Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Die Fraktion der CDU/CSU hat nunmehr gemäß § 20Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung fristgemäßbeantragt, die heutige Tagesordnung um den Antrag zuerweitern, die von den Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundes-regierung eingebrachten Entwürfe eines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes gemäß § 96 der Geschäfts-ordnung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. DerÜberweisungsantrag ist gestern unerledigt geblieben.Die Abstimmung findet im Anschluss an die Tages-ordnungspunkte statt, die ohne Aussprache beraten wer-den.Die von den Fraktionen der SPD und des Bündnis-ses 90/Die Grünen beantragte Aktuelle Stunde zumThema „Pläne der CDU/CSU zu Einschränkungen imArbeits- und Tarifrecht“, die wegen der Aufhebung dergestrigen Sitzung nicht mehr aufgerufen wurde, findetim Anschluss an Tagesordnungspunkt 5 gegen 14 Uhrstatt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:RedetZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENPläne der CDU/CSU zu Einschränkungen im Arbeits- undTarifrechtZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,Gudrun Kopp, Daniel Bahr , weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Für einen wirksamen Wettbe-werbsschutz in Deutschland und Europa– Drucksache 15/760 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
RechtsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
Beratung des Antrags der Abgeordneten KaZureich, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weitereter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeor
ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Deut-schen Richtergesetzes– Drucksache 15/1471 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
– Drucksache 15/2676 –Berichterstattung:Abgeordnete Erika SimmJoachim StünkerIngo WellenreutherJerzy MontagRainer Funkeextb) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Die parlamenta-rische Dimension des euromediterranen Barcelona-Pro-zesses mit der Euromed PV stärken– Drucksache 15/2660 –ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Heinen,Gerlinde Kaupa, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSU: Verbesserung der Maßnahmenzum Schutze der Kinder und Jugendlichen vor Alkohol-sucht– Drucksache 15/2646 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschusschuss für Wirtschaft und Arbeit für Verbraucherschutz, Ernährung undhaft für Gesundheit und Soziale Sicherungrin Rehbock-r Abgeordne-dneten AlbertFinanzaussAusschussAusschussLandwirtscAusschuss
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Präsident Wolfgang ThierseZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Griefahn,Eckhardt Barthel , Siegmund Ehrmann, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord-neten Dr. Antje Vollmer, Claudia Roth , UrsulaSowa, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN: Auswärtige Kulturpolitik stär-ken– Drucksache 15/2659 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschussZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Nooke,Dr. Friedbert Pflüger, Bernd Neumann , weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: AuswärtigeKultur- und Bildungspolitik stärken– Drucksache 15/2647 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussVon der Frist für den Beginn der Beratung soll – so-weit erforderlich – abgewichen werden.Des Weiteren sollen der Tagesordnungspunkt 4 b– Keine neue Regulierungsbehörde –, der Tagesordnungs-punkt 12 a und b – Öffentlich-private Partnerschaften –,der Tagesordnungspunkt 15 – Justizmodernisierungsge-setz – sowie der Tagesordnungspunkt 21 b – Einsetzungeines Untersuchungsausschusses – abgesetzt werden.Die Beratung des Telekommunikationsgesetzes – Ta-gesordnungspunkt 17 – soll vorgezogen und am Freitagum 9 Uhr aufgerufen werden.Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a bis d auf:a) Abgabe einer Erklärung der BundesregierungDie neue Bundeswehr – auf richtigem Wegb) Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerArnold, Reinhold Robbe, Ulrike Merten, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Alexander Bonde, WinfriedNachtwei, Volker Beck , weiterer Abge-ordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENDurch Transformation die Bundeswehr zu-kunftsfähig gestalten– Drucksache 15/2656 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
Auswärtiger AusschussdrsddlsIdDBwBdEFs
Für eine moderne Bundeswehr als Pfeiler ei-ner verlässlichen Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik Deutschlands– Drucksache 15/2388 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussd) Beratung des Antrags der Abgeordneten GüntherFriedrich Nolting, Jürgen Koppelin, Helga Daub,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPZukunftsfähigkeit der Bundeswehr herstel-len – Wehrpflicht aussetzen– Drucksache 15/2662 –Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss
Auswärtiger AusschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-ung zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-pruch. Dann ist so beschlossen.Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hater Bundesminister der Verteidigung, Peter Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-eswehr hat in ihrer bald 50-jährigen Geschichte wesent-ich zur längsten Friedensperiode in der jüngeren Ge-chichte unseres Landes beigetragen. Heute ist sie alsnstitution bei den Bürgerinnen und Bürgern anerkannterenn je. Sie genießt bei den Menschen hohes Ansehen.as gilt nicht nur in Deutschland.
Durch die Auslandseinsätze ist das Ansehen derundeswehr in der Völkergemeinschaft gestiegen, so-ohl bei unseren Partnern als auch bei den Menschen inosnien, im Kosovo und in Afghanistan. Unsere Sol-atinnen und Soldaten überzeugen dort durch hohesngagement beim Wiederaufbau und beim Erhalt desriedens. Die Bundeswehr ist zu einem wichtigen Bot-chafter Deutschlands geworden.
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Bundesminister Dr. Peter StruckSie ist Botschafter eines Deutschlands, das seine Verant-wortung in der Völkergemeinschaft annimmt und we-sentliche Aufgaben bei der internationalen Friedens-sicherung wahrnimmt. Um dies auch weiterhin leistenzu können, muss sie weiterentwickelt werden.Die Bundeswehr des 21. Jahrhunderts nimmt Gestaltan. Die neuen Aufgaben sind identifiziert. Die konzep-tionellen Grundlagen sind geschaffen, die wesentlichenEntscheidungen getroffen. Der neue Kurs ist eingeschla-gen. Wir sind mit diesem neuen Kurs auf dem richtigenWeg.
Die Transformation der Bundeswehr, unter der ichden umfassenden und fortlaufenden Prozess der Aus-richtung von Streitkräften und Verwaltung auf die sichauch weiterhin verändernden Herausforderungen ver-stehe, ist aus drei Gründen unerlässlich:Erstens. Die Sicherheitslage hat sich entscheidendverändert. Deutschland wird absehbar nicht mehr durchkonventionelle Streitkräfte bedroht. Unsere Sicherheitwird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt,wenn sich dort Bedrohungen für unser Land wie im Fallinternational organisierter Terroristen formieren. ImÜbrigen wird unsere Sicherheit – um auf den KollegenSchmidt einzugehen – natürlich auch in Hindelang ver-teidigt. Ich kann allerdings gegenwärtig dort beim bestenWillen keine aktuelle Bedrohung erkennen.
Wir müssen Gefahren dort begegnen, wo sie entstehen;denn sie können unsere Sicherheit natürlich auch ausgroßen Entfernungen beeinträchtigen, wenn wir nichthandeln.Zweitens. NATO und Europäische Union befindensich in weitreichenden Prozessen der Anpassung andiese veränderte Situation. Das bringt neue Verpflichtun-gen für Deutschland auch im militärischen Bereich mitsich. Die Transformation der NATO verlangt eine Trans-formation der Bundeswehr. Beide müssen in Planungund Vorhaben miteinander übereinstimmen. Wir sind da-bei ebenfalls auf einem guten Weg.Drittens. Die Einsatzrealität der Bundeswehr hat sichlängst der neuen Sicherheitslage angepasst. Die Anfor-derungen an die Streitkräfte steigen weiter. Das Einsatz-spektrum umfasst mittlerweile alle denkbaren Einsatz-formen, von der Patrouille am Horn von Afrika durchdie Marine über zivil-militärische Projekte bis zur Beob-achtung in Georgien. Immer häufiger übernimmt dabeidie Bundeswehr auch Führungsaufgaben. Sie wird ab-sehbar einer der größten Truppensteller für internatio-nale Friedenseinsätze bleiben.Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspoli-tischen Lage musste gehandelt werden. Wir haben ge-handelt. Wir haben zunächst die konzeptionellenGrundlagen geschaffen. In den im Mai 2003 erlassenenVerteidigungspolitischen Richtlinien wurden das Aufga-benspektrum der Bundeswehr neu gewichtet und das er-fwnDnSSnbSpwtKsSuzpzBDEnLSshincdfatefimzRtebJKSDAdnhmmE
Das wird auch die Fähigkeit der Bundeswehr stärken,um unmittelbaren Schutz Deutschlands sowie seinerürgerinnen und Bürger beizutragen. Der Schutzeutschlands bleibt eine Kernaufgabe der Bundeswehr.r hat sogar eine neue, umfassendere Bedeutung gewon-en; denn neben der unwahrscheinlicher gewordenenandesverteidigung im herkömmlichen Sinne ist derchutz unserer Bevölkerung und lebenswichtiger Infra-truktur vor terroristischen und asymmetrischen Bedro-ungen zu gewährleisten. Im Januar dieses Jahres habech die wichtigsten Entscheidungen und Wegmarken deseuen Kurses öffentlich vorgestellt. Sie sind weitrei-hend und zukunftsweisend. Die Weichen für die Bun-eswehr dieses Jahrhunderts sind gestellt.Erstens zu den Umfängen: Die Umfänge werden neuestgelegt. Die neuen Umfangszahlen stehen in einemngemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und den in-rnationalen Verpflichtungen unseres Landes. Der Um-ang liegt bei 250 000 aktiven Soldatinnen und Soldaten militärischen Bereich und bei 75 000 Stellen für dieivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir werden dieeduzierung des Zivilpersonals sozialverträglich gestal-n. Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen ge-en.Zweitens zu den neuen Kräftekategorien: Bis zumahr 2010 wird die neue Bundeswehr nach völlig neuenräftekategorien gegliedert. Es wird Eingreifkräfte,tabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte geben.iese unterscheiden sich in Struktur, Ausrüstung undusbildung und sind dadurch optimiert für das verän-erte und differenzierte Einsatzspektrum.Die Eingreifkräfte sind vorgesehen für multinatio-ale, streitkräftegemeinsame und vernetzte Operationenoher Intensität und kürzerer Dauer, vor allem im Rah-en der Friedenserzwingung. Ihr Einsatz wird im Rah-en der schnellen NATO-Eingreiftruppe oder der EU-ingreiftruppe erfolgen. Außerdem können Operationen
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Bundesminister Dr. Peter Struckzur Rettung und Evakuierung in Kriegs- und Krisenge-bieten durchgeführt werden. Ihr Umfang beträgt insge-samt 35 000 Soldaten.Die Stabilisierungskräfte sind vorgesehen für streit-kräftegemeinsame militärische Operationen niedrigerund mittlerer Intensität und längerer Dauer im breitenSpektrum friedensstabilisierender Maßnahmen. Da-runter fallen das Trennen von Konfliktparteien, dieÜberwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen, dasAusschalten friedensstörender Kräfte oder auch dasDurchsetzen von Embargomaßnahmen. Ihr Umfang be-trägt insgesamt 70 000 Soldaten. Dies ermöglicht denzeitlich abgestuften Einsatz von bis zu 14 000 Soldaten,aufgeteilt auf bis zu fünf verschiedene Einsatzgebiete.Die Unterstützungskräfte sind vorgesehen für dieumfassende, streitkräftegemeinsame und durchhaltefä-hige Unterstützung der Eingreif- und Stabilisierungs-kräfte sowie für den Grundbetrieb der Bundeswehr, ein-schließlich der Führungs- und Ausbildungsorganisation.Ihr Umfang beträgt 147 500 Dienstposten.Mit der Einnahme dieser neuen Strukturen wirdDeutschland in der Lage sein, seine internationalen Ver-pflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen, derNATO und der Europäischen Union nachdrücklich zu er-füllen.
Beim Schutz Deutschlands wird es keine Abstrichegeben. Hilfeleistungen im Inland werden überwiegenddurch Kräfte erbracht werden, die nicht in Einsätzen ge-bunden und im Inland verfügbar sind. Auch die neueBundeswehr wird in Katastrophenfällen wie bisher dieHilfe bereitstellen, die unsere Mitbürgerinnen und Mit-bürger von uns erwarten. Nur wird sie nicht, wie manchedas wollen, die Hilfstruppe der Polizei. Ich lehne das ab,dazu ist die Bundeswehr nicht da.
Alle Kräfte werden – wie im Fall einer Verschlechterungder politischen Lage – natürlich auch in der Lage sein,das Land zu verteidigen.Drittens: die neue Einsatzsystematik. Die Ausrich-tung der Bundeswehr auf die wahrscheinlicheren Ein-sätze geht einher mit einer neuen Einsatzsystematik. Sielöst sich vom bisherigen Kontingentdenken und erfor-dert stattdessen das Bereitstellen von spezifischen Fähig-keiten für bestimmte, wechselnde Zeiträume. Diesschließt die grundsätzliche Verkürzung der Einsatz-dauer auf künftig vier Monate ein. Wir werden keineStehzeit von sechs Monaten mehr haben.
Abhängig von den Einsatzerfordernissen, der Verfüg-barkeit von Kräften und der persönlichen Situation kön-nen in Einzelfällen jedoch auch längere oder auch kür-zdCMDndAdhRsaKtnkusBhWurndbvivwfMdibdwwdcdpngu
Wir investieren ab sofort in die prioritären Fähigkei-en, das heißt in Führungs-, Informations- und Kommu-ikationssysteme, in die Fähigkeit zur weltweiten Auf-lärung, in die Fähigkeit zum strategischen Lufttransportnd zu Mobilität im Einsatz, in die Fähigkeit zum ge-chützten Transport, in die persönliche Ausstattung undewaffnung, in eine Vielzahl von Projekten zur Erhö-ung der Wirksamkeit im Einsatz.
ir beschaffen das, was die neue Bundeswehr braucht,nd wir streichen Vorhaben, die dem neuen Anforde-ungsprofil und dem streitkräftegemeinsamen Ansatzicht mehr entsprechen.
Sechstens zum neuen Stationierungskonzept: Aufer Grundlage der neuen Umfänge und Strukturen wirdis Ende des Jahres ein neues Stationierungskonzeptorliegen. Durch das Ressortkonzept Stationierung 2001st bereits entschieden worden, die Zahl der Standorteon circa 600 auf rund 500 zu reduzieren. Der neue Kursird zur Schließung von weiteren etwa 100 Standortenühren. Dies bedeutet weitere schmerzliche Einschnitte.ir ist bewusst, dass viele Bürgerinnen und Bürger inen Stationierungsorten trotz erheblicher Belastungenmmer zu ihren Soldaten gestanden haben, aber wir ha-en keine Alternative. Die entscheidenden Kriterien fürie Stationierung sind militärische und funktionelle Not-endigkeiten sowie die betriebswirtschaftliche Verant-ortbarkeit.Meine Damen und Herren, mit diesen Kernelementener neuen Bundeswehr erreichen wir folgende wesentli-he Ziele:Erstens. Wir entwickeln die Fähigkeiten der Bun-eswehr so, dass sie der neuen Qualität der sicherheits-olitischen Herausforderungen entsprechen: in der inter-ationalen Gefahrenabwehr und der Krisenbewältigungenauso wie beim umfassenden Schutz Deutschlandsnd seiner Bürgerinnen und Bürger.
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Bundesminister Dr. Peter StruckZweitens. Wir optimieren die Fähigkeiten derBundeswehr als Ganzer und setzen konsequent einenstreitkräftegemeinsamen Ansatz um. Nur so istgewährleistet, dass die Bundeswehr integraler Teil dessicherheitspolitischen Transformationsprozesses derNATO und der Europäischen Union bleibt. Dabei blei-ben die Streitkräfte ein Instrument der Politik und unter-liegen natürlich der kontinuierlichen Anpassung.Drittens. Wir stellen die Bundeswehrplanung auf einerealistische und tragfähige finanzielle Grundlage. Diemittelfristige Finanzplanung gibt der Bundeswehr Pla-nungssicherheit. Wir beschaffen, was die Sicherheitslageund die Aufgaben der Bundeswehr verlangen. Die Inves-titionsquote wird auf mittlere Sicht weiter erhöht wer-den. Dazu trägt auch die für das Jahr 2007 vorgesehenesubstanzielle Erhöhung des Verteidigungshaushaltesum rund 1 Milliarde Euro bei. Darüber hinaus bleibenalle im Zuge der Bundeswehrreform durch mehr Effi-zienz und Wirtschaftlichkeit erzielten Einsparungen demVerteidigungshaushalt erhalten.Bei unseren Bemühungen um mehr Effizienz undWirtschaftlichkeit in der Bundeswehr sind wir sehrweit vorangekommen. Die Gesellschaft für Entwick-lung, Beschaffung und Betrieb, abgekürzt GEBB, hatbereits erhebliche Einsparpotenziale erschlossen, dieauch in Zukunft zur Effizienzsteigerung in den Streit-kräften beitragen werden. Ich möchte bei dieser Gele-genheit betonen, dass in der Zusammenarbeit zwischenBundeswehr und Wirtschaft wie zum Beispiel bei demIT-Projekt Herkules die private Seite beweisen muss,dass sie solch anspruchsvolle Vorhaben auch durchfüh-ren kann.
Meine Damen und Herren, gegenüber diesen von mirskizzierten, unabdingbar notwendigen Entscheidungenzur Schaffung einer leistungsfähigen Bundeswehr neh-men sich die Vorstellungen der Opposition rückwärtsgewandt und unrealistisch aus.
Es geht gegenwärtig um grundsätzliche sicherheitspoliti-sche Weichenstellungen, über die ausführlich im Parla-ment debattiert werden muss. Ich bin froh, dass wirheute damit beginnen.
Der Kollege Schmidt hat in diesem Zusammenhang derRegierung öffentlich unterstellt, die Sicherheitsvorsorgein Deutschland abzuschaffen.
Dieser Vorwurf ist in jeder Hinsicht haltlos. Sie solltenihn zurücknehmen.
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er den Eindruck erweckt, er könne Verteidigungspoli-ik gänzlich ohne Blick auf die verfügbaren Ressourcenestalten, gibt sich als politischer Traumtänzer zu erken-en.
er noch immer glaubt, auf eine konsequente Neuaus-ichtung der Bundeswehr verzichten zu können, undleichzeitig mit unrealistischen finanziellen Annahmenerteidigungspolitik betreibt, wird es niemals schaffen,ufgaben und Mittel zu harmonisieren und die Bundes-ehr auf die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts einzu-tellen.
Genau das ist aber unsere gemeinsame Aufgabe.ierzu brauchen wir auch ein gemeinsames Verständ-is von Sicherheit und Verteidigung in Deutschland.s geht nicht darum, eine Interventionsarmee aufzu-auen und sich, wie manche fälschlicherweise befürch-en, ohne Not in die Angelegenheiten anderer Staateninzumischen, sondern darum, gemeinsam mit unserenerbündeten und Partnern für die gemeinsame Sicher-eit dort eintreten zu können, wo es notwendig ist.
ies erwarten zu Recht unsere Verbündeten, auf derenolidarität wir angewiesen sind. Es entspricht einemeitgemäßen Verständnis von Sicherheitsvorsorge, dasolgerichtig natürlich auch in unserem ureigensten deut-chen Interesse liegt.Es ist gleichermaßen unredlich und irreführend, denindruck zu erwecken, der Schutz deutschen Territo-iums würde in irgendeiner Weise vernachlässigt. Dasegenteil ist der Fall. In den Verteidigungspolitischenichtlinien habe ich die erweiterte Schutzaufgabe füreutschland und seine Bürgerinnen und Bürger heraus-estellt. Sie reicht von der Landverteidigung im her-ömmlichen Sinn über die Abwehr terroristischer undeuartiger Bedrohungen bis hin zur Überwachung deseutschen Luft- und Seeraums.Die Bundeswehr ist und bleibt natürlich in dieesamtstaatliche Vorsorgepflicht eingebettet. Unsererundeswehr fällt hier im Rahmen der bestehenden Ge-etze aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten eine wich-ige Rolle zu. Dabei kommen gerade Grundwehrdienst-eistende und Reservisten zum Einsatz. Gemeinsam mitem Innenministerium haben wir mit dem Luftsicher-eitsgesetz eine gesetzliche Grundlage für die Aus-bung des Air Policing auf den Weg gebracht. Am. Oktober 2003 haben wir in Kalkar das „Nationale
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Bundesminister Dr. Peter StruckLage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“in Betrieb genommen. Das sind wichtige Schritte, diezeigen, dass wir die neuartigen Gefährdungen vonDeutschland ernst nehmen und handeln.Wer behauptet, die laufende Reform schaffe eineZweiklassenarmee, irrt. Wir schaffen eine Bundeswehr,die der streitkräftegemeinsamen Planung, Ausbildungund Einsatzfähigkeit folgt. Dabei ist Differenzierung inAusrüstung und Ausbildung, die unterschiedlichen Ein-sätzen entspricht, unerlässlich. Wer mit Blick auf dieAusrüstung eine Anschubfinanzierung fordert, sollteauch sagen, wie und in welchem Umfang er sie bereit-stellen will. Hierzu enthält der Unionsantrag überhauptnichts.
Unterschiedliche Anforderungen verlangen Reak-tionsmöglichkeiten durch unterschiedliche Kräfte. Des-halb haben wir die drei genannten neuen Kräftekatego-rien eingeführt. Nur unter dieser Voraussetzung bleibtdie Bundeswehr fähig, sowohl die wichtigen Aufgabenim Inland als auch die Aufgaben im Ausland verantwor-tungsvoll wahrzunehmen. Die Vorstellung der Oppo-sition von rotierenden Einsätzen der gleichen Kräfte imInland wie im Ausland führt zu Überforderung undMissachtung des differenzierten Aufgabenspektrums.Nicht jeder Verband muss alles können.Ein solcher Ansatz ist im Übrigen nicht mit den künf-tigen Aufgaben der Wehrpflichtigen, wie sie auch dieUnion vorsieht, vereinbar. Die Grundwehrdienstleis-tenden sollen künftig noch besser auf Aufgaben sowohlim Inland, zum Beispiel den Schutz Deutschlands, Hilfe-leistung in Katastrophenfällen, als auch auf Einsatz-unterstützung im Ausland vorbereitet werden. Ihre Ein-planung wird entsprechend ihren Vorkenntnissen undberuflichen Qualifikationen optimiert. Das ist im Inte-resse der Streitkräfte und erhöht natürlich auch die At-traktivität des Wehrdienstes.Dies trägt auch einem Grundsatz Rechnung, auf denich großen Wert lege: Die Bundeswehr will ihren Nach-wuchs gewinnen, nicht kaufen, meine Damen und Her-ren. Damit ist sie in ihrer Geschichte gut gefahren.
Ebenso wird sie weiterhin nicht als Dienstleistungsbe-trieb für riskante Auslandsaufgaben verstanden werden.Eine Entfremdung zwischen Gesellschaft und Streitkräf-ten darf es und wird es nicht geben.
Auch das neue Stationierungskonzept wird die festeIntegration der Bundeswehr in die Gesellschaft nicht be-einträchtigen. Die Opposition fordert in ihrem Antragpauschal viele Standorte. Diese Forderung ist schlichtunseriös, unredlich und sicherheitspolitisch überhauptnicht begründbar.EVinhmscolaWzdteEzjehBtrntidbfddaPwIshnbLtKtegbCdntf
s macht keinen Sinn, an Vorgaben für die Anzahl underteilung der Bundeswehrstandorte festzuhalten, die vergangenen Jahrzehnten sicherlich berechtigt waren,eute aber militärisch nicht mehr notwendig und ökono-isch nicht mehr zu rechtfertigen sind. Weder die gesell-chaftliche Einbindung der Bundeswehr noch das Si-herheitsempfinden der Bürger hängt primär davon ab,b wir 500 oder 600 Bundeswehrstandorte in Deutsch-nd haben.Die Motivation der Soldatinnen und Soldaten, deneg der neuen Bundeswehr mitzugehen, ist hoch. Dieseigt sich auch im Bericht des Wehrbeauftragten, nachem sich die Anzahl der Eingaben gegenüber dem letz-n Jahr sogar verringert hat. Auch wenn die Anzahl deringaben gerade einmal nur gut 2 Prozent der Gesamt-ahl der Soldatinnen und Soldaten ausmacht, nehme ichde einzelne Eingabe sehr ernst, da ich um die ohnehinohen Belastungen der Soldatinnen und Soldaten – zumeispiel durch häufige Versetzungen – weiß.In den nächsten Wochen und Monaten werden die ge-offenen Entscheidungen planmäßig umgesetzt. Der Ge-eralinspekteur der Bundeswehr wird eine neue Konzep-on der Bundeswehr als Dokument für die Ausplanunger Strukturen vorlegen. Das Stationierungskonzept wirdis Ende 2004 vorliegen. Das neue Weißbuch wird 2005olgen. Die Grundlagen für die Transformation der Bun-eswehr, die weit über das Jahr 2010 hinausreicht, sindamit gelegt. Damit ist gewährleistet, dass Deutschlanduch in Zukunft gemeinsam mit seinen Verbündeten undartnern seiner gewachsenen außenpolitischen Verant-ortung gerecht werden kann, dass Deutschland seinenteressen und seinen Einfluss international – in einertarken NATO, in einer sicherheitspolitisch handlungsfä-igen Europäischen Union und in den Vereinten Natio-en, die als globaler Ordnungsfaktor unverzichtbar blei-en – geltend machen kann und dass Deutschland in derage ist, Friedenspolitik mit der Bundeswehr zu gestal-en.Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dieardinal Meisner kürzlich beim internationalen Solda-ngottesdienst in Köln, an dem ich teilgenommen habe,eäußert hat: Diese Bundeswehr ist die größte Friedens-ewegung Deutschlands.
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schäuble, CDU/
SU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-eswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten haben in ei-em halben Jahrhundert gemeinsam mit den Streitkräf-en unserer Verbündeten einen unverzichtbaren Beitragür Frieden und Sicherheit für uns alle geleistet. Wir
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Dr. Wolfgang Schäubleschulden ihnen dafür Dank. Der Satz von KardinalMeisner, den Sie eben zitiert haben, Herr Verteidigungs-minister, findet meine volle und uneingeschränkte Zu-stimmung.
Die Soldaten der Bundeswehr leisten auch heute invielen schwierigen Einsätzen einen unschätzbar wertvol-len Dienst für unser aller Sicherheit. Umso mehr hätteich mir gewünscht, dass der Bundeskanzler während derRegierungserklärung anwesend ist und an dieser Debatteteilnimmt.
Es ist meines Wissens in den 50 Jahren der Geschichteder Bundeswehr neu, dass ein Bundeskanzler es nicht fürnötig hält, an einer solch grundsätzlichen Debatte überdie Sicherheit der Bundesrepublik und über die Bundes-wehr teilzunehmen.
Das bringt uns unmittelbar zum Kern der Probleme.Wir lesen dieser Tage im Bericht des Wehrbeauftragtenund konnten zu Beginn dieser Woche Meldungen überdie Auseinandersetzung um weitere Kürzungen imVerteidigungshaushalt lesen.
Der Bundesverteidigungsminister selbst hat gesagt, dassdie Bundeswehr weitere Kürzungen nicht mehr verkraf-ten könne. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hatgesagt, wenn weiter gekürzt werde, sei das ganze Re-formkonzept Makulatur. Es geht um die Gesamtverant-wortung der Bundesregierung, die nicht hinter demVerteidigungsminister und nicht hinter der Bundeswehrsteht.
Das Problem ist, dass Anspruch und Wirklichkeit dra-matisch auseinander klaffen.Es ist, wie gesagt, eine Frage der Gesamtverantwor-tung der Bundesregierung. Wir brauchen dringend einWeißbuch, das in der Gesamtverantwortung der Bundes-regierung herausgegeben wird, damit wir einmal erfah-ren, wo es hingeht, und damit wir nicht ständig mitbesänftigenden, täuschenden und ablenkenden Erklärun-gen vertröstet werden. Jedes Mal wird angekündigt – daswar schon bei Herrn Scharping so; bei Herrn Struck istes genauso –, dass um die notwendigen Mittel gekämpftwerde. Hinterher wird die Bereitstellung dieser Mittelwieder nicht erreicht. Ein um das andere Mal sind dieBundeswehr bzw. die Soldatinnen und Soldaten dieLeidtragenden und die Verunsicherung in der Truppe– der Wehrbeauftragte hat es dargelegt – wächst.
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ir mussten deswegen die Bundeswehr auf neue He-ausforderungen vorbereiten. Viele Kapazitäten, die iner Vergangenheit notwendig waren, brauchen wir heuteicht mehr in dieser Größenordnung, in dieser Dimen-ion. Das alles ist richtig. Die Grundlinie dieser Reformst in wesentlichen Teilen nicht streitig und wird von unsnterstützt.Aber eines kann doch nicht richtig sein, nämlich dassie Bundeswehr die Sicherheit unseres Landes – Sie ha-en eben zu Recht gesagt, dass der Schutz Deutsch-ands Kernaufgabe der Bundeswehr bleibt – überall aufer Welt schützt, nur nicht in unserem Lande selbst.
ll das, was Sie zur Konzeption der Reform der Bundes-ehr vorgetragen haben, läuft darauf hinaus, den Ein-atzverbänden – die Armee ist überall in der Welt iminsatz; das ist notwendig, richtig und unstreitig – dieotwendigen Mittel zu geben und sie zu unterstützen.ber die Antwort auf die Frage, gegen welche Bedro-ungen in unserem Lande Vorsorge geleistet werdenuss, wird verweigert. Das ist der eigentliche Schwach-unkt dieser Reformkonzeption.
Es ist ganz verräterisch: Wenn der Bundesverteidi-ungsminister oder auch der Außenminister von deninsätzen der Bundeswehr in Afghanistan oder auf demalkan spricht, dann wird immer mit großen, überzeu-enden Worten – das ist an sich ganz richtig – von derervorragenden zivil-militärischen Zusammenarbeitur Gewährleistung und zum Aufbau von Sicherheit iniesen Regionen gesprochen. Wenn es um die zivil-mili-ärische Zusammenarbeit im Rahmen der Gewährleis-ung der Sicherheit der Menschen in unserem Landeeht, dann heißt es: Die Bundeswehr darf nicht zurilfstruppe der Polizei verkommen. Diese Sprache isterräterisch. Sie verweigern die notwendige Vorsorgeür die Sicherheit.
Richtig, die Verfassung.Um einen nächsten Punkt anzusprechen: Der Bundes-erteidigungsminister hat eben ausgeführt, dass die Bun-eswehr auch die zur Abwehr von terroristischen oder
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Dr. Wolfgang Schäubleanderen Bedrohungen aus der Luft – das betrifft dieSicherheit des Luftverkehrs – notwendigen Leistungenerbringen müsse und dass man dazu eine Gesetzgebungauf den Weg bringe.Ich komme in diesem Zusammenhang auf den Zurufim Hinblick auf eine Grundgesetzänderung zurück. Ichhabe viele Zitate dabei, in denen der Bundesverteidi-gungsminister dem Bundeskanzler widersprochen undgesagt hat: Wir kommen um eine Grundgesetzänderungnicht herum. – Das ist auch richtig. Jeder, der ein biss-chen Ahnung von der Verfassung hat, weiß: Ohne eineGrundgesetzänderung ist eine solche Gesetzgebungnicht zu schaffen. Aber Rot-Grün verweigert die not-wendige Klärung der verfassungsrechtlichen Grundla-gen für einen rechtlich zweifelsfreien Einsatz der Bun-deswehr zugunsten der Sicherheit unseres Landes undseiner Bürger. Das ist der Schwachpunkt rot-grüner Poli-tik. Anspruch und Wirklichkeit klaffen unverantwortlichauseinander.
– Den Zuruf des Kollegen Erler will ich gerne behan-deln; denn er bringt uns vielleicht ein Stück weiter. Esklingt so schön: „Verfassungstreue ist nie eine Schwä-che“. Das ist richtig.
Aber, Herr Kollege Erler, wenn Sie selber der Auffas-sung sind – das ist ja unstreitig –, dass uns die Bundes-wehr notfalls vor terroristischen Bedrohungen aus derLuft schützen muss, und wenn alle Verfassungsrechtlerund sogar der Verteidigungsminister sagen, man brauchedazu eine Änderung des Grundgesetzes, dann ist es dochkein Ausdruck von Verfassungstreue, wenn Sie sagen:Das regeln wir in einem Gesetz ohne die notwendigeverfassungsrechtliche Klarstellung. Das können Siedoch nicht als Verfassungstreue bezeichnen.
So treiben Sie doch Schindluder mit der Verfassung. Dasist doch das Problem.
– Lieber Herr Müntefering, ich habe mich gewundert,dass es fast zehn Minuten gedauert hat, bis Sie sich zuder Häme, die ich Ihnen zugetraut habe, bekennen. Dasist schön.
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Ich möchte gerne noch einen weiteren Punkt anspre-hen, Herr Bundesverteidigungsminister, der mir in Ihreronzeption völlig fehlt. Wenn wir bei der Bundeswehruantitative Veränderungen – auch in der Ausstattung –ornehmen, die wir brauchen und die richtig sind – dasst im Prinzip unstreitig –, dann wird die Zusammen-rbeit in Europa auch in der Rüstungsindustrie, in derüstungsagentur, umso wichtiger. Wir werden eine hin-eichend leistungsfähige wehrtechnische Industrie ineutschland und in Europa nur bewahren können,enn wir die rüstungstechnische Zusammenarbeit in Eu-opa qualitativ verbessern und intensivieren. Dazu aberüssen wir die sicherheitspolitische Zusammenarbeitn Europa entscheidend verstärken. Dazu fehlen in Ih-em Reformkonzept alle Ansätze. Wenn wir die Wett-ewerbsfähigkeit der wehrtechnischen Industrie ineutschland und in Europa verloren gehen lassen, dannerden uns auch entscheidende Voraussetzungen für dieewahrung von Sicherheit in der Zukunft verloren ge-en.
Das bringt mich zu dem Punkt, dass wir uns – wasöllig unstreitig ist – in einem noch viel stärkeren Maßels in der Vergangenheit auf die Stärkung integriertererbände konzentrieren müssen. Dazu aber müssen wirie notwendigen Voraussetzungen schaffen. Wir brau-hen übrigens auch Klarheit. Ich hätte wirklich erwartet,ass in dieser Debatte endlich einmal gesagt wird, wasie Bundesregierung eigentlich mit den sieben oder neunritisch-französisch-deutschen Kampfgruppen fürchnelle Einsätze – insbesondere in Afrika – mit einertärke von jeweils 1 500 Mann vorhat. Schaffen Sie einenig Klarheit! Frau Staatsministerin Müller hat vorurzem gesagt, im Sudan sollten Soldaten eingesetzterden. Sie ist zurückgepfiffen worden. Jetzt hat dererteidigungsminister gesagt, die Bundeswehr müsseuch in Afrika mehr Einsätze leisten. Auch das ist wie-er halb dementiert worden. Dann hat Frau Müller dieserage gesagt, man solle die Entwicklungspolitik ganz auffrika konzentrieren. Das passt zu dem Geraune vonen britisch-französisch-deutschen Kampfgruppen, dieor allen Dingen in Afrika eingesetzt werden sollen. Ichage gar nicht Nein dazu. Ich würde aber, verdammtoch mal, gern von der Bundesregierung wissen, was sieigentlich vorhat und was sie vorbereitet. So kann manoch nicht die Öffentlichkeit hinters Licht führen.
Herr Bundesverteidigungsminister, als Sie im vergan-enen Jahr bei dem Planspiel der Verteidigungsminister
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Dr. Wolfgang Schäublein Colorado waren und sich konkret mit der Frage, wiedie NATO Response Force tatsächlich eingesetzt wer-den kann, beschäftigt haben, haben Sie blitzschnell er-kannt: Mit den Bedingungen unserer heutigen parlamen-tarischen Praxis der Parlamentsbeteiligung an diesenEntscheidungen ist das Problem nicht zu lösen. Deswe-gen haben Sie eine parlamentarische Sonderbehandlungfür integrierte Verbände gefordert. Daraufhin sind Siezurückgepfiffen worden und heute wird das Thema nichtmehr vorgebracht.Wir sind zu vernünftigen, die Rechte des Parlamentsund die Verantwortung der Bundesregierung wahrendenLösungen bereit. Wir wollen integrierte Verbände, weildarin eine bessere Zukunft für die Sicherheit des Landesund für die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr liegt. Siekönnen bei diesem Thema nicht ausweichen. Sie könnensich nicht in Colorado Springs zu der Notwendigkeit be-kennen, sich dann aber, wenn Sie zurück in Berlin sind,angesichts der Realität von Rot-Grün Ihrer Verantwor-tung verweigern. Anspruch und Wirklichkeit klaffen zuweit auseinander. Das ist für die Sicherheit unseres Lan-des auf die Dauer gefährlich.
Natürlich leben wir in Zeiten begrenzter finanziellerHandlungsspielräume für Bund, Länder, Gemeinden undauch für die Europäische Union. Das ist völlig unstreitig.Das wird auch in den nächsten Jahren nicht besser, son-dern eher noch schwieriger. Das kann im Ergebnis aberdoch nicht bedeuten, dass wir Sicherheitspolitik nachKassenlage betreiben. Vielmehr muss man sich dieFrage stellen: Was ist – auch angesichts begrenzterfinanzpolitischer Handlungsmöglichkeiten – wirklichnotwendig? Wo liegen die Prioritäten für die Sicherheitunseres Landes?Das Notwendige müssen wir bereitstellen. Wir müs-sen zu Prioritätensetzungen fähig bleiben. Sonst werdenwir insgesamt – als Regierung wie als Parlament – derVerantwortung für die Sicherheit unseres Landes nichtgerecht. Die Art, wie Sie zwar in Regierungserklärungenüber die Probleme der Bundeswehr reden, aber in denHaushaltsverhandlungen zwei Tage später das Gegenteilvon dem beschließen, was Sie angekündigt hatten, wirdIhrer und unser aller Verantwortung für die Sicherheitunseres Landes nicht gerecht.
Ich erteile dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Im 21. Jahrhundert steht die internationale Staatenge-meinschaft in der Tat vor völlig neuen sicherheitspoliti-schen Herausforderungen. Sie befindet sich zurzeitinsgesamt in einem Prozess der Anpassung an die ak-tuelle Bedrohungslage. Das gilt im globalen, transatlan-tnäbsItzvvwudIahtöVCdlriskiEwGlRrtRdNpvedpsmdEl
Streitkräfte spielen also eine wesentliche Rolle, aberas gilt nicht ausschließlich für diese. Wir haben in denetzten Jahren eines gelernt: Streitkräfte müssen die Vo-aussetzungen schaffen, damit stabilisierende Kräftehre Arbeit tun können. Dies sehen wir im Kosovo; diesehen wir in Afghanistan. Ohne Bundeswehr könnte dortein ziviler Aufbau betrieben werden.
Dazu gehört auch, dass die alte Landesverteidigungn der Tat der Vergangenheit angehört. Durch die NATO-rweiterung und die vertiefte EU-Integration ist nunirklich kein Szenario mehr vorstellbar, das unsererenzen bedrohte. Trotzdem haben unsere internationa-en Verpflichtungen zugenommen. Der Minister weist zuecht darauf hin: Die Bundeswehr muss daran ausge-ichtet werden, welches in Zukunft die wahrscheinlichs-en Einsätze sein werden. Die Verteidigungspolitischenichtlinien vom Mai des vergangenen Jahres führeniese tief greifenden Veränderungen im Umfeld vonATO und EU zu einem ganzheitlichen verteidigungs-olitischen Ansatz zusammen.Herr Schäuble fragt: Was bereitet die Bundeswehror? Man könnte auch fragen: Wann setzen wir Soldatenin? Auch Soldaten fragen uns dies gelegentlich. Ichenke, diese Fragen sind beantwortet: Es gibt eine euro-äische Sicherheitsstrategie, die Maßstab auch für un-er nationales politisches Handeln ist.Wir setzen Soldaten ein, wenn es darum geht, Völker-ord zu verhindern. Wir setzen Soldaten ein, wenn esarum geht, Stabilität in Europa und an den Rändernuropas zu wahren. Und – ich bekenne mich ausdrück-ich dazu – wir setzen Soldaten auch ein, wenn es darum
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Rainer Arnoldgeht, deutsches Gewicht in den europäischen Integra-tionsprozess einzubringen. Ohne das Engagement derdeutschen Bundeswehr hätte die wichtige Arbeit derDeutschen von der Lösung des Kosovokonflikts über dieVerhandlungen über Afghanistan auf dem Petersberg bishin zu der jetzigen Initiative für den Mittelmeerraumüberhaupt nicht stattfinden können. Die Gründe für denEinsatz von Soldaten sind also klar.
Dieses Engagement bleibt multinational eingebettet.Bei genauem Hinsehen wird man erkennen, dass alle an-deren NATO-Partner im Augenblick ähnliche struktu-relle Änderungen durchmachen. Wir waren gestern inBrüssel und haben gehört, dass man dort sehr aufmerk-sam auf dieses deutsche Modell schaut, das in vielen Be-reichen sogar Vorbildcharakter für andere Staaten hat.Die Erweiterung der EU und der NATO stellt eineChance dar, diesen Harmonisierungsprozess mit Blickauf eine gleichmäßigere Aufgabenverteilung zwischenden Streitkräften der einzelnen Nationen auf mehrereSchultern voranzubringen.Wir wissen aber auch, dass wir Fähigkeitslücken ha-ben, die geschlossen werden müssen. Auch in Europamüssen Redundanzen minimiert werden. Wir wollenmultinationale Ansätze bei der Aufgaben- und Rollen-verteilung, aber auch das Pooling von Fähigkeiten – ge-meinsame Aufklärungs- und Transportfähigkeiten – wei-ter voranbringen.Was wollen wir also mit diesem Transformations-prozess neu gestalten? Es ist klar geworden, dass wirnicht mehr das Gesamtspektrum aller Waffen und Geräteverfügbar halten müssen. Was wir im Verbund einsetzenkönnen, müssen wir auch gemeinsam organisieren. Wirmüssen den den Teilstreitkräften gemeinsamen Ansatzsowohl national als auch multinational deutlich stärken.Die Einsätze der Bundeswehr haben aufgrund der ho-hen Professionalität unserer Soldaten eine große interna-tionale Anerkennung gefunden; dies wurde immer wie-der bestätigt. Wir haben in den letzten Jahren die Reformgerade in den Bereichen, in denen die Soldaten Schutzund Kommunikation brauchen, engagiert vorangetrie-ben. Es stimmt eben nicht, dass wir Soldaten in Einsätzeschickten und dort allein ließen. Die Soldaten im Einsatzhaben von uns alles erhalten, was uns die militärischeFührung vorgeschlagen hat. Dies ist ganz wichtig.
Mit dem neuen Ansatz, 35 000 Eingreifkräfte fürFrieden schaffende Maßnahmen aufzustellen, leistenwir – auch im internationalen Zusammenhag – einen an-gemessenen Beitrag. Es ist natürlich neu, dass geradedas Heer nicht mehr nach dem Motto lebt, jeder müssealles haben und alles können. Nein, diese 35 000 werdenmit modernsten Geräten ausgestattet sein und in derLage sein müssen, die vernetzte Operationsführung inden nächsten Jahren zu praktizieren. Die 75 000 Stabili-sierungskräfte sind uns besonders wichtig, weil sieauch ein Stück weit profilbildend für die BundeswehrslbFAGmMSvgDDpwznhuadnKBHsBAdddbms
Nun reden Sie bei diesem Wandel natürlich auch vomeld. Zunächst einmal sage ich Ihnen: Gelegentlichacht Knappheit klug.
anches von dem, was der Minister mit Blick auf dieteigerung der Wirtschaftlichkeit mit der GEBB und mitielen neuen Projekten aufs Gleis gesetzt hat, wäre nieelungen, wenn wir nicht auch dem ökonomischenruck ausgesetzt gewesen wären.
Ich lasse aber an einem überhaupt keinen Zweifel:ie Einhaltung der jetzigen mittelfristigen Finanz-lanung ist aus Sicht der Bundeswehr zwingend not-endig. Nur so wird dieser Transformationsprozess bisum Jahr 2010 erfolgreich abgeschlossen werden kön-en.
Wenn man der Union heute genau zugehört hat, dannat man den Eindruck gewinnen müssen, es gehe ihr nurm das Geld sowie darum, ob die Bundeswehr künftiguch im Inneren eingesetzt wird. Herr Kollege Schäuble,as ist bei dem Transformationsprozess der Bundeswehricht das Wichtigste.
Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Daub?
Ja, klar.
Herr Kollege Arnold, Sie waren gestern auch mit in
rüssel. Sie haben darauf Bezug genommen, dass das
eer nicht mehr alle Aufgaben selbst erledigen muss,
ondern im Verbund tätig werden soll. Haben Sie in
rüssel nicht auch gehört, dass dort im Hinblick auf die
usstattung des Einzelplans 14 größte Sorgen bereitet,
ass die Bundesrepublik Deutschland im Verbund mit
er NATO möglicherweise Fähigkeiten verlieren wird?
Ja, Frau Daub. Allerdings habe ich auch gehört, weras gesagt hat: der Botschafter der Vereinigten Staatenei der NATO. Ich sage hier sehr offen, dass ich manch-al folgenden Eindruck habe: Wenn unsere amerikani-chen Freunde mehr Geld für die Streitkräfte einfordern,
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Rainer Arnolddann vergessen sie, einen zweiten Halbsatz deutlich zusagen. Sie tun dies nämlich – das denken Sie sichdann –, damit die amerikanische Rüstungsindustrienoch mehr Bestellungen erhält.
Wir haben auch mit unseren französischen Freundengesprochen; denn, Frau Daub, in diesem Zusammenhanglohnt sich ein Blick auf den französischen Haushalt.Wenn man vom französischen Verteidigungsetat dieKosten im Nuklearbereich und für die Gendarmerie ab-zieht, dann kommt als Ergebnis exakt die Summe he-raus, die wir für die Bundeswehr zur Verfügung stellen.
In dieser Hinsicht stehen wir also gar nicht so schlechtda.
Das, was hier immer wieder erzählt wird, ist wirklich einMärchen. Sich an Frankreich und Großbritannien zuorientieren, das halte ich schon für sinnvoll – nicht mehr,aber auch nicht weniger.
Lassen Sie uns aber über den Bereich Inneres spre-chen. Herr Schäuble, ich finde, Sie haben etwas ganzSchlimmes getan.
– Ja.
Sie haben die Aufgaben, die unsere Soldaten im Auslandhervorragend erfüllen, gegen Ihre Position ausgespielt,indem Sie gesagt haben, dass sie auch im Inneren mehreingesetzt werden sollen.
Dies wird der gesamten politischen Bewertung nicht ge-recht.
Denn es muss doch einmal klar gemacht werden: DieAufgabenstellungen, die die deutschen Soldaten im Aus-land bewerkstelligen, haben unmittelbar etwas mit derWahrung der inneren Sicherheit in Deutschland zu tun.Sie dürfen beides nie und nimmer gegenüberstellen.
Aber im Inneren bestehen klare Regeln. Auch ist esdoch nicht so, dass die Bundeswehr nichts darf. Sie darfzum Beispiel Amtshilfe leisten und im Katastrophenfallhelfen. Allerdings darf sie sich im Zuge der Amtshilfeselbst keine neuen Aufgaben anmaßen. Mir scheint aber,dass Sie exakt dies wollen. Wir sind bereit, mit Ihnenüd–BcRAoPtwgdUDuszrwbSinmJuseknWtwvnsWead
as kann man natürlich nicht machen. Auch in anderennionsregierten Ländern spart man bei der Polizei undtreicht ihre Mittel, ruft gleichzeitig aber nach Unterstüt-ung durch den Bund. Das ist der eine Punkt.Ein anderer Punkt wiegt aber noch schwerer – da-über müssen Sie noch einmal nachdenken –: Wollen Sieirklich, dass 19-jährige junge Männer nach einer Aus-ildung, die nur wenige Wochen gedauert hat, auf dertraße stehen, Infrastruktureinrichtungen schützen undnnerhalb von Sekunden entscheiden müssen, ob sie ei-er Bedrohung ausgesetzt sind und ihre Waffe einsetzenüssen? Um das tun zu können, lernen Polizisten einigeahre. Soldaten lernen es bei der Ausübung von Wach-nd Schutzaufgaben, allerdings innerhalb ihrer Liegen-chaften, auf denen klare Spielregeln gelten. Wer dortindringt, weiß, was passiert. Aber auf einem Bahnhofann ein 19-jähriger junger Mensch diese Entscheidungach einer so kurzen Ausbildung nicht treffen.
as Sie hier vorschlagen, ist zudem aus sicherheitspoli-ischen Gründen völlig unverantwortlich.
Ich bin sicher, dass der Innenminister alles, was getanerden muss, eingeleitet hat: eine bessere Vernetzungon Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeskrimi-alamt, um bessere Dienste leisten zu können. Hier be-tand Nachholbedarf. Das alles ist aber auf einem guteneg. Dadurch wird letztendlich die Sicherheit gestärkt.
Vielleicht haben Sie bei Ihrem Vorschlag aber auchinen anderen Hintergedanken. Vielleicht wollen Sie diellgemeine Wehrpflicht über den Heimatschutz begrün-en.
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Rainer ArnoldDafür taugt er aber nicht. Die Wehrpflicht ist für dieBundeswehr und vielleicht sogar für unsere gesamte Ge-sellschaft der bessere Weg. Sie aber über den Heimat-schutz zu begründen wäre, wie Sie zu Recht zurufen,falsch.
Das wäre aus zwei Gründen falsch. Die Verfassungdefiniert genau, wozu wir eine Armee aufstellen undWehrpflichtige einziehen dürfen.
Bräuchten wir die Bundeswehr im Inneren, könnte dieVerfassung uns sogar die Türe dafür öffnen, dass der In-nenminister für den Bundesgrenzschutz Wehrpflichtigeeinzieht; das wäre sogar möglich. Falls es notwendigwäre, wäre es sicherlich auch die bessere Entscheidung.Ich fürchte eines: Über diese Legitimation die Wehr-pflicht zu retten verkehrt sich zum Schluss ins Gegenteil.Die Akzeptanz der Wehrpflicht würde sinken, wennWehrpflichtige in Zukunft auf Bahnhöfen stehen undPolizisten ersetzen müssten. Sie zerstören also mit IhremVorschlag die Akzeptanz der Wehrpflicht in unserer Ge-sellschaft und bei den jungen Menschen. Das halte ichwirklich für extrem schädlich und falsch.
Trotz aller Kritik, die Sie heute mit Ihrem Papier ge-übt haben, gibt es auch eine Chance. Sie sind – wie sohäufig in den letzten Wochen, wenn Sie über politischeKonzepte diskutiert und solche vorgelegt haben – hinrei-chend ungenau geblieben. Sie sagen nicht, woher das zu-sätzliche Geld kommen soll. Es ist schon witzig, wenneine Partei weitere Steuersenkungen im Umfang vonMilliarden verspricht, aber zugleich für die Bundeswehrneue Mittel in beliebiger Höhe fordert.
Herr Schmidt hat wenigstens eine Zahl genannt: 2 Mil-liarden Euro. Aber auch er sagt nicht, wo sie herkommensollen! Sie sind auch hinreichend ungenau, wenn es da-rum geht, den Gesamtumfang der Streitkräfte zu definie-ren.Ich sehe das alles jetzt einmal positiv: Ihre Unge-nauigkeit bietet auch eine Chance für die Debatten, diewir in den nächsten Wochen in den Ausschüssen führenmüssen, dass Regierung und Opposition die Reform ge-meinsam, im Dialog, mit klarem Blick und konstruktivbegleiten. Dabei geht es nicht nur um dieses Politikfeld.Ich denke, es wäre ein entscheidendes politisches Signalgegenüber den Soldaten und den Zivilbeschäftigten,wenn sie sehen würden, dass wir ihnen in den letztenJahren nicht nur viel Arbeit und lange Trennungen vonden Familien zugemutet haben, sondern dass sich diesesParlament auf einen Weg einigt, wie die Streitkräfte zumSchluss fähiger, besser ausgestattet und beweglicherwerden.whssmdiphOkngudohdeslitflFssdgbgrsbäg–medt
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich dem
ächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen Fol-
endes mitteilen: Gerade erreichen uns Nachrichten aus
nserem europäischen Nachbarland Spanien, dass sich
ort auf Bahnhöfen der Hauptstadt Madrid und in Vor-
rtzügen eine ganze Serie von Explosionen mit einer bis-
er unbekannten Anzahl von Toten ereignet hat. Bei je-
er neuen Meldung wird eine größere Anzahl von Toten
rmittelt. Dies ist wahrscheinlich eine Serie von An-
chlägen, wenige Tage vor den dortigen Parlamentswah-
en.
Ich glaube, in Ihrer aller Namen zu sprechen, wenn
ch unser Entsetzen und unsere Abscheu über diese Ta-
en und unsere wirkliche Betroffenheit und unser Mitge-
ühl mit dem spanischen Volk und dem spanischen Par-
ament ausdrücke.
Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Gerhardt,
DP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diechreckliche Nachricht, die Sie uns übermittelt haben,ollte uns allen klar machen, dass wir auch heute keineer normalen Debatten über Sicherheits- und Verteidi-ungspolitik führen wie etwa im Umfeld von Haushalts-eratungen. Die Debatte muss schon auf den Kern derroßen Veränderungen in der Verfassung und der Ziel-ichtung der Arbeit der Bundeswehr abzielen, die be-prochen werden muss.Ich bedaure etwas, dass sie so spät hier im Parlamentesprochen wird, denn die Wahrnehmungen und die Ver-nderungen begleiten uns seit Jahren. Die Entscheidun-en, die der Bundesverteidigungsminister getroffen hatderen einen Teil wir begrüßen, deren anderen wir aberit kritischen Anmerkungen versehen wollen –, hättens verdient gehabt, dass sie hier früher besprochen wor-en wären.
Zunächst will ich aber die Gemeinsamkeiten festhal-en; auch sie gehören in die Debatte um die Bundeswehr.
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Dr. Wolfgang GerhardtMan nimmt ungern – jedenfalls trifft das auf mich per-sönlich zu – die Wendung „Man ist stolz auf etwas“ inden Mund. Aber ich möchte angesichts der langen Tra-dition der Bundeswehr hinsichtlich der Wahrnehmungihrer Aufgaben sagen: Meine Bundestagsfraktion undich selbst sind auf die Soldatinnen und Soldaten derBundeswehr stolz.
Sie haben ihre Arbeit hervorragend gemacht. Sie habenuns durch ihre schlichte Existenz und durch die Art, wiesie die sicherheitspolitische Visitenkarte der Bundesre-publik Deutschland nach innen wie nach außen gezeigthaben, geschützt. Sie haben uns Sicherheit gewährt.Eine weitere Bemerkung der Zustimmung zu Beginn,Herr Bundesverteidigungsminister: Die Bundestagsfrak-tion der FDP stimmt einem großen Teil der Verteidi-gungspolitischen Richtlinien hinsichtlich dieser neuenVerantwortung im internationalen Bereich zu. Es istwahr: Es gibt nach dem Zusammenbruch der alten bipo-laren Welt neue internationale Unübersichtlichkeiten.Sie schreiben, die sicherheitspolitische Lage erfordereeine auf Vorbeugung und Eindämmung von Krisen undKonflikten zielende Sicherheits- und Verteidigungspoli-tik, die das gesamte Spektrum sicherheitspolitisch rele-vanter Instrumente und Handlungsoptionen umfasse und– das ist ein ganz wichtiger Punkt – auf gemeinsamesHandeln mit Verbündeten aufbaue. Diese Aussage istunzweifelhaft richtig. Sie wird von allen Kolleginnenund Kollegen der Bundestagsfraktion der FDP geteilt.
Das möchte ich zu Beginn meiner Rede sagen. Darüberführen wir keine kontroverse Debatte.Wir alle sind uns klar darüber, dass kein Land seinergeopolitischen Verantwortung, die vielleicht auch ausseiner geographischen Lage resultiert, entgehen kann.Ein Wegducken hilft angesichts der Bedrohungen nichtweiter. Wir alle wollen natürlich auch weiterhin über denEinsatz der Bundeswehr mit einer Kultur der Zurückhal-tung entscheiden – das ist richtig –, aber wir alle habenmittlerweile gelernt, dass ein reines Zivilmachtkonzeptzur Lösung der Probleme der Welt nicht ausreicht. Im-mer ist die Kombination notwendig, auch in der Glaub-würdigkeit der Notwendigkeit des militärischen Einsat-zes als des letzten Mittels, wenn man Menschen davonabhalten muss, andere Menschen zu bedrohen, sie umzu-bringen und Genozide und Menschenrechtsverletzungenzu begehen. Ich sage das deshalb, weil in Deutschlandeine lange innenpolitische Diskussion darüber stattge-funden hat. Heute sagen viele – allerdings eher mitÄngstlichkeit –, dass die Glaubwürdigkeit militärischerAbschreckung eben auch dem Schutz von Menschen-rechten dienen kann.
Manche Zivilmachtkonzepte versagen. Das haben wirauf dem Balkan gesehen. Es ist deshalb richtig, dass esin den neuen Richtlinien nicht mehr nur um die WahrungddbdeuewgmDresadpaMmsegkbddbWEmddThwdkpmlizhKwmahZdmg
an muss europäische Sicherheitspolitik definieren;an muss sie transatlantisch einbetten und zur politi-chen Führung bereit sein. Wir brauchen ein Stück weitin neues Fundament im transatlantischen Bereich. Esibt keinen ausreichenden Konsultationsrahmen undeine ausreichenden Konsultationsanstrengungen voneiden Seiten, einen gemeinsamen Sicherheitseinsatz zuefinieren, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen undarüber zu sprechen, bevor Entscheidungen fallen.Sicherheitspolitik ist – auch das will ich in dieser De-atte sagen – beileibe nicht nur ein militärischer Ansatz.enn man sich heute von Experten eine prozentualeinschätzung dazu geben lässt, dann sagen die meisten,ilitärische Intervention mache vielleicht nur 20 Prozenter eigentlichen Lösung aus. Die Konfliktverhütung undie Nachsorge sind der weitaus überwiegende Anteil.rotzdem sind die 20 Prozent entscheidend, um über-aupt eine Chance zu haben, dass Genozide verhinderterden, dass Menschen nicht übereinander herfallen undass es überhaupt zu einer Nation-Bildung kommenann. Ich erwähne das, weil wir in den Verteidigungs-olitischen Richtlinien ähnliche Hinweise haben. Wirüssen uns aber klar werden, dass ein konzentrierter mi-tärischer Einsatz zwar wichtig ist, er allein aber nichtur Lösung der Probleme führt. Daneben muss die Fä-igkeit zur Vor- und Nachsorge in den entsprechendenonfliktbereichen, die es auf dieser Welt gibt, entwickelterden.Herr Bundesverteidigungsminister, nach vielen Ge-einsamkeiten will ich nun mit zwei Punkten allerdingsuch darauf hinweisen, dass begründete Zweifel beste-en, ob die Verteidigungspolitischen Richtlinien und dieiele, mit denen die FDP übereinstimmt – dazu gehörtie Notwendigkeit des internationalen Engagements –,it dem vorliegenden Handwerkszeug in Form des Bud-ets auch wirklich glaubwürdig untermauert werden.
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Dr. Wolfgang GerhardtDiese Zweifel sind erlaubt.
Ich sage sogar: Sie selbst und die militärische Führungder Bundeswehr wissen das. Alles, was einem ans Ohrdringt – all diese Dinge stimmen –, macht die begrün-dete Kritik, die ich jetzt hier übe, sehr glaubwürdig.Wenn Sie weiterhin bei den globalen Minderausga-ben bleiben und keine wirklichen Anstrengungen unter-nehmen, ein realistisches Budget vorzulegen, dann kön-nen Sie den Veränderungsprozess der Bundeswehr nichtglaubwürdig gestalten. Sie sagen sehr emotional – ichkomme gleich noch dazu –, Sie wollten keine Soldatenkaufen. Damit ist die Frage der Wehrpflicht gesell-schaftspolitisch nicht ausreichend beantwortet. Sie wol-len eine neue Struktur. Wenn Sie die Soldatinnen undSoldaten vor gewaltige internationale Aufgaben stellen,dann haben diese auch ein Anrecht darauf, dass die je-weilige Bundesregierung das haushaltsmäßig glaubwür-dig untermauert. Ansonsten ist das nicht sehr überzeu-gend. Das tun Sie nicht.
Wer den Mängelbericht des Wehrbeauftragtenliest, der muss einer Bemerkung von Herrn Feldmeyer inder „FAZ“ von gestern sehr zustimmen. Er sagte, derMängelbericht bewege sich in der Nähe eines Zustands-berichts der Bundeswehr.
Bei der gewaltigen Aufgabe, die Sie sich aufladen unddie sich das Parlament eigentlich mit auflädt, wollen wirdas nicht Wirklichkeit werden lassen.Herr Bundesverteidigungsminister, in den Verteidi-gungspolitischen Richtlinien machen Sie die Wehr-pflicht durch eine Art – wenn ich den Ausdruck gebrau-chen darf – Überwinterungsstrategie zukunftsfähig. Siesagen, die alte Landesverteidigung gebe es nicht mehr.Sie wollen aber an der Wehrpflicht festhalten, weil esKatastrophenschutzfälle und die Notwendigkeit gibt, in-frastrukturell einzugreifen. Sie können vieles heranzie-hen, nach meiner Überzeugung reicht eine allein gesell-schaftspolitische Verantwortung als Begründung für dieWehrpflicht am Ende aber nicht mehr aus.
Die Begründung ist gut, aber nicht ausreichend. Ichgehe auch nicht polemisch gegen überzeugende gesell-schaftspolitische Befürworter der Wehrpflicht an, weilich selbst gerne zu ihnen gehören würde, wenn Wehrge-rechtigkeit die Konsequenz wäre und wenn die jungeGeneration auch wirklich eingezogen werden würde.
Es gibt nicht die Auseinandersetzung darüber, was unslieber wäre. Es gibt schlicht und einfach die Auseinan-dersetzung darüber, was noch geht.Ich stehe heute hier und sage auch an die Reihen derrot-grünen Koalition, die mich im letzten Jahr lautstarkangegangen ist, als ich das gesagt habe: Ich vermute, Sieselbst wissen, dass die Wehrpflicht bei den vorliegendenDeglezggUgRfbddsNuktiaBmokmBAmPdteAim–neAsahpmWI
un kann jemand gesellschaftspolitisch dagegen seinnd sagen, er habe eine andere Überzeugung, er wolleeine Soldaten kaufen. Das ist richtig und das respek-ere ich. Die Wirklichkeit entzieht dieser Argumentationber den Boden.Eines will ich politisch hinzufügen: Wir haben derundeswehr zu danken. Sie ist eine Armee in einer De-okratie. Wir wissen, dass wir die Streitkräfte nichthne Blick auf die Geschichte eines Landes bewertenönnen, aber auch ohne die Wehrpflicht wäre die Parla-entsarmee gesichert.
Das Parlament ist Manns genug, um die Führung derundeswehr auch in einer anderen Strukturform insuge zu fassen. Auch ohne Wehrpflichtarmee würde dieilitärische Führung der Bundeswehr den Primat derolitik respektieren. Auch ohne Wehrpflichtarmee wür-en wir an den Prinzipien der Inneren Führung festhal-n.
uch ohne Wehrpflichtarmee kann man das, was wirmer als Führungsrekrutierungsreserve diskutierenbei den Wehrpflichtigen, die diese Fähigkeit zur Er-euerung der militärischen Führung besitzen, liegt sietwa zwischen 7 und 9 Prozent –, anders organisieren.uch die Weizsäcker-Kommission hat uns das vorge-chlagen. Wir können das, wenn wir es wollen.
Die Wehrpflichtarmee hat ihre Verdienste gehabt,
ber sie kann sie so nicht mehr in die Zukunft tragen. Sieat einen großartigen Beitrag geleistet, aber die Wehr-flicht in ihrer jetzigen Struktur ist am Ende angekom-en. In diesem Zusammenhang möchte ich ungern dasort Vergeudung verwenden. Aber es ist eine gewaltigenanspruchnahme von Ressourcen. Ich habe mich über
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Dr. Wolfgang Gerhardtalle, auch internationalen, Aufgaben, die Sie beschriebenhaben, Herr Struck, unterrichten lassen: In der Bundes-wehr müssen immerhin 20 000 Ausbilder für die Wehr-pflichtigen eingesetzt werden. Diesen Verbrauch vonRessourcen muss man einmal berücksichtigen.Ich sage Ihnen: In der internationalen Aufgabenstel-lung stimmen wir Ihnen zu. In der Bewertung der Ge-schichte der Bundeswehr gibt es keine Differenzen. AberSie geben mit der Überwinterungsstrategie für die Wehr-pflicht der Bundeswehr am Ende keine Zukunft. Sie ver-geuden Ressourcen und drücken sich vor überfälligenEntscheidungen. Je später entschieden wird, desto grö-ßer wird die Eigendynamik von Fehlentwicklungen. Jespäter entschieden wird, umso dringender werden Ent-scheidungen und ihre Umsetzung. Das ist fast das Struk-turprinzip rot-grüner Entscheidungen: immer warten undzu spät handeln, immer alles bis zur Neige auskosten,bevor Entscheidungen getroffen werden. Jetzt sollten Siedie neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien in derWehrstruktur konsequent durchsetzen, um der Bundes-wehr eine gesicherte, klar orientierte Zukunft zu geben.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Winfried Nachtwei, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Über Auslandseinsätze der Bundeswehr beschließt derBundestag inzwischen in der Regel mit einer Mehrheitvon 90 Prozent und mehr. Bezüglich der laufenden Bun-deswehrreform herrscht weitgehend Stille im Land. Gibtes folglich einen sicherheitspolitischen Konsens in derBundesrepublik? Ich glaube, das wäre eine Täuschung.Auch wenn Stabilisierungseinsätze wie im Kosovo undin Kabul eine hohe Akzeptanz finden, so würden sich aneinem eventuellen Einsatzgebiet Afrika oder gar an ei-nem Kampfeinsatz die Geister wieder deutlich scheiden.Dass wichtige Verbündete einen illegalen, auf Lügengestützten und Terrorismus fördernden Krieg geführt ha-ben, hat – so meine Erfahrung – einen massiven Vertrau-ensverlust zur Folge gehabt.
Unter einer unionsgeführten Regierung – da kann manwohl sicher sein – wären jetzt Bundeswehrsoldaten auchim Irak eingesetzt. Es gibt also Gründe genug für diesebreite und wirklich überfällige Debatte zur Zukunft derBundeswehr.Als das Bundesverfassungsgericht vor zehn JahrenOut-of-Area-Einsätze für verfassungsgemäß erklärte,war die Befürchtung bei vielen in der Gesellschaft undauch bei uns, die deutsche Außenpolitik würde sich mili-tnfdBdfdstgivDtEnwuceweIgFtSVGsRcBtsSbtmtKsnhhdFD
Mit der Transformation der Bundeswehr zieht dieundesregierung insgesamt richtige Konsequenzen auser veränderten Sicherheitslage und den veränderten An-orderungen. Sie ist zusammen mit den anderen Ressortser Bundesregierung tatsächlich in umfassende, gemein-ame und vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen eingebet-et. Richtig ist, dass auf mittlere Frist die Landesverteidi-ung nicht mehr akut ist und dass die Hauptaufgabe nunn Krisenbewältigung und Krisenverhütung im Sinneon Gewaltvorbeugung besteht. Richtig ist ebenfalls dieifferenzierung nach Stabilisierungs-, Eingreif- und Un-erstützungskräften. Dieses ist die Konsequenz aus denrfahrungen der bisherigen Einsätze und den internatio-alen Verpflichtungen. Die Transformation der Bundes-ehr, so wie sie jetzt angegangen wird, ist realistischnd politisch mutig.
Diskussionen und Kritiken der letzten Monate ma-hen aber einige Klarstellungen notwendig und werfenrhebliche Fragen auf. Hauptaufgabe ist die Krisenbe-ältigung und -verhütung. Diese wird auch unter einemrweiterten Verteidigungsbegriff zusammengefasst.ch meine, dass ein solcher entgrenzter Verteidigungsbe-riff sehr problematisch und auch verunsichernd ist.akt ist und bleibt das, was wir auch im Koalitionsver-rag festgestellt haben: Einsätze bewaffneter deutschertreitkräfte finden ausschließlich auf der Grundlage dererfassung und des Völkerrechts statt. Das heißt, lautrundgesetz und Urteil des Bundesverfassungsgerichtsind Einsätze außerhalb der Landesverteidigung nur imahmen von Systemen kollektiver Sicherheit zum Zwe-ke der Friedenssicherung denkbar. Anders ausgedrückt:undeswehreinsätze nur für die Ziele der Vereinten Na-ionen und nach den Regeln der Vereinten Nationen,onst nichts.
Eine Anmerkung zu den Stabilisierungskräften:elbsttragende Stabilität kann nur von der ganzen Band-reite von militärischen, zivilen, polizeilichen und poli-ischen Instrumenten und Mitteln erreicht werden. Dieilitärische Seite hat nun ihren Kräftebedarf, ihr Leis-ungsvermögen genauer definiert. Eine solche genauereräftedefinition auf der zivilen und polizeilichen Seiteteht noch aus. Diese zu erarbeiten wird die Aufgabe derächsten Monate sein. Dies ist entscheidend für eine ko-ärente Sicherheitspolitik, zu der wir uns verpflichtetaben.Eine Anmerkung zu den Eingreifkräften: Sie sindas schärfste Mittel der Politik für die Startphase vonriedensmissionen, aber auch zur Friedenserzwingung.as heißt im Klartext: zu Einsätzen kriegerischer
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Winfried NachtweiGewalt. Solche sind im Rahmen des UN-Systems undder Bündnisverteidigung nicht auszuschließen. Sie sindaber ein Mittel – dessen muss man sich bewusst sein –,das besonders kostspielig und besonders riskant ist undMenschenleben fordern wird. Zu warnen ist deshalb vorIllusionen im Zusammenhang mit Schnellsteinsätzen.Gedrängt werden muss auf die beschleunigte Stärkunggewaltvorbeugender Fähigkeiten. Diese sind nämlich dienächste Ratio, damit der Einsatz der Ultima Ratio wennmöglich verhindert werden kann.
Mit der Transformation der Bundeswehr wird dieBundesrepublik über ein wachsendes Angebot von inter-ventionsfähigen Kräften verfügen. Damit steigt auch dieNachfrage. Umso wichtiger ist deshalb die Verständi-gung über klare Rahmenkriterien für Auslandsein-sätze. Selbstverständlich ist Militär kein Konfliktlöser.Militärische Einsätze können die Konfliktlösung beglei-ten, ihre Voraussetzung schaffen. Die Kriterien reichenvon der Frage der Dringlichkeit eines solchen Einsatzesfür kollektive und deutsche Sicherheit über die völker-rechtliche Legalität bis zur Frage der Verantwortbarkeitvon solchen Einsätzen im Hinblick auf die politischeKonzeption, im Hinblick auf eigene Kapazitäten und dieRisiken.Die innere Führung mit dem Verständnis von Solda-ten als Staatsbürgern in Uniform und der Bundeswehrals Parlamentsarmee ist eine große Errungenschaft derdeutschen Demokratie. Sie hat sich in den letzten Jahr-zehnten ausgesprochen bewährt. Sie ist auch internatio-nal hoch angesehen.
Wir müssen uns aber zugleich darüber im Klaren sein,dass in einer Einsatzarmee beides unter Druck steht. Un-sere Aufgabe ist es, die innere Führung und die Parla-mentsbeteiligung weiterzuentwickeln, um ihre Funktion– nämlich die Einbindung der Streitkräfte in den Rechts-staat und in die Gesellschaft – zu bewahren und zu ge-währleisten.In diesem Zusammenhang spielte die Wehrpflicht infrüheren Jahren eine große Rolle. Inzwischen spielt sie– das muss nüchtern festgestellt werden – eine immergeringere Rolle. Bevor das Bundesverfassungsgerichtdie Restwehrpflicht kassiert, weil die Gleichheit der Be-lastung aus dieser Pflicht de facto nicht mehr gegebenist, sollte die Politik, so meinen wir, klare Verhältnisseschaffen.
Ich komme nun zu den Finanzen. Die Bundesrepublikhat eine gewachsene internationale Verantwortung. DieWahrnehmung dieser Verantwortung findet bei den Ver-einten Nationen, in Krisenregionen und anderswo hoheAnerkennung. Sie ist aber nur mit einer verlässlichen Fi-nanzausstattung der Außen-, Sicherheits- und Entwick-ldwulbsmhCGElzsAfnziduUmdhVVGDaf
Nun hat der Kollege Christian Schmidt, Fraktion der
DU/CSU, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schönerüße aus Bad Hindelang. Ich war erst vor kurzem dort.s ist in der Tat ein wunderbarer Ort, Herr Minister. Ichade jeden ein, dorthin zur Kur zu fahren.
Ich habe auch gesehen, dass die Menschen dort sehrufrieden und glücklich sind. Das ist kein Wunder; dennie leben in einem Freistaat, in dem alle innenpolitischenufgaben wunderbar geregelt sind.
Ich habe ein Gespräch mit dem Bürgermeister ge-ührt, der mir sagte, dass die Kommune ihre Feuerwehricht abgeschafft habe, obwohl es in den vergangenenwei Jahren nicht gebrannt habe. Seine Darlegung warnteressant: Sie rüsten die Feuerwehr sogar so gut aus,ass sie für den Fall des Falles in der Lage ist, zu helfennd zu sichern.
m nichts anderes geht es in der Frage der Sicherheit.Wir befinden uns in einer Situation, in der wir nichtehr dieselbe Gewissheit einer Bedrohung haben, dieer Verteidigungsminister Manfred Wörner vor Augenatte – er hat hervorragend darauf reagiert – und die seineorgänger und alle, die bis 1990 verteidigungspolitischeerantwortung getragen haben, von einem gemeinsamenrundverständnis ausgehend in den parlamentarischenebatten erörtert haben. Die Grünen nehme ich davonus; denn sie haben sehr schnell eine andere Linie ver-olgt.
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Christian Schmidt
– Was die Nachfolger angeht, erinnere ich mich nochsehr gut, dass Volker Rühe als jemand diffamiert wordenist, der die Außenpolitik militarisieren will. Heute hörenwir, dass das alles nicht eingetreten ist, und man klatschtsich selber auf die Schulter. Heute ist als Ratio zu be-rücksichtigen, dass die Notwendigkeit und die Strukturder Bundeswehr auch im Einsatz außerhalb unseres Lan-des begründet liegen. Wenn es die Situation in der erstenHälfte der 90er-Jahre nicht gegeben hätte, dann wärenwir in dieser Frage nicht da, wo wir heute sind.Der Kollege Wiefelspütz spricht in diesen Tagen voneiner Militarisierung der Innenpolitik. Volker Rühe istoffensichtlich inzwischen bei den Grünen rehabilitiert.Jetzt sagen die Sozis, die Innenpolitik würde militari-siert. Entschuldigen Sie, wenn ich das so drastisch dar-lege. Was die so genannten asymmetrischen Bedro-hungen angeht, bedeutet die Erkenntnis, dass das Themader Kriege zwischen europäischen Staaten nicht mehr soaktuell ist wie bedauerlicherweise vor 15 Jahren, als esden Ostblock noch gegeben hat, nicht, dass es keine Ge-fahr mehr gibt und es lediglich um eine Aufgabe der BadHindelanger Feuerwehr oder der Polizei geht.Jeder möge einen Moment innehalten und darübernachdenken, was los wäre, wenn in unserem Land etwasgeschehen würde, was von der Polizei allein nicht be-wältigt werden könnte, und zwar deswegen nicht, weilsie weder die sächlichen Mittel noch die entsprechendeAusbildung hat. Wenn tatsächlich eine Sicherheitslückeentstanden ist, dann wird derjenige, der vor dieses HoheHaus treten muss, um die Situation zu rechtfertigen, ei-nen schweren Gang gehen. Wenn Vorsorge Sicherheits-politik ist und wenn Sicherheitspolitik bedeutet, das Un-denkbare zu denken und sich dagegen zu sichern, dannerfordert das konsequenterweise den Schluss, denWolfgang Schäuble gezogen hat, nämlich nicht nur fürSicherheit am Hindukusch zu sorgen, sondern auch imeigenen Lande – das sage ich ganz bewusst – gerüstetund zur Dislozierung in der Lage zu sein. Das sind diezwei Elemente, auf denen unsere Sicherheitspolitik nun-mehr beruht. Übrigens, Herr Verteidigungsminister, ichhabe nicht gehört, dass Sie hinsichtlich der 100 Stand-orte, die Sie auflösen wollen, eine Präzisierung vorge-nommen haben. Das wollen wir lieber abwarten. Wirmüssen auf jeden Fall eine Präsenz der Bundeswehr inder Fläche haben, wenn wir die Bundeswehr als eine Or-ganisation verstehen, die auch zu Hause in der Lage seinmuss, schnell zu reagieren.
Zur Frage der Finanzen: Wie wir alle bedauere ich essehr, dass der Bundeskanzler der heutigen Debatte offen-sichtlich nur eine Stippvisite abgestattet hat. Auch HerrEichel ist schon weg. Vielleicht reden die beiden ja mit-einander. Mein lieber Kollege Arnold, es ist zwar wun-derbar, dass ihr unseren Antrag gelesen habt, wenn auch– leider – offensichtlich nicht ganz. Darauf werde ichspäter noch im Einzelnen eingehen. Aber lest doch we-nigstens das, was euer Bundeskanzler Gerhard Schrödermitträgt und unterzeichnet hat, und fragt dann nach denZahlen! Am 12. Dezember 2003 – Sie können in Wo-chen und müssen nicht in Monaten rechnen – hat derB„saaglaUfdBttmhShVemurtsSiibstdskdkFukmDmVsv
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Das ist das große Defizit. Das ist die Bringschuld dieserRegierung mit diesem Bundeskanzler. Ansonsten wirdsie den Notwendigkeiten nicht gerecht. Deswegen wie-derhole ich: Wer das nicht leistet, legt die Axt an die Si-cherheit der Bürger unseres Landes.
Eine Bemerkung zur Frage, wie die Umgestaltungkonkret aussehen soll: Ob man die genannte Zahl von250 000 Soldaten als ausreichend betrachtet, hängt na-türlich von den Aufgaben ab. Ich bin durchaus der Mei-nung, dass man im Rahmen eines sinnvollen Heimat-schutzkonzeptes – darauf wird noch eingegangen; wirlegen es vor – mehr Soldaten braucht.Wenn heute, bei der jetzigen Finanzkonzeption, dieZahl von 250 000 Soldaten auf dem Tisch liegt, dann istmir schon jetzt klar – ich gebe das ausdrücklich zu Pro-tokoll –, dass diese Bundesregierung dafür sorgen wird,dass die Zahl der Soldaten am Ende – wenn die Regie-rung am Ende ist – bei 210 000 bis 220 000 liegen wird.Ich gehe davon aus, dass sie ihre internationalen Ver-pflichtungen deswegen nicht mehr einhalten kann.Das Schlimme dabei ist, dass das nicht von allen be-trauert wird, sondern dass sich einige die Hände reiben,weil die Ideologie bei dieser Frage noch immer ein Stückweit eine Rolle spielt. Manche in der Koalition seheneine Zahl von 200 000 Soldaten als notwendiges Übelan. Sie hätten am liebsten gar keine Bundeswehr, weilsie sich mit der Frage der Sicherheit und den bestehen-den Herausforderungen nicht anfreunden können.Der Kollege Gerhardt hat über die Wehrpflicht ge-sprochen. 250 000 – – Herr Bundestagspräsident, ichmöchte Sie bitten, die dümmlichen Bemerkungen vonder Regierungsbank zu unterbinden.WPWeBAWcPHdslW2zcpKWBpLzVgncHSsuvmlF
ei dieser Debatte erwarte ich Ernsthaftigkeit, auch vomußenminister!
ir sind in dieses Haus gewählt worden, um über die Si-herheit unseres Landes zu reden. Wir haben deshalb dieflicht, uns ernsthafte Gedanken zu machen.
err Erler, Sie sagen, dass keine Stabssoldaten der Bun-eswehr in NATO-Stäbe irgendwohin entsandt werdenollen. Damit legen Sie natürlich die Axt an die Verläss-ichkeit unserer Politik.
Zur Reduzierung der Stärke auf 250 000 und zurehrpflicht möchte ich noch eines sagen: Wer nur50 000 Soldaten halten will, weil er mehr nicht finan-ieren kann, nicht deswegen, weil er mehr nicht für si-herheitspolitisch notwendig hält, der wird die Wehr-flicht aushöhlen. Ich stimme in der Analyse dem, wasollege Gerhardt sagt, zu. Ich bin ein Vertreter derehrpflicht, weil ich glaube, dass es für die Wehrpflichtegründungen gibt. Wer es ernst meint mit der Wehr-flicht, der muss für Wehrgerechtigkeit sorgen und eineegitimation für diesen Eingriff in die Freiheit des Ein-elnen haben, die auch trägt. Herr Erler, Sie sagen, dieerfassung sei so wichtig. Ich kann Ihnen darauf nur ent-egnen: Mit der Bundeswehr, die Sie konzipieren, kön-en Sie Wehrpflichtige kaum mehr einsetzen. Sie spre-hen zwar von Einsätzen am Hindukusch, aber amindukusch ist ja wohl kein Verteidigungsfall gegeben.ie bewegen sich also in einer Grauzone. Deswegenollten Sie bereit sein, sich mit uns zusammenzusetzennd die Dinge neu zu ordnen, und zwar anders, als Sie esorhaben. Vielleicht hilft dabei auch der Außenministerit, indem er sagt, welchen Beitrag er zum Weißbucheisten will. Ich habe davon noch nichts gehört.
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhold Robbe, SPD-raktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Deutschland liegt heute in der Mitte des europäi-schen und nordatlantischen Stabilitätsraumes. Eine exis-tenzielle konventionelle militärische Bedrohung ist zu-mindest auf absehbare Zeit nicht erkennbar. An dieserTatsache ändert sich im Grundsatz auch nichts aufgrundder Auffassung, die Herr Dr. Schäuble hier heute vertre-ten hat. Gefahren für den Weltfrieden stellen heute derinternationale Terrorismus, die Verbreitung von Massen-vernichtungswaffen, organisiertes Verbrechen und nichtzuletzt regionale Konflikte dar. Bedrohungen und Risi-ken sind nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehrgeographisch eingrenzbar. Die furchtbaren Anschlägewie die von heute Morgen in Madrid führen uns inschrecklicher Art und Weise vor Augen, dass die Terror-bekämpfung im Mittelpunkt jeglicher Politik stehenmuss. Mit Blick darauf muss sich Deutschland militä-risch grundsätzlich überall dort engagieren, wo Kon-flikte entstehen, aus denen Risiken erwachsen könnten,also auch weit über die Grenzen von Europa hinaus, inletzter Konsequenz weltweit.Die Vielzahl von Krisen- und Konfliktherden machtoffensichtlich, dass eine Nation allein nicht über die er-forderlichen Mittel und Fähigkeiten zur Konfliktlösungund Friedenssicherung verfügt. Deshalb war und ist we-sentlicher Eckpunkt der Sicherheitspolitik Deutschlandsdie aktive Mitgestaltung von Entwicklungen im Rahmender Vereinten Nationen, der NATO und der Europäi-schen Union. Dies wurde den Mitgliedern des Verteidi-gungsausschusses gestern in Brüssel bei einem Besuchder NATO vom dortigen Generalsekretär ausdrücklichbestätigt. Die Weiterentwicklung der militärischen Ka-pazitäten von NATO und Europäischer Union, die unse-rer Sicherheit dienen, verlangt von Deutschland notwen-digerweise, die Bundeswehr anzupassen und darausKonsequenzen für die Differenzierung der Streitkräftesowie für die Qualität und Quantität von Material undAusrüstung abzuleiten.Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist heuteeine Armee im Einsatz. Sie engagiert sich weit über dieGrenzen Europas hinaus und wird dieses Engagementauf absehbare Zeit auch fortsetzen. Tatsache ist, dasssich das Einsatzspektrum der Bundeswehr gewandelthat. Das gilt auch für den Charakter der Auslandsein-sätze. Angefangen bei den Einsätzen in Kambodschaund Somalia, über die auf dem Balkan bis hin zum mili-tärischen Engagement im Rahmen der Operation Endu-ring Freedom am Horn von Afrika und im Rahmen derISAF in Afghanistan hatten und haben die Auslandsein-sätze der Bundeswehr ausschließlich den Auftrag derFriedensschaffung, der Friedenserhaltung und der Kon-fliktprävention.Für Afghanistan bedeutet das: Die Unterscheidungzwischen Terrorismusbekämpfung einerseits und Stabili-sierungs- und Wiederaufbauarbeit andererseits entsprichtder unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der Mandateebenso wie der Wahrnehmung der Interessen der afgha-nischen Bevölkerung. Mit dem Engagement der Bundes-wehr werden unerlässliche Grundlagen für politischeund wirtschaftliche Fortschritte geschaffen. Gerade derEBlttkzuKhaNnddüTDaFmuPWwmtasrsssnkzWfeGSBdFmsddSwGem
as die Soldaten im Einsatz benötigen und an Bedarfeitermelden, müssen sie ohne Wenn und Aber bekom-en. Insofern ist in besonderer Weise der jeweilige mili-ärische Vorgesetzte vor Ort gefragt, weil er den Bedarfuf der Grundlage seiner Erfahrungen am besten ein-chätzen kann. Mitentscheidend für die Motivation unse-er Soldaten und die Situation der inneren Lage im Ein-atzland sind die gleichbleibend hohe Qualität deranitätsdienstlichen Versorgung im Einsatz und das Wis-en der Soldaten um verfügbare ambulante und statio-äre Versorgungseinrichtungen mit entsprechenden Eva-uierungsmöglichkeiten.Vor dem Hintergrund der Wandlung der Bundeswehru einer Einsatzarmee berufen sich die Gegner derehrpflicht gern darauf, dass insoweit eine höhere Pro-essionalisierung notwendig sei. Das unterstellt, dass esiner Wehrpflichtarmee an Professionalität mangelt. Dasegenteil ist richtig. Die jungen Menschen, die zu dentreitkräften kommen, bringen ihre Professionalität, ihreerufe mit. Davon profitiert die Armee. Zudem forderter ständige Wechsel den Streitkräften ein hohes Maß anlexibilität ab, eine Fähigkeit, die in der Wirtschaft im-er wieder als Beleg für Professionalität angeführt wird.Mit ihrem Mix aus Wehrpflichtigen, Zeit- und Berufs-oldaten braucht die Bundeswehr den Vergleich mit an-eren Armeen nicht zu scheuen. Im Gegenteil, gerade inen Auslandseinsätzen wird die Professionalität unsereroldaten von ihren ausländischen Kameraden immerieder bestätigt und sehr geschätzt. Der Anteil derrundwehrdienstleistenden, die sich als Freiwillige zuiner längeren Wehrdienstzeit verpflichten, macht im-erhin 15 Prozent des Personals in den Einsätzen aus;
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Reinhold Robbebei den Mannschaften liegt der Anteil sogar bei gut30 Prozent.Meine Damen und Herren, der Grundwehrdienst istein entscheidender Faktor zur Regeneration der Streit-kräfte. Sie gewinnen ihren Nachwuchs an Zeitsoldatenzu einem Großteil aus der Gruppe der Grundwehrdienst-leistenden. Wer die Probleme bei der Nachwuchsgewin-nung in den Berufsarmeen anderer Nationen kennt, darfdies nicht als nebensächlich abtun. Dieser Faktor istnicht nur für die Funktionsfähigkeit der Armee von gro-ßem Wert, sondern er sichert ihr darüber hinaus ein brei-tes Spektrum an fachlichen und menschlichen Qualifika-tionen aus der gesamten Gesellschaft. Übrigens sind diein anderen Nationen mit einer Freiwilligenarmee erhoff-ten Kostenentlastungen, wie immer wieder behauptetwird, nicht eingetreten.Unabhängig von dem klaren Ja zur Wehrpflicht ist esselbstverständlich, dass über die Ausgestaltung desGrundwehrdienstes in einer sich wandelnden Armeeimmer wieder neu nachgedacht werden muss. Der Bun-desminister der Verteidigung hat deshalb bekanntlichden Auftrag erteilt, die Ausgestaltung zu überprüfen. Be-reits im Sommer sollen entsprechende Maßnahmen hier-für greifen.Die Mär von einer kleineren, aber dafür schlagkräfti-geren Armee mit weniger oder keinen Grundwehrdienst-leistenden kann nur verbreiten, wer die Anforderungenund Belastungen einer Armee im Einsatz nicht kennt.Die Auslandseinsätze verlangen der Bundeswehr nichtnur logistisch, sondern auch personell Enormes ab. Dieständigen Kontingentwechsel binden das Dreifache desvor Ort eingesetzten Personals. Der Friedensbetrieb inDeutschland stützt sich deshalb zu einem erheblichenTeil auf die Arbeit grundwehrdienstleistender Soldaten.Hinter vielen Argumenten gegen die Wehrpflichtschimmert der Gedanke durch, dass es nicht mehr zeit-gemäß sei, junge Menschen für den Staat in die Pflichtzu nehmen. Ich persönlich halte das Gegenteil für rich-tig: Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck der ge-meinsamen Verantwortung aller Bürger für unser Ge-meinwesen. Diese Verantwortung gilt es gerade in einerZeit zu fördern, in der der Hang zum Individualismus zueiner großen Beeinträchtigung für unser gesamtes Ge-meinwesen werden könnte.
Unsere Soldatinnen und Soldaten haben hinsichtlichder Teilnahme der Bundeswehr an Auslandseinsätzen ei-nen Anspruch auf Rechtssicherheit. An dem von derVerfassung vorgeschriebenen und durch das Urteil desBundesverfassungsgerichts von 1994 bestätigten so ge-nannten Parlamentsvorbehalt darf auf gar keinen Fallgerüttelt werden. Der Parlamentsvorbehalt und die Pra-xis der Parlamentsbeteiligung haben sich im Hinblickauf die Konsensbildung im Deutschen Bundestag und inder Öffentlichkeit bewährt. Der Parlamentsvorbehalt istund bleibt die Grundlage von Auslandseinsätzen. DieSoldaten können davon ausgehen, dass sie im Auftragder Mehrheit des Parlaments eingesetzt werden.gnlWdtmlzDdCBmskesidfwBDwtlWIdgBäkvsSmlfgjTG
Ich erteile das Wort Kollegen Thomas Kossendey,
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derundeskanzler ist zwar nicht mehr anwesend. Trotzdemöchte ich mit einem Zitat von ihm beginnen. Er hat ineiner Neujahrsansprache gesagt: Wir brauchen ein star-es Deutschland. – Das kann man unterschreiben. Aberin starkes Deutschland zeigt sich nicht nur in der Wirt-chaftskraft und in vielen anderen Dingen, sondern auchn unserem Einfluss auf internationaler Ebene und inem Ansehen, das wir in der Welt genießen. Unser Ein-luss ist stark abhängig von der Verlässlichkeit, mit derir unsere Zusagen erfüllen, die wir in internationalenündnissen gegeben haben. Hier gibt es nach wie vorefizite.Der Austausch der Minister hat nicht viel bewirkt, ob-ohl es zugegebenermaßen weniger Ungeschicklichkei-en gibt. Nach wie vor gehen die Soldaten und die zivi-en Mitarbeiter unserer Bundeswehr durch einechselbad der Gefühle, geprägt von Hoffnungen undllusionen. Nach wie vor kann Ihnen, Herr Minister, je-er Gefreite, der schon einmal etwas von Adam Rieseehört hat, nachweisen, dass Mittel und Aufgaben derundeswehr nicht in Deckung zu bringen sind. Das istrgerlich. Auf die Umsetzung des Mottos „Knappheitann auch klug machen“, das der Kollege Arnold hiererkündet hat, warten wir bei dieser Regierung schoneit fünf Jahren, allerdings bisher ohne Erfolg.
Das ist umso ärgerlicher, als wir viele Projekte, dieie im Zuge der Bundeswehrreform in Angriff genom-en haben, Herr Minister, unterstützen wollen. Viel-eicht haben Sie sogar geglaubt, Sie seien mit Ihrem Re-ormprozess auf dem Boden der Realität gelandet. Ichlaube das nicht. Angesichts der Maßnahmen, die Sieetzt planen, muss ich sagen, dass Sie sich sozusagen imreibsand befinden. Es gibt nämlich keine materiellerundlage. Das Verhängnisvolle ist, dass es keine
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Thomas KossendeySicherheit und keine Verlässlichkeit gibt, weder nach in-nen noch nach außen.Wir haben heute viel von „der Bundeswehr“ geredet.Ich möchte uns allen in das Gedächtnis rufen: Das istkein seelenloses Gebilde; das sind Soldatinnen und Sol-daten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. DerErfolg ihrer Arbeit hängt im Wesentlichen von der Moti-vation ab.
Lassen Sie mich etwas zu den Soldaten sagen. AlsSie, Herr Minister, Ihr Konzept in der Öffentlichkeit vor-gestellt haben, haben Sie die Reduzierung auf250 000 Soldaten mit dem Ausspruch begründet: Klassestatt Masse! Das klingt vielleicht ganz lustig. Aber wiemögen sich diejenigen fühlen, die Sie auf diese Art undWeise apostrophiert haben? Wie viel Verachtung überdie Arbeit der Menschen steckt darin, wenn man sagt:„Wir brauchen Klasse statt Masse und daher35 000 Soldaten weniger“? Ich glaube, damit haben Siedie Soldaten, die ihr Leben für unser Land in internatio-nalen Einsätzen aufs Spiel setzen, nicht richtig gewür-digt. Sie haben sie verletzt.
Auch der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt sehrdeutlich, dass die Soldaten an der Belastungsgrenze an-gekommen sind. Sie haben den Wehrbeauftragten ange-sprochen. Ich möchte Ihnen in das Gedächtnis zurückru-fen, dass der Wehrbeauftragte in seinem Berichtschreibt, dass die Zahl der Eingaben kaum zurückgegan-gen ist und dass die derzeitige Zahl proportional diezweithöchste Zahl seit Schaffung des Amtes ist. Mansollte das nicht beiseite wischen. Das ist ein Alarmsignalaus der Truppe, das man nicht ignorieren darf.Wer sieht, mit welchem Engagement unsere Soldatenarbeiten – Reinhold Robbe hat gerade sehr ausführlichüber Kunduz berichtet –, muss sich umso mehr ärgern,wenn er hört, wie verächtlich manchmal darüber geredetwird. Es kommt in der Tat zu einer Belastung der Solda-ten. Bei der Marine sind die Seefahrer mittlerweile mehrals 200 Tage pro Jahr auswärts und nicht am Heimat-standort. Der Wehrbeauftragte hat uns von einem Pan-zerbataillon berichtet, bei dem von mehr als500 Soldaten 100 im Ausland waren. Mehr als 90 sindzur Überwachung von Kasernen in Süddeutschland ab-geordnet gewesen. Das sind genau die knapp 19-jährigenSoldaten, von denen gerade gesprochen wurde. Ihnenhaben wir die Bewachung von amerikanischen Kasernenzugemutet.
Das war unsere Beteiligung am Irakkrieg. Auch dasmuss man deutlich sagen. Dadurch sind zwei Rekruten-jahrgänge nicht mehr am Kampfpanzer Leo 2 ausgebil-det worden.Genauso gibt es überraschende Erkenntnisse ausFernmeldebataillonen, wo das notwendige Gerät einfachnicht vorhanden ist. Die Soldaten mussten tagelang Hun-derte von Kilometern transportiert werden, um sie zudem Gerät zu bringen, an dem sie ausgebildet werdenssEtDwgVdwhSTpwhd8KdbpcMnegbwmsvbwabtedaDssfgasg
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Die Bundeswehrreform wird der Einsatzrealität auchunter Struktur- und Haushaltsgesichtspunkten gerecht.Die Transformation der Bundeswehr ist auf den Weg ge-bracht. Es ist richtig, die Ausrichtung der Fähigkeitender Bundeswehr an den Wahrscheinlichkeiten der Auf-gaben zu orientieren. Mit der Kategorisierung in Ein-greifkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungs-kräfte wird es einfacher, die Truppe gezielteinsatzgerecht auszurüsten. Es ist möglich, durch ge-zielte Ausbildung die Professionalität noch weiter zu er-höhen.Natürlich erfordert die Transformation der Bundes-wehr zu einer modernen Armee, die zukünftigen Ein-satzerfordernissen genügt, die clevere Verwendung derknappen Ressourcen. Der Minister hat mit seinem Haus-hhwSKdzvdrVvrrtWkIigZhswFgradUvztgdoUtnggezwWwr
Die Kategorie Führungsfähigkeit findet aufgrund ih-er Abstraktheit in diesem Haus manchmal nicht die Be-chtung, die sie eigentlich verdient, charakterisiert sieoch stark die Bundeswehr der Zukunft.
nter der Kategorie Führungsfähigkeit, Herr Schmidt,erbirgt sich die moderne Bundeswehr des Informations-eitalters. Führungs-, Kommunikations- und Informa-ionssysteme werden die Bundeswehr enorm voranbrin-en. Dabei geht es nicht nur um die Ausstattung mit IT,ahinter verbirgt sich auch der teilweise mit dem Wortder Unwort „Network Centric Warfare“ umschriebenemstand der vernetzten Einsatzführung und -wirkung.Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind heuteeilweise nur zu erahnen. Die Wirkung beschränkt sichicht darauf, dass der Bundeswehr Computer zur Verfü-ung gestellt werden. Diese Entwicklung bedeutet einenrundsätzlichen Wechsel in der Streitkräftekultur. Es istine Frage, die Bundeswehr zeitnah mit Informationenu versorgen. Die entscheidende Frage ist aber: Wieerden die Informationen gefiltert und ausgewertet?as wird mit ihnen gemacht? – Meiner Ansicht nachird dieser Kulturwechsel die eigentliche Herausforde-ung für die Bundeswehr der Zukunft sein.
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Alexander BondeEin großer Schritt für die Bundeswehr des Informa-tionszeitalters werden deshalb die Wirkungen desProjekts „Herkules“ sein. Ich hoffe, dass die laufendenVerhandlungen zum Erfolg führen werden. Die flächen-deckende Vernetzung der Bundeswehrstandorte und dieVereinheitlichung der genutzten Software werden die Ef-fizienz der Streitkräfte immens steigern. Ich gebe zu: Inder öffentlichen Betrachtung ist das kein besondersspektakulärer Punkt. Aber hinsichtlich der Wirkung imTransformationsprozess ist er ganz entscheidend.Ein anderer, sehr viel präsenterer Teil der Transfor-mation ist die Absenkung der Personalstärke. Siewurde bereits angesprochen. Ich sage Ihnen: Sie ist einwichtiger Schritt zu einer kleineren und professionelle-ren Armee und eröffnet uns mittelfristig wieder finan-zielle Spielräume. Denn die Senkung der Betriebskostenzugunsten der Investitionsmittel ist dringend notwendi-ger Bestandteil des Reformprozesses, den wir eingeleitethaben und weiterverfolgen müssen.
Dazu gehört – ebenfalls nicht populär, aber notwen-dig – die Frage der Anzahl der Standorte. Dazu gehört,uns die Perspektive von Public Private Partnership auchim Bereich der Bundeswehr zu erhalten und solcheZusammenarbeitsmöglichkeiten nicht angesichts vonSchwierigkeiten zum Beispiel bei der Maut in Bauschund Bogen abzulehnen. Sie erhöhen die Effizienz derBundeswehr und sind ein wichtiger Bestandteil desTransformationsprozesses.Ich will zum Schluss auf Sie, Herr Gerhardt, und denFDP-Antrag eingehen. Sie wissen: Als Grüner hätte ichgerne Ihrem Anliegen, die Wehrpflicht auszusetzen, zu-gestimmt. Sie haben es mir aber mit Ihrem Antrag sehrleicht gemacht, ihm im weiteren Verfahren nicht zuzu-stimmen.
– Dann haben Sie die Punkte, die ich jetzt aufführenwerde, wahrscheinlich bewusst eingefügt.Ihr Antrag hat mindestens zwei Pferdefüße, die ichbenennen will. Mir als Haushaltspolitiker erklärt ernicht, woher die Mittel für die abrupte Etaterhöhung imJahr 2005 stammen sollen. Als Realist muss ich Sie fra-gen, wie eine Bundeswehrstruktur aussehen soll, dieüber zehn Jahre nicht verändert werden muss. Wer so et-was fordert, hat die Diskussion über Transformation, diewir jetzt führen, nicht verstanden.
– Dazu kommen wir noch; Sie werden es sehen. Ichfinde, der rot-grüne Antrag benennt schon sehr klar diePrüfung, die wir durchführen werden.gnnNRskwmvgGwvwgAegnEzDg3DcdergWMvdfaesttzvng
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolle-en! Schon Goethe wusste: „Nach Golde drängt, amolde hängt doch alles.“ Letztendlich hängt die Glaub-ürdigkeit dessen, was hier gesagt wird, davon ab, wieiel Geld tatsächlich zur Verfügung gestellt wird. Icheiß, dass eine deutliche Erhöhung des Verteidi-ungshaushaltes in der nächsten Zeit unrealistisch ist.ber ich finde, man sollte in dieser Debatte wenigstensinmal den europäischen Durchschnitt der Verteidi-ungsausgaben nennen – nicht das, was die Amerika-er ausgeben; nicht das, was die ausgeben, die inuropa Spitze sind. Wenn wir aber diesen Durchschnittum Maßstab nehmen wollten, bedeutete das füreutschland nahezu eine Verdoppelung des Verteidi-ungshaushaltes und eine Truppenstärke von ungefähr75 000 Mann.Ich weiß, dass das unrealistisch ist; aber das ist derurchschnitt. Wenn wir vom Außenminister so beglü-kende Ankündigungen wie die von der „Rekonstruktiones Westens“ hören oder auf der Sicherheitskonferenzrfahren, dass er einen neuen Plan für den Mittelmeer-aum und den Nahen Osten vorlegt, dann muss diese Re-ierung doch wenigstens versuchen, Anspruch undirklichkeit mehr zur Deckung zu bringen.
Aber selbst dann, wenn man mit den vorhandenenitteln auszukommen versucht, muss man mit ihnenernünftig umgehen. Ich bin dem Kollegen Bonde dafürankbar, dass er das Stichwort „Network Centric War-are“ angesprochen hat. Das Projekt „Herkules“ istber alles andere als die angemessene Reaktion auf dieseine neue Transformationsherausforderung. Letztlichtellt es nur die Ausrüstung der alten Bundeswehrstruk-ur mit moderner Informations- und Kommunika-ionstechnik dar. Wir bräuchten aber ein I-und-K-Kon-ept für die Bundeswehr, das auf die Anforderungen derernetzten Operationsfähigkeit eine Antwort gibt undicht bloß alte Strukturen aufmöbelt. Die noch unabhän-ige „Frankfurter Rundschau“
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Eckart von Klaeden
berichtete am 26. Februar, dass die Berichterstatter bei-der großer Fraktionen im Haushaltsausschuss, der Kol-lege Austermann und die Kollegin Dr. Leonhard,schwere Kritik an dem „Herkules“-Projekt und seinerFinanzierung üben und die Aufgliederung dieses Pro-jekts fordern. Frau Leonhard führte aus, die Bundeswehrdürfe den Auftrag nur dann privat vergeben, wenn dieIndustrie nachweise, dass sie im Vergleich zu den bishe-rigen Ausgaben der Bundeswehr für Computer und Ähn-liches billiger sei. Herr Minister, ich fordere Sie auf, die-sen überfraktionellen Konsens im Haushaltsausschuss zunutzen, um dieses Projekt zu stoppen und es sowohl aufdie haushaltsrechtlichen als auch auf die neuen sicher-heitspolitischen Herausforderungen hin neu zu konfigu-rieren, damit daraus nicht die „Megadosenmaut“ wird.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch dieFrage stellen, ob wir, wenn wir über vernetzte Operati-onsfähigkeit im internationalen Rahmen sprechen, mitunseren politischen Entscheidungsstrukturen über-haupt vernetzungsfähig sind. Im Gegensatz zum Kolle-gen Robbe bin ich nicht der Ansicht, das die derzeitigePraxis zur Genehmigung von Bundeswehreinsätzen die-sen Ansprüchen genügt. Es ist doch eine geradezu ab-surde Praxis, die sich bei uns in der Folge der Bundes-verfassungsgerichtsentscheidung vom 12. Juli 1994eingespielt hat: Wir bekommen seitenlange Anträge, indenen alle Details festgelegt sind, dürfen als Parlamentaber noch nicht einmal ein Komma ändern. Das Verfas-sungsgericht hat gesagt – ich zitiere aus der Entschei-dung –:Der der Regierung von der Verfassung für außen-politisches Handeln gewährte Eigenbereich exeku-tiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeitwird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt.Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidungüber die Modalitäten, den Umfang und die Dauerder Einsätze, die notwendige Koordination in undmit Organen internationaler Organisationen.Nahezu das Gegenteil tun wir doch in unserer Parla-mentspraxis. Das, was mir in Berichterstattergesprächenjetzt von der Koalition über Vorschläge eines Parla-mentsbeteiligungsgesetzes bekannt geworden ist, istdoch nichts anderes als der Versuch, die bisherige Ge-waltenverwischung in Gesetzesform umzugießen. Damitkommen wir nicht weiter.
Vernetzte Operationsführung, vernetztes Zusammen-wirken – warum gilt dies in nahezu der ganzen Welt, amHindukusch, im Mittelmeer und am Horn von Afrika,aber nicht in unserem eigenen Land? Es ist doch ein ge-radezu absurder Zustand, dass bei einem Angriff mitchemischen Kampfstoffen auf eine Kaserne der ABC-Schutztruppe nach wie vor die örtliche Feuerwehr zu-ständig ist.cdtdatLdvasedBsHkuFscLnfLuzmbwsdhnWzaVstisarhnwdsIb
Das hat man früher als Landesverteidigung bezeich-et und das verstehen wir heute unter Heimatschutz.
enn sich die Bundeswehr aus diesem Bereich zurück-ieht, dann müssen Sie bereit und in der Lage sein, dafürndere Strukturen und die nötigen finanziellen Mittel zurerfügung zu stellen. Von mir aus könnten Sie zum Bei-piel das THW und den Bundesgrenzschutz zu einer Na-onalgarde zusammenfassen oder Ähnliches tun. Ange-ichts der sehr engen öffentlichen Haushalte und da wirlle ja der Ansicht sind, dass zwischen innerer und äuße-er Sicherheit keine klare Trennschärfe mehr besteht,alte ich es für geradezu absurd, für den Bereich der in-eren Sicherheit parallele Strukturen aufzubauen, nureil man an dem alten Dogma festhalten will, dass sichie Bundeswehr unter Berücksichtigung unserer Verfas-ungsordnung nicht auf die neuen Herausforderungen imnnern einstellen darf.
Diese Verantwortung kennt jeder von uns. Deshalbrauchen wir nicht nur die Transformation der Bundes-
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Eckart von Klaedenwehr, sondern auch die Transformation unserer gesam-ten Sicherheitsarchitektur. Hier ist kein kleinlichesRessortdenken gefragt, sondern eine tatsächliche Vernet-zung, durch die die Handlungsspielräume der Politik unddes Staates wieder erweitert werden; nicht, um – wie vonden Grünen behauptet wird – gegen die eigenen Leutevorzugehen, sondern um im Hinblick auf die neuen Ge-fahren die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze un-serer Bürgerinnen und Bürger zu treffen.
Das Wort hat der Kollege Gerd Höfer von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wenn die Inhalte der bisherigen Debatte grobzusammengefasst werden sollten, wären zwei Schwer-punkte, die vonseiten der Opposition gesetzt wurden, zunennen: Der eine Schwerpunkt war, wie zu erwartenwar, das Geld; der andere Schwerpunkt war die Fragedes Einsatzes der Bundeswehr im Innern. Auf die Fragedes Einsatzes der Bundeswehr im Innern werde ichgleich noch eingehen. Denn in diesem Zusammenhanghat keiner derjenigen, die hier zu diesem Thema geredethaben, die Frage gestellt, wie diejenigen, die für die in-nere Sicherheit zuständig sind, selbst gerüstet sind.Mir hat gefehlt, dass die Bundeswehr einmal so be-trachtet wird, wie sie tatsächlich ist. Das führt mich zueiner vernetzten Antwort auf den Beitrag des KollegenSchäuble. Denn dass die Bundesrepublik Deutschland ininternationalen Strukturen verwurzelt ist und dass dasauch durch die Bundeswehr dokumentiert wird, ist einwahrer Satz. Aber es ist ebenfalls wahr – KollegeSchäuble, Sie haben ja für den internationalen Bereichintegrierte Strukturen verlangt –, dass die Bundeswehrmit der deutsch-französischen Brigade, dem Eurocorps,dem deutsch-niederländischen Korps, dem dänisch-pol-nisch-deutschen Korps und der deutsch-amerikanischenDivision schon international vernetzt ist. Das gibt esschon. Das brauchen Sie also nicht zu verlangen.Ich weiß nicht, wie Sie diese Integration sehen. Eswerden diese Einsätze immer im Rahmen eines modula-ren Aufbaus erfolgen. Wenn sich Länder bereit erklä-ren, unter Führung zum Beispiel der VN oder der NATOan Einsätzen teilzunehmen, wird eine modulare Zusam-mensetzung vorgenommen. Oder verstehen Sie unter In-tegration, dass Engländer, Deutsche, Franzosen undAmerikaner bis hinunter zum kleinen Gefreiten oderHauptgefreiten – das Wort „klein“ beziehe ich nur aufden Dienstgrad, nicht auf die Fähigkeiten des Mannes –einen Zug bilden sollen?Über diese Aspekte, Herr Dr. Schäuble, ist diskutiertworden. Sie sind im Rahmen der deutsch-französischenBrigade ausprobiert worden. Man ist zu Recht zum Prin-zip der Modularität zurückgekehrt, weil die Aufstellungder alten und der neuen Bundeswehr in ein Gesamtkon-zept der NATO eingebettet werden muss und dort hineinpassen soll. Daher kann man nicht, wie Sie, HerrDdnldTwndmntTddkmddfbiDLewddHdzSdeSdzGwlgmkdnslgBgddwmz
ie können das auf der Zeitachse betrachten. Abgesehenavon ist es schon erstaunlich, dass an ein Schutzkon-ept für Soldaten erst gedacht worden ist, nachdem dieefahr des großen Krieges vorbei war. Ich frage mich,ie die Soldaten eigentlich hätten geschützt werden sol-en, wenn sie in einen Einsatz gemusst hätten.Der Kollege Schmidt hat gesagt, man soll das Un-laubliche denken, um gerüstet zu sein. Da frage ichich: Wogegen soll man gerüstet sein: gegen das Den-en des Unglaublichen oder gegen das, was Sie da ge-acht haben? – Das war mir nicht ganz klar, aber das nurebenbei. Wenn man dieses dann denkt, muss man hin-ichtlich der Bedrohungen der Bundesrepublik Deutsch-and, die am Horizont erscheinen oder erscheinen mö-en, differenzieren: Ein Teil der Verteidigung derundesrepublik Deutschland gegen terroristische An-riffe, welcher Art auch immer, wird mit Sicherheit aner Außengrenze der EU und der NATO geleistet wer-en müssen. In diesen Szenarien werden von irgend-elchen Leuten Raketen mit biologischer Bewaffnungit dem Ziel gestartet, etwa eine Großstadt in Geiselhaftu nehmen. Dieser Bedrohung wäre logischerweise
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Gerd Höferentweder am Abschussort der Rakete oder an den Bünd-nisgrenzen zu begegnen, aber nicht erst dann, wenn siedie Grenzen der Bundesrepublik Deutschland erreicht.Das muss wesentlich früher geschehen.Sie diskutieren immer ein Szenario, bei dem die Be-drohung aus dem Innern Deutschlands kommt. In all die-sen Szenarien sind die Fähigkeiten der jetzigen Sicher-heitsbehörden gefordert; sie müssen mit Blick auf dieseBedrohung ausgebaut werden. Die Bundeswehr hat inSzenarien, bei denen die Bedrohung aus dem Innernkommt, keinen Platz: Dafür sieht die Verfassung andereInstitutionen vor.
Diese auszugestalten wäre wesentlich besser, als immernur die Bundeswehr ins Spiel zu bringen. Natürlich istdie Versuchung sehr groß, weil die Bundeswehr in derRegel zur Verfügung steht. Denn nicht die gesamte Bun-deswehr befindet sich ja in einem Auslandseinsatz, son-dern ein großer Teil verbleibt in Deutschland. Sollte das,was in diesen Szenarien unterstellt wird, eintreten, sokönnen wir auf Art. 35 GG verweisen: Danach ist dieBundeswehr zur Hilfeleistung sogar verpflichtet. DieEinschätzung darüber, wie wahrscheinlich diese Szena-rien sind, obliegt allerdings den zuständigen Ländermi-nistern. Ich frage mich: Sind sie darauf vorbereitet, deminhaltlich zu begegnen, oder verlangen sie nur nach derQuantität, nach einer bestimmten Anzahl Soldaten? Mirsind Übungen vor allem auf Landkreisebene bekannt,bei denen bestimmte Szenarien durchgespielt werden. Esist doch eine Tatsache: Der Bereich des Zivilschutzes istzu Ihrer Zeit abgebaut worden und muss jetzt erst wiederaufgebaut werden.
Es gibt ABC-Abwehrzüge beim Roten Kreuz. Aber ichvermute, viele wissen das einfach nicht. Auch das THWhat in diesem Aufgabenbereich bestimmte Fähigkeiten,von denen wir uns demnächst wieder überzeugen kön-nen.Ich komme nun zum Thema der Wehrpflicht. Werimmer nur grob die Zahlen der Wehrdienstleistendenund der Zivildienstleistenden im Blick hat, verkennt,dass bereits eine Vernetzung stattgefunden hat, die sichbei der Gewährleistung der inneren Sicherheit in derBundesrepublik Deutschland hervorragend bewährt. Ichspreche von den im Gesetz vorgesehenen Ausnahmenbeim Wehrdienst, die etwa 20 Prozent ausmachen. Dazugehören solche jungen Leute, die sich beim THW, beider Feuerwehr oder in anderen sicherheitsrelevanten Be-rufen – dazu zählen der BGS und auch der Zoll – für sie-ben Jahre verpflichten. Wenn diese Stellen zusammenar-beiten, dann können die Bedrohungen, die im Innerndenkbar sind, wirkungsvoll bekämpft werden.
Ihre Betrachtungsweise hinsichtlich der inneren Si-cherheit ist sehr einseitig, meine Damen und Herren vonder CDU/CSU. Hier muss ich ausnahmsweise einmal dieFDP loben, weil sie ehrlicher mit diesem Thema umgehtals die CDU/CSU. Was in Ihrem Antrag unter Ziffer 5sFgDdId–wa–RbnnteeBanEeVusuwDsgz
Herzlichen Dank. Wir sind uns also einig. Es wird,enn die Nationalgarde irgendwann eingerichtet wird,ber auch keine Privatarmee.
Gut. Dann sind wir uns auch in dieser Frage einig.Die Fragen, die hier andiskutiert worden sind, sind imahmen der Transformation der Bundeswehr praktischeantwortet. Hinsichtlich der Verlässlichkeit bei den Fi-anzen werden wir Sie durch die Praxis überzeugen kön-en. Denn zum einen sollen die Soldatinnen und Solda-n hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung Fortschritterfahren – der Abbau des Beförderungsstaus muss zumeispiel gewährleistet werden –, zum anderen müssenuch die Investitionen finanziert werden können, dieotwendig sind, um die Soldaten bei ihren gefährlicheninsätzen im Ausland zu schützen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-hrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Im Grundgesetz heißt es in Art. 87 a:Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.on diesem Grundsatz haben sich die Bundesregierungnd Sie, Herr Minister Struck, verabschiedet. Schon jetztind Tausende deutscher Soldaten im Auftrag von SPDnd Grünen weltweit im Einsatz.
Ihre Reform hat das Ziel, die Bundeswehr in eineeltweit einsetzbare Interventionsarmee umzubauen.ie Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum deut-che Soldaten auf Kosten der Steuerzahler bis nach Af-hanistan oder Dschibuti reisen müssen, um unser Landu verteidigen.
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Dr. Gesine LötzschAm Rande bemerkt: Im Schwarzbuch „Die öffentlicheVerschwendung 2003“ des Bundes der Steuerzahler fin-det sich kein Hinweis auf Steuerverschwendungen durchAuslandseinsätze der Bundeswehr. Das sollte unbedingtergänzt werden.Doch ich will hier nicht weiter über die Verschwen-dung von Steuergeldern reden, es geht schließlich um diezukünftige Außen- und Sicherheitspolitik unseres Lan-des. Es besteht die reale Gefahr, dass die Bundeswehrunter der Verantwortung von Rot-Grün zum wichtigstenInstrument deutscher Außenpolitik wird. Das wäre eindramatischer Rückschritt in der deutschen Geschichte.Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden alleinin diesem Jahr 1,2 Milliarden Euro verschlingen. Gleich-zeitig will die Bundesregierung das Budget der Goethe-Institute, die in der ganzen Welt eine gute Arbeit leisten,um 100 Millionen Euro kürzen. Was ist das für ein Si-gnal?
Wenn ich mir Ihre Außen- und Sicherheitspolitik an-schaue, dann kann ich nicht einmal Großmachtgelüstebei Ihnen unterstellen.
Nein, Herr Struck, die Sache ist viel banaler. Sie sindGetriebene und lassen sich wider besseres Wissen zumverlängerten Arm der Interessen der Führungsmacht derNATO machen. Ihre Rüstungsplanung ist nicht auf Kri-senvermeidung ausgerichtet. In Ihrer Planung stehen Eu-rofighter, Marschflugkörper, Korvetten und Fregattenzur Hochseekriegsführung. Damit stellen Sie die Wei-chen für die Beteiligung an künftigen Globalisierungs-kriegen um Rohstoffe und Energie. Herr Struck, wiewollen Sie sich denn dem Bündnisdruck entziehen,nachdem Sie militärische Beiträge durch die 21 000 Sol-daten starke Eingreiftruppe zugesagt haben?Meine Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, dieMenschen in diesem Land haben aufgeatmet, als dieseRegierung Nein zum Irakkrieg gesagt hat. Wir als PDShaben dieses Nein unterstützt.
Umso verwunderlicher ist es, dass der Bundeskanzlerbeim Treffen mit US-Präsident Bush jetzt die Meinungvertreten hat, dass wir nicht mehr über die Vergangen-heit, sondern über die Zukunft reden sollten. Wenn mandem US-Präsidenten einen Angriffskrieg einfach sodurchgehen lässt, dann wird die Zukunft nicht viel an-ders als die Vergangenheit aussehen. Wie die Mehrheitder Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wollenwir, die PDS, dass Konflikte durch diplomatische undwirtschaftliche Prävention und nicht durch schnelleEingreiftruppen gelöst werden.
IPsbÜArfffiMBdwmVh2fdastdPsHSHddStEdp
berlassen Sie es Herrn Schäuble und der Konrad-denauer-Stiftung, die Weiterentwicklung des Völker-echts durch die Legalisierung von Rechtsbrüchen zuördern! Ergreifen Sie endlich die Initiative zu einer Re-orm der UNO und zur Stärkung der OSZE! Sorgen Sieür die Revitalisierung der Rüstungskontrolle; denn diesst das Mittel der Wahl gegen die Weiterverbreitung vonassenvernichtungswaffen! Der Weg, den Sie mit dieserundeswehrreform einschlagen, ist ein Irrweg. Er wirdie Welt nicht sicherer machen. Ganz im Gegenteil: Erird Deutschland in weitere Konflikte verstricken.
Herr Struck, weil ich es vorhin schon erwähnt hatte,öchte ich Ihnen zum Abschluss einen ganz praktischenorschlag machen: Geben Sie aus Ihrem Rüstungshaus-alt, der für das Jahr 2004 sage und schreibe4 Milliarden Euro beträgt, die 100 Millionen Euro ein-ach an die Goethe-Institute ab. Das ist die Summe, dieiese Institute im Jahre 2004 einsparen sollen, eigentlichber nicht können. Wir werden morgen ja noch darüberprechen. Für die Bundeswehr wäre das ein kleiner Bei-rag, für das Ansehen unseres Landes in der Welt wäreas ein unschätzbar großer Beitrag.Vielen Dank.
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ich darf Sie in einem
unkt korrigieren: Sie sind nicht Abgeordnete der PDS,
ondern Sie sind Abgeordnete aus Berlin-Lichtenberg –
ohenschönhausen und gehören der PDS an.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Merten von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mitem Kollegen Gerhardt einer Meinung, dass es gut ist,ass wir heute eine Debatte über die Verteidigungs- undicherheitspolitik nicht im Kontext von Haushaltsbera-ungen oder im Vorfeld von Auslandseinsätzen führen.ntgegen seiner Meinung bin ich allerdings der Ansicht,ass diese Debatte durchaus noch zum richtigen Zeit-unkt und frühzeitig genug stattfindet.
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Ulrike MertenWeil wir inzwischen ja sehr vieles gehört haben, willich noch einmal darauf zurückkommen, was der Minis-ter in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht hat:
Ein schlüssiges und mittelfristig angelegtes sicherheits-politisches Konzept stellt die Basis unserer Entscheidun-gen in den kommenden Monaten dar. Es ist eben nichtso, dass sich die sicherheitspolitische Vorsorge dieserBundesregierung nur an der aktuellen Haushaltslage undnicht an der Bedrohungslage ausrichtet, wie die CDU/CSU in ihrem heute vorgelegten Antrag unterstellt. DerHerr Kollege Schäuble hat in diesem ZusammenhangPrioritätensetzung gefordert. Ich frage Sie, Herr KollegeSchäuble: Was tun wir denn im Bereich der Ausrüs-tungsplanung? Wenn Sie sich das Ausrüstungskonzeptund die Verteidigungspolitischen Richtlinien einmal an-sehen, dann werden Sie feststellen, dass wir genau diesePrioritätensetzung vornehmen.
Die eingeleitete Transformation ist aus einer wirk-lich realistischen und rationalen Analyse des sicherheits-politischen Rahmens abgeleitet, in dem wir uns bewe-gen. Das heißt, die Bundeswehr wird konsequent zurBündnisarmee im Einsatz umgebaut. Das spiegelt sich inden Bereichen Personal, Ausbildung und Material wider.Betrieb und Investitionen sind hier einbezogen. Mit demangestrebten Streitkräfteumfang wird es gelingen, unse-ren internationalen Verpflichtungen nachzukommen.Gleichzeitig werden wir damit der Rolle und Bedeutungunseres Landes gerecht.Herr Kollege Schmidt, Sie haben in Ihrer Rede demKollegen Erler vorgehalten, wir würden im Rahmen vonNATO-Einsätzen keine Soldaten entsenden und deswe-gen könne von Verlässlichkeit im Bereich unserer inter-nationalen Verpflichtungen keine Rede mehr sein. Dabeihaben Sie – ich nehme an, wissentlich und bewusst –übersehen, dass wir uns NATO-Einsätzen nicht prinzi-piell verweigern, sondern dass es hier um einen ganzkonkreten Fall geht, nämlich den Irak. Das müssen wiran dieser Stelle deutlich unterscheiden und können daherdem Kollegen Erler nur zustimmen.
Wenn wir über unsere Einbindung in internationaleVerpflichtungen reden, dann muss ich angesichts IhrerAusführungen zu einer angeblichen Marginalisierung in-nerhalb der NATO ganz deutlich sagen: Wir planen dochnicht isoliert. Es versteht sich von selbst, dass der Trans-formationsprozess der Bundeswehr mit dem der NATOund dem ESVP-Prozess in der EU abgestimmt ist. Derjetzt gewählte Ansatz, Streitkräftekategorien zu bilden,die sich in Einsatz-, Stabilisierungs- und Unterstützungs-kräfte gliedern, hat bei unseren Bündnispartnern nichtnur für Zustimmung gesorgt, sondern auch zu ähnlichenÜberlegungen für den Umbau ihrer Streitkräfte geführt.Ich will an dieser Stelle überhaupt nicht verschwei-gen, dass es in dem anstehenden Umwandlungsprozess– ich glaube, darin sind wir uns einig – wahrlich schwie-rWdndcbFMzdDidrgwrZwuündwsbzddmrfüw
Es kann keine Rede davon sein, dass wir uns aus derläche zurückziehen. Herr Schmidt, Sie haben heuteorgen erklärt, der Herr Minister habe überhaupt nichtsu den Entscheidungen über die Standorte gesagt undeswegen könne man sich dazu nicht sachlich äußern.
azu sage ich Ihnen: Ihnen geht es um etwas anderes. Esst völlig klar, dass das Standortkonzept erst am Endeieses Jahres vorliegen wird. Dann werden wir uns da-über zu unterhalten haben, ob die Entscheidungen sach-erecht sind, und ich bin ganz sicher, dass sie dies seinerden. Aber es geht Ihnen doch nicht um eine sachge-echte Beurteilung, sondern Sie wollen zum jetzigeneitpunkt möglichst viel Unsicherheit in die Bundes-ehr und die Familien sowie in die betroffenen Städtend Gemeinden hineintragen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bei der Debatteber Standorte zwei Kriterien zugrunde legen müssen,ämlich auf der einen Seite militärische und auf der an-eren Seite wirtschaftliche Gesichtspunkte. Wenn wirirklich wollen, dass die Bundeswehr zukunftsfähigein soll – darüber kann es keinen Zweifel geben –, dannrauchen wir diese Kriterien, um zusätzliche Spielräumeu gewinnen. Das wird sicherlich an der einen oder an-eren Stelle schmerzhaft sein. Aber ich sage auch: Wennieser Prozess gelingen soll, dann muss der Wandel ge-einsam mit den Menschen in der Bundeswehr und ih-en Familien gestaltet werden.
Frau Kollegin Merten, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Kossendey?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Liebe Frau Kollegin Merten, Sie sprachen geradeber die Standorte und sagten, dass wir den Winter ab-arten sollten, bis bekannt gegeben wird, wie es wirk-
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Thomas Kossendeylich ausgeht. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrundden Umstand, dass der Minister im Celler Nordkreis dieLeute schon mit dem Hinweis beruhigt hat, es sei unsin-nig, in Faßberg alles dicht zu machen, und auch in Un-terlüß brauche man sich keine Sorgen zu machen?
– Das wollte ich auch gerade sagen. – Die Standortge-
meinden, die diese Aussage haben, können sich doch
darüber freuen.
Wir reden doch hier über ein Gesamtkonzept und nicht
über einzelne Punkte.
Ich bin ganz sicher, Herr Kollege: Wenn Sie unterwegs
sind und Sie die hinreichenden Erkenntnisse haben, dass
ein Standort, den Sie besuchen, wahrscheinlich erhalten
bleiben wird, dann werden auch Sie eine Aussage in
diese Richtung treffen. Am Ende werden Sie aber hinzu-
fügen, dass das in Gänze am Ende des Jahres entschie-
den wird und ein Schuss Unsicherheit bleibt. Insofern ist
das aus meiner Sicht ein völlig normaler und nachvoll-
ziehbarer Vorgang.
Erlauben Sie eine Nachfrage des Kollegen
Kossendey?
Nein, ich würde meine Ausführungen jetzt gerne fort-setzen.Ich habe gerade über den Wandlungsprozess in derBundeswehr gesprochen und gesagt, dass wir die Men-schen in der Bundeswehr und auch die Familien für die-sen Prozess einnehmen und sie dabei mitnehmen müs-sen. Dies wird nur glücken, wenn das Vertrauen, das inuns gesetzt wird, nicht enttäuscht wird. Dazu gehörenauch verlässliche Finanzierungsgrundlagen. Deswe-gen bin ich ganz sicher, dass wir es im Jahre 2007 wiedermit einem deutlich erhöhten Ansatz des Einzelplans 14zu tun haben, was auch dringend notwendig ist, wenndieser Transformationsprozess gelingen soll. Darübersind wir uns, glaube ich, einig.Aber wenn heute in dieser Debatte versucht wird, ei-nen Keil zwischen die Verteidigungspolitiker der Koali-tionsfraktionen und den Bundesverteidigungsministerauf der einen Seite und den Bundesfinanzminister aufder anderen Seite zu treiben, dann sage ich Ihnen: Daswird Ihnen nicht gelingen.
– Herr Kollege Nolting, darauf zu bestehen und deutlichzu machen, dass auch die Mitglieder des Verteidigungs-aslrSn–azkdadmukswinaDrp–nszddsLuWhprmnZWdZEds
Es geht nicht um ein Abnicken.Ich sage aber auch: Wir haben in der Vergangenheit,ls Sie die Verantwortung hatten, über Jahre erlebt, dasswischen dem Soll und dem Ist eine riesige Lückelaffte. Das sollten wir nicht fortsetzen. Die Planungen,ie den derzeitigen finanzpolitischen Rahmen realistischbbilden, führen dazu, dass wir die Dinge tun können,ie die Bundeswehr wirklich zukunftsfähig machen. Esacht doch keinen Sinn, uns, den Menschen im Landend den Menschen in der Bundeswehr etwas vorzugau-eln und damit die Schere zwischen Planung und Be-chaffung immer weiter auseinander gehen zu lassen,ie es bei Ihnen der Fall gewesen ist.Der Bundesverteidigungsminister hat heute Morgenn seinen Ausführungen noch einmal ein klares Bekennt-is zur Wehrpflicht abgelegt. Darin unterstützen wir ihnusdrücklich.
ie Beibehaltung der Wehrpflicht ist aus vielen Gründenichtig. Dazu zählen ganz ausdrücklich auch sicherheits-olitische Begründungen.
Dass unser Koalitionspartner dazu eine andere Mei-ung hat, ist kein Geheimnis. Das müssen wir nicht extraagen. – Aber dass in dieser Frage eine Klärung herbei-uführen sein wird, ist auch klar. Ich finde, es muss inieser Debatte, die wir gemeinsam führen, deutlich wer-en, dass es sich dabei um eine der wesentlichen gesell-chaftspolitischen Fragen handelt und nicht in ersterinie um eine parteipolitische. Deswegen werden wirns dieser Diskussion stellen und uns noch vor Ende derahlperiode intensiv damit befassen.Wenn der Herr Kollege Gerhardt – er ist nicht mehrier – wie vorhin ausführt, die Beibehaltung der Wehr-flicht bedeute auch eine unendliche Vergeudung im Be-eich der Ausbildung, dann frage ich mich, was er damiteint. Wenn ich es richtig sehe, wird Ausbildung nichtur im Bereich der Wehrpflicht geleistet, sondern aucheitsoldaten haben eine Ausbildung zu durchlaufen.enn wir uns vor Augen führen – darum geht es doch –,ass wir auch bei Auslandseinsätzen zurzeit und in naherukunft auf Wehrpflichtige angewiesen sind, um dieseinsätze qualitativ und quantitativ bestehen zu können,ann ist diese Äußerung aus meiner Sicht völlig unver-tändlich.
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Ulrike MertenIch will im Zusammenhang mit der Wehrpflicht andieser Stelle nicht noch einmal sattsam bekannte Stereo-typen bemühen. Auch eine Armee ohne Wehrpflichtigewäre kein Fremdkörper in der Gesellschaft, der abgekap-selt wie ein Krebsgeschwür fern von der Gesellschafthandelt und denkt. Dies anzunehmen hieße die 50-jäh-rige Geschichte und Entwicklung der Bundeswehr nichtzur Kenntnis zu nehmen. Es hieße im Übrigen auch, dasPrinzip der inneren Führung, das sich auf die gesamtenStreitkräfte bezieht und nicht nur auf die Wehrpflichti-gen, in seinem Erfolg infrage zu stellen.Gerade auch vor dem Hintergrund internationalerEinsätze und der Rolle der Bundeswehr in diesen Einsät-zen wäre das geradezu absurd. Wenn wir über Fähigkei-ten sprechen, dann gehört das für mich zwingend dazu.Hier dürfen wir selbstbewusst sein. Wir bringen – übri-gens jenseits technologischer Fähigkeiten und einsatz-orientierter Ausrüstung – für das wahrscheinliche Auf-gabenspektrum, in der Stabilisierungsphase Nation-Building zu betreiben, etwas mit, um das uns viele unse-rer Partnernationen beneiden. Insofern bin ich sehr froh,dass wir auch diesem Aspekt in unserem Antrag eine be-sondere Qualität verleihen und ihn mit Nachdruck gefor-dert haben. Das Prinzip der inneren Führung hat nichtnur für die Zeit des Ost-West-Konflikts getaugt, sondernist, glaube ich, etwas, mit dem die Bundeswehr gerade indiesen Zeiten in beispielhafter Weise ihren Einsätzennachkommen kann.
Ich glaube, bei allen Unterschieden, die heute durch-aus deutlich geworden sind – wir wollen uns gegenseitignicht nur mitteilen, worin wir uns einig sind, auch derKonflikt und die Auseinandersetzung gehören zu einerDebatte –, ist eine gute Grundlage für eine nachhaltigeDiskussion in den Fachausschüssen gegeben. Denn – daslässt sich aus beiden Anträgen der Opposition herausle-sen – es gibt, gerade auch was die Analyse angeht, einhohes Maß an Übereinstimmung. Insofern bin ich guterDinge, dass wir uns bei der Beratung der Anträge in denFachausschüssen wieder auf die gemeinsamen Zielekonzentrieren können. Ich bin sicher, dass wir dieseZiele, nämlich mehr Sicherheit für die Bürgerinnen undBürger unseres Landes, ein Leben in Wohlstand und dieSchaffung einer Welt, in der alle in Frieden und in Frei-heit miteinander leben können, gemeinsam anstreben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck
von der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Ich bin davon überzeugt, dass wenigepolitische Weichenstellungen so weit reichende Auswir-kungen für Deutschland, seine Sicherheit und für unsereGBwaKcuSpzteeBwHlhghgAndtpbndAsnshGWdnzdtzTMpgrHBwKalön
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gierung
Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tä-
tigkeit in den Jahren 2001/2002 sowie über die
Lage und Entwicklung auf seinem Aufgaben-
gebiet und Stellungnahme der Bundesregie-
rung
– Drucksache 15/1226 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
P 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Gudrun Kopp, Daniel Bahr ,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für einen wirksamen Wettbewerbsschutz in
Deutschland und Europa
– Drucksache 15/760 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie
amit einverstanden? – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
arlamentarische Staatssekretär Gerd Andres das Wort.
Ge
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Wir diskutieren heute über den Bericht, den dasundeskartellamt über seine Tätigkeit in den Jahren001 und 2002 vorgelegt hat. Ich halte diesen Bericht iner Hand; er hat 371 Seiten. Das Bundeskartellamt stelltest, dass die wettbewerbliche Ordnung in der Bundes-epublik insgesamt funktioniert. Wettbewerb und Wett-ewerbskontrolle in Deutschland brauchen einen inter-ationalen Vergleich nicht zu scheuen.
Dies soll und kann aber nicht dazu führen, dass wirns zufrieden zurücklehnen. Die 7. Novelle des Geset-es gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist bereits inorbereitung. Der Regierungsentwurf wird in Kürze vor-elegt.Das Kartellgesetz und damit auch die Tätigkeit derartellbehörde werden sich dadurch in weiten Teilen
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresmassiv ändern. Mit dieser Novelle wollen wir erreichen,dass Deutschland den Herausforderungen der Globali-sierung im Bereich der Wettbewerbspolitik auch künftiggewachsen ist. Vorrangiges Ziel ist deshalb die Anpas-sung des deutschen Wettbewerbsrechts an das europäi-sche Wettbewerbsrecht. Dies ist notwendig, damit dieUnternehmen im europäischen Binnenmarkt nicht längermit unterschiedlichen Wettbewerbsstandards konfron-tiert sind. Diese Novelle leistet damit zugleich einenBeitrag zur Entbürokratisierung, der nicht gering einge-schätzt werden darf. Weiterhin weise ich auf die stärkereBerücksichtigung der Verbraucherinteressen hin. Auchdies steht einem modernen Wettbewerbsgesetz gut an.Die bewährten allgemeinen Regeln des Kartellgeset-zes reichen nicht in allen Fällen aus. Vor allem in den sogenannten Netzindustrien muss Wettbewerb durch denStaat aktiv gefördert und gesichert werden. Deshalb wirddie spezielle Regulierung für Telekommunikation undPost grundlegend neu gestaltet. Wir werden darübermorgen in diesem Hause diskutieren. Für die Strom-und Gasmärkte ist eine wirksame Regulierung in Vor-bereitung. Das neue Energiewirtschaftsgesetz soll nochin diesem Jahr in Kraft treten.Insgesamt ist nicht zu bestreiten: Noch niemals hat esin so kurzer Zeit eine so tief greifende Fortentwicklungder Wettbewerbsordnung gegeben, wie sie jetzt bevor-steht. Wir wollen die wettbewerbsrechtlichen Rahmen-bedingungen der Printmedien nachhaltig verbessern,denn der Pressebereich in Deutschland steckt in einertiefen Krise. Die zunehmende Bedeutung des Internetsist unumkehrbar. Im Werbegeschäft, aber auch als Infor-mationsträger sind die Tageszeitungen starker Konkur-renz durch privates und öffentliches Fernsehen, Rund-funk und Internet ausgesetzt. Hinzu kommt auch hier eindemographischer Faktor: Die Gemeinde treuer Zeitungs-leser wird zunehmend älter. Immer mehr junge Leutehalten Tageszeitungen für verzichtbar.Die Summe dieser Faktoren, die ich gerade aufgezählthabe, zeigt Wirkungen in der Verlagslandschaft. Perso-nalkürzungen und Abstriche an redaktionellen Inhaltensind die Folgen. Die Monopolkommission hat auf dieseProblemlage hingewiesen. Der Entwicklung, die ich hierbeispielhaft dem wunderbaren Bericht des Kartellamtesentnommen habe – man kann hier zur Veränderung derPresselandschaft im Einzelnen sehr Interessantes nachle-sen –, darf die Bundesregierung nicht tatenlos zusehen.Unser Ziel ist es, Verlagen, deren wirtschaftlicher Be-stand bedroht sein könnte, erweiterte Handlungsoptio-nen einzuräumen.Was schlagen wir vor? Wir wollen die Aufgreif-schwelle der Fusionskontrolle auf 50 Millionen Euro er-höhen und eine Bagatellklausel in Höhe von 2 Millio-nen Euro einführen. Diese beiden Klauseln werden eskleinen Verlegern erlauben, bei der Suche nach Nachfol-gern den Marktwert ihrer Zeitung zu realisieren. Ande-rerseits bleibt der Schutz für kleine Verlage, der mit derpressespezifischen Aufgreifschwelle verbunden ist, er-halten. Unser Vorschlag hat moderate Auswirkungen:Die Erhöhung der Aufgreifschwelle gestattet es, dasssich circa 50 von insgesamt rund 330 regionalen Abo-ZddIDEtksSnkhawsgbRmteUAsawszvNlaMigndWzgfdesdthi
o wichtig diese erweiterte Bewegungsfreiheit für klei-ere Verlage ist, so wenig reicht dies jedoch zur Stär-ung unserer Zeitungslandschaft insgesamt aus. – Ichöre die Zwischenrufe sehr wohl und komme auch zunderen Tatbeständen.Wir haben deshalb vorgeschlagen, den Verlegern eineeitere Option zu eröffnen: Die Verlage sollen sich zu-ammenschließen dürfen, wenn die erworbenen Zeitun-en oder Zeitschriften langfristig als selbstständige pu-lizistische Einheiten – Zeitungstitel und unabhängigeedaktionen – erhalten bleiben und dies durch ökono-isch begründete, eigentumsrechtlich verankerte Struk-uren abgesichert wird. Zu diesen Vorschlägen gibt esin breites Meinungsspektrum, welches von deutlichernterstützung bis zu vehementer Ablehnung reicht.uch im Oppositionslager zeigen sich höchst unter-chiedliche Positionen; dabei denke ich beispielsweisen die Abgeordneten Pofalla und Schauerte; Letztererird gleich nach mir dazu sicherlich etwas sagen.Wir sind offen für konstruktive Kritik. Nur, wer nichto weit gehen will, die genannten Probleme schlichtwegu ignorieren, sollte wirkungsvolle Handlungsalternati-en benennen und aufzeigen.
ichtstun ist aus Sicht der Bundesregierung ausdrück-ich keine Option. Lassen Sie mich ungeachtet dessenuf zwei – manchmal hat man den Eindruck: bewusste –issverständnisse kurz eingehen:Falsch ist, dieser Vorschlag bevorzuge bestimmte,nsbesondere große Unternehmen. Kein kleinerer Verle-er muss sich auf das Modell einlassen. Wenn er dasicht macht, ist das kein Problem. Es ist eine Option füren Fall, dass ein Verleger alleine keine Zukunft sieht.er nicht auf den grundsätzlichen Willen der Verlegerur Selbstständigkeit vertraut, müsste eigentlich unseresamtes privatwirtschaftliches Modell der Presse in-rage stellen.Falsch ist auch die Behauptung, das Modell sei schoneswegen verfassungswidrig, weil das Bundeskartellamtine laufende inhaltliche Kontrollmöglichkeit erhaltenolle. Das Bundeskartellamt hat lediglich zu prüfen, obie zugesagten strukturellen Sicherungen für die Erhal-ung der erworbenen Zeitung Bestand haben und einge-alten werden. Eine solche Kontrolle kommt schon jetztn der Praxis des Amtes vor.
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Parl. Staatssekretär Gerd AndresAußer der Anpassung der Fusionsregeln kommeneventuell auch zusätzliche Kooperationsmöglichkeitenin Betracht. Schon nach geltendem Kartellrecht ist hiervieles möglich. Eine gesetzliche Absicherung der Koo-perationsmöglichkeiten könnte jedoch durchaus hilfreichsein. Dabei ist insbesondere an Anzeigenkooperationenzu denken.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Presse-vielfalt ist ein so hohes Gut in der Demokratie, dass wirjede Fantasie aufbringen und jede Anstrengung unter-nehmen sollten, um sie uns zu erhalten. Lassen Sie unsgemeinsam daran mitwirken, dass dieses Ziel erreichtwird.Für den Bericht des Bundeskartellamtes und die darindargestellten Initiativen und Aktivitäten will ich den Be-schäftigten des Bundeskartellamtes ausdrücklich meinenDank aussprechen; das Gleiche gilt für die Stellung-nahme der Bundesregierung.Es würde sich eigentlich anbieten, umfangreicher undlänger über die Aktivitäten in diesem sehr inhaltsreichenund erkenntnisreichen Bericht zu diskutieren und sie ent-sprechend nachzuzeichnen.
Dazu besteht leider nicht die Möglichkeit. Aber ichdenke, andere Redner werden auf andere Aspekte diesesBerichtes eingehen.Ich darf mich herzlich für die Aufmerksamkeit bedan-ken.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hartmut Schauerte von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Kollege Andres, es ist ja schön, wenn hier ge-sagt wird, wie wichtig der Bericht ist. Aber es ist natür-lich sehr bedauerlich, dass wir über diesen Berichtbetreffend die Jahre 2001 und 2002 erst heute, im März2004, diskutieren,
der Minister nicht da ist und Sie nicht über das gespro-chen haben, was in dem Bericht steht – vielleicht wardas zu peinlich oder zu viel –, sondern über das, was neuansteht. Das passt nicht zusammen; es ist sehr bedauer-lich.
Wir werden nicht mehr dulden, dass solche wichtigenund interessanten Berichte über die Konzentration undden Grad an Freiheit in unserer Volkswirtschaft so ver-sD––rnssW–ddWssPeudDpwsBsvldggilbfSDMw–WdwM
Das werden wir in Zukunft auch verstärkt tun.
Nein, die Kritik geht schon an Sie. Die Bundesregie-ung hat sich unendlich viel Zeit gelassen, bevor sie we-igstens eine Stellungnahme dazu abgegeben hat.Es geht um wichtige Dinge. Im Wettbewerbsrechtteckt eine ganze Menge Wachstumspotenzial. Je inten-iver wir den Wettbewerb gestalten, umso größer ist dasachstumspotenzial in einer Volkswirtschaft.
Ja, auch für das Handwerk, in festen Regeln; das sagtie soziale Marktwirtschaft, Herr Heil. – Tatsache ist,ass wir in Bezug auf den Freiheitsgrad und auf dieettbewerbsfreiheiten in den letzten Jahren abgefallenind. Nach internationalen Untersuchungen sind wir hin-ichtlich des Freiheitsgrades der Volkswirtschaft auflatz 18 gelandet, ein miserabler Platz. Aber das ist auchin Zeichen dafür, wie Sie mit dem Wettbewerbsrechtnd dem Bundeskartellamt umgehen. Das ist schon be-auerlich.Welches sind die Blöcke, über die wir hier sprechen?er erste Block ist: Wie schaffen wir es, Staatsmono-ole in den Markt zu überführen? In diesem Punkt sindir in den letzten Jahren im Prinzip auf der ganzen Linietehen geblieben. Ich könnte Ihnen Stellen aus diesemericht zitieren, die belegen, wo wir stehen gebliebenind. Wir haben die Geltungsdauer des Postmonopolserlängert und den Wettbewerb durch das Briefvertei-ungsmonopol erschwert. Im Energiebereich haben wirie Situation, dass nicht einmal 5 Prozent der Leute um-estiegen sind. Im Telekommunikationsbereich gibt es,laube ich, noch immer 95 Prozent Festnetzanschlüssem alten Monopol. In der laufenden Debatte über das Te-ekommunikationsgesetz ist im Zweifel gegen den Wett-ewerb, gegen neue Marktzutritte, gegen Öffnung undür eine Verlängerung der Monopolsituation und denchutz der Monopole gestritten worden.
as ist Ihre Linie. Sie haben die Möglichkeit eines freienarktzutritts noch verschlechtert, indem Sie diesenichtigen Wettbewerbsbereich mehr als stiefmütterlich ich würde sage: auf schädliche Weise – behandeln.enn Sie so weitermachen, dann wird es an dieser Stelleie Wachstumsimpulse für unsere Volkswirtschaft, dieir dringend brauchen, um aus unserer wirtschaftlichenisere herauszukommen, nicht geben.
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Hartmut SchauerteEine zweiter Block, der ganz wichtig ist, hat mit derFrage zu tun, wie wir verhindern, dass die gebildeteMarktmacht den Mittelstand und die Wettbewerber so-zusagen zerschlägt, und wie die Fusionskontrolle funk-tioniert. Auch in diesem Bereich gibt es Entwicklungen,die bedenkenswert sind.Ich will in diesem Zusammenhang zwei Beispiele he-rausgreifen. Im Bereich der leitungsgebundenen Ener-giewirtschaft gab es im Berichtszeitraum 82 Beteili-gungserwerbe, und zwar im Wesentlichen von RWE,Eon und EnBW. Es ist immer so, dass die Großen dieKleinen kaufen, meist mit Zustimmung der Kommunen.Statt mehr Wettbewerb gibt es also weniger Wettbewerb.Ich nenne ein zweites Beispiel. Im Bereich der Ent-sorgungswirtschaft gab es 78 Konzentrationsvorhaben.Die Marktteilnehmer waren RWE Umwelt, Trienekensund Rethmann. Auch dieser Prozess läuft praktisch un-gebremst, ohne dass eine intelligente Maßnahme ergrif-fen würde, die für eine bessere Steuerung sorgt und mitder die Vielfalt sichergestellt wird. Die Entwicklungen indiesem Bereich stimmen uns ausgesprochen sorgenvoll.Ein dritter Block, Herr Kollege Heil, hat mit derFrage zu tun, wie wir in der Marktwirtschaft mit demMachtmissbrauch umgehen.
Herr Kollege Schauerte, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Heil?
Gerne.
Bitte schön, Herr Kollege Heil.
Herr Kollege Schauerte, Sie haben den Telekommu-
nikationsmarkt angesprochen. Wenn Sie den Bericht
gelesen hätten, dann würden Sie uns bescheinigen, dass
es in diesem Bereich massive Fortschritte gibt.
Meine Frage ist: Haben Sie zur Kenntnis genommen
– morgen haben wir das im Detail zu diskutieren –, dass
wir dem Regulierer mithilfe unserer Änderungsanträge
im Wirtschaftsausschuss ein scharfes Schwert in die
Hand geben wollen – ich nenne beispielsweise die Ände-
rungsanträge in Bezug auf die Vorleistungsprodukte –,
während Ihre Fraktion nicht einmal in der Lage war, ei-
nen einzigen konkreten Änderungsantrag zum Gesetz in
Sachen Telekommunikation im Wirtschaftsausschuss
einzubringen? Sie stehen damit im Gegensatz zur FDP,
die sich die Mühe gemacht hat, Änderungsanträge zu
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ragen Sie die Wettbewerber, was sie von Ihren Aktivi-äten halten!
ie werden Ihnen mitteilen, dass Ihr Kurs eine vertanehance ist, weil dadurch Marktzutritte erschwert wer-en.Ich habe schon eine Zahl genannt: 95 Prozent allerestnetzanschlüsse befinden sich nach wie vor in derand der Telekom. Da kann man doch nicht von einemunktionierenden Wettbewerb sprechen. Wenn Sie sichtzt zufrieden zurücklehnen wollen, dann kann ich nuragen: Aus dem Wettbewerb in Deutschland kann nichtserden.
Es ist absolut unbefriedigend geregelt, wie wir mitem Machtmissbrauch umgehen. Das Kartellamt gibtich zwar alle Mühe. Aber das reicht nicht, weil es hin-ichtlich des Personalbedarfs allein gelassen wird.
Das hat nichts mit Staatswirtschaft zu tun. Herr Kol-ge Schmidt, Sie haben die Marktwirtschaft immeroch nicht verstanden.
Soziale Marktwirtschaft heißt nicht, dass es ohne faireegeln geht. Sie braucht dringend Regeln, die eingehal-en werden müssen. Es kann nicht so sein, dass die Gro-en die Regeln machen und die Kleinen sie einhaltenüssen. Wir müssen vielmehr Regeln aufstellen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8633
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Hartmut SchauerteSie stellen aber falsche Regeln auf. Der wesentliche Un-terschied zwischen uns ist, dass Sie näher bei der Staats-und Machtwirtschaft als bei der Marktwirtschaft sind.Das ist Ihr Dilemma.
Auch in diesem Bereich gehen wir nicht ausreichendvor. Wir lassen das Kartellamt allein. Ich darf das ein-mal verdeutlichen: Bei der Regulierungsbehörde, die wirjetzt einrichten, werden auf einen Schlag 120 neue Stel-len eingerichtet.
Dem Kartellamt wurden – Gott sei Dank – permanentneue Aufgaben übertragen. Aber für eine ordentlichePersonalbewirtschaftung wurde nicht gesorgt. Das heißt,es kann seinen Aufgaben gar nicht gerecht werden.Eine Aufgabe will ich Ihnen einmal nennen: DemKartellamt wurde 1999 die Aufgabe übertragen, sich umdie Einhaltung der Vergaberichtlinien zu kümmern.Hochinteressante Fragestellung! Eine solche Prüfungsollte dringend in der Bundesagentur für Arbeit und inden Ministerien erfolgen.
Das Kartellamt ist dazu personell nicht in der Lage. Des-wegen sage ich bewusst: Sie lassen das Kartellamt per-sonalpolitisch in dem denkbar magersten Zustand,
weil Ihnen die Untersuchungen, die drohen würden,peinlich sind.
Sie wollen das nicht.
Sie schützen Ihre Interessen und Ihre Positionen. Das istärgerlich. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatun-gen darauf zurückkommen. Dem Kartellamt muss gehol-fen werden, damit es wirksamer dafür sorgen kann, dassdie Regeln der sozialen Marktwirtschaft eingehaltenwerden.
Das betrifft auch die katastrophalen Fehlentwicklungenim Vergabebereich.
Nun lassen Sie mich auf das Thema Pressefusion, dasSie, Herr Staatssekretär, angesprochen haben, zu spre-chen kommen; ich will es nicht sehr vertiefen. In dieVorgänge um diese Pressefusion passt natürlich die heu-tige Schlagzeile einer Zeitung hervorragend: SPD willfür 30 Millionen DM die „Frankfurter Rundschau“ kau-fen.DneksdalidMgEdkategz–mwsdn3sgEisswwkvS
as hat natürlich ein Geschmäckle. Man manipuliert wieoch nie am Pressefusionsrecht herum, um letztlich auchigene Möglichkeiten in der Zukunft besser nutzen zuönnen und sein eigenes Presseimperium auszubauen.
Erste Bemerkung. Wer der Belegschaft und den Le-ern der „Frankfurter Rundschau“ gut will, sollte verhin-ern, dass die SPD diese Zeitung aufkauft. Die SPD wirduch diese Zeitung kaputtmachen; da bin ich mir ziem-ch sicher.
Zweite Bemerkung. Wenn wir im Zusammenhang mitem Presserecht von Wettbewerb, offenen Märkten undarktwirtschaft reden, dann geht es zum einen um Or-anisatorisches, zum anderen aber auch um Inhaltliches.s ist doch mittlerweile in Deutschland Konsens – je-enfalls bei allen Vernünftigen; da denke ich etwas stär-er an die Grünen
ls an Sie von der SPD –, dass es besser wäre, wenn Par-ien keine eigenen Medien hätten und es nur Zeitungenäbe, in denen nicht steht, dass sie von Parteien finan-iert, begleitet und gemacht werden.
Es ist doch interessant: Bei der Pressefusion sagen Sie diese Debatte werden wir inhaltlich ganz neu führen –,an müsse die bisherigen Grundsätze aufgeben, weil dieirtschaftliche Lage der Zeitungen und der Verlage sochlecht sei, dass dies nicht mehr zu ertragen sei. Nun istie finanzielle Lage der SPD ausgesprochen klamm. Ge-au in dieser Situation tätigt sie eine Investition von0 Millionen Euro in einen Markt, der angeblich sochlecht ist, dass die bisherigen Wettbewerbsregeln drin-end außer Kraft gesetzt werden müssen.
rklären Sie uns einmal, wie das zusammenpasst! Diest eine peinliche Veranstaltung.Zum Thema Konzentration gehört auch der Grund-atz: Besser weniger Politik in den Medien! Das habenir doch beim Rundfunk immer gesagt; da haben wir be-usst getrennt. Diese Investition einschließlich der Dis-ussion um die Pressefusion wird dazu führen, dass wiron der Union das Thema „Pressekonzentration bei derPD“ in Verbindung mit dem Fusionsverfahren und den
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Hartmut SchauerteWettbewerbsveränderungen, die die siebte GWB-No-velle bewirken soll, neu auf die Tagesordnung setzen.
Das Ding lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Jetzt mussdarüber gesprochen werden, wie Zeitungen wirtschaftensollen.
Ich würde Ihnen empfehlen: Legen Sie Ihr knappesGeld in demokratiefreundlichen Bereichen an,
bei denen Sie nicht in den Verdacht kommen, dass Siedie öffentliche Meinung manipulieren wollten. Verdie-nen Sie Ihr Geld woanders!
Es gibt doch bereits vonseiten der Redaktion der „Frank-furter Rundschau“ Verlautbarungen, dass man die Be-werbung der SPD um eine Beteiligung in Höhe von75 Prozent begrüße. – Das ist eine interessante Zahl, dieauch im Zusammenhang mit der Pressefusion vor-kommt, die wir jetzt beraten müssen. – Denn damitwerde der liberale und soziale Anspruch der Zeitung er-halten. Was soll das denn? Wenn man sagt, es gebe keineBeeinflussung, dann wird es ja wohl auch diesen Ein-fluss nicht geben können. Lassen Sie also Ihre Fingervon der Zeitungslandschaft! Damit könnten Sie einenwesentlichen Beitrag zu mehr Freiheit, mehr Wettbe-werb und mehr Offenheit in unserer Gesellschaft leisten.
– Wir haben das, was Sie da gerade meinen, Herr Heil,auch mit Recht angegriffen und haben gesagt, dass dasnicht in Ordnung ist.Es ist leider zu einer Diskussion gekommen, die demBericht nicht gerecht wird; denn wir reden nicht mehrüber das, was in dem Bericht steht, sondern über das,was jetzt ansteht. In Zukunft sollte man solche wertvol-len Berichte flott beraten. Sonst kann man sich dieMühe, Berichte zu schreiben, sparen und sollte lieberden Missbrauch bekämpfen. Leider ist die Diskussionaber durch die Geschäftsordnung in diesem Haus so ge-steuert worden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
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Wir befinden uns in einer sehr spannenden Phase. Es
urde schon angesprochen: Ehemalige Monopolmärkte
erden in Wettbewerbsmärkte überführt. Diese Über-
ührung ist eine wichtige Funktion, die das Kartellamt in
einem Bericht auch anspricht.
Was die Telekommunikation betrifft, Herr
chauerte, möchte ich Sie bitten: Reden Sie doch nicht
mmer schlecht, was gut läuft. Im Telekommunikations-
ereich können wir auf eine Erfolgsgeschichte – das ist
hr Beitrag genauso wie unser Beitrag – zurückblicken.
s gibt neu geschaffene Arbeitsplätze, es gibt sinkende
reise und es gibt Innovation. Diese positive Entwick-
ung werden wir mit unserer Telekommunikations-
ovelle fortsetzen, über die wir morgen debattieren.
Der zweite Bereich, in dem Monopolmärkte in Wett-
ewerbsmärkte überführt werden, ist der Energiesektor.
uch auf den Energiesektor hat das Kartellamt einen
chwerpunkt gelegt: 95 Anträge auf Fusion wurden im
auptprüfverfahren geprüft. Nur in acht Fällen wurde
er Antrag abgelehnt; einer dieser Fälle war die geplante
usion von Eon und Ruhrgas.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Brüderle?
Ja.
Bitte schön, Herr Brüderle.
Frau Kollegin, damit Sie auf dem aktuellen Stand dereutigen Debatte sind: Der Antrag, den Sie angespro-hen haben, steht heute gar nicht auf der Tagesordnung.
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Vielleicht können Sie sich einmal vergewissern, überwas Sie reden, wenn Sie reden. Das wäre der Debattedienlich.
Wenn Sie Ihren Antrag von gestern auf heute zurück-
gezogen haben, dann freue ich mich. Auch die FDP ist
lernfähig, wunderbar.
Die Eon/Ruhrgas-Fusion hat dank Ministererlaubnis
doch noch stattgefunden. Das hat sich gelohnt: Eon hat
aktuell den größten Gewinn seiner Firmengeschichte zu
verzeichnen, das Betriebsergebnis ist noch einmal um
20 Prozent gestiegen. Ich gönne das den großen Konzer-
nen zwar, aber es ist bei RWE und den anderen großen
Energiekonzernen ähnlich, und das schon im dritten Jahr
in Folge. Das muss uns nachdenklich machen; denn das
hat auch etwas mit den Energiepreisen zu tun. Ich sage
an die Opposition gerichtet einmal ganz klar: Wenn wir
über Energiepreise sprechen, dann reden Sie nur und im-
mer wieder über das EEG.
Auf dem Auge der nachlassenden Wettbewerbsintensität
in der Energiewirtschaft sind Sie aber blind.
Ich fordere Sie deutlich auf, sich einmal um dieses
Thema zu kümmern. Ich habe davon gesprochen.
Frau Kollegin Hustedt, erlauben Sie noch eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Niebel?
Es scheint ja wirklich etwas los zu sein. Legen Sie
los.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin
Hustedt, Sie haben eben die Ministererlaubnis für die
Fusion Eon/Ruhrgas angesprochen. Können Sie mir be-
stätigen, dass der Minister, der diese Erlaubnis erteilt
hat, nämlich der ehemalige Wirtschaftsminister Müller,
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Jeder weiß, dass Herr Müller bei der RAG ist. Aberhr Kollege Rexrodt, damals Minister, hat, als ich dashema im Wirtschaftsausschuss aufsetzen wollte – da-on war die SPD nicht begeistert, logisch –, eingegriffennd verhindert, dass wir im Wirtschaftsausschuss da-über diskutieren. Er hat gesagt: Das ist kein Thema desarlamentes. – So stand damals die FDP zu dieserusionsabsicht.Tun Sie also nicht so, als wären Sie der Wettbewerbs-reund!
n diesem Punkt hatten FDP und CDU mehrheitlich – esab die eine oder andere Ausnahme – dieselbe Positionie die SPD. Die Grünen waren die Einzigen, die sichffentlich kritisch gegenüber dieser Fusion geäußert ha-en.
Aus dem mangelnden Wettbewerb im Energiebereichiehen wir die Konsequenz und schaffen eine Wettbe-erbsbehörde. Der Referentenentwurf zum Energie-irtschaftsgesetz liegt vor. Der Staat wird Schiedsrichtern diesem Bereich, um eine Steigerung der Wettbe-erbsintensität anzusteuern.Die Wettbewerbsbehörde wird allerdings nur den Zu-ang zu den Netzen regulieren. Das Kartellamt hateiterhin eine sehr wichtige Funktion im Bereich derroduktion. Hier hoffen wir auf Wettbewerb. Das Kar-ellamt soll diesen Wettbewerb überprüfen. Denn wasützt uns der beste Zugang zu den Netzen, wenn wiraum Wettbewerber haben? Deshalb ist das Kartellamtufgefordert, in diesem Bereich die Zahl der Fusionennd Übernahmen zu reduzieren und dafür zu sorgen,ass wieder neue Wettbewerber auf den Markt kommen.
azu passt aus meiner Sicht nicht die Überlegung, miter GWB-Novelle die Ministererlaubnis weiter zu er-eichtern.
Dritter Punkt: die Presse. Der zweite spektakuläreall, auf den das Kartellamt eingegangen ist, ist die
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Michaele HustedtAblehnung der Fusion von „Tagesspiegel“ und „BerlinerZeitung“. Es gibt eine Debatte, auch hier das Kartell-recht zu ändern und Verlagsfusionen deutlich zu erleich-tern. Ich denke, es muss sehr genau überlegt werden, obwir diesen Schritt gehen. Denn die Pressevielfalt ist einhohes Gut der Pressefreiheit. Vor allen Dingen wärenKonzentrationsprozesse nicht rückholbar.
Nun wird gesagt, dass es eine strukturelle und wirt-schaftliche Krise des Zeitungsmarktes gebe. Eine Ände-rung sei erforderlich; anders seien die Zeitungen nichtüberlebensfähig. Aber kürzlich sagte Mathias Döpfnervon Springer: „Unsere Wirtschaftszahlen knüpfen anhistorische Höchststände an.“ Das Zeitungshaus will nuneinen klaren Expansionskurs einschlagen. „Jetzt istKaufzeit“, so Döpfner von Springer. „Wir würden gerneine Regionalzeitungskette bilden“ – sobald das Gesetzzur Pressefusion entschärft ist.Ich sage ganz deutlich: Dafür werden wir nicht denSteigbügel halten.
Das kann nicht das Ziel dieser Änderung sein. Ich weiß,dass auch Herr Clement diese Art von Kettenbildung beiRegionalzeitungen nicht will. Wir werden genau hin-schauen müssen, ob die Möglichkeit dazu eröffnet wird,und gegebenenfalls darauf hinwirken, dass das verhin-dert wird.Ich weiß, dass zum Beispiel die „FR“ in deutlichenSchwierigkeiten ist. Es gibt durchaus Probleme. Ichkenne auch das Vorbild „WAZ“, wo die Redaktionen derfusionierten Blätter unabhängig blieben. Aber wir müs-sen genau hinschauen, ob das, was vorliegt, realistisch,umsetzbar und verfassungskonform ist, und die Presse-vielfalt in Deutschland erhalten.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum letzten Satz. – Das Thema „Fusion
und Konzentration“ ist hoch aktuell. Immer größer ist
nicht immer besser. Das sieht man an der Daimler-
Chrysler-Fusion. Vielmehr brauchen wir den Wettbe-
werb für eine lebendige Marktwirtschaft. Dafür brau-
chen wir auch ein starkes Kartellamt mit einem unbeque-
men Präsidenten.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Gudrun Kopp.
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nsofern waren diese Bemerkungen völlig ohne Inhalt.
Nun komme ich auf den Vorwurf zurück, beim Themanergiepolitik habe die FDP nichts zu bieten, wenn esm die Wahrung des Wettbewerbs geht. Ich verweisearauf, liebe Kollegin Hustedt, dass wir nicht ohnerund gesagt haben, dass das Bundeskartellamt dieichtige Regulierungsbehörde sei, nicht aber die von deregierung vorgesehene RegTP, also die Regulierungsbe-örde für Telekommunikation und Post. Wir, die wir dienterna kennen, wissen, dass mit dieser Entscheidung einnormer Personalaufbau verbunden ist. Es ist davon dieede, dass zusätzlich 300 Personen zur RegTP kommenerden, um die Regulierung des Energiemarktes zu be-ältigen.
ies deutet darauf hin, dass es eine bürokratische undostenträchtige Klein-klein-Regulierung geben wird.enau dies haben wir nicht gewollt. Wir haben immerarauf hingewiesen, dass das Bundeskartellamt eine grö-ere Staatsferne aufweist, eine schlankere Regulierungornehmen könnte und so im Sinne von mehr Wettbe-erb tätig würde.
Mein letzter Punkt betrifft das Thema Energiepreise.ie haben gesagt, die FDP spreche in diesem Zusam-enhang ausschließlich die Belastungen aus dem EEGn. Das ist nicht der Fall. Wir haben bei jeder Gelegen-eit darauf hingewiesen, dass die derzeitigen Strom-reise für Privatkunden zu 41 Prozent durch Staatslastenerursacht werden, nämlich durch zusätzliche Belastun-en aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, aus dem Ge-etz zur Kraft-Wärme-Koppelung und aus der Öko-teuer.
ir haben uns also nicht auf nur einen Bereich be-chränkt. Ich bitte Sie daher, in Zukunft bei der Wahrheitnd bei den Fakten zu bleiben.Vielen Dank.
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Frau Kollegin Hustedt zur Erwiderung.
Zunächst zu den Energiekosten. Sie wissen genau,
dass die EEG- und KWK-Umlagen der kleinste Bestand-
teil sind. Den Hauptanteil der von Ihnen so genannten
staatlichen Belastungen machen die Konzessionsabgabe,
die es schon ewig gibt, die Mehrwertsteuer und die Öko-
steuer aus. Dass Sie aber immer wieder die erneuerbaren
Energien ins Zentrum stellen, wenn Sie über Energie-
preise reden, zeigt ganz klar, dass Sie schlichtweg gegen
die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien sind.
Das haben Sie auch bei der Beratung des Erneuerbare-
Energien-Gesetzes gezeigt. Sie verstecken Ihre Haltung
nur hinter dem Energiekostenargument. Aber darauf fällt
kein Mensch herein.
Zweiter Punkt. Sie sind anscheinend die letzten Mohi-
kaner, die noch darauf setzen, dass es keiner Regulie-
rung bedarf.
In allen Ländern Europas ist klar, dass man sagt: Wenn
es ein Netz gibt, das ein natürliches Monopol darstellt,
dann ist es sinnvoll und richtig, dass der Staat als
Schiedsrichter Regeln aufstellt, die er dann auch kontrol-
liert und überwacht.
Wenn man aber nur fünf Leute für diese Kontrolle und
Überwachung einsetzen will, dann will man keine Regu-
lierung. Man braucht schon ein paar Leute mehr dafür.
Sagen Sie also Ja oder Nein, aber tun Sie nicht so, als
seien Sie für den Staat als starken Schiedsrichter, obwohl
Sie die entsprechende Behörde nicht ausstatten wollen.
Das empfinde ich als unglaubwürdig.
Letzter Punkt ist das Thema Rexrodt und Eon/Ruhr-
gas-Fusion. Es tut mir Leid, aber Herr Rexrodt hat sich
damals in der Presse mehrmals öffentlich geäußert. Au-
ßerdem ist er in dieser Situation – Herr Brüderle war da-
bei; Herr Schauerte kann sich auch noch genau daran er-
innern – im Ausschuss aufmarschiert.
– Aber hallo, er ist im Ausschuss aufmarschiert und hat
auch das Wort ergriffen. Er hat sich aktiv eingemischt
und dafür gesorgt, dass die FDP die Meinung vertrat,
dass nicht diskutiert werde. Das besondere Ge-
schmäckle, das es hier gegeben hat, als er sich öffentlich
und intern zu Wort gemeldet hat, besteht darin, dass er
Teilhaber an einer PR-Agentur ist, die BP berät und von
diesem Deal profitierte. BP hat von diesem Deal profi-
tiert.
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Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle von der
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dertellungnahme der Regierung zum Tätigkeitsberichteißt es:Um das Wachstumspotenzial der deutschen Volks-wirtschaft nachhaltig zu erhöhen und wieder mehrBeschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit zu er-reichen, sind auf vielen Politikfeldern … tief grei-fende … Reformen notwendig.as ist wohl wahr.
ie Frage ist nur: Warum handeln Sie nicht danach?
arum machen Sie sich zum Erfüllungsgehilfen derremser, der Ewiggestrigen, der Bewahrer und der An-pruchsgesellschaft?Heute sprechen wir über Wettbewerb. Dazu schreibtie Bundesregierung in ihrer Stellungnahme weiter:… das Wettbewerbsrecht kann einen wichtigen Beitragür mehr Wachstum und Beschäftigung leisten“. Auch zuieser Erkenntnis kann man der Bundesregierung herz-ich gratulieren.
ie Frage ist nur: Warum handeln Sie nicht danach?
arum nehmen Sie, wenn Sie wettbewerbspolitischentscheidungen treffen und Ihre Gesetzentwürfe erarbei-en, immer wieder Rücksicht auf Monopol- oder Kar-ellinteressen einzelner Wirtschaftsbereiche?
Warum haben Sie entgegen jedem Rat der Fachweltas Postmonopol über die Brüsseler Schiene verlängert?arum sprechen Sie sich unter den Aspekten Wettbe-erb und Management gegen die Europäische Richtlinieu Unternehmensübernahmen, kurz: VW, aus? Warumaben Sie die Fusion von Eon und Ruhrgas entgegen je-em wettbewerbsrechlichen und wettbewerbspolitischenat per Ministererlaubnis möglich gemacht? Warum
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Rainer Brüderleerleichtern Sie Kartelle und Fusionen im Pressewesen?Warum nehmen Sie sogar in Kauf, dass das Kartellamtzum Verhaltenskontrolleur denaturiert wird und dass dieunter demokratischen Gesichtspunkten so wichtige Mei-nungsvielfalt in Deutschland Schaden nehmen kann, jasogar die verfassungsrechtliche Frage der Pressefreiheitaufgeworfen wird?
Herr Brüderle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hubertus Heil?
Ja, gerne. Das ist immer eine Bereicherung.
Herzlichen Dank für Ihre Freundlichkeit, sehr ge-
schätzter Kollege Brüderle. – Wenn ich Sie richtig ver-
standen habe, haben Sie eben die Übernahmerichtlinie
und das VW-Gesetz angesprochen. Können Sie mir sa-
gen, ob Sie die Auffassung des niedersächsischen Wirt-
schaftsministers Walter Hirche, FDP, teilen, dass das
VW-Gesetz ein vernünftiges Gesetz ist, das keinem
schadet, aber sehr vielen nützt?
Sind Sie, was das VW-Gesetz betrifft, anderer Meinung
als Herr Hirche? Ihre Antwort brauche ich als Nieder-
sachse, sozusagen zu Protokoll.
Ich habe über die Richtlinie zu Unternehmensüber-nahmen gesprochen und in diesem Zusammenhangauch VW genannt. In der Tat bin ich der Meinung, dasshier ein Stück mehr Mobilität ermöglicht werden mussund dass man keine Investitionen in einen Closedshoptätigen sollte.
– Herr Schmidt, wenn Sie mir zuhören, bekommen Sieauch meine Antwort mit. Wenn Sie aber dazwischen-schreien, können Sie nichts verstehen.
Bevor Sie losbellen, sollten Sie sich ein Argument ersteinmal anhören. Das zeigt nur, dass Sie gar nicht zuhö-ren, sondern nur etwas abspulen wollen. Sie haben ander Sache gar kein Interesse.
Diese Geringschätzung einer parlamentarischen Ausein-andersetzung deckt sich aber mit vielen Ihrer Verhaltens-weisen.
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Zurück zu meinen Fragen an Sie, weshalb Sie alliese Verstöße gegen Geist und Inhalt von Wettbewerbs-echt und -politik begehen. – Herr Kollege Heil, es wäreut, wenn Sie mir Ihre geschätzte Aufmerksamkeitchenken würden; aber auch Sie, Herr Heil, wollen nichtuhören, sondern nur absondern. – Die Antwort auf alliese Fragen ist immer die gleiche: Sie beugen sich denartell- und Monopolinteressen der Großindustrie undem Druck der Verbände, der Lobby und vor allem derewerkschaften.
ie geben vor, die Interessen der arbeitslosen Verbrau-her zu vertreten. In Wirklichkeit verraten Sie ihre Inte-essen. Unsozialer und widersprüchlicher kann eineolitik gar nicht sein.Wir, die Fraktion der FDP, haben in unserem Antragefordert, dass verhindert werden muss, „dass die GWB-ovelle zur industriepolitischen Spielwiese dieser Bun-esregierung wird“. Nun ist es gelungen, die ehedem ge-lante, schon unanständige und jede Rechtsstaatlichkeitissachtende Einschränkung der gerichtlichen Über-rüfung der Ministererlaubnis zu verhindern. Mir istnbegreiflich, wie Sie überhaupt zu einer solch funda-entalen Demokratieprinzipien widersprechenden An-aßung kommen konnten. Welch ein Verständnis habenie überhaupt? Wo wollen Sie hin? Wollen Sie – um mitayek zu sprechen – wieder zu einer Knechtschaft?Ihr Bekenntnis zum Wettbewerb ist nur vorgegeben;as zeigt das Beispiel Telekommunikationsgesetz. Sieissen genau, dass eine Wettbewerbsbehörde ihrer Auf-abe nur dann entsprechen kann, wenn sie ihre Entschei-ungen unabhängig treffen kann.
ntsprechend der diesem fundamentalen ordnungspoliti-chen Prinzip abgeleiteten Haltung haben es bisher alleundesregierungen abgelehnt, Einzelweisungen an dasartellamt zu geben, unabhängig von der kompliziertenrage, ob dies rechtlich zulässig ist oder nicht. Sie bre-hen mit dieser Tradition, indem Sie in das TKG explizitin Einzelweisungsrecht einbauen. Das ist der Weg zuiner anderen Wirtschaftsverfassung,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8639
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Rainer Brüderleweg von marktpolitischer Ordnung, hin zu industriepoli-tischer Lenkungswirtschaft. Das ist Ihr Ziel. Wohin dasführt, wissen wir: Der Kampf um Subventionen, Protek-tion und Privilegien ersetzt die Bewährung von Leistungam Markt.
Ihnen ist klar, dass die Regulierungsbehörde durch dasEinzelweisungsrecht des Ministers faktisch zu einer Ab-teilung des Ministeriums wird, dass sie ihre Unabhän-gigkeit verliert. Ist Ihnen klar, dass Sie damit die Ent-scheidung der Behörde in hohem Maße politisieren? DieSache bekommt erst recht einen unappetitlichen Ge-schmack, wenn man sich vergegenwärtigt, dass hier er-hebliche Interessen des Bundes als Eigentümer berührtsind; 43 Prozent der Telekom gehören immer noch demBund.
Jetzt wollen Sie auch noch die Kompetenz für die Re-gulierung der Energiemärkte direkt auf die RegPT über-tragen. Im Zweifel gilt dann auch hier ein Einzelwei-sungsrecht des Ministers. Wieder ist die Frage: Wowollen Sie hin?Meine Damen und Herren, Sozialdemokraten undGrüne haben schon ein feindlich zu nennendes Verhält-nis zum Wettbewerb.
Sie betrachten den Wettbewerb und das Wettbewerbs-recht als Instrument der Beliebigkeit, das man dann he-ranzieht, wenn es in die Interessen der jeweils zu be-günstigenden Gruppen und Verbände hineinpasst, abergenauso gut ad acta legt, wenn die politische Druck-kulisse es als opportun erscheinen lässt. Das Wettbe-werbsrecht ist aber mehr als irgendein beliebiges Gesetz:Es ist ein zentraler Teil unserer Wirtschafts- und Gesell-schaftsverfassung. Es darf nicht zum Spielball politi-scher Interessen werden. Wettbewerb macht den Kerneiner marktwirtschaftlichen Ordnung aus. Die markt-wirtschaftliche Ordnung wiederum ist die Ordnung derFreiheit.Sie statten das Kartellamt nicht personell angemessenaus. Es ist vielleicht auch ein Zeichen, dass der Ministerlieber auf Reisen geht und heute nicht bei dieser Debatteüber die Magna Charta der Sozialen Marktwirtschaft imParlament ist, sondern sie an andere abtritt. Sie haben nieein einwandfreies Verhältnis zur Wettbewerbsordnunggehabt! Ich empfehle Ihnen: Lassen Sie Karl Marx imMuseum in Trier!
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Wenn man einmal hineinschaut, geht der Bericht voner Elektrizitätswirtschaft über die Telekommunika-ionsbranche bis zur deutschen Marzipanindustrie – dienteressiert mich aus körperlichen Gründen. Aber imrnst: Wenn man einen Strich unter den Bericht macht,err Schauerte, und nicht nur immer der Regierung ei-en zu verpricken versucht, wie das Ihre Aufgabe ist,ann ist festzustellen,
ass Deutschland bescheinigt wird, dass es im Großennd Ganzen eine funktionierende Wettbewerbsordnungnd auch eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht hat,ie internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht.
as heißt nicht, dass wir uns auf dem Erreichten aus-uhen wollen, aber es gibt uns die Gelegenheit, in dieserebatte einmal über ein paar grundsätzliche Dinge zu re-en.Herr Brüderle – bestellen Sie Herrn Kinkel übrigensinen schönen Gruß, wenn Sie mit ihm telefonieren; errbeitet jetzt bei der Telekom –,
ie haben eben gesagt, dass die Wettbewerbspolitik – –
Genug gebrüllt! Hören Sie mir bitte zu. Ich habe dasben auch versucht.
Sie haben eben gesagt, dass die Wettbewerbspolitikdas unterstreichen auch wir Sozialdemokraten; darüberibt es gar keinen Streit – ein zentrales Element unsererirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Das weiß diePD spätestens seit 1959. Ich möchte Sie aber ganzerzlich darum bitten, dass Sie sich, wenn Sie über Wett-ewerbspolitik reden, nicht immer nur die Bereiche he-auspicken, die Ihnen passen, und andere Bereiche sanfterschweigen. Ich möchte daran erinnern, dass Sie esaren, die die Entwicklung hin zum Wettbewerb im
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8640 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Hubertus HeilGesundheitswesen durch Ihr Veto gegen das Aufbrechendes Monopols der Kassenärztlichen Vereinigung unter-bunden haben.
Ich verbinde mit Ihrer Partei Karl-Hermann Flach undviele andere große Liberale, die sich heute darüber auf-regen müssten, welche alten Zöpfe bei der Handwerks-ordnung, die schon 1969 abgeschnitten werden sollten,Sie verteidigt haben. Ich frage mich, was das eigentlichfür eine FDP ist.
Herr Kollege Heil, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Brüderle?
Sehr gern.
Herr Kollege Heil, zu Ihrer Anmerkung zur Gesund-
heitspolitik: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass Wettbewerb erfordert, dass auf beiden Seiten des
Marktes, bei Angebot und Nachfrage, auch tatsächlich
Wettbewerb herrschen muss? Wenn Sie bei der Kassen-
ärztlichen Vereinigung eine Öffnung vornehmen wollen,
dann müssen Sie aber auch das Monopol der gesetz-
lichen Krankenversicherung, die über 90 Prozent der
Nachfrage abdeckt, abschaffen und hier für Wettbewerb
sorgen. Sonst haben Sie keinen Wettbewerb.
Herr Kollege Brüderle, im Gegensatz zu den Kassen-
ärztlichen Vereinigungen stehen die gesetzlichen Kran-
kenversicherungen in Deutschland miteinander im Wett-
bewerb. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.
Ich will zu zwei Themen etwas sagen, die hier ange-
sprochen wurden. Erstens. Es wurde über den Telekom-
munikationsmarkt geredet, und zwar von Rednern, die
von diesem Thema offensichtlich nichts verstehen. Es ist
uns unterstellt worden, dass wir den Gesetzentwurf zum
Wohl der Monopolisten geändert hätten. Ich bitte Sie,
zur Kenntnis zu nehmen, was die Telekom und die Mit-
bewerber über die Änderungen sagen, die wir im Gesetz-
entwurf tatsächlich vorgenommen haben. Wir haben hin-
sichtlich der Regulierung bei den Vorleistungsprodukten
eine Regelung eingeführt, die dem Regulierer ein wirk-
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Zum anderen möchte ich nun etwas zu dem sehr sen-
iblen Thema Pressefusionskontrolle sagen.
Herr Kollege Tauss.
Wollen Sie dem Kollegen Tauss eine Zwischenfrage
ewähren?
Dem Kollegen Tauss gewähre ich gerne eine Zwi-
chenfrage, wenn es nicht zum Thema Datenschutz ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das haben wir doch anderweitig befriedigend geklärt,
ieber Kollege Heil.
Ich will beim Thema Presse auf Äußerungen unseres
erehrten Kollegen Schauerte über den Kauf einer Zei-
ung durch die SPD zurückkommen. Es ist vermutlich
ilder Neid, dass die SPD im Gegensatz zur CDU er-
olgreiche Unternehmensbeteiligungen hat.
Das ist nachprüfbar. – Der guten Ordnung halber: Kön-
en Sie mir bestätigen, dass nicht die SPD, sondern ein
ußerst erfolgreiches Beteiligungsunternehmen, das der
PD gehört, gegenwärtig die Frage prüft, das in Rede
tehende Presseorgan zu erwerben? Ich bitte Sie diesbe-
üglich um Sachaufklärung. Möglicherweise wird das
em Kollegen Schauerte dann auch gleich klar.
Herr Kollege Tauss, ich sage gerne etwas zu diesemhema; denn jeder, der sich auch nur ein wenig für dieeschichte interessiert, muss sich über die Demagogiediesen Begriff verwende ich hier bewusst –
ei diesem Thema nicht nur ärgern, sondern wirklichufregen.
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Hubertus HeilDie deutsche Sozialdemokratie hat eine sehr stolzeGeschichte. Sie hat sich ihr ganzes Vermögen und ihregesamten Beteiligungen in ihrer Geschichte ehrlich erar-beitet.
Ich will darauf hinweisen, dass es in der Geschichte be-reits zwei politische Kräfte von ganz rechts und ganzlinks gab, die die SPD 1933 und nach dem Krieg enteig-net haben. Heute verfügt die SPD wieder über Beteili-gungen – beispielsweise an Zeitungen –, ohne jedochredaktionell Einfluss zu nehmen, was mich hin und wie-der ärgert, wenn ich die „Hannoversche Allgemeine“lese oder an einige Zeitungen in Ostdeutschland denke.Wir haben diese Beteiligungen deshalb, weil Arbei-terzeitungen gegründet wurden, weil Kommunisten undvorher Nationalsozialisten uns enteignet haben und weilwir nach der deutschen Einheit zu Recht wieder Anteilezugesprochen bekommen haben.
Wir haben uns das selbst erarbeitet. Sie haben sichschwarze Koffer zuschieben lassen. Das ist der Unter-schied.
Herr Kollege Heil, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schauerte?
Sehr gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Heil, ich bin mehr als erstaunt darüber,
dass Sie mir, der ich einen sehr sachlichen Beitrag ge-
leistet habe,
der mit dem hier zu behandelnden Sachverhalt wirklich
sehr eng verbunden war – es geht um Pressebeteiligun-
gen und Meinungsvielfalt –, Demagogie unterstellen und
dass Sie mit einer solchen Retourkutsche reagieren. Sie
sind offensichtlich tief verletzt.
Können Sie bestätigen, dass wir heute ein modernes
Demokratieverständnis haben und dass wir darauf hinar-
beiten sollten, dass sich Parteien an der Produktion und
Veröffentlichung von Meinungen sowohl in den Print-
medien als auch in den Rundfunk- und Fernsehanstalten
so weit wie möglich nicht beteiligen sollten?
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äre es nicht modern, sich sukzessive daraus zurückzu-
iehen und in die Bereiche zu investieren, in denen man
icht in den Verdacht kommen kann, über Medien Mei-
ungen verändern, beeinflussen oder manipulieren zu
ollen?
Herr Kollege Schauerte, zu Ihrer ersten Frage will ichhnen sagen, dass die deutsche Sozialdemokratie in Sa-hen Demokratieverständnis keine Belehrungen aus deronservativen Ecke braucht.
Nein.Zweiter Punkt – das sage ich Ihnen in aller Ruhe –:iese Debatte hat einen ganz konkreten Hintergrund. Sieersuchen in Hessen und Niedersachsen durch die Ände-ung des Presserechts in diesem Bereich gerade, in dasigentum der SPD einzugreifen.
ch sage Ihnen Folgendes: Erstens. Dieses Eigentum istn der Geschichte meiner Partei rechtmäßig erarbeitetorden. Zweitens. Im Gegensatz zu dem, was Sie denenschen diesbezüglich immer weismachen – oder bes-er: schwarzmachen – wollen, nehmen wir in diesem Be-eich keinen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung.
ie versuchen ständig, das an die Wand zu malen. Dieealität sieht anders aus. Schauen Sie sich einmal an,elche Meinungskartelle aus der rechten Ecke es inamburg beim letzten Wahlkampf gegeben hat!
Herr Kollege Schauerte, ich mache Ihnen ein sachli-hes Angebot. Über die 7. GWB-Novelle, die jetzt an-teht, sollten auch die Berichterstatter in Ruhe und jen-eits dieser aufgeregten Debatte miteinander reden.
ie haben Recht: Das GWB ist das Grundgesetz derarktwirtschaft. Weil es der Sache dient, haben wiriele Novellen im Bereich des GWB miteinander, alsober die Parteigrenzen hinweg, erarbeitet.
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Hubertus HeilIch bitte Sie deshalb ganz herzlich, mit uns sachlichüber die Situation am Zeitungsmarkt zu reden. Die Un-terstellung, wir, die SPD, würden uns an diesem Bereichzu schaffen machen, weil wir, wie Sie sagten, unser Me-dienimperium ausbreiten wollen,
ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit, HerrSchauerte. Das nenne ich Demagogie.
Beim Thema Pressefusionskontrolle – darauf hat dieKollegin Hustedt hingewiesen – können und müssen wirsehr sensibel miteinander darüber diskutieren, wie dieLage ist. Wir alle wollen – ich finde, das sollte nieman-dem in diesem Haus abgesprochen werden – Meinungs-vielfalt und Wettbewerb auf dem Zeitungsmarkt inDeutschland. Wir müssen allerdings zur Kenntnis neh-men, dass sich auf dem deutschen Zeitungsmarkt eineReihe von Dingen verändert hat und wir nicht nur einekonjunkturelle Krise haben. Nach einem Boom der Kon-junktur im Zeitungsgeschäft im Jahre 2000 bestehen nunstrukturelle Probleme, über die man ernsthaft, sachlichund in Ruhe miteinander reden muss.Zu diesen strukturellen Problemen gehören erstensein verändertes Leseverhalten gerade bei jüngeren Lese-rinnen und Lesern von Zeitungen, zweitens ein Rück-gang der Werbe- und Anzeigenmärkte, weil die Zeitun-gen in Deutschland einem härteren Wettbewerb mitelektronischen Medien ausgesetzt sind, und drittens dieKonkurrenz, die die Tageszeitungen durch das Interneterfahren. Wir müssen also darüber reden, in einer sol-chen Situation lebensfähige Einheiten zu schaffen, dieam Markt bestehen können.Wir als Fraktion werden uns die Vorschläge des Bun-deswirtschaftsministers, wenn sie im Kabinett beschlos-sen worden sind, sehr sorgfältig anschauen. Für uns gibtes im Gegensatz zu Ihnen keine Vorfestlegung in diesemPunkt. Wir werden das unideologisch prüfen,
weil es uns um die Sache geht. Wir wollen hier keinenPopanz aufbauen, Herr Schauerte. Wenn man das macht,dann wird man feststellen, dass es tatsächlich Hand-lungsbedarf gibt. Darüber, wie wir diese Handlungenausgestalten, lassen Sie uns sachlich miteinander reden.Das Thema ist viel zu sensibel, als dass man es in einembilligen polemischen Streit im Parlament ausfechtensollte.
Beim Thema Pressefusionskontrolle werden wir mitallen Beteiligten diskutieren: den Zeitungsverlegern, denGewerkschaften – Verdi hat sich hier sehr kritisch einge-lassen –, dem Deutschen Journalisten-Verband, aberauch den Verbraucherorganisationen. Nehmen Sie bittezur Kenntnis, was auf diesem Gebiet in Europa schonstattgefunden hat: Ein aus Australien stammender Me-dMdKfndkaLhKusEmwAdvdsdgRdSaRvdziwdtsHuWanu
önnen Sie uns im politischen Wettstreit nicht einfachnterstellen, dass wir uns massiv Sorgen um den Zu-tand des deutschen Zeitungsmarktes machen? So vielrnsthaftigkeit muss in einer solchen Debatte sein. Wirüssen uns doch in Ruhe darüber unterhalten können,ie die Situation ist.
ls Niedersachse weiß ich, dass nicht alles eigenstän-ige Zeitungen sind. Wir haben es in diesem Bereich mitielen Mantelteilen zu tun. Wir müssen sehr sorgfältigarüber reden, was an Möglichkeiten für Zusammen-chlüsse unter der Bedingung geschaffen werden kann,ass die Zeitungen auch zukünftig ihre redaktionelle Ei-enständigkeit bewahren.
Es geht in diesem Bereich auch um Beschäftigung.eden Sie einmal mit Journalistinnen und Journalistenarüber, was auf dem Zeitungsmarkt heute los ist. Redenie einmal mit Redaktionen, in denen es kaum noch festngestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt.
eden Sie mal mit Journalisten in Berlin, die in einemerdammt harten Wettbewerb miteinander stehen, wasazu führt, dass immer mehr ausscheiden. Sie könnenwar sagen, dass dies ein Lehrsatz der Marktwirtschaftst: Die Stärksten setzen sich durch. Wenn Ihnen aberirklich an Vielfalt gelegen ist, dann bitte ich Sie, überas Thema Pressefusionskontrolle ein bisschen ernsthaf-er zu diskutieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schlussagen: Der Bericht enthält eine Fülle von Hinweisen.err Brüderle hat gefragt, was Sozialdemokraten tun,m eine Antwort auf den Bericht zu geben, in dem mehrettbewerb gefordert wird. Ich verweise Sie nicht nuruf die Agenda 2010, sondern auch auf das Telekommu-ikationsgesetz, das wir morgen verabschieden werdennd einen weiteren Schub für die Branche bringen wird.
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Hubertus HeilWenn Sie es ablehnen, dann werden wir uns im Vermitt-lungsausschuss wiedersehen. Ich bin sicher, dass wir fürdie Telekommunikationsbranche noch vor dem Sommereinen vernünftigen Kompromiss zustande bringen wer-den, der für mehr und wirksamen Wettbewerb inDeutschland sorgen wird.
Wir werden zum Zweiten im Bereich der Energiewirt-schaft durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzesdafür sorgen,
dass auch hier eine weitere Marktöffnung im Bereichvon Strom und Gas stattfinden kann. Wir brauchen dafüreine staatliche Regulierung. Frau Kopp, mir ist es voll-kommen egal gewesen, ob das Kartellamt oder die Re-gulierungsbehörde dafür zuständig ist. Ich kann nurHelmut Kohl zitieren. Wenn es etwas Vernünftiges ist,gilt der Satz: Wichtig ist, was hinten rauskommt.
Ich sage Ihnen auch: Es ist nicht ehrenwert, auf der ei-nen Seite zu sagen, es werde massiv Personal aufge-stockt, auf der anderen Seite aber immer mehr Regulie-rung im Interesse des Wettbewerbs – zu Recht – zufordern. Dafür braucht man Personal. Wir brauchen dieRegulierung für einen Übergang in diesen netzgebunde-nen Industrien, um im Interesse der Unternehmen, im In-teresse der Verbraucherinnen und Verbraucher und imInteresse des Wirtschaftsstandortes Deutschland Wettbe-werb zu ermöglichen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Die SPD-Bundestagsfraktion, die Koalition und auch
die Bundesregierung brauchen in Sachen Wettbewerb
von Klientelparteien keine Belehrung. Wir verstehen
mehr davon.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Hinsken von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Diese Debatte ist von dem Pressefusionsgesetz und demTelekommunikationsgesetz sowie von den Energiepro-blemen geprägt. Auf der Tagesordnung steht aber etwasganz anderes. Es geht um mehr. Es geht um den BerichtdgadMdnnnbbdaMzÄlVStdHVegdsanEdwMivdasfdeMBdme§fddg
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Es ist nicht nachvollziehbar, dass kritische Stellung-nahmen des Bundeskartellamtes zu Gesetzgebungs-vorhaben der Bundesregierung vom Bundeswirtschafts-ministerium meist nicht berücksichtigt werden, wie esbesonders bei der Novellierung des Energiewirtschafts-gesetzes und der GWB-Novelle sichtbar wird. Der Kol-lege Schauerte hat dies bereits ausgeführt. HerrBrüderle, auch Ihnen möchte ich beipflichten. Sie habenhierzu Richtungweisendes gesagt.
Eines ist klar: Wir brauchen für den StandortDeutschland auch Großunternehmen. Der Staat darfdiese aber nicht auf Kosten des Mittelstandes bevortei-len. Das ist ein Gebot für uns alle, unabhängig davon,auf welcher Seite des Bundestages wir sitzen.
Lassen Sie mich kurz, ebenso wie meine Vorredner,auf das Pressefusionsrecht eingehen.
Nicht nur wegen des Erhalts der Meinungsfreiheit in ih-rer derzeit sehr vielfältigen Form, sondern auch aus wirt-schaftspolitischen Gründen lehne ich den Entwurf vonBundesminister Clement ab. Herr Heil, hier liegen Wel-ten zwischen uns. Ich kann die von Ihnen hier vertrete-nen Meinungen, die sich mit denen von Bundeswirt-schaftsminister Clement decken, nicht nachvollziehen.Viele mittelständische Verlagshäuser werden von dergroßen Konkurrenz geschluckt. Das schadet dem wirt-schaftlichen Wettbewerb. Auch die werbetreibendeWirtschaft ist auf die Vielfalt der kleinen und mittlerenZeitungen angewiesen. Das, was BundesministerClement, aber auch Sie, Herr Andres, beabsichtigen, hatdoch zur Folge, dass die Großen gestärkt werden,
dass es zu einer inhaltlichen Verarmung im Blätterwaldkommt
und dass es zudem weniger Wettbewerb gibt. Dies istmeiner Meinung nach ein ordnungspolitischer Sünden-fall, den wir – insbesondere die CSU – auf keinen Fallmitmachen werden.hne3ahVrmnsbDGWssfoktrsbKwBnbndsPIhdaTSÜ
Besonders krass ist die Konzentration im Einzel-andel. Hier brennt Feuer auf dem Dach. Im vergange-en Jahr wurden im Einzelhandel 50 000 Mitarbeiterntlassen. So viele waren es noch nie in einem Jahr.Meines Wissens sind in den vergangenen Jahren fast0 Prozent der Verkaufsfläche für hochwertige Marken-rtikel weggebrochen. Dieses Flächensterben des Fach-andels muss gestoppt werden. Auch hierbei gilt es, dieielfalt so weit wie möglich zu erhalten. Es sind doch ir-eversible Schäden, wenn in den Innenstädten immerehr Großfilialisten den Ton angeben und das Erschei-ungsbild bestimmen. Hier dürfen wir nicht weiter zu-chauen. Auch der Verbraucher will das nicht. Er will le-endige Innenstädte. Deutschland darf kein reinesiscountland werden.
Es ist doch katastrophal, dass allein 2003 aus diesemrund und aufgrund der katastrophalen rot-grünenirtschaftspolitik der Einzelhandel über 35 000 Ge-chäfte verloren hat. Das sind 35 000 Unternehmer-chicksale.Es gilt, den Schutz vor dem Missbrauch der Nach-ragemacht zu verbessern; denn die Großen schlagenftmals bei ihren mittelständischen Zulieferern Sonder-onditionen heraus, von denen kleine Unternehmen nuräumen können. Es gilt deshalb, die Vielfalt und Selbst-tändigkeit im Mittelstand zu erhalten. Der Mittelstandraucht eine Renaissance, die ihm insbesondere über dasartellrecht zuteil werden muss.Lassen Sie mich zum Abschluss feststellen: Wettbe-erb ist nur fair, wenn er auch leistungsgerecht ist. Dieundesregierung sollte sich eines klar machen: Es gehticht um Wettbewerb um jeden Preis, sondern um Wett-ewerb in Vielfalt. Wir sind für Deregulierung, abericht um der Deregulierung willen. Das, was die Bun-esregierung vorhat, führt nicht zu mehr Wettbewerb,ondern zu weniger Wettbewerbern. Das ist nicht unsereolitik und dementsprechend kämpfen und streiten wir.m Ausschuss werden wir noch genügend Gelegenheitenaben, uns diesbezüglich auseinander zu setzen.Für Ihre Aufmerksamkeit darf ich mich herzlich be-anken.
Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenuf den Drucksachen 15/1226 und 15/760 an die in deragesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind dieberweisungen so beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8645
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerIch rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c sowieZusatzpunkt 3 auf:22 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desReichsvermögen-Gesetzes– Drucksache 15/2135 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss
Rechtsausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 13. Mai 2002 zwischen der Bundesre-publik Deutschland und Kanada über dieRechtshilfe in Strafsachen– Drucksache 15/2598 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschussc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zu-satzvertrag vom 13. Mai 2002 zu dem Vertragvom 11. Juli 1977 zwischen der Bundesrepu-blik Deutschland und Kanada über die Auslie-ferung– Drucksache 15/2599 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten KarinRehbock-Zureich, Sören Bartol, UweBeckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPD sowie der Abgeordneten AlbertSchmidt , Volker Beck (Köln),Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNENDie Bahnreform konsequent weiterführen– Drucksache 15/2658 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 h sowiedie Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Es handelt sich um Be-schlussvorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-hen ist.ewduetnuw–a
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8646 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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der Dreiundzwanzigsten Verordnung zurDurchführung des Bundes-Immissionsschutz-
– Drucksachen 15/2407, 15/2442 Nr. 2.4,15/2682 –Berichterstattung:Abgeordnete Astrid KlugMarie-Luise DöttWinfried HermannBirgit HomburgerDer Ausschuss empfiehlt, die Verordnung in derAusschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung istmit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen undFDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Esgab keine Gegenstimmen.Tagesordnungspunkt 23 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
SDaestaleagnhnEmO
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8647
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ber Sie, meine Damen und Herren von der Union undon der FDP, konnten sich nicht entscheiden. Der CDU-izeparteichef Rüttgers hat, wie ich meine, schon Recht,enn er seine eigene Partei sehr eindeutig auffordert,ndlich ein eigenes, von CDU und CSU gemeinsam be-chlossenes Rentenkonzept vorzulegen.
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8648 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Gudrun Schaich-Walch
Auch ich muss Sie heute fragen: Wo ist eigentlich IhrGesetzentwurf? Wo sind Ihre Vorstellungen zur Bewälti-gung des demographischen Wandels in diesem Land?Wenn ich mir Ihren Entschließungsantrag anschaue,komme ich allerdings zu der Feststellung, dass es nebenallen möglichen Dingen, auf die Sie dort eingehen,
einen wesentlichen Punkt gibt, nämlich, dass Sie beimNachhaltigkeitsfaktor offensichtlich unserer Meinungsind. Wenn das so ist, Herr Storm, frage ich mich, wa-rum Sie nicht zustimmen
und wie Sie auf die abstruse Idee kommen, wir müsstendie heutige Debatte vertagen. Ich habe nämlich nicht denEindruck, dass es Ihnen auch bei einer weiteren WocheZeit gelingen würde, ein gemeinsames Konzept vorzule-gen.
Auf Ihre Bemerkung, für diese wichtige Debatte hät-ten wir nicht genügend Zeit gehabt, entgegne ich Ihnen:Sie wurde durch einen Kabinettsentwurf am 19. Oktoberinitiiert, die erste Lesung fand am 12. Dezember statt,parallel dazu gab es ein Anhörungsverfahren. Jetzt sindwir etwas mehr als drei Monate weiter.
Diese Zeit haben Sie offensichtlich nicht genutzt.Jetzt möchte ich gerne zu den eigentlichen Gegen-ständen kommen, nämlich zur Entwicklung der gesetz-lichen Rentenversicherung. Sie ist in diesem Land in-zwischen zu einem Thema für alle Menschen geworden:für die jungen und für die alten. Für die Jungen stehenmehr die Beitragshöhen im Vordergrund, für die Älterenist die Anpassung der Rente wichtig. Allen gemeinsamist, dass sie eine sichere und eine leistungsfähige Renteerwarten.Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sind unsweitgehend darin einig, dass man, wenn man die umla-gefinanzierte Rentenversicherung im Vergleich zu al-len anderen Formen, die wir haben, bewertet, zu derFeststellung kommt, dass sie all diesen Formen weitüberlegen ist.
Nur die umlagefinanzierte Rente garantiert, dass die Äl-teren am Einkommensfortschritt der aktiv Beschäftigtenteilhaben. Sie bietet Schutz vor dem Inflationsrisiko.DcgDkidkzmEDnufnhsddwRwdsrdm5dGStgidKgDwsddte
Unsere beitragsbezogene Rentenversicherung ent-pricht dem grundlegenden Gerechtigkeitsverständniser Menschen. Die Höhe der Renten spiegelt den Werter eingezahlten Beiträge wider. Letztendlich müssenir auch würdigen, dass es uns gelungen ist, dass imahmen der Rentenversicherung Leistungen anerkannterden, die der Gesellschaft zugute gekommen sind, fürie der Einzelne aber keine Beiträge hat entrichten müs-en. Deutlich weise ich da noch einmal auf die Verbesse-ung hin, die durch uns bei der Einbeziehung der Kin-ererziehungszeiten erzielt worden ist. Hiermit erwirbtan einen Anspruch, der einer Beitragszahlung von700 Euro entspricht. Ein Durchschnittsverdiener hätteafür drei Jahre lang Beiträge zahlen müssen.Allerdings – das ist für mich ein sehr entscheidenderrund – müssen diese Leistungen steuerfinanziert sein.ie sind familienpolitische Leistungen und familienpoli-ische Leistungen sind gesamtgesellschaftliche Leistun-en. Wir sind bei der Krankenversicherung gemeinsamn diese Richtung gegangen. Die neuesten Vorschlägeer CSU, Kindererziehungszeiten durch höhere Beiträgeinderloser zu finanzieren, kann ich vor diesem Hinter-rund nicht ganz verstehen.
as geht in die falsche Richtung. Richtiger wäre es, Sieürden es steuerfinanzieren und nicht mit diesem An-atz die Gesellschaft spalten.
Es geht uns bei dieser Rentenreform darum, dass alleiese Vorteile erhalten bleiben. Wir sehen aber auch,ass wir sie, wenn wir sie erhalten wollen, den veränder-n Rahmenbedingungen anpassen müssen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8649
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Gudrun Schaich-WalchMit der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors indie Rentenanpassungsformel berücksichtigen wir diedemographischen Veränderungen im Altersaufbau.Steigt die Zahl der Rentenempfängerinnen und -empfän-ger, so fällt die Rentenanpassung schwächer aus, steigtdie Zahl der Beschäftigten, so wirkt sich dies positiv aufdie Rentenanpassung aus. Die Lasten der demographi-schen Entwicklung werden so auf alle Generationenverteilt.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bereits mit derRentenreform 2001 haben wir beschlossen, dass die Bei-tragssätze bis zum Jahr 2020 20 Prozent und bis zumJahr 2030 22 Prozent nicht übersteigen sollen. An die-sem Beitragsziel halten wir fest.
Aber ebenso wie die Höhe der Beiträge muss die Ren-tenpolitik die Höhe der Leistungen im Auge behalten.
– Das ist nicht die Quadratur des Kreises. Was wir Ihnenvorgelegt haben, bezieht sich auf die aktuelle offizielleDatenlage. Auf dieser Grundlage errechnen sich die vonuns angegebenen Zahlen.
– 43 und 46 Prozent.
– Ja, 2020 46 Prozent und 2030 43 Prozent.Wenn wir – da haben wir es uns nicht leicht gemacht,aber ich denke, das ehrt uns – 2020 die 46 Prozent ha-ben, dann ist die Bundesregierung aufgefordert, zuschauen, welche Möglichkeiten der Sicherung dieses Ni-veaus es in der Zukunft gibt. Ich denke, es gibt einenganzen Strauß von Dingen, bei denen wir ansetzen kön-nen: Wir müssen dafür sorgen, dass das Renteneintritts-alter tatsächlich 65 Jahre beträgt.
Wir müssen – da sind wir aktiv dran; das ist auch eineFrage der Beitragshöhe – für mehr Beschäftigung sor-gen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Frauenerwerbs-quote steigt. Wenn wir all das erreicht haben, dann habenwir eine gute Ausgangssituation. Die Aufgabe wird dannsein, daran zu arbeiten, dass das Niveau gesichert bleibt.Wenn Sie an diesem Punkt sagen, das sei schlecht ge-rechnet –
ich habe heute auch gelesen, was viele andere dazu sa-gen –, dann kann ich Ihnen nur eines mit auf den Weggeben. Wir haben in den Bericht aufgenommen, dass wirdann durchaus schauen müssen: Wie ist die Erwerbs-quote? Wie ist das Renteneintrittsalter? Wie ist die Be-schäftigungssituation? Wenn wir die 46 Prozent sichernwrtnRsgAIIdHRtnMrkwvg
ch denke, Sie sollten zur Absicherung dieses Systems
ie jetzt notwendigen Änderungen ebenfalls mittragen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Das Werk, das wir heute beraten, nennt sichentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz. Die Litera-ur umschreibt „Nachhaltigkeit“ wie folgt: „den Bedürf-issen der heutigen Generation zu entsprechen, ohne dieöglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden.“
Gemessen an diesen beiden Zielen erfüllt die Renten-eform der rot-grünen Koalition
ein einziges,
eder die Sicherheit für die Rentnerinnen und Rentneron heute noch die Verlässlichkeit für die Lebensplanun-en der künftigen Generationen.
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Horst SeehoferWeil diese Rentenreform, Frau Schaich-Walch, einereine Farce ist, gibt es keine Gemeinsamkeit in der Ren-tenpolitik und deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Vieles erinnert mich heute an die Rentendebatte vordrei Jahren.
Damals gab es im Vorfeld die gleiche Debatte über dasRentenniveau, die gleichen Annahmen, die zum Zeit-punkt der Verabschiedung schon überholt waren, und diegleichen koalitionsinternen Querelen.
Wir wissen, dass diese „Jahrhundertreform“ nicht einmaleineinhalb Jahre gehalten hat.Der Bundeskanzler hat im letzten Jahr die Wahrheitdazu gesagt, nämlich dass Rot-Grün in der RentenpolitikFehler gemacht hat. Der erste Fehler war die Rück-nahme des demographischen Faktors in der Rentenre-form der Regierung unter Helmut Kohl. Auf dieser Fehl-entscheidung gründen viele Probleme, die wir heutehaben.
Dieser Fehler hatte weit reichende Folgen. Es hatnämlich nichts mit äußeren Einflüssen auf die Renten-versicherung zu tun, dass es in diesem Jahr zu einer viel-fachen Belastung der älteren Generation kommt unddass wir in diesem Jahr zum ersten Mal in der Ge-schichte der deutschen Rentenversicherung Rentenkür-zungen erleben. Es handelt sich vielmehr um die FolgenIhrer falschen Rentenpolitik der letzten Jahre.
Es gibt heute keine Sicherheit für die Rentnerinnenund Rentner. Zum ersten Mal gibt es Rentenkürzungenin Deutschland. Der Volksmund sagt zwar, dass man ausFehlern lernt und dass man aus Fehlern klug wird. Sieaber wiederholen die Fehler der Rentenreform vor dreiJahren. Damals wurde ein Rentenniveau von 67 Prozentgenannt, obwohl es sich in Wahrheit um ein Renten-niveau von 64 Prozent handelte. Jetzt steht im Gesetz einNiveau von 43 Prozent, das einem Niveau von nettomehr als 50 Prozent entsprechen soll. Das verstehe, werwill. Niemand blickt mehr durch.Ein ganz großer Witz ist Ihr Änderungsantrag. Ich binzwar schon lange im Bereich der Rentenpolitik tätig,aber einen Witz von dieser Qualität habe ich noch nichterlebt. Auf der einen Seite wollen Sie langfristig stabileBeiträge in Höhe von 22 Prozent und auf der anderenSeite ein Mindestrentenniveau in Höhe von 46 Prozentdurch dieses Gesetz erreichen.
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nders macht diese Zielsetzung keinen Sinn.
Diese irreale Debatte über Beitragssatz und Min-estrentenniveau ist die gleiche Debatte wie vor dreiahren. Durch die gestiftete Verwirrung werden die Fra-en in der Rentenpolitik nicht beantwortet, sondernadurch werden nur neue Fragen aufgeworfen. Die Ver-bschiedung der heutigen Rentenreform ist daher nichtsnderes als der Auftakt zu einer neuen Rentendebatte ineutschland, weil Sie keine der anstehenden Fragen mithrer Rentenreform beantworten.Wir sagen der Bevölkerung klipp und klar:
ie gesetzliche Rente wird ab 2020, 2025 oder 2030icht mehr die Funktion erfüllen können, die sie über0 Jahre lang erfüllt hat.
ie wird nicht mehr den Lebensstandard sichern kön-en. Die Rente wird für viele nur eine Basisabsicherungein. Zur Ehrlichkeit im Umgang mit der jungen Genera-on gehört die klare Aussage, dass die gesetzliche Rente Zukunft die Lebensstandardsicherung nicht mehr ge-ährleisten kann und nur noch eine Basissicherung ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8651
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kirschner?
Nein.
Wie wollen Sie denn auf der einen Seite erreichen,
dass die Bereitschaft zu privater Vorsorge in der jungen
Generation steigt, wenn Sie ihr auf der anderen Seite
nicht reinen Wein dahin gehend einschenken, welches
Rentenniveau Sie in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung überhaupt gewährleisten können?
Der zentrale Fehler dieser Rentenreform ist wieder, dass
Sie nicht ehrlich und wahrhaftig mit der Öffentlichkeit
umgehen, wenn es um die langfristigen Rentenziele
geht.
Aber Sie haben auch im Detail Ihre Fehler wiederholt.
Heute reden wir über den Beitragssatz und das Rentenni-
veau. In einigen Wochen sprechen wir über die Renten-
besteuerung. Gleichzeitig reden wir über die Entbüro-
kratisierung der privaten Vorsorge und über die Stärkung
der betrieblichen Altersvorsorge. Das ist wieder die typi-
sche Flickschusterei: In der einen Woche sprechen wir
außerhalb jedes Zusammenhangs über die eigentliche
Rente, dann über die Rentenbesteuerung, dann über die
Betriebsrente und dann über die private Vorsorge. Ob
das alles am Ende zusammenpasst, interessiert Sie über-
haupt nicht. Ihnen geht es heute nur darum, das Ganze
möglichst schnell mit der eigenen Mehrheit über die
Bühne zu bringen. Ihnen ist völlig egal, ob Sie wegen Ih-
rer machtpolitischen Befindlichkeiten das Vertrauen
der Bevölkerung in die Rentensicherheit zerstören –
und dies zerstören Sie.
Tun Sie nicht immer so, als ob wir bei der Rentenfor-
mel ganz nahe beieinander liegen würden! Wir wollen,
dass die Renten auch in Zukunft so steigen, wie sich die
Entgelte für Erwerbstätige in Deutschland entwickeln.
Das ist der Grundsatz.
Seit Mitte der 90er-Jahre sagen wir: Dieser Grundsatz
muss durch einen Demographiefaktor ergänzt werden,
der berücksichtigt, dass die Lebenserwartung der Men-
schen steigt und damit die Rentenlaufzeiten länger wer-
den. Übrigens ist die ältere Generation damit sehr ein-
verstanden.
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In der Rentenformel, die von dem Grundsatz „Dieenten entwickeln sich so wie die Entgelte der Erwerbs-ätigen“ ausgeht, muss bezüglich des Rentenanstiegs dieängere Rentenlaufzeit berücksichtigt werden. Die Kos-en, die daraus entstehen, müssen auch von der ältereneneration mitgetragen werden. Das ist ein echter Bei-rag zur Generationengerechtigkeit.Sie machen einen riesigen Fehler. Sie belassen den soenannten Riester-Faktor in der Rentenformel. Sie zie-en die Beiträge zur privaten Vorsorge zulasten derentner als Sonderopfer ab. Nun hätte ich noch Ver-tändnis, wenn Sie diese in dem Umfang abziehen wür-en, in dem in Deutschland private Vorsorge betriebenird. Denn in diesem Umfang sinken ja auch die Netto-öhne. Aber Sie gehen jetzt fiktiv von 100 Prozent derevölkerung aus, die private Vorsorge betreiben, obwohlas nur bei 15 Prozent tatsächlich der Fall ist. Das heißt,ie tun so, als würde die ganze Bevölkerung 4 Prozenthres Einkommens in die private Vorsorge einzahlen. Ichrophezeie Ihnen: Ihr Vorgehen wird vor dem Bundes-erfassungsgericht scheitern. Es ist sozialpolitisch unge-echt, dass man die Rentner zu einem Sonderopfer he-anzieht mit der Begründung, alle Menschen ineutschland würden private Vorsorge betreiben, obwohls bis zur Stunde nur 15 Prozent tun.
Ein weiterer Punkt ist die private Altersvorsorge.ch bin der tiefen Überzeugung, dass die Grundidee, dieesetzliche Rente durch eine private Vorsorge oder eineetriebliche Altersrente zu ergänzen, richtig ist. Nurüssen wir dies so gestalten, dass die Menschen es ver-tehen. Versicherungsberater fragen uns, wie dies und je-es, was Sie verabschiedet haben, zu verstehen ist, weilie und die Menschen, die sie beraten, es nicht verstehen.Um in Zukunft Altersarmut zu vermeiden, ist esringend erforderlich, die private Vorsorge in der Praxis
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Horst Seehoferendlich so zu gestalten, zu entbürokratisieren und zu de-regulieren, dass sie auch funktioniert. Die Menschenwerden eine solche Vorsorge nur betreiben, wenn sie dieInhalte und die Kriterien der privaten Vorsorge auch ver-stehen. Was Sie dazu vorschlagen, verdient den Namen„Entbürokratisierung“ nicht.
Ein nächster Punkt betrifft die familienpolitischenKomponenten. Natürlich wird unsere Alterssicherungwie die Sozialversicherung insgesamt primär durch So-zialversicherungsbeiträge gewährleistet. Sie greifen denGedanken des Bundesverfassungsgerichtes aber nichtauf, dass die Kindererziehung in Deutschland eine kon-stitutive Bedeutung für die Zukunft der Alterssicherungund der Pflegeversicherung hat. Deshalb verdient keineRentenreform diesen Namen, wenn in ihr die Tatsacheder Kindererziehung beim Beitrag und später bei derRentenhöhe nicht stärker berücksichtigt wird, als esheute der Fall ist.
Sie werden gleich ans Pult gehen und werden sagen,CDU und CSU seien sich nicht einig. Damit das hier ein-mal ganz klar ist: Wir sind uns hinsichtlich der Instru-mente, also darin, dass es beim Beitrag einen Kinderbo-nus geben muss und dass wir Kindererziehungszeitenetwas stärker berücksichtigen müssen – Stichwort Kin-derrente –, innerhalb von CDU und CSU völlig einig.
Wir denken aber darüber nach, wie wir das solide Finan-zierungskonzept zimmern müssen, damit diese Zusagegegenüber der Bevölkerung nicht nur heute und morgen,sondern auch übermorgen finanzierbar bleibt.
Das ist überhaupt nicht schlimm; denn Sie denkennicht einmal darüber nach, wie die Kinderkomponenteund wie die Familienkomponente verstärkt werden sol-len.
Dort, wo Sie nachdenken, nämlich in der Pflegeversiche-rung, mussten Sie den präsentierten Vorschlag wiederzurückziehen, weil er nicht umsetzbar war. Wir brauchenuns also überhaupt nicht zu verstecken. Das Thema istschwierig; das gebe ich zu. Wir werden aber in dennächsten Wochen eine absolut einheitliche Finanzie-rungskomponente von CDU und CSU vorlegen.
Die hier vorliegende Rentenreform, die mit dem un-zutreffenden Begriff „Nachhaltigkeitsgesetz“ bezeich-nrkRflgSMIwdADrsnDdWmRaNnKtisMt
ie haben sich sehr angestrengt zu überlegen, welchesindestrentenniveau man ins Gesetz schreiben kann.ch habe mir heute im „Stern“ Ihre aktuellen Umfrage-erte angesehen. Ihre Rentenpolitik – das werden Sie inen nächsten Monaten erleben – wird zu einem weiterenbstieg bei Ihren Umfragewerten führen.
eshalb möchte ich Ihnen raten: Denken Sie nicht da-über nach, wie Sie ein Mindestrentenniveau ins Gesetzchreiben können, sondern darüber, wie Sie ein Mindest-iveau bei Ihren Umfragewerten ins Gesetz schreiben.as wäre hilfreicher für Sie.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Dreßen
as Wort.
Herr Kollege Seehofer, Ihre Rede war erstens volleridersprüche. Einerseits haben Sie hier erklärt, dassan den künftigen Generationen sagen muss, dass dieente nicht mehr so hoch ist;
ndererseits haben Sie hier erklärt, dass Sie natürlich denettolohnzuwachs beibehalten wollen. Was stimmt dennun? Beides zusammen kann wohl nicht hinhauen.Zweitens darf ich Sie daran erinnern, dass in Ihrerommission davon gesprochen wird, dass Sie das Ren-enniveau auf 37 Prozent herunterdrücken wollen. Wasst nun richtig? Wir liegen immerhin bei 46 Prozent undagen: Der Staat muss wieder handeln.
Wenn Sie weiterhin behaupten, es gebe keine anderenöglichkeiten, das Rentenniveau auf 46 Prozent zu hal-en, dann darf ich Sie daran erinnern, dass wir zum Bei-
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Peter Dreßenspiel mit der Ökosteuer eine Möglichkeit geschaffen ha-ben, das Rentenniveau hoch zu halten.
Das haben Sie verurteilt. Daran darf ich erinnern. Ichdarf Sie auch daran erinnern, dass wir die Anerkennungvon Kindererziehungszeiten drastisch verbessert haben.Auch das verschweigen Sie völlig.
Ihre Rede bestand wirklich nur aus Schaum und Nie-dermachen. Ich habe überhaupt nicht gehört, wohin derWeg inhaltlich geht. Im Gegenteil, Ihre Rede war vollerWidersprüche.
Möchten Sie darauf antworten? – Bitte.
Frau Präsidentin, Unrichtigkeiten müssen sofort be-
richtigt werden, damit es richtig im Protokoll steht.
Erstens. Herr Kollege Dreßen, ich habe ausdrücklich
gesagt, dass eine Anbindung der Rentenanpassung allein
an die Entgeltentwicklung nicht funktioniert. Wir waren
die Ersten in Deutschland, die den Demographiefaktor
eingeführt haben, damit auch die Lebenserwartung be-
rücksichtigt wird.
Zweitens. Herr Dreßen, Sie stiften Verwirrung.
Vor drei Jahren sind Sie von einem Nettorentenniveau
von 67 oder 68 Prozent ausgegangen. In den letzten
Monaten haben Sie dann mit dem Bruttorentenniveau
gerechnet; es liegt nach Ihren Vorschlägen irgendwo bei
39 oder 40 Prozent. Jetzt geht es um ein steuerbereinig-
tes Nettorentenniveau. Da soll noch einer durchblicken!
Jetzt vergleichen Sie unser Bruttorentenniveau von
36 oder 37 Prozent mit Ihren 43 oder 46 Prozent. Das ist
ungefähr so, als würde man den Dreßen mit dem
Seehofer vergleichen. Das ist einfach falsch.
Das Bruttorentenniveau liegt bei uns von der Union
– ganz gleich, welche Konzeption – bei 36 oder 37 Pro-
zent und nach Ihrem Konzept bei 39 Prozent. Das ist
vergleichbar. Erwecken Sie nicht in der Öffentlichkeit
den Eindruck, zwischen dem von Ihnen und dem von
uns angepeilten Rentenniveau bestehe ein himmelweiter
Unterschied!
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Eine letzte Bemerkung zur Ökosteuer. Wenn Sie Ih-
en neuen Vorschlag von einem Rentenniveau von
6 Prozent ernst meinen, dann müssen Sie den Beitrag
uf annähernd 24 Prozent erhöhen. Dazu kommen die
rivate Vorsorge in Höhe von 4 Prozent und der Renten-
eitrag an der Tankstelle – die von Ihnen genannte Öko-
teuer – von 1,7 Prozent.
ie müssen einmal in aller Ruhe überlegen, ob die Men-
chen nach Ihren Vorstellungen wirklich einen Renten-
eitrag von 30 Prozent – davon sollen die Arbeitgeber
2 Prozent zahlen – zahlen sollen, um bis 70 zu arbeiten.
as ist nämlich die einzige Lösung, wenn Sie weder den
eitrag erhöhen noch das Mindestrentenniveau unterbie-
en wollen. Eine solche Politik, bei der die junge Genera-
ion in der Kombination von privater Vorsorge, gesetzli-
her Rente und Ökosteuer 30 Prozent für die Rente
ahlen muss – davon zahlt der Arbeitgeber 12 Prozent –,
einhaltet eine verheerende Botschaft an die junge Ge-
eration.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Biggi Bender.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wertererr Kollege Seehofer, Ihre Rede war unterhaltsam. Dasar aber das einzig Positive, was ich an ihr erkennenann. Ein Ausweis politischer Verantwortlichkeit in derpposition war sie nicht.
Was ist denn Sache? Das Einzige, was die Oppositionuf den Tisch legt,
st ein Antrag, die Entscheidung zu verschieben.
arum? Weil Sie sich nicht einig sind.
n der Koalition müssen sich zwei politische Familien ei-igen – und sie schaffen das. Wir haben ein Gesetz aufen Tisch gelegt, das wir heute verabschieden werden.ie wissen innerhalb der Fraktionsgemeinschaft vonDU und CSU immer noch nicht, was Sie wollen.
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Birgitt BenderNeulich haben Sie, Herr Seehofer, ein Konzept aufden Tisch gelegt, wonach die Rentenbeiträge auf Dauerbei 20 Prozent festgeschrieben werden sollten. Darüberkann man diskutieren. Aber Sie müssen sagen, welchesRentenniveau dabei herauskommt.
Es ist deutlich niedriger als das, das wir in unserem Ge-setz vorsehen. So ehrlich sollten Sie dann schon sein.
Das war der erste Akt.Jetzt kommt der zweite Akt dieses Dramas in der Op-position: der Entschließungsantrag der CDU/CSU, derheute vorliegt. Manchmal lohnt es sich, so etwas zu le-sen.
Darin steht nicht nur, man solle die Verabschiedung desGesetzentwurfs verschieben. Nein, es folgt ein Weih-nachtswunschzettel, wie die Rente aussehen soll. Darinheißt es, die Renten im Allgemeinen sollten höher sein.Sie lehnen nämlich die Abflachung des Rentenanstiegs,wie wir sie vorsehen, ab. Weiter steht darin, im Besonde-ren sollten die Renten von Müttern höher sein, die Fami-lien im Gegenzug aber weniger Beitrag zahlen – das gehtnicht auf.
Außerdem sollen die Anrechnungszeiten für Abitur undStudium erhalten bleiben.Meine Damen und Herren, das alles sind Leistungs-verbesserungen, über die sich viele Menschen freuenwürden. Es wäre auch schön, wenn man sie verwirkli-chen könnte. Nur haben Sie das Preisschild vergessen.Genauer gesagt: Sie haben es nicht hingehängt, weil Siesich nicht einig sind und überhaupt kein Finanzierungs-konzept haben: totale Fehlanzeige bei der Opposition!
Nehmen wir als Beispiel einmal die Berücksichtigungvon Kindererziehungszeiten in der Rente, von der Sie,Herr Seehofer, sagen, sie sei wichtig. Das sehen wir auchso.
Nur gibt es sie schon. Das wird aus Steuermitteln inHöhe von 12 Milliarden Euro finanziert, und zwar ausder Ökosteuer, die Sie am liebsten abschaffen wollen.Mit diesen 12 Milliarden Euro Ökosteuermitteln ermög-lichen wir es Müttern, drei Jahre lang auf Erwerbstätig-keit zu verzichten und bis zum zehnten Lebensjahr desKgsdggdiFSegdDSAhswstDmHnmeAvaDL
Man liest dann ja auch manches über die Differenzenn den Unionsparteien. Die 50 Euro Beitragsverzicht füramilien sollen nach Ihrer eigenen Aussage, Herreehofer, 5 bis 6 Milliarden Euro kosten. Außerdem solls eine verbesserte Anrechnung von Erziehungszeiteneben. Wenn ich einmal ganz knapp rechne, kämen Sieann auf einen Zusatzbedarf von 10 Milliarden Euro.azu kann ich nur sagen: Wo leben Sie denn? Wollenie die Milliarden über höhere Beiträge finanzieren?
us unserer Sicht verbietet sich dies. Wollen Sie sie überöhere Steuern finanzieren? Aus unserer Sicht verbietetich dies ebenfalls. Aber Sie müssten wenigstens sagen,ie Sie sie finanzieren wollen.
Wenn man es so macht wie Sie, Herr Seehofer, danntreut man den Menschen Sand in die Augen. Manäuscht die Leute.
er politische Knigge sagt auch für die Opposition, dassan so etwas nicht tun sollte. Es ist unverantwortlich,err Kollege Storm, wenn man den Leuten keinen rei-en Wein einschenkt, und zwar auch deswegen, weilan die Leute dann gerade nicht zur privaten Vorsorgermutigt.
ber wir wissen alle miteinander, dass genau diese pri-ate Vorsorge in Zukunft einen Teil der Alterssicherungusmachen muss.
afür muss man rechtzeitig etwas tun; das müssen dieeute wissen.
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Birgitt BenderDie Bevölkerungspyramide wird zu einer Zypresse,um es in ein Bild zu fassen. Angesichts einer steigendenZahl alter Menschen müssen wir über die Beitragsbelas-tung der Jüngeren reden. Es ist uns ein Anliegen – wirhaben es in diesem Gesetzentwurf verwirklicht –, dassdie übermäßige Belastung des Faktors Arbeit und derjüngeren Generation vermieden wird und die JüngerenSpielraum bekommen, um privat vorzusorgen. DieserSpielraum wird übrigens noch durch die sukzessiveSteuerfreistellung der Rentenbeiträge vergrößert. Dasheißt, unser Konzept ist in sich schlüssig und führt zudrei Säulen von Alterssicherung: der gesetzlichenRente, die in Zukunft weniger hoch als bisher ausfallenwird,
der Ergänzung durch eine betriebliche Altersvorsorgeund der Ergänzung durch eine private Vorsorge.Nun sagen Sie, Herr Seehofer, mit unserem Ände-rungsantrag hätten wir alles verändert. Sie können dochauch lesen. Die Architektur dessen, was wir hier einge-bracht haben, hat sich nicht verändert.
Es gibt eine Beitragsentwicklung von 20 auf 22 Prozent
und wir sind dem Vorschlag der Rentenversicherer ge-folgt, das sich daraus ergebende Rentenniveau als Siche-rungsziel zu verankern. Wenn Sie dies für so entsetzlichfalsch halten, dann sollten Sie sich einmal mit den Ren-tenversicherern unterhalten; vielleicht sind Sie fachlichnicht gut beraten.
Im Übrigen haben wir der Regierung den Auftrag ge-geben, regelmäßig zu berichten, uns dabei insbesondereden Zusammenhang von Rentenniveau und Lebens-arbeitszeit bzw. gesetzlichem Renteneintrittsalter dar-zustellen
und uns zu sagen, ob sie empfiehlt, das Renteneintrittsal-ter zu erhöhen. Meine Damen und Herren, jeder, derrechnen kann, weiß, dass ein höheres Rentenniveau dannzu erreichen ist, wenn man das gesetzliche Rentenein-trittsalter erhöht.
Hierüber muss man im Jahre 2008 und danach Entschei-dungen treffen. Von der Opposition habe ich zu dieserFrage noch gar nichts gehört.IhddRRGmacthussbWz–rthsHNwRnvdhd
nsofern sollten Sie sich einmal mit Ihrer Kritik zurück-alten.Schaut man sich im Übrigen die Schlachten an, die inen letzten Tagen in der Presse ausgetragen wurden,ann gewinnt man den Eindruck, der Mensch lebe vomentenniveau. Tatsächlich aber lebt der Mensch vomentenzahlbetrag. Wenn man das unter praktischenesichtspunkten betrachtet,
uss man sagen: Wichtig ist, dass die Rentenversichererb jetzt regelmäßig gute Renteninformationen verschi-ken. Dann wissen die Leute, was sie nicht etwa in abs-rakten Zahlen ausgedrückt, sondern konkret zu erwartenaben
nd wie sie vorsorgen müssen. Das wird ihr Vertrauentärken.Der Opposition muss man vorwerfen: Wer Luft-chlösser baut, könnte sich am Ende in einer Holz-aracke wiederfinden. Das wollen wir nicht.
ir Grüne wollen für die Menschen auch im Alter so-iale Sicherheit schaffen. Allerdings wollen wir sieauch das ist klar – bezahlbar gestalten. Deswegen füh-en wir jetzt eine Reform durch, durch die wir die Bei-ragsbelastung und das Rentenniveau in das richtige Ver-ältnis zueinander setzen. Meine Damen und Herren, ichtelle fest: Dazu hat die Opposition keine Alternative.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eute unternimmt die rot-grüne Koalition mit demachhaltigkeitsgesetz einen zweiten Versuch, eine Ant-ort auf die demographische Herausforderung für dieentenpolitik zu geben. An Versuch Nummer eins kön-en wir alle uns noch lebhaft erinnern. Er sollte, wie eson der linken Seite dieses Hauses hieß, eine Jahrhun-ertreform werden, hat aber gerade einmal drei Jahre ge-alten.Man sollte denken: Wer beim ersten Mal gefehlt hat,er wird sich beim zweiten Mal etwas mehr Mühe
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Dr. Heinrich L. Kolbgeben. Aber ich befürchte, auch der zweite Versuch wirdnicht gelingen. Zwar begrüßen wir, dass Sie mit demNachhaltigkeitsfaktor, den Sie jetzt in die Rentenfor-mel einführen wollen, den demographischen Faktor, derin der 13. Legislaturperiode eingeführt wurde und denSie 1998, kurz nach Ihrer Regierungsübernahme, glaub-ten abschaffen zu können, wieder aufgreifen. Auch dieOrientierung der Rentenanpassung an der Entwick-lung der beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelte isteine sinnvolle Maßnahme, die von uns mitgetragen wird.Aber darüber hinaus – das ist unser Kritikpunkt – fehltIhnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,der Mut, unbequeme Wahrheiten zu sagen. Auf Dauerkann man aber entschlossenes Handeln nicht durch Ge-setzeslyrik ersetzen.
Der Vorwurf der Gesetzeslyrik gilt beileibe nicht nurmit Blick auf die von Rot-Grün stark geplünderteSchwankungsreserve der Rentenkasse, die jetzt alsNachhaltigkeitsrücklage in Höhe von 1,5 Monatsausga-ben – das sind immerhin rund 23 Milliarden Euro – neuerblühen soll. Zudem bleibt in Ihrem Gesetzentwurf of-fen, wie dieses Geld zusammengetragen werden soll.Der Vorwurf der Gesetzeslyrik betrifft Sie vor allemin der Frage der Niveausicherung. Mit Staunen undKopfschütteln hat die Öffentlichkeit ja verfolgt, was sichbei Ihnen in diesem Punkt in den letzten Tagen abge-spielt hat. Da erkennt die zuständige Ministerin UllaSchmidt vollkommen richtig, dass die Ziele der Begren-zung des Beitragssatzanstiegs auf 22 Prozent und derGarantie eines Nettorentenniveaus vor Steuern in Höhevon 46 Prozent im Jahr 2030 miteinander unvereinbarsind.
Aber was passiert dann? Es melden sich die Grals-hüter des Sozialstaates, die SPD-Linke und die Gewerk-schaften, und erklären ultimativ ihren Widerstand gegeneine weitere Absenkung. Die Regierungsmehrheitscheint gefährdet. Man einigt sich auf eine wachsweicheAbsichtserklärung und versucht anschließend, der Öf-fentlichkeit weiszumachen, dass der Handlungsbedarfbei der gesetzlichen Rentenversicherung damit mindes-tens bis zum Jahre 2008 vom Tisch sei. Liebe Kollegin-nen und Kollegen von Rot-Grün, so lösen Sie die Pro-bleme der Rentenversicherung mit Sicherheit nicht.
Um es unmissverständlich auszudrücken: Wer dieAbsenkung des Rentenniveaus unter 46 Prozent nichtwill, darf heute keinen Nachhaltigkeitsfaktor beschlie-ßen. Denn nach geltendem Recht würde das Rentenni-veau im Jahr 2030 46,6 Prozent betragen, allerdings beieinem Beitragssatz von 23,8 Prozent. Der Nachhaltig-keitsfaktor – schauen Sie mal in Ihren Gesetzentwurf:Tabelle 1, Seite 35 – soll den Rentenanstieg ja gerade soweit dämpfen, dass im Jahr 2030 ein Beitragssatz von22 Prozent bei einem sich dann ergebenden Nettorenten-niveau von 43,2 Prozent erreicht werden kann. Das istein eindeutiger Zusammenhang. Darüber kann man nichtdSsspdNFjeWsvkDsaaatddvdnLtfcRdZntueecbsdVu
Frau Ministerin Schmidt, Sie wissen um diesen Zu-ammenhang. Dass Sie einer derart unverfrorenen Er-ressung aus den eigenen Reihen nachgeben, beweist,ass Sie als Ministerin nicht mehr in der Lage sind, dasotwendige zu tun.
rau Schmidt, Sie haben einen Amtseid geschworen. Dieetzt eingefügte Formulierung zur Niveausicherung istine vorsätzliche Irreführung der Versicherten.
enn sie heute mit der Mehrheit von Rot-Grün be-chlossen wird, sollten Sie die Konsequenzen ziehen undon Ihrem Amt zurücktreten.
So, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün,ann man das Vertrauen der Menschen nicht gewinnen.ie Menschen spüren durchaus die Notwendigkeit, dassich etwas verändern muss. Sie sind auch bereit dazu,ber sie wollen wissen, wohin die Reise geht und wasuf sie zukommt. Wenn Sie regieren wollen, müssen Sieuch den Mut und die Kraft haben, unbequeme Wahrhei-en auszusprechen.Es ist beileibe nicht so, Frau Kollegin Bender, dassie FDP nicht gesagt hätte, wohin wir wollen. Wir habenrei Änderungsanträge und einen Entschließungsantragorgelegt, in denen Sie sehr detailliert die Vorstellungener FDP-Bundestagsfraktion finden. Ich will Ihnen ei-ige Punkte nennen:Erster Punkt. Es ist unabdingbar, den Menschen imande die ganze Wahrheit über die Probleme der Ren-enversicherung zu sagen. Niemand kann eine Garantieür ein Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversi-herung abgeben. Die Wahrheit ist: Die gesetzlicheente hat den Charakter einer Lebensstandardsicherung,en sie in der Vergangenheit hatte, verloren und ist inukunft nur noch eine Basissicherung, die zwingend ei-er Ergänzung durch kapitalgedeckte private und be-riebliche Vorsorge bedarf.
Damit komme ich zum zweiten Punkt. Die steuer-nd sozialversicherungsfreie Entgeltumwandelungrlebt im Moment – im Gegensatz zur Riester-Rente –inen regelrechten Boom: 57 Prozent aller sozialversi-herungspflichtig Beschäftigten machen davon Ge-rauch; das zeigt übrigens, dass die Mehrheit der Men-chen sehr wohl verstanden hat, worum es geht. Umiese Dynamik aufrechtzuerhalten, soll nach unserenorstellungen die Sozialabgabenfreiheit für die Entgelt-mwandlung über das Jahr 2008 hinaus aufrechterhalten
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8657
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Dr. Heinrich L. Kolbbleiben; einen entsprechenden Änderungsantrag habenwir vorgelegt.Dritter Punkt. Das Finanzierungsproblem der gesetz-lichen Rentenversicherung wird durch die geringeErwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen deutlichverschärft. Das Altersteilzeitgesetz und auch der§ 428 SGB III haben zu dieser Entwicklung ganz we-sentlich beigetragen. Deswegen muss die Frühverren-tung, eine Subvention, die vor allem von Großunterneh-men zulasten der Beitragszahler genutzt wird, umgehend– unter Wahrung des Vertrauensschutzes – beendet wer-den; auch dazu gibt es einen Änderungsantrag.
Vierter Punkt. Das tatsächliche Renteneintrittsaltermuss auch dadurch angehoben werden, dass ältere Ar-beitnehmer wieder die Chance bekommen, eine Be-schäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu finden. Gegen-wärtig verhindern gut gemeinte, vermeintlich zugunstenvon älteren Arbeitnehmern eingeführte Regelungen ge-nau dieses. Wir schlagen vor, auf das Lebensalter alsKriterium für die Sozialauswahl bei betriebsbedingtenKündigungen zu verzichten und wir fordern die Tarifpar-teien auf, tarifvertragliche Senioritätsregelungen zu revi-dieren.
Fünfter Punkt. Durch frühe Einschulung, das Abiturnach zwölf Jahren, die Aussetzung der Wehrpflicht so-wie kürzere Ausbildungs- und Studienzeiten können dieBeitragszeiten auch ohne Anhebung der Regelalters-grenze, Frau Bender, verlängert und die Einnahmeseiteder Rentenversicherung verbessert werden.Sechster Punkt. Wenn die gesetzliche Rentenversi-cherung in Zukunft den Charakter einer Basissicherungannimmt, muss sie konsequent von versicherungsfrem-den Leistungen befreit werden. Ein Beispiel hierfür istdie Höherbewertung von Ausbildungszeiten. Wir wollendie jetzige Form der Bewertung mittelfristig – unterWahrung des Vertrauensschutzes – beenden. Dabei kannjetzt mit einem ersten Kürzungsschritt begonnen wer-den; ein entsprechender Änderungsantrag liegt vor.
Siebter Punkt. Ohne eine deutliche Verstärkung deswirtschaftlichen Wachstums werden alle Maßnahmennicht ausreichen. Es müssen sämtliche Alarmglocken indiesem Hause schrillen, wenn wir heute wieder lesenmüssen, dass das Wachstum im ersten Quartal 2004wahrscheinlich nur 0,1 Prozent betrug. Deswegen dürfenReformen nicht verschleppt werden, sondern sie müssenforciert werden. „Try harder“ genügt nicht, wir müssenwirklich mehr probieren als das, was bisher beschlossenist.Achter und letzter Punkt. Ein umlagefinanziertesSystem braucht Nachwuchs. Eine Steigerung der Ge-burtenrate könnte die Situation in der gesetzlichen Ren-tenversicherung deutlich entspannen. Eine Bestrafungkinderloser Bürger, wie sie die CDU/CSU vorgeschlagenhat, lehnen wir ab.AazgphKvgzgZgwhFwwHdIzHdRzaEsrss
Die FDP fordert stattdessen die Einführung einer ka-italgedeckten Kinderrente durch Umwidmung dereute schon für die Finanzierung der Anrechnung derindererziehungszeiten aufgewendeten Mittel in Höheon 11 Milliarden Euro im Bundeshaushalt.
Zusammenfassend: Rentenfragen sind Vertrauensfra-en. Deswegen muss beizeiten umgesteuert werden. Wireigen hier auf, in welche Richtung es aus unserer Sichtehen soll. Wir sind auf der Basis dieser Vorschläge zurusammenarbeit bereit und laden Sie herzlich dazu ein.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Lotz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Herr Seehofer, das was Sie uns hier geboten haben,ar sehr doppelzüngig. Außer der Definition von Nach-altigkeit war in Ihrer Rede nichts richtig.
Lassen Sie mich darstellen, was die Umsetzung derorderungen der CDU für die Rentenkassen bedeutenürde: Ein Beitragssatz von 20 Prozent, wie Sie ihnollen, würde bei den Leistungen zu Kürzungen inöhe von 20 Milliarden Euro führen. Sagen Sie dasoch auch!
hre Forderung nach Verbesserungen für die Beitrags-ahler mit Kindern würde zu zusätzlichen Ausgaben inöhe von 12 Milliarden Euro führen. Dann wollen Sie,ass man nach 45 Versicherungsjahren abschlagsfrei inente gehen kann. Das bedeutet 5 Milliarden Euro anusätzlichen Ausgaben. Rentenpolitik à la CDU bedeutetlso 20 Milliarden Euro an Kürzungen, 17 Milliardenuro an zusätzlichen Ausgaben – Leistungen würdenonst nicht finanziert werden können – und ein Netto-entenniveau von 41 Prozent. So viel zu Ihrer Politik.
Herr Kolb, wir packen das Notwendige an. Prognosenind Annahmen. Wir haben den Ehrgeiz, zu einer verbes-erten Annahme zu kommen.)
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Erika LotzLassen Sie mich nun etwas zu der heutigen Debattesagen. Natürlich wollen wir, dass Rentnerinnen undRentner nach wie vor an der Wohlstandsentwicklungteilhaben. Es muss aber auch die Finanzierung gesichertwerden. Dabei spielt die demographische Veränderungeine Rolle. Es muss aber auch dafür gesorgt werden,dass sich die Lohnnebenkosten nicht erhöhen; wir dürfensie nicht aus dem Auge verlieren. Deshalb führen wirden Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenformel ein. Da-bei wird das Verhältnis der Zahl der Beitragszahler zuder Zahl der Rentner berücksichtigt. Wenn sich das Ver-hältnis verschlechtert, wird dies bei der Rentenanpas-sung in Form einer Minderung ausgedrückt.Nun vertreten Sie nach wie vor Ihren Demographie-faktor. Ich erinnere deshalb an die Anhörung zu dem Ge-setzentwurf, den wir heute verabschieden werden. Eswurde ganz eindeutig gesagt, dass der Nachhaltigkeits-faktor dem Demographiefaktor überlegen ist. NehmenSie das bitte einmal zur Kenntnis.
Lassen Sie mich nun etwas zum Thema Niveausiche-rung sagen, das in den vergangenen Tagen eine großeRolle gespielt hat und das Sie auch nun wieder hervorho-len.
Wir von Rot-Grün haben 2001 zum ersten Mal ein Si-cherungsziel ausdrücklich im Gesetz verankert. Ich wie-derhole: Wir waren das. Ohne uns gäbe es keine Siche-rungsklausel. Zu Ihrer Zeit hieß es immer nur: Die Renteist sicher. Über die Höhe jedoch haben Sie sich ausge-schwiegen.Wir beschäftigen uns mit noch einer Erblast aus kon-servativer Regierungszeit, nämlich mit der Umsetzungdes Bundesverfassungsgerichtsurteils nach der schritt-weisen Einführung der steuerlichen Freistellung der Bei-träge für die Altersvorsorge und deren Besteuerung wäh-rend der Auszahlungsphase. Das führt dazu, dass dieBerechnung des Rentenniveaus so wie heute nicht mehrmöglich ist. Wir wollen aber nach wie vor ein sozialpoli-tisches Sicherungsziel festschreiben und umsetzen. Dasist für die Menschen wichtig. Deshalb wollen wir nichtnur die Festschreibung eines Beitragsziels
– Ihr Kollege hat keine Zwischenfragen zugelassen; ichverfahre auch so –, sondern daneben auch eine gleichbe-rechtigte sozialpolitische Größe, nämlich das Siche-rungsniveau. Das wollen wir aufnehmen. Ich denke, dasist richtig und schafft Vertrauen bei den Menschen.Wir haben die Riester-Rente geschaffen. Damit ha-ben wir den Menschen deutlich gemacht, dass sie einezusätzliche Altersvorsorge aufbauen sollen. Es ist wich-tig, dass das nach wie vor geschieht. Das bringen wirauch zum Ausdruck. Aber was ist denn falsch daran, da-nzfBuasbMUdEds5ldAgnESnDzvwßtwhOwuD
Wir haben den Ehrgeiz, dieses Ziel zu erreichen. Da-ür gibt es vielfältige Möglichkeiten. Wenn die Zahl dereschäftigten entgegen den Prognosen beispielsweisem 1 Prozent steigt, dann bedeutet dies letztendlich, dassuch das Rentenniveau um fast 1 Prozent steigt. Wennich der Anteil der Erwerbstätigkeit der Frauen erhöht,edeutet das eine Verbesserung. Wenn wir mehr ältereenschen in Arbeit bringen können und sich auch dienternehmen in dieser Hinsicht endlich bewegen, be-eutet das eine Erhöhung des Rentenniveaus.
s wäre besser, Sie würden uns dabei unterstützen, alsas Rentenniveau zu beklagen. Sie beklagen ja offen-ichtlich, dass wir diese Höhe festschreiben wollen.
Ich denke, Ihr Beitrag, nach dem beispielsweise über0-Jährige keinen Kündigungsschutz mehr erhalten sol-en, wenn sie eingestellt werden,
ient dieser Regelung nicht.
uch die Diskussion darüber, dass es keine Nachwirkun-en bei den Tarifverträgen mehr geben soll, wenn Unter-ehmer aus dem Arbeitgeberverband austreten, dient derrhöhung des Rentenniveaus und der Verbesserung derituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmericht.Sie hatten viel Zeit, um Alternativen zu erarbeiten.iese haben Sie aber offensichtlich nur bei den Medienugebracht, um zu kaschieren, dass Sie keine Alternati-en haben. Sie hätten die Zeit besser dazu verwandt,elche zu erarbeiten. Der vor uns liegende Entschlie-ungsantrag beinhaltet im Grunde nichts. Der Redebei-rag des Kollegen Seehofer hat bei mir den Eindruck er-eckt, dass er daran offensichtlich nicht mitgearbeitetat, sonst hätte er hier eine andere Rede halten müssen.
Noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen derpposition: Sie haben keine Alternativen. Von daheräre es doch nur richtig, wenn Sie unseren Vorschlägennd unserem Gesetzentwurf hier zustimmen würden.azu fordere ich Sie auf.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8659
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Hildegard Müller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollenheute über den Gesetzentwurf zur Sicherung der nach-haltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Ren-tenversicherung abschließend beraten. Das würden wirja gerne tun. Das, was Sie uns heute als so genanntesNachhaltigkeitsgesetz im zweiten Durchgang vorlegen,ist aber nun wirklich alles andere als nachhaltig.
Nach den Änderungen von gestern und vorgestern istes sogar noch weniger nachhaltig, als dies bereits in derersten Lesung der Fall gewesen ist. Die Finanzierungs-grundlagen sichert es nach den letzten Änderungenschon gar nicht mehr.Diese Feststellung muss man einfach treffen, wennman sich anschaut, zu welchem Ergebnis die Koalitionam Dienstag gekommen ist; denn Rot-Grün ist seitDienstag wieder ein Stück mehr vom Pfad der Renten-wahrheit abgerückt. Sie beharren nun doch darauf,gleichzeitig sowohl die Obergrenze für den Beitragssatzals auch die Untergrenze für das Mindestniveau zu be-stimmen. Das Ziel, das damit verfolgt wird, mag ja löb-lich sein. Sie wollen den freien Fall der Rente stoppen.Mit der Festschreibung allein stoppen sie ihn aber nicht.
Frau Lotz, Sie sagten gerade, Sie wollten die Verbes-serung der Annahmen. Schöner kann man es nicht for-mulieren. Sie wollen eine Verbesserung der Realität insGesetz schreiben, von der Sie genau wissen, dass sienicht eintreffen wird. Sie wissen schon heute ganz ge-nau, dass das Rentenniveau von 46 Prozent nicht zuhalten sein wird. Das hat die Ministerin und das habenauch Sie in den ersten Gesprächen über diesen Gesetz-entwurf immer wieder gesagt.
Durch Ihr Verhalten vergeuden Sie wertvolle Jahre. Weretwas abwarten möchte, von dem er ganz genau weiß,dass es sicher eintreten wird, der täuscht die Menschen.Das tun Sie mit diesem Gesetz.
Sie versuchen hier, uns die berühmte Quadratur desKreises zu verkaufen. Mit Ihrer Rechnung werden SieSchiffbruch erleiden; denn mit diesem Pseudonachhal-tigkeitsgesetz wird keine Klarheit geschaffen. Sie sorgenmit dem faulen Formelkompromiss vom Dienstag nurfür weitere Unsicherheiten bei den heutigen Beitragszah-lern und späteren Rentnern; denn diese müssen trotz derangeblich ach so honorigen Intervention des SPD-Kolle-gen Schmidbauer damit rechnen, dass das jetzt willkür-lasnw2dSmMus–wssbSWgalPwchSdldgSekmmij
Spätestens dann wird auch das Renteneintrittsalterieder zur Debatte stehen, an der sich Rot-Grün bis008 vorbeimogeln möchte. Erst danach wollen Sie sichamit wieder beschäftigen.
ie können den Menschen nicht von heute auf morgenitteilen, dass sich das Renteneintrittsalter ändert. Dieenschen brauchen in dieser Frage Planungssicherheit,m sich eventuell Alternativen, wie wir sie vorschlagen,chaffen zu können.
Frau Bender, Sie haben in den letzten Tagen immerieder gesagt, dass das Renteneintrittsalter heraufge-etzt werden muss. Schreiben Sie es doch in Ihren Ge-etzentwurf und werfen Sie uns nicht vor, was wir tunzw. nicht tun.
ie sind heute mit dem Aussprechen der angeblichenahrheit sehr deutlich gewesen. Dazu kann ich nur sa-en: Ihr Gesetzentwurf weist diese Deutlichkeit nichtuf.
Die vorliegenden Formulierungen lassen wirklich al-es offen. Herr Schmidbauer, Sie bekommen heute einlacebo, damit Sie Ihre Drohung zurücknehmen. Dasissen Sie auch und das nenne ich scheinheilig. Sie ma-hen das nur, um die Kanzlerdämmerung, die bei Ihnenerrscht, noch etwas aufzuhellen. Der Kanzler und auchie, Frau Ministerin, haben sich in der Vergangenheit iner Frage der Mindestsicherung mehrfach anders festge-egt. Sie können sich in Ihren eigenen Reihen nichturchsetzen, weil Sie die Abweichler nicht mehr bändi-en können.
eitdem feststeht, dass der Parteivorsitzende in Zukunftin anderer sein wird, ist in dieser Fraktion scheinbarein Halten mehr. Sie will mit ihrem heutigen Abstim-ungsverhalten ihren Kanzler und die Ministerin de-ontieren.
Auf keinen Pfeiler Ihres wackligen Rentengebäudesst Verlass. Bereits heute überschätzt ein Großteil derungen Leute das Niveau ihrer künftigen Ansprüche
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Hildegard Müllererheblich. Mit Ihrer Scheinsicherheit werden Sie dazubeitragen, dass die private Vorsorge weniger in An-spruch genommen wird, als es dringend notwendig wäre.Die Zahlen zur Riester-Rente sind diese Woche bekanntgeworden. Herr Riester, ich erkenne ausdrücklich an,was Sie damals versucht haben.
Aber wenn 3,5 Millionen Menschen keinen Antrag aufFörderung gestellt haben, dann kann man das nur alsVersagen auf ganzer Linie bezeichnen.
Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass noch einenweiteren wichtigen Punkt ansprechen: die Alterssiche-rung von Frauen. Schließlich führen wir diese Debattein der Woche, in der der Internationale Frauentag began-gen wurde, zu dem wir viel gehört haben. Aus meinerSicht muss es auch das Ziel einer nachhaltigen Renten-politik sein, die eigenständige Alterssicherung vonFrauen zu fördern und Familien angemessen zu berück-sichtigen. Daran verschwenden Sie in dem vorliegendenGesetzentwurf keinen einzigen Gedanken.In diesem „Nachhaltigkeitsgesetz“ rechnen Bundesre-gierung und Koalition an der Wirklichkeit von Frauen indiesem Land vorbei. Es gibt dazu keinen einzigen Vor-schlag. Wir alle wissen, dass Frauen mit Kindern in denmeisten Fällen keine durchgängigen Erwerbsbiografienhaben.
Das, was Rot-Grün ihnen früher an vermeintlichenWohltaten hat zukommen lassen, haben Sie den Frauenan anderer Stelle längst wieder weggenommen.
Tun Sie doch nicht so, als ob Sie in der Vergangenheit et-was für Frauen erreicht hätten.
Wir wissen auch, dass Frauen durchschnittlich weni-ger als Männer verdienen und viel häufiger in Teilzeit ar-beiten.
– Regen Sie sich doch nicht so auf, Frau Schaich-Walch.Denken Sie an die Gesundheitsreform und Ihren Blut-druck. –
Beides hat das Statistische Bundesamt in der vergange-nen Woche wieder bestätigt. Demnach verdienten weib-liche Angestellte im vergangenen Jahr durchschnittlich2 600 Euro brutto im Monat, also rund 30 Prozent weni-gAnKssCn–emstidsSE–wGbterzkFn
rsparen wir es dem Publikum, alles zu wiederholen.
Gestatten Sie mir, dass ich die Zwischenfrage so beant-orte, wie ich es für richtig halte. Danke schön für dieroßzügigkeit.
Zum anderen sind wir in unserem Antrag auf die Ver-esserung der Anerkennung von Familienerziehungszei-en sehr ausführlich eingegangen. Ich räume durchausin, dass es bei der Finanzierung in der einen oder ande-en Frage einen unterschiedlichen Ansatz gibt. Es gibtwei Wege, zu diesem Ziel zu kommen. Sie schlagen gareinen Weg vor.
Ich habe eben den durchschnittlichen Verdienst vonrauen erwähnt. Dieser schlägt sich in der Altersrenteieder. Während Männer im Westen etwa 1 157 Euro
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Hildegard Müllerund in den neuen Bundesländern 1 165 Euro erhalten,beträgt die Rente bei Frauen durchschnittlich nur593 Euro bzw. 706 Euro.
Bei solch niedrigen Frauenrenten ist es bei den Re-formvorhaben nicht verständlich, immer wieder von sogenannten Eckrentnern mit einer abhängigen Beschäfti-gung von 45 Jahren auszugehen. Zu diesem Aspekt habeich von Herrn Schmidbauer und den anderen Rebellen inder SPD-Fraktion bisher noch nichts gehört. Die Kroko-dilstränen vergießen bei Ihnen offenbar vorwiegendMänner. Es kommt noch hinzu, dass es Frauen sind, diemit der Erziehung von Kindern einen elementaren Bei-trag zur Fortdauer der umlagefinanzierten Rentenversi-cherung leisten.Angesichts der demographischen Entwicklung inDeutschland ist es ein Armutszeugnis, dass diese Faktenbei Ihrer angeblich so nachhaltigen Reform völlig ausge-blendet werden. Jetzt kommen Sie mir bitte nicht – dashaben Sie gestern im Ausschuss getan – wieder mit den4 Milliarden Euro für die Ganztagsschulen. Dafür kannsich keine Frau ein Stück Brot mehr kaufen.
Wir wissen doch alle, dass es Frauen besonders schwerfällt, zusätzliches Geld für die ergänzende private undbetriebliche Altersvorsorge zurückzulegen. Die von derBundesregierung erhoffte Inanspruchnahme der Riester-Rente durch Frauen bleibt auch weiter erheblich hinterdem notwendigen Maß zurück. Dies liegt einerseits ander Ausgestaltung, andererseits aber auch am fehlendenfinanziellen Spielraum von Frauen. Statt aber hier be-sonderen Reformbedarf zu sehen, nutzt die Bundesregie-rung diese Situation der Frauen sogar noch aus, um ihrenachlässige Politik zu rechtfertigen. Ich darf Sozialministerin Schmidt zitieren. Im „Han-delsblatt“ war zu lesen:Wer, wie viele Frauen, wenig Rente hat, ist vom hö-heren Kassenbeitrag auf Betriebsrenten gar nichtoder kaum betroffen.Wenn man das liest, könnte man glatt den Eindruck ge-winnen, dass Frauen für ihre niedrigen Renten auch nochdankbar sein sollen. Wir können den Rentnern dem-nächst auch noch die ganze Betriebsrente wegnehmen.Dann sind sie gar nicht mehr von Kürzungen betroffen.
Frau Ministerin, Sie haben den Frauen überhauptkeine Perspektive geboten. Sie sagen, Sie müssten dafürsorgen, dass die Belastungen zwischen den Generationengerecht verteilt werden. Das tun Sie aber nicht, sondernSie gaukeln der jungen Generation vor, das Rentenni-veau werde höher sein, als es der Fall sein wird, was Sieaufgrund der Berechnungen wissen. Sie schließengleichzeitig eine Erhöhung des Renteneintrittsalters aus,müssen aber wahrscheinlich von heute auf morgen sa-gen, dass das Renteneintrittsalter doch erhöht werdenmuss. Genau dies, Frau Ministerin, kritisieren wir andem vorliegenden Gesetz. Für Frauen und die junge Ge-ntessnghtehFdrKsewcgwhsDscteeSSdsdSSFdnbsu
aben wir beschlossen, dass sich die Kindererziehungtärker als bisher bei der Rentenhöhe auswirken soll.as soll auch für die Zeit vor 1992 gelten, Ihre Vor-chläge beziehen sich nur auf die Zeit danach. Wir brau-hen eine Familienkomponente in der gesetzlichen Ren-nversicherung und den verstärkten Aufbau einerigenständigen Alterssicherung für Frauen. Frau Lotz,ie wissen, dass unsere Konzepte durchgerechnet sind.ie können noch so oft nach dem Geld schreien.Die Lebenswirklichkeit der Frauen in Deutschland,ie im Wahlkampf 2002 immer so betont worden ist,piegelt sich in Ihren Rentenplänen jedenfalls nicht wi-er.
Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Ullachmidt.
Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit undoziale Sicherung:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rau Müller, es gehört schon einiges dazu, wenn jemand,er wie Sie die Gewerkschaften bekämpfen, die Arbeit-ehmerrechte einschränken, den Niedriglohnsektor un-egrenzt fördern und das Recht auf Teilzeitarbeit be-chneiden will und der die Privatisierung der Renten-nd der Krankenkassen immer dann fordert, wenn die
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Bundesministerin Ulla Schmidtprivate Versicherungswirtschaft dafür eintritt, hier fürdie Frauen Partei ergreift. Das ist ein starkes Stück. Dasmuss hier einmal erwähnt werden.
Ich erinnere an die Worte des Geschäftsführenden Di-rektors des Internationalen Währungsfonds, HorstKöhler, der jetzt Ihr Kandidat für die Wahl des Bundes-präsidenten ist. Er meinte, Bundeskanzler Schröder habemit der Agenda 2010 den richtigen historischen Schrittzurückgelegt.
Sie sollten sich diese Worte zu Herzen nehmen, meineDamen und Herren von der Opposition;
diese Äußerung ist nicht steinalt. Er hat das vor einerWoche und damit etwa ein Jahr, nachdem der Bundes-kanzler in diesem Haus die Agenda 2010 vorgestellt hat,gesagt. Zentrale Teile der Agenda 2010 sind die Gesund-heits- und die Rentenreform. Über letztere entscheidenwir heute.Unser Land braucht das Nachhaltigkeitsgesetz. Denndamit werden drei unserer zentralen Anliegen verwirk-licht.Erstens. Die gesetzliche Rentenversicherung bleibtfür die Beschäftigten bzw. die Beitragszahler bezahlbar.Zweitens. Das Gesetz schafft Verlässlichkeit für dieheutigen wie die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner.Drittens. Das Gesetz begünstigt die wirtschaftlicheDynamik und ist eine wichtige Voraussetzung, damitmehr Investitionen in die Zukunft getätigt werden undWohlstand erzielt werden kann.
Der Gesetzentwurf beinhaltet notwendige Verände-rungen. Es ist nicht immer einfach, diese nach außen zuvertreten, weil notwendige Veränderungen auch immerbedeuten, dass Liebgewordenes verändert oder auch auf-gegeben werden muss.
Aber wir müssen den Sozialstaat durch seinen Umbau si-chern. Wir müssen heute Veränderungen vornehmen, da-mit wir ihn für morgen bewahren können. Das ist dieAufgabe, vor der wir jetzt stehen und der wir uns stellen.
Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischen-frage des Kollegen Storm?SAwiWnDtgMuwrbzShujuJdkzDBRsdhnVwdbcRSs
amit ist der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ers-ens auch ein Bekenntnis unsererseits zur solidarischenesetzlichen Rentenversicherung, die wir nicht zur reinenakulatur verkommen lassen wollen wie die Kollegennd Kolleginnen von der CDU/CSU und der FDP. Wirollen vielmehr, dass die gesetzliche Rentenversiche-ung auch in Zukunft die Hauptsäule der Alterssicherungleibt, weil sie sich bewährt hat und weil umlagefinan-ierte Rentensysteme gegenüber rein kapitalgedecktenystemen ihren Wert haben.
Zweitens. Kernelement dieser Reform ist der Nach-altigkeitsfaktor. Er beeinflusst den Anstieg der Rentennd stellt, anders als der demographische Faktor, auf daseweils aktuelle Verhältnis zwischen Beitragszahlendennd Leistungsempfängern und -empfängerinnen ab.Ich glaube, die uns allen bekannte Tatsache, dass imahr 2030 auf jeweils einen Rentner oder eine Rentnerin,ie Leistungen empfangen, zwei aktiv Erwerbstätigeommen, die die Leistungen erwirtschaften müssen,eigt, dass ein solcher Faktor sehr wohl notwendig ist.er Faktor wirkt sehr generationengerecht. Wenn daseschäftigungsvolumen kleiner wird, dämpft er denentenanstieg. Wenn es aber gelingt, die Zahl der Be-chäftigten zu erhöhen, wirkt er sich positiv aus, weilann auch die Rentenzuwächse für die ältere Generationöher sind.
Deswegen ist der Nachhaltigkeitsfaktor meiner Mei-ung nach das beste Steuerungselement unter vielenorschlägen, die in den vergangenen Jahren gemachtorden sind. Er bewirkt zweierlei. Er trägt dazu bei,ass die Rentnerinnen und Rentner am Wohlstand teilha-en können. Aber in Zeiten der konjunkturellen Schwä-he oder einer hohen Arbeitslosigkeit dämpft er denentenanstieg und damit die Höhe der Beiträge.
o wirkt er auf mehr Beschäftigung hin und verhindertie nicht.
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Bundesministerin Ulla SchmidtDrittens. Mit dem Gesetz sorgen wir dafür, dass dieBeiträge bezahlbar bleiben. Wir machen das sehr be-wusst; denn wir wollen, dass die jetzige junge Genera-tion und auch die künftigen Generationen Spielräumehaben. Wir wissen, dass die gesetzliche Rentenversiche-rung allein keine lebensstandardsichernde Funktion ha-ben wird. Sie wird zwar die stärkste Säule sein. Aber wirsagen der jungen Generation sehr klar und deutlich: Ihrmüsst neben der gesetzlichen Rentenversicherung einekapitalgestützte Säule – betrieblich oder privat bzw. be-trieblich und privat – aufbauen, um ein hohes Leistungs-niveau zu erhalten.
– Dazu sage ich gleich etwas.Wir haben, ausgehend von den heutigen Zahlen, klargemacht, wohin wir gehen wollen. Wir wollen, dass imJahr 2020 der Beitragssatz nicht über 20 Prozent – dieseZielvorgabe dämpft den Beitragssatzanstieg bereits vor-her – und das Rentenniveau bei 46 Prozent liegt. Wennnichts geschieht, werden im Jahr 2030 der Beitragssatzbei 22 Prozent und das Rentenniveau bei 43 Prozent lie-gen. Aber, Kollege Kolb – hier unterscheiden wir unsvielleicht von vielen anderen in diesem Hohen Haus –,wir wollen auch, dass die jüngere Generation selber ent-scheiden und handeln kann. Wir haben Spielräume eröff-net. Ein Gesetzgeber ist doch gut beraten, wenn er allevier Jahre einen Bericht vorlegt, in dem er deutlichmacht, wie sich das Niveau auf Basis der jeweils aktuel-len Zahlen entwickeln wird.Wenn die jüngere Generation ein höheres Min-destrentenniveau haben will, dann hat sie eine ganzeReihe von Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, fürmehr Beschäftigung zu sorgen; denn 1 Prozent mehr Be-schäftigung bedeutet auf der Grundlage der heutigenZahlen eine Anhebung des Rentenniveaus um fast1 Prozent. Die zweite Möglichkeit ist, über die Herauf-setzung des Renteneintrittsalters steuernd einzugreifen.
Wir nehmen uns nicht das Recht heraus, heute end-gültig zu entscheiden, wie die Generation nach uns lebenund wie viel sie zu ihrer Alterssicherung beitragen soll.Das soll sie selber entscheiden. Dafür legen wir heuteden Grundstein.Wir machen etwas, von dem Sie zwar immer geredet,das Sie aber nie geschafft haben. Wir wollen das realeRenteneintrittsalter an das gesetzliche Renteneintritts-alter heranführen. Wir wollen des Weiteren Schluss da-mit machen, dass Unternehmen in Deutschland ihre Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer zulasten derRentenversicherung entlassen.
Wir wollen die Frühverrentung nach Arbeitslosigkeitund Altersteilzeit stoppen. Wir wollen hier ein Zeichensetzen; denn wir dürfen es nicht hinnehmen, dass inDeutschland die Beschäftigungsquote bei den 60- bis64-Jährigen nur noch bei 22 Prozent liegt. Nur noch je-dnwBDSddCnksdMdfflgUTeddsdaVgvszAdZhsdvzDgzm
Dies sind Ziele, die wir auch mit dem Nachhaltig-eitsgesetz erreichen wollen. Die besten Möglichkeitenind nun einmal gut bezahlte Jobs, mehr Investitionener Unternehmen – und zwar auch für Frauen, Frauüller –, gute Rahmenbedingungen, hervorragende Bil-ungs- und Ausbildungsmöglichkeiten – und diese auchür Frauen, Frau Müller – sowie eine hohe Wettbewerbs-ähigkeit der Unternehmen.Herr Kollege Seehofer – Sie haben hier einiges darge-egt –, hätten Sie einmal das gesagt, was Sie letztens ge-enüber der „Frankfurter Rundschau“ geäußert haben:nsere Parteien sind noch nicht so weit, dass sie dashema Rente überhaupt behandeln können. Seien Siehrlich: Sie wollen die Themen „Pflege“ und „Rente“ iniesem Jahr nicht behandeln, weil Sie den Menschenann endlich die Wahrheit sagen müssten. Sie stellenich hierhin und behaupten: Bei Ihnen sind die Rentnerie Lastesel. Ich möchte nur ganz kurz erwähnen, wasuf die Rentner und Rentnerinnen zukommt, wenn Ihreorstellungen Wirklichkeit werden:Erstens. 20 Milliarden Euro an Renten werden weni-er ausgezahlt, weil Sie eine Begrenzung von 20 Prozentorsehen.Zweitens. Es gibt keine Förderung der privaten Vor-orge. Sie haben nämlich noch nie ein brauchbares Kon-ept zum Aufbau einer betrieblichen oder einer privatenltersvorsorge vorgelegt.
Drittens. Sie haben kritisiert, dass der Beitragssatz iner Pflegeversicherung für Rentner und Rentnerinnen inukunft bei 1,7 Prozent liegt, also 0,85 Prozentpunkteöher als bisher sein wird. Er wird damit genauso hochein wie der für Erwerbstätige. Sagen Sie den Menschen,ass Sie einen Anstieg des Beitragssatzes in der Pflege-ersicherung bis 2010 auf 3,4 Prozent vorsehen, undwar ohne verbesserte Versicherungsleistungen.
anach soll es nur noch private Pflegeversicherungeneben und jeder Einzelne soll 66 Euro pro Monat dafürahlen! Nehmen Sie Ihre Parteitagsbeschlüsse doch ein-al ernst!
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Bundesministerin Ulla SchmidtHinzu kommen soll ein Krankenkassenbeitrag von200 Euro, ohne dass damit Zahnbehandlungen versichertsind. Für die Versicherung der Zahnbehandlung fallenpro Monat noch einmal 50 Euro an.Man kann über vieles streiten. Hier tun Sie so, als wä-ren Sie das soziale Gewissen der Nation, während Sieauf Ihren Parteitagen gleichzeitig wie soziale Despera-dos agieren. Das ist die Wahrheit.
Wir sagen: Da sich die ökonomischen und die demo-graphischen Bedingungen gewandelt haben, brauchenwir Veränderungen. Wir wollen aber nur so viel Verän-derungen wie nötig und so viel soziale Sicherheit wie ir-gend möglich. Das ist unser Konzept.Vielen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Daniel
Bahr das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Ministerin Schmidt, Sie haben
in Ihrer Rede von Verlässlichkeit gerade gegenüber der
jungen Generation gesprochen. Sie haben in Ihrer gan-
zen Rede nicht einen einzigen Punkt formuliert, der für
die junge Generation Verlässlichkeit bedeutet. Sie ge-
hen von einem Rentenbeitrag von 22 Prozent aus. Sie
selbst sagen, dass damit ein Rentenniveau von nur
43 Prozent erreicht werden kann. Gleichzeitig sagen Sie,
dass Sie alle Maßnahmen ergreifen wollen, damit ein
Rentenniveau von 46 Prozent erreicht werden kann. Wo-
rauf kann sich die junge Generation denn jetzt verlassen?
Dieses Gesetz leistet doch keinerlei Beitrag zu Verläss-
lichkeit in der Planung. Sie versuchen, eine Politik gegen
die Gesetze der Mathematik zu machen. Mit einem Bei-
tragssatz von 22 Prozent wird ein Rentenniveau von
43 Prozent nicht erreichbar sein.
Sagen Sie der jungen Generation endlich, welche Maß-
nahmen Sie ergreifen wollen, damit ein höheres Niveau
erreicht werden kann!
Herzlichen Dank.
Frau Ministerin Schmidt, Sie haben das Wort zur Er-widerung.Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit undSoziale Sicherung:Erstens. Herr Kollege Bahr, wir sagen den jungenMenschen: Unser Ziel ist, die Beitragssätze stabil zu hal-tgdnetsddddmgtB2Ddszd–sWdlDbednttbegdArin
as Sicherungsniveau – dieses stellt eine Warnlampe fürie Regierung dar, Herr Kollege Kolb; wenn es unter-chritten wird, muss sie handeln – wird 2020 bei 46 Pro-ent und 2030 bei 43 Prozent vor Steuern liegen.Dann kommt es darauf an, an den Stellschrauben zurehen.
Habe ich Ihnen vorhin genannt! – 1 Prozent mehr Be-chäftigung bedeutet – das müsste doch Ihr liberalesirtschaftsherz höher schlagen lassen –,
ass das Rentenniveau ungefähr 1 Prozentpunkt höheriegt.
as können Sie nachrechnen, Herr Kollege Kolb. Dane-en werden wir ab 2008 alle vier Jahre dem Bundestaginen Bericht vorlegen,
er sich mit diesen Fragen auseinander setzt und Maß-ahmen vorschlägt. Dann wird der zukünftige Bundes-ag darüber entscheiden, welche Maßnahmen noch un-ernommen werden müssen.
Noch einmal zu dem Mindestsicherungsniveau: Da-ei handelt es sich nicht um eine Mindestrente, sonderns bedeutet, dass der Gesetzgeber, wenn in der langjähri-en Vorausschau dieses Niveau unterschritten wird, han-eln muss. Dann geht sozusagen eine Warnlampe an.ber ein Niveau von 43 oder 46 Prozent – das ist egal –eicht nicht aus, um den Lebensstandard zu sichern. Dasst das Entscheidende. Das müssen wir der jüngeren Ge-eration sagen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8665
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Bundesministerin Ulla Schmidt
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerald Weiß.
Gerald Weiß (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Ministerin, schon der Name Ihres Geset-zes, Rentennachhaltigkeitsgesetz, beinhaltet eine Lüge.
Das Einzige, was wirklich nachhaltig ist, ist das Renten-chaos, das Rot-Grün seit Jahr und Tag ungebrochen undfortgesetzt produziert.
Rentenpolitik braucht Verlässlichkeit. Das Einzige,worauf man sich bei Ihnen verlassen kann, ist die Unbe-rechenbarkeit. Die Rentnerinnen und Rentner werdendurch Minusrunden geschädigt. Sie bekommen in diesenTagen ihre traurigen Bescheide. Darin wird die erste Mi-nusrunde seit 1957 verkündet. Für diesen Vertrauens-bruch ist einzig und allein Ihre Politik, Frau Ministerin,verantwortlich. Sie werden den Rentenbericht 2008 tod-sicher nicht als Ministerin diesem Hause vorlegen kön-nen.
Die Rentnerinnen und Rentner fühlen sich im Stichgelassen. Rentenpolitik braucht Vertrauen. Das Einzige,worauf man bei Ihnen vertrauen kann, ist, dass eineStück- und Flickwerkreform die nächste jagt: alle Jahreeine Jahrhundertreform, eine schlechter als die andere.Ein Gesamtkonzept ist nicht erkennbar, geschweigedenn ein zukunftsfähiges, schon gar nicht eines, das zueinem sachgerechten, Erfolg versprechenden Ansteigender kapitalgedeckten privaten Vorsorge weiterführendbeiträgt, Frau Ministerin.Rentenvertrauen basiert auf Rentenwahrheit. Was Sie,Frau Schmidt, hier machen, stellt den nächsten Betrugsowohl an der Rentnergeneration als auch an der jungenGeneration dar.
Was sagen Sie dem jüngeren Menschen, der 2030 inRente geht: 46 Prozent oder 43 Prozent Rentenniveau?Und was sagen Sie dem Arbeitnehmer, den Sie mit demRentenversicherungsbeitrag nicht überfordern wollen,wie Sie eben gesagt haben? Wenn Sie demjenigen, der2030 in Rente geht, ein Renteniveau von 46 Prozent unddem Arbeitnehmer einen Beitrag von maximal 22 Pro-zent versprechen, sagen Sie vorsätzlich die Unwahrheit,Frau Ministerin.
DrsadmnnndR1m1dKazdWRfsnwnSrlkDsbhhvSGNevEgNgdww
Rentenvertrauen baut auf Klarheit und Sicherheit. Dieeue Rentenformel ist eine Fehlkonstruktion. Kaum einormaler Mensch durchschaut ihre Wirkungen. Sie öff-et willkürlichen Eingriffen Tür und Tor. Sie ist weitavon entfernt, eine Vertrauensformel zu sein. Deriester-Faktor gilt fort. Er ist missglückt; denn er setzt5 Prozent der Inanspruchnahme der privaten Vorsorgeit ihrer Anrechnung auf die Rentensteigerung für00 Prozent. Der eine Dämpfer wirkt fort und ein neuer,er Nachhaltigkeitsfaktor – späte Frucht einer spätenanzlererkenntnis –, wird draufgesetzt.Das führt zum nächsten Punkt. Rentenvertrauen bautuf Gerechtigkeit. Wir, die Union, wollen Gerechtigkeitwischen den Generationen und Gerechtigkeit innerhalber Generationen.
enn Sie jetzt einen Doppeldämpfer – missglückteriester-Faktor plus Nachhaltigkeitsfaktor – einführen,ührt das zu einer Doppelbelastung; es führt für dieechsfach gebeutelten Rentnerinnen und Rentner zu ei-em weiteren Sonderopfer, das Sie ihnen ungerechter-eise zumuten.Ungerecht ist auch die Abschaffung der Anrech-ungszeiten von Schule und Studium. Warum habenie hier nicht den Weg gewählt, den die Rentenversiche-ungsträger Ihnen angedient haben? Das wäre ein sach-ich besserer, gerechterer und bei gleicher Einsparwir-ung schonenderer Weg.Auch den Jüngeren wird dieses Gesetz nicht gerecht.er Barwert dessen, was ein Beitragszahler im Laufeeines Erwerbslebens in die Rentenversicherung zahlt,eträgt 100 000 Euro. Heraus bekommt er – als Erzie-ender mit Kind – 11 Prozent. Das heißt, das Missver-ältnis zwischen dem, was Erziehende für das Renten-ersicherungssystem leisten, und dem, was sie aus demystem zurückbekommen, ist riesig. Wir brauchen mehrerechtigkeit für Familien und Erziehende.
iemand kann behaupten, dass ein Gesetz, das in diesemntscheidenden Punkt die Familiengerechtigkeit nichterbessert, ein Nachhaltigkeitsgesetz ist. Wir müssen dierziehungsleistungen in der Rente stärker berücksichti-en und deshalb müssen Erziehende im Vergleich zu denichterziehenden schon in der Erziehungsphase besserestellt werden.In Ihrem Gesetzentwurf gibt es keinen Ansatzpunktafür – das ist der Grundmangel des vorliegenden Ent-urfs –, den Zweigenerationenvertrag zu einem – not-endigen – Dreigenerationenvertrag auszubauen.
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8666 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Gerald Weiß
Deshalb ist Ihr Gesetz gestrig und unmodern. Die CDU/CSU wird einem gestrigen, unmodernen und nicht nach-haltig wirkenden Gesetz ihre Zustimmung nicht geben.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch
zwei kurze Redebeiträge. Es wäre gut, wenn etwas Ruhe
einkehren würde, damit wir sie noch hören können. –
Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass Sie so zahlreich zu meiner Rede er-
schienen sind.
Selten wurde so viel über die Rente diskutiert wie in
den letzten Monaten. Selten wurde dabei so fromm gelo-
gen wie in den letzten Wochen. Selten wurde dabei so
forsch von Reformen gesprochen wie heute. Sie können
es drehen und wenden, wie Sie wollen: Sie kürzen und
streichen. Sie drücken sich vor wirklichen Reformen.
Mit diesem Gesetz treffen Sie vor allem die Armen und
Bedürftigen. Dazu sagt die PDS Nein.
Nun haben Sie in das Rentenversicherungs-Nachhal-
tigkeitsgesetz eine Niveausicherungsklausel einge-
baut. Allein für diese Wortungetüme müsste man die
Schöpfer geißeln. Wie dem auch sei: Eine Niveausiche-
rungsklausel im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeits-
gesetz soll verhindern, dass die Renten ungebremst auf
Talfahrt gehen. Das ändert aber nichts an meiner grund-
sätzlichen Kritik am Gesetzeswerk. Es geht unter dem
Strich um Rentenklau, wie es auch die Volkssolidarität in
dieser Woche erklärt hat.
Natürlich kann das Rentensystem nicht mehr so funk-
tionieren, wie es einmal gedacht war. Wir sind inzwi-
schen im 21. Jahrhundert. Es liegt auf der Hand, dass die
Sozialsysteme auf neue Füße gestellt werden müssen.
Was Sie aber vorhaben, erinnert mich sehr an das sprich-
wörtliche Experiment eines Bauern. Dieser Bauer wollte
eine Kuh züchten, die ohne Futter auskommt. Stück für
Stück kürzte er die Rationen, bis die Kuh auf Nulldiät
war. Neugierig fragte ein Nachbar: „Klappt’s?“ – „Bes-
tens“, meinte stolz der Bauer, „bis auf eine Kleinigkeit:
Die Kuh spielt nicht mehr mit. Sie ist längst verstorben.“
Genau so gehen Sie mit Ihrer Rentenreform vor. Sie
entziehen dem System zwei lebenswichtige Nährstoffe:
die Solidarität und die Sozialpflicht der Unternehmer.
Übrig bleibt Magerkost. Wer mehr braucht, muss zuzah-
len oder muss sehen, wo er bleibt.
Ich habe Ihnen schon vor Wochen hier vorgerechnet,
dass Sie – sowohl Sie von der Koalition als auch Sie von
der CDU/CSU, die FDP ohnehin, wenn es um die Rente
geht – im Übrigen falsch Zeugnis reden. Sie behaupten
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as ist der Unterschied.
Nun haben wir es mit drei Großproblemen zu tun: der
nhaltenden Massenarbeitslosigkeit, der demographi-
chen Entwicklung und einer veränderten globalisierten
irtschaftswelt. Es ist völlig klar, dass diese drei Fakto-
en Auswirkungen auch auf das Rentensystem haben.
ur sind Ihre Antworten eindimensional und einseitig.
ie rechnen die demographische Entwicklung hoch
nd runter. Sie blenden aber die Massenarbeitslosigkeit
us, als sei sie Gott gegeben. Sie beklagen die Neben-
osten der Unternehmen. Sie denken aber nicht über
lternativen der Finanzierung von dieser Seite nach und
ie greifen sich die Schwächsten heraus, anstatt die Star-
en in die Versicherungssysteme einzubeziehen.
Eine Reform würde umgekehrt aussehen. Durch sie
ürden Besserverdienende in die allgemeine Renten-
asse einbezogen. Durch sie würde eine Grundsicherung
ür alle eingeführt werden sowie der Arbeitgeberanteil
om Lohn abgekoppelt und an die Wertschöpfung ange-
ockt werden. Man wäre außerdem darauf bedacht, dass
ie gerecht und solidarisch ist. Sie aber entlassen die Un-
ernehmen Stück für Stück aus ihrer Verantwortung und
undern sich dann, wenn Ihnen der Beifall für Ihre Re-
ormen versagt bleibt.
Sie werden heute die Renten kürzen und wohl mög-
ich wird der Bundeskanzler in seiner nächsten Rede wie
etztens bei der Praxisgebühr klagen. Vor Spitzenunter-
ehmern sagte er nämlich: Ich verstehe gar nicht, wie
an aus 10 Euro eine Schicksalsfrage machen kann. Ge-
au das, liebe, teure Genossen von der SPD, ist ein Teil
nseres Problems. Sie verstehen nicht mehr, was im
and los ist.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Karstenchönfeld.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8667
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Weiß, wer 16 Jahre getönt hat: „Die Ren-
ten sind sicher“, sollte uns nicht von diesem Pult aus der
Lüge bezichtigen.
Nicht nur aus dem, was Sie uns in den letzten Wochen
und Tagen vorgelegt haben – oder auch nicht vorgelegt
haben –, sondern auch aus dem, was Sie heute von die-
sem Pult aus gesagt haben, ist deutlich geworden: Sie
können es nicht besser. Sie haben keine Alternativen zu
den Vorschlägen, die wir vorlegen.
Sie werfen uns vor, dass wir keine verlässlichen Zah-
len für die nächsten Jahre und Jahrzehnte liefern. Das
Gegenteil stimmt. Wir haben ein verlässliches Werk vor-
gelegt, sodass wir heutigen und kommenden Generatio-
nen sagen können, wie das Rentenniveau in 20 und in
30 Jahren aussieht.
Sie haben es sich leicht gemacht: Sie haben im Rahmen
der Herzog-Kommission gefordert – Sie haben das hier
wiederholt –, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent
steigt. Ein löblicher Gedanke! Aber dann sagen Sie doch
auch, wie hoch in diesem Fall das Rentenniveau ist! Sa-
gen Sie, dass Sie ein Rentenniveau von weniger als
37 Prozent anstreben!
Sie dürfen den Menschen nicht auf der einen Seite posi-
tive Zahlen versprechen und auf der anderen Seite die
Hälfte der Wahrheit weglassen.
Das betrifft zum einen die Beitragssätze und zum ande-
ren das Rentenniveau und auch die Lebensarbeitszeit.
Wir haben Lösungsvorschläge vorgelegt, damit die
heute arbeitende Generation keine Angst vor dem Alter
haben muss. Wir haben Vorschläge dafür vorgelegt, dass
die heute arbeitende Generation zukünftig selbst ent-
scheiden kann, wann sie ihren Renteneintritt vorsehen
will. Wir passen die gesetzliche Rentenversicherung an
veränderte Rahmenbedingungen an. Gleichzeitig haben
wir die Möglichkeiten für eine private Zusatzversorgung
verbessert. Wir haben die Riester-Rente eingeführt und
werden sie weiter stärken. Zudem verbessern wir die
Möglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung.
Wir schaffen heute Klarheit über die Zukunft der gesetz-
lichen Rentenversicherung.
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2)
Ich schließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grüneningebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung derachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichenentenversicherung, Drucksache 15/2149. Es liegenehrere Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 dereschäftsordnung vor, und zwar von dem Kollegen
chuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehltnter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Druck-ache 15/2678, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-ung anzunehmen.Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion derDP vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt füren Änderungsantrag auf Drucksache 15/2687? – Ge-enstimmen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantragst mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dietimmen der Opposition, also gegen die Stimmen derDU/CSU und der FDP, abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-ache 15/2688? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –er Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-ionsfraktionen und der fraktionslosen Abgeordneten ge-en die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-ache 15/2689? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Ent-altungen? – Der Änderungsantrag ist ebenfalls bei demben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt wor-en.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf iner Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-eichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Deresetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dentimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegenie Stimmen von CDU/CSU und FDP sowie der frak-ionslosen Abgeordneten angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Es ist namentliche Abstim-ung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Anlage 3 Anlage 4
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8668 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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)
Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerSchriftführer, die vorgesehenen Plätze an den, wie ichsehe, neuen Abstimmungsurnen einzunehmen. Sind diePlätze besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne damit dieAbstimmung.Ich höre, es fehlt ein Schriftführer der SPD an derUrne oben rechts. Können wir bitte einen Moment stop-pen? Die Leitung der Schriftführerinnen und Schriftfüh-rer möge bitte schnell reagieren, damit die Urne obenrechts besetzt wird. – Alles klar. Wir können weiter ab-stimmen.
Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das bisher trotz
erkennbar guten Willens keine Gelegenheit hatte, seine
Stimmkarte abzugeben? – Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Wie immer wird das Ergebnis der Abstimmung
nach Auszählung bekannt gegeben.1)
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen jetzt
zu den Entschließungsanträgen. Um unnötige Zweifel an
den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen bei Abstimmun-
gen auszuschließen, wäre es hilfreich, wenn diejenigen,
die bleiben wollen, sich setzen, und diejenigen, die nicht
bleiben können, den Saal verlassen würden.
Da sich einzelne Mitglieder der Opposition mutwillig
oder leichtsinnig in den Reihen der Koalition aufhalten,
sehe ich schon wieder Komplikationen beim Abstim-
mungsverhalten voraus. Da man die Zahl der Hammel-
sprünge vielleicht auf eine Handvoll pro Woche reduzie-
ren sollte, versuche ich jetzt einmal, ohne sie
auszukommen.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2690 ab.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der
Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wir stimmen über den Entschließungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2691 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer möchte sich der Stimme enthalten? –
Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund-
heit und Soziale Sicherung zu dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Sicherung der nachhaltigen Finan-
zierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversiche-
rung auf Drucksache 15/2678. Der Ausschuss empfiehlt
unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung, den Gesetz-
entwurf auf den Drucksachen 15/2562 und 15/2591 für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Diese
Beschlussempfehlung ist zweifellos angenommen.
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1) siehe Seite 8670 C
Dazu eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
unächst dem Kollegen Klaus Uwe Benneter für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Was inen vergangenen Tagen deutlich wurde, ist das Systemerkel: im Ergebnis ein brutal-chaotisches Spiel umacht und kleine Siege – Herr Schäuble weiß, wovonch spreche –,
m Prozess undurchsichtig organisiert. Diese Unklarheiton Frau Merkel wird offensichtlich zu ihrem Pro-ramm.Der Kompromiss in der Steuerpolitik ist naiv. Erstird der Faltlhauser gemacht, dann der Merz. Sie habenich entschieden, später ein bisschen, aber nicht zu radi-al zu werden. Wie genau und wann denn, das bleibt of-en. Nur eines ist klar: Das passt auf keinen Bierdeckel.
as Märchen von der Steuerentlastung ist wie eine Sei-enblase geplatzt. Auf einen Bierdeckel passt allerdingshre Seriosität und daneben ist immer noch reichlichlatz.
Auch das geht, Herr Kauder.Ihre Vorschläge sind sozial ungerecht. Sie sind auchicht zu finanzieren. Zwischen 10 und 43 Milliarden Euro so haben die Experten errechnet – wollen Sie uns hierusätzlich auferlegen. Mit Ihren Vorschlägen machen Sieen Menschen Angst; damit schaffen Sie aber keineninzigen Arbeitsplatz. Im Gegenteil, was Sie beschlos-en haben, hilft weder denen, die Arbeit haben, noch de-en, die Arbeit suchen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8669
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Herr Kollege, lassen Sie mich Ihre Rede für einen Au-
genblick unterbrechen. – Nach meiner überschlägigen
Betrachtung redeten gerade mindestens 15 Kollegen im
Bundestag, einer mit Mikrofon und die anderen ohne.
– Dies erschwert die Kommunikation, zumal das Emp-
finden einer Störung durch den Redner nach aller Le-
benserfahrung jeweils wechselseitig ist und deswegen
eine Fortsetzung dieser Art von Gemurmel in Aussicht
stellt. Ich bitte daher, mit einem gewissen Maß an
Freundlichkeit und Höflichkeit dem jeweiligen Redner
Gelegenheit zu geben, seine Rede hier vorzutragen. –
Bitte schön, Herr Kollege.
Ich bedanke mich. – Kein einziger Arbeitsloser über
50 Jahre wird mehr eingestellt, wenn Sie Ihr Hire-and-
Fire-System einführen. Schon gar nicht mehr werden
Lehrlinge eingestellt, nur weil das Nachtarbeitsverbot
für 15-Jährige aufgehoben wird. Wenn die Kranken-
schwester die Steuerersparnis Ihres Chefs bezahlen
muss, dann schafft dies nicht Arbeit, sondern Wut. Der
Standort Deutschland wird dadurch nicht besser.
Ihr Parteifreund Arentz hat Recht: So bekommt man
keinen Aufschwung hin; dies führt das Land tiefer in die
Krise. Das ist soziale Gerechtigkeit auf christdemokra-
tisch. Hausmeister und Manager sind vor dem Herrgott
gleich; das stimmt. Aber Sie, Herr Meyer, gehen noch
weiter: Bei Ihnen sind Hausmeister und Manager vor al-
lem vor dem Fiskus gleich. Dieses Prinzip haben Sie am
vergangenen Sonntag in Ihrem Papier schwarz auf weiß
niedergelegt.
Dieses Papier ist ein Dokument des Sozialabbaus, ein
Manifest einer unsolidarischen Gesellschaftsordnung,
der Einstieg in den Ausstieg aus der sozialen Marktwirt-
schaft. Dies ist Ihr Programm. Sie schreiben von „be-
trieblichen Bündnissen“ und meinen: Weg mit den Ge-
werkschaften! Sie schreiben von „Gestaltungsfreiheit bei
Arbeitsverträgen“ und meinen: Weg mit dem Kündi-
gungsschutz! Sie schreiben von „Bürokratieabbau“ und
meinen: Weg mit dem Arbeitsschutz! Was wollen Sie
mit Ihrem Papier wirklich? Sie wollen weg von der Ta-
rifautonomie, weg von den Rechten der Arbeitnehmer
und weg vom Arbeitsschutz.
Ihre Vorstellungen sind von langer Hand geplant,
Herr Seehofer. Die CSU hat diese Forderungen schon
vor einem Jahr erhoben. Damals konnten die Anständi-
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Es sind wohl alle hier im Saal.
hr Zurückrudern, Ihre eilig vorgenommenen Korrektu-
en können nicht über das Gesamtkonzept hinwegtäu-
chen. Sie suchen schon seit langem den Ausstieg aus
er solidarischen Gesellschaft.
ie legen die Axt an den Kündigungsschutz. Was wir mit
ugenmaß geregelt haben, nämlich eine erleichterte be-
ristete Beschäftigungsmöglichkeit für ältere Arbeitneh-
er, wenn diese mit einer Arbeit aus der Arbeitslosigkeit
erauskommen können, schütten Sie auf einmal mit dem
ade aus. Sie wollen – das ist Ihr Ziel – die Gewerk-
chaften entscheidend schwächen. Als Hebel dienen Ih-
en die betrieblichen Bündnisse. Wenigstens in diesem
unkt sind Sie ja ehrlich. Sie wollen den Flächentarif-
ertrag abschaffen. Sie sprechen von Bürokratieabbau,
einen damit aber, dass weniger Kontrollen von Ar-
eitsstätten und Arbeitszeiten durchgeführt werden sol-
en.
Die schwarzen Schafe unter den Unternehmern wer-
en sich über Ihre Auffassung freuen. Für meine Partei
nd mich jedenfalls ist Solidarität eine der wesentlichen
rundlagen, auf denen diese Republik aufgebaut wurde.
aran werden wir festhalten.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Wir wollen ein Miteinander von Arbeitgebern undrbeitnehmern, Sie wollen ein Gegeneinander. Wir wol-en das Sozialsystem erneuern, Sie wollen es abreißen.etzt können die Menschen wählen:
wischen unserem Aufbau und Ihrem Abbruch. Dennas, was Sie Sonntagnacht beschlossen haben, ist nichtehr und nicht weniger als der sozialpolitische Ab-ruch. Unsere Antworten bestehen in diesen schwierigeneiten in solidarischen Lösungen. Daran sollten Sie mit-rbeiten.Vielen Dank.
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8670 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Vizepräsident Dr. NorbertNachdem ein gewisser Überseitig entladen worden ist,Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 594;davonja: 302nein: 291enthalten: 1JaSPDDr. Lale AkgünGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigPDSSHMGPKAEGRGDLIrGURADMKGAWKHBKA/CSU]: Benneter istKarl-Josef Laumannunseren Scholz wie- uns das Fürchten! – ist ja ein Doppel-bg. Ludwig Stieglernken? Habt ihr Bieras ist ja wie bei der Lammert:druck im Ventil wechsel-bfSAnRDmgeeter Dreßenetlef Dzembritzkiebastian Edathyiegmund Ehrmannans Eichelarga Elserernot Erleretra Ernstbergerarin Evers-Meyernnette Faßelke Fernerabriele Fograscherainer Fornahlabriele Frechenagmar Freitagilo Friedrich
is Gleickeünter Gloserwe Göllnerenate Gradistanacngelika Graf
ieter Grasedieckonika Griefahnerstin Grieseabriele Gronebergchim Großmannolfgang Grotthausarl-Hermann Haack
ans-Joachim Hackerettina Hagedornlaus Hagemannlfred HartenbachFEKCLBRJKJUDUHKHADWFKRAENVADHEHUD
esteht, bevor ich den nächstenentlich die Chance, das von dechriftführern ermittelte Ergebstimmung über den Gesetzeachhaltigen Finanzierungsgruentenversicherung bekannt zrucksachen 15/2149 und 15/en 594. Mit Ja haben gestimestimmt 291, Enthaltungen eintwurf angenommen.rank Hofmann
ike Hovermannlaas Hübnerhristel Hummeothar Ibrüggerrunhilde Irberenate Jägerann-Peter Janssenlaus-Werner Jonasohannes Kahrslrich Kasparickr. h.c. Susanne Kastnerlrich Kelberans-Peter Kemperlaus Kirschnerans-Ulrich Klosestrid Klugr. Heinz Köhler
alter Kolbowritz Rudolf Körperarin Kortmannolf Kramernette Krammernst Kranzicolette Kresslolker Kröningngelika Krüger-Leißnerr. Hans-Ulrich Krügerorst Kubatschkarnst Küchlerelga Kühn-Mengelte Kumpfr. Uwe KüsterPUAUMCGFDVDDHHJJDFDKGDCWRRDKMGOM
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8671
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r. Maria Flachsbarthlaus-Peter Flosbacherbert Frankenhauserr. Hans-Peter Friedrich
rich G. Fritzochen-Konrad Frommer. Michael Fuchsans-Joachim Fuchtelr. Peter Gauweilerorbert Geisoland Gewaltberhard Giengereorg Girischichael Glosalf Göbelr. Reinhard Göhneranja Gönnerosef GöppelPDUKRHMMMKOHGKHUSUMJBEPRKJHSDDBSIrBSVGEJJKMNHTRMGGDDWDDHBKVWPUWED
olker Kaudererlinde Kaupackart von Klaedenürgen Klimkeulia Klöcknerristina Köhler
anfred Kolbeorbert Königshofenartmut Koschykhomas Kossendeyudolf Krausichael Kretschmerünther Krichbaumünter Kringsr. Martina Krogmannr. Hermann Kueserner Kuhn
r. Karl A. Lamers
r. Norbert Lammertelmut Lamparbara Lanzingerarl-Josef Laumannera Lengsfelderner Lensingeter Letzgusrsula Lietzalter Link
duard Lintnerr. Klaus W. Lippold
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8672 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertMichaela NollClaudia NolteGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierEduard OswaldMelanie OßwaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzDaniela RaabThomas RachelHans RaidelCADDBUWHKMMHBTJJECG
Wir setzen die Aktuelle Stunist der Kollege Laurenz Meyer,
DU/CSU): Liebe Kolleginnen undnt! In den letzten Tagen – Herr Kollege Benneter,ie unter Wahrnehmungs-en der CDU/CSU)Danh–kmh–gsolfgang Zöllerilli ZylajewDPaniel Bahr
ngelika Brunkhorstrnst Burgbacherelga Daubörg van Essenlrike Flachtto Frickeorst Friedrich
ainer Funker. Wolfgang Gerhardtans-Michael Goldmannoachim Günther
r. Karlheinz Guttmacherr. Christel Happach-KasanDDCJDDDFMDPESOeutschland befindet sich – dlle – in einer Abwärtsspirale:iedriges Wachstum, steigendees Haushaltsdefizit.
legin gar nicht mehr ein-eit zur Kenntnis nehmenommt noch ein Bereichonders schlimm ist.PD]: Jeden Tag auf Partys!)h wenigstens Ihren Kolle- mir ja, weil Sie ständign.i Abgeordneten derh L. Kolb [FDP]:Henry Nitzsche Bernd Schmidbauer Wolfgang Zeitlmann Dr. Günter RexrodtPatricia LipsDr. Michael LutherDorothee MantelErwin Marschewski
Stephan Mayer
Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzLaurenz Meyer
Doris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerStefan Müller
Bernward Müller
Dr. Gerd MüllerHildegard MüllerBernd Neumann
Dr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelFranz-Xaver RomerHeinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht
Peter RzepkaAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleHartmut SchauerteAndreas ScheuerNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckAMMTLMAEDAVAGMPGIAKWMWDE
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8673
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Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass nach derEinführung des Euro und nach der Globalisierung jetztdie EU-Osterweiterung ansteht, die eine besondere He-rausforderung darstellt.Meine Damen und Herren, inzwischen merken dieLeute das auch in ihren Portemonnaies. Spätestens jetztwird es für sie ernst. Das haben uns auch die letztenWahlen gezeigt. Wenn man innerhalb der EU einen Ver-gleich der Wirtschaftsleistung pro Kopf anstellt, kommtman zu dem Ergebnis, dass wir nur noch vor Griechen-land, Spanien und Portugal liegen. Daher muss ich sa-gen: Sie sollten sich schämen, das, was Sie tun, als ver-nünftige Politik zu bezeichnen!
Ganz im Ernst: Dem Wirtschaftsminister ist der Fass-bieranstich in München wichtiger als diese Debatte.Auch die 730 000 Arbeitsplätze, die seit Ihrem erneutenRegierungsantritt 2002 weggefallen sind, sind Ihnen of-fensichtlich völlig egal; denn hier tun Sie ebenfallsnichts.
Der einzige Arbeitsplatz, für den sich der Bundeskanzlerinteressiert, ist sein eigener.
Das ist die Bilanz, die uns derzeit vorliegt.
Man kann wirklich ärgerlich werden, dass Sie sichüberhaupt nicht bewegen wollen. Wir müssen nämlichauf allen Feldern – bei den Steuern, den sozialen Siche-rungssystemen und dem Arbeitsmarkt –, nicht nur auf ei-nem, tätig werden. Das müssen wir, weil die Lage soernst ist, leider Gottes sogar gleichzeitig tun.
Um konkret zum Arbeitsmarkt zu kommen: SehenSie sich das Beispiel Dänemark an! Die Dänen haben beiguter sozialer Sicherung – das können wir auf uns über-tragen – im Bereich des Kündigungsschutzes wirklicherhebliche Liberalisierungen eingeführt. Was ist dabeiherausgekommen? Anders als Sie es sagen, die Sie denMenschen Angst machen wollen, weil Sie sich nichtmehr zu helfen wissen, hat Dänemark inzwischen fastVollbeschäftigung erreicht. Die Menschen finden vieleher einen neuen Arbeitsplatz. Die Arbeitslosenquote istvon 9,6 Prozent im Jahre 1994, als die Maßnahmen ein-geleitet wurden, auf heute 5 Prozent gesunken. Das soll-ten Sie einmal zur Kenntnis nehmen!Sie sprechen von den älteren Arbeitnehmern. Sie soll-ten zumindest die Fakten zur Kenntnis nehmen: Es istnachweisbar, dass in Ländern, bei denen die RegulierungiAIhZI5kbddSvmADHStwbwDmWslgBdsDhwwü
n Ländern, in denen diesbezüglich viel reguliert wird,aben dagegen nur wenige Ältere Arbeit. – So ist derusammenhang.
n der Schweiz zum Beispiel haben 68 Prozent der5- bis 64-Jährigen Arbeit. In den USA – sie werden vielritisiert – haben in dieser Altersgruppe 59 Prozent Ar-eit. Bei uns sind es nur 38 Prozent. In Dänemark habenagegen 58 Prozent dieser Altersgruppe inzwischen wie-er einen Job.
ie, Herr Benneter, wagen es, in diesem Zusammenhangon Solidarität zu sprechen – das ist doch nur Solidaritätit denen, die Arbeit haben, aber nicht mit denen, dierbeit suchen.
as, meine ich, sollte Sie wirklich beschämen!Ihre Parteifreunde haben doch gute Ansatzpunkte.err Clement hat sich dahin gehend geäußert, Herrchartau ebenfalls, dass man gerade für die kleinen Un-ernehmen etwas tun muss. Sie lassen sich aber vonohlgemeinten Ratschlägen nicht mehr beeinflussen.Dass wir jetzt von Arbeitgebervertretern und von Ar-eitnehmervertretern kritisiert werden, zeigt nur, dassir eine Politik der Mitte machen und nichts sonst.
as ist für eine Volkspartei auch völlig richtig.Wir brauchen betriebliche Bündnisse für Arbeit mitehr Flexibilität, auch unabhängig von Tarifverträgen.ir brauchen zusätzliche Erleichterungen für die Ein-tellung von Langzeitarbeitslosen. Wir brauchen Er-eichterungen und weniger Bürokratie beim Kündi-ungsschutz. Wir müssen kleine Unternehmen von derürokratie des Arbeitsrechts entlasten, damit sie sich umas Schaffen von Arbeitsplätzen kümmern können an-tatt um die Bürokraten.
as ist unsere Politik; die werden wir auch fortsetzen.In dem Zusammenhang will ich noch einmal daraufinweisen, dass der Tarifvertrag in der Metallindustrieirklich keine Lösung darstellt: Weitere Arbeitsplätzeerden ins Ausland verlagert werden; da dürfen wir unsberhaupt nichts vormachen.
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8674 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Laurenz Meyer
Lieber Herr Kollege Benneter, ich sage Ihnen in allerDeutlichkeit: Wir werden unseren Weg weitergehen: Wirbereiten uns vor, sodass wir jederzeit bereit sind, die Re-gierungsverantwortung zu übernehmen. Bei Ihnen spürtman schließlich nur noch die Sehnsucht nach Opposi-tion.
Das Wort hat die Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/
Die Grünen.
Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Herr Meyer, ich denke, wir sollten hier über das Ni-veau von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in diesemLand reden, aber vielleicht auch – das als Vorbemerkung– über das Niveau der Reden hier.
Sie bringen hier das Beispiel Dänemark und habenauch eine Jahreszahl, 1997, genannt, wann Reformeneingeleitet worden sind. Herr Meyer, das Problem, daswir heute am Arbeitsmarkt haben, hat viel damit zu tun,dass Ihre Regierung in den 90er-Jahren systematischverschlafen hat, die Reformen zu machen, die zum Bei-spiel in Dänemark zum Erfolg geführt haben.
Zweiter Punkt. Sie reden hier über ältere Beschäf-tigte. Ihre Regierung, Kohl und Blüm, hat Ende der80er-Jahre begonnen, systematisch die Frühverrentungeinzuführen. Wir haben ein Problem, davon wieder weg-zukommen. Diese Erblast haben wir von Ihnen über-nommen.
Sie haben vor einer Stunde ein weiteres Beispiel ge-liefert. Im Rentengesetz haben wir erste Schritte vorge-sehen, mit denen wir aus dieser Art der Frühverrentungherauskommen wollen. Sie haben dagegen gestimmt.Herr Meyer und Herr Söder haben mit ihrem Konzeptgezeigt, wohin bei Ihnen die Reise geht. Sie haben dieKatze aus dem Sack gelassen. Sie wollen eine andereRepublik, gerade was die Arbeitsmarktpolitik angeht.Das bestätigen Sie auch. Sie wollen am Arbeitsmarktschnurstracks zu amerikanischen Verhältnissen kom-men, wollen in Richtung „working poor“, arme Arbei-tende. Das ist Ihr Konzept.
Auch Ihre Vorstellungen in der Steuerpolitik sindganz einfach dargestellt: Die Kassen sind leer, aber SieskdnWiKukmzvVriwdanwlISnsmDdegArewmdwddMdW
ir haben vorhin schon gehört, warum: Sie können sichn den eigenen Reihen nicht einigen und haben keinonzept.Was am Sonntag, nachdem das Konzept von Södernd Meyer auf dem Tisch lag und nachdem darüber dis-utiert worden ist, herausgekommen ist, ist ein Kompro-iss. Ihn kann man als ein Dokument der drei Vs be-eichnen – diese hat Frau Merkel durchgesetzt –:ertagen, vermeiden, verschleiern. Es geht Ihnen umserschleiern.
Es geht Ihnen gerade bei der Arbeitsmarktpolitik da-um, die arbeitsmarktpolitische Tarnkappe aufzusetzen,n der Hoffnung, dass man nicht sieht, was Sie wirklichollen. Aber ich sage Ihnen: Das werden wir Ihnen nichturchgehen lassen. Die Realität der schwarzen Reform-genda am Arbeitsmarkt bedeutet zweierlei: erstens ei-en Angriff auf die Tarifautonomie – das haben Sie hierieder bewiesen – und zweitens den Weg in die Niedrig-ohnbeschäftigung und in das Lohndumping.
n jeder Debatte im Ausschuss zeigen Sie immer wieder:ie wollen sich an tschechischen Löhnen orientieren undicht an den Löhnen eines Hochlohnlandes, wie wir esind, für das wir Beschäftigungsmöglichkeiten findenüssen.
as ist nicht nur unsozial, sondern auch ökonomischumm.Ihr Arbeitnehmerflügel hat am Sonntagabend gesagt,r sei zufrieden mit Ihrem Konzept, weil die Giftzähneezogen worden seien. Meine Damen und Herren vomrbeitnehmerflügel, ich frage Sie: Wie lange wird daseichen? Ich kann Ihnen nur raten: Lassen Sie sich nichtinlullen! Herr Koch hat in seinem Kommentar zu dem,as am Sonntagabend herausgekommen ist, deutlich ge-acht, dass es sich um einen Kompromiss handelt, inem zunächst das Notwendige von dem aufgezeigt wird,as Sie wollen. Dann wollen Sie in taktischer Gedulden richtigen Zeitpunkt für das Weitere abwarten. Es istie Ankündigung dessen, was es wirklich bedeutet: Herreyer und Herr Söder haben die Strategie beschrieben,ie Ihre Parteivorsitzenden im Hinterkopf haben, deneg in eine andere Republik.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8675
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Dazu gehört – ich nenne nur drei Beispiele –: Sie wol-len die Tarifautonomie angreifen. Zweitens wollen Sieden Arbeitslosen das Arbeitslosengeld um 25 Prozent imersten Monat kürzen. Damit wollen Sie jungen Leuten,die sich an den Erfordernissen des Arbeitsmarkts flexi-bel ausrichten und sich ihm zur Verfügung stellen müs-sen, in die Tasche greifen. Drittens wollen Sie die Ar-beitspflicht für Langzeitarbeitslose in Deutschlandeinführen. Das ist übrigens das Lieblingskonzept vonHerrn Koch. Das kommt immer wieder.Sie haben Recht, wenn Sie sagen: Wir brauchen mehrFlexibilität am Arbeitsmarkt. – Das ist wohl wahr.
Wir brauchen aber auch verlässliche soziale Sicherheit,weil sich die Beschäftigten und die Arbeitslosen inDeutschland dem Arbeitsmarkt sonst gar nicht stellenkönnten.
Frau Dückert, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Schluss. Das, was am Sonntagabend
herausgekommen ist, ist ein Kompromiss, ein taktischer
Zwischenstopp auf dem Weg zu einem ganz anderen
Ziel. Dies ist von Herrn Arentz mit folgenden Worten
beschrieben worden – nach Sonntagnacht gilt das, was
auch schon davor gegolten hat –: Der Entwurf miss-
brauche die schlechte Wirtschaftslage zu einem General-
angriff auf die Arbeitnehmerrechte. Die Umsetzung des
Papiers würde nicht zu mehr Beschäftigung, sondern zu
einem Dauerkonflikt zwischen den Tarifparteien füh-
ren. – Abschließend fügt er hinzu: So kriegt man keinen
Aufschwung hin, sondern führt das Land nur noch tiefer
in die Krise.
Das schreiben Ihre eigenen Leute Ihnen ins Stamm-
buch. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-tieren hier über wichtige Fragen unseres Landes. Minis-ter Clement und Renate Schmidt sind aber beim Bock-bieranstich in München. Ich finde das sehr stilvoll.
IstJwfAAdnddwüsjKddkudIpsMDgbgBHcobdmWg„dp
eder muss aber seine politischen Prioritäten so setzen,ie er es für richtig hält.
Das Geschrei der Regierungskoalition, das hier aufge-ührt wird, verstehe ich nicht. Der Kurs der Union in derrbeitsmarktpolitik ist nicht bis ins Letzte konsequent.n manchen Stellen ist er sogar sehr kritikwürdig. Aberie Koalition hat nach fünf Jahren noch nicht einmal ei-en Kurs. Sie sucht immer noch nach dem Kompass iner Arbeitsmarktpolitik. Auf jedes Zick folgt bei Ihnenas nächste Zack: Die geringfügige Beschäftigungurde verteufelt und verboten; heute werden Jubelarienber die Zahl der Minijobs gesungen. Angeblich Schein-elbstständige wurden fast wie Kriminelle behandelt;etzt fördern Sie Ich-AGs. Der mittelstandsfreundlicheündigungsschutz wurde erst abgeschafft und wird miter Agenda 2010 nun wieder eingeführt. Nun bläst Ihnener Wind aus den eigenen Reihen ins Gesicht und esommt zur sozialdemokratischen Rückwärtsrolle. Diensinnige Ausbildungsplatzabgabe, gesetzliche Min-estlöhne und Steuererhöhungen werden zur Beruhigunghrer Basis jetzt propagiert.Offensichtlich hat sich die Union von diesem Kako-honie-Virus ein Stück anstecken lassen. Am Anfangtand ein sehr respektables Papier von Herrn Laurenzeyer und Herrn Söder.
och Ihr Wachstumsprogramm ist auf unter Normalmaßeschrumpft. Jetzt will die CDU/CSU die Wachstums-remse ein wenig lockern: ein bisschen weniger Kündi-ungsschutz und ein bisschen niedrigere Steuern. Dielockaden müssen aber umfassend gelöst werden.
err Merz hat gestern im Interview gesagt, die CDU ma-he ihre Arbeit nicht unter der Überschrift: enttäuschender erfreuen der FDP. – Sie haben nicht nur uns, Sie ha-en die komplette Wirtschaft – vielleicht mit Ausnahmeer BDA – enttäuscht.Das „Handelsblatt“ schrieb – ich zitiere –: „Arbeits-arktkonzept der Union enttäuscht die Wirtschaft“. „Dieelt“ schrieb als Aufmacher: „Wirtschaft protestiert ge-en Unionspläne“. Die „FAZ“ schrieb – ich zitiere –:Union schwächt ihr Reformprogramm ab“. Ich zitiereie „Financial Times“: „Union verwässert Reform-läne“.
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8676 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Rainer BrüderleIhr Konzept zeugt nicht von genügend großem Mut.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dieHalben werden das Himmelreich nicht erreichen.
Selbst Herr Merz musste zugeben, dass die Arbeits-marktreformen nicht ausreichen. Noch im Januar wollteer die Flächentarifverträge lockern und öffnen. Jetzt hörtman kein konkretes Wort mehr davon. Wir brauchenendlich mehr betriebsnahe Entscheidungen vor Ort undweniger Fremdbestimmung aus den Glaspalästen in Ber-lin und Frankfurt. Die Peters und Bsirskes dieser Weltmüssen endlich entmachtet werden. Sie verhindern Be-schäftigung. Ihr Schutzschild ist der Flächentarifvertrag.Der muss aufgebrochen werden!
Schon im Vermittlungsausschuss hätte die Oppositiondie Möglichkeit gehabt, das Tarifkartell zu öffnen. Da-mals fehlten die Kraft und der Mut dazu. Die Formulie-rungen zu den betrieblichen Bündnissen für Arbeit sindso schwammig, dass man fast alles aus ihnen herausle-sen kann. Durch die Hintertür sollen über das Günstig-keitsprinzip betriebliche Bündnisse ermöglicht werden.Ihre Idee ist offensichtlich, dass alles, was die Unterneh-mensleitung mit einer Zweidrittelmehrheit der Beleg-schaft vereinbart, als günstig angesehen wird. Das sollnicht nur für krisengeschüttelte Betriebe gelten. So ver-stehe ich jedenfalls Ihre Veröffentlichung.Ich frage: Warum gehen Sie nicht durch die Vorder-tür? Treten Sie endlich offen für gesetzliche Öffnungs-klauseln ein! Die Tarifvertragsparteien können das nicht.Sie haben mit den Metalltarifverträgen wieder bewiesen,dass Sie nicht den Mut haben, endlich das Notwendigezu tun. Das Dumme dabei ist, dass die Arbeitslosen, diedraußen stehen und auch ein Stück Hoffnung haben wol-len, dadurch keine Chance erhalten.
Wir werden auch den Kollegen von der Unionsfraktionhier in Kürze Gelegenheit geben, durch eine Initiativeein klares Bekenntnis dazu abzulegen.Es kann heute niemand erklären, warum maßge-schneiderte Lohnabschlüsse nicht von der Unterneh-mensleitung und den Arbeitnehmern im Betrieb verein-bart werden sollen. Die brauchen keine Funktionäremehr, die sie nur blockieren und nicht wissen, wie inDeutschland Arbeitsplätze entstehen. Die Fälle Viessmann,VW und andere lassen herzlich grüßen.
An die Allgemeinverbindlichkeit und die Nachwir-kungspflicht haben Sie sich gar nicht herangetraut. Es istniemand zu vermitteln, warum sich Unternehmen, dieaus dem Arbeitgeberverband ausscheiden, weiterhin dieGewerkschaften ins Haus holen müssen. Auch hier for-dere ich von Ihnen ein bisschen mehr Mut.Ihr Steuerkonzept nennt die „FAZ“ einen „billigenKompromiss“. Herr Merz wollte mit dem Chaos imSteuerrecht aufräumen. Er hat sich bei der ErarbeitungsuzMMligeahbmcvhBDvwBoRlIzsAümLgnsdiIdd
Als Ergebnis bleibt mit Sicherheit festzuhalten: Sierientieren Ihre Interessenlage ausschließlich daran, dieechte der Arbeitnehmer zu beschneiden und die sozia-en Verhältnisse in diesem Land radikal zu verändern.hr Programm ist aus meiner Sicht an Einseitigkeit kaumu überbieten.Die Botschaft, die die CDU/CSU den Wählern in die-em Land übermittelt, lautet: Die zu hohen Löhne derrbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind die Grund-bel der deutschen Wirtschaft. – Das muss man sich ein-al auf der Zunge zergehen lassen. Da es aber zumeidwesen der Opposition noch immer Tarifverträgeibt, sind sie die Zielscheibe der Auseinandersetzungen.Hauptexperimentierfeld sind die neuen Länder. Öff-ungsklauseln für alle Bundesgesetze müssen her. Wasoll das Ergebnis sein? – Noch niedrigere Löhne. Nichtie Angleichung ist das Ziel, sondern Lohndumping Ostst das Programm der CDU/CSU.
ch will Ihnen klar sagen: Wir jedenfalls stellen uns dieeutsche Einheit so nicht vor. Ich vermute, Sie werdenie entsprechenden Passagen bei den nächsten Landtags-
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Klaus Brandnerwahlkämpfen in Thüringen, Sachsen und Brandenburgverstecken. Das werden wir aber – das kann ich Ihnenschon heute versprechen – nicht zulassen.
Sie haben sich das aber nicht einfach nur so aufge-schrieben, sondern Sie denken ja tatsächlich so. Im Ori-ginalton heißt das: „Der Niedriglohnbereich muss inDeutschland revitalisiert werden.“ Sie tun so, als ob esnicht schon massenweise Stundenlöhne von 5 bis 6 Eurooder noch weniger gibt. Deutschland hatte in den letztenJahren die niedrigsten Lohnsteigerungen aller EU-Län-der. Das ist Ihnen völlig aus dem Blick geraten. Die Pro-duktivität stieg stärker als die Arbeitskosten.Einigen Wirtschaftskommentatoren ist das Papier, dasSie vorgelegt haben, immer noch nicht radikal genug.Sie sehen es als halbherzig an; Herr Brüderle hat daraufhingewiesen. Nicht nur die Gewerkschaften, sondernauch Teile der CDU/CSU selber sprechen von einem Ge-neralangriff auf die Arbeitnehmerrechte.
Der baden-württembergische CDA-Vorsitzende sprichtvon einem „Amoklauf“ und fordert natürlich den Rück-tritt des Generalsekretärs der CDU.
Rüttgers sagt mit Blick auf die Kommunalwahlen inNRW: Entschärft das Programm sofort, um Gottes wil-len nicht zu sehr aus dem Fenster hängen! – Das ist dieEinigkeit, mit der Sie hier auftreten. Jedenfalls rechtfer-tigt das Programm insgesamt nicht mehr die Bezeich-nung „soziale Marktwirtschaft“. Sie sollten konsequentsein und diesen Begriff aus Ihrem Programm streichen,meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
Sie haben zwar in letzter Minute noch einige Positio-nen abgeschwächt, aber diese Diskussion hielt nichtlange an, wie wir gemerkt haben. Gestern legte der CSU-Generalsekretär nach und auch Ministerpräsident Stoiberlegte nach. Dahinter steckt, wie wir jetzt erleben, nichtsanderes als ein scheinheiliges Nachgeben. Klar ist auch:Mit Ihren Anträgen im Deutschen Bundestag belegenSie, was Sie tatsächlich vorhaben: nachhaltig die Arbeit-nehmerrechte in diesem Land zu schwächen und sich aufdie Seite der Unternehmerverbände zu schlagen. Sokann man den Zusammenhalt in der Gesellschaft nichtorganisieren. Eine vernünftige Gesellschaft, in der Pro-duktivität und Zusammenhalt im Vordergrund stehen,braucht letztlich die Organisation eines sozialen Aus-gleichs. Soziale Spaltung ist und bleibt aus unserer SichtGift für die Wirtschaft. Deshalb treten wir für die sozialeSicherung ein.
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s gab eine erhebliche zusätzliche Flexibilisierung.berlesen Sie das oder wollen Sie nicht wahrhaben, dassn NRW 300 Firmen die Arbeitszeit verlängern wollen,nd zwar mit den Betriebsräten im Rahmen der Tarifver-räge? Das ist im Übrigen kein Einzelfall. Das ist wohlberlegt. Auch die Lohnerhöhungen sind, wie Sie wis-en, maßvoll und schöpfen den Produktivitätsspielraumnd die Preissteigerungsraten nicht einmal aus. Das In-titut der deutschen Wirtschaft sagte jüngst, dass wir inuropa das Land mit den wenigsten Streiktagen sind.eutschland hat im Durchschnitt fünf Streiktage, Frank-eich im Durchschnitt über 90 Tage.
as belegt, dass wir eine funktionierende Tarifautono-ie haben, die wir uns von Ihnen nicht zerreden lassenollen.
Im Übrigen greifen die Tarifvertragsparteien aucheue Aufgabenstellungen auf.
Herr Kollege, Sie müssen bitte an die Zeit denken.
Die betriebliche Altersversorgung, Ausbildungsplätze
nd Ähnliches sind Themen in den Tarifverträgen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die kosten-
reibende Reform der Betriebsverfassung ist das letzte
tichwort, das ich aufgreifen möchte.
Nein, das können Sie nicht mehr aufgreifen. Sie kön-
en nur die Bedeutung dieses Themas hervorheben, um
s vielleicht einem nachfolgenden Kollegen zuzuwerfen.
Herr Präsident, ich bedanke mich und sage: Der Be-riebsrat ist eine Bank in diesem Land, Betriebsräte ste-en unentgeltlich für die Steigerung der Produktivitätur Verfügung. Dafür sollten wir den Betriebsräten iniesem Land danken.
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Vielleicht greift der Kollege Horst Seehofer, dem ich
jetzt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, dieses
Stichwort auf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Frau Kollegin Dückert, es war schon sehr dreist,Ihr Handeln mit dem Nichthandeln in den 90er-Jahren zubegründen. Wenn Sie die Reformen des Arbeitsrechts,des Rentenrechts, die Reformen in der Gesundheitspoli-tik und bei der Lohnfortzahlung gelassen hätten, dannstünde es heute in unserem Lande um ein Vielfaches bes-ser.
Wir reden heute über die Arbeitnehmerrechte. LiebeKolleginnen und Kollegen von der SPD, das wichtigsteArbeitnehmerrecht ist seit eh und je die Teilhabe an einerpositiven wirtschaftlichen Entwicklung und an der sozia-len Sicherheit. Schauen wir uns einmal an, was in denletzten fünf, sechs Jahren in Deutschland geschehen ist:höchste Arbeitslosigkeit, größte Verlagerung von Ar-beitsplätzen ins Ausland,
höchste Zahl von Sozialhilfeempfängern, Kinderarmutals wachsendes Problem in einem reichen Lande, sozialeSicherungssysteme mit den höchsten Beiträgen, denschlechtesten Leistungen und den höchsten Schulden.Die soziale Lage der Arbeitnehmer in Deutschland ist inden letzten fünf Jahren durch diese Regierung spürbarschlechter geworden.
Jetzt komme ich zum Arbeitsrecht. Seitdem das Ar-beitsrecht moderner Prägung besteht, geht es immer umdas richtige Verhältnis von Schutz und Chance. Da mussich Ihnen als Arbeitnehmervertreter sagen: Niemandemvon uns geht es darum, die Entlassung zu erleichtern,sondern darum, die Neueinstellung zu erleichtern. Dasist unsere Zielsetzung.
Ich greife nur zwei Beispiele heraus, die niemand mitlogischem Menschenverstand ablehnen kann.
Nach dem geltenden Betriebsverfassungsrecht kannim Falle eines Sozialplans bei einer drohenden Pleite ei-nes Betriebs von den Tarifverträgen abgewichen werden.Es ist aber absurd, dass das deutsche Recht nicht erlaubt,von den Tarifverträgen abzuweichen, um eine Pleite zuverhindern. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir das Ta-rifkartell in der Weise durchbrechen, dass zum SchutzvgLdfugdhüdhWvmddnAäzAdSnEtgClrsaKcsdAaA
enn Sie die in der vorhergehenden Debatte von Ihnenertretenen Ziele – späterer Renteneintritt und Schlussit der Frühverrentung – jemals durchsetzen wollen,ann müssen Sie auch im Arbeitsrecht die Chancen fürie Wiederbeschäftigung von entlassenen älteren Arbeit-ehmern verbessern.
Sie haben im Kern den Kündigungsschutz ab einemlter von 52 Jahren aufgehoben, um die Einstellung vonlteren Arbeitnehmern zu erleichtern. Wir haben demugestimmt. Dadurch können ab diesem Alter befristeterbeitsverträge ohne Bedingungen abgeschlossen wer-en.
ie können aber nicht das, was Sie vertreten, sozial nen-en, während Sie das, was die Union fordert, um dieinstellung zu erleichtern, nämlich befristete Arbeitsver-räge für die Dauer von vier Jahren bei Neueinstellun-en, als unsozial bezeichnen. Das ist Heuchelei.
Was die Güterabwägung zwischen Schutz undhance angeht, sind wir für den Schutz auf der Grund-age des Arbeitsrechts, aber wir wollen kein Arbeits-echt, das den Arbeitslosen jede Chance auf Wiederein-tellung nimmt. Das vertrete ich als Sozialpolitiker undls Arbeitsmarktpolitiker.
Wohin hat denn Ihre Politik in Wahrheit geführt? Imern ist festzustellen, dass die Dichte der arbeitsrechtli-hen Paragraphen so hoch ist wie nie zuvor. Wir unter-cheiden uns von anderen europäischen Ländern da-urch, dass diese eine hohe Dichte an zusätzlichenrbeitsplätzen aufweisen. Wir haben eine hohe Dichten Paragraphen; die anderen haben eine hohe Dichte anrbeitsplätzen.
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Horst SeehoferSie können das Gesundheitswesen, das Rentensys-tem, die Sozialhilfe und die Arbeitslosenversicherungreformieren, so viel Sie wollen, Sie werden damit nie-mals ausgleichen können, was auf der anderen Seitedurch eine lahmende Wirtschaft und höhere Arbeitslo-sigkeit wegbricht. Deswegen müssen wir die Brems-klötze wegnehmen und die Hürden für die Wiederein-stellung durch eine Änderung des Arbeitsrechtsbeseitigen.
Es ist mir nicht bange um die Zustimmung der Bevöl-kerung. Schauen Sie sich nur das letzte Wahlergebnis inHamburg an! Dann sehen Sie genau, wer Ihnen den Rü-cken gekehrt hat – vielleicht werden das nach Ihrer heu-tigen Rede noch mehr tun, Herr Benneter – und wer sichuns zugewandt hat. Es waren die Arbeitnehmervertreterund die Arbeitslosen, bei denen wir die höchsten Zu-wächse haben, weil sie uns vertrauen, dass wir sie wie-der aus der Arbeitslosigkeit herausführen.
Das Wort hat nun Christine Scheel vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! HerrSeehofer, immer wieder stoßen wir an den Punkt, andem wir feststellen, dass die Union nicht in der Lage ist,einerseits das zu reflektieren, was sie selbst verursachthat, und andererseits das, was wir in den letzten Jahrenan Positivem auf den Weg gebracht haben, was aber vonihr abgelehnt wurde. Die Sozialversicherungsbeiträgeliegen heute 1 Prozent niedriger als 1998, und zwar trotzder bekanntlich schwierigen wirtschaftspolitischen Situ-ationen in den vergangenen Jahren. Wir wissen alle, dasswir daran arbeiten müssen.
Es ist ein Erfolg, die Sicherungssysteme zu erhaltenund gleichzeitig niedrigere Beiträge für die Arbeitneh-mer und Arbeitnehmerinnen zu haben als am Ende IhrerRegierungszeit.
Zum Zweiten: Wir haben in der Steuerpolitik – daswissen auch Sie; das ist die Gesetzeslage – den Steuerta-rif um 11 Prozentpunkte gesenkt. Das war ein Kraftakt,den wir gemeinsam mit den Ländern, egal wer dort re-giert, unternommen haben. Er hat sich aber gelohnt;denn heute haben wir einen Steuertarif, der sich interna-tional sehen lassen kann.
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Wenn man schaut, wer eigentlich Mut zu Reformenat, dann muss man feststellen, dass Sie sich weder beier Rente – soll sie nun steuerfinanziert werden odericht? – noch in der Gesundheitspolitik – in der Unionst völlig offen, ob es eine Kopfpauschale geben sollder nicht – und auch nicht in der Steuerpolitik – wenns konkret wird, wissen Sie nicht genau, wie das ausge-taltet werden soll; das, was Sie hier bislang geboten ha-en, ist nicht besonders viel – einig sind. In den drei Be-eichen Rente, Gesundheit und Steuern Fehlanzeige iminblick auf ein abgestimmtes Konzept!Zur FDP: Herr Brüderle, Sie sind wirklich Klasse,enn es um großspurige Aufforderungen geht. Das kön-en Sie. Das muss man Ihnen lassen.
enn es aber darum geht, den Mut zu Reformen zu be-eisen, also für oder gegen etwas zu stimmen, um deut-ich zu machen, was genau man unterstützt, dann wirdie FDP vom trompetenden Elefanten zur lautlosenmeise.
ie reißen – Stichwort „Handwerksordnung“ – das Maulroß auf und trompeten herum. Wenn es aber konkretird, dann sind Sie nicht mehr dabei und wollen von Re-ormen nichts mehr wissen. Sie fordern immer nur dasin, was Sie Ihrer Meinung nach in der Opposition nachußen vertreten können. Sobald es aber heißt: „Butterei die Fische“, sind Sie nicht mehr dabei.Ich finde, dass Lothar Späth Recht hat, wenn er in derestrigen Ausgabe des „Handelsblattes“ im Hinblick aufie Union kommentiert:Sie beschließen ein unausgereiftes Konzept, das dieunpopulären Komponenten erst einmal in die ferneZukunft verschiebt oder gar nicht erst beinhaltet.enau das ist der entscheidende Punkt. Dem ist eigent-ich nichts mehr hinzuzufügen. Nur so viel: Dasonsensprogramm der Union begräbt interne Konflikte.s ist nichts weiter als heiße Luft und strotzt vor
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Christine ScheelWidersprüchen. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammen-hang zwei Beispiele nennen. Zuerst stellt die Union fest,dass das deutsche Steuerrecht nicht reformierbar sei.Dann kommt ein zaghafter Vorschlag für ein klein wenigSubventionsabbau, und zwar – selbstredend – ohne Zu-mutungen für die eigene Klientel. Das war klar; denn dasmachen Sie immer so. Das bedeutet in der Konsequenz,dass Sie sich in den eigenen Widersprüchen verheddern.Des Weiteren verkündet die Union, dass sich Anstren-gungen auf dem Arbeitsmarkt wieder lohnen müssten.Angesichts dessen wäre es doch logisch, dass die Unionjede sich bietende Gelegenheit nutzt, um Abgaben undSteuerbelastung gerade für die Arbeitnehmer und Ar-beitnehmerinnen zu senken. Aber jedes Mal, wenn esVorschläge gab, Subventionsabbau zu betreiben undSpielräume zu schaffen, haben Sie abgelehnt.
Sie sind diejenigen, die mit Ihrer Mehrheit im Bundesratden Fortgang verhindern bzw. dafür sorgen, dass dieDinge auf die lange Bank geschoben werden, die fürVerunsicherung in der Bevölkerung sorgen, die Augen-wischerei betreiben und den Menschen irgendetwas vor-gaukeln, hinter dem überhaupt nichts steckt. Deswegensind Sie – das muss ich sagen – absolut nicht regierungs-fähig, und zwar wahrscheinlich für viele Jahrzehnte.
Ich erteile der Kollegin Petra Pau das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Union will die Verbindlichkeit von Tarifverträgen aufhe-
ben und den Kündigungsschutz in den ersten vier Be-
schäftigungsjahren sowie für ältere Arbeitnehmer ab-
schaffen. Sie will ein generelles Recht auf unbezahlte
Mehrarbeit und für Langzeitarbeitslose Löhne unter Ta-
rif einführen. Das waren die Meldungen vom Wochen-
ende. Die Union nennt das „Weichen stellen für
Deutschland“. Die PDS im Bundestag nennt das: zurück
zum Manchester-Kapitalismus.
Denn nach Ihren Plänen würden die Arbeitnehmer zum
Freiwild und der Sozialstaat endgültig zum Trauerfall.
Nun höre ich wohl, nichts werde so heiß gegessen,
wie es gekocht wird. Aber das ändert nichts am Kurs,
den die CDU und die CSU einschlagen wollen. Das gilt
übrigens nicht erst seit heute; ich weiß gar nicht, warum
Sie am Wochenende so lange gerungen haben. Ich emp-
fehle Ihnen sehr den so genannten Zukunftsbericht der
Freistaaten Bayern und Sachsen aus dem Jahre 1997.
Bereits dort wurde all das festgehalten und vorgeschrie-
ben, was Sie jetzt feilbieten: eine massive Entlastung der
Unternehmer, eine drastische Belastung der Arbeitneh-
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ewundert habe ich mich lediglich über den Aufschrei
ei der SPD; denn fast alles, was im genannten Zu-
unftsbericht der CDU/CSU steht, ist schon heute Be-
tandteil ihrer unsozialen Agenda 2010.
eispiele nenne ich Ihnen gern: die Kürzung der Ar-
eitslosenhilfe; den angedrohten Zwang zur Arbeit, egal
u welchen Bedingungen.
Das alles schafft aber keine Arbeit; es entwertet Ar-
eit. Das hindert die CDU/CSU allerdings nicht daran,
opulistisch auf Dummenfang zu gehen, etwa mit der
arole: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Das klingt zwar
ohlfeil, es stimmt nur nicht: Dadurch wird keine Arbeit
eschaffen, sondern man lässt sie nur zu Dumpinglöh-
en verrichten. Das schafft wiederum Armut. Früher
annte man das Ausbeutung. Heute heißt das Reform
der „Weichen stellen für Deutschland“. Für ein Drittel
er Bevölkerung – auch das steht übrigens schwarz auf
eiß im genannten Zukunftsbericht – heißt das ange-
trebte Ziel allerdings Abstellgleis.
Sie wissen wahrscheinlich, dass am 3. April in Köln,
n Stuttgart und vor allem hier in Berlin Zigtausende
enschen gegen die Zerstörung des Sozialstaates de-
onstrieren werden.
ch finde, zu Recht. Angesichts Ihrer Pläne und dessen,
as unter der Überschrift „Agenda 2010“ firmiert, kann
ch nur dazu auffordern: Geht auf die Straße!
Ich erteile nun dem Parlamentarischen Staatssekretärerd Andres das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Manches, was in dieser Debatte gesagt wird,stimmt ja. Auch manches, was Herr Meyer und HerrSeehofer gesagt haben, stimmt. Herr Meyer, Sie habenbeispielsweise danach gefragt, wie wir zu einer Beschäf-tigungsquote bei den über 55-Jährigen von 38 Prozentgekommen sind. Ich empfehle Ihnen dringend, sich zu-nächst einmal an die eigene Nase zu fassen.
Sie haben hier Dänemark genannt und darauf verwie-sen, dass man dort 1994 mit Reformen begonnen hat.
Ich empfehle Ihnen wiederum, sich an die eigene Nasezu fassen und sich damit auseinander zu setzen, dass wiralle miteinander Deutschland jetzt in Bewegung bringenmüssen, weil wir zehn bis 15 Jahre der Entwicklung ver-pennt haben. Wie groß Ihr Anteil daran ist, das dürfenSie vor dem Deutschen Bundestag, also öffentlich, gerneinmal sagen.
Herr Seehofer und Herr Meyer, ich empfehle, bei derWahrheit zu bleiben. In Ihrem Papier steht:Die Arbeitslosigkeit ist auf über 4,6 Mio. angestie-gen, mehr als vor dem Regierungswechsel 1998 zuRot-Grün.Das ist schlicht die Unwahrheit. Das ist gelogen.
Ich darf Sie daran erinnern, dass der historisch höchsteStand der Arbeitslosigkeit in diesem Lande im Januar/Februar 1998 mit 4,82 Millionen registrierten Arbeitslo-sen erreicht wurde,
und das bei 2 Prozent Wirtschaftswachstum.
Deswegen fordere ich Sie auf, auch in Ihren Papieren zurWahrheit zurückzukehren und sie auch zu sagen.Sie reden davon, Weichen stellen zu wollen. Ich willzunächst einmal sagen: Dafür haben Sie vom Wählerkein Mandat.
– Ja, Sie haben hier nicht die Mehrheit und Sie stellenhier auch keine Weichen. Über diese Aussagen könnenSie gerne lachen. Weichen stellen andere, Weichen stelltdie Regierungsmehrheit.AbgsvrmkbhtrzuBhwavdRSdDSmbasfzamSWaWPLmteBzrdaI
nstatt Weichen zu stellen, sollten Sie sich lieber daraneteiligen, die Konjunkturlokomotive in Fahrt zu brin-en. Die Konjunktur braucht Rückenwind, nicht sub-tanzlose Diskussionen, die die Menschen nur weitererunsichern.Auch für Sie, meine sehr verehrten Damen und Her-en, gilt: erst das Land, dann die Parteien. Ich erinnereich noch gut, dass Sie uns im Vermittlungsausschussurz vor Weihnachten ein stärkeres Entgegenkommeneim Subventionsabbau mit der Begründung verweigertaben, Sie wollten das Pulver für die große Steuerreformocken halten. Von der fabulierten Sie damals schon. In-wischen sind diese Träume wie Seifenblasen zerplatztnd alle steuerpolitischen Höhenflüge auf dem hartenoden der finanzpolitischen Realität gelandet. Im Nach-inein stellt sich heraus, dass es nur einen Grund gab,arum Sie uns ein Entgegenkommen im Vermittlungs-usschuss verweigert haben: weil bei Ihnen die Parteior dem Land kommt. Bei Ihnen heißt es nämlich: erstie Partei, dann das Land; gut ist, was einen Erfolg deregierung verhindert. Das nenne ich verantwortungslos.ie erweisen damit unserem Vaterland einen Bären-ienst.
urch mehr Subventionsabbau hätten Sie schon bei derteuerreform mehr bewegen können; stattdessen kom-en solche Forderungen jetzt kleckerweise von Ihnen.Wo ist denn eigentlich dieser Bierdeckel-Merz abge-lieben? Er müsste doch eigentlich bei dieser Diskussionnwesend sein. Meine Heimatzeitung, die „Hannover-che Allgemeine“, hat mit einem großen Aufmacher ge-ordert, dass man jetzt einen riesigen Bierdeckel produ-ieren müsse, damit all die Regelungen, die Sie fordern,uch auf einem Bierdeckel Platz haben.Jetzt komme ich zum nächsten Punkt. Dabei richte ichich an Herrn Seehofer und an Herrn Meyer. Wissenie, wieso man hier von Heuchelei sprechen kann?
eil unsere Diskussionen in der letzten Zeit immer mehrn das Gleichnis vom Hasen und vom Igel erinnern.enn die einen 48 Prozent sagen, sagen die anderen 46rozent. Sagt man 46 Prozent, wird 44 Prozent gesagt.assen Sie uns wie im Dezember gemeinsam darum be-ühen, Regelungen, die Bremsklötze darstellen könn-n, zu beseitigen, zum Beispiel die Beschränkung derefristung für Ältere ab 52 Jahre und viele Regelungenum Vorruhestand. So wollten wir, damit Vorruhestands-egelungen nicht attraktiv sind, die maximale Bezugs-auer von Arbeitslosengeld absenken und haben dasuch durchgesetzt. Ich erinnere mich noch, was Vertreterhrer Partei und Sie, Herr Meyer dazu gesagt haben.
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8682 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Parl. Staatssekretär Gerd AndresHerzlichen Glückwunsch! Da haben Sie eine richtigheuchlerische Debatte geführt, als Sie in allgemeinenSpiegelsätzen so etwas gefordert haben; denn in der Pra-xis und in der Realität bei Abstimmungen im DeutschenBundestag haben Sie dann genau das Gegenteil getan.
Gleich wird hier der Kollege Karl-Josef Laumannauftreten und erklären, was man alles machen müsse, umdie Beschäftigungswirkungen zu erhöhen. Dazu sageich: All das, was Sie da fordern, ist heftig umstritten. InIhrem Papier steht viel dummes Zeug.
Kein Mensch hat bis jetzt den Beleg dafür gebracht, dasseine Senkung der Löhne, eine Abschaffung des Kündi-gungsschutzes und ein Aufweichen des Tarifvertrags-rechtes
auch nur eine Beschäftigungsmöglichkeit mehr schaffen.Keiner kann das sagen; jedoch machen Sie damit dieMenschen schutzlos.
Sie rennen damit Positionen hinterher, die nach unseremVerständnis nicht richtig sind.
Ich sage Ihnen noch etwas: Sie haben eine Klassifi-zierung des Tarifabschlusses in der Metall- und Elektro-industrie vorgenommen. Wir halten diesen Tarifab-schluss für vernünftig.
Wir unterstreichen ganz ausdrücklich, dass die Tarifver-tragsparteien freiwillig ganz weit gehende Flexibilisie-rungsregelungen vereinbart haben,
die jetzt angewandt werden und die sehr viel auf demBeschäftigungsmarkt bewirken werden. Ganz ausdrück-lich sage ich für die Bundesregierung: Selbstverständlichhaben die Tarifvertragsparteien eine hohe Verantwor-tung. Wer über die Beschäftigungsbedingungen befindet,befindet weitgehend auch über Beschäftigung.
Aber ich sage Ihnen auch, dass wir davon überzeugtsind, dass die Tarifvertragsparteien in diesem Lande bis-her ihrer Verantwortung gerecht geworden sind
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Wir werden auch am Betriebsverfassungsgesetz keinenderungen vornehmen – damit Sie das wissen. Solangeir die Mehrheit haben, geschieht das nicht. Das Be-riebsverfassungsgesetz hat für die Arbeitgeber viele Er-eichterungen gebracht: Kostenveränderungen durch an-ere Wahlverfahren und andere Dinge mehr. Deswegenagen wir: Es war erfolgreich.
Da schreit einer dazwischen; ich empfehle ihm, einmaln die Ladenschlussregelung zu denken, denn da turnenie immer anders herum, Herr Kollege. Also schön auf-assen!Dass Sie als Union das alles aufschreiben, finde ichanz prima. Was Sie, Herr Meyer, gemacht haben, ist einerantwortungsloser Gemischtwarenladen.
enn Sie glauben, Sie könnten Deutschland mit diesenositionen und diesen Konzepten aus einer sicherlichchweren Krise führen,
ie deutlich macht, dass wir uns anstrengen müssen, dieettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu steigern, vor al-em angesichts der Erweiterung der EU, irren Sie. Dassn diesem Lande nicht alles bleiben kann, wie es ist,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8683
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresweiß jedermann. Aber die Veränderungen müssen sozialvernünftig erfolgen.
– Wir haben eine Menge gemacht; hören Sie auf, HerrSeehofer! Warten Sie doch erst mal ab, bis das, was wiram 19. Dezember gemeinsam beschlossen haben, wir-ken kann, statt mit irgendwelchen neuen Spiegelstrichenoder unausgegorenen Vorschlägen zu kommen!Diese Regierung wird darauf achten, dass die Be-schäftigten in diesem Lande nicht rechtlos werden. EinSystem des Heuerns und Feuerns wird es mit uns nichtgeben. Wir werden uns anstrengen, alles zu tun, um dieBeschäftigung zu verstärken.
Alle Reformen, die wir dazu auf den Weg gebracht ha-ben, sind sinnvoll und werden ihre Wirkung entfalten.Schönen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Man fragt sich zunehmend: Warum eigentlich habenSPD und Grüne diese Aktuelle Stunde beantragt?
Es gibt nur eine einzige Erklärung dafür: NachdemIhnen nach den Umfragen die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer in Scharen davonlaufen, nachdem bei derWahl in Hamburg fast die Hälfte aller Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer die CDU gewählt haben, gehtbei Ihnen das Fracksausen um.
Das ist der Grund, warum Sie diese Debatte beantragthaben.Nun versuchen Sie etwas, was Ihnen auch nicht hel-fen wird. Sie reden hier nicht über das, was CDU undCSU am vergangenen Sonntag als gemeinsames Pro-gramm beschlossen haben, sondern Sie reden über IhreÜbertreibungen, in der Hoffnung, Sie könnten damitnoch irgendwelche Menschen in Deutschland überzeu-gen. Das ist der Punkt.
– Herr künftiger Generalsekretär, das wird Ihnen auchmit Ihrer Rede von vorgestern, die Sie eben gehalten ha-ben, nicht gelingen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer in unserem Land
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Der große Unterschied zwischen Rot und Grün aufer einen Seite sowie CDU und CSU auf der andereneite ist der:
hnen glaubt – erst recht nach den heutigen überzogeneneden – niemand mehr. Wir von CDU und CSU sagenen Wählerinnen und Wählern vor der Wahl, was wirachen werden. Wir werden auch nach der Wahl dazutehen. Das ist der Punkt.
Einige Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen vonot und Grün machen sich Sorgen darüber – das ist jaehr schön –, wie es um den Einfluss der Arbeitnehme-innen- und Arbeitnehmervertreter in der CDU/CSU be-tellt ist.
ie haben heute ein Musterbeispiel dafür geliefert, wieer Einfluss der Arbeitnehmer bei Ihnen aussieht. Rot-rün hat vorhin in der Abstimmung über das so ge-annte Rentengesetz nur eine Mehrheit erreicht, weil Sieich öffentlich in die Tasche gelogen haben. Nur dadurchekommen Sie noch Mehrheiten zustande. Bei CDU undSU können Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerver-reter durch Argumente, also ohne Betrug und Drohun-en, dafür sorgen, dass Beschlüsse zustande kommen, inenen die notwendigen Reformen enthalten sind, durchie aber auch die notwendige soziale Absicherung ge-ährleistet ist. Das ist der Unterschied zwischen denoalitionsfraktionen und der CDU/CSU.
Erstens. Sie haben vor der Bundestagswahl katego-isch erklärt, dass es mit Rot und Grün in Sachen Kündi-ungsschutz und Tarifvertragsrecht überhaupt keine Än-erung gebe. Fakt ist: Das Gegenteil ist eingetreten.
ie beklagen sich über die Regelungen, die wir fürber 50-Jährige vorschlagen. Kollege Seehofer hatchon vorgetragen, dass der Kündigungsschutz für über0-Jährige durch Ihren Gesetzentwurf faktisch abge-chafft wird. Demgegenüber ist die von uns vorgeschla-ene Optionsregelung geradezu eine Besserstellung fürie über 50-Jährigen. Das ist der Punkt.
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8684 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Peter Weiß
– Das ist so, Herr Brandner.Zweitens. Sie selbst haben doch eine Kakophonie vonVorschlägen zum Kündigungsschutz in den letzten Jah-ren hier vorgetragen.
Es war Ihr Vorschlag, den Schwellenwert bei fünf zu be-lassen, aber die befristet eingestellten Arbeitnehmernicht anzurechnen. Der nächste Vorschlag beinhalteteein rollierendes System. Bei der Einstellung eines sechs-ten Arbeitnehmers hätte nur ein Arbeitnehmer Kündi-gungsschutz. Dann gab es den Vorschlag von Schartau,dass es die ersten drei Jahre überhaupt keinen Kündi-gungsschutz gibt. Das würde eine jahrelange Probezeitbedeuten. Dann folgte Ihr Beschluss, dass in Kleinbetrie-ben fünf Arbeitnehmer zusätzlich befristet eingestelltwerden können.Angesichts unserer Vorschläge dürfen Sie in SachenKündigungsschutz wahrhaftig nicht mehr als die Schutz-patronin der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inDeutschland auftreten.
Die Kakophonie, die Sie in den letzten Jahren veranstal-tet haben, zeigt eines: Auf das, was Sie sagen, ist keinVerlass. Bei uns wissen die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, was wir nach der Wahl machen werden. Siewissen auch, dass wir die verlässliche Alternative zu Ih-nen sind.
Ich komme nun zum Thema Tarifvertragsrecht. Vorder Wahl haben Sie erklärt, dass im Tarifrecht nichts ver-ändert werden dürfe und dass Bündnisse für Arbeit nichtzulässig seien. Dann folgte die Agenda-Rede des Bun-deskanzlers im März vergangenen Jahres, in der er for-derte, dass tarifliche Bündnisse möglich sein sollen.Weiter hieß es, wenn die Tarifparteien nicht handelnwürden, müsse der Gesetzgeber handeln. Jetzt machenCDU und CSU einen praktikablen Vorschlag, um dasumzusetzen, wozu Sie gesetzgeberisch bis zur Stundenicht in der Lage waren. Das ist doch der Punkt.
Herr Kollege, auch Sie denken bitte an die Redezeit.
Die Diskussion über die Wirkung unserer Vorschläge
zur Reform auf dem Arbeitsmarkt hin oder her: Die
größte soziale Ungerechtigkeit unserer Zeit
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Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichlaube, wir befinden uns in diesem Frühjahr in einerichtigen Klärungsphase.
err Kollege Seehofer, Sie spielen dabei ebenso wieerr Laumann und andere eine ganz wichtige Rolle. Ihreommentare zu den Entwürfen, die offiziell von Södernd Meyer stammen, mit Frau Merkel und Herrn Stoiberber natürlich abgestimmt sind, haben deutlich gemacht,ass Sie wissen, dass Sie sich an einer Scheidelinie be-egen. Entscheiden Sie sich wie Merkel und Stoiberür das Rezept Sozial- und Steuerdumping, um die inter-ationale Konkurrenzfähigkeit zu bewahren? Wollen Sieamit auf die Osterweiterung der EU reagieren odericht?
Herr Seehofer, Sie wissen ebenso wie Herr Laumannnd andere im Grunde genau, dass es an dieser Stelle füren Sozialstaat Deutschland, den wir erneuern müssen,efährlich zu werden droht.
ie haben den Rubikon überschritten. Ich glaube, Sie ha-en sich innerlich vom Sozialstaat verabschiedet. Dieräfte, die in der Union immer für den Sozialstaat ge-tanden haben, weil sie über eine Wertebindung verfü-en, haben sich von den anderen sozusagen wegräumenassen. Das ist nach den langen Debatten an dem chaoti-chen Wochenende noch nicht so deutlich gesagt wor-en; aber das ist der Hintergrund dieser Debatte.
Eigentlich geht es darum, wie die Zukunft dieses Lan-es aussehen wird. Wie sieht die Gesellschaft im nächs-en Jahr und im Jahr 2010 aus? Wollen wir auch weiter-in eine Gesellschaft, in der die soziale Bindung und
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Joachim Poßsoziale Gerechtigkeit wichtige Maßstäbe sind? Wollenwir die im Grundgesetz vorgesehene Sozialpflichtigkeitdes Eigentums beibehalten oder verabschieden wir unsvon diesen Bindungen des Grundgesetzes? Wollen wirdie Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfä-higkeit aushöhlen, wie es das CDU-Konzept vorsieht?Das sind die Grundfragen, über die in diesem Jahr poli-tisch zu entscheiden ist.
Ich muss – auch unter dem Eindruck der Umfrage-ergebnisse, Kollege Meckelburg – einräumen, dass esuns nicht gelungen ist, die politischen Alternativen deut-lich zu machen. Herr Andres hat das bereits in wün-schenswerter Klarheit herausgestellt. Es wird die Auf-gabe der SPD und der Grünen sein, kantenscharfdarzustellen, worin der Unterschied zwischen Erneue-rung des Sozialstaates und Abräumen von Arbeitneh-merrechten besteht.
Reformfreudig waren Sie doch nur, wenn es um dasAbräumen von Arbeitnehmerrechten ging.
Wo war denn Ihre Reformfreude bei den Reformen imGesundheitswesen? Wo war Ihre Reformfreude beimSubventionsabbau? Wenn es um die Landwirtschaft odereine andere Ihrer Klientelen ging, war bei Ihnen Schlussmit der Reformfreude. Das ist Ihre Praxis.
Diesen Weg gehen wir nicht mit. Wir sehen in denUmfragen verdammt schlecht aus, auch weil wir derAuseinandersetzung mit der organisierten Arbeitneh-merschaft nicht aus dem Wege gehen. Wir sind fest da-von überzeugt, dass wir auf dem richtigen Wege sind,um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Wir sindüberzeugt, dass wir für unsere Kinder und unsere Enkeldas Richtige tun. Wenn wir diese Überzeugung nicht hät-ten, hätten wir uns dieser Auseinandersetzung nicht sogestellt.Sie stellen sich der Auseinandersetzung immer nureinseitig. Wo es um Ihre angestammte Klientel geht, woes für Sie unbequem wird, weichen Sie der Auseinander-setzung aus. Deswegen legen Sie auch Steuerkonzeptevor, von denen der Manager, aber nicht der Pförtner, derChefarzt, aber nicht die Krankenschwester profitiert.Das ist Ihr Weg.
Ich gebe zu, wir waren bis jetzt nicht sehr erfolgreichbei der Darstellung unserer Vorhaben. Das wird sich abheute ändern.Das Bild vom Bierdeckel ist wirklich sehr schön – erwird von Tag zu Tag größer. Warum? – Weil Sie aufKlientelinteressen Rücksicht nehmen. In Ihrem Steuer-ktGAadsgMlaAwsMsdtCI–ngkgddaeskN
it dem Mittel der Täuschung kann man eine ganze Zeitng Erfolg haben.
uf Dauer lässt sich ein Volk aber nicht veräppeln. Wirerden Ihnen noch kräftig in die Suppe spucken. Verlas-en Sie sich darauf! Wenn Sie meinen, uns mit diesenitteln der Politik in die Knie zu zwingen, dann täu-chen Sie sich gewaltig.
Ich bedanke mich beim Kollegen Poß ausdrücklich
afür, dass er als Erster in dieser Debatte die fünf Minu-
en Redezeit tatsächlich eingehalten hat.
Nun hat das Wort die Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!ch weiß nicht, Herr Kollege Boss
das sind die Franken –, warum Sie als heutiges Themaicht die Steuerreform beantragt haben. Ich würde sa-en, das, was Sie hier aufgeführt haben, war eine ganzlare Themaverfehlung.
Jetzt erzähle ich Ihnen aber etwas anderes – hören Sieenau zu –:Erstens. Ich fordere Mut zur Veränderung. Wir wer-en Leistungen des Staates kürzen. Dabei geht es nichtarum, dem Sozialstaat den Todestoß zu geben, sondernusschließlich darum, die Substanz des Sozialstaates zurhalten.Zweitens. Wir müssen deshalb auch den Kündigungs-chutz besser handhabbar machen. Insbesondere fürleinere Betriebe muss die psychologische Schwelle beieueinstellungen überwunden werden.
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Dagmar WöhrlDrittens. Ich erwarte, dass sich die Tarifparteien inweit größerem Umfang auf betriebliche Bündnisse eini-gen,
als es in vielen Branchen bis jetzt der Fall ist. Geschiehtdies nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben.Was ist denn los? Ich erwarte Applaus. Das sind näm-lich Zitate aus der Regierungserklärung Ihres Kanzlersvom letzten Jahr.
Da hat im Protokoll gestanden: Beifall bei SPD und Grü-nen. Deswegen warte ich jetzt auch auf diesen Beifall.Es gehört schon eine gewisse Kaltschnäuzigkeit dazu– ich sage das ganz offen und ehrlich –, diese AktuelleStunde zu beantragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen ha-ben Angst.
Sie haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Viel mehrAngst haben die Menschen, die keinen Arbeitsplatz ha-ben, dass sie auch keinen Arbeitsplatz bekommen. Siehaben Angst vor Altersarmut – Ihr Rentenkonzept, dasSie eben vorgestellt haben, lässt grüßen. Sie haben Angstvor der Zukunft.
Wenn man diese Angst hier nicht ernst nimmt, son-dern, so wie Sie das tun, polemisiert und diese Angst in-strumentalisiert, dann ist das zynisch. Sie wissen ganzgenau, was die Wahrheit ist. Die Wahrheit ist: Es wirdkeinem Beschäftigten, keinem arbeitenden Menschen ir-gendein Recht genommen – im Gegenteil. Sie wissenganz genau, es geht einzig und allein um die Frage: Wieschaffe ich es, einem Arbeitsuchenden eine bessereChance zu geben, damit er wieder einen Arbeitsplatz be-kommt?
Das ist nämlich das wichtigste Arbeitnehmerrecht: dieChance auf einen Arbeitsplatz und die Chance, diesenArbeitsplatz auch zu behalten. Das ist es doch, was Siemit Ihren Gesetzen und mit Ihren Rahmenbedingungen,die Sie auf den Weg bringen, mit Füßen treten. Sie müs-sen es wirklich einmal begreifen: Überregulierung ver-nichtet Jobs.Was haben Sie nicht alles versprochen! Sie haben dieReduzierung der Zahl der Arbeitslosen auf 2 Millionenbis zum Sommer 2005 versprochen. Wir sind bei4,6 Millionen Arbeitslosen. Was ist mit den Arbeitneh-merrechten dieser Menschen? Was ist mit den laut Sta-tistik 40 000 Unternehmenspleiten? Wir wissen genau,dSbWm7WwdnslewrpSrngdaAmAsswdggmgDwLFF
as ist mit deren Arbeitnehmerrechten? Es wäre schön,enn Sie hier einmal ein paar Worte dazu verlieren wür-en.Ich weiß auch nicht, warum Sie sich, liebe Kollegin-en und Kollegen von Rot-Grün, so vehement gegen ge-etzlich verankerte betriebliche Bündnisse wehren. Dertzte Tarifabschluss in der Metallindustrie hat es dochieder einmal gezeigt. Ja, es gab eine kleine Flexibilisie-ung, aber wieder nur mit Zustimmung der Tarifvertrags-arteien und auch nur für die Hälfte der Beschäftigten.ie wissen ganz genau, dass die Tarifparteien endlich ih-er Verantwortung gerecht werden müssen. Die Unter-ehmer rufen immer laut nach der Politik – ich sprecheanz bewusst die Unternehmer an, auch wenn Sie sicharüber wahrscheinlich wundern werden –, geben selbstber vor lauter Harmoniesucht im Tarifvertrag klein bei.m nächsten Tag gehen die Unternehmer still und leiseit ihren Betrieben außer Landes und schaffen dort dierbeitsplätze. Früher haben wir Autos exportiert. Inzwi-chen sind es Jobs, die durch Ihre Politik zum Export-chlager geworden sind.
Das ist eine Tarifautonomie, die den Problemen aus-eicht, statt sie zu lösen. Hier ist der Gesetzgeber gefor-ert, Lösungen zu finden.Sie haben die Verantwortung, den Menschen zu sa-en, wie es um uns steht. Sie haben den Menschen zu sa-en, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, da-it es nach vorne geht, damit mehr Beschäftigungeschaffen wird, damit Arbeitsplätze geschaffen werden.Was Sie hier anbieten, ist nur populistische Kritik.as ist zu wenig für jemanden, der Regierungsverant-ortung hat, und viel zu wenig für jemanden, der unserand nach vorne bringen will.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Kollegin Doris Barnett, SPD-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rau Wöhrl, weil man Angst bekommen kann, wenn
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Doris Barnettman Ihr Papier liest, haben wir die Aktuelle Stunde be-antragt.
Denn die CDU/CSU scheint nach ihrem allerletztenWahlsieg und den letzten Umfrageergebnissen demWahn verfallen, sie könne jetzt alles machen, was siewill; das Wahlvolk werde schon zufrieden sein. Davonist zumindest Herr Weiß überzeugt.Anders kann ich mir nicht erklären, dass die CDU/CSU in ihrem „Wachstumsprogramm“ einen Teil sogar„soziale Arbeitsmarktverfassung“ nennt. Das ist ange-sichts der Inhalte wirklich perfid und zynisch zugleich.
Der CDU/CSU geht es jetzt darum – das wissen wirschon aus den Verhandlungen zu den Hartz-Gesetzen –,das soziale Netz so tief zu hängen, dass jeder – auch der,der es nötig hätte – auf den Boden aufschlägt. Oder umein anderes Bild zu benutzen: Sie geben dem Bungee-Springer gerne 2 Meter Seil extra, auf dass er richtig hartaufschlägt.
Jetzt konkretisieren Sie, was Koch und Milbradtschon an anderer Stelle vorgeschlagen haben: Arbeits-lose sollen für 1 Euro die Stunde – gemeinnützig odersonst wo – verpflichtend beschäftigt werden – sonst gibtes kein Geld –; der Staat – wen meinen Sie damit: dieKommunen, den Bund oder die Bundesagentur? – zahltdann den Rest.Das ist es doch, wenn Sie den Niedriglohnbereich „re-vitalisieren“ wollen. Wollen Sie die halbe Republik inMinijobs, in geringfügige Beschäftigung packen? WieSie dann die sozialen Sicherungssysteme finanzieren,das sagen Sie in Ihren Papieren nicht. Auch HerrSeehofer hat dazu heute herzlich wenig gesagt. Dasbrauchen Sie auch nicht; denn die Systeme, wie sie heutesind, nämlich solidarisch – das heißt, der Starke steht fürden Schwachen ein, die Jungen für die Alten –, wollenSie sowieso abschaffen. Die Kopfpauschale lässt grüßen.Assistiert wird Ihnen dabei in wunderbarer Weise vonder FDP, die die Geringfügigkeitsgrenze von jetzt325 Euro auf 630 Euro anheben will. So „revitalisieren“Sie Jobs, für die keine Sozialabgaben bezahlt werden,deren Inhaber nie Ansprüche auf eine Rente haben. Diebrauchen dann natürlich auch keine Ausbildung; deshalbwollen Sie „weitere Ausbildungsgänge für theorieentlas-tete Berufe“. Beim ersten Lesen habe ich gedacht, esheiße „theorieentleerte“. Das wollen Sie wohl auch:Ausbildung ohne Schule, Learning by Doing, Learningon the Job – das Modell USA lässt grüßen. Wollen Siewirklich – jetzt nach PISA – die Berufsschulen ausdün-nen, vielleicht um damit in den Landeshaushalten Geldzu sparen?Das alles geschieht auf dem Rücken der jungen Men-schen – auf der Besuchertribüne sitzen welche –, died2nnbDassZsgAsismeecseaitfdfsdbntnncDwhsKdvhssK
Was für ein Menschenbild haben Sie? Nur Eigenver-ntwortung? Keine Assistenz durch die Gesellschaft –prich: den Staat? In Ihrem Menschenbild sind offen-ichtlich alle kerngesunde Albert Einsteins.
u diesem Ergebnis muss man doch kommen, wenn Siechreiben, dass Ansprüche an den Staat deutlich zurück-enommen werden.Deshalb wollen Sie wohl auch die Bundesagentur fürrbeit auf ihre „Kernaufgaben“ zurückführen. Sie sollich nicht mehr um die Arbeitslosen kümmern, sondernhnen nur das Geld auszahlen. Denn der freie Menschteht im Mittelpunkt. Ihm kann man alles zutrauen; eruss dann alles selbst machen. Haben Sie überhauptinmal mit Behindertenverbänden gesprochen, wie siein solches Modell sehen?Schauen wir uns einmal an, was Sie mit Menschen ma-hen, die eigenverantwortlich handeln – nicht nur fürich, sondern auch für die Gesellschaft. Die bisher steu-rfreien Übungsleiterpauschalen wollten Sie zunächstbschaffen. Jetzt wollen Sie sie beibehalten, um sie dannn einem neu geordneten Gemeinnützigkeitsrecht endgül-ig zu regeln. Ob hopp oder top, ob sie sie ganz abschaf-en oder doch beibehalten, verrraten Sie aber noch nicht.Im Gegensatz dazu haben Sie sich aber schon entschie-en, dass es wieder einen unbeschränkten Verlustvortragür Unternehmen geben soll. Offensichtlich soll die Ver-teuerung wenigstens von 40 Prozent des Gewinns weg,ie wir gerade im Dezember beschlossen haben.Langzeitarbeitslose sollen im ersten Jahr unter Tarifeschäftigt werden. Denken Sie dabei an 10 Prozent we-iger oder an 90 Prozent weniger? Sollen die Tarifpar-eien dabei mitreden? Nach Ihrem Konzept wohl ehericht, weil der Betriebsrat bzw. die Belegschaft dies oh-ehin günstiger regeln kann.Leiharbeitnehmer sollen ein Jahr lang zwar die glei-he Arbeit verrichten, nicht aber zum gleichen Lohn.en bekämen sie erst nach einem Jahr; aber das ist so-ieso lächerlich, weil kaum ein Leiharbeitnehmer über-aupt ein Jahr bei einem Arbeitgeber beschäftigt ist. Esind eher Wochen oder, wenn er Glück hat, Monate.So sieht Ihre Arbeitnehmerpolitik aus: Ältere ohneündigungsschutz, besser gar kein Kündigungsschutz –as ist Ihre Devise. Mit Ihrem Wachstumsprogrammom Sonntag und dem, was jetzt an jedem Tag weitererauskommt, wächst in der Tat etwas: nicht die Wirt-chaft, nicht der Arbeitsmarkt, sondern die Entsolidari-ierung, die Ungerechtigkeit, die Armut und die sozialeälte made by CDU/CSU.
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Ich erteile Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Diese Aktuelle Stunde, die sich jetzt ihremEnde zuneigt und die Sie beantragt haben,
um mit uns über den Abbau von Arbeitnehmerrechtendurch CDU und CSU zu diskutieren, hat erstens deutlichgemacht, Herr Kollege Stiegler, dass ich mir Pharisäerimmer so vorgestellt habe, wie Sie sich heute verhaltenhaben.
Der zweite Punkt ist, Herr Stiegler, dass Sie noch ein-mal gut überlegen sollten, ob Sie mit Herrn Benneterwirklich einen Generalsekretär haben, der es bringt.
Aber fangen wir doch jetzt einfach einmal an: Poli-tisch wollen Sie mit dieser Aktuellen Stunde eines errei-chen:
Sie wollten für Ihre Klientel und insbesondere für dieGewerkschaften wieder ein Stück weit den alten Front-graben aufwerfen: hier die, die für Arbeitnehmerrechtestehen, und dort die, die es nicht tun. Das ist Ihnen bisjetzt noch nicht gelungen. Ich will auch sagen, warum esIhnen nicht gelungen ist. Wir alle wissen, dass wirselbstverständlich auch beim Arbeitsrecht Veränderun-gen gegenüber dem heutigen Stand brauchen, wenn wirzu mehr Beschäftigung kommen wollen.
Jetzt stellen wir erst einmal eine Gemeinsamkeit indieser Debatte fest. Weder Sie noch wir noch die FDPnoch die Grünen schlagen vor, irgendeinem Menschen inDeutschland, der in Beschäftigung ist, seinen Kündi-gungsschutz wegzunehmen.
Vielmehr denken wir über folgende Frage nach: Wiekönnen wir Barrieren bei der Einstellung abbauen? Indiesem Zusammenhang verdeutliche ich die Unter-schiede zwischen Ihnen und uns hinsichtlich des Kündi-gungsschutzes.Erster Punkt: Sie haben im Herbst 1998 nach der da-mals von Ihnen gewonnenen Bundestagswahl einen vonuns eingeführten Schwellenwert von zehn Mitarbeiternauf fünf Mitarbeiter reduziert. Sie haben die damals vonusrwDldMStsabisdja1vsgKügdkteIbAdOIbVsws
amit haben Sie zugegeben, dass Sie damals einen Feh-er gemacht haben. Sonst hätten Sie es heute nicht wie-er eingeführt. Das müssen wir erst einmal feststellen.
Der zweite Punkt: Im Gegensatz zu Ihnen sind wir dereinung – daran halten wir auch fest –, dass man denchwellenwert auch bei Kleinbetrieben auf 20 Mitarbei-er festlegen kann, weil durch die enge Bindung zwi-chen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Regelfall einutomatischer Kündigungsschutz wirkt, genau wie dasei unter fünf Mitarbeitern schon seit eh und je der Fallst. Glauben Sie es: Da liegen wir wahrscheinlich mit un-erer Einschätzung ganz richtig.
Dritter Punkt: Sie haben ein Gesetz gemacht, nachem man Kettenverträge ab dem 50. bis zum 65. Lebens-hr ohne sachlichen Grund verlängern kann. In diesen4 Jahren brauchen Sie dafür siebenmal einen Ketten-ertrag. Hierzu hat unser Präsidium am Wochenende ge-agt: Wir sind der Meinung, dass das Kündigungsschutz-esetz, das ja über das BGB hinaus ein besonderesündigungsschutzrecht ist, nicht mehr für Arbeitnehmerber 50 Jahre gelten soll. Das hat zumindest den ganzroßen Vorteil, dass man nicht siebenmal eine Kette bil-en muss, sondern die Dinge ganz normal wirken lassenann. Nach einer Einstellung wird sich dann alles Wei-re entwickeln.
ch glaube daher nicht, dass der Aufwand, den Sie hieretreiben, begründet ist.
Zum Abfindungsrecht sagen Sie, am Ende einesrbeitsverhältnisses kann dafür votiert werden. Das istie Rechtslage. Wir sagen, es soll bei Einstellung dieption auf ein Abfindungsrecht geben. Hier muss manhre und unsere Position genau auseinander halten; dennei beiden Positionen wird darauf hingewiesen, dass wireränderungen im Arbeitsrecht brauchen, um mehr Ein-tellungen zu erreichen. Die Veränderungen, die wirollen, sind nachvollziehbarer, klarer und unbürokrati-cher als Ihre. Deswegen sind sie besser.
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Karl-Josef LaumannZum Schluss weise ich, damit kein Popanz aufgebautwird – denn hier bestehen erhebliche Unterschiede zwi-schen unseren Positionen –, auf die betrieblichen Bünd-nisse für Arbeit hin. Wir haben uns entschieden.
Wir sind der Meinung, dass es aus Gründen der Beschäf-tigungssicherung und des Beschäftigungsaufbaus imeigenen Betrieb die Möglichkeit zum Abweichen vomTarifvertrag geben soll, wenn hohe Quoren erfüllt wer-den und wenn Geschäftsleitung und Belegschaft bzw.Betriebsrat das wollen.
Diese Position hat auch Ihr Bundeskanzler vertreten.
Sie vertreten sie nicht, weil der DGB dagegen ist. Trotz-dem ist sie richtig. Ich sage Ihnen: Das wird in einem derersten Gesetze stehen, die wir verabschieden werden.Dadurch werden wir Beschäftigung sichern.Die Vertreter großer Arbeitgeber, die montags Tarif-verträgen zustimmen und dienstags beschließen, die An-zahl ihrer Fertigungsbetriebe zu reduzieren und die be-treffenden Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern,helfen unserem Arbeitsmarkt nicht.
Ein solches Verhalten können wir nur durch betrieblicheBündnisse für Arbeit umgehen.Schönen Dank.
Zum Schluss der Aktuellen Stunde erteile ich dem
Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-lege Karl-Josef Laumann tut mir Leid; denn er wird im-mer vorgeschickt, um abzulenken. Jetzt bemüht er sogardie Bibel. Aber die Stelle über die Pharisäer haben Sie,Herr Kollege, nicht komplett gelesen. Denn die Phari-säer haben gesagt: Oh Herr, ich danke dir, dass ich nichtso bin wie die anderen. Dazu kann ich nur sagen: Rot-Grün dankt wirklich der eigenen Politik, dass sie nicht soist wie Ihre schreckliche.
Er wird immer als soziale Tarnkappe vorgeschickt.ber nach der Wahl wird der arme Kerl wieder in dieequisitenkammer eingesperrt. Dann jault er wieder. Voren nächsten Wahlen wird er dann wieder ins Schaufens-er gestellt. Ein armer Kerl!
Ich mache mir auch um Horst Seehofer Sorgen; dennr hat enorme Gedächtnisprobleme. Ich weiß nicht, obie schon pathologisch sind.
ch kann ihm schließlich nicht unterstellen, dass er lügt.r muss wohl vergessen haben, dass Deutschland in sei-er Zeit als Bundesminister die höchste Arbeitslosigkeitnd dauerhaft sinkende Löhne hatte. Was ist mit seinemedächtnis los?
Es ist wie bei der Gesundheitsreform. Nach der lan-en Verhandlungsnacht hat er gesagt, das sei die glück-ichste Nacht seines Lebens gewesen. Da habe ich miredacht: Du armer Kerl, dann hast du noch nichts erlebt!
ber heute ist er, wenn es um die Gesundheitsreformeht, auf der Flucht wie einer, der keine Alimente zahlenill.
a kann man sich wirklich nur wundern. Das ist seitatzer das Schicksal der Sozialausschüssler in dernion.Aber denen, die uns gelegentlich Briefe zum Themarbeit und soziale Gerechtigkeit schreiben, möchte ichicht nur sagen, was jetzt feingespült wurde, sondernuch das, was Herr Meyer – entweder vor oder nach sei-er Party – und Herr Söder mit Billigung von Herrntoiber und Frau Merkel wirklich wollten. Hier wurde jaieder in den großen Schminkkasten gegriffen und allesurde zugekleistert. Hier denke ich immer an Lichten-erg, der gesagt hat: Du kannst den Hintern schminken,ie du willst, es wird nie ein ordentliches Gesicht da-aus.
o ist es auch mit dem endgültigen Papier, das Sie vor-elegt haben. Aber die erstaunte Öffentlichkeit musschon wissen, was Sie wollten, obwohl Sie es am Endeaus welchen Gründen auch immer – nicht sagen konn-en.
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Ludwig StieglerOffenbar hat irgendein lieber Mensch aus der CDU/CSU den Entwurf weitergegeben, den Sie hier ja nichtvorgelesen haben und bei dem Karl-Josef Laumann vielePassagen übergangen hat, weil sie ihm peinlich waren.Ich nehme nur die erste Seite: „Betriebliche Bündnissefür Arbeit werden gesetzlich geregelt und sind ohne Zu-stimmung der Tarifparteien möglich.“ Liebe Damen undHerren, Sie stehen nicht mehr auf dem Boden desGrundgesetzes, wenn Sie so etwas fordern: „ohne Zu-stimmung der Tarifparteien“. Wer so etwas macht, brichtden Art. 9 des Grundgesetzes und verlässt unsere sozialeOrdnung.
Sie gehen aber noch wesentlich weiter: Sie wollen dieVereinbarung von Mehrarbeit ohne Lohnausgleich. Siewollen auf betrieblicher Ebene das ganze Tarifwerk au-ßer Kraft setzen und mit Ihrer Vorstellung von Günstig-keit die Betriebsverfassungsarchitektur durcheinanderbringen. Sie wollen die Flucht aus den Tarifverträgenvoranbringen, indem Sie die Fortgeltung der Tarifbin-dung nicht mehr haben wollen. Sie wollen also sagen:Man schließt Verträge, haut aber nachher ab. Sie wollendie Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen ab-schaffen. Sie wollen die Betriebsverfassung in den Zu-stand vor 1972 zurückwerfen und Sie wollen Ihremwahrhaftigen Papier nach neu eingestellten Menschenüberhaupt keinen Kündigungsschutz mehr geben.
Sie wollen heuern und feuern und die Arbeitnehmerrechtlos machen.
Das steht alles in Ihrem Papier.Sie wollen das Arbeitslosengeld I, auf das durch Bei-tragszahlungen Anspruch erworben wurde, um 25 Pro-zent bis auf das Sozialhilfeniveau kürzen. Meine Damenund Herren, das ist nicht nur ein Eingriff in das Eigen-tum der Arbeitnehmer, was Sie hier mit den Menschenvorhaben, das ist ein drastischer Raub.
Sie wollen jede aktive Arbeitsmarktpolitik durch dieKürzung des Bundeszuschusses an die Bundesagenturfür Arbeit vermeiden. Sie wollen die Langzeitarbeits-losen unter Tarif beschäftigen. Leider reicht die Zeitnicht, um Ihnen Ihr ganzes Sündenregister vorzulesen.Ich sage Ihnen: Die Menschen müssen wieder unter-scheiden lernen. Wir machen eine moderate Reformeines demokratischen und sozialen Rechtsstaates füreine solidarische Leistungsgesellschaft. Sie wollen zu-rück in eine harte, kalte, marktliberale Gesellschaft. Daswird Ihnen nicht gelingen.
AwAhsmmRdRivIt
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Ex-
portpolitik für konventionelle Rüstungsgüter
im Jahre 2002
– Drucksache 15/2257 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Bericht der Bundesregierung zu den Möglich-
keiten der Erhöhung der Transparenz des
Rüstungsexportberichts
– Drucksache 15/2256 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
en.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
entarische Staatssekretär Gerd Andres.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit demüstungsexportbericht 2002 legt die Bundesregierungem Deutschen Bundestag nunmehr zum vierten Malechenschaft über ihre Rüstungsexportpolitik ab.Zusammen mit diesem Jahresbericht für 2002 möchtech Ihnen den Transparenzbericht der Bundesregierungorstellen.
n diesem wird aufgezeigt, wie die Transparenz des Rüs-ungsexportberichts noch weiter gesteigert werden kann.
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Parl. Staatssekretär Gerd AndresDie meisten der dort genannten Verbesserungsmöglich-keiten konnten bereits für den Rüstungsexportbericht2002 berücksichtigt werden. Ich möchte an dieser Stellenur die Vertiefung der Berichterstattung über die Geneh-migung von Kleinwaffenausfuhren in Drittländer, dieErgänzung der Darstellung durch grafische Übersichtenund die Aufnahme von Vorjahresvergleichen, wann im-mer möglich, erwähnen. Aber auch in künftigen Berich-ten werden wir weitere Anregungen auf ihre Verwertbar-keit für unseren Bericht überprüfen. Eine Quelle solcherAnregungen werden auch die Berichte anderer Länderbleiben.Wir unterstützen im Übrigen Bestrebungen, die aufeine internationale Harmonisierung des Berichtswesensabzielen. Auf europäischer Ebene sehen wir uns auf gu-tem Wege. Greifbare Ergebnisse sind gleichwohl nur inkleinen Schritten zu erreichen.Ihre Grenze finden Bemühungen um die Aufnahmeweiterer Informationen in den rechtlichen Bestimmun-gen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und in derVerfügbarkeit statistischer Daten. Bei Überlegungenüber die Aufnahme weiterer Berichtsthemen ist immerabzuwägen, ob dies in einem angemessenen Verhältniszum damit verbundenen bürokratischen Aufwand in Un-ternehmen und Verwaltungen steht. Insgesamt hat sichdas gegenwärtige Berichtsformat bewährt. Es ist aufbreite Zustimmung gestoßen und kann auch im interna-tionalen Vergleich als vorbildlich gelten.Den Kern des Berichts bildet die Darstellung derrechtlichen und politischen Entscheidungsgrundlagenfür die Rüstungsexportpolitik. Diese Darstellung wirdvervollständigt durch erstmals auch grafisch aufbereite-tes umfangreiches Zahlenmaterial. Immer wieder wirddie Bedeutung der Vergleichbarkeit mit den Vorjahresbe-richten betont. Dem tragen die vermehrte Aufnahme vonVorjahreszahlen und die konsequente Beibehaltung desFormats Rechnung. Das Bild wird ergänzt durch eineStrafverfolgungsstatistik und durch Informationen zu re-gierungsamtlichen Hilfen und Kooperationsprogrammenim Rüstungsgüterbereich.Der Rüstungsexportbericht 2001 enthielt erstmals einbesonderes Kapitel zur Genehmigung der Ausfuhr vonKleinwaffen. Dieses wurde im Bericht 2002 mit Blickauf die Drittländer erheblich ausdifferenziert. Mit dieserSchwerpunktsetzung trägt die Bundesregierung der be-sonderen Bedeutung der Kleinwaffenproblematik Rech-nung. Diese Waffenkategorie spielt bei zahlreichen Kon-flikten weltweit, insbesondere aber in Afrika eineverhängnisvolle Rolle. Kleinwaffen sind einfach und bil-lig zu beschaffen und leicht zu bedienen. So tragen sie inerheblichem Maße zu der hohen Zahl von Opfern be-waffneter Konflikte bei.Deutschland setzt sich zusammen mit den europäi-schen Partnern für eine strikte Exportkontrollpolitik fürdiese Waffenkategorie ein. Einer unkontrollierten Ver-breitung von Kleinwaffen muss vorgebeugt bzw. Einhaltgeboten werden. So beteiligen wir uns maßgeblich anverschiedenen internationalen Initiativen zur verstärktenKontrolle der Verbreitung von Kleinwaffen, nicht zuletztim Rahmen des UN-Kleinwaffenprozesses. Diese Bemü-hdrtgtlAvD3szfdatg0fuzDEdkg267dwwknsgKdNdGgwEbwnwma
Lassen Sie mich nun zum statistischen Teil des Be-ichtes kommen. Ein erster Befund: Der Anteil der Rüs-ungsexporte an den deutschen Gesamtausfuhren ist sehrering. Bei den Kriegswaffen, also bei den Rüstungsgü-ern, die grob gesprochen militärische Waffen darstellen,iegen statistische Daten über die tatsächlich erfolgtenusfuhren vor. Sie machten auch 2002 nur einen Anteilon 0,06 Prozent der deutschen Gesamtausfuhren aus.er Gesamtwert aller ausgeführten Kriegswaffen betrug18,4 Millionen Euro. Das ist gegenüber dem bereitsehr niedrigen Vorjahreswert erneut ein Rückgang, undwar um 13 Prozent.Die Werte zu den erteilten Genehmigungen für Aus-uhren – gerade hierin spiegelt sich die Politik der Bun-esregierung wider – liegen für alle Rüstungsgüter vor,lso sowohl für Kriegswaffen als auch für sonstige Rüs-ungsgüter. So wurden 2002 Einzelausfuhrgenehmigun-en im Wert von 3,3 Milliarden Euro erteilt. Das sind,4 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr. Hiervon ent-allen 77 Prozent auf Genehmigungen für EU-, NATO-nd NATO-gleichgestellte Länder. Die restlichen 23 Pro-ent entfallen auf alle anderen Länder, die so genanntenrittländer. Die Genehmigungswerte für die Ausfuhr inU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder bliebenabei praktisch unverändert. Der Rückgang ist dem star-en Sinken der Genehmigungswerte für die Drittländereschuldet.Für die Kategorie der Kleinwaffen wurden im Jahr002 Einzelgenehmigungen in einem Gesamtwert von1,6 Millionen Euro erteilt. Davon entfielen nurProzent auf Drittländer. Gegenüber dem Vorjahr isties ein deutlicher Rückgang. Weniger als 1 Prozenturde für Entwicklungsländer genehmigt. Insgesamturden für 17 Drittländer – davon waren allerdings fünfünftige EU-Staaten – Ausfuhren von Kleinwaffen ge-ehmigt.Die Gesamtwerte für die Entwicklungsländer warenehr niedrig. Auf sie entfielen 5,6 Prozent des Genehmi-ungswertes und etwa 1 Prozent der Ausfuhren vonriegswaffen. Mehr als Dreiviertel des Gesamtwerteser erteilten Ausfuhrgenehmigungen entfielen auf EU-,ATO- und NATO-gleichgestellte Länder. 98 Prozenter ausgeführten Kriegswaffen gingen dorthin.Diese Zahlen sind Hinweis auf zweierlei: Erstens.egenüber Drittstaaten wurde wiederum Zurückhaltungeübt. Dies gilt, wie gesagt, insbesondere für die Ent-icklungsländer. Zweitens. Mit unseren Partnern in deruropäischen Union und der NATO bestehen enge Ver-indungen in Form vielfältiger Kooperationen. Letzteresird auch durch den hohen Wert für Sammelausfuhrge-ehmigungen, welche für solche Kooperationen erteilterden, belegt.Durch den Rüstungsexportbericht 2002 wird nacheiner Überzeugung gezeigt: Die Bundesregierung hatuch im Jahre 2002 eine restriktive Exportkontrollpolitik
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Parl. Staatssekretär Gerd Andresbetrieben und damit die Vorgaben der von ihr geschaffe-nen politischen Grundsätze erfüllt. Selbstverständlichwaren dabei auch unsere Verpflichtungen aus denKooperationen mit anderen Ländern zu erfüllen. SolcheKooperationen sind politisch gewollt. In bestimmtenFällen kann aber auch die Belieferung zuverlässigerDrittländer vertretbar oder sogar geboten sein. Sie er-folgt jeweils nur nach eingehender Prüfung des Einzel-falls, mit der gebotenen Zurückhaltung und nur in Über-einstimmung mit den politischen Grundsätzen.Auch in Zukunft wird die Bundesregierung ihre mitZurückhaltung und Augenmaß betriebene Rüstungsex-portpolitik fortsetzen.Ich danke Ihnen.
Der Kollege Andres legt Wert darauf, dass die
45 Sekunden als Gutschrift für künftige Überziehungen
berücksichtigt werden. Ich stelle das prinzipiell in Aus-
sicht.
Nun erteile ich dem Kollegen Erich Fritz, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! „Die rot-grüne Bundesregierung gibt sichweiter freizügig beim Waffenverkauf in Spannungsge-biete“ – heißt es in einem „Stern“-Artikel vom 8. Januardieses Jahres. Der Rüstungsexperte von Amnesty Inter-national, John, wird in der „Frankfurter Rundschau“zitiert: Auch Deutschland spiele trotz rot-grüner Rheto-rik eine unrühmliche Rolle; denn die Bundesregierunggenehmige immer wieder Waffenexporte in Länder, indenen gravierende Menschenrechtsverletzungen an derTagesordnung seien, wie etwa in die Türkei oder nachNepal.Hat Rot-Grün auch hier ein Vermittlungsproblemoder sind die Zahlen, die Herr Andres gerade genannthat, tatsächlich so zu interpretieren? Tatsache ist: 2002wurden Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen undRüstungsgüter im Wert von 3,26 Milliarden Euro erteilt.Davor waren es 3,7 Milliarden Euro. Das ist also einleichter Rückgang. Herr Andres hat deshalb auch dieProzentzahlen genannt. Bezogen auf den Zuwachs derExporte in die Entwicklungsländer hat er keinen Pro-zentsatz, sondern nur die absoluten Zahlen genannt.Vielleicht hängt das damit zusammen, dass das Bild et-was anders ausgesehen hätte, wenn er auch hier dieProzentzahlen genannt hätte.Die deutschen Exporte von Kriegswaffen und sonsti-gen Rüstungsgütern bewegen sich weiterhin auf einemhohen Niveau. Wenn man die lange Entwicklung seitden 90er-Jahren betrachtet, dann kann man das eigent-lich als business as usual bezeichnen. Wenn man sich dieAbweichungen bei den Genehmigungszahlen anschautund weiß, welche Aufträge gerade abgelaufen sind – ichdaktdgldt–hwRRgii7slacsvzshdzJsMrsrRKnwIcdnedgk
Das ist mir klar.Herr Kollege, da ich gerade Frankreich angesprochenabe: Dies hätten wir bereits mit beeinflussen können,enn wir den Weg zu einer gemeinsamen europäischenüstungspolitik und zu einer gemeinsamen europäischenüstungswirtschaft schneller und entschiedener gegan-en wären und wenn wir die Basis für eine solche Politikn Deutschland nicht selbst zugrunde gerichtet hätten.
Der Trend bei den einzelnen Ausfuhrgenehmigungenst akzeptabel. Der größte Teil der Ausfuhren,7 Prozent, geht in die EU, NATO und NATO-gleichge-tellte Länder. Exporte in Drittstaaten – das ist gerade er-äutert worden – sind in Ordnung; daran haben wir nichtsuszusetzen. Die Ausfuhren in Entwicklungsländer ma-hen allerdings noch immer ein Viertel des Gesamtge-chäfts aus. Das passt zu dem Bild, das Rot-Grün immerermitteln wollte, natürlich überhaupt nicht, wenngleichuzugestehen ist, dass die absoluten Zahlen relativ be-cheiden sind.Auch der Export in Spannungsgebiete – ich nenneier Israel, Indien oder auch Nepal – ist offensichtlich iner Würdigung so behandelt worden, dass man einfachugestimmt hat. Ich erinnere mich an Debatten frühererahre, als die Lage ganz anders war und dies als deut-ches Verbrechen gebrandmarkt wurde. Kriterien wieenschenrechtsstatus, innergesellschaftliche Lage undegionale Sicherheit, die Grundlage der Entscheidungind, werden offensichtlich, aber nicht ausschließlich be-ücksichtigt. Das war immer unser Einwand gegen dieseichtlinien. Es gibt nicht ein, zwei oder drei exklusiveriterien dafür, ob man etwas exportieren darf odericht. Es bleibt in jedem Einzelfall ein schwieriger Ab-ägungsprozess, der nicht nur unsere wirtschaftlichennteressen umfasst.Die Lage der Menschenrechte und die Frage der Si-herheitspolitik in einem bestimmten Raum, aber auchas Sicherheitsinteresse des Empfängerlandes müssenatürlich berücksichtigt werden. Darüber hinaus gibt esine Reihe von außenpolitischen und anderen Kriterien,ie man beachten muss. Deshalb muss jede Genehmi-ung von Fall zu Fall entschieden werden. Die Richtlinieann dann im Prinzip aussehen, wie sie will.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8693
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Erich G. FritzWie unberechenbar rot-grüne Exportpolitik ist, machtauch der Besuch Bundeskanzler Schröders in der Volks-republik China deutlich, wo er ankündigte, sich für dieAufhebung des EU-Waffenembargos einzusetzen. In dergleichen Zeit, in der der Bundesaußenminister händerin-gend versuchte, den Boden dafür zu bereiten, dass derKonflikt in der Straße von Taiwan auf jeden Fall nur mitfriedlichen Mitteln beigelegt wird, macht der Kanzlereine solche Aussage. Das haben wir für unverantwort-lich gehalten. Das führt im Übrigen auch viele Ihrer ei-genen Diskussionen ad absurdum.Die Vorgänge um die Hanauer Plutoniumfabrik – ichsehe, ich habe nur noch wenige Minuten Redezeit – unddie Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes, das ge-rade beraten wird, zeigen, dass vieles in Ihrer Politiknicht zusammenpasst. Ich bitte Sie sehr herzlich, bei denjetzt geschobenen Beratungen zur Außenwirtschaftsno-velle – dabei geht es um die Übernahme von Rüstungs-betrieben – noch einmal genau zu überlegen, ob das In-strument, das Sie jetzt gewählt haben, angemessen ist.Ich glaube, dass Sie über die Eingriffstiefe erneut nach-denken müssen. Um zu dem gewünschten Ziel zu kom-men, gibt es sehr viel schlankere Möglichkeiten, dienicht dazu führen, dass Deutschland als Kooperations-land für Rüstungsunternehmen noch uninteressanterwird und wir dadurch noch weniger Möglichkeiten ha-ben, auf die zukünftige europäische Rüstungspolitik unddie Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Einflusszu nehmen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Winfried
Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-sere Fraktion begrüßt, dass wir diese Debatte zum Rüs-tungsexportbericht nicht wie in den Vorjahren zu späterStunde und vor fast leerem Haus führen müssen. DasThema ist unseres Erachtens zu wichtig, um es nur amRande zu beraten.Dabei sind die Voraussetzungen für eine sachlicheDebatte nicht gerade einfach: erstens weil der Exportvon Rüstungsgütern nach wie vor erhöhter Geheimhal-tung unterliegt, zweitens weil die parlamentarische Mit-wirkung weitgehend auf die Kenntnisnahme bereits er-folgter Entscheidungen begrenzt ist, drittens weil derBereich sensibel und hochkomplex ist. Kaum jemanddurchschaut noch die diversen internationalen Rüstungs-kontrollabkommen oder Gesetze. Angesichts dieserKomplexität ist die Neigung zu unzulässigen Vereinfa-chungen verbreitet.Deshalb begrüßen wir die Vorlage des Rüstungs-exportberichts. Gemeinsam mit dem Jahresabrüstungs-bericht und dem Jahresbericht des Europäischen Rateszum EU-Verhaltenskodex bildet er eine wichtige Orien-tierungs- und Informationsgrundlage. Mein Dank giltdeshalb zunächst den Mitarbeiterinnen und MitarbeiterndeDhwedDuctbwD1dVgsNERastdhnrBSBlMozHobnOdmegr
Lassen Sie mich von bündnisgrüner Seite festhalten:eutschland ist auf Rüstungszusammenarbeit und des-alb auch auf einen Handel mit Rüstungsgütern ange-iesen. Allerdings muss klar sein, dass diese Rüstungs-xporte in erster Linie in Partnerstaaten der NATO under EU stattfinden. Dies ist sicherheitspolitisch geboten.er Export von Kriegswaffen, sonstigen Rüstungsgüternnd Dual-use-Gütern in die übrigen Staaten muss aus si-herheitspolitischen Gründen streng begrenzt und kon-rolliert werden.Vor diesem Hintergrund sind die im Rüstungsexport-ericht für das Jahr 2002 dargestellten Entwicklungen inichtigen Bereichen als äußerst positiv zu bewerten.ie tatsächliche Ausfuhr von Kriegswaffen ist um3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen undamit auf einem historischen Tiefststand. Auch dasolumen der erteilten Ausfuhrgenehmigungen ging ge-enüber 2001 zurück, und zwar um 12 Prozent. Dritt-taaten, das heißt Staaten außerhalb der EU und derATO und diesen gleichgestellte Staaten, spielen alsmpfänger deutscher Rüstungsgüter eine noch geringereolle als in den vorausgegangenen Jahren. Dies gilt vorllem für Exporte in Entwicklungsländer.Kollege Fritz, Sie haben gerade die internationale Po-ition der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Rüs-ungsexportländern angesprochen. Sie wissen selbst,ass statistische Vergleiche sehr schwierig sind. Sieaben aus dem Rüstungsexportbericht das Institut ge-ommen, in dessen Statistik die Position der Bundes-epublik am höchsten ist, nämlich SIPRI, Stockholm.ei SIPRI rangiert die Bundesrepublik an der fünftentelle.
ei anderen Instituten aus den USA oder Großbritannieniegt Deutschland nicht auf einem der ersten elf Plätze.an muss dabei die Relation bedenken. Das Bild, dasft verbreitet wird, nämlich die Bundesrepublik gehöreu den Spitzenrüstungsexporteuren auf der Welt, zu denändlern des Todes weltweit, stimmt so nicht.Dennoch gab es auch im Berichtszeitraum Exporteder Genehmigungen, die wir nicht nachvollziehen oderilligen können. Hierzu zählen Lieferungen in Span-ungsregionen wie zum Beispiel Indien und den Nahensten. Rüstungslieferungen nach Saudi-Arabien oderie Vereinigten Emirate sind unserer Auffassung nachit den Rüstungsexportrichtlinien nur sehr schwer ver-inbar. Ich appelliere deshalb an die Bundesregierung,rößere Zurückhaltung zu üben.
Offensichtlich ist es auch so, dass der Bundesregie-ung in einigen Fällen die Hände rechtlich gebunden
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Winfried Nachtweisind. Nach dem Außenwirtschaftsgesetz muss derExport von sonstigen Rüstungsgütern, die keine Kriegs-waffen im engeren Sinne sind, genehmigt werden. DieMöglichkeiten, diesen Genehmigungsanspruch rechts-verbindlich zu untersagen, sind begrenzt. Hier ist die Re-gierung in der Beweispflicht.Wir sind der Auffassung, dass es keinen automati-schen Genehmigungsanspruch im Zusammenhang mitdem Export von Rüstungsgütern geben darf. AndereBündnispartner sind hier wesentlich restriktiver. Auchdie Bundesregierung muss jederzeit rechtlich in der Lagesein, eine Ausfuhrgenehmigung für Rüstungsgüter zuversagen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass die Aus-fuhr von Anlagen zur Herstellung von Kleinwaffen oderMunition oder Anlagen, die als Dual-use-Güter auch zurHerstellung von Atomwaffen beitragen können, grund-sätzlich genehmigt werden muss. Die Hanauer MOX-Anlage ist nach Expertenmeinung zweifelsfrei auch dazugeeignet, im Rahmen des chinesischen Atomwaffenpro-gramms verwendet werden zu können. Dies muss ver-bindlich und überprüfbar ausgeschlossen werden kön-nen. Unsere Fraktion hat große Zweifel, ob dies mit demderzeitigen IAEO-Inspektionsregime gewährleistet wer-den kann.
Lassen Sie mich zum Schluss auf die immer wichtigerwerdende europäische Dimension eingehen. Ich glaube,es besteht Konsens darüber, dass in Europa eine ver-stärkte Rüstungszusammenarbeit notwendig ist, die aucheine einheitliche Rüstungsexportpraxis umfassen muss.Wenn von der Opposition der Vorwurf erhoben wird, diedeutschen Rüstungsexportregelungen seien im Vergleichzu anderen Staaten zu restriktiv, dann ist das nur diehalbe Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass es in allen Staatenaufgrund von besonderen industriepolitischen oder ge-schichtlichen Sonderfaktoren eine unterschiedliche Ex-portkultur gibt. Im Rahmen der EU ist es in den vergan-genen Jahren zu beachtlichen Fortschritten in Richtungeiner gemeinsamen Rüstungsexportpraxis gekommen.Die Bundesregierung hat hierfür wichtige Impulse gelie-fert.Unser Ziel sollte es sein, in der EU eine gemeinsame,verbindliche, transparente und möglichst restriktive Rüs-tungsexportpolitik zu entwickeln. Dies muss auch vordem Hintergrund der bevorstehenden Erweiterung derEU und der Weiterverbreitung von Massenvernichtungs-waffen, Überschusswaffen und Kleinwaffen beachtetwerden. Hier bleibt noch viel zu tun und das Parlamenttut gut daran, diesen Prozess aufmerksam und aktiv zubegleiten.Danke schön.
Herr Kollege Nachtwei, wenn Sie das Redesignal des
Präsidenten berücksichtigt hätten, dann hätte vielleicht
durch die Zulassung einer Zwischenfrage Ihre ohnehin
überschrittene Redezeit verlängert werden können.
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So aber erteile ich nun dem Kollegen Harald
eibrecht für die FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Rüstungsexportbericht 2002 der Bundesre-ierung liest sich fast wie eine Erfolgsbilanz. Lassen wirunächst die Zahlen in Euro beiseite und betrachten wirie Zahl der effektiven Genehmigungen, so kommen wirmmerhin auf 11 300 Einzelgenehmigungen. Das scheintir rekordverdächtig. Das ist in der Tat eine überra-chende Erfolgsbilanz für zwei Regierungsparteien, dieoch bis Ende der 90er-Jahre von den Oppositionsbän-en aus den Export von Rüstungsgütern als Teufelszeugerdammt haben.
Aber es geht noch weiter: Bundeskanzler Schröderetzt alles daran, diese Rüstungsexportbilanz in denommenden Jahren noch zu übertreffen. Sie, Herr Kol-ege Fritz, haben darauf hingewiesen, dass jetzt auchoch das EU-Waffenembargo gegenüber China aufgeho-en werden soll.
Die FDP ist, wie Sie wissen, grundsätzlich eine ex-ortfreundliche Partei. Aber es gibt auch Grenzen. Wiraben in der Vergangenheit immer darauf geachtet, dassie Erteilung von Exportgenehmigungen im Rüstungs-ereich an die Einhaltung der Menschenrechte geknüpftnd dass nicht in Krisen- und Spannungsgebiete expor-iert wurde.
Beides ist im Falle Chinas nicht gegeben. Die Men-chenrechtslage in der Volksrepublik China sieht nachie vor verheerend aus. Darüber hinaus wissen wir alle,ass sich die militärischen Spannungen an der Straßeon Taiwan jederzeit verschärfen können. Wollen Sieirklich verantworten, dass in Deutschland produzierteaffen auf das demokratische Taiwan gerichtet werden?ie FDP lehnt deshalb die Aufhebung des EU-Waffen-mbargos gegenüber der Volksrepublik China ab.
Der Verkauf der Hanauer Atomfabrik an China, dener Kanzler gerne sähe, darf nur dann möglich sein,enn garantiert ist, dass die Chinesen diese Anlage nichtum weiteren Ausbau ihres Atomwaffenarsenals benut-en. Sie haben darauf hingewiesen, Herr Nachtwei.Der Verkauf macht übrigens auch deutlich, dass dieot-grüne Koalition des Atomausstiegs jetzt erst richtign das Atomgeschäft einsteigt. Ich bin erstaunt darüber,
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Harald Leibrechtdass die Grünen – allen voran BundesaußenministerFischer – diese beiden Chinainitiativen des Bundeskanz-lers fast kritiklos schlucken.Der Rüstungexport ist – das wissen wir – ein zwei-schneidiges Schwert. Das war schon immer so unddas wird auch in Zukunft, im Zeitalter des internatio-nalen Terrorismus und der Proliferation von Massen-vernichtungswaffen, so sein. Einerseits geht es um dieWettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sowieum Exportchancen und Arbeitsplätze, andererseits umsicherheits- und friedenspolitische Interessen. Deswegensind klare, nachvollziehbare Kriterien beim Rüstungs-export umso wichtiger. Gerade angesichts der jüngstenAffären um Atomschmuggel und des ungeklärten Ver-bleibs von Dual-Use-Gütern findet das Thema Rüstungs-exportkontrollen auch in der deutschen Öffentlichkeitein breites Echo. Die Menschen machen sich zu RechtSorgen darüber, was mit deutschen Rüstungsgütern imAusland geschieht. Sie haben Angst, dass solche Exporteim Hinblick auf unsere eigene Sicherheit zum Bumerangwerden. Ein Ansatz, um hier in Zukunft mehr Transpa-renz und Sicherheit zu bekommen, liegt sicherlich in ei-ner europäischen Rüstungsagentur. Diese sollte nicht nurRessourcen bündeln und die internationale Wettbe-werbsfähigkeit der EU stärken, sondern auch für effek-tive Rüstungsexportkontrollen sorgen.Die Bundesregierung muss endlich eine kohärenteRüstungsexportpolitik betreiben, die ihrem eigenen An-spruch auch gerecht wird.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Helmut Rauber, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Über Rüstungsexporte kann unter den verschie-densten Aspekten, die von der Außen- und Sicherheits-politik bis hin zur Wirtschafts- und Industriepolitik rei-chen, diskutiert werden. In den wenigen Minuten, diemir zur Verfügung stehen, kann ich nur auf den einenoder anderen Aspekt eingehen.Rüstungsexporte sind per se weder gut noch schlecht.Waffen in den falschen Händen können Menschen unter-drücken und töten, die Menschenrechte verletzen undWohlstand zerstören. Mit den gleichen Rüstungsgüternlassen sich aber auch Freiheit, Demokratie und Men-schenrechte schützen sowie materielle Werte bewahren.
Deutsche Rüstungsexporte haben ungeachtet der ver-schiedensten und sehr unterschiedlichen Berechnungs-methoden einen äußerst geringen Anteil an unserenGtZt6uswse9sgodupvrvzmVdzdoakdrEgddAeekaddgFgtkeuSsa
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Wir wissen, dass die Ausfuhr von Rüstungsgüternnach den gesetzlichen Ausfuhrbestimmungen – Kriegs-waffenkontrollgesetz, Außenwirtschaftsgesetz – einemumfassenden Genehmigungsvorbehalt unterliegt. LieberKollege Fritz, es ist richtig: Wir werden hier demnächstnoch über das Thema „Änderung des Außenwirtschafts-gesetzes“ zu reden haben. Auf der einen Seite ist dasThema Eingriffstiefe beim Verkauf von Anteilen an Rüs-tungsunternehmen eine sehr sensible Angelegenheit; na-türlich hat dies auch immer etwas mit den Kapitalmärk-ten zu tun. Auf der anderen Seite muss berücksichtigtwerden, ob ein solcher Eingriff, zum Beispiel im Rah-msdDBbeleBw8aczbrsnWplsukedJPrdbZRwgwiiscdkhadgaDwmmdtd
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Christian Müller
Nur ein solches Verständnis des Grundsatzes der Res-triktivität ermöglicht es der deutschen wehrtechnischenIndustrie, die für die Versorgung der Bundeswehr nöti-gen Kernkapazitäten aufrechtzuerhalten. Dabei möchteich mich gern der Bemerkung anschließen, dass das we-der gut noch schlecht ist, wenn es um Rüstungsexportegeht. Wer aber wie wir eine Bundeswehr unterhält undausrüstet, braucht dafür die entsprechende Industrie.Diese wiederum – in sich hochtechnologisch und effi-zient – kann nicht allein von den Rüstungsaufträgen derBundeswehr leben und ist folglich auch auf Exporte an-gewiesen. Auch das möchte ich an dieser Stelle einmalunterstreichen.
Der vorliegende Bericht weist aus, dass die Grund-sätze eingehalten werden. So gehen 77 Prozent derExporte in EU-, NATO- und der NATO gleichgestellteLänder. Bei Kriegswaffen liegt dieser Anteil bei über90 Prozent. Exporte in klassische Entwicklungsländer– der Export von Kleinwaffen ist eine besonders proble-matische Angelegenheit, die hier schon ausreichend ge-würdigt wurde – spielen gemäß den Zahlen, die wir ken-nen, in diesem Zusammenhang keine übergroße Rolle.Weitere Einzelheiten, meine sehr geehrten Damenund Herren, könnten hervorgehoben werden. Ich glaubeaber, dazu ist in den vorangegangenen Beiträgen, insbe-sondere in dem von Herrn Staatssekretär Andres, genü-gend gesagt worden.Ich will nur noch zusammenfassend sagen – ichspare ein wenig Zeit für die weitere Debatte, Frau Prä-sidentin –,
dass die Bundesregierung mit dem vorliegenden Rüs-tungsexportbericht ein vernünftiges und angemessenesWerk vorgelegt hat, das dem Grundsatz der Transparenzentspricht und mit dem wir, auch in den Jahren seinerFortschreibung, eine Grundlage haben, mit der wir unssehen lassen können.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege, für Ihre Kollegialität. –
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Müller,
wenn ich von Ihrer Zeit etwas abhaben kann, dann kön-
nen wir das kompensieren.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Die Kollegin Petra Pau hat Ihre Rede zu diesemagesordnungspunkt zu Protokoll gegeben.1) Deshalbchließe ich die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/2257 und 15/2256 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b sowieusatzpunkt 5 auf:7 a) Erste Beratung des von den AbgeordnetenReinhard Schultz , MarionCaspers-Merk, Klaus Kirschner, weiteren Abge-ordneten und der Fraktion der SPD sowie denAbgeordneten Birgitt Bender, Ulrike Höfken,Michaele Hustedt, weiteren Abgeordneten undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurVerbesserung des Schutzes junger Menschenvor Gefahren des Alkohol- und Tabakkonsums– Drucksache 15/2587 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale Sicherungb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausHaupt, Detlef Parr, Daniel Bahr , weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDPBesserer Schutz von Kindern und Jugend-lichen vor Missbrauch von Alcopops und an-deren alkoholischen Ready-to-drink-Geträn-ken– Drucksache 15/2619 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAnlage 6
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten UrsulaHeinen, Gerlinde Kaupa, Maria Eichhorn, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUVerbesserung der Maßnahmen zum Schutzeder Kinder und Jugendlichen vor Alkohol-sucht– Drucksache 15/2646 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
RechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Simone Violka, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In Deutschland gibt es rund 250 000 alkoholabhängigebzw. stark alkoholgefährdete Kinder und Jugendliche.Ich denke, schon diese Zahl zeigt, dass etwas gegen dasProblem Alkohol bei Kindern und Jugendlichen unter-nommen werden muss.Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage in Schwe-rin gab knapp ein Fünftel der Kinder an, bereits vor demelften Lebensjahr Alkohol getrunken zu haben. Mit13 Jahren hatten zwei von drei Schülern den Einstieg inden Alkoholkonsum hinter sich gebracht. Etwa ein Drit-tel hat bereits mit 13 Jahren Erfahrungen mit Schnapsoder Whiskey gemacht.Ein besonders unkritisches Verhalten legten die Be-fragten beim Umgang mit den Ready-to-drink-Produk-ten, besser bekannt als Alcopops, an den Tag. 75 Prozentder 15- bis 16-Jährigen gaben an, in den Tagen vor derBefragung täglich bis zu fünfmal ein solches Getränk zusich genommen zu haben. In manchen Schulen oder aufKlassenfahrten haben diese Mixgetränke Brause undCola bereits abgelöst.Dieser Trend muss gestoppt werden. Wenn das nichtüber die Vernunft geht, dann über den Geldbeutel. Dabeihandelt es sich mit Sicherheit um keine Strafsteuer, wiees von Vertretern der Industrie und einzelnen Vertreternder Opposition behauptet wird, sondern eher um eineSchutzsteuer; denn es kann nicht angehen, dass sich dieSpirituosenindustrie auf Kosten der Gesundheit von Kin-dern und Jugendlichen saniert.
Fängt ein 20-Jähriger mit dem Trinken an, dauert es,so der Direktor der Salus-Suchtklinik im hessischenFriedrichsdorf, Ralf Schneider, im Schnitt noch fünfJahre, bis er an der Flasche hängt. Bei 15-Jährigen genü-gen manchmal fünf bis sechs Monate, um aus ihnen re-gelrechte Alkoholiker zu machen.kkzdDdNs1bcda–bdnhdkPdz–s–isuLwmkm
Das steht schon jetzt im Gesetz. Das ist richtig. Wir ha-en ein Jugendschutzgesetz.
Wir sind uns doch im Grunde einig. Ich weiß, dass Sieas ebenfalls als Problem erkennen. Ich glaube abericht, dass es etwas bringt, wenn man auf schon beste-ende Gesetze hinweist und Kontrollmaßnahmen for-ert. Wollen Sie hinter jede Verkäuferin, jeden Bar-eeper und jeden Tankstellenbesitzer zur Kontrolle einenolizisten stellen?
Es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem,em wir alle uns stellen müssen. Ich finde es sehr billig,u sagen, es müsse nur besser kontrolliert werden.
Von Strafsteuern – das muss ich Ihnen ganz ehrlichagen – kann keine Rede sein.Ihnen geht es scheinbar darum, die Campari-Trinkerdas steht in Ihren Berichten – zu schützen. Dazu mussch Ihnen ganz ehrlich sagen, dass Campari meiner An-icht nach nicht zu den Grundnahrungsmitteln gehörtnd deshalb nicht sonderlich schützenswert ist.
Es ist klar, dass eine solche Steuer nur ein Mittel zurösung des Problems sein kann. Es handelt sich um eineichtige Aufgabe der Gesellschaft. Dieser Missbrauchuss von allen, den Eltern, den Lehrern sowie den Ver-äufern, ernst genommen werden.Ich glaube nicht, dass wir mit höheren Steuereinnah-en rechnen können oder das auch nur wollen.
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8700 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Simone ViolkaDas Beispiel Frankreich hat gezeigt, dass es wirksamsein kann, solch eine Steuer einzuführen. Ich bin dank-bar für jeden Euro, der über diese Steuer nicht einge-nommen wird, weil das zeigt, dass wir dieses Problemlösen. Ich bin dankbar, wenn wir dadurch viel Geld ein-sparen können, wenn wir für medizinische Leistungennicht jede Menge Geld bezahlen müssen, weil 15-Jäh-rige nach einer Alkoholvergiftung in der Klinik entgiftetwerden müssen. Dieses Geld kann eingespart werden.Außerdem schützen wir die Gesundheit der Jugendli-chen.
Sie setzen auf Aufklärung und behaupten, das sei dasgroße Wundermittel, mit dem man das Problem lösenkönne. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf denTabakkonsum. Ich glaube nicht, dass es in diesem Staatnoch einen Menschen gibt, der bezweifelt, dass Tabak-konsum gesundheitsschädlich ist. Dann dürften wir aber,wenn ich Ihrer Logik folge, keine Raucher mehr haben.Wenn Aufklärung allein das Problem lösen würde, müss-ten wir beim Tabakkonsum eigentlich durchschlagendeErfolge verzeichnen können. Wie lässt sich das mit derErkenntnis in Einklang bringen, dass Jugendliche in denletzten Jahren vermehrt geraucht haben? Es gibt dochjede Menge Aufklärungsprogramme an Schulen.
Das widerspricht sich doch. Sie sagen, dass wir mit mehrAufklärung das Problem in den Griff bekommen, aberobwohl es viele Schulkampagnen gibt, rauchen die Ju-gendlichen in letzter Zeit vermehrt.
Das zeigt, dass Aufklärung nicht die einzige Lösung seinkann.
Bei der Vorbereitung habe ich mich in verschiedenenInternetforen umgeschaut, in denen sich ganz normaleBürger über ihre Probleme austauschen. Es ist unglaub-lich interessant, was man dort findet, wenn man sich daseinmal durchliest. Dort schreibt ein junger Mann, Vatervon drei Kindern:Ich habe mit 16 Jahren angefangen, Alkohol zutrinken. Heute bin ich 34, habe einen Entzug hintermir und bin seit einem halben Jahr trockener Alko-holiker; Führerschein schon lange ade. Meinen Jobund meine Frau habe ich zum Glück noch, aber90 Prozent meiner Leidenskollegen haben auch dasnicht mehr. Jede Art von Alkohol ist für Jugendli-che ein Problem, aber Alkohol vom Geschmack herso zu verändern,– da liegt das Hauptproblem bei den Alcopops –RASgPMs1tPeSAPSvtGmvGdlhJidmgB
Steuererhöhung für speziell diese Getränke musssofort her!echt hat der Mann, muss man sagen!
Und dann findet man Zitate – so viel zum Themaufklärung und Vernunft – wie:Hehe, mir scheißegal, ich kaufe es mir trotzdemund werde es meinen jüngeren Freunden weiterhinbesorgen, sofern sie es nicht bekommen sollten.o viel zu dem Thema: „Wenn Alcopops nur noch an Ju-endliche über 18 verkauft werden, dann haben wir dasroblem gelöst“. Nein, leider nicht; denn es wird immerenschen geben, die das ausnutzen, die über 18 Jahre altind und die keine Skrupel haben, ihren 13-, 14- oder5-jährigen Geschwistern oder Freunden solche Ge-ränke mitzubringen.
Tun Sie doch nicht so, als würde es Aufklärung undrävention nicht schon geben. Schauen Sie sich dochinmal in Deutschland um, wie viele Gesellschaften,chulen und Organisationen sich schon seit Jahren umufklärung bemühen und sie auch durchführen. Bei derlakataktion „Ja zum Leben, Nein zum Alkohol“ intuttgart warnen Siebtklässler an ihrer Schule Freundeor den Gefahren des Alkohols. Es gibt in Köln die Ak-ion „Keine Kurzen für Kurze“. Das Michael-Ende-ymnasium in St. Tönis veranstaltet Beratungsabendeit Eltern. Dann gibt es noch die Aktion „Alkoholprä-ention für Jugendliche“, eine gemeinsame Aktion desesundheitsamts und von Gastro Solothurn. Der Lan-esjugendring – darin sind 500 000 Kinder und Jugend-iche organisiert – fordert in Schleswig-Holstein eine hö-ere Steuer auf Alcopops, weil die Kinder undugendlichen selbst erkannt haben, dass die Aufklärungn ihren Veranstaltungen allein nicht reicht.Die Aufklärung interessiert keinen. Das Zeug ist süß,as Zeug schmeckt, es ist trendy und es ist bezahlbar.
Ich denke, wir brauchen Maßnahmen, mit denenan dafür sorgt, dass sich die Jugendlichen überle-en, ob sie sich das Zeug aus Langeweile hinter dieinde kippen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8701
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Simone Violka– Wir wollen mit einer Steuer erreichen, dass der Kon-sum aufhört.
So einfach ist das. Frankreich hat gezeigt, dass das funk-tioniert. Die Schweiz hat es nachgemacht. Deutschlandwird sich anschließen. Die Erfolge von Frankreich kön-nen Sie nicht kleinreden. Natürlich wird es auch weiter-hin Aufklärung geben. Aber das allein kann es nichtsein.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Parr?
Gern.
Frau Kollegin, wie würden Sie folgenden Kommentar
aus der „Welt“ bewerten:
Vielleicht werden die Verbraucher, junge wie alte,
die Getränke meiden. Dass sie sich aber wegen
83 Cent vom Alkoholkonsum abbringen lassen
würden – das ist eine naive Vorstellung.
Auch Jugendliche kennen die Alternativen zum Fer-
tig-Longdrink – Sie sind noch jung, ich bin ein bisschen
älter; den Fertig-Longdrink kannte ich aber in meiner Ju-
gend auch –, jeder weiß, wie man Cola und Wodka
selbst mischt.
Es gäbe eine vornehmere, weil echte Staatsaufgabe
zum Schutz der Jugend: die Durchsetzung existierender
Gesetze, so wie wir das heute in unserem Antrag for-
dern.
Was sagen Sie zu einem solchen Kommentar?
Das kann ich Ihnen sagen: Ich bezweifle, dass ein12- oder 13-Jähriger mit einer Flasche Wodka und einerFlasche Cola durch die Kasse kommt, aber er kommt na-türlich mit drei bis vier Flaschen Alcopops durch dieKasse. Das ist erwiesen, lesen Sie einmal die Zeitschrift„Stiftung Warentest“. So einfach ist das.
Das Nächste ist: Alcopops werden deshalb getrunken,weil man den Alkohol nicht schmeckt. Viele Jugendlichedenken, da ist nichts drin. Das ist ja das Problem: Alco-pops sind trendy, man schmeckt den Alkohol nicht. Die11- und 12-Jährigen – das ist das Problem an der Sache –werden nicht deshalb an diese Getränke herangeführt,weil es ihnen darum geht, unbedingt Alkohol zu trinken,susArdbESzoPgA1ddDlSfsgacsPwbugdfsfDhbsDsi
Das Problem ist zu ernst, um auf eine Lösung durchreiwillige Maßnahmen, Verantwortung und Einsicht zuetzen. Ich kenne viele junge Mädchen unter 18, die hun-ern, um schlank zu bleiben,
ber kein Problem damit haben, zwei, drei Flaschen sol-her Alcopops zu trinken und damit 750 Kalorien zuich zu nehmen. Darüber denkt keiner nach. Das ist dasroblem. Deshalb kommt man mit Vernunft allein nichteiter. Es muss natürlich begleitende Maßnahmen ge-en; da sind wir konform. Aber begleitende Maßnahmennd Appelle an die Vernunft allein werden nichts brin-en. Das zeigt uns die Tabakindustrie: Selbst wenn manie Einsicht hat, dass Rauchen nicht gerade gesundheits-ördernd ist, wird geraucht.Wie viel Geld gibt man täglich aus, um seiner Ge-undheit zu schaden – für Alkohol, Tabak, Schokolade,ette Speisen?
amit hat man keine Probleme. Aber wehe, man wirderangezogen, die Konsequenzen seiner eigenen Le-ensweise, die mit Sicherheit bei vielen nicht besonderschön sind, zu tragen!
ann ist das Geschrei groß.Ich denke, wir tragen die Verantwortung, dafür zuorgen, dass die 11-Jährigen von heute nicht die Klinik-nsassen von morgen werden.
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8702 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Das können wir uns nicht leisten.
Das Wort hat die Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Die Einführung einer solchen Steuer, wie sie Rot-Grünjetzt vorschlägt, bedeutet im Grunde die Kapitulationvor der Anwendung bereits bestehender Gesetze.
Es ist wirklich die Frage, ob wir als Gesetzgeber das mituns machen lassen sollten. Sie sagen: Wir können dieGesetze nicht durchsetzen; wir können sie nichtanwenden –
die Lösung ist also die Einführung einer neuen Steuer.
Wenn Sie sich tatsächlich einmal mit diesen Alcopopsbefasst oder sich nur einmal angeschaut hätten, was dieStiftung Warentest vor einigen Wochen veröffentlichthat, hätten Sie festgestellt, dass die Preisspanne der Al-copops von circa 75 Cent bis fast 4 Euro reicht. WennSie eine Steuer von 83 oder 84 Cent pro Flasche erhe-ben, wird es – wenn überhaupt – lediglich zu einer Ver-schiebung der Nachfrage ins Niedrigpreissegment kom-men, aber es wird keine Veränderung im Konsum geben.
Bei den Kids sind die Drinks in – das ist das Problem.Sie zahlen dafür 4 Euro.
Sie zahlen in Zukunft auch 4,80 Euro.
Meine Damen und Herren, es geht um etwas ganz an-deres. Es geht um die Anwendung der Gesetze, die wirhaben: um die strikte Anwendung des Jugendschutzge-setzes. Wie kommen Jugendliche unter 18 Jahren über-haupt an Spirituosenmixgetränke? Weshalb haben sie dieDrinks in der Hand? Weshalb sehen wir bei Großveran-staltungen immer mehr Kinder und Jugendliche mit die-sSru–Adukwtdadduntcemue–lkasdgtpss–gzsKgBKkdOud
Ein Problem ist sicherlich die Abgabe im Handelnd an den Kiosken. Wir erleben immer wieder, dassteilweise überlastete – Verkäuferinnen schöne buntelcopopflaschen – ich sehe da vorne eine liegen –urchwinken, weil sie denken, es handele sich lediglichm ein Erfrischungsgetränk. Die Alkoholangabe ist ganzlein gedruckt. Es wird gar nicht groß darauf geguckt,as enthalten ist und ob derjenige, der die Falsche kauft,atsächlich älter als 18 Jahre ist.Deshalb ist unsere erste Forderung, dafür zu sorgen,ass in Zukunft große Warnhinweise auf den Flaschenngebracht werden. Diesen Vorschlag unterbreiten auchie Regierungsfraktionen in ihrem Gesetzentwurf. Da-urch könnte eine Verkäuferin direkt sehen, ob es sichm ein solches Spirituosenmixgetränk handelt odericht. Ich halte das für einen ersten Schritt.Ob wir dann so weit gehen, wie die FDP in ihrem An-rag vorgeschlagen hat, die Registrierkassen entspre-hend anders zu programmieren, damit der Kassiererinlektronische Warnhinweise gegeben werden, müsstean technisch erproben. Sicherlich wäre dies ein Schritt,m den Verkäuferinnen das Erkennen solcher Flascheninfacher zu machen.
Das ist die innovative FDP.Ein weiterer Punkt, den Sie völlig unberücksichtigtassen, ist eine mögliche Änderung des Lebensmittel-ennzeichnungsrechts, dass auf diesen Flaschen genaungegeben werden müsste, wenn sie Koffein, Kohlen-äure oder andere Stoffe enthalten, die dafür sorgen, dassie Alkoholwirkung wesentlich stärker ist; meine Kolle-in Frau Kaupa wird das sicherlich gleich noch erläu-ern. All diejenigen unter uns, die einmal solche Alco-ops probiert haben, werden festgestellt haben, dass einolches Getränk gar nicht nach Alkohol, sondern totalüß schmeckt, aber trotzdem zwei Schnäpse enthältKaupa hat mehrere Flaschen im Büro, deren Inhaltanz süßlich schmeckt –, sodass auch darin eine Gefahru sehen ist.Aber jetzt noch einmal zur Anwendung des Jugend-chutzgesetzes. Im Kölner Karneval haben wir auf demölner Neumarkt eine Aktion mit Jugendlichen durch-eführt, bei der es darum ging, ohne Alkohol zu feiern.ei dieser Veranstaltung gab es tatsächlich einenioskbesitzer, der Alcopops an die Jugendlichen ver-auft hat. Das hat sich das Ordnungsamt angeschaut undann diesen Kiosk für vier Tage dichtgemacht. Wenn dierdnungsämter tatsächlich bereit sind, durchzugreifennd Aktionen zu starten, dann haben wir echte Chancen,ieses Problem in den Griff zu bekommen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8703
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Ursula HeinenWenn Sie der Auffassung sind, das Jugendschutz-gesetz trage nicht,
dann müssen Sie es heute hier sagen und gleichzeitig,statt eine Steuer einzuführen, erklären: Wir schaffen dasJugendschutzgesetz ab, weil wir sowieso nicht an seinerAnwendung interessiert sind.
Ich kann Ihnen noch ein anderes Beispiel aus Baden-Württemberg nennen. Dort gab es über ein halbes Jahrlang Aktionen, die verhindern sollten, dass Jugendlicheunter 18 Jahren Alkohol – vor allen Dingen Spirituo-sen – zu sich nehmen. Das Ganze hat recht gut funktio-niert; in den Supermärkten wurde darauf geachtet. Trotz-dem gab es einen Veranstalter, der im Ostalbkreis eineDisco gemacht und dort auch Kindern und JugendlichenAlkohol gegeben hat. Das Ordnungsamt hat auch dortgehandelt und die Disco zugemacht. Das hatte wirklicheine abschreckende Wirkung.Es geht auch darum, dass wir den Eltern der Kinderdas Thema ins Bewusstsein rufen und die Eltern wissen,was ihre Kinder da zu sich nehmen. Vielleicht könnenSie die Flasche einmal hochhalten, Frau Kollegin. Dieseroten Getränke sehen aus wie schöne rote Limonade.Viele wissen nicht, dass sich darin zwei Schnäpse ver-bergen.Ich kann Ihnen zum Abschluss nur sagen: Lassen Sieuns das Jugendschutzgesetz tatsächlich anwenden. Las-sen Sie uns auch in unseren Heimatgemeinden, in unse-ren Kreisen und Städten darauf hinwirken, dass dieOrdnungsämter Aktionen zur Anwendung des Jugend-schutzgesetzes durchführen. Ich prophezeie Ihnen: Dasbringt tausendmal mehr als eine Steuer, die nur dazuführt, dass die Kassen gefüllt sind, während die Kidsweiter trinken.Recht herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem Jugendschutzgesetz ist der Genuss von Alcopopsfür Jugendliche unter 18 Jahren verboten; das wissen wiralle. Trotzdem hat die Bundeszentrale für gesundheitli-che Aufklärung in einer Repräsentativerhebung festge-stellt, dass im letzten Jahr die Alcopops die bei 14- bis17-Jährigen beliebtesten alkoholischen Getränke warenund dass 52 Prozent der 16- bis 17-Jährigen in der letz-ten Woche Alcopops gekauft hatten. Vor diesem Hinter-grund, Frau Kollegin Heinen, besteht HandlungsbedarfasuJDsglwhdAsHwegimKdnDeSuhwFfHswssdsEssssDhgk
nd zwar im Hinblick darauf, der Anwendung desugendschutzgesetzes Nachdruck zu verleihen.enn wir alle wissen, dass Alcopops mitnichten harmlosind. Ein Fläschchen enthält zwei Gläser Schnaps. We-en der Süße schmeckt man ihn aber nicht. Von den vie-en Zusatzstoffen, die der Gesundheit auch nicht gut tun,ill ich ganz schweigen.Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass solche alkohol-altigen Süßgetränke für Jugendliche zur Einstiegs-roge werden. Deswegen wollen wir dem bestehendenbgabeverbot nachhelfen. Bisher kann man auf den Fla-chen zwar deutlich ihren Preis erkennen, nicht aber deninweis, dass sie nicht an unter 18-Jährige abgegebenerden dürfen. Frau Kollegin Heinen, wenn irgendwoin Fest stattfindet und es einen einzelnen Veranstalteribt, dann ist es relativ leicht, ihn auch zu packen. Abern der Regel ist es so, dass Jugendliche in einen Super-arkt marschieren, dass dort aber Kassiererinnen an derasse sitzen, die ohnehin völlig überlastet sind und vonenen man auch nicht erwarten kann, dass sie die einzel-en Regelungen im Kopf haben.
eswegen sind wir uns einig, dass auf diesen Flaschenin deutlicher Warnhinweis notwendig ist. Das wäre einignal an das Verkaufspersonal und würde auch Elternnd andere Erwachsene, die mit Jugendlichen Umgangaben, sensibilisieren.Unserer Ansicht nach brauchen wir – darüber streitenir hier – aber auch ein Preissignal. Eine hochwertigelasche kostet 2 Euro. Es gibt Alcopops aber auch schonür nur 1 Euro. Wir erheben jetzt eine Sondersteuer inöhe von 83 Cent. Bei den Billig-Alcopops führt sie fastchon zu einer Verdoppelung des Preises. Ansonstenird er immerhin eineinhalbmal so hoch. Wie wir wis-en, sind Jugendliche preissensibel und reagieren aufolche Preiserhöhungen.
Es ist ja auch nicht so, dass das eine spezielle Idee ist,ie wir nur in Deutschland haben. In unseren europäi-chen Nachbarländern wurden bereits entsprechenderfahrungen gesammelt. Die Verteuerung, die wir anvi-ieren, entspricht ziemlich genau der Höhe der Sonder-teuer, die auch in Frankreich erhoben wurde. Dort hatich gezeigt, dass dieser Markt für die Jugendlichen zu-ammengebrochen ist. Genau das ist auch unser Ziel.enn es kann ja wohl nicht angehen, dass sich die Alko-olindustrie ausgerechnet zulasten von Kindern und Ju-endlichen einen neuen Absatzmarkt erschließt. Dasann auch die Union nicht wollen.
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Birgitt BenderIm Übrigen – davon war bisher kaum die Rede – gehtes in unserem Gesetzentwurf auch noch um ein anderesThema; denn Alkohol ist nicht die einzige Gefahr fürKinder und Jugendliche. Zigaretten und Nikotin-konsum sind ebenso eine Gefahr für sie. Das betrifft, ge-nau wie auch das Thema Alcopops, zunehmend Mäd-chen und junge Frauen. Das ist eine sehr bedenklicheEntwicklung. Inzwischen liegt das Einstiegsalter für denKonsum der ersten Zigarette zwischen 13 und 14 Jahren,und das, obwohl das Jugendschutzgesetz auch hier einAbgabeverbot an Jugendliche unter 16 Jahren enthält.
– Deswegen, Herr Kollege, wollen wir die kostenloseAbgabe von Zigaretten verbieten; denn das ist eine derMarketingstrategien der Tabakindustrie.
Wenn Sie Zeit haben, gehen Sie einmal ins Kino. Dannwerden Sie das sehen.Außerdem legen wir für die Packungen eineMindestgröße fest. Auch dadurch wollen wir ein Preis-signal geben. Denn wir wollen nicht, dass Jugendlichedurch die Möglichkeit, eine kleine Packung mit niedri-gem Abgabepreis zu kaufen, zum Zigarettenkonsum ver-führt werden, sondern dass sie – ganz im Gegenteil – da-von abgehalten werden.Wenn die Opposition umfassende Präventionsstrate-gien anspricht, dann hat sie Recht. Das wollen wir auch.Dafür sind allerdings, wie übrigens auch für die Umset-zung des Jugendschutzgesetzes, in erster Linie die Län-der und Kommunen zuständig. Aber das sollte man nichtals Alternative, sondern als zusätzliche Möglichkeit be-trachten. Ich habe die Befürchtung, dass Union und FDPhier einem alten Problem erliegen: dass sie, wenn es umein wirtschaftliches Interesse geht, plötzlich wieder zu-gunsten eines bestimmten Wirtschaftszweiges Schutz-zäune errichten wollen.
Im Interesse unserer Kinder und Jugendlichen sage ichIhnen: Dieses Thema ist dafür wirklich das falscheSpielfeld.
Das Wort hat der Kollege Klaus Haupt, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!In Deutschland trinken jedes Jahr rund 750 000 Men-schen zum ersten Mal Alkohol. Etwa 10 Prozent davonwerden zu Alkoholikern. 40 Prozent aller Jungen und2rDDcsusdtAsbfFeJumsDssDVzIleiwstgueSEsva
ntspricht jedoch nicht meinen Vorstellungen vonugendschutz- und Drogenpolitik.
So findet sich im Gesetzentwurf nichts zu einermfassenden Präventionsstrategie, nichts zu vielfältigöglichen Vereinbarungen mit den betroffenen Wirt-chaftszweigen. Das Enttäuschendste: Eine konsequenteurchsetzung der bestehenden Regelungen des Jugend-chutz- und des Gaststättengesetzes scheinen Sie fastchon aufgegeben zu haben.
as entspricht nicht meinem Rechtsstaatsverständnis:orrang hat für mich gerade die konsequente Durchset-ung der bestehenden Gesetze.
ch kann mich einfach nicht damit abfinden, dass zuge-assen wird, dass der Jugendschutz unterlaufen und dannine Sondersteuer gefordert wird.
Es macht keinen Sinn, dass sich SPD und Grüne mithrem Gesetzentwurf auf die Bekämpfung von brannt-einhaltigen Mixgetränken beschränken und so tun, alseien andere Alkoholmixgetränke harmloser. Mischge-ränke auf Bier- und Weinbasis enthalten aber teilweiseenauso viel Alkohol, sind genauso verführerisch süßnd ebenso attraktiv für Kinder und Jugendliche undbenso hoch gefährlich. Mit einer solchen selektiventeuer wird dem Jugendschutz nicht gedient.
s ist doch naiv, zu glauben, mit einer einseitigen Be-teuerung bestimmter Getränke könne man Jugendlicheom Alkoholkonsum abbringen. Sie steigen einfach aufndere Getränke um; sie kennen die Alternativen.
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Klaus HauptLiebe Kollegen, so sieht eben ein finanzpolitischerJugendschutzentwurf aus: Ein Schnellschuss mit derSteuerkanone, aber kein umfassendes Konzept für dieLösung des Problems.
Wir Liberale lehnen diese Steuer nachdrücklich abund setzen mit unserem Antrag auf wirksame Methodenzur Einhaltung des Jugendschutzgesetzes: auf umfas-sende Prävention, auf Information und Aufklärungfür und durch Eltern und Schule, auf wirkliche Problem-lösungen. Wir fordern eine umfassende Zusammenarbeitmit Herstellern, Handel und Werbewirtschaft für diestrikte räumliche Trennung alkoholhaltiger Misch-getränke von Nichtalkoholika in den Verkaufsstellen,deutliche Hinweise auf die Abgabeverbote gemäß Ju-gendschutzgesetz auf den Produkten sowie an den Ver-kaufsregalen sowie eine konsequente Schulung und Sen-sibilisierung des Verkaufspersonals.Werbung für alkoholhaltige Getränke darf nicht ein-mal ansatzweise auf Altersgruppen zielen, an die derVerkauf dieser Getränke verboten ist.
Wir fordern die Hersteller hier zu einem radikalen Stra-tegiewechsel auf, aber wir fordern auch eine erheblichjugendschutzsensiblere Ahndung von Verstößen durchden Werberat.
Das ist ganz im Sinne eines Kommentars zur Alco-pop-Sondersteuer in der „Welt“ von vorheriger Woche– der Kollege Bahr hat darauf verwiesen –, in dem fest-gestellt wurde, es gebe eine vornehmere, weil echteStaatsaufgabe zum Schutz der Jugend: die Durchsetzungder bestehenden Gesetze. Wörtlich heißt es dann:So schimmert hinter der guten Absicht etwas ande-res hervor: Populismus. Die tun was. Das ist wohl-feil. Und es bringt nichts.Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Marion Caspers-Merk.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wer Jugendschutz ernst nimmt, muss handeln, lieberKollege Haupt von der FDP.
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ie wissen, dass der Drogen- und Suchtbericht letztesahr das Thema „Rauschtrinken“ zum Schwerpunktatte. Wir haben dargelegt, dass der Einstieg bei Jugend-ichen immer früher stattfindet. Wir haben eine Fachta-ung mit dem Thema „Kinder aus suchtbelasteten El-ernhäusern“ veranstaltet, bei der ganz viele Kolleginnennd Kollegen anwesend waren. Wir haben mit der Bun-eszentrale für gesundheitliche Aufklärung drei großeampagnen ins Leben gerufen. Wir machen etwas vorrt und setzen auch etwas durch.
Der Zuruf richtet sich gegen Sie selbst.
Die Prävention alleine bringt offensichtlich nichts.ir brauchen vielmehr neben den Präventionskampag-en auch Signale, die wir über den Preis setzen müssen,nd eine klare Durchsetzung der Regeln des Jugend-chutzes. Jeder von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-en von der Opposition, der hier die Einhaltung desugendschutzes fordert, muss sich aber von uns fragenssen: Reden Sie darüber in den von Ihnen regiertenundesländern?
ie Länder sind für die Umsetzung des Jugendschutzesuständig. Reden Sie in Ihren Wahlkreisen mit Mitarbei-rn der Gewerbeaufsichtsämter und der Ordnungsäm-r?Ich tue das in meinem Wahlkreis. Infolgedessen wur-en vier oder fünf gemeinsame Verabredungen getrof-en. Diese sind zur Nachahmung empfohlen. Das kannder machen. Man kann zum Beispiel vor Ort Selbstver-flichtungen herbeiführen, damit bei Veranstaltungen,ie Jugendliche anziehen, auf bestimmte alkoholischeetränke verzichtet wird.
iese Selbstverpflichtung aller Vereine wurde beispiels-eise in meinem Wahlkreis im Rahmen einer Fast-achtskampagne durchgesetzt. Jeder von Ihnen kann denugang zu Alkohol kontrollieren.
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Pa
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesge-setzgeber hat ein Jugendschutzgesetz verabschiedet, dasOrdnungswidrigkeiten und die entsprechenden Strafenregelt; das Gesetz muss aber vor Ort durchgesetzt wer-den. Unsere Gesellschaft entwickelt sich – ich bedaueredas zutiefst – zu einer „Wegguckgesellschaft“. Wir brau-chen wieder eine „Hinguckgesellschaft“. Es ist nämlichunser aller Aufgabe, Jugendlichen, die bier- und wein-haltige Getränke kaufen, gegebenenfalls zu sagen: „Hörmal, du bist doch noch nicht 16!“ bzw. Jugendlichen, diespirituosenhaltige Getränke kaufen, gegebenenfalls zusagen: „Du bist doch noch nicht 18!“.Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass in denLändern nicht die Drogenberatungsstellen – sie betrei-ben Präventionskampagnen – platt gemacht werden. Daspassiert aber im Moment landauf, landab. Deswegen istdas, was Sie fordern, halbherzig. Ich nehme Ihnen dasGanze nicht ab.
Sie wollen ein Stück weit die öffentliche Debatte mit-bestimmen, aber Sie wollen nicht die Verantwortungauch für effiziente Maßnahmen übernehmen. Ich glaube,das ist ein Punkt, an dem sich die Glaubwürdigkeit aus-machen lässt. Ich habe mit der Spirituosenindustrie ge-sprochen.
– Wir haben uns mit dem Dachverband auseinander ge-setzt und mit dem Deutschen Weinbauverband gespro-chen. Wir haben dort zum Beispiel deutlich gemacht– ich erwähne es, weil Sie uns in diesem Zusammenhangeinen Vorwurf gemacht haben –: Wir erwarten, dass dieHersteller nicht in Bereiche ausweichen, die nicht mitder Branntweinsteuer erfasst werden können.
Der Deutsche Weinbauverband hat eine Selbstver-pflichtung abgegeben. Er will nicht in dieses Segmenteinsteigen. Der Deutsche Brauer-Bund müsste, wenn erehrlich wäre, dasselbe tun.
Es sollte keine unverantwortliche Werbestrategie ge-wählt werden, mit der ein jugendliches Publikum be-wusst an Alkohol gewöhnt werden soll, indem der Ge-schmack des Alkohols überdeckt wird.Nicht allein die beiden Schnäpse, die in diesen Ge-tränken enthalten sind, sondern auch die 15 Stück Wür-felzucker, die in jedem Fläschchen enthalten sind, stellendas Problem dar.
Lesen Sie mal etwas anderes! Sie haben außer einemArtikel aus der „Welt“ – da weiß man, woher eskommt – nichts aus der öffentlichen Meinung auf derPfanne. Die öffentliche Meinung sieht doch ganz andersaus.1sLAWhhgdnmiKagdslmbti–laWsvrgTduggDtVabrB
ndere Testkäufe wurden in Hamburg, in Baden-ürttemberg und in anderen Regionen durchgeführt. Ichabe dazu einen ganzen Ordner. In keinem einzigen Fallaben die Jugendlichen die Ware nicht erhalten. Deswe-en ist das doch eine wohlfeile Forderung. Dazu, dassie CDU/CSU hier in einen Antrag „weiße Salbe“ hi-einschreibt, nach dem Motto, man könnte und sollteal kennzeichnen und die Prävention verstärken, kannch nur sagen: Guten Morgen, liebe Kolleginnen undollegen! Das steht längst in dem Antrag. Man sollteuch dafür sorgen, dass die Jugendschutzgesetze durch-esetzt werden.Fordern Sie die Länder auf, dies zu tun; denn sie sindafür zuständig. Gehen Sie aber auch den nächsten kon-equenten Schritt mit uns gemeinsam. Wir müssen näm-ich effizient und effektiv eingreifen. Dies können wirit der Sonderabgabe, weil nur der Griff in den Geld-eutel dazu führen wird, dass Jugendliche nicht frühzei-g Alkohol konsumieren.
Ich will Ihnen eines sagen: Diesen Zuruf finde ich un-uter, Herr Kollege.
er wie ich als Drogenbeauftragte der Bundesregierungeit zwei Jahren im Feld steht, muss sich den Vorwurfon Ihnen nicht anhören.
Ich darf kurz darauf hinweisen: Die alte Bundesregie-ung bis 1998 hatte einen Drogenbeauftragten, der für le-ale Suchtmittel gar nicht zuständig war. Nur der illegaleeil wurde von Ihnen beleuchtet. Erst durch uns wurdener Alkohol und der Tabak zum Bestandteil des Drogen-nd Suchtberichts der Bundesregierung. Wir haben dafüresorgt, dass in Bezug auf den Tabak überhaupt etwaseschah.
ies alles haben wir gegen Ihren erbitterten Widerstandun müssen. Ich erinnere nur an die Verhandlungen imermittlungsausschuss, durch die bei der Tabaksteuerm Ende plötzlich etwas weniger herauskam. Insofernrauchen wir von Ihnen keine Nachhilfe, keine Beleh-ungen und schon gar nicht den Vorwurf, wir seien naiv.
Alle, die in der Suchtprävention tätig sind – zumeispiel die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefah-
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merkren –, und alle Drogenberatungsstellen, die sich auf dieAlkoholberatung spezialisiert haben – zum Beispiel derBadische Landesverband gegen die Suchtgefahren –,fordern, die Abgabe zu erschweren und eine Sonder-steuer aufzuschlagen.
Im Übrigen: Mehr als 70 Prozent der Befragten inDeutschland fordern dies ebenfalls. Dies gilt auch für alldiejenigen, die sich in der Jugendpolitik auskennen, zumBeispiel für die Präventionslehrer an den Schulen. Ichkann Ihnen stapelweise Briefe zeigen. Sie verweigernsich dieser Forderung, deren Erfüllung effizient und ef-fektiv wäre, nur um der beteiligten Industrie weiterhinUmsatzchancen zu eröffnen.
Ich will einfach einmal sagen, was ich nicht in Ord-nung finde: Viele Werbestrategien setzen ganz gezieltauf Jugendliche. Ich habe das auch mit den Herstellernbesprochen. Das Umsatzplus beträgt 400 Prozent. GehenSie bitte einmal auf eine entsprechende Internetseite.Dort wird gefragt, ob man wirklich 18 Jahre alt ist. Manklickt zur Bestätigung auf „Ja“ und auf dem Bildschirmerscheinen Hinweise auf gesponserte Events und Musik-veranstaltungen. Daneben wird mit T-Shirts geworben.Diese Internetseiten sind gezielt an das unter 18-jährigePublikum gerichtet.Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärunghat eine Umfrage dazu durchgeführt. Bei dieser kam in-teressanterweise heraus: Die Mehrheit der Jugendlichen,die diese Produkte kaufen, sind unter 18 Jahre alt. Wenndie Hersteller ihre Verantwortung wahrnehmen würden,dann müssten sie spätestens jetzt ihre Produkte vomMarkt nehmen oder ihre Werbestrategien verändern.Beides ist nicht erfolgt.
Man hat uns nur „weiße Salbe“ angeboten. Einekleine „18“ auf der Rückseite der Flasche kann uns, diewir den Jugendschutz ernst nehmen, nicht genügen. Des-wegen ist es Zeit, zu handeln. Ich bin sehr froh, dass dieKoalitionsfraktionen gemeinsam mit der Bundesregie-rung – es war ein gemeinsamer Prozess – die Initiativeergriffen haben und dass die Finanz-, die Jugend-, dieFamilien- und die Gesundheitspolitiker sowie diejeni-gen, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, gut zu-sammengearbeitet und den Antrag gemeinsam auf denWeg gebracht haben. Verweigern Sie sich nicht, sondernnehmen Sie Ihre Verantwortung ernst, indem Sie demAntrag zustimmen.
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M
Herr Kollege, ich habe Ihre umfassende Kenntnis derarken mit Interesse gehört. Dazu will ich einige Be-erkungen machen. Sie sind offensichtlich in Unkennt-is hinsichtlich der Zuständigkeiten in unserer föderalentruktur.
ie Anwendung und die Umsetzung des Jugendschutz-esetzes ist Ländersache. Ich erwarte also, dass Sie dieselammende Rede auch in Ihrem Bundesland halten.
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Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
Ich werde an den Freistaat Bayern schreiben – das ma-che ich mit Freude – und einen Bericht darüber einfor-dern, wie die Umsetzung dieses Gesetzes in Bayern er-folgt.
Ich werde auch kontrollieren, ob die Testkäufe in Bayernwirklich getätigt werden.
Entweder muss das Gesetz nur angewendet werden– dann sind die Bundesländer zuständig – oder dieSteuer wird tatsächlich Wirkung zeigen. Wenn sie wirk-lich wirkt, dann werden Sie doch sicherlich zustimmen,dass sie ein gutes Instrument ist. Sie haben doch eben er-klärt, Sie hätten die Sorge, dass diese Steuer nicht wirkt.Die Spirituosenindustrie hat die umgekehrte Sorge.
Die Spirituosenindustrie hat die Sorge, dass die Steuerderartig wirkt, dass mit einem kolossalen Einnahmever-lust zu rechnen ist.Nur ein Fall kann eintreten: Entweder das Instrumentder Steuer wirkt – dann geht der Umsatz zurück und da-mit ist unser Problem erledigt – oder dieses Instrumentwirkt nicht – dann unterhalten wir uns in einiger Zeitnoch einmal darüber. Ich bin bis 2006 Drogenbeauf-tragte der Bundesregierung. Ich bin gern bereit, Ihnen je-des Jahr umfassend Rechenschaft abzulegen.
Ich habe aber den Eindruck, dass Sie gar nicht wissen,wovon Sie sprechen; denn sonst könnten Sie zur Umset-zung in Bayern etwas Berufeneres sagen.Herr Kollege, eines finde ich bei der Diskussion einbisschen merkwürdig. Sie haben uns vorgeworfen, dieJugendlichen nicht zu kennen. Viele Jugendliche habennicht gewusst, dass diese Getränke zwei Schnäpse ent-halten, weil sie in jedem Supermarkt neben den Frucht-säften eingeordnet sind. Die Kennzeichnung ist so kleingedruckt, dass sie kaum zu erkennen ist, folglich ist einedeutlichere Kennzeichnung überfällig. Wenn Sie den Ju-gendschutz so beredt verteidigen, dann frage ich Sie:Warum sind Sie nicht schon längst tätig geworden?Sie haben doch erst Ihren Antrag entworfen, als dieKoalitionsfraktionen ihren Antrag vorgelegt hatten.Ebenso wie im Antrag der CDU/CSU steht auch im An-trag der FDP: Man könnte, man müsste usw. Ein effekti-ves Instrument wird aber nicht genannt.
Interessant ist ein Vorschlag, über den ich ein bisschengeschmunzelt habe, nämlich elektronische Sicherungs-systeme an den Supermarktkassen einzuführen. TollCsDDBgznCKuaFmlbdssdwJEkjk1H
as ist die Partei der Entbürokratisierer.Wir greifen zu einem schnell wirkenden Instrument.ie Branntweinsteuer gibt es.
Ihre drei Minuten zur Beantwortung sind um.
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Entschuldigung, Frau Präsidentin, das Temperament
ing mit mir durch. Ich mache das Angebot, an Bayern
u schreiben. Die Ergebnisse der Recherche teile ich Ih-
en gerne mit.
Das Wort hat die Kollegin Gerlinde Kaupa, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Frau Caspers-Merk hat Recht
nd alle meine Vorrednerinnen und Vorredner habenuch Recht. Denn es gibt ein neues Suchtproblem. Dierage ist nur, ob wir den zweiten vor dem ersten Schrittachen. Wenn man das macht, dann stolpert man sehreicht und erreicht nichts. Wir wollen aber dieses Pro-lem lösen.Ich kann zu der Frage von Andreas Scheuer sagen,ass im Landkreis Passau von der Katholischen Jugendolche Testkäufe durchgeführt worden sind. Dabei hatich herausgestellt, dass 32 Prozent der Jugendlichen,ie diese Testkäufe durchgeführt haben, die Ware, die sieollten, bekommen haben. Das heißt, wir müssen denugendschutz wirklich sehr ernst nehmen.
rst müssen wir die Istsituation herausfinden und dannönnen wir entscheiden, wie wir darauf reagieren. Aufeden Fall haben alle das Problem erkannt. Die Haupt-onsumenten der Alcopops sind Jugendliche unter8 Jahre. Deswegen sind hoffentlich alle aufgeschreckt.eute ist die Diskussion so lebendig wie selten. Ich
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Gerlinde Kaupahoffe, dass Sie alle entsprechend handeln werden. Dannist das meiste schon erreicht.Die Zahl derjenigen Jugendlichen, die ein- oder zwei-mal in der Woche Alkohol trinken, kennen wir. Geradein der Pubertät wird sehr gerne mit Alkohol experimen-tiert.
– Florian, ich glaube, dass du daran zurückdenkst. Ichbin etwas älter und deshalb ist das etwas länger her. Aberman hört nie damit auf.
Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Siestimmen mir alle zu, dass wir handeln müssen. Denn dasKind ist in den Brunnen gefallen und wir wollen nicht,dass es auch noch ertrinkt.
Wir müssen dieses Problem an der Wurzel packen unddürfen nicht nur an der Oberfläche kratzen. Die Auflageimmer neuer Maßnahmen darf nicht die konsequenteDurchsetzung schon bestehender Maßnahmen außerKraft setzen. Zu den bisherigen Möglichkeiten gehörtdie Durchsetzung des Jugendschutzgesetzes.Es ist für mich erschreckend, dass die jungen Leuteganz und gar nicht wissen – da muss ich meinem Kolle-gen widersprechen –, wie viele Schnäpse in so einerkleinen Flasche sind.
Wenn sich die jungen Leute auf einer Party oder in derDisco treffen, trinken sie leider nicht nur ein Fläschchen,sondern mehrere. In fünf oder sechs Flaschen sind zehnbis zwölf Schnäpse enthalten. Diese haben verheerendeFolgen. Wenn ein 15-jähriges Mädchen zwei Flaschensolcher Alcopops trinkt, dann hat es bereits 0,6 Promille.Kinder und Jugendliche kennen sehr oft ihre kritischenGrenzen nicht und trinken deshalb bis zur Bewusstlosig-keit und Alkoholvergiftung. Krankenhäuser berichten,dass es kaum noch ein Wochenende gibt, an dem nichtstark alkoholisierte Kinder und Jugendliche eingeliefertwerden. Mir liegen die Zahlen aus einer Klinik in Salz-burg vor. Pro Woche werden ein bis zwei Jugendlichemit Alkoholvergiftung eingeliefert.Die Handlungsvorgabe ist schlicht und einfach, zumBeispiel den Alkoholgehalt groß und prägnant auf derVorderseite der Flaschen anzugeben und die Kinder, Ju-gendlichen, Erwachsenen wie auch das Verkaufsperso-nal darüber zu informieren und Letzteres auf seine Ver-antwortung hinzuweisen. Der Bundesverband desDeutschen Lebensmittelhandels hat ein konsequentesHandeln eingefordert. Dabei stellt sich die Frage, warumer das nicht schon längst getan hat. Wir werden es vonihm verlangen.Die Auflistung der Inhaltsstoffe ist heute schon kurzangesprochen worden. Koffein, Kohlensäure und Zu-ckergehalt – Frau Staatssekretärin hat das erwähnt –mKAmwkth–skinswpabrhGekAdWbrdsduMsädw–müguaDtrtr
Der Alkohol geht sofort ins Blut und schädigt die Le-er, das Gehirn und andere Organe. Bei einem stetigen,egelmäßigen und mehrjährigen Genuss von Alkoholäufen sich epileptische Anfälle aufgrund einer starkenehirnschädigung.Leider werden die Alcopops in der Regel nicht nurinmalig, sondern oft über mehrere Jahre hinweg getrun-en und führen daher oft zur Gewöhnung und daher zumlkoholismus. Den jungen Konsumenten schmeckt zwarer Alkohol nicht, aber sie begrüßen die berauschendeirkung und die mit dem Rausch einhergehende Spaßringende, ungezwungene und coole Lebensweise.Die Werbung der Spirituosenindustrie trägt das Üb-ige dazu bei. Die freche Lifestyle-Werbung vermittelten Jugendlichen das Gefühl, dass die Getränke extra fürie gemacht sind. Die jungen Menschen kommen nichtaran vorbei, diese poppig und knallig aufgemachtennd mit frechen Namen versehenen alkoholhaltigenischgetränke zu konsumieren, wenn sie in und dabeiein wollen. Wer Wodka in Tuben abfüllt, hat also keineltere Zielgruppe vor Augen. Dafür muss die Werbein-ustrie bzw. die Spirituosenindustrie eindeutig gerügterden. Das weist auch die Studie der BZgA nach.
Ich weiß, dass Sie mir darin zustimmen, und das freutich. Sie haben auch mit Recht festgestellt, dass dieber 24-Jährigen wenig Alcopops und die über 30-Jähri-en fast gar keine Alcopops trinken. Es geht hierbei alsom eine junge Zielgruppe. Deswegen sind die Firmenuch bei Bandauftritten und in Sommercamps vertreten.ie Musiksender VIVA und MTV sind die Hauptwerbe-äger.Wir fordern die Bundesregierung auf, auf die Indus-ie einzuwirken, diese auf Kinder und Jugendliche
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8710 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Gerlinde Kaupaabzielende Werbung zu unterbinden. Der Definition vonHerrn Torres von Bacardi muss eindeutig widersprochenwerden. Denn er hat angegeben, Bacardi ziele auf jungeLeute, die gerade alt genug seien, Alkohol trinken zudürfen.Wir haben – das muss unterstrichen werden – ein Ju-gendschutzgesetz, das auch umgesetzt werden muss.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Erlauben Sie mir noch einen Satz. Wir müssen jetzt
strenger durchgreifen und dürfen nicht zögern, die Mit-
tel, die uns zur Verfügung stehen, sofort umzusetzen.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Georg Fahrenschon von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bei-fall nach der Rede der Kollegin Kaupa zeigt, dass wir inden wesentlichen Punkten im Grunde gar nicht weit aus-einander liegen. Ich möchte versuchen, der Problemlagegerecht zu werden. Es wäre falsch, zu behaupten, dasswir bei der Kennzeichnung der Getränke und der Durch-setzung des Ordnungsrechts nicht einer Meinung wären.Im Grunde geht es um ein wesentliches Detail, bei demwir unterschiedlicher Meinung sind. Das ist die Frage,ob eine Sondersteuer hilft oder nicht und, wenn ja, wiesie ausgestaltet werden soll.Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir voreinem sehr schwierigen Abwägungsprozess stehen. Manmacht möglicherweise einen großen Fehler, wenn manreflexartig versucht, jedes ordnungspolitische Problem– hier geht es darum, wie man verhindern kann, dassMinderjährige Alkohol bekommen – mit Steuererhöhun-gen zu lösen. Wir bestreiten, dass in diesem Fall eineSteuererhöhung zur Problemlösung beiträgt.
Die Ausgangslage ist, dass Kinder und Jugendlichekeine alkoholhaltigen Getränke erhalten sollen. Ange-sichts dessen dürfen wir nicht einfach die Steuern unddamit auch die Preise erhöhen. Vielmehr müssen wir da-für sorgen, dass Kinder und Jugendliche solche Getränkeerst gar nicht erhalten. Das ist das zentrale Problem.
Mit Ihrem Steuervorschlag signalisieren Sie Händ-lern, Wirten und insbesondere den Jugendlichen, dassdie Bier- und die Weinmixgetränke halb so schlimmsind; denn auf diese wollen Sie ja keine Strafsteuer erhe-ben. Ist Alkohol nicht gleich Alkohol, egal auf welcherBtBtsAeFTwamDgedFwdnuhvsSkl–nSdgtmndEddDwnaWdDsg
Frau Kollegin, hören Sie zu! Vielleicht können Sieoch etwas lernen. – Das komplette Finanztableau, dasie erarbeitet haben, stimmt nicht. Sie gehen davon aus,ass der Bund durch die Einführung der von Ihnen vor-eschlagenen Sondersteuer in den Jahren 2004 bis 2007rotz eines angenommenen Rückgangs des Alcopop-arktes pro Jahr 12 Millionen Euro Mehreinnahmen ge-erieren wird. Sie haben aber die Mehrwertsteuermin-ereinnahmen vergessen. Diese fehlen im Finanztableau.s gehört zu den Grundlagen der Finanzpolitik, nicht nurarauf zu achten, was sich bei den Einnahmen tut, son-ern auch, darauf welche Mindereinnahmen entstehen.ie Mindereinnahmen aus der 16-prozentigen Mehr-ertsteuer fehlen im Finanztableau. Sie können selberachschauen. Auch Sie werden die Mindereinnahmenus der Mehrtwertsteuer nicht finden.
enn Sie Recht hätten, dann würden der Verbrauch undamit auch der Erlös aus der Mehrwertsteuer sinken.as haben Sie übersehen.Kurz und gut: Wir halten die Erhebung einer Sonder-teuer – es geht nur um diesen Punkt – für falsch und un-eeignet. Wir sehen darin einen ordnungspolitischen Irr-
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Georg Fahrenschonweg. Wir sollten auf eine strikte Einhaltung des geltendenJugendschutzrechtes und auf umfassende Aufklärung,nicht aber auf willkürliche Sondersteuern setzen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/2587, 15/2619 und 15/2646 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katherina Reiche, Helmut Heiderich, Thomas
Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Biotechnologie als Schlüsseltechnologie stär-
ken
– Drucksache 15/2160 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für. Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ohne das gentechnisch hergestellte Insulin wäredie Diabetikerversorgung schon 1995 kollabiert. Noch inden 80er-Jahren haben militante Gentechnikgegner dieErrichtung einer Insulinanlage in Frankfurt-Höchst ver-hindert. Es hat über 20 Jahre gedauert, ehe eine entspre-chende Anlage errichtet war. Das ist ein Skandal und dasist auch beschämend für unser Land.Die EU-Regierungschefs haben die revolutionäreKraft der Biotechnologie erkannt. 2002 haben sie in Bar-celona eine strategische Vision für die Biowissenschaf-ten und für die Biotechnologie bis zum Jahr 2010 entwi-ckelt.Andere Mitgliedstaaten setzen bereits um. Der fran-zösische Innovationsplan ist Ihnen ja bekannt. Sie woll-ten ihn abschreiben; aber noch nicht einmal dazu hates gereicht. Auch in Großbritannien geht man zur Sache.Erst kürzlich wurde der Bericht des British InnovationGrowth Team vorgelegt. Großbritannien hat sich ehrgei-zige Ziele gesetzt: Man will weltweit effizientesterStandort für die Durchführung von klinischen Prüfungenwhfhsl3uwBvBpNwmHWgnwsunIFEfmgswsDdLPnSWgdsuvzRs
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8712 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Die VC-Industrie in den USA investierte allein imdritten Quartal 2003 3,5 Milliarden Euro in junge Tech-nologieunternehmen. Deutschland investierte im selbenZeitraum ein Siebenundvierzigstel davon, nämlich75 Millionen Euro.Meine Damen und Herren, die Pharmaindustrie ist da-bei abzuwandern. Anfang der Woche stellte das DIWeine Studie vor, aus der hervorgeht, dass deutsche Unter-nehmen bereits 36 Prozent ihrer Forschungs- und Inno-vationsausgaben im Ausland tätigen.
Kein Wunder, denn Innovationen brauchen Rechtssi-cherheit. Die Nichtumsetzung der Biopatentrichtlinie be-wirkt das genaue Gegenteil.Das traurigste Kapitel ist und bleibt die Grüne Gen-technik. Spätestens am 11. Februar dieses Jahres wardas groß angekündigte Jahr der Innovationen schon vor-bei; denn an diesem Tag passierte der Entwurf des Gen-technikgesetzes das Kabinett. Es handelt sich um einenAusstiegserlass: Bürokratie, abschreckende Haftungsre-gelungen, drakonische Strafandrohungen. Frau Bulmahnhat von Rechtssicherheit für die Forschung und von ei-nem wichtigen Signal für die Biotechnologiebranche ge-sprochen.
Ich frage mich, wie sie so etwas tun kann. Sie verhöhnteine ganze Branche.
Die Wahrheit lautet: Frau Künast hat einmal wieder ge-wonnen und Frau Bulmahn musste den Kürzeren ziehen.Professor Dr. Hans-Jörg Jacobsen, Präsident des Verban-des Deutscher Biologen, kommentierte dann auch – ichzitiere –:Das Gesetz schränkt die Freiheit der Forschungmassiv ein. Wenn sich diese Linie durchsetzt, kannman der deutschen Wissenschaft nur empfehlen,sich ausländische Partner zu suchen, um eine Ver-wertung ihrer Forschungsergebnisse sicherzustel-len.Die altehrwürdige Leopoldina sah sich ebenfalls zu einervernichtenden Stellungnahme gezwungen. Sie führt aus,dass das, was Sie hier vorgelegt haben, wissenschaftlichunredlich ist.Solche rot-grünen Innovationsbremsen brauchen wirnicht. Wir brauchen ein Gentechnikgesetz, das unbüro-kratisch ist, die Forschung erleichtert, die Anwendungmöglich macht und Landwirten und Verbrauchern eineechte Wahlfreiheit gibt,
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in Bekenntnis zu Innovationen muss mehr beinhaltenls eine PR-Strategie, die Sie derzeit fahren. Handeln Siendlich!
Das Wort hat der Kollege René Röspel, SPD-Frak-
ion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Wie jedes Jahr liegt uns wieder ein Antrag derDU/CSU-Fraktion zur Biotechnologie vor.
ie jedes Jahr wollen Sie uns wieder Versäumnisse vor-erfen und wie jedes Jahr wird Ihnen das wieder nichtelingen.
Der jetzige Antrag trägt einen neuen Titel: „Biotech-ologie als Schlüsseltechnologie stärken“. Eingebrachtaben Sie den Antrag am 9. Dezember 2003, einen Tag,evor wir die Anhörung im Forschungsausschuss hat-en, die sich mit Biotechnologie als Schlüsseltechnologie
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René Röspelbefasst hatte. Vielleicht hätten Sie einfach einmal einwenig länger warten sollen, dann hätten Sie die Erkennt-nisse aus dieser Anhörung in Ihrem Antrag verwertenkönnen und dann wäre er vielleicht ein bisschen bessergeworden.
Der Sachverständige Dr. Ulrich Dolata
hat in der Anhörung am 10. Dezember eine Definitionzur Schlüsseltechnologie gegeben. Er hat drei Merkmalefür Schlüsseltechnologien genannt: Das erste Kriteriumfür eine Schlüsseltechnologie ist, dass sie Durchbrüchein der Grundlagenforschung bewirkt, das zweite, dass esdaraufhin eine Welle von Basisinnovationen gibt, dasdritte ist die Erschließung neuer Märkte durch eine be-achtliche Zahl neuer Produkte und Verfahrensinnovatio-nen. Als viertes mögliches Kriterium hat er noch ge-nannt, dass sie in aller Regel zu doch beträchtlichenVeränderungen in Lebensweisen und Konsummusterneiner Gesellschaft führe. Die Biotechnologie erfüllt min-destens die ersten drei Kriterien. Auch deshalb wird dieBiotechnologie von SPD und Bundesregierung massivgestützt und unterstützt.
Wir würden dies übrigens auch tun, wenn es keineSchlüsseltechnologie wäre, weil Grundlagenforschungfür uns ein Wert an sich ist, den es zu unterstützen gilt.Wenn dann noch wirtschaftliche Bedeutung und Anwen-dung hinzukommen, ist das erst recht der Fall; dann istdas gut und wunderbar. Deswegen unterstützen wir dieBiotechnologie.
Allerdings interessiert uns die ethische Bewertung ei-ner neuen Technologie genauso wie die ökologischenAuswirkungen und die wirtschaftliche Bedeutung. Dereben zitierte Dr. Dolata sagte, Gentechnologie sei keineuniversell einsetzbare Technologie, sie habe einen sehreingeschränkten Anwendungsbezug. Er sieht zum Bei-spiel die Beschäftigungsfrage eher skeptisch. In der Tatwird im Bericht zur Biotechnologie von Ernst & Youngaus dem Jahre 2003 davon gesprochen, dass in Deutsch-land etwa 13 400 Beschäftigte in diesem Bereich arbei-ten. Wenn man das beispielsweise mit der Windener-giebranche vergleicht, ist das eine kleine Zahl.Nichtsdestotrotz wird die Biotechnologie von uns undunserer Regierung herausgehoben und gut gefördert.
Sie werfen uns immer vor, wir täten nicht genug fürdiese Branche; das steht, zumindest unterschwellig, auchin Ihrem Antrag. Das allerdings, meine sehr verehrtenDbdwggDPsAgJdnmdibREFDmKsvuns1Ezr2Ikw
as gehört zur Wahrheit und das lässt sich von diesemult aus durchaus einmal verkünden.Wahrheit ist aber auch – das darf ebenfalls nicht be-tritten werden –, dass während der letzten Jahre dermtszeit Helmut Kohls der Forschungsetat regelmäßigekürzt worden ist.
ürgen Rüttgers ist immer mit großen Forderungen inas Amtszimmer von Helmut Kohl gegangen und mit ei-em gekürzten Etat wieder herausgekommen. Zukunfts-inister, hat man mir gesagt, sei Jürgen Rüttgers wohleswegen genannt worden, weil der Altkanzler Kohlhm immer gesagt habe: In Zukunft wird alles besser.
Recht hat er behalten, der alte Kanzler; die Zukunftrach 1998 mit der Übernahme der Regierung durchot-Grün und der Übernahme des Ministeriums durchdelgard Bulmahn als Bundesministerin für Bildung undorschung an.
ie realen Zahlen beweisen das schlicht und einfach;an kann sie sich überall heraussuchen, auch Sie, Herrretschmer, der Sie erst 2002 ins Parlament gekommenind.
Die im Bundeshaushalt für Bildung und Forschungorgesehenen Ausgaben lagen 1997 und 1998 fastnverändert bei jeweils 10,2 Milliarden Euro. Dasennt man üblicherweise Stagnation. Erst 1999 wurdenie auf 10,3 Milliarden Euro erhöht, 2000 auf0,5 Milliarden Euro und 2001 auf 11,5 Milliardenuro; heute liegen sie bei 12,5 Milliarden Euro. In Pro-enten ausgedrückt ist das gegenüber 1998 eine Steige-ung des Haushaltes für Bildung und Forschung um satte2 Prozent.
ch glaube, Jürgen Rüttgers wären vor Stolz die Jacken-nöpfe geplatzt, wenn er einen solchen Etat hätte vor-eisen können.
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René Röspel– Herr Kretschmer, das ist das, was wir als Regierungtun können und was Sie in Ihrem Antrag fordern.Diese Steigerungsraten gelten auch für die Biotechno-logie. Sie handeln als Opposition hart an der Grenze derRedlichkeit, wenn Sie uns vorwerfen, dass der Ansatz imHaushalt 2003 für den Bereich Biotechnologie mit106 Millionen Euro geringfügig unter dem Ansatzim Haushalt 2002, also des Vorjahres, mit 109 Millio-nen Euro liege.
Das waren im Ist-Ansatz, also bei den abgeflossenenMitteln, 3 Millionen Euro weniger. Aber wenn Sie so ar-gumentieren, dann müssen Sie auch sagen, dass wir eswaren, die die Mittel mit einer gewaltigen Anstrengungauf das Niveau von 109 Millionen Euro erhöht haben.
1998 waren es lediglich 86 Millionen Euro. Wir habendie Mittel auf 100 Millionen Euro hochgezogen; das isteine Erhöhung um satte 23 Prozent. Eine solche Steige-rung im Biotechnologieetat hat es vorher nie gegeben.Aber wir kennen das von Ihnen, auch aus anderenDiskussionen des heutigen Tages: Hätten wir um50 Prozent erhöht, wäre auch das zu wenig gewesen.Sie aber schlagen eine Steuerreform vor, mit der SieBesserverdienende entlasten wollen, was den Staat10 Milliarden Euro kostet. In jedem Etat fordern Sieneue Ausgaben, aber Sie können nicht darlegen, wo Siedas Geld hernehmen wollen. Sie wollen weniger einneh-men, aber trotzdem mehr ausgeben.
Das passt nicht, aber das ist Ihr Glaubwürdigkeitspro-blem und nicht unseres.Wir haben für die Biotechnologie eine Menge getanund können uns damit wahrlich sehen lassen. Wir, ein-schließlich der Bundesregierung, haben nämlich dafürgesorgt, dass Deutschland erstmals einen Spitzenplatz inEuropa eingenommen hat, was die Zahl der Biotechno-logieunternehmen anbelangt. Das haben wir geschafftund nicht Sie.
Trotzdem muss man sagen, dass die kommerzielle Bio-technologiebranche an einem Punkt angelangt ist, der imReport von Ernst & Young als „Zeit der Bewährung“und als eine beginnende „Konsolidierung“ bezeichnetwird. Während die Zahl der Biotech-Unternehmen imJahr 1995 bei 75, im Jahr 1998 bei 222 lag und im Jahr2001 mit 365 den Höchststand erreichte, ist die Zahl derUnternehmen im Jahr 2002 in der Tat um fünf Unterneh-men auf 360 zurückgegangen. Es gibt also einen Prozessder Konsolidierung. Dieser Prozess kann auch in ande-ren Ländern beobachtet werden; er setzte dort schon frü-her ein. Es ist aber ganz normal – das wird von vielen sogesehen –, dass es in einem neuen Technologiebereicheine Konsolidierung gibt.Die Bundesregierung hält aber nicht inne, sondern sienimmt diese Herausforderungen an. Viele der Forderun-gsfdpweus1AnBFPedUkRtgjdHtznErdClgdGegAl
Herr Tauss hat vor einiger Zeit am parlamentarischenbend des Nationalen Genomforschungsnetzes teilge-ommen. Aus Ihren Reihen habe ich leider nur Herrnergner in Erinnerung. Er konnte die Begeisterung derorscher über dieses Programm wahrnehmen. Diesesrogramm ist eine gute und wichtige Sache. Wir werdens weiterführen.Es gibt eine große Anzahl von Förderprogrammen,ie alle das Ziel haben, die Biotechnologie, Regionen,nternehmen sowie junge Forscher zu unterstützen. Ichann nicht alle nennen, weil es den Rahmen meinerede sprengen würde.Auch das aus meiner Sicht zentrale Problem der Bio-echnologie wird vonseiten der Bundesregierung ange-angen, nämlich das Fehlen von Wagniskapital. Fürunge Start-ups ist es nicht einfach, Wagniskapital aufem freien Markt zu bekommen. Deswegen gibt es denightech-Masterplan. Mit ihm wollen wir junge Innova-ionsunternehmen durch die Eröffnung von neuen Finan-ierungsquellen, beispielsweise durch die Schaffung ei-es Dachfonds für Wagniskapital, unterstützen.
s bleibt aber dabei: Letztendlich muss es der Marktichten. Der Staat kann nicht die Aufgaben übernehmen,ie eigentlich die Industrie zu übernehmen hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren von derDU/CSU, einen Teil Ihres Antrags will ich ausdrück-ich unterstützen. Ich glaube, wir brauchen dringend eineesetzliche Regelung für die genetische Diagnostik;a haben Sie Recht. Hier ist es nur zu begrüßen, dass dasesundheitsministerium im Frühsommer endlich einenntsprechenden Gesetzentwurf vorlegt.Zum Schluss noch eine Bitte an die Opposition: Brin-en Sie auch nächstes Jahr wieder einen entsprechendenntrag ein! Die Debatte darüber ist immer eine gute Ge-egenheit, unsere Erfolge der Öffentlichkeit vorzustellen.Danke schön.
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Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Röspel, ich bin – anders als die Kolleginnen und Kolle-
gen der CDU/CSU – schon der Meinung, dass Sie natür-
lich dank der von der Kohl-Regierung auf den Weg ge-
brachten UMTS-Gelder in der Lage waren, Geld in die
entsprechenden Etats zu pumpen.
Bei Ihnen ist weniger das Geld als die Atmosphäre, die
in diesem Forschungsgebiet herrscht, das Problem. Lie-
ber Herr Kollege Röspel, ich schätze Sie sehr.
Aber ich muss sagen, dass Sie es immer und immer wie-
der, begleitet von Herrn Fell, schaffen, sozusagen einen
Schleier vor allen Dingen über die Grüne Gentechnik zu
stülpen. Da nutzt auch alles Geld nicht.
Wenn wir die derzeitige Situation betrachten, dann
muss man sagen, dass es sich um eine sehr verworrene
parteipolitische Diskussion handelt. Bei den Roten ha-
ben wir den Eindruck, dass es dort eine sehr gespaltene
Haltung gibt. Bei den Grünen haben wir den Eindruck,
dass sie total gegen alle Innovationen in der Roten und
Grünen Gentechnik sind. Bei den Schwarzen haben wir
den Eindruck, dass in dieser Debatte nur die Vertreter
der Gentechnologielobby anwesend sind. Es ist natürlich
so – da stimme ich Herrn Röspel zu; die CDU/CSU stellt
ja viele Anträge in diesem Bereich –, dass durch diesen
Antrag verdeckt wird, dass große Teile der CDU/CSU-
Fraktion leider nicht hinter einer innovativen Form der
Grünen und Roten Gentechnik stehen.
Wir haben sicherlich alle ein ungutes Gefühl, was die
Gesamtstrategie in Sachen Biotechnologie angeht. Frau
Bulmahn redet zwar viel, aber an vielen Stellen ist der
Bruch in dieser Strategie der Bundesregierung deutlich
zu erkennen. Wenn ich mir anhöre, was Frau Künast
– Herr Loske wird wahrscheinlich gleich Ähnliches sa-
gen – in diesen Tagen zum Thema Biopatent gesagt hat,
muss ich erneut feststellen, dass wir es mit einer Bundes-
regierung zu tun haben, die im Bereich Forschung zwar
auf der einen Seite deutliche Schritte nach vorn unter-
nimmt, gleichzeitig aber – dominiert von grünen Minis-
tern – in die andere Richtung galoppiert.
Herr Röspel, ich war erstaunt über das, was Sie uns in
dieser Woche im Ausschuss über die Versuche mit gen-
technisch veränderten Apfelsorten in Quedlinburg er-
zählt haben. Sie sagten, dass gegen diese Versuche aus
wissenschaftlicher Sicht überhaupt nichts einzuwenden
ist.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Röspel?
Sicher. Warum nicht?
Liebe Frau Kollegin, ich schätze Sie auch.
ichtsdestotrotz sollten wir uns damit inhaltlich ausein-
nder setzen. In der Tat habe ich in dieser Woche im
usschuss gesagt – ich habe dies, wie ich es üblicher-
eise versuche, mit wissenschaftlichen Quellen belegt –,
ass ich bei einer begrenzten Auspflanzung nicht Blüten
reibender Apfelbäume für vier Jahre aus wissenschaftli-
her Sicht kein Problem sehe. Das heißt, dass ich Grüne
entechnik und Biotechnologie mit bestimmten Voraus-
etzungen verknüpfe.
Bestreiten Sie, dass die Politik auf eine Verunsiche-
ung in der Bevölkerung reagieren und entsprechend
andeln sollte? Das BMVEL hat genau das getan. Man
at gesagt: Es gibt Akzeptanzprobleme bei der Freiset-
ung und deswegen machen wir das nicht.
Lieber Herr Röspel, die FDP legt immer einen großenert auf die Meinungen der Bürger.
in großer Anteil der Bürger dieses Landes spricht sichro Grüne Gentechnik und pro Rote Gentechnik aus.Ich haben meinen Finger vor allem in eine Wunde ge-egt: Wenn Bürger, seien es fünf oder zehn – in diesemall waren es 200 Leute –,
ufstehen und aufschreien, nutzen Sie die Gelegenheit,ies als Axt gegen die Grüne Gentechnik einzusetzen.ür mich ist das keine politische und schon gar keineissenschaftliche Begründung, um von einem For-chungsversuch Abstand zu nehmen, von dem wir alleissen, dass er wichtig für dieses Land ist.
o katapultieren wir uns aus dieser Szene hinaus. Alleinus diesem Grunde sollten Sie sich überlegen, was es
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8716 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Ulrike Flachbedeutet, wenn man aufgrund der Proteste von 200 Bür-gern einknickt und das entsprechende Bundeslandzwingt, von dem Forschungsvorhaben Abstand zu neh-men.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Heiderich?
Ja, sicher.
Frau Kollegin Flach, ist Ihnen bekannt, dass die Ant-
wort der Bundesregierung auf die Rückfrage, wie groß
der Widerstand aus der Bevölkerung in Quedlinburg
gewesen sei, lautete, es habe drei – ich wiederhole: drei –
Einsendungen aus Quedlinburg gegeben, in denen man
sich gegen die Freisetzung ausgesprochen habe?
– Herr Kollege Röspel, wenn Sie schon dazwischenru-
fen, sollten Sie zwischen Pillnitz und Quedlinburg unter-
scheiden. – Aufgrund dieser drei Einwendungen aus
Quedlinburg wurde dieser Versuch gecancelt.
Ist Ihnen auch bekannt, dass die amerikanische Natio-
nal Academy of Science wenige Tage später einen Ver-
such zur Virusresistenz von Apfelbäumen, der, so glaube
ich, in Amerika und der Schweiz durchgeführt wurde, in
höchsten Tönen gelobt und als einen großen wissen-
schaftlichen Durchbruch bezeichnet hat?
Lieber Kollege Heiderich, der zweite Punkt ist mirnatürlich bekannt. Ich finde es ausgesprochen nützlich,wenn man in der nationalen Diskussion auf solche Bei-spiele hinweist. Der erste Punkt war mir bis zu diesemAugenblick nicht bekannt. Mir liegt nur die Zahl 200vor. Damit ist die Situation aber weiß Gott treffend vonIhnen umschrieben. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mirda auf die Sprünge geholfen haben. Wenn Herr Röspeljetzt schon von wissenschaftlichen Untersuchungen Ab-stand nimmt, wenn nur drei Bürger Einwendungen ma-chen,
dann wird es allerdings ganz bunt in diesem Lande.
Lassen Sie mich aber trotzdem auch etwas zu denKolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU sagen, vorallen Dingen, da Frau Böhmer jetzt zu uns gestoßen ist.Ich wäre Ihnen sehr dankbar, liebe Kolleginnen und Kol-ltGSzuRtw–jcddsAdeIdH–ngitm––tn–oDsw
ann kann ich nicht mehr erkennen, dass die CDU/CSUine proinnovative Haltung auf diesem Gebiet hat.
ch bedauere es sehr, dies sagen zu müssen. Sie wissen,ass ich Ihnen gerne zustimmen würde.Ich will an dieser Stelle noch etwas anderes sagen.err Röspel hat eben von dem Gentechnikgesetz undzumindest in Ansätzen – von der genetischen Diag-ostik gesprochen. Ich wäre den Kolleginnen und Kolle-en in diesem Raume sehr dankbar, wenn wir über alledeologischen Grenzen hinweg bei dem Thema Diagnos-ik, sprich PID, in diesem Jahr zu einem Ergebnis kä-en.
Ich interpretiere jetzt einmal die Diagnostik als PID.
Ich weiß wohl, dass das etwas anderes ist. Ich will aberrotzdem an dieser Stelle sagen: Auch das gehört zu ei-em innovativen Klima in diesem Lande.
Natürlich.Wir müssen in der Lage sein, Gesetze auch einmalhne emotionale Aufwallungen zu diskutieren.
eswegen, liebe Frau Böhmer, will ich Ihnen das an die-er Stelle mit auf den Weg geben und ankündigen, dassir Liberalen unabhängig von allen Diskussionen über
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8717
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Ulrike FlachBiotechnologie in den nächsten Wochen den Antrag zudiesem Thema endgültig auf den Weg bringen werden.
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Josef Fell,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Biotechnologie ist ein wichtiger Forschungs-zweig für neue Arbeitsplätze und auch für neues Unter-nehmertum. Ganz klar, wir sind erst am Anfang derChancen der Biotechnologie. Ich wundere mich, dassSie, meine Damen und Herren von der Union und derFDP – das werde ich noch näher ausführen –, eine völligeinseitige Betrachtung der Möglichkeiten und Chancender Biotechnologie anstellen.Ich habe kein Wort gehört zur Weißen Biotechnolo-gie. Die Weiße Biotechnologie ist eine neue Möglich-keit, die sich aus Forschungsergebnissen ergibt.
Beispielsweise kann man Flachsfasern, auch Fasern, dieaus Hanf gewonnen werden, mit Enzymen so verändern,dass sie die modernen Chemiefasern in ihrer Qualität er-setzen können. Ich habe nichts dazu gehört, dass manaus Holz und Gras in biotechnologischen Verfahren,über enzymatische Veränderungen, neue Treibstoffe ge-winnen kann.
Große Konzerne wie VW, Daimler-Chrysler, BP, Shell,Choren Industries – zwar kein Konzern, aber sie habendie Technologie – treiben diese Verfahren voran. Siewissen offensichtlich gar nicht, was für Chancen in derBiotechnologie liegen, zum Beispiel um Bioethanol zugewinnen. Ich weise auch auf die gesamte Palette dernachwachsenden Rohstoffe hin: Wir können Kunststoffeaus Pflanzenöl herstellen, wir können Farben und Lackeaus Naturstoffen kreieren, neue Werkstoffe aus Flüssig-holz entwickeln – eine hochinteressante neue Technolo-gie. Ich nenne auch die Bionik – ein riesiges Feld. DieNanobionik wird ganz spannend werden. Wir werdenvielleicht lernen können, wie man Holz produziert, unddamit technologische Verfahren entwickeln. Nichts vonall diesen Chancen höre ich in der Debatte von Ihnen.Dabei bieten gerade diese biotechnologischen Verfahrengewaltige Chancen für Klimaschutz, für Ressourcen-schonung, für giftfreie Chemie, für Innovation und fürArbeitsplätze.
Auch im Bereich der Lebenswisssenschaften bietenbiotechnologische Verfahren unglaublich vielfältigeMmkkMmsSbsPnnWdMEdwwsrAn–ddnctIzDw–trgsssAct
ie richten den Blick immer wieder auf zwei isolierte Pro-lembereiche und heben diese heraus. Sie kennen offen-ichtlich Rote Gentechnik vor allem dort, wo sie ethischrobleme bereitet. Sie kennen von der Grünen Gentechnikur das, was die Verbraucher zu 80 Prozent ablehnen,ämlich gentechnisch veränderte Lebensmittel.
er diese Debatte so wie Sie führt, der schadet damitem Biotechnologiestandort Deutschland in hohemaße.Denn es geht um mehr als um Freisetzungsversuche.s geht um mehr als darum, ob wir uns endlich in Fragener Ethik einigen. Frau Flach, Sie haben darauf hinge-iesen, dass der Riss auch quer durch die Union geht,enn die ethischen Fragen im Vordergrund stehen. Wirollten nicht mehr die Technologien in den Vordergrundücken, die in der Gesellschaft keine oder nur geringekzeptanz finden. Wenn 80 Prozent der Bürger gentech-isch veränderte Lebensmittel ablehnen
das tun sie nach allen Umfragen konstant –,
ann sollten wir das ernst nehmen, uns beschränken undie Vielfalt der anderen biotechnologischen Verfahrenutzen. Wir nehmen das ernst und wissen, dass Verbrau-herschutz, Ökologie und soziale Fragen mit der Bio-echnologie zusammenhängen.Zu dem Beispiel der gentechnisch veränderten Äpfel.ch habe Frau Pieper schon gestern im Ausschuss, als sieu einer großen Debatte über den Wirtschaftsstandorteutschland ausholte und das fehlende Wirtschafts-achstum anmahnte, wo ja etwas dran sein kann
wir kennen die Zahlen –, gesagt, dass die Apfelindus-ie nicht in der Lage ist, mit Freisetzungsversuchen mitentechnisch veränderten Äpfeln die gewünschten Wirt-chaftswachstumsraten herbeizuführen. Man muss dachon richtig gewichten. Ich esse sehr gerne Äpfel undtehe dahinter. Wir wollen sie vom Feuerbrand befreien.ber dafür gibt es andere Möglichkeiten. In den Berei-hen, die die Bürger ablehnen, brauchen wir die Gen-echnik nicht in hohem Maß.
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Hans-Josef FellIch möchte Sie bitten: Wenden Sie sich den biotech-nologischen Verfahren zu, die auch wir im Blick haben!Hier haben Sie ganz große Blockaden. Welche Chancenbietet uns beispielsweise eine neue Chemie? Welche In-novationen ermöglicht das REACH-Verfahren geradeim Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen?Sie lehnen diese Innovationen aus ideologischen Grün-den ab,
weil Sie der Chemieindustrie, die Probleme im Giftbe-reich und anderswo hat, Bestandsschutz gewähren wol-len. Wir aber wollen gerade mit dem REACH-VerfahrenInnovationen anstoßen.
Wir sollten über den Großen Teich schauen: Die US-Chemieindustrie hat schon beschlossen, 20 Prozent dererdölbasierten Chemieprodukte bis zum Jahre 2020durch pflanzliche Chemieprodukte zu ersetzen – ein Bei-spiel, das wir uns zu Herzen nehmen sollten. Die deut-sche Chemieindustrie ist von diesem Ziel weit entfernt –wahrscheinlich wegen Ihrer verblendeten Diskussion.Ich vermisse in Ihrem Antrag verschiedene Dinge.Beispielsweise sagen Sie, man müsse mit mehr Mittelnmehr finanzieren. – Völlig d’accord. Sie sagen auch,man müsse die Mittel umschichten. Nur vermisse ich dieAngabe, wo Sie kürzen wollen, welche Forschungsberei-che zugunsten der notwendigen biotechnologischen For-schung abgebaut werden sollen. Hier bleiben Sie dieAntwort schuldig.Das Gleiche gilt auch für die Frage, wie Sie Wagnis-kapital stärker unterstützen wollen. Wir haben das ge-tan; Herr Röspel hat darauf hingewiesen. Wir habenviele Erfolge in diesem Bereich vorzuweisen. Ich ge-stehe allerdings: Wir müssen noch mehr tun und bei-spielsweise die steuerlichen Rahmenbedingungen fürStart-ups verbessern. Es ist notwendig, etwa das Halb-einkünfteverfahren für den „carried interest“ anzuwen-den und ähnliche steuerliche Maßnahmen einzuführen.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin so weit, Herr Präsident,
dass ich das Wesentliche schon gesagt habe.
Ich kann Sie nur auffordern: Helfen Sie mit, meine
Damen und Herren von der FDP und der Union, den Bio-
technologiestandort Deutschland zu stärken, indem Sie
endlich die gesamte Palette der Biotechnologie in den
Blick nehmen und damit Umweltschutz, Verbraucher-
schutz und ethische Grundlagen ernst nehmen, statt im-
mer wieder nur auf den umstrittenen Biotechnologien
herumzureiten.
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Das Wort hat der Kollege Helmut Lamp von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fell,s passt gut, dass ich direkt nach Ihnen spreche. Sie ha-en so viele offene Fragen und natürlich genau das Feldngesprochen, das mir besonders am Herzen liegt, undermissten hierzu Aussagen der Union. Ich will Ihnenern Antworten geben. Allerdings werden sie Ihnenicht alle gefallen.Ich beginne mit der Biomassenutzung. Sie wissen, esibt viele Möglichkeiten der Biomassenutzung. Ameisten vertraut ist uns die Nahrungsmittelerzeugung;ie stoffliche Verwertung spielt eine große Rolle. Ichöchte am Beispiel der energetischen Verwertung voniomasse dieses breite Feld und die vielen Punkte auf-eigen, an denen Handlungsbedarf besteht und hinsicht-ich derer wir auch Aktivitäten der Regierung einfordernüssen.Dieses Feld – Sie haben es umschrieben – ist deswe-en so zukunftsträchtig, weil es sich in der Tat abzeich-et, dass es dafür einen erheblichen Markt geben wird.ch möchte nur einige Beispiele nennen. Im Jahr 2010oll europaweit der Anteil biogener Treibstoffe 5,75 Pro-ent betragen. Das ist eine Riesenherausforderung, derir uns mit unseren Potenzialen kaum stellen können,enn hier nicht die richtigen Rahmenbedingungen ge-etzt werden.Die Nachfrage nach modernen Biomasse-Komfort-inzelfeuerungsanlagen boomt mit Zuwächsen von0 bis 50 Prozent jährlich; die Österreicher beherrschenen Markt.In der Dritten Welt denkt man über die Klärung vonbwässern und die gleichzeitige Gewinnung von Ener-iepflanzen auf Rieselfeldern nach. Auch hier bietet sichin Betätigungsfeld für uns. In China und Indien – Sieissen das auch – besteht bereits heute ein Riesenmarktür Kleinst-Biogasanlagen. Internationale Energiekon-erne sind kontinentübergreifend in die Energiepflan-enproduktion eingestiegen. – Das waren nur einigeenige Beispiele für die immensen Markt- undxportchancen.
Doch, doch.Mit Blick auf diese Exportchancen stellt die Bundes-egierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der CDU/SU-Fraktion fest:In dem Maße, wie sich der deutsche Markt positiventwickelt, wachsen auch die Exportchancen fürmoderne Technik zur Erzeugung und Nutzung vonBioenergieträgern.o ist es. Damit sind wir beim Kern des Themas.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8719
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Helmut LampIn allen anderen EU-Staaten ist die Bioenergie die tra-gende Säule der regenerativen Energien, aber inDeutschland ist sie leider auf einem sehr niedrigenNiveau. Wir sind keineswegs Weltmeister oder Vorreiter,sondern wir gehören im europaweiten Vergleich zu denEntwicklungsländern. Das muss sich ändern.
Wir brauchen entsprechende Rahmenbedingungen,wir brauchen zielgerichtete Forschungsunterstützungund gut greifende Förderinstrumente, ein Flächenkon-zept zur Sicherung des Anbaus von Energiepflanzen unddie schnelle Entwicklung spezifischer Energiepflanzen.Zum Ersten: Auch im Bereich der Bioenergie werdenForschungs- und Entwicklungsvorhaben von der Bun-desregierung in unverantwortlicher Weise vernachläs-sigt, Herr Tauss. Der Fachagentur Nachwachsende Roh-stoffe standen im vergangenen Jahr 26,6 Millionen Eurozur Verfügung, davon gerade einmal 7 Millionen Eurofür die Bioenergie. Die Mittel sind in diesem Jahr um an-nähernd 30 Prozent gekürzt worden.Sie, Herr Fell, haben gefragt: Woher sollen wir dieMittel nehmen? Entgegen all Ihren Versprechungen undsogar entgegen Ihrem Koalitionsvertrag belasten Sie dieregenerativen Energien durch die Ökosteuer heute in ei-ner Größenordnung von über 790 Millionen Euro. Daherbietet es sich an, auch die Forschungsförderung aus die-sem Bereich zu bestreiten.
– Nein, das ist nicht so. Aber selbst wenn das so wäre,muss gesagt werden: Diese Mittel wollten Sie zur Förde-rung der regenerativen Energien, insbesondere auch derBioenergie, zur Verfügung stellen. Das hat auch nichtsmit Europa zu tun, was Sie machen. Entgegen Ihren Ver-sprechungen kommen diese Einnahmen in einen großenFinanztopf.
– Herr Fell möchte etwas fragen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Ja.
Bitte schön, Herr Fell.
Herr Kollege Lamp, ich freue mich, dass Sie das De-
fizit der Union aufgegriffen haben und nun endlich auch
über andere Biotechnologien reden. Wir sind uns ge-
meinsam völlig einig darin, dass das ein wichtiges Feld
ist. Nur muss ich Ihnen jetzt die Frage stellen, wie Sie
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m Jahre 2000, als die Bundesregierung zusammen mit
er rot-grünen Koalition dieses Gesetz verabschiedet
at, hat Ihre Fraktion es abgelehnt.
ls wir die Mittel für die Forschungsförderung im Be-
eich der Bioenergien deutlich erhöht haben, haben Sie
nseren Haushalt abgelehnt.
ch frage mich, wie das zu Ihren Aussagen passt, Sie
ürden dieses Vorhaben unterstützen. Tatsache ist, dass
uch die unionsregierten Länder – da frage ich Sie eben-
alls, wie das zu Ihren Aussagen passt – im Bundesrat
mmer wieder Versuche unternommen haben und unter-
ehmen, die Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-
esetzes durch die Einbringung verschiedenster Anträge
u stören. Ich wundere mich über Ihre Aussage, dass Sie
en Ausbau der erneuerbaren Energien wünschen;
enn ich vermisse die tatsächliche Unterstützung der
nion.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz betrifft den Strom-arkt. Dabei geht es um 18 Prozent des Energiever-rauchs. Wenn wir über das Thema erneuerbare Ener-ien sprechen, dann meinen wir natürlich den gesamtennergiebereich. Dazu gehören auch die Sektoren Wärmend Treibstoffe.
llein der Wärmebereich macht hier annähernd0 Prozent aus. Das hat aber nichts mit dem EEG zu tun.enn wir das EEG in manchen Bereichen kritisieren,ann deshalb, weil es zum Teil nichts mit dem Themaioenergie zu tun hat. Wenn wir den neuesten Entwurf,en die beiden zuständigen Ministerien vorgelegt haben,ritisieren, dann tun wir das aus den gleichen Gründenie Sie: weil der Zeitraum für die Förderung der Bio-nergie um 25 Prozent drastisch gekürzt werden soll.
as ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die hier in-estiert haben.
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8720 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Helmut LampBetrachtet man die gesamte Energiebranche bzw. dieBereiche der Bioenergie und der regenerativen Energien,so ist festzustellen: Wir stünden im europäischen Ver-gleich nicht am unteren Ende, wenn alle Bundesländereinen solch hohen Anteil regenerativer Energien nach-weisen könnten wie das Bundesland, aus dem Sie kom-men, Bayern. Wäre dies der Fall, würden wir bei einemVergleich aller europäischen Länder eine mittlere Posi-tion einnehmen. Aber es gibt ja leider auch noch einigeBundesländer, in denen die Ergebnisse andere sind.
Nun möchte ich mit meinen Ausführungen fortfahren.Ich hatte gerade gesagt, dass wir Flächen für Energie-pflanzen brauchen. Das hat insofern mit Technologie zutun, als wir eine gesicherte Grundlage haben müssen. Indiesem Zusammenhang möchte ich hier im Plenum aufein Problem hinweisen, das sich abzeichnet: Im Jahre2010 werden wir in der erweiterten EU etwa60 Millionen Hektar nicht mehr zur Nahrungsmittelpro-duktion benötigen. Das ist ein Riesenproblem. Daherbietet es sich an, auf dieser Fläche Energiepflanzen an-zubauen.Als Letztes sage ich Ihnen: Wir brauchen spezielleEnergiepflanzen. Die Kulturpflanzen, die heute im Bio-energiebereich eingesetzt werden, sind das Ergebnis tau-sendjähriger Zucht für die Nahrungsmittelproduktionoder die Tierernährung, nicht aber für die Energieerzeu-gung. Wir brauchen Energiegetreide ohne Chlor, wirbrauchen Raps ohne Schwefel, wir brauchen Massen-erträge bei Minimaldüngung, wir brauchen winterharteSchilfgräser. All das werden wir nur mit der Gentechnikerreichen. Wir müssen die Möglichkeiten der Gentech-nik auch hier nutzen, um spezielle Energiepflanzen zuentwickeln.
Das Malen von Horrorszenarien und die Verbreitungvon Hysterie gegenüber der Gentechnik lässt uns in derGegenwart verharren und versperrt uns die Zukunft.Herr Fell, Sie sagten, der Feuerbrand lasse sich eventuellauch anders, mit konventionellen Züchtungsmethoden,bekämpfen. Das ist bisher nicht gelungen. Auch nach30 Jahren Züchtungsversuchen ist es nicht gelungen, Fu-sarien-festes Getreide zu züchten. Fusarien sind krebs-erregend; auch hier bietet sich eine Chance für dieGentechnik. Wir sollten ein anderes Verhältnis zur Gen-technik finden.
Herr Kollege Lamp, bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Wir fordern mit unserem
Antrag ein Zehnjahresprogramm für die gezielte Ent-
wicklung der biotechnischen Potenziale in den verschie-
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Carola Reimann
on der SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieiotechnologie ist eine Schlüsseltechnologie und birgtin ungeheures Innovationspotenzial. Experten gehenavon aus, dass die Biotechnologie in knapp 15 Jahrenn der Hälfte aller wichtigen Innovationen beteiligt ist.eswegen ist sie natürlich für viele Wirtschaftszweigeon ganz herausragender Bedeutung. Die wirtschaftlichentwicklung wird direkt oder indirekt auch von der Bio-echnologie abhängen.Folgerichtig und konsequent hat die Bundesregierungeit 1998 die Förderanstrengungen erheblich ausgewei-et, um die Perspektiven der Biotechnologie für neue Ar-eitsplätze und Wachstum auch in Deutschland weiter zuerbessern. Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenon der Union, das geflissentlich ignorieren und quasiebetsmühlenartig das genaue Gegenteil behaupten,önnen Sie als Aufgabe der Opposition begreifen, abern dem Wahrheitsgehalt Ihrer Aussagen verbessert dasichts.
hr Antrag „Biotechnologie als Schlüsseltechnologietärken“ kann auch von wirklich jedem Verdacht freige-prochen werden, neue Erkenntnisse aufzugreifen oderorderungen zu präsentieren.
ie haben schlicht Ihren alten Antrag – in gekürzterorm – recycelt. Nun habe ich nichts gegen Recycling –anz im Gegenteil, gerade wenn es sich um wertvolleohstoffe handelt. Aber auch da habe ich bei Ihrem An-rag so meine Zweifel. Hinzu kommt bei jeder stoffli-hen Verwertung natürlich das Downcycling; auch dast an Ihrem Antrag leider nicht spurlos vorbeigegangen.
ie haben Ihren Antrag jetzt kaum noch begründet oderazu gesprochen, sondern Ihre Reden eher zum Anlassenommen, über Biotechnologie im Allgemeinen und Besonderen zu reden.
ennoch will ich ein paar Punkte aus Ihrem Antrag auf-reifen. Sie kritisieren, dass die im Bundeshaushalt 2003eranschlagten und für 2004 vorgesehenen Mittel für
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Dr. Carola ReimannBiotechnologie hinter denen von 2002 zurückbleiben.Der Kollege Röspel hat es schon gesagt: Das ist eine be-wusste Irreführung. Die Förderung von Forschung undEntwicklung im Bereich der Biotechnologie gehört zuden forschungspolitischen Schwerpunkten des BMBF.Die Titelansätze sind von 1998 bis 2003 deutlich gestei-gert worden. Auch der Ansatz für 2004 – schauen Sieihn sich bitte noch einmal an – liegt deutlich über demvon 2002.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren es, die 1998den Trend umgekehrt haben. Ich habe seit 1987 Biotech-nologie studiert und kann mich noch sehr gut an die Zeitdavor erinnern. 1998 wurde dieser Trend umgekehrt unddie Forschungsförderung gerade im Bereich der Biotech-nologie ganz erheblich aufgestockt.
Ihr ständiges Lamento von der Vernachlässigung derBiotechnologie durch die rot-grüne Bundesregierung istschlicht absurd: Keine vorherige Regierung hat die Bio-technologie so deutlich und so intensiv gefördert,
bei keiner war sie ein so klarer forschungspolitischerSchwerpunkt.
Sie glauben ferner, der Boom der Biotechnologie-branche sei zum Stillstand gekommen. Laut dem viertenDeutschen Biotechnologie-Report – er ist schon ein paarMonate alt – sind in Deutschland im Vergleich zu ande-ren Ländern immer noch die meisten Unternehmen die-ser Branche angesiedelt.
Dies ist das Resultat der dynamischen Aufholjagd dervergangenen Jahre.Großbritannien wird bei diesem Thema immer an-geführt. Dazu muss man sagen: Auch an Großbritanniengeht die Entwicklung der Konjunktur nicht vorbei. Wirhaben diese Woche lesen können, dass der KlonpionierPPL kurz vor der Insolvenz steht. Vorgestern konnte manim Fernsehen erfahren, dass es die Forscher in Großbri-tannien – Stichwort: Nachwuchsförderung – vorziehen,ins Handwerk zu gehen, weil sie keine Zukunft mehr imBereich der Forschung und Entwicklung – gerade aufdem Gebiet der Biotechnologie – sehen.
Wir erkennen auch die wirtschaftliche Bedeutung derFörderung von Biotechnologie. Unsere Forschungs-und Innovationspolitik greift gerade die speziellen Be-dürfnisse dieser jungen Unternehmen auf: Sie bietet die-sen Unternehmen einen Mix von strukturellen, themati-saulmPMtmDktids„zuvWböddAnsnnAsnSBcfddgeP
Junge Biotech- und Hightech-Unternehmen werdenn vielen Fällen vom Ministerium sehr intensiv geför-ert. Ich nannte das Stichwort „Hightech-Masterplan“chon. Ebenfalls wichtig in diesem Zusammenhang istBiotrans Plus“. „Biotrans Plus“ wendet sich ganz ge-ielt an kleine und mittelständische Unternehmen undnterstützt auch Forschungs- und Entwicklungsvorhabenon Biotech-Start-ups.Ich nenne ein weiteres Stichwort: der Bio-Future-ettbewerb. Ich habe schon auf die Situation in Groß-ritannien hingewiesen. Der Bio-Future-Wettbewerb er-ffnet jüngeren Wissenschaftlern aus Deutschland undem Ausland – es ist ein internationaler Wettbewerb;arauf will ich hinweisen – die Möglichkeit, in eigenenrbeitsgruppen neue Forschungsansätze in der Biotech-ologie zu erarbeiten,
ich wissenschaftlich zu qualifizieren oder sich in unter-ehmerischer Selbstständigkeit zu versuchen. Das isticht nur ein guter, sondern auch ein sehr erfolgreichernsatz: Von den 43 Preisträgern des Wettbewerbs habenich zehn selbstständig gemacht und ein eigenes Unter-ehmen gegründet.Sie sehen also: Wir verfügen über ein sehr breitespektrum von Förderinstrumenten, die auf die konkretenedürfnisse und speziellen Anforderungen dieser Bran-he eingehen.
Frau Kollegin Reimann, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Kretschmer?
Natürlich.
Frau Kollegin, Sie haben gerade die Existenzgrün-ungen angesprochen. In Ihrem Hightech-Masterplan,er uns sehr saft- und kraftlos erscheint, ist von dem Pro-ramm „Futur“ keine Rede mehr. Dieses Programm warrfolgreich im Hinblick auf die SEED-Phase – einehase, die weit vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem der von
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8722 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Michael KretschmerIhnen aufgelegte Existenzgründerfonds greift – und wardas einzige Instrument, das es noch gab. Wann gedenkenSie, dieses Programm wieder aufzulegen? Wie reagierenSie auf die Bedürfnisse von Existenzgründern aus denHochschulen, die derzeit keine Möglichkeit der Unter-stützung durch diese Bundesregierung haben?
Ich habe schon auf den Bio-Chance-Wettbewerb und
die damit verbundenen Fördermöglichkeiten hingewie-
sen. Es ist richtig, dass er sich vor allen Dingen an Bio-
tech-Unternehmen richtet. Wir haben aber ebenso Pro-
gramme aufgelegt, die gerade auch für Ausgründungen
aus den Hochschulen zur Verfügung stehen. „EXIST“ ist
zum Beispiel solch ein Programm.
Ich sage Ihnen, um Ihre Frage zur SEED-Phase zu beant-
worten: Es wird zurzeit geprüft, ein Programm aufzule-
gen, das Unternehmen Möglichkeiten eröffnet, wenn
– darauf zielten Sie mit Ihrer Frage ab – gar kein privates
Kapital zur Verfügung steht.
– Ja, natürlich. Mit dem Hightech-Masterplan und mit
diesem Fonds wird aber Kapital mobilisiert. Ich glaube
schon, dass das hilft.
– Das ist ein Prüfplan; aber es gibt daneben eine Menge
zusätzlicher Fördermöglichkeiten. Wenn Sie ein Unter-
nehmen im Bereich Biotechnologie gründen wollen, ha-
ben Sie mit „Biotrans Plus“ noch eine Chance.
Ich will noch auf eine Forderung von Ihnen eingehen,
die sich darauf bezieht, dass Sie eine Fokussierung auf
die Zukunftsfelder Proteomforschung und Genomfor-
schung wünschen. Ich muss sagen: Wenn Sie in das Rah-
menprogramm „Biotechnologie – Chancen nutzen und
gestalten“, das im Übrigen im Jahre 2001 aufgelegt
wurde und das man kennen kann
– wenn man denn will –, hineinschauen, dann werden
Sie sehen, dass wir dem Nationalen Genomforschungs-
programm – der Kollege Röspel hat auch darauf hinge-
wiesen – jetzt wieder 135 Millionen Euro zur Verfügung
stellen. Daneben gibt es seit 2000 einen Förderschwer-
punkt, in dem es darum geht, neue effizientere Verfahren
für die funktionelle Proteomanalyse zu entwickeln. Er ist
mit 60 Millionen Euro ausgestattet ist. Ich kann nicht se-
hen, dass wir hier irgendwelche Defizite haben.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Martin Mayer von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ichie heutige Debatte betrachte, dann erkenne ich, dass wirffenbar ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die För-erung der Biotechnologie in Deutschland. Herr Fell, ichar erstaunt darüber, wie positiv Sie heute bestimmteormen der Biotechnologie – beispielsweise die gen-echnische Erzeugung von Enzymen für die Chemie –ewertet haben. Ich komme darauf noch zurück.
Biotechnologie heißt in der Moderne im Wesentli-hen: gentechnische Arbeit an Kleinlebewesen und anflanzen.
Aber ein wichtiger.
enn man einmal die Entwicklung der Biotechnologien Deutschland in den letzten zehn Jahren betrachtet,ann erkennt man einen Höhepunkt, nämlich zu demeitpunkt, als die Union-FDP-Regierung unter Ministerüttgers den Bio-Regio-Wettbewerb ausgeschriebenat.
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)
)Dr. Martin Mayer
Das führte zu einer Aufbruchstimmung und zu Impulsenin Deutschland, und zwar nicht nur in den Regionen, diegewonnen haben, sondern in ganz Deutschland, weilsich überall Forschungsinstitute, Banken und Behördenzusammengesetzt und gefragt haben: Wie können wirjungen Unternehmen helfen, sodass sie vorwärts kom-men?Die Wirkung dieses Bio-Regio-Wettbewerbs hat auchnach der Regierungsübernahme durch Rot-Grün nochzwei Jahre angehalten. Wenn man sich die Zahl der Un-ternehmensgründungen und die Entwicklung der Unter-nehmen im Bereich der Biotechnologie anschaut, dannstellt man ab dem Jahr 2000 nicht nur eine Stagnation,sondern eine rückläufige Entwicklung fest.
Eine der Ursachen für diese Stagnation und rückläu-fige Entwicklung ist die mangelnde Kapitalversorgung.Die Finanzierung ist schwieriger geworden.
Gerade im Bereich der Biotechnologie geht es pro Un-ternehmsgründung nicht nur um ein paar Tausend Euro,sondern – ich kann Ihnen Beispiele zeigen – es geht umein paar Millionen Euro. Erst mit einer solchen Finanzie-rung kann es bei den meisten Unternehmen losgehen.Herr Kollege Fell, Sie waren bei Morphosys und wissen,wie viel Geld dort notwendig war, um die Dinge wirk-lich ans Laufen zu bringen.
Ich will Ihnen eine Blitzumfrage des BMBF vomHerbst vergangenen Jahres vorstellen. Die Frage lautete:Wie beurteilen Sie das derzeitige Klima für Biotechfir-men in Deutschland in puncto Beschaffung von Kapital?Sehr gut: 0,0 Prozent; ausreichend: 22,0 Prozent; man-gelhaft: 56,9 Prozent; katastrophal: 21,1 Prozent. Viervon fünf beurteilen das Klima als mangelhaft oder kata-strophal.
– Unser Antrag enthält eine Verbesserung der Finanzie-rung.
Union und FDP haben mit verschiedenen Finanz-marktförderungsgesetzen eine Basis aufgebaut, auf derStart-ups auf Dauer finanziert werden und in den Aktien-markt übergehen können.
Sie haben das mit Ihren Änderungen wieder zerstört undkönnen dafür jetzt die Früchte ernten.
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Nun beschreibt der Antrag sehr gut – darin sind wirns einig –, dass Biotechnologie große Chancen in deredizin, bei der Rohstoff- und Energieerzeugung undei der Umweltentlastung in sich birgt. Aber schauen Sieoch einmal auf der Homepage unseres Bundesministersür Umwelt nach, was er zu den Möglichkeiten der Bio-echnologie im Umweltschutz sagt! Dazu ist überhauptichts zu finden. Nur eine lasche Bemerkung: Das mussoch abgewogen und geprüft werden. – Wo ist denn dieussage des Bundesumweltministers zur Förderung vonnzymen, die zu Rohstoffersparnis und weniger Um-eltschäden und -belastungen führen? Herr Fell, gebenie ihm einmal Ihr Manuskript, damit er etwas lernt!
n einem Klima, in dem die Freisetzung von gentech-isch veränderten Pflanzen ständig von der Polizei ge-chützt werden muss,
ird die Forschung nicht gedeihen.
Ich will zum Abschluss etwas zu Ihnen, Herr Fell,nd den Grünen sagen. Sie haben in der Verteidigungs-olitik eine Wende um 180 Grad gemacht: von der For-erung nach Abschaffung der Bundeswehr bis zur Zu-timmung zum Einsatz in Afghanistan. Machen Sie dochuch in der Gentechnik eine solche Wende und stimmenie diesem Antrag zu!
as ist gut für Deutschland.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2160 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie über den rechtlichenSchutz biotechnologischer Erfindungen– Drucksache 15/1709 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
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8724 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungb) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENFür ein modernes Biopatentrecht– Drucksache 15/2657 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieBeratung eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat dasWort der Parlamentarische Staatssekretär AlfredHartenbach.
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Kein Szenenbeifall. – Verehrter Herr Präsident! Ver-
ehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute eine wichtige Regelung für den Wirt-
schafts- und Forschungsstandort Deutschland. Die Bio-
und Gentechnologie ist einer der Märkte der Zukunft;
Sie haben es hier eben erklärt. Für unsere Chancen brau-
chen wir ein leistungsfähiges Biopatentrecht. Die Biopa-
tentrichtlinie und das heute vorliegende Gesetz zu ihrer
Umsetzung tragen dazu bei, indem sie die Früchte der
Arbeit in der Biotechnologie schützen.
Die Biopatentrichtlinie war bis zum 30. Juli 2000 in
das nationale Recht umzusetzen. 17 der bald 25 EU-
Staaten haben sie inzwischen umgesetzt. Wir sind also
arg im Verzug und sind deshalb von der Kommission vor
dem Europäischen Gerichtshof verklagt worden. Die-
ser Gerichtshof hat bereits unmissverständlich entschie-
den, dass an der europäischen Umsetzungspflicht keine
Zweifel bestehen. Die Nichtigkeitsklage der Niederlande
gegen die Richtlinie wurde abgewiesen. Wir müssen also
alle Punkte der Richtlinie umsetzen. Deshalb diskutieren
wir heute Abend über diesen Entwurf, den die Bundesre-
gierung in erster Lesung einbringt. Die Vorgaben werden
in der Politik und in der Öffentlichkeit sehr kontrovers
diskutiert. Das erklärt auch die Verzögerung bei ihrer
Umsetzung. Die Diskussion ist verständlich, da das Bio-
patentrecht in einem engen Zusammenhang mit der Bio-
technologie steht, die neben großen Chancen auch
schwierige ethische Fragestellungen mit sich bringt.
Gerade in der Gruppe der Skeptiker überschätzen
aber viele die Reichweite der Biopatentrichtlinie. Ihr
Schwerpunkt ist das Biopatentrecht. Dieses Recht gibt
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Das Wort hat der Kollege Dr. Günter Krings von derDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Wir sind uns, lieber Herr Staatssekre-tär Hartenbach, sicherlich in dem Ziel einig, dass dieseRichtlinie schnellstens umgesetzt werden muss. DieUmsetzung dieser Richtlinie wird auch in einem Ent-schließungsantrag begrüßt, den die Fraktionen der SPDund der Grünen in dieser Woche vorgelegt haben. Darinheißt es unter Nr. II, dass der Deutsche Bundestag dieBiopatentrichtlinie als „einen wichtigen Beitrag zurRechtssicherheit beim EU-weiten Schutz des geistigenEigentums“ begrüße. Wenn ich das lese und Ihre Aus-führungen Revue passieren lasse, Herr Staatssekretär– falls Sie mir zuhören –,
dann frage ich mich, warum das so lange dauert.
Ich halte es fast schon für dreist, eine solche Begrü-ßungserklärung abzugeben, obwohl Sie bisher – sechsJahre nach Verabschiedung der Richtlinie – noch nichtzu Potte gekommen sind,
die Umsetzungsfrist seit dreieinhalb Jahren überschrittenhaben und es inzwischen ein Klageverfahren – Sie habenes bereits erwähnt – gibt. Das ist, glaube ich, ein einzig-artiger Fall. Zwar werden auch in anderen BereichenFristen überschritten, aber solche extremen Überziehun-gen sind glücklicherweise noch sehr selten.Wir wissen auch, woran das liegt. Es liegt daran, dassSie bis heute zwischen den beiden Koalitionsfraktionennoch keine Übereinstimmung erzielt haben.
Sie hätten dafür einige Zeit gehabt, die Sie aber nicht ge-nutzt haben. Während sich die beiden Fraktionen auf derlinken Seite dieses Hauses noch mit der Frage befassen,was man machen und worauf man sich einigen könnte,geht die Entwicklung weiter. Es gibt Entscheidungen desPatentamtes und von Patentgerichten. Wir als Bundestagaber schauen nur zu und können nichts beeinflussen.Wenn wir Einfluss ausüben und mitreden wollen, dannmüssen wir handeln. Falls Sie vergessen haben, wie dasgeht: Das geht durch Gesetze.Rechtssicherheit für Forscher und Unternehmen ist,denke ich, unser gemeinsames Ziel. Das ist auch ver-ständlich, wenn man weiß, dass die Entwicklung einesMedikaments im Schnitt über zehn Jahre dauert. Nureine von 5 000 getesteten Substanzen erreicht das Sta-dium der Zulassung. Die Entwicklungskosten belaufensich rasch auf einen dreistelligen Millionenbetrag.Wir wissen aber auch, dass das oberste Prinzip bei derBeurteilung und Umsetzung des Patentrechts in diesemBereich die Menschenwürde ist und bleibt. Bei den sogenannten Biopatenten geht es um unser menschlichesSelbstverständnis und um die Grenze zwischen Subjektund Objekt.BeugwskDdEddnwsrbRmsBsseaIPUrdSmsEhntvggsvsvdtitNrdr
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8726 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Krings, es ist natürlich richtig, dass daswichtig ist. Aber es stimmt nicht, dass es erst auf Druckder Union einen Gesetzentwurf gegeben hat, über denwir heute beraten. Die Situation ist schwierig.Ich möchte zuerst ein paar Zahlen nennen, die für un-sere Zuhörerinnen und Zuhörer interessant sein dürften.Der Grund, warum die europäische Biopatentrichtlinienicht ohne weiteres in nationales Recht umgesetzt wird,ist, dass wir es hier mit einer sehr schwierigen Materiezu tun haben. Erst in sieben von 15 Mitgliedstaaten istsie bislang umgesetzt worden, das heißt, in acht ist dasnoch nicht geschehen. Weniger als die Hälfte hat sie alsobisher umgesetzt. Die Schwierigkeit besteht darin, dassdie Biopatentrichtlinie nicht mehr auf der Höhe der Zeitist. Sie spiegelt im Prinzip den Stand der Diskussion vonAnfang bzw. Mitte der 90er-Jahre wider. Damals warman froh, dass man im Europaparlament einen Kompro-miss gefunden hatte. Wir haben aber jetzt Schwierigkei-ten mit der Umsetzung; denn die Entwicklungen in derbiotechnologischen Forschung sind über die Biopatent-richtlinie längst hinweggegangen. Das ist ein Teil derSbnfbBDkuseälpkzGdSpEwrubdTm9acsndVDhDbvdbwuddlIWs
nnerhalb dieses Spannungsfelds müssen wir einen guteneg finden.Zwei Punkte in diesem Gesetzentwurf finde ich be-onders positiv:
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8727
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Dr. Reinhard LoskeErstens. Dort wird klargestellt, dass die Landwirtenicht mehrfach, also sowohl vom Sorteninhaber als auchvom Patentinhaber, zur Kasse gebeten werden können.Das heißt, Landwirte sind vor Patentansprüchen, die aufdie zufällige Verunreinigung ihres Saatgutes zurückge-hen, geschützt. Das ist sehr wichtig.
Zweitens – wir haben diesen Punkt auch in den Bera-tungen immer wieder herausgestellt –: der Herkunfts-nachweis. Einige sagen zu Recht: Passt auf, dass dieLänder der Dritten Welt nicht ausgebeutet werden! De-nen entgegne ich: Dies ist kein Gesetz zur Förderung derBiopiraterie. Wir haben zumindest einen ersten Schritt indie richtig Richtung getan, indem wir regeln, dass es ei-nen Nachweis über die Herkunft des biologischen Mate-rials geben muss.Im Gesetzgebungsverfahren müssen unserer Auffas-sung nach noch zwei Punkte geklärt werden – wir wer-den darüber in den Anhörungen vertieft diskutieren –:Erstens. Wir glauben – auch das wurde schon ge-sagt –, dass das Stoffpatent eingeschränkt werden muss.Die Assemblée nationale macht uns im Moment vor, wasmit der Biopatentrichtlinie zu vereinbaren ist. Was dieFranzosen können, dass können wir im Sinne einer Ein-schränkung des Stoffpatents nach unserer Einschätzungauch.
In einem Aufsatz in „Nature“ stand vor kurzem, dass25 Prozent der Forschungsaktivitäten in den VereinigtenStaaten aufgrund der Vergabe von Patenten eingestelltworden sind. Eine solche Entwicklung bei uns müssenwir verhindern.Zweitens. Durch das Biopatentgesetz muss auch klar-gestellt werden, dass nur biotechnologische Erfindungenmit einer hinreichenden Technizität – so lautet dasFachwort – patentiert werden können. Verfahren, die aufZüchtungsmethoden aufbauen, dürfen nicht patentiertwerden; denn dadurch könnten in vielen Jahren gewon-nene Ergebnisse der Pflanzenzüchtung widerrechtlichangeeignet werden und das wäre ganz schlecht.
Für uns ist eindeutig: Wir müssen umsetzen. Wir soll-ten aber die Handlungsspielräume, die die Patentrichtli-nie schon heute bietet, ausnutzen. Außerdem muss sichdie Bundesregierung in Brüssel für eine Überarbeitungder Biopatentrichtlinie einsetzen – wir fordern die Bun-desregierung in unserem Antrag dazu auf; das Kabinetthat einen entsprechenden Beschluss gefasst –; denn die-ses Problem muss letzten Endes dort gelöst werden.Danke schön.
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8728 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Krings, es ist na-türlich bei solch schwierigen Debatten immer wohlfeil,aufs Tempo zu drücken.
Manchmal ist man aber, wenn man aufs Tempo drückt,nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Ich darf Ihnen noch einmal aus dem Bericht derKommission zur Überprüfung dieser Richtlinie vom10. Oktober 2002 zitieren. Ich nehme wegen der Kürzeder Zeit die Zusammenfassung. Hier stellt die Kommis-sion zur biotechnologischen Forschung fest:Unter diesem Blickwinkel müsste die Kommissionsich insbesondere mit zwei Fragen befassen, diesich im Rahmen dieses ersten Berichts stellen:– Schutzumfang von Patenten auf aus demmenschlichen Körper stammende isolierte Gen-sequenzen bzw. Teilsequenzen– Patentierbarkeit von menschlichen Stammzellenbzw. daraus hergestellten Zellreihen.Allein diese Einschätzung der Kommission, die aufUmsetzung dringt – das ist auch richtig –, zeigt, dass esgut, wichtig und richtig ist, sich mit diesem schwierigenThema nicht einfach einmal so zu beschäftigen, sondernszRicvddgwmsdvwihteERPwZvsghasMndcrddsMadmmbcZ
Wir, meine Damen und Herren, wissen, dass wir dieseichtlinie umsetzen müssen. Für meine Fraktion sageh aber auch: Wir wollen sie auch umsetzen. Der nunorliegende Gesetzentwurf stellt aus unserer Sicht eineneutlichen Fortschritt gegenüber dem geltenden Rechtar. Es wird kein neues Biopatentrecht erfunden, im Ge-enteil: Es wird in ihm präzisiert und eingeschränkt. Esird nicht ein „Patent auf Leben“ ermöglicht, wie es im-er wieder kolportiert wird, sondern durch die nun zuchaffende Rechtssituation wird dieses geradezu verhin-ert. Dies sollten wir bei der gesamten Diskussion nichtergessen.Aus patentrechtlicher Sicht stellt dieser Gesetzent-urf nach unserer Meinung einen Fortschritt dar, weil inm geklärt wird, unter welchen Voraussetzungen bio-chnologische Erfindungen patentiert werden können.r ist insoweit ein Beitrag zur Rechtssicherheit undechtsklarheit. Hierfür einige wenige Beispiele:Im Gesetzentwurf werden die Anforderungen an dieatentierungsvoraussetzungen der gewerblichen An-endbarkeit konkretisiert. Damit wird das angestrebteiel verfolgt, Überprivilegierungen künftig besser zuermeiden.Für die Landwirtschaft bringt das Landwirteprivilegpürbare Fortschritte. Landwirte dürfen nunmehr Ernte-ut geschützter Sorten für eine Wiederaussaat zurückbe-alten und sind auch vor patentrechtlichen Ansprüchenus versehentlichen Auskreuzungen geschützt.Bei der Anmeldung zum Patent – das ist für uns be-onders wichtig – soll die Herkunft des biologischenaterials angegeben werden.Aus ökonomischer Sicht stellt der Gesetzentwurf ei-en Fortschritt dar, weil durch ihn die europäische undeutsche Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit gesi-hert und Chancengleichheit mit Unternehmen in ande-en Ländern hergestellt wird. Aus ethischer Sicht stellter Gesetzentwurf für uns einen Fortschritt dar, weil erie Grenzen der Patentierbarkeit aufzeigt und fest-chreibt sowie bestehende Grundsätze der Ethik undenschenwürde konkretisiert.
Mit der Umsetzung werden Verbote besser und klarerls bisher festgeschrieben. Ausdrücklich möchte ich aner Stelle nur drei Punkte ansprechen, die hier klar for-uliert werden: Verboten sind Patente zum Klonenenschlicher Lebewesen, Patente für Keimbahneingriffeei Menschen und Patente zur Verwendung menschli-her Embryonen zu industriellen und kommerziellenwecken.
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Christoph SträsserIn der gesamten Diskussion gibt es – deshalb bin ichauch nicht sehr traurig darüber, dass wir hier kontroversund so lange diskutiert haben – strittige Punkte, die im-mer wieder vorgetragen und mittlerweile auch von derKommission erkannt worden sind. Dazu gehört ins-besondere die Diskussion über die Reichweite desStoffschutzes. Hier hat das Patentrecht für einen fairenInteressenausgleich zu sorgen und die Gefahr von Über-belohnungen zu vermeiden. Wir begrüßen daher aus-drücklich, dass die Kommission angekündigt hat, sichmit diesem Thema ausführlich zu beschäftigen, und wol-len mit unserem Entschließungsantrag eine neue Debatteauf europäischer Ebene gerade zu diesem Punkt anregen.Damit sind wir an einem wichtigen Punkt angelangt.Bereits heute sind die nationalen Patentrechte – und da-mit auch das deutsche – stark europäisch und internatio-nal geprägt. Der Schutz des geistigen Eigentums, alsodas Patentrecht, sollte daher auch auf europäischerEbene weiterentwickelt und fortgeschrieben werden.Das war ja gerade auch das Ziel der Richtlinie. Nur eineuropäisches Patentrecht kann zur Harmonisierung derdiversen nationalen Patentrechte führen, die Chancen-gleichheit sichern und europaweite ethische Grenzen set-zen.Deshalb haben wir den Entschließungsantrag auf denWeg gebracht, der eine neue europäische Diskussion ein-leiten soll, der darauf abzielt, die Richtlinie auf europäi-scher Ebene zu überprüfen und weiter zu verbessern, da-mit es an dieser Stelle nicht zu nationalen Sonderwegenkommen kann.Wir sind sehr froh darüber, dass der Gesetzentwurfauf den Weg gebracht worden ist. Mit dem Entschlie-ßungsantrag unserer Fraktionen verlangen wir klare unddeutliche Präzisierungen,
auch von der Bundesregierung. Wir werden überprüfen,ob sie auch erfolgen. Ich glaube, dass wir dann zu einemguten Gesetz kommen, das allen betroffenen Interessengerecht wird.Herzlichen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
gebe ich dem Kollegen Helmut Heiderich von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! 1998 – es
ist eben schon gesagt worden – hat die Europäische
Union die so genannte Biopatentrichtlinie verabschiedet.
Jetzt schreiben wir das Jahr 2004 und endlich ist die
Bundesregierung, sind die Regierungsfraktionen in der
Lage, eine Vorlage zur Umsetzung im deutschen Parla-
ment einzubringen. Wer eine solch lange Zeitspanne
braucht, ist nicht nur politisch handlungsunfähig, er hin-
terlässt bei den Bürgern und den Betroffenen auch den
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In einer Tickermeldung von heute morgen wurde die
Stellungnahme des Abgeordneten Loske wiedergegeben:
Die Grünen wollen Patente auf Lebewesen verhin-
dern. … Das Gesetz muss noch deutlich nachgebes-
sert werden.
Zur selben Zeit bekommt man einen Antrag der Koa-
litionsfraktionen auf den Tisch gelegt, in dem das Gesetz
begrüßt wird. Die Bundesregierung wird darin nur auf-
gefordert, sie solle beobachten, sie solle registrieren, sie
solle einen Bericht geben, sie solle überprüfen und sie
solle auf europäischer Ebene für weitere Verhandlungen
eintreten. Sie haben doch nichts anderes gemacht, als ein
Sammelsurium von Selbstverständlichkeiten aufzu-
schreiben. Gegenüber der ursprünglichen Vorlage haben
Sie nichts verändert. Sie sollten jetzt nicht versuchen,
diesen Sachverhalt hier anders darzustellen. Zumindest
die Grünen sind mit großen Sprüchen angetreten und
sind nun platt wie ein Bettvorleger, was dieses Thema
angeht.
Es ist eben schon darauf hingewiesen worden, dass
wir Sie im letzten Jahr mit einem Antrag unsererseits aus
der Reserve gelockt haben und dass die Regierung da-
mals einen eigenen Entwurf eingebracht hat. Aber dieser
Entwurf ruht inzwischen auch schon seit neun Monaten.
In der damaligen Debatte haben sowohl die Ministerin
Zypries als auch Vertreter der SPD-Fraktion verspro-
chen, sehr verehrter Herr Kollege Röspel, dass es eine
zügige parlamentarische Beratung gibt. Auf diese zügige
parlamentarische Beratung warten wir seit neun Mona-
ten vergeblich.
Ich will ein paar Punkte zum Inhalt sagen. Viele der
Forderungen, die in diesem Antrag der CDU/CSU ent-
halten waren, sind in dem Regierungsentwurf ebenfalls
enthalten.
Wir gewähren mit dieser Umsetzung der Richtlinie
– auch das ist eben schon einmal gesagt worden – den
Forschern und den Unternehmen den so genannten
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Ich will im Sinne des Präsidenten eine kurze und prä-
ise Frage stellen. Könnte es sein, dass zwischen Ihrer
ussage, das Gesetz sei in Wahrheit eine Eins-zu-eins-
msetzung, und Ihrer anderen Aussage, dass die Regie-
ung löblicher- und dankenswerterweise viele Ihrer
unkte bei der Überarbeitung übernommen hätte, ein
iderspruch besteht?
Herr Kollege Loske, es mag einen ganz gewaltigeniderspruch zwischen dem bestehen, was Sie heute iner Presse verbreitet haben, und dem, was heute als Ge-etzentwurf der Bundesregierung vorliegt. Aber dass einiderspruch zwischen unserem Antrag, den wir schonetztes Jahr eingebracht haben, und dem inzwischen vor-iegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung besteht,st nicht der Fall, wie ich Ihnen gerade erklärt habe. Inso-eit sind Sie auf der falschen Spur. Sie, aber nicht wir,ie CDU/CSU, liegen daneben.
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Helmut HeiderichIch will auf den Vorschlag zur Einzigartigkeit desmenschlichen Genoms eingehen. Wir schlagen vor, dieReichweite des Patents an dieser Stelle noch einmal ab-zuwägen. Unser Vorschlag ist – ich sage das in allerErnsthaftigkeit –, dem Patentanspruch des Anmelders andieser Stelle zu folgen und den Patentumfang zu schüt-zen, den er selbst in seinem Anspruch formuliert undnachgewiesen hat. Damit würden isolierte Sequenzenund Teilsequenzen der genomischen DNA des menschli-chen Körpers, die ihrem natürlichen Aufbau entspre-chen, einer gewissen Einschränkung in der Reichweitedes Stoffschutzes unterliegen. Ich hätte mich gefreut,wenn Sie in der Lage gewesen wären, hierzu einen Vor-schlag zu unterbreiten anstatt heute hier nur zu polemi-sieren.
Andererseits gäbe dieser Vorschlag die Möglichkeit,spätere, von dieser Ersterfindung unabhängige Erfindun-gen auf demselben Genabschnitt mit einem eigenständi-gen und nicht nur einem abhängigen Patent zu versehen.Diesen Vorschlag hätten Sie – auch in konsequenter Be-folgung der Vorschläge der Enquete-Kommission – auf-nehmen sollen. Sie haben nichts getan. Sie haben nur po-lemisiert. Wir bringen diesen Vorschlag ein. DieseEinschränkung – das will ich betonen – kann natürlichnicht auf abgeleitete, zum Beispiel gespleiste, in der Na-tur jedenfalls so nicht vorkommende, Sequenzen oderTeilsequenzen bezogen werden, sondern nur auf das ori-ginäre Genom. Ansonsten ist der absolute Stoffschutzdie Regel.Wir sind der Meinung, dass an diesem Kernpunkt ab-zuwägen ist, ob die Patentierung originärer menschlicherDNA im Rahmen dieser Richtlinienumsetzung jetzt indeutsches Recht umgesetzt werden sollte oder ob wir sie,wie Sie es vorgeschlagen haben und wie es auch derBundesrat mit großer Mehrheit empfohlen hat, auf euro-päischer Ebene unverzüglich einer Entscheidung zufüh-ren und anschließend in deutsches Recht umsetzen.Diesbezüglich hätten wir von Ihnen einen Vorschlag er-wartet. Ich habe ihn leider vermisst.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf
Drucksache 15/2657 soll an dieselben Ausschüsse und
zusätzlich an den Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe überwiesen werden. Gibt es dazu an-
derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L.
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Seit Jahren ist bekannt, dass die umlagefinanzierteente allein in Zukunft nicht ausreichen kann, um füras Alter ein angemessenes Versorgungsniveau sicher-ustellen. Deshalb wurde von Regierung, Parteien underbänden immer wieder dazu aufgerufen, zusätzlicheltersvorsorge zu betreiben. Das geschah in der heuti-en Rentendebatte gerade wieder, wie wir alle haben hö-en können.Diesem Appell sind zwischenzeitlich schon Millionenon Bürgern gefolgt, indem sie auf Konsum verzichtetennd Teile ihres Einkommens in Betriebsrenten und Di-ektversicherungen einzahlten.
iese Personen haben daran geglaubt, dass Recht ineutschland Recht bleibt und dass der Gesetzgeber inchon laufende Verträge nicht in einer Form eingreift,ie dem Vertrauensschutz voll zuwiderläuft. Hierbeiuss man wissen, dass Verträge, die vor dem 1. Januar004 fällig waren, nicht betroffen und dass alle Verträge,ie danach zur Auszahlung kamen, voll betroffen waren.nde des letzten Jahres haben einige noch versucht, sichie Direktversicherungen vorzeitig auszahlen zu lassen,m diesem Akt des Gesetzgebers zu entgehen. Aber inenau diesen Vertrauensschutz ist von Rot-Grün undnion mit dem gemeinsam verabschiedeten Gesund-eitsmodernisierungsgesetz eingegriffen worden. Ohneorwarnung, ohne Übergangsregelung, ohne ein Ge-amtkonzept erfolgte eine Mehrbelastung der gesetzlich
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Carl-Ludwig Thieleversicherten Rentnerinnen und Rentner durch das Ge-sundheitsreformgesetz. Mit diesem Gesetz wurde be-schlossen, dass für Betriebsrenten statt des hälftigenBeitrages der volle Kranken- und Pflegeversicherungs-beitrag erhoben wird und dass bei der Kapitalauszah-lung von Direktversicherungen, die bisher steuer- undbeitragsfrei ausgezahlt wurden, ab dem 1. Januar 2004über zehn Jahre der volle Kranken- und Pflegeversiche-rungsbeitrag abgezogen und einbehalten wird. Das be-deutet circa 16 Prozent weniger an Wert, sodass dieserPersonenkreis um ein Sechstel des Ersparten kalt enteig-net wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin nunseit 1990 im Deutschen Bundestag. Ich habe es noch nichterlebt, dass eine solch weit reichende gesetzliche Rege-lung beschlossen wurde, ohne dass dieser Punkt vorher ineinem der Debattenbeiträge zu diesem Thema – weder am18. Juni noch am 9. September noch am 26. September –auch nur angesprochen wurde. Es hat am 26. Septemberauch bei Ihnen sehr viele Diskussionen und sehr viele per-sönliche Erklärungen gegeben; aber in keiner dieser per-sönlichen Erklärungen ist dieser Punkt auch nur ange-sprochen worden, weil fast keinem diese Regelungüberhaupt bekannt war.Aus vielen Gesprächen mit Kolleginnen und Kolle-gen, auch von der SPD und von der Union, weiß ich,dass viele der Kolleginnen und Kollegen – ich gehe von80 bis 90 Prozent aus –, die damals dem Gesetz zu-stimmten, nicht wussten, dass eine solche Regelung Be-standteil des Gesetzes war. Die Öffentlichkeit erfuhr vondieser Regelung erst Ende letzten bzw. Anfang diesesJahres. Als Mitglied des Finanzausschusses bin auch icherst zu diesem Zeitpunkt überhaupt auf diese Regelungaufmerksam geworden; das bekenne ich hier ganz frei-mütig.Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Al-tersvorsorge ist wichtig und notwendig. Wer Vertrauenbeim Aufbau einer privat finanzierten Altersversiche-rung durch einen solchen sorgsam geplanten und der Öf-fentlichkeit verschwiegenen Eingriff verspielt, hatSchwierigkeiten, Vertrauen überhaupt wieder zurück-zuerwerben. Dieses Gesetz ist ohne jegliche Differenzie-rung, ohne Übergangsfristen, ohne Einzelfallbetrachtungbeschlossen worden.Parallel dazu behandeln wir derzeit im Finanzaus-schuss das Alterseinkünftegesetz. Da wird mit Über-gangsregelungen gearbeitet, da wird erklärt, dass Le-bensversicherungen zukünftig steuerpflichtig sind – abererst für ab dem 1. Januar 2005 abgeschlossene Verträge.Wie die Beratungen ausgehen, werden wir noch sehen.Es wird aber offen debattiert; es wird in einer Anhörungdarüber diskutiert. All das fand bei dem hier zur Debattestehenden Thema überhaupt nicht statt. Das werfe ichder Gesundheitsministerin Schmidt vor; denn dieserPunkt wurde nach meinem Eindruck bewusst der Öffent-lichkeit vorenthalten, wohingegen der andere Punkt vonFinanzminister Eichel offen diskutiert wird.gGaHglukühWdaehpsmDarndplönndstrspmsstreicsBdF
arum ist es heute so, dass ein betrieblich Versicherteren vollen Beitrag zahlen muss, ein privat Versicherterber überhaupt keinen Beitrag zu leisten hat? Das istine eklatante Ungleichbehandlung. Diese Ungleichbe-andlung dürfen wir nicht so stehen lassen. Deshalb ap-elliere ich an viele, sich damit ernsthaft auseinander zuetzen; denn – das möchte ich hier festhalten – die ge-achten Fehler können noch korrigiert werden.
eshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich in dennstehenden Ausschussberatungen ernsthaft mit unse-em Antrag beschäftigen würden und wenn auch exter-er Sachverstand diesen Punkt einmal beleuchten undazu Stellung nehmen könnte.Ich glaube nicht, dass die eine oder andere Einzelre-aratur dieses Problem löst. Das Problem kann nur ge-st werden, indem diese Regelung komplett zurückge-ommen und dann nach Einzelfallüberlegungen eineuer Gesetzentwurf als Gesamtkonzept vorgelegt wird.Dieser Punkt ist in dieser Form nicht akzeptabel. Soarf man mit dem Vertrauen von Millionen von Men-chen nicht umgehen. Ich appelliere an Sie, diesen Ver-auensschutz ernst zu nehmen. Denn wer die Rente ab-enkt und dazu auffordert, die Differenz mit zusätzlicher,rivat aufgebauter Altersvorsorge auszugleichen, deruss Vertrauen schaffen. Wie kann man auf einen Ge-etzgeber vertrauen, der den aus verbeitragtem und ver-teuertem Lohn aufgebauten Auszahlungsbetrag nach-äglich noch einmal verbeitragt und versteuert? Das istine Doppelverbeitragung und Doppelversteuerung, dieh für verfassungswidrig halte.Lassen Sie uns hier alle zusammen anpacken und die-en Punkt überparteilich in Ordnung bringen, damit dieevölkerung wieder etwas Vertrauen in die Planbarkeiter Entscheidungen des Gesetzgebers gewinnt!Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Peter Dreßen von der SPD-raktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einesmuss man den Damen und Herren von der FDP lassen:Sie schaffen es immer wieder, ihre politische Inhaltslo-sigkeit mit populistischen Forderungen zu überspielen.
Heute versuchen Sie sich als Hüter des sozialen Ge-wissens. Morgen werden Sie wieder mit Ihren Privatisie-rungsvorstellungen den sozialen Kahlschlag des Ge-sundheitswesens propagieren.Gut sind mir noch die Worte meiner Kollegin ErikaLotz im Ohr, die sich in der letzten Woche mit einemähnlich gearteten Antrag Ihrer Fraktion auseinanderset-zen musste und Sie als „Nepper, Schlepper, Bauernfän-ger“ bezeichnete. Teil 2 von „Nepper, Schlepper, Bau-ernfänger“ erleben wir heute. Auch das Bild des Wolfesim Schafspelz ist eine treffende Charakterisierung Ihrerheutigen Darbietung, Herr Thiele.
Sie streuen Falschinformationen und stiften gezielt Ver-unsicherung.
Verkleidet ist das Ganze in warme Worte.
Plötzlich scheinen Sie sich um die finanziellen Belas-tungen der Rentnerinnen und Rentner zu sorgen. Aller-dings lassen sich die Bürger und Bürgerinnen von Ihnennicht hinters Licht führen. Ihnen geht es auch heute nichtum soziale Gerechtigkeit, nicht um eine Stabilisierungder gesetzlichen Krankenversicherung. Sie betreibenKlientelpolitik für die ohnehin besser Gestellten und ver-stecken das hinter vermeintlich sozial klingenden Forde-rungen. Das machen wir nicht mit, Herr Thiele.Auch die Damen und Herren von der FDP waren imVorfeld der Reform der gesetzlichen Krankenversiche-rung zur Mitarbeit eingeladen. Sie haben ja am Anfangmitgemacht. Auch Sie hätten konstruktiv in der Gesund-heitspolitik mitwirken können.
Keiner der beteiligten Seiten ist es im Dezember leichtgefallen, gemeinsam einen tragfähigen Kompromiss zufinden. Die FDP hat es jedoch vorgezogen, sich frühzei-tig aus den Konsensgesprächen zurückzuziehen.
Von diesem politischen Offenbarungseid will heute je-doch offenbar niemand bei den Liberalen mehr etwaswissen.Auf Ihrer Homepage ist zu lesen:Im Interesse der Generationengerechtigkeit sind dienotwendigen Anpassungslasten so zu verteilen,DmlAzskEskuswmFbwBsrrdLmgkWwIckBRewdscatTkcesassd
lle Beteiligten werden maßvoll zu Beiträgen herange-ogen, die das System stabilisieren und die Beitragssätzeinken lassen können.Mit der jetzigen Regelung wird die gesetzliche Kran-enversicherung um 1,6 Milliarden Euro entlastet. Dieseinnahmen sind notwendig, um die Beitragssätze zuenken und um die Schulden bei den gesetzlichen Kran-enversicherungen abzubauen.Schon lange decken die Beiträge der Rentnerinnennd Rentner nicht mehr die Ausgaben, die sie in der ge-etzlichen Krankenversicherung verursachen. Auch dasissen Sie, Herr Thiele. Die Menschen leben heute im-er länger. Das ist gut so. Aber auch der medizinischeortschritt führt zu höheren Kosten. Die Leistungsausga-en der Krankenkassen für Rentnerinnen und Rentnerurden zu Beginn der 70er-Jahre noch zu 73 Prozent auseiträgen der Rentner selbst finanziert. Heute liegt die-er Satz bei 43 Prozent.Wenn Sie nun fordern, die Änderungen des GMG zu-ückzunehmen, dann müssen Sie sich zu Recht der Un-edlichkeit bezichtigen lassen. Gebetsmühlenartig wie-erholen Sie tagein, tagaus, wie wichtig es sei, dieohnnebenkosten zu senken. Heute versuchen Sie, sichit einer Forderung zu profilieren, die das genaue Ge-enteil bewirkt. Populismus und Verantwortungslosig-eit paaren sich bei Ihnen auf sehr unglückliche Art undeise; denn auch heute machen Sie keinen Vorschlag,ie Ihre Forderung finanziert werden kann. Folgten wirhrem Vorschlag, stiegen die Beitragssätze für die Versi-herten und wir zementierten soziale Ungerechtigkeiten.Mit den neuen Regelungen haben wir eine Gerechtig-eitslücke geschlossen. Bislang musste nur derjenigeeiträge auf Versorgungsbezüge zahlen, der sich für eineentenleistung entschieden hat. Derjenige aber, der eineinmalige Kapitalleistung erhielt, blieb beitragsfrei,enn er mit seiner Versicherung eine Einmalzahlung vorem Eintritt in den Ruhestand vereinbart hatte. Ein Bei-piel, um diesen Missstand etwas anschaulicher zu ma-hen: Ein Versicherter A brachte seine Kapitalleistunguf die Bank und hob monatlich gleich bleibende Be-räge von 250 Euro ab. Diese Person zahlte vor In-Kraft-reten des GMG keine Beiträge an die gesetzliche Kran-enversicherung. Sein Nachbar hingegen, der Versi-herte B, hatte sich für eine monatliche Rentenzahlungbenfalls in Höhe von 250 Euro entschieden. Dieser Ver-icherte musste jedoch Krankenversicherungsbeiträgeuf seine Rente bezahlen. Dieses Beispiel macht augen-cheinlich, dass die bisherige Regelung ungerecht gewe-en ist. Es gibt keinen Grund, warum die Beitragspflichter betrieblichen Altersvorsorge von der Auszahlungsart
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Peter Dreßenabhängen sollte. Diese Gerechtigkeitslücke ist jetzt ge-schlossen.Auch die bislang bestehenden Unterschiede zwischenpflichtversicherten und freiwillig versicherten Rentne-rinnen und Rentnern sind mit dem Gesundheitsmoderni-sierungsgesetz aufgehoben worden. Mit der Erhöhungvom halben auf den vollen Beitragssatz bei Versorgungs-bezügen haben wir eine weitere Schieflage beseitigt.Bislang waren Versorgungsbezüge die einzigen nennens-werten Einnahmen, für die nicht der volle Beitrag zurgesetzlichen Krankenversicherung gezahlt werdenmusste. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum einVersicherter A, der zum Beispiel eine Rente in Höhe von1 000 Euro und eine Betriebsrente in Höhe von 1 200Euro bezieht, weniger Beiträge zur gesetzlichen Kran-kenversicherung entrichtet als ein Versicherter B, der nurAltersbezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherungin Höhe von 1 800 Euro bezieht. Der Versicherte A mitAlterseinkünften in Höhe von 2 200 Euro musste bei ei-nem Kassensatz von 14 Prozent 224 Euro an die Kran-kenkasse abführen, während der Versicherte B mit einemAlterseinkommen in Höhe von 1 800 Euro einen Beitragin Höhe von 252 Euro entrichten musste, obwohl er mo-natlich 400 Euro weniger zur Verfügung hatte.
Herr Kollege Dreßen, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Thiele?
Ja.
Bitte, Herr Thiele.
Sehr geehrter Herr Kollege Dreßen, ich habe Ihnen
aufmerksam zugehört. Sie beschreiben gewisse Un-
gleichheiten, die Sie gleichmäßiger zu regeln versuchen.
Sie gehen aber mit keinem Wort darauf ein, welchen
Vertrauensbruch Sie gegenüber den Menschen bege-
hen, die im Vertrauen auf eine gesetzliche Regelung
Konsum unterlassen und gespart haben, um zusätzliche
private Altersvorsorge zu betreiben. Ich habe über
100 Schreiben von betroffenen Bürgern bekommen, die
gesagt haben, sie hätten über Jahre und Jahrzehnte – teil-
weise 30, 40 Jahre – auf die Politik vertraut und im Ver-
trauen darauf ihre Altersvorsorge aufgebaut. Jetzt, am
Lebensabend, könnten sie entstehende Versorgungslü-
cken überhaupt nicht mehr ausgleichen. Mit einem Fe-
derstrich des Gesetzgebers, der öffentlich gar nicht dis-
kutiert wurde, werde ihnen zum Beispiel im Fall der
direkt ausgezahlten Direktversicherungen der volle
Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag – in der Regel
sind es dann 16 Prozent – sozusagen verbeitragt. Damit
werde ihnen ein Sechstel dessen, was sie für ihr Alter an-
gespart hätten, weggenommen. Parallel dazu erleben
wir, dass dann, wenn dieses Geld in Lebensversiche-
rungsverträgen angespart wurde, die Ausschüttungen
weiterhin steuer- und beitragsfrei sind. Wie können Sie
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Das war Ihr altbekanntes Verhalten: Klientelpolitik zu-gunsten der Versicherungswirtschaft. So kennen wir dieLiberalen.Ich will anhand der vorliegenden Zahlen verdeutli-chen, welche Mehrbelastungen die jetzige Regelungfür die Bezieher von Betriebsrenten bedeutet. Aus derStudie „Alterssicherung in Deutschland“ ist bekannt,dass es zurzeit 15,3 Millionen Beschäftigte gibt, die An-wartschaften auf Betriebsrenten haben.
Die durchschnittliche Höhe ihrer Versorgungsbezügewird auf circa 250 Euro monatlich geschätzt. Bei einemdurchschnittlichen Beitragssatz von 14 Prozent bedeutetdies eine Mehrbelastung von 17,50 Euro pro Monat. Dasist jedoch noch eine pessimistische Rechnung; dennzahlreiche Krankenkassen haben ja niedrigere Beitrags-sätze. Außerdem bin ich mir sicher, dass das Gesund-heitsmodernisierungsgesetz zu weiteren Beitragssenkun-gen führen wird.Diejenigen, die jetzt laut protestieren, tun dies ausGründen der Besitzstandswahrung. Sie haben aufgrundhoher Versorgungsbezüge die entsprechenden Mehrbe-lastungen zu tragen. Dies entspricht jedoch dem Gedan-ken der Solidarität. Das sollten Sie sich, Herr Thiele,einmal ins Stammbuch schreiben. Diejenigen, die brei-tere Schultern haben, haben auch höhere Lasten als dieEinkommensschwachen zu tragen. Das ist konsequentund solidarisch. Dass die FDP damit ein Problem hat,wundert mich nicht.
Das Wort hat der Kollege Michael Hennrich von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren Kollegen! Herr Dreßen, als Erstesmuss ich mich an Sie wenden. Da Sie dem KollegenThiele das Prinzip „Nepper-Schlepper-Bauernfänger“vorgeworfen haben, erinnere ich Sie an die Diskussionüber das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz.Wenn dieser Begriff in der Debatte des heutigen Tagesauf irgendetwas zutrifft, dann auf dieses Gesetz.
Aber, Herr Thiele, ich muss ganz ehrlich sagen: Ichtue mich schon schwer.
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ie springen auf einen Zug, der eigentlich gar nicht zuhrem Profil passt; das ist das Kernproblem.
Vertrauensschutz ist schon richtig, aber Sie müssenuch sehen, wie die Ausgangslage war.Ich möchte eines ganz deutlich sagen: Sie waren beimckpunktepapier dabei. Am 21. Juli 2003 wurde die Er-öhung der Beiträge auf Betriebsrenten mit Zustimmunger FDP vorgesehen. Damals hat sich noch keiner vonhnen gemeldet und irgendetwas von „kalter Enteig-ung“ und Vertrauensschutz gesagt. Sie wissen, in wel-her schwierigen Situation wir angesichts des Defizitesei den gesetzlichen Krankenkassen insgesamt waren.atürlich bin ich auch betrübt, dass die Rot-Grünen die-es System in fünf Jahren an die Wand gefahren haben.ber wir mussten es reparieren.
Es ist doch wahr! Herr Dreßen, wissen Sie was? Ichuss Ihnen das einmal ganz offen und ehrlich sagen: Sieind 60 Jahre alt. Sie sitzen hier noch vier Jahre und war-en ab und in zehn Jahren beschweren Sie sich über uns,enn wir vor dem Scherbenhaufen stehen, den Sie hierabrizieren.
Nicht so viel wie Sie in fünf Jahren! Wir haben Ihnenin System der gesetzlichen Krankenversicherung hin-erlassen, das funktioniert hat, das Reserven hatte. Punkt,eierabend! Jetzt hören Sie mir einmal zu! Ich habe Ih-en auch zugehört.
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Jetzt noch einmal zu Ihnen, Herr Thiele. Im Grundegenommen war die Frage: Wen belasten wir? Belastenwir die Betriebsrenten? Der Kollege Dreßen hat voll-kommen zu Recht ausgeführt, dass Rentner 1970 noch73 Prozent der Leistungsausgaben der gesetzlichenKrankenversicherung abgedeckt haben. Heute sind esannähernd 40 Prozent. Die Frage war dann: Nehmen wirdiese Gruppe stärker in die Verantwortung oder sattelnwir das auf die Beiträge drauf? Ich glaube, wenn wir jun-gen Menschen eine Perspektive bieten wollen, dann kön-nen wir ihnen nicht nur die Lösung „Beitragssatzsteige-rungen“ anbieten.Es ist vollkommen klar: Die Probleme des Vertrau-ensschutzes sind schwierig. Im Grunde genommen gabes eine Regelung, nach der wir auf monatliche Bezügedie vollen Beiträge erhoben haben. War es in Ordnung,auf Einmalauszahlungen keine Beiträge zu erheben, aufmonatliche dagegen schon? Da spielt der Vertrauens-schutz auch eine Rolle. Deswegen bin ich froh, dass wireine einheitliche Regelung für alle Formen von Betriebs-renten, Direktversicherungen und Bezügen aus Versor-gungswerken gefunden haben. Ich selber bin Rechtsan-walt und bekomme in Zukunft Bezüge aus einemVersorgungswerk; für mich wird das genauso in vollemUmfang zutreffen.Das ist die Situation, mit der wir uns ein Stück weitabfinden müssen. Ich sage es ganz offen: Eigentlich wares die Stichtagsregelung, die vielen große Probleme be-reitet hat. Wer im Dezember 2003 die Zahlung in vollemUmfang bekommen hat, musste nichts zahlen, wer siedagegen im Januar 2004 erhielt, musste 16 Prozent Bei-trag entrichten. Das ist schwierig, aber wir hatten wenigAlternativen. Wenn wir jetzt Ihrem Antrag folgen wür-den, würde das heißen: Im System fehlen uns 1,6 Milli-arden Euro.
Der Beitragssatz müsste wiederum steigen.Ich vermisse in Ihrem Antrag eine deutliche Alterna-tive. Deswegen muss man Ihnen schlicht und ergreifendPopulismus vorwerfen.Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Diese Diskus-sion über die Betriebsrenten und Direktversicherungenist ein schöner und würdiger Auftakt im Hinblick auf dasThema Bürgerversicherung.
Ich freue mich schon darauf, wenn wir als Nächstes dasThema „Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ ange-hen. Sie werden darüber diskutieren, ob Mieten undÄhnliches – zur Hälfte oder in vollem Umfang – einbe-zogen werden sollen. Sie können sich hierbei auf tolleDiskussionen gefasst machen. Wir sagen deswegen: Miteiner Gesundheitsprämie schaffen wir alle damit verbun-denen Probleme vernünftig und ehrlich vom Tisch.nr–egteywHedTdgWbtedknteeturlDMoBdvS
Das Wort hat die Kollegin Petra Selg vom Bünd-
is 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-en! Es ist schon unglaublich, wie nun jede Wochemeistens zu sehr später Stunde –
in Antrag der FDP zum Gesundheitsmodernisierungs-esetz hier eingebracht wird. Gefällt Ihnen der Silves-rsketch mit dem Spruch „the same procedure as everyear“ so gut, dass Sie hier the same procedure as everyeek veranstalten?
eute reden nicht einmal Sozialpolitiker – ich sehe nichtinmal einen –, sondern Finanzpolitiker.Wie schon der Antrag aus der letzten Woche ist auchieser ohne jeglichen substanziellen Inhalt. Lieber Herrhiele, ich frage Sie schon: Warum haben die FDP-Län-ervertreter diesem schrecklichen Gesetz überhaupt zu-estimmt? Konnten sie nicht lesen?
arum sind Sie bei den Verhandlungen nicht dabei ge-lieben, wenn Ihnen jetzt jede Woche irgendein Bestand-il dieses Gesetzes so wichtig erscheint? Die zwei, diearan beteiligt waren, fehlen schon wieder.Ich sage Ihnen, warum: Sie selbst haben keinen Plan,eine Vorstellungen, keinerlei Konzepte. Sie wissenicht, welche Reformen in den sozialen Sicherungssys-men notwendig sind und ob das Prinzip der Solidaritätrhalten werden soll. Sie wollen für nichts Verantwor-ng übernehmen. Sie produzieren nur Sprechblasen.
Dieser Antrag ist dementsprechend kein bisschen se-iös; ich finde ihn geradezu affig. Sie schreiben dort, al-es sei „ohne Vorwarnung“ über Sie hereingebrochen.azu möchte ich Ihnen sagen: Die Regelung des GKV-odernisierungsgesetzes ist nicht still und leise, alsohne Vorwarnung irgendwo eingeführt worden. Sie warestandteil des Konsenses mit der Union. Sie war zu-em bereits im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionenom Juni 2003 enthalten.
ie hätten das ruhig einmal nachlesen können.
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Petra SelgDie Erhebung des vollen Beitrages auf Versorgungs-bezüge beseitigt aus meiner Sicht eine soziale Schief-lage; denn es gehört für mich zu den Wesensmerkmalender gesetzlichen Krankenversicherung, Generationen-gerechtigkeit so zu verstehen, dass nicht jede Genera-tion ausschließlich für ihre Gesundheitskosten aufkom-men muss, sondern dass ein Ausgleich zwischen denGenerationen stattfindet. Das ist und bleibt ein untrenn-barer Bestandteil des Solidarprinzips.
Das scheint für Sie nicht zu gelten. Aber an Solidaritäthapert es ja in Ihrer eigenen Fraktion.Wir haben bereits gehört: 1973 deckten die Rentne-rinnen und Rentner noch gut 70 Prozent der Leistungs-aufwendungen mit ihrem Beitrag ab. Heute sind es nurnoch 43 Prozent. Es müssen also 57 Prozent über dasBeitragsaufkommen der übrigen Krankenversichertenaufgebracht werden. Diese Belastung der jüngeren Ver-sicherten ist also in den letzten Jahren deutlich gestie-gen, obwohl die größten Auswirkungen der doppeltenAlterung unserer Gesellschaft – wir haben weniger Kin-der und eine größere Lebenserwartung – noch vor unsliegen.Ich halte es deshalb durchaus für vertretbar, leistungs-fähige Rentnerinnen und Rentner stärker als bisher anden Kosten der Krankenversicherung zu beteiligen; dennauch sie profitieren von stabilen Beiträgen in der GKV.Oder können Sie, meine lieben Damen und Herren vonder FDP, mir sagen, wie Sie die damit verbundenen Ein-nahmen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro – dies ent-spricht 0,2 Prozentpunkten – gegenfinanzieren würden?Wie schon in der letzten Woche kann ich nur fragen:Sind Sie dafür, dass die Beiträge weiter steigen? Daswürde die Generation der Erwerbstätigen durch stei-gende Lohnnebenkosten weiterhin treffen.
Frau Kollegin Selg, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Abgeordneten Thiele?
Nein. Ich wollte diese Rede eigentlich zu Protokoll
geben. Deshalb möchte ich ungestört zu Ende reden.
Sie müssen sie nicht zulassen.
Genau.
Wir stellen mit dieser Regelung auch die Bezieher
von laufenden und einmalig gezahlten Versorgungsbezü-
gen gleich. Auf einmalig ausgezahlte Versorgungsbe-
züge waren aufgrund einer heftig kritisierten Entschei-
dung des Bundessozialgerichtes bisher auch keine
Beiträge zur Krankenversicherung zu zahlen, wenn diese
Kapitalabfindung vor dem Renteneintritt gewährt wurde.
Laufende Versorgungsbezüge und Kapitalabfindungen
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Zum Schluss bleibt für mich noch die Frage übrig,
ie sich die FDP innerhalb der gesetzlichen Kranken-
ersicherung einen Ausgleich zwischen den Generatio-
en vorstellt. Ich würde mich freuen, wenn Ihre Antwort
azu beitragen sollte, einer Bürgerversicherung näher zu
ommen und somit die wachsenden Lasten einer immer
lter werdenden Gesellschaft und die damit verbundenen
osten auf breitere Schultern zu verteilen. Solange Ih-
en dazu aber nichts einfällt, freue ich mich auf Sit-
ungswochen ohne solche konzeptionslosen Anträge.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Matthäus Strebl von der CDU/CSU-Frak-
ion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Herr Thiele, die FDP behauptet in dem vorlie-enden Antrag, dass die Erhöhung der Kranken- undflegeversicherungsbeiträge auf die Versorgungsbezügend Betriebsrenten ungerecht sei und gegen den Grund-atz des Vertrauensschutzes verstoße.Hierbei sind allerdings einige Zusammenhänge zu be-chten. SPD und Grüne haben bei den vergangenen Ver-andlungen zur Gesundheitsreform massiv eine Mehrbe-astung der Rentner gefordert. Begründet wurde diesamit, dass die Beitragszahlungen der Rentner heutzu-age nur noch gut 40 Prozent der Leistungsausgaben derrankenversicherung für sie abdecken. Warum ist diesentwicklung eingetreten? Doch nur, weil Rot-Grün ohneinn und Verstand agiert.
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Matthäus StreblRot-Grün hat drei Kardinalfehler gemacht, wodurchdiese Krise der Sozialsysteme herbeigeführt wurde,nämlich erstens die Rücknahme der Sozialreformen derKohl-Regierung, zweitens das Betreiben einer verfehltenWirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und drittens dieEntwicklung völlig unzureichender Reformansätze beiden Sozialsystemen. Als Folge haben wir nun eine deso-late Finanzlage sowohl bei der Kranken- als auch bei derRentenversicherung mit milliardenschweren Ausfällen.Zur aktuellen Krisenlage kommen tief greifende He-rausforderungen für die Zukunft hinzu: eine immer älterwerdende Bevölkerung,
der zunehmende medizinische Fortschritt, der wach-sende Dienstleistungsbedarf in Medizin und Pflege undeine sich rasch verändernde Arbeitswelt. Das wird inZukunft – es ist auch schon jetzt der Fall – gravierendeAuswirkungen auf unsere sozialen Sicherungssystemehaben. Zugleich werden immer mehr Rentner immer we-niger Beitragszahlern gegenüberstehen; das wissen wir.Nun müssen die Rentnerinnen und Rentner vermehrtan der Finanzierung der Leistungsausgaben beteiligtwerden, um eine noch stärkere Belastung der erwerbsfä-higen Beitragszahler zu verhindern und um die Lohnne-benkosten zu senken. Ich sage daher noch einmal: Meinesehr verehrten Damen und Herren von der Koalition,hätte diese Bundesregierung die Reformen der Kohl-Re-gierung weiter ausgebaut, dann wäre zwar noch nichtalles geschafft – es muss immer wieder reformiert wer-den –, aber wir wären von vielem verschont geblieben.Man muss beachten, dass die erwerbstätigen Kran-kenversicherten die Rentnerinnen und Rentner bereits imJahr 2000 mit 62 Milliarden Euro subventioniert haben,da die Ausgaben der Krankenkassen für die Ruheständ-ler durch deren Beiträge nicht einmal mehr annäherndgedeckt wurden. In Anbetracht dieser Zahl sage ich: Obwir wollen oder nicht, wir müssen die uns von Ihnen ein-gebrockte Suppe auslöffeln.
Ein Wort an die FDP: Wir haben der Erhöhung derKrankenversicherungsbeiträge auf Betriebsrenten undVersorgungsbezüge nur zugestimmt, um die Finanzender gesetzlichen Krankenversicherung zu konsolidierenund eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten zu er-reichen.Die FDP bemängelt in ihrem Antrag, dass der Grund-satz des Vertrauensschutzes nicht mehr gewahrt sei. Sehrgeehrter Herr Thiele, sicherlich ist der Vertrauens-schutz hier nicht ganz unproblematisch. Der Gesetz-geber hat jedoch in dieser Sache einen ziemlich großenGestaltungsspielraum, vor allem wenn die sozialen Si-cherungssysteme in ernster Gefahr sind. Das ist bei einerFinanzlücke in Milliardenhöhe der Fall.Wichtig ist, dass bei allen Maßnahmen eine ausgewo-gene Lastenverteilung zwischen Erwerbstätigen undRentnern stattfindet, die keinen überfordert. Darauf wer-dhvSbsbseeRtGLnVptsecAdesDskVnlgksDfVw
ie FDP hätte bei den Konsensverhandlungen zur Ge-undheitsreform die Möglichkeit gehabt, diese Reformonstruktiv mitzugestalten. Stattdessen hat die FDP dieerhandlungen nicht weitergeführt und ist ausgetreten.Die im Rahmen der Gesundheitsreform beschlosse-en Eckpunkte ohne Gegenvorschlag zurückzunehmen,ehnen wir von der CDU/CSU ab. Ansonsten geriete dasesamte Finanztableau der Gesundheitsreform ins Wan-en. Daher werden wir dem Antrag der FDP nicht zu-timmen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/2472 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitigeorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über-eisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Durchführung von Verordnungen derEuropäischen Gemeinschaft auf dem Gebietder Gentechnik und zur Änderung der Neu-
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solmsartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung– Drucksachen 15/2520, 15/2597 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Durchführung von Verordnungen derEuropäischen Gemeinschaft auf dem Gebietder Gentechnik und zur Änderung der Neu-artige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung– Drucksache 15/2397 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 15/2669 –Berichterstattung:Abgeordnete Matthias WeisheitHelmut HeiderichUlrike HöfkenDr. Christel Happach-KasanZum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt einEntschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin der Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktiondas Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin froh, dass mit dem vorliegendenGesetzentwurf zum Gentechnik-Durchführungsgesetzgleich drei gemeinschaftsrechtliche Verordnungen derEU geregelt werden, nämlich das In-Verkehr-Bringen,die Kennzeichnung und die Rückverfolgbarkeit sowiedie grenzüberschreitende Verbreitung gentechnisch ver-änderter Organismen, Lebensmittel und Futtermittel.Mit der Verabschiedung des Gesetzes reagieren wirzeitnah, um die Ende letzten Jahres in Kraft getretenenEU-Verordnungen in nationales Recht umzusetzen. Da-rüber hinaus hat die Bundesregierung mit diesem Gesetzeinen weiteren wichtigen Meilenstein in der Umsetzungdes Zieles „Transparenz vom Acker bis zur Warentheke“erreicht.
Nun werden wir als Verbraucherinnen und Verbrau-cher die Möglichkeit haben, uns zu entscheiden, ob inunserem Einkaufskorb Produkte landen, die gentech-nisch veränderte Organismen enthalten oder nicht. Abernicht nur wir können beim Einkauf selbstbestimmter ent-sdnnndmMsdgDzsOldPwsOksDGgtlisdtLvoabmng5wsdnueT
ind wir gehalten, den europäischen Markt zu öffnen.er Marktzugang war übrigens auch für die USA derrund, auf eine möglichst schnelle Regelung zu drän-en.Noch einmal: Der Gesetzentwurf ist eines der wich-igsten Regelwerke, um die EU-Verordnung in nationa-es Recht umzusetzen. Wie sieht das praktisch aus? Kannch denn nun als Verbraucherin im Einkaufsmarkt sicherein? Was macht mich eigentlich sicher? Wer kontrolliertie Bauern und wer kontrolliert die Lebensmittelindus-rie, ob sie auch halten, was sie versprechen? Genügendebensmittelskandale sprechen eine andere Sprache.
Auch an dieser Front kann Ruhe eintreten, denn dieorgesehenen Sanktionsmaßnahmen für fahrlässigesder vorsätzliches In-Verkehr-Bringen sind hoch undusgesprochen streng. Zum Beispiel werden Haftstrafenis zu drei Jahren oder Geldstrafen verhängt, wenn je-and nicht nach EU-Verordnung zugelassene gentech-isch veränderte Organismen in Verkehr oder auchrenzüberschreitend in Verkehr bringt. Bußgelder bis zu0 000 Euro können verhängt werden, wenn Ordnungs-idrigkeiten wie zum Beispiel nicht richtige, nicht voll-tändige oder zu spät erfolgte Meldungen begangen wer-en. Ordnungswidrig handelt auch jemand, wenn ericht die richtige Etikettierung sicherstellt. Dies sind nurnvollständige Beispiele, die verdeutlichen sollen, dasss uns sehr ernst mit der Sicherheit im Lebensmittel- undierfutterbereich ist.
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)Waltraud Wolff
Auch die Sachverständigen haben während der Anhö-rung zu diesem Gesetz am 8. März mehrheitlich festge-stellt, dass diese Sanktionen notwendig und korrekt sind.Die Zuständigkeit der Kontrollen liegt bei den Bun-desländern. Deshalb glaube ich, dass es sehr wichtig ist,dass sich Bund und Länder in Vorbereitung auf den18. April, auf den Tag, an dem die Kennzeichnungs-pflicht in Kraft tritt, äußerst dringlich über die getroffe-nen Maßnahmen ins Benehmen setzen. Ich jedenfalls er-warte, dass ich ab 18. April 2004 nicht nur in derZutatenliste – ganz klein gedruckt, ohne Brille nicht er-kennbar, in der allerletzten Zeile – die für mich wich-tigste Information erhalte.In diesem Sinne herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Helmut Heiderich von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ab18. April 2004 verlangen die Verordnungen der Europäi-schen Union Angaben über die Nutzung gentechnischveränderter Rohstoffe beim Verkauf von Lebensmitteln.Wir haben dies politisch so gewollt, weil wir den Ver-braucher selbst entscheiden lassen wollen, ob er die Pro-dukte der Biotechnologie nutzt oder nicht. Es geht beidiesen Angaben um eine Information zum Einkauf, abernicht um Hinweise auf Risiken, gesundheitliche Ein-schränkungen oder Ähnliches.
An dieser Stelle wird der vorgelegte Gesetzentwurfseiner Aufgabe nicht gerecht.
Er geht weit über die bisherigen Kennzeichnungsregelndes Lebensmittelrechts hinaus. Es werden Strafbeweh-rung und Geldbußen in der doppelten bis dreifachenHöhe vorgesehen. Dies wird fälschlicherweise wiedermit Sicherheitsbedenken oder ähnlichen Risikoszenarienbegründet.In der eben schon angesprochenen Sachverständigen-anhörung ist darauf hingewiesen worden, dass die vorge-sehenen Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünfJahren selbst dann, wenn von einem Risiko auszugehenwäre, völlig überzogen sind. Es wurde darauf hinge-wiesen, dass sie dem Strafmaß bei fahrlässiger Tötung,Körperverletzung, Menschenhandel oder ähnlichen Straf-taten entsprechen. An diesen Stellen geht der Gesetz-entwurf weit über das hinaus, was geregelt werden muss.
Deswegen, Frau Wolff, muss dringend für eine Harmo-nisierung mit den anderen Rechtsvorschriften des Le-bsAfscNzTNWeltsgzvpi–BhtwldHglsNbrEidg
ußerdem müssen die Anliegen der Bundesländer, dieür die Durchführung und Kontrolle verantwortlich sind,tärker in der Vorschrift berücksichtigt werden.Auch was die Kontrolle selbst angeht, sind noch etli-he Fragen offen, zum Beispiel bei der quantitativenachweisanalyse, der so genannten PCA-Methode. Ichitiere aus einer aktuellen Veröffentlichung zu dieserhematik:Die Ergebnisse der quantitativen Nachweise kön-nen daher abhängig von der Entnahme, Mischungund Aufbereitung der Probe schwanken.un kommt es:Die Standardabweichung liegt nach Auskunft desBgVV bei ‚mindestens 25 Prozent‘. Bei einer wei-teren Verarbeitung des GVO könne die Abwei-chung aber auch ‚weit höher liegen‘.arum zitiere ich das? – Es könnte sehr leicht sein, dassinem Produzenten aufgrund dieser Abweichung Fahr-ässigkeit vorgehalten würde.
Die zweite Möglichkeit ist, dass bestimmte Demons-rationsgruppen mit wehenden Fahnen vor der Türtehen und protestieren, weil sie angeblich einen Wertefunden haben, der 0,9 Prozent überschreitet. Das istumindest so lange möglich, solange die Untersuchungs-erfahren noch nicht durch das dafür zuständige Euro-äische Komitee für Normung vereinheitlicht sind. Dasst bisher noch nicht der Fall.
Ich komme gleich darauf zu sprechen, was ich von derundesregierung erwarte. – Verehrter Kollege Weisheit,ier ist die Bundesregierung dringend gefordert, sich ak-iv in dieses Verfahren einzuschalten, um die bei den An-endern vorhandenen erheblichen Unsicherheiten mög-ichst umgehend und schnell ausräumen zu können. Ichenke, darin sind wir nicht sehr weit auseinander.
Es muss aber auch klargestellt werden, dass sich derersteller und der Anwender auf das gewollte und ei-ens geschaffene System der Prozesskennzeichnung ver-assen können müssen. Insbesondere dem mittelständi-chen Unternehmer kann doch neben den gefordertenachweisen nicht noch eine flächendeckende Bepro-ung oder gar, wie angedeutet worden ist, eine Auditie-ung des Lieferanten aus Übersee zugemutet werden.in Großkonzern, der in allen Teilen der Welt zu Hausest, kann das sicherlich leisten. Ein Mittelständler wäreamit vollkommen überfordert. Ihm würden Kosten zu-emutet, die er nicht tragen kann.
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Helmut Heiderich
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Da es sich umbereits zugelassene, umfassend geprüfte und unbedenk-liche Lebensmittel handelt, bedeutet die Einbeziehungweiterer Bundesbehörden in das Verfahren aus unsererSicht eine unnötige Aufblähung. Das wurde auch in derAnhörung deutlich. Viele der Gutachter haben zumin-dest die Einbeziehung des Bundesamts für Natur-schutz als überflüssig bezeichnet. Auch an dieser Stellemüsste der Gesetzentwurf entsprechend geändert wer-den. Ein Lebensmittel, das zugelassen ist, muss nichtnoch einmal von naturschutzfachlicher Seite überprüftwerden. Hier wird die Bürokratie eindeutig überzogen.
Frau Wolff, letztlich führt das Kennzeichnungssystemfür den Verbraucher nur zu einer teilweisen Transparenzder Nutzung der Bio- und Gentechnologie. Es ist einebewusste – man könnte auch sagen: willkürliche – Aus-wahl. Andere Länder sind hier längst deutlicher gewor-den. So werden beispielsweise in der Schweiz seit Jah-ren sogar Enzyme im Waschpulver gekennzeichnet. AufEuropaebene und insbesondere bei uns hat man sich aberoffensichtlich gescheut, zuzugeben, dass inzwischen fastjeder Käse sowie Fruchtsäfte und Backwaren mithilfeder Bio- und Gentechnik hergestellt werden; denn hierhat man die Enzyme von der Kennzeichnungspflichtausgenommen.Ich hoffe – das sei mein letzter Satz –, dass die Kenn-zeichnung zu einem weniger aufgeregten und mehr sach-orientierten Verhalten der Verbraucher sowie zu einerhöheren Akzeptanz der Vorteile der Grünen Gentechnikführen wird.Schönen Dank.
Für die Bundesregierung erteile ich jetzt das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär Matthias
Berninger.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich findees sehr gut, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundes-tages begrüßen, dass die EU-Verordnungen zur Kenn-zeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel end-lich in Kraft treten. Ich möchte an dieser Stelle daranerinnern, dass dies nicht immer der Fall war. Diese Ent-scheidung ist ein Erfolg der Verbraucherbewegung inEuropa; denn es war über Jahre das Interesse der Gen-techniklobby, Transparenz zu verhindern. Ich glaube,dass dieser sehr lange und harte Kampf letztendlich zueinem großen Erfolg geführt hat; denn wesentliche Ver-braucherrechte sind nicht nur das Recht auf Sicherheitund das Recht auf Information, sondern auch das Rechtauf Wahlfreiheit. Wenn die Verbraucherinnen und Ver-braucher mehrheitlich gentechnisch veränderte Lebens-mittel ablehnen, ist es die Aufgabe einer transparentenMtEtßSnERhsqdsssnrimmgDswvdnNgJzPgvGgdmksPAi
Wir diskutieren heute über die Umsetzung von unmit-elbar geltendem EU-Recht. Insofern ist der Entschlie-ungsantrag der FDP-Fraktion an einer entscheidendentelle sehr mangelhaft; denn die betreffenden Verord-ungen werden in Deutschland unmittelbar Recht sein.s geht vielmehr darum, wie Verstöße gegen diesesecht geahndet werden sollen. Der Kollege Heiderichat gesagt, dass die Strafen viel zu hoch seien. Dastimmt nicht, denn die Strafvorschriften sind die Konse-uenz aus dem, was wir aus den Lebensmittelskandalener letzten Jahre gelernt haben. Sie erinnern sich be-timmt noch an die Futtermittelskandale, die bagatelli-iert worden sind. Sie haben gesagt, dass die Strafvor-chriften betreffend den Bio- und Gentechnikbereichicht mit anderen Rechtsvorschriften im Lebensmittel-echt übereinstimmten. Das räume ich sogar ein. Aberch schätze das anders ein. Ziel darf nicht sein, das Straf-aß im Bio- und Gentechnikbereich zu senken. Viel-ehr müssen die Strafen auch in anderen Bereichen an-ehoben werden.
enn Verstöße gegen das Lebensmittelrecht und insbe-ondere gegen die Lebensmittelsicherheit
urden ebenso wie Verstöße gegen das Futtermittelrechtiel zu lange als Bagatelldelikte abgetan. Erklärtes Zieler Verbraucherpolitik der Bundesregierung ist aber, ge-au das zu ändern.Die Opposition ist dagegen, dass das Bundesamt füraturschutz in den Bereich der Gentechnikpolitik ein-ebunden wird. Darüber haben wir im ganzen letztenahr eine Auseinandersetzung geführt. Nur so viel – diesum Thema Bürokratie –: Mit so etwas sollte man diearlamente in Deutschland nicht über Monate beschäfti-en, Herr Kollege Heiderich. In der Sache ist es nämlichollkommen richtig, das Bundesamt für Naturschutz amesamtkomplex der Gentechnik zu beteiligen. Deswe-en freue ich mich, dass wir das mit einer entsprechen-en Entscheidung, die wir im letzten Jahr mit Kanzler-ehrheit getroffen haben, ein für alle Mal klarstellenonnten. Uns geht es hierbei nicht um mehr Bürokratie,ondern darum, die Einflüsse gentechnisch veränderterflanzen auf den Naturhaushalt, die uns ein Dorn imuge sind, genau untersuchen und prüfen zu lassen. Hierst das Bundesamt für Naturschutz ein bewährter Partner.
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Parl. Staatssekretär Matthias BerningerAb 18. April dieses Jahres werden die Verbraucherin-nen und Verbraucher Wahlfreiheit haben. Zumindest dieälteren Bundesbürgerinnen und Bundesbürger werdenaber genau hinschauen müssen, weil die Kennzeichnungauf einer Verpackung, dass ein Lebensmittel genmanipu-lierte Zutaten enthält, nicht groß sein muss. Um dieWahlfreiheit herzustellen, ist es sehr wichtig, dass derBund und die Länder die Verbraucherinnen und Verbrau-cher intensiv informieren, damit sie von ihrem RechtGebrauch machen können. Das ist ein zentraler Punkt.Unser Ministerium wird solche praktischen Fragen ge-meinsam mit den Ländern diskutieren.Herr Kollege Heiderich, wie bei der Einführung vonBSE-Tests und wie bei anderen massenhaft eingesetztenStandardtests wird es am Anfang natürlich Diskussionenüber die Validität der verschiedenen Methoden geben.Meiner Meinung nach sollten wir am Anfang nichtpäpstlicher als der Papst sein. Ich empfehle allen Unter-nehmen, die auf gentechnikfreie Produkte setzen, denGrenzwert eher niedrig anzusetzen, Ärger zu vermeidenund lieber etwas genauer hinzusehen. Wir im DeutschenBundestag sollten nicht versuchen, herauszufinden, wel-ches Testsystem optimal ist. Ich bin zuversichtlich, dassdie Lebensmittelbehörden der Länder in Zusammenar-beit mit dem Bund vernünftige Testmethoden findenwerden.Wir haben an anderer Stelle festgestellt, dass die Le-bensmittelverwaltungen in Deutschland insgesamt drin-gend eine Aufwertung erfahren müssen, dass zumindestdie Zahl der Lebensmittelkontrolleure erhöht werdenmuss. Mit anderen Worten: Bund und Länder müssen inmehr Personal, in mehr Lebensmittelsicherheit investie-ren. Das Gesetz, das wir heute beschließen, ist ein weite-rer Anlass dazu, die Länder aufzufordern, in Lebens-mittelsicherheit zu investieren.Ich möchte auch an dieser Stelle dafür danken, dassder Deutsche Bundestag nach den Haushaltsberatungender letzten zwei Jahre trotz eines harten Sparkurses aufBundesebene die für den Ausbau der Lebensmittelsi-cherheit nötigen Mittel bereitgestellt hat. Dies müssendie Länder nun nachmachen, auch, aber nicht nur – dassage ich ganz klar –, um den Bereich Gentechnik ver-nünftig zu kontrollieren; denn es gibt große Defizite anvielen Stellen.Ich hoffe, dass wir mit der Kennzeichnung und mitdiesem Gesetz insgesamt das erreichen, was die Aufgabeder Politik ist, nämlich den Verbraucherinnen und Ver-brauchern Wahlfreiheit sowie Informationen und Sicher-heit zu garantieren. Daran haben wir hart gearbeitet. Fürdie Zusammenarbeit möchte ich sehr danken.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan, FDP-Fraktion.
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ch halte es für nicht mehr angemessen, wie Sie mit die-em Hause umgehen. Wir haben bei den Haushaltsbera-ungen immer wieder Wert darauf gelegt, dass in die Le-ensmittelsicherheit investiert wird. Sie haben dieosten, die wir Ihnen zur Verfügung gestellt habenzum Beispiel im Bereich BSE-Bekämpfung –, dafürber nicht genutzt.
Der Gesetzentwurf der Regierung war inhaltlichchlecht und der im Ausschuss verabschiedete Gesetz-ntwurf ist genauso schlecht. Sie, liebe Kolleginnen undollegen von der Koalition, haben den Zeitrahmen soesetzt, dass für die Opposition keine Zeit blieb, Ände-ungsanträge zu formulieren.
Ach was! In den 45 Stunden zwischen Anhörung underatung im Ausschuss kann man zwar ein paar redak-ionelle Änderungen vornehmen; aber man kann keinenegierungsentwurf überarbeiten, der absolut verfehlt ist.
Der Bundesrat wird – ich bin ganz sicher – für diesenderungen sorgen. Mit diesem Verfahren stärken Sieie Bedeutung des Bundesrates und Sie schwächen denundestag, das Parlament, in dem Sie zurzeit noch überine Mehrheit verfügen.Es ist völlig unangemessen, dass dieses Gesetz einentrengeren Strafrahmen vorsieht als das Lebensmittel-nd Bedarfsgegenständegesetz, das die übrigen Kenn-eichnungsvorschriften regelt. In der Anhörung des Aus-chusses zur Lebensmittelkontrolle stellten alle Expertenuf meine Frage hin fest, dass der Strafrahmen desMBG ausreichend sei. Sie setzen ihn dennoch herauf.
ozu, Kollege Weisheit, führen wir Expertenanhörun-en durch, wenn Sie deren Erkenntnisse nicht berück-ichtigen?
Das stimmt sehr wohl. Es geht um die Anhörung zurebensmittelkontrolle. Dort habe ich konkret danach ge-ragt und dort habe ich sowohl vom Vertreter aus Nord-
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Dr. Christel Happach-Kasanrhein-Westfalen als auch von dem aus Baden-Württem-berg als auch von den Lebensmittelkontrolleuren ganzkonkrete Antworten bekommen. Lesen Sie es im Proto-koll bitte nach!
– Es ist wahr, Frau Wolff. Ich würde es sonst bestimmtnicht sagen.Es bestehen Schwierigkeiten mit der Interpretationvon Punkt 16 der EU-Verordnung 1829/2003. Dort wirdunterschieden zwischen Produkten, die aus einem GVO,und solchen, die mit einem GVO hergestellt wurden.Erstere müssen gekennzeichnet werden, letztere nicht.Vor diesem Hintergrund – das betone ich – bedeutet dieStrafandrohung für fahrlässiges Handeln im Gesetz, dassnahezu jeder Unternehmer in der Lebensmittelbranchemit einem Bein im Gefängnis steht. Sie handeln unver-antwortlich.
Dass sich das Ministerium in dieser Frage auf unsi-cherem Boden bewegt, belegt die Tatsache, dass dieerste vom Ministerium geförderte Ausgabe der Bro-schüre „Vom Acker bis zum Teller: Lebensmittelsicher-heit geht alle an“ diesen Sachverhalt korrekt darstellteund Beispiele nannte. Die neue Auflage enthält den ent-sprechenden Text nicht mehr.
Der alte Text wies zu deutlich darauf hin, dass seit lan-gem Produkte von gentechnisch veränderten Organis-men in aller Munde sind.Im Übrigen hat die Bundesregierung die Zeit nichtgenutzt, um diese Frage in der EU klären zu lassen. Siewissen genauso gut wie ich: Würden alle Produkte ge-kennzeichnet, bei deren Herstellung Verfahren der Grü-nen Gentechnik angewandt werden, gäbe es kaum nochProdukte ohne Kennzeichnung.
Dies macht ganz deutlich: Bei dem Gesetz geht es Ihnennicht um Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Ver-braucher, die Sie sonst wie eine Monstranz vor sich hertragen. Nein, Sie verfolgen mit dem Gesetz allein dasZiel, die Grüne Gentechnik an den Pranger zu stellen.
Dabei sollten Sie wissen, Innovationen wie die GrüneGentechnik, die sich in anderen Ländern durchgesetzthaben, zum Beispiel in den USA, kann man mit solchenMätzchen nicht verhindern.
AbztGBdzdnsdsKtirdFhh–dwuSneVn–
Logisch wäre es, wenn wir uns bei der Verpflichtung
ur Kennzeichnung auf Eigenschaften beschränken wür-
en, die im Produkt nachzuweisen sind. Die Ausdeh-
ung der Kennzeichnung auf die Beschreibung von Her-
tellungsverfahren, selbst wenn sie keinen Einfluss auf
as Produkt haben, verursacht mehr Bürokratie, als dass
ie den Verbraucherinnen und Verbrauchern bei ihren
aufentscheidungen hilft. Die FDP fordert in ihrem An-
rag, die Kennzeichnungsverordnung der EU eins zu eins
n nationales Recht umzusetzen, um Wettbewerbsverzer-
ungen zu vermeiden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Matthias Weisheit für
ie SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rau Happach-Kasan, ich habe Ihnen sehr genau zuge-ört. Hätten Sie vorher Herrn Berninger zugehört, dannätten Sie jetzt am Schluss nicht mehr diesen UnfugEntschuldigung – erzählt.
Alle drei EU-Verordnungen sind unmittelbar gelten-es Recht. Was Sie wollen, ist darin geregelt. Im Gesetzird die Zuständigkeit der Überwachung zwischen Bundnd Ländern und der von Ihnen so heftig kritisiertetrafrahmen geregelt. Alles andere ist in den EU-Verord-ungen – und nirgendwo anders – abschließend geregelt,rst recht nicht im Gesetz. Hier geht es nicht darum, dieerordnung eins zu eins umzusetzen, sondern die Natio-alstaaten sind aufgefordert, die beiden fehlenden Dinge Strafrahmen und Zuständigkeiten der Kontrolle – zu
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Matthias Weisheitregeln. Deswegen ist Ihr Antrag ebenso unnötig wiemanche Debatte, die wir zu diesem Thema schon geführthaben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Happach-Kasan?
Nein, Frau Happach-Kasan. Wir sind ohnehin schonspät genug dran. Sie haben ja auch Ihre Redezeit massivüberzogen.
Es muss nicht sein, dass ich Ihnen jetzt noch zusätzlicheverschaffe.Lassen Sie mich noch etwas zum Kollegen Heiderichsagen: Wir sind uns in einem Punkt einig. Wir sind frohdarüber, dass wir die Pflicht zur Kennzeichnung gen-technisch veränderter Lebensmittel haben und die Ver-braucher anhand dieser ihre Entscheidung treffen kön-nen. Mich ärgert aber an der ganzen Geschichte, dassdiese Kennzeichnung in der Zutatenliste der Produktesteht. So brauche ich in meinem Alter ohnehin beim Ein-kaufen eine Brille. Diese habe ich aber möglicherweisebeim Einkaufen nicht dabei.
Das ärgert mich schon. Ich hätte eigentlich anderes vonder EU erwartet. Mein Wunsch geht dahin, dass sich dieBundesregierung dafür einsetzt, dass die Verordnung ge-ändert wird, und gentechnisch veränderte Produkte miteinem klar erkennbaren Label gekennzeichnet werden
und dieser Hinweis nicht hinten auf der Zutatenliste zwi-schen 27 anderen Stoffen kleinzeilig verschwindet. Nurdann kommt eine klare Entscheidung zustande.Womit ich mich überhaupt nicht anfreunden kann, istdie Verminderung des Strafrahmens. Mich wundert esimmer wieder, wenn diese Forderung von Vertretern ei-ner Partei kommt, die jeden Kaufhausdieb beim zweitenMal am liebsten einsperren und in Sicherheitsverwah-rung geben würde, sodass er gar nicht mehr aus dem Ge-fängnis käme. Wenn ich daran denke, was von IhrerSeite, speziell von der CDU/CSU, an Änderungen desStrafgesetzbuches gefordert wird, wenn irgendetwaspassiert, dann wundere ich mich schon, wie locker undlax man in diesem Fall mit Vorschriften umgehen will,die möglicherweise die Gesundheit gefährden, zumin-dest aber eine Täuschung darstellen.
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Ein weiterer Punkt, auf den noch eingegangen werdenüsste: Als Nachweis können nicht nur Labortests, son-ern auch eine Dokumentation dienen. Über die Doku-entationsverpflichtung lässt sich das Risiko ausräu-en, dass ein Hersteller bei unterschiedlichem Ausgangon zwei Labortests bestraft wird. Wenn jemand bei ei-em Labortest innerhalb einer bestimmten Schwan-ungsbreite liegt, wird man das Ergebnis verifizierennd den Test ein zweites Mal durchführen. Wenn er übereine Dokumentation nachweisen kann, dass er gentech-ikfreie Bestandteile eingekauft und in gutem Glaubenehandelt hat, dann ist sein Handeln nicht einmal fahr-ässig. Insofern ist das kein Punkt, an dem man viel kriti-ieren könnte oder bei dem ein großer Änderungsbedarfestünde.Da die Opposition und der Bundesrat die Einbindunges Bundesamtes für Naturschutz in diesem Zusam-enhang nicht mittragen, werden wir das Gesetz letzt-ndlich mit Kanzlermehrheit beschließen müssen, nach-em es den Bundesrat passiert hat. Aber irgendwannollte man auch diesen Spaß beenden.
ir werden das Gleiche wie beim letzten Gesetz erle-en: dass im Bundesrat aus durchsichtigen Gründen an-ers entschieden wird
nd dass wir Sie mit Kanzlermehrheit überstimmen müs-en, was geht, weil es kein zustimmungspflichtiges Ge-etz ist.Ich sehe, meine Redezeit ist genau in diesem Momentbgelaufen; daran will ich mich halten.Ich danke schön.
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Herr Kollege Weisheit, das Präsidium ist von der
Punktlandung außerordentlich beeindruckt und hofft,
dass das für den Rest des Abends stilbildend wirkt.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Albert Deß für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der vorliegende Gesetzentwurf gibt erneut Ge-legenheit, auf die verwirrende und widersprüchliche Po-litik von Rot-Grün zur Gentechnik aufmerksam zu ma-chen. Entsprechend unsystematisch und unlogisch ist diebisherige Gesetzgebungstätigkeit der Bundesregierungund der Regierungskoalition im Bereich der GrünenGentechnik, aber nicht nur dort, wie wir alle aus leidvol-ler Erfahrung wissen.
Am 11. Februar 2004 hat das Bundeskabinett einenGesetzentwurf verabschiedet, der den anspruchsvollenTitel „Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts“trägt. Doch wird dieses so genannte Neuordnungsgesetzweder formal noch inhaltlich diesem Anspruch gerecht.Es ist vielmehr eine Täuschung des Parlaments und derÖffentlichkeit.
In Wahrheit müsste der Titel dieses Gesetzes lauten:„Gesetz zur weiteren Chaotisierung des Gentechnik-rechts“. Rot-Grün zäumt nämlich das Pferd vomSchwanz her auf. Das Gentechnikrecht muss zuerst in-haltlich neu geordnet werden. Dann erst sind formaleFragen wie Zuständigkeiten und Ahndungsmöglichkei-ten zu regeln. Aber es ist wie immer: Rot-Grün geht denumgekehrten Weg.Bereits im Juli 2003 musste sich der Bundestag miteinem Zuständigkeitsänderungsgesetz bei der Gentech-nik befassen. Die eigentliche inhaltliche Aufgabe, näm-lich die Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie fürtransgene Pflanzen, ist noch immer nicht erledigt. DieUmsetzungsfrist endete bereits im Oktober 2002. Fest-gelegt wurde damals die Verlagerung der Zuständigkei-ten – der Kollege Heiderich hat es schon angesprochen –vom Robert-Koch-Institut auf das Bundesamt für Ver-braucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das Amt istaufgrund seiner Struktur, Aufgabenstellung und Perso-nalausstattung als Genehmigungsbehörde meiner An-sicht nach nicht geeignet. Die Verlagerung der Zustän-digkeit erschwert lediglich die Genehmigung vonFreisetzungen von gentechnisch veränderten Organis-men.Das EU-Recht, an das der vorliegende Gesetzentwurfanknüpft – in diesem Punkt hat Matthias WeisheitRecht –, regelt drei Bereiche. Erstens: Zulassung,Sicherheitsbewertung und Kennzeichnung von Lebens-mitteln und Futtermitteln. Zweitens: RückverfolgbarkeitumtCiWEsdsgmGWBhstRGrGsfsdpdasAugedaWn–dnd
Die Zuständigkeit des Bundesumweltamtes ist unternderem durch die Schutzziele des Gentechnikgesetzesowie durch die errichtungsgesetzlich zugewiesenenufgaben begründet. Es hat in den vergangenen Jahrenmfassende Kompetenzen im Bereich Gentechnik auf-ebaut. Dabei kann der gentechnische Fachbereich aufine Vielzahl anderer Bereiche des Umweltschutzes iner Behörde zurückgreifen. Dieser umfassende Arbeits-nsatz qualifiziert das Umweltbundesamt in besonderereise für die umweltbezogenen Aufgaben im Gentech-ikbereich, nicht aber das Bundesamt für Naturschutz.
Matthias, ich bitte darum, dass nicht verzögert wird;enn wir wollen fertig werden.
Die Verfahrenserschwernisse für die Grüne Gentech-ik durch die Zuständigkeitsregelung vom Juli 2003 unden vorliegenden Gesetzentwurf sollen nunmehr mit-
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Albert Deßhilfe des Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrech-tes weiter verschärft werden, mit dem wir uns in dennächsten Wochen befassen werden. Rot-Grün hemmt da-mit trotz ständiger Lippenbekenntnisse zur Innovationdie verantwortungsvolle Nutzung der Biotechnologiewegen ihrer möglichen Risiken, ohne die Chancen zu se-hen, die damit gerade im Bereich nachwachsender Roh-stoffe verbunden sind. Selbst der Anbau gentechnischveränderter Produkte zu Forschungszwecken wird damitin Deutschland fast unmöglich gemacht.
Eine solche Politik ist unvernünftig, verantwortungslosund verlagert Arbeitsplätze ins Ausland.
Was die Kennzeichnungspflicht anbelangt, vertrittdie CDU/CSU eine ganz klare Position: Wir sind füreine Kennzeichnungspflicht. Es wäre aber interessant,darüber zu diskutieren – das möchte ich zum Schlussnoch anmerken –, was wäre, wenn gentechnisch verän-derte Arzneimittel gekennzeichnet werden müssten.Dann würde die Bevölkerung nämlich merken, dass siejeden Tag gentechnisch veränderte Arzneimittel be-kommt. Das muss man Ihnen ins Stammbuch schreiben.Ich kann Ihnen abschließend nur sagen: Sie sind, wasIhre Gesetze zur Gentechnik anbelangt, auf dem Irrweg.Rot-Grün wird das Gleiche erleben, was die Grünen mitihrem Parteitagsbeschluss vom Anfang der 80er-Jahreerlebt haben, als sie sich gegen die Einführung – –
Die Würdigung des Parteitagsbeschlusses muss ei-
nem künftigen Redebeitrag vorbehalten bleiben.
Herr Präsident, ich möchte wenigstens den Satz zu
Ende sprechen. Die Grünen haben sich Anfang der 80er-
Jahre gegen die Einführung der EDV-Technik ausge-
sprochen. Sie sind von der Wirklichkeit überholt wor-
den. Bei der Gentechnik werden sie ebenfalls von der
Wirklichkeit überholt werden.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durch-führung von Verordnungen der Europäischen Gemein-schaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderungder Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung auf den Drucksachen 15/2520 und 15/2597.Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschluss-ewdsgigudzgDasDßdcGnnbgDBcdginpdngWdhtd
erspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertDann können wir gleich zur Abstimmung über denvon der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfüber den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der EU-Er-weiterung auf den Drucksachen 15/2378 und 15/2541schreiten. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 15/2672, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas-sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-entwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um dasHandzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-entwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, bitte ich,sich zu erheben. – Möchte jemand dagegen stimmenoder sich der Stimme enthalten? – Das ist nicht der Fall.Dann ist der Gesetzentwurf angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über denEuropäischen Haftbefehl und die Übergabever-fahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäi-
– Drucksache 15/1718 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 15/2677 –Berichterstattung:Abgeordnete Joachim StünkerSiegfried Kauder
Jerzy MontagJörg van EssenAuch hier gibt es eine interfraktionelle Vereinbarungfür eine Debattenzeit von einer halben Stunde, die wirwiederum vermutlich nicht gänzlich benötigen werden.Ich eröffne die Aussprache. Zunächst erteile ich demKollegen Siegfried Kauder für die CDU/CSU-Fraktiondas Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht al-les, was aus Brüssel kommt, ist Gutes. Das, was zumEuropäischen Haftbefehl aus Brüssel kommt, ist nichtsGutes. Darin sind sich alle Fraktionen dieses HohenHauses einig.
ktMiehßwngmiedSdSieeOTrest1EhMs1tbwüdaeDzdrgDasSuSdsS1) Anlage 7
in spanischer Hafttag zählt also doppelt. Inzwischenaben sich die Haftbedingungen in einer Haftanstalt inadrid, der so genannten Zentralhaftanstalt I, verbes-ert. Für diese Haftanstalt ist die Strafe im Verhältnis: 1 umzurechnen.Was will ich damit sagen? Wir haben in einem verein-en Europa keine gleichen Haftbedingungen. Deswegenrauchen wir weiterhin die Vorschrift des § 51 StGB, ob-ohl wir inzwischen das Schengener Durchführungs-bereinkommen haben, das in seinem Art. 53 festlegt,ass wir ausländische Verurteilungen wie inländische zukzeptieren haben und bezüglich der Strafe nicht nochtwas draufsatteln dürfen. Art. 54 des Schengenerurchführungsübereinkommens lässt aber Vorbehalteu. Deutschland hat diese Vorbehalte gemacht. Wir wer-en also weiterhin Doppelverurteilungen haben.Sie sehen also, das Allerwichtigste ist, dass wir in Eu-opa einen Rahmenbeschluss über gleiche Haftbedin-ungen in europäischen Haftanstalten bekommen.as wäre der erste Schritt gewesen. Aus Brüssel kommtber eine andere Botschaft: Wir wollen einen Europäi-chen Haftbefehl haben. Das kann für einen deutschentaatsbürger, der Beschuldigter ist – nicht Verurteilternd nicht Täter, sondern tatverdächtig und manchestrafverfahren endet mit Freispruch –, dazu führen, dasser deutsche Staat diesen Staatsbürger in ein europäi-ches Ausland ausliefern muss, und zwar nicht erst zurtrafvollstreckung, sondern schon zur Durchführung des
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Siegfried Kauder
Strafverfahrens mit der Untersuchungshaft. Er sitzt dortmöglicherweise in einer Haftanstalt mit deutlich anderenHaftbedingungen, als wir sie in Deutschland haben. Istdas notwendig?Nach deutschem Recht wäre es nicht notwendig ge-wesen; denn nach § 7 Strafgesetzbuch kann ein deut-sches Gericht einen Deutschen auch wegen einer imAusland begangenen Straftat verurteilen. Eine Strafbar-keitslücke würde also nicht auftreten.Nun hat dieser Rahmenbeschluss aber auch noch eineBesonderheit. Deutschland muss einen deutschen Staats-bürger auch dann in ein europäisches Ausland auslie-fern, wenn er dort einer Straftat beschuldigt wird, die inDeutschland keine Straftat ist. Wir dürfen also keinenAbgleich mit deutschem Recht vornehmen. Wir müssenden deutschen Staatsbürger sehenden Auges ins Auslandausliefern, obwohl die Tat bei uns nicht strafbar ist.Das mag noch angehen. Aber dieser deutsche Staats-bürger kann nach der Verurteilung im Ausland nicht ein-mal beantragen, die dort verhängte Strafe in Deutschlandverbüßen zu dürfen. Das geht nämlich nur dann, wenndiese Tat auch in Deutschland eine Straftat ist. DeutschesRecht lässt nicht zu, dass wir Strafen, die im Ausland fürhier nicht unter Strafe gestellte Taten verhängt wordensind, in Deutschland verbüßen lassen. Das heißt, dieserdeutsche Bürger ist dann schlechter gestellt als nach demderzeit bestehenden Recht.Meine Damen und Herren, ausgeliefert wird bei Straf-taten, die in einem Katalog aufgeführt sind, den man nurals reines Tohuwabohu bezeichnen kann. Teilweise sindDeliktgruppen, teilweise einzelne Delikte aufgeführt.Die Deliktgruppen lassen sich nicht nahtlos in deutschesRecht, aber auch nicht nahtlos in außerdeutsches Rechteinordnen. Es wird also Streit darüber entstehen, nachBegehung welchen Delikts ausgeliefert werden darf.Aber es wird noch bunter. Was passiert eigentlich,wenn mehrere europäische Staaten ein Auslieferungser-suchen an Deutschland stellen? Der Rahmenbeschlusshat das geregelt: Dann spielen wir Roulette. Dann ent-scheidet schlicht das ersuchte Land, in welches europäi-sche Land ausgeliefert werden soll.Der Rahmenbeschluss berücksichtigt aber ein beson-deres Problem nicht. Es gibt nämlich Straftaten, bei de-nen Tatort sowohl Deutschland als auch das europäischeAusland ist, zum Beispiel bei Geldfälschungsdeliktenmit Bezügen in mehreren europäischen Ländern. Wohinliefern wir jetzt aus? Wer führt das Verfahren? Auch dagibt es eine Lösung: Wenn sich die BundesrepublikDeutschland entschließt, das Verfahren selbst zu führen,kann man die Auslieferung umgehen. Jeder Beschul-digte kann dann also höflich zum Staatsanwalt laufenund darum bitten, doch um Gottes willen in Deutschlandein Strafverfahren gegen ihn einzuleiten, damit er nichtnach dem Rouletteverfahren in irgendein europäischesLand ausgeliefert werden muss.
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ür mich kann das nur heißen: Der deutsche Staat musseagieren, bevor auf europäischer Ebene Rahmenbe-chlüsse erlassen werden; er darf nicht hinterherhinkennd nur durchwinken.
ir sind aufgefordert, uns in Europa mehr einzubringennd einzumischen und im Vorfeld zu agieren. Das habenir möglicherweise unterlassen.Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werdenns nicht sperren. Wir werden diesem Gesetz zur Umset-ung des Rahmenbeschlusses mit Tränen in den Augennd murrend zustimmen, weil wir keine anderen Mög-ichkeiten haben.Vielen Dank.
Die Kollegen Joachim Stünker, Jerzy Montag undörg van Essen sowie der Parlamentarische Staats-ekretär Alfred Hartenbach geben ihre Reden zu Proto-oll.1)Mir liegt eine Erklärung zur Abstimmung von denolleginnen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger undibylle Laurischk vor.2)Ich schließe damit die Aussprache. Wir stimmen nunb über den von der Bundesregierung eingebrachten Ge-etzentwurf zur Umsetzung des Rahmenbeschlussesber den Europäischen Haftbefehl und die Übergabever-ahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischennion auf der Drucksache 15/1718. Der Rechtsaus-chuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 15/2677, den Gesetzentwurf in der Aus- Anlage 8 Anlage 5
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004 8749
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Norbert Lammertschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wol-len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Bera-tung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Istjemand dagegen? – Möchte sich jemand der Stimme ent-halten? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzent-wurf einstimmig angenommen.Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-ges auf morgen, Freitag, den 12. März 2004, 9 Uhr, einund wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend.Die Sitzung ist geschlossen.