihren Beschlüs-sen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik endgültig dieKatze aus dem Sack gelassen hat. Die Union will eineaDis–SspüsVad–emdlmsukPgSmsbWInMnKlmgu
Herr Dr. Kues, darauf komme ich noch zu sprechen.
Der heute von Ihnen vorgelegte Antrag ist nur einpiegelbild dieser Beschlüsse. Ihn hier zur Debatte zutellen weist schon Züge von – ich sage das bewusst –olitischer Unverfrorenheit und Uneinsichtigkeit gegen-ber Ihrem Arbeitnehmerflügel auf. Mich würde interes-ieren, wie Kollege Arentz, der sich ja eindeutig zu denorschlägen Ihrer beiden Generalsekretäre geäußert hat,uf diesen Antrag reagieren wird. Ich bin gespannt, ob eren Vorschlägen Ihrer Fraktion zustimmen wird.
Herr Laumann, wenn das abgesprochen ist, dann sagtr jetzt nicht mehr die Wahrheit bzw. steht er jetzt nichtehr hinter seiner Argumentation oder hat er vorher inen Betrieben nur eine Beruhigungspille verteilen wol-en.
Sie, meine Damen und Herren von der Union, tretenit diesem Antrag zum wiederholten Male für die Zer-chlagung von Arbeitnehmerrechten
nd den Abbau des Kündigungsschutzes ein und be-ämpfen offen die Tarifautonomie. Alle, die bisher dieolitik der Regierungskoalition kritisieren, sollten sichanz genau ansehen, was Sie von der Union an diesertelle vorschlagen. Ich kann Ihnen nur den Vorschlagachen: Legen Sie diese Anträge in den Betrieben aus,odass sich jeder Mensch in diesem Land, der abhängigeschäftigt ist, ein Bild davon machen kann, wohin dereg Ihrer Meinung nach gehen soll!
hr Ziel ist es nicht, den Staat für die Zukunftsaufgabeneu aufzustellen. Ihr Ziel ist eine Deregulierung, die denenschen nicht nur ihre bisherigen Arbeitnehmerrechteimmt; sie sollen obendrein auch noch dafür zahlen. Derollege Runde hat dies bereits im Rahmen der Steuerpo-itik dargestellt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl der Antrageines Erachtens nicht das Papier wert ist, auf dem eredruckt ist, will ich einige Punkte daraus aufgreifennd sie ein bisschen näher betrachten.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9195
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Wolfgang GrotthausBezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung in denneuen Bundesländern
machen Sie uns dafür verantwortlich – Herr KollegeSchauerte, hören Sie einmal zu! –, dass das Versprechenvon den „blühenden Landschaften“ nicht gehaltenwurde. Vorhin wurde über Betriebe geredet. Ich habe36 Jahre in der Industrie gearbeitet und miterlebt, wieder Konzern, dem ich angehörte, sich in Ostdeutschlandbereichert hat, indem er Betriebe aufgekauft und die Pro-duktion nach Westdeutschland verlagert hat. Dies wurdeüber die Treuhandanstalt abgewickelt und konnte so ge-schehen, weil nirgendwo in den Verträgen stand, dassder Industriestandort Ostdeutschland aufrechterhaltenwerden solle. Nirgendwo stand, dass eine Verlagerungvon Produktionsstätten nicht stattfinden dürfe. Nein, Ihredamalige Regierung hat dies sogar noch forciert. Sie hät-ten die Entindustrialisierung von Ostdeutschland aufhal-ten müssen, Sie hätten gleich bei der Vereinigung beiderdeutscher Staaten den Standort Ostdeutschland stärkenmüssen. Stattdessen haben Sie Ostdeutschland ausblutenlassen.Wir werden die Stabilisierung und Weiterentwicklungder Wachstumszentren, die sich in Ostdeutschland he-rausgebildet haben, vorantreiben.
– Ich empfange um 13 Uhr eine Besuchergruppe. Ichbitte Sie deshalb um Verständnis, dass ich die Zwischen-frage nicht erlauben kann.Wir wollen den Solidarpakt II, den wir gemeinsambeschlossen haben und nach dem in den Jahren 2005 bis2019 105 Milliarden Euro für die ostdeutschen Länderzur Verfügung stehen, nicht nur fortführen, sondern wirhaben ihn seitens des Bundes um zusätzliche 51 Milliar-den Euro für überproportionale Leistungen zugunstender ostdeutschen Länder ergänzt. Hier nützt es nichts, zuklagen. Hier nützt es nur, konstruktiv mitzuarbeiten.Eine solche konstruktive Mitarbeit habe ich bei Ihnenbisher nicht feststellen können.Bei Ihren Aussagen zum Arbeitsschutz und zurArbeitsstättenverordnung ist es auffällig, dass Sie eineFestlegung auf Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigtenals Richtschnur wählen. Ich habe mich gefragt: Wassteckt dahinter? Nach Ihren Vorstellungen genössen Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter in kleinen Betrieben eineandere, eine mindere gesundheitliche Vorsorge als Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter in Großbetrieben. Ich weißnicht, ob dies politisch gewollt ist, aber es ist das Ergeb-nis. Dies beträfe immerhin mehr als 80 Prozent aller Be-triebe in Deutschland. Das Gleichheitsprinzip bliebe aufder Strecke; aus meiner Sicht ist das auch EU-rechtlichüberhaupt nicht umsetzbar.Ihre Forderung, das Jugendarbeitsschutzgesetz seianzupassen,
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er mag da wohl am längeren Hebel sitzen und das Ver-ahren bestimmen: derjenige, der sich um einen Arbeits-latz bewirbt, oder derjenige, der diesen Arbeitsplatz alsare anbietet und auf das bestmögliche Gebot wartet?ie propagieren die freie Marktwirtschaft. Dann wissenie auch genau, wie man in diesem Falle am Arbeits-arkt mit den Menschen umgehen wird.Meine Damen und Herren, während wir die Gleich-angigkeit von Human- und Finanzkapital als Zukunfts-erspektive ansehen – wir wollen, dass sich Arbeitneh-erinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber auf einerugenhöhe begegnen –, wollen Sie die Abschaffung vonrbeitnehmerrechten auf breiter Flur. Wir wolleneutschland zukunftssicher machen; Sie wollen eine an-ere Republik: eine Republik, in der Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmer zur Manövriermasse des Kapitalserden. Dies lassen wir nicht durchgehen. Wir sagenein zu Ihren Plänen, weil wir der Auffassung sind, dassir auch weiterhin selbstständige, gute Arbeitnehmerin-en und Arbeitnehmer in dieser Republik benötigen. Iniesem System sind als Interessenvertreter nicht Bittstel-er, sondern gleichberechtigte Partner gefragt.
Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2670 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerIch rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 g auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Siche-
– Drucksache 15/2769 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
InnenausschussAusschuss für Tourismusb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 3. März 2003 zwischen der Re-gierung der Bundesrepublik Deutschland undder Regierung der Republik Türkei über dieZusammenarbeit bei der Bekämpfung vonStraftaten mit erheblicher Bedeutung, insbe-sondere des Terrorismus und der organisier-ten Kriminalität– Drucksache 15/2724 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-setzes über Ordnungswidrigkeiten– Drucksache 15/780 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschussd) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines … Gesetzes zur Änderung desStrafvollzugsgesetzes– Drucksache 15/2252 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschusse) Beratung des Antrags der Abgeordneten MichaelKauch, Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPHaftungsregeln als eigenständiges Instrumenteuropäischer Umweltpolitik– Drucksache 15/2011 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionf) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Rainer Stinner, Daniel Bahr ,tiwDsag
Burchardt, Jörg Tauss, Ulrike Mehl, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPD sowie derAbgeordneten Grietje Bettin, Volker Beck
, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNENAktionsplan zur UN-Weltdekade „Bildung fürnachhaltige Entwicklung“– Drucksache 15/2758 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-en Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird geschlagen, die Vorlagen an dien der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-eisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.ann sind die Überweisungen so beschlossen.Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 gowie 23 j bis 23 o sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 juf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorla-en, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 23 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu der in Rom am 17. November 1997 ange-nommenen Fassung des Internationalen Pflan-zenschutzübereinkommens– Drucksache 15/2544 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 15/2754 –Berichterstattung:Abgeordnete Gustav HerzogDr. Peter JahrFriedrich OstendorffDr. Christel Happach-Kasan
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerDer Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft empfiehlt auf Drucksache 15/2754, denGesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltun-gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungmit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen wor-den.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gibtes Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht derFall. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung ange-nommen.Tagesordnungspunkt 23 b:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zum Zusatzabkommen vom15. Oktober 2003 zu dem Abkommen vom4. Oktober 1954 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Österreich zurVermeidung der Doppelbesteuerung auf demGebiet der Erbschaftsteuern– Drucksache 15/2721 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 15/2847 –Berichterstattung:Abgeordneter Manfred KolbeDer Finanzausschuss empfiehlt auf Druck-sache 15/2847, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol-len, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen?– Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.Tagesordnungspunkt 23 c:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Vertrag vom 13. Mai 2002 zwischender Bundesrepublik Deutschland und Kanadaüber die Rechtshilfe in Strafsachen– Drucksache 15/2598 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 15/2840 –Berichterstattung:Abgeordnete Erika SimmSiegfried Kauder
Jerzy MontagJörg van EssenDer Rechtsausschuss empfiehlt auf Druck-sache 15/2840, den Gesetzentwurf anzunehmen. IchbwEtuwSGsbzEd
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vom 2. Oktober 2003 zur Ände-
– Drucksachen 15/2596, 15/2630 Nr. 2.1,15/2802 –Berichterstattung:Abgeordnete Astrid KlugMarie-Luise DöttWinfried HermannBirgit HomburgerDer Ausschuss empfiehlt, der Verordnung aufrucksache 15/2596 zuzustimmen. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-en? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmenon SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU beinthaltung der FDP angenommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-itionsausschusses.Tagesordnungspunkt 23 k:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 103 zu Petitionen– Drucksache 15/2763 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-ungen? – Sammelübersicht 103 ist einstimmig ange-ommen.Tagesordnungspunkt 23 l:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 104 zu Petitionen– Drucksache 15/2764 –
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerWer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Sammelübersicht 104 ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 23 m:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 105 zu Petitionen– Drucksache 15/2765 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 105 ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 23 n:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 106 zu Petitionen– Drucksache 15/2766 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 106 ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi-tionsfraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt 23 o:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 107 zu Petitionen– Drucksache 15/2767 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Sammelübersicht 107 ist mit den Stimmenvon SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen dieStimmen der CDU/CSU angenommen.Wir kommen zum Zusatzpunkt 2 a:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
rung der Ausbildung und Beschäftigungschwerbehinderter Menschen– Drucksachen 15/1783, 15/2357, 15/2557,15/2830 –Berichterstattung:Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch– Drucksachen 15/2636 Nr. 2.40, 15/2848 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Schultz
Georg FahrenschonDer Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass imDeutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsamabzustimmen ist. Dies gilt auch für die noch folgendenBeschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses zuden Zusatzpunkten 2 b und 2 c.Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ver-mittlungsausschusses, Drucksache 15/2830? – Gibt esGfmtgss
Zusatzpunkt 2 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
rung der Vorschriften über die Anfechtungder Vaterschaft und das Umgangsrecht vonBezugspersonen des Kindes und zur Einfüh-rung von Vordrucken für die Vergütung vonBerufsbetreuern– Drucksachen 15/2253, 15/2492, 15/2716,15/2831 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Joachim HackerWer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ver-ittlungsausschusses? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-ungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig an-enommen.Zusatzpunkt 2 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
zung des Beschlusses des Ratesvom 28. Februar 2002 über die Errichtung vonEurojust zur Verstärkung der Bekämpfung
– Drucksachen 15/1719, 15/2484, 15/2717,15/2832 –Berichterstattung:Abgeordneter Hans-Joachim HackerWer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wertimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Be-chlussempfehlung ist einstimmig angenommen.Zusatzpunkt 2 d:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zurÄnderung der Richtlinie 2003/96/EG im Hin-blick auf die Möglichkeit der Anwendung vo-rübergehender Steuerermäßigungen und Steu-erbefreiungen auf Energieerzeugnisse undelektrischen Strom durch bestimmte Mitglied-staatenKOM 42 endg.; Ratsdok. 5850/04– Drucksachen 15/2636 Nr. 2.40, 15/2848 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Schultz
Georg Fahrenschon
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsDer Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-tung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ein-stimmig angenommen.Zusatzpunkt 2 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-ausschusses
Übersicht 6über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gericht– Drucksache 15/2834 –Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist einstimmig angenommen.Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungendes Petitionsausschusses.Zusatzpunkt 2 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 108 zu Petitionen– Drucksache 15/2835 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 108 ist einstimmig an-genommen.Zusatzpunkt 2 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 109 zu Petitionen– Drucksache 15/2836 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 109 ist einstimmig an-genommen.Zusatzpunkt 2 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 110 zu Petitionen– Drucksache 15/2837 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Die Sammelübersicht 110 ist ebenfalls ein-stimmig angenommen.Zusatzpunkt 2 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 111 zu Petitionen– Drucksache 15/2838 –Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 111 ist mit den Stim-mCtdmddsAsAWTJAsB
ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 15/2843 –Berichterstattung:Abgeordnete Waltraud Wolff
Peter H. Carstensen
Friedrich OstendorffHans-Michael Goldmannb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 15/2851 –Berichterstattung:Abgeordnete Otto FrickeErnst Bahr
Bartholomäus KalbFranziska Eichstädt-BohligEs liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionener CDU/CSU und der FDP vor. Ich weise darauf hin,ass zur Annahme des Gesetzentwurfs, über den wirpäter namentlich abstimmen werden, nach Art. 87bs. 3 des Grundgesetzes die absolute Mehrheit – dasind 302 Stimmen – erforderlich ist.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keineniderspruch. Dann ist so beschlossen.Als erster Rednerin erteile ich der Kollegin Jellaeuchner von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Seituni 2003 diskutieren wir die nationale Umsetzung dergrarreform. Heute werden wir eine Diskussion ab-chließen, die hier im Bundestag, die zwischen demund und den Ländern und mit den Landwirten meistens
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Jella Teuchnersehr konstruktiv geführt wurde. Ich sage „meistens“,weil es doch einige gibt, die die EU-Agrarreform nichthaben wollen und deswegen alles versuchen, um die na-tionale Umsetzung zum Scheitern zu bringen. Da wärmtman sich an einer Früher-war-alles-besser-Ideologie,sitzt in der Ecke und schmollt. Den Landwirten hilft mandamit allerdings überhaupt nicht.
Wir alle wissen, dass es in der Förderung der Land-wirtschaft zu einem Umbruch kommen wird, unabhän-gig davon welches Modell wir wählen. Jetzt tun dieUnion und vor allem der bayerische Landwirtschaftsmi-nister aber so, als sei das Betriebsmodell der Königs-weg und würde alle glücklich machen. Wir alle wissen:In dieser Frage gibt es keinen Königsweg.
Ich kann nur alle auffordern: Machen Sie endlich dieAugen auf! Fangen Sie endlich an, mit uns hierüber ehr-lich zu diskutieren!Sprechen Sie einmal mit den bayerischen Bauern. Siewerden feststellen, dass vielen sehr wohl bewusst ist,dass sich die Bayerische Staatsregierung in der Agrarpo-litik isoliert hat. Die Bauern wissen: In dieser Positionkann sich Bayern nicht mehr für die Bauern einsetzen.Wer einfach nur verhindern will, der kann auch nichtmehr gestalten.
Sie konnten die Agenda 2000 nicht verhindern. Auch dieEU-Agrarreform wird kommen. Sie sollten sich docheher die Frage stellen: Wollen wir gestalten oder wollenwir zuschauen, wie gestaltet wird? Wir wollen klar undeindeutig gestalten.
Es ist geradezu absurd, wenn – wie in Ihrem Ent-schließungsantrag – gleichzeitig mehr Betriebsprämienund weniger nationale Reserve gefordert werden. Dienationale Reserve dient dem Ausgleich von Härtefällen.Die Union will damit offensichtlich deutlich mehr Härte-fälle; denn genau das bedeutet die Ausweitung der Be-triebsprämie.
Sie will aber keine Mittel, diese auszugleichen. Diessteht so in Ihrem Antrag. Die Frage ist: Sagen Sie dasauch so den Landwirten, wenn Sie mit ihnen sprechen?
Sie machen es sich sehr einfach. Sie sammeln alle popu-listischen Forderungen, ohne ein eigenes schlüssigesKonzept vorzulegen.Deh–dPRhbAVnvkvDmBeeSHfzWKgsvfnhwwub
ie Landwirte haben schon längst gemerkt, wer hierrnsthaft diskutiert. Hören Sie doch einfach auf, hier nurerumzupoltern!
Mehr als genug, und zwar auch in Freising.Hören Sie bitte auf, den Teufel Cross Compliance anie Wand zu malen. Cross Compliance bedeutet, dassrämien dann gezahlt werden, wenn bestimmte EU-ichtlinien eingehalten werden. Es geht also um die Ein-altung eines bereits bestehenden, gültigen Rechts. Da-ei gibt es keinen Spielraum nach oben. Dies war imgrarrat übrigens nie umstritten. Diese anderweitigenerpflichtungen sind für die Akzeptanz der Agrarpolitikotwendig.Wir wollen die Landwirte auch in Zukunft bei ihrenielfältigen Aufgaben für die Gesellschaft unterstützenönnen. Dafür ist diese Akzeptanz notwendig. Ich höreon Ihnen aber nur, dass wir nicht kontrollieren dürfen.a werden Feldbeobachter beim Pflanzenschutz zu Er-ittlern, Bauernspionen und Stasimitarbeitern.
ei den Cross-Compliance-Regelungen sollen wir, wenns nach der Union geht, nicht zu viel kontrollieren, damits nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Ich frageie: Rechtsbruch als Standortvorteil?
alten Sie solche Aussagen für eine Vertrauensoffensiveür die deutsche Landwirtschaft? Wollen Sie so die Ak-eptanz für die Förderung der Landwirtschaft sichern?enn Sie so weitermachen, dann werden Sie zu einemommunikationsrisiko für alle deutschen Bauern.
Die EU-Agrarreform ist beschlossen. Sie bietet eineute Grundlage für die zukünftige Agrarpolitik. Sie stellticher, dass unsere Politik in der WTO durchsetzbar ist,on den Menschen akzeptiert wird und auch in Zukunftinanzierbar ist.Wir wissen, dass es Härten geben wird. In der Ausei-andersetzung haben wir diese soweit wie möglich ver-indert. Es gibt keinen Königsweg. Was aber geschaffturde: Es ist ein Weg aufgezeigt worden, der den Land-irten die Möglichkeit gibt, in Zukunft für den Marktnd nicht mehr für die Prämie zu produzieren. Das ha-en wir erreicht und damit haben wir viel erreicht.
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Das Wort hat der Kollege Peter Bleser von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder Ver-such, einem Branchenfremden die EU-Agrarpolitik unddie letzte Reform zu erklären, ist von vornherein zumScheitern verurteilt. Ich habe auch erhebliche Zweifel,nachdem ich Sie, Frau Teuchner, gehört habe, ob es ge-lungen ist, zumindest den Fachpolitikern in diesem Hausdiese Reform nahe zu bringen.
Ich bleibe deswegen bei meiner Bewertung vom letztenJahr, dass diese bis 2013 angelegte Reform ein Vorstoßin eine neue Dimension staatlicher Bevormundung ist,eine Verschwendung von Steuergeldern und ein bürokra-tischer Exzess, der seinesgleichen sucht.
Wer geglaubt hat, dass bei der nationalen Umsetzungdieser Reform eine Steigerung dieser Vorwürfe nichtmehr möglich ist, der muss sich leider getäuscht sehen.Seit September letzten Jahres analysieren unsere Bauern,die Verbände, die Bundesländer und die Abgeordnetenin diesem Haus die Auswirkungen dieser Reform auf dielandwirtschaftlichen Betriebe. Niemand kann voraussa-gen, wie die Bewirtschaftung unserer Flächen in dennächsten Jahren aussehen wird. Werden sie brach fallen?Denn auch in Zukunft wird die Prämiengewährung ohneLebensmittelproduktion möglich sein. Die Flächenmüssen lediglich gemulcht werden. Oder wird die Han-delbarkeit von Prämienrechten, das Verkaufen von Prä-mienrechten, dazu führen, dass die gewollten Unterstüt-zungen nicht den weiter wirtschaftenden Betrieben, denZukunftsbetrieben, zukommen, sondern denen, die aus-steigen wollen oder die schon ausgestiegen sind?Was die Bundesregierung mit diesem Gesetzentwurfvorhat, nämlich ab 2007 die Prämien zum Beispiel derMilcherzeuger und der Bullenmäster auf die Flächenumzulegen, führt dazu, dass diese Betriebe in eine argewirtschaftliche Existenznot getrieben werden.
Wenn Sie diesen Gesetzentwurf, den Sie heute einge-bracht haben, beschließen werden – dessen bin ich mirsicher –, werden Sie die Vernichtung von Tausenden vonlandwirtschaftlichen Existenzen zu verantworten haben.Das ist die Konsequenz Ihres Tuns.
In den Schlachtereien, in den Molkereien, in den Land-maschinenwerken oder im Landhandel wird derArbeitsplatzabbau massiv beschleunigt werden.fdadpgSNpdgfEVldzuwDdcEowvgpusdlWtdtdGnwnn
Nach den EU-Ratsbeschlüssen sollen die Milchpreisem 7 bis 8 Cent pro Liter zurückgehen und die Land-irte sollen einen Ausgleich von 3,5 Cent dafür erhalten.ie Bauern wollen das übrigens nicht. Ich frage mich, obiese Preissenkungen letztlich den Verbraucher errei-hen. Da haben wir in der Vergangenheit leider negativerfahrungen gemacht.
Sie wollen aber diesen Ausgleich für die Betriebe, derhnehin nicht ausreichend ist, schon nach zwei Jahrenieder senken. Das können diese Betriebe, die in denergangenen Jahren hohe Investitionen in moderne, tier-erechte Stallungen getätigt haben, nicht überleben.Wenn wir uns vor Augen führen, dass in der Milch-roduktion und in der Rindermast 11 Milliarden Euromgesetzt werden – das ist ein Drittel aller landwirt-chaftlichen Erlöse –, dann müssen wir davon ausgehen,ass weitere Markteinbrüche zu erwarten sind. Deutsch-and ist schon jetzt der größte Lebensmittelimporteur derelt. Sie, Frau Künast, können dann von sich behaup-en, dass Sie alles Mögliche dazu beigetragen haben,iese fragliche Spitzenposition auch in Zukunft zu hal-en.Jeder Fachmann weiß: Wenn die Milchproduktion ausen Mittelgebirgsregionen weggeht, dann stirbt dasrünland. Damit wird sich auch unsere Kulturlandschaftachhaltig verändern. Welche Auswirkungen diese Ent-icklung auf die Tourismusbranche hat, brauche ichicht zu erläutern. Ich denke, das wissen Sie alle ge-auso gut wie ich.Wir wollen das alles nicht.
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Peter BleserDeswegen haben wir heute unseren Entschließungsan-trag vorgelegt. Wir wollen, dass die Hilfen der EU denMilcherzeugern über die gesamte Laufzeit der Reformzukommen, dass die Rindermäster längere Übergangs-zeiten bekommen und dass bei der Umsetzung der so ge-nannten Cross-Compliance-Regelungen jede Sonderbe-lastung von den deutschen Landwirten ferngehaltenwird.Ich fasse zusammen und ziehe das Fazit:Erstens. Die von Frau Künast gelobte und mitbe-schlossene EU-Agrarreform ist eine nicht honorierteVorleistung im WTO-Prozess und in der grundsätzlichenAnlage falsch.Zweitens. Die von der Bundesregierung beabsichtigteUmsetzung der Reform führt zum Verlust von Marktan-teilen und zur Vernichtung von Zehntausenden Arbeits-plätzen in der Ernährungswirtschaft.Drittens. Ich fordere den Bundeskanzler auf, ange-sichts von 4,5 Millionen Arbeitslosen das Vorgehen derFrau Ministerin Künast in dieser Frage zu stoppen.Viertens. Die Bundesregierung hat kein Konzept, umdie deutsche Landwirtschaft in einem Europa der27 Staaten und bei einer weiteren Globalisierung wett-bewerbsfähiger zu machen.
Herr Bleser, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident. – Mit
der Schwerpunktsetzung auf Ökobetriebe werden wir
gnadenlos untergehen. Deswegen hoffen nicht nur die
deutschen Bauern, sondern auch die Beschäftigten im
ländlichen Raum auf die CDU/CSU-geführten Bundes-
länder.
Aus diesem Grunde müssen wir den Wählern dafür dan-
ken, dass wir dieses Korrektiv haben.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn der Kollege Bleser schon auf die durch-geführte Anhörung zurückgreift, dann sollte er korrektzitieren. Professor Isermeier zum Beispiel hat auch vor-gerechnet, dass durch die Gesetzesreformen der Bundes-regierung im Rindfleischbereich Preissteigerungen von17 Prozent zu erwarten sind.DsBüwvdoTDcfdogltevveaWsgDLmSZhmwnhdAEWRdK
amit wird das Parlament weitgehend um seine inhaltli-hen Mitwirkungsmöglichkeiten gebracht. Ein Aufgrei-en der verschiedenen Vorschläge aus der Anhörung, vonen Verbänden oder den Ländern vonseiten der Koaliti-nsfraktionen hier und heute ist damit völlig unsinnigeworden.Die CDU/CSU-Fraktion legt stattdessen als Tischvor-age einen Entschließungsantrag vor, mit dessen Bera-ung sie gerade fertig geworden ist. Dieser entsprichtins zu eins den Vorschlägen des Deutschen Bauern-erbandes. Es ist ja in Ordnung, wenn ein Interessen-erband seine Interessen vertritt. Aber die CDU/CSUntzieht sich damit wieder einmal ihrer politischen Ver-ntwortung, indem sie Populismus betreibt und allenohl und keinem Wehe verspricht, und zwar wider bes-eres Wissen. Aber hierüber hat Peter Bleser kein einzi-es Wort verloren.
iese Politik hat in der Vergangenheit der deutschenandwirtschaft nur marktferne Überschussproduktion,iserable Erzeugerpreise, hohe Abhängigkeit vontaatsknete und überbordende Bürokratie, aber keineukunftsperspektive gebracht.
Ich möchte noch auf den Kern der Vorschläge einge-en, die die CDU/CSU in ihrem Entschließungsantragacht. Diese Vorschläge würden, wenn sie umgesetztürden, gerade in der Anfangszeit, in der Übergängeotwendig sind, zu einer stärkeren Belastung der tier-altenden Betriebe – mit Ausnahme der Milchbauern;as ist die Folge des 65/35-Modells – zugunsten derckerbauern und zu einer Verschiebung der endgültigenntkopplung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag führen.as wäre das Ergebnis einer solchen Politik? Von denestprämien kann niemand mehr leben. Die Schafhalter,ie flächenarm wirtschaften, und die Ziegenhalter, dieulturlandschaftspflege betreiben
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9204 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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– gut, dass Sie mich daran erinnern –, arbeiten schonheute mit der Mutterschafprämie am Existenzminimum.Flächenarme Betriebe müssen also nach Ihrem Modellaufgeben. Gleichzeitig werden aber die Marktorientie-rung und damit die Bildung realistischer Marktpreise– das gilt auch im Hinblick auf mögliche Anstiege imRindfleischsektor – aktiv behindert. Die Mitnahmeef-fekte, also das Beziehen von Prämien, obwohl die Pro-duktion schon längst aufgegeben wurde, und die über-langen Übergangszeiten, die die CDU/CSU in ihremEntschließungsantrag vorsieht, würden die gesellschaft-liche Akzeptanz massiv gefährden – worauf JellaTeuchner schon hingewiesen hat.Mit Ihren Vorschlägen ist außerdem eine enorme Bü-rokratisierung verbunden. Wenn jemand die EU in Sa-chen Bürokratie noch toppt, dann ist es die CDU/CSU-Fraktion mit ihren Vorschlägen.
Es wird unrealistischerweise die Illusion genährt, dassdie Reformen wieder zurückgenommen werden können.Das verhindert Planungssicherheit sowie einen Moderni-sierungs- und Neuausrichtungsprozess in der Landwirt-schaft. Zudem wird eine massive Instrumentalisierungder Bauern betrieben – das erlebe ich immer wieder vorOrt –, indem man mit gezielten Falschinformationenüber angeblich von der Bundesregierung geplante zu-sätzliche Auflagen, die die bisherigen Umweltpro-gramme gefährden würden, Widerstände schürt und dieMenschen auf die Palme treibt.
– Das ist überhaupt nicht so! Es gibt keine einzige Vor-lage. Das ist reine Propaganda im übelsten Sinne.
Die Grünen unterstützen die Vorschläge der Bundes-regierung, die auf eine rasche und möglichst vollstän-dige Entkopplung, auf eine Verringerung der bisherigenBenachteiligung von Regionen und Betriebsformen, aufMarktorientierung und Honorierung der gesellschaftli-chen Leistungen zum Beispiel im Hinblick auf Umwelt,tiergerechte Produktion, Qualität und Lebensmittelsi-cherheit zielen. Uns ist natürlich klar, dass bestimmteProduktionsbereiche besonderer Lösungen bedürfen,zum Beispiel die Milchproduktion und die extensivenErzeugungsformen, und dass ein Gleitprozess notwendigist. Hier sind wir mit den Ländern einer Meinung.Wir fordern die Bundesländer und die CDU/CSU auf,die Agrarreform nicht länger für eine parteipolitischeAuseinandersetzung zu instrumentalisieren, die Land-wirtschaft in Deutschland mit notwendigen Reformenauf die Osterweiterung und die WTO-Ergebnisse vor-zubereiten sowie die Marktorientierung zu unterstützen,umwelt- und tiergerechte Produktion, Grünlandbewirt-schaftung und Weidewirtschaft zu stärken – das ist auchinnSsGRbvKgbwshdraclcuNdsbdsmrG
icht nur mulchen, sondern auch abfahren –,
Frau Kollegin Höfken, kommen Sie bitte zum
chluss.
– die zweite Säule und die Modulation voll auszu-
chöpfen sowie das EEG zu unterstützen; denn dieses
esetz bietet der Landwirtschaft und den ländlichen
äumen Einkommensperspektiven, die sie unbedingt
rauchen.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann
on der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Lieber Matthias, da du mich so freundlich be-rüßt hast, will ich die Atmosphäre hier durchaus einisschen danach ausrichten. Ich freue mich darüber, dassir über die Reform der Agrarmärkte ganz grundsätzlichprechen; denn ich halte sie für reformbedürftig. Ichalte das, was die Bundesregierung gesetzgeberisch aufen Weg gebracht hat, von der Grundausrichtung her fürichtig und notwendig. Ich begrüße es, dass ein Modellufgegriffen wird, das die FDP schon vor Jahren entwi-kelt hat, nämlich das Modell der so genannten Kultur-andschaftsprämie, also ein Modell der gesellschaftli-hen Leistung für Menschen, die unseren Kulturraumnd unseren ländlichen Raum insgesamt erhalten.
ur unter diesem Gesichtspunkt ist eine Bereitstellungieser Mittel dauerhaft gerechtfertigt.
Liebe Kollegen, insbesondere du, Albert Deß, wirollten uns wirklich besinnen und uns fragen, ob es nichtesser ist, den Streit hier nicht fortzusetzen, sondern unsarüber zu unterhalten, wie wir diesen Paradigmenwech-el ausgestalten.Lieber Peter Bleser, du bist zu dem Ergebnis gekom-en, dass das nicht zu verstehen ist. Ich finde das nichtichtig. Das ist ganz einfach: Bis jetzt bekommt maneld dafür, dass man etwas produziert, was auf dem
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Hans-Michael GoldmannMarkt nicht unbedingt nachgefragt wird. Das ist unsin-nig. Das sehen sehr viele Bauern genauso wie ich.
Zukünftig bekommt man Geld dafür, dass man etwasmacht, was von der Gesellschaft insgesamt akzeptiertwird. Das führt zu mehr Markt und dazu, dass der Bauereine größere Chance erhält, am Markt Preise zu erzielen,die ein vernünftiges Einkommen für seine Leistungen er-möglichen. Im Endeffekt bedeutet das wesentlich weni-ger Bürokratie und wirkt der momentan vorhandenenFehlsteuerung entgegen.
Ich finde es deswegen schade, wenn man sagt: Daskann keiner verstehen. – Damit tun wir uns keinen Ge-fallen. Die Gesellschaft muss verstehen, was wir hiermachen. Die Gesellschaft versteht sehr wohl, dass wirhier eine besondere Leistung für die Landwirte und denländlichen Raum erbringen. Ich meine, wir können ge-meinsam die Entwicklung in die richtige Richtung len-ken.
Lieber Peter Bleser, du sagst, dass ihr das alles nichtwollt. Dazu muss ich ehrlich sagen: Das trifft mich. Un-sere Fraktionen, die beide in der Opposition sind, müs-sen vieles gemeinsam – der entsprechende Gesetzent-wurf wird sicherlich im Vermittlungsausschuss landen –auf den Weg bringen. Ich bitte deswegen sehr nach-drücklich darum, die Gemeinsamkeiten herauszustellenund den Finger nicht immer wieder in – sicherlich vor-handene – Wunden zu legen. Es gibt Punkte, bei denenwir unterschiedlicher Auffassung sind. Das kommt auchin unserem Entschließungsantrag zum Ausdruck.Wir sollten aber auch einmal gemeinsam hervorhe-ben, dass wir die Anliegen der Milchbauern und der Rin-dermäster sehr ernst nehmen.
Ihre und unsere Fraktion kommen doch zu dem Ergeb-nis, dass es hier Veränderungen geben muss. Ich meine,dass 2010 eine gute Marke ist. Diese Auffassung teilensowohl der Bundesrat als auch sehr viele CDU-Agrarmi-nister. Ich bin nicht der Meinung, dass es richtig ist, amJahr 2013 festzuhalten und dann einen abrupten Bruchzu vollziehen. Ich glaube, dass der Entschließungsantragder CDU/CSU an dieser Stelle ein Riesenproblem ent-hält.
Wir sind uns einig, dass wir bei den Modulationsmit-teln ansetzen müssen. Niederländer haben mir einmalden schönen Satz „Bauerngeld ist Bauerngeld“ gesagt.Auch ich bin dafür, dass dieses Geld wieder bei den Bau-egdbngvWrrBtDGAwsüwndbudLIzdnsC–PIsct–MblgF
Sie haben heute einen guten Ansatz gehabt. Ich kannhnen nur empfehlen: Machen Sie einen Clement! Set-en Sie sich gegenüber den Grünen durch! Behalten Sieie Arbeitsplätze in diesem Bereich im Auge! Dann kön-en wir uns in dieser Frage auf viel Gemeinsamkeit ein-tellen und eine gute Lösung entwickeln.
Ich will noch etwas betonen, liebe Freunde von derDU/CSU.
Wir sind fachlich gern zur Zusammenarbeit bereit. –eter Harry Carstensen, die marktwirtschaftliche Linie,hre Husumer Beschlüsse, das – das will ich noch einmalagen – war eine gute Linie. Wenn Sie davon jetzt abrü-ken und so handeln, wie es Kollege Deß immer wiederut
ich sage das jetzt einmal in der Agrarsprache:acSharry 1992 war Mist, 2000 war Mist, die Halbzeit-ewertung war Mist; das ist eine völlig falsche Agrarpo-itik –, wenn das die Position der CDU/CSU ist, dannibt es in dieser Frage keine Gemeinsamkeit mit derDP.
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Hans-Michael GoldmannWir wollen eine Reform, die den unternehmerischenLandwirt stärkt. Wir wollen eine Reform, die gesell-schaftliche Akzeptanz erhält.
Wir wollen eine Reform, die den Agrarbereich, einen ab-soluten Hochleistungsbereich, einen – das muss manauch einmal betonen – wunderbaren Bereich mit riesigenExportchancen, WTO-kompatibel macht, die die Chan-cen der EU-Osterweiterung für unsere Landwirte nutzt.Von daher werden wir uns heute bei der Abstimmungüber den Entschließungsantrag der CDU/CSU derStimme enthalten. Die Regierungsvorstellungen lehnenwir ab, weil wir noch dringend Verbesserungen errei-chen müssen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Zu Beginn möchte ich Ih-nen, Herr Kollege Goldmann, meine Hochachtung zol-len. Sie haben eine fantastische Rede gehalten. Besserhätte auch ich mit der CDU/CSU nicht umgehen können,aber zum Schluss hat leider die Konsequenz gefehlt.
Aber dahin kommen wir vielleicht auch noch.
Zur Wiederholung: Was von der CDU/CSU noch vorzwei Jahren als Spinnerei verschrien und verlacht wurde,was als nicht umsetzbar galt, machen wir heute. Wir be-schließen heute die Reform zur Gemeinsamen Agrar-politik. Es gibt keinen notwendigeren Schritt auf demWeg zur Sicherung des Agrarstandorts Deutschland undEuropa insgesamt. Mit dieser Reform machen wir unsereLandwirte
fit für die Zukunft und wettbewerbsfähig – in Europaund auf dem globalisierten Weltmarkt.Genau wie Herr Goldmann gesagt hat, folgen wir nurder Entwicklung seit 1992. Ich habe schon bei der erstenLesung dieses Gesetzentwurfs gesagt: Ich war auf gro-ßen Bauernveranstaltungen; ich weiß nicht, wo Sie un-terwegs waren. Unsere Bauern haben gesagt: Wir habenMacSharry geschafft. Wir haben die Agenda 2000 ge-schafft. Wir schaffen auch die EU-Agrarreform.wwdlngvmmrkfgigwlQDezdCdkzEwlm
Die Umstrukturierung der Förderung durch die GAPar dringend notwendig; denn die Landwirtschaft – dasissen wir alle – wird auch künftig nicht ohne Zuwen-ungen produzieren können. Die Bauern müssen in eineriberalisierten globalen Marktwirtschaft bestehen kön-en. Die umwelt- und tierschutzrechtlichen Anforderun-en werden immer höher; das will der Verbraucher so.Nebenbei gesagt: Die bisherige Art der Fördermittel-ergabe kann man der Bevölkerung auch einfach nichtehr erklären. Das kann man nicht mehr vermitteln.Die Bauern werden sich also am Markt orientierenüssen. An der Nachfrage wird ihre Produktion ausge-ichtet sein. Die Direktzahlungen der EU werden sichünftig an den Leistungen ausrichten, die die Landwirteür die Gesellschaft erbringen.
Von diesem Platz aus, liebe Kolleginnen und Kolle-en, muss ich endlich einmal loswerden, wie schändlichch das Verhalten der CDU/CSU-Fraktion auch im Nach-ang finde. Sie haben bis zum Abschluss der Halbzeitbe-ertung der Agenda 2000 gesagt: Entkopplung? Modu-ation? Das brauchen wir nicht, liebe Bauern, allesuatsch, wir machen weiter wie gehabt.
as war nicht nur vorsätzlich falsch, sondern es ist auchine sträfliche Art von Verunsicherungstaktik, die Sie bisum heutigen Tag fortgesetzt haben.
Verunsichert haben Sie den Berufsstand, dem Sie sichoch angeblich so verbunden fühlen. Ich finde, Ihrhaos ist einfach nicht mehr nachzuvollziehen: Erst for-ern Sie unternehmerische Freiheit und wenn sie dannommen könnte, wollen Sie plötzlich die alte Prämien-ahlung beibehalten. Wenn es dann auch noch um dierschließung neuer Einkommenspotenziale geht,
enn wir für die Erschließung neuer Einkommensquel-en sind und für die Landwirte sorgen, machen Sie nichtit.
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Waltraud Wolff
Ich muss hier öffentlich sagen, dass die Oppositiondie Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gesternim Ausschuss geschlossen abgelehnt hat, obwohl geradeim Bereich der Biomasse ein Quantensprung gelungenist
und die Bauern in der Zukunft die Möglichkeit haben,sich ein neues Standbein zu schaffen.
Wir werden diese Novelle morgen hier beraten und be-schließen. Ich sage: ein guter Tag!Aber wessen Interessen vertreten Sie denn eigentlichnoch? Ich glaube, seit Sie Oppositionsarbeit machen,drehen Sie sich nur noch um sich selbst und wissen nichtmehr, auf welchen Veranstaltungen Sie wie reden sollen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestern ist also dasgroße Wunder geschehen: Die CDU/CSU hat ihrenEntschließungsantrag angekündigt. Meine KolleginTeuchner und auch Herr Goldmann haben dazu schon et-was gesagt, sodass ich mich inhaltlich nicht mehr dazuäußern muss. Aber Sie haben ihn wohlgemerkt für dieheutige Debatte eingebracht, nicht für eine Debatte vorWochen oder zur gestrigen Beratung im Ausschuss,nein, heute. Da kann man nur sagen: Zu spät, liebeFreunde, der Zug rollt, und zwar ohne euch. In den Bau-ernversammlungen sind die Parolen, die ihr ständig dortgebracht habt, endlich verstummt. Ich denke, das istauch gut so.
Ich bin froh, dass wir einen anderen Weg gewählt ha-ben. Wir wollen gemeinsam mit den Ländern einen Wegfinden, und zwar über ein Kombinationsmodell, das zumeinen aus einer Betriebsprämie und zum anderen aus ei-ner Flächenprämie besteht.
Wenn wir uns für die Betriebsprämie entschieden hätten,dann hätten wir die Ungerechtigkeiten, die es bei der jet-zigen Förderung gibt, festgeschrieben. Das wollten wirnicht. Deshalb bin ich froh, dass wir einen anderen Weggewählt haben. Denn in zehn Jahren ist niemandemmehr zu erklären, welche historischen Umstände zurVergabe der Prämie geführt haben. Der Fakt der unglei-chen Verteilung wird trotzdem manifestiert. Das wäreauch für die wirtschaftliche Entwicklung des Betriebesein Debakel.
Deshalb ist die wesentliche deutsche Forderung, regio-nal einheitliche Flächenprämien zu gewährleisten, letz-tes Jahr von Frau Künast bei der Kommission durchge-setzt worden. Auf diese Weise können wir, im GegensatzzusNhuWWnbRtddsnudtefPteBFbSbwluvrGml
atürlich wird es bei einer solchen Reform – auch dasaben wir bereits bei der Einbringung gesagt – Gewinnernd Verlierer geben.
ir müssen natürlich schauen, wie wir das abmildern.ir haben eine nationale Reserve eingeführt, die Sieicht in der Höhe wollen, wie wir sie brauchen. Aber wirrauchen auch eine bäuerliche Solidarität, damit in allenegionen landwirtschaftliche Kulturlandschaften erhal-en werden können. Deshalb ist die Mehrheit der Bun-esländer auf unserer Seite und spricht sich mit uns füras Kombinationsmodell aus.Dieser Weg bedeutet Flexibilität für Produktionsent-cheidungen und neue Einkommensalternativen. Dieeuen Forderungen, die in jüngster Zeit vor der zweitennd dritten Lesung von den Bundesländern erhoben wor-en sind, halte ich für nicht so günstig. Gut und gern hät-n wir ausnahmsweise einmal auf ein Vermittlungsver-ahren verzichten können. Wir hätten nicht nur dieositionen noch rechtzeitig angleichen können; wir hät-n möglicherweise auch ein positives Signal für dieauern im Lande aussenden können.
Zum Schluss sei mir noch eine Bemerkung gestattet.rau Künast hat die vom Bundesrat geforderte Verschie-ung des Abschmelzungsprozesses als richtig anerkannt.ie hat auch Verständnis für die Forderungen der Länderei den Cross-Compliance-Regelungen gezeigt. Ichünsche mir, dass das ein gutes Omen für das Vermitt-ngsverfahren ist, das Sie ins Auge gefasst haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Peter Harry Carstensen
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Es ist schon erstaunlich, dass Frau Teuchner, Herroldmann und auch Frau Wolff darauf aufmerksamachen, dass sie über diese Agrarreform gerne noch soange diskutiert hätten, bis es zu einer Einigung
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Peter H. Carstensen
gekommen wäre. Ich muss mich daher fragen, warumSie dann eine solche Eile an den Tag gelegt haben. Wirhaben Zeit bis August, das Gesetzgebungsverfahren zumAbschluss zu bringen.Ich frage mich auch, ob es akzeptabel ist, die Antwor-ten auf die während der Anhörung am 22. März gestell-ten Fragen nicht einmal abzuwarten. Es wurde nach derAnhörung eine Ausschusssitzung abgehalten und darauffolgt heute holterdiepolter die zweite und dritte Lesung.Wenn es Sie stört, dass unser Entschließungsantragnoch nicht im Ausschuss behandelt wurde, liebe FrauKollegin Wolff, dann sollten Sie sich einmal die Ge-schäftsordnung ansehen. Alles andere, was wir hätteneinbringen können, wäre eine Selbstbefassung gewesen,weil wir es nicht in der ersten Lesung eingebracht habenund es daher keine Überweisung an den Ausschuss gege-ben hat. Es ist hier im Hause üblich, Entschließungsan-träge zur zweiten und dritten Lesung einzubringen.
Das haben wir getan.Wie ernsthaft die Bundesregierung mit den Proble-men in der Landwirtschaft umgeht, das konnten wir andem Abend feststellen, an dem uns die Sozialversiche-rungsträger zu einem parlamentarischen Abend eingela-den hatten. Es waren drei Parlamentarische Staatssekre-täre der Bundesregierung zugegen.
– Vier? Wer war der Vierte?
– Ihren Namen habe ich als ersten auf der Liste.
Ich habe Sie nicht vergessen. Sie saßen neben mir undich weiß, wie Sie diesen Abend genossen haben, HerrHartenbach. Anwesend waren noch Herr Thalheim undHerr Thönnes. Wer war denn der vierte Staatssekretär,Herr Hartenbach?
– Nein, Sie sind der Erste auf meiner Liste.
Sie sind nicht der Vierte. Auch wenn Sie es gerne hätten:Ich nenne Ihren Namen nicht zweimal. Das hat etwasmit Rechnen zu tun und Rechnen war Gegenstand derPISA-Studie. Deswegen sage ich noch einmal: Es warendrei Parlamentarische Staatssekretäre anwesend.Die Vertreter der Koalition haben die Forderung nachEigenständigkeit der Sozialversicherungsträger unter-stützt. Aber am nächsten Morgen, an dem die meistenGäste kein Frühstück zu sich zu nehmen brauchten, weilsie am Abend zuvor gut versorgt gewesen sind, kam dieMeldung aus dem Ministerium, dass es Kürzungen beidagFWfluwWSZ2dwhAwUcDteÄklerdisfLgazud3zuLDdhn3watr
ir wissen auch, dass die Entkoppelung positive Effekteür den Markt haben wird. Wir stehen zu der Entkoppe-ng, weil sie zu einer Orientierung am Markt führenird.
enn Sie unseren Antrag gelesen hätten, dann wüsstenie – es steht dort eindeutig geschrieben –, dass unseriel eine regional einheitliche Flächenprämie ist, die bis013 eingeführt werden soll. Das heißt, wir sind uns iner Zielsetzung einig, aber es bestehen Unterschiede,as den Übergang angeht.Es besteht ein tiefer Dissens – der Kollege Goldmannat ihn schon angesprochen –, was die Regelung inrt. 2 § 5 bezüglich des Einvernehmens mit dem Um-eltminister angeht. Meine Damen und Herren, dermweltminister hat auf unseren Äckern nichts zu su-hen.
ie Leute wissen schon, wie sie sich im Rahmen der gu-n fachlichen Praxis zu verhalten haben. Sie haben ihrecker gepflegt. Wir wissen, dass es in diesem Bereicheine Verschärfungen auf nationaler Ebene geben darf.Aber wir wissen auch, dass es richtig ist, was der Kol-ge Zöllmer gestern gesagt hat. Er sprach von einem Pa-adigmenwechsel in der Agrarpolitik. Die jetzt anstehen-en Beschlüsse sind ein Paradigmenwechsel. Da dies sot, ist es angebracht, die einzelnen Fälle möglichst sorg-ältig durchzuspielen und zu überlegen, was auf dieandwirte zukommt. Schon aufgrund der Wortwahl be-reifen wir manchmal nicht mehr – ich gebe zu, dassuch ich dem zum Teil verfalle –, dass es hier um ein-elne Betriebe, um einzelne Schicksale, um Familien,m Betriebsleiter und um Arbeitnehmer geht.Es wird von einer Umverteilung zwischen den Län-ern gesprochen. Aber es kommt im Hinblick auf die5 Prozent der Direktzahlungen zu keiner Umverteilungwischen den Ländern. Dabei handelt es sich vielmehrm einen Solidarbeitrag, der von Bauern aus einigenändern an Bauern in anderen Ländern abgeführt wird.ieser kommt nicht aus Landeshaushalten, er wird beien Landwirten abgezogen.Eine Umverteilung ist sicherlich notwendig. Aber ichabe meine Probleme damit – dazu stehe ich –, in mei-em Bundesland die Notwendigkeit eines Betrages von5 Prozent der Direktzahlungen zu erklären. Ich staune,ie offen und wie schnell der Landwirtschaftsministerus meinem Land dies zugestanden hat. Die Summe be-ägt fast 5 Prozent der Prämien in Schleswig-Holstein.
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Peter H. Carstensen
Dass das für die landwirtschaftlichen Betriebe eine Rollespielt, ist doch wohl selbstverständlich.
Wenn dies ein Paradigmenwechsel ist, dann erwarteich, dass man darauf achtet, was in den Betrieben pas-siert. Ich erwarte, dass beobachtet wird, was um uns he-rum passiert. Es geht nicht nur um die Akzeptanz, son-dern auch um – lieber Kollege Goldmann, ich wunderemich, dass du das vergessen hast – die Wettbewerbs-fähigkeit unserer Landwirte.
Es reicht nicht aus, Akzeptanz für ein bestimmtes Sys-tem zu haben. Wenn unsere Landwirte nicht mehr wett-bewerbsfähig sind, dann brauchen wir auch keine Ak-zeptanz mehr; denn dann sind sie nämlich gar nicht mehrda.
Deswegen streiten wir über den Weg. Dies hat mitUmverteilung zu tun. Hier geht es um Wettbewerbsfä-higkeit, um Marktanteile, um den ländlichen Raum undnatürlich auch um das Landschaftsbild. Deswegen istSorgfalt angebracht.Ich gebe gerne zu, dass ich persönlich mich gewan-delt habe, dass ich meine Meinung geändert habe unddass ich die strikte Linie, die wir in Husum festgelegthaben – allerdings ohne Einzelheiten zum Beispiel überden Milchbereich zu wissen –, nicht mehr einhaltenkann, da ich weiß, dass wir bei dieser strikten Linie ins-besondere im Rindfleischbereich zu Strukturbrüchenkommen würden, die enorm sind.Liebe Uli Höfken, ich staune ein bisschen.
– Gemach, das erzähle ich dir gleich. – Du hast unsereVerbindungen zum Bauernverband angesprochen. Wirfragen uns manchmal, von wem wir gute Informationenbekommen können. Es ist richtig, wenn Abgeordnete dieVerbände mit einschalten. Man kann da aber nicht zwi-schen dem „bösen“ Bauernverband und den „guten“ Ge-werkschaften und dem „guten“ NABU unterscheiden.
Es gibt auch andere, die sich dort Informationen besor-gen. Wenn du in diesem Zusammenhang vom Bauern-verband sprichst, dann solltest du den Leuten auch ein-mal sagen, dass es bei dir offensichtlich so mancheVerbindung zu Verbänden gibt, die mit Ziegen und Scha-fen zu tun haben, liebe Kollegin Höfken. Man sollte zu-mindest in diesem Zusammenhang nicht in dieser Art fürdie eigenen Leute reden und eigene Betroffenheit nichtmitteilen.
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Doch, dort steht etwas dazu. Wir haben gesagt: mög-chst spät. Bei euch steht: 2010. Das ist möglichst spät.ies doch einmal die beiden Entschließungsanträge undann wirst du kaum Unterschiede sehen. Du möchtestoch nur gerne Unterschiede hineininterpretieren. Stelline Zwischenfrage, dann habe ich noch etwas mehr Zeitu reden!Meine Damen und Herren, bei der Betrachtung desilchbereiches bestehen Unterschiede. Bei den Bullennd beim Rindfleisch sieht das anders aus als bei derilch; denn durch die Milchbeschlüsse ist von vornher-in eine Preissenkung eingebaut. Lasst euch doch von ei-igen Betriebswirten erzählen, wie es letztendlich in die-en Betrieben aussieht.Uli Höfken hat von Planungssicherheit gesprochen.iejenigen, die 1999 an diesem Pult gesagt haben: „Jetztaben die Bauern Planungssicherheit, weil wir einegenda bis zum Jahr 2007 festgeschrieben haben“ under Landwirtschaft im Jahr 2003 eine neue Agrarreform,ie zu schnellen Veränderungen führte, überstülpten,önnen nicht den Anspruch erheben, Planungssicherheitür die Landwirte zu gewährleisten.
Die Halbwertszeit politischer Beschlüsse ist immerürzer geworden. Ich glaube, es hätte uns gut angestan-en, über den Weg zu unserem gemeinsamen Ziel, überen Zeitrahmen, den wir zur Erlangung dieses Zielsrauchen, und die Veränderungen in der Landwirtschaftnd für die einzelnen Bauern noch ein wenig länger zuiskutieren. Wenn wir das getan hätten, dann wäre dierontstellung, die ihr aufgebaut habt, vermeidbar gewe-en.
Ich bedanke mich.
Das Wort hat die Bundesministerin Renate Künast.
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Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieAgrarreform, über die wir jetzt in zweiter und dritter Le-sung debattieren, ist ein wichtiger Schritt für die Land-wirtschaft. Wir zeigen den Bäuerinnen und Bauern da-mit, wie der Weg in die Zukunft aussehen kann. Ichfreue mich, dass die Agrarministerkonferenz in Osna-brück in der letzten Woche die gemeinsame Position vonBund und der großen Mehrheit der Länder, also der A-und B-Länder, bekräftigt hat.Die deutliche Mehrheit für das Flächenmodell, daswir vorschlagen und über das wir hier diskutieren, freutmich besonders, weil es in der letzten Woche eine kleineIrritation gegeben hat. Es wurde die Position einiger ausdem Bauernverband laut, die ein anderes Modell bevor-zugt hätten. Ich habe mich gefreut, dass die CDU/CSUbei diesem Modell anerkennt, dass es einen Paradigmen-wechsel gibt. Vor ungefähr drei Jahren, als wir die Dis-kussion angestoßen und nach einem neuen Modell ge-sucht haben, hat die CDU noch Nein gesagt. Ich habevon Ihnen Sätze wie „Frau Künast, Sie werden das so-wieso nicht durchsetzen, da sind unsere französischenFreunde vor“ gehört. Irgendwann in einer Sommernachtim letzten Jahr haben Sie gemerkt, dass man mit denFranzosen gemeinsam eine Agrarreform machen kann.Jetzt freue ich mich, dass Herr Carstensen halbwegs zuuns gefunden hat.
Sie, Herr Carstensen, haben gesagt: Wir müssen sorg-fältig darüber diskutieren. Herr Carstensen, wir diskutie-ren darüber schon seit Januar 2001 und wir können nichtjedes Mal darauf warten, dass Sie mit vierjähriger Ver-spätung merken, dass sich Reformen im Umsetzungs-prozess befinden.Wir haben einen ganz anderen Ansatzpunkt; deshalbkommen wir zu dem Flächenmodell. Aus dem gleichenGrund ist wahrscheinlich auch die FDP zu diesem Mo-dell gekommen. Es ermöglicht mehr Wettbewerb undmehr Markt und, Herr Carstensen, es bedeutet ein wenigmehr Solidarität unter den Landwirten. Ich sage ganzklar: In der Vergangenheit bekamen diejenigen, die diebesten Böden besaßen, das meiste Geld.
Nun ging es dabei aber nicht um Ihr Geld, sondern umSteuergelder. Natürlich geben wir auch das gern für dieLandwirtschaft, aber wir müssen in Zeiten knapper Kas-sen und im Zuge von Neuausrichtungen die Verteilungvon Steuermitteln verändern. Es geht also um Solidaritätbeim Verteilen von Steuergeldern und nicht um etwas,auf das man einen Rechtsanspruch hat.bßsfBugiVdstwdsdmZdudkfIVwWflbwFWbdrd
Herr Carstensen und andere haben von Bürokratieab-au geredet. Ihr Modell aber, das Sie in Ihrem Entschlie-ungsantrag vorstellen, würde einen nachgerade giganti-chen Bürokratieaufwand nach sich ziehen. Deshalbindet dieses Modell, genau wie das einiger Vertreter desauernverbandes, nicht die Unterstützung der A-Ländernd auch nicht der B-Länder.Als ich letzte Woche in Osnabrück ankam, habe ichefragt: Gibt es ein neues Papier, denn darüber würdech gern diskutieren? Daraufhin bekam ich die Antwort:ergessen Sie es. Das haben wir bereits gestern Abendiskutiert und es lohnt sich nicht. – Es hieß: Die Zahlenind falsch, denn – das ist auch in Ihrem Antrag enthal-en – die nationale Reserve, die eigentlich verringerterden soll, wird faktisch erhöht. Insgesamt ist das Mo-ell weder durchdacht noch besonders überzeugend. Siechaffen im Ergebnis immer mehr Härtefälle, die Sie miter nationalen Reserve am Ende finanziell ausgleichenüssten. Insofern können Sie sie gar nicht senken.Jetzt geht es darum, zukunftstauglich zu organisieren.u Cross Compliance sage ich Ihnen: Sie malen zwaren Teufel an die Wand, Tatsache ist jedoch, dass es sichm ein Instrument zur wirksamen Kontrolle von Min-eststandards handelt. Ich möchte an dieser Stelle eineslarstellen: Die Landwirte haben überhaupt nichts zu be-ürchten.
ch gehe nämlich davon aus – vielleicht habe ich mehrertrauen in die Landwirtschaft als Sie –, dass die Land-irte ordnungsgemäß wirtschaften.
er ordnungsgemäß wirtschaftet, hat eben nichts zu be-ürchten. Ich frage mich, woher Ihr Misstrauen eigent-ich kommt.
Wir beschließen Umweltstandards, die nachvollzieh-ar sind. Diese sind auch gesellschaftlich richtig, dennenn man Steuergelder ausgibt, darf man auch einigeorderungen stellen.
ir wollen Regeln, die die Landwirte nicht über Gebührelasten und die die jetzigen Förderprogramme der Bun-esländer für besondere Gebiete möglichst wenig tangie-en.Wir sind an dieser Stelle – dies spiegelt sich auch iner Beschlusslage der Agrarministerkonferenz von Os-
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Bundesministerin Renate Künastnabrück – auf einem sehr konstruktiven Weg. Wir wer-den auch bei den Cross-Compliance-Regelungen, alsobei den Standards für Umwelt und Tierschutz, einen ge-meinsamen, für Bund und Länder gleichermaßen gang-baren Weg finden.Auch die Erhaltung von Grünland
– zur Milch komme ich noch – war ein Thema. Ich habein dieser Angelegenheit mit dem zuständigen Kommis-sar gesprochen und ihm klar gemacht, dass wir eine gutumsetzbare Regelung brauchen. Wir haben uns jetzt aufeine vernünftige Lösung geeinigt, die nicht Individual-zuweisungen vorsieht, sondern diese Aufgabe den Bun-desländern zuweist. Dadurch sind zum Beispiel auch dieGrünlandprogramme geschützt.
Außerdem befinden wir uns im Einklang mit der EU-Re-gelung. Was wollen Sie mehr?
Auf der AMK haben wir auch über die Probleme beiMilch gesprochen. Wir wissen alle um die sehr schwie-rige Situation. Wir appellieren nicht nur an die Verbrau-cherinnen und Verbraucher, sondern auch an die Wirt-schaft, sich für faire Preise einzusetzen. Wir nehmen zurKenntnis, dass auch der Bauernverband über eine Preis-reduzierung redet. Eines wissen wir: Überproduktionensind auch ein Werkzeug des Preisdrucks,
allerdings von den Landwirten und denen, die überpro-duzieren, selbst gemacht.Der Bauernverband hat eine Reduzierung der Milch-produktion um 70 000 Tonnen zur Diskussion gestellt.Alle Fachleute sagen mir: Diese 70 000 Tonnen sind an-gesichts einer Überproduktion in einer Größenordnungvon ungefähr 1 Million Tonnen ein Nichts. Wir habenein Optionenpapier vorgelegt und gefragt: Was könnenwir tun? Darüber will ich reden: mit Ihnen, mit den Län-dern, mit den Verbänden. Von all denen möchte ich wis-sen, was sie wollen, dass ich es tue. Es geht darum, biszu 1 Million Tonnen nicht mehr in die Saldierung zunehmen – was bedeuten würde, dass 380 Millionen Eurovon Landwirten gezahlt werden müssen, die wettbe-werbsfähige, zukunftsfähige Betriebe haben, um dienächsten Jahre zu überstehen. Wir müssen darüber dis-kutieren, ob wir das wollen oder nicht. Ansonsten müs-sen die Landwirte ihre Produktion selber reduzieren.Hinsichtlich der Werkzeuge muss man die Wahrheit aus-sprechen.
Herr Goldmann hat vorhin schön gesagt: Das alteSystem hat die Landwirte dazu animiert, zu fragen, wo-für es Geld gibt, egal wonach der Markt fragt. Das neueSystem orientiert sich am Markt und daran, gesellschaft-lRgRbnsowradlLCrwlkdAvBlRGngnzPBz
Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Frau Ministerin, wenn Sie ernsthaft Wort haltenollten, hätten Sie das gerade in den Beratungen deretzten Wochen zum Thema Milch unter Beweis stellenönnen. Sie sind aber nicht auf die Vorschläge der Bun-esratsmehrheit eingegangen.
uch haben Sie, gerade in Bezug auf die Milch, schlechterhandelt. Das für uns schwierige Ergebnis in diesemereich haben wir Ihnen und Ihrer schlechten Verhand-ung zu verdanken.
Meine Damen und Herren, für die Bewertung diesereform, die eine der einschneidendsten Reformen in dereschichte der Gemeinsamen Agrarpolitik ist, sind mei-es Erachtens die Antworten auf folgende zentrale Fra-en ausschlaggebend: Erstens. Ist diese Reform geeig-et, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirteu verbessern?
Zweitens. Ist sie geeignet, die landwirtschaftlicheroduktion und die Produktion der ihr nachgelagertenereiche – und damit die Arbeitsplätze – in Deutschlandu halten?
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Gerda HasselfeldtDrittens. Ist die Reform geeignet, die leistungsfähigenund leistungsstarken Betriebe, also gerade die, die in derVergangenheit viel investiert haben, zu stärken?
Auf diese drei zentralen Fragen würden Sie gerne mitJa antworten. Aber wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie sa-gen: Genau diese Anforderungen erfüllt diese Reformnicht.
Wenn Sie den Landwirten ehrlich sagen, was ihnen dieseReform bringen wird, dann werden Sie sehr schnell zufolgenden Ergebnissen kommen: Diese Reform führtwieder zu Preissenkungen, zu Prämienkürzungen, zuneuen Bewirtschaftungsauflagen mit zusätzlicher Büro-kratie und – damit verbunden – einer schlechteren Wett-bewerbssituation innerhalb der Europäischen Union
sowie zu einer massiven und schnellen Umverteilung in-nerhalb der Landwirtschaft zulasten der leistungsstarkenund intensiv wirtschaftenden Betriebe.
Gelegentlich sagen Sie dann, dass diese Entscheidungauf EU-Ebene getroffen worden sei und dass wir damitnichts zu tun hätten.
Diese Entscheidung ist aber von der zuständigen deut-schen Ministerin mitverhandelt und mitgetragen worden.Daher wäre es schön, wenn wir wenigstens in einigenBereichen eine deutsche Handschrift erkennen könnten.Das wäre beispielsweise im Bereich der Milchwirt-schaft notwendig. Wir verfügen in Deutschland überetwa 25 Prozent der gesamten Milchproduktion inner-halb der EU.
Unsere Milchbauern erleiden aufgrund dieser ReformEinkommenseinbußen von fast 1 Milliarde Euro.
Meine Damen und Herren, das müssen wir uns verge-genwärtigen; denn genau das ist das Ergebnis der Ver-handlungen innerhalb der Europäischen Union, das jetztumgesetzt wird.
Deshalb müssen wir die Situation der Milchbauern ver-bessern. Das, was im Rahmen der nationalen Umsetzungnoch korrigiert werden kann, muss korrigiert werden.
–fmfElsSBÜhstDdsbBwawsAssdkDzMdbshngK–aan
eispielsweise – um nur ein Stichwort zu nennen – imullenmastbereich. In dem Moment, in dem die Land-irte verstärkt aus dieser Produktion aussteigen, was sieufgrund dieser Reform tun werden, werden sich Aus-irkungen auf die regionalen Schlachthöfe und die ge-amte Verarbeitungsindustrie ergeben, die eine Fülle vonrbeitsplätzen in Gefahr bringen werden, ganz zuchweigen davon, dass die Kälber verkauft werden müs-en.Wenn sie nicht mehr in Deutschland produziert wer-en, dann werden sie eben von anderen Ländern ver-auft – dort, wo die Maßnahme anders umgesetzt wird.as ist für uns ein Wettbewerbsnachteil.
Neben dieser Prämienregelung ist bei dieser Umset-ung das Stichwort Cross Compliance ganz wichtig.eine Damen und Herren, wer soll denn glauben, wasie Ministerin gesagt hat – dass die Landwirte nichts zuefürchten haben –, wenn er sich bloß einmal anzu-chauen braucht, was diese Regierung in der Vergangen-eit bereits bei der Umsetzung europäischen Rechts inationales Recht gemacht hat: Bei jeder möglichen Gele-enheit wurden die deutschen Landwirte stärker zurasse gebeten, wurden die Auflagen verstärkt.
Beispielsweise bei der Düngeverordnung; es gibt aberuch jede Menge anderer Beispiele!Mit den vorgesehenen Regelungen für Cross Compli-nce ist im Übrigen eine zusätzliche Gefahr verbunden,ämlich dass die guten Länderprogramme im Agrar-
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Gerda Hasselfeldtumweltbereich nicht mehr aufgelegt werden können.Dies werden wir genauso wenig mitmachen wie das Vor-haben, dass das Bundesumweltministerium die Einver-nehmensbehörde für die Durchführungsvorschriften imlandwirtschaftlichen Bereich sein soll.
Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Vorstellun-gen entwickelt. Ich will nur die wesentlichen nennen:Erstens. Cross Compliance darf nur eins zu eins umge-setzt werden. Die deutsche Landwirtschaft kann keinezusätzlichen Wettbewerbsnachteile verkraften.
Zweitens. Die laufenden Agrarumweltprogramme derBundesländer müssen auch weiterhin möglich sein, denndamit werden zusätzliche Umweltmaßnahmen der Land-wirte in den Regionen, die das schätzen, ermöglicht.
Drittens. Eine Einvernehmensregelung zugunsten desBundesumweltministers werden wir auf keinen Fall ak-zeptieren.
Viertens. Die Milchprämie muss bis zum Ende derLaufzeit betriebsbezogen gewährt werden, denn geradedie Milchbauern haben nicht nur durch die aktuellePreissituation, sondern auch durch die EU-Beschlüsseganz gravierende Einbußen.
Bei allen Forderungen, die ich jetzt genannt habe, be-finden wir uns in guter Gesellschaft mit den unionsge-führten Bundesländern.
Alle Vorschläge – zu Cross Compliance genauso wie zurMilchwirtschaft – sind durch Bundesratsbeschlüsse inden einzelnen Ausschüssen gedeckt.Wir haben noch das Problem zu lösen, wie das übrigePrämienvolumen verteilt wird. Auch dafür gibt es einenkonkreten Vorschlag: Ein fester Anteil von 35 Prozentwird flächenbezogen gewährt, die anderen 65 Prozentbetriebsbezogen, und zwar für einen möglichst langenZeitraum, um auch denen entgegenzukommen, die imVertrauen auf die Politik gerade in den letzten Jahren In-vestitionen vorgenommen haben. Dies sorgt für Glaub-würdigkeit und dient der Planungssicherheit der Land-wirte und Betriebsinhaber.
Nach diesem Vorschlag wird die Umverteilung beiweitem nicht so schnell und bei weitem nicht so krassvorgenommen, werden die leistungsstarken Betriebe ge-stärkt, vor allem diejenigen, die in den vergangenen Jah-ren investiert haben. Im Grundgedanken, die leistungs-starken Betriebe zu stärken und die Umverteilung sogering wie möglich zu gestalten, befinden wir uns wie-dLASVghsSbRBmwnedRNIbidKlfSvStBbsdmkwlfsdu
hr Kernsatz lautet: Eigentlich wollen wir, dass alles soleibt. Angesichts der Probleme in der Landwirtschaftst dieser Satz unverantwortlich; denn Sie wissen, dassies nicht geht. Sie sind Repräsentanten der deutschenrankheit, über Reformen zu reden, aber keine zu wol-en. Das geht nicht, meine Damen und Herren.
Man muss eines hinzufügen: Die Mehrheit dieser Re-ormen wurde noch zu Ihrer Regierungszeit geplant.chauen Sie sich einmal an, was Frau Künast seitdemerbessert hat. Natürlich nutzen wir den nationalenpielraum aus – das tun wir wie alle anderen –; aber wirun dies erstens in Übereinstimmung mit den nationalenedingungen und zweitens so, dass sich in Europa etwasewegen kann. Was nützt es, wenn wir etwas fordern,ich aber in Europa nichts bewegt? Genau diese Verbin-ung hat Renate Künast aus meiner Sicht gut hinbekom-en; dafür danken wir ihr.
Meine Damen und Herren, die GAP-Reformen sindeine Willkür, sondern notwendige Voraussetzung, weilir mehr Markt, mehr Effizienz und mehr gesellschaft-iche Verpflichtungen brauchen. Sie sind Voraussetzungür eine nachhaltigere Landbewirtschaftung und einetärkere Orientierung der Landwirtschaft am Markt, umie subventionierte Überschussproduktion zu verringernnd eine bessere Ausrichtung auf die Wünsche der
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Michael Müller
Verbraucher sowie mehr Lebensmittelsicherheit zu errei-chen.Ich verstehe auch nicht, wenn ein Widerspruch zwi-schen Umweltschutz und Landwirtschaft konstruiertwird. Die Zukunft unserer Landwirtschaft – dies warauch in der Vergangenheit oft schon so – liegt doch ge-rade in der Qualität. Glaubt jemand im Ernst, diese Qua-lität ließe sich bei einem Widerspruch zwischen Um-weltschutz und Landwirtschaft erreichen? Das wäre einvöllig falscher Weg. Die Landwirte müssen gute Vertre-ter des Umweltschutzes sein; sie sind es überwiegendauch. Deshalb empfinde ich es als schlicht falsch, wennman von einem solchen Gegensatz redet.
Wichtig ist schließlich auch, dass wir mit diesem An-satz den ländlichen Raum stärken. Deshalb ist es gut,dass wir die beiden Säulen der GAP in den Mittelpunktstellen und nicht nur über ein Regulierungssystem reden.Wir erweitern die Landwirtschaftspolitik. Genau dies istkünftig die Chance auf mehr Qualität.
Meine Damen und Herren, eine Reform der altenAgrarpolitik ist längst überfällig. Sie ist durch ihre un-durchschaubaren, komplizierten Geflechte aus Quoten,Interventionspreisen und Regulierungen schon langenicht mehr haltbar. Es ist gut, dass wir mit diesen Un-gleichgewichten endlich Schluss machen. HerrGoldmann hat Recht: Man kann über so etwas nicht im-mer nur reden, sondern man muss auch einmal springen.Natürlich sind wir bereit, über Einzelheiten zu reden.Aber wenn wir den Eindruck haben, dass nur auf Kon-frontation gesetzt und versucht wird, alles zu verhindern,dann ist es auch schwierig, konstruktiv über Verbesse-rungen zu reden.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Wir sind bereit, überVerbesserungen zu reden, weil wir wissen, dass es in ein-zelnen Punkten durchaus noch Verbesserungen gebenkann. Aber das geht nur, wenn man an die Grundfrageder Reformen konstruktiv herangeht und nicht versucht,alles zu blockieren, zu erschweren und zu verhindern.Meine Damen und Herren, wenn Sie an diesem Kursfesthalten, müssen Sie auch sehen, welche unverantwort-liche Position Sie vertreten. Wir stehen vor der nächstenWTO-Runde, wir stehen vor der EU-Osterweiterung. Esist eine Illusion, zu glauben, man könne diese Herausfor-derungen ohne Reformen bestehen. Deshalb muss heutegehandelt werden. Genau dies tun wir. Wir haben nunlange genug über das Thema geredet. Nun machen wirden richtigen Schritt.Wir danken Renate Künast. Wir danken übrigensauch einem großen Teil der Bauernverbände. Diese ha-bAsSBdzBAsminmWbb§LzdzsLGIwhrdtuGaldeASAfA1)2)
Meine Damen und Herren, das Kombimodell derundesregierung ist unserer Meinung nach der richtigensatz. Wir sind bereit, über Einzelheiten zu sprechen,ind aber nicht bereit, einen Konfrontationskurs mitzu-achen. Nein, wir können jetzt den notwendigen Schritt Richtung auf eine moderne Landwirtschaftspolitikachen und so den ländlichen Raum stärken. Das ist dereg, den wir gehen werden. Darin lassen wir uns nichteirren.
Ich schließe die Aussprache.Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnenekannt, dass es eine Erklärung zur Abstimmung nach31 der Geschäftsordnung der Kolleginnen Dr. Gesineötzsch und Petra Pau gibt. Wir nehmen diese Erklärungu Protokoll.1)Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-ung der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, Druck-achen 15/2553 und 15/2770.Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undandwirtschaft empfiehlt auf Drucksache 15/2843, denesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.ch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-altungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-atung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegenie Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Frak-ion angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 desrundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs diebsolute Mehrheit – das sind 302 Stimmen – erforder-ich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Habenie Schriftführerinnen und Schriftführer ihre Plätzeingenommen? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich diebstimmung.Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seinetimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Ich schließe diebstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-ührer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis derbstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2)Anlage 2siehe Seite 9219 C
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsLiebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platzzu nehmen, da wir nun mit den Abstimmungen fortfah-ren und ich nur so Ihr Abstimmungsverhalten überbli-cken kann.Ich komme zu den Entschließungsanträgen.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2856? – Gegen-probe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag istabgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-gen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP.Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-tion der FDP auf Drucksache 15/2857? – Gegenpro-be! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ab-gelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegendie Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU.Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:Vereinbarte Debattezu den Ergebnissen des Frühjahrsgipfels derEuropäischen Union am 25./26. März 2004Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre und sehekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat derStaatsminister Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Gipfel in Brüssel war in zweifacher Weisedurch die Ereignisse in Madrid geprägt: Die furchtbarenTerroranschläge haben dazu beigetragen, dass Europaenger zusammenrückt, und die neue spanische Regie-rungspartei hatte bereits vor dem Gipfel deutlich ge-macht, dass sie ihr Land zurück ins Zentrum Europasführen möchte. Es bietet sich nun die Chance einer Eini-gung über die zukünftige europäische Verfassung. Wirsollten diese Chance ergreifen.
Was hat uns die Opposition in diesem Haus in denvergangenen Jahren nicht alles vorgeworfen: die Spal-tung der EU, die Zerstörung der NATO. Nichts davonwar richtig. Die Realität zeigt: Gerade Deutschland hatzur Einigung Europas entscheidend beigetragen. DieEinladung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum60. Jahrestag der Landung der alliierten Streitkräfte inder Normandie ebenso wie die Einladung zum60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes zeigen, wel-ches Vertrauen hier gewachsen ist. Auch die transatlanti-sche Partnerschaft ist stabil. Gerade die internationaleAfghanistan-Konferenz, die gestern und heute hier inBerlin stattfindet, zeigt, welche Fortschritte wir gemein-sam erzielen können. Sie zeigt aber auch, vor welchenHerausforderungen wir stehen.fdDiVfkkeEgfkscvnsEwwDScnSfStkWsztudvmSbkrduEssd
in Antiterrorismuskoordinator der EU wird dazu beitra-en, Informationen besser und schneller zusammenzu-ühren und die Arbeit der Sicherheitsbehörden enger zuoordinieren.Wir müssen und werden die Zusammenarbeit insbe-ondere in drei Bereichen verbessern: Bei der polizeili-hen Zusammenarbeit werden die Mitgliedstaaten dieorhandenen Informationen über Straftäter besser ver-etzen und miteinander austauschen. Die justizielle Zu-ammenarbeit muss insbesondere durch die schnelleinführung des europäischen Haftbefehls verbesserterden. In Europa wird nicht verstanden, warum diesesichtige Projekt im Bundesrat blockiert werden soll.
ie Arbeit der Nachrichtendienste wird durch eine neuechnittstelle im Ratssekretariat verknüpft. Damit soll si-hergestellt werden, dass Terrorismusinformationen vonationalen Polizei- und Nachrichtendiensten an einertelle zusammenlaufen, miteinander abgeglichen und ef-ektiver als heute genutzt werden.Auch wenn die aktuellen Ereignisse den eigentlichenchwerpunkt des Frühjahrsgipfels ein wenig in den Hin-ergrund gedrängt haben, ist es doch gelungen, den Fo-us der Lissabon-Strategie noch stärker auf mehrachstum und mehr Beschäftigung zu richten. Zu die-em Zweck sollen vor allem die strukturellen Vorausset-ungen verbessert werden. Das erfordert eine Konzen-ration auf Innovation, Bildung, Forschung, Entwicklungnd neue Technologien.Dabei richtet sich die Lissabon-Strategie nicht nur anie Institutionen der EU. Konkrete Reformen müssenor allem in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Wirodernisieren den Arbeitsmarkt, stellen die sozialenicherungssysteme auf eine tragfähige Grundlage, ha-en Steuern gesenkt und stabilisieren die Lohnneben-osten. Die Agenda 2010 stellt sich den Herausforde-ungen der Gegenwart und eröffnet so Spielräume fürie Zukunft.Neue Technologien und Verfahren, Dienstleistungennd Investitionen in Forschung und Entwicklung sindlemente einer mehr und mehr wissensbasierten Wirt-chaft. Das Fundament jedoch ist noch immer einetarke industrielle Basis. Deshalb treten wir Gefahrener Deindustrialisierung entschlossen entgegen.
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Staatsminister Hans Martin Bury
Wir wollen, dass eine aktive, wachstumsfördernde In-dustriepolitik wieder in den Mittelpunkt des Handelnsder EU rückt; denn die wirtschaftliche Leistungsfähig-keit Europas und insbesondere die seiner industriellenKernländer Deutschland, Frankreich und Großbritannienist entscheidend dafür, dass wir auch zukünftig Wohl-stand und das hohe soziale Niveau in Europa sichernkönnen.
Es war uns deshalb wichtig, dass die Kommission dieAuswirkungen europäischer Gesetzgebung auf die Wett-bewerbsfähigkeit und den Verwaltungsaufwand für Un-ternehmen in Zukunft bereits im Vorfeld neuer Regelun-gen untersucht und in ihre Entscheidungen einbezieht.Aber machen wir uns nichts vor. Die Umsetzung derLissabon-Strategie auf europäischer Ebene muss mit hö-herem Tempo und vor allem mit mehr Kohärenz voran-getrieben werden, wenn wir die anvisierten ambitionier-ten Ziele erreichen wollen. Eine Gruppe unter Leitungvon Wim Kok wird bis November eine Halbzeitbilanzdes Lissabon-Prozesses vorlegen. Die Konsequenz derbereits heute erkennbaren Defizite lautet aus meinerSicht: Wir sollten nicht die Ziele revidieren, sondern dieAnstrengungen erhöhen, um die ambitionierten und rich-tigen Ziele zu erreichen.
Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien ha-ben wir angeregt, die Kohärenz der Kommissionsarbeitdurch die Einrichtung eines für Fragen der Wettbewerbs-fähigkeit zuständigen Vizepräsidenten zu stärken. DieseFrage wird der neue Kommissionspräsident zu entschei-den haben. Aber es ist auf dem Europäischen Rat deut-lich geworden: Es zeichnet sich hier eine sehr breiteÜbereinstimmung unter den Mitgliedstaaten ab.Die Staats- und Regierungschefs haben in Brüsselauch den Weg für einen Abschluss der Verfassungsver-handlungen geebnet. Unstreitig ist nun, dass das Prinzipder doppelten Mehrheit Grundlage für Entscheidungendes Rates werden soll.
Das bedeutet nicht weniger als: Europa wagt mehr De-mokratie. Das ist die Botschaft des Europäischen Rates.Die EU muss handlungsfähiger und transparenter wer-den, die Bürgerinnen und Bürger müssen nachvollziehenkönnen, wie Entscheidungen zustande kommen. Die Bil-dung von Gestaltungsmehrheiten muss erleichtert, dievon Blockademinderheiten zukünftig erschwert werden.Deshalb – da sind wir uns einig, Herr Kollege Altmaier –werden wir sehr sorgfältig auf die noch zu leistende Aus-gestaltung des Prinzips zu achten haben.Auch das Verständnis für die Notwendigkeit einerkleineren und damit effizienteren und handlungsfähige-ranrnZdIAhnEhWSnSuwwgwngViDhRGvwnCrGpzDuv
ir alle haben zu diesem Entwurf beigetragen. Lassenie uns den gemeinsamen Kompromissvorschlag jetzticht durch Nachforderungen gefährden.Noch hat die irische Präsidentschaft, der ich an diesertelle für ihre hervorragende Arbeit schon heute Danknd Anerkennung aussprechen möchte, nicht über daseitere Verfahren entschieden. Die Bundesregierungird – das hat sich während des Konvents und der Re-ierungskonferenz bewährt – Bundestag und Bundesrateiterhin umfassend über den Fortgang informieren.
Mit Fortschritten bei der Verfassung erfüllen wir nichtur die berechtigten Erwartungen der europäischen Bür-erinnen und Bürger; eine gute Verfassung ist auch dieoraussetzung für das Gelingen der Erweiterung. Heuten einem Monat erleben wir die Vereinigung Europas.ie Einigkeit des Europäischen Rates, die Geschlossen-eit und Entschlossenheit der europäischen Staats- undegierungschefs auf dem Frühjahrsgipfel sind eine guterundlage für das Gelingen der großen Aufgaben, dieor uns liegen, für die erfolgreiche Verknüpfung von Er-eiterung und Vertiefung, für ein Europa der Bürgerin-en und Bürger.
Das Wort hat der Kollege Peter Hintze von der CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Der Deutsche Bundestag hat heute zum ersten Malelegenheit, über zentrale Grundfragen nach dem euro-äischen Gipfel in Brüssel zu sprechen. Was bietet unsu diesen zentralen Grundfragen die Bundesregierung?ie halbe Bundesregierung war beim Gipfel in Brüsselnd lässt heute einen Staatsminister zu uns sprechen, deron den Beratungen ausgeschlossen war.
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Peter Hintze
Damit wird die Tradition fortgesetzt, die wir im Europa-ausschuss schon länger zu beklagen haben, nämlich dassdie Regierung versucht, das Parlament in den entschei-denden Fragen Europas aus den Beratungen herauszu-halten. Unser Verständnis von Demokratie ist ein ande-res. Danach gehört das Parlament mitten in dieseBeratungen hinein.
Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregie-rung, denken Sie bitte daran, dass die europäische Ver-fassung nicht nur das Wohlwollen und die Zustimmungder Bundesregierung braucht, sondern dass die europäi-sche Verfassung auch die Zustimmung des DeutschenBundestages und des Bundesrates braucht. Gehen Siebitte mit diesen Verfassungsorganen so pfleglich um,wie es unsere Verfassung vorsieht.
Nie zuvor stand die Europäische Union vor so großenHerausforderungen wie heute. Der Beitritt von zehnneuen Staaten am 1. Mai wird der Europäischen Unionein neues Gesicht verleihen. Ich möchte für die CDU/CSU-Fraktion sagen: Wir empfinden den Beitritt dieserzehn Staaten als einen politischen und kulturellen Ge-winn für die Europäische Union.
Wenige Wochen nach der endgültigen Vollendung dereuropäischen Einigung werden wir hoffentlich die Ge-burtsstunde der europäischen Verfassung feiern können.Zum Jahresende haben wir die Frage zu beantworten, obdie Europäische Union den Beitritt der Türkei verkraftenkann.Schließlich müssen wir alles daransetzen, um der Gei-ßel des Terrorismus in Europa Herr zu werden. MeinWunsch ist, dass die Europäische Union den Mut und dieKraft hat, die richtigen Weichenstellungen für die Zu-kunft vorzunehmen.Was die Verfassung angeht, wünsche ich mir, dassdie Staats- und Regierungschefs die Gunst der Stundenutzen und die noch offenen Fragen so schnell wie mög-lich klären. Dabei wäre es gut, wenn die Bundesregie-rung ihre Hände nicht selbstzufrieden in den Schoß le-gen würde. Statt tatenlos am Verhandlungstisch zusitzen, sollte sie sich aktiv um einen möglichst optimalenVerhandlungserfolg bemühen.
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Was die Politik der Europäischen Union angeht, isteit der Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957m EG-Vertrag das starke Dreieck der Wirtschaftspolitik,estehend aus den Eckpunkten Wachstum, Vollbeschäf-igung und Preisstabilität, verankert. Die Preisstabilitätst zwischenzeitlich leider herausgebrochen worden. Wirollen, dass sie neben dem Wachstum und der Vollbe-chäftigung wieder als Ziel mit aufgenommen wird.
Wir setzen uns auch dafür ein, dass im Rahmen deratifizierung der europäischen Verfassung die Mitwir-ungsrechte des Deutschen Bundestages gestärkt wer-en. Schließlich werden immer mehr Politikbereichend Lebensbereiche der Bürger durch die Gesetzgebunguf europäischer Ebene bestimmt. An dieser Gesetzge-ung ist zwar die Bundesregierung stark beteiligt – dasst auch gut so im Sinne der europäischen Verträge –,ber wir wollen auch, dass das deutsche Parlament, derundestag, an diesen Beratungen beteiligt wird. Überie Beteiligung des Deutschen Bundestages wollen wirine deutsche und europäische Öffentlichkeit für wich-ige Gesetzgebungsvorhaben in Brüssel schaffen.
Die europäische Verfassung wird eine grundlegendeue Architektur im innerstaatlichen Umgang mit euro-apolitischen Vorhaben und in der Zusammenarbeit zwi-chen den einzelnen staatlichen Akteuren erfordern.ies schließt eine Überprüfung und Neubewertung desrt. 23 unseres Grundgesetzes und der darin vorge-chriebenen Verfahren sowie des Gesetzes über die Zu-ammenarbeit von Bundesregierung und Deutschemundestag in Angelegenheiten der Europäischen Unionin.Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein weitererunkt ist mir sehr wichtig. Zu den Schicksalsfragenuropas gehört die Frage, wer in Zukunft noch zurnion der 25, die es ab dem 1. Mai 2004 geben wird,inzustoßen wird. Hier wollen wir durch eine Änderunger gesetzlichen Grundlagen in Deutschland erreichen,ass wir als Deutscher Bundestag bei der Eröffnungon Beitrittsverhandlungen genauso unser Votum abge-en können wie die Kammer der Länder, der Bundesrat.enn das Tor zum Beitritt wird nicht mit dem Abschlusser Beitrittsverhandlungen aufgestoßen, sondern mit ih-er Eröffnung. Wir wollen, dass die Repräsentanten derürgerinnen und Bürger – und damit unseres Volkes – Deutschen Bundestag in diesem entscheidenden Mo-ent um ihr Votum gefragt werden.
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Peter HintzeGleiches gilt für die Zustimmung der Bundesregie-rung zu möglichen Entscheidungen des EuropäischenRates, durch einstimmigen Beschluss von der Einstim-migkeit zur Mehrheitsentscheidung überzugehen. Dasverändert das deutsche Gewicht in Europa erheblich.Das kann im Einzelfall richtig und förderlich sein – dasist es auch in den meisten Fällen –, aber auch diese ge-meinschaftsautonome Verfassungsänderung wollen wirparlamentarisch begleiten. Wir wollen, dass die Bundes-regierung dem deutschen Parlament über ihre Position indiesen Verhandlungen Rechenschaft ablegt.
Es schleicht sich leider mehr und mehr ein, dass inte-ressante außenpolitische und europapolitische Kurs-wechsel und Positionsbestimmungen der Bundesregie-rung in der Presse und im Fernsehen abgehandelt, abernicht im Plenum des Deutschen Bundestages beratenwerden. Der Bundesaußenminister hakelt zurzeit mitdem Bundeskanzler um den zukünftigen Kurs in derEuropapolitik. Herr Fischer hat sich eine Abkehr von sei-ner Humboldt-Rede vorgenommen und verspottet dieGründerstaaten der Europäischen Union als Kleineuropa.
Der Bundeskanzler hat ihm darin widersprochen. Dasmöchte ich hier positiv erwähnen. Aber negativ ist, dasswir bis jetzt keine Gelegenheit hatten, im Plenum desDeutschen Bundestages mit dem Herrn Bundeskanzlerund dem Herrn Bundesaußenminister über die Grundfra-gen der deutschen Europapolitik zu sprechen, weil siesich bisher einer solchen Aussprache konsequent ver-weigert haben.
Das eine ist die Hakelei zwischen dem Bundesaußen-minister und dem Bundeskanzler in der Frage, wer ei-gentlich die Zuständigkeit in der Europapolitik hat.Unter dieser Fragmentierung in der Europapolitik leidetübrigens die Position Deutschlands in Europa massiv;denn die entscheidende Rolle, die wir von KonradAdenauer bis Helmut Kohl gespielt haben, nämlich alsgrößter und einflussreichster Staat Europas die Mittler-rolle wahrzunehmen, was von allen Staaten Europas alspositiv und förderlich anerkannt wurde, haben wir unterRot-Grün zugunsten einer Streiterrolle aufgegeben. Dasist der schwerste Fehler der Europapolitik der Bundesre-gierung.
Ich finde es schon merkwürdig, dass wir in einer Zeit,in der wir zu Recht nach unseren geistigen Grundlagenfragen, auf einmal von der Vorstellung, dass Europa ei-nen inneren Zusammenhalt, ein Wirgefühl und gemein-same Werte braucht, sowie von der Idee der politischenUnion und deren Vertiefung Abschied nehmen und voneinem Kontinentaleuropa träumen sollen, eine Vorstel-luB–vsABazHsBddcdMkhaBtu–skwsWklausehnDddgElUK
Sie sollten nicht so viel dazwischenbrüllen. Wenn Siechon nicht auf Ihren Bundespräsidenten und Ihren Alt-anzler hören, dann hören Sie wenigstens auf eine solchichtige Stimme aus dem kirchlichen Raum.
Zum Schluss zu den wirtschaftlichen Fragen. Hin-ichtlich der Lissabon-Strategie ist das Bild gemischt.ährend viele Staaten in Europa die Zeichen der Zeit er-annt haben und sich für die Zukunft rüsten, ist Deutsch-nd im Jahre 2003 zum ersten Mal in seiner Geschichtenter den EU-Durchschnitt gerutscht. Dass das Land derozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswundersinmal zum ärmeren Teil Europas gehören würde,
ätten selbst Pessimisten beim Amtsantritt von Rot-Grünicht für möglich gehalten.
er Bundeskanzler hat das geschafft und Herr Trittin hatas Seine dazu beigetragen.Es täte der deutschen Europapolitik gut, wenn dieeutsche Bundesregierung zu einem doppelten Aus-leich zurückfinden würde: zu einem fairen Ausgleich inuropa und zu einem fairen Ausgleich zwischen den po-itischen Kräften hier im Parlament. Die Europäischenion ist auf die breite Unterstützung aller politischenräfte angewiesen. Wir fordern die Bundesregierung
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Peter HintzeMarco Bülow Gisela Hilbrecht Lothar Mark Silvia Schmidt
Dr. Michael BürschHans Martin BuryHans Büttner
Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenDetlef DzembritzkiSebastian EdathyStephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerCHMUPUAUMCGhristoph Matschieilde Mattheisarkus Meckellrike Mehletra-Evelyne Merkellrike Mertenngelika Mertensrsula Moggichael Müller
hristian Müller
esine MulthauptWilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderBrigitte Schulte
Ulla Burchardt Gabriele Hiller-Ohm Caren Marks Dagmar Schmidt
auf, zu diesem Grundsatz, derden letzten Jahrzehnten beherzren.
n Otto Solms:dnerin das Wort erteile, Schriftführerinnen undbnis der namentlichenAbfbhwmiegmund Ehrmannans Eichelarga Elserernot Erleretra Ernstbergerarin Evers-Meyernnette Faßelke Fernerabriele Fograscherainer Fornahlabriele Frechenagmar Freitagilo Friedrich
is Gleickeünter Gloserwe Göllnerenate Gradistanacngelika Graf
ieter Grasedieckonika Griefahnerstin Grieseabriele Gronebergchim Großmannolfgang Grotthausarl-Hermann Haack
ans-Joachim Hackerettina Hagedornlaus Hagemannlfred Hartenbachichael Hartmann
ina Hauerubertus Heileinhold Hemkerolf Hempelmannr. Barbara Hendricksustav Herzogetra Heßonika HeubaumBRJKJUDUHKHADWFKRAENVADHEHUDCCCWDEGGEDDTbstimmung über den von derachten Entwurf eines Gesetzeorm der Gemeinsamen Agrarene Stimmen 589. Mit Ja habeaben gestimmt 281, Enthaltunurf ist damit mit der erforderlen.
ranz Münteferingr. Rolf Mützenicholker Neumann
ietmar Nietanr. Erika Oberolger Orteleinz Paulaohannes Pflugoachim Poßr. Wilhelm Priesmeierlorian Pronoldr. Sascha Raabearin Rehbock-Zureicherold Reichenbachr. Carola Reimannhristel Riemann-Hanewinckelalter Riestereinhold Robbeené Röspelr. Ernst Dieter Rossmannarin Roth
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsReinhard Schultz
Swen Schulz
Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerUte Vogt
Dr. Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelReinhard Weis
Petra WeisGunter WeißgerberMatthias WeisheitGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerJochen WeltDr. Rainer WendLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenWaltraud Wolff
Heidi WrightUta ZapfManfred Helmut ZöllmerDr. Christoph ZöpelBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
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tephan Mayer
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9221
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerPeter RauenChrista Reichard
WHKMMHBTJJECGAJetzt erteile ich der KollegBündnis 90/Die Grünen das Wo
nt! Sehr geehrte Damenipfel für Europa. Es waruf den richtigen Weg ge-pfel wurde klar, dass Eu-ekommen wird, und dast gezeigt, dass sie wiederen. Das sind gute Nach-en der vergangenen drei Gezerre um den Verfas-in ich nun froh und er-ischen Regierungen end-offensichtlich, dass dieser Verfassung die globa-lkMbgupgRsstedVDPaniel Bahr
ainer Brüderlengelika Brunkhorstrnst Burgbacherelga Daubörg van Essenlrike Flachtto Frickeorst Friedrich
ainer Funker. Wolfgang Gerhardtans-Michael Goldmannoachim Günther
DJDDDFMEFPen und die europäischen Aufönnen wird.Es wurde auch höchste Eisonat werden die zehn neueneitreten und die EU braucht nen, um handlungsfähig zu seind Bürger sollten wissen, wasäischen Geschäfte ist, wenn siehen. Deshalb ist der Abschluegierungskonferenz noch vochenswert.Ich persönlich will an dieschlag von Pat Cox begrüßen:ag, markiert den Beginn der eur ist Symbol für europäischenies der optimale Tag für die Aerfassung.
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Die CSU muss jetzt resigniert feststellen, dass sich Eu-ropa schneller als die Opposition einigt. Die CSU drohtzum Trotz, der neuen Verfassung eventuell gar nicht zu-zustimmen. Anders sehen das die CDU-Kollegen. Ichwürde sagen: Damit folgt die CDU/CSU zur Abwechs-lung einmal eindeutig den neuen Vorgaben von FrauMerkel; denn sie demonstriert hier vorbildlich die neueZerstrittenheit der Opposition.
Sehr geehrte Damen und Herren der CSU, ich finde esbeinahe gruselig, wie Sie argumentieren. Ihre Forderun-gen sind nicht nur überzogen, sondern sie zeigen vor al-len Dingen auch, dass Sie überhaupt kein Gespür für dieArt und Weise haben, wie europäische Politik funktio-niert.
Europa lebt nämlich vom Kompromiss. Diese Verfas-sung ist kein Kompromiss auf der Basis des kleinstengemeinsamen Nenners; sie ist vielmehr ein großerSchritt vorwärts für Europa. Es wäre fatal, wegen Ein-zelforderungen wie die nach dem Gottesbezug den ge-samten Verfassungsprozess scheitern zu lassen. Noch istdie Verfassung nicht in trockenen Tüchern. Deswegen istdie Verhandlungsstrategie der Bundesregierung, keineneuen Forderungen aufzustellen und am Entwurf desKonvents festzuhalten, nach wie vor richtig.
Nicht nur beim Thema Verfassung wird erst im Nach-hinein wirklich klar sein, ob dieser Frühjahrsgipfel einErfolg war. Auch wenn dieses Mal aus traurigem Anlassdie Bekämpfung des Terrorismus im Vordergrund stand,so befasst sich der Frühjahrsgipfel traditionell mit dereuropäischen Wirtschaft und der Lissabon-Agenda. DerLissaboner Fahrplan ist ein ehrgeiziges Projekt, und daszu Recht. Die EU hat das Potenzial, sich zum weltweitwettbewerbsstärksten wissensbasierten Wirtschaftsraumzu entwickeln.
Diese Agenda ist gut. Aber den Worten müssen jetztauch Taten folgen: zum einen in der EU und zum ande-ren in den Mitgliedstaaten.
Wichtige Impulse, die von der europäischen Ebene aus-gehen könnten, etwa das Gemeinschaftspatent oder dieDienstleistungsrichtlinie, sind längst überfällig. Der ge-meinsame Binnenmarkt ist ein wichtiger Wettbewerbs-vorteil Europas. Es ist die entscheidende Aufgabe, diePotenziale des gemeinsamen Marktes wirklich umfas-send auszuschöpfen. Nur so kann Europa im globalenWShgSWsAatSDVEnöwESndbdgdRAtlmDVsprlgh
An dieser Stelle will ich noch auf etwas Wichtigesinweisen. Die EU – das ist in den europäischen Verträ-en verankert; das steht auch noch einmal in denchlussfolgerungen dieses Gipfels – will nachhaltigesachstum schaffen. Die Göteborg-Strategie, der europäi-che Nachhaltigkeitsplan, ist Bestandteil der Lissabon-genda; denn Europa hat verstanden, dass Wachstumuf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen nichträgt.
Frau Kollegin Lührmann, kommen Sie bitte zum
chluss.
Das tue ich. – Deshalb gilt für die EU genauso wie für
eutschland, dass die ökologische Modernisierung der
olkswirtschaft kein Hemmschuh für die wirtschaftliche
ntwicklung ist; sie ist vielmehr Impuls und Chance für
eue Arbeitsplätze. Wirtschaftliche Entwicklung und
kologische Modernisierung sind nicht zu trennen, wenn
ir den Auftrag von Lissabon ernst nehmen wollen und
uropa zukunftsfähig machen wollen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leutheusser-
chnarrenberger von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-en und Kollegen! Die schrecklichen Anschläge in Ma-rid haben Europa geschockt, aber nicht gelähmt. Sie ha-en eines bewirkt: Das Gefühl der europäischen Verbun-enheit und Solidarität wächst wieder. Die Widerständeegen die europäische Verfassung schwinden; denn auchen integrationsskeptischen europäischen Staats- undegierungschefs wird zunehmend bewusst, dass dientwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen lau-en muss: mehr Europa, mehr Demokratie, mehr Hand-ungsfähigkeit, mehr gemeinsame Außenpolitik undehr gemeinsame Rechtsstandards.
ie Chance für eine Verabschiedung der europäischenerfassung noch unter irischer Ratspräsidentschaft hatich mit dem Gipfel vergrößert, auch wenn einige Kom-romisslinien noch sehr unklar sind.Wir von der FDP-Fraktion erwarten von der Bundes-egierung, dass sie in der jetzt entscheidenden Verhand-ungsphase das Parlament bzw. – wo es nicht anderseht – den Europaausschuss über den jeweiligen Ver-andlungsstand zeitnah und umfassend informiert.
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Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerDas Parlament hat einen Anspruch darauf, in einer sogrundlegenden Frage wie der Verabschiedung der euro-päischen Verfassung nicht nur mit den Ergebnissen kon-frontiert zu werden, sondern auch an den entscheidendenSchritten zum Ergebnis hin beteiligt zu werden. OhneZustimmung des Parlaments kann keine europäischeVerfassung in Kraft treten.Für die FDP gibt es folgende Schwerpunkte für einenKonsens: Ausgestaltung der doppelten Mehrheit, Ver-kleinerung der Kommission, mehr Entscheidungen mitqualifizierter Mehrheit und, verstärkt durch die jüngstenDebatten im Europäischen Parlament, ganz besondersdie Stärkung des Europäischen Parlaments.
Europa ist den Bürgern nur näher zu bringen, wenndas Demokratiedefizit, das besonders im sensiblen Be-reich der Innen- und Justizpolitik besteht, abgebaut wirdund wenn es nicht zunehmend zu unheilvollen Allianzenzwischen der Kommission und dem Rat kommt,
so wie das derzeit zum Beispiel bei der Weitergabe vonPassagierdaten von der Europäischen Union an die USAder Fall ist.Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie dieEntscheidung des Europäischen Parlaments von ges-tern ernst nimmt.
Das Europäische Parlament hat die derzeitige Fassungdes Übereinkommens und der Entscheidung über dieAngemessenheit mit Mehrheit abgelehnt. Es hat gefor-dert, dass es zu Verhandlungen kommt. Die Kommissionist anscheinend nicht aufgeschlossen und nicht bereit,das aufzugreifen. Aber der Rat hat es in der Hand. WennSie von der Bundesregierung Ihr Gewicht im Rat ein-bringen, dann können Sie bewirken, dass darüber in Ein-zelpunkten noch einmal verhandelt wird. Es geht nichtum irgendeine exekutive Entscheidung, sondern um eineganz grundlegende Frage der Sicherheit der Bürgerinnenund Bürger beim Vorgehen gegen Terrorismus, aberauch um wichtige Fragen des Datenschutzes.
Dieses Beispiel zeigt: Wenn das Parlament nicht ge-stärkt wird, dann wird es künftig noch mehr Entschei-dungen geben, die wir Parlamentarier zur Kenntnis neh-men müssen, die wir dann vielleicht auch noch vertretensollen, an denen aber kein Parlamentarier in der Sachekonstitutiv beteiligt gewesen ist. Das darf nicht die Zu-kunft Europas sein.
Die FDP hält den Entwurf des EU-Konvents für einakzeptables Ergebnis. Natürlich können wir uns an eini-gen Stellen Verbesserungen vorstellen. Wir haben dasauch hier im Parlament häufig und deutlich zum Aus-druck gebracht. Nicht nur eine Stärkung des Europäi-sHßgngkrwSzsjleewsderwwnDVddMmPswhnmerbgDuanhL
ine Art Conditio sine qua non aufzustellen, der erfüllterden müsse, damit zugestimmt werden könne. In die-em Punkt setze ich ausnahmsweise auf Ministerpräsi-ent Stoiber, der signalisiert hat, dass er, auch wenn er ininzelnen Punkten Bauchweh habe, letztendlich der eu-opäischen Verfassung zustimmen wolle. Denn es ist,enn man den Anspruch erhebt, auf Bundesebene eineichtige Stimme zu haben, unverzichtbar, dass manicht Blockierer der europäischen Verfassung ist.
ie FDP begrüßt deshalb die Absichtserklärung, denerfassungsentwurf möglichst bald, im Juni – je früher,esto besser –, zu verabschieden.Aber lassen Sie mich ein Wort zu dem Thema sagen,as dank der Vorbereitung durch die Innenminister imittelpunkt des Gipfels stand, nämlich die Terroris-usbekämpfung, die in der Europäischen Union hoheriorität hat. Wie war das Ergebnis dessen, was be-chlossen wurde? Typisch für Europa: Zu 90 Prozenturde gesagt, was man vor drei Jahren beschlossenabe, müsse man jetzt endlich umsetzen. Drei Jahre da-ach! Auch dort, wo man neue Wege gesucht hat, hatan einen Beschluss gefasst, der typisch für Europa ist:ine neue Stelle einzurichten, das Amt eines Antiterro-ismuskoordinators. Dessen Kompetenzen und Aufga-en sind allerdings vollkommen unklar, ebenso die Ab-renzung zum zuständigen Kommissar.Ich glaube, es wäre besser, sich auf die wichtigeninge zu konzentrieren, auf den Informationsaustauschnter Achtung des Trennungsgrundsatzes, wie wir ihnus der Verfassung kennen, statt mit neuen Stellen eineeue Unübersichtlichkeit zu schaffen, auch wenn der In-aber dieser Stelle ein sehr kompetenter, hervorragenderiberaler ist.Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Martin Dörmann, SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das Jahr 2004 ist für die Europäische Unionvon historischer Bedeutung, und das gleich in mehrfa-cher Hinsicht. Es geht um nichts Geringeres als die Iden-tität und Perspektive Europas, die Handlungsfähigkeitder EU und ihre Legitimation durch die Bürgerinnen undBürger.Eines steht fest: Am Ende des Jahres wird das europäi-sche Haus anders aussehen als zu Beginn. Mit der Er-weiterung um zehn Staaten zum 1. Mai wird eine unna-türliche Trennmauer in Europa endgültig beseitigt. DieEU-Osterweiterung bietet große Chancen für einefriedliche und wirtschaftlich positive Entwicklung desKontinents, bei allen Herausforderungen, die damitebenfalls verbunden sind.
Am 13. Juni geben die Europawahlen dem europäi-schen Haus einen neuen Anstrich und dem Parlamenteine neue demokratische Basis. Ich denke, wir hoffenalle, dass die Regierungskonferenz Mitte Juni endlichdie europäische Verfassung als neues Dach für die EUbeschließen wird.Die Staats- und Regierungschefs haben sich hierzubeim Frühjahrsgipfel in Brüssel ausdrücklich selbst ver-pflichtet. Die Chancen stehen also gut. Eine Einigungauf die Verfassung ist aber auch dringend notwendig;denn nur sie kann gewährleisten, dass die größer gewor-dene Europäische Union handlungsfähig bleibt und derIntegrationsprozess fortschreitet.
Vor allem wird die Verfassung dazu beitragen, dieIdentifikation der Bürgerinnen und Bürger mit Europazu festigen und noch zu steigern. Noch immer wird dieEU leider von zu vielen als ferne Bürokratie wahrge-nommen und in ihrer politischen wie wirtschaftlichenBedeutung eher unterschätzt. Durch die Verfassung wirdEuropa demokratischer, transparenter und effizienter.Es ist deshalb ermutigend, dass in der wichtigen, bis-her umstrittenen Frage der doppelten Mehrheit beiRatsentscheidungen ein Durchbruch gelungen ist. Allesind nun bereit, dieses Prinzip mitzutragen. Die irischeRatspräsidentschaft hat hier ganz hervorragend gearbei-tet. Es ist aber sicher auch der klaren Verhandlungsstra-tegie und der Überzeugungsarbeit der Bundesregierungund des Bundeskanzlers zu verdanken, wenn dieser ent-scheidende Schritt in Richtung Verfassung gegangenwerden kann.
In diesem Zusammenhang ein Wort an den KollegenHintze. Herr Hintze, was Sie heute vorgetragen haben,wbSrwoDazAdUpidaEugtaiUdhhdzGEIsddkrbDufgdnKag
ie haben ein Zerrbild von der Politik der Bundesregie-ung gezeichnet. Ich muss mich schon fragen, ob Sieirklich die Verfassung, also den Termin Mitte Juni,der ob Sie nicht vielmehr den 13. Juni im Blick haben.ie emotionale Welle, die Sie zu Wahlkampfzweckenufbauen wollen, wird ganz schnell wie ein Kartenhaususammenbrechen.
m Ende – das sage ich Ihnen voraus – werden auch Sieieser vernünftigen Verfassung zustimmen. Ich kann dernion nur raten, diese historische Chance nicht zu ver-assen.Auch und gerade im Bereich der inneren Sicherheitst ein einiges Europa notwendiger denn je. Das habenie verbrecherischen und menschenverachtenden Terror-nschläge im März uns allen in erschreckender Weise inrinnerung gerufen. Die Bekämpfung des Terrorismusnd die Verhinderung weiterer Anschläge ist eine deranz zentralen Aufgaben in den nächsten Jahren. Die At-entate von Madrid haben allen bewusst gemacht, dass esuch in Europa keinen wirklich sicheren Ort mehr gibt,n einer freien Gesellschaft wohl auch nicht geben kann.mso wichtiger ist es, alles Erforderliche zu tun, damitas Risiko für die Bevölkerung minimiert wird.Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union stehenier in einer besonderen Verantwortung für die Sicher-eit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die gemeinsame Be-rohung durch den Terrorismus hat die Europäer engerusammenrücken lassen. Doch wir dürfen nicht bei demefühl der gemeinsamen Betroffenheit stehen bleiben.s muss auch gehandelt werden.
Es ist deshalb wichtig und notwendig, dass sich diennenminister und Regierungschefs der Mitgliedstaatenchnell auf zusätzliche Maßnahmen geeinigt haben, umer Bedrohungslage gerecht zu werden. Die SPD-Bun-estagsfraktion begrüßt deshalb nachdrücklich die Er-lärung für eine stärkere Zusammenarbeit in der Ter-orismusbekämpfung, die vom europäischen Gipfeleschlossen wurde.
er bereits verabredete Aktionsplan muss jetzt zügigmgesetzt und ergänzt werden.Die Informationswege werden weiter verbessert. In-ormationen der Geheimdienste und der Polizei der Mit-liedstaaten sollen zukünftig miteinander verknüpft wer-en. Die Geheimdienste sollen nicht mehr eherebeneinander, sondern stärker miteinander arbeiten.Die Einsetzung des Niederländers de Vries als EU-oordinator für die Terrorismusbekämpfung darf dabeiber nicht nur eine symbolische Geste sein. In der ge-enwärtigen Situation kommt es darauf an, dass alle re-
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Martin Dörmannlevanten Erkenntnisse und Aktionen auf EU-Ebene zu-sammengeführt werden.Als wichtigen Schritt sehen wir dabei an, dass die imVerfassungsentwurf vorgesehene EU-Solidaritäts-klausel mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt wurde.Sie sieht unter anderem eine Verpflichtung zu gegensei-tigem Beistand im Falle eines Terrorangriffs vor. DieBürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass das eu-ropäische Haus so sicher wie möglich gemacht wird. Siehätten kein Verständnis dafür, wenn bestehende Sicher-heitsmängel nicht beseitigt würden. Grenzüberschrei-tende Bedrohungen sind nur durch grenzüberschreitendeMaßnahmen effektiv zu bekämpfen.
Die Bundesregierung und die rot-grüne Regierungs-koalition haben sich von Anfang an auf europäischerEbene für eine stärkere Zusammenarbeit und für ge-meinsame Institutionen und Handlungsmöglichkeiteneingesetzt, gerade im Bereich der inneren Sicherheit undder Justiz. Anfang März haben wir beispielsweise imBundestag den europäischen Haftbefehl in Deutsch-land auf den Weg gebracht, der allerdings – man höre –noch immer durch den Widerstand der Union im Bun-desrat blockiert wird.
Wir könnten in manchem einen Schritt weiter sein, liebeKolleginnen und Kollegen von der Union, wenn Sie mitIhrer Mehrheit im Bundesrat Maßnahmen, die für dieBürgerinnen und Bürger wichtig sind, nicht aus kleinli-chen und nicht nachvollziehbaren Gründen, wie oftmalsgeschehen, blockieren würden.
Die Bekämpfung des Terrorismus ist jedoch nicht nureine Sache der Polizei und der Nachrichtendienste. Maß-nahmen der inneren Sicherheit mögen Anschläge verhin-dern. Sie beseitigen jedoch nicht ohne weiteres die Basisdes Terrorismus. Richtig ist deshalb die verabredete Ver-besserung der Terrorismusprävention. Darüber hinausgeht es aber auch darum, die gemeinsame Sicherheits-und Außenpolitik der Union weiter nach vorne zu brin-gen.
Es gibt leider zu viele politische Probleme und Kon-flikte, durch die die Terroristen einen gefährlichen Nähr-boden für ihre Aktivitäten gewinnen können, der ihrAgieren erst möglich macht. Deshalb muss die Europäi-sche Union noch stärker als bisher als politischer Akteurhandlungsfähig werden, um erfolgreich an der Vorbeu-gung und Lösung von Konflikten mitwirken zu können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger?
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nd welchen Stellenwert nehmen sie in diesem Kontext
hrer Meinung nach ein?
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich bin sehr dank-ar für diese Frage. Denn ich glaube, wir sollten ehrlichiteinander umgehen. Wir alle wissen, dass im Bereicher inneren Sicherheit bei allen Maßnahmen, die wirort zu treffen haben, insbesondere bei Maßnahmen, dieem Informationsaustausch dienen, zwei Dinge abzuwä-en sind: die Gefährdung der Bürgerinnen und Bürgernd die Maßnahmen, die notwendig sind, um diese Ge-ährdungen zu minimieren, auf der einen Seite und aufer anderen Seite die Rechte von Bürgerinnen und Bür-ern im Bereich des Datenschutzes. Wir, die SPD-Frak-ion, nehmen beides gleichermaßen ernst. Wir werdenns vorbehalten, in jedem Einzelfall jede einzelne Maß-ahme daraufhin zu überprüfen, ob das eine dem ande-en gegenüber gleichwertig ist oder überwiegt. Da, woir ein klares Überwiegen feststellen, werden wir unsür diesen Weg entscheiden. Es kann sein, dass wir unsür den Datenschutz entscheiden. Es kann aber auchein, dass wir uns im Einzelfall für größere Informati-nsmöglichkeiten entscheiden.
wenn ich es sofort gesagt hätte, wäre es von meineredezeit abgegangen.Das europäische Haus hat bereits starke Funda-ente. Doch noch sind nicht alle Mauern und Zimmerertig gestellt; manches ist noch im Bau und im Werden.erade die letzten Wochen haben aber zusätzliche Hoff-ung geweckt, dass ein stabiles Gebäude entsteht, inem sich die Bewohner sicher und wohl fühlen können.enn es gelingt, sich in den nächsten Monaten auf eineuropäische Verfassung zu einigen, wird endlich das ge-einsame Dach fertig gestellt. Lassen Sie uns alle – ichetone: alle – daran mitwirken, den Menschen mehr Si-herheit und Rechte für eine gute und friedliche Zukunftn Deutschland und in Europa zu geben!Vielen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gerd Müller,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wirfreuen uns, dass die Regierungsfraktionen aufwachen,wenn auch die Regierungsbank verwaist ist. Weil ichBundesminister Eichel auf der Regierungsbank sehe,möchte ich an den Europäischen Rat anknüpfen. In denSchlussfolgerungen des Europäischen Rates steht der be-merkenswerte Satz:Die wirtschaftliche Erholung, die im zweiten Halb-jahr 2003 in Europa eingesetzt hat, schreitet voran.Europa schreitet wirtschaftlich voran, aber nichtDeutschland. Herr Eichel, wie fühlt man sich, wenn manvon der Lokomotive zum Wachstumsbremser der Ge-meinschaft wird? Es ist beschämend, dass Deutschlandinnerhalb der EU von Platz drei auf Platz 13 zurückge-fallen ist.
Im UN-Ranking sind wir zwischenzeitlich von Platz 8auf Platz 18 abgestiegen. Rot-Grün hat dieses Land indie Abstiegszone geführt.
Das Problem dabei ist: Die Menschen zahlen dafür dieZeche.Wir stehen kurz vor der Osterweiterung; dies ist eineder letzten Europadebatten des Bundestages vor diesemTermin. Es ist kläglich, in welch geringem Maße die Re-gierungsbank besetzt ist.
Wir blicken mit Freude auf die Osterweiterung. Dervergangene Europäische Rat war – abgesehen vom for-mellen Vollzug und vom Feiern der Osterweiterung –vermutlich der letzte vor der Osterweiterung.Wir sehen mit Sorge auf die damit verbundenen Pro-bleme. Große Sorge bereitet uns die Verlagerung der Be-triebe, insbesondere in den Grenzregionen. Auf der Be-suchertribüne sitzen Freunde aus Leuchtenberg undWeiden – das sind Orte im bayerisch-tschechischenGrenzgebiet. Ich denke an die Weidener Erklärung vonBundeskanzler Schröder, in der er vor einem Jahr ausge-führt hat, wie er die Osterweiterung im thüringischenund bayerischen Grenzgebiet managen will. Nichts da-von ist eingehalten worden. Diese Bundesregierung hatkein Konzept, sie weiß nicht, wie sie die Probleme derOsterweiterung im Grenzbereich managen soll.Wir haben ein hohes Steuer-, Förder- und Lohnge-fälle. Wo sind die Vorschläge, wie wir den MenschenucDhRkdnWßfgdditinHwasmkDStspDwsfUwePwsPhstl
er Gipfel
at sich auch mit dem Kosovo, mit Afghanistan undussland beschäftigt. Aus aktuellem Anlass möchte ichurz darauf Bezug nehmen. Wir sind nicht der Meinung,ass die Antwort auf die Frage nach der Zukunft Afgha-istans nur lauten kann: mehr Geld und mehr Soldaten.ir fragen nach dem politischen Konzept, aber der Au-enminister hat keines.Bezüglich des Kosovos müssen wir nach fünf Jahrenragen: Herr Minister Struck, liegt die Lösung der dorti-en Probleme in der Verdoppelung oder gar in der Ver-reifachung des Kontingents der eingesetzten Soldaten,ie Sie jetzt angeordnet haben? Kann der Einsatz vonmmer mehr Geld die Antwort sein? Dass dies der rich-ge Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Müssen wir unsach fünf Jahren nicht eher die Frage stellen, wie wir dieilfsorganisationen besser koordinieren können? Solltenir nicht eher der Frage der Multiethnizität im Kosovouf den Grund gehen?Auch die Russlandstrategie der Europäischen Uniontand auf der Tagesordnung. Es lohnt sich wirklich ein-al, ein solches Dokument zu lesen. Vermutlich hat dasein Regierungschef getan.
as Paradoxe dieser Gipfel ist, dass die Dokumente zurchlusserklärung Wochen vorher von Beamten vorberei-et und den Regierungschefs zugeleitet werden. Darinteht tatsächlich – zynisch – der Glückwunsch des Euro-äischen Rates an Präsident Putin zu seiner Wiederwahl.er Rat gratuliert dem Präsidenten nicht nur zur Wieder-ahl, sondern begrüßt den Aufbau eines Mehrparteien-ystems in Russland und die Anstrengungen, die Presse-reiheit zu gewährleisten.Meine Damen und Herren, wer weiß, unter welchenmständen die Wahl in Russland stattgefunden hat, dereiß auch, dass das der blanke Zynismus ist. Wir hättenin kritisches Wort zur Gefährdung der Demokratie, derressefreiheit und der Menschenrechte in Russland er-artet.
Ich komme nun auf den Terrorismus in Europa zuprechen. Es gab viele Bekundungen, und Aktionen undrogramme wurden beschlossen, aber wir haben biseute keine operativen integrierten Strukturen. Auch die-er Europäische Rat ist darüber nicht hinausgekommen.Es hat mich sehr beeindruckt, als Bundesinnenminis-er Schily darauf hinwies, dass es inzwischen in Deutsch-and sage und schreibe 160 Gremien gibt, in denen die in-
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Dr. Gerd Müllernere Sicherheit koordiniert wird. Mit der Einsetzung deseuropäischen Terrorismusbeauftragten haben wir das161. Gremium geschaffen, das wir beschicken können.Aber auch damit schaffen wir nicht mehr Sicherheit.Zum Verfassungsvertrag: Wir wollen den Verfas-sungsvertrag, aber wir wollen ihn nicht um jeden Preis.Der Kollege Hintze hat unsere Kernpunkte bereits ange-sprochen. Wir fordern, dass die Bundesregierung unserePosition in den nächsten Wochen in die Verhandlungeneinbringt. Die Bundesregierung braucht die Oppositionzur Ratifizierung und deshalb erwarten wir, dass unsereForderungen ernst genommen und eingebracht werden.Erstens. Wir wollen mehr Föderalismus statt Zentra-lismus. Natürlich stehen wir der vorgesehenen Kompe-tenzausweitung in Politikfeldern, in denen wir eigentlichnational handeln müssten, kritisch gegenüber.Der Kollege Hintze hat einen zweiten zentralen Punktherausgestellt. Wir unterstützen die Bundesbank in ih-rer Forderung, am Verfassungsziel der Preisstabilität undder Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank fest-zuhalten. Das sind die zwei Kernpunkte der Maastricht-Stabilitätsordnung. Unter diesen Bedingungen haben wirdie D-Mark in den Euro überführt. Wenn Sie diese zweiPunkte jetzt mit dem Verfassungsvertrag auflösen, istdas ein Anschlag auf die Stabilitätsordnung in Europa.
Sie können die Forderungen der Bundesbank und derOpposition an diesem Punkt nicht einfach beiseite schie-ben und zur Tagesordnung übergehen.Das Streben nach einer Entparlamentarisierung dereuropäischen Politik zeigt sich in dieser Verfassungsde-batte. Deshalb fordern wir – der Kollege Hintze hat diesbereits angesprochen; wir werden dies in der Föderalis-muskommission und an anderer Stelle einbringen – inZukunft ein maßgebliches Mitwirkungsrecht für denDeutschen Bundestag in der europäischen Sekundär-rechtsetzung. Es kann nicht sein, dass Brüssel an den na-tionalen Parlamenten vorbei Recht setzt, das unsere Bür-ger vor Ort beschwert, und wir nur noch einFeuerwehrparlament sind, das die Dinge im Nachhineinzur Kenntnis nimmt.Blickt man nach Spanien, Skandinavien, Polen oderPortugal, merkt man: Diese Europäische Union ist imUmbruch und im Aufbruch. Lethargie, Problemstau undmiese Stimmung herrschen nur in Deutschland. Dafürgibt es nur eine Lösung: Ihre Ablösung.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock,Bündnis 90/Die Grünen.NAsIIkbwdVAbsKaaWsElLFdhiPVvnVdctRkHhdgTummFnwg
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ngesichts der historischen Dimension der Inhalte die-er Debatte frage ich mich schon, welche strategischenmplikationen die Beiträge der Opposition heute haben.ch kann nur sagen: Wie gut, dass Sie in diesem Landeeine Verantwortung tragen.
Schauen wir uns an, was Sie heute hier geboten ha-en: In der Debatte über die europäische Verfassungerden einfach Punkte aneinander gereiht. Wir sind unsoch darin einig, dass die Erweiterung der EU und dieertiefung der europäischen Beziehungen die zentralenufgaben sind, die wir gemeinsam lösen müssen. Wirefinden uns jetzt in der entscheidenden Phase der Ge-taltung der Verfassung. Dann mit einem Neun-Punkte-atalog zu kommen und die ganze Debatte noch einmalufnehmen zu wollen zeugt von Parteipolitik bezogenuf den EU-Wahlkampf. Das zeugt aber nicht von derahrnehmung deutscher Interessen für Europa in die-em Prozess. Sie machen Parteipolitik, wir gestaltenuropa. Das ist der Unterschied.
Sie haben die ganze Latte vom christlichen Abend-and bis zum Türkeibeitritt noch einmal runtergebetet.ieber Kollege Hintze, Sie wissen ganz genau, dass dierage des Türkeibeitritts in Ihrer Fraktion nicht so ein-eutig beantwortet wird, wie Sie das heute dargestelltaben; sicherlich auch mit Blick auf die CSU, um sie mitm Boot zu haben. Sie wissen, dass Herr Rühe, Herrolenz und andere aus Ihrer Fraktion sehr vernünftigeorstellungen dazu entwickelt haben.Gerade die Türkeiproblematik zu benutzen, um sichon der Vertiefungsdebatte zu verabschieden, halte ichicht nur hinsichtlich Ihrer Verantwortung für schwierig.ielmehr deckt sich das auch in der Sache nicht mitem, was ansteht. Sie wissen das ganz genau. Die Si-herheitspolitik der EU ist ein zentrales Thema, das ver-ieft werden muss. Die GASP wird eine entscheidendeolle spielen. Die Sicherheitspolitik der EU mit der Tür-ei vertiefend zu gestalten ist angesichts der globalenerausforderungen, vor denen wir gerade in Europa ste-en, natürlich eine Chance. Damit könnten wir insbeson-ere eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderun-en geben, vor die uns der Terrorismus stellt. Derürkeibeitritt bietet die Chance, die europäische Außen-nd Sicherheitspolitik zu vertiefen. Wir wollen die Rah-enbedingungen streng formulieren. Das haben wir im-er gesagt. Aber wir sehen in diesem Prozess Chancen.ür diese Chancen engagieren wir uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gerneoch mit einem anderen Vorurteil aufräumen, das heuteieder angesprochen wurde. Ich meine die Ausführun-en zum Thema christliches Abendland. Ich weiß, dass
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Rainder Steenblockman sich in diesen Debatten sehr schnell verzettelt. Aberwenn es vor dem Hintergrund all der ideologischen Aus-einandersetzungen, die heute – auch im Bezug auf denIslam – geführt werden, um den Wert der Toleranz geht,dann plädiere ich dafür, das nicht auf das christlicheAbendland zu begrenzen.Unsere europäische Kultur – damit haben die Grie-chen angefangen – ist durch den Wert demokratischerEntscheidungsstrukturen gekennzeichnet, was auch mitToleranz und Akzeptanz von Unterschiedlichkeit ver-bunden ist. Wäre es nicht das Morgenland gewesen, dasdie griechische Kultur wieder nach Europa gebrachthätte, wüsste ich nicht, wo wir mit unseren Kulturbegrif-fen heute stehen würden.
Deshalb plädiere ich sehr dafür, die Debatte über Tole-ranz tolerant und aufgrund von Wissen um die Ge-schichte Europas zu führen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir leben in der Europäischen Union. Die EU wird am
1. Mai dieses Jahres um zehn neue auf insgesamt
25 Staaten erweitert. Allein dies sind gute Gründe, die
EU modern zu verfassen. Allerdings wird die künftige
EU-Verfassung nur dann eine gemeinsame sein, wenn
auch alle EU-Bürgerinnen und -Bürger darüber abstim-
men. In vielen Ländern wird das so sein, ausgerechnet in
Deutschland nicht. CDU und CSU waren immer dage-
gen. SPD und Grüne sprachen sich lange dafür aus. In-
zwischen ist Rot-Grün in das Unionslager gewechselt.
Ich finde, das schwächt die Demokratie, anstatt sie zu
stärken. Die PDS im Bundestag bleibt bei ihrer Forde-
rung: Volksabstimmung über die EU-Verfassung!
Die Verfassung selbst ist ein Kompromiss, ein um-
strittener zudem. Vor einem Vierteljahr kam der Prozess
ins Stocken. Ein EU-Gipfel scheiterte. Nun, nach dem
Regierungswechsel in Spanien und dem Einlenken Po-
lens, ist die Debatte wieder offener. Aber viele Probleme
bleiben. Ich habe hier schon vor einer Woche gesagt,
dass Sie meine grundsätzliche Kritik an der zunehmen-
den Militarisierung der Politik kennen. In der künfti-
gen Verfassung wurde sie sogar als Pflicht festgeschrie-
ben. Als Reaktion auf diesen Satz rief der Abgeordnete
Joseph Fischer dazwischen: „Genau so ist es!“. Herr
Fischer ist im Ehrenamt Grüner und im Nebenberuf
Außenminister. Er muss es also wissen. Die PDS lehnt
eine Militarisierung der EU nach wie vor ab.
Mit ähnlichen Sorgen sehen wir aktuelle Entwicklun-
gen in der künftigen EU-Innenpolitik. Unter der Über-
schrift „Terrorbekämpfung“ werden Bürgerrechte ab-
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Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Schwanholz,
PD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Auf der Tagung des Europäischen Rates imärz 2000 in Lissabon haben sich die europäischentaats- und Regierungschefs das fürwahr ehrgeizige Zielesetzt, die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zumynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum derelt zu machen. Vier Jahre später fällt die Bilanz desisher Erreichten jedoch eher ambivalent aus.Die vor dem Frühjahrsgipfel von der Kommissionorgelegten Strukturindikatoren machen deutlich, dassas Reformtempo der Europäischen Union – Herrtaatsminister Bury hat es schon erwähnt – vehementeschleunigt werden muss, wenn die Lissabon-Ziele bis010 tatsächlich erreicht werden sollen. Deshalb habenie Staats- und Regierungschefs in der vergangenen Wo-he in Brüssel deutliche Prioritäten gesetzt, nämlich ers-ens die Schaffung von Arbeitsplätzen und zweitens dietärkere Förderung eines umweltverträglichen Wirt-chaftswachstums. Diese beiden Bereiche sollen bis zuralbzeitevaluierung der Lissabon-Strategie auf demrühjahrsgipfel 2005 im Fokus der Kraftanstrengungener Mitgliedstaaten stehen.
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Dr. Martin SchwanholzWir Sozialdemokraten begrüßen diese Schwerpunkt-setzung ausdrücklich; sie bestärkt uns darin, unsere Re-formpolitik fortzusetzen. Mit der Agenda 2010 habenwir nämlich schon im vergangenen Jahr die Weichen indie richtige Richtung gestellt.
Die Europäische Kommission nennt in diesem Zusam-menhang die Gesetze Hartz I bis Hartz IV: so zum Bei-spiel die Einrichtung von Jobzentren zur Verbesserungder Arbeitsvermittlung sowie die Arbeitsplatzschaffungdurch niedrige Steuersätze und Sozialversicherungsbei-träge bei den Minijobs. Die Botschaft, die von diesemFrühjahrsgipfel ausgeht, ist auch die Botschaft der Poli-tik dieser Regierungskoalition und der sie tragendenFraktionen.Im Bereich der Beschäftigungspolitik haben dieStaats- und Regierungschefs vergangene Woche in Brüs-sel vier Herausforderungen hervorgehoben: erstens denAbbau von Lohnnebenkosten, zweitens die Steigerungder Attraktivität des Arbeitsmarktes für mehr Menschen,drittens die Erhöhung der Qualität der Beschäftigungund viertens die Ausweitung der Investitionen in Hu-mankapital. Wir sind in Deutschland bereits einen wich-tigen Schritt weiter. Wir haben viele Schritte unternom-men, um die Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigungzu erhöhen, allerdings ohne dabei das hohe Sozial-schutzniveau in unserem Land aufzugeben – wie ichfinde, eine bemerkenswerte Leistung.
Wir haben mit der Reform des Gesundheitssystemsden Abbau der Lohnnebenkosten eingeleitet und wirnehmen es ernst mit der Vision einer europäischen Wis-sensgesellschaft, wie sie in der Lissabon-Strategie veran-kert ist. Deshalb haben wir in den vergangenen fünf Jah-ren die Ausgaben für Bildung und Forschung um mehrals 25 Prozent auf über 9 Milliarden Euro im Jahr 2003erhöht. Wir werden diese wichtigen Ausgaben weiter er-höhen. Denn eines ist klar: Der europäische Wirtschafts-raum ist nur dann langfristig konkurrenzfähig, wenn wirunseren Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit ge-ben, sich auf einem hohen Niveau zu qualifizieren undsich ein Leben lang fortzubilden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in Deutschlandhaben unsere Hausaufgaben gemacht; das bestätigt unsauch die Kommission in ihrem „Entwurf des gemeinsa-men Beschäftigungsberichts 2003/2004“. Durch die Po-litik der Bundesregierung wurden beispielsweise – ichzitiere aus dem „Entwurf des gemeinsamen Beschäfti-gungsberichts 2003/2004“ – „neue Arbeitsanreize ge-schaffen für ältere Arbeitskräfte und für Arbeitskräfteam unteren Ende der Lohnskala“. Das ist eines der we-sentlichen Probleme, die wir in Deutschland haben. DieBeschäftigungsquote der älteren Arbeitnehmer ist beiuns bisher auf immerhin 38,4 Prozent angewachsen undwird weiter anwachsen, wenn unsere Reformen erst ein-mal ihre volle Wirkung entfalten.sDngzkuh6ghhwldIDgcsmnUwdbDdbluiAsfRdJgeüeadlmEgubKz
Alles in allem erreichen wir in Deutschland schoneute eine Gesamtbeschäftigungsquote von annähernd6 Prozent. Würden wir die auf europäischer Ebene fest-elegten Kriterien zur Messung der Beschäftigungsquoteeranziehen, erreichten wir mit über 69 Prozent schoneute fast das Lissabon-Ziel von 70 Prozent. Damit be-egen wir uns also auf einer Linie mit den zentralen Zie-en der europäischen Beschäftigungspolitik im Rahmener Lissabon-Strategie. Für Deutschland als wichtigstesndustrieland der Europäischen Union ein starkes Stückeutschland um es einmal so zu auszudrücken.
Allerdings reichen die Anstrengungen in den Mit-liedstaaten nicht aus, um die Lissabon-Ziele zu errei-hen; wir alleine können das nicht. Auch auf europäi-cher Ebene müssen sich die Rahmenbedingungen fürehr Beschäftigung und Wachstum ändern. So darf esicht mehr sein, dass bestimmte Gesetze für europäischenternehmen einen solchen bürokratischen Mehrauf-and verursachen, dass Kosten in einer Höhe entstehen,ie ihre Wettbewerbsfähigkeit in der globalisierten Welteeinträchtigen. Damit muss endlich Schluss sein, meineamen und Herren.Daher ist es zu begrüßen, dass der Europäische Rater Kommission auf diesem Frühjahrsgipfel ins Stamm-uch geschrieben hat, wie wichtig die Weiterentwick-ng des Instruments der Gesetzesfolgenabschätzungst. Nur wenn in Zukunft genau evaluiert wird, welcheuswirkungen ein Gesetzesvorhaben auf die europäi-che Industrie und Wirtschaft hat, wird die Wettbewerbs-ähigkeit des Standorts Europa gewährleistet und demisiko einer Deindustrialisierung entgegengewirkt wer-en können. Wir sind hier auf dem richtigen Weg. Imahr 2003 wurden circa 20 Prozent der Gesetzesvorla-en, die unter diese Gesetzesfolgenabschätzung fielen,iner Überprüfung unterzogen; im Jahr 2004 werden esber 50 Prozent sein. Auf diesem Gebiet werden wir alsoinen Schritt vorankommen.Neben einer besseren Rechtsetzung müssen jedochuch die Rahmenbedingungen für die europäische In-ustrie insgesamt überprüft werden. Unser Bundeskanz-er Gerhard Schröder, Staatspräsident Chirac und Pre-ierminister Blair haben dies schon mehrfach gefordert.rfreulicherweise hat der Europäische Rat die Anregun-en der drei Staats- bzw. Regierungschefs berücksichtigtnd bekräftigt in seinen Schlussfolgerungen, „dass Wett-ewerbsfähigkeit, Innovation und die Förderung einerultur des Unternehmertums maßgebliche Vorausset-ungen für Wachstum sind“. Vor diesem Hintergrund
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Dr. Martin Schwanholzwird die Kommission – auch auf Wunsch der Bundesre-gierung – bis April einen Bericht vorlegen, der konkreteMaßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit dereuropäischen Industrie nennt.Meine Damen und Herren, wir wissen, dass ein hoheseuropäisches Beschäftigungsniveau sowie der Erhalt deseuropäischen Sozialmodells nur dann erreichbar sind,wenn es uns gelingt, sowohl durch eine bessere Recht-setzung auf europäischer Ebene – dies klang heute schonan – als auch durch die Förderung unternehmerischer In-novationen Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität inder Europäischen Union zu steigern.Wir sind uns bewusst, dass die europäischen Staatenheute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, vor großen He-rausforderungen im wirtschaftlichen, aber auch im au-ßen- und, wie eben gehört, sicherheitspolitischen Be-reich stehen. Dasselbe gilt für das Projekt einereuropäischen Verfassung. Die Geschichte hat uns ge-lehrt, dass die Europäische Union immer nur dann einengroßen Schritt vorangekommen ist, wenn alle an einemStrang gezogen haben.Ich fasse zusammen: Die Europäische Union brauchtSchwung, keine Frage. Wir Sozialdemokraten haben denSchwung. Wir machen das gemeinsam mit unseren euro-päischen Partnern.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Peter
Altmaier, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Das Ergebnis des Europäi-schen Rates vom letzten Wochenende bestätigt einen de-primierenden Befund: Zweieinhalb Jahre nach dem ver-heerenden Anschlag des 11. September und drei Wochennach dem schrecklichen Anschlag von Madrid verfügenweder die Europäische Union noch die Bundesregierungüber eine nachvollziehbare, adäquate und wirksameStrategie gegenüber der wachsenden Bedrohung durchden Terrorismus.
Die eigentliche Spaltung der EU begann am12. September 2001. Wir stellten fest, dass die eu-ropäischen Nationen entsprechend ihren alten nati-onalen Reflexen handelten.... dass die Europäer sich nach einem Angriff auf ih-ren wichtigsten Partner sofort zusammengesetztund eine strategische Analyse angestellt hätten, dasist nicht geschehen. Wir waren nicht dialogfähig,wo wir es hätten sein müssen, als die Konflikte auf-brachen, was dann definitiv in der Irakkrise der Fallwar. Das mangelnde strategische Bewusstsein beiuns führte zur mangelnden strategischen Dialogfä-higkeit mit dem Partner Amerika.nazInMHdtwtHsbDnmptTdddsKksHwmtpfVhAgeIz
ch zitiere aus den Schlussfolgerungen des Ratsvorsit-es:Der Koordinator koordiniert die Arbeiten des Rateszur Terrorismusbekämpfung und behält unter ge-bührender Berücksichtigung der Befugnisse derKommission alle der Union zur Verfügung stehen-den Instrumente im Auge, damit er dem Rat regel-mäßig Bericht erstatten und ein wirksames Vorge-hen aufgrund von Ratsbeschlüssen gewährleistenkann.
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Peter Altmaier
Ich bin davon überzeugt, dass der internationale Terro-rismus nicht gerade erschüttert sein wird angesichts derEntschlossenheit der Europäischen Union und ihrer Mit-gliedstaaten bei ihrem Vorgehen.
Ich glaube, mit Worthülsen alleine werden wir denKampf gegen den Terrorismus nicht gewinnen. Die Bür-ger erwarten von Europa zu Recht nicht nur ein Mehr anPapier, sondern einen echten Mehrwert.Wir werden den Kampf auch nicht gewinnen – das istein Appell an das Bundesinnenministerium –, indem wirversuchen, mit den veralteten Mitteln des Intergouverne-mentalismus vorzugehen. Ich verhehle nicht, dass ichpersönlich Bedenken bekommen habe, als ich gelesenhabe, dass die fünf großen Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union – Deutschland, Frankreich, Großbritannien,Italien und Spanien – eine Arbeitsgruppe zur Bekämp-fung des Terrorismus eingerichtet haben. Ich bin derMeinung, dass sich der Terrorismus nicht per definitio-nem auf diese fünf Staaten begrenzen lassen wird. Wastun Sie denn, wenn Terroristen die Beneluxstaaten, Por-tugal oder Irland als Ausgangsbasis wählen und von dortaus operieren?In diesem Fall kommt es zum ersten Mal dazu, dass eseinen exklusiven Kreis von Staaten gibt – das haben wiralle immer abgelehnt –, die eine Zusammenarbeit orga-nisieren, die für die anderen Staaten nicht offen steht. Siehaben die anderen Staaten wie die Beneluxstaaten nichteinmal gefragt, ob sie bereit sind mitzumachen. Das ha-ben Sie noch nicht einmal bei dem berühmten „Pralinen-gipfel“ getan. Eine solche Strategie wird in der Europäi-schen Union Misstrauen und Spannungen erzeugen.Die Alternative ist, wie ich glaube, klar: Wir müssenim Rahmen der Gemeinschaftsstrukturen dafür sorgen,dass wir auch im Bereich der Innen- und Justizpolitikvernünftige föderale Strukturen aufbauen mit einer star-ken Europäischen Kommission und einem EuropäischenParlament, das die Kommission kontrolliert und dieUnion damit nach außen handlungsfähig macht.
Meine Damen und Herren, wir alle hoffen, dass wirbis zum Ende der irischen Präsidentschaft den Verfas-sungsvertrag verabschieden werden. Wir haben ge-meinsam mit Ihnen an vernünftigen Lösungen gearbei-tet. Aber ich sehe mit Sorge – das verhehle ich nicht –,dass seit dem Beginn der Regierungskonferenz über denVerfassungsvertrag in vielen einzelnen Punkten nachver-handelt worden ist. Dadurch ist er nicht besser, sondernschlechter geworden, auch unter dem Gesichtspunkt,was wir für das europäische Interesse, die Handlungsfä-higkeit und die Demokratie in Europa erreichen können.Die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung istdaran nicht ganz unschuldig. Sie haben gesagt: Wir stel-len keine Forderungen, wir wollen nicht nachverhandelnund wir wollen das Paket beieinander halten. Die Ab-srFawwhahwKZhhrzhVczgImuldAdWm
Ich schließe die Aussprache.Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reformdes Sanktionenrechts– Drucksache 15/2725 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobeiie FDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keineniderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes-inisterin der Justiz, Brigitte Zypries.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Mit dem heute zu beratenden Entwurf eines Ge-setzes zur Reform des Sanktionenrechts setzen wir einweiteres Zeichen für eine vernünftige und sachorien-tierte Kriminalpolitik.
Seit Mitte der 80er-Jahre hat es schon viele Initiativenzur Umgestaltung des strafrechtlichen Sanktionensys-tems gegeben. Bereits in der 10. Legislaturperiode gabes erste Initiativen dazu. Der Juristentag 1992 hat sichsodann damit befasst und Beschlüsse gefasst. In der12. und 13. Legislaturperiode legte die SPD-Fraktionentsprechende Gesetzentwürfe in diesem Hause vor.Schließlich hat das Bundesjustizministerium zur Zeit derRegierung Kohl eine Kommission zur Reform des straf-rechtlichen Sanktionensystems eingesetzt. Diese legteim März 2000 ihren Abschlussbericht vor. Teile davonsind bereits in der letzten Legislaturperiode in einen er-neuten Gesetzentwurf eingegangen, der allerdings nichtzu Ende beraten werden konnte.Mit dem Ihnen nun vorliegenden Gesetzentwurf neh-men wir im Wesentlichen die Vorschläge in dem Gesetz-entwurf der letzten Legislaturperiode auf. Darüber hi-naus sehen wir darin Möglichkeiten zur Ersetzung kur-zer Freiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit vor.Nun wissen wir alle, dass auch der heute zu beratendeGesetzentwurf auf erhebliche Vorbehalte im Bundesratgestoßen ist und dass wir bezüglich der Vielfältigkeit derSanktionsmöglichkeiten im Vergleich zu den andereneuropäischen Ländern ganz hinten liegen. Deshalb seidie Frage gestattet, ob sich Deutschland einer Reformdes Sanktionenrechts wirklich grundsätzlich verschlie-ßen darf.
Ich meine, das wäre angesichts der Tatsache, dass dieBundesländer immer wieder über überfüllte Haftanstal-ten klagen, kaum verständlich.
Ich denke, dass wir den Spielraum der Gerichte er-weitern müssen, um im Bereich der Kleinkriminalitätund der mittelschweren Kriminalität auch anders auf dieStraftäter einwirken zu können. Deshalb ermöglicht esunser Entwurf der Justiz, auf Straftaten künftig flexiblerund effektiver zu reagieren. Das ist dringend erforder-lich; denn die Zahl der Gefangenen steigt ständig. 1993waren es noch rund 37 000 Personen, die zur Verbüßungvon Freiheitsstrafen inhaftiert waren. Zehn Jahre später,im Jahre 2003, waren es schon 55 000 Personen, also18 000 Gefangene mehr.In unseren Gefängnissen verbüßen außerdem vonJahr zu Jahr mehr Menschen eine so genannte Ersatzfrei-heitsstrafe, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konn-ten. Hier stiegen die Zahlen in dem genannten Zehnjah-reszeitraum von knapp 1 800 auf rund 3 500 Gefangene.EdzdeGhuusisdmzzmePhdusnwFtztenHdwGlabmuwmrmidagGd
Das gilt auch und gerade für solche Gefangene, dieine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen, die also eineeldbuße nicht bezahlen können. Sie sitzen ja nicht des-alb ein, weil die Richterin oder der Richter meinte, dassnter Schuld- und Präventionsgesichtspunkten eine Ver-rteilung, ein Einsitzen erforderlich ist. Gerade bei die-en Gefangenen stellt sich die Frage: Warum können siehre Schuld nicht abarbeiten und damit innerhalb der Ge-ellschaft einen Beitrag leisten, statt auf Kosten der Län-er ihre Strafe im Gefängnis abzusitzen?
Aus diesen Erwägungen heraus wollen wir die inehreren Bundesländern bereits bestehende Möglichkeitum – schlagwortartig formuliert – „Schwitzen statt Sit-en“ einheitlich im Bundesrecht verankern und als pri-äre Ersatzstrafe ausbauen. Ich meine, dass man überinen sinnvollen Einsatz gemeinnütziger Arbeit bei denersonen nachdenken kann, die zu einer kurzen Frei-eitsstrafe bereits verurteilt worden sind; denn bei Wie-erholungstaten der geringeren Kriminalität kann einenabwendbare Freiheitsstrafe gleichwohl noch zu scharfein. Damit fände genau das nicht statt, was ich mit ei-em gestuften Sanktionensystem gemeint habe. Hierollen wir die Möglichkeit eröffnen, eine unbedingtereiheitsstrafe quasi als Warnung zu verhängen, dem Tä-er aber gleichwohl die Chance geben, durch gemeinnüt-ige Arbeit ebendiese Freiheitsstrafe abzuwenden.Neben diesem Gesichtspunkt wollen wir den Gerich-n mehr Gestaltungsspielraum bei der Wahl der Sanktio-en eröffnen und deshalb das Fahrverbot zu einerauptstrafe ausbauen und es von jetzt drei Monaten aufann sechs Monate verlängern. Das Fahrverbot – dasissen wir alle – trifft so manchen Täter härter als eineeldstrafe, insbesondere dann, wenn er über ein erkleck-iches Einkommen oder Vermögen verfügt. Wir werdenußerdem aus der bisherigen Verwarnung mit Strafvor-ehalt in § 59 StGB eine Verurteilung mit Strafvorbehaltachen und auch diese Sanktionen ausbauen. Diese Ver-rteilung muss mit Auflagen oder Weisungen verbundenerden, die der Tat und dem Täter entsprechen. Wir er-öglichen so, wie wir meinen, eine bessere Resozialisie-ung.
Das weitere Ziel dieses Gesetzentwurfes ist, nochehr für die Opfer von Kriminalität zu tun. Wir habenm Bundestag bereits verschiedene Gesetze verabschie-et, die die Stellung der Opfer insgesamt stärken, unduch kürzlich das Opferrechtsreformgesetz auf den Wegebracht. Wir wollen jetzt auch im Sanktionenrecht denedanken der Wiedergutmachung der Schäden stärker inen Vordergrund rücken. Deswegen ist vorgesehen, dass
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Bundesministerin Brigitte Zypriesder Staat von seinem Anspruch auf Eintreibung einerGeldstrafe zurücktritt, wenn das Opfer ansonsten keinenErsatz durch den Täter erhalten würde. Auf gut Deutsch:Wenn die Mittel des Täters zu gering sind, erhält zu-nächst einmal das Opfer sein Geld. Erst dann kann derStaat seine Forderung nach einer Geldstrafe erheben.Wir meinen, dass die Interessen der Opfer wichtiger alsdie des Staates und seiner Gerichtsbarkeit sind.
Zur Wahrung von Opferinteressen gehört auch, dassdie Einrichtungen, die sich speziell um Opfer kümmern,finanziell besser ausgestattet werden. Vereine der Opfer-hilfe – das ist hier schon häufig betont worden – leisteneinen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft und ins-besondere für die betroffenen Opfer.
– Das ist wahr, Herr Kauder, und Sie ganz besonders.Unser Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass künftig5 Prozent einer Geldstrafe einer Einrichtung der Opfer-hilfe zugewiesen werden sollen. Damit sind wir der Kri-tik des Bundesrates bereits entgegengekommen. Sie wis-sen, dass der Entwurf in der letzten Legislaturperiodenoch 10 Prozent für die Opferhilfe vorsah. Die Länderlehnen aber aus rein fiskalischen Erwägungen auch diese5 Prozent ab, weil ihnen dann die Einnahmen aus derGeldstrafe entgehen.Ich habe bei der Beratung im Bundesrat signalisiert,dass wir bereit sind, über andere Lösungsformen nach-zudenken, um zu vermeiden, dass die Opferverbändegänzlich leer ausgehen. Denn es kann nicht sein, dassdiese entweder 5 Prozent oder gar nichts bekommen.Wir müssen kreativ an eine Lösung herangehen undüberlegen, wie man das sonst regeln kann. Insofern bitteich Sie herzlich, auch durch Ihre Beratungen im Rechts-ausschuss mitzuhelfen, im Interesse der von uns allengewollten verbesserten Situation der Opfer zu Lösungenzu kommen.Ich will nicht verhehlen, dass ich die Einwände desBundesrates hinsichtlich der Kosten der gemeinnützi-gen Arbeit nicht nachvollziehen kann.
Kürzlich hat Sachsen-Anhalt dargetan, dass mehr als96 000 Hafttage allein in Sachsen-Anhalt durch Ableis-tung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Ar-beit eingespart wurden.
Das wurde unter Zugrundelegung des reinen Verpfle-gungsgeldes auf 200 000 Euro und unter Zugrundele-gung der realen Haftkosten auf 7,2 Millionen Euro hoch-gerechnet.wwHnIwemhtuurTDnSdScKWevCSiNfw–kBmHBs
enn die Zielgruppe unserer Reform sind – ich möchteicht, dass darüber ein Irrtum entsteht – die kleinerentraftäter, die kleineren Wiederholungstäter wie Laden-iebe oder mehrfache Schwarzfahrer, aber keinechwerverbrecher. Wir wollen nicht, dass Schwerverbre-her „schwitzen statt sitzen“.Ich meine, dass unsere Reform ein ausgewogenesonzept bietet, damit Richterinnen und Richter bei derahl der Sanktionen besser als bisher auf den Einzelfallingehen können. Das sollten wir alle im Sinne einerernünftigen Strafrechtspflege wollen.
Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ehr geehrte Frau Justizministerin! Der Gesetzentwurfst eine Sammlung aus dem Kuriositätenkabinett.
icht nur, dass das Sanktionensystem, das aus einemein abgestuften Gebäude besteht, aufgebrochen wird, esird regelrecht verkehrt und auf den Kopf gestellt.
Beifall, wo Beifall angemessen ist. Mehr als einmallatschen war bei dieser Vorstellung nicht drin.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären. Dierüder A und B fahren nach einem geselligen Zusam-ensein jeder in seinem Fahrzeug betrunken nachause. Sie fahren in eine Fußgängergruppe hinein. Beiruder A hat das schlimme Folgen; er fährt einen Men-chen tot. Bei Bruder B wird ein Mensch nur verletzt.
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Siegfried Kauder
Der Richter reagiert maßvoll. Bruder B, der einenMenschen nur verletzt hat, erhält eine Freiheitsstrafe vondrei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Ermuss 150 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten, waser auch tut.Bei Bruder A sieht es anders aus. Er hat einen Men-schen zu Tode gebracht. Zur Verteidigung der Rechts-ordnung hält es der Richter für geboten, dass dieser Bru-der eine Freiheitsstrafe von drei Monaten ohneBewährung bekommt.
Nun sollte man vermuten, dass Bruder A die Haft-strafe verbüßen muss. Das muss er aber nicht. Wenn esnach den Vorstellungen von Rot-Grün geht, kann ernämlich, weil er Ersttäter ist, diese Haftstrafe abarbeiten,und zwar in Form von gemeinnütziger Arbeit, die erauch leistet.
– Ich möchte erst mein Beispiel zu Ende führen, HerrKollege Montag.Jetzt ziehen wir eine Zwischenbilanz. Bruder A, dereine Freiheitsstrafe hätte absitzen müssen, ist nach demAbleisten der gemeinnützigen Arbeit lastenfrei; denn dieStrafe ist verbraucht.Bei Bruder B sieht es anders aus. Er hat zwar auch ge-meinnützige Arbeit geleistet, aber er nimmt eine Bürdein Form einer Freiheitsstrafe von drei Monaten zur Be-währung mit in die Zukunft.Beide Brüder haben darüber hinaus das gleiche Pro-blem: Sie haben wegen ihrer Verurteilung keinen Führer-schein mehr. Sie fahren aber ohne Fahrerlaubnis weiter.Bruder B wird dabei erwischt. Der Richter sagt: Daskann doch nicht wahr sein; er hat wohl nichts dazuge-lernt. – Nun bekommt Bruder B eine Freiheitsstrafe vonzwei Monaten ohne Bewährung zur Einwirkung auf ihnund zur Verteidigung der Rechtsordnung.Wie es der Teufel will,
fährt auch Bruder A weiterhin ohne Führerschein. Dies-mal fährt er einen Fußgänger an, der zum Glück nichtstirbt, sondern nur verletzt wird. Welche Folgen hat dasfür Bruder A?
Er hatte die erste Freiheitsstrafe abgearbeitet; sie ist ver-braucht. Damals waren es drei Monate ohne Bewährung.Jetzt müssen es fünf Monate ohne Bewährung sein. Nunwird Bruder A sicherlich endlich einmal seine StrafevVdgelsgmggeMBehFWmwFShzwvrgdhknvwKIadnnbMmt
Bitte schön.
Kollege Kauder, das ist ein Beispiel aus Absurdistan.ch frage Sie, ob Ihnen bekannt ist, dass der Letzte, derngeklagt war, weil er betrunken Auto gefahren ist undabei einen Menschen totgefahren hat und mit einer klei-en Freiheitsstrafe davonkam, der bayerische CSU-Mi-ister Wiesheu war und dass danach in der Bundesrepu-lik Deutschland keine Freiheitsstrafen von dreionaten mehr ausgesprochen worden sind, wenn je-and im Straßenverkehr alkoholisiert einen Menschenotgefahren hat?
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Herr Kollege Montag, ich bin dankbar für Ihre Zwi-
schenfrage. Sie dokumentiert nämlich, dass Sie dem Pro-
blem nicht auf den Grund gehen, sondern versuchen, mit
Einzelfallbeispielen rechtliche Grundsätze auszuhebeln.
Wenn Sie mir die grundsätzliche Problematik erläutern
können, höre ich Ihnen im Ausschuss gerne zu. Aber
das, was Rot-Grün vorgelegt hat, ist Absurdistan. Hier-
für könnte ich Ihnen noch weitere Beispiele nennen. –
Vielen Dank.
Nun komme ich auf das zu sprechen, bei dem ich der
Justizministerin Beifall gezollt habe. Es ist gut – das soll
im Übrigen auch europäischer Standard werden –, dass
ein Teil der Geldstrafen den Opferschutzorganisatio-
nen zur Verfügung gestellt werden soll. Aber, Frau Jus-
tizministerin, Sie wissen genau, dass das eine Luftnum-
mer ist; denn die Länder werden nicht zustimmen.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Ministerin strategisch
vorgegangen wäre. Wenn man mit leerem Tornister zu
armen Ländern reist, deren Kassen leer sind, dann wird
man mit einer Maßnahme, die den Ländern einen Ein-
nahmeausfall von 20 Millionen Euro beschert, wohl
kaum auf offene Ohren stoßen. Sie haben einen Trumpf
im Ärmel gehabt, den Sie aber verspielt haben. Das Kos-
tenrechtsmodernisierungsgesetz spült nicht zulasten des
Bundes, sondern zulasten der Kostenschuldner bei Ge-
richtsverfahren 111 Millionen Euro in die Kassen der
Länder. Ich hätte erwartet, dass eine kluge Ministerin
dies als Manövriermasse in ihrem Tornister mitnimmt
und den Ländern sagt: Wir stimmen dem Entwurf
eines Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, das euch
111 Millionen Euro einbringt, zu, wenn ihr wenigstens
20 Millionen Euro für die Entschädigung der Opfer von
Straftaten zur Verfügung stellt. Aber diese Chance haben
Sie verspielt.
Im Übrigen instrumentalisieren Sie in der Debatte
über den vorliegenden Entwurf die Opferinteressen.
Sie wollen, dass ein Straftäter, der die gegen ihn ver-
hängte Geldstrafe nicht bezahlen kann, ohne den An-
spruch des Opfers auf Schadenswiedergutmachung zu
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Frau Ministerin, Sie weichen aus. Statt „sitzen“ soll
emeinnützige Arbeit geleistet werden. So viele Vereine,
ie Sie dafür brauchen, können Sie gar nicht gründen.
icht nur ich, sondern wahrscheinlich auch viele von Ih-
en sind Vorsitzende von gemeinnützigen Vereinen und
ennen die Last für die Vereine, wenn sie gemeinnützige
rbeit ableisten lassen. Das ist ein riesengroßer Verwal-
ungsaufwand, der von ehrenamtlich Tätigen erwartet
ird. Diese sind aber nicht verpflichtet, den staatlichen
trafanspruch durchzusetzen. Sie müssen mir einmal er-
lären, wie ein Verein mit einer fünfmonatigen Freiheits-
trafe, die durch gemeinnützige Arbeit abgeleistet wer-
en soll, umgehen soll. Ein Tag Freiheitsstrafe sind
echs Stunden gemeinnützige Arbeit. Bei fünf Monaten
ind das 900 Stunden gemeinnützige Arbeit, von denen
wei Drittel binnen 18 Monaten abgeleistet werden müs-
en. Erklären Sie mir bitte einmal, welcher Verein das
eisten soll!
Zusammenfassend: Der Gesetzentwurf hat nur we-
ige vernünftige Ansätze. Wir sind zwar bereit, diese
itzutragen. Aber Sie können von uns nicht verlangen,
nsinn zu unterstützen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/
ie Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Reform des Sanktionenrechts ist dringendotwendig. Frau Bundesjustizministerin hat darauf hin-ewiesen, wie viele Jahre in diesem Hause über eineolche Reform nachgedacht worden ist und dass es der
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9236 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Jerzy MontagVorgängerregierung, die viele Jahre regiert hat, nicht ge-lungen ist, mehr als nur Reden zu halten, zu einemschlüssigen Konzept zu kommen und den Entwurf einesGesetzes zur Reform des Sanktionenrechts vorzulegen.Der jetzt vorliegende Entwurf ist Ausdruck unsererfortschrittlichen, in die Zukunft gerichteten Rechtspoli-tik.
Sie bedauern ja fortwährend, Sie hätten nichts zu tun undes rege sich in der Rechtspolitik wenig. Jetzt haben Sieetwas Konkretes auf dem Schreibtisch liegen; daran kön-nen Sie sich abarbeiten. Es ist ein Beispiel für das, waswir unter einer fortschrittlichen Reform in der Rechts-politik verstehen.
Das Erwachsenenstrafrecht im Bereich der kleinenund der mittleren Kriminalität ist einfach zu unflexibel.Es ist notwendig, dass wir dieses Instrument in den Hän-den der Strafrichterinnen und Strafrichter flexibler ma-chen. Warum ist das so? Die Bevölkerung in der Bun-desrepublik Deutschland wächst nicht. Auch dieKriminalität in der Bundesrepublik Deutschland wächstnicht. Nur die Anzahl der Strafgefangenen wächst dra-matisch.
Das hängt nicht mit der Quote der Aufklärung durch diePolizei zusammen, sondern damit, dass wir das Straf-recht fortwährend verschärfen und keine Möglichkeitenhaben, in einer anderen Art und Weise auf diejenigen tat-sächlich einzuwirken, die eine Verfehlung begangen ha-ben und deswegen auch eine Ahndung vonseiten desStaates zu spüren bekommen sollen.Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten sollte ei-gentlich eine Ausnahme sein.
Sie ist es aber nicht. Die Bundesjustizministerinsagte hier in einer Fragestunde zu diesem Thema – ichzitiere –:Im letzten Jahr gab es beispielsweise 144 Fälle, indenen die Bestraften wegen Beleidigung zu einerFreiheitsstrafe von knapp sechs Monaten ohne Be-währung verurteilt worden sind.Das bisherige Muster ist zu kleinmaschig. Es siehtfolgendermaßen aus: Geldstrafe, bei Unmöglichkeit derZahlung sofort Ersatzfreiheitsstrafe. Dadurch werdenTausende von Menschen mit Ersatzfreiheitsstrafen inden Strafvollzug geschickt. Dorthin kämen sie nicht,wenn wir den Richtern ein vernünftiges Instrument gä-ben, das diesen Schritt verhindert.Es gibt in diesem Fall für die Länder eine Öffnungs-klausel. Wir meinen, dass diese Öffnungsklausel dasnicht erreicht hat, was sie erreichen sollte. Erst vor eini-gWassdSIFKszhnMrbsousfimuglK–
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Kauder?
Gerne.
Herr Kollege Montag, sind Sie mit mir einig, dass
ich aus Ihren Ausführungen ein Wertungswiderspruch
u Ihrer Zwischenfrage ergibt? Haben Sie mir nicht vor-
in vorgehalten, es gebe in Deutschland heutzutage kei-
en Richter mehr, der für eine Trunkenheitsfahrt drei
onate Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhänge? Ge-
ade haben Sie mir erzählt, dass es in Deutschland sogar
ei Beleidigungen kurzfristige Freiheitsstrafen geben
oll.
Herr Kollege Kauder, Sie haben meine Zwischenfrageffensichtlich nicht verstanden
nd Sie haben das, was ich eben gesagt habe, nicht ver-tanden. Mir fehlt die Zeit, Ihnen das noch einmal aus-ührlichst zu erklären. Nur so viel: Wenn Sie Tötungenm Straßenverkehr, seien sie auch fahrlässig begangen,it Beleidigungen auf eine Stufe stellen
nd sich dann darüber mokieren, dass das – angeblich –leich bzw. ungleich bestraft wird, dann geht das wirk-ich haarscharf an der Sache vorbei, lieber Herr Kollegeauder.
Ich habe Ihre Frage beantwortet.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9237
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Jerzy MontagHerr Kollege Kauder, ich will Ihnen Folgendes sagen:Weder Ihre Kritik von heute, die sich auf die Darstellungeines tatsächlich absurden Falles beschränkt, noch dieKritik, die der rechtspolitische Sprecher Ihrer Bundes-tagsfraktion zum Gesetzesvorschlag zur Reform desSanktionenrechts geäußert hat, setzt sich sachlich mitdem auseinander, was konkret vorgeschlagen wird. HerrDr. Röttgen, Ihr rechtspolitischer Sprecher, hat zu die-sem Gesetzentwurf gesagt – ich darf zitieren –:Inhalt dieses Gesetzentwurfs ist eine Verharmlo-sung und Aufweichung staatlicher Sanktionierungkriminellen Verhaltens.Jetzt dürfen Sie pflichtgemäß klatschen,
aber ich sage Ihnen: Eine inhaltsleerere Kritik als die,die sich Ihr rechtspolitischer Sprecher da geleistet hat,kann es angesichts eines Entwurfs mit vielen ganz kon-kreten Änderungsvorschlägen zum bisher begrenztenSanktionensystem überhaupt nicht geben.
Wir schauen nach dem, was Sie eigentlich konkretvorschlagen, und finden null Komma null. Seit Jahrenschlagen Sie Folgendes vor: höhere Strafen, immer mehrRepression, Strafe als Zerstörung und nicht als Reinte-grationsmöglichkeit und als Hilfe für ein zukünftig straf-freies Leben.
Der letzte Vorschlag von Ihnen lautete: Erhöhung der Ju-gendhöchstfreiheitsstrafe von zehn auf 15 Jahre. Alles,was Sie uns anbieten, ist von gestern, ist keine moderneRechtspolitik.
Zu der Länderkritik an unseren Vorschlägen, die denOpfern und den Opferhilfeverbänden zugute kommensollen, will ich in allem Ernst nur Folgendes sagen – dashat die Bundesregierung auch wortwörtlich in ihrer Ge-genäußerung geschrieben –: Die Länder, der Staat, ha-ben keinen Anspruch auf Geldstrafen. – Im Sinne einesmodernen Blicks auf die Haushalte darf man nicht nurdarauf schauen, dass man die 5 Prozent, die von denGeldstrafen an die Opferhilfeverbände gehen sollen,nicht bekommt. Man darf auch nicht nur darauf schauen,was es kostet, die Organisation aufzubauen, damit„schwitzen statt sitzen“ wirklich in dem erwarteten Maßmöglich wird. Man muss doch auch gegenrechnen, dassjeder Tag Vollzug 75 bis 95 Euro kostet. Da kann mansparen.rsmdGünuRFDSfdldnggbdSDsDcD4
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing,
DP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie FDP begrüßt eine Reform unseres strafrechtlichenanktionensystems. Die Frage ist nur: Wie soll diese Re-orm aussehen? Angesichts der langjährigen Diskussion,ie über dieses Thema geführt worden ist, ist der vorge-egte Regierungsentwurf mehr als enttäuschend.
Sie wollen es Straftätern ermöglichen, Geldstrafenurch gemeinnützige Arbeit abzuarbeiten. Dagegen istichts einzuwenden. „Schwitzen statt sitzen“ ist eineute Idee. Die Länder haben solche Modelle längst ein-eführt. Sie werden dort erfolgreich praktiziert und ha-en sich bewährt. Das alles ist nichts Neues, Frau Bun-esjustizministerin.
Trotzdem ist Ihr Entwurf einmalig.
ie führen nämlich den Dreistundenarbeitstag ineutschland ein. Sie wollen, dass ein Tagessatz Geld-trafe künftig mit drei Stunden Arbeit abgegolten ist.as kann die FDP weder nachvollziehen noch mittragen.
Ihr Gesetzentwurf geht damit an den gesellschaftli-hen Realitäten in unserem Land vorbei. Im öffentlichenienst diskutieren wir eine Erhöhung der Arbeitszeit auf2 Stunden,
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9238 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Dr. Volker Wissingeine Arbeitszeit, die für Selbstständige eine reineWunschvorstellung ist,
und Sie wollen ausgerechnet für Straftäter die 15-Stun-den-Woche einführen. Diese Idee hätte ich allenfalls derIG Metall zugetraut.
Ihre Rechtspolitik ist an dieser Stelle abgehoben. Siewird der Sache nicht gerecht und sie ist auch den Men-schen in Deutschland nicht mehr zu vermitteln. Ihr Ge-setzentwurf lässt ganz entscheidende Fragen unbeant-wortet. Es ist nicht klar, ob es überhaupt möglich seinwird, genügend geeignete Arbeitsplätze anzubieten.Ebenso ist nicht klar, was die Betreuung, Begleitung undÜberwachung der gemeinnützigen Arbeit kosten wird.Hier, Frau Ministerin, liegen doch in der Praxis die Pro-bleme.
Sie belasten die Länder mit zusätzlichen Kosten, derenHöhe Sie überhaupt nicht einschätzen können.Solange diese wesentlichen Punkte nicht geklärt sind,lehnen wir die Reform ab. Ihr Gesetz wird erheblicheKosten mit sich bringen. Die ohnehin schon knappe Per-sonaldecke der Strafverfolgungsbehörden wird dadurchweiter belastet. Ich warne davor; Sie werden der Straf-rechtspflege damit einen Bärendienst erweisen.
Ich habe den Eindruck, mit jeder verlorenen Land-tagswahl verliert die SPD mehr und mehr Praxis- undRealitätsbezug. Sie scheinen sich von der Verantwortungauf Landesebene schleichend zu verabschieden.
– Wir regieren auf Landesebene verantwortlich mit. –Ein Beleg dafür ist Ihr Vorschlag, künftig 5 Prozent jederGeldstrafe zwingend an Opferschutzeinrichtungen zuüberweisen. Sie greifen damit in fremde Taschen, FrauBundesjustizministerin, um rot-grüne Träume zu finan-zieren.
Wir können nicht widerspruchslos hinnehmen, dass derBund das Geld der Länder großzügig an gemeinnützigeOrganisationen verteilt. Sie zahlen ja auch nicht5 Prozent der Einnahmen aus der Ökosteuer an Umwelt-verbände.Der Opferschutz in Deutschland muss nicht neu er-funden werden. Es gibt genügend Opferschutzstiftungenund gemeinnützige Organisationen, die hervorragendeArbeit leisten und auch in Zukunft in der Lage sind,diese Aufgabe zu erfüllen. Ihre Vorgängerin, Frau Bun-dGkhevsbgzEseVSgdImgvTdTnsnmfsSotbsst
s macht doch keinen Sinn, immer härtere Strafen in un-ere Gesetzbücher hineinzuschreiben und Verfahren mitrheblichem Aufwand zu betreiben, wenn am Ende dieollstreckung der Strafe zur Farce verkommt.
Bei Ihrem Gesetzentwurf gewinnt man den Eindruck,ie wollten die Strafvollstreckung mit möglichst gerin-em Aufwand und möglichst wenigen Belastungen fürie Verurteilten auf dem kleinen Dienstweg erledigen.ch sage Ihnen ganz klar: Diesen Weg gehen wir nichtit.Wir akzeptieren auch nicht die von Ihnen vorgeschla-ene Entwertung der Geldstrafe. Es ist rechtspolitischerfehlt, dass zwei Tagessätze künftig nur noch einemag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen sollen. Es kannoch nicht sein, dass jemand, der zur Zahlung von zehnagessätzen verurteilt wurde und diese weder bezahltoch abarbeitet, am Ende nur fünf Tage Ersatzfreiheits-trafe verbüßen muss. Im Klartext bedeutet Ihre Rech-ung doch, dass man seine Strafe halbieren kann, indeman sich weigert, sie zu bezahlen.
Ihr Vorschlag wird – das prophezeie ich Ihnen – dazuühren, dass die Gerichte bei der Festsetzung von Geld-trafen künftig das Doppelte wie bisher festsetzen.
ie bringen ein funktionierendes System durcheinander,hne dass Sie eine durchdachte Alternative bieten könn-en.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie schrei-en in Ihrem Gesetzentwurf, es gehe Ihnen um eine bes-ere Berücksichtigung der Opferinteressen. Wie müssenich die Opfer von Straftaten fühlen, wenn sie Ihren Ka-alog der Annehmlichkeiten für Straftäter lesen?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9239
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Dr. Volker WissingFrau Bundesjustizministerin, Ihr Gesetzentwurf istunausgegoren. Die FDP sieht hier noch erheblichenNachbesserungsbedarf. Ich bin sicher, dass dafür mehrals drei Stunden am Tag gearbeitet werden muss.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Wissing, Sie sind am 23. Januar dieses
Jahres in den Deutschen Bundestag nachgerückt. Es war
Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere
Ihnen recht herzlich und wünsche Ihnen für die Zukunft
alles Gute.
Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mehrheitdes Bundesrates und die CDU/CSU-Fraktion in diesemHause haben in der Tat äußerst kritische Stellungnahmenzu dem vorliegenden Gesetzentwurf abgegeben. Bei derFDP war das bisher anders. Ich hoffe, dass das, was wirgerade gehört haben, nicht die neue liberale Rechtspoli-tik der FDP darstellt.
In den Stellungnahmen der Länder heißt es, dass diewesentlichen Punkte der Regierungsvorlage kriminalpo-litisch verfehlt seien. Die Vorschläge zur gemeinnützi-gen Arbeit und zur Verwarnung mit Strafvorbehalt wür-den die strafrechtliche Praxis vor kaum überwindbareProbleme stellen. Man versteigt sich sogar zu der Be-hauptung, das verfassungsrechtliche Gebot einer effekti-ven Strafverfolgung werde dadurch verletzt. Weiter heißtes, die Spezial- und die Generalprävention des Straf-rechts würden geschwächt und die Strafvollstreckungwerde in beträchtlichem Maße verzögert. Das ist in derTat starker Tobak. Wenn dem so wäre, hätten wir einensolchen Entwurf nicht vorgelegt. Das Gegenteil ist aberder Fall.
Wer so dicke Backen macht wie Sie mit Ihren Formu-lierungen, der muss einen Grund dafür haben.
– Ja, ich meine die Wangen.Das ist – im Chor mit der CDU/CSU – die Stellung-nahme genau der Länder, die sich in dieser Legislaturpe-riode ansonsten ausschließlich dadurch hervorgetan ha-ben, im Bereich der Kriminalpolitik immer mehr, immerschärfere und immer höhere Strafen zu fordern. EineFhg3DdtdaDnvzEetdivDrTnsdVdebudzShÄwzwkdSWmw
Andererseits wird die Überfüllung der Strafvollzugs-nstalten beklagt. Welch Wunder, kann ich nur sagen.ie Rechts- und Kriminalpolitik der CDU/CSU kulmi-iert in einer Bundesratsinitiative – auch die liegt unsor – mit der letztendlichen Zielrichtung, das Strafvoll-ugsgesetz zu ändern und den allgemeinen Anspruch aufinzelunterbringung der Häftlinge während der Ruhezeitinzuschränken oder sogar – das ist eine weitere Initia-ive aus Hessen – das Vollzugsziel zu ändern. Das heißt,as Ziel der Resozialisierung steht danach nicht mehrm Mittelpunkt. Damit entfernen Sie sich meilenweiton der Verfassungsrechtsprechung in diesem Land.
amit entfernen Sie sich meilenweit von einer vertretba-en Kriminalpolitik.
Da stellt sich wirklich die Frage: Erkennen Sie deneufelskreis dieser Spirale, die Sie auslösen, wirklichicht? Wollen Sie wirklich das, was Sie da sagen? Oderagen Sie das nur aus populistischen Überlegungen? Istas wirklich Ihr Gesellschaftsbild? Ist das wirklich Ihreorstellung von Kriminalpolitik? Ich sage Ihnen ganzeutlich: Unsere Vorstellung ist das nicht.
Das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs ist,ine eindeutige Alternative in der Kriminalpolitik zuieten. Er ist aus diesem Grunde aus unserer Sicht vollnterstützungswürdig. Es macht kriminalpolitisch Sinn,as strafrechtliche Sanktionensystem zu erweitern undu flexibilisieren sowie die Interessen von Opfern vontraftaten bei der Gestaltung der Sanktionen einzubezie-en.Der Gesetzentwurf sieht insoweit sinn- und maßvollenderungen im Sanktionenrecht vor. Schon seit Jahrenerden in Wissenschaft, Praxis und Politik als Ergän-ung zu den traditionellen Geld- und Freiheitsstrafen,ie wir sie kennen, neue, kreativere Freiheitsbeschrän-ungsstrafen bei kleinen und mittleren Straftaten gefor-ert. Genau darüber reden wir. Wir reden nicht überchwerstkriminalität und über organisierte Kriminalität.enn man Sie hört, Herr Kauder, dann könnte man fasteinen, der Untergang des Abendlandes stünde bevor,eil wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben.
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Joachim StünkerEs geht hier um den breiten Bereich der kleinen undmittleren Kriminalität.Der Vorschlag, der jetzt zur Diskussion auf dem Tischliegt, ist das Ergebnis der Reformdiskussion der Vergan-genheit. Ich sage Ihnen: In der Praxis ist man sich, dasheißt Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte, Gerichts-hilfe, Bewährungshilfe und wer alles in diesem Bereicharbeitet, also alle diejenigen, die im Strafrecht tätig sind,schon seit Jahren darin einig, dass das geltende Sanktio-nensystem, das die Geld- und die Freiheitsstrafe alsHauptstrafen vorsieht, den Gerichten zu wenig Gestal-tungsmöglichkeiten bietet, um gerade im Bereich kleinerund mittlerer Kriminalität in geeigneter Weise spezial-präventiv tätig werden zu können.
Der vorliegende Gesetzentwurf wird daher in der Praxisganz überwiegend begrüßt, Herr Kollege Kauder.
Mit Ihrer ablehnenden Haltung werden Sie den Anforde-rungen an eine moderne Kriminalpolitik nicht mehr ge-recht; das sage ich Ihnen auch heute.
Aus meiner Sicht noch ein letztes Wort zu der von Ih-nen so sehr bekämpften gemeinnützigen Arbeit als pri-märe Ersatzstrafe bei Uneinbringlichkeit einer Geld-strafe oder als Ersatz für die Verhängung von kurzenFreiheitsstrafen.
Das betrifft die in § 59 StGB vorgesehene Neuregelungeinschließlich des Strafvorbehalts.Ich darf darauf hinweisen, dass bereits nach gelten-dem Recht, nämlich nach Art. 293 des Einführungsge-setzes zum StGB, die Vollstreckung der Freiheitsstrafedurch Erbringung von Arbeitsleistungen abgewendetwerden kann. Dies ist geltendes Recht.
Allerdings bedarf es hierzu jeweils der Rechtsverord-nung durch eine Landesregierung.Darum frage ich mich: Weshalb wehren Sie sicheigentlich so vehement gegen die Implementierung dergemeinnützigen Arbeit in das geltende Strafgesetzbuch?Das ist für mich einfach nicht nachvollziehbar. Oder istes Ihnen lieber, die Anordnung der gemeinnützigen Ar-beit nicht durch ein Gericht im Zusammenhang mit demUrteil vornehmen zu lassen, sondern durch die Exeku-tive, das heißt je nach Bedarf oder Kassenlage, Herr Kol-lege Kauder? Das kann es im Ergebnis nicht gewesensein.
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Nein, Frau Präsidentin. Die Beiträge von Herrn
auder werden durch Zwischenfragen nicht besser.
Ich möchte noch einmal auf das eingehen, worauf die
inisterin, aber auch der Kollege Montag hingewiesen
aben. Im Zusammenhang mit den Kosten, die an den
erichten entstehen, geht es auch darum, dass 5 Prozent
er gezahlten Geldstrafen Opferverbänden und -einrich-
ungen zugeführt werden sollen. Gerade mit einer Erwei-
erung der Möglichkeit der Anordnung gemeinnütziger
rbeit können die Kosten im Vollzug – das wurde nach-
ewiesen; die Länder haben da erhebliche Kosten – in
roßem Umfang eingespart werden. Das Land Bayern
at bekannt gegeben, im Jahre 2002 durch gemeinnüt-
ige Arbeit 65 226 Hafttage eingespart zu haben. Bei
aftkosten von täglich rund 80 Euro bedeutet dies rund
,2 Millionen Euro. Der Justizminister aus Hessen hat
ür das Jahr 2002 eine Summe von 4,7 Millionen Euro
ekannt gegeben und Niedersachsen kommt auf 7,5 Mil-
ionen Euro. Mecklenburg-Vorpommern hat im Jahre
002 einen Modellversuch durchgeführt, um einmal die
osten zu berechnen, die entstehen, wenn gemeinnüt-
ige Arbeit abgeleistet wird. Dadurch entstehen natür-
ich auch Kosten; das ist klar.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ja, ich komme zum Ende. – Man kam dort netto auf
Million Euro.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn all die Diskussionen
er letzten Wochen und Monate in diesem Hause über
erstärkten Opferschutz und über die Implementierung
on Opferrechten in die Strafprozessordnung ernst ge-
eint gewesen sind, dann sollten wir uns dem Gedan-
en, den ich eben vorgetragen habe, nicht verschließen.
Schönen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
aniela Raab, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Sie werden meinen Eindruck nicht ganz
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9241
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Daniela Raabteilen; aber lassen Sie ihn mich trotzdem schildern. Manmöchte fast meinen, die heutige Sitzung ist eine Sonder-veranstaltung zum 1. April. Das begann heute Morgenmit der Debatte über Ihre geplante Ausbildungsplatzab-gabe. Das war kein Aprilscherz. Das Lachen bleibteinem schier im Halse stecken; denn Sie meinen es tat-sächlich ernst.Da Sie gerade beim Reformieren sind, haben Sie sichjetzt überlegt, auch gleich das Sanktionenrecht anzuge-hen. Das ist sozusagen der nächste lang ersehnte rechts-politische Wurf Ihrerseits.
Das Sanktionenrecht eignet sich allerdings nicht füreinen Aprilscherz. Wir sind heute nicht wirklich zumScherzen aufgelegt.
Deswegen fordere ich Sie auf, sich ein paar Gedanken zuIhrem Gesetzentwurf zu machen.Unser bisher geltendes Sanktionenrecht, in dem Geld-strafen und Freiheitsstrafen als Hauptstrafen angewandtwerden, bedarf meiner Ansicht nach keiner so grundle-genden Reform, wie sie jetzt von Ihnen angedachtwurde. Die Praktiker werden mir wahrscheinlich Rechtgeben, wenn ich sage, dass unser ohnehin schon schwerüberlastetes Justizsystem diese so genannte Reform defi-nitiv nicht braucht. Vorhin war von aufgeblasenen Ba-cken oder Wangen – man kann sich darüber streiten – dieRede. Ich sehe schon, dass die verfassungsrechtlich ge-botene effektive Strafverfolgung durch Ihren Entwurfunnötig verzögert wird.
Einige konkrete Beispiele: Es ist unserer Ansichtnach absolut nicht zu verantworten, dass es Straftäternerlaubt wird, eine nicht zur Bewährung ausgesetzte Frei-heitsstrafe bis zu sechs Monaten lediglich abzuarbeiten.Freiheitsstrafen werden nicht ohne weiteres verhängt. Eswird auch nicht ohne weiteres von den Gerichten aufeine Aussetzung zur Bewährung verzichtet. In vielenFällen ist nun einmal die Verhängung einer Freiheits-strafe unumgänglich, sozusagen die Ultima Ratio. Diesgilt gerade für die Täter, die eine kurze Freiheitsstrafeabsitzen sollen. Es dreht sich hier in aller Regel um Wie-derholungstäter, von denen die Richter wohl nicht ohneGrund annehmen, dass sie rückfällig werden könnten.Deswegen hat der Richter durch sein Strafmaß zum Aus-druck gebracht, dass eine Haftstrafe unumgänglich undangemessen ist. In solchen Fällen eine reine Abarbei-tung der Strafe durch den Täter zu ermöglichen, istgrob verharmlosend und hilft uns in keiner Weise weiter.Selbstverständlich – auch wenn Sie uns das nichtglauben – verkennen wir nicht die präventive Wirkunggemeinnütziger Arbeit. Bei Wiederholungstätern aber,um die es uns in diesem speziellen Fall geht, ist das allei-nige Abstellen auf Prävention völlig verfehlt und läuftins Leere.ksvbrrzw2kefa–dEigWWSonsvWrgssIvsAS
Ein weiterer Punkt, der die spezialpräventive Wir-ung, die ein Urteil auf den Täter haben soll, außer Kraftetzt, ist die Erweiterung der Verwarnung mit Straf-orbehalt. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt gibt esereits in § 59 StGB, allerdings als Kannregelung. Daseicht in meinen Augen völlig aus. Wir lehnen die Muss-egelung, die Sie einführen wollen, ab.
Ich komme zu Ihrer neuen Geldstrafenregelung, dieu massiven Einnahmeausfällen bei den Ländern führenird. Der Kollege Kauder hat sie bereits auf0 Millionen Euro beziffert. Sie sagen, die Länder hätteneinen Anspruch auf eine Geldstrafe. Ich muss Ihnenntgegenhalten: Bei Ihrer Politik müssen die Länder ein-ach schauen, woher sie das Geld bekommen. Dazu istuch die Geldstrafe geeignet.
Das finde ich nicht unmöglich. Die armen Länder!Es ist sicherlich kein schlechter Ansatz,
ass 5 Prozent der Geldstrafe an eine gemeinnützigeinrichtung zum Opferschutz gehen sollen. Das findech grundsätzlich nicht verkehrt. Sie haben uns nur nichtesagt, wer das organisieren soll.
ollen Sie wieder eine neue Behörde gründen?
ollen Sie die Beamten nehmen, die seit der Maut-chlappe arbeitslos sind? Es steht nichts im Gesetz. Denrganisatorischen Mehraufwand hat auch keiner berech-et. Bürokratieaufbau der reinsten Sorte! Etwas anderesind wir von Ihnen auch nicht gewöhnt.
Die Opfer sind schon angesprochen worden – mehron uns und weniger von Ihnen.
ie wirkt es auf ein Opfer, wenn der Täter seiner ge-echten Strafe einfach durch minimales Abarbeiten ent-ehen kann? Ich glaube nicht, dass die Opfer das unter-tützen und dass die Opferverbände hier Zustimmungignalisieren werden. „Schwitzen statt sitzen“ ist einerhrer tollen Slogans. Er klingt nicht schlecht. Die Idee istom Grundsatz her bestimmt nicht falsch. Aber dertaatliche Strafanspruch darf nicht ausgehöhlt werden.ngemessenes Strafübel darf nicht abgemildert werden.ie haben hier den falschen Weg eingeschlagen.
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Daniela RaabAber Sie gehen diesen Weg konsequent weiter, indemSie die gemeinnützige Arbeit als primäre Ersatzstrafefür nicht eintreibbare Geldstrafen einführen. Den Bedarffür eine solche Regelung kann ich leider nicht sehen.
Wir sind nach wie vor der Meinung: Kann eine Geld-strafe nicht bezahlt werden, muss weiterhin die Ersatz-freiheitsstrafe greifen. Strafe hat schließlich auch dasZiel, unsere Rechtsordnung zu wahren, das Unrechtsbe-wusstsein des Täters zu schärfen und auf die Schuld desTäters angemessen zu reagieren.Hinzu kommt die in meinen Augen absurde Umrech-nungsweise, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschla-gen: Ein Tagessatz nicht eingetriebener, nicht bezahlterGeldstrafe entspricht drei Stunden gemeinnütziger Ar-beit. Der Kollege von der FDP hat dazu bereits – durch-aus nicht unzutreffend – angemerkt: Was sind schon dreiArbeitsstunden in den Augen eines durchschnittlichenArbeitnehmers? – Hübsch wenig, würde ich sagen.
Immer schlechter wird das Verhältnis, wenn man Ihregeplante Lösung bei der Ersatzfreiheitsstrafe betrachtet,frei nach dem Motto, dass Rabatte ja derzeit in sind.Auch hier wird plötzlich die Umrechnung geändert. Mo-mentan gilt noch die Formel: Ein Tagessatz nicht gezahl-ter Geldstrafe entspricht einem Tag Freiheitsstrafe. Sieändern das in das Verhältnis 2 : 1; zwei Tagessätze nichtgezahlter Geldstrafe entsprechen also einem Tag Frei-heitsstrafe. Den Grund für diese Wohltaten am Täter er-kenne ich nicht.
Einiges leuchtet mir nicht ein, einige Ansätze sind si-cherlich nicht schlecht. Dennoch können wir diesemEntwurf so, wie er jetzt vorliegt, nicht zustimmen.Danke.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/2725 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien
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, weiterer Abgeordneter und der Frak-
Das Goethe-Institut hat im Rahmen einer großenampagne bezüglich des zweiten Teils unseres Antrags,ämlich das Lernen von Deutsch in Europa und im Aus-and zu fördern, einen Katalog von zehn Gründen vorge-egt. Ich kann Ihnen aus Zeitgründen nicht alle zehn vor-ragen, aber die wichtigsten sind sehr einprägsam:eutschland ist das wichtigste Exportland der Welt.eutsch ist die meistgesprochene Sprache in der Euro-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9243
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Dr. Peter Gauweilerpäischen Union. 18 Prozent aller Bücher weltweit er-scheinen in Deutschland. Viele internationale Unterneh-men haben ihren Sitz in Deutschland. Deutsch ist diezweithäufigste Sprache in der Wissenschaft auf der Welt.Wer Deutsch spricht und versteht, lernt die Kultur besserkennen und verbessert seine Chancen auf dem Arbeits-markt. Die Deutschen sind in vielen Ländern die wich-tigsten Touristen.Ich glaube, dass in den Forderungskatalog aufgenom-men werden muss, Deutsch als Einstellungsvorausset-zung im Ausland mehr zu fördern. Bei der Reise desKulturausschusses nach Prag ist vor den Mitgliedern desKulturausschusses von tschechischen jungen Germanis-ten und Germanistikstudenten beklagt worden, dassdeutsche Firmen im Ausland nicht mehr – wie früherganz selbstverständlich – deutsche Sprachkenntnisse alszusätzliche Einstellungsvoraussetzung präferieren, son-dern dass deutsche Sprachkenntnisse der ausländischenBewerber unserer Wirtschaft wegen angeblicher Domi-nanz des Englischen gleichgültig geworden sind.
Ich habe heute zur Vorbereitung auf diese Sitzungnoch einmal beim Deutschen Industrie- und Handels-kammertag nachfragen lassen. Dort wurde uns mitge-teilt: Englisch ist bei der Einstellung für uns die wich-tigste Sprache am Markt. Daran orientieren wir uns. –Das ist eine ungute Entwicklung. Es ist die Aufgabeeines Parlaments, das sich als Interessenvertretung deseigenen Landes versteht, dieser Entwicklung entgegen-zuwirken.
In unserem Antrag sehe ich, wenn Sie so wollen, eineEinladung an die Verantwortlichen, sich um diesesThema in seiner Gesamtheit zu kümmern. Das gilt auchfür die ungute Entwicklung, dass ganz bestimmte Groß-institutionen meinen, sie müssten sich von Deutsch alsFirmensprache verabschieden. Das ist nicht nur einsprachliches Problem, sondern letzten Endes auch einProblem der Gesetzeskontrolle und des Gesetzesvoll-zugs. Als Beispiel nenne ich eines der auf der ganzenWelt berühmtesten deutschen Unternehmen bzw. Bank-institute, die Deutsche Bank.Der Unverdächtigkeit halber sei auf den „Spiegel“verwiesen, der vor wenigen Wochen in einer großen Do-kumentation berichtet hat, dass es immer mehr gelingt,sich der deutschen Bankenaufsicht durch Verlagerungins Ausland, durch fremdsprachigen Schriftverkehr,durch fremdsprachige Aktenführung und Ähnliches zuentziehen. Ich glaube, dass wir, so wie wir es auch hin-sichtlich des Schutzbereichs anderer Gesetze tun, eineVernetzung herstellen müssen, um das in diesem Antragformulierte Anliegen der Förderung der deutschen Spra-che durchzusetzen.Wir verlangen ein Weiteres. Herr Staatsminister, inIhrem Vortrag bei der letzten Debatte, den ich mir durch-gelesen habe, haben Sie – mit einer kleinen Spitze anIhre Vorgängerregierung – darauf hingewiesen, dass be-sDzvgdErgsdndDpdAWTMSQDddteSkze
ie bei der Eröffnung eines Generalsekretariats deseutschen Musikrats in Berlin mehr deutsche Musik-roduktionen in deutschen Rundfunksendern for-erte.
uch das gehört letzten Endes zu diesem Thema.
Kein geringerer als Herr Bundestagspräsidentolfgang Thierse hat die Rundfunksender vor wenigenagen, am 29. März 2004, aufgefordert, mehr deutscheusik zu spielen.
ollte dies nicht freiwillig geschehen, müsse über eineuotenregelung diskutiert werden.
ie deutsche bzw. europäische Kultur müsse sich gegenie Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismusurchsetzen. Ich möchte den Herrn Bundestagspräsiden-n hier gegen jede Art respektloser Zwischenrufe inchutz nehmen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich an die bemer-enswerte Protokollerklärung aller Ministerpräsidentenum Siebten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, in ders heißt:Die Länder erwarten von den Hörfunkveranstaltern,insbesondere von den in der ARD zusammenge-schlossenen Rundfunkanstalten und dem Deutsch-landradio, eine stärkere Berücksichtigung vondeutschsprachiger Musik und deshalb eine Förde-rung auch neuerer deutschsprachiger Musikange-bote durch ausreichende Sendeplätze in den Pro-grammen.
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9244 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Dr. Peter Gauweiler
– Dieses Thema ist zweigleisig.
Herr Kollege Gauweiler, Sie müssen zum Ende kom-
men. Deswegen kann ich auch nicht mehr die Zwischen-
frage des Kollegen Ströbele zulassen.
Herr Kollege Gauweiler, Sie dürfen zum Ende kom-
men.
Herr Kollege, ich hätte Ihnen gerne zugehört. – Aber
lassen Sie uns dieses Thema nicht zerreden. Wir verfol-
gen doch ein gemeinsames Interesse.
Die „Los Angeles Times“ hat vor nicht allzu langer
Zeit geschrieben
– ja, auf Englisch –, warum die Deutschen ihre eigene
Sprache zu wenig benutzen. Die Amerikaner hoffen,
dass die Deutschen ihre Stimme wiederfinden, wenn sie
dazu ermutigt werden. Dieser Ermutigung dient unser
heutiger Antrag.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Eckhardt Barthel, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichwerde jetzt im Unterschied zu Herrn Gauweiler etwasganz Revolutionäres machen. Ich werde nämlich zu demAntrag reden, der hier zur Abstimmung steht.
Auch mir fallen dazu Quoten ein. Das Schöne an die-sem Thema ist ja, dass man eigentlich über alles redenkann, weil es um Sprache geht. Wir haben aber einenAduDAZrmAT–fPSMalcelmzfdEaGgnlu–irmmDsr1KDpEk
ass wir, also alle vier Fraktionen gemeinsam, diesenntrag gezimmert haben, ist schon eine gute Sache. Dasweite, was ich etwas bedauere, ist, dass Sie nicht da-auf eingegangen sind, dass wir hier die angenehmerkwürdige Situation haben, vor dem Beschluss einesntrages zu stehen, dessen Forderungen zum großeneil bereits erfüllt sind.
Ich werde es Ihnen gleich vortragen. – Das ist, wie ichinde, eigentlich eine gute Sache.Ich glaube, zwei Drittel unser Forderungen, dieunkte 1 und 2 dieses Antrages, sind bereits in unsereminne erfüllt. Wir haben gefordert, das so genanntearktmodell im europäischen Sprachenregime zu ver-nkern. – Ich bitte, eine Fußnote machen zu dürfen: Viel-eicht sollte man einmal überlegen, ob der Begriff „Spra-henregime“ richtig ist. Mit „Regime“ assoziiere ichigentlich etwas Negatives; ich weiß nicht, woran dasiegt. Aber das ist jetzt nicht das Thema.Es ist gelungen, auf europäischer Ebene – ich freueich, dass Herr Bury hier ist – dieses Marktmodell ein-uführen; die Forderung in unserem Antrag ist damit er-üllt. Nun weiß ich, dass vielen der Begriff „Marktmo-ell“ noch nichts sagt. Deswegen will ich es inrinnerung rufen: Mit dem Marktmodell – damit wäreuch die politische Bewertung vorgenommen – ist dieleichwertigkeit aller Sprachen anerkannt. Jeder Mit-liedstaat kann selbst entscheiden, welche Sprache be-utzt werden soll. – Das ist wichtig; wir reden schließ-ich von der Vielfalt der Kulturen in Europa als Teilnserer europäischen Identität.
Wenn er vernünftig ist und niemand verdrängt wird,mmer.Ich schildere jetzt die Erfolgsbilanz der Bundesregie-ung: Sie hat sofort für alle 94 Gruppen, die dem Markt-odell unterliegen, die Deutsch-Dolmetschung ange-eldet; somit ist auch dieses festgelegt, Herr Gauweiler.as Zweite zu diesem Marktmodell: Es ist flexibel undpart übrigens eine Menge Kosten. Wenn ich dasichtig gelesen habe, spart die EU jedes Jahr00 Millionen Euro. Ich wäre froh, wenn wir das imulturetat hätten. Das wäre eine tolle Sache.
ie Vielfalt der genutzten Sprachen hat also auch diesenositiven Effekt.Ich möchte diese beiden, wie ich glaube, wichtigstenntscheidungen zusammenfassen, Herr Gauweiler, undomme damit zu unserem Antrag; über Quoten können
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Eckhardt Barthel
wir immer noch reden. Es ist also gelungen, dieses vonuns geforderte Marktmodell in der EU einzuführen. Dasist das Erste. Das Zweite ist – man sollte es nicht geringschätzen –: Es gab ja bisher für den AStV, den Aus-schuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, die-ses Dreisprachenregime. – Hier taucht schon wiederder Begriff Regime auf. – Diese drei Sprachen – Eng-lisch, Französisch und Deutsch – sind jetzt zum erstenMal festgeschrieben worden.Ich glaube, mit der Umsetzung unseres noch nicht be-schlossenen Antrages werden wir einen großen Schrittvorankommen, wenn wir auch noch nicht am Ende ste-hen. Auch mir ist natürlich klar: Alleine mit Regeln wer-den wir das eigentliche Ziel, nämlich die Verbreitungund die Pflege der deutschen Sprache im Ausland, nichterreichen. Dies bildet ja die Überschrift von dem, worü-ber wir jetzt reden; was im Antrag steht, ist lediglich einwichtiger Teil davon. Deswegen bin ich froh, heute nichtnur einen gemeinsamen Antrag verabschieden zu kön-nen, sondern gleichzeitig auch noch eine Erfolgsmel-dung bezüglich der Ziele dieses Antrags vortragen zukönnen. Wir müssen uns bewusst sein, dass der Auftragder Pflege und der Verbreitung der deutschen Sprache imAusland im Inneren beginnt; das habe ich schon mehr-fach gesagt und wir haben in der letzten Debatte hiereine breite Diskussion dazu geführt.Lassen Sich mich daher ein bisschen selbstkritischdarauf hinweisen, wie wir im Parlament mit unsererSprache umgehen, die dann vielleicht auch nach außengetragen wird. In letzter Zeit habe ich mir im Hinblickdarauf einige Gesetzestexte angeschaut. Das meine ichjetzt nicht beckmesserisch; jede Fraktion kann sich unterdiesem Gesichtspunkt angesprochen fühlen.
– Ja, es wimmelt von Begriffen wie Jobfloater.
– Ich habe bewusst ein Beispiel aus einem Gesetz vonuns gewählt. Aber Sie müssen nicht mit dem Finger aufuns zeigen; diese Sprache geht quer durch alle Fraktio-nen. Wir haben in diesem Bereich also auch als Parla-ment eine Vorbildfunktion nach innen wie nach außen.Eine letzte Bemerkung: Der dritte Punkt unseres An-trags betrifft etwas, was zurzeit unser täglich Brot imKulturausschuss ist, die auswärtige Kulturpolitik. Indiesem Zusammenhang steht auch das Thema DeutscheWelle an. Der Kulturausschuss nimmt diese Themensehr ernst. Wir alle sind froh, dass es uns in einer ge-meinsamen Anstrengung gelungen ist, dass die Sprach-vermittlung im Ausland nicht darunter leidet, dass Kul-tur unter die Subventionen fällt und somit reduziert wird.Darauf werden wir wohl auch in Zukunft achten müssen.Herr Otto, weil ich Sie hier so fröhlich sehe, sage ichnoch ein Wort zu Ihrem Änderungsantrag.
Sie haben sinngemäß beantragt, dass Kultur nicht unterSubventionen fallen dürfe. Von meiner Seite kann ich Ih-nsHfdbdduFeSmdFstädSABsFBdiEDGhcddBliMnsssPrSw
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9246 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Wir haben, lieber Kollege Barthel, beileibe noch nichtzwei Drittel dessen, was im Antrag vorgesehen ist, ver-wirklicht. Die Bemühungen beginnen jetzt erst.
Herr Kollege Otto, die Arbeit ist noch nicht getan,
aber die Redezeit ist vorbei.
Frau Präsidentin, meine Arbeit ist getan. Ich habe uns
alle ermahnt, am Ball zu bleiben, nachdem wir einen ers-
ten Schritt gemacht haben. Wir müssen das Ganze jetzt
umsetzen. Ich bitte insbesondere die Bundesregierung,
gestärkt durch diesen Beschluss darauf hinzuwirken,
dass in der Praxis Erfolge erzielt werden.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete RainderSteenblock.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich war am letzten Wochenende und die Tage davor alsWahlbeobachter des Europarates in Georgien. Es ist er-hebend und bewegend, wenn man durch die Dörfer desKaukasus fährt und in fast jedem Ort jemandem begeg-net, der Deutsch spricht und einem sozusagen um denHals fällt, und man die Akzeptanz dieser Sprache undder Kultur, die dahinter steht, erlebt.Genau diese Verpflichtung haben wir hier aufgenom-men. Wir müssen uns dafür einsetzen, diese nationaleAufgabe umfassend zu erfüllen. Die Bedeutung der Kul-tßpgksPgEdBnkERVcidDmddf1DaDLetiudSdmtnwinVminEwndwmat
Aber es geht auch um die europäische Dimension.uropa lebt von der Vielfalt, von der kulturellen und voner sprachlichen Vielfalt. Diese Vielfalt wird mit demeitritt der zehn neuen Länder, den wir sehr begrüßen,och größer. Er macht das Sprachenregime in Europaomplizierter. Aber ich bin der Meinung: Wir sind in derU auf einem guten Wege. Wir haben im Europäischenat, im Europäischen Parlament und im Ministerrat dieolldolmetschung ab dem 1. Mai 2004 in 20 Amtsspra-hen.Wir haben im Ausschuss der Ständigen Vertreter – dasst schon angesprochen worden, aber ich möchte es wie-erholen – die Gleichberechtigung von Französisch undeutsch. Sobald auf EU-Kosten ins Französische gedol-etscht wird, wird automatisch auch ins Deutsche ge-olmetscht. Dieser Fortschritt wurde schon erreicht. Inen ratsvorbereitenden Gruppen – das Marktmodell istestgesetzt, es funktioniert und ist beschlossen – tritt ab. Mai 2004 eine Reform des Sprachregimes in Kraft.as heißt, jedes Land bekommt einen Basisbetrag undlles, was darüber hinaus gefordert wird – sei es dieolmetschung ins Englische, Französische, Deutsche,itauische oder in eine andere Sprache –, wird von deninzelnen Ländern bezahlt. Dieses Sprachregime ist gül-g und vernünftig.Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal, weil wirns in vielen Punkten einig sind, auf einen Aspekt, dereutlich gemacht worden ist, hinweisen: Neben diesenprachstrukturen, die wir politisch verabreden – wir sindort auf einem guten Weg –, brauchen wir in der Kom-ission auf der Arbeitsebene, auf der Ebene der Beam-innen und Beamten, Personen, die die deutsche Spracheicht nur sprechen können, weil sie schön, wichtig undertvoll ist, sondern wir brauchen – ein Antrag dazu ist Vorbereitung – deutsche Beamtinnen und Beamte,ertreter der Bundesregierung, die unser Land zahlen-äßig tatsächlich repräsentieren.Bei der Durchsetzung dieser Interessen sind wir nicht allen internationalen Gremien auf allen Ebenen derU, UN und wo auch immer so weit, wie wir gerne seinürden. Deshalb muss die Politik Anstrengungen unter-ehmen, damit diese Gremien stärker als bisher miteutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzterden; das hielte ich für richtig.Es wurde vorhin moniert, dass wir hier noch nichtehr erreicht haben. Bezüglich der Beamten sind wirber schon deutlich weiter. Vielleicht ist das auch zu ak-uell, weshalb ich das hier noch einmal sagen will: In der
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Rainder Steenblockletzten Woche wurde das EU-Beamtenstatut geändertund in unserem Sinne verbessert; denn von nun an mussein Beamter oder eine Beamtin vor seiner oder ihrer ers-ten Beförderung nach der Einstellung nachweisen, dasser oder sie in einer dritten Sprache der Gemeinschaft ar-beiten kann.
– Ja, das hat aber mit dem Dienstrecht zu tun. Das wirdvor den Beförderungen geprüft.Das ist bereits ein Fortschritt. Ich finde, wir sollten andieser Stelle nicht immer das, was noch nicht erreichtwurde, in den Vordergrund stellen. Wir sollten betonen,dass wir gemeinsam dabei sind, das, was in der Vergan-genheit versäumt worden ist, Schritt für Schritt zu errei-chen. Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Wegsind.
Ich hoffe, dass die Sensibilität in diesem HohenHause und in der Bundesregierung auf einem hohen Ni-veau bleibt, damit diese Interessen durchgesetzt werdenkönnen. Man muss natürlich aufpassen, dass man sich inder Begrifflichkeit nicht vergreift. Ich glaube aber, wiralle zusammen haben ein Interesse daran, Deutsch zurDurchsetzung von ökonomischen Interessen und politi-schen Strategien in dieser Welt – das sage ich jetzt tat-sächlich einmal etwas überspitzt – zu stärken. Das soll-ten wir selbstbewusst und ohne falsche Zwischen- undMisstöne tun. Dieses Selbstbewusstsein sollten wir ha-ben.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich-
Wilhelm Ronsöhr.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Vielleicht kann man die unterschiedlichen En-den, die hier zum Ausdruck gekommen sind, zusammen-führen. Es geht ja um eine Gemeinsamkeit. Ich glaube,es geht nicht nur um einen gemeinsamen Antrag, son-dern es geht um die Gemeinsamkeit der deutschen Poli-tik. Das möchte ich bewusst herausstellen.Eckhardt, nun mag es ja sein, dass zwei Drittel derBeschlüsse bisher erfüllt wurden. Herr Otto hat auf deranderen Seite aber auch Recht, da von diesen Beschlüs-sen noch nicht alles so umgesetzt wurde, wie es umge-setzt werden sollte. Ich will mich nun nicht darüber strei-ten, wie weit wir den Weg bisher gegangen sind. Ichglaube, dass wir uns alle darüber einig sein sollten, dasswir uns auf dem richtigen Weg befinden.dSvdevdAHtMdasnldHhewdDhfsCCews–mhamPEisdrwkBvh
Auch ich war mit dem Kulturausschuss unterwegs.err Otto, Sie waren dabei: Wir haben in Südafrika ge-ört, dass die deutsche Sprache manchmal als Nachteilmpfunden wird, wenn sie von jemandem gesprochenird, der sich bei deutschen Unternehmen bewirbt. Dasarf nicht sein. Es geht schließlich um Chancen füreutsche und Deutschsprechende. Herr Steenblock, Sieaben eben deutlich gemacht, dass der Osten wie ein of-enes Buch vor uns liegt und in diesem Buch das Deut-che sehr häufig vorkommt. Das heißt, wenn es umhancen für das Deutsche geht, dann sind dies nicht nurhancen für Deutsche, sondern auch Chancen für Ost-uropäer. Dies gilt auch für Leute innerhalb der EU, dieeiter östlich wohnen als wir.Ich habe vorhin eine junge und sehr hübsche sloweni-che Praktikantin empfangen.
Das kann man doch einmal sagen. Politik hat schon soanches Schöne mit sich gebracht und wird auch weiter-in sehr viel Schönes mit sich bringen. Die Kultur, damituch die deutsche Sprache, ist etwas sehr Schönes, dasöchte ich klar Ausdruck zu bringen. – Diese jungeraktikantin hat erklärt, das Deutsche sollte sich in derU stärker durchsetzen, als das bisher der Fall gewesenst. Das heißt, es ist auch im Interesse vieler junger Men-chen, die zur EU gestoßen sind oder noch stoßen wer-en, dass wir den Gebrauch des Deutschen weiter forcie-en.Wenn wir uns dieser Aufgabe gemeinsam widmen,ie das letztlich in diesem Antrag zum Ausdruckommt, dann bin ich mir sicher, dass das Deutsche dieedeutung erhält, die auch in Zukunft von möglichstielen – nicht nur in der EU, sondern auch darüberinaus – anerkannt werden sollte.
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Heinrich-Wilhelm RonsöhrVielen Dank, dass Sie mir zugehört haben.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hedi Wegener.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeGäste auf der Tribüne, Sie erleben heute ein seltenes Er-eignis in diesem Haus. Wir beraten einen von allen Frak-tionen gemeinsam eingebrachten Antrag. Das ist nichtoft der Fall. Die Diskussionen, die bisher geführt wur-den, hörten sich zwar kontrovers an, waren es aber nicht.
Dieser Antrag ist einstimmig eingebracht worden,weil alle erkannt haben, dass auf europäischer Ebene dieTendenz vorherrscht, englisch und französisch zu spre-chen. Wir wollen dazu beitragen, dass sich Deutschmehr als bisher etabliert. Wir begrüßen daher ausdrück-lich den Einsatz der Bundesregierung, die deutscheSprache auf europäischer Ebene zu stärken, und fordern,diesen Einsatz fortzusetzen.
Vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung findet eineNeuregelung des Sprachenregimes statt. Bei 4 000 Ar-beitsgruppensitzungen und 20 Amtssprachen gibt es380 denkbare Sprachkombinationen. Dabei stößt manauf logistische und finanzielle Grenzen. Das Marktmo-dell – es ist ein komischer Begriff für ein ganz einfachesSystem – ist schon häufig erwähnt worden. Es bedeutet:Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie auch. Der Kern-gedanke ist, dass es einen Grundtopf gibt und diejenigen,die eine weitere Versprachlichung fordern, diese extrabezahlen müssen.Die deutsche Sprache erhält eine eindeutige Aufwer-tung, weil gleichzeitig für alle 94 Arbeitsgruppen, diedem Marktmodell unterliegen, eine Vollverdolmet-schung ins Deutsche beantragt wurde. Damit wirdDeutsch als Arbeitssprache in der Europäischen Unionweiterhin gestärkt. Herr Steenblock hat schon daraufhingewiesen: Bei der Verabschiedung des neuen EU-Be-amtenstatus am 22. März dieses Jahres ist entschiedenworden, dass eine dritte EU-Sprache für eine Beförde-rung Pflicht ist.
Ich bin Mitglied der Parlamentarischen Versammlungdes Europarates. Da erlebe ich häufig, dass Vertreterinnenund Vertreter aus anderen Ländern, in deren Sprache nichtübersetzt wird, den deutschen Kanal hören. Diesen Schatzmüssen wir uns erhalten. Das sehe ich als Erfolg an.Es gibt noch einen weiteren Aspekt in dem Antrag.Das ist die Pflege der deutschen Sprache im Ausland,uNuItJitneeTdlsdwddlwcEdDD–mesmiruWktIg
ch betone noch einmal – das ist in der Debatte zur Kul-urpolitik schon gesagt worden –, dass wir in den letztenahren keine Goethe-Institute geschlossen haben. Das istn den Vorjahren übrigens anders gewesen. Im Gegen-eil: Es sind neue Goethe-Institute geplant. Wir haben ei-es in Kabul eröffnet,
ines ist in Algier geplant und in diesem Jahr soll nochines in Laibach eröffnet werden.Ich habe Anfang des Jahres eine Mädchenschule inaschkent besucht und dort erfahren, dass Deutsch vonen Kindern geradezu aufgesogen wird. In Turkmenistanernen die Kinder im hintersten Dorf Deutsch. Die deut-chen Auslandsschulen und Lehrerprogramme wer-en vom Auswärtigen Amt unterstützt. Dadurch werdeneltweit 250 000 Schüler erreicht. Es ist nicht nur so,ass die Jugendlichen die deutsche Sprache lernen, son-ern sie lernen sie aus deutschen Schulbüchern. Damiternen sie deutsche Kultur und das Menschenbild, dasir ihnen vermitteln wollen. Was ich zu den Schulbü-hern gesagt habe, gilt im Übrigen auch für die Lesesäle.s gibt 55 Lesesäle, die unterstützt werden und in deneneutsche Zeitungen, Broschüren und Hefte ausliegen.as ist von unschätzbarem Wert, weil damit deutscheemokratie vermittelt wird.
In Pjöngjang ist jetzt gerade ein Lesesaal hinzugekom-en. Das ist unglaublich wichtig für eine Region, in ders keine Pressefreiheit gibt. Die jungen Generationenaugen das wie ein Schwamm auf.Ich mache auch immer auf www.deutschland.de auf-erksam. Da präsentieren wir uns in fünf Sprachen. Esst eine Chance nicht nur für junge Leute, wenn sie Inte-esse an Deutschland haben, auf diese Seite zuzugreifennd mehr über Deutschland zu erfahren. Die Deutscheelle wäre auch ein Thema, das wir noch erwähnenönnten.Zum Schluss möchte ich aus der Begründung des An-rags zitieren:Die Verbreitung von Deutsch als Fremdsprache imAusland ist von ganz zentraler Bedeutung. Durchdie Sprache wird eine Beschäftigung mit dem Land,den Menschen und der Kultur erreicht.ch hätte es nicht besser als der gemeinsame Antrag sa-en können.Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Kultur und Medien auf Drucksache 15/1951. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die
Grünen und der FDP auf Drucksache 15/1574 mit dem
Titel „Deutsch als Arbeitssprache auf europäischer
Ebene festigen – Verstärkte Förderung von Deutsch als
erlernbare Sprache im Ausland“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange-
nommen worden.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den An-
trag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/468
mit dem Titel „Deutsch als dritte Arbeitssprache auf eu-
ropäischer Ebene – Verstärkte Förderung von Deutsch
als lernbare Sprache im Ausland“ für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Michael Bürsch, Ludwig Stiegler, Klaus
Brandner, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD sowie der Abgeordneten Volker
Beck , Werner Schulz (Berlin), Katrin
Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Öffentlich-private Partnerschaften
– Drucksachen 15/1400, 15/2663 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto
Fricke, Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Privatisierung und öffentlich-private Partner-
schaften
– Drucksache 15/2601 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Michael Bürsch.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Das Thema, über das wir jetzt sprechen, könnteäcfabKkttdSEnsuEdmweördcdatssdftdanDWdlrdgsbvbrlt
Nun fragen wir uns, wie wir diesem Problem beikom-en können. Warum ist die Situation so schwierig ge-orden? Die Gründe dafür aufzuzählen würde sicherlichine abendfüllende Veranstaltung: die Verschuldung derffentlichen Hand, die Vorbelastungen aus den 16 Regie-ungsjahren von Helmut Kohl – der Kollege hat nachen Gründen gefragt, also bekommt er auch die entspre-hende Antwort –,
as hohe Leistungsniveau des Staates und nicht zuletztuch die deutsche Einheit. Sie ist uns zwar lieb undeuer, aber wir müssen dafür wahrscheinlich noch überehr viele Jahre mehr als 100 Milliarden Euro allein vontaatlicher Seite aufbringen. Das ist aber berechtigt;enn in den neuen Ländern gibt es einen gewaltigen In-rastrukturbedarf.Wir können nun den klassischen Weg weiterbeschrei-en und die Verschuldung erhöhen, indem wir versuchen,ie notwendigen Mittel weiterhin aus öffentlicher Handufzubringen, oder wir können – was die FDP als Kö-igsweg ansieht – alle Bereiche privatisieren.
as wird von den Sozialdemokraten anders gesehen.ir sehen in der Privatisierung keine Daueraufgabe fürie soziale Marktwirtschaft, werte Kolleginnen und Kol-egen von der FDP. Wir sehen durchaus auch die Gefah-en der Privatisierung. Ein Blick nach England zeigt,ass die in den 16 Jahren unter Maggie Thatcher durch-eführten Maßnahmen noch heute ihre Spuren hinterlas-en. Das britische Gesundheitswesen ist nicht unbedingteispielhaft. Auch andere Bereiche, die umfassend pri-atisiert worden sind, zeigen, dass dieser Weg nicht dereste ist.Insofern plädieren wir – das ist die Zielrichtung unse-es Antrags – für einen dritten Weg, nämlich mit öffent-ich-privaten Partnerschaften eine neue Verantwor-ungs- und Risikoaufteilung zwischen öffentlicher und
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Dr. Michael Bürschprivater Hand zu suchen. Es geht um eine Kooperation,wohlgemerkt auf derselben Augenhöhe, bei der die Auf-gaben gemeinsam wahrzunehmen sind und die Risiken– darum geht es bei solchen Partnerschaften immer –wie auch die dabei erzielten Gewinne gerecht verteiltwerden.Sie von der FDP haben das viel zitierte Beispiel derMaut aufgegriffen. Bei der Maut, wie sie bis vor zweioder drei Monaten gehandhabt worden ist, gab es aberkeine öffentlich-private Partnerschaft; vielmehr wurdeim Zusammenhang mit der Einführung eines Mautsys-tems ein Auftrag vergeben. Es gab einen Auftraggeber– die öffentliche Seite – und einen Auftragnehmer. DerAuftrag ist auf vielen Seiten schriftlich festgehalten wor-den.Bei der Maut hat es keine öffentlich-private Partner-schaft gegeben, bei der eine solche ausführliche Auf-tragsbeschreibung im Übrigen nicht nötig ist, weil diesePartnerschaft auf etwas anderem basiert, nämlich aufVertrauen. In gegenseitigem Vertrauen müssen unerwar-tete Risiken gemeinsam verantwortet und getragen wer-den.Die Maut ist jetzt auf gutem Wege. Ich bin der Über-zeugung, dass wir ein so riesiges Projekt auch als Vor-zeigeprojekt brauchen, um zu zeigen, dass es der bessereWeg ist, wenn sich die öffentliche Seite mit der privatenSeite zusammentut. Wir können einerseits die Vorteileder privaten Seite und die damit verbundenen Effizienz-gewinne, die vorsichtig geschätzt 10 bis 20 Prozent aus-machen, nutzen.
Andererseits haben wir aber auch weiterhin die Mög-lichkeit, steuernd einzugreifen und die Aufgabe wahrzu-nehmen, die die öffentliche Hand wahrnehmen muss,nämlich für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit vordem Gesetz zu sorgen.
– Auch für Chancengleichheit. – Die öffentlich-privatePartnerschaft nutzt also die Möglichkeiten der privatenSeite, insbesondere die bessere Qualität, die man durchprivate Aufgabenwahrnehmung erreichen kann. Aber sielässt auch die Möglichkeiten zu, Einfluss zu nehmen,wie das im Interesse der Öffentlichkeit tatsächlich not-wendig ist.Diese vertraglich geregelte Kooperation wird bislangbei uns leider fast nur unter dem Gesichtspunkt der In-vestition betrieben. Wenn man sich andere Länder, ins-besondere England, anschaut, dann stellt man fest, dassdiese schon wesentlich weiter sind. Der Charme eineröffentlich-privaten Partnerschaft entfaltet sich erst rich-tig – dies nutzen wir noch gar nicht –, wenn man einesolche Partnerschaft über den gesamten Lebenszykluseiner Infrastruktur zum Gegenstand eines Vertragesmacht, das heißt, wenn man die Effizienzgewinne unddie damit verbundene Qualität über den gesamten Le-benszyklus nutzt.egalsvSgnaasddgd–ssdimüdcdVöKsgIf8sevDtrmnbteBlidbsSKsu
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Michael
Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! VerehrterHerr Kollege Bürsch, „Es gibt nichts Gutes, außer mantut es“, sagte schon Erich Kästner. All das, was Sie unsgerade mit viel Feuer und Pathos vorgetragen haben,können Sie tun. Niemand hält Sie auf, das öffentlicheVergaberecht so zu verändern, wie Sie sich das vorge-stellt haben.
Wir wünschen uns das Ganze. Eine Partnerschaft, wieSie sie gefordert haben, hat ihren Nutzen darin, dass manDinge zu zweit besser als allein bewältigen kann.
Dies trifft auf das Thema der heutigen Debatte bes-tens zu. Es ist richtig, sich mit dem Thema „Public Pri-vate Partnership“ oder – eben hat die Debatte überDeutsch als Arbeitssprache auf EU-Ebene stattgefun-den – „ÖPP“, also öffentlich-private Partnerschaften, zubeschäftigen. Es geht um die Frage, was der Staat alleinzu bewerkstelligen hat und in welchen Bereichen priva-tes Unternehmertum besser wäre. Von Bereichen, in de-nen dies der Fall ist, brauchen wir einfach mehr.Meiner Meinung nach ist der Staat beispielsweisenicht dafür zuständig – Sie haben das in der Debatteheute Morgen gefordert –, eine neue Behörde zur Erhe-bung der Ausbildungsplatzabgabe zu gründen. Dortmüssten zusätzlich 1 000 Mitarbeiter eingestellt werden.Das würde uns in der Zukunft mit 72 Millionen Euro proJahr belasten.
Die angestrebten Investitionsmöglichkeiten haben wirdann wieder nicht, Herr Kollege Bürsch.Der heutige Sozialstaat interveniert meiner Meinungnach in viel zu vielen Bereichen, vor allen Dingen in denBereichen der Daseinsvorsorge. Er hat den Höhepunktseiner Leistungsfähigkeit absolut überschritten. Erkrankt daran, dass im Prinzip nur noch – ich denke, darinsind wir uns fast alle einig – umverteilt wird. Der Staatsollte aber nur dort eingreifen, wo es allen zum Nutzengereicht und wo es um hoheitliche Aufgaben geht. Alleanderen Dinge sollte er Privaten überlassen.Subsidiarität – ein Wort, das wir alle in Sonntags-reden von jedem Politiker immer wieder hören – ist invieler Hinsicht nur noch eine Worthülse; dennochmüsste es wieder zum zentralen Thema in der Politikwerden. Daher begrüßt es die Union, dass der Privatisie-rung im FDP-Antrag Vorrang vor öffentlich-privatenPartnerschaften einräumt wird.
mSEBDatmddzqz–UdbmsmeDskszdkSstIhfrn4wwDbFRmznS
Frau Kollegin Kopp, Sie haben vollkommen Recht:nsere Staatsquote ist schon höher als 50 Prozent, Ten-enz ständig steigend. Wenn das stimmt, was in den De-atten heute Morgen gesagt worden ist, dann sind wirittlerweile in Richtung 55 Prozent unterwegs.Von sozialer Marktwirtschaft kann keine Rede mehrein. Wir sollten ÖPP deswegen nicht als ein Ausweich-anöver betrachten, um die grundlegenden Problemerst einmal zu umgehen.
ie zugrunde liegenden Fakten, Herr Kollege Bürsch,ind nämlich erdrückend: Unsere Steuereinnahmen sin-en ständig, die Ausgaben für Sozialleistungen steigentändig und auch die Investitionen gehen immer weiterurück. In der gestrigen Verkehrsdebatte wurde deutlich,ass in diesem Jahr kaum noch Investitionen im Ver-ehrsbereich, und zwar auf allen Ebenen – Straße,chiene etc. –, vorgenommen werden. Ich sage Ihnenchon jetzt voraus: Die Arbeitslosigkeit im Tiefbausek-or wird dieses Jahr erheblich steigen. Das ist eine Folgehrer Politik.Es kann nicht angehen, dass wir zwei Haushaltsjahreintereinander das verfassungsrechtlich verankerte Ziel,ür eine bestimmte Investitionshöhe zu sorgen, nicht er-eicht haben. Wir werden dieses Ziel auch dieses Jahricht erreichen. Ich sage Ihnen voraus: Wir werden die0-Milliarden-Euro-Grenze im Haushalt dieses Jahresieder überschreiten; die Investitionen werden wiederesentlich niedriger als die konsumtiven Ausgaben sein.
as hat eben katastrophale Auswirkungen auf den Ar-eitsmarkt und auf die Wirtschaft insgesamt. Sichtbareolgen sind die Staus auf den Autobahnen und dieaumnot in den Hochschulen. Wir hören von Ihnen im-er Diverses über Bildungsprogramme, aber über Kür-ungen bei den Investitionen müssen wir auch etwas ver-ehmen. In vielen Bereichen Deutschlands gibt estraßen, die man bald nur noch mit Geländewagen
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Dr. Michael Fuchsbefahren kann. Die Schwimmbäder in den Kommunenwerden geschlossen. Na gut, wir haben ja Mosel, Rhein,Spree etc. da können unsere Kinder dann schwimmengehen. In vielen Schulen und Kindergärten sieht es soaus, dass die Kinder nur noch mit Schutzhelmen hinein-gehen können.Das alles sind Folgen einer Politik, die die Kommu-nen an den Rand des Abgrunds gebracht hat. Das hatdazu geführt, dass wir bei der Reform im Gemeindefi-nanzbereich nichts vernünftig hinbekommen haben.Ich will Ihnen das aus meiner Heimatstadt Koblenzschildern. Im letzten Jahr hatten wir bei einem Etat von247 Millionen Euro eine Neuverschuldung von 51 Mil-lionen Euro, davon allein 12 Millionen Euro zusätzlichfür die Jugendhilfe. So etwas kann keine Kommunemehr bewältigen. Es müssen Gesetze her, die die Kom-munen wieder handlungsfähig machen, die die Kommu-nen wieder in die Lage versetzen zu investieren.
Auch dazu eine Zahl. 1992 war das Investitionsvolumender Kommunen 10 Milliarden Euro höher als heute.
Daher fordere ich Sie auf: Überlassen Sie viele Berei-che dem privaten Sektor und den natürlichen Regeln desWettbewerbs! Erst in einem zweiten Schritt sind dannÖPP anzugehen. So sinnvoll diese ÖPP-Maßnahmensind: Ich warne davor, sie zu überschätzen. Ich halte siefür eine Second-best-Lösung. Meiner Meinung nachsollte in vielen öffentlichen Bereichen zunächst einmaldie Privatisierung Vorrang haben.
Selbstverständlich begrüßen wir ÖPP. Aber das kannnur nach den Prinzipien des Wettbewerbs gehen. Esmuss unbürokratisch sein. Moderne Maßnahmen sollteman heute natürlich IT-stützen. Großbritannien, dergroße Vorreiter in Sachen ÖPP, hat bewiesen, dass pri-vatwirtschaftlich durchgeführte Projekte – Sie habeneben das Beispiel mit den Gefängnissen genannt – um20 Prozent günstiger realisiert werden als staatlichdurchgeführte.Aber hierzulande fehlt der Mut.
Ihr Antrag
zeigt mir, Herr Kollege Bürsch, dass Ihnen der Mut fehlt.Es wird eine ganze Menge von Vorschlägen gemacht,über die man nachdenken kann. Aber ich halte zum Bei-solewgwndAMeIgdwud–SdsztsdHmdagshdVbmdtNGÖ
Herr Kollege Bürsch, ich bin nicht mit Ihnen der Mei-ung, dass die Maut kein Beispiel von ÖPP ist. Es istoch so, dass der Staat einem privaten Konsortium eineufgabe übertragen hat, und zwar die Aufgabe, für ihnaut-Gelder zu erheben. Das ist ein klassisches Beispieliner ÖPP.Was ist dabei herausgekommen? Es ist ein Versagenhres Ministers Bodewig gewesen, der – Entschuldi-ung – lausige Verträge gemacht hat,
ie er zwei Tage vor der Wahl – und damit seiner Ab-ahl durch den Bundeskanzler sozusagen – noch schnellnterschrieben hat. „Honi soit qui mal y pense!“, sagter halbgebildete Franzose.
Ich kann es Ihnen gern übersetzen, Herr Staffelt; keineorge. Das mache ich dann aber nachher. – Das zeigtoch, dass da irgendetwas nicht in Ordnung war. Einenolch komplizierten Vertrag unterschreibt man nichtwei Tage vor einer Wahl. Die Folgen haben wir jetzt zuragen.Es gibt aber auch noch eine ganze Reihe anderer Bei-piele dafür, dass das nicht klappt. Ich nenne den Vertei-igungsbereich. Nehmen wir doch einmal die GEBB!err Kollege Bürsch, ich empfehle Ihnen, sich das ein-al anzuschauen. Ich bin ja Koblenzer und habe mitem BWB viel zu tun. Gehen Sie dahin und hören sichn, was bei der GEBB läuft! Es ist ein Desaster. Das giltenauso für die LH Bundeswehr Bekleidungsgesell-chaft oder auch für die Fuhrpark-Service GmbH. Ichabe das Gefühl: Alle diese Dinge sind eigentlich nurazu da, dass man Posten schafft, Aufsichtsrats- undorstandsposten, auf die man Leute entsorgt.
Das verschlingt Geld. Geld hat das bisher nicht ge-racht. Fragen Sie bitte den ehemaligen Verteidigungs-inister, was er damals zur GEBB angekündigt hat undazu, was wir in Koblenz denn an Privatisierung erwar-en dürften, wie schnell die Objekte verkauft würden!ichts ist verkauft! Gucken Sie bitte nach, was von derEBB im letzten Jahr verkauft wurde! – Nichts!So kann man das nicht machen. So werden wir beiPP-Projekten mit Sicherheit keine Chance haben. Wir
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Dr. Michael Fuchsbrauchen deswegen keine Taskforce im Verkehrsminis-terium und keinen zusätzlichen Behördenapparat. Daswiderspricht ja dem Gedanken, den Sie und ich für rich-tig halten.Deutschland wird zu Recht als Trockenschwimmerre-publik bezeichnet. Es wurde ein 1 500 Seiten starkesGutachten angefertigt, aber nichts passiert. Wir brauchenLeuchtturmprojekte, die die Leute anregen, solche Pro-jekte durchzuführen, und nicht zusätzliche Bürokratie inForm von weiteren Kommissionen. Da sind Sie auf demfalschen Wege. Deswegen müssen wir Ihren Antrag lei-der ablehnen. Er ist vom Grundgedanken her in Ord-nung, aber von der Organisation her falsch.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alex Bonde.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Mit den öffentlich-privaten Partnerschaften, ÖPP – ichgebe zu, PPP ist gebräuchlicher, aber der Hinweis aufdie letzte Debatte ist ja bereits erfolgt –, beschreiten wirneue Wege, um die Modernisierung des Staates voranzu-bringen, die Bürokratie zu verschlanken und mehr Effi-zienz und Leistungsfähigkeit in öffentliche Verwaltun-gen zu bringen. Angesichts der derzeitigen Probleme istÖPP ein Instrument, dessen Möglichkeiten wir bei wei-tem noch nicht ausschöpfen. Gerade als Haushaltspoliti-ker – durch die Berichterstattung für Bildung und For-schung sowie Verteidigung bin ich außerdem in zweiBereichen mit ersten ÖPP-Projekten tätig – möchte ichfür die weitere Nutzung dieser Möglichkeiten werben.Herr Kollege Dr. Fuchs, weil Sie die GEBB, die Fuhr-park-Service GmbH und die LH Bundeswehr Beklei-dungsgesellschaft angesprochen haben: Ich will garnicht bestreiten, dass es bei ÖPP-Projekten nicht auchSchwierigkeiten gibt. Aber wenn Sie sich auf den Stand-punkt stellen, dass Sport gut für die Gesundheit ist, dannkönnen Sie nicht beim ersten Seitenstechen mit dem Jog-gen aufhören, sondern dann stellt sich die Frage, ob Siebereit sind, das auch durchzuziehen.
Ich bin mir sicher – da sind wir uns auch einig –, dassdurch ÖPP nicht überall finanzielle Einsparungen mög-lich sind, wohl aber die effizientere Nutzung von Res-sourcen und häufig mehr oder bessere Leistung proSteuer-Euro. Wenn wir dabei auch noch die Kluft zwi-schen öffentlichem Raum und privater Wirtschaft redu-zieren, ist das umso besser. Wir alle wissen, dass dieLndglssüDtscrtwgDOtsnEktsdBgfusBWwsdcdscsVmbndFmnfsik
Wichtig ist, dass Wirtschaft und öffentliche Handemeinsam Lösungen für die Erbringung öffentlicherienstleistungen suchen. Mit dem Antrag soll ein guterrdnungsrahmen geschaffen werden, der sichere Inves-itionen ermöglicht und für Vertrauen sorgt. Durch ÖPPoll ermöglicht werden, dass Kooperationspartner zu-ächst voneinander lernen und im nächsten Schritt dierfahrungen nutzen und die Kooperation umsetzen. Aufommunaler Ebene sind wir da zugegebenermaßen wei-er. Mit dem vorliegenden Antrag tragen wir dieser Tat-ache Rechnung, indem wir eine ebenso häufige Anwen-ung dieser Organisationsform auf Länderebene undundesebene ermöglichen. Dafür müssen wir aus denemachten Erfahrungen lernen. Es bedarf der Überprü-ung der rechtlichen Rahmenbedingungen, die durchnseren Antrag angeschoben werden. Bedeutsam ist bei-pielsweise die Anpassung des Haushaltsrechts und derHO, unter anderem um einen einheitlichen Maßstab fürirtschaftlichkeitsvergleiche zu schaffen. Genausoichtig sind die Überprüfung des Vergaberechts und dieteuerliche Gleichbehandlung der unterschiedlichen Mo-elle.Wir reden über eine Vielzahl von politischen Berei-hen, in denen wir mit ÖPP vorankommen können. Miter Wirtschaft haben wir im Bereich Bildung und For-chung erfolgreiche Kooperationen für den flächende-kenden Anschluss von Schulen an das Internet ab-chließen können. Im Bereich des Einzelplans 14, dererteidigung, gibt es Gebiete, die nicht gut vorankom-en, wie Sie beschrieben haben. Ebenso gibt es aber Ge-iete, die deutlich machen, wie wichtig ÖPP in denächsten Jahren sein wird.Ich nenne beispielsweise das Projekt „Herkules“. Mitiesem Projekt sind wichtige Fragen verbunden. Dierage, wie die gesamte IT-Struktur der Bundeswehrodernisiert werden kann, schreit geradezu danach,eue Wege zu gehen. Über eine Anschubfinanzierungür die Modernisierung könnte man dieses Pilotprojekto vorantreiben, wie es die Bundeswehr allein mit denhr zur Verfügung stehenden IT-Mitteln nicht schaffenönnte.
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Alexander BondeWir alle können zu Recht Zweifel daran anmelden, obdie Bundeswehr in Eigenregie die Modernisierung derIT, die Einführung von SAP und das Betreiben von Re-chenzentren – das alles sind Prozesse, die in der Wirt-schaft tagtäglich ablaufen und für die in der WirtschaftErfahrungen vorliegen – wirtschaftlicher durchführenkann. Wir müssen uns vielmehr fragen, ob es an dieserStelle nicht angebracht ist, von der Erfahrung der Wirt-schaft zu profitieren.Die Tatsache, dass Projekte dieser Art auch in derWirtschaft von keinem Konzern mehr selbstständigdurchgeführt werden, spricht dafür, in diesem Bereichneue Wege zu beschreiten. Komplexer werdende Anfor-derungen und neue Technologien erfordern von der Poli-tik zwingend neue Wege, Kooperationen und Finanzie-rungsmechanismen.Ich glaube, wir wären an dieser Stelle gut beraten, ge-meinsam voranzugehen. Wir alle wissen, wo die Defizitein der öffentlichen Verwaltung liegen. Wir alle wissenauch, dass es insbesondere in Zeiten knapper Kassen fürden Staat schwierig ist, zu handeln. Insofern hoffe ich,dass wir es jenseits allen Parteienstreits und jenseits derverschiedenen ideologischen Ansätze, die auch in dieseDebatte eingeflossen sind, hinbekommen, unseren Staatmoderner zu gestalten und die notwendigen Rahmenbe-dingungen zu schaffen.Erste Erfahrungen liegen vor. Lassen Sie uns gemein-sam daraus lernen!Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!Jawohl, jetzt kommt die blanke Privatisierung. – LassenSie mich zunächst einmal zur Ausgangslage zurückkeh-ren. Wir alle wissen, dass die Staatskassen leer sind unddass es immer noch starre Strukturen und eine riesigeBürokratie gibt. Unterm Strich kann man sagen: DerStaat ist seit langem überfordert mit der großen Anzahlvon Aufgaben und Lasten. Es ist dringend notwendig,dass er sich davon befreit.An welcher Stelle soll man anfangen? Es ist natürlichvöllig klar, dass wir eine umfassende Steuerreform undauch eine Gemeindefinanzreform brauchen.
Dazu hat die FDP-Bundestagsfraktion ein ausgearbeite-tes Konzept vorgelegt. Damit würde die Grundlage dafürggtNtVkwcmvFtsSdSrnchVetwdtigfzbndbgbtaevrsdgrÖs
Sie schreiben in Ihrem Antrag sehr richtig, dass es nö-g ist, im Zusammenhang mit ÖPP-Modellen Erfahrun-en und Erkenntnisse zu sammeln und daraus Schluss-olgerungen zu ziehen, um auf diesem Gebiet erfolgreichu sein. Aber an all dem, was Sie sich selber verschrie-en haben, fehlt es. Den Antrag haben Sie im vergange-en Jahr eingebracht. Inzwischen hat uns alle das Maut-esaster – das kann man ja nur als „Desaster“ezeichnen – überrollt. Dies zeigt, dass es Ihnen nichtelungen ist, in diesen Bereichen Erkenntnisse zu erwer-en, Schlussfolgerungen zu ziehen und dies dann auchtsächlich umzusetzen.
Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen hingegeninen Antrag vor, in dem die vollständige Privatisierungor ein ÖPP-Modell gesetzt wird. Wir haben die Vor-angstellung der Privatisierung klar herausgestellt. Wiragen: Wenn trotzdem ÖPP-Projekte eingerichtet wer-en sollen, dann knüpfen wir das an bestimmte Bedin-ungen. Ich nenne ein paar: Zum einen sind parlamenta-ische Kontrollmöglichkeiten ganz wichtig, mit denenPP-Auswirkungen auf öffentliche Haushalte darge-tellt werden können.
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Gudrun Kopp
Zum anderen brauchen wir dringend eine Prüfung dergesetzlichen Regelungen, und zwar im Hinblick auf dieVerteilung des Risikos zwischen den Vertragsparteien,auf Haftungsfragen, Vergaben – das haben Sie selbereben angesprochen – und die Durchführung sowie Be-endigung von ÖPP-Projekten. Auch das sind wichtigeMerkmale, die berücksichtigt werden müssen.
Zum letzten muss man dafür sorgen, dass bei ÖPP-Vorhaben des Bundes auch mittelständische Unterneh-men und nicht immer nur Großunternehmen eineChance haben, im Zusammenhang mit solchen Projektenöffentlich-private Partnerschaften einzugehen. Das kannman zum Beispiel sehr gut mit Landestestaten machen,die schon sehr erfolgreich in einem Bundesland ausgege-ben wurden und die eine Firma unter zinsgünstigen Be-dingungen an Banken verkaufen kann. Unter solchenVoraussetzungen haben auch kleine und mittelständischeUnternehmen die Chance, hieran teilzunehmen.
Dies ist also sehr wichtig. Dies sind Voraussetzungen,die wir vorher festsetzen müssen.Das Beispiel England wurde sehr häufig genannt.Dazu sage ich Ihnen: Der britische Rechnungshof hatvor kurzem eine Evaluierung vorgenommen und mitge-teilt, dass 75 Prozent aller ÖPPs rechtzeitig und budget-gerecht fertig gestellt werden konnten und dass enormeKosteneinsparungen zu erzielen waren. Auch in Groß-britannien hat sich sehr viel zum Positiven entwickelt.
Privatisierungen sind also als vorrangig anzusehen;ÖPPs sind als Zwischenschritt durchaus akzeptabel. Ichglaube, wenn es gelingt, beides miteinander zu verbin-den, dann wird es auch gelingen, den Wirtschaftsstand-ort Deutschland zu revitalisieren. Ich bitte Sie: Überprü-fen Sie Ihren Antrag und stimmen Sie unseremletztendlich zu!Vielen Dank.
Der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt
hat jetzt das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner kurzen Aus-
führungen darauf hinweisen, dass ich glaube, dass es
nicht der Sache dient, wenn wir alle Probleme dieser
Welt in das Thema „öffentlich-private Partnerschaften“
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Das kann ich Ihnen gerne beantworten. Das triffteine tiefe Überzeugung.
ine solche Haltung wäre gegen das Haushaltsrecht ge-ichtet. Jeder, der über eine öffentliche Investition zuntscheiden hat, hat die Möglichkeit zu suchen, die fürie jeweilige Gebietskörperschaft die wirtschaftlicheste ist. Das kann eine private Lösung sein; das kannine öffentliche Lösung sein. Das kann aber auch – das
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffeltwollen wir ausdrücklich ergänzen – eine öffentlich-pri-vate Partnerschaft sein. Nur darum geht es.Ich bin dagegen zu präjudizieren. Ich bin sehr dafür,dass der öffentliche Sektor privatisiert. Der Bund tut dasin vielfältiger Weise. Beispielsweise haben wir Anteilean staatlichen Unternehmen an Private veräußert.
Wir müssen aber – ich sage es noch einmal – unser In-strumentarium erweitern.An dieser Stelle sei auf einige Maßnahmen verwie-sen, die wir eingeleitet haben. Wir haben im Fernstra-ßenbau einen ersten Schritt in diese Richtung unternom-men. Wir sind dabei, Konzepte abzustimmen, wieöffentlich-private Partnerschaften im Autobahnbau reali-siert werden können. Denken Sie an die Feste Warnow-querung, aber auch an den Landes- und den kommuna-len Bereich!Im Dialog mit Ländern und Gemeinden müssen wirdie zentrale Frage beantworten, wie wir öffentlich-pri-vate Partnerschaften hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeitmit anderen Lösungen vergleichen können. Ein Problemsind Ängste im Umgang mit solchen Neuerungen. Dawollen wir helfen. Wir haben gemeinsam mit den Ban-ken und der Bauwirtschaft ein Gutachten zum Thema„Public Private Partnership im öffentlichen Hochbau“ inAuftrag gegeben. Die Taskforce „Öffentlich-privatePartnerschaften“ bietet eine hervorragende Basis für einKompetenznetzwerk, das wir dringend benötigen.
Es geht darum, wie wir private Leistungsfähigkeitund private Qualitäten mit öffentlicher Leistungsfähig-keit und öffentlichen Qualitäten verbinden können, woes Sinn macht. Ich sage ganz ausdrücklich: Das ist keinModell, das jetzt zwingend für jedermann vorgeschrie-ben wird.Im Übrigen ist dieses Modell nicht aus der Not gebo-ren. Es ist der Versuch, verschiedene Denkweisen mit-einander zu verbinden: die notgedrungen kameralisti-sche Denkweise, die im öffentlichen Bereich herrscht,die betriebswirtschaftliche Denkweise; die öffentlicheVerantwortung auf der einen Seite und die technischeLeistungsfähigkeit, das Know-how auf der anderenSeite.Wir sollten nur jenen unsere ausdrückliche Unterstüt-zung zusagen, die sich auf den Weg gemacht haben. Esist unglaublich schwierig, bei der Gegenüberstellungjeweils die steuerliche und die finanzielle Seite zu be-trachten und in diesem Konstrukt noch die Wirkung vonprivater Finanzierung und Kommunalkrediten auseinan-der zu halten. Hinzu kommt – Sie wissen das alles –,dass auch der Wertverfall einer Investition vernünftig indie Kameralistik einzubauen ist, will man das Ganzevergleichbar machen.mKE–pl–SsEbgmwz––g–LtzuadssüdwPHvgbbniig
Ja, das kann ich auch – großes Latinum! Die Berlinerchule ist besser, als Sie glauben.An dieser Stelle will ich nur noch einmal ergänzendagen: Lassen Sie uns gemeinsam auf die Reise gehen.s macht überhaupt keinen Sinn, hier eine politische De-atte zu führen, die ideologisiert oder die parteipolitischeprägt ist. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Die Kom-unen und Länder, die von Ihren Parteifreunden regierterden, haben genau die gleichen Probleme wie die so-ialdemokratisch geführten.
Hören Sie doch bloß auf! Das glaubt ja niemand.
Ja, das können Sie vielleicht im Bierzelt erzählen. Hierlaubt Ihnen das keiner mehr.
Ja, Rot-Grün regiert seit fünf Jahren und wir haben dasand heruntergewirtschaftet. Sie sollten sich als gewähl-er Abgeordneter des Deutschen Bundestages eigentlichu schade dafür sein, sich auf einem solchen Niveau zunterhalten. Das könnten wir gegebenenfalls nämlichuch ganz gut.Ich wollte mich hier in der Sache mit Ihnen auseinan-er setzen. Bei diesem Tatbestand ist nämlich Gemein-amkeit angesagt. Eine Auseinandersetzung auf einerolchen Ebene könnte ohnehin keiner nachvollziehen,brigens, Herr Kollege Abgeordneter, auch jene nicht,ie aufseiten der Privatwirtschaft schon lange daraufarten, endlich auch Aufträge im Bereich von Publicrivate Partnership zu bekommen, weil die öffentlicheand in vielen Bereichen bisher darauf verzichtet, Pri-ate mit ins Boot zu nehmen. Deshalb ist ein vernünfti-es und nachvollziehbares PPP-Konzept, das auf einereite Basis gestellt wird, auch ein Konzept zur Ankur-elung der Konjunktur und zur Stabilisierung von Unter-ehmen in unserem Land. Vergessen Sie das bitte nicht!Die Unsicherheiten in vielen Kommunen, von denench sprach, können sicherlich beseitigt werden, wenn wirhnen in verstärktem Maße Leitlinien mit auf den Wegeben. Niemand in einer Stadt, einer Kommune oder
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelteinem Landkreis hat Lust, sich am Ende vom Rech-nungshof die Ohren lang ziehen zu lassen, weil er ausUnkenntnis oder zu großem Wagemut den einen oder an-deren Fehler gemacht hat. Auch davor sollten wir schüt-zen, um diese Wege zu öffnen.Ich sage noch einmal: Neben Privatisierung und öf-fentlicher Tätigkeit gehört dieses dritte Element drin-gend in unser Repertoire. Deshalb bitte ich Sie an dieserStelle um Zustimmung. Die Bundesregierung jedenfallsteilt den Tenor und den Inhalt dieses Antrages ganz aus-drücklich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alexander
Dobrindt.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Staatssekretär, Sie haben erwähnt, PPP sei eine Er-
gänzung und ein neues Instrument. Ich sage: Öffentlich-
private Partnerschaften sind – gar keine Frage! – aktive
Zukunftsmodelle für die Zusammenarbeit zwischen
öffentlicher Hand und privater Wirtschaft. Das bedeutet
aber, dass es im Besonderen unsere Aufgabe ist, sie wei-
terzuentwickeln, gebrauchsfähiger und effektiver zu ma-
chen. Dabei muss es hauptsächlich darum gehen, den
partnerschaftlichen Gedanken stärker herauszustellen,
als es bisher der Fall ist.
– Nicht so viele Vorschusslorbeeren, Herr Kollege!
Ein solches Leitmotiv der Zusammenarbeit zwischen öf-
fentlicher Hand und privater Wirtschaft bei der effizien-
ten Erbringung öffentlicher Dienstleistungen wollen
wir allgemein stärken und verbindlicher gestalten.
Im Ergebnis muss dabei immer ein Plus herauskom-
men. Das heißt, es muss erreicht werden, dass man ge-
meinsam zu einem besseren Ergebnis als allein kommt.
Das ist zwangsläufig nicht immer gegeben. Dafür gibt es
eine ganze Reihe von Beispielen; die Lkw-Maut wurde
bereits genannt. Ein solches Chaos bricht dann aus,
wenn keine echte Partnerschaft vorliegt, sondern wenn
sich der eine auf den anderen verlässt und wenn die Part-
ner – was im Zweifelsfall noch viel verheerender ist –
ihre gegenseitigen Kontrollpflichten nicht erfüllen. Ge-
rade diese Kontrollpflichten sind im Bereich der PPP
ausgesprochen wichtig. Interessanterweise ist es wohl
regelmäßig die öffentliche Hand, die nicht oder nur un-
zureichend kontrolliert und sich darauf verlässt, dass sie
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Doch, Sie müssten ihn vielleicht einmal lesen.
Öffentlich-private Partnerschaften können kein Stan-
ardinstrument sein, um die Finanznot der öffentlichen
aushalte zu bekämpfen. Dabei ist die Grundidee, die
ffentliche Hand und private Unternehmen miteinander
u verbinden – hier stimme ich Ihnen zu –, durchaus
ernünftig.
ie klare Devise muss lauten, dass jeder das macht, was
r am besten kann, dem anderen aber zwingend auf die
inger schaut, ob dieser auch wirklich sein Bestes tut
nd seine Möglichkeiten ausschöpft.
Herr Kollege, warten Sie doch einmal ab! Der Sinn
iner Rede besteht ja darin, ihr als Ganzes zuzuhören.
Meine Kollegen, ich bitte Sie: Lassen Sie uns diese
ebatte in Ruhe führen!
– Danke schön, Frau Präsidentin.
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Alexander DobrindtDer öffentliche Partner bestimmt die Aufgabe in demerforderlichen Umfang, der private Partner liefert dastechnische Know-how, das Management und die Umset-zungskraft. Beide teilen sich die Risiken und im Ergeb-nis verbuchen beide einen Vorteil. Doch leider ist das inder Praxis oft auch anders herum. Das Ganze bleibt oftTheorie. PPP bietet keine Garantie für das bessere Gelin-gen einer Aufgabe. Im Gegenteil, oftmals ist das Ganzezum Scheitern verurteilt.Ich kann Ihnen ein gutes Beispiel aus meiner Heimatnennen. Bereits 1992 wurde in meinem Landkreis imZusammenhang mit einem Abfallentsorgungszentrumeine PPP eingegangen. Der private Betreiber hatte alsAnlagenbauer 49 Prozent der GmbH inne, der Landkreis51 Prozent. Alle Aufgaben, die im Bereich der Abfall-wirtschaft anfielen, wurden über diese GmbH abgewi-ckelt. Das ist auch heute noch so. Das ist eine funktio-nierende Partnerschaft, die sich bewährt hat und diePartner in eine Win-win-Situation gebracht hat.Das ist ein schönes Modell, das zeigt, dass eine solcheKooperation in ihrer Reinform funktionieren kann. Al-lerdings muss der Wille beider Seiten vorhanden sein,den Einfluss des jeweils anderen zuzulassen und sichentsprechend in hohem Maße kontrollieren zu lassen.Eine Idealkonstellation lag im vorliegenden Fall deswe-gen vor, weil nicht der Finanzierungsgedanke im Vorder-grund stand, sondern die tiefe Überzeugung, dass die Be-teiligten sich gegenseitig unterstützen können und diekommunale Aufgabe effizienter und hochwertiger wahr-nehmen können.Inzwischen ist die Partnerschaft beendet. Auch das istgrundsätzlich nicht verkehrt: Es ist im Geiste von PPP,dass die Partnerschaften gelöst werden; in der Regel sindfeste Laufzeiten vereinbart. Auf jeden Fall sollte diePartnerschaft dann beendet werden, wenn eine Win-win-Situation eingetreten ist, aber nicht dann, wenn die Part-nerschaft kurz vor dem Scheitern steht, wie bei derMaut, wo der eine nur versucht, dem anderen die Kostenanzuhängen.PPP kann also eine riesige Chance bieten, wenn dasProjekt geeignet ist und die zukünftigen Partner richtigmotiviert sind. Um solche Konstellationen zu lokalisie-ren, ist es hilfreich, wenn sich eine Art Kultur von öf-fentlich-privaten Partnerschaften bildet; das sehe ichganz genauso, wie es sicherlich auch bei Ihnen gesehenwird. Eine solche Kultur lässt sich aber nicht staatlichverordnen: Weder bei der Ausbildungsplatzabgabe – wirhaben diese Diskussion heute geführt – noch hier wirdein solches Zusammenwirken von Staat und Wirtschaftfunktionieren.
Ich kann ja noch gut nachvollziehen, wenn man einenWirtschaftlichkeitsvergleichsmaßstab finden will, mitdem bei der Gegenüberstellung – Partnerschaftsangeboteauf der einen Seite, selbstständiges Durchführen derMaßnahme auf der anderen Seite – die Organisations-vorteile, Optimierungsmöglichkeiten, die Finanzierungund die steuerlichen Auswirkungen geprüft werden.AgvuBefnWvssssdBvtfhmpDfvs
Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-es für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/2663 zuem Antrag der Fraktionen der SPD und desündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Öffentlich-pri-ate Partnerschaften“. Der Ausschuss empfiehlt, den An-rag auf Drucksache 15/1400 anzunehmen. Wer stimmtür diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent-altungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-en der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Op-osition angenommen.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2601 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenDr. Andreas Pinkwart, Dr. Günter Rexrodt, OttoFricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Begrenzung, Befristung und degressiven Ge-
– Drucksache 15/2061 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Auswärtiger AusschussSportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und Medienb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBericht der Bundesregierung über die Entwick-lung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuer-vergünstigungen gemäß § 12 des Gesetzes zurFörderung der Stabilität und des Wachstums derWirtschaft vom 8. Juni 1967 für dieJahre 2001 bis 2004
– Drucksache 15/1635 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusNach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei dieFDP sechs Minuten erhalten soll. – Widerspruch höreich nicht. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller.K
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Der vorliegende Subventionsbericht um-fasst den Zeitraum der Jahre 2001 bis 2004 und belegt,dass wir beim Subventionsabbau erneut ein gutes Stückvorangekommen sind. Die Finanzhilfen des Bundes unddie Steuervergünstigungen sinken von 22,8 MilliardenEuro im Jahre 2001 auf 22,3 Milliarden Euro. Das ist einRückgang um 500 Millionen Euro oder 2,3 Prozent.Wenn man jetzt die Ausnahmeregelungen in der ökolo-gischen Steuerreform für die energieintensiven Betriebeaußen vor lässt, vermindern sich die Subventionen imgleichen Zeitraum sogar um mehr als 10 Prozent, näm-lich um 1,8 Milliarden Euro, auf nunmehr 16,7 Milliar-den Euro.Bei der Regierungsübernahme im Jahre 1998 hattenübrigens die Subventionen des Bundes noch ein Gesamt-volumen von 21,2 Milliarden Euro. Lässt man wiederumdie Ausnahmetatbestände bei der ökologischen Steuerre-form für energieintensive Betriebe außen vor, haben wireinen Abbau um mehr als 20 Prozent erreicht.Eindeutige Erfolge gibt es bei den Finanzhilfen. Siesinken um mehr als ein Viertel, nämlich um 2,5 Milliar-den Euro. Verglichen mit dem Zeitpunkt der Regierungs-übernahme im Jahr 1998 haben wir die Finanzhilfen so-gar um fast 40 Prozent reduziert. Mittlerweile ist ihrVrgdvsfzngZmKSdFRsdDimikrSkdcEdhksdhsndutdssk
Die Zielsetzungen der Bundesregierung für die zu-ünftige Subventionspolitik sind: erstens mehr Transpa-enz, zweitens ein höherer Rechtfertigungsdruck fürubventionen und drittens bessere Steuerungsmöglich-eiten. Wir haben dies in dem Kabinettsbeschluss zuem Ihnen vorliegenden Subventionsbericht entspre-hend fixiert. Ich nenne Ihnen die beiden wesentlichenckpunkte:Erstens. Im Rahmen des Haushaltsmoratoriums wer-en wir Subventionen grundsätzlich nur noch als Finanz-ilfen gewähren, also auf der Ausgabenseite; denn stär-er als Finanzhilfen haben Steuervergünstigungen, dieich auf der Einnahmenseite des Haushalts etatisieren,ie Eigenschaft, sich zu verfestigen, weil sie im Bundes-aushalt nicht mehr als Subventionen wahrnehmbarind. Sie werden bekanntlich auf der Einnahmenseiteicht gesondert erfasst und ausgewiesen. Finanzhilfenagegen sind auf der Ausgabenseite präzise nachzulesennd in jedem Jahr Gegenstand stundenlanger parlamen-arischer Beratungen im Haushaltsausschuss, wie mirer Kollege Fricke bestätigt.Zweitens. Wenn überhaupt Finanzhilfen, dann sollenie künftig nur noch gesetzlich befristet und grund-ätzlich degressiv ausgestaltet werden und eine Erfolgs-ontrolle ermöglichen.
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Parl. Staatssekretär Karl DillerDamit wirken wir der Gefahr einer strukturellen Verfes-tigung entgegen. Eine verstärkte Prioritätensetzung wirdübrigens sowohl für die Regierung als auch für das Par-lament unumgänglich.Ich bedanke mich für den Beifall der Kolleginnen undKollegen von der FDP für diesen Ansatz.
Zu Ihrem ebenfalls zur Debatte stehenden Gesetzentwurfmerke ich Folgendes an: Sie fordern mit diesem Gesetz-entwurf eine Kehrtwendung bei der Subventionsgewäh-rung. Meine sehr verehrten Damen und Herren von derFDP, offenbar plagt Sie das schlechte Gewissen. Dennder Anstieg des gesamten Subventionsvolumens, so, wieSie es im Antrag beschreiben – nämlich: Bund, Länder,Gemeinden, ERP-Sondervermögen und EU –,
erfolgte vor allem in der Zeit, in der Sie selber zusam-men mit der CDU/CSU in der Regierungsverantwortungwaren.
Wir dagegen haben seit 1998 längst die Kehrtwendeeingeleitet. Deswegen ist richtig: Wir müssen den Sub-ventionsabbau energisch fortsetzen und dürfen uns nichtmit dem Erreichten zufrieden geben. Denn schließlichleistet der Abbau überkommener Finanzhilfen und Steu-ervergünstigungen einen ganz entscheidenden Beitragzur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vonBund, Ländern und Gemeinden. Ich begrüße deshalbganz ausdrücklich, dass die Kolleginnen und Kollegender FDP mit ihrem Gesetzentwurf die geschilderten Sub-ventionsgrundsätze der Bundesregierung nicht nur unter-stützen, sondern hier auch mit Beifall begleitet haben.
Nicht folgen kann ich allerdings – jetzt kommt dasAber, auf das Sie gewartet haben –
Ihrem Vorschlag, eine entsprechende gesetzliche Regelungzu treffen und diese auch noch in ein zustimmungs-pflichtiges Gesetz aufzunehmen, nämlich in das Haus-haltsgrundsätzegesetz. Warum? Die geforderte Ergänzungdes Haushaltsgrundsätzegesetzes ist nicht zielführendund auch rechtssystematisch bedenklich. Denn es legtallgemeine Grundsätze für das Haushaltsrecht des Bun-des und aller Länder fest.
Die Umsetzung der Grundsätze der Subventionspoli-tik ist aber kein Haushaltsrechtsproblem, sondern in ers-ter Linie eine finanzpolitische Zielsetzung, der wir unsverpflichtet fühlen. Die Bundesregierung wird die vomKabinett beschlossenen Grundsätze umsetzen. Es machtaus unserer Sicht keinen Sinn, meine Damen und Herrenvon der Opposition, Ihrem Vorschlag zu folgen und einlangwieriges Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, umdzzBsuaSSbLtmherBeSefotHvnscSnnNdtlFrAnknw
u erleben, wie diese Grundsätze von der Opposition viaundesrat und dortiger Mehrheit nicht nur verwässert,ondern am Schluss sogar ganz verworfen werden.Deswegen bleiben wir bei unserer Linie, bedankenns aber am Schluss noch einmal ausdrücklich für Ihrensonsten bekundete Sympathie und Unterstützung.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg
chirmbeck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herrtaatssekretär Diller, meine persönliche Sympathie ha-en Sie auch. Aber im Übrigen: So ist das eben. Dieeute sagen, Bürokratie sei etwas Schlimmes, Bürokra-ie müsse man eigentlich ganz abschaffen. Doch wennan dann an der einen oder anderen Stelle in einer Be-örde nur wenige Planstellen einsparen will, dann gehts gerade dort nicht. Es gibt auch den einen oder ande-en, der sagt: Kannst du mich, meinen Sohn oder einenekannten nicht noch dort unterbringen, es ist doch fürinen guten Zweck.Mit den Finanzhilfen, mit den Subventionen undteuervergünstigungen ist es so eine Sache: Generell ists Teufelswerk, es sei denn, ich profitiere davon. Ichinde es sehr sympathisch, dass die FDP dies zum Tages-rdnungspunkt erhoben hat. Aber nachdem ich den An-rag gelesen hatte, hatte ich eine Presseerklärung in derand, in der ein Vertreter der FDP schreibt: Die Steuer-ergünstigungen bei den Lebensversicherungen solltenatürlich erhalten bleiben. – Ich finde auch das sehrympathisch, weil nämlich auch ich eine Lebensversi-herung habe. Daher fände ich es ebenfalls gut, wenn dieteuerbefreiung erhalten bliebe. Es geht also immerach dem Motto: Wasch mir den Pelz, mach mich nichtass.Wenn man dann noch berücksichtigt, dass wir in einereid- und Missgunstgesellschaft leben, dann weiß man,ass es bei diesen Themen eine Menge Verhetzungspo-enzial gibt. Jeder hat seine Themen, die er besondersiebt. Deshalb vergeht kein Parteitag, auf dem nicht dieorderung nach einer Steuerreform erhoben wird. Ge-ade hieß es in einem Zwischenruf, der März sei vorbei.ber Steuerreformen sind – da sind wir uns wohl einig –ach wie vor notwendig. Die SPD besetzt in dieser Dis-ussion Themen wie Nachtarbeitszuschläge und Entfer-ungspauschale. Das ist natürlich schon Teufelswerk,enn man nur über den Abbau entsprechender Vergüns-
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Georg Schirmbecktigungen spricht, geschweige denn eine solche Entschei-dung trifft. Bei den Kohlesubventionen hingegen kommtes auf eine Milliarde gar nicht an, weil es ja sein könnte,dass irgendwann – das hat man gehört – Kommunalwah-len in Nordrhein-Westfalen stattfinden.
Auch wenn es ums EEG geht, spielt ein solches Denkenüberhaupt keine Rolle. Man hat ein bestimmtes Klientel,welches bedient werden muss.Man kann sich natürlich auch über andere Themenunterhalten, zum Beispiel über den Agrardiesel, die Ei-genheimzulage oder die Wohnungsbauprämie. Hierkann, wenn es nach Ihnen geht, gar nicht tief genug ein-geschnitten werden. Wir müssen uns ehrlicherweise zu-gestehen, dass – wählerklientelscharf – jeder seine Lieb-lingsthemen hat. Bei den anderen kann gar nicht tiefgenug eingeschnitten werden. Einschnitte bei den eige-nen Themen aber sind Teufelswerk.Nun haben Sie – Sie haben es angesprochen – diesesdicke Werk herausgegeben, den 19. Subventionsbericht.Dort steht in der Tat – vom Kabinett so beschlossen –folgender Satz, den ich zitiere:Darüber hinaus sollen neue und bestehende Finanz-hilfen nur noch gesetzlich befristet und grundsätz-lich degressiv ausgestaltet werden.
– Man könnte zumindest unterstellen – die Sympathienzwischen Ihnen waren ja sehr ausgeprägt –, dass daswörtlich vom FDP-Antrag abgeschrieben wurde
und dass die FDP und die Regierung offensichtlichdas Gleiche wollen.Ich habe in diesem großen Werk einmal ein wenig ge-blättert und festgestellt, dass die darin enthaltenen Zah-len dem Entwurf des Haushaltsplans und dem Entwurfdes Nachtragshaushaltsplans entstammen. Sie haben hierbesonders betont – das habe ich mir mitgeschrieben –,dass Sie „erneut ein gutes Stück vorangekommen“ seien.
Legen Sie doch bitte einmal auf der Grundlage des be-schlossenen Haushaltsplans dar, wie weit Sie wirklichvorangekommen sind! Sie können das Ergebnis ja viel-leicht schriftlich nachreichen – sozusagen im vorausei-lenden Gehorsam –; ansonsten können wir das auch imHaushaltsausschuss beantragen.
– Ja, die wirklich interessanten Zahlen, auf die es an-kommt, liefert erst die Jahresrechnung. Man kann sagen,dass es ein unwahrscheinliches Fleißwerk und einWcnWwWdgwlmehsDwnfZmwiJgLWlsWSSsekEDJeggfdRdhuwrmdz
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Ich werde auf das Koch/Steinbrück-Papier noch einge-en. Das hat Herr Schirmbeck in der Tat beispielhaft vo-angestellt.
Ich denke, der konsequente Abbau von Subven-ionen gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer zu-unftsorientierten Finanzpolitik, so wie es in der Pro-lembeschreibung des FDP-Gesetzentwurfs aufgeführtst. Ich bin froh, dass Sie in Ihren Ausführungen und inhrer Begründung auch auf die dringend notwendigeonsolidierung zu sprechen kommen. Ich erinnere mich,ass wir während des letzten Jahres häufiger über deneil des Subventionsabbaus diskutiert haben, der sichit Steuervergünstigungen beschäftigt. Dabei ist mir fastmmer das Argument begegnet: Die Regierung verfährtach dem Prinzip linke Tasche, rechte Tasche.
Dieses Argument ist nicht zielführend, Herr Fromme. –ielleicht können wir uns darauf einigen, dass man beimteuervergünstigungsabbau bestimmten Leuten – es ist der Regel immer nur eine Gruppe – tatsächlich etwasegnimmt. Dabei darf bei der Senkung von Steuersät-en, für die eine Steuervergünstigung gestrichen wird,icht sofort der Vorwurf von dem Prinzip linke Tasche,echte Tasche kommen. Ich halte mich an Ihre Worte,ass Sie beides wollen. Ich weiß, dass Sie mit Ihrenteuerreformkonzepten – da sind wir im Grundsatzinig – eine Vereinfachung wollen, eine Tarifsenkung innterschiedlichem Ausmaß anstreben, es aber auch rich-g finden, dass zukünftig der Haushalt der öffentlichenebietskörperschaften zu konsolidieren ist, auch mitiesem Instrument.Ich begrüße es und finde es angemessen und richtig,ass Herr Diller darauf hingewiesen hat, dass die rot-rüne Regierung in diesem Fall durch die Opposition zuenig Unterstützung erfahren hat. Nun könnte man sa-en: Da wir die Mehrheit haben, sollten wir das verant-ortlich tragen. Sie wissen aber genau, dass wir in demereich, in dem es um den Abbau von steuerlichen Ver-ünstigungen geht, auf die Zustimmung des Bundesratesngewiesen sind.In diesem Zusammenhang muss ich sagen, dass esicht nur ärgerlich, sondern auch höchst unehrlich war,ie dort nach einem allgemeinen Subventionsabbau ge-ufen wurde. Ich finde es bezeichnend, dass es uns beien Finanzhilfen gelingt, einen wirklichen Subven-ionsabbau von bis zu 26 Prozent nachweisen zu können,en gesamten Abbau von Steuersubventionen aber des-egen nicht hinbekommen, weil es immer wieder Brem-en bei den Steuervergünstigungen gibt.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9263
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Anja HajdukDeswegen will ich auf die Anregung in Ihrem Gesetz-entwurf eingehen – ich finde sie gut –, dass wir uns beiden Subventionen ausschließlich auf die Finanzhilfenkonzentrieren sollten. Das ist eine gute Idee, wenn auchder Umbau schwierig sein wird. Ich hoffe, dass dieUnion an dieser Stelle nicht blockiert. Sie von der Unionkönnten das, aber ich hoffe, Sie tun es nicht.
Ich möchte auf das Argument eingehen, die Vor-schläge von Koch und Steinbrück seien das einzigSinnvolle, das man machen könnte. Unter dem pragmati-schen Gesichtspunkt, dass sich zwei Ministerpräsiden-ten, einer von der SPD, einer von der CDU, geeinigt ha-ben, habe ich im letzten Herbst gesagt: Bevor wir nichtszustande bekommen, lasst uns das machen! – Sie habenaber wahrscheinlich auch den Bericht des Sachverständi-genrates gelesen. Danach sollte sich eine Subvention imPrinzip argumentativ rechtfertigen. Sie sollte gezielt undeffizient sein. Dazu passt das Rasenmäherprinzip nicht.Ich glaube, wir müssen konsequenter an bestimmteSubventionen herangehen. Eine Kürzung in 4-Prozent-Schritten genügt nicht. Ein Argument war, dass sich dieLeute auf die Kürzungen einstellen sollen. Wenn wir dieEigenheimzulage komplett abschaffen, dann soll sie soauslaufen, dass irgendwann keine neuen Anträge mehrgestellt werden können. Das ist berechenbar, und es gibteine Zeitschiene, auf die sich jeder einstellen kann. Ge-ben Sie Ihrem Herzen einen Stoß! Machen Sie an dieserStelle mit! Das ist letztlich nichts anderes als degressi-ver Subventionsabbau. Wenigstens die FDP hat heuteFarbe bekannt. Ich hoffe, dass sie mit dieser Festlegungihre Verantwortung in den Bundesländern wahrnimmt.
– Wenn man das Geld für eine andere Subvention einset-zen würde, dann wäre das sehr seltsam.Das bringt mich zu meinem letzten Punkt, den ich an-sprechen möchte. Wir werden diesen Gesetzentwurf inverschiedenen Ausschüssen beraten, mit Sicherheit auchausführlich im Haushaltsausschuss. Eine interessanteFrage wird sein, wie wir Subventionen definieren. Siebieten pragmatisch die Definition an, die die Regierungihrem Bericht zugrunde legt. Ich glaube, dass es richtigund sinnvoll ist, sich darüber zu verständigen, was eineSubvention ist. Der etwas unsystematischen Liste vonKoch/Steinbrück, die auch ihre Ausnahmen hat – dasmuss ehrlicherweise gesagt werden; da sind wegen Kli-entelinteressen bestimmte Dinge herausgenommen wor-den –, sollten wir uns widmen.Ich freue mich auf die Beratungen, denn ich halte an-gesichts der sehr schwierigen Situation der öffentlichenHaushalte eine Offensive für notwendig. Ob wir dannbei einer gesetzlichen Regelung landen, wie Sie von derFDP sie vorschlagen, werden wir sehen. Dazu hat HerrDiller einige bedenkenswerte kritische Anmerkungengemacht. Wir werden uns unser eigenes Urteil bilden.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.HFGzetrfzIgt–tefsdtdsSeklewsfDssstdm1Mkusdll
Das Wort hat der Abgeordnete Andreas Pinkwart.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Zunächst einmal bedanke ich mich für die FDP-raktion bei Herrn Diller und Frau Hajduk für die vomrundansatz her sehr freundlichen Worte, wenngleichumindest Sie, Herr Diller, zurückhaltender waren undiner gesetzlichen Regelung des konsequenten Subven-ionsabbaus noch nicht so recht folgen wollten.Sie verweisen auf die Absichtserklärung der Bundes-egierung, Herr Diller, Subventionen künftig zeitlich be-risten und degressiv ausgestalten zu wollen. Das istwar sehr ehrenwert, aber tatsächlich verstoßen Sie inhrer Verantwortung als Mitglied der Bundesregierungegen diese Absichtserklärung. Denn in dem Subven-ionsbericht, der uns in umfangreicher Form vorliegtes gibt so viele Subventionen, dass wir mit den Berich-en darüber ganze Bücherschränke füllen könnten –, gibts die Spalte „Befristung“, in der nahezu alle Finanzhil-en, die darin erfasst sind, als unbefristet ausgewiesenind. Insofern gibt es eine Menge zu tun, Herr Diller.
Deshalb reicht es mir nicht, dass der Bundeskanzler iner vorigen Woche hier feststellte, jetzt müsse etwas ge-an werden – und zwar nicht nur zur Haushaltskonsoli-ierung, sondern um im Haushalt andere Prioritäten zuetzen, was Sie schon längst hätten tun müssen, um dentandort Deutschland nach vorne zu bringen –, und aufine einzige Subvention verwies. Nach der Absichtser-lärung der Bundesregierung hätte er vielmehr feststel-en müssen, dass die Bundesregierung ihre bisher nichtrledigten Hausaufgaben noch erledigen muss – ich ver-eise auf den Subventionsbericht – und dass bis 2010ystematisch alle Steuervergünstigungen und Finanzhil-en abgebaut werden müssen.
as wäre eine klare Ansage des Bundeskanzlers gewe-en. Eine solche Agenda 2010 wäre glaubwürdig gewe-en.Denn wenn wir so mutig wären, zu sagen: „Wir müs-en den rund 60-Milliarden-Euro-Ballast an Altsubven-ionen abbauen“ – Frau Hajduk hat darauf hingewiesen,ass dies dem engeren Subventionsbegriff entspricht;an kann ihn auch weiter fassen und kommt dann auf50 Milliarden Euro –, dann hätte der Staat endlich dieöglichkeit, die Haushalte zu konsolidieren, Steuersen-ungen vorzunehmen, das Steuersystem zu vereinfachennd neue Prioritäten in den öffentlichen Haushalten zuetzen. Dazu haben wir aber vom Bundeskanzler und iner heutigen Debatte von Ihnen, Herr Diller, wie aucheider von den Koalitionsfraktionen nichts Substanziel-es gehört.
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9264 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Dr. Andreas PinkwartInsofern freuen wir uns darüber, dass wir uns gemein-sam über eine gesetzliche Normierung austauschen kön-nen, die Bund und Länder bindet. Das ist notwendig;denn die Länder gewähren ihrerseits Finanzhilfen undbeteiligen sich an der gesetzlichen Verankerung vonSteuervergünstigungen. Insofern halten wir es für erfor-derlich, dass wir parallel zu unseren Bemühungen hierauch zu einer solchen gesetzlichen Regelung kommen.Es nützt nichts, Herr Schirmbeck, uns gegenseitigVersäumnisse aus der Vergangenheit vorzuhalten, auchwenn wir das ausufernd tun könnten.
– Auch aus der jüngsten Vergangenheit, Frau Hajduk.Das ist auch Ihre Vergangenheit; denn Sie haben bei derjüngsten namentlichen Abstimmung über die Steinkoh-lesubventionierung bis 2012 zugestimmt. Das müssenSie sich leider vorhalten lassen.
Sie haben auch in Nordrhein-Westfalen der weiterenSteinkohlesubventionierung zugestimmt.Wir könnten die Liste noch verlängern. Aber das hilftuns nicht weiter. Wir müssen vielmehr feststellen, ob wires wirklich ernst meinen. Dann müssen wir die Spielre-geln, nach denen wir die Haushalte aufstellen, die Steu-ergesetze gestalten und Finanzhilfen gewähren, neu be-stimmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Spiller?
Sehr gerne.
Vielen Dank, Herr Kollege Pinkwart. – Können Sie
dem Haus vor diesem Hintergrund schildern, wie sich
die FDP bei dem Vorhaben, die Subvention Eigenheim-
zulage abzubauen, verhalten hat?
Das kann ich Ihnen sehr gerne schildern, Herr Kol-
lege Spiller. Aus den Koch/Steinbrück-Vorschlägen ist
für 2004 ein Einsparvolumen von insgesamt 2,4 Milliar-
den Euro herausgekommen, und zwar bezogen auf die
von Ihnen vorgelegte Gesamtsumme von 127,3 Milliar-
den Euro. Ein maßgeblicher Anteil dieser 2,4 Milliarden
Euro ist allein auf die Kürzung der Eigenheimzulage
um 30 Prozent in 2004 zurückzuführen. Das ist der
größte Beitrag gewesen,
der insgesamt mit dem Koch/Steinbrück-Papier und den
Anstrengungen im Vermittlungsausschuss erreicht wor-
den ist.
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Frau Hajduk, diese Zahlen können Sie eigentlich nicht
n Zweifel ziehen; denn sie sind das Ergebnis der Ver-
andlungen im Vermittlungsausschuss.
Herr Spiller, wir wollen – das beinhaltet der von uns
orgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Steuerreform –
teuervergünstigungen wie die Eigenheimzulage syste-
atisch abbauen, aber nach der Maßgabe – das möchte
ch betonen –, dass die Steuersätze in unserem Land wei-
er gesenkt werden und dass das Steuerrecht endlich ver-
infacht wird.
ber auch davor drücken Sie sich in Wahrheit. Der Bun-
esfinanzminister hat uns jetzt mitgeteilt, eine Zinsab-
eltungsteuer – sie wäre ein weiterer Beitrag zur Verein-
achung in unserem Land – sei nicht möglich, weil der
renzsteuersatz für Unternehmen nach seiner Reform
eiterhin 52 Prozent betragen werde. Aber dieser Steu-
rsatz ist international längst nicht mehr konkurrenzfä-
ig.
Sie müssen einen Beitrag dazu leisten, dass der Stand-
rt Deutschland attraktiver wird und dass mehr Wachs-
um, Beschäftigung und Wohlstand entstehen. Dann
önnen wir trotz niedriger Steuersätze mehr Steuerein-
ahmen für die öffentlichen Haushalte generieren und in
ukunft auf Finanzhilfen zur Unterstützung Not leiden-
er Branchen verzichten. Das ist die Politik, für die die
DP-Fraktion in diesem Hause steht.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carsten
chneider.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ls der Entwurf eines Gesetzes der FDP zum Subven-ionsabbau auf meinem Tisch lag, musste ich ein biss-hen schmunzeln, Herr Pinkwart. Ich erinnere mich nochehr genau, wo wir Ende vergangenen Jahres standen,ls wir den Haushalt 2004 beraten und verabschiedet ha-en und mit dem Haushaltsbegleitgesetz in vielen Berei-hen, auch und gerade beim Abbau von Subventionen,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9265
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Carsten Schneidermaßgebliche Veränderungen auf den Weg gebracht ha-ben.Wir haben dann – federführend war der Haushaltsaus-schuss – eine Anhörung durchgeführt. Da ich damalsdie ganze Zeit dabei gewesen bin, erinnere ich michnoch sehr genau an die Fragen, die vonseiten der FDPgestellt worden sind. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sichnoch so genau daran erinnern. – Wie ich sehe, ist IhrKollege Thiele nicht anwesend. Das wundert mich beidiesem Thema nicht. – Auf jeden Fall war es der KollegeThiele, der in der damaligen Anhörung an jeden einzel-nen Interessenverband – seien es die Vertreter des Deut-schen Bauernverbandes, der Bausparkassen oder diejeni-gen gewesen, die sich eine Verbesserung derFamilienförderung zum Ziel gesetzt haben – die Fragegerichtet hat, inwieweit denn die Abschaffung der Ei-genheimzulage – das Volumen dieser größten im Sub-ventionsbericht ausgewiesenen Subvention betrug da-mals noch 10 Milliarden Euro – negative Auswirkungenhaben werde. Dabei hatte seine Frage gleich die Antwortimpliziert, dass sich die Abschaffung dieser Subventionnegativ auswirken wird. Das ist für mich keine wirklichkonsequente Position. Daher kann ich Ihrem heutigenEntwurf eines Subventionsbegrenzungsgesetzes nichtzustimmen.
Zwar befürworte ich ihn grundsätzlich. Aber ich sehe beiIhnen keine Einheit von Wort und Tat. Sowohl Ihr Ver-halten bei der Abstimmung über das Haushaltsbegleitge-setz im Bundestag als auch das, was in den Ländern ge-schieht, in denen Sie Regierungsverantwortung tragen,sprechen eine andere Sprache. Das ist leider so.
Ich hätte mir gewünscht, dass die FDP, die eine langeTradition hat und die eine wichtige Kraft im deutschenParteiensystem ist,
an dieser Stelle konsequenter gewesen wäre. Ich möchtezwar nicht zu weit in die Zukunft schauen. Wenn Sieaber so weitermachen und weiter so inkonsequent sind,dann wird es das für Sie gewesen sein. Das konnte manschon bei der Hamburgwahl sehen.Ich möchte noch einige allgemeine Punkte betreffendden Subventionsabbau ansprechen. Ich glaube, dass wiralle in gewisser Weise in einem Boot sitzen – darauf hatder Kollege Schirmbeck bereits hingewiesen –, und zwarsowohl im Hinblick auf die Verteilung als auch im Hin-blick auf die Mindereinnahmen in den Haushalten vonBund, Ländern und Kommunen. Es ist schwierig, sichgegen eine Interessengruppe, die zur eigenen Wählerkli-entel gehört – wir alle vertreten Interessengruppen; ichnehme die SPD da nicht aus –, durchzusetzen. Daher wares zum Beispiel eine große Leistung der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen, sich dazu durchzuringen, dieEs–zsfRde–iddgBIrssezsfheBrSsgsshoib–enzzdfzmL
Ich komme noch darauf zu sprechen. Man sollte sichunächst einmal die größte Subvention vornehmen; manollte sie nicht nur infrage stellen, sondern auch abschaf-en.Subventionen führen immer zu Fehlallokationen vonessourcen. Sie verzerren Marktergebnisse und behin-ern einen schnelleren Strukturwandel. Die Abschaffunginer Subvention oder ihre degressive Ausgestaltungda haben wir sicherlich noch Nachholbedarf – führtmmer zu einem Konflikt mit Interessengruppen und miter Gesellschaft.Einer der Hauptgründe dafür, dass es uns weder inen Ländern noch im Bund gelingt, konsequenter vorzu-ehen, ist der Aufbau des föderalen Systems in derundesrepublik.
ch hoffe, dass es auf der Grundlage der Arbeit der Föde-alismuskommission gelingt – entsprechende Ansätzeind vorhanden –, für eine stärkere Entflechtung der Zu-timmungsbefugnisse zu sorgen. Wenn es im Bundestagine Mehrheit für einen Gesetzentwurf, zum Beispielum Subventionsabbau, gibt, dann darf es nicht mehr soein, dass dem entgegenstehende Länderinteressen dazuühren, das sein In-Kraft-Treten über den Bundesrat ver-indert werden kann. Man sollte dies anders handhaben,gal welche Farbe die Mehrheit im Bundesrat oder imundestag hat und egal welche Partei die Bundesregie-ung stellt. Ich glaube, dass eine Entflechtung an diesertelle sowohl im Hinblick auf die Transparenz des politi-chen Systems als auch im Hinblick auf eine ordnungs-emäße Haushaltsführung unabdingbar ist.
Ich möchte noch auf das Koch/Steinbrück-Papier zuprechen kommen. Es hat in dieser Woche eine ganz be-ondere Rolle gespielt. Die beiden Ministerpräsidentenaben in einem Brief an die Haushälter – ich weiß nicht,b Sie alle ihn bekommen haben – kritisiert, dass wirhre Vorschläge, zum Beispiel was den Bereich Straßen-au betrifft, nicht umgesetzt haben.Das Zustandekommen des Koch/Steinbrück-Papierswir haben es in die Beratungen des Haushalts 2004ingebunden und wir haben es umgesetzt – war von ei-er besonderen öffentlichen Aufmerksamkeit gekenn-eichnet. Diesem Papier liegt das Rasenmäherprinzipugrunde. Ich glaube, es ist wirklich nicht erklärlich,ass zum Beispiel in den Bereich Schiene Subventionenließen sollten, weil die Bahn Eigentümer des Bahnnet-es ist, und in den Bereich Straße nicht. Man hat ge-erkt, dass Landesbeamte in Landesministerien dieiste erstellt haben.
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9266 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Carsten Schneider
– Ja, vor allen Dingen Beamte in den unionsgeführtenLändern.Uns hat der politische Mut gefehlt, gezielte Ein-schnitte vorzusehen und nicht nach dem Rasenmäher-prinzip vorzugehen. Ich will ganz klar sagen: JedeSubvention hat positive wie negative Folgen. Zueinigen Subventionen würde ich sagen: Sie erzielen eineWirkung, die wir politisch wollen. Daher bin ich – umdas ganz klar und deutlich zu sagen – für mutige politi-sche Entscheidungen und nicht für ein Vorgehen nachdem Rasenmäherprinzip.
Ich hoffe – das sage ich in Richtung CDU/CSU-Frak-tion –, dass es uns in den Fraktionen gelingt – ich be-ziehe mich dabei zumindest auf die SPD-Fraktion –, beider Aufstellung des Haushalts 2005, die schwierig genugsein wird, das Maastricht-Kriterium einzuhalten,Schwerpunkte auf den Gebieten Bildung und Forschungzu setzen und Subventionen gezielt abzubauen.
Herr Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Professor Pinkwart?
Gern.
Herr Pinkwart, bitte schön.
Herr Schneider, Sie haben soeben ausgeführt, dass Sie
gegen das Rasenmäherprinzip sind und offensichtlich
nur noch punktuell eingreifen wollen, da Sie davon aus-
gehen, dass gewisse Subventionen von dauerhaftem
Nutzen seien. Befinden Sie sich damit möglicherweise
in einem Widerspruch zu der hier von der Bundesregie-
rung vorgetragenen Haltung? Denn die Bundesregierung
hat in ihrem 19. Subventionsbericht zum Ausdruck ge-
bracht, dass sie Subventionen – zumindest künftig – nur
noch zeitlich befristet und degressiv ausgestalten will.
Herr Professor Pinkwart, darauf antworte ich sehrgerne. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ichdie Schnitthöhe des Rasenmähers unterschiedlich ein-stellen würde. Bei manchen Subventionen würde icheine stärkere Abschmelzung vornehmen – wir sind derHaushaltsgesetzgeber; wir haben diese Entscheidung zutreffen, dafür sind wir gewählt, dafür haben wir die Ver-antwortung – und bei manchen würde ich nicht so starkansetzen, etwa da, wo Umstrukturierungsprozesse statt-finden. Sie haben vorhin das EEG genannt, das hier nichtdirekt vorkommt. Es ist politisch gewollt, regenerativeEnergien stärker zu fördern. Wir müssen also sehen, obuns das gelingt. Ich halte es auch für ein Zeichen despdfsrdHgmHgHreSdnttbhbdpfkkFtddhhidSzvenz–glhfkr
Ich würde gern noch einmal zum 19. Subventionsbe-icht zurückkommen. Was Ihren Entwurf zur Änderunges Haushaltsgrundsätzegesetzes angeht, so teile ich diealtung der Bundesregierung, nach der eine solche Re-elung nicht in das Haushaltsgrundsätzegesetz übernom-en werden sollte; denn dieses regelt die Grundsätze desaushaltsrechts, aber nicht finanzpolitische Zielsetzun-en. Finanzpolitische Zielsetzungen kann der jeweiligeaushaltsgesetzgeber in jedem Jahr festlegen.Ich begrüße die Neuerung sehr, die die Bundesregie-ung beschlossen hat und die sich auch in Ihrem Gesetz-ntwurf inhaltlich wiederfindet. Grundsätzlich werdenubventionen nur noch als Finanzhilfen gewährt undamit klar sichtbar im Haushalt ausgewiesen. Das gehticht mehr über Steuervergünstigungen, die nicht soransparent sind und auch nicht derselben Verteilung un-erliegen wie Ausgaben, die im Rahmen der Haushalts-eratungen jeweils beschlossen werden müssen. Ichalte es für richtig, dass diese Finanzhilfen gesetzlichefristet und grundsätzlich degressiv ausgestaltet wer-en.Man muss auch überlegen – das ist zumindest meineersönliche Einschätzung –, ob man an bestehende Hil-en herangeht. Sie haben das vorhin aufgezeigt. Dasönnte ein Weg sein; darüber müssen wir befinden. Dazuann ich aber noch keine abschließende Meinung derraktion sagen.Die Frage ist auch, ob wir bestehende Steuervergüns-igungen in Finanzhilfen überführen können. Ich würdeies sehr begrüßen, weil es letztlich dazu führen würde,ass wir in jedem Jahr bei den parlamentarischen Haus-altsberatungen – das Budgetrecht ist nun einmal dasöchste Recht des Parlaments – tatsächlich überprüfen,nwieweit die Hilfen sinnvoll sind.Dazu noch eine Anmerkung. Ich glaube, dass auchas Haushaltsrecht geändert werden muss. Wir müssenteuerungsinstrumente bekommen, die es uns erlauben,u erkennen: Wie sinnvoll ist die eine oder andere Sub-ention? Welche Ziele erreichen wir? Wir können jetztigentlich nur noch Soll- und Istzahlen feststellen, abericht, ob die Hilfen tatsächlich sinnvoll sind.Ich halte also eine Änderung des Haushaltsgrundsät-egesetzes für notwendig. Wir haben dieses Gesetz 1997 da war ich noch nicht dabei – geändert und für die Re-ierung eine hohe Flexibilität geschaffen. Diese Flexibi-ität ist grundsätzlich zu begrüßen, aber das Parlamentat Steuerungsinstrumente aus der Hand gegeben. Ichür meinen Teil finde, dass wir diese wieder zurückbe-ommen müssten, dass wir praktisch wie ein Aufsichts-at Controllinginstrumente haben müssten.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9267
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Das Wort hat jetzt der Kollege Jochen-Konrad
Fromme von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Schneider, wenn Sie die Rolle des Bundes-rats beklagen, dann sollten Sie einmal einen Blick zu-rück werfen. Wenn Sie damals den Petersberger Be-schlüssen zugestimmt hätten, hätten Sie den größtenSubventionsabbau in der Geschichte erreicht – da sehenSie, welchen Mut wir in dieser Frage hatten –;
das müssen Sie sich heute vorhalten lassen.
Der FDP-Gesetzentwurf ist auf den ersten Blick sym-pathisch. Mit drei Paragraphen sozusagen das ganze Pro-blem zu lösen klingt gut, aber der Antrag ist eben FDP:faszinierend, doch problematisch.
Er ist ein guter Denkanstoß, aber im Detail ist es dochein wenig schwieriger.Was sind denn Subventionen? Ist die Kilometerpau-schale eine Subvention oder nur Ausfluss des Nettoprin-zips? So wie sie jetzt ist, ist sie als Gegenleistung für dieÖkosteuer überhöht und mit Sicherheit eine Subvention.Aber im Kern steht nach meiner Auffassung das Netto-prinzip dahinter.Wie ist es denn mit den Zuweisungen für den Straßen-bau oder für den Schienenbau?
Nur deshalb, weil das jetzt über die Bahn abgewickeltwird, steht es als Zuwendung im Haushalt. Aber es istdoch eine Infrastrukturmaßnahme und bleibt eine öffent-liche Aufgabe.An die Adresse der SPD: Wie ist es mit der Steuer-freiheit für Nacht- und Feiertagszuschläge? Da habenSie sich ja geziert. Das ist eine Subvention und nichtsanderes.Herr Kollege Diller, wenn Sie sich hier mit einemgroßen Zahlenwerk hinstellen und ausführen, wie erfolg-reich Sie waren, dann muss ich doch sagen: Zählen Sieeinmal die Finanzhilfen, die Subventionen und die Steu-erbefreiungen zusammen, dann sehen Sie, dass geradedas, wovon Sie gesprochen haben, nicht erreicht wordenist. Wenn ich einmal die Zahlen des Instituts für Wirt-schaft zugrunde lege, hatten wir 1998 59 MilliardenEuro, im Jahre 2003 waren es wieder 58,6 MilliardenEuro. Wir haben das Ziel noch nicht erreicht. Der Sub-ventionsbericht ist nicht umsonst 24 Seiten dicker ge-wnhSdhwgrdknpicsishHBdgkisdb–eShnWsSdflifSstidseBnWddd
Das macht nichts, es bleibt trotzdem wahr. Wenn Sieinen solchen Zwischenruf machen, beweist das, dassie sich getroffen fühlen. Das zeigt mir, dass ich Rechtabe.Verbreiten Sie doch nicht die Legende, die Union seiicht zum Subventionsabbau bereit. Ich habe es gesagt:ir haben mit den Petersberger Beschlüssen den umfas-endsten Vorschlag vorgelegt. Sie haben ihn blockiert.ie hätten es natürlich gerne gehabt, dass wir im Zugees Haushaltsbegleitgesetzes viele Subventionen geop-ert hätten, in den Orkus Ihrer chaotischen Haushaltspo-tik geworfen hätten, um Ihnen aus der Patsche zu hel-en. Aber das werden wir nicht tun. Wenn wirubventionen abbauen, dann nur in Verbindung mittrukturellen Veränderungen. Wir wollen die Subven-onen nicht einfach wie Tafelsilber verschleudern, umie laufenden Ausgaben zu decken, sondern wir wollentrukturelle Veränderungen. Wir wollen das Geld fürine Steuerreform einsetzen, damit mehr Kaufkraft iminnenmarkt und mehr Investitionskraft bei den Unter-ehmen entsteht. Das ist unser Konzept.
enn Sie da mitmachen, meine Damen und Herren,ann werden wir uns an dieser Stelle sehr schnell han-elseinig.Wir haben mit der Koch/Steinbrück-Liste bewiesen,ass wir selbst auf Ihren fragwürdigen Weg ein Stück
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9268 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Jochen-Konrad Frommeweit eingehen. Aber Sie marschieren in die falsche Rich-tung, indem Sie – ich habe es gesagt – neue Subventio-nen einführen. Bei der Windenergie spielt das über-haupt keine Rolle. Auch wenn es formal nicht um eineSubvention geht, das Geld wird den Bürgern weggenom-men und umverteilt. Weg ist weg, egal wie das heißt.Dieses Vorgehen mindert die Kaufkraft und ist wirt-schaftspolitisch der falsche Weg. In demselben Augen-blick, in dem über die Koch/Steinbrück-Liste verhandeltworden ist, haben Sie die Kohlesubvention in Milliar-denhöhe unkritisch verlängert. So kann man das nichtmachen.
Die Schlagworte müssen lauten – insofern ist derFDP-Antrag richtig –: Begrenzung, Befristung, Degres-sion. Dabei muss ein gezielter Zweck verfolgt werden;es darf nicht etwas konserviert werden.
Herr Kollege Fromme, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Anja Hajduk?
Aber gerne.
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Fromme, Sie haben vom
Opfern der Subventionen gesprochen. Ich möchte Sie zu
den genannten Subventionen, bei denen Sie uns kritisiert
haben, fragen: Ist Ihnen wenigstens bewusst, dass bei der
relativ jungen Windenergieförderung, die ja nicht direkt
über den Haushalt stattfindet – das hatten Sie auch ge-
sagt –, schon in den letzten Jahren eine ganz starke
Degression stattgefunden hat, die in den nächsten zehn
Jahren fortgesetzt wird, nämlich von 50 Prozent und
noch einmal 40 Prozent, dass bei den von Ihnen erwähn-
ten hohen und politisch sicherlich nicht einfachen Koh-
lesubventionen ebenfalls eine Degression stattfindet und
dass die jetzige Planung, die bis 2012 reicht, ausdrück-
lich einem Sperrvermerk unterliegt, weil dieser Punkt
noch ausgestaltet werden soll? Ist Ihnen das aus der
Haushaltsausschusssitzung noch in Erinnerung?
Aber natürlich ist mir das in Erinnerung. Mir ist dasauch bewusst. Trotzdem haben Sie das Volumen derKohlesubvention beachtlich ausgeweitet. Das halte ichfür einen falschen Weg.
Die Degression ist richtig. Das Subventionsvolumen beider Windenergie wird beachtlich steigen, obwohl eineDegression vorgesehen ist. Das halte ich für einen fal-schen Weg.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9269
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der kann das nicht mit Ihnen machen;
denn Sie haben kein Konzept. Sie setzen die aus demSubventionsabbau frei werdenden Mittel nur dafür ein,Haushaltslöcher zu stopfen. Damit schmeißen Sie Geldaus dem Fenster heraus. Das ist Perlen vor die Säue wer-fen. Wir brauchen strukturelle Veränderungen, die wirmit Mitteln aus dem Subventionsabbau finanzieren wol-len. Das geht aber nicht mit Ihnen und insbesonderenicht mit Ihrem neuen Parteivorsitzenden, der bei jederVeränderung zurückrudert, anstatt den Blick nach vornzu richten und für tatsächliche strukturelle Veränderun-gen zu sorgen. Das geht nur mit einem Regierungswech-sel.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 15/2061 und 15/1635 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid
Arndt-Brauer, Norbert Barthle, Veronika
Bellmann und weiterer Abgeordneter
Mehr Demokratie wagen durch ein Wahlrecht
von Geburt an
– Drucksache 15/1544 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell ist vereinbart, für die Aussprache
zwei Fünfminutenrunden vorzunehmen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist es so be-
schlossen.
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Das heißt konkret, das Wahlalter auf null zu senkennd den nachrangigen Art. 38 Abs. 2 des Grundgesetzesie das Bundeswahlgesetz in den entsprechenden Vor-chriften zu ändern.
is das Wahlrecht auch persönlich ausgeübt werdenann, wird es durch die gesetzlichen Vertreterinnen oderertreter ausgeübt. Eine Absenkung der persönlichenahlrechtsausübung auf 16 oder sogar auf 14 Jahre istamit ausdrücklich nicht ausgeschlossen.Wir haben nicht die Illusion, dass wir hierfür auf An-ieb eine Zweidrittelmehrheit erreichen. Aber wir sindns mit vielen, die in Deutschland für Kinderrechte,enerationengerechtigkeit und eine familienfreund-iche Gesellschaft arbeiten, in unseren Zielen einig,
icht zuletzt mit der Jugendministerin Renate Schmidt,ie unsere Debatte heute leider nicht persönlich verfol-en kann und mich gebeten hat, herzliche Grüße auszu-ichten.
Meine Damen und Herren, wir wollen ernsthaft undnserer Meinung nach im Einklang mit Buchstaben undeist unseres Grundgesetzes mehr Demokratie wagen.ir fordern ein Wahlrecht von Geburt an
ls überfälligen Fortschritt in der demokratischen Ent-icklung, in der das Prinzip „one man – one vote“ bzw.jeder Mensch – eine Stimme“ noch nicht verwirklichtt und eine von drei Generationen keinen Einfluss aus-ben kann. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ –nd nicht nur vom volljährigen Volke.
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9270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Rolf Stöckel„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ JederDeutsche hat in jedem Land die gleichen staatsbürgerli-chen Rechte und Pflichten. Das sind die Grundrechte mitDauergarantie in unserer Verfassung, in Art. 79Abs. 3. Das ist der Kern unserer demokratischen Grund-ordnung.Die gesetzliche Festlegung eines Mindestwahlaltersist dagegen der politisch-sozialen Entwicklung undAushandlung unterworfen wie etwa die Absenkung desWahlrechtsalters im Jahre 1970 auf 18 Jahre. Die Demo-kratie entwickelt sich wie die Gesellschaft weiter undbeide können dabei auf längere Sicht nur gewinnen. DieGeschichte des Wahlrechts seit der Antike, die Überwin-dung des Dreiklassenwahlrechts, die Einführung desFrauenwahlrechts in der Weimarer Verfassung belegendas eindrucksvoll. Ein Vertretungswahlrecht kennen wirbei der Briefwahl. Es ist zum Beispiel im VereinigtenKönigreich, dem Mutterland der Demokratie, langePraxis.Weil wir reflektieren, wie die Weiterentwicklung desgleichen Wahlrechts auf die langfristige Überwindungvon Diskriminierungen im Rechts- und Lebensalltag derzuvor ausgeschlossenen Menschen wirken kann, und vordem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung und un-serer Verantwortung für die Nachkommen, für zukünf-tige Generationen sind wir überzeugt, dass die Interes-sen von Kindern und Familien an politischem Gewichtgewinnen müssen und dass dazu das Wahlrecht ab Ge-burt einen wesentlichen Anschub leisten wird.
Stets sind die Initiatoren demokratischen Fortschrittsbelächelt oder für verrückt gehalten worden, bis alle soweit waren und dann sogar ein Streit um die Urheber-rechte entbrannte.
Stets hat es interessengeleitete und kleinmütige Beden-ken der Beharrenden gegeben, die die praktische Un-durchführbarkeit, den Missbrauch, ja sogar den Unter-gang der staatlichen Ordnung beschworen haben.Gegen das Wahlrecht ab Geburt bleiben meines Er-achtens im Grunde nur zwei wesentliche Einwände, dieerst in der Praxis widerlegt werden können:Erstens. Kinder blieben Anhängsel der Eltern, die dasdelegierte Wahlrecht missbrauchen könnten, bzw. esgebe Probleme, zu entscheiden, welcher Elternteil esausüben solle. Dazu sage ich: Gesetzliche Vertreter fäl-len unabhängig von der Familiensituation alle öffentlich-rechtlichen Entscheidungen für ihre Kinder. Sie sind da-bei in der Pflicht und der Verantwortung, den Willen ih-rer Kinder zu berücksichtigen und zu ihrem Wohle zuhandeln.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9271
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Denn wer von uns will nicht Kinder und Familien stär-ken? Ich glaube, wir alle haben das gleiche Ziel. Nur indem Weg dorthin unterscheiden wir uns.Ich habe große Zweifel, ob mit dem Antrag, der heutevorliegt, das Ziel, das die Antragsteller verfolgen, näm-lich Kindern und Jugendlichen die Ausübung der Staats-gewalt zu ermöglichen, wirklich erreicht wird. Denn dieUmsetzung dieser Idee hat nicht nur demokratietheoreti-sche Mängel, sondern auch verfassungsrechtliche Män-gel
und vor allen Dingen, lieber Rolf Stöckel, praktischeMängel. Ich weiß nicht, liebe Frau Vizepräsidentin, obes richtig ist, einen Antrag auf den Weg zu bringen undzu sagen: Die Praxis wird zeigen, was wir noch machenmüssen.
Das wird den Kindern und ihrem Anspruch auf echtePartizipation und Beteiligung nicht gerecht.
Meine Damen und Herren, unsere Demokratie zeich-net sich dadurch aus, dass wir Wählerstimmen nur zäh-len, aber nicht wägen. Das bedeutet, dass es nicht unter-schiedliche Arten von Stimmen geben kann. Es kannnicht sein, dass Eltern privilegiert werden.
Ich würde selber davon profitieren. Ich habe eine Toch-ter und könnte selber über ein höheres Stimmengewichtverfügen. Aber das kann es nicht sein. In unserer Demo-kratie können wir nicht einige Stimmen mit besonderemGewicht belegen.
Wenn ich etwas ketzerisch wäre, könnte ich sagen: Wirkommen hier zu einem etwas moderneren Klassenwahl-recht. Das hatten wir schon einmal und das sollte esnicht wieder geben.
Wenn Sie ehrlich sind, dann müssen Sie zugeben– das ist auch für mich der wichtigste Punkt –: Wenn Sievon der treuhänderischen Wahrnehmung des Stimm-rechtes durch die Eltern sprechen, geht es eigentlichnbDknSrdlie–xdLpswbCwliSDgLaGbu
ann müsste logischerweise erst einmal ein Antragommen, das Wahlalter herabzusetzen. Aber der kommticht.
ie sagen, die Eltern sollen treuhänderisch das Wahl-echt für die Kinder wahrnehmen. Jetzt machen wir unsoch nichts vor: In welchen Familien ist es denn wirk-ch nicht schon einmal vorgekommen, dass die Kinderine andere politische Meinung haben als die Eltern?
Da sagt der Kollege Haupt: Das ist das Leben, die Pra-is soll es richten; wir gehen zum Familiengericht under Richter entscheidet, welche Stimme gewertet wird.
ieber Klaus Haupt, wir können ja wieder für Arbeits-lätze sorgen, aber ich glaube, das ist der falsche Weg.
Was machen wir also in den Fällen, wo Dissens zwi-chen den Eltern und den Kindern besteht? Was machenir in den Fällen, wo Dissens zwischen den Elternteilenesteht? Auch das kommt vor: Der Mann ist für dieDU und die Frau ist für die SPD, die Grünen oder sonstas. Viel wichtiger für mich ist: Wie wird sichergestellt,eber Herr Stöckel, dass die Eltern ihr Stimmrecht iminne und im Interesse der Kinder ausüben?
as kann niemand kontrollieren; denn die Stimme wirdeheim abgegeben.
etztendlich gehe ich an die Wahlurne und entscheidels Elternteil im Sinne und zum Nutzen meiner Tochter.enau das werden andere Eltern auch tun.
Ich glaube auch, dass Ihr Begriff „Wahlrecht von Ge-urt an“ in die Irre führt; denn so, wie es dargestellt wirdnd wie es faktisch aussieht, wird kein Kind und kein
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9272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Ingrid FischbachJugendlicher vor der Vollendung des 18. Lebensjahreswählen können. Also ist das ein Etikett, das ein wenigan eine Mogelpackung erinnert.
Meine Damen und Herren, ich will gar nicht näher aufdie Fälle eingehen, die aufgeklärt werden müssen. Wasist in Scheidungsfällen? Nimmt der Ehepartner, der dieFamilie verlässt, das Wahlrecht mit?
Was ist denn, wenn Minderjährige Eltern werden? Dannhaben wir zweimal Großeltern, die die elterliche Für-sorge für die minderjährigen Eltern haben.
Diese bekommen dann Viertelstimmen.
Genau das ist der Punkt, lieber Herr Haupt: So sym-pathisch Ihr Antrag ist, er wird dem Ziel nicht gerecht,Kinder wirklich wahrzunehmen, ernst zu nehmen undihnen Beteiligung zu ermöglichen.
Ich glaube, wir werden, liebe Frau Lenke, den Kindernbesser gerecht, wenn wir für echte Partizipation sorgen,wenn wir also dafür sorgen, dass Kinder beteiligt wer-den. Wenn Sie es ernst meinen mit Ihrem Antrag, dannmüsste der nächste Antrag folgen, nämlich der Antragauf die Herabsetzung des Wahlalters. Das wäre die logi-sche Konsequenz. Ich bin gespannt, wie viele von Ihnendann noch hier stehen und diesen Antrag unterschreibenwerden.
Zur Erläuterung für die Zuschauer will ich sagen, dass
ich die Zugehörigkeit zu den Fraktionen nicht bekannt
gebe, wenn ich die Redner aufrufe, weil es Zustimmung
aus allen Fraktionen und ebenso Ablehnung aus allen
Fraktionen gibt. Diese Debatte richtet sich also direkt an
die Abgeordneten, ohne parlamentarische oder fraktio-
nelle Bindung.
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Haupt.
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Dem Demokratieprinzip kommt in unserem Grund-esetz eine dominierende Rolle zu. Art. 20 bestimmt,ass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht – nicht nurom volljährigen Volk, sondern von jedem Deutschen aber Geburt. Die Staatsgewalt wird durch Wahlen undbstimmungen ausgeübt.
ieses Prinzip gehört zum Verfassungskern und ist vorder Änderung prinzipiell geschützt.
n Art. 38 wird diese Ausübung der Volkssouveränitätedoch auf die Staatsbürger beschränkt, die das 18. Le-ensjahr vollendet haben. Die rund 14 Millionen Min-erjährigen werden davon ausgeschlossen. Das heißt,ur etwa 80 Prozent des Volkes legitimieren so dietaatsgewalt, aber mit erheblicher Wirkung auch für dieicht beteiligten 20 Prozent.Unbestreitbar sehen heute Verfassungsjuristen dieinder als Träger von Grundrechten von Geburt an. Un-trittig ist, dass das Wahlrecht ein entscheidendes Grund-echt, ein zentrales Bürgerrecht ist und dass Kinder Bür-er sind.
Kollegin Fischbach, unser Rechtssystem sieht, soweitechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit auseinander fal-n, übrigens schon seit 100 Jahren die Möglichkeit dertellvertretung vor und weist diese im Falle von Min-erjährigen den Eltern als geborene Stellvertreter ihrerinder zu. Aus Art. 6 des Grundgesetzes, dem besonde-en Elterngrundrecht, folgen generelle Wahrnehmungs-echte der Eltern, auch und gerade im Bereich der Aus-bung der Grundrechte ihrer Kinder. Beispielsweiseertreten Eltern ihre Kinder bei der Ausübung der alsrundrecht ausgestalteten Religionsfreiheit bis zum Ein-itt der Teilrechtsmündigkeit mit 14 Jahren. Warum sollas nicht auch beim Grundrecht auf politische Mitwir-ung, beim Wahlrecht, möglich sein?
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9273
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Klaus Haupt
Deshalb sollen Kinder nach unserer Ansicht Inhaberdes Wahlrechts werden, das treuhänderisch von ihren El-tern ausgeübt wird, bis die Kinder das Wahlalter erreichthaben. Selbstverständlich wird man darüber diskutierendürfen, ab wann junge Menschen ihr Wahlrecht selbstausüben. Der vielfach gegen unseren Antrag ins Feld ge-führte Grundsatz der Höchstpersönlichkeit steht nichtim Grundgesetz. Schon heute wird er in der Praxis viel-fach durchbrochen. In anderen demokratischen Ländernwie Frankreich oder Großbritannien gibt es ihn in dieserForm überhaupt nicht. In jedem Fall aber ist er gegen-über der ausdrücklichen Verfassungsbestimmung, dassdie Staatsgewalt vom Volke ausgeht, absolut nachrangig.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, angesichtsder hoch aktuellen Probleme von Verschuldung, Renten-kürzung und Bildungsmisere verschärft sich in Deutsch-land die Debatte um das Thema Generationengerech-tigkeit. Solange unsere Gesellschaft finanzielle undsoziale Lasten auf Pump finanziert, sie auf die junge Ge-neration verschiebt und ihr die Zukunftschancen raubt,so lange ist keine Generationengerechtigkeit möglich.Der Grundfehler der heutigen Politik ist, dass sie nur aufzwei Generationen fokussiert ist. Der Generationenver-trag setzt jedoch ein solidarisches Miteinander von dreiGenerationen voraus. Die Einführung eines Wahlrechtsab Geburt würde bedeuten, der Zukunft eine Stimme zugeben. Mit einem Dreigenerationenwahlrecht würdeder Generationenvertrag mit neuem Leben erfüllt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familien mit Kin-dern werden in Deutschland gravierend benachteiligt.Kinder sind in unserer Gesellschaft inzwischen eines dergrößten Armutsrisiken, vor allem für Alleinerziehende.
Obwohl die Familie durch Art. 6 des Grundgesetzes un-ter besonderen staatlichen Schutz gestellt ist, haben sichdie Lebensverhältnisse der Familien kontinuierlich ver-schlechtert. Warum? Ihr Einfluss auf politische Entschei-dungen ist relativ gering.
Aufgrund der demographischen Entwicklung wird ernoch dramatisch zurückgehen.
Wir können die Zukunft der Familien und damit unsererganzen Gesellschaft aber nur sichern, wenn wir das poli-tische Gewicht von Familien und Kindern ihrer gesell-srwVaAsWdzwVDmwG„GuetvIDd
Noch vor 200 Jahren galt ein allgemeines Männer-ahlrecht als fixe Idee.
or 100 Jahren erschien ein Frauenwahlrecht als ebensobsurd.
ll diese Änderungen wurden zunächst als abwegig,uspekt und utopisch abgetan. Mit der Anerkennung desahlrechts von Geburt an würde unser Wahlrecht durchen Grundsatz „Jeder Mensch – eine Stimme“ wirklichu einem allgemeinen Wahlrecht vollendet. Politikürde zukunftsfähiger und nachhaltiger, übrigens zumorteil der gesamten Gesellschaft.
enn schon Martin Luther stellte fest: „Bei den Kindernuss angefangen werden, damit es im Staate besserird.“Danke.
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kinder an die Macht!“ – das wünschte sich Herbertrönemeyer. Und das suggerieren auch die Antragstellernd Antragstellerinnen mit ihrem Antrag auf Einführungines Wahlrechts von Geburt an. Aber werden Kinderatsächlich mehr Macht erhalten, wenn ihre Eltern stell-ertretend für sie wählen können?
ch sage: Nein.
enn nicht die Kinder erhalten mehr Macht, sonderneren Eltern. Darum müsste es ehrlicherweise
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Irmingard Schewe-GerigkElternwahlrecht heißen oder – in vielen Fällen vielleichtbesser – Väterwahlrecht.
Wir alle wissen doch: In vielen Fällen wären sie es,die für ihre Kinder die „richtige“ Partei aussuchen wür-den. Einer der Antragsteller, der Kollege Singhammer,hätte wunderbare sieben Stimmen.
Ich gehe einmal davon aus, dass die CSU sie bekäme.Dass so ein „parlamentarisches Kindergeld“ einen Reizhat, ist zuzugeben. Unser Grundgesetz hat aber geradedies nicht gewollt und 75 Prozent unserer Bevölkerungsind gegen eine solche Wahlrechtsänderung.
Die Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichheitder Wahl schließen es aus, Gruppen verschiedene Stim-mengewichte beizumessen. Die Kollegin Fischbach hatgesagt, das preußische Klassenwahlrecht mit unter-schiedlicher Stimmengewichtung – je nach dem Stand,ob Adel oder nicht – wurde 1918 abgeschafft. Also ver-suchen wir doch jetzt nicht, ein solches für Eltern wiedereinzuführen.
Der Gleichheitsgrundsatz gehört zum Kern des Grund-gesetzes und ist somit jeder Veränderung durch das Par-lament entzogen.Das Elternwahlrecht käme aber auch in Konflikt mitdem Prinzip der Höchstpersönlichkeit. Ein höchstper-sönliches Recht ist unveräußerlich, unübertragbar undunverzichtbar, Herr Haupt.
Das Wahlrecht duldet keine Stellvertretung. Auch derGrundsatz der geheimen Wahl wäre gefährdet, wenn sichEltern mit ihren Kindern darüber auseinander setzen,welche Partei zu wählen wäre.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre Ziele – mehrRechte für Kinder bei politischen Entscheidungen, einefamilienfreundlichere Politik durchzusetzen – teile ichausdrücklich.
Verantwortungsvolle Politik, gleich welcher Couleur,muss die Interessen von Familien und Kindern ernst neh-men.
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ch kann Ihnen sagen: Seit 1998 sind die Ausgaben füramilien von 40,2 auf 60 Milliarden Euro im Jahre 2003rhöht worden. Das ist eine riesengroße Summe. Trotz-em brauchen wir weitere Anstrengungen.Die Einführung eines Elternwahlrechts ist aber nichtur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern auch le-ensfremd: Wer sich die konkrete Situation in Familieninmal vorstellt, entdeckt noch weitere, nicht aufzulö-ende Widersprüche.
ind die Kinder noch nicht in der Lage, einen eigenenahlwunsch zu bekunden, müssen sich die Eltern darü-er einigen, durch welche Entscheidung sie dem Kindum Recht verhelfen.
erade bei älteren Kindern und Jugendlichen ist es dochchon fast der Regelfall, dass die politische Meinung derltern von der der Kinder abweicht. Ich hätte mich je-enfalls nicht durch meine Eltern vertreten lassen wol-en.
Wie sollen die Eltern damit umgehen? Sie sind nichtn Weisungen ihrer Kinder gebunden, wie zum Beispielahlhelfer, die Menschen mit Behinderungen helfen.b sich die politische Meinung der Kinder tatsächlichm Stimmverhalten der Eltern widerspiegelt, ist mehr alsraglich. Der Vergleich, den Herr Haupt vorhin brachte,ass Eltern ihre Kinder in zivilrechtlichen Angelegen-eiten vertreten könnten, ist in keiner Weise stichhaltig.ei einer politischen Wahl handelt es sich um eine politi-che und ideelle Willensentscheidung und nicht um einerivatangelegenheit und ein Privatinteresse.
Geradezu lächerlich wird es, wenn Eltern untereinan-er oder Eltern und Kind unterschiedliche Meinungenaben. Dafür schlagen Sie den Gang vor das Familien-ericht vor.
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Irmingard Schewe-GerigkDas soll dann entscheiden, welcher Elternteil nach Ein-schätzung des Gerichts eher im Sinne und zum Wohledes Kindes abstimmen würde. Für mich ist das eine ab-surde Vorstellung und eine Arbeitsbeschaffungsmaß-nahme, die die Gerichte kurz vor den Bundestagswahlenlahm legen würde.Eigentlich stellt sich die Frage: Was ist mit der Ände-rung des Wahlrechts beabsichtigt? Eine Veränderung derParteienlandschaft? In Ihrer Begründung stehtDabei ist … nicht von einer grundsätzlichen Ver-schiebung innerhalb des parteipolitischen Spek-trums auszugehen.Geht es um mehr Macht und mehr Rechte für eine be-stimmte Personengruppe? Davon hatten wir uns meinerMeinung nach schon 1918 verabschiedet. Unsere Demo-kratie zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass alleMenschen unabhängig von ihrer Lebensweise die glei-chen Rechte haben. Das sollte auch so bleiben.Das berechtigte Ziel, die Interessen von Kindern undJugendlichen stärker zu berücksichtigen, lässt sich durchandere Maßnahmen wie die Absenkung des Wahlaltersoder durch eine verbindliche Beteiligung von Kindern anpolitischen Prozessen und Entscheidungen erreichen, dieihre Belange betreffen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt immer wieder Bestrebungen, ein Wahlalter unter
18 Jahren einzuführen. Sie kommen aus verschiedenen
Parteien. Die PDS spricht sich seit langem dafür aus.
Eine Absenkung des Wahlalters ist ebenso überfällig
wie mehr direkte Demokratie auf Bundesebene. Aller-
dings gibt es – wir bekamen dies eben schon illustriert –
selbst bei den Befürwortern unterschiedliche Auffassun-
gen über die Art und Weise, wie Kinder und Jugendliche
mitbestimmen sollen. Ein wiederkehrender Vorschlag
meint, Eltern sollten das Stimmrecht für ihre Kinder
wahrnehmen. Ich halte dies für falsch;
denn es wäre für die Kinder und Jugendlichen keine Mit-
bestimmung. Sie würden selbst dann fremdbestimmt,
wenn ihnen die Eltern sehr nahe stünden.
Eine solche stellvertretende Wahl widerspräche übri-
gens auch dem Grundsatz der geheimen Wahl. Die Kin-
der und Jugendlichen müssten doch vorher sagen, wen
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Spannender sind allerdings alle Debatten, die sich
irklich um das Wahlalter drehen. Die einen meinen,
ine Absenkung auf 16 Jahre wäre denkbar. Andere plä-
ieren für 14 Jahre. Die Kinderrechtsorganisation
KRÄTZÄ“ aus Berlin wirbt mit guten Gründen für kei-
erlei Altersbeschränkung. Die „Kinderrächtszänker“,
ie sie in Langfassung heißen, argumentieren demokra-
ietheoretisch. Sie plädieren aber auch aus Erfahrung,
enn sie sagen, nur jene, die wählen könnten, würden
uch von der Politik ernst genommen. Kinder gehören
eider viel zu selten dazu.
Die PDS ist gegen alle Formen, bei denen ohne Not
tellvertretend gewählt wird. Wir sind zugleich für eine
eutliche Senkung des Wahlalters.
rundsätzlich sind wir für mehr Demokratie. Dies sage
ch auch mit Blick auf Vorschläge, künftig nur noch alle
ünf statt bislang alle vier Jahre zur Wahl zu rufen. Der
undestagspräsident bringt dies gelegentlich auch in die
ebatte. Darüber lässt sich reden, vorausgesetzt, mehr
ürgerinnen und Bürger – auch Kinder und Jugendliche,
ie immer auch betroffen sind – können zwischendurch
n Sachfragen mehr direkt bestimmen. Dafür steht auch
ie PDS im Bundestag.
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! De-okratie bedeutet im Kern Herrschaft der Mehrheit undchutz der Minderheit. Kinder sind in Deutschland lei-er zu einer Minderheit geworden, die Tag für Tag mehrchrumpft. Im Jahre 1950 waren noch 27,7 Prozent derenschen in Deutschland unter 18 Jahren, heute sind esur noch 18,3 Prozent oder 13 Millionen Kinder und Ju-endliche. Noch nie war Deutschland ein so von Er-achsenen geprägtes Land wie in diesen Tagen.
Die Entwicklung wird so weitergehen. Die Deutschenerden immer weniger. Die demographische Entwick-ung verschiebt sich dramatisch. Ein Herausgeber der
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Johannes Singhammer„FAZ“ hat vor wenigen Tagen ein Buch mit dem Titel„Das Methusalem-Komplott“ veröffentlicht, in dem erdarauf hinweist, dass jetzt geborene Kinder eine Lebens-erwartung von 100 Jahren hätten und sich das Verhältnisvon Jung und Alt weiter zuungunsten der Kinder und zu-gunsten der Erwachsenen verschieben werde.Wir wollen mit diesem Antrag den Kindern Gehörverschaffen. Wir glauben nicht, dass damit eine Umkehrin der demographischen Entwicklung verbunden ist.Dazu sind viele andere grundlegende Weichenstellungennötig.
Aber wir glauben schon, dass die Interessen der Kinderdurch ein allgemeines Wahlrecht besser zur Geltung ge-bracht werden können.
Mit einem Wahlrecht für alle wird sich die Politik nichtmehr ausschließlich um die Stimmen der Majorität derÄlteren und Erwachsenen bemühen, sondern wird auchdie Anliegen der Kleinsten, Jüngsten und Jugendlichennicht mehr aus den Augen verlieren.
Die Betrachtung des Umfelds aus 80 Zentimetern Au-genhöhe muss nicht zu einer Verzwergung der Politikführen, sondern kann auch eine neue humane Dimensioneröffnen.
Nun wird eine ganze Reihe von Argumenten dagegenvorgebracht, beispielsweise dass Eltern eigene Interes-sen haben, die nicht mit denen der Kinder identisch sind.Ich nehme das Argument ernst, meine aber, dass Elternohnehin originäre Vertreter ihrer Kinder sind. Dies istin vielen anderen Lebensbereichen so. Warum dannnicht bei der Wahl?
Es werden immer wieder die Fragen gestellt: Was ist,wenn Vater und Mutter unterschiedlicher Meinung sind?Wer darf dann abstimmen? Was ist bei Geschiedenen?Welche anderen organisatorischen Probleme tun sich indiesem Bereich noch auf? Ich denke, es ist hinreichenddargelegt worden – mittlerweile auch im Schrifttum –,dass alle diese organisatorischen Fragen lösbar sind. Ichmöchte nur stellvertretend auf ein Interview hinweisen,das der Verfassungsrichter Paul Kirchhof – er ist nicht ir-gendjemand, sondern ein anerkannter Experte – zu die-sem Thema gegeben hat: Alle diese Probleme sind orga-nisatorisch lösbar.hAwthdF12WeAWkfGrtb–TdSB1dgRElSJvvu1
Das Wort hat jetzt die Kollegin Barbara Wittig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zu-unft unserer Gesellschaft sichern, familien- und kinder-reundliche Politik durchsetzen, Belange der jungeneneration in Gesellschaft und Politik angemessen be-ücksichtigen – das sind Ziele, die ich voll und ganz un-erstütze. Die Frage ist nur: Führt ein Wahlrecht von Ge-urt an dorthin?
Nein.Behauptet wird: Schließe man Minderjährige von dereilnahme an Wahlen aus, bleibe es bei einer Schieflageer Familien mit Kindern. Dazu muss ich sagen: Einechieflage gab es in der Tat. Nicht umsonst rügte dasundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom0. November 1998,
ass die Vorgängerregierung den Familienleistungsaus-leich nicht angemessen weiterentwickelt hat. Unsereeaktion darauf war: mehr Erziehungsgeld für Kinder,rhöhung des Kinderfreibetrages, mehr BAföG, 4 Mil-iarden Euro für die Einrichtung von Ganztagsschulen,teuerentlastungsbetrag usw. Mit anderen Worten: Seitahren arbeiten wir an der Beseitigung der vom Bundes-erfassungsgericht gerügten Mängel.
Wir tun das, was gemäß Art. 38 des Grundgesetzesorgesehen ist: Wir sind die Vertreter des ganzen Volkesnd somit auch die der Kinder und Jugendlichen unter8 Jahren.
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Barbara WittigEine Teilnahme von Minderjährigen an den Wahlen warfür die Aktionen, die ich vorhin aufgezählt habe, einfachnicht nötig. Das soll auch so bleiben.
Herr Haupt, schon die Wahlgrundsätze in Art. 38 desGrundgesetzes sprechen gegen ein Wahlrecht von Ge-burt an. Erstens: die unmittelbare Wahl. Die Stimm-abgabe ist verfassungsrechtlich nur höchstpersönlichmöglich. Selbst ein Briefwähler hat an Eides Statt zuversichern, dass er sein Kreuz persönlich gemacht hat.Das Gebot der höchstpersönlichen Stimmabgabe ist in§ 14 Bundeswahlgesetz normiert.
Dadurch werden die Grundsätze des Art. 38 Grundge-setz konkretisiert. Wenn man sich Art. 38 Grundgesetzanschaut, dann sieht man – ich zeige es Ihnen noch ein-mal –, dass in Abs. 3 ausdrücklich steht, dass das Nähereein Bundesgesetz bestimmt. Was wollen Sie also bittestreichen?Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl ergibtsich natürlich auch daraus, dass zwischen dem wahlbe-rechtigten Kind oder Jugendlichen und dem Wahlbewer-ber eine dritte Person geschaltet würde. Es wäre ebennicht sichergestellt, dass der unverfälschte Wille desWahlberechtigten zum Durchbruch käme. Zudem würdesich die Frage stellen, von welchem Willen die Eltern ei-gentlich ausgehen sollen.
Angesichts der in der demokratischen Grundord-nung verankerten unbedingten Gleichheit allerStaatsbürger bei der Teilhabe an der Staatswillens-bildung darf es keine Wertungen geben, die es zu-lassen würden, beim Zählwert der Stimmen zu dif-ferenzieren.Viertens: die geheime Wahl. Dieser Grundsatz wäreauch verletzt, da sich Wahlberechtigter und Vertretergleds–GGEüdgiFmrSKmVgggeKd
Das, was Sie erzählen, ist doch Quatsch.Lassen Sie mich zusammenfassen: Ein Wahlrecht voneburt an ist mit den allgemeinen Wahlgrundsätzen desrundgesetzes nicht vereinbar.
s kann weder erwartet noch kontrolliert werden, ob dieber eine oder mehrere Stimmen verfügenden Elterniese auch im Interesse ihrer Kinder einsetzen. Wir Ab-eordnete sind die Vertreter des ganzen Volkes; das habech vorhin schon ausgeführt.
Wir wollen auf unserem Weg zur Vereinbarkeit vonamilie und Beruf, zur Verbesserung von Betreuungs-öglichkeiten, zu mehr Selbstbestimmung, meine Her-en von der FDP, gegen Fremdbestimmung durch eintellvertreterwahlrecht und zu mehr Beteiligung vonindern und Jugendlichen durch das Einüben eines de-okratischen Verhaltens weitermarschieren. Um dieerwirklichung dieses verfassungsrechtlichen Auftragseht es. Sie können gerne mitmachen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Antje Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichlaube, ein positives Zwischenergebnis können wir an-esichts der Heftigkeit mancher Debattenbeiträge erstinmal festhalten: Diese Debatte hat der demokratischenultur in diesem Raum auf jeden Fall gut getan.
Ich kann auch nicht bedauern, dass das Wahlrecht inieser Debatte und in der Öffentlichkeit zu einer heiß
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Dr. Antje Vollmerumkämpften Kostbarkeit wird. Das nützt dem Wahl-recht, der Demokratie und dem Parlament.
Die Tonlage der Kritiker wundert mich allerdingsmanchmal. Ich bin ja für das Wahlrecht von Geburt an.Ganz ehrlich: Vieles kommt mir genauso vor – ich habeeinmal die gesamten Akten studiert – wie der damaligeKampf um das Frauenwahlrecht.
Man fragte zum Beispiel: Sind sie denn schon einsichtiggenug? Wird das nicht die Mehrheitsverhältnisse än-dern?
All dies sind altbekannte Argumente. Das Wahlrecht inder Demokratie gilt aber nun einmal ohne Vorbedingun-gen. Man kann dabei nicht ausrechnen, was zum Schlussherauskommt; denn das Wahlrecht ist das Königsrechtder Demokratie.Im Moment streiten wir vor allen Dingen über denPunkt: Wer ist eigentlich Bürger dieses Landes? DasWahlrecht ist schließlich das vornehmste Bürgerrecht.Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass derBürgerbegriff in der Geschichte tatsächlich eine hochin-teressante Entwicklung genommen hat. Im altenGriechenland war er an das Eigentum und an einen be-stimmten Rang gebunden. Danach gab es das Dreiklas-senwahlrecht. Dann galt nur das Wahlrecht für Männer,ab einem bestimmten Zeitpunkt schließlich auch fürFrauen. Später kam noch das Wahlrecht für Ausländerhinzu. Diesen Gedanken spinnen wir weiter, indem wirsagen: Bürger ist jeder existierende Mensch dieses Lan-des. Damit ist das Wahlrecht das zentrale Menschenrechtin einer Demokratie.
Ich möchte einen weiteren Gedanken ansprechen, vondem ich vermute, dass er bei einigen der Kritiker eineRolle spielt. Kinder vom Wahlrecht auszunehmen gehtvon der Idee eines besonderen Schonraums für Kinderaus, in dem die Politik keine Rolle spielen soll. Es gehtum einen Raum der Privatheit, der von einer meist alsböse verstandenen politischen Welt ausgenommen seinsoll. Nicht nur in diesem Bereich müssen wir feststellen,dass es in diesem Sinne diesen Schonraum, diesen Frei-raum von Politik, Werbemöglichkeiten und anderen Ein-flussnahmen überhaupt nicht mehr gibt. Kinder sind Ob-jekte von Werbestrategien und Medien. Kinder merkenes, wenn ihre Eltern unter Kriegsängsten leiden. Dassind Alltagsthemen von Kindern. Deswegen muss manAbschied von der Idee nehmen, es gebe für Kinder einenSchonraum, völlig unberührt von dem, was in der Weltpassiert.Umgekehrt aber wissen alle – das hat sich in den De-batten der letzten Wochen widergespiegelt –, dass die Si-tuation von Familien mit Kindern in einer immer älterwerdenden Gesellschaft außerordentlich schwierig ge-wäs2dlVMsswkguHSzmgddhtotrzDnwEewnddzHwcRseAnfDwWsmw
Mich wundert bei manchen Kritikern deren Heftigkeitnd Häme. Ich kann nicht umhin, in dieser Häme undeftigkeit manchmal auch die Gegenwartsfesselung deringlegesellschaft zu sehen. Wenn man die Parallelenur Debatte um das Wahlrecht für Frauen sieht, wundertich vor allen Dingen, warum sich gerade die herausra-enden Vertreterinnen der Feministinnen so heftig gegenieses Wahlrecht von Geburt an sperren. Ich persönlich,ie ich von dieser Frauenbewegung sehr viel profitiertabe, glaube, dass sie an dieser Stelle einen großen his-rischen Fehler wiederholt. Er besteht darin, in das Zen-um der Fraueninteressen nicht das Leben mit Kindernu rücken, sondern nur das Leben der Frauen für sich.as war schon in der Vergangenheit ein Fehler der Femi-istinnen. Ich finde, sie sollten ihn in diesem Fall nichtiederholen.
s gab einmal eine Zeit, in der alle Argumente gegenine Ausweitung des Wahlrechts gegen die Frauen ge-endet wurden. Daran sollte man sich gelegentlich erin-ern.Eltern – so wird angeführt – entscheiden für ihre Kin-er. Wenn die Eltern nicht für ihre Kinder entscheiden,ann entscheiden eben diejenigen, die nicht mit Kindernu tun haben; denn deren Votum wird Wirkung haben.Wir wissen doch alle: Eltern entscheiden vieles, auchartes und Schwieriges für Kinder. Sie entscheiden, aufelche Schule ein Kind kommt, sie entscheiden, wel-hen Wohnort das Kind hat, sie entscheiden, ob es einereligionsgemeinschaft angehört oder nicht und sie ent-cheiden auch, ob sie sich trennen und die Kinder damitine große Belastung des persönlichen Lebens erleiden.ll dieses entscheiden immer Eltern. Das kann manicht ändern. Wieso sollen sie nicht auch in diesem Fallür eine kurze Zeit entscheiden?Ich bin übrigens sehr dafür, das Wahlalter zu senken.as wird ohnehin die Konsequenz sein; denn die Kindererden von den Eltern wissen wollen, wie diese dasahlrecht verwalten. Sie werden dann sagen, dass sie eselber früher ausüben wollen. Das ist aber Schule in De-okratie in den Familien. Ehrlich gesagt weiß ich nicht,as dagegen sprechen soll.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Daniel Bahr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schonerfreulich, dass wir heute über dieses wichtige Themaeben nicht parteipolitisch diskutieren. Die Meinung zurFrage eines Familienwahlrechts geht quer durch alle Par-teien.Es ist auch bemerkenswert, dass sich der erste Grup-penantrag in dieser Legislaturperiode mit dem Altersauf-bau unserer Gesellschaft beschäftigt, einem Thema, dasuns noch viel mehr beschäftigen und zu Konsequenzenanleiten sollte.Es ist ebenfalls bezeichnend, dass wir heute am1. April über diesen Antrag diskutieren. Heute tretennämlich Belastungen für die Rentnerinnen und Rentnerin Kraft. Erstmals werden die Renten in Deutschland defacto gekürzt.Der demographische Wandel unserer Gesellschaftist eine der größten Herausforderungen, der wir Politikeruns stellen müssen. Immer mehr ältere Menschen wer-den immer weniger jüngeren Menschen gegenüberste-hen. Im Jahre 2030 werden die über 60-jährigen Men-schen knapp 40 Prozent der deutschen Bevölkerungausmachen. Zum Vergleich: Heute ist es nur ein Viertel.Natürlich – das will ich gar nicht bestreiten – wirkt sichdas auf die Wählerstimmen aus. Die junge Generationhat deswegen die Sorge – die ist berechtigt –, dass ihreInteressen unter die Räder der quantitativ stärkerenWählerklientel geraten könnten.Angesichts der Situation der umlagefinanzierten So-zialsysteme – Rente, Gesundheit und Pflege – drohenRentnerfunktionäre heute schon mit der Gründung einerRentnerpartei. Ich halte davon nichts. Wer glaubt, mit ei-ner Rentnerpartei unsere strukturellen Probleme lösen zukönnen, irrt gewaltig.Der Antrag, den wir heute beraten, macht aber aucheines deutlich: Wir dürfen die Interessen der jungen undder älteren Generation nicht gegeneinander ausspielen.
Ich möchte keinen Generationenkrieg heraufbeschwö-ren. Deshalb müssen wir die unbestreitbaren Lasten, dieauf uns zukommen, fair verteilen. Das Ziel des Antragesist es, eine nachhaltige Politik im Interesse der Kinder zuunterstützen. Mit dem Antrag wird das Ziel aber nichterreicht, weil sich nicht das Wahlrecht ändern muss, son-dern weil sich die Politik ändern muss, damit wir Nach-haltigkeit hinbekommen.
Das Familienwahlrecht ist nicht geeignet, das Un-gleichgewicht zwischen den Generationen zu verändern.Dass ein neugeborenes Kind nicht zur Wahlurne gehenkann, ist doch jedem klar. Bei einem Wahlrecht ab Ge-bddVzDvrtnlknEddd–lwe–kKÖhdwhivPwrsddslwp
enn das Frauenwahlrecht wäre analog dem Modell desorliegenden Antrags eigentlich ein Ehemännerwahl-echt, wobei die Ehemänner das Wahlrecht stellvertre-end für die Frauen wahrnehmen. Darum geht es hiericht.
Die Stellvertreter, also die Eltern, vertreten einen Wil-en, den das Kind zu diesem Zeitpunkt noch nicht äußernann. Worin besteht aber der Wille des Kindes? Wo-ach werden die Eltern entscheiden? Sind es nicht dieltern, die dann über den Willen der Kinder entschei-en? Manche Eltern können sich noch nicht einmal aufen Namen ihres Kindes einigen. Wie sollen sie sichann auf die Wahl einer Partei einigen?
Das ist nicht „one man, one vote“, weil mit dem Fami-ienwahlrecht nicht die Interessen der Kinder vertretenerden, sondern die Interessen der Eltern mehr Gewichtrhalten.
Nein!) Lieber Kollege Klaus Haupt, ein Vater, der im Stein-ohlebergbau arbeitet, wird möglicherweise für seinind die Partei wählen, die die Subvention erhalten will.ffentliche Gelder würden weiterhin für die Vergangen-eit ausgegeben und für Zukunftsinvestitionen wie Bil-ung fehlen.
Ein weiteres Problem ist Folgendes: Was ist denn,enn sich während des Reifeprozesses der Jugendlichenerausstellt, dass sich ihre politische Meinung und diehrer Eltern voneinander unterscheiden? Ich bin im Alteron 16 Jahren Mitglied einer Partei geworden. Welcheartei hätten denn meine Eltern möglicherweise ge-ählt, wenn ich mich ihnen gegenüber schon als 16-Jäh-iger für eine Partei ausgesprochen hätte? Wie kann dennichergestellt werden, dass die Eltern die Partei wählen,ie ihr Kind bevorzugt? Wie können wir verhindern,ass sich die Eltern darauf berufen, dass sie besser wis-en, was für ihr Kind gut ist, und dementsprechend wäh-en? Der Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahlürde damit unterlaufen.
Ich will nicht verhehlen, dass sich der Vorschlag sym-athisch anhört. Aber mich hat ein Argument für das
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Daniel Bahr
Familienwahlrecht sehr erstaunt. Es wird gesagt, wenndie jüngere Generation ein erweitertes Stimmrecht hätte,dann würde die Politik auch mehr auf die Interessen die-ser Generation eingehen und sich nicht von den Älterendominieren lassen. Das aber ist die Kapitulation der Po-litik. Damit würden wir zugeben, dass in der Politik dieEntscheidungen eindeutig nach Wählergruppen ausge-richtet werden.
– Das ist aber nicht unsere Aufgabe, lieber Klaus Haupt.Unsere Aufgabe ist doch, das Wohl nicht nur unsererWählerinnen und Wähler, sondern des gesamten deut-schen Volkes zu mehren. Deswegen ist Ihr Vorschlagnicht geeignet.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns für einewirklich generationengerechte Politik engagieren, dasheißt, die strukturellen Probleme in Deutschland zu än-dern. Der letzte Finanzierungsüberschuss im Bundes-haushalt wurde 1970 erzielt. Seitdem sind die Schuldenimmer weiter gestiegen. Dabei handelt es sich um Hypo-theken auf die Zukunft, die wir der jungen und kommen-den Generation hinterlassen. Deswegen brauchen wirHandschellen, die die Politiker an die Aufgabe binden,eine generationengerechte Politik zu gestalten. Das be-deutet für mich zum Beispiel, dass wir einmal in jederLegislaturperiode eine Generationenbilanz auflegen,die zeigt, welche Lasten der jungen Generation in Formvon Schulden, Pensionslasten und Rentenversprechenauferlegt werden und welche Zukunftsinvestitionen inBildung und Infrastruktur getätigt werden. Mit einer sol-chen Generationenbilanz wird sichtbar, ob die Politik ge-nerationengerecht ist.Warum verankern wir das Prinzip der Nachhaltigkeitund Generationengerechtigkeit nicht endlich auch imGesetz? Das würde die Politik mehr binden als ein Fami-lienwahlrecht, das nicht in erster Linie den jüngeren Ge-nerationen, sondern den Familien zugute kommt.Herzlichen Dank.
Ich möchte mich zunächst einmal bei allen bedanken,
die sich an dieser Diskussion beteiligt haben. Es war
eine wirklich gute und interessante Diskussion, wie man
sie öfter wiederholen sollte.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1544 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
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nämlich die Wirtschaft von unsinnigen Fesseln zu be-freien, aber die Verbraucher dabei nicht zum Freiwildwerden zu lassen.
Verbraucherinnen und Verbraucher werden in unse-rem Gesetzentwurf erstmals als Schutzsubjekte aus-drücklich erwähnt. Diesen Programmsatz konkretisierenwir in den Einzelbestimmungen. So wird die belästi-gende Werbung ausdrücklich geregelt. Ich finde esrichtig, dass wir hier streng sind. Ich teile deshalb nichtdie Auffassung, dass wir künftig die Telefonwerbung,die bekanntlich bereits nach geltendem Richterrecht ver-boten ist, erlauben sollten.
Das würde zu erheblichen Belästigungen der Verbrau-cher durch Telefonanrufe gerade in den Abendstundenführen. – Das haben Sie, Herr Funke, scheinbar nochnicht erlebt, weil Sie eine Geheimnummer haben.
Das sieht im Übrigen nicht nur die Bundesregierung so.In einer Umfrage des Westdeutschen Rundfunks lehnten96,5 Prozent der Befragten unverlangte Telefonwerbungim privaten Bereich ab.
Ich möchte noch einmal festhalten: Da hier keine Ver-schärfung des geltenden Rechts erfolgt, kann diese Re-gelung schwerlich Arbeitsplätze vernichten. Die Argu-mente der Werbewirtschaft, die mit großformatigenAnzeigen wie dieser, die ich gerade hochhalte, gegenden Gesetzentwurf Front macht, sind schlichtweg falsch.Ich sage aus Erfahrung: Wer solche Anzeigen nötig hat,ist immer im Unrecht.
– Wir schalten nicht solche Anzeigen wie die Werbewirt-schaft, sondern farblich gestaltete. Das ist etwas ganz an-deres.oAdlfdkbmiwbzdiwsddz–Gzadzgsmbrvd
Rede von: Unbekanntinfo_outline
A
Verehrter Herr Kollege von Klaeden, da ich heute und
n den vorangegangenen Tagen häufiger hier anwesend
ar, weiß ich, dass Ihre Zwischenfragen nicht immer be-
onderen Tiefgang haben. Das gilt auch für diejenige,
ie Sie gerade gestellt haben. Wenn Sie zugehört hätten,
ann wüssten Sie, dass ich gesagt habe: wer solche An-
eigen nötig hat. Aber wir machen schönere Anzeigen.
Herr Präsident, darf ich noch auf den Zuruf von Herrn
ehb reagieren?
Ja, Herr Staatssekretär. Wenn Sie aber schönere An-
eigen versprechen, dann müssen Sie die demnächst
uch mitbringen.
Al
Herr Präsident, da ich Ihren scharfen Geist zu schät-en und zu achten weiß, sage ich einfach: bessere Anzei-en als diejenige, die ich hoch gehalten habe. Einver-tanden, Herr Gehb?Wenn Sie die Adresse nicht mehr lesen wollen,öchte ich meine Rede fortsetzen. Eine erhebliche Ver-esserung des Verbraucherschutzes bringt auch die Neu-egelung des Gewinnabschöpfungsanspruchs. Werorsätzlich viele Verbraucher um kleine Beträge schä-igt, wird den Gewinn künftig nicht behalten können.
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Parl. Staatssekretär Alfred HartenbachUnsere Regelung zum Gewinnabschöpfungsanspruchgeht dem Handel zu weit und den Verbraucherverbändennicht weit genug. Das ist ein sicheres Indiz dafür, dasswir in der Mitte und damit genau richtig liegen.Ein Blick auf die EU-Regelungen zeigt, dass unserneues UWG vorbildlich sein wird. In der EU sollenWettbewerb und Verbraucherschutz in vollkommen un-koordinierten Vorschriften geregelt werden. Wir dage-gen tun gut daran, beides in unserem UWG zu regeln.Wenn aber Handel und Verbraucher auf Dauer in diesemgemeinsamen Haus wohnen sollen, dann müssen sichbeide, auch die Verbraucher, darin wohl fühlen. Dazubrauchen sie eigene, wohnliche Zimmer.In der EU galt unser altes UWG als antiquiert und inmanchen Bereichen wie eine Zwangsjacke. Bei diesemRuf war es für uns schwierig, im Rat Gehör zu finden.Durch diese Reform können wir uns in Europa künftigsehen lassen. Dies wird uns helfen, die notwendigenNachbesserungen bei den anstehenden Rechtsakten derEU zu erreichen. Wir haben in der Kooperation mit allenBeteiligten einen Grundkonsens gefunden, auch und ge-rade bei den angenehmen Diskussionen der Bericht-erstatter und in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses.Hierfür möchte ich mich bedanken, auch bei der Opposi-tion. Herr Grosse-Brömer war da sehr hilfreich, HerrFunke ebenfalls.
– Ich habe gesagt: Sie waren hilfreich. Das ist doch gut,oder? Sie haben dazu beigetragen, dass wir nicht so ent-schieden haben, wie Sie es wollten.Noch größer wäre meine Freude, wenn die Opposi-tion über ihren Schatten springen und angesichts der nurnoch sehr geringen Differenzen zustimmen könnte. Daheute Abend keine Sonne scheint, gibt es keinen Schat-ten; der Sprung würde also nicht so schwer fallen.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Ingo Wellenreuther,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Der Anlass dieser Rede ist ein trauriger: Wir beerdi-gen heute ein weiteres Projekt von Rot-Grün, nämlichdie Schaffung eines modernen Wettbewerbsrechts.
Es ist noch kein Jahr her, dass es aus dem Justizminis-terium hieß, Herr Ströbele: Das neue deutsche Wettbe-werbsrecht soll das liberalste in ganz Europa werden.AflnngeghdsTneLsncgdd4dBdgvHdwbWHth–IDSddm
Bereits heute sind viele Callcenter ins Ausland abge-andert. Mit Ihrem Gesetz werden weitere 50 000 Ar-eitsplätze vernichtet. Ich kann nur sagen: Deutschesettbewerbsrecht als Standortnachteil. Na, bravo!Wie dramatisch die Lage wirklich ist, Herrartenbach, beweist eine Anzeige in der „FAZ“ von ges-ern, die die führenden 13 Callcenterbetreiber geschaltetaben.
Herr Ströbele, zuhören, dann verstehen Sie es besser! –ch zitiere nur kurz:Dieses Gesetz vernichtet Ausbildungs- und Arbeits-plätze, ist keine Basis für den Übergang ins Infor-mationszeitalter und verlagert massiv Beschäfti-gung ins liberalere Ausland.ies, meine Damen und Herren von Rot-Grün, ist keinetimmungsmache, sondern ein verzweifelter Hilfeschreier deutschen Wirtschaft, der Sie wirklich zum Nach-enken bringen sollte. Herr Hartenbach, ich glaube, Sieüssen sich diese Anzeige noch einmal anschauen.
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Ingo WellenreutherHaben Sie eigentlich einmal verfolgt, wie die meistenunserer europäischen Nachbarn den Wettbewerb regeln?In zwölf von 15 EU-Mitgliedstaaten ist das Telefon-marketing grundsätzlich zulässig. England und Frank-reich haben sich für die so genannte Opt-out-Regelungentschieden. Das heißt, wer nicht mehr mit Telefonwer-bung belästigt werden möchte, kann dies im Laufe desTelefonats kundtun und darf dann nicht mehr telefonischbeworben werden.
Unsere Fraktion wäre für einen vernünftigen Kom-promiss zu haben gewesen. Wir sind dafür eingetreten,dass bei bestehenden Geschäftsverbindungen Anrufeauch ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis gestattetsein sollen. Im Gegensatz zur Bundesregierung setzenwir auf den mündigen Bürger, der in seinen Entschei-dungen frei ist.Sie haben sich für die restriktivste Regelung entschie-den, mit der Begründung, dass damit nur die ständigeRechtsprechung in Gesetzesform gegossen wird. HerrManzewski, wenn Sie, wie angekündigt, ein liberalesWettbewerbsrecht schaffen wollen, dann ist das Auf-schreiben dieser deutschen Rechtsprechung allein ein-fach zu wenig.
Ihre weitere Behauptung, es gebe wegen des im inter-nationalen Recht heute geltenden Marktortprinzips kei-nen Standortnachteil für deutsche Unternehmen, istschlichtweg falsch. Ein englisches Unternehmen, das inDeutschland werben möchte, muss sich zwar derzeit andeutsches Recht halten – heute liegen Sie mit dieser Be-urteilung also richtig –, aber die Frage ist: Was ist mor-gen? Der Gesetzesvorschlag von Ihnen steht im Wider-spruch zu dem Vorschlag für eine europäischeRichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. DieseRichtlinie enthält eine so genannte Binnenmarktklau-sel, nach der sich jedes Unternehmen nur an das Wettbe-werbsrecht seines eigenen Landes halten muss. Wenndiese Richtlinie planmäßig im nächsten Jahr verabschie-det wird, dann können Unternehmen mit Sitz im Aus-land in Deutschland unbeschränkt Telefonmarketing be-treiben, während deutsche Unternehmen weiter an dieOpt-in-Regelung gebunden sind.
– Sie können es nachher erklären, Herr Manzewski.
Die vorgeschlagene Richtlinie verbietet unerwünschteTelefonanrufe nur dann, wenn sie hartnäckig erfolgen.Ein erstmaliger Anruf oder ein Anruf im Rahmen beste-hender Geschäftsbeziehungen, den Sie verbieten wollen,wäre nach dieser EU-Richtlinie also zulässig. Es ist nichtzu verstehen, warum Sie diese eindeutigen europäischenVorgaben ignorieren.ezbKgshwgSwvgntTS–üRmehssmgrssGssdbeuwdddrwwdzNu
ie hätten diese kuriose Rechtslage ändern könnenHerr Ströbele, das hätte vorausgesetzt, dass man sieberhaupt verstanden hat –, aber passiert ist nichts.Zweites Thema: Gewinnabschöpfungsanspruch.echtspolitisch begrüßen wir den Gedanken, dass je-and das, was er durch wettbewerbswidriges Verhaltenrlangt hat, wieder herausgeben muss. Der Herr Montagat gesagt, der Gewinnabschöpfungsanspruch sei eincharfes Schwert zur Durchsetzung des Verbraucher-chutzes. Falsch. Das Schwert ist stumpf, und zwar ausehreren Gründen:Erstens. Warum sollten die Verbände von ihrem Kla-erecht überhaupt Gebrauch machen? Wenn sie verlie-en, tragen sie alle Kosten. Wenn sie gewinnen, müssenie den Gewinn an die Staatskasse abführen.Zweitens. Der ursächliche Zusammenhang zwi-chen wettbewerbswidrigem Verhalten und erzieltemewinn kann nicht festgestellt werden. Auch die In-tanzrichter müssen eine etwaige Schätzung auf Faktentützen. Sie können nicht einfach ins Blaue hinein han-eln, auch nicht über § 287 ZPO. Meine armen Kollegenei den Instanzgerichten tun mir jetzt schon Leid. Dieinzige Folge Ihrer unpraktikablen Regelung ist Rechts-nsicherheit.Zu guter Letzt lehnen wir Ihren Gesetzentwurf auchegen der fehlenden Marktzutrittsregelungen ab. An-ers als noch im Referentenentwurf vorgesehen, enthältie Novelle eine solche Regelung nicht mehr. Mittelstän-ische Unternehmen hätten dadurch vor einer rechtswid-igen Betätigung der Kommunen – sie erschließen sichettbewerbswidrig neue Einnahmequellen – geschützterden können. Leidtragender ist dabei wieder einmaler Mittelstand; denn die Tätigkeit der Kommunen führtu einer massiven Wettbewerbsverzerrung.Meine Damen und Herren von Rot-Grün, mit dieserovelle haben Sie die Chance vergeben, ein liberalesnd praktikables Wettbewerbsrecht zu schaffen. Trotz
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Ingo Wellenreuthereiniger zugegebenermaßen guter Ansätze in Ihrem Ge-setz bleibt es dabei, dass gut gemeint eben nicht gut ge-macht ist.Ich danke Ihnen.
Ich erteile der Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Zunächst einmal möchte auch ich mich be-danken, und zwar bei meinen Kollegen von SPD undGrünen für die gute Zusammenarbeit in puncto Quer-schnittsaufgabe Verbraucherschutz. Das Gesetz, das wirheute verabschieden, bringt uns beim Verbraucherschutzein großes Stück voran.
Unternehmer erhalten ein modernes Lauterkeitsrecht,das schwarze Schafe – zu denken ist zum Beispiel an dieeben erwähnten unerwünschten Telefonanrufe und lästi-gen Spam-Mails – eindeutig in die Ecke stellt.
Hier ist klar und unmissverständlich geregelt, dass keinWerbekontakt ohne die vorherige Einwilligung des Ver-brauchers erfolgen darf. Alles andere ist und bleibtrechtswidrig.Im Gegensatz zur Opposition wollen wir dem Bürgernicht zumuten, Zeit, Geld und Nerven aufwenden zumüssen, um seine Privatsphäre zu schützen.
Es gibt die einfache Regel: Wenn ich nicht ausdrücklichauffordere oder zustimme, Werbung zu erhalten, dannsind mein Telefon, mein PC und mein Briefkasten tabu.Wir haben dieses Thema im Übrigen auch in einerAnhörung im Rechtsausschuss intensiv beleuchten las-sen. Die Experten haben den Gesetzentwurf in diesemPunkt ebenfalls mehrheitlich begrüßt und uns eine re-daktionelle Klarstellung für Ausnahmen empfohlen, da-mit zum Beispiel Kundenkontakte im laufenden Ver-tragsverhältnis unmissverständlich im Rahmen desUWG liegen. Dem sind wir gefolgt.Mich wundert, dass die CDU/CSU in diesem Bereichso unverblümt dem Missbrauch und, wie ich finde, einerenormen Wirtschafts- und Verbraucherschädigung Rü-ckendeckung gibt. Ich bin gespannt, was Frau Heinengleich dazu sagen wird. Arbeitsplätze, die auf einem sol-chen Missbrauch beruhen, sind auf Sand gebaut. Außer-dem muss man betonen, dass diese Belästigungen unddsAssßkAkgBmezwsxkwgvWeDhcrwdßnmibtddVemssGNdegvk
lso noch einmal: Telefonmarketing ist nur mit der Zu-timmung des Kunden erlaubt.Auch der Gewinnabschöpfungsanspruch, besser ge-agt, der Anspruch auf die Abschöpfung von unrechtmä-ig erzielten Gewinnen, ist noch einmal auf seine Prakti-abilität hin überprüft worden. Der neu geregeltenspruch kann von den Verbraucherverbänden in Zu-unft geltend gemacht werden, wenn jemand vorsätzlichegen das UWG verstößt und dadurch Gewinne anhäuft.ei Werbefaxen – ein typisches Beispiel übrigens –, dieittlerweile zu Dutzenden täglich dazu auffordern, überine kostenpflichtige Nummer die Zusendung wieder ab-ubestellen, ist der Schaden des Einzelnen möglicher-eise gering; der Gesamtgewinn des Werbenden aberummiert sich bei hunderttausendfach verschickten Fa-en beachtlich. Neben dem Recht auf Unterlassungs-lage haben Verbraucherorganisationen nun also eineeitere Möglichkeit, gegen diese Rechtsverstöße vorzu-ehen.Wir haben festgestellt, dass das Verfahren noch etwasereinfacht werden kann, allerdings nicht in der Art undeise, wie es uns die FDP in ihren Änderungsanträgenmpfiehlt.
ie Abschöpfung von unrechtmäßig erzielten Gewinnenat – das muss man noch einmal sagen – keinen Straf-harakter. Der Gewinn, der dem Unternehmen wegenechtswidrigen Verhaltens nicht zusteht, wird wiedereggenommen. Das ist noch keine Strafe; die würde erstanach kommen. Mit der Abschöpfung von unrechtmä-ig erzielten Gewinnen wird lediglich der Anreiz ge-ommen, vorsätzlich gegen das UWG zu verstoßen. Da-it hat diese Regelung eine präventive Wirkung und dasst im Grunde auch beabsichtigt.Dieses Verfahren kann in bewährter Weise durch Ver-raucherverbände und die anderen berechtigten Einrich-ungen eingeleitet werden. Dass die FDP hier auf einmalen staatlichen Eingriff fordert, verwundert doch sehr.Die unrechtmäßig erzielten Gewinne sollen direkt anen Bundeshaushalt abgeführt werden. Auch das ist eineereinfachung. Zudem wird das Merkmal „auf Kosteniner Vielzahl von Abnehmern“ durch das Tatbestands-erkmal „zulasten einer Vielzahl von Abnehmern“ er-etzt. Dadurch soll klargestellt werden, dass der An-pruch auf Abschöpfung von unrechtmäßig erzieltenewinnen nicht die Ermittlung von einzelfallbezogenenachteilen voraussetzt. Vielmehr ist es ausreichend, dassurch die Zuwiderhandlung eine Schlechterstellung beiiner Vielzahl von Abnehmern eingetreten ist.Die letzte wichtige Änderung, die wir mit den Kolle-en dankenswerterweise erzielen konnten: Menschen-erachtende Werbung ist auch weiterhin eine Unlauter-eitshandlung und daher ausdrücklich verboten. Der
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Ulrike Höfkenhohe Rang der menschlichen Würde, die durch Art. 1des Grundgesetzes geschützt ist, erfordert ihre Achtungund Wahrung auch im Wettbewerb. Wettbewerbshand-lungen sind dann menschenverachtend, wenn sie demBetroffenen durch Erniedrigung, Brandmarkung, Verfol-gung, Ächtung oder durch andere Verhaltensweisen sei-nen Achtungsanspruch als Mensch absprechen. Wir ha-ben mit den Regelungen im Rahmen dieser Novelleklargestellt, dass wir diese Art von Werbung nicht dul-den.Mit diesen Änderungen – sie betreffen auch andereBereiche, nicht nur den Verbraucherschutz – wird dasvorliegende Gesetz eine runde Sache, die auch fürEuropa vorbildlich ist. Unlautere Geschäftspraktikentreffen Konsumenten und Mitbewerber gleichermaßen.Hier muss es – auch Sie haben es angesprochen – euro-paweite Regelungen geben. Dafür werden wir uns ein-setzen. Denn Wettbewerb macht vor den Grenzen nichthalt.Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Rainer Funke, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Libe-ralisierung des Lauterkeitsrechts ist eine alte Forderungder FDP, aber auch der Wirtschaft und des Handels. Wirfreuen uns daher, dass das Gesetz gegen den unlauterenWettbewerb novelliert wird, nachdem wir schon zu derZeit der alten Regierung im Jahr 1996 entsprechendeAnstöße gegeben haben.
Herr Kollege Hartenbach, Sie haben völlig Recht:Unser altes UWG-Recht ist antiquiert und muss deswe-gen novelliert werden.
Ihr Gesetz jedoch hat Licht und Schatten.
Ich will zunächst auf das Licht eingehen. Die bisheri-gen starren Regelungen im Hinblick auf Schlussver-käufe, Jubiläums- und Räumungsverkäufe fallen weg.Zukünftig soll es jedem Händler erlaubt sein, wann im-mer er will, eine Sonderaktion durchzuführen.
Die FDP begrüßt diese neue Regelung ausdrücklich. Sieentspricht den Vorstellungen einer liberalen Marktord-nung. Hiervon werden insbesondere die Verbraucherin-ndzmnTbElfabhhdFKeaEnsIdkslFub–MwhvGseddduiMat
r ist ein Beitrag – das gebe ich zu – zum Aufbau Ost,ämlich zum Aufbau in Warschau und Prag. Vielleichtorgt er auch für einen Aufschwung in Luxemburg undrland. Unternehmen werden sich nämlich dort ansie-eln, wo Telefonwerbung erlaubt ist. Nach dem Her-unftslandprinzip können sie dann von dort aus unge-tört mit dem deutschen Verbraucher in Kontakt treten.Lieber Herr Hartenbach, wenn Sie ins Hamburger Te-efonbuch schauen, werden Sie darin den Namen Rainerunke finden. Jeder kann mich anrufen: jeder Bürgernd natürlich jeder Staatssekretär. Als mündiger Ver-raucher bin ich Manns genug, einen Anruf abzuweisen.
Mein Name steht doch schon jetzt im Telefonbuch.ich kann jeder erreichen.Unterstützen Sie also unser Bemühen, diese Telefon-erbung wenigstens in eingeschränktem Umfang zu er-alten! Entsprechende Änderungsanträge liegen Ihnenor.Unterstützen Sie uns ferner in unserem Bemühen, denewinnabschöpfungsanspruch aus dem UWG zutreichen! Der Gewinnabschöpfungsanspruch führt zuinem nicht akzeptablen Eingriff in den Markt. Unterem Vorwand des Verbraucherschutzes räumt Rot-Grünen Verbraucherschutzverbänden Rechte ein, die demeutschen Recht bisher aus gutem Grund fremd warennd uns eher aus der amerikanischen Rechtsordnung mithren exzessiven Schadensersatzprozessen bekannt sind.arktteilnehmer werden unzumutbaren Prozessrisikenusgesetzt, ohne dass der Verbraucher irgendeinen Vor-eil hätte. Der Gewinnabschöpfungsanspruch liegt allein
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Rainer Funkeim Verbandsinteresse und im Haushaltsinteresse desBundes.
Derartige Interessen haben im UWG nichts zu suchen.Der Gewinnabschöpfungsanspruch begegnet deshalbschwer wiegenden rechtssystematischen Bedenken.Lassen Sie mich zum Schluss zum unfairen Wettbe-werb von Kommunen kommen. Unter dem Deckman-tel der Daseinsvorsorge stoßen Kommunen in immerneue Geschäftsfelder vor: in das Friedhofswesen, denStraßenbau und in viele andere Bereiche. Leidtragendedieser Entwicklung sind insbesondere kleine und mitt-lere Betriebe im Mittelstand und im Handwerk,
die weder über eine garantierte Finanzausstattung nochüber günstige Finanzierungsmöglichkeiten verfügen
und zudem einem permanenten Insolvenzrisiko unterlie-gen. Nach geltendem Recht haben die Unternehmenpraktisch keine Möglichkeit, sich gegen diesen unfairenWettbewerb zu wehren.
Herr Kollege Funke, Sie denken an Ihre Redezeit?
Ja, nur noch wenige Sätze, wenn ich darf.
Das UWG wäre ein geeigneter Ort gewesen, diesen
hemmungslosen erwerbswirtschaftlichen Betätigungen
der Kommunen eine enge Grenze zu setzen. Im Übrigen:
Die Regierung war damit einverstanden. Sie wollte diese
Betätigungen nur nicht hier geregelt haben. Aber das ist
eine faule Ausrede; denn gerade diese gehören in das
Wettbewerbsrecht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die letzte unvermeidliche Beschimpfung der Bundes-
regierung war entschieden außerhalb der Redezeit.
Dafür hat nun das Wort der Kollege Dirk Manzewski
für die SPD-Fraktion.
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Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Landeinige sitzen ja heute im Zuschauerbereich – könnenroh sein, dass das so ist. Wenn man Ihnen folgen würde,äre die Konsequenz, dass man zu jeder Tages- undachtzeit Anrufe bekommen würde, um mit mehr odereniger frohen und unsinnigen Werbebotschaften undngeboten beglückt zu werden. Die Bürgerinnen undürger wären dem hilflos ausgeliefert;
enn sie wissen ja nicht, wer sie anruft, und sind quasiezwungen, zunächst das Telefonat anzunehmen, gleicho sie sich gerade befinden und womit sie sich geradeeschäftigen.Wenn erst einmal ein Unternehmen damit angefangenat, dann wird sich dies ausweiten. Denn andere Unter-ehmen werden spätestens dann nachziehen müssen,enn sie Verluste beim eigenen Marktanteil hinnehmenüssen. Darauf, dass man sich in diesem Zusammen-ang insbesondere die schwächeren Marktteilnehmer he-aussuchen wird und bei dieser Art von Werbung dierößeren Unternehmen den kleineren Unternehmen ge-enüber klar im Vorteil sind, will ich nicht weiter einge-en.Im Übrigen – das ist hier nicht richtig deutlich gewor-en – sind Anrufe nicht völlig ausgeschlossen. Das mussur vorher ausdrücklich vereinbart werden. In einemertrag kann geregelt sein, dass Anrufe erlaubt sind.Auch Anrufe im mutmaßlichen Interesse sind mög-ich. Wenn zum Beispiel eine Gesetzesänderung durchen Bundestag Einfluss auf einen Lebensversicherungs-
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Dirk Manzewskivertrag hat, kann der Lebensversicherer selbstverständ-lich bei seinem Kunden anrufen und ihn darauf hinwei-sen, dass eine Anpassung des Vertrages möglich ist. Dasgeht.
– Natürlich nicht die Konkurrenz. Das wollen wir auchnicht.
Wir wollen nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger zujeder Tages- und Nachtzeit mit solchen Werbeanrufenbelästigt werden. Wie Sie das anders sehen können, kannich nicht begreifen.
Meine Damen und Herren, dass das alternativlos ist,zeigt im Grunde genommen schon Ihr eigener Vor-schlag. Sie präferieren die so genannte Opt-out-Lösung.Das heißt, die Unternehmen dürfen nach Belieben anru-fen. Derjenige, der dies nicht möchte, muss sich in eineso genannte Robinsonliste eintragen lassen. Wer sichdarin eintragen lässt, wird angeblich nicht angerufen.
Aber wer führt diese Robinsonliste? Wer bringt sie im-mer wieder auf den neuesten Stand? Dabei meine ichnicht nur Neuanmeldungen, sondern auch Adressen- undNamensänderungen. Das sind alles ungeklärte Fragen.
– Man merkt, wie nervös Sie werden, weil Sie dagegennicht vernünftig argumentieren können.Entscheidend ist aber Folgendes: Was passiert, wennein Unternehmen sich einfach nicht an diese Robinson-liste hält, wenn es gleichwohl die hierin festgehaltenenPersonen anruft? Hier wird relativ schnell deutlich, dassdie Robinsonliste überhaupt keine Verbindlichkeit hat.Dementsprechend hätte ein solches Vorgehen keineKonsequenzen für die Unternehmen. Weil dies so ist,stellt sie keine annehmbare Alternative zum Gesetzent-wurf dar.
Wie wenig Erfolg dieser Vorschlag verspricht, ergibtsich im Übrigen aus Folgendem: Die Werbewirtschafthat uns schriftlich mitgeteilt, dass es bei einem gesetzli-chen Telefonmarketingverbot zu einem Abbau von Ar-beitsplätzen kommen werde. Aber dies kann nur der Fallsein, wenn schon heute Menschen in einem Bereich ar-beiten, der verboten ist. Denn solche Anrufe sind bereitsverboten,
wsderZSGdnWVvKdgfsnh
Herr Kollege Manzewski, jetzt möchten gleich meh-
ere Kollegen Zusatzfragen stellen.
unächst der Kollege Gehb.
Ja.
Herr Manzewski, habe ich richtig in Erinnerung, dass
ie bei Forderungen der Opposition, Tatbestände – etwa
raffiti – unter Strafe zu stellen, häufig gesagt haben,
as habe gar keinen Sinn, weil man der Täter sowieso
icht habhaft werden könne?
ie erklärt sich Ihre spontane Sucht nach Bestrafung im
ergleich zu Ihrer Haltung, wenn man nachts die Häuser
ollgespritzt bekommt?
Was? – Ich habe offen gestanden nicht verstanden,
ollege Gehb, was das mit meinem Vortrag zu tun hat.
Er hat es nicht verstanden, Herr Präsident; dann wie-
erhole ich die Frage.
Gerne.
Habe ich richtig verstanden, dass Sie in der Vergan-
enheit häufig Forderungen der Opposition nach Bestra-
ung bestimmter Tatbestände mit dem Einwand begegnet
ind, die Strafbewehrung – materielles Recht – bringe
ichts, weil man der Täter im Verfolgungswege kaum
abhaft werden könne, so etwa beim Graffiti?
Ja.
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Worin sehen Sie den Unterschied zwischen der Ver-
folgung etwa von Graffititätern und der Verfolgung von
Leuten, die einen nachts oder wann auch immer anru-
fen?
Können Sie mir das erklären?
Das habe ich immer noch nicht verstanden. Was hat
das eine mit dem anderen zu tun?
– Die Frage war so dämlich, Kollege Gehb, dass man sie
nicht verstehen konnte.
Nächste Frage.
Nun möchte der Kollege Rossmanith eine Frage stel-
len.
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
– Es hilft nicht weiter, wenn der Präsident die Frage ver-
standen hat, Herr Schauerte. Das muss schon zwischen
dem Fragesteller und dem Redner abgewickelt werden.
Bitte schön, Herr Rossmanith.
Herr Kollege Manzewski, halten Sie die Bürgerinnen
und Bürger unseres Landes für so unfähig,
dass sie nicht in der Lage sind, den Telefonhörer schlicht
und einfach wieder aufzulegen?
Darf ich diese Frage beantworten, liebe Kolleginnenund Kollegen? – Das ist genau das Problem, das ich an-gnrgeupnhnwIsnsbwdSmnnn–KbsnnsbddmdDwMlhMgWzegmWw
ch folge mit meiner Auffassung der ständigen Recht-prechung dazu.
Mich wundert im Übrigen schon sehr, liebe Kollegin-en und Kollegen, wie sehr sich die Opposition anderer-eits für das Spam-Verbot einsetzt, also gegen die Wer-ung mittels elektronischer Post. Das wundert mich sehr,eil die elektronische Post bei weitem nicht so weit inie Privatsphäre eingreift wie eben Telefonate. Auf eineMS-Mitteilung oder eine E-Mail brauche ich nicht im-er gleich zu reagieren; ich kann sie mir gegebenenfallsoch später anschauen oder brauche sie mir, wenn ichähere Erkenntnisse über den Adressaten habe, auch garicht anzuschauen. Wenn allerdings das Telefon klingelt damit gehe ich noch einmal auf Ihre Frage ein, Herrollege Rossmanith –, sieht das völlig anders aus: Ichin gezwungen, den Anruf erst anzunehmen, um festzu-tellen, wer am anderen Ende ist. Da sehe ich schon ei-en erheblichen Unterschied.Wie sehr die Wirtschaft darunter leidet, ergibt sichicht zuletzt aus der aktuellen Mitteilung der Kommis-ion an das Europäische Parlament über unerbetene Wer-enachrichten. Das ganz große Problem ist, dass sich iner Regel nicht die seriösen Unternehmen dieses Me-iums bedienen, sondern eher die unseriösen Unterneh-en. Gerade bei Spam ist es mittlerweile sogar so, dassie seriösen Unternehmen Angst davor haben. Sie sagen:as Medium gerät in ein derart schlechtes Licht, dassir mit unserem seriösen Verhalten dort gar keinearktchancen mehr haben.Wenn Sie auf die Situation im europäischen Aus-and aufmerksam machen, wo dies tatsächlich laxer ge-andhabt wird, dann kann ich Ihnen nur eines sagen:an muss nicht jeden Unsinn, der in anderen Ländernemacht wird, mitmachen, Herr Kollege Wellenreuther.enn Sie auch noch sagen, die entsprechende Richtlinieum UWG handhabe das anders, dann muss ich Ihnenntgegnen: Die Richtlinie, die Sie angesprochen haben,eht von einer Vollharmonisierung aus. Einer Vollhar-onisierung steht jedoch immer noch Rom II entgegen.enn wir nicht zu einer Vollharmonisierung kommen,ird bei uns auch nicht das Herkunftsprinzip gelten.
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Dirk ManzewskiWie vorsichtig – das ist ganz interessant, weil HerrKollege Schauerte gleich noch redet – man mit Liberali-sierungen im Wettbewerbsrecht umgehen muss, zeigt imÜbrigen der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte,nämlich die Abschaffung von Sommer- und Winter-schlussverkauf. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wiesehr hat uns die Wirtschaft noch in der letzten Legisla-turperiode immer wieder dazu gedrängt, so schnell wiemöglich Rabattgesetz und Zugabeverordnung abzu-schaffen! Mittlerweile hat sich das Bild ein wenig geän-dert; denn insbesondere beim Einzelhandel hat man fest-stellen müssen, dass der Bürger trotz vermeintlicherBilligangebote nur das ausgeben kann, was er im Porte-monnaie hat, dass die Großen mehr davon profitieren alsdie Kleinen und dass Geiz nicht immer geil sein muss.Die Bürger werden zurzeit derart mit Rabattaktionenüberfrachtet, dass sich die hiervon versprochenenEffekte für die Wirtschaft nicht ergeben haben. Ganz imGegenteil, liebe Kolleginnen und Kollegen: Meiner Auf-fassung nach sind die Verbraucher eher verunsichert.Ich hatte seinerzeit erhebliche Probleme damit, ge-nauso wie der Kollege Schauerte am Anfang, ich binaber als Jurist für eine stringente Regelung. Nach Aufhe-bung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung machenSommer- und Winterschlussverkauf einfach gar keinenSinn mehr, schon allein deshalb nicht, weil anders alsfrüher kurz zuvor zum Beispiel mit einem Vorsommer-schlussverkauf oder einer wie auch immer gearteten ähn-lichen Rabattaktion geworben werden darf. Dies hatnicht zuletzt der letzte Winterschlussverkauf mit seinenschlechten Ergebnissen gezeigt. Sommer- und Winter-schlussverkauf – das hat die Anhörung ergeben – wür-den einzig noch eine kostenlose Werbung für den Einzel-handel darstellen. Das kann nicht Sinn und Zweck desUWG sein.Streitig ist des Weiteren noch die Frage nach dem sogenannten Gewinnabschöpfungsanspruch. Bei unlau-teren Wettbewerbshandlungen gibt es bislang nur dieMöglichkeiten einer Unterlassungsklage oder einerKlage auf Schadenersatz. Insbesondere in den Fällen, indenen eine Vielzahl von Abnehmern nur zu jeweils klei-nen Beträgen geschädigt worden ist, kam es oft zu demunbefriedigenden Ergebnis, dass der unlauter Handelndeden hieraus gezogenen Gewinn behalten durfte. Dieskann eigentlich niemand ernsthaft wollen, zumal sichder Anspruch nur gegen vorsätzlich Handelnde richtensoll.Soweit die Opposition die Gewinnermittlung fürproblematisch erachtet, teile ich diese Bedenken, die ichanfangs auch etwas hatte, nicht mehr. Ich bin insbeson-dere nach der Befragung des Vertreters des Bundesge-richtshofs in der Sachverständigenanhörung zu dem Er-gebnis gekommen, dass dies meinen Kolleginnen undKollegen aus der Rechtsprechung keine Probleme berei-ten wird. Eine Gewinnermittlung ist insbesondere demBGB ja nun auch nicht völlig unbekannt; ich erinnere an§ 721 und § 252 BGB. Einen Strafrechtscharakter ver-mag ich auch nicht zu erkennen, da hier kein Strafaus-spruch erfolgt, sondern lediglich die Herausgabe des wi-derrechtlich Gewonnenen verlangt wird.zdAvGdRvswcIhhdwIPIDd WCwBgf
Zuletzt ist von den Vertretern der Opposition gerügtorden, dass im UWG keine Aussage zum wirtschaftli-hen Handeln der öffentlichen Hand gemacht wird.ch meine, dass das UWG allgemeinverbindlich zu seinat und eine Lex, die die öffentliche Hand betrifft, des-alb nichts im UWG zu suchen hat.Meine Damen und Herren, ich meine, dass der Bun-esregierung mit diesem Gesetzentwurf ein guter Ent-urf gelungen ist.
hre Kritik ist marginal und beschränkt sich auf wenigeunkte. Wie Sie meiner Rede entnommen haben, sindhre Argumente auch nicht besonders stichhaltig.
eshalb fordere ich Sie auf,
em Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen.
ir jedenfalls werden das tun.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun die Kollegin Ursula Heinen, CDU/
SU-Fraktion.
Das tue ich aber mit ganz besonderem Vergnügen,eil so viele Fragen offen geblieben sind.Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dieundesregierung wollte bei der Reform des Gesetzes ge-en den unlauteren Wettbewerb auch EU-Recht beein-lussen und hierfür ein Vorbild schaffen.
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9290 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Ursula HeinenDas ist ein Ziel, das wir durchaus unterstützen. Wir ha-ben immer wieder gesagt, dass das eine gute Idee ist, da-mit wir in Deutschland einmal Vorreiter für die Rechtset-zung auf europäischer Ebene sind.Wir brauchen – darüber sind wir uns sicherlich alleeinig – eine grenzübergreifende Harmonisierung desLauterkeitsrechts. Aber die Antwort auf eine Frage sindSie völlig schuldig geblieben, obwohl verschiedene Kol-legen, zum Beispiel Herr Funke oder HerrWellenreuther, diese Frage aufgeworfen haben: Wie ver-einbaren Sie zum Beispiel beim Telefonmarketing un-sere UWG-Regelung mit der Binnenmarktklausel undder Rechtsetzung im jeweiligen Herkunftsland?Sprich: Nach der Binnenmarktklausel soll bei Wettbe-werbsverstößen – so ist es geplant – das Herkunftsland-prinzip gelten. Das heißt, dass ein Unternehmen aus demAusland bei uns in Deutschland anrufen darf.
In Deutschland gilt der Bezug auf den Marktort, also dasRecht des Angerufenen. Wie wollen Sie diese Regelun-gen miteinander verbinden? Wie wollen Sie, wenn dieBinnenmarktklausel gilt, verhindern, dass die Unterneh-men tatsächlich, wie es manche Kollegen gesagt haben,vom Ausland aus bei uns in Deutschland anrufen, weilsie das nach dem EU-Recht dürfen? Die Antwort aufdiese Frage sind Sie schuldig geblieben.
Daher kann ich Ihnen vorhersagen, dass die von Ihnenvorgesehene UWG-Bestimmung eine Haltbarkeit vongerade einmal einem halben Jahr haben wird. Das warPunkt eins.
Punkt zwei. Jetzt komme ich auf den Inhalt Ihres Ent-wurfs zu sprechen. Beim Thema Telefonmarketing zeigtsich Ihre gesamte Denkweise, was Sie vom Verbraucherhalten und wie er Ihrer Meinung nach geschützt werdenmuss. In der Tat scheint es eine gute Idee zu sein, zu sa-gen, dass die Verbraucher nicht angerufen werden dür-fen, das Telefonmarketing also – bis auf laufendeGeschäftsbeziehungen – ganz zu verbieten. Allerdingsmuss man dann festlegen, wann es sich um eine lau-fende Geschäftsbeziehung handelt. Handelt es sich alsoum keine laufende Geschäftsbeziehung, wenn man sieerst vor ein paar Wochen eingegangen ist, sodass mannicht angerufen werden darf? Oder gilt das erst bei län-geren Zeiträumen? Das ist mir nicht ganz klar.Wir haben vorgeschlagen, eine modifizierte Opt-in-Regelung einzuführen. Es wäre in der Tat überhauptkein Problem gewesen, sie in Art. 7 aufzunehmen
und festzulegen: Wenn ein Unternehmen die elektroni-sche Adresse und die Telefonnummer eines Kunden be-kommen hat, darf es ihn auch anrufen. Ich verstehenweVskwzwKmIbcsWvwIasskadgatszs
eil es sich hierbei nicht um eine laufende Geschäftsbe-iehung handelt. Aber wie sieht es beim Thema Wahl-erbung aus, die natürlich gesondert geregelt wird? Sie,olleginnen und Kollegen von der Koalition, dürfeneine mutmaßlichen Wähler belästigen.
ch finde, Sie müssten auch dem einen Riegel vorschie-en. Wieso darf die SPD meine Leute anrufen, aber Mer-edes-Benz die BMW-Kunden nicht anrufen? Ich mussagen: Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.
enn Sie glauben, dass Ihre Anrufe die Leute nicht ner-en, dann ist Ihnen nicht zu helfen.Tatsächlich gehen Ihre Vorstellungen an der Lebens-irklichkeit vorbei.
ch kann Sie nur herzlich auffordern, sich noch einmalnzuschauen, was Sie da angerichtet haben, und zu ver-uchen, unseren Vorschlägen, die auch von der Wirt-chaft unterstützt werden, entgegenzukommen. Wirümmern uns um die Verbraucher, wir kümmern unsber auch um die Wirtschaft, weil es um den Ausgleicher Interessen beider geht.
Ich will noch etwas zu den E-Mails sagen: Ichlaube, Sie haben nicht ganz begriffen, warum Firmennrufen. Sie rufen doch nicht an, um die Leute zu beläs-igen;
ie wollen Kunden werben. Es gibt einen Unterschiedwischen automatisierten E-Mails bzw. Faxen und per-önlichen Anrufen über Callcenter;
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Ursula Heinen
das sollten Sie bei Ihren Überlegungen beachten.
Ich wette mit Ihnen heute hier, dass wir, wenn dieBinnenmarktklausel, das EU-Recht kommt, wir wiederhier sitzen müssen, um das UWG zu überarbeiten – wiealles, was Sie hier in diesem Hause durchpeitschen.Danke schön.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Hartmut Schauerte für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Ich will drei Punkte noch einmal kurz ansprechen;denn eigentlich beschäftigen wir uns mit einer Materie,bei der man sich nicht streiten muss, wenn guter Willeauf allen Seiten da ist.Das eine ist das Thema Gewinnabschöpfungs-anspruch. Sie haben ja nachgebessert – Sie haben selbererkannt, dass Ihre ersten Entwürfe viel zu weit gingenund bestimmten Klagen und Fehlentwicklungen Tür undTor geöffnet hätten –, eine Beschränkung auf Vorsatzvorgenommen und verfügt, dass der abgeschöpfte Ge-winn an eine staatliche Stelle abzuführen sei. Die Rege-lung ist aber sehr kompliziert. Immer noch besteht einhohes Interesse, zu klagen.Wir haben eine einfachere Regelung vorgeschlagen:Die Gewinnabschöpfung soll das Kartellamt vornehmen;der Fall soll beim Kartellamt landen. Das ist ein absoluthandhabbarer Weg: Keiner muss Angst haben, dass seineGeschäftsgeheimnisse, seine kalkulatorischen Grundla-gen vor einer staunenden Öffentlichkeit ausgebreitetwerden. Das Kartellamt kennt die Fälle und die Pro-bleme ohnehin; das wäre einfach zu handhaben gewesenund vernünftig. Sie haben sich dem nicht beugen kön-nen, weil Sie Ihren Verbraucherverbänden etwas Ge-schmäckle machen wollten, ein eigenes geschäftlichesInteresse, permanent solche Klagen anzustrengen.Wir sagen: Vorsicht! Wir wollen keine amerikani-schen Verhältnisse im Wettbewerbsrecht. Sie alle wis-sen, wie das die Wirtschaft lähmen kann, zu welchenabstrusen Entwicklungen das führen kann, wie fehlge-steuert reine Geldinteressen sind, wie Abmahnvereineihr Unwesen entwickeln, sodass man nicht mehr zumnormalen Wirtschaften kommt. Deshalb ist unsere Emp-fehlung: Ändern Sie Ihre Position an der Stelle noch ein-mal und öffnen Sie sich unseren Vorschlägen! Ansonstenwerden wir es ändern, wenn wir regieren. Wir halten Ih-ren Weg für falsch.
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enn es in der Begründung etwas klarer formuliert wor-en wäre, hätten wir dieses Problem lösen können.
Ich will einen dritten Punkt benennen, der heute nochar nicht angesprochen worden ist, den wir allerdingsnter Mittelstandsgesichtspunkten für sehr wichtig hal-en. Wir hatten mit einer Reihe von Verbänden darumebeten, die wirtschaftliche Betätigung von Kommu-en im UWG-Recht mit zu erfassen. In der jetzigen Fas-ung sieht § 3 Nr. 11 vor, das Marktverhalten im Inte-esse der Marktteilnehmer zu regeln. Wir wollten, dassoder den Marktzutritt“ hinzugefügt wird.Was verbirgt sich hinter dieser schlichten Formulie-ung? Sie wissen, dass wir unendlich viele Abgren-ungsprobleme haben und in wachsendem Maße bekom-en werden, was öffentliche Hände wirtschaftlich tunollen und was die Privatwirtschaft tun soll. In vielenändergesetzen wurde beschlossen, was die öffentlichenände in Form von wirtschaftlicher Betätigung nicht tunollen. Wir wollen mit diesem kleinen Zusatz an unserestreben erinnern, dass sich alle an diese Landesge-etze halten. Wir müssen es an irgendeiner Stelle ahndennd unter Strafe stellen, wenn dies nicht geschieht.Eigentlich ist an die SPD die Frage zu stellen: Warumollt ihr nicht, dass ein Gesetz, das ihr selber auf Bun-es- oder auf Landesebene beschlossen habt, anschlie-end auch ernsthaft beachtet und eingehalten wird? Nurm diese Frage ging es. Ihrer Klärung haben Sie sicherweigert; das ist schade. Wir werden deswegen eineeihe weiterer Prozesse führen müssen. Sie alle kennenie Abgrenzungsprobleme, die vermeidbar gewesen wä-en. Wenn man einen eindeutigen Hinweis darauf insesetz geschrieben hätte, hätte jeder, auch jeder Käm-erer, gewusst, worauf er zu achten hat; denn die Markt-utrittsregelungen sind genauso ernsthafte Wettbewerbs-nd Lauterkeitsregeln wie die Marktverhaltensregelun-en. Eigentlich gehört das sinnvollerweise zusammen.ier lagen die Unterschiede.
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Hartmut Schauerte80 oder 90 Prozent dessen, was jetzt vorliegt, ist ver-nünftig; das haben wir gemeinsam entwickelt. Da esbeim Rest an Vernunft bei Ihnen gefehlt hat – das ist, ge-messen an Ihren sonstigen Gesetzgebungsvorhaben, eineausgesprochen kleine Defizitquote –, können wir nichtzustimmen. Dafür werden Sie sicherlich Verständnis ha-ben.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Druck-
sache 15/1487. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf
Drucksache 15/2795, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Dazu liegen vier Ände-
rungsanträge der FDP-Fraktion vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 15/2852? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 15/2853? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 15/2854? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich ahne, was mit dem vierten Änderungsantrag auf
Drucksache 15/2855 passiert. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Es reicht nicht;
der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom-
men.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cajus
Caesar, Peter H. Carstensen ,
Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Urwaldschutz durch nachhaltige Holz- und
Forstwirtschaft stärken
– Drucksache 15/2747 –
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Schauen wir uns einmal die Verhältnismäßigkeit derMittel an, die wir zum Klimaschutz und zur CO2-Re-duzierung einsetzen. In diesen Tagen streitet die Bun-desregierung über den Emissionshandel.
Wir reden über die zukünftigen Regelungen im EEG.Wir diskutieren auch darüber, ob wir 2, 2,5 oder 3 Milli-arden Euro im Zuge von Stromeinspeisung für die erneu-erbaren Energien ausgeben. Hinzu kommen rund500 Millionen Euro als Steuersubventionen für Investiti-onen und rund 500 Millionen Euro allein in Nord-deutschland für die Kosten der Netzerweiterung. DieTatsache, dass gleichzeitig täglich 40 000 Hektar Waldauf Dauer verloren gehen und versteppen, hat weitausgrößere Auswirkungen auf das Klima. Da richten wirmit zweieinhalb Milliarden Euro im Jahr für den Klima-schutz nur wenig aus. Das kann nicht sein.
Wie sieht es mit den entsprechenden Mitteln im Bun-deshaushalt aus? 1998, zu Unionszeiten, hatten wir nochetwa 130 bis 150 Millionen Euro pro Jahr für diesen Be-reich im Haushalt. Die Mittel sind kontinuierlich zurück-gegangen auf jetzt rund 100 Millionen Euro im Jahr. Da-durch werden wichtige Projekte vernachlässigt. Dasträgt nicht dazu bei, voranzukommen, stattdessen schrei-tet die negative Entwicklung weiter fort. Deshalb bittenwir als Union Sie, hinsichtlich dieses Antrages tätig zuwerden, sowohl haushaltsrelevant als auch gesetzgebe-risch.
Dies ist auch eine Frage der Wirtschaft. Sie haben ei-nen Zwischenruf gemacht. Sie sollten natürlich auch andie Kooperation zwischen den Menschen vor Ort, an diewirtschaftliche Entwicklung und an den Klimaschutzdenken. Wenn Holz in Deutschland illegal eingeführtwird, dann schadet das auch unserer Holzwirtschaft,
weil das Holz zu Dumpingpreisen verkauft wird.
Herr Kollege Caesar, darf der Kollege Schauerte eine
Zwischenfrage stellen?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn wiron der Verhältnismäßigkeit reden, dann ist es schonichtig, dass wir dabei natürlich auch daran denken,ass es nicht sein kann, dass wir den 1,3 Millionenaldbesitzern hier durch eine geplante Novellierunges Bundeswaldgesetzes vorschreiben wollen, welcheflanze auf welchem Quadratmeter in welcher Höhe ge-etzt wird, gleichzeitig aber das Große aus den Augenerlieren. Ich denke, es ist wichtig, zu wissen, dass0 Prozent aller Pflanzenarten der Welt in den tropischenrwäldern vorkommen. Deshalb gilt es, hier den Schutznzusetzen. Auf einem Hektar Regenwald am Amazonaseben etwa 400 verschiedene Baumarten und damit mehrls in ganz Europa. Auch das zeigt, wie wertvoll dieseebiete für unsere Natur sind.Diejenigen, die durch die Natur schreiten, wissen,ass es hier etwa einige Monate dauert, bis aus den Blät-ern Humus wird. Schauen wir uns einmal die Besonder-eiten des Urwaldes an. Was glauben Sie, wie lange esm Tropenwald dauert? – Dort sind es vier Tage. Daranrkennen wir, welche Kräfte das Klima dort freisetzt undelche Möglichkeiten dort vorhanden sind. 50 000 ver-chiedene Tierarten leben im Regenwald auf einem Qua-ratkilometer. Deshalb sagen wir als Union: Es lohntich, hier tätig zu werden und den Urwald für unsereelt, für unsere Generation und auch für unsere Kinderu erhalten, zu schützen und dort, wo er zerstört wurde,ieder zu entwickeln.
Wesentlich ist auch – darüber haben wir auch hier imlenum schon mehrfach diskutiert –, wie es mit unseremasservorkommen und unserer Wasserreinheit aus-ieht. Schauen wir uns einmal die Tropenwälder an.iese versorgen 1 Milliarde Menschen mit Süßwasser.
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Cajus CaesarSie sind zudem ein gigantischer Filter für Luft und Was-ser. Auch dies dürfen wir nicht außer Acht lassen. DieseUrwälder sind in Hundert Millionen Jahren entstandenund werden in wenigen Jahren zerstört.Es ist wichtig, den Lebensraum der Menschen vorOrt, die direkt im Wald leben, zu sichern. Nur ein Wald,der seinen An- und Bewohnern die Chance des wirt-schaftlichen Überlebens bietet, kann auf Dauer selbstüberleben. Deshalb müssen wir uns anschauen, wie dieMenschen vor Ort ihren Wald beobachten und wie sie ja-gen, fischen und sich von Wildpflanzen ernähren. Dabeinehmen sie von der Natur nicht mehr in Anspruch, alserforderlich ist, um auf Dauer – also nachhaltig – dort le-ben zu können.Wenn die Wälder dort illegal genutzt und abgeholztwerden, dann bedeutet das, dass diesen Menschen ihreLebensgrundlage genommen wird und sie in die Städteabwandern müssen. In den Armutsvierteln der Städte le-ben sie dann in Armut, unterernährt und in Arbeitslosig-keit. Auch das muss man hier berücksichtigen. Das be-trifft nicht einen oder zehn, sondern zig MillionenMenschen.Es ist wichtig, zu beobachten, was dort geschieht.Durch die illegale Nutzung eines wertvollen Mahago-nistammes, der dort für etwa 30 Euro erworben wird, istes möglich, auf dem Exportmarkt 3 000 Euro zu erzie-len. Wenn man den Stamm in Blockwaren massiv undFurnierholz zerlegt, dann kann er beim Verkauf an denEndverbraucher einen Wert von rund 100 000 Euro er-zielen. Daran erkennen Sie die Gewinnspannen. Daskann nicht sein. Das schadet allen – auch unserem Holz-markt. Deshalb müssen wir hier tätig werden.
Noch gibt es 13,5 Millionen Quadratkilometer Ur-wald. Das sind aber nur noch etwa 20 Prozent der ur-sprünglichen unberührten Fläche. Deshalb müssen wirhandeln: an der Westküste Kanadas mit tausendjährigenZedern, Fichten, Tannen und dem Vorkommen des Wol-fes genauso wie in den Bergwäldern Chiles, aber auchim westlichen Russland, in den Schneewäldern Sibi-riens, in den Regenwäldern Südostasiens oder in den Re-genwäldern des Amazonas mit über 60 000 Pflanzen,1 000 Vogel- und mehr als 300 Säugetierarten.Was sollte die Bundesregierung tun? Wir haben das inunserem Antrag in sechs Punkten formuliert. Es ist aberzusätzlich wichtig, dass durch Waldinventuren diewertvollen Gebiete – ich meine wertvoll für die Natur,den Artenschutz und die wirtschaftliche Entwicklung –dokumentiert werden und dass insbesondere durch inter-nationale Vereinbarungen sichergestellt wird, dieseGebiete zu erhalten. Unser Antrag zielt darauf, das Mit-einander von Schutz, Erhalten und nachhaltiger Ent-wicklung zu gewährleisten. Nachhaltige Entwicklung istnichts anderes, als nicht mehr Holz zu nutzen, als imgleichen Zeitraum auf einer bestimmten Fläche nach-wächst.Wir müssen die Rahmenbedingungen für die vor Ortlebenden Menschen entsprechend gestalten. Das hat et-was mit dem Wald, mit legaler Holznutzung, aber auchmslvnmwgndsaWVwuewdPtdeeBuJkwSimudOlzklgHKd
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und nun Ihren Antrag im Alleingang präsentieren. Wassagt uns das? Sie haben mit diesem Verhalten wiedereinmal Ihre Schwäche unter Beweis gestellt.
Sie machen dicke Backen, sorgen aber nicht für die not-wendigen parlamentarischen Mehrheiten, um Ihre Anlie-gen durchzubringen. Für die Sache wäre ein breiter poli-tischer Konsens wichtig. Vielleicht, Herr KollegeCaesar, bekommen wir das im Ausschuss hin.Man sieht es dem Holz nicht an, ob es legal oder ille-gal geschlagen wurde. Wir finden es deshalb richtig,dass dem Importeur eine Pflicht zur Nachvollziehbar-keit der Produkt- und Handelskette auferlegt wird.Das ist eine Forderung in Ihrem Antrag. Wie können wirdas erreichen? Ein wirksamer Weg ist eine umfassende,international anerkannte Zertifizierung, die auch die so-zialen Belange der Länder und deren Bevölkerung ein-schließt. FSC ist zurzeit das einzige Siegel, das dieseKriterien im internationalen Maßstab erfüllt. Wenn es Ih-nen mit Ihrer Forderung ernst ist, dann müssen Sie Ihrenideologisch befrachteten Widerstand gegen dieses Siegelendlich aufgeben.Ihr vorliegender Antrag beschränkt sich fast aus-schließlich auf nationale Sanktionen. Das ist uns zu we-nig. Mit nationalen Alleingängen retten wir die Urwäl-der nicht. Wir brauchen weltweit völkerrechtlichverbindliche Regelungen.
Die Bundesregierung ist auf internationaler Ebene trei-bende Kraft.
Dazu zwei Beispiele. Das erste Beispiel ist die7. Vertragsstaatenkonferenz zur Konvention über diebiologische Vielfalt. Bis 2010 soll ein internationalesNetzwerk von geschützten Gebieten zu Land und bis2012 ein solches für die Weltmeere geschaffen werden.Das zweite Beispiel ist der europäische Aktionsplan zumSchutz der internationalen Wälder, kurz: FLEGT. Mitden betroffenen Ländern werden Partnerschaften ge-schlossen und gemeinsam wirksame Systeme zur Rück-verfolgbarkeit des Holzes entwickelt. Dies geschiehtübrigens zurzeit mit Russland.Um international glaubwürdig zu bleiben, müssen wiralle uns zur Verfügung stehenden nationalen Maßnah-men ausschöpfen. Das ist überhaupt keine Frage. Einwirksames Instrument könnte vielleicht das Geld-wäschegesetz sein. Aber ist es richtig und sinnvoll, einerein nationale Insellösung anzustreben? Wir haben einstarkes Europa und müssen den Raubbau an den letztenUrwäldern gemeinsam bekämpfen. Das ist eine viel wir-kungsvollere Strategie.eHMhsISLSsssflgwEdwmlsemtnsuwGmdndzK
Mit der Novellierung des Bundeswaldgesetzes under Festschreibung naturnaher Waldwirtschaft werdenir diesen Erfolgskurs fortsetzen. Wir machen das auchit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Sie, Herr Kol-ege Caesar, haben es angesprochen. Dieses Gesetzchließt unsere Wälder als Energieträger ein und siehtine angemessene Förderung von Waldholz als Bio-asse zur Stromgewinnung vor. Ihnen ist diese Aufwer-ung in Ihrer Regierungszeit nicht gelungen, obwohl Ih-en der Wald offensichtlich so am Herzen liegt.Das Gesetz wird morgen hier im Bundestag beschlos-en werden.Sie werden es nicht ablehnen können, meine Damennd Herren von der CDU/CSU-Fraktion,
enn es Ihnen wirklich ernst mit den Wäldern ist.Morgen werden Sie in diesem Hause Ihre politischelaubwürdigkeit unter Beweis stellen müssen. Ich binir ziemlich sicher, dass Sie sie, wie schon so oft, wie-er einmal verspielen werden. Ihre großen Worte sindichts als heiße Luft,
ie möglicherweise zur Klimaerwärmung, aber nichtum Schutz unserer Wälder beitragen werden.
Das Wort hat nun die Kollegin Christel Happach-asan, FDP-Fraktion.
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9296 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die
Sie hier noch ausharren! Frau Hiller-Ohm, es ist schon
einzigartig, die Schweinehaltungsverordnung mit dem
Urwald in Indonesien in Verbindung zu bringen. Ich
habe nicht den Eindruck, dass Ihnen der Urwaldschutz
wirklich am Herzen liegt.
Jeder von uns hat eine Vorstellung davon, was Urwäl-
der sind. Sie sind Sinnbild für eine ursprüngliche Natur.
Weil wir in Deutschland fast keine ursprüngliche, vom
Menschen nicht beeinflusste Natur mehr haben, üben
Urwälder eine besondere Faszination auf uns aus.
Wir beobachten seit Jahrzehnten die Zerstörung der
Urwälder der Erde. Der brutale illegale Raubbau ist eine
wesentliche Ursache dafür. Ich finde, Sie haben das ein-
drucksvoll beschrieben, Herr Caesar. Die Armut der Be-
völkerung in verschiedenen Ländern der Erde trägt aber
ebenfalls zur Zerstörung der Urwälder bei.
Wir brauchen die Urwälder für die Menschen vor Ort,
für den Schutz von Klima, Wasser und Artenvielfalt,
aber auch als Quelle für den nachwachsenden Rohstoff
Holz. Für die Bekämpfung beider Ursachen für die Zer-
störung von Urwäldern müssen wir eine jeweils eigene
Strategie finden. Holz aus illegalem Raubbau darf bei
uns keinen Markt finden und nicht zu Dumpingpreisen
angeboten werden.
Um den Import von Holz aus illegalem Einschlag zu
unterbinden, enthält der Antrag praktische und gute Vor-
schläge, die auf die Umsetzung der bestehenden Gesetze
setzen. In Ergänzung dazu muss die Nutzung heimischen
Holzes aus nachhaltiger Waldwirtschaft in Deutschland
gestärkt werden. Aber auch das reicht noch nicht aus.
In Deutschland hat sich aufgrund der hohen Bedeu-
tung, die die Wälder seit Jahrhunderten für die Siche-
rung der Existenz der Menschen und die Entwicklung
von Wohlstand hatten, ein ausgeprägtes Bewusstsein für
die Bedeutung von Wald und den Schutz der Wälder ent-
wickelt. Der multifunktionale Wald ist unser Leitbild.
Wir sollten versuchen, den armen Ländern der Erde
zu helfen, ihre Wälder in entsprechender Weise für die
Bekämpfung der Armut zu nutzen und gleichzeitig ein
Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes ihrer Wäl-
der zu entwickeln. Statt internationaler Verordnungen,
die zu mehr Bürokratie führen, ist Hilfe zur Selbsthilfe
angesagt, Frau Hiller-Ohm.
Einen Beitrag dazu könnte die von der Weltbank ent-
wickelte neue Strategie zum Schutz der Wälder leisten.
Die Weltbank will das Potenzial der Wälder zur Vermin-
derung der Armut einsetzen, Wälder in eine nachhaltige
Entwicklung integrieren und lokal und global bedeut-
same Wälder schützen. Das ist, wie ich meine, ein richti-
ger Ansatz.
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ieses Verhalten von Greenpeace wird unserer Sorge um
en Erhalt der Urwälder und der dringenden Notwendig-
eit, ihren Schutz voranzubringen, nicht gerecht.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
Ich komme zu meinem letzten Satz. – Wir brauchen
en Erhalt der Wälder für das Leben der Menschen vor
rt, den Artenschutz, die Sicherung der Wasserressour-
en und den Klimaschutz.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Behm, Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!reenpeace – davon war gerade die Rede – hat Anfangieses Jahres unter anderem den Entwurf eines Gesetzesur Bekämpfung des Handels mit illegal geschlagenemolz zum Schutz von Urwäldern und anderen Primär-äldern – ein so genanntes Urwaldschutzgesetz – vorge-egt.Das haben wir, die Bundestagsfraktion des Bündnis-es 90/Die Grünen, begrüßt; denn laut FAO gehen jähr-ich 15 Millionen Hektar Urwald verloren. Hielte dieseendenz an, wären die Urwälder in wenigen Jahrzehntenerschwunden. Es besteht also tatsächlich akuter Hand-ungsbedarf. Allerdings ist das Problem nicht neu. In ih-em ersten Gesamtwaldbericht vom Juli 2001 hat dieundesregierung sowohl eine Situationsanalyse vorge-ommen als auch Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt.s gibt bereits zahlreiche Initiativen gegen die Urwald-erstörung. Nichtsdestotrotz konnte ihr bisher kaum Ein-alt geboten werden. Eine Urwaldkonvention kam bis-ang nicht zustande.Welches sind die Triebfedern für Waldzerstörungnd Raubbau? Übergreifend sind hier Strukturschwä-
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Cornelia Behmche und die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen– anders ausgedrückt: Unterentwicklung – zu nennen. Sogehen mangelhafte oder fehlende Umwelt- und Sozial-standards eine unheilige Allianz mit Brandrodung, forst-licher Übernutzung, Anlagen von Plantagenwäldern unddem Handel mit Holz aus illegalem Einschlag ein. Etwazwei Drittel der Urwälder befinden sich in wirtschaftlichschwachen Ländern, also in Ländern, in denen Korrup-tion an der Tagesordnung ist und deshalb dem Kriminali-tätsdruck auf die Nutzung der Wälder wenig Widerstandentgegengesetzt wird. Angesichts dessen verwundert esnicht, dass circa 10 Prozent des weltweit gehandeltenHolzes aus illegalem Einschlag stammen.Um das Übel an der Wurzel zu packen, müssen dieursächlichen Verhältnisse verändert werden. Deutsch-land leistet hier durchaus seinen Teil, zum Beispieldurch gezielte Entwicklungshilfe und internationale Ab-kommen. Für grundsätzliche Veränderungen müssenaber viele Akteure ins Boot geholt werden. Trotzdemdürfen wir als bedeutendes Holzabsatzland nicht mitVerweis auf internationale Abkommen und die Verant-wortung der Erzeugerländer unseren Beitrag zum Ur-waldschutz verweigern. Da der illegale Holzeinschlagzu den Hauptursachen der Waldzerstörung gehört, bedarfes tatsächlich wirksamer Instrumente sowohl gegen ille-galen Holzeinschlag als auch gegen den Handel mit Holzaus illegalem Holzeinschlag. Mit den von Greenpeacevorgeschlagenen Sanktionen gegen den wissentlichenHandel mit Holz aus illegalem Holzeinschlag könntendie schwarzen Schafe unter den Unternehmen des Holz-handels und der Holzverarbeitung zurückgedrängt wer-den. Insofern kann ein Urwaldschutzgesetz mit entspre-chenden Sanktionen durchaus zielführend sein.Mein Fazit lautet: Wir müssen das eine tun und dürfendas andere nicht lassen. Das bedeutet auch, die Maßnah-men umzusetzen, die die Bundesregierung im Gesamt-waldbericht vorschlägt. Dazu gehören die Verstärkungder Forschung, die Unterstützung der Kennzeichnungvon Tropenholz aus nachhaltiger Nutzung und die For-cierung waldrelevanter Vorhaben bei der Entwicklungs-zusammenarbeit Deutschlands, der EU und der Verein-ten Nationen.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Op-position, an dieser Stelle komme ich wieder auf ein vielstrapaziertes Thema zu sprechen. Um Sanktionen zu ent-gehen, werden Handel, Industrie und Verbraucher künf-tig verstärkt zertifiziertes Holz nachfragen; denn ein an-spruchsvolles forstwirtschaftliches Zertifikat ist diebeste Gewähr für eine legale Holzwirtschaft. WirksameMaßnahmen gegen den Handel mit Holz aus illegalemEinschlag haben also einen doppelten Effekt: Sie tragenzum Schutz von Urwäldern bei und verbessern die Ver-marktungsbedingungen für nachhaltig erzeugtes und ein-heimisches Holz.
Aus diesem Grund prüft die Bundesregierung, welcheder von Greenpeace vorgeschlagenen Maßnahmen sinn-voll und umsetzbar sind. Dabei ist klar: Die Regelungenmüssen so unbürokratisch wie möglich sein.dedDSsdSsPmfsSKlOsiAnmIsrgrüBdAlGs–Gwdrwm
ie Ursachen für den Raubbau an Urwäldern kann eineanktionierung des Handels mit Holz aus illegalem Ein-chlag nicht beseitigen. Dennoch freue ich mich, dassie CDU/CSU-Fraktion den vorliegenden Antrag zuranktionierung des Handels mit Holz aus illegalem Ein-chlag eingebracht hat. Er offenbart, dass wir in diesemunkt einig sind.Unser Wunsch wäre es, dass wir im Laufe der parla-entarischen Beratungen zu einem fraktionsübergrei-enden Konsens kommen, um einen gemeinsamen Be-chluss zum Urwaldschutz zu fassen.
Das Wort hat nun der Kollege Reinhold Hemker,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!ollege Caesar, herzlichen Dank, dass Sie, offensicht-ich ein Freund nicht nur des Waldes in Deutschland, instwestfalen, sondern auf der ganzen Erde, sich wiedero eingebracht haben. Ich habe nachgeschaut: Seit Siem Deutschen Bundestag sind, haben Sie eine Reihe vonktivitäten entfaltet, die Ihnen eigentlich zu dem Ehren-amen „amicus silvae“, Freund des Waldes, verhelfenüssten.
ch freue mich schon auf das, was Sie zu unserer Diskus-ion im Ausschuss beitragen.Sie haben auch aufgezeigt, dass der Ansatz im Forde-ungskatalog des Unionsantrages eigentlich zu kurzreift. Sie haben Dinge vorgetragen, die den ordnungs-echtlichen Rahmen dieses Forderungskataloges weitbersteigen. Das ist gut so. Insbesondere Corneliaehm, meine liebe Kollegin von den Grünen, hat ebenarauf hingewiesen, dass wir in den Diskussionen imusschuss ein Stück weiterkommen müssen. Die Grund-age für das, worüber wir heute Abend sprechen, ist deresamtwaldbericht 2001.Wenn ich richtig gezählt habe, hat es danach insge-amt sieben Initiativen aus diesem Parlament gegebenKleine Anfragen, zum Beispiel von der Union; eineroße Anfrage der Union; zuletzt hat die FDP dankens-erterweise eine Kleine Anfrage gestellt –, die immerarauf abzielten, zu fragen, wie sich die Bundesregie-ung an weltweiten Initiativen beteiligt, Stichworte: Ent-icklungsoptionen, globale Umweltfazilität und vielesehr. Es ging auch um die Option – ich sehe gerade
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Reinhold Hemkermeinen alten Kollegen aus dem Landtag Nord-rhein-Westfalen –, soziale und ökologische Standards fürden Bereich der WTO-Verhandlungen zu berücksichti-gen. Mit all dem sind Forderungen verbunden, die wirseit der Rio-Konferenz 1992 bis zur Rio-Nachfolgekon-ferenz erhoben haben.Wenn man das, liebe Kolleginnen und Kollegen undinsbesondere lieber Kollege Caesar, ernst nimmt, dannheißt das, dass wir im Ausschuss noch einmal deutlichmachen müssen: Wichtig ist, jetzt nicht nur ein bisschenzu zählen. Die Bundesregierung hat 2001 auf eineAnfrage geantwortet: Im Haushalt 2002 stehen125 Millionen Euro zur Verfügung. Heute beteiligt sichdie Bundesregierung an den entsprechenden Program-men, etwa an denen von UNDP und von UNEP. Es gibtübrigens Dankesschreiben des Kollegen Töpfer, mit de-nen er zum Ausdruck bringt, dass wir in der globalenStrukturpolitik mittlerweile ein Stück weitergekommensind und Naturschutz sowie biologische Vielfalt ernsternehmen als noch vor einigen Jahren.
Ich sage Ihnen schon heute – das werden wir im Aus-schuss noch diskutieren –: Es wird nicht möglich sein– darüber müssen wir uns im Klaren sein; Sie könnenmit dem Kollegen Schauerte einmal über die Frage desOrdnungsrechts sprechen; wir haben das auch damals inder Kommission getan –, überall solche Kontrollmecha-nismen überhaupt in Gang zu setzen, selbst dann nicht,wenn sich alle WTO-Mitgliedstaaten darauf einigen,dass solche Kontrollen und auch solche Sanktionendurchgesetzt werden müssen. Das ist der Punkt. Ich binzwar dafür; aber ich bin mittlerweile schon allzu langeim Parlament und weiß, wie die Realität weltweit ist.Es ist wichtig, dass wir uns in den Ausschüssen– Ausschuss für Verbraucherschutz, Landwirtschaft undErnährung, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Re-aktorsicherheit und insbesondere im Ausschuss für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – daraufeinigen, welche Förderfähigkeit möglich ist und welcheProgramme sowohl multilateral als auch bilateral einge-setzt werden müssen. Wenn das geschieht, dann ist esauch in diesem Rahmen möglich, darüber zu reden, wieetwa solche Kontrollbehörden wie die, in der Sie, HerrCaesar, in Ostwestfalen einmal gearbeitet haben, auch inEntwicklungsländern eingerichtet werden können. Inden meisten Ländern, aus denen über Raubbau und an-dere Formen der Illegalität Holz zu uns exportiert wird,kann eine entsprechende Kontrolle gar nicht durchge-führt werden.Hinzu kommt Folgendes – das zu sagen ist ganzwichtig –: Es sind ja nicht die armen Waldbauern oderHolzfäller, die für kurze Zeit beschäftigt werden, die denPreis von 30 Euro, der hier erwähnt worden ist, ermögli-chen, sondern es sind diejenigen, die dafür sorgen, dasszu Dumpingpreisen eingekaufte Hölzer dann hier ver-marktet werden. Dieser Zusammenhang muss auch imAusschuss deutlich gemacht werden.dddstwSanBkzdWssgADfEsfadHPAWg1)
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2747 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu stelle ichinvernehmen fest. Dann ist die Überweisung so be-chlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD,der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN und der FDPRating-Agenturen: Integrität, Unabhängig-keit und Transparenz durch einen Verhaltens-kodex verbessern– Drucksache 15/2815 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war hier-ür eine halbe Stunde vorgesehen. Das wäre sicherlichuch so beschlossen worden, hat sich aber dadurch erle-igt, dass die Kollegen Reinhard Schultz, Stefan Müller,ubert Ulrich und Carl-Ludwig Thiele ihre Reden zurotokoll geben.1)Damit kommen wir gleich zur Abstimmung über denntrag aller Fraktionen auf der Drucksache 15/2815.er stimmt für diesen Antrag? – Stimmt jemand dage-en oder möchte sich jemand der Stimme enthalten? – Anlage 3
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertDas ist nicht der Fall. Dann ist der Antrag einstimmigangenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstBurgbacher, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDPPassagierdatensammlungen und Datenschutz-rechte – EU-Abkommen mit den VereinigtenStaaten von Amerika– Drucksache 15/2761 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für TourismusAuch hierzu gibt es eine interfraktionelle Vereinba-rung über eine halbstündige Debatte. – Auch dazu stelleich Einvernehmen fest.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Kollege Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gestern hat sich das Europäische Parlament gegen dasvon der EU-Kommission mit den USA ausgehandelteÜbereinkommen zur Übermittlung von privaten Flug-gastdaten ausgesprochen. Die liberalen Kollegen imEuropaparlament haben eine Klage vor dem Europäi-schen Gerichtshof für den Fall angekündigt, dass dieEU-Kommission die Zahl der an die USA übermitteltenDaten nicht einschränkt.Worum geht es? Seit März 2003 verlangen die USAvon europäischen Luftfahrtgesellschaften, die in dieUSA fliegen oder dort einen Zwischenstopp einlegen, ei-nen Online-Zugriff auf den so genannten PassengerName Record.
Dieser Record speichert eine Fülle von Informationen:Name, Reiseverlauf, Art der Bezahlung, Kreditkarten-nummer, ausgewählter Platz bis hin zu Essenswünschen.Insgesamt handelt es sich um 34 Datenelemente, auf diedem US Bureau of Customs and Border Protection Zu-griff gewährt werden muss. Fluggesellschaften, die diesablehnen, müssen mit hohen Geldstrafen oder dem Ent-zug der Landerechte rechnen.Gemeinsame Anstrengungen für die Sicherheit sindvor dem Hintergrund der furchtbaren terroristischen An-griffe selbstverständlich. Auch wir wissen natürlich,dass zu diesen gemeinsamen Anstrengungen zur Erhö-hung der Sicherheit die Übermittlung von Daten gehört– darum geht es in dieser Debatte überhaupt nicht; dasist, denke ich, völlig unstrittig –, um potenzielle Täterfrühzeitig finden zu können. Allerdings sind wir alsFDP-Bundestagsfraktion der Überzeugung, dass staatli-che Zugriffe auf persönliche, schutzbedürftige Daten nuruzDtuvwASgrgmBseakuchFnlAWnEG
abei kommt dem Datenschutz ganz besondere Bedeu-ng zu.
Die Haltung der Bundesregierung in diesem Punkterwundert mich sehr. Einerseits erklärt sie in einer Ant-ort auf eine Kleine Anfrage der FDP wörtlich:Im Hinblick auf den Datenschutz schließt sich dieBundesregierung der Bewertung durch die Europäi-sche Kommission an. Die Europäische Kommis-sion hatte im Juni 2002 zum Online-Zugriff aufPNR-Daten festgestellt, dass die entsprechendeVerpflichtung der Fluggesellschaften mit den in-folge der EG-Datenschutzrichtlinie 96/46/EG erlas-senen Datenschutzgesetzen der EU-Mitgliedstaa-ten im Widerspruch stehen kann.
ndererseits erklärt jetzt offenbar Bundesinnenministerchily, es sei alles mit dem Datenschutz vereinbar. Ereht in die USA und nach Brüssel und sagt, die Bundes-epublik werde selbstständig mitmachen. Liebe Kolle-innen und Kollegen, hier ist ein Bruch, den wir so nichtittragen.
Die Brüsseler Art.-29-Datenschutzgruppe hat großeedenken angemeldet. Wir haben das im Innenaus-chuss vom Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar nochinmal bestätigt bekommen. Herr Schaar hat im Innen-usschuss dezidiert darauf hingewiesen, welche Beden-en er hat und dass er nicht bereit ist, dieses Vorgehen zunterstützen. Auch das musste uns nachdenklich ma-hen.
Wir teilen die Vorbehalte der Art.-29-Gruppe. Des-alb haben wir diesen Antrag eingebracht. Als einzigeraktion haben wir einen Antrag eingebracht. Wir leh-en eine Zustimmung zu einem einfachen internationa-en Abkommen, einem so genannten Light Internationalgreement, wie die EU-Kommission es will, strikt ab.ir setzen uns stattdessen für den Abschluss eines inter-ationalen Übereinkommens der EU mit den USA ein.
in solches Übereinkommen muss dann übrigens aufegenseitigkeit beruhen.
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Ernst BurgbacherEs kann nicht sein, dass die USA Daten von uns wollen,wir aber keine Daten von den USA bekommen.Ich nenne einige Eckpunkte:Es geht um die Zweckbindung der Datenübermitt-lung. Natürlich dürfen Daten nur zur Bekämpfung terro-ristischer Straftaten übermittelt werden.Es geht um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.Die Liste der zu übermittelnden Daten darf nicht überdas Notwendige hinausgehen.Ein Punkt ist von besonderer Bedeutung. Die USAfordern das so genannte Pull-Verfahren, das heißt, dieUSA wollen online auf unsere Datensätze zugreifen. Wirsagen, das kann nicht sein. Das Pull-Verfahren mussdurch das Push-Verfahren ersetzt werden, das heißt, esmuss in unserer Entscheidung liegen, welche Datenübermittelt werden.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen.Es ist völlig ungeklärt, wer eigentlich bei fehlerhaftenEingaben haftbar gemacht werden soll. Was passiertdenn, wenn im Reisebüro eine fehlerhafte Eingabe er-folgt? Wer soll dafür haftbar gemacht werden? Wir wol-len klarstellen, dass bei Fahrlässigkeit kein Haftbarkeits-grund vorliegt. Auch ohne diese Regelung können wirnicht zustimmen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss. Ich halte diesen Antrag für unabdingbar, weilwir nicht mittragen können, dass der deutsche Innenmi-nister unter Missachtung jeglicher Persönlichkeitsrechteund jeglichen Datenschutzes nach Brüssel und Washing-ton geht und die Zustimmung Deutschlands signalisiert.Wir werden dem nur zustimmen, wenn die Datenschutz-rechte wirklich gewahrt bleiben. Wir wollen ein sauberesAbkommen; einem solchen werden wir selbstverständ-lich nicht im Wege stehen.Ich freue mich auf die Diskussion, aber vor allem aufdie Zustimmung zu unserem Antrag, die mir eigentlichvon verschiedenen Seiten signalisiert worden ist.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Frank Hofmann,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Burgbacher, Sie freuensich in meinem Fall ein bisschen zu früh auf die Zustim-mung zu Ihrem Antrag. – Seit einiger Zeit beschäftigensich die Fluggesellschaften, die EU-Kommission, dasParlament, die Datenschutzbeauftragten und die Öffent-lichkeit mit dem Problem der Weitergabe von personen-blsmgKdEDemFaSsiGgeGSddzmFreSsDrnuprevawAeddzmm
azu ist Ihnen jedes Mittel recht. Deswegen bringen Sieinen solchen Antrag ein. Dieses Spiel mache ich nichtit. Ich will mich nicht von Science-Fiction-Autoren derDP, sondern von der Realität leiten lassen.Nach dem 11. September 2001, dem Terroranschlaguf das World-Trade-Center, tun die USA alles zumchutz ihres Landes und ihrer Bevölkerung. Nicht allestößt in Europa und in Deutschland auf Zustimmung. Esst aber nur zu gut verständlich, dass die Amerikaner dieefahr, die von Flugzeugen oder durch Flugzeuge aus-ehen kann, als besonders gravierend einschätzen undine entsprechende Verschärfung der Kontrollen ihrerrenzen und der Einreisewilligen ergriffen haben.Gleich im November 2001 haben die Vereinigtentaaten die Vorschrift erlassen, dass Fluggesellschaften,ie Flüge nach, von oder durch die USA durchführen,en amerikanischen Zoll- und Grenzbehörden Zugangu Fluggastdatensätzen zu gewähren haben. Diese legiti-en Sicherheitsinteressen dienen der Verbesserung derlugsicherheit und des Grenzschutzes und sollen Terro-ismusverdächtige identifizieren, bevor sie in die USAinreisen können. Im Gegensatz zu Deutschland ist derchutz der Privatsphäre in den USA kein Grundrecht,ondern lediglich als Verfassungszusatz erwähnt.
er Datenschutz in den USA steht in einem völlig ande-en Rechtsgefüge.Die FDP erwartet – das kann man dem Antrag ent-ehmen –, dass die USA voll und ganz die deutschennd europäischen Rechtsvorschriften über den Schutzersonenbezogener Daten übernehmen. Kann man dasealistischerweise von einem anderen autonomen Staatrwarten?Auf der Grundlage dieser völlig anderen Konzeptionon Datenschutz hatte die US-Regierung Anforderungenn die Daten gestellt, die dem europäischen Standard,ie er in der europäischen Datenschutzrichtlinie zumusdruck kommt, nicht standhalten. Weder kann manrwarten, dass die US-Regierung den europäischen Stan-ard zu ihrem eigenen macht, noch kann man erwarten,ass sich die europäischen Staaten mit dem US-Standardufrieden geben.Die EU-Kommission und die USA haben sich be-üht, bei der Lösung des Problems im Zusammenhangit der Übermittlung von PNR-Daten die Rechtsvor-
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Frank Hofmann
schriften beider Seiten zu respektieren. Hierbei ist es ausmeiner Sicht der Kommission gelungen, von den USAZusagen zu erhalten, die den europäischen Daten-schutzvorstellungen nahe kommen. Die Grundzüge un-seres Datenschutzrechts spiegeln sich in dieser Ver-pflichtungserklärung wider. Sie wird zwar nicht eins zueins umgesetzt, aber zu erheblich mehr als 50 Prozent er-füllt.So wurde der Umfang der Datensätze begrenzt. DieSpeicherdauer wurde drastisch verkürzt. Die Zweckbin-dung der Passagierdaten, die auch Sie angesprochen ha-ben, wurde erreicht für die Übermittlung, Verwendungund Weiterübermittlung. Die Zoll- und Grenzbehördenwerden die Reisenden über den Zweck der Datenüber-mittlung und Datenverarbeitung informieren.Mittlerweile haben alle – ich betone: alle – EU-Mit-gliedstaaten dem Vorschlag der Kommission zuge-stimmt. Währenddessen wird in dem FDP-Antrag davonausgegangen, dass verschiedene europäische Staaten– Sie nennen aber nur Frankreich; andere Staaten werdennicht aufgeführt – erklärt hätten, sie könnten dem Ab-kommen nicht zustimmen. Es haben aber alle zuge-stimmt.Das Engagement des Europäischen Parlaments hat si-cherlich dazu beigetragen, die Position der EuropäischenKommission zu stärken und die Rechte der europäischenBürgerinnen und Bürger auch in den USA zu berück-sichtigen. Die USA und Europa bewegen sich aufeinan-der zu: bei der internationalen Terrorismusbekämpfungund beim Datenschutz. Ich finde, das ist ein gutes Zei-chen.Danke.
Ich bedanke mich für die seltene Unterschreitung der
angemeldeten Redezeit und erteile mit diesem leuchten-
den Vorbild vor Augen nun der Kollegin Beatrix Philipp
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß
nicht genau, ob ich dem Vorbild des Herrn Hofmann ge-
recht werde. Ich gebe zu: In vielen Passagen hat er
Recht.
Herr Burgbacher, als ich Ihren Antrag gelesen habe,
habe ich ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt. Wenn man die
Seite 16 in der Stellungnahme 2/2004 der Art.-29-Daten-
schutzgruppe genau nachliest, findet man, um es vor-
sichtig auszudrücken, tatsächlich mehr als nur Anregun-
gen für Ihren Antrag. Nur, Herr Burgbacher, diese sind
zum Teil überholt. Darauf hat Herr Hofmann bereits hin-
gewiesen.
Nun will ich nicht behaupten, dass der vorliegende
Antrag deswegen ein typischer FDP-Antrag ist. Aber er
ist eben, um es vorsichtig auszudrücken, etwas unver-
ständlich. Ich führe das darauf zurück, dass das Ver-
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Das ist allgemein so. Ich glaube, das gilt auch für uns,
uch im Bundestag. Wenn Sie fliegen wollen, müssen
ie wohl sagen, wer Sie sind. Nicht mehr und nicht we-
iger als die ganz normalen Daten müssen angegeben
erden.
Übrigens ist mir das Redepult hier viel zu hoch. Ich
eiß nicht, wie man es hinunterfahren kann. Das ist die
echnik. – Jetzt funktioniert es.
Es gab bis vorhin einen Knopf, mit dem man das sel-
er machen konnte. Wenn der Vorredner diesen nicht be-
eitigt hat, müsste das nach wie vor möglich sein.
Ich will jetzt aber nicht suchen.Ich will jetzt nicht weiter albern sein; denn es geht jam ein ernstes Thema. Die Übermittlung von Flug-astdaten an die USA ist ein Thema, das die Bürger, dieuftfahrtgesellschaften und auch die Tourismuswirt-chaft sehr beschäftigt.
abei geht es im Wesentlichen um eine unzureichendenformation der Fluggäste; das ist richtig. Ebenso gab esechtsunsicherheit; auch das ist richtig.Wir haben daher eine sehr ausführliche Anfrage ge-tellt. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mit großem Erstau-en haben wir zur Kenntnis genommen, dass die
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Beatrix PhilippBundesregierung bzw. das Innenministerium ausgespro-chen exakt und ausgesprochen ausführlich gearbeitethat.
– Nein, das ist eben nicht immer so! Wenn alle Anfragenin dieser Qualität beantwortet würden, dann würde dasunsere parlamentarische Arbeit sehr erleichtern. Davonkann normalerweise keine Rede sein.
Unter der Leitung von Herrn Bolkestein sind, wieman in der Antwort nachlesen kann – das empfehle ichjedem –, sehr intensive und, wie ich glaube, schwierigeVerhandlungen geführt worden. Basis war, wie ebenschon erwähnt wurde, die Entschließung des Europäi-schen Parlaments vom 9. Oktober 2003. Es ist, wie ichfinde, ein vernünftiger Kompromiss gefunden worden.Das hat auch die Bundesregierung so gesehen und hatdeswegen, wie ich nach eigenem Bekunden feststellenkonnte, am 27. Februar zugestimmt.Dieser ausgehandelte Kompromiss basiert auf einerVerpflichtungserklärung des Heimatschutzministeriumsder USA und dessen Zoll- und Grenzschutzbehörde, diefür die Datenerhebung auf amerikanischer Seite ver-antwortlich ist. Die wesentlichen Punkte dieser Ver-pflichtung sind – ich mache es kurz – erstens die aus-drückliche Zweckbindung der Datenübermittlung und-verwendung für die Bekämpfung des Terrorismus, vonZusammenhangsstraftaten und schwerer länderübergrei-fender Straftaten. Dagegen kann man eigentlich nichtshaben.Zweitens. Die Speicherfristen wurden auf drei Jahreund sechs Monate verkürzt. Das ist erheblich weniger,als die USA ursprünglich beabsichtigten.
Drittens. Eine umfassende Information der Reisen-den durch die US-Behörden ist vorgesehen. Auch daswar nicht selbstverständlich, entspricht aber unseren An-forderungen an einen modernen Datenschutz.Viertens. Die US-Behörden haben Auskunfts- undBerichtigungsansprüche der Passagiere ausdrücklichanerkannt. Auch dies ist keine Selbstverständlichkeit.Fünftens. Die sofortige Löschung so genannter sen-sibler Daten ist zugesagt worden. Das ist eine Vorsichts-maßnahme, weil man der Möglichkeit vorbeugen will,dass durch freiwillige Angaben – –
– Wenn es von Ihnen kommt, schon gar nicht. Aber mitden USA habe ich bisher keine schlechten Erfahrungenmachen müssen. Deswegen bin ich da optimistisch. Ichhabe vielleicht auch ein anderes Amerikabild als Sie.Das kann sein.icwddsddekdemfhSurAnSsPssPzeswlzk
Sechstens. Auch die Beschwerdemöglichkeit halteh für wichtig. Für die Verhältnisse Amerikas, wo man,ie auch Herr Hofmann gesagt hat, mit Daten völlig an-ers umgeht als bei uns, ist die vorgesehene Möglichkeit,ass sich die Passagiere durch ihren nationalen Daten-chützer oder direkt bei den Zoll- und Grenzschutzbehör-en beschweren, nicht selbstverständlich.Siebtens. Die jährliche gemeinsame Überprüfunger Umsetzung dieser Verpflichtung in den USA durchin EU-Team ist ebenfalls verankert.Meine Damen und Herren, gegen diesen Kompromissann man eigentlich nichts haben. Hinzu kommt, dassie Amerikaner nach den Ereignissen des 11. Septemberin erhöhtes Sicherheitsbedürfnis haben. Sie haben vielehr, als im normalen Umgang miteinander üblich, da-ür gesorgt, dass sie wissen, wer ihr Land betritt. Dafürabe ich volles Verständnis. Ich würde mir an manchertelle wünschen, dass auch wir in Deutschland Wegend Möglichkeiten fänden, unsere Außengrenzen siche-er zu machen und Einreisen effektiver zu kontrollieren.ber das ist wirklich ein anderes Thema.
Frau Kollegin Philipp, ich will Sie weder stören
och erschrecken. Aber die Kollegin Leutheusser-
chnarrenberger würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
tellen.
Bitte.
Es wird nicht auf Ihre Redezeit angerechnet.
Ich bin ganz ruhig.
Ich habe auch nur eine ganz kurze Frage. Frauhilipp, wie bewerten Sie die Entscheidung des Europäi-chen Parlaments von gestern? Ich meine nicht den Be-chluss vom letzten Jahr. Gestern hat das Europäischearlament mit Mehrheit beschlossen, dass die Vorausset-ungen für die Angemessenheitsfeststellung, die derrste Schritt in diesem Verfahren ist, nicht gegebeneien. Ich denke, das ist eine Aufforderung an uns, dassir uns nicht nur damit befassen, sondern auch neu über-egen, inwiefern den Bedenken, die dort mehrheitlichum Ausdruck gekommen sind, entsprochen werdenann.
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, auch bei uns gibtes Leute, die Bedenken haben. Das bestreite ich über-haupt nicht. Das ist übrigens in diesem Hause etwasganz Normales. Aber ich teile diese Bedenken nicht.Wir reden heute zum ersten Mal darüber. Wir werdenuns mit diesen Bedenken auseinander setzen. Das ist einganz normaler Vorgang, den ich schon lange gelernthabe. Ich werde das auch hier anwenden.
Wir müssen noch einmal darauf hinweisen, dass dieAmerikaner sich in einem ungewöhnlich hohen Maßebewegt haben. Bisher haben die Amerikaner die Dateneinfach gezogen – nach der so genannten Pull-Methode.Demnächst wird es an uns liegen, die Daten zu übermit-teln. Das war ein für amerikanische Verhältnisse ausge-sprochen großer Schritt. Wir werden diese Daten filternund selektieren und dann erst versenden.Herr Burgbacher, auch der Fall, dass in den Reisebü-ros einmal ein Fehler passiert – das haben Sie angespro-chen –, ist geregelt. Die Luftfahrtgesellschaften tragendafür die Verantwortung. Auch das ist expressis verbiszum Ausdruck gebracht worden.Im Gegensatz zu Ihnen – wenn ich es richtig sehe –bin ich sehr optimistisch, dass es eine schnelle Umset-zung geben wird. Ich denke, dass die Fluggesellschaftenein eigenes Interesse daran haben, dass diese neuen Ver-einbarungen so schnell wie möglich umgesetzt werden.Nun noch ein paar Bemerkungen zu Ihrem Antrag.Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Sie sich an dieMaximalforderungen der Art.-29-Datenschutzgruppe– um es vorsichtig auszudrücken – mindestens angelehnthaben. Sie sollten vielleicht noch einmal darüber nach-denken, wie realistisch die Forderung ist, dass die Bun-desregierung eine bereits erteilte Zustimmung von inter-nationaler Bedeutung zurückziehen soll. Ich wünschtemir, dass viele andere Beschlüsse der Bundesregierungzurückgenommen würden; das will ich überhaupt nichtverhehlen. Aber eine Zurückziehung dieser Zustimmungvon internationaler Bedeutung zu fordern ist einfachweltfremd.Auch die Forderung nach einer vollständigen Ausset-zung der Übermittlung von Fluggastdaten bis zum Ab-schluss eines internationalen Übereinkommens ist eben-falls etwas weltfremd. Dann sagen die Amerikaner:Ohne diese Daten kommt ihr hier nicht rein.Die „Süddeutsche Zeitung“ – sie ist nicht gerade un-sere Hauspostille –
schreibt:DtiaIKdtittidhLdgBrhrnpdehdbsElicdnsslannnVazpwsgnkd
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier
schon mehrfach gesagt worden: Das Europäische Parla-
ment hat sich gestern gegen die von der EU-Kommission
ausgehandelte Weitergabe von Fluggastdaten an die
USA ausgesprochen. Ich glaube, das Europäische Parla-
ment hat es sich mit dieser mehrheitlich gefassten Ent-
scheidung nicht einfach gemacht.
Das Europäische Parlament fordert die EU-Kommis-
sion auf – ich finde, das ist eine berechtigte Forderung –,
erneut in Verhandlungen einzutreten. Ich begrüße diese
Haltung des Europäischen Parlaments ausdrücklich.
Ich habe den Anspruch an eine rot-grüne Bundesregie-
rung, dass sie diesen Beschluss des Europäischen Parla-
ments als politische Verpflichtung aufnimmt, auch wenn
er politisch nicht bindend ist. Die Termine sind auch ge-
setzt; über dieses Abkommen wird in der EU-Kommis-
sion und im EU-Rat erneut geredet werden müssen. Des-
wegen ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür, dass
sich auch der Deutsche Bundestag – wenn auch in klei-
ner Besetzung – mit diesem Thema befasst.
In ihrer Bewertung sind die europäischen Abgeordne-
ten – genau das ist ihre Aufgabe – zu dem Ergebnis ge-
kommen, dass das ausgehandelte Abkommen gegen das
europäische Gemeinschaftsrecht verstößt und mit den
EU-Datenschutzbestimmungen nicht vereinbar ist. Hier
hat das Parlament seine Kontrollfunktion wahrgenom-
men. Die Rechte der EU-Bürgerinnen und -Bürger sind
durch dieses Abkommen nicht hinreichend geschützt.
EU-Bürger werden wesentlich schlechter gestellt als US-
Bürger. Zum Beispiel haben sie – das erkennt man erst
anhand der Details der Verpflichtungserklärung – keinen
Rechtsanspruch darauf, dass falsche Daten korrigiert
werden, und kein Auskunftsrecht. Der wichtigste Punkt
ist: Sie haben keine Kontrolle mehr darüber, in welcher
Form ihre Daten weiterverarbeitet und an andere Länder
weitergegeben werden.
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Die Anzahl der übermittelten Daten steht in keinem
erhältnis zum Sicherheitsgewinn. In diesem Punkt sind
ir nicht auseinander. Wir sind doch alle darin einig,
ass die USA ein Interesse daran und auch ein Recht
arauf haben, Passagierdaten zu erfahren. Aber wenn Sie
ich die Liste, über die verhandelt wurde, anschauen,
tellen Sie fest: Die USA forderten, alle 38 Datenele-
ente zu erfahren. Dann hat man sich auf 34 Datenele-
ente geeinigt. Um die entsprechenden Sicherheitsinte-
essen zu gewährleisten, ist – unter Beachtung des
rundsatzes der Verhältnismäßigkeit – die Übermittlung
on 19 Datenelementen erforderlich. Die Weitergabe ge-
au dieser 19 Datenelemente hat die EU-Datenschutz-
ruppe nach Art. 29 in den Verhandlungen akzeptiert.
ier einen Widerspruch zwischen den Sicherheitsinte-
essen der USA und ihrer Behinderung durch den Daten-
chutz herzustellen, das ist der völlig falsche Ansatz.
Die US-Behörden haben sich in diesen Verhandlun-
en geweigert. Sie haben keinerlei Belege oder Hin-
eise vorgelegt, aus denen sich ableiten ließe, inwieweit
ie Verarbeitung weiter gehender Datenelemente – über
ie genannten 19 Datenelemente hinaus – tatsächlich für
ie Terrorismusbekämpfung erforderlich ist. Auch wir
aben in all unseren Papieren den Grundsatz definiert,
ass wir die Maßnahmen, die für die Gewährleistung der
icherheit erforderlich sind, durchführen. Aber wenn
arüber hinaus Datenmengen gesammelt werden, ohne
ass politisch belegt oder begründet wird, worin der da-
aus resultierende Sicherheitsgewinn besteht, und ohne
ass Sicherheit bezüglich der Weitergabe dieser Daten
esteht, ist das ein Ansatz, den wir als grüne Fraktion
icht mittragen können.
Ich kritisiere, dass nicht hart genug mit den Vereinig-
en Staaten verhandelt worden ist. Ich denke, dass
uropa gut daran tut, auch bei der Entwicklung einer
uropäischen Sicherheitsstrategie – nach Madrid füh-
en wir diese Diskussion ja verstärkt – auf Souveränität
nd Eigenständigkeit zu achten. Wir als grüne Fraktion
ollen ein sicheres Europa und ein Europa der Bürger-
echte. In diesem Sinn kann ich die Bundesregierung nur
rmutigen, sich für die Aufnahme neuer Verhandlungen
it den USA einzusetzen.
Danke schön.
Zum Schluss hat die Parlamentarische Staatssekretä-in Ute Vogt für die Bundesregierung das Wort.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 102. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. April 2004 9305
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Danke schön, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Burgbacher,
der Antrag der FDP-Fraktion beginnt recht hoffnungs-
voll. In seiner Einleitung heißt es, dass wir den interna-
tionalen Terrorismus nur gemeinsam in der internationa-
len Staatengemeinschaft bekämpfen können und dass ein
gemeinsames Handeln die zwingende Voraussetzung da-
für ist. Das findet sicherlich die Zustimmung des ganzen
Hauses.
Auch sind wir uns darin einig, dass die Bekämpfung
des Terrorismus den Schutz unserer Bürgerinnen und Bür-
ger voraussetzt, und zwar insbesondere durch eine vor-
beugende Bekämpfung des Terrorismus; denn wir werden
nicht in der Lage sein, alle weichen Ziele umfassend zu
schützen. Sonst würden wir in der Tat Bürgerrechte wie
die Bewegungsfreiheit einschränken müssen. Insofern
geht es darum, vorbeugend eingreifen zu können, von
vornherein zu verhindern, dass mögliche Attentäter An-
schläge planen und insbesondere begehen können. Dazu
ist der Austausch von Daten unserer Ansicht nach ein be-
deutender Aspekt, nicht nur ein kleiner Teilaspekt. Dabei
ist es für uns selbstverständlich, dass es notwendig ist, die
Bürgerrechte zu schützen. Der Datenschutz, der zu den
Bürgerrechten gehört, darf nicht außer Acht bleiben.
Wenn wir Bürgerrechte aufkündigen würden, hätten wir
dem Terrorismus bereits zu viel Raum gegeben.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die Be-
mühungen der Europäischen Kommission, zu verhan-
deln, unterstützt. Wir haben uns bemüht, das Auskunfts-
verlangen in unserem Sinne zu gestalten und den
datenschutzrechtlichen Anforderungen anders nachzu-
kommen, als es nach dem ersten Entwurf der USA der
Fall gewesen ist. Es ging darum, bei der Gestaltung mit-
zumachen. Übrigens ist es entgegen der Vermutung Ihres
Antrags so, dass die ganze Bundesregierung, insbeson-
dere auch das Justizministerium, unsere Zustimmung in
diesem Punkt unterstützt hat.
Unser Datenschutzrecht verlangt für internationale Da-
tenübermittlungen ein angemessenes Datenschutzni-
veau, es verlangt keine Gleichwertigkeit. Es wäre eine
falsche Vorstellung, wenn wir glaubten, wir könnten mit
den USA die Gleichwertigkeit in Bezug auf den Daten-
schutz erreichen; dafür haben wir eine zu unterschiedliche
Kultur im Umgang mit Daten – schon in den europäischen
Ländern, erst recht aber im Vergleich mit den USA. Wir
haben die Aufgabe, unter Berücksichtigung aller Um-
stände ein inhaltlich und rechtlich angemessenes Daten-
schutzniveau zu gewährleisten. Das haben wir erreicht.
Die Kollegin Philipp hat dankenswerterweise schon
einige der konkreten Verhandlungserfolge aufgezählt.
Es ist eben nicht so – Sie haben ausdrücklich darauf hin-
gewiesen –, dass die USA weiterhin auf dem Online-Ab-
rufverfahren beharren. Vielmehr hat man zugesichert,
dass sie so schnell wie möglich auf eine aktive Übermitt-
lung umstellen wollen.
Wenn man beklagt, dass die Speicherfrist von 3,5 Jah-
ren zu lang sei, muss man sehen, dass vorher 50 Jahre
vorgesehen waren. Bei Verhandlungen geht es darum,
dass man etwas erreicht. Wir sind der Meinung: Wir ha-
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as bedeutet, dass wir zusammenwirken müssen, auch
ei ganz unterschiedlichen Voraussetzungen: bei unter-
chiedlichen nationalen Gesetzgebungen und einer ande-
en Kultur im Umgang mit Daten.
Ich glaube, dass Sie mit Ihrem Antrag nicht den Kern
er tatsächlich getroffenen Vereinbarungen treffen und
n manchen Stellen nicht den aktuellen Stand der Ver-
inbarungen wiedergegeben haben.
ch empfehle Ihnen, die tatsächlichen Details einmal
achzulesen. Unsere Antwort auf die Anfrage zu dem
hema zeigt, dass wir zu dieser Vereinbarung guten Ge-
issens stehen können, weil wir nichts zu verbergen ha-
en, weil wir große Verhandlungserfolge erreicht haben
nd weil wir eine angemessene Lösung durchsetzen
onnten, im Übrigen – das ist mindestens genauso be-
erkenswert wie die Tatsache, dass wir mit den USA in
iesem wichtigen Punkt einen großen Schritt vorange-
ommen sind – im Zusammenwirken mit allen anderen
U-Staaten.
Das alles war zum Nutzen der Bürgerinnen und Bür-
er: Deren Schutz ist gewahrt und ihre Bürgerrechte sind
esser geschützt als nach dem vorherigen Verfahren.
Die Kollegin Pau hat eine vorbereitete Rede zu Pro-okoll gegeben1). Damit schließe ich die Aussprache.Stimmen Sie der interfraktionell vorgeschlagenenberweisung der Vorlage auf Drucksache 15/2761 anie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu? –as ist überraschenderweise einvernehmlich der Fall.ann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten GeroStorjohann, Dirk Fischer , EduardOswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUKleinlaster sicherer machen– Drucksache 15/2577 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAnlage 4
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertDas ist ein Thema, das sich für diese Nachtzeitvorzüglich geeignet hätte und zu dem auch eine halb-stündige Aussprache vorgesehen war. Nun haben sichdie Kollegen Uwe Beckmeyer, Gero Storjohann, UrsulaSowa, Horst Friedrich und auch die ParlamentarischeStaatssekretärin Iris Gleicke entschlossen, ihre Reden zuProtokoll zu geben,1)
sodass ich, wie die Zwischenrufe zu Recht deutlich ma-chen, mit Bedauern feststellen muss, dass damit die Aus-sprache entfällt.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/2577 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu besteht of-fenkundig ebenfalls Einvernehmen. Dann ist die Über-weisung so beschlossen.Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 2. April 2004, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen.